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German Pages 242 [243] Year 2006
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 81
Politische Auftragsvergabe und Welthandelsrecht Von Jens-Christian Gaedtke
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JENS-CHRISTIAN GAEDTKE
Politische Auftragsvergabe und Welthandelsrecht
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard Heß K r i s t i a n K ü h l , H a n s v. M a n g o l d t We r n h a r d M ö s c h e l , M a r t i n N e t t e s h e i m Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m , J o a c h i m Vog e l sämtlich in Tübingen
Band 81
Politische Auftragsvergabe und Welthandelsrecht Von Jens-Christian Gaedtke
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-11758-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2004 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Promotion angenommen. Rechtsprechung und Literatur fanden bis zu diesem Zeitpunkt Berücksichtigung. Bei meinem Forschungsprojekt habe ich von vielen Seiten großzügige und verlässliche Unterstützung erfahren. Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Martin Nettesheim, für seine Unterstützung und den großen Freiraum, den er mir während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl zur Verwirklichung des Vorhabens ließ. Frau Professorin Dr. Barbara Remmert danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Wichtige Anregungen erhielt ich durch die regelmäßigen interdisziplinären Veranstaltungen zu Fragen des Welthandelsrechts an den Universitäten Tübingen und St. Gallen. Die intensiven Diskussionen im Rahmen der Seminare haben mir manch neue Perspektive eröffnet. Neben meinem Doktorvater danke ich insoweit vor allem Frau Professorin Dr. Dr. Juliane Kokott, Herrn Professor Dr. Heinz Hauser und Herrn Assessor Rainer Vetter. Zu den wichtigsten Etappen meiner Untersuchung zählte ein einjähriger Studien- und Forschungsaufenthalt an der Harvard Law School. Sehr verbunden bin ich in diesem Zusammenhang Herrn Professor Joel P. Trachtman, als dessen wissenschaftlicher Assistent ich Gelegenheit zu zahlreichen inspirierenden Diskussionen hatte und der mir mit seinen Hinweisen zur amerikanischen Sicht des Wirtschaftsvölkerrechts weitergeholfen hat. Für hilfreiche Anmerkungen und Gespräche danken möchte ich zudem Herrn Professor Detlev F. Vagts, Herrn Professor William P. Alford, Frau Dr. Monica Marcucci und Herrn Professor Christopher McCrudden, seitens der Europäischen Kommission insbesondere Frau Muriel Heller und Herrn Wilfried Schneider, Herrn Rechtsanwalt Timm R. Meyer vom Forum Vergabe sowie Herrn Adrian Otten vom WTO-Sekretariat in Genf. Mein besonderer Dank geht an die Studienstiftung des deutschen Volkes für ihre Unterstützung während meiner Studien- und Promotionszeit. Die großzügige Förderung auch meines Aufenthalts in den USA war eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des Projekts. Herrn Professor Dr. Oppermann, Herrn Professor Dr. Nettesheim und Herrn Dr. Florian Simon bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe der Universität Tübingen zum internationalen und europäischen Recht verbunden.
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Vorwort
Die Arbeit widme ich meinen Eltern, denen ich für ihre langjährige und vielfältige Unterstützung sehr dankbar bin. Brüssel, im Oktober 2005
Jens-Christian Gaedtke
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Teleologische und rechtspolitische Überlegungen zur Lösung von Zielkonflikten im WTO-Recht
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§ 1 Zielkonflikte und andere „Linkage Problems“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
§ 2 Funktionen der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Freihandel, Liberalisierung und Marktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Freihandel und Deregulierung nationaler Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Marktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Koordinierung des internationalen Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Aufbau eines normgeleiteten multilateralen Handelssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Juristische Qualität der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Politische Sensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Grenzen der Fortentwicklung des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Deregulative Tendenzen des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Das „Race to the Bottom“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Struktur der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das strukturelle Ungleichgewicht innerhalb der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Folgen der asymmetrischen Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Inhaltsverzeichnis
§ 4 Legitimität von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Legitimität als „demokratische“ Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
I. Eine demokratische Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Partizipation von Interessengruppen und Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Transparenz des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Weitere Elemente des Begriffs der Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Die WTO im internationalen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Völkerrechtliche Verpflichtungen der WTO-Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
B. Völkerrechtliche Verpflichtungen der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Unverbindliche internationale Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Berücksichtigung internationalisierter Wertvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 6 Zusammenfassung und Folgerungen für die Lösung von Zielkonflikten . . . . . . . .
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2. Teil Politische Auftragsvergabe in ausgewählten GPA-Mitgliedstaaten und ihre rechtliche Zulässigkeit
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§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Begriff und Formen politischer Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
II. Formen politischer Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Rechtliche Grundlinien politischer Auftragsvergabe in Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Regelungen im deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Einfluss des europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Die europäischen Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
Inhaltsverzeichnis
9
b) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Reform der Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Häufige oder wichtige politische Belange bei der Auftragsvergabe in Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Wirtschafts- und strukturpolitische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Mittelstandsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Regionalförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. „Anti-Outsourcing“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Sozial- und arbeitspolitische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Frauenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
2. Förderung sonstiger Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Nationale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Internationale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Ökologische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Schutz der innerstaatlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
V. Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Außenpolitische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 2 Der Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 A. Persönlicher Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Geltungsbereich des Abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Erfasste Vergabestellen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Sachlicher Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Auftragsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
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Inhaltsverzeichnis C. Politische Zwecke und der Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Ausschluss politischer Zwecke vom Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . 110 1. Rechtliche Bewertung der Ausschlussklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Ausschlussklauseln als Modell für politische Auftragsvergabe? . . . . . . . . . 113 II. Politische Zwecke im Anwendungsbereich des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Stadt München gegen ausbeuterische Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Keine US-Aufträge an die „Antikriegskoalition“ im Irak . . . . . . . . . . . . . . . . 115
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 A. Gemeinsame Verfahrensvorschriften der Art. VII-XVI GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Offenes und nicht-offenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Bieterbezogene Kriterien: Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Angebotsbezogene Kriterien: Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Bieter- und angebotsbezogene politische Kriterien – sonstige Argumente
124
a) Transparenz als Zweck der Art. VII-XVI GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Ein „Purity Principle“ im GPA? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Vergleich mit den Vorschriften des GATT und GATS . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Vergleich mit anderen internationalen vergaberechtlichen Instrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Andere Formen politischer Auftragsvergabe als in Vertragsbedingungen
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II. Eingeschränkte Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Kompensationsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Verhältnis zu den Art. VII-XV GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Reichweite des Art. XVI GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Verbesserung der Zahlungsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Förderung der inländischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Das Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Inländerbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Inhaltsverzeichnis
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2. Vergleichspaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Bildung von Vergleichspaaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Das Problem der „Gleichartigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Unmittelbare Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Mittelbare Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Das Gebot der Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Inhalt und Bedeutung des Gebots der Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Anwendung auf die Sekundärzweckproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 C. Technische Spezifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Inhalt und Reichweite des Verbots aus Art. VI Abs. 1 GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. „Notwendigkeit“ von Handelshemmnissen und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . 158 § 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 A. Ausnahmen im Bereich der nationalen Sicherheit: Art. XXIII Abs. 1 GPA . . . . . . 162 I. Auslegung des Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Rechtfertigung politischer Auftragsvergabe nach Art. XXIII Abs. 1 GPA . . . 165 B. Die allgemeinen Ausnahmevorschriften: Art. XXIII Abs. 2 GPA . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I. Ansätze für eine enge Auslegung der Ausnahmetatbestände in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Ausschluss „extraterritorialer“ Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Ausschluss produktionsbezogener Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Ausschluss wirtschaftspolitischer Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Auslegung der speziellen Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellte Waren und erbrachte Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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Inhaltsverzeichnis a) Ökologische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Menschenrechtsbezogene und arbeitnehmerschützende Maßnahmen
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III. Auslegung der Generalklauseln: Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Ein Ordre Public-Vorbehalt im GPA? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Internationalisiertes Verständnis: Eine internationale öffentliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. Die Generalklauseln als Rechtfertigungsgrund für politische Zwecke . . . 186 IV. Notwendigkeit der Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Die Notwendigkeitsprüfung – Symbol für einen „trade-bias“? . . . . . . . . . . 189 2. Die Notwendigkeitsprüfung im Spiegel der Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . 190 3. Differenzierender Prüfungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Prüfung nicht-privilegierter Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Prüfung privilegierter Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V. Die Voraussetzungen des „chapeau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Verbot der willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung . . . . . . 198 a) Flexibilität nationaler Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Verfahrensbezogene Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Asymmetrischer Unilateralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Verbot der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels . . . 202 § 5 Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen durch politische Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Teil Initiativen zur Reform des öffentlichen Beschaffungswesens
210
§ 1 Die Revision des GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 A. Änderung der gemeinsamen Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Änderung des Art. XXIII Abs. 2 GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Inhaltsverzeichnis
13
§ 2 Ein multilaterales Abkommen über Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 § 3 Politische Realisierbarkeit der Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Abkürzungsverzeichnis ABl.
Amtsblatt
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
DGAP
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
DSU
WTO-Vereinbarung über die Streitbeilegung
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EJIL
European Journal of International Law
EU
Europäische Union
GATS
Allgemeines Abkommen über den Dienstleistungshandel
GATT
Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen
GPA
WTO-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen
IGH
Internationaler Gerichtshof
ILC
Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen
ILM
International Legal Materials
ILO
Internationale Arbeitsorganisation
IPBPR
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte
IPWSKR
Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
IWF
Internationaler Währungsfonds
JIEL
Journal of International Economic Law
JWT
Journal of World Trade
JZ
Juristenzeitung
KJ
Kritische Justiz
NGO
Nichtregierungsorganisation
OECD
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
RECIEL
Review of European Community and International Environmental Law
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
SBA
Small Business Administration
SPS
WTO-Abkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen
TBT
WTO-Abkommen über technische Handelshemmnisse
TRIPS
WTO-Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums
Abkürzungsverzeichnis UN
Vereinte Nationen
UNCITRAL
Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht
WIPO
Weltorganisation für Geistiges Eigentum
WTO
Welthandelsorganisation
WVRK
Wiener Vertragsrechtskonvention
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
ZEuS
Zeitschrift für Europarechtliche Studien
15
Einführung Auch im zehnten Jahr ihrer Existenz bestehen beträchtliche Unsicherheiten hinsichtlich Funktion, Agenda und Legitimität der Welthandelsorganisation (WTO). Nach wie vor werden mit der WTO ganz unterschiedliche Zielsetzungen verbunden. Während einige die WTO als ein Instrument zum Abbau nationaler, das internationale Marktgeschehen blockierender Regulierung betrachten, sehen andere ihre Aufgabe in der bloßen Koordinierung des internationalen Handels; wieder andere sehen in der von der WTO repräsentierten Ordnung den Anfang eines globalen Integrationsprozesses nach dem Vorbild der Europäischen Union (EU). Angesichts dieser Unklarheiten ist es kaum überraschend, dass die WTO bis heute kein zureichendes Konzept gefunden hat, um das Spannungsverhältnis zwischen den mit dem Abbau von Handelsbeschränkungen verfolgten ökonomischen Zielsetzungen und anderen, „handelsfremden“ Zielsetzungen nationaler und internationaler Politik aufzulösen. Im Gegenteil: als „Umweltkatastrophe in Genf“ wurde die von der WTO angebotene Lösung zur Beilegung des Konflikts um ein amerikanisches Importverbot für Garnelen, die mit besonders umweltschädigenden Methoden gefangen worden waren, in der akademischen Literatur bezeichnet1; die WTO hatte das Importverbot für unzulässig erklärt. Als „der reinste Albtraum für einen Teil der Menschheit“ wurde die WTO im Jahr 2000 von einer Kommission der Vereinten Nationen (UN) zur Untersuchung der Folgen der Globalisierung für die Menschenrechte gebrandmarkt2. Der Konflikt um AIDS-Generika belegt, warum: obwohl für die in zahlreichen Entwicklungsländern millionenfach infizierte Bevölkerung herkömmliche AIDS-Medikamente unerschwinglich sind, schien ein WTO-Verfahren gegen Versuche Brasiliens aussichtsreich, seiner Bevölkerung Generika dieser Medikamente kostenlos zukommen zu lassen. In der Tat stand das Vorgehen der brasilianischen Regierung im Widerspruch zum WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS). Nach langem Streit wurde der Konflikt durch eine Kompromisserklärung der WTO-Mitgliedstaaten zur Interpretation des Abkommens beigelegt3. Zur Zeit sind die euroHowse, JWT 1998, S. 73. „The net result is that for certain sectors of humanity the WTO is a veritable nightmare“. Dieser als „Nightmare-Report“ bekannt gewordene Bericht hat große Aufmerksamkeit auch in der Öffentlichkeit erlangt; United Nations, Economic and Social Council, Globalization and its Impact on the Full Enjoyment of Human Rights, E / CN.4 / Sub.2 / 2000 / 13, 15. Juni 2000, Ziff. 15. 3 WTO, Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, WT / MIN(01) / Dec / 2P4. 1 2
2 Gaedtke
18
Einführung
päischen Regeln über Handelsbeschränkungen für den Import von genetisch veränderten Nahrungsmitteln auf dem Prüfstand der WTO; auch hier wird die Organisation entscheiden müssen, inwieweit sie handelsfremde Regelungen – hier zum Gesundheits- und Verbraucherschutz – anerkennt, die mit den Anliegen des „freien“ Welthandels kollidieren. Dass der Druck auf die WTO zunehmend größer wird, ausgewogene Lösungen für derartige Zielkonflikte zu finden, zeigt die sich formierende und rasch vergrößernde Schar der Globalisierungskritiker, die längst nicht mehr nur politische Aktivisten umfasst und nicht unwesentlich zum Scheitern der WTO-Ministerkonferenzen von Seattle 1999 und Cancún 2003 beigetragen hat. Eine Variante dieser das gesamte WTO-Recht durchziehenden Problematik ist die Frage der Zulässigkeit einer politischen Instrumentalisierung des öffentlichen Auftragswesen. Diese Frage ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Wird die Vergabe eines öffentlichen Auftrags beispielsweise davon abhängig gemacht, dass der Bieter besonders umweltfreundliche Produktionsmethoden verwendet oder bestimmte arbeitnehmerschützende Normen beachtet, so kann dies ein Handelshemmnis darstellen. Ausländische Unternehmen können mit derartigen Kriterien vom heimischen Markt ferngehalten werden. Eben dies zu verhindern ist ein Anliegen des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA); damit stellt sich die Frage, wie die WTO das entstehende Spannungsverhältnis des GPA zu dem Interesse der Mitglieder, nationale Politikziele mit Hilfe des Beschaffungswesens zu verfolgen, auflösen kann bzw. muss. Um exakt dieses Problem ging es im transatlantischen Konflikt um das „Myanmar-Gesetz“. Der US-Bundesstaat Massachusetts hatte Ende der 90er Jahre per Gesetz solche Unternehmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen, die in Myanmar trotz der dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen der regierenden Militärjunta investierten. Die EU sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen das GPA. Die USA dagegen beharrten darauf, dass das GPA einer an Menschenrechte gekoppelten Auftragsvergabe nicht entgegenstehen könne. Formelle Mängel des Gesetzes und die dadurch bedingte Nichtigerklärung durch den US Supreme Court im Juni 2000 verhinderten, dass das bereits eingeleitete WTOStreitbeilegungsverfahren zu einem Ende geführt wurde4. Der transatlantische Konflikt war damit gelöst; offen blieb aber, wie die Zielkonfliktproblematik im GPA zu lösen ist. Interessanterweise trifft die genuin mit der ökonomischen Globalisierung verbundene Problematik im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens mit der Diskussion zusammen, ob öffentliche Aufträge überhaupt mit politischen Zwecken verknüpft werden sollten. Obwohl überall, wo öffentliche Aufträge vergeben werden, die mit ihnen verfolgten politischen Zwecke zahlreich sind, wird die Dis4 United States Supreme Court, Entscheidung im Fall Stephen Crosby, Secretary of Administration and Finance of Massachusetts v. National Foreign Trade Council, 39 International Legal Materials 2000, S. 1234 ff.
Einführung
19
kussion über Sinn oder Unsinn politischer Auftragsvergabe auf nationaler Ebene regelmäßig und intensiv geführt. Gegner halten die Instrumentalisierung des Vergabewesens für politische Zwecke für ineffizient und unpraktikabel. Es versteht sich von selbst, dass sie in Rechtsstreitigkeiten auf nationaler Ebene die Unzulässigkeit befürworten und bei Reformen nationaler Vergaberechtsordnungen ein klares Verbot fordern. Die entsprechende Diskussion konnte in den letzten Jahren in Deutschland und auf europäischer Ebene verfolgt werden. In Deutschland führte sie bereits im Zuge der Beratung über das 1998 verabschiedete Vergaberechtsänderungsgesetz zu heftigen Auseinandersetzungen; mit der – noch nicht abgeschlossenen – Reform der europäischen Vergaberichtlinien hat die Diskussion auch die europäische Ebene erreicht. Weder im deutschen noch im europäischen Recht konnte man sich jedoch für ein Verbot politischer Auftragsvergabe entscheiden. Die Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe nach dem deutschen und dem europäischen Recht ist in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen5. Dass neben der nationalen und europäischen Ebene auch die durch das WTO-Recht repräsentierte „globale“ Ebene existiert, ist bislang lediglich angedeutet und häufig ganz übersehen worden. Die von der WTO gezogenen Grenzen für nationale Regulierung stellen jedoch wichtige Vorgaben für das nationale (bzw. europäische) Vergaberecht dar. In der Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen politischer Auftragsvergabe nach dem GPA liegt daher die Zielsetzung dieser Arbeit. Voraussetzung für diese Bestimmung ist eine umfassende Klärung der teleologischen und rechtspolitischen Determinanten, die die Lösung von Zielkonflikten nach dem WTO-Recht beeinflussen. Die entsprechenden Überlegungen lassen sich auf die Lösung von Zielkonflikten in anderen WTO-Abkommen weitgehend übertragen. Die Arbeit enthält insoweit auch einen über die vergaberechtliche Frage hinausgehenden Beitrag zur Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen handelsbezogenen und handelsfremden Anliegen im WTO-Recht. Aus diesen Überlegungen ergibt sich bereits weitgehend der Aufbau der Arbeit. Der erste der insgesamt drei Teile präzisiert die Problematik von Zielkonflikten im WTO-Recht und wendet sich dann der Ermittlung der ihre Lösung maßgeblich beeinflussenden Aspekte zu. Nachdem auf diese Weise der Rahmen gesteckt ist, wendet sich der zweite Teil konkret der Untersuchung der Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe nach dem GPA zu. Im Anschluss an einen einführenden Abschnitt, der Begriffe erläutert und die zu untersuchenden, exemplarisch ausgewählten politischen Zwecke vorstellt, werden die maßgeblichen Verbots- und Rechtfertigungstatbestände ausführlich betrachtet. Dies geschieht mit Blick auf die im ersten Teil erarbeiteten Grundsätze. Der dritte Teil schließlich vergleicht die im ersten Teil 5 Aus der umfangreichen Literatur siehe insbesondere Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren; Meyer, Politische Zielsetzungen bei der öffentlichen Beschaffung; Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht.
2*
20
Einführung
gewonnenen normativen Erkenntnisse zur Lösung von Zielkonflikten mit den Ergebnissen aus dem zweiten Teil und leitet daraus Vorschläge für die gegenwärtig stattfindende Reform- und Kodifizierungsdiskussion im WTO-Beschaffungswesen ab.
1. Teil
Teleologische und rechtspolitische Überlegungen zur Lösung von Zielkonflikten im WTO-Recht § 1 Zielkonflikte und andere „Linkage Problems“ Das Verhältnis der von der WTO repräsentierten ökonomischen Globalisierung zu anderen Feldern der Politik ist facettenreich und nur schwer überschaubar. Es wird trotz vorhandener Synergieeffekte weitgehend als Spannungsverhältnis wahrgenommen. In der englischsprachigen Literatur hat sich inzwischen eingebürgert, die verschiedenen Aspekte dieses Verhältnisses unter dem Oberbegriff „linkage problems“ oder „trade and . . . problems“ zu diskutieren1. Drei Varianten der Problematik sollten unterschieden werden: Erstens kann es sich bei dem Problem um den juristisch unmittelbar relevanten Konflikt zwischen nationalen handelsfremden Regelungen und dem WTO-Recht handeln2. Mit dem Garnelenfall und dem Generika-Fall wurden in der Einführung bereits zwei Beispiele für derartige Kollisionen angesprochen. Grundsätzlich kann jede nationale Regelung oder einfache Maßnahme, die ein handelsfremdes Ziel verfolgt, in Konflikt mit den Interessen des internationalen Handels und auf diese Weise auf den Prüfstand des WTO-Rechts geraten3. Derartige Kollisionen werden hier als Zielkonflikte bezeichnet. Bei ihnen stellt sich im Rahmen der WTO-rechtlichen Prüfung die Frage, welchen Stellenwert das handelsfremde Anliegen des Mitglieds besitzt und wie die kollidierenden Interessen zu koordinieren sind. Um derartige Zielkonflikte geht es auch bei der politischen Auftragsvergabe. Politische Zielsetzungen im Vergabeverfahren stellen „handelsfremde“ Anliegen dar, die mit 1 Siehe nur die Beiträge zu den Symposien über „Boundaries of the WTO“ und „Linkage as a Phenomenon“, abgedruckt in AJIL 2002, S. 5 ff. bzw. Pennsylvania Journal of Int. Econ. Law 1998, S. 201 ff.; vgl. auch Trachtman, Trade and . . . Problems, Jean Monnet Working Paper 1 / 97; Trachtman, AJIL 2002, S. 77. 2 Neumann weist darauf hin, dass der Begriff „handelsfremd“ insofern problematisch ist, als die damit bezeichnetetn Politikfelder durchaus Bezüge zum Handel aufweisen und daher eben nicht „fremd“ sind, vgl. Neumann, Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen“, S. 36. Allerdings erscheint der von ihm gewählte Begriff der „handelsverbundenen“ Politikfelder auch nur wenig überzeugend, da er das Spannungsverhältnis, in dem diese Materien zum Welthandel stehen, nicht hinreichend zum Ausdruck bringt; aus diesem Grund wird in dieser Arbeit dennoch von „handelsfremden“ Materien gesprochen. 3 Darauf weist auch Howse in AJIL 2002, S. 94 hin: „All trade is „trade and . . . “.
22
1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
dem handelsbezogenen Anliegen einer möglichst umfassenden Wettbewerbsgleichheit von inländischen und ausländischen Anbietern kollidieren. Zweitens wird unter den genannten Bezeichnungen nach wie vor diskutiert, ob das WTO-Recht um Normen aus handelsfremden Bereichen ergänzt werden sollte. Bis zur WTO-Ministerkonferenz 1999 in Seattle betraf dies vor allem die Aufnahme von grundlegenden Arbeitsstandards. Die Idee einer solchen „Sozialklausel“ im WTO-Recht traf auf der Konferenz auf erbitterten Widerstand der Entwicklungsländer und erscheint seitdem als nicht durchsetzbar4. Auch umweltschützende Normen, die mit Hilfe des WTO-Streitbeilegungssystems durchsetzbar wären, finden sich im WTO-Recht nicht. Immerhin gibt es einen Ausschuss für Handel und Umwelt, der sich mit dem Verhältnis und der Vereinbarkeit der beiden Bereiche beschäftigt5. Die Frage, ob handelsfremde Aspekte in das Normenwerk der WTO aufgenommen werden sollen – und gegebenenfalls welche –, betrifft keine juristische Konfliktsituation. Hier geht es vielmehr um die politische Richtungsentscheidung, ob die WTO weitere Aufgaben wahrnehmen und sich damit bestimmter handelsfremder Anliegen aktiv annehmen soll. Für die Beurteilung der Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe ist diese Variante der Problematik daher ohne Bedeutung. Drittens stellt auch das (umstrittene) Szenario des „race to the bottom“ ein Spannungsverhältnis zwischen Welthandel und sonstigen Politikzielen – insbesondere solchen des Umwelt- und Arbeitnehmerschutzes – dar. Auch dieser Aspekt der Problematik stellt keine genuin juristische Konfliktsituation dar6. Nach der „Theorie“ des race to the bottom führt der kontinuierliche Abbau von Handelshemmnissen zu einem immer stärkeren Standortwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten. Da immer weniger Unternehmen in nationalen Kategorien denken und zunehmend mobiler werden, verlegen sie ihre Produktion in die Länder, in denen sie – aufgrund niedriger Arbeitsstandards oder großzügiger Umweltvorschriften – am kostengünstigsten produzieren können. Hochstandardländer geraten dadurch immer stärker unter Druck und können nur über ein kontinuierliches Absenken ihrer Standards die Wettbewerbsfähigkeit ihres Standorts erhalten7. Für Niedrigstandardländer – typischerweise Entwicklungsländer – besteht ein Anreiz, ihre Standards nicht anzuheben, um ihre Attraktivität im Standortwettbewerb beizubehalten.
4 Hierzu Summers, Pennsylvania Journal of Int. Econ. Law, 2001, S. 61; Reuß, Menschenrechte durch Handelssanktionen, S. 4. Reuß weist darauf hin, dass inzwischen keine Regierung mehr explizit für eine Sozialklausel im WTO-Recht eintritt. Auch die Erklärung der 4. Ministerkonferenz von Doha 2001 sieht lediglich eine Kompromissformel vor, die auf die Arbeit im Rahmen der ILO verweist. 5 Siehe den ministeriellen Beschluss zu Handel und Umwelt vom 14. April 1994, abgedruckt in Benedek, Welthandelsorganisation, S. 563 (Dok. 26.b). 6 Hierzu Rodrik, Has Globalization Gone too Far?, S. 4; Trebilcock / Howse, Regulation of International Trade, S. 426 f. und S. 455; Beck, Globalisierung, S. 197. 7 Näher hierzu unter § 3 A. dieses Teils.
§ 1 Zielkonflikte und andere „Linkage Problems“
23
Obwohl die erste Variante der „trade and . . . “-Problematik diejenige ist, unter deren Überschrift die Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe untersucht werden muss, ist insbesondere die dritte Variante für ihre Beurteilung nicht notwendig irrelevant. So ließe sich durchaus die Frage stellen, ob die WTO nicht einem race to the bottom in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit entgegenwirken sollte. Das wäre zunächst die Frage nach einer rechtlichen Verpflichtung der WTO. Doch selbst wenn keine rechtliche Verpflichtung der WTO dazu bestünde, könnte die WTO bzw. könnten ihre Streitbeilegungsorgane doch politisch gehalten sein, diesen Aspekt in ihrer Berichtstätigkeit zu berücksichtigen. Auf diese Weise hätte die dritte Variante von „trade and . . . “ Auswirkungen auf die erste; Zielkonflikte würde unter einer stärker ganzheitlich orientierten Sicht der Problematik gelöst. Natürlich ist diese beispielhaft angestellte Überlegung eine rechtspolitische und kann nicht ohne weiteres zur Auslegung von Normen des WTO-Rechts herangezogen werden. Dennoch ist unbestreitbar, dass auch rechtspolitische Erwägungen eine wichtige Funktion in der WTO-Rechtsprechung ausfüllen; man könnte sogar sagen, dass bei der Interpretation des WTO-Rechts „Recht und Politik untrennbar verbunden“ sind8. Zwar richtet sich die Lösung des Einzelfalls immer nach dem Wortlaut des Abkommens, und ein klarer Wortlaut bedarf keiner Interpretation9; das gilt auch und vor allem im WTO-Recht, wo die Mitglieder argwöhnisch über dessen Beachtung durch die Streitbeilegungsorgane wachen10. Dennoch können es sich gerade noch junge internationale judikative Gremien wie die WTO-Streitbeilegungsorgane nicht leisten, rechtspolitische Aspekte in ihren Überlegungen gänzlich außer Acht zu lassen und müssen ggf. den Rahmen teleologischer Auslegung weit ziehen. Die folgenden Abschnitte behandeln vier Gesichtspunkte, die für die teleologische und rechtspolitische Beurteilung von Zielkonflikten im WTO-Recht am wichtigsten sind. § 2 untersucht die verschiedenen Funktionen der WTO, über die nach wie vor kein Konsens in der Literatur besteht, denen aber fundamentale Bedeutung für die Interpretation des Vertragswerks der Organisation zukommt. § 3 setzt sich mit der Frage auseinander, ob bzw. wie die deregulativen Wirkungen des WTORechts auf nationale Rechtsordnungen bei der Auslegung des Vertragswerks zu berücksichtigen sind. § 4 dieses Teils beschäftigt sich mit dem Problem, welchen Einfluss die häufig in Frage gestellte Legitimität der WTO bzw. der Berichte der Streitbeilegungsorgane auf die Lösung von Zielkonflikten hat. Sodann untersucht § 5 die Konsequenzen, die sich aus der Stellung der WTO im internationalen Sys8 So das ehemalige Mitglied des WTO-Berufungsgremiums, Florentino Feliciano, in einem Vortrag über „The Role of Treaty Interpretation in WTO Law“ im Mai 2003 an der Harvard Law School in Cambridge, USA. 9 So die sog. Vattel’sche Maxime, zurückgehend auf de Vattel, Le droit des gens, § 263; hierzu Ipsen, Völkerrecht, S. 117. 10 Hilf / Puth, in: von Bogdandy / Mavroidis, European Integration and International Coordination, S. 217: „Members will always be reluctant to give their judges too much leeway in finding solutions to their disputes ( . . . )“.
24
1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
tem ergeben sowie in den Fällen, in denen die mit nationalen Maßnahmen verfolgten Zwecke international verbürgt sind, sich also in internationalen Instrumenten wiederfinden. In § 6 werden schließlich Schlussfolgerungen für die Lösung von Zielkonflikten im WTO-Recht gezogen.
§ 2 Funktionen der WTO Für die teleologische Auslegung im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) ist die Funktion „des Vertrags“ und damit der Organisation ein erheblicher juristischer Gesichtspunkt11. Dennoch wird sowohl von den – im Regelfall stark am konkreten Fall orientierten – Streitbeilegungsorganen als auch in der Literatur die Bedeutung, die den Funktionen der Organisation für die Lösung konkreter Rechtsfragen zukommt, nur sehr selten berücksichtigt12. Häufig wird mit dem Argument, dass die WTO „den Freihandel“ oder die „Handelsliberalisierung“ anstrebe, die – nicht näher spezifizierte – ökonomische Funktion der Organisation in den Vordergrund gestellt und mit Hilfe dieses Arguments der Vorrang des handelsbezogenen Anliegens vor dem handelsfremden (nationalen) Anliegen begründet13. Dabei ergeben sich deutliche Unterschiede in der Beurteilung dieser Frage bereits daraus, welche ökonomische Funktion die WTO konkret erfüllen soll. Allerdings sind die diesbezüglichen, im WTO-Recht verwendeten Begrifflichkeiten alles andere als eindeutig. Dies dürfte eine Ursache für die eingangs erwähnten Unsicherheiten über die Mission der WTO sein14.
A. Freihandel, Liberalisierung und Marktintegration Beachtliche Unklarheit herrscht bereits bezüglich der unbestrittenen handelsbezogenen Funktion der WTO. Gemeinhin wird von der WTO als einer „Freihandels“-Organisation gesprochen bzw. ihre Aufgabe mit der Realisierung „freien Handels“ beschrieben, ohne dass allerdings spezifiziert wird, was darunter zu verstehen ist. Häufig wird ebenso apodiktisch von der Funktion der „Liberalisierung“ 11 Dass die Auslegung des WTO-Rechts wegen Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU nach den gewohnheitsrechtlich geltenden Regeln der WVRK erfolgt, ist unstrittig und wird hier als selbstverständlich behandelt. Wenn im Folgenden die Artikel der WVRK verwendet werden, sind diese in ihrer (identischen) gewohnheitsrechtlichen Form gemeint. 12 Einen Versuch unternimmt aber beispielsweise von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264, insbesondere S. 430; ähnlich auch bei von Bogdandy, in: Griller, International Economic Governance, S. 104 – 137. 13 Beispiele das GPA betreffend finden sich bei Prieß / Pitschas, PPLR, 2000, S. 190; Reich, Journal of World Trade, 1997, S. 128; zu den Zielsetzungen der WTO auch Epiney, DVBL, 2000, S. 78. 14 Siehe hierzu auch Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico, S. 711 – 712.
§ 2 Funktionen der WTO
25
des Welthandels gesprochen. In jüngerer Zeit werden die Aufgaben der WTO zudem – vor allem mit Blick auf die Seitenabkommen TBT und SPS – zunehmend in einer Förderung von Marktintegration gesehen. Für die Lösung von Zielkonflikten ist eine Klärung dieser Begriffe bzw. der mit ihnen verbundenen Funktionen von erheblicher Bedeutung: je weiter der handelsbezogene Auftrag der WTO geht, desto leichter lassen sich Entscheidungen rechtfertigen, die in die Regelungsautonomie der Mitglieder in Bezug auf handelsfremde Materien eingreifen.
I. Freihandel und Deregulierung nationaler Märkte Der Begriff des Freihandels hat in der Rechtswissenschaft (noch) keine scharfen Konturen erhalten. Es handelt sich um einen wirtschaftswissenschaftlichen Terminus, der der sog. Außenhandelstheorie entstammt. Diese wesentlich auf die Ökonomen Adam Smith und David Ricardo zurückgehende Theorie argumentiert, dass eine internationale Arbeitsteilung bei der Produktion von Gütern ökonomisch sinnvoll ist, solange sich Länder auf die Produktion von Waren spezialisieren, bei denen ihr relativer (komparativer) Vorteil am größten ist, und die Waren ungehindert zwischen den Märkten zirkulieren können15. Ein Zustand, in dem überhaupt keine Hindernisse für den Güterverkehr bestehen, wird demnach als aus ökonomischer Sicht anzustrebender Idealzustand angesehen. Obwohl die Theorie sich angesichts der damaligen Realitäten hauptsächlich auf Zölle – also tarifäre Handelshemmnisse – bezog, schließt dies im Grundsatz nichttarifäre Handelshemmnisse ein, da auch sie den freien Austausch von Gütern behindern und daher im Sinne der Außenhandelstheorie wohlstandsmindernd wirken16. Vor diesem Hintergrund stellt es nur einen kleinen Schritt dar, mit der Agenda des Freihandels den Abbau staatlicher Regulierung des Marktgeschehens überhaupt zu verbinden. Da kaum eine wesentliche nationale Regelung denkbar ist, die ohne Auswirkungen auf die immer verflochteneren internationalen Handelsbeziehungen ist, könnte man Freihandel – quasi extensiv – als Programm zur Deregulierung nationaler Märkte begreifen. Dies würde einer „neoliberalen“ ökonomischen Agenda entsprechen17. Die WTO würde mit dem „Freihandel“ daher nicht nur den Abbau von Handelshemmnissen verfolgen. Sie hätte vielmehr die umfassendere Aufgabe, ein stark markt- und wettbewerbsorientiertes wirtschaftspolitisches Konzept in den Mitgliedstaaten durchzusetzen und zu erhalten18. 15 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 10; Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 7 ff.; Howse / Trebilcock, Regulation of International Trade, S. 1 – 17; siehe auch Siebert, Außenwirtschaft, S. 29 ff. 16 Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 410 – 414; die Bedeutung der nichttarifären Handelshemmnisse ist in den letzten Jahren stark gestiegen, ausführlich zu dieser Problematik Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse. 17 Vgl. Stoll / Schorkopf, Welthandelsorganisation, S. 30; Matsushita, FS Ehlermann; siehe auch Verhoosel, WTO and Dispute Settlement, S. 7.
26
1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
Zwei Argumentationslinien führen auf unterschiedlichen Wegen zu dem Ergebnis, dass die WTO nicht als eine derartige „Deregulierungsmaschine“ aufgefasst werden kann. So lässt sich argumentieren, dass Freihandel zwar in der oben dargestellten Weise definiert werden mag, dieser Begriff aber jedenfalls im Rahmen der WTO in viel bescheidenerer Weise verstanden wird. Wenn also „Freihandel“ auf der Agenda der WTO stünde, dann wäre dieses bescheidenere Verständnis maßgeblich. Ein Hinweis für ein solches Verständnis findet sich in Art. XXIV Abs. 7 b) GATT, der – im Zusammenhang mit einer Befreiung von den Verpflichtungen des GATT – eine Legaldefinition der Freihandelszone enthält. Er geht augenscheinlich nicht von einem deregulativen Verständnis von Freihandel aus19. Danach ist eine Freihandelszone ein Zusammenschluss von Gebieten, „zwischen denen die Zölle und beschränkenden Handelsvorschriften ( . . . ) für annähernd den gesamten Handel beseitigt werden“. Die Definition nennt jedoch zahlreiche Ausnahmen, u. a. sämtliche Politikbereiche des Art. XX GATT, die erfüllt sein können, ohne dass die Zone den Charakter einer Freihandelszone verliert. Das spricht gegen ein deregulatives Verständnis des Begriffs. Selbst wenn man also – anders als beispielsweise Stoll / Schorkopf – den Begriff des Freihandels im Zusammenhang mit den Aufgaben der WTO verwenden wollte, könnte man vertreten, dass eine entsprechende Zielsetzung der WTO aber nicht mit einer Deregulierungsfunktion verbunden ist20. Folgt man einer zweiten Argumentationslinie, so könnte man auf die Präambel der WTO abstellen, die keinen Hinweis auf „Freihandel“ und damit auf ein deregulatives Programm enthält. Die Präambel des WTO-Vertrages spricht lediglich von einem „wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken“ sowie der „Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen“. Das Leitbild eines schlanken Staats, der den wirtschaftlichen Verkehr nur durch ein Minimum an Regulierung beeinträchtigt, lässt sich dieser Formulierung überhaupt nicht entnehmen. Die Präambel-Formulierung spricht vielmehr dafür, dass es der WTO nur um einen Abbau von handelsbeschränkenden Grenzmaßnahmen sowie Diskriminierungen hinter der Grenze geht21. Dieses Argument basiert also auf dem Schluss, dass sich der – deregulativ zu verstehende – „Freihandel“ nicht in den Zielbestimmungen der WTO findet und daher von ihr auch nicht zu einer solchen gemacht werden kann. 18 Ein derartiges Verständnis von „Freihandel“ scheint auch den Ausführungen von von Bogdandy, Kritische Justiz, S. 430 und 431 implizit zugrunde zu liegen, wenn er zwischen Freihandel und Liberalisierung unterscheidet. Ein genaueres Begriffsverständnis lässt sich aber nicht entnehmen. In der englischsprachigen Literatur werden die Begriffe in keinster Weise unterschieden, „liberalization“ und „free trade“ werden regelmäßig in austauschbarer Weise verwendet; vgl. nur Jackson, International Economic Relations, S. 14; Trebilcock / Howse, International Trade, S. 2 ff. 19 Hierzu Tumlir, GATT Rules and Community Law, in: Hilf / Jacobs / Petersmann, EC and GATT, 1986, S. 7. 20 Stoll / Schorkopf, Welthandelsorganisation, S. 31. 21 So auch Verhoosel, WTO and Dispute Settlement, S. 7; von Bogdandy, Kritische Justiz, 2001, S. 430.
§ 2 Funktionen der WTO
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Die Schwäche dieses Arguments scheint auf den ersten Blick darin zu bestehen, dass damit nicht erklärt werden kann, weshalb Beschränkungsverbote in das WTORecht aufgenommen wurden, wie sie sich im Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) wie auch im Abkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) finden22. Bei ihnen geht es offensichtlich nicht lediglich um den Abbau von Diskriminierungen hinter der Grenze23. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese Vorschriften nicht auf Deregulierung, sondern auf Harmonisierung abzielen; so werden ausdrücklich solche Maßnahmen privilegiert, die auf internationale Standards gestützt werden. Es geht also nicht darum, Regulierung abzubauen, sondern sie im Sinne eines harmonischen Handelsgeschehens zu vereinheitlichen. Die Vorschriften sind daher Beleg für eine marktintegrative Funktion der WTO24. Nicht herangezogen werden können sie hingegen, um eine deregulative Funktion der WTO nachzuweisen und das aus der Präambel folgende Ergebnis zu widerlegen. Freihandel, verstanden als wirtschaftspolitisches Programm zur Deregulierung nationaler Märkte, ist keine Aufgabe der WTO.
II. Liberalisierung Der Begriff der Handelsliberalisierung bezeichnet den Prozess der Beseitigung von Handelshemmnissen. Ein wesentlicher Unterschied zum Begriff des Freihandels im oben genannten Sinne liegt darin, dass Liberalisierung nicht vorgibt, wie weit der Abbau von Handelshemmnissen zu gehen hat, und zudem die Regelungsautonomie der Staaten grundsätzlich unangetastet lassen will25. Dem Staat soll es nach dem Konzept der Liberalisierung weiterhin möglich sein, seine regulativen Ziele zu verfolgen26. Liberalisierung zielt des weiteren keineswegs auf den vollständigen Abbau aller Handelshemmnisse27. Liberalisierung ist damit im Gegensatz zu dem oben beschriebenen Freihandelskonzept auch nicht mit einem wirtschaftspolitischen Programm der Deregulierung nationaler Märkte verknüpft. Es geht um eine weitestgehende Herstellung von Wettbewerbsgleichheit für inländische und ausländische Produkte bzw. Unternehmen. Der dadurch verstärkte Wettbewerb wirkt effizienz- und damit im Ergebnis Hierzu ausführlich Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S. 521. Neben dem Gebot der Inländerbehandlung als Teil des Diskriminierungsverbots findet sich beispielsweise in Art. 2 Abs. 2 S. 1 TBT folgende Vorschrift: „Die Mitglieder stellen sicher, dass technische Vorschriften nicht in der Absicht oder mit der Wirkung ausgearbeitet, angenommen oder angewendet werden, unnötige Hemmnisse für den internationalen Handel zu schaffen“. 24 Dazu unten III. 25 Roessler, in Bhagwati / Hudec, Fair Trade and Harmonization, S. 23. 26 Roessler, in: Bhagwati / Hudec, Fair Trade and Harmonization, S. 23. 27 In diesem Sinne auch von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 431. 22 23
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wohlfahrtssteigernd. Diesem Anliegen dient der Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken an der Grenze, da diese die Wettbewerbschancen ausländischer Produkte gegenüber inländischen verschlechtern. Ebenso dient das Diskriminierungsverbot, das grundsätzlich auf Maßnahmen hinter der Grenze Anwendung findet, diesem Ziel. Es existiert in der Ausprägung des Gebots der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung und durchzieht das gesamte WTO-Recht28. Die WTO-Abkommen enthalten ein recht deutliches Bekenntnis zum Ziel der Liberalisierung. Die Art und Weise, wie der Begriff im WTO-Recht verwendet wird, reflektiert zudem das oben beschriebene Verständnis29. In der Präambel des WTO-Vertrages findet sich der Hinweis auf „frühere Handelsliberalisierungsbemühungen“, die mit der Schaffung der WTO und des WTO-Rechts fortgesetzt werden30. Die im Annex des WTO-Vertrages angeführten Sachbereichsabkommen sind noch deutlicher. So artikuliert die Präambel des GATS den Wunsch der Vertragsparteien, „einen multilateralen Rahmen von Grundsätzen und Regeln für den Handel mit Dienstleistungen im Hinblick auf die Ausweitung dieses Handels unter Bedingungen der Transparenz und der fortschreitenden Liberalisierung ( . . . ) zu schaffen“ sowie „so bald wie möglich einen stetig zunehmenden Grad an Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen ( . . . ) zu erreichen. Teil IV des GATS ist übertitelt mit „Fortschreitende Liberalisierung“. Und schließlich heißt es auch in der Präambel des GPA, dass „ein wirksamer multilateraler Rahmen von Rechten und Pflichten betreffend Gesetze, Vorschriften, Verfahren und Praktiken auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens geschaffen werden muss, um eine stärkere Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels zu erreichen und den internationalen Rahmen für die Abwicklung des Welthandels zu verbessern“31. Auch die Existenz der in nahezu jedem WTO-Abkommen mehr oder weniger identisch enthaltenen allgemeinen Ausnahmevorschriften zum Schutz der Verfolgung nationaler Politikziele kann insoweit als Beleg für das Liberalisierungsziel angeführt werden32. Diese sollen den Mitgliedern die Möglichkeit erhalten, nationale Politikziele zu verfolgen, und stehen damit im Einklang mit dem oben beschriebenen Charakter der Handelsliberalisierung. 28 Die entsprechenden Vorschriften finden sich im GATT in Art. I und Art. III, im GPA vor allem in Art. III. 29 Auch Stoll / Schorkopf stellen dies heraus: „Während das in der WTO verfasste System der Welthandelsordnung sehr wohl so verstanden werden kann, dass es Wohlfahrtsgewinne durch Handelsliberalisierung ermöglichen will, ist im Hinblick auf die ( . . . ) mit dem Begriff des Freihandels verbundenen Vorstellungen Vorsicht angebracht“; Stoll / Schorkopf, Welthandelsorganisation, S. 31; ähnlich auch von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 431. 30 Konkret heißt es in der Präambel des WTO-Vertrages: „( . . . ) daher entschlossen, ein ( . . . ) multilaterales Handelssystem zu entwickeln, welches das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, die Ergebnisse früherer Handelsliberalisierungsbemühungen ( . . . ) umfasst“. 31 GPA, Präambel, 2. Absatz. 32 Vgl. nur Art. XX GATT, Art. 27 Abs. 2 TRIPS, Art. XIV GATS, Art. XXIII Abs. 2 GPA.
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Damit ist deutlich ersichtlich, dass die Liberalisierung des internationalen Handels im oben beschriebenen Sinne eine Funktion der WTO ist. Sie gilt ausdrücklich auch für das GPA.
III. Marktintegration Auch der Begriff der Marktintegration wird in letzter Zeit häufiger im Zusammenhang mit der Funktion der WTO erwähnt33. Marktintegration bedeutet in seiner Reinform eine Verschmelzung einer Vielzahl von Märkten zu einem einzigen Markt. Das wesentliche Instrument, um diese Verschmelzung zu erreichen, ist das der Harmonisierung nationaler Standards und sonstiger handelsrelevanter Regulierung. Dabei sind verschiedene Formen der Harmonisierung möglich. Am weitesten geht eine – wohl nur theoretisch denkbare – vollständige Harmonisierung, einen vorsichtigeren Ansatz stellt die Harmonisierung von Mindeststandards dar34. Marktintegration unterscheidet sich damit von dem Konzept des Freihandels im oben dargestellten Sinne, dass sie nicht auf einen Abbau von Regulierung, sondern auf eine Angleichung von Regulierung gerichtet ist. Verglichen mit dem Konzept der Handelsliberalisierung ist das der Marktintegration umfassender. Ersteres stößt dort an Grenzen, wo es entgegen seiner Zielsetzung nationale Regelungsautonomie zu beeinträchtigen droht, etwa bei der Frage von faktischen Diskriminierungen. Ein System, das (gleichzeitig) Marktintegration anstrebt, kann dieses Problem lösen; Harmonisierung von (nicht handelsbezogenen) Standards erhält nationale Regelungsziele, ohne gleichzeitig das Ziel des Abbaus von Handelsbarrieren aufzugeben35. Diese Form der Integration wird häufig „positive Marktintegration“ genannt. Sie wirkt typischerweise marktkorrigierend. „Negative Marktintegration“ hingegen trägt durch die Verwirklichung von Marktfreiheiten zur Verschmelzung von Märkten bei36; sie ist auf die Vereinheitlichung handelsbezogener Regelungen gerichtet und kann auch zunächst einen Abbau von Regulierung nach sich ziehen. Sie muss daher im Zusammenhang mit positiver Integration stehen, damit das Ziel der Marktintegration erreicht wird37. Negative Integration kann als Argument 33 Dass die WTO neben dem Ziel der Liberalisierung auch andere Ziele verfolgen kann, stellt Nettesheim heraus: „It is self-evident that a complex institution such as the WTO must have multiple objectives ( . . . ) An attempt to search for the one objective of the WTO is futile“, siehe Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico 2003, S. 724. 34 Siehe hierzu den Überblick bei von Bogdandy, in: Grabitz / von Bogdandy / Nettesheim, Europäisches Aussenwirtschaftsrecht, S. 377. 35 Dabei kann allerdings nicht übersehen werden, dass Harmonisierung von Standards zwischen Staaten häufig schwierig ist und Kompromisse erfordert, die ein zumindest teilweises Aufgeben des nationalen Regelungsziels erfordern. 36 Zu den Begrifflichkeiten Scharpf, in: Marks / Scharpf / Schmitter / Streeck, S. 15; die durch unterschiedliches Tempo positiver und negativer Integration entstehenden Schieflagen werden für die EU (bzw. EWG) bereits bei Weiler, 1982, S. 264 ff., analysiert.
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herangezogen werden, um ein Verbot faktischer Diskriminierungen zu erklären, und sogar ein Beschränkungsverbot rechtfertigen, wie es aus dem Europarecht bekannt ist. Auch Marktintegration stellt eine – wenn auch untergeordnete – Funktion der WTO dar38. Die Präambel nennt dieses Ziel explizit39: (...) in dem Wunsch, zur Verwirklichung dieser Ziele durch den Abschluss von Übereinkünften beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen abzielen, daher entschlossen, ein integriertes, funktionsfähiges und dauerhafteres multilaterales Handelssystem zu entwickeln ( . . . )40.
Elemente negativer Integration finden sich beispielsweise in den WTO-Seitenabkommen TBT und SPS. So sehen Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 4 TBT wie auch Art. 2 Abs. 2 SPS Verbote „unnötiger Handelshemmnisse“ vor. Ein derartiges Verbot findet sich auch im GPA, das in Art. VI Abs. 1 GPA vorsieht, dass „technische Spezifikationen, die Merkmale der zu beschaffenden Waren oder Dienstleistungen wie Qualität, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit ( . . . ) festlegen, nicht mit der Absicht oder der Wirkung ausgearbeitet, angenommen oder angewendet (werden), unnötige Handelshemmnisse für den internationalen Handel zu schaffen“. Hier wurde mit dem Begriff des Handelshemmnisses ein Begriff gewählt, der bewusst über die Formulierung der Diskriminierung hinausgeht41. Die Vorschriften lassen damit jedenfalls Raum, um Beschränkungsverbote zu etablieren. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die (wenigen) Elemente positiver Integration. Art. 3 SPS, Art. 2 Abs. 4 und Abs. 5 TBT sowie Art. VI Abs. 2 (b) GPA. Art. 3 SPS ist explizit übertitelt mit „Harmonisierung“, was den Zweck der Vorschrift deutlich macht, eine Vereinheitlichung von Standards herbeizuführen. Art. 2 Abs. 4 und Abs. 5 TBT bestimmen, dass Mitglieder dann privilegiert sind, wenn sie ihre Maßnahmen auf internationale Standards stützen. Und auch für das öffentliche Auftragswesen bestimmt Art. VI Abs. 2 (b) GPA, dass die Mitglieder ihre technischen Spezifikationen primär auf internationale Normen zu stützen haben. Durch die Orientierung an gleichartigen, international vereinbarten Standards wird 37 So können judikative Maßnahmen zunächst einen Abbau von Regulierung bewirken, der durch die Schaffung gemeinsamer harmonisierter Standards in dem entsprechenden Bereich dann wieder „kompensiert“ wird. 38 So auch Cottier, FS Ehlermann. 39 Verhoosel führt die Präambel gerade als Beleg dafür an, dass Marktintegration keine Funktion der WTO sei, übersieht aber den hier zitierten Absatz der Präambel, vgl. Verhoosel, WTO and Dispute Settlement, S. 6. 40 Eigene Hervorhebung. 41 Hierzu ausführlich Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S. 521.
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eine Angleichung von Rechtsvorschriften in den Mitgliedsländern der WTO herbeigeführt. Eben dies führt zu einer Integration von Märkten. Positive Marktintegration findet ansonsten im Rahmen der WTO bislang nur im Sinne einer Etablierung gemeinsamer Mindeststandards statt. Nach Art. 3 Abs. 3 SPS sind die Mitglieder – wissenschaftliche Begründung vorausgesetzt – frei, gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Regelungen einzuführen, die ein höheres Niveau haben als die an sich maßgeblichen internationalen Normen. Auch das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) spricht hierfür. Das Abkommen behandelt keinen genuin handelsbezogenen Gegenstand. Es handelt sich gerade um eine an sich handelsfremde Materie und eine Vereinheitlichung von handelsfremden Standards. Ob deshalb das Abkommen als „Fremdkörper“ im WTO-Recht bezeichnet werden muss, wie es häufig in der Literatur geschieht, ist angesichts der marktintegrativen Funktion der WTO doch zweifelhaft42. Hier ist aber vor allem von Interesse, dass das TRIPS lediglich die Schaffung von Mindeststandards erreichen will. In Art. 1 des Abkommens ist dies sogar explizit verankert: Danach dürfen die Mitglieder beim Schutz handelsbezogener Aspekte geistigen Eigentums „einen umfassenderen Schutz als den durch dieses Übereinkommen geforderten“ bieten, „sie sind dazu aber nicht verpflichtet“. Das TRIPS ist damit auf eine Mindestharmonisierung der von ihm erfassten nationalen Vorschriften gerichtet43. Schließlich finden sich auch Ansätze zu positiver Integration in sonstigen handelsfremden Bereichen im Rahmen der WTO. Auch diese beziehen sich auf Mindeststandards. Hier ist zum einen die Diskussion um die Einfügung einer „Sozialklausel“ in das WTO-Recht zu nennen. Eine Sozialklausel sollte die Kernarbeitsstandards der ILO in das WTO-Recht inkorporieren und mit Hilfe des Streitbeilegungsinstrumentariums der WTO wirksam durchsetzbar machen. Die Idee, die von zahlreichen Staaten unterstützt wurde, scheiterte nur knapp. Zum anderen ist die im Zusammenhang mit dem eingangs erwähnten Generika-Fall genannte Übereinkunft im Gesundheitswesen bezüglich des TRIPS zu nennen44. Hier haben sich die WTO-Mitglieder marktkorrigierend darauf geeinigt, dass Maßnahmen zur Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten in Notsituationen den Anliegen des freien Welthandels nicht entgegenstehen können. Auch diese Aspekte mögen als Beleg dafür angesehen werden, dass die WTO auch marktintegrative Zwecke verfolgt.
42 Vgl. Howse / Trebilcock, International Trade, S. 307; Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 962 f. 43 Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 397. 44 Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, WT / MIN(01) / DEC / 2; nachfolgend Implementation of Paragraph 6 of the Doha Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, Entscheidung des TRIPS-Rates vom 30. August 2003, Dokument WT / L / 540; zum Ganzen ausführlich Kampf, Archiv des Völkerrechts 2002, S. 90 – 134.
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B. Koordinierung des internationalen Handels Vor allem von Bogdandy vertritt die Auffassung, dass Aufgabe der WTO die „Koordinierung internationaler Interdependenzen“ sei45. Ziel der WTO sei, einen Ausgleich zwischen der zunehmend transnationalen Natur der Wirtschaft und der Verantwortlichkeit der WTO-Mitglieder unter ihren jeweiligen Verfassungen zu finden46. Während von Bogdandy allerdings diese Koordinierungsaufgabe als exklusiv ansieht, wird sie hier als eine zusätzliche Funktion der WTO aufgefasst47. Sie ergibt sich aus dem Bekenntnis der WTO-Präambel, ein „funktionsfähiges und dauerhaftes multilaterales Handelssystem zu entwickeln“. Auch Art. 3 Abs. 2 S. 1 DSU ist in diesem Zusammenhang zu nennen, der bestimmt, dass „das Streitbeilegungssystem der WTO ein zentrales Element zur Schaffung von Sicherheit und Vorhersehbarkeit im multilateralen Handelssystem“ ist. Der Auftrag der WTO, ein multilaterales Handelssystem zu entwickeln, kann nur als Auftrag verstanden werden, im Rahmen der Zuständigkeit der WTO für eine Abstimmung der teilweise gegenläufigen Interessen im internationalen Handel zu sorgen. Dies geschieht formal durch die Einrichtung eines regelgeleiteten internationalen Handelssystems, in dem durch quasigerichtliche Organe – die WTO-Streitbeilegungsorgane – Rechtsstreitigkeiten entschieden werden. Materiell geschieht dies, indem die WTO Spannungspotentiale im internationalen Handel entschärft, die sich durch wachsenden internationalen Handel und internationale Verflechtungen kontinuierlich vergrößern. Ganz deutlich wird diese Aufgabenzuweisung zudem in der Existenz der Nichtverletzungsbeschwerde (non-violation complaint), aufgrund derer Mitglieder ein Verfahren vor der WTO sogar dann anstrengen können, wenn kein Verstoß gegen WTO-Recht vorliegt48. Allein der Umstand, dass Zugeständnisse, die sich unmittelbar oder sogar nur mittelbar aus den Abkommen ergeben, durch Maßnahmen eines anderen Mitglieds geschmälert werden, ist ausreichend, damit die WTO sich des Falls annimmt. Im Rahmen der stattfindenden Konsultationen soll „eine allseits zufriedenstellende Regelung der Angelegenheit“ gefunden werden, die die gegenläufigen (Handels-)Interessen in Ausgleich bringt49. Mit Liberalisierung oder von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 430. von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 431; von Bogdandy, in: Griller, International Economic Governance, S. 120 ff. 47 Nach Auffassung von Bogdandys kollidiert sein Konzept der koordinierten Interdependenz zumindest mit Konzeptionen, die der WTO die Funktion des Freihandels oder der Marktintegration zuweisen, vgl. von Bogdandy, in: Griller, International Economic Governance, S. 121. 48 Im GATT nach Art. XXIII Abs. 1, für das öffentliche Auftragswesen in Art. Art. XXII Abs. 2 GPA. Vgl. hierzu ausführlich unten 2. Teil, § 5. 49 Zu Nichtverletzungsbeschwerden grundlegend der Panelbericht zu „Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper“, WT / DS44 / R (22. April 1998); siehe ausführlich unten 3. Teil, § 5. 45 46
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Marktintegration hat dies nichts zu tun; hier kommt die WTO lediglich ihrem Koordinierungsauftrag nach50. Es ist offensichtlich, dass die Zielkonfliktproblematik der Auslöser für Spannungen im internationalen Handel ist. Immer mehr nationale Entscheidungen, die formal als innerstaatlich anzusehen wären, sind inzwischen transnational, ziehen also Auswirkungen im Ausland nach sich51. Dies betrifft Verbote bestimmter Produkte oder Anforderungen an ihre Beschaffenheit, sei es aus Gründen des Umweltschutzes oder der öffentlichen Sicherheit. Investitionen eines Staates in einen bestimmten Sektor zur Ankurbelung der heimischen Wirtschaft oder Schaffung von Arbeitsplätzen können ausländische Konkurrenten schädigen oder sogar vom Markt drängen. Besonders konfliktträchtig sind Vorschriften, die den Produktionsprozess des Produkts oder Eigenschaften des Unternehmens als Voraussetzung für ihren Vertrieb zum Gegenstand haben. Da sie normalerweise für alle Produkte oder Unternehmer gelten, die auf dem heimischen Markt anbieten wollen, kommt es hier zu der problematischen Situation, dass das inländische Recht produktions- und unternehmensbezogene Umstände im Ausland beeinflussen will. Ein vergaberechtliches Beispiel ist das Erfordernis, dass der Unternehmer bei der Produktion des nachgefragten Gutes umweltfreundliche Methoden verwendet, beispielsweise bestimmte Emissionswerte beachtet. In dieser Konstellation ist ein – möglicherweise unbeabsichtigter – Eingriff in die Regelungshoheit des Staates, in dem der ausländische Bieter ansässig ist, gegeben52. Im schlimmsten Fall kann es dazu kommen, dass es dem ausländischen Bieter nach den Rechtsvorschriften seines Heimatstaats gar nicht möglich ist, die gestellten Anforderungen zu erfüllen. Äußerst problematisch sind zudem Importverbote und diesen gleichkommende Maßnahmen – beispielsweise ein kategorischer Ausschluss bestimmter Bieter im Vergabeverfahren –, mit denen auf andere Staaten Druck ausgeübt werden soll. Ein Beispiel ist das bereits erwähnte amerikanische Importverbot für Garnelen; ein vergaberechtliches Beispiel ist der amerikanische Ausschluss von Unternehmen der „Koalition“ gegen den Irakkrieg von Aufträgen zum Wiederaufbau des Irak53. Insbesondere wenn eine solche Maßnahme von handelspolitisch mächtigen Akteuren wie den USA oder der EU ausgeht, hat sie das Potential, den exportierenden Staat zu zwingen, seine Vorschriften im Sinne amerikanischer oder europäischer Vorstel50 Man könnte einwenden, dass die Nichtverletzungsbeschwerde bereits unter dem GATT existent war und dem GATT eine solch umfassende Aufgabe nicht zugewiesen war. Allerdings haben sich die Aufgaben der WTO – immer natürlich im Einklang mit den Buchstaben des Vertrags – weiterentwickelt. Nach Nettesheim „löst sich (das WTO-System) aus der Verhaftung auf eine Zielsetzung und wächst in eine teleologische Multifinalität hinein. Die WTO ist gegenwärtig dabei, sich von der ( . . . ) Verpflichtung auf ein Rationalitätskriterium zu lösen und zu einem Akteur zu entwickeln, der in einem Geflecht kollidierender Rationalitätskriterien steht“, Nettesheim, Jahrbuch für politische Ökonomie 2000, S. 163. 51 Vgl. Beck, Globalisierung, 1998, S. 55 ff. 52 Vgl. zur juristischen Bewertung dieser Problematik unten 2. Teil, § 4 B.I. 53 Ausführlich unten 2. Teil, § 1 C.VI.
3 Gaedtke
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lungen zu ändern. Häufig ist gerade das auch beabsichtigt. Handelspolitische Maßnahmen werden in diesen Fällen zu machtpolitischen Instrumenten und bergen die Gefahr internationaler Spannungen. Je wichtiger die nationale Regelung dem Staat erscheint, der das Ziel der Maßnahme ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein „spill-over“-Effekt eintritt und der Konflikt von einem rein handelspolitischen zu einem außenpolitischen Konflikt heranwächst. Die Aufgabe der WTO besteht in diesen Fällen darin, die kollidierenden Interessen im Rahmen des Wortlauts der Abkommen in einen verträglichen Ausgleich zu bringen. Einen entsprechenden Versuch hat das mit dem Fall befasste Panel im Thunfischfall unternommen, als es in Art. XX GATT ein Verbot von Maßnahmen im soeben beschriebenen Sinne hineinlas. Solche Maßnahmen, die auf die Durchsetzung eigener Standards im Ausland gerichtet sind, seien „extrajurisdictional“ und müssten unzulässig sein, da ansonsten einige Mitglieder unilateral bestimmen könnten, welche Politik andere Mitgliedstaaten in Bezug auf den Schutz von – in diesem Fall, da Art. XX (b) GATT betroffen war – Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen vorzunehmen hätten54. Die Reaktionen auf den Bericht in Literatur, Praxis und der Öffentlichkeit zeigten, dass der Koordinierungsversuch des Panels misslungen war. Als mit dem Garnelenfall ein ähnlicher Fall die WTO-Streitbeilegungsorgane erreichte, änderten diese die rigide Auffassung des Panels und maßen das Importverbot anhand flexiblerer Kriterien, die sie im Fall entwickelten. Diese Kriterien, auf die noch einzugehen sein wird, waren weitaus besser zur Koordinierung der gegenläufigen Interessen der Mitglieder geeignet.
C. Aufbau eines normgeleiteten multilateralen Handelssystems Eine weitere, mit der bereits erörterten Koordinationsfunktion verwandte Funktion der WTO ist der Aufbau eines regelgeleiteten multilateralen Handelssystems. Die nach Art. 3 Abs. 2 DSU angestrebte Sicherheit und Vorhersehbarkeit im multilateralen Handelssystem ist zentrale Basis für die Annahme, dass mit der Schaffung der WTO eine Abkehr von einem politischen Handelssystem hin zu einem regelgeleiteten System erfolgte – zu einem „Primat des Rechts“ in den internationalen Handelsbeziehungen. Das ist praktisch unstrittig55. Allerdings ist der Auftrag, ein normgeleitetes System zu etablieren, alles andere als einfach zu erfüllen. Wie jede andere internationale judikative Instanz stehen die Streitbeilegungsorgane der WTO vor dem Problem, dass ihnen wirksame Mittel fehlen, um ihre Entscheidungen durchzusetzen. Sie laufen damit Gefahr, ihre Autorität zu verspielen, wenn es zu einer Häufung von Fällen kommt, in denen ihre Berichte nicht 54 Panelbericht zu „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, GATT BISD 39 S / 155, Ziff. 5.25 – 5.32 55 Vgl. nur Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 115.
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umgesetzt werden. Andererseits müssen sie verhindern, dass die von ihnen zu hütenden Regeln nicht leere Formeln werden und sie entsprechend streng auslegen. Aus diesem Dilemma ergibt sich für die Streitbeilegungsorgane das Bedürfnis, bei der Auslegung des Rechts strategische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die ihre Autorität sowie die des in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Rechtssystems stärken und sichern. Wenn also beispielsweise bei der Auslegung der gegebenen Rechtsnormen mehrere Auslegungen möglich sind, so würde bzw. sollte das Berufungsgremium sinnvollerweise die Auslegung wählen, die ihm im Hinblick auf die Stärkung des regelgeleiteten Handelssystems am geschicktesten erscheint. In der Wissenschaft sind die Versuche, Strategien für den Erfolg internationaler Streitbeilegungsorgane zu entwickeln, noch spärlich56; den vielleicht wichtigsten Beitrag aus jüngerer Zeit haben in dieser Hinsicht Slaughter und Helfer geleistet, die derartige allgemeine strategische Überlegungen aus dem erfolgreichen Wirken der europäischen Gerichte abzuleiten versuchten57. Der folgende Abschnitt zeigt drei Faktoren auf, die die WTO-Streitbeilegungsorgane bei ihrer Tätigkeit berücksichtigen sollten, und die insbesondere für die Lösung von Zielkonflikten von Relevanz sind.
I. Juristische Qualität der Entscheidungen Ein judikatives Organ kann nur Erfolg haben, wenn seine Entscheidungen in Streitfällen juristische Überzeugungskraft besitzen. So sollten es die Streitbeilegungsorgane erstens vermeiden, von bereits getroffenen Auslegungen und Entscheidungen wieder abzuweichen. Abgesehen davon, dass dies Rechtsunsicherheit schafft und damit dem Ziel des Art. 3 Abs. 2 DSU gerade zuwiderläuft, untergräbt es die Autorität der Streitbeilegungsorgane. Als Beispiel können die bereits erwähnten Berichte im Thunfischfall und im Garnelenfall dienen. Während der Bericht im Thunfischfall als Verbot von unilateralen Durchsetzungsmaßnahmen verstanden werden musste, stellte der Garnelenfall eine Abkehr von diesem Dictum dar. Im Interesse der Überzeugungskraft des Welthandelsrechts war das sicherlich alles andere als optimal; es war allerdings notwendig, weil der Bericht im Thunfischfall zu unflexibel formuliert war. Dem Berufungsgremium ist auch zugute zu halten, dass sich der Thunfischfall 1992 ereignete, also vor Schaffung der WTO, was die Bedeutung des Bruchs verringert58. Das Berufungsgremium hat die Notwendigkeit einer Kontinuität erkannt und sieht sich im Grundsatz an zuvor getroffene Entscheidungen gebunden; sie sind Teile des „WTO acquis“59. Das Beru56 Mit Bezug auf die WTO-Streitbeilegungsorgane unternimmt einen solchen Versuch Howse, in: Weiler, EU, WTO and NAFTA, S. 34 ff. 57 Slaughter / Helfer, Yale Law Journal 1997, S. 273. 58 Hervorzuheben ist, dass Art. XVI Abs. 1 WTO-Vertrag keine Bindung der Streitbeilegungsorgane an Berichte unter dem GATT begründet, vgl. Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 143.
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fungsgremium arbeitet zudem zunehmend mit auslegungsbedürftigen, offenen Definitionen, die auf eine Vielzahl verschiedenartig gelagerte Fälle passen. Damit vermeidet es Festlegungen auf Auslegungen, die in einem Fall angemessen, in anderen Fällen jedoch unangemessen erscheinen könnten und von denen dann eine Abkehr notwendig wird. Zweitens sollten sich die WTO-Streitbeilegungsorgane nicht in Widerspruch zu der Tätigkeit anderer internationaler judikativer Organe setzen, sondern deren Auslegungen und Entscheidungen so weit wie möglich berücksichtigen. Dies kann zum Beispiel notwendig werden, wenn die Streitbeilegungsorgane Ausführungen zu allgemeinen Fragen des Völkerrechts machen müssen oder Begriffe auslegen, die bereits Gegenstand von Entscheidungen anderer internationaler Gerichte gewesen sind. Auch wenn die WTO-Streitbeilegungsorgane dazu rechtlich nicht verpflichtet sind – das WTO-Recht ist ein eigenes Vertragswerk und „vertragsautonom“ auszulegen – tun die Streitbeilegungsorgane gut daran, solche Entscheidungen zu berücksichtigen. Ein Primat des Rechts im Welthandelssystem kann es nicht ohne ein Primat des Rechts in den internationalen Beziehungen geben. Anzustreben ist daher eine möglichst kohärente internationale Spruchpraxis. Zu den weiteren, im Zusammenhang mit dieser Arbeit jedoch weniger bedeutsamen Kriterien gehört, dass die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane logisch nachvollziehbar sein müssen. Die Entscheidungen sollten zudem ausführlich begründet sein, um so ihre Überzeugungskraft zu erhöhen.
II. Politische Sensibilität Um ihre Akzeptanz bei den Regierungen der Mitgliedstaaten, Nichtregierungsorganisationen sowie in der (Welt-)Öffentlichkeit zu steigern, ist es unerlässlich, dass die Streitbeilegungsorgane eine gewisse Sensibilität gegenüber stark umstrittenen Themen und politisch brisanten Streitfällen zeigen60. Im Rahmen der Koordinierungsfunktion wurde bereits erläutert, dass die WTO zwar berufen ist, Kriterien für eine Entschärfung solcher Konflikte zu finden. Die Streitbeilegungsorgane müssen aber auch berücksichtigen, dass sie sich als judikative Instanzen zu etablieren haben. Es kann daher sinnvoll sein, dass im Einzelfall das WTO-Recht nicht zu „offensiv“, sondern eher zurückhaltend und unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Regelungsautonomie interpretiert wird61. 59 Dies geht nicht so weit, dass es von einer rechtlichen Bindung (stare decisis) ausgeht, wie dies beispielsweise in Rechtsordnungen des Common Law der Fall ist. Zur Beachtung früherer WTO-Berichte durch die Streitbeilegungsorgane siehe Panelbericht zu „EC – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas“, WT / DS27 / R, Abs. 7.14. Siehe auch Palmeter / Mavroidis, AJIL 1998, S. 400. 60 Auf diesen Punkt weist auch Nichols hin, Virginia Journal of Int. Law 1996, S. 464: „If panels within the World Trade Organization do not exhibit restraint, they could undermine public confidence in the organization“.
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Ein Beispiel hierfür ist der Hormonfall, bei dem absehbar war, dass die EU ein negatives Dictum der WTO mangels politischer Durchsetzbarkeit nicht würde umsetzen können. Ein anderes Beispiel ist der Konflikt um den amerikanischen Helms-Burton Act, der allerdings bilateral entschärft wurde, bevor es zu einer Entscheidung der Streitbeilegungsorgane kam62. Die USA hatten sich zur Rechtfertigung auf die nationale Sicherheit berufen, und es wäre doch sehr problematisch gewesen, wenn ein dreiköpfiges Panel in Genf darüber entschieden hätte, welche Maßnahmen für die nationale Sicherheit der USA erforderlich sind. Damit ist nicht gesagt, dass die Streitbeilegungsorgane politisch heikle Beschwerden unbesehen „abweisen“ sollen. Immerhin können die Berichte der Streitbeilegungsorgane, selbst wenn sie nicht sofort umgesetzt werden, einen wichtigen Beitrag zu einer bilateralen Lösung des Konflikts liefern; die bilateralen Verhandlungen können dann um die Drohung mit Sanktionen angereichert werden63. Dennoch läuft die WTO Gefahr, dass ihre Autorität bei einer Häufung derartiger Fälle Schaden nimmt und das Ziel einer ernsthaften Verrechtlichung der internationalen Handelsbeziehungen verfehlt wird. Methodisch ist ein denkbarer Lösungsweg für die Streitbeilegungsorgane, die Kontrolldichte in Fällen wie den beschriebenen zu verringern und den Mitgliedern größere Beurteilungsspielräume zu lassen64. Beispielsweise lag es im Hormon-Fall nahe, die wissenschaftliche Einschätzung des WTO-Mitglieds, in diesem Fall der EU, anzuerkennen oder lediglich auf eine Evidenzkontrolle zu beschränken65. Gleiches hätte für die etwaige Prüfung der Ausnahmevorschrift der „nationalen Sicherheit“ im Konflikt um Helms-Burton gegolten; das hätte im Ergebnis dazu geführt, dass die WTO den Helms-Burton Act wohl unangetastet gelassen hätte. Ebenso wie bei den Klauseln zur nationalen Sicherheit könnten die Streitbeilegungsorgane auch die Kontrolldichte im Rahmen anderer Generalklauseln – etwa 61 Howse spricht insoweit von „Institutional Sensitivity“, vgl. Howse, in: EU, WTO and NAFTA, S. 62 f. 62 „Memorandum of Understanding concerning the U.S. Helms-Burton Act and the U.S. Iran and Libya Sanctions Act“ vom 11. April 1997, International Legal Materials, 1997, S. 529 ff.; siehe auch „U.S., EU wrestle with conflicting Jurisdiction in Helms-Burton Talks“; Inside U.S. Trade, 1. August 1997, S. 21; „Brittan Letter on Helms-Burton“, Inside U.S. Trade, 11. Juni 1999, S. 16. Ausführlich Nissen, RIW, S. 350 ff. 63 Allerdings scheint es im transatlantischen Verhältnis zwischen EU und USA vor allem um diesen Aspekt zu gehen. Es entsteht der Eindruck, dass sich beide Parteien zunehmend mit „bargaining chips“ in Form eines von der WTO gewährten Rechts zur Aussetzung von Zugeständnissen versorgen; zu dieser problematischen Entwicklung vgl. Decker, DGAP, S. 1, im Internet unter http: //www.weltpolitik.net. 64 Zur Kontrolldichte siehe Trebilcock / Howse, Regulation of International Trade, S. 68 – 70. 65 Das Berufungsgremium ließ den Parteien zwar einen Spielraum für die nach Art. 3 Abs. 2 SPS durchzuführende Risikobewertung, hat aber die Anforderungen an die Darlegungslast sehr hoch angesetzt, vgl. Bericht des Berufungsgremiums, WT / DS26 / AB / R, WT / DS48 / AB / R, Ziff. 197 ff., 208; hierzu auch Ruffert, ZVglRWiss 2001, S. 309.
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der „öffentlichen Ordnung“ oder der „öffentlichen Sittlichkeit“ – relativ großzügig halten. Ein solches Vorgehen ist mit den Vorschriften des WTO-Rechts zur Kontrolldichte durchaus vereinbar. Art. 11 S. 2 DSU bestimmt, dass ein Panel eine „objektive Beurteilung der vor ihm liegenden Angelegenheit“ vornimmt, einschließlich „einer objektiven Beurteilung des Sachverhalts und der Anwendbarkeit sowie der Vereinbarkeit mit den einschlägigen unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen“66. Denn Art. 11 Abs. 2 DSU sagt ja nicht, wie eine solche objektive Beurteilung vorzunehmen ist67. Mit anderen Worten: ein wie großer Beurteilungsspielraum den Mitgliedern gelassen wird, damit noch von einer objektiven Beurteilung des Sachverhalts durch die Streitbeilegungsorgane gesprochen werden kann, geht aus Art. 11 Abs. 2 DSU nicht hervor. Ein flexibles Vorgehen, das einer Berücksichtigung der politischen Bedeutung des Einzelfalls Rechnung trägt, ist daher auch bei Berücksichtigung von Art. 11 Abs. 2 DSU möglich. Aus juristischer Sicht ist dies dennoch häufig unbefriedigend und eröffnet den Vertragsparteien unter Umständen Freiräume, um die Vorschriften eines Abkommens zu umgehen. Paradoxerweise kann ein solches Vorgehen aber gerade geboten sein, um die Autorität internationaler judikativer Organe wie der WTO-Streitbeilegungsorgane aufzubauen bzw. zu stärken68. Ist die Akzeptanz des „WTO-Gerichts“ so weit gewachsen, dass sie der nationaler oder europäischer Gerichte nahe kommt, kann es sich auch mehr Spielraum bei der Interpretation des von ihm durchzusetzenden Rechts – zum Beispiel durch Inanspruchnahme einer höheren Kontrolldichte – zutrauen.
III. Grenzen der Fortentwicklung des WTO-Rechts Die Fortentwicklung des Rechts ist eine wichtige Funktion, die in jeder Rechtsordnung notwendigerweise den judikativen Organen zugewiesen ist. Etwas anderes ist gar nicht denkbar, weil kein Gesetz und kein Abkommen die Vielzahl von Fallkonstellationen abdecken kann, auf die die betreffenden Regelungen anzuwenden sind. Gerichte können und müssen Vorschriften präzisieren, in ihrem Anwendungsbereich einschränken oder erweitern und bei ihrer Schaffung nicht bedachte Widersprüche von Vorschriften auflösen, kurz: über die Auslegung von Normen eine in sich schlüssige Rechtsordnung schaffen. Auch diese Aufgabe ist den WTO-Streitbeilegungsorganen zugewiesen, wenn sie mit der Entwicklung eines regelgeleiteten Handelssystems beauftragt sind. Die Frage ist, wie weit die Streitbeilegungs66 Art. 11 Abs. 2 in seiner deutschen Übersetzung, abgedruckt in Benedek, Welthandelsorganisation, S. 469. 67 In diesem Sinne auch Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 292; zur Kontrolldichte auch Croley / Jackson, AJIL 1996, S. 193. 68 In diesem Sinne auch Ehlermann, World Trade Review 2002, S. 301 f.; Ehlermann, JWT 2002, S. 605 f.
§ 2 Funktionen der WTO
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organe bei dieser Fortentwicklung gehen dürfen, d. h. wo die Grenzen liegen, die sie nicht überschreiten sollten. Diese Grenzen sind im WTO-Recht explizit angesprochen. Art. IX Abs. 2 WTOVertrag bestimmt, dass „die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat ausschließlich befugt sind, dieses Übereinkommen und die Multilateralen Übereinkünfte auszulegen“. Art. 3 Abs. 2 DSU und Art. 19 Abs. 2 DSU bestimmen, dass die Empfehlungen und Entscheidungen des DSB die Rechte und Pflichte der Mitglieder „weder ergänzen noch einschränken“ können. Weder Art. IX Abs. 2 WTO-Vertrag noch Art. 3 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2 DSU machen nach ihrem Wortlaut unmittelbar Sinn: natürlich müssen die Streitbeilegungsorgane die Möglichkeit haben, die Abkommen auszulegen, anders wäre ihre Tätigkeit überhaupt nicht möglich. Was mit Art. IX Abs. 2 WTO-Vertrag nur gemeint sein kann, ist die ausschließliche Befugnis, die Abkommen verbindlich auszulegen. Das bedeutet lediglich, dass die Auslegungen der Streitbeilegungen nicht verbindlich sind, ihnen also keine rechtliche Bedeutung zukommt69. Über eine Möglichkeit der Streitbeilegungsorgane, im Wege der Auslegung das WTO-Recht fortzuentwickeln, ist daher in Art. IX Abs. 2 WTO-Vertrag nichts gesagt. Auch der Sinn von Art. 3 Abs. 2 DSU, Art. 19 Abs. 2 DSU erschließt sich nicht ohne weiteres, denn natürlich führt ein Auslegungsvorgang nicht dazu, dass Rechte und Pflichten ergänzt oder eingeschränkt werden. Diese Rechte und Pflichten werden durch den Auslegungsvorgang erst konkretisiert und für den Einzelfall definiert. Erst die teleologische Auslegung der Vorschrift legt nahe, dass sie einen Auftrag an die Streitbeilegung enthält, bei der – notwendig stattfindenden – Rechtsfortentwicklung das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten („equilibrium of rights and obligations“), das die Verträge widerspiegeln, zu respektieren. Der Vorschrift ist daher der Auftrag zu entnehmen, bei der Rechtsfortentwicklung maßvoll zu verfahren. Wann die Streitbeilegungsorgane dieses Gebot beachten oder missachten, ist eine Frage des Einzelfalls. So hat das Berufungsgremium beispielsweise entschieden, aufgrund seiner Kompetenz, alle für ein Verfahren nützlichen Informationen beiziehen zu können, unaufgeforderte Eingaben durch Einzelne oder (Nichtregierungs-)Organisationen in Form von amicus curiae Briefen anzunehmen70. Dies geschah auch, um die Verfahrenslegitimität der WTO-Streitbeilegung zu erhöhen. Sie ist ein politisch wichtiger Faktor: je mehr das WTO-Verfahren einem rechtsstaatlichen Verfahren entspricht, desto mehr Entscheidungsgewalt können sich die Streitbeilegungsorgane „anmaßen“, je weniger Verfahrenslegitimität es aufweist, desto mehr Respekt sollten sie den regulativen Entscheidungen der Mitgliedstaaten 69 Das steht im Einklang mit der Auffassung, dass die Berichte der WTO-Streitbeilegungsorgane keine bindenden Präzedenzen darstellen. Siehe dazu im vorangegangen Abschnitt sowie Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 143. 70 Bericht des Berufungsgremium zu „US – Imposition of Countervailing Duties on Certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products“, WT / DS231 / AB / R, Abs. 36 ff.; siehe auch Bericht des Berufungsgremiums zu „EC – Trade Description of Sardines“; WT / DS231 / AB / R, Abs. 155 ff.
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1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
entgegenbringen. Die Fortentwicklung des DSU hat den Mitgliedern des Berufungsgremiums allerdings viel Kritik und den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2, 19 Abs. 2 DSU eingebracht71. Dort, wo der Wortlaut offener gestaltet ist, dürfte den Streitbeilegungsorganen mehr Raum für eine Fortentwicklung des WTO-Rechts zur Verfügung stehen. Wichtigstes Beispiel im Zusammenhang mit den Zielkonflikten sind die Ausnahmevorschriften der WTO-Abkommen, wie z. B. Art. XX GATT, Art. XIV GATS, Art. 27 Abs. 2 TRIPS oder – im Kontext dieser Arbeit vor allem interessierend – Art. XXIII Abs. 2 GPA. Diese sehr ähnlich formulierten, an unbestimmten Rechtsbegriffen reichen Vorschriften müssen geradezu konkretisiert werden, um beispielsweise zu bestimmen, ob Maßnahmen „zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen die gleichen Bedingungen herrschen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels“ führen. Dabei stellt sich u. a. die Frage, ob zur Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der „ungerechtfertigten Diskriminierung“ eine Abwägung zwischen dem Liberalisierungsziel der WTO und dem vom betreffenden Mitgliedstaat verfolgten Politikziel, beispielsweise dem Schutz der Umwelt, vorgenommen werden darf. Man könnte dies für eine mit dem Wortlaut vereinbare Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals halten, da im Wege der Abwägung eben geklärt würde, ob der Verstoß gegen das Liberalisierungsanliegen gerechtfertigt ist. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Streitbeilegungsorgane ohne expliziten Auftrag wirklich so weit gehen dürfen, dass sie entscheiden, ob ein nationales Politikziel wichtiger ist als das handelsbezogene Anliegen der WTO. Diese Frage dürfte unter dem Aspekt politischer Sensibilität eher zu verneinen sein. Es stellt einen erheblichen Eingriff in die Autonomie der Mitgliedstaaten dar, wenn sie diese Bewertung nicht mehr selbst vornehmen können. Unter dem Aspekt der vorsichtigen Fortentwicklung des WTO-Rechts erscheint ein solches Verständnis allerdings nicht notwendig problematisch, soweit damit lediglich der rechtliche Rahmen aus Art. 3 Abs. 2 DSU, Art. 19 Abs. 2 DSU gemeint ist. Abgesehen davon stellte der Schritt hin zu einer eigenen Bewertung durch die WTO, welchem Politikziel im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung der Vorrang zu geben ist, durchaus eine deutliche materielle Fortentwicklung des WTO-Rechts dar, die kaum noch als „behutsame“ Fortentwicklung bezeichnet werden könnte.
71 Das Berufungsgremium versuchte die Möglichkeit von amicus curiae Briefen durch eine auf Art. 17 Abs. 9 DSU in Verbindung mit Regel 16 Abs. 1 der Verfahrensordnung gestützte Ergänzung zu institutionalisieren. Die WTO-Mitglieder sprachen dem Berufungsgremium die Kompetenz hierfür ab; vgl. hierzu Umbricht, JIEL 2001, S. 776, Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 303 f.
§ 3 Deregulative Tendenzen des WTO-Rechts
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§ 3 Deregulative Tendenzen des WTO-Rechts Zu den Aufgaben der WTO gehört nach dem im vorigen Abschnitt Gesagten nicht, nationale Rechtsordnungen zu deregulieren. Dennoch gibt es mindestens zwei mit dem WTO-Recht verknüpfte Szenarien, die eine Deregulierung nationaler Märkte nach sich ziehen. Zum einen handelt es sich um das Szenario des race to the bottom, das oben bereits angesprochen wurde72. Ein Absenken nationaler Standards, um die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Standorts zu halten, ist gerade eine Form der Deregulierung, die das WTO-Recht wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar herbeiführt. Zum anderen ist die Struktur der WTO darauf angelegt, einen Abbau nationaler Regulierung zu fördern. Hierfür ist die starke Stellung des judikativen Arms der Organisation verantwortlich. Für die Streitbeilegungsorgane stellt sich die Frage, ob und wie sie diesen Tendenzen bei der Auslegung des WTO-Rechts begegnen kann oder sogar muss. Diese Frage ist bei der Lösung von Zielkonflikten naturgemäß besonders dringlich.
A. Das „Race to the Bottom“ Dass die Folge der von der WTO verkörperten ökonomischen Globalisierung ein race to the bottom von sozialen Standards ist, wird von Globalisierungskritikern sehr häufig bemängelt73. Zugleich wird kritisiert, dass die WTO keinerlei Anstrengungen unternimmt, um einem solchen globalen Absinken von Standards entgegenzutreten. Wie bereits ausgeführt, ist Ausgangspunkt für das Szenario des race to the bottom der Wettbewerbsvorteil, den Niedrigstandardländer besitzen. Dieser Wettbewerbsvorteil tritt desto deutlicher zutage, je weniger Handelsschranken existieren. Der Fall von Zöllen und auch nichttarifären Handelshemmnissen bewirkt, dass es sich für Unternehmen rentieren kann, in Entwicklungsländern zu produzieren und die Güter gegebenenfalls zurück in die Industrieländer zu exportieren. Nach der Theorie des race to the bottom hat dies zur Folge, dass ein Anpassungsdruck in Staaten mit hohen sozialen und umweltschützenden Standards entsteht74. Für solche mit niedrigen Standards bestehe ein Anreiz, ihr Niveau beizubehalten oder sogar weiter zu senken75. Globalisierungskritiker weisen nicht nur auf die ökonoSiehe oben § 1. Hierzu z. B. Höffe, Zeitalter der Globalisierung, S. 409; Howse / Trebilcock, Regulation of International Trade, S. 455 ff.; Steinberg, in: Steinberg, Greening of Trade Law, S. 5; Pflüger, Politik und Zeitgeschichte 1999, S. 16. 74 Steinberg, in: Steinberg, Greening of Trade Law, S. 5; Pflüger, Aus Politik und Zeitgeschichte, S. 16. 75 Beck, Globalisierung, S. 197; Vossler Champion, Journal of Int Law & Commercial Regulation, 1996, S. 182 ff.; Bhala, 1998, S. 19; Howse / Trebilcock, International Trade, S. 427 und S. 455. 72 73
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mischen Nachteile für den heimischen Arbeitsmarkt hin, um diesen Prozess als Fehlentwicklung zu brandmarken, sondern auch auf die moralische Fragwürdigkeit, die Missachtung von Sozialstandards in anderen Ländern für den eigenen Vorteil zu nutzen und sich dadurch gegebenenfalls in Widerspruch zu eigenen Werten zu setzen76. Dies gilt insbesondere dann, wenn multinationale Unternehmen in Entwicklungsländern von Kinderarbeit Gebrauch machen, grundlegende Sicherheitsvorkehrungen missachten oder die Umwelt in Ausnutzung schwacher staatlicher Kontrollen zerstören. Nun ist die Theorie des race to the bottom keineswegs unumstritten. Einige Autoren weisen darauf hin, dass sie empirisch nicht hinreichend belegt bzw. unzutreffend sei77. Langfristig komme es sogar zu einer Anhebung der Standards in Entwicklungsländern. Unbeschränkter Handel führe dazu, dass die Einkommen steigen würden und den Staaten daher auf lange Sicht mehr Geld zur Verfügung stünde, um Umweltschutzziele, soziale Sicherheitsprogramme etc. durchzuführen78; dies würde von einer zunehmend wohlhabenderen Bevölkerung auch eingefordert. Andere Autoren stellen darauf ab, dass es gerade Sinn mache, niedrige Standards zu nutzen. So argumentiert Sykes, dass Einkommensunterschiede oder auch kulturelle Unterschiede manche Gesellschaften toleranter gegenüber Umweltverschmutzung machen würden als andere; es sei daher ökonomisch sinnvoll, Umweltverschmutzung dort zu „lokalisieren“, wo die Kosten hierfür am geringsten wären79. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass zahlreiche verteilungspolitische Maßnahmen ineffizient seien. Bei Licht betrachtet, seien regulatorische Maßnahmen das imperfekte Produkt einer Interaktion von Interessengruppen; der Umstand, dass sie im Zuge der Marktöffnung auf den Prüfstand gerieten, sei deshalb keineswegs bedauernswert. Überzeugen können diese Argumente kaum. Sicher ist richtig, dass zahlreiche verteilungspolitische Maßnahmen ökonomisch suboptimal sind und überdacht werden müssen. So ist denkbar, dass hohe, verteilungspolitisch motivierte Steuern unter Druck geraten und auf andere (staatliche) Instrumente umgestiegen werden muss, die denselben Zweck erreichen. Der durch Marktöffnung erzeugte Druck auf den Gesetzgeber macht eine solche ökonomisch sinnvolle Anpassung dann möglich. Dennoch ist damit ja keineswegs gesagt, dass das verteilungspolitische Ziel überhaupt gehalten werden kann. Geht die Rechnung nicht auf, so muss entweder das „alte“ Instrument beibehalten werden und die Abwanderung von Unternehmen 76 Vgl. beispielsweise Summers, Penn Journal of Int Econ Law, 2001, S. 79; ähnlich auch Charnovitz, Virginia Journal of Int Law, 1998, S. 695. 77 Levinson, in: Bhagwati / Hudec, Unfair Trade and Harmonization, Bd. 1, S. 450. Manche Autoren sprechen sogar von einem unmittelbar eintretenden „race to the top“, einer Anpassung nach oben; siehe hierzu Vogel, JIEL 2000, S. 265; wenn solche Fälle überhaupt existieren, dürfte es sich allerdings doch um sehr seltene Ausnahmefälle handeln. 78 Sykes, Trade and Human Rights: Economic Perspective, S. 18. 79 Sykes, Trade and Human Rights: Economic Perspective, S. 18.
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in Kauf genommen werden – oder aber das verteilungspolitische Ziel aufgegeben werden: der erste Schritt im race to the bottom. Auch die anderen Argumente, die das race to the bottom widerlegen wollen, gehen mit den außerökonomischen regulativen Zielen wenig ernsthaft um. Wenn darauf abgestellt wird, dass in Entwicklungsländern langfristig der Wohlstand steigen werde, stellt sich zumindest die Frage, ob dies nicht für lange Zeit bloß einer zahlenmäßig sehr geringen Oberschicht zugute kommen wird. Und kann der Hinweis auf eine irgendwann in der Zukunft eintretende Verbesserung von Lebensumständen genügen, um das Problem zum Teil menschenunwürdiger Standards in der Gegenwart zu ignorieren? Spätestens das oben zitierte Argument der unterschiedlichen Sensibilität im Hinblick auf Umweltverschmutzung offenbart zudem einen nicht unerheblichen Grad an Zynismus. Natürlich wird sich die am Existenzminimum lebende Bevölkerung eines Entwicklungslandes nur wenig für den Schutz ihrer Umwelt einsetzen. Das bedeutet aber nicht, dass damit eine konkludente Billigung der Umweltverschmutzung einherginge. Dass ein Rechtssystem in einem Entwicklungsland de jure oder de facto massive Umweltzerstörung toleriert, dürfte in den meisten Fällen nicht Ausdruck einer kulturell bedingten Gleichgültigkeit sein, sondern eher eines desolaten oder korrupten Staatswesens. Was schließlich von den Gegnern eines race to the bottom häufig ignoriert wird, ist der Umstand, dass es nicht nur um ein Absenken von Standards geht; der Sache nach – wenn auch nicht dem Wortlaut – führt der liberalisierte Welthandel eben auch dazu, dass kein Anreiz besteht, Standards zu heben80. Im globalen Standortwettbewerb würde dies einen Schritt in Richtung Wettbewerbsunfähigkeit bedeuten. Selbst wenn daher in ferner Zukunft eine Nachfrage beispielsweise nach höheren Umweltstandards bestünde, so wäre die Hemmschwelle hoch, ihr nachzukommen. Dass der Druck auf die Industrienationen inzwischen vielmehr gewaltig ist, ihre Standards tatsächlich abzusenken, dürfte inzwischen – da kein Tag vergeht, an dem nicht Unternehmen ihre Abwanderungsabsichten kundgeben81 – Allgemeingut sein; ein Zusammenhang zwischen einem Abbau von sozialen Schutzregelungen und dem Druck der ökonomischen Globalisierung dürfte insoweit kaum ernsthaft zu bestreiten sein82. Natürlich ist die WTO als Hüterin der Verträge, die den Abbau von Handelsschranken vorsehen und durchsetzen wollen, für dieses Szenario verantwortlich. Allerdings stellt sich die Frage, ob die WTO eine Verantwortung trifft, diesem Szenario in irgendeiner Form entgegenzusteuern. Ein Absenken von Standards bedeuIn diesem Sinne auch Maskus, Core Labour Standards. Siehe hierzu beispielsweise „The New Jobs Migration“, The Economist, 21. Februar 2004; Süddeutsche Zeitung, „Die höchsten Kosten für die kürzeste Arbeitszeit“, 27. März 2004, S. 2. 82 Trebilcock gibt beispielsweise zu, dass ausländische Investoren massiv in Billiglohnländern investieren, lehnt dann aber dennoch – kaum überzeugend – den dadurch entstehenden Druck auf Hochstandardländer ab, vgl. Trebilcock, in: Griller, International Econonomic Governance, S. 296 f. 80 81
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tet nichts anderes als eine Deregulierung des nationalen Marktes und entspricht grundsätzlich nicht der Aufgabenstellung der WTO. Um ihre Funktion zu erfüllen, könnte die WTO gehalten sein, einem Trend zur Deregulierung entgegenzusteuern. Dies könnte sie – bzw. die Streitbeilegungsorgane – leisten, indem sie solche Maßnahmen verstärkt für zulässig erklärt, die einem race to the bottom entgegenwirken bzw. es verhindern. Eine rechtliche Verpflichtung zu einem „Gegensteuern“ durch die Streitbeilegungsorgane kann allerdings nicht angenommen werden. Es ist kaum vorstellbar, wie eine solche Handlungspflicht der WTO bzw. der Streitbeilegungsorgane konstruiert werden könnte. Die Streitbeilegungsorgane entscheiden immer nur den Einzelfall, und das race to the bottom ist ein Prozeß, dem die Entscheidung nur ein Element hinzufügt. Verlangt etwa eine Vergabestelle von allen, also auch ausländischen Unternehmen die Einhaltung bestimmter kostenintensiver Vorschriften zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, so ist es etwas zu weit hergeholt, eine Verpflichtung der WTO zur Anerkennung solcher Maßnahmen anzunehmen, um ein race to the bottom aufzuhalten. Wenn auch eine rechtliche Verpflichtung nicht besteht, so ist es den Streitbeilegungsorganen aber doch zumindest erlaubt, diesen Aspekt bei der Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen. Nach hier vertretener Auffassung sollte dies in Bezug auf die Wahrung von Mindeststandards auch geschehen83. Die WTO sollte durchaus auch die Folgen ihrer Rechtsnormen und ihrer Rechtsprechung berücksichtigen und sie dort korrigieren, wo die Konsequenzen ihren Aufgaben zuwiderläuft und nur schwer erträglich erscheinen. So darf es wohl nicht sein, dass die WTO Anreize setzt, dass soziale und umweltschützende Standards in Entwicklungsländern unter gewisse Mindeststandards sinken bzw. auf diesem niedrigen Niveau verharren. Die WTO würde sich in diesem Fall zu Recht der Kritik aussetzen, blind für handelsfremde, ja moralische Belange zu sein. Wo es um internationale Mindeststandards geht, sollte die WTO daher eine Grenze setzen. Das würde auch dem Umfang ihres marktintegrativen Auftrags entsprechen. Das bedeutet, dass die Streitbeilegungsorgane – soweit der Wortlaut der Vorschriften des WTO-Rechts einen entsprechenden Auslegungsspielraum lässt – eine Privilegierung für solche nationalen Maßnahmen schaffen sollten, die auf die Einhaltung von Mindeststandards im Inland wie auch im Ausland gerichtet sind. Damit sind insbesondere Mindeststandards im Bereich Umwelt, Menschenrechte und Arbeitnehmerschutz gemeint; wo diese noch nicht zufriedenstellend definiert sind, wird die WTO an ihrer Entwicklung im konkreten Fall mitarbeiten müssen. Die konkreten Folgen für die Zulässigkeit der Verknüpfung öffentlicher Auftrags83 Außerhalb von Mindeststandards besteht für die WTO unter dem Aspekt des race to the bottom keine Veranlassung zum „Gegensteuern“; insoweit muss es bei der Verantwortung der Mitgliedstaaten verbleiben, die sich aus freien Stücken für eine Mitgliedschaft in der WTO entschieden haben.
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vergabe mit entsprechenden Politikzielen nach dem GPA werden im zweiten Teil dieser Arbeit erläutert84.
B. Die Struktur der WTO Der europäische Integrationsprozess lehrt, dass strukturelle Ungleichgewichte innerhalb der gemeinsamen Organisation erhebliche Auswirkungen auf die Richtung des Integrationsprozesses haben können. Im Rahmen der EU hat sich herausgestellt, dass die hohe Effektivität der judikativen Tätigkeit der Union zur Schaffung eines wirklichen Binnenmarkts geführt hat, während legislative europäische Massnahmen zur Gestaltung des europäischen Marktes aufgrund des noch immer in zahlreichen Politikbereichen geltenden Einstimmigkeitsprinzips in der Union nur schwerfällig vorankommen. Damit sind auf europäischer Ebene vor allem die durch die europäischen Verträge garantierten Freiheiten durchgesetzt worden, die auf den Abbau von Handelsschranken und auf möglichst freien Wettbewerb auf europäischer Ebene abzielen. Marktkorrigierende und markgestaltende Regeln, die gemeinsamer legislativer Anstrengungen bedürfen – positive Integration bzw. Marktintegration im oben dargestellten Sinne – sind auf europäischer Ebene nur unter großen Schwierigkeiten zu realisieren85. Asymmetrische Strukturen, d. h. ein Ungleichgewicht der Effektivität judikativer und legislativer Tätigkeit in der Europäischen Union hat daher zu einem gewissen Maß an Deregulierung und damit zu einer liberaleren Wirtschaftsordnung geführt86. Das Problem asymmetrischer Strukturen stellt sich auch im Rahmen der WTO87. Das große Gewicht des judikativen Arms der Organisation ist unverkennbar. Die Streitbeilegungsorgane können theoretisch entscheiden, dass bestimmte nationale handelsfremde Politikziele einen Verstoß gegen WTO-Recht nicht rechtfertigen können88. Dagegen sind legislative Kompetenzen der Organisation nur schwach ausgeprägt89. Dieses Ungleichgewicht hat zur Folge, dass Kompetenzen zur Regelung handelsfremder Materien langfristig verschwinden würden, wenn die Streitbeilegungsorgane entscheiden würden, dass Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Politikziele Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot der WTO nicht rechtVgl. 2. Teil, § 1 C.IV. Zu dieser Problematik vgl. Scharpf, in: Marks, Governance in the EU, 1996, S. 15 ff.; Scharpf, Governing in Europe, 1999, S. 43 ff. 86 Vgl. Scharpf, Governing in Europe, 1999, S 43. 87 Die Auswirkungen sind aber nicht ebenso gravierend wie im Rahmen der EU, da es dem WTO-Recht – zumindest noch – an einer unmittelbaren Wirkung innerhalb der nationalen Rechtsordnungen fehlt. 88 Und die Formulierung der Art. XX GATT wie auch der anderen Ausnahmevorschriften, einschließlich Art. XXIII Abs. 2 GPA, legt dies dem Wortlaut nach auch nahe. 89 Die Problematik stellt auch Petersmann heraus, der von einem „one-sided GATT focus on ,Negative Integration Law“ spricht, siehe Petersmann, CMLR 2000, S. 1364. 84 85
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fertigen können. Denn weder würde die WTO legislative Maßnahmen vornehmen können, um den Verlust der Regelungskompetenz auf nationaler Ebene auszugleichen, noch gibt es eine andere internationale Organisation, die dies leisten könnte.
I. Das strukturelle Ungleichgewicht innerhalb der WTO Die asymmetrische Struktur der WTO ist bereits in Art. III WTO-Vertrag angelegt. Während der WTO in Art. III Abs. 3 die Verwaltung des DSU komplett übertragen ist, dient die WTO in legislativer Hinsicht nach Art. III Abs. 2 lediglich als „Forum für Verhandlungen“: Art. III Aufgaben der WTO (1) ( . . . ) (2) Die WTO dient als Forum für Verhandlungen zwischen ihren Mitgliedern über deren multilaterale Handelsbeziehungen in den Bereichen, die im Rahmen der in den Anlagen dieses Übereinkommen enthaltenen Übereinkünfte behandelt werden. Die WTO kann auch als Forum für weitere Verhandlungen zwischen ihren Mitgliedern über deren multilaterale Handelsbeziehungen sowie als Rahmen für die Durchführung der Ergebnisse solcher Verhandlungen dienen, wie dies von der Ministerkonferenz beschlossen wird. (3) Die WTO verwaltet die in Anlage 2 dieses Übereinkommens enthaltene Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten ( . . . ).
Mit legislativen Kompetenzen sind die Möglichkeiten der WTO gemeint, Rechtsnormen zu erlassen. Das betrifft insbesondere neue Abkommen, also größere Regelungswerke, sowie Ergänzungen und Änderungen einzelner WTO-Normen. Art. III Abs. 2 WTO-Vertrag weist darauf hin, dass der WTO lediglich die Rolle eines „Forums“ für die Verhandlungen der Mitglieder zukommt. Eine eigene Normgebungskompetenz besitzt die Organisation nur in begrenztem Umfang90. Neue vertragliche Instrumente werden in Verhandlungsrunden der WTO beschlossen91; Vereinbarungen können in Form von Verträgen, Protokollen oder Ergänzun90 Siehe auch von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 275, der darauf hinweist, dass Art. XXV Abs. 1 GATT vor Gründung weitere legislative Spielräume eröffnete als die Normen der WTO. Insbesondere Roessler vertrat die Ansicht, das GATT sei eine dynamische internationale Organisation und habe weit reichende Rechtsetzungskompetenzen inne; vgl. ausführlich Roessler, JWTL 1987, S. 73. 91 Beispiel ist die auf der Ministerkonferenz von Doha eingeläutete Runde, die auf zahlreichen Gebieten zu neuen multilateralen Vereinbarungen über die Handelsbeziehungen führen soll. Der Wortlaut „multilaterale Handelsbeziehungen“ in Art. III Abs. 2 WTO-Vertrag dürfte sehr weit zu verstehen sein; zum einen wird man den Mitgliedern kaum die Möglichkeit absprechen können, ihnen sinnvoll erscheinene Regelungen in das WTO-Recht einzufügen, zum anderen steht praktisch jede an sich „handelsfremde“ Materie – wie auch das TRIPS – in einem gewissen Zusammenhang mit dem internationalen Handel und kann daher theoretisch unter Art. III Abs. 2 WTO-Vertrag gefasst werden.
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gen geschaffen werden92. Aufgrund der dominierenden Rolle, die den Mitgliedstaaten dabei zukommt, wird die WTO häufig als member-driven organization bezeichnet. Allerdings erschwert dies die Entscheidungsfindung erheblich, da in den Verhandlungsrunden der Mitgliedstaaten regelmäßig das Konsensprinzip gilt. Das WTO-Recht weist der Organisation selbst nur geringfügige Kompetenzen zur Schaffung von Normen zu. Dazu gehören insbesondere Entscheidungen über die Aussetzung von Zugeständnissen (waiver) oder über die Streichung von plurilateralen Abkommen aus dem Anhang 4 bzw. deren Aufnahme gem. Art. X Abs. 9 WTO-Vertrag93. Art. X Abs. 8 WTO-Vertrag begründet eine Kompetenz zur Regelung des Streitbeilegungsverfahrens. Über diese Entscheidungen können Veränderungen bzw. Ergänzungen des materiellen Rechts herbeigeführt werden94. Interpretationen der Abkommen gem. Art. IX Abs. 2 WTO-Vertrag sind keine eigentlichen Legislativakte, können aber dennoch wichtig für die Zielkonfliktproblematik sein, etwa wenn interpretative Entscheidungen zur Auslegung der Ausnahmetatbestände zum Schutz „bedrohter Ressourcen“ oder der „Gesundheit von Menschen“ getroffen werden95. Zwar ist auch für diese Entscheidungen grundsätzlich ein Konsens erforderlich, doch ist dieser etwas einfacher zu erreichen: nach der interpretativen Fußnote zu Art. IX Abs. 1 bedeutet Konsens, dass ein Beschluss zustande kommt, wenn kein anwesendes Mitglied gegen den Beschluss förmlich Einspruch erhebt. Art. IX Abs. 1 iVm Abs. 2 WTO-Vertrag bestimmt weiter, dass in dem Fall, dass eine Entscheidung im Konsensverfahren nicht getroffen werden kann, abgestimmt wird und ein Beschluss mit Dreiviertelmehrheit zustandekommt96. Doch wird sowohl ein Konsens als auch die geforderte Abstimmungsmehrheit in umstrittenen Fällen nur schwer zu erreichen sein. Im Hinblick auf judikative Kompetenzen eröffnet der WTO der Auftrag aus Art. III Abs. 3 WTO-Vertrag, die Streitbeilegungsvereinbarung zu verwalten, eine eigenständige Rechtsprechungsfunktion. In diesem Zusammenhang sind drei Punkte hervorzuheben, die dem judikativen Arm der Organisation eine besondere Kraft verleihen. Erstens ist die umfassende Zuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane für alle Streitigkeiten zu nennen, die im Hinblick auf das WTO-Recht zwischen den Mitgliedern auftreten. Das gilt sowohl für die multilateralen wie für 92 Vgl. zu diesen sog. Verhandlungsentscheidungen ausführlich Krajewski, Verfassungsperspektiven der WTO, S. 76. 93 Krajewski, Verfassungsperspektiven der WTO, S. 77. 94 Krajewski bezeichnet diese Entscheidungen als Organisationsentscheidungen, Verfassungsperspektiven der WTO, S. 77. 95 Art. IX Abs. 2 S. 4 WTO-Vertrag will sicherstellen, dass über die Vertragsinterpretation die Vorschriften über die Änderung des WTO – Rechts nach Art. X WTO-Vertrag nicht unterlaufen werden. In der Praxis ist die Grenze sehr schwer zu ziehen, vgl. näher Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 95. 96 Auf entsprechende Beschlüsse für plurilaterale Abkommen wie das GPA finden nach Art. XI Abs. 5 WTO-Vertrag die Vorschriften des plurilateralen Abkommens Anwendung, also insbesondere Art. XXIV GPA.
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die plurilateralen Abkommen. Diese umfassende Zuständigkeit steht im Gegensatz zu der sehr begrenzten Zuständigkeit, die den Organen der WTO im Hinblick auf legislative Tätigkeit zukommt. Zweitens ist die Regel des „umgekehrten Konsenses“ in Art. 17 Abs. 14 DSU zu nennen. Danach werden Berichte des Berufungsgremiums angenommen, es sei denn, es findet eine anderweitige Entscheidung im Konsens statt. Da die Partei, die den Rechtsstreit gewinnt, nicht gegen den Richterspruch stimmen wird, kommt den Berichten der Streitbeilegungsorgane faktisch Urteilsqualität zu97. Drittens hat die WTO recht wirksame Mittel zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen. Gegebenfalls stehen ihr die Verpflichtung des Mitglieds zu Entschädigungszahlungen (Kompensationen) und die Ermächtigung zur Aussetzung von Zugeständnissen zur Verfügung98. Letzteres ist ein effektives Mittel, da nicht nur Zugeständnisse aus dem selben Abkommen, sondern gegebenenfalls auch aus anderen Abkommen des WTO-Rechts ausgesetzt werden dürfen99. Da das WTO-Recht bereits jetzt eine große Bandbreite besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Zugeständnisse ausgesetzt werden können, die dem unterlegenen Mitglied so wichtig sind, dass es seine rechtswidrige nationale Maßnahme dem WTORecht anpasst100. Bislang ist es in über 300 Streitfällen nur selten dazu gekommen, dass ein Streitbeilegungsverfahren nicht zur erforderlichen Anpassung des nationalen Rechts geführt hat101. Damit zeigt sich der deutliche Schwerpunkt, der auf der judikativen Tätigkeit der WTO liegt. Während der legislative Arm der WTO schwach ist, ist der judikative Arm so ausgeprägt, dass man die Streitbeilegungsorgane auch schlicht als WTO-Gericht bezeichnen könnte102. Die Struktur der WTO ist damit deutlich asymmetrisch.
II. Folgen der asymmetrischen Struktur Die Folge des beschriebenen Ungleichgewichts kann ein allmählicher Verlust von Kompetenzen auf der nationalen Ebene und damit ein deregulativer Effekt 97 98 99
So z. B. von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 268. Art. 22 Abs. 1 DSU. Im GPA ist nach Art. XXII Abs. 7 GPA diese „Cross-Retaliation“ allerdings nicht mög-
lich. 100 Selbst Entwicklungsländer dürften mit der Aussetzung von Zugeständnissen nach dem TRIPS ein wirksames Druckmittel gegenüber den Industrieländern in der Hand haben. 101 Die großen transatlantischen Konflikte erwecken insofern in der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck; vgl. ausführlich Decker, Transatlantische Konflikte der USA und der EU seit 1985. 102 Siehe bereits im vorigen Abschnitt; vgl. Weiler, JWT 2001, S. 202; siehe auch von Bogdandy, der mutmaßt, dass diese Bezeichnung lediglich aus Rücksicht auf den amerikanischen Kongress unterblieben ist, Kritische Justiz 2001, S. 267 (dort Fn. 16). Anders aber Nettesheim, der das gegenwärtige System immer noch stark mit der Idee der Schiedsgerichtsbarkeit verbunden sieht, Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico 2003, S. 725.
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sein. Er entsteht durch das Zusammenspiel von zwei Faktoren, nämlich zum einen durch eine Begrenzung der nationalen Spielräume zur Verfolgung materieller politischer Ziele, die judikativ durchgesetzt wird, und zum anderen durch einen Mangel an legislativen Möglichkeiten auf internationaler Ebene, die den damit verbundenen Kompetenzverlust kompensieren könnten. Die Ausnahmetatbestände des WTO-Rechts sind ihrem Umfang nach begrenzt. Art. XXIII Abs. 2 GPA, der sich als allgemeine Ausnahmevorschrift in nur wenig variierter Form in den anderen Abkommen des WTO-Rechts wiederfindet, sieht Ausnahmen nur zur Verfolgung materieller Ziele wie der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sicherheit, dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, des geistigen Eigentums und in Bezug auf von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellte Waren bzw. erbrachte Dienstleistungen vor. Gegen das Diskriminierungsverbot oder sonstige Vorschriften verstoßende Maßnahmen können also nur gerechtfertigt werden, wenn sie eines der genannten Ziele verfolgen. Je enger man die in der Vorschrift angeführten Ausnahmetatbestände interpretiert, desto enger wird damit der Spielraum für die Verfolgung nationaler politischer Ziele, die mit den Vorschriften des WTORechts auf tatbestandlicher Seite kollidieren. Das bedeutet, dass das WTO-Recht die Entscheidung enthält, dass bestimmte politische Ziele den handelsbezogenen Anliegen des WTO-Rechts nachrangig sind und nicht mehr realisiert werden können. Da diese Entscheidung die Hilfe des Systems der Streitbeilegung in Anspruch nehmen kann, ist es wahrscheinlich, dass sie in der Praxis auch durchgesetzt wird und damit Beachtung unter den Mitgliedern findet. Dabei würde der Bereich der zulässigerweise verfolgbaren Politikziele zusätzlich verengt, wenn die Streitbeilegungsorgane die in den Ausnahmebestimmungen genannten Ziele nur dann für einschlägig erklärten, wenn es sich nicht um extraterritoriale Maßnahmen handelt. Die auf diese Weise verloren gehenden Kompetenzen auf nationaler Ebene können nicht „ersatzweise“ durch die WTO wahrgenommen werden. Es wäre ja theoretisch denkbar, dass die WTO diese Kompetenzen selbst ausübt, etwa indem sie gemeinsame Standards in den Politikbereichen schafft, die auf nationaler Ebene aufgrund ihrer Kollision mit dem WTO-Recht nicht mehr wahrgenommen werden können. Das wäre allerdings Marktintegration im positiven Sinne und würde – soweit entsprechende Maßnahmen über die Schaffung von Mindeststandards hinausgehen würden – wohl den Auftrag der WTO zum jetzigen Zeitpunkt übersteigen. Sie wäre auch in der Praxis kaum zu erreichen; wie oben aufgeführt, müssten die Entscheidungen als völkerrechtliche Vereinbarungen im Rahmen von Art. III Abs. 2 WTO-Vertrag einstimmig getroffen werden. Und auch soweit interpretative Noten Abhilfe schaffen könnten, würde das Konsenserfordernis ein effektives Tätigwerden verhindern103. 103 Als Beispiel für die Schwierigkeit, eine Einigung in handelsfremden Bereichen zu finden, mag die bereits erwähnte TRIPS-Erklärung dienen; selbst in diesem Fall, wo doch eine
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Auch außerhalb der WTO ist es nicht möglich, den Verlust an nationaler Regelungskompetenz durch entsprechende internationale Gesetzgebung auszugleichen. Im Bereich arbeitnehmerschützender Regelungen könnte zwar beispielsweise an Organisationen wie die ILO gedacht werden. Ihr kommt eine Kompetenz zu, durch die Schaffung entsprechender Abkommen für eine Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes zu sorgen. Die ILO ist in diesem Bereich auch in umfassendem Maße legislativ tätig und hat ein weites Netzwerk an Vereinbarungen zum Arbeitsschutz produziert. Man könnte deshalb annehmen, dass Organisationen wie die ILO für positive Integration sorgen, während die WTO Marktfreiheit schaffende negative Integration herbeiführt, und die Organisationen sich auf diese Weise ergänzen. Die im Rahmen der ILO geschaffenen Normen werden von ihren Mitgliedern aber häufig nicht beachtet, und die Organisation verfügt faktisch kaum über Mittel, die von ihr produzierten Normen auch durchzusetzen. Zwar sieht die ILO-Verfassung unter anderem ein Untersuchungsverfahren vor; dieses führt jedoch im Erfolgsfall lediglich zu einer Empfehlung an den betreffenden Staat, die Vertragsverletzung abzustellen. Handelssanktionen sind nach der ILO-Verfassung wohl nicht möglich104. Nichtbeachtung der Empfehlung bleibt de facto ohne wesentliche Konsequenzen105. Die der ILO zukommende Kompetenz zur Schaffung arbeitnehmerschützender Normen kann daher keinesfalls die auf nationaler Ebene verloren gegangene Kompetenz ersetzen. In anderen Bereichen gilt dies ebenso, soweit überhaupt internationale Gremien existieren, in deren Rahmen Rechtsetzung erfolgt. Die Struktur der WTO liefert damit einen Beitrag zu einer allmählichen Deregulierung nationaler Märkte. Aus neoliberaler wirtschaftspolitischer Sicht mag es wünschenswert erscheinen, wenn Kompetenzen zur Regulierung nationaler Märkte verloren gehen und auf internationaler Ebene nicht wahrgenommen werden können; doch bewegt sich die Organisation damit außerhalb ihres gegenwärtig definierten Aufgabenbereichs und sollte dies daher vermeiden. Wie kann sie das? Zwei Möglichkeiten bestehen: Erstens könnte daran gearbeitet werden, die legislative Tätigkeit der WTO zu stärken, also die positiven Integrationsmöglichkeiten der WTO zu stärken. Zweitens könnte die WTO darauf verzichten, die judikativen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und damit auf der Seite der negativen Integration ansetzen. Die Möglichkeit einer Stärkung legislativer Tätigkeit im Rahmen der WTO besteht wohl nur theoretisch. Es ist kaum zu erwarten, dass sich die über 140 Mitglieder der Organisation darauf verständigen können, der Organisation legislative Kompetenzen für handelsfremde Politikbereiche zuzubilligen. Dies würde einherRegelung sehr dringlich war und auch von der Öffentlichkeit eingefordert wurde, kam es erst spät zu einem Kompromiss; vgl. Kampf, Archiv des Völkerrechts 2002, S. 90; Herrmann, EuZW 2002, S. 41 ff.; ausführlich zur rechtlichen Bedeutung der Erklärung Gathii, Harv. Journal of Law & Technology 2002, S. 291. 104 Zu dieser Problematik Maupain, JIEL 1999, S. 273. 105 Cappuyns, Col J Trans L, 1998, S. 680; diese negative Einschätzung teilt auch Summers, Penn J Int’l Econ L, 2001, S. 63; siehe auch Körner-Dammann, ILO-Standards.
§ 3 Deregulative Tendenzen des WTO-Rechts
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gehen mit einer Änderung der Zwecksetzung der WTO, denn auf diese Weise würde auch Marktintegration zu ihren Zielsetzungen gehören. Insbesondere McGinnis und Movsesian weisen darauf hin, dass Legislativmaßnahmen der WTO der Beeinflussung durch Interessengruppen ausgesetzt wären, und zwar in weitaus stärkerem Umfang als dies auf nationaler Ebene der Fall ist. Die entsprechenden Maßnahmen wären dann kaum gemeinwohlorientiert106. Aussichtsreicher und für die hier interessierenden Zusammenhänge bedeutsamer erscheint dagegen die zweite Möglichkeit, die sich der WTO bietet. Sie liegt in einer zurückhaltenden Ausübung der judikativen Möglichkeiten der Streitbeilegungsorgane. Wie die Streitbeilegungsorgane die Bestimmungen der WTO-Abkommen interpretieren, ist ihnen im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 S. 3 DSU selbst überlassen, so dass diese Möglichkeit wesentlich leichter zu realisieren ist als die erste. Eine zurückhaltende Ausübung ihrer Kompetenzen kann eine maßvolle Interpretation der „Tatbestandsseite“ – also insbesondere der Vorschriften über das Diskriminierungsverbot – oder der Ausnahmevorschriften bedeuten. Bei der Lösung von Zielkonflikten wird der Auslegung letzterer eine größere Relevanz zukommen107. Hier wird es dann darum gehen, nationale Politikziele – wie sie etwa bei der öffentlichen Auftragsvergabe verfolgt werden – so weit wie möglich anzuerkennen. Die Streitbeilegungsorgane würden damit soweit wie möglich darauf verzichten, die von der WTO verfolgten Ziele gegenüber den nationalen Politikzielen als vorrangig anzusehen und damit die Regelungsautonomie der Mitglieder stärker berücksichtigen. Die Ausnahmeregelungen der WTO-Abkommen wären mithin, soweit sie materielle Ziele nationaler Politik bezeichnen, weit zu interpretieren108. An dieser Stelle ist nicht zu entscheiden, ob die Streitbeilegungsorgane genügend juristischen Spielraum besitzen, um sämtliche nationalen Politikziele im Grundsatz anzuerkennen; das ist eine Frage des Wortlauts der Ausnahmetatbestände, wie sie im GPA in Art. XXIII zu finden sind109. Allerdings handelt es sich um ein für die Interpretation sehr wichtiges Kriterium, da es dem rechtsmethodischen Grundsatz zuwiderläuft, der eine enge Interpretation von Ausnahmebestimmungen nahelegt.
106 McGinnis / Movsesian, Harvard L Rev, 2001, S. 511 ff.; zu der mit diesem Punkt verbundenen „Public Choice“-Theorie vgl. Stephan, Journal of Int. Law & Pol. 1995, S. 745; ablehnend zur Ausdehnung legislativer Tätigkeit der WTO auch Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico 2003, S. 717: „But even (if the WTO had a law making body), the tension between normative vagueness and institutional effectiveness would remain ( . . . )“. Nettesheim diskutiert diesen Punkt im Rahmen der Frage nach einer Verbesserung der Legitimität der Organisation. 107 Zur Bedeutung der Tatbestandsseite siehe unten 1. Teil, § 6. 108 Wohlgemerkt ist damit nicht die handelsfreundliche Ausgestaltung einer Regelung gemeint, sondern lediglich das von ihr anvisierte Ziel. 109 Hierzu unten 2. Teil, § 4.
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§ 4 Legitimität von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen Auch der Vorwurf mangelnder Legitimität ihrer Entscheidungen trifft die WTO gerade im Zusammenhang mit Zielkonflikten häufig. So kritisierten nach der Entscheidung des Berufungsgremiums im Garnelenfall, in der es das amerikanische Importverbot für unzulässig erklärte, zahlreiche Kommentatoren, die WTO sei zu einem derart weitreichenden Eingriff in die nationale Regelungsautonomie nicht legitimiert. Polemisch wurden die „ungewählten, gesichtslosen Bürokraten in Genf“ verspottet, die hinter verschlossenen Türen demokratisch legitimierte nationale Politikentscheidungen kassierten. Formulierungen wie „Handel ohne Werte“110 und „Umweltkatastrophen in Genf“111 machten die Runde in wissenschaftlichen Beiträgen112. Zunehmend wird die WTO als undemokratisch organisierter Club betrachtet, in dem multinationale Unternehmen und andere „Insider“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihre Interessen durchsetzen113. Wenig Klarheit besteht nach wie vor über die Kriterien, nach denen sich die Legitimität der WTO bzw. ihrer Entscheidungen beurteilt114. Teilweise wird ausschließlich darauf abgestellt, dass es der WTO an demokratisch legitimierter Herrschaftsausübung mangele. Andere sehen ein demokratisches Defizit, das die Legitimität der WTO unterminiere, in einem Mangel an Transparenz von Entscheidungen und einem Mangel an Partizipationsmöglichkeiten für gesellschaftlich relevante Gruppierungen. Während diese Kritik prozedurale Elemente für die Beurteilung von Legitimität in den Vordergrund rückt, betonen andere den Mangel an „materieller Legitimität“ und verstehen darunter einen Mangel an Akzeptanz des Inhalts von WTO-Entscheidungen in den Gesellschaften der Mitgliedstaaten115.
A. Legitimität als „demokratische“ Legitimation Legitimität wird – insbesondere außerhalb der Diskussion um die der WTO – weitgehend als Problem der Rückführung internationaler Entscheidungsprozesse auf demokratische Rechtfertigung auf nationaler Ebene oder der Etablierung demokratischer Strukturen auf internationaler Ebene wahrgenommen. Das wohl geläufigste, „traditionelle“ Modell zur Legitimierung internationaler Entscheidungsprozesse ist ihre Rückführung auf Handlungen gewählter Volksver110 111 112 113 114 115
Nichols, Northwestern L. Rev. 1996, S. 658. Howse, JWT 1998, Nr. 5, S. 73 ff. Eine undemokratische Entwicklung kritisiert auch Bronckers, JIEL 1999, S. 547. Esty, in Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 302. Cass, EJIL 2001, S. 45. Vgl. beispielsweise Feddersen, Ordre Public, S. 49.
§ 4 Legitimität von WTO-Streitbeilegungsentscheidungen
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treter116. Dabei wird eine mittelbare demokratische Legitimation, eine „Legitimationskette“, gemeinhin für ausreichend gehalten. Dieses Modell ist in der Lage, eine Legitimation für Rechtsetzungsakte zu liefern, die von Regierungsvertretern im Rahmen internationaler Organisationen vorgenommen werden und keiner Zustimmung – in den meisten Fällen Ratifikation – durch die nationalen Volksvertreter bedürfen. So kann beispielsweise die rechtsetzende Tätigkeit der EU legitimiert werden, die im Wesentlichen auf Akte der Regierungsvertreter im Ministerrat zurückzuführen ist117. Das Modell kann auch Organisationsentscheidungen der WTO auf Grundlage von Art. IX oder Art. X WTO-Vertrag legitimieren. Allerdings stößt das Modell bereits dort an Grenzen, wo Entscheidungen nicht im Konsens, sondern durch Mehrheitsentscheid getroffen werden: der Regierungsvertreter, der überstimmt wird, repräsentiert in diesem Fall die Entscheidung gerade nicht und stellt daher auch keine mittelbare demokratische Legitimationskette zur Bevölkerung des betreffenden Mitgliedstaats her118. In diesem Fall kann eine demokratische Legitimation des Rechtsetzungsakts nur hergeleitet werden, indem auf die ursprüngliche Zustimmung der nationalen Parlamente zu den Gründungsverträgen – typischerweise die Ratifikation – abgestellt wird. Diese parlamentarische Zustimmung zum Beitritt zur Organisation kann als „antezipierte Zustimmung“ zu den (Mehrheits-)Beschlüssen der Organisation angesehen werden und vermittelt solchen Beschlüssen eine – wenn auch sehr mittelbare – demokratische Legitimation119. Normalerweise wird dieses Modell lediglich auf die legislative Tätigkeit einer Organisation – sei es die EU oder die WTO – angewandt. Auf die judikative Tätigkeit einer Organisation hingegen scheint sie nicht recht zu passen. Doch wird von der WTO gerade durch ihre judikative Tätigkeit Herrschaft ausgeübt. Auch die rechtsprechende Tätigkeit einer Organisation muss daher Ansprüchen an „Legitimität“ genügen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum es in diesem Zusammenhang nicht auch um „demokratische“ Legitimation gehen sollte; denn natürlich müssen sich auch judikative Entscheidungen auf das Volk zurückführen lassen. Es wäre zu kurz gegriffen, in einer judikativen Entscheidung lediglich die Anwendung des von der – demokratisch legitimierten – Legislative erlassenen Rechtsakts sehen zu wollen120. In der EU läßt sich insoweit wiederum eine Legitimationskette herstelKrajewski, Verfassungsperspektiven der WTO, S. 220. Hierzu wesentlich die sog. „Maastricht-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 89, 155 (182). Hierzu Classen, Archiv des öffentlichen Rechts 1994, S. 238 f.; siehe auch Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 ff. 118 Dies ist natürlich auch im Rahmen der Europäischen Union der Fall, wurde aber vom BVerfG in der Maastricht-Entscheidung für hinnehmbar gehalten, solange sich die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse anderweitig auf das Staatsvolk zurückführen ließen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet würden, BVerfGE 89, 155 (182). 119 Wolfrum, VVDStRL, 1997, S. 51 ff.; Krajewski, Verfassungsperspektiven der WTO, S. 223. 116 117
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1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
len: die in den Mitgliedstaaten gewählten Regierungen werden nach Art. 223 EGV „von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen“ ernannt. Damit leiten die Richter ihre Legitimation von den demokratisch gewählten Regierungen der EU ab, die im Konsens über die Ernennung der Richter entscheiden. I. Eine demokratische Legitimationskette Für die WTO-Streitbeilegungsorgane lässt sich eine derartige Legitimationskette nur für das Berufungsgremium bilden. Die Legitimation der Panel-Richter ist hingegen problematisch. Zwar werden neue Panel-Richter nach Art. 8 Abs. 4 S. 3 DSU von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen und nach Genehmigung durch den Dispute Settlement Body in die Liste der Panel-Richter aufgenommen. Von dieser Liste werden dann für einen Streitfall ad hoc drei bzw. fünf Richter bestimmt121. Allerdings ist es das WTO-Sekretariat, das nach Art. 8 Abs. 6 DSU die Bestimmung der drei Panel-Richter für einen konkreten Streitfall vornimmt, die die Mitglieder nur aus zwingenden Gründen ablehnen dürfen. Dem Sekretariat kommt auf diese Weise ein starker Einfluss auf das Streitbeilegungsverfahren zu, obwohl es selbst kein Glied in einer noch nachvollziehbaren mittelbaren Legitimationskette ist. Legitimationsmindernd wirkt zudem, dass eine Garantie für die Unabhängigkeit der Panel-Richter nicht besteht. Im Gegensatz zu den Mitgliedern des Berufungsgremiums werden Panel-Richter nicht für mehrere Jahren gewählt, sondern im Einzelfall bestimmt. Manche Panel-Richter sind nur einmal oder wenige Male mit der Entscheidung eines Streitfalls betraut. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass Panel-Richter ihre Entscheidung im Hinblick auf eine mögliche Wiederernennung durch das Sekretariat treffen122. Allerdings sind Panels nur „1. Instanz“ des welthandelsgerichtlichen Verfahrens; das Berufungsgremium, die „2. Instanz“, ist dagegen eine ständige Einrichtung. Nach Art. 17 Abs. 2 und 1 DSU werden die sieben Mitglieder des Berufungsgremiums für jeweils vier Jahre vom DSB ernannt; Wiederernennung ist nur einmal zulässig. Die Ernennung der Richter des Berufungsgremiums unterscheidet sich damit kaum von dem Verfahren der Ernennung der EuGH-Richter123. Der DSB, der 120 Auch in kontinentalen Rechtssystemen ist Rechtsanwendung immer auch Rechtsfortbildung und Konkretisierung von abstrakten Rechtsnormen im Hinblick auf den Einzelfall. 121 Nach Art. 8 Abs. 5 DSU werden Panels aus drei Panel-Richtern gebildet, es sei denn, die Konfliktparteien einigen sich darauf, dass das Panel aus fünf Panel-Richtern bestehen soll. 122 Diese Gefahr deutet Ehlermann an, der sich wegen des Defizits an Unabhängigkeit der Panel-Richter für die Einrichtung eines permanenten Panelgremiums ausspricht, vgl. Ehlermann, JWT 2002, S. 628. 123 Die Anforderungen an die Qualifikation der Mitglieder des Berufungsgremiums sind zudem höher als für die Panel-Mitglieder; Regierungsvertreter scheiden zudem – anders als bei Panels – als Richter des Berufungsgremiums aus, vgl. Art. 17 Abs. 3 S. 2 DSU.
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als Allgemeiner Rat aus den Mitgliedern der Regierung besteht, einigt sich grundsätzlich im Konsens über die Ernennung der Richter. Legitimationsmindernd wirkt sich allerdings auch im Hinblick auf das Berufungsgremium aus, dass eine Verfahrensordnung für das Verfahren vor dem Berufungsgremium von den Mitgliedstaaten nicht verabschiedet wurde; nur ein Artikel des DSU beschäftigt sich mit dem Berufungsgremium. Das Berufungsgremium hat sich daher selbst eine Verfahrensordnung gegeben124. Angesichts der Notwendigkeit, dass ein Konsens zwischen den Mitgliedstaaten über eine Verfahrensordnung hätte gefunden werden müssen, erscheint dieses Vorgehen pragmatisch und angemessen125; der demokratischen Legitimation des höchsten judikativen Gremiums der WTO ist damit jedoch nicht gedient. Dennoch ist die mittelbare demokratische Legitimation, die den Mitgliedern des Berufungsgremiums zukommt, kaum geringer als die beispielsweise von EuGHRichtern. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Legitimation nicht der eines Richters auf nationaler Ebene nahe kommen würde. So werden Richter in der Bundesrepublik – abgesehen von solchen höchster Bundesgerichte – normalerweise von den Landesministerien ernannt. Sie leiten ihre demokratische Legitimation damit ebenfalls nur mittelbar von den gewählten Regierungen des jeweiligen Bundeslandes ab126. Aus diesem Grunde muss die Schlussfolgerung dieses Abschnitts lauten, dass im Hinblick auf die demokratische Legitimation von Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane nur ein geringfügiges Defizit besteht, solange darunter lediglich die Rückführung von Entscheidungsgewalt auf einen zustimmenden Willensakt der Bevölkerungen der Mitgliedstaaten verstanden wird. Das „traditionelle“ Legitimationsmodell wird allerdings von zahlreichen Autoren nicht für ausreichend gehalten, um Entscheidungen internationaler Organisationen demokratische Legitimation zu verleihen. In der Tat mutet es im Hinblick auf Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane akademisch an, über eine mittelbar(st)e Rückführung der Entscheidungsgewalt auf einen nationalen Zustimmungsakt jede Entscheidung der Streitbeilegungsorgane rechtfertigen zu wollen, wenn der WTO gleichzeitig grundlegende demokratische Elemente fehlen. Zu diesen Elementen zählen insbesondere die Möglichkeit der Partizipation von Betroffenen und Interessengruppen bei der Entscheidungsfindung sowie die Transparenz von Entscheidungen127.
Working Procedures for Appellate Body Review, WT / AB / WP / 4. Ehlermann, JWT 2002, S. 611. 126 In diesem Sinne mit Blick auf amerikanische Gerichte auch Keohane / Nye, in: Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 276: „The chain of connections between elections and the actions of ( . . . ) a federal court is at least as indirect, and (it) is rarely accused of being, for that reason, undemocratic“. 127 Vgl. Keohane / Nye, in: Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 274 ff. 124 125
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II. Partizipation von Interessengruppen und Betroffenen Der erste Aspekt betrifft die Partizipationsmöglichkeiten von Interessengruppen, die von den Entscheidungen der WTO betroffen sind. Gerade im Fall von Zielkonflikten haben die Vertreter handelsfremder „Gegeninteressen“ – also Umweltverbände, Gewerkschaften usw. – ein hohes Interesse daran, ihre Standpunkte im Rahmen der WTO zu Gehör bringen zu können. NGOs und Private haben keinen Zugang zu WTO-Meetings und Verhandlungen. Allerdings sieht Art. V Abs. 2 WTO-Vertrag vor, dass der Allgemeine Rat Vorkehrungen für Konsultationen und Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen treffen kann, die sich mit Angelegenheiten befassen, die mit denen der WTO im Zusammenhang stehen. Im Hinblick auf das hier interessierende Streitbeilegungsverfahren sind Partizipationsmöglichkeiten für Dritte – abgesehen von interessierten Mitgliedstaaten – an sich nicht vorgesehen. Jedoch hat das Berufungsgremium, wie oben bereits erwähnt, entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten im Wege der Rechtsfortbildung geschaffen128. Rechtsstaatlichkeit und demokratische Legitimation sind eng verknüpft, denn eine demokratische Ordnung ohne rechtsstaatliche Gerichtsverfahren ist undenkbar. Partizipation interessierter Kreise im WTO-Streitbeilegungsverfahren erfolgt nach dem Willen der Streitbeilegungsorgane durch einen Antrag auf Abgabe eines amicus curiae Briefes. Darin muss die Interessengruppe auf maximal drei Seiten nach detaillierten Vorgaben sich selbst, ihre Beziehungen zu den Streitparteien, ihre Interessen an dem Verfahren und Hinweise zu dem beabsichtigten Vortrag vorstellen129. Zugelassene dürfen sodann höchstens 20 Seiten umfassende rechtliche Stellungnahmen abgeben. Die Partizipationsmöglichkeiten von Interessengruppen, insbesondere NGOs, im Streitbeilegungsverfahren sind damit an sich stärker ausgeprägt als im Rechtsetzungsverfahren der WTO. Dennoch sind sie nicht ausreichend. Insbesondere dort, wo die Vertragsparteien Rückwirkungen auf die Rechtspositionen einzelner entfalten, können missliche Situationen auftreten. Weiß führt als Beispiel hierfür den Fall an, in dem die unterlassene Rückforderung einer Subvention durch einen Mitgliedstaat einen Verstoß gegen das WTO-Recht darstellte; das von dem Fall unmittelbar betroffene Unternehmen hatte aber keinerlei Verfahrensrechte im Streitbeilegungsverfahren130. Zudem sind die Streitbeilegungsorgane nicht verpflichtet, die zugelassenen Eingaben von Dritten zu beachten. Natürlich sprechen hierfür auch prozessökonomische Gesichtspunkte; dennoch ist es bedenklich, wenn das Recht zur Eingabe von rechtlichen Stellungnahmen nicht auch ein Recht auf Oben § 1.C.III. EC-Measures Affecting Asbestos and Asbestos Containing Products, WT / DS135 / AB / R. 130 Australia Subsidies provided to Producers and Exporters of Automotive Leather, WT / DS126 / RW, Rn. 68; Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 106; anders ist dies beispielsweise im europäischen Recht, nach dem ein betroffenes Unternehmen eigene Rechtsschutzmöglichkeiten hat. 128 129
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Kenntnisnahme umfaßt. Und in der Tat hatten die Streitbeilegungsorgane im konkreten Fall die Annahme von amicus curiae Briefen unter Hinweis auf die formalen Voraussetzungen abgelehnt; mitursächlich dürften wohl die Proteste insbesondere der Entwicklungsländer gewesen sein131. Ob Interessengruppen Partizipationsmöglichkeiten im Streitbeilegungsverfahren tatsächlich und nicht nur auf dem Papier zustehen, wird sich daher noch zeigen müssen.
III. Transparenz des Verfahrens Die Transparenz eines gerichtlichen Verfahrens ist ein zweiter wesentlicher Aspekt, der ein rechtsstaatliches und damit legitimes Verfahren gewährleistet. Transparenz erfüllt auch unmittelbar eine demokratische Funktion, da sie Information der Öffentlichkeit herbeiführt und damit mittelbar Kontrolle gewährleistet. Keohane und Nye weisen darauf hin, dass Institutionen, die weitgehend unabhängig von Wahlen sind, unter besonderen Transparenzverpflichtungen stehen132. Nicht nur die Ergebnisse ihrer Arbeit, sondern auch ihre Überlegungen und Diskussionen sollten der Öffentlichkeit in weitem Umfang zugänglich gemacht werden. Die notwendige Kontrolle dieser Institutionen – sie führen beispielhaft den US Supreme Court und das Federal Reserve Board an – werde durch die Kritik von Verbänden, Wissenschaftlern und Journalisten ausgeübt133. Daher sind in Demokratien gerichtliche Entscheidungen normalerweise umfangreichen Begründungszwängen unterworfen. Besonderen Wert nimmt zudem die Öffentlichkeit gerichtlicher Verfahren ein, die grundsätzlich für jedermann zugänglich sind. Nun ist kaum abzustreiten, dass die WTO die Transparenz ihres Handelns stark verbessert hat. Nahezu alle Dokumente, Berichte der Streitbeilegungsorgane und aktuellen Entwicklungen sind inzwischen auf der Website der Organisation verfügbar134. Die Berichte der Streitbeilegungsorgane sind meistens sehr sorgfältig ausgearbeitet und machen die Entscheidungen im Einzelfall nachvollziehbar und diskutierbar. Mit dem Verfahren vor den Streitbeilegungsorganen macht die WTO jedoch den wichtigsten Aspekt ihres Tuns der Öffentlichkeit gerade nicht zugänglich und kann es nach dem Wortlaut des DSU auch nicht. Art. 17 Abs. 10 DSU bestimmt, dass die Verfahren vor dem Berufungsgremium „vertraulich“ sind, eine mündliche Verhandlung findet nicht statt; gleiches gilt für das Verfahren vor dem Panel135. Angesichts der demokratischen Funktion, die die Verfahrenstransparenz erfüllt, erscheint ihr Fehlen als wichtiges demokratisches Defizit, dass sich legitimationsmindernd auf die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane auswirkt. 131 132 133 134 135
Umbricht, JIEL 2001, S. 776. Keohane / Nye, in: Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 290 f. Keohane / Nye, in: Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 291. Im Internet unter http: //www.wto.org. Hierzu Weiß / Herrmann, S. 130 und 132.
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1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
Die aufgezeigten Defizite bedeuten für die Streitbeilegungsorgane bei der Lösung von Zielkonflikten einen weiteren Grund, um das WTO-Recht moderat auszulegen und nationale Politikentscheidungen weitgehend zu akzeptieren. Denn je stärker die Streitbeilegungsorgane in die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten eingreifen wollen, desto mehr demokratische Legitimation müssen sie vorweisen können. Im Rahmen des rechtlich Möglichen können die Streitbeilegungsorgane an der Weiterentwicklung der Verfahrensbestimmungen hin zu mehr Legitimität arbeiten und auf diese Weise die Voraussetzung für weitreichendere Eingriffe in die nationale Regelungsautonomie schaffen.
B. Weitere Elemente des Begriffs der Legitimität Weitere Stimmen in der Literatur verbinden mit dem Begriff der Legitimität nicht lediglich den Aspekt der demokratischen Rechtfertigung internationaler Entscheidungsprozesse. Tatsächlich werden in den zahlreichen Publikationen, die zum Thema der Legitimität der WTO verfasst wurden, die verschiedensten Aspekte und Defizite der WTO unter die Legitimationsproblematik subsumiert136; so beispielsweise wird beispielsweise auch das oben untersuchte Strukturungleichgewicht der WTO teilweise als legitimitätsreduzierender Aspekt betrachtet137. Vor allem jedoch wird mit Bezug auf die WTO häufig die „materielle Legitimität“ von Entscheidungen problematisiert. Eine Entscheidung soll in materieller Hinsicht legitim sein, wenn sie sozial akzeptiert wird bzw. als inhaltlich plausibel anerkannt wird138. Dieses Kriterium ist problematisch. Erstens ist zweifelhaft, ob sich die Beurteilung von Legitimität tatsächlich nach subjektiven Gesichtspunkten richten kann. Kann eine unzureichend oder sogar falsch informierte Öffentlichkeit über die Legitimität der WTO entscheiden? Kaum ein anderer Bericht der Streitbeilegungsorgane ist vermutlich in der Öffentlichkeit stärker missverstanden worden als der Bericht im Garnelenfall; während die Streitbeilegungsorgane nicht das Umweltschutzziel des amerikanischen Importverbots, sondern seine Ausgestaltung für unvereinbar mit dem WTO-Recht erklärten, machte sich in der Öffentlichkeit die schlicht falsche plakative Auffassung breit, den Handel beeinträchtigende Umweltschutzmaßnahmen würden von den Streitbeilegungsorganen für unzulässig angesehen. Natürlich hat der falsche Eindruck, den diese Entscheidung hinterließ, das Ansehen der WTO beschädigt; dass er aber ihre Legitimität beeinträchtigt (hat), ist hingegen kaum zutreffend. Zweitens ist unklar, auf wessen Akzeptanz bzw. Anerkennung es für die Beurteilung der Legitimität ankommen soll. Reicht 136 Vgl. nur Howse / Nicolaidis, in: Porter / Sauvé, Efficiency, Equity, Legitimacy, S. 227; Cass, EJIL 2001, S. 39; von Bogdandy, in: Griller, International Economic Governance, S. 105. 137 Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico 2003, S. 720. 138 So z. B. Weiler, S. 80 f.; Feddersen, Ordre Public, S. 49.
§ 5 Die WTO im internationalen System
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der Protest wichtiger Interessengruppen oder Politiker gegen Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane, um diesen ihre materielle Legitimität zu nehmen? Oder geht es um die Akzeptanz der Normadressaten, d. h. der Mitgliedstaaten139? Beides kann wohl kaum der Fall sein, denn jede Streitbeilegungsentscheidung hat naturgemäß Verlierer, die ihr Gesicht wahren wollen und gegen die Entscheidung protestieren. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass eine Akzeptanzgrenze existiert, jenseits derer Entscheidungen von Streitbeilegungsorganen als nicht mehr gerechtfertigt, als nicht mehr legitim erscheinen. Aus europäischer Sicht mag diese Grenze erreicht sein, wenn es darum geht, ob das WTO-Recht zur Zulassung genetisch modifizierter Nahrungsmittel – gegebenenfalls sogar Möglichkeit einer Kennzeichnung – auf dem europäischen Markt verpflichtet. In dieser Frage greift die WTO im Falle einer für die EU negativen Entscheidung durch die Streitbeilegungsorgane tief in die nationale Regelungsautonomie ein. Der Eingriff gewinnt dadurch eine besondere Bedeutung, dass mit der Qualität von Nahrungsmitteln ein sehr wichtiger, auch kultureller Aspekt betroffen ist. Nun mag man das Überschreiten einer Akzeptanzgrenze durch die Streitbeilegungsorgane als Überdehnung ihres Machtpotentials ansehen. Es ist jedoch fraglich, ob dieses Überschreiten die Entscheidung „illegitim“ macht. Dies insbesondere deswegen, weil eine verlässliche Bestimmung von Legitimität dann gar nicht mehr möglich ist. Die in den vorangegangenen Abschnitten gebildeten Kategorien erscheinen ausreichend, um diese Fälle zu erfassen. Zudem besteht die Gefahr, dass der Begriff der Legitimität durch die aufgezeigte Unschärfe seiner Definition an Konturen und damit an Aussagekraft verliert. Folgt man dennoch einem Begriff der „materiellen“ Legitimität, führt dies ebenfalls zu einem Gebot der Zurückhaltung der Streitbeilegungsorgane bei der Interpretation des WTO-Rechts. Immer dann, wenn damit zu rechnen ist, dass eine „Verurteilung“ des beklagten Mitglieds auf massive Widerstände stoßen und von den Mitgliedern der WTO nicht mehr als „inhaltlich plausibel“ hingenommen werden würde, müßten die Streitbeilegungsorgane sich zurücknehmen, um den Rahmen der Legitimität nicht zu überschreiten.
§ 5 Die WTO im internationalen System Das Verhältnis der WTO zu anderen internationalen Organisationen und insbesondere zum Völkerrecht ist schließlich ein weiterer wichtiger Faktor für die Lösung von Zielkonflikten. Auf die lange Zeit vertretene Auffassung, das WTORecht sei ein Rechtsgebiet sui generis und befinde sich völlig isoliert vom sonstigen Völkerrecht, werde also von diesem in keiner Weise beeinflusst, wird im Rahmen dieses Abschnitts nicht weiter eingegangen. Der diesbezügliche Streit dürfte 139
Weiler, S. 80.
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ausgestanden sein; an der völkerrechtlichen Qualität des WTO-Rechts selbst besteht heute kein Zweifel mehr. Relevant ist hingegen die Frage, in welcher Beziehung das WTO-Recht zu anderen Gebieten des Völkerrechts steht. Die Streitbeilegungsorgane haben insoweit noch kein umfassendes Konzept entwickelt bzw. erkennen lassen, wie weit sie sich durch Völkerrecht außerhalb des WTO-Rechts gebunden sehen. Während diese Problematik Rechtsfragen betrifft, ist das Verhältnis der WTO zu anderen Organisationen eine eher politische Fragestellung. Beide Aspekte sind für die Lösung von Zielkonflikten von großer Bedeutung, insbesondere dort, wo sich nationale Maßnahmen an internationalen Rechtssätzen außerhalb des WTO-Rechts orientieren. Nach den oben gemachten Ausführungen besteht die Hauptaufgabe der WTO darin, die Liberalisierung nationaler Märkte im Rahmen eines regelgeleiteten Systems voranzubringen. Man mag die WTO damit vornehmlich als wirtschaftlich bzw. wirtschaftspolitisch orientiert charakterisieren. Sie steht aber nicht isoliert im internationalen Raum, sondern stellt eine Teilordnung eines umfassenden Systems internationaler Institutionen dar140. Man könnte sie als wirtschaftlichen Arm einer – im Aufbau befindlichen und dabei immer wieder zahlreichen Rückschlägen ausgesetzten – internationalen Rechtsordnung bezeichnen, in deren Mittelpunkt die UN stehen141. In diesem Gefüge stehen der WTO beispielsweise das internationale Sozial- und Arbeitsrecht und die ILO gleichberechtigt zur Seite142. Für dieses Verständnis der WTO als Teilordnung sprechen zahlreiche Hinweise. Historisch ist zu berücksichtigen, dass die „Havanna Charta“, in die das GATT eingebettet war, unmittelbar an das Friedensziel der Völkerrechtsordnung nach dem zweiten Weltkrieg anknüpfte. Es lag ihr die Vorstellung zu Grunde, dass der „wilde“ Protektionismus, wie er sich in der Zwischenkriegszeit entfaltet hatte, eine wichtige Ursache für den Kriegsausbruch dargestellt hatte143. Die internationale Weltwirtschaftsordnung, bestehend aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbankgruppe und einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) – von der sich dann aber nur das GATT durchsetzen ließ – sollte die mit der UNO geschaffene „Weltverfassungsordnung“ ergänzen. Thürer, in: Thürer / Kux, GATT 94 und Welthandelsorganisation, S. 41. Dieser Sichtweise wird in den USA traditionell eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Der Kosovo-Konflikt und insbesondere der Irak-Konflikt haben in der Tat deutlich gemacht, dass das UN-System unter Mängeln leidet und der Reform bedarf. Dass das Modell einer Legalisierung der internationalen Beziehungen deswegen „gescheitert“ oder „überholt“ sei, wie dies von prominenten amerikanischen Autoren vertreten wird, ist jedoch ein keineswegs zwingender Schluss; in diese Richtung aber Glennon, Foreign Affairs 2003, S. 16 ff. Vielmehr dürfte lediglich ein umfassendes und robustes internationales Regime in der Lage sein, die Globalisierung in ihren vielen Facetten zu bewältigen. 142 So auch Thürer, in: Thürer / Kux: GATT 94 und Welthandelsorganisation, S. 44 – 46, 71. Ebenso müßte etwa auch das internationale Umweltrecht klar und effizient geordnet und institutionell abgesichert werden; hiervon ist die internationale Gemeinschaft aber noch weit entfernt. 143 Thürer, in: Thürer / Kux, GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 45. 140 141
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In diesen Zusammenhang reiht sich die WTO ein, Nachfolgerin des GATT und Verwirklichung des 50 Jahre zuvor gescheiterten Projekts der ITO. Der WTO-Vertrag fordert den Allgemeinen Rat in Art. 5 ausdrücklich dazu auf, „geeignete Vorkehrungen zur wirksamen Zusammenarbeit mit anderen zwischenstaatlichen Organisationen“ zu treffen, „deren Aufgaben mit denen der WTO im Zusammenhang stehen“. Noch deutlicher wird der Gedanke einer Einheit in Art. 3 Abs. 5 WTOVertrag, nach dem „im Interesse einer kohärenten Gestaltung der weltweiten, wirtschaftspolitischen Entscheidungen“ die WTO mit IWF und Weltbank zusammenarbeitet144. Zahlreiche weitere Vorschriften im Anhang des WTO-Vertrags sprechen ebenfalls für eine Einordnung der WTO als Teilordnung in das internationale System; beispielhaft seien Art. XXI c) GATT genannt, der den aus Art. 103 UNCharta folgenden Vorrang der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der UNCharta anerkennt, sowie Art. XXVI GATS, der Konsultation und Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen vorschreibt, sowie Konsultation und Zusammenarbeit mit sonstigen mit Dienstleistungen befassten zwischenstaatlichen Organisationen. Nur im Wege eines kooperativen Vorgehens kann die WTO auch ihrer weiteren Aufgabe gerecht werden, internationale Interdependenzen zu koordinieren und Spannungspotentiale in den Handelsbeziehungen zu entschärfen. Die notwendige Feinsteuerung kann die WTO nur vornehmen, wenn sie auch außerhalb der WTO liegende Faktoren wie internationale Verpflichtungen ihrer Mitglieder oder die Arbeit internationaler Gremien im jeweils betroffenen Bereich mitberücksichtigt. Schließlich haben die WTO-Streitbeilegungsorgane mit der Interpretation des Art. 3 Abs. 2 DSU als Verweis auf die gewohnheitsrechtlich geltenden Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) sowie der Feststellung, dass das WTO-Recht nicht in klinischer Isolierung vom übrigen Völkerrecht stehe, die Stellung der WTO als Teilsystem der internationalen Ordnung bestätigt. Diese Überlegungen haben vier Konsequenzen für die Lösung von Zielkonflikten. Erstens sollten die Streitbeilegungsorgane bei der Prüfung nationalen Rechts am WTO-Recht umfassend die anderweitigen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitglieder berücksichtigen. Zweitens müssen sie die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der WTO selbst beachten. Drittens sollten sie im Rahmen des rechtlich Möglichen auch Rücksicht auf Entscheidungen, Erklärungen und andere unverbindliche internationale Akte nehmen. Und viertens ist darüber nachzudenken, inwieweit sonstige internationalisierte Wertvorstellungen in das WTORecht integriert werden können.
144 Vgl. hierzu auch die „Erklärung zum Beitrag der WTO zur Stärkung der globalen Kohärenz wirtschaftspolitischer Entscheidungen“ im Rahmen der Uruguay-Runde, abgedruckt in Benedek, Welthandelsorganisation, S. 536.
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A. Völkerrechtliche Verpflichtungen der WTO-Mitglieder Darüber, dass die Streitbeilegungsorgane auch die anderweitigen völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten bei der Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen haben, herrscht in der Literatur inzwischen wohl weitgehend Einigkeit145. Art. 31 Abs. 3 c) WVRK sieht vor, dass bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags „jeder in den Beziehungen der Parteien einschlägige Völkerrechtssatz“ zu „berücksichtigen“ ist. Da Art. 31 WVRK insgesamt als gewohnheitsrechtlich verfestigt gilt, findet diese Bestimmung über Art. 3 Abs. 2 DSU im Auslegungsprozess Anwendung. Das ist durchaus von praktischer Bedeutung. Die WTO-Mitglieder sind gleichzeitig Vertragsstaaten zahlreicher völkerrechtlicher Verträge in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsrecht, Umweltschutz etc. Zudem sind die WTO-Mitglieder auch völkergewohnheitsrechtlich in vielfacher Hinsicht gebunden. So stellen beispielsweise die Normen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) nach vielfach vertretener Auffassung inzwischen zumindest teilweise Völkergewohnheitsrecht dar146. Hierzu gehört beispielsweise ein individuelles, gegen den Staat gerichtetes Recht auf Gesundheit und ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Stehen handelsbeschränkende Maßnahmen der WTO-Mitglieder im Zusammenhang mit entsprechenden Verpflichtungen, kann bzw. muss daran gedacht werden, diese Verpflichtung bei der Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen. Das ist relativ unumstritten. Gleiches gilt dafür, dass diese völkerrechtlichen Normen vor allem im Weg der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe in das WTO-Recht gelangen147; dabei ist auf die völkerrechtliche Lage im Zeitpunkt der Auslegung, nicht im Zeitpunkt der Schaffung des WTO-Rechts abzustellen148. 145 Ausführlich Marceau, JWT 1999, S. 124; Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 ff.; Neumann, Koordination des WTO-Rechts. 146 Buergenthal, International Human Rights, S. 29; vgl. auch Glendon, nach der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf dem Weg ist, zu einer „heiligen Schrift“ zu werden; Glendon, Notre Dame L Rev 1998, S. 1153. 147 Pauwelyn, AJIL 2001, S. 572, 573; Sinclair, Vienna Convention, S. 139. 148 Die Gegenauffassung wurde vom StIGH 1925 im Mossul-Fall vertreten; vgl die Nachweise bei Verdross / Simma, Völkerrecht, § 782. Die Auffassung ist jedoch kaum haltbar, da sie dem Völkerrecht eine Öffnung gegenüber den Veränderungen einer zunehmend zusammenwachsenden Welt – und damit Überzeugungskraft – verwehrt. Zudem erkennen auch Art. 31 Abs. 3 a) und b) WVRK die Relevanz späterer, nach Vertragsabschluß erfolgender Vorgänge an. Schließlich ist auch die International Law Commission, auf deren Entwurf die WVRK zurückgeht, von der Beachtlichkeit der völkerrechtlichen Lage nach Abschluss des Vertrags ausgegangen, vgl. United Nations, International Law Commission 1966, S. 222. Das WTO-Recht ist daher dynamisch zu interpretieren; so auch Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 21; Sinclair, Vienna Convention, S. 139. Der IGH hat eine dynamische Interpretation im Namibia Gutachten von 1971, ICJ Reports 1971 S. 31 f. und im Urteil zum Aegean Sea Continental Shelf Case von 1978, ICJ Reports 1978, S. 34 f. vorgenommen.
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Zwei Probleme sind im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 c) WVRK hingegen gegenwärtig ungeklärt und sollen hier kurz angerissen werden149. Das erste betrifft die Frage, ob völkerrechtliche Normen, die Menschenrechte beinhalten, einen Vorrang gegenüber WTO-rechtlichen Normen beanspruchen können. Gestützt werden könnte diese Ansicht auf Art. 103 UN-Charta, die bestimmt: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang“. Zu diesen Verpflichtungen der Mitglieder der UN gehören nach Art. 55 UN-Charta auch die Pflicht der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte150. „Menschenrechte“ werden aber in der Charta nicht näher spezifiziert, so dass diese Verpflichtung doch recht vage erscheint. Howse / Mutua argumentieren dennoch, dass menschenrechtliche Verpflichtungen, jedenfalls wenn sie universell anerkannt sind, im Fall eines Konflikts über Art. 103 UN-Charta Vorrang vor anderweitigen Verpflichtungen genießen151. In der Tat ist es nicht Aufgabe der Rechtsanwendung, unklare oder vage, aber existente Normen zu ignorieren, sondern sie zu konkretisieren und im Einzelfall sinnvoll anzuwenden152. Versteht man unter einem „Konflikt“ im Sinne von Art. 103 UN-Charta eine Situation, in der die Beachtung der einen Norm notwendig die Verletzung der anderen beinhaltet, lassen sich durchaus vertretbare Ergebnisse erzielen153: geht es um eine Maßnahme, die universell anerkannte Menschenrechte – also im Wesentlichen solche Menschenrechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die gewohnheitsrechtlichen Status erlangt haben – fördern oder schützen will und ist keine Auslegung möglich, die diese Maßnahmen in Einklang mit dem WTO-Recht bringen würde, so genießt die entsprechende Maßnahme Vorrang. Die Anzahl der Fälle, in denen eine „harmonische“ Auslegung nicht möglich ist, dürfte dabei begrenzt bleiben. Eine zweite schwierige und umstrittene Frage im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK ist, wer Mitglied des betreffenden Völkerrechtssatzes sein muss. Ist es er149 Zur weiteren ungeklärten Frage, wie unverbindliche Sätze im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK zu behandeln sind, siehe den folgenden Abschnitt. 150 In diesem Sinne auch Bernhardt, in: Simma, Charta der Vereinten Nationen, Art. 103 Rn. 10, demzufolge jedenfalls alle unmittelbar aus der Charta folgenden Verpflichtungen unter Art. 103 UN-Charta fallen. 151 Howse / Mutua, Protecting Human Rights in a Global Economy, S. 14. 152 Das übersieht Alvarez, der in einer Replik auf Howse / Mutua einige abstrus erscheinende Beispiele auflistet, um die Weite dieses Ansatzes zu kritisieren, siehe Alvarez, Widener Law Symposium Journal 2001, S. 1 f.; befürwortend hingegen wohl Petersmann, EJIL 2002, S. 625; Petersmann, JIEL 2001, S. 38. 153 Die genaue Definition eines „Rechtskonflikts“ im Völkerrecht ist unklar. Nach Jenks geht es um eine Situation, in der ein Mitglied zweier Verträge nicht gleichzeitig Verpflichtungen aus beiden Verträgen erfüllen kann, vgl. die Nachweise bei Pauwelyn, AJIL 2001, S. 545. Die hier verwendete Definition entspricht der des Berufungsgremiums im Bericht zu „Guatemala – Anti-Dumping Investigation Regarding Portland Cement from Mexico“, WT / DS60 / AB / R, Rn. 65; vgl. auch Pauwelyn, AJIL 2001, S. 551.
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forderlich, dass alle Mitglieder der WTO-Vertragsstaaten sind154? Oder reicht es aus, wenn nur die Konfliktparteien Mitglieder oder sogar nur eine Konfliktpartei Mitglied der entsprechenden Konvention sind bzw. ist155? Weder der Wortlaut noch Praktikabilitätsgesichtspunkte legen die erste Alternative nahe. Art. 31 Abs. 3 c) WVRK spricht von „in den Beziehungen der Vertragsparteien“, spricht also – anders als beispielsweise Art. 31 Abs. 2 a) WVRK – nicht von „allen Vertragsparteien“156. Die praktische Bedeutung von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK wäre zudem gleich null, würde die Mitgliedschaft aller inzwischen 146 Mitgliedstaaten erforderlich sein157. Dass dies zur Folge hat, dass die Auslegung von WTO-Vorschriften für einige Mitglieder einen geringfügig anderen Inhalt produziert als für andere, ist dem Völkerrecht zudem nicht fremd: die Vertragsparteien eines multilateralen Vertrages können z. B. durch so genannte Modifikationen inter se nach Art. 41 WVRK die Bestimmungen im bilateralen Verhältnis abändern158. Allerdings dürfte im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK im Grundsatz notwendig sein, dass die jeweils an einem Disput beteiligten Konfliktparteien Mitglieder des betreffenden Abkommens sind. Denn anwendbar sind nach Art. 31 Abs. 3 c) WVRK in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien „anwendbare einschlägige“ Völkerrechtssätze. Das ist eben nur der Fall, wenn die beiden beteiligten Konfliktparteien auch Mitglieder des entsprechenden Abkommens sind. Aus rein juristischer Sicht erschiene es auch problematisch, wenn völkerrechtliche Regelungen, an denen ein Staat nicht mitgewirkt hat und denen er unter Umständen gar nicht zustimmen würde, für diesen Staat über eine Einbeziehung in die Auslegung des WTO-Rechts Wirkung entfalten können159.
B. Völkerrechtliche Verpflichtungen der WTO Völkerrechtliche Bindungen der WTO selbst sind, soweit ersichtlich, in der Literatur noch nicht thematisiert worden. Lediglich Marceau gibt einen vorsichtigen Hinweis darauf, dass sich die WTO völkerrechtlich haftbar machen könnte, wenn sie völkerrechtliche Normen, die für sie verbindlich sind, nicht berücksichtigt160. In der Tat ist das Problem grundsätzlich von Bedeutung. Übersehen die Streitbeile154 So das GATT-Panel zu „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, DS29 / R, ebenso Neumann, ZaöRV 2001, S. 540. 155 So implizit das Berufungsgremium im Bericht zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, WT / DS58 / R, Abs. 7.57 ff. 156 Marceau, JWT 1999, S. 124. 157 Stand: 5. Aril 2004. 158 In diesem Sinne auch Marceau, JWT 1999, S. 124; Pauwelyn, AJIL 2001, S. 575; Gaedtke, Aussenwirtschaft, 2003, S. 106. 159 Ähnlich wohl Marceau, EJIL 2002, S. 782; vgl. auch Pauwelyn, der genügen lässt, dass alle WTO-Mitglieder eine bestimmte Regelung tolerieren, Pauwelyn, AJIL 2001, S. 575. 160 Marceau, EJIL 2002, S. 802.
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gungsorgane bei der Auslegung des WTO-Rechts ihre eigenen Verpflichtungen, wäre der WTO der durch die Streitbeilegungsorgane verursachte Verstoß gegen WTO-Verpflichtungen haftungsrechtlich ohne weiteres zuzurechnen. Ausgangspunkt für völkerrechtliche Verpflichtungen der WTO ist ihre Fähigkeit, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein. Als staatlicher internationaler Organisation kommt ihr eine solche Fähigkeit, d. h. Völkerrechtssubjektivität, grundsätzlich zu161. Vor allem haben die WTO-Mitglieder im WTO-Recht deutlich gemacht, dass sie der WTO Völkerrechtssubjektivität zuerkennen. So haben sie beispielsweise in Art. VIII Abs. 5 WTO-Vertrag der WTO das Recht eingeräumt, ein Sitzabkommmen zu schließen162. Den völkerrechtlichen Rechten stehen aber auch einige völkerrechtliche Pflichten gegenüber. Die praktische Relevanz völkerrechtlicher Verpflichtungen dürfte sich jedoch in Grenzen halten. Eigene völkervertragsrechtliche Verpflichtungen ist die WTO nicht eingegangen. Insbesondere hat die WTO, anders als IWF und Weltbank, kein Abkommen mit den Vereinten Nationen geschlossen, das die WTO zu einer UNSonderorganisation machen würde und damit auf die in der UN-Charta angelegte Aufgabe der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte verpflichten würde163. An Verträge, denen die Organisation nicht selbst als Mitglied angehört, kann sie nicht gebunden sein164. Völkerrechtliches Gewohnheitsrecht bindet, soweit es nicht regionales Gewohnheitsrecht darstellt oder sich Völkerrechtssubjekte ausdrücklich gegen seine Geltung gewandt haben, alle Völkerrechtssubjekte. Damit sind auch internationale Organisationen wie die WTO erfasst und müssen bei ihrer Tätigkeit Gewohnheitsrecht beachten165. Die Streitbeilegungsorgane müssen daher die WTO bindendes Gewohnheitsrecht beachten. Es handelt sich aber im Hinblick auf die Zielkonfliktproblematik um gewohnheitsrechtliche Verpflichtungen, die auch die Mitglied161 Der IGH erkannte dies im Fall „Reparations for Injuries suffered in the Service of the United Nations“ ausdrücklich an, ICJ Rep. 1949, 174, 178. Vgl. auch Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 190; Ipsen, S. 402. 162 Art. VIII Abs. 1 WTO-Vertrag betrifft dagegen die Rechtspersönlichkeit innerhalb der Mitgliedstaaten, damit nicht auf internationaler Ebene. 163 Ob dies die Konsequenz der Abkommen von IWF und Weltbank mit den UN ist, ist stark umstritten, aber wohl zu bejahen. Siehe hierzu ausführlich Skogly, Human Rights Obligations of IMF and World Bank, S. 105 ff. Zur Stellung der Sonderorganisationen und insbesondere der WTO gegenüber den UN auch von Schorlemer, Vereinte Nationen, 2001, S. 101. 164 Nach Art. 35 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen können internationale Organisationen als Dritte nicht durch Vertragsrecht gebunden sein, es sei denn, sie akzeptieren eine solche Bindung ausdrücklich und im schriftlichen Wege; vgl. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen vom 21. 03. 1986 (BGBl. 1990 II, 1414); das Übereinkommen ist allerdings noch nicht in Kraft. 165 Schermers / Blokker, International Institutional Law, S. 988.
5 Gaedtke
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staaten treffen. Allenfalls in dem – wohl unwahrscheinlichen – Fall, dass für eine Streitpartei als „persistent objector“ Gewohnheitsrecht nicht entstanden ist, es für die WTO jedoch gilt, kann die eigene Verpflichtung der WTO zu einem materiellen Zuwachs von Verpflichtungen führen166.
C. Unverbindliche internationale Sätze Ein weiteres Problem, das trotz großer praktischer Relevanz in der mittlerweile umfangreichen Literatur zum Verhältnis des WTO-Rechts zur internationalen Rechtsordnung überraschenderweise noch kaum thematisiert wird, ist die Behandlung von „soft law“, also unverbindlicher internationaler Dokumente wie Deklarationen, Memoranden of Understanding oder Resolutionen. Sind auch diese Dokumente „Sätze des Völkerrechts“, die über Art. 31 Abs. 3 c) WVRK bei der Auslegung Berücksichtigung finden können? Zahlreiche Autoren scheinen davon implizit auszugehen, wenn sie unverbindliche internationale Instrumente wie selbstverständlich zur Ausfüllung der Begriffe des WTO-Rechts heranziehen167. Der Wortlaut würde eine Einbeziehung von unverbindlichen Sätzen wohl zulassen, unterscheidet man zwischen „Sätzen des Völkerrechts“ („rules of international law“) und „Normen des Völkerrechts“ („norms of international law“)168. Sieht man in einem „Satz“ des Völkerrechts den weiteren Begriff, muss dieser notwendig mehr als nur (verbindliche) Normen erfassen und bietet mithin Raum auch für soft law169. Zwar ist soft law eben unverbindlich und damit an sich gerade kein „law“, doch wird dieser Widerspruch, der ja schon der Bezeichnung immanent ist, in der Literatur regelmäßig hingenommen170. Es ist daher durchaus vertretbar, Art. 31 Abs. 3 c) WVRK als offen für eine Interpretation anzusehen, die auch „Sätze“ des soft law umfasst. Und selbst wenn man sich dem nicht anschließen wollte, be166 Zur Problematik des „persistent objector“ und der Entstehung von Gewohnheitsrecht siehe Ipsen, Völkerrecht, S. 191. 167 Siehe nur McCrudden, GPA and Social Issues, S. 27; Feddersen, Ordre Public, S. 261; andere Autoren beziehen Art. 31 Abs. 3 c) WVRK wie selbstverständlich nur auf die in Art. 38 IGHSt genannten Rechtsquellen, vgl. beispielsweise Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 366. 168 Die Einbeziehung von soft law befürwortet ausdrücklich Trueb, Umweltrecht in der WTO, S. 228 f. 169 Dies wird in allerdings nicht ganz schlüssiger Weise angedeutet von Marceau, EJIL 2002, S. 780 und vertreten von Howse, Journal of World Intellectual Property 2000, S. 493. Howse ist der Auffassung, dass die im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geschaffenen Dokumente von der WTO berücksichtigt werden müssten. 170 Instruktiv zur zunehmenden Bedeutung von soft law Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 13, 37 und 82 f.; kritisch zur Aufweichung des Rechtsbegriffs im selben Werk Kunig, S. 152; ausführlich zum Problem des soft law im Völkerrecht Hilgenberg, ZEUS 1998, S. 81 ff.; siehe auch Hafner, in: Griller, International Economic Governance, S. 150.
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stünde doch Raum, unverbindliche internationale Akte im Rahmen einer teleologischen Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen. Denn die Berücksichtigung auch von unverbindlichen internationalen Sätzen bei der Auslegung, die zum Aufbau einer harmonischen internationalen Ordnung beitragen, fördert durchaus die Zwecksetzung der WTO, das internationale Wirtschaftsgeschehen unter Integration des Teilsystems der WTO in die internationale Ordnung zu koordinieren. Dass diese Überlegungen für die Lösung von Zielkonflikten eine hohe Relevanz besitzen, ist unschwer erkennbar. Das gilt natürlich auch für den Bereich des Vergabewesens. In diesem Bereich können daher auch unverbindliche vergaberechtliche Übereinkommen berücksichtigt werden. Ein wichtiges Beispiel ist das Model Law on Procurement of Goods and Construction der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL)171. Das – unverbindliche – Modellgesetz enthält umfangreiche Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten der UN als Maßstab bei der Schaffung ihrer nationalen Vergabegesetze dienen sollen, mithin Anstrengungen zur Harmonisierung nationaler Vergaberechtsordnungen172. Nun wäre es außerordentlich misslich, wenn die UN-Mitglieder ihre Vergabegesetze nach den Vorgaben der UN ausrichteten und die WTO diese Vergabegesetze dann für unzulässig erklärte. Im Sinne einer kohärenten internationalen (Rechts-)Ordnung ist daher erforderlich, dass die WTO bei der Auslegung des GPA die Bestimmungen des Model Law on Procurement zumindest berücksichtigt. Dies kann in rechtlich vertretbarer Weise wohl nur in der soeben aufgezeigten Weise erfolgen. Ähnliches gilt für die Berücksichtigung der umfangreichen Vergaberegeln der Weltbank als Sonderorganisation der WTO173.
D. Berücksichtigung internationalisierter Wertvorstellungen Darüber hinaus hat die Rechtsprechung des Berufungsgremiums bereits jetzt dazu Anlass gegeben, über die Berücksichtigung internationaler Wertvorstellungen bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe nachzudenken. Im Garnelenfall hat das Berufungsgremium seine Auffassung, dass „abgestimmte und kooperative Bemühungen zur Erschöpfung diplomatischer Mittel“ erforderlich seien, bevor ein Staat unilaterale Maßnahmen in Form eines Importverbots verhängen dürfe, auf mehrere internationale Dokumente gestützt. Dazu gehörte die „Convention on Bio171 UNCITRAL Model Law on Procurement of Goods, Construction and Services, 1994 angenommen von der Generalversammlung der UN; siehe Official Record of the General Assembly, 49th Session, Supplement No. 17 / A / 49 / 17); im Internet: http: //www.uncitral.org/ english/texts/procurem/proc93.htm; zur Arbeit der UNCITRAL ausführlich Berger, Vereinte Nationen, S. 6 ff. 172 Ausführlich zum UNCITRAL Model Law Hunja, in: Arrowsmith / Davies, Procurement Revolution, S. 97 ff.; Wallace, PPLR 1992, S. 406; Westring, PPLR 1994, S. 306. 173 Die Bedeutung der Weltbank im Vergabewesen ist hoch; die Bank gab Mitte der 90er Jahre stündlich 2,5 Mio. $ für Aufträge aus, vgl. Tucker, in: Arrowsmith / Davies, Procurement Revolution, S. 139.
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logical Diversity“, ein Abkommen, das die Streitpartei USA gar nicht ratifiziert hatte, und dem die USA also nicht als Mitglied angehörten. Ein weiteres Dokument – die „Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals“ – hatten die Kläger des Verfahrens nicht einmal unterzeichnet; sie waren also ebenfalls keine Vertragsparteien. Mit den oben entwickelten Grundsätzen zu Art. 31 Abs. 3 c) WVRK ließ sich dieses Vorgehen des Berufungsgremiums nicht vereinbaren, da hierfür Voraussetzung ist, dass beide Parteien Mitglieder der entsprechenden Dokumente sind. Hinter der Entscheidung des Berufungsgremiums stand der Ansatz der Berücksichtigung internationalisierter Wertvorstellungen174. Ausweislich der von den Streitbeilegungsorganen genannten Dokumente hat sich im internationalen Umweltrecht der Wert der „multilateralen Kooperation“ etabliert, der unilaterales Vorgehen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich macht. Wenn nun zwei völkerrechtliche Umweltabkommen oder auch unverbindliche Regelungen existieren, die entsprechende Aussagen enthalten, und die eine Streitpartei Mitglied des einen und die andere Streitpartei Mitglied des anderen Übereinkommens ist, so haben sich beide Parteien zu diesem Wert bekannt, auch wenn dieser nicht in einem „anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssatz“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK verankert ist175. Es erscheint dann keineswegs unbillig, wenn die Streitbeilegungsorgane diese Situation genauso behandeln, als wären beide Parteien Mitglieder desselben Abkommens176. Als außerrechlich oder rein politisch muss man diesen Ansatz der Streitbeilegungsorgane nicht bezeichnen177. Man könnte auch in diesen Fällen stärker auf Sinn und Zweck der WTO im Sinne des Art. 31 Abs. 1 WVRK abheben, denn immerhin trägt auch die Integration internationalisierter Wertvorstellungen dazu bei, der Aufgabe der WTO nach Koordination des internationalen Handelsgeschehens nachzukommen.
§ 6 Zusammenfassung und Folgerungen für die Lösung von Zielkonflikten Anliegen dieses Abschnitts war, über den unmittelbaren Wortlaut der Vorschriften des WTO-Rechts hinausgehende Determinanten für die Lösung von ZielkonSands, EJIL 2002, S. 301. Wenn auch insbesondere die Ausführungen von Pauwelyn den Versuch erkennen lassen, dieses Vorgehen mit Art. 31 Abs. 3 c) WVRK für vereinbar zu erklären. Pauwelyns Argumentation, die lediglich auf die Tolerierung bestimmter Regelungen durch alle Mitglieder abstellt, erscheint aber doch wenig überzeugend, da sie die Kenntnis aller WTO-Miglieder von den entsprechenden Rechtsakten voraussetzt; siehe hierzu bereits oben sowie Pauwelyn, AJIL 2001, S. 575. 176 Sands, EJIL 2001, S. 301. 177 In diesem Sinne aber Sands, der von einer wertbezogenen Auslegung spricht, Sands, EJIL 2002, S. 301 f. 174 175
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flikten zu untersuchen und daraus Schlussfolgerungen für die Auslegung zu ziehen. Hierzu gehörte erstens die Bestimmung der Funktionen der WTO. Keine Funktion der Organisation ist die Deregulierung nationaler Märkte im Sinne eines allgemeinen Abbaus marktkorrigierender Vorschriften. Die WTO hat lediglich die Aufgabe, Handelsschranken abzubauen und auf diese Weise einen größtmöglichen Wettbewerb zwischen ausländischen und inländischen Produkten zu realisieren. Daneben kommt ihr eine begrenzte marktintegrative Funktion zu, sowie schließlich die Aufgabe, das Spannungspotential der vielen verschiedenen nationalen Vorschriften und Interessen in den internationalen Handelsbeziehungen durch die Entwicklung von Grundsätzen und entsprechenden Lösungen im Konfliktfall zu entschärfen. Von Bedeutung sind zweitens die deregulativen Tendenzen des WTO-Rechts. Es kann kaum ernsthaft bestritten werden, dass das WTO-Recht zu einem starken Druck auf Hochstandardländer führt, Standards zu senken, und wenig Anreize für Niedrigstandardländer bietet, ihre Standards zu heben. Die Abwanderung von Unternehmen in Niedrigstandardländer können Hochstandardländer häufig nur im Wege einer Deregulierung ihrer nationalen Märkte verhindern. Auch die Struktur begünstigt grundsätzlich die Deregulierung nationaler Märkte entgegen der Aufgabe der WTO: durch die starke Betonung der judikativen Kompetenzen der WTO und die unglückliche Formulierung der Ausnahmetatbestände des WTO-Rechts können bestimmte nationale Politikziele, deren Verfolgung mit Tatbeständen des WTO-Rechts kollidiert, nicht mehr realisiert werden. Die Möglichkeit einer Kompensierung dieses Verlusts nationaler Kompetenzen durch legislative Tätigkeit auf internationaler Ebene besteht nicht. Nicht ignoriert werden bei der Beurteilung von Zielkonflikten können drittens gewisse Legitimitätsdefizite der WTO bzw. des Streitbeilegungssystems. Der Begriff wurde vor allem unter formellen Gesichtspunkten betrachtet. Gezeigt haben sich Defizite im Hinblick auf Partizipationsmöglichkeiten im Verfahren vor der WTO sowie bezüglich der Transparenz des Verfahrens. Diese Defizite wirken sich legitimitätsmindernd auf die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane aus. Gesteht man dem Begriff der Legitimität auch eine materielle Dimension zu, so mag eine Grenze der Legitimität der WTO dort bestehen, wo sie grundlegende nationale Wertentscheidungen in Frage stellt. Von einiger Bedeutung ist viertens die Stellung der WTO im internationalen System. Eine Reihe von Politikzielen, die auf nationaler Ebene verfolgt werden, orientieren sich an internationalen Vorschriften oder stehen zumindest damit in Zusammenhang. Als wirtschaftspolitischer Arm des internationalen Systems ist die WTO gehalten, ihre eigenen internationalen Verpflichtungen und die ihrer Mitglieder bei der Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen. Sie muss zudem auch sonstige internationale Sätze samt Aktivitäten anderer internationaler Organisationen in ihre Überlegungen einbeziehen, um ihrer Stellung als Teilordnung einer internationalen Ordnung gerecht zu werden.
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1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
Für die Lösung von Zielkonflikten bedeuten diese Ausführungen, dass die Streitbeilegungsorgane bei der Auslegung des WTO-Rechts der Regelungsautonomie der Mitglieder einen erheblichen Stellenwert einräumen sollten. Die Aufgabe der WTO besteht nicht darin, nationale Regulierung des wirtschaftlichen Geschehens abzubauen. Nur insoweit, als nationale Regulierung Handelsbarrieren errichtet, ist ein Tätigwerden der WTO überhaupt gerechtfertigt. Dabei muss die Organisation berücksichtigen, dass sie (handelsfremde) Ziele nationaler und internationaler Politik so weit wie möglich anerkennen sollte. Es fehlt der Organisation an Legitimität, um eine materielle Prüfung vorzunehmen, an deren Ende die Entscheidung für die Vor- oder Nachrangigkeit eines handelsfremden Politikziels gegenüber dem Liberalisierungsanliegen der WTO steht. Es sind zudem typischerweise Entscheidungen dieser Art, die die nationalen Gemüter besonders erhitzen; insbesondere noch „junge“ internationale judikative Gremien wie die WTO-Streitbeilegungsorgane sollten daher gerade in diesen häufig politisch brisanten Fällen zurückhaltend agieren. Eine Koordinierung der gegensätzlichen Interessen bei Zielkonflikten kann die WTO am besten durch eine „modifizierte“ Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung erreichen, wie sie die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände zum WTO-Recht auch nahelegt. Auf nationaler Ebene verfolgte Politikziele sollten die Streitbeilegungsorgane so weit wie möglich als legitime Zwecksetzungen anerkennen. Nationale Maßnahmen sollten aber die Interessen des Welthandels umfassend berücksichtigen, also hinreichend handelsfreundlich ausgestaltet sein und die legitimen Handelsinteressen der anderen Mitglieder der Organisation ausreichend einbeziehen. Von einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit, wie dies aus dem deutschen Recht bekannt ist, wird man bei der Prüfung nationaler Maßnahmen nur in modifizierter Form sprechen können178: zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit gehört eine materielle Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter samt einer Entscheidung, welches Rechtsgut – beispielsweise aufgrund seiner besonderen Bedeutung – im Einzelfall den Vorrang beanspruchen kann179. Eben diese Entscheidung ist der WTO nach den oben untersuchten Kriterien aber verwehrt; die Organisation kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung daher lediglich mit der Maßgabe vornehmen, dass sie das Ziel der nationalen Regelung und seine prinzipielle Gleichwertigkeit mit den Belangen des Welthandels grundsätzlich anerkennt180. Das kann sich im Laufe der 178 Anders aber wohl Epiney, Deutsches Verwaltungsblatt 2000, S. 83, die auch für eine Angemessenheitsprüfung zu plädieren scheint. 179 Dies geschieht im deutschen Verfassungsrecht auf der Stufe der „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn“ bzw. „Angemessenheitsprüfung“. Teilweise wird auch von Proportionalitätsprüfung gesprochen. Vgl. beispielsweise Kluth, Juristische Ausbildung 1999, S. 606; Degenhart, Staatsrecht I, S. 154; grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht. 180 Ausführlich zur „Proportionalitätsprüfung“ im WTO-Recht Hilf / Puth, in: von Bogdandy / Mavroidis, European Integration and International Coordination, S. 191; die Autoren weisen in ihrem Beitrag nach, dass die Streitbeilegungsorgane Elemente einer Proportionalitätsprüfung bereits implizit vornehmen, gehen auf den hier problematisierten Aspekt jedoch nicht näher ein. Dass das Proportionalitätsprinzip im WTO-Recht Anwendung findet, hat das
§ 6 Zusammenfassung und Folgerungen für die Lösung von Zielkonflikten
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Zeit ändern: verbessert die WTO ihre legitimatorischen Defizite und erlangt sie die dafür erforderliche Autorität unter den Mitgliedstaaten und der internationalen Öffentlichkeit, wird sie sich auch weitere Eingriffe zutrauen können. In der Zukunft ist eine Abwägung materieller Rechtsgüter durch die Streitbeilegungsorgane also durchaus vorstellbar181. Im Rahmen dieser Prüfung sollte die WTO des weiteren an einer Konkretisierung von Kriterien arbeiten, die nationale Maßnahmen zur Vermeidung von Spannungen in den internationalen Handelsbeziehungen erfüllen müssen. Weiterentwickeln sollten die Streitbeilegungsorgane das WTO-Recht auch insoweit, als sie handelsfremden Zwecken, die im Zusammenhang mit internationalen Mindeststandards stehen, eine gewisse Privilegierung zukommen lassen sollten. Dies gebietet zum einen die beschriebene marktintegrative Funktion wie auch das Gebot, deregulativen Tendenzen des WTO-Rechts entgegenzuwirken. Immer aber müssen die Streitbeilegungsorgane darauf bedacht sein, möglichst nah am Wortlaut der Vorschriften zu bleiben und die beschriebenen Grenzen ihres Auslegungsspielraums nicht zu überschreiten. In der Dogmatik des WTO-Rechts können diese Überlegungen auf der Tatbestandsebene oder / und der Rechtfertigungsebene eingebracht werden. Auf der Tatbestandsseite spielt insbesondere die Reichweite des Diskriminierungsverbots eine Rolle, denn das Diskriminierungsverbot ist das wesentliche „Instrument“ zum Abbau von Handelsbeschränkungen. Es ist allerdings mit der Dogmatik des WTORechts nur schwer vereinbar, den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots durch eine implizite „Protektionismuskontrolle“ der nationalen Maßnahme zu verengen, wie dies etwa durch den „Aims-and-Effects-Test“ geschehen soll(te)182. Denn es kann nicht übersehen werden, dass es die Ausnahmevorschriften – beispielsweise Art. XX GATT oder Art. XXIII Abs. 2 GPA – sind, die mit dem Verbot der „verschleierten Beschränkung des internationalen Handels“ eben eine solche Protektionismuskontrolle vorsehen. Ebensowenig kann übersehen werden, dass die Ausnahmevorschriften mit dem Gebot der „Notwendigkeit“ sowie dem Verbot der „willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen“ Kriterien enthalten, die eine Steuerung von Zielkonflikten über Elemente einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gerade ermöglichen (sollen). Es dürfte mit diesem System nicht vereinbar sein, das DiskriminieBerufungsgremium inzwischen in seinem Bericht zu „United States Transitional Safeguard Measure on Combed Cotton Yarn from Pakistan“, WT / DS192 / AB / R, Ziff. 119, ausdrücklich anerkannt. Wie weit dies mit einer Gewichtung nationaler Politikziele verbunden ist, bleibt aber völlig offen. 181 Voraussetzung hierfür wird eine weitere „Konstitutionalisierung“ des WTO-Rechts sein. Vgl. Uerpmann, Juristenzeitung 2001, S. 572, der in einem konstitutionalisierten (Völkerrechts-)System materielle Abwägungen für möglich hält; zur Konstitutionalisierungsdebatte im Hinblick auf die WTO siehe Nettesheim, Jahrbuch für politische Ökonomie, S. 145, 152. 182 Siehe hierzu unten 2. Teil, § 3 B.
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1. Teil: Teleologische und rechtspolitische Überlegungen
rungsverbot mit den Kriterien der Ausnahmevorschriften zu be- bzw. überladen, um der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten optimal gerecht zu werden. Die Ausnahmevorschriften würden in diesem Fall leerlaufen. Die Streitbeilegungsorgane werden das von den Verträgen vorgegebene System insoweit respektieren und ihr Augenmerk daher eher auf die Interpretation der Ausnahmetatbestände legen müssen183.
183 Dies wird auch von Robinson angedeutet, vgl. Robinson, in: Sampson: The Role of the WTO in Global Governance, S. 216.
2. Teil
Politische Auftragsvergabe in ausgewählten GPA-Mitgliedstaaten und ihre rechtliche Zulässigkeit Der erste Teil dieser Arbeit hat für die Lösung von Zielkonflikten generell relevante Determinanten erarbeitet. Die angestellten Überlegungen fließen in die Bearbeitung von Zielkonflikten in allen Bereichen des WTO-Rechts ein. Dies gilt auch für das öffentliche Auftragswesen, dem sich der folgende zweite Teil widmet. Es wird daher bei der Untersuchung der Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe immer wieder – insbesondere im Rahmen der Ausnahmetatbestände des GPA – auf die im ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse Bezug zu nehmen sein. Die Untersuchung kann und soll nicht abstrakt erfolgen, sondern sich an den in der Praxis bei der öffentlichen Auftragsvergabe eingeforderten politischen Kriterien orientieren. Deren Bestimmung und Erläuterung ist Anliegen von § 1 dieses Teils, der gleichzeitig auch die notwendigen begrifflichen Grundlagen des Vergabewesens klären wird. Die Darstellung kann sich nicht auf die Rechtslage und Praxis in allen Mitgliedstaaten des GPA erstrecken. Das ist auch nicht notwendig, weil die mit dem Auftragswesen verfolgten Zwecke meist die gleichen sind. Die Darstellung beschränkt sich daher – stellvertretend für die anderen Mitglieder – auf die USA und die Bundesrepublik Deutschland. Mit Bezug zu letzterer ist eine kurze Erläuterung der europarechtlichen Zusammenhänge erforderlich, ohne die die deutschen Vergaberegeln heute nicht mehr verständlich sind. Dies wird auch deshalb für die Zwecke dieser Arbeit hilfreich sein, weil sich im Europarecht zum Teil ähnliche Fragen zur politischen Zweckverfolgung im Vergabewesen gestellt haben bzw. stellen wie im WTO-Recht. Die politischen Kriterien, die für die vorliegende Untersuchung ausgewählt wurden, wurden aufgrund ihrer praktischen Relevanz und / oder ihres besonderen Konfliktpotentials herangezogen. Weit mehr Zwecke als die vorgestellten sind in der Praxis denkbar und zu finden. Die Auflistung versteht sich daher ebenso wie die Untersuchung insgesamt als beispielhafte Abhandlung, die die mit einigen wichtigen politischen Zielsetzungen verbundenen rechtlichen Probleme verdeutlichen soll. Im Rahmen einer konkreten Auftragsvergabe stellt sich zunächst die in § 2 behandelte Frage nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs des GPA; wird sie verneint, ist die Maßnahme – jedenfalls nach WTO-Recht – zulässig. Für die Auf-
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
träge, die unter das GPA fallen, ist sodann zu prüfen, ob die Verbotstatbestände, die das GPA enthält, politische Zweckverfolgung ganz oder teilweise erfassen. Diese wichtige Prüfung wird in § 3 ausführlich vorgenommen. Sind vergaberechtliche Maßnahmen danach unzulässig, stellt sich die in § 4 behandelte Problematik der Rechtfertigung. Nach dem GPA zulässige Maßnahmen, die die vom GPA gewährten Rechte der Mitglieder dennoch schmälern, können schließlich zum Gegenstand sog. Nichtverletzungsbeschwerden gemacht werden. Ihre Bedeutung für die politische Auftragsvergabe wird in § 5 dieses Teils untersucht.
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik A. Begriff und Formen politischer Auftragsvergabe I. Begriff Die Instrumentalisierung des Vergabewesens für politische Zwecke ist in nahezu allen Rechtsordnungen stark verbreitet1. Vor allem in der deutschen Literatur wird diskutiert, wo genau die Grenze zur Instrumentalisierung zu ziehen ist, wann sich also ein im Vergabeverfahren verfolgtes Ziel nicht mehr lediglich auf den Beschaffungszweck, sondern auf einen darüber hinausgehenden Zweck bezieht2. Der Abgrenzungsfrage wird nicht überall große Bedeutung beigemessen. So spielt sie im amerikanischen Recht nur eine untergeordnete Rolle, weil sich die Prüfung der Zulässigkeit politischer Zweckverfolgung stark am konkreten Zweck orientiert und davon auch die Zulässigkeit abhängig gemacht wird; entsprechend verläuft die Diskussion in der Literatur3. Im deutschen Recht wird methodisch eher umgekehrt vorgegangen, also von der allgemeinen (Un-)Zulässigkeit politischer Zweckverfolgung auf den konkreten Fall geschlossen. Daher muss sich das deutsche Recht stärker mit der Frage befassen, was unter politischen Kriterien überhaupt zu verstehen ist4. Auf der internationalen Ebene spielt die Begrifflichkeit ebenfalls keine ähnliche große Rolle für die juristische Prüfung wie im deutschen Recht. Allerdings entbindet dies nicht von der Notwendigkeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen, was konkret unter politischer Zweckverfolgung im Auftragswesen zu verstehen ist. Aufschlussreich ist insoweit die in der deutschen Diskussion häufig verwendete Bezeichnung politischer Zielsetzungen als „vergabefremde Kriterien“5. Damit sind meist solche Kriterien gemeint, die sich nicht auf den BeschafArrowsmith, Journal of International Economic Law 2002, S. 761. Ausführlich hierzu Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 63 ff. 3 Vgl. z. B. Keyes, Government Contracts, S. 429 ff.; Whelan, Federal Government Contracts, S. 169 ff.; Tiefer / Shook, Government Contract Law, S. 387 ff. 4 Die Zulässigkeit nach deutschem Recht behandeln ausführlich Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 293 ff.; Kling, Vergabefremde Regelungen. 1 2
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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fungszweck der Herstellung und Bewahrung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung beziehen; „vergabefremd“ sind alle Kriterien, die nicht auf die Beschaffung derjenigen Sachmittel und Leistungen gerichtet sind, die die Verwaltung zur Erfüllung ihrer bestimmungsgemäßen Aufgaben benötigt6. Die „vergabefremden“ Kriterien unterscheiden sich damit von den „leistungsbezogenen“ oder „auftragsbezogenen“ Kriterien, die einen Bezug zu diesen Aufgaben aufweisen. Der Begriff ist allerdings problematisch. Denn er beinhaltet bereits die Wertung, dass die nicht auf den so definierten Beschaffungszweck bezogenen Zwecke dem Vergabeverfahren „fremd“ und damit unerwünscht sind. Teilweise wird die Bezeichnung „vergabefremde Kriterien“ sogar als Kampfbegriff bezeichnet7. Das ist misslich, denn das Vergabewesen kann durchaus als legitimes Instrument zur Durchsetzung staatlicher Politikziele angesehen werden. Auf der Ebene des deutschen Rechts hat seine Verwendung zudem keine Berechtigung mehr, da der neue § 97 Abs. 4 GWB den Begriff „andere oder weitergehende Anforderungen“ verwendet8. Aus diesen und weiteren Gründen wird in den zuletzt erschienenen Arbeiten zur Problematik politischer Zwecke der Begriff „vergabefremde Kriterien“ begrüßenswerterweise zumeist abgelehnt9. Auch im Rahmen dieser Arbeit wird er nicht verwendet, denn es ist unangebracht, einen in der nationalen Diskussion vorbelasteten Begriff auf die internationale Ebene zu übertragen. Es ist sinnvoller, mit einem wertungsfreien Begriff zu operieren, der am ehesten geeignet ist, auf internationaler Ebene angenommen zu werden. Der von Benedict vorgeschlagene Begriff der „Sekundärzwecke“, der sich an der englischsprachigen Bezeichnung orientiert („secondary objectives“) erfüllt diese Bedingung ebenso wie der von Schäfer gewählte Begriff der „öffentlichen Belange im Beschaffungswesen“, der durch das Kriterium der „Öffentlichkeit“ allerdings etwas enger gefasst ist. Er deckt sich weitgehend mit dem hier gewählten Begriff der politischen Belange. „Politische“ Belange sind solche, die sich auf die Durchsetzung bestimmter Ziele im staatlichen Bereich und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens beziehen10. Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung hat sich statt der Bezeichnung „politische Belange 5 So bei Noch, Vergaberecht, S. 199; Götz, EuR, S. 621 ff.; Riese, Vergaberecht, S. 201, hält den Begriff für deplatziert, verwendet ihn aber, da er sich eingebürgert habe. 6 Benedict, Sekundärzwecke, S. 17; Schäfer, Öffentliche Belange, S. 48; Neßler, DÖV 2000, S. 147. 7 Vgl. Schäfer, S. 50; Weissenberg, DB 1984, S. 2285, in Fn. 5. 8 Rust, EuZW 1999, S. 453 f.; Rust, EuZW 2000, S. 205, 206. 9 Vgl. Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 66: „Die im Begriff ,beschaffungsfremd‘ angelegte Vermengung der Bezeichnung des Phänomens und seiner rechtlichen Bewertung steht einer genauen und differenzierten Diskussion ebenso im Wege wie die Ungewissheit darüber, welche Kriterien dieser Begriff erfassen soll; ähnlich Schäfer, Öffentliche Belange, S. 50; Benedict, Sekundärzwecke, S. 17 und 20; anders aber Kling, Vergabefremde Regelungen. 10 Vgl. Duden, Fremdwörterbuch, S. 638.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
im Auftragswesen“ auch die Bezeichnung der „politischen Auftragsvergabe“ eingebürgert11; diese Bezeichnung wird hier übernommen. II. Formen politischer Auftragsvergabe Bedeutsamer für die Zulässigkeit nach dem GPA ist hingegen die Unterscheidung verschiedener Kategorien politischer Auftragsvergabe. Unterschieden werden kann danach, welchen Anknüpfungspunkt die Vergabestelle für die Verfolgung eines politischen Ziels wählt. Eine erste Kategorie machen politische Zwecke aus, die sich auf das zu beschaffende Gut beziehen, mithin „angebotsbezogen“ oder „produktbezogen“ sind. Sie beschreiben die Anforderungen, die das Produkt zu erfüllen hat. Innerhalb dieser Kategorie gibt es solche Zwecke, die das zu beschaffende Gut auf einer ersten Ebene überhaupt erst definieren, wie zum Beispiel die Beschaffung „umweltfreundlicher“ Busse oder Kopiergeräte. Es erscheint grundsätzlich legitim und einleuchtend, dass eine Vergabestelle ein Interesse daran hat zu bestimmen, welche Güter es überhaupt beschaffen will. Gesehen werden muss aber, dass die Beschreibung eines Produktes zahlreiche Möglichkeiten bietet, missliebige Bewerber von vornherein von der Auftragsvergabe fernzuhalten. Dies geschieht meist auf der zweiten Ebene der Produktdefinition, auf der Anforderungen wie technische Normen und sonstige spezifische Beschreibungen – häufig handelt es sich dabei um sog. technische Spezifikationen – verlangt werden, die häufig zu Lasten ausländischer Unternehmer gehen12. Ebenfalls als angebotsbezogen können solche politischen Zielsetzungen angesehen werden, die sich auf die Herstellung des Produkts oder Eigenschaften des Unternehmers beziehen und einen unmittelbaren Niederschlag im Produkt selbst finden. Ein Beispiel hierfür ist die in Deutschland von einigen Vergabestellen verlangte Scientology-Erklärung des Unternehmers, mit der dieser zusichern muss, nicht in Kontakt mit der Lehre der Scientology-Sekte zu stehen13. Werden beispielsweise Schulbücher oder anderes Schulungsmaterial beschafft, so kann durchaus ein direkter Zusammenhang zwischen diesem unternehmensbezogenen Aspekt und dem beschafften Produkt bestehen; in diesem Fall handelt es sich um einen angebotsbezogenen Gesichtspunkt. In die zweite Kategorie der „bieterbezogenen“ Kriterien fallen zum einen die produktionsbezogenen Aspekte. Eine Reihe vergaberechtlicher Kriterien fordert die Einhaltung bestimmter Verfahrensweisen im Produktionsprozess, die beispielsweise als arbeitnehmerfreundlich oder als besonders umweltschützend angesehen 11 Siehe nur Neßler, DÖV, 2000, S. 145; auch Meyer spricht von „politisierter“ Beschaffung bzw. Auftragsvergabe, S. 83 f. 12 Ausführlich hierzu Abschnitt § 3 C. dieses Teils. 13 Vgl. unten § 1 C.IV.
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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werden. Diese Kriterien beziehen sich auf den Herstellungsprozess und damit die Art und Weise, wie der Unternehmer seine Unternehmensabläufe einrichtet. Zum anderen sind auch die in der Praxis zahlreich vorzufindenden Kriterien bieterbezogen, die in keinem Zusammenhang mehr mit dem Produkt stehen, sich also lediglich auf produktunabhängige Eigenschaften des Unternehmers beziehen. Damit sind Kriterien wie die Staatszugehörigkeit des Unternehmens, der Ort der Ansässigkeit des Unternehmens oder sein Investitionsverhalten gemeint. In der Terminologie des deutschen Rechts und des Europarechts dürfte es sich bei den bieterbezogenen Aspekten regelmäßig um „Eignungskriterien“ handeln, da sie sich auf Eigenschaften des Unternehmers beziehen14; die Terminologie ist aber insbesondere in der Rechtsprechung des EuGH keineswegs eindeutig, weshalb hier von einer entsprechenden Bezeichnung abgesehen wird.
B. Rechtliche Grundlinien politischer Auftragsvergabe in Deutschland und den USA Im Rahmen dieser Arbeit interessieren vor allem Rechtslage und Praxis im Hinblick auf politische Auftragsvergabe in den Mitgliedstaaten des GPA; nur diese müssen das Abkommen beachten. Stellvertretend für die Praxis der anderen Mitglieder sollen in diesem Abschnitt die Eckpunkte der Problematik in Deutschland und in den USA vorgestellt werden. Dabei ist die Rechtslage in Deutschland stark von den Vorgaben des europäischen Vergaberechts beeinflusst15. Die europarechtlichen Bedingungen sind auch deshalb besonders interessant und daher genauer zu betrachten, weil häufig ein Vergleich zwischen der Europäischen Integration und der im Rahmen der WTO erfolgenden Integration gezogen wird. Zwar wurde im ersten Teil deutlich, dass dieser Vergleich hinkt; die Behandlung der Problematik im Europarecht liefert aber dennoch einige für das GPA aufschlussreiche Ansätze. I. Bundesrepublik Deutschland Im deutschen Vergabewesen ist politische Zweckverfolgung seit langem ein verbreitetes Mittel zur Durchsetzung staatlicher Politikziele 16. Dies entspricht grundsätzlich der ordnungspolitischen Vorstellung eines Staates, der regulierend und korrigierend in marktwirtschaftliche Abläufe eingreift, mithin dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft17. Dennoch ist umstritten, ob die Verfolgung politischer Noch, Vergaberecht, S. 181, 183. Eine umfassende Darstellung findet sich bei Priess, Handbuch des Europäischen Vergaberechts. 16 Ausführlich hierzu bereits Pietzcker, Staatsauftrag, S. 303 ff.; Pietzcker weist darauf hin, dass schon Anfang des 20. Jahrhunderts die Bedeutung staatlicher Aufträge im Schiffsbau – beim Ausbau der Marine – für die Förderung des technischen Fortschritts auf diesem Gebiet gesehen wurde. 14 15
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Zwecke im Bereich des öffentlichen Auftragswesens wünschenswert ist. Die Gegner stützen sich im wesentlichen auf zwei Argumente: erstens sei politische Auftragsvergabe ineffizient. Rittner argumentiert, dass eine direkte Förderung der politischen Ziele diese viel besser, sicherer und zielgenauer erreichen würde18. Zudem würden nur gegenüber Unternehmen, die sich um Staatsaufträge bewerben, die Politikziele durchgesetzt, und damit nur gegenüber einem Bruchteil der Gesellschaft19. Vor allem aber führe die politische Instrumentalisierung von Aufträgen zu einer Verteuerung von Aufträgen und damit zu einer Verschwendung von Steuergeldern20. Neben dem Argument der mangelnden Effizienz wird zweitens die Inpraktikabilität politischer Auftragsvergabe als Gegenargument angeführt. Es sei schlicht nicht möglich, Verwaltungsbeamte und Techniker, die mit der Vergabe von Aufträgen betraut seien, die Einhaltung von Sekundärzwecken wie Umweltoder Arbeitsschutzbelange überprüfen zu lassen. Dies erfordere ein spezielles, auch juristisches Wissen, das diese Mitarbeiter nicht mitbrächten. Zudem würde durch die Notwendigkeit der Überprüfung der Beachtung der Sekundärzwecke das Verfahren in inakzeptabler Weise in die Länge gezogen. 1. Regelungen im deutschen Vergaberecht Trotz dieser Einwände haben sich die Befürworter politischer Auftragsvergabe im deutschen Recht wohl weitgehend durchgesetzt. Die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Neuregelung des § 97 Abs. 4 GWB erlaubt im Anwendungsbereich des GWB die Verfolgung politischer Zwecke auf der Ebene der Eignung des Bieters, solange sie gesetzlich festgelegt sind21: § 97 Allgemeine Grundsätze (...) (4) Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben; andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. (5) Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.
Hierzu Lampert, Wirtschaftsordnung, S. 85 ff. Rittner, EuZW 1999, S. 680; Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 198 und 208. 19 Dagegen mit Hinweis auf die großen jährlichen Auftragsvolumina Riese, Vergaberecht, S. 202; das Vergabevolumen der öffentlichen Hand in Deutschland beträgt etwa 7% des deutschen Bruttoinlandsprodukts. 20 Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 208; Knipper, WuW 1999, S. 684. 21 § 100 Abs. 1 GWB iVm § 2 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmt die Schwellenwerte, für die die Bestimmungen des GWB zur Anwendung kommen. Zur Neuregelung Rust, EuZW 2000, S. 206. Sie spricht mit Bezug auf die bieterbezogene Prüfung von einer „vorwettbewerblichen Phase“; der eigentliche Wettbewerb finde erst beim Vergleich der Angebote statt. 17 18
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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Aufgrund des neu eingeführten Erfordernisses, Sekundärzwecke gesetzlich zu fixieren, sind derzeit zahlreiche entsprechende Vergabegesetze in Vorbereitung oder bereits verabschiedet worden22. 2. Einfluss des europäischen Vergaberechts Das europäische Gemeinschaftsrecht enthält im Bereich des Vergabewesens recht detaillierte Regelungen, die den nationalen Vorschriften grundsätzlich vorgehen und denen deshalb besondere Bedeutung zukommt23. a) Die europäischen Vergaberichtlinien Das europäische Vergaberecht wird weitgehend durch Richtlinien bestimmt, die mit Beginn der siebziger Jahre geschaffen wurden. Sie enthalten Vorgaben für das mitgliedstaatliche Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Im Wesentlichen handelt es sich um drei Richtlinien, die als Basisrichtlinien bezeichnet werden24: die Baukoordinierungsrichtlinie (BKR)25, die Lieferkoordinierungsrichtlinie (LKR)26 und die Dienstleistungrichtlinie (DKR)27. Sie richten sich an die klassischen Auftraggeber der öffentlichen Hand. Hinzu kommt sowie die sog. Sektorenrichtlinie (SKR)28, die sich an Unternehmen aus dem Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Telekommunikation richtet, die häufig gerade keine staatlichen Auftraggeber sind. Ihre Einbeziehung in den Regelungsbereich der Vergaberichtlinien wird mit der Bedeutung der von diesen Unternehmen angebotenen Leistungen für die Gesellschaft und dem daraus folgenden großen Einfluss dieser Unternehmen begründet29. Vgl. die Zusammenstellung bei Schäfer, Öffentliche Belange, S. 61 (dort Fn. 8). Zum Anwendungsvorrang des europäischen Rechts vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten siehe Oppermann, Europarecht, Rn. 632 – 634. 24 Schäfer, Öffentliche Belange, S. 141. Daneben existieren mit der Rechtsmittelrichtlinie (RMR) und der Rechtsmittelsektorenrichtlinie (RMSKR) zwei sog. Nachprüfungsrichtlinien; vgl. RL 92 / 13 / EWG, Abl. EG Nr. L 395 S. 33 (RMR); RL 92 / 13 / EWG, Abl. EG Nr. L 76, S. 14 (RMSKR). 25 Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, RL 71 / 305 / EWG, Abl. Nr. L 185 / 5 vom 16. 8. 1971; vgl. hierzu Fischer, Europarecht in der öffentlichen Verwaltung, S. 278 ff. 26 Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, RL 77 / 62 / EWG, Abl. 1977 Nr. L 13 / 1. 27 Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, RL 92 / 50 / EWG; vgl. hierzu Trepte, PPLR 1993, S. 1 ff. 28 Richtlinie über die Koordinierung der Auftragsvergabe durch Autraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Abl. 1990 Nr. L 297 / 1. Vgl. hierzu Brown, CMLR, S. 721; Flamme / Flamme, Revue du Marché Commun 1991, S. 346. 29 Vgl. Priess, Handbuch des europäischen Vergaberechts, S. 57. 22 23
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Inwieweit die Richtlinien Vorgaben für die Verfolgung politischer Zwecke bei der Auftragsvergabe enthalten, ist von jeher umstritten. Die Richtlinien unterscheiden nach Eignungskriterien und Zuschlagskriterien. Die Eignungskriterien beziehen sich auf die fachliche Eignung des Unternehmers, insbesondere seine wirtschaftliche, finanzielle sowie technische Leistungsfähigkeit. Hinzu kommt bei der DKR „insbesondere“ die „Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Erfahrung und Zuverlässigkeit“30. Darüber hinausgehende Anforderungen an den Unternehmer sehen die Richtlinien nicht vor, weshalb die Subsumtion weiterer Anforderungen unter die oben genannten Kriterien umstritten ist. Ebenso unklar ist, ob die Richtlinien abschließend sind, also über die genannten Kriterien hinaus keine Berücksichtigung von Eignungskriterien zulassen wollen. Die Zuschlagskriterien beziehen sich grundsätzlich auf das von dem Unternehmer gemachte Angebot. Wie § 97 Abs. 5 GWB bestimmen die Richtlinien, dass der Zuschlag dem „wirtschaftlichsten“ Angebot zu erteilen ist. Nach herkömmlichem Verständnis müssen die Kriterien, die für den Zuschlag herangezogen werden, daher der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen31. Sie müssen zudem, um materiell zulässig zu sein, unmittelbar auftragsbezogen sein32. Alle anderen Zuschlagskriterien, die nicht der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, werden in der europarechtlichen Literatur beinahe einhellig als unzulässig angesehen33. b) Rechtsprechung des EuGH Die Rechtsprechung des EuGH zur politischen Auftragsvergabe ist zwar von einigen Unklarheiten und wohl auch Widersprüchen gekennzeichnet, enthält aber wichtige Konkretisierungen der Vergaberichtlinien. Im Fall „Beentjes“ entschied der EuGH 1988, dass das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat nicht verbiete, mit der Auftragsvergabe zugleich regionale Beschäftigungspolitik zu betreiben34. Der niederländische Staat hatte den Auftrag einem Unternehmen gewährt, das das in der Ausschreibung genannte Kriterium erfüllte, Langzeitarbeitslose bei der Ausführung des Auftrags zu beschäftigen. Zwar hatte das Kriterium der Langzeitarbeitslosigkeit weder etwas mit der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit noch etwas mit den in der Richtlinie genannten Zuschlagskriterien zu tun. Doch betrachtete der EuGH in seiner kurzen und nicht zweifelsfrei verständlichen Begründung die Richtlinien offenbar nicht als abschließend und ließ unter der Voraussetzung der Art. 32 Abs. 1 DKR a.F. Schäfer, Öffentliche Belange, S. 236; Benedict, Sekundärzwecke, S. 139. 32 Schäfer, Öffentliche Belange, S. 236; Kayser, Nationale Regelungsspielräume, S. 59. 33 So Schäfer, Öffentliche Belange, S. 236; Benedict, Sekundärzwecke, S. 139. 34 EuGH Rs. 31 / 87, Slg. 1988, 4635 (Beentjes); vgl. dazu Hailbronner, WiVerw 1994, S. 173 ff. 30 31
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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Beachtung von europarechtlichem Primärrecht die Verfolgung weiterer Sekundärzwecke zu35. Auch die Entscheidung „Nord-Pas-de-Calais“ von 2000 unterstützte im Ergebnis die Auffassung derer, die die Berücksichtigung politischer Kriterien im Europarecht für zulässig halten36. In der Rechtssache ging es um Bauaufträge für Schulen in Frankreich. Die französischen Behörden hatten in der Bekanntmachung der Aufträge nicht angegeben, dass sie die Höhe der Arbeitslosigkeit in der Region, in der der Unternehmer ansässig ist, als Kriterium für die Zuschlagsentscheidung in Betracht ziehen würden. In einer wiederum außerordentlich knapp begründeten Entscheidung beschränkte sich der EuGH im Wesentlichen darauf, seine im BeentjesUrteil aufgestellte These der grundsätzlichen Zulässigkeit eines beschäftigungspolitischen Kriteriums zu wiederholen. Insbesondere entschied das Gericht, dass ein mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zusammenhängendes Zuschlagskriterium zulässig ist, wenn es die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskrimierungsverbot und die Publizitätsvorschriften der Richtlinien berück-sichtigt37. Die jüngste wichtige Entscheidung zu der Problematik erging im September 2002 im Fall „Concordia Bus Finland“38. Angesichts der weiterhin bestehenden Unklarheiten wurde die Entscheidung mit Spannung erwartet. Bei der Wertung der Angebote bei der Vergabe eines Auftrags für die Bereitstellung eines Bus-Fuhrparks wurden von einer finnischen Gemeinde u. a. die Stickoxid- und Lärmemissionen der Busse berücksichtigt. Die Frage war, ob die Umweltfreundlichkeit der angebotenen Produkte ein Kriterium sei, dass bei der Zuschlagsentscheidung, die ja auf das „wirtschaftlichste Angebot“ zu ergehen hat39, berücksichtigt werden durfte. Der EuGH bejahte diese Frage. Solange Umweltschutzaspekte mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhingen, ausdrücklich im Leistungsverzeichnis bzw. in der Bekanntmachung des Auftrags genannt seien und schließlich alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot, beachteten, sei ihre Berücksichtigung im Rahmen der Zuschlagsentscheidung möglich. Die Kriterien, die in die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots eingingen, müssten nicht notwendig rein wirtschaftlicher Natur sein; entscheidend sei der subjektive Wert für den Auftraggeber40. EuGH Rs 31 / 87, Slg. 1988, 4657. EuGH, Rs. C-225 / 98 (Kommission der EG / Französische Republik); vgl. die Besprechung von Seidel, EuZW 2000, S. 755 ff. 37 Im Beentjes-Urteil hatte der EuGH das beschäftigungspolitische Kriterium offenbar als ein aliud zu den Zuschlagskriterien gesehen. Allerdings handelte es sich bei konsequenter Anwendung der Dogmatik um nichts anderes als ein Eignungskriterium, so auch zutreffend Götz, EuR 1999, S. 630. Auch Schäfer macht deutlich, dass der EuGH offensichtlich von einer „doppelten Bedeutung“ der Zuschlagskriterien ausgeht, vgl. Schäfer, Öffentliche Belange, S. 266. 38 EuGH, Urteil vom 17. September 2002, Rs. C-513 / 99 (Concordia Bus Finland). 39 Art. 36 Abs. 1 DKR a.F. 40 EuGH, Concordia Bus, Rz. 55. 35 36
6 Gaedtke
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
c) Reform der Vergaberichtlinien Zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist die von der Kommission 2000 eingeleitete Reform der Richtlinien. Geplant ist eine Zusammenfassung der drei Basisrichtlinien in einer neuen Koordinationsrichtlinie, verbunden mit einer teilweisen Neufassung auch der Sektorenrichtlinie. Nachdem das Europäische Parlament zahlreiche Änderungsvorschläge unterbreitete, änderte die Kommission ihre Vorschläge entsprechend. Das Legislativpaket soll Anfang 2003 verabschiedet werden. Rechnet man die Zeit ein, die für die Umsetzung in nationales Recht erforderlich sein wird, so dürfte das neue Vergaberecht 2005 zur Anwendung gelangen41. Die Reform ist hier deshalb von besonderem Interesse, weil sie wichtige Änderungen für die Verfolgung von öffentlichen Belangen im Auftragswesen enthält. Dieses Problem war lange Zeit der zentrale Streitpunkt42. Während das Europäische Parlament für eine weitgehende Zulässigkeit sozialer und umweltschützender Kriterien plädierte, widersetzte sich dem der Rat. Schließlich einigte sich der Vermittlungsausschuss darauf, in den Erwägungsgründen festzuhalten: „Diese Richtlinie gründet sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere die Urteile zu Zuschlagskriterien, wodurch klargestellt wird, welche Möglichkeiten die öffentlichen Auftraggeber haben, auf Bedürfnisse der betroffenen Allgemeinheit, einschließlich im ökologischen und / oder sozialen Bereich, einzugehen, vorausgesetzt, derartige Kriterien stehen im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand, räumen dem öffentlichen Auftraggeber keine unbeschränkte Wahlfreiheit ein (und) sind ausdrücklich erwähnt ( . . . )“. Art. 26 der neuen Richtlinie sieht vor, dass in die Vergabebedingungen „soziale und umweltschutzbezogene Erwägungen“ aufgenommen werden können. Was darunter zu verstehen ist, erläutert Erwägungsgrund 31: „In diesem Zusammenhang sind z. B. unter anderem die Verpflichtungen zu nennen, Langzeitarbeitslose einzustellen oder Ausbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer oder Jugendliche durchzuführen, oder die Bestimmungen der grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, für den Fall, dass diese nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind, im Wesentlichen einzuhalten, oder ein Kontingent von behinderten Personen einzustellen, das über dem nach nationalen Recht vorgeschriebenen Kontingent liegt“. Die Reform geht damit im Punkt der Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe sehr weit. Bereits jetzt wird prognostiziert, dass die Problematik in der Praxis zu einem „Minenfeld“ werden wird43. Offensichtlich ist auch das Potential für Kollisionen mit dem GPA, sollte dieses Abkommen politische Auftragsvergabe in einem engeren Umfang zulassen, als dies von der Reform anvisiert wird. 41 42 43
So die Prognose von Schäfer, Öffentliche Belange, S. 144. Vgl. Forum Vergabe, Monatsinfo 11 / 2003, S. 175. Forum Vergabe, Monatsinfo 11 / 2003, S. 176.
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II. USA Eingriffe des Staates in das wirtschaftliche Geschehen werden in die USA sehr viel misstrauischer betrachtet als in der Bundesrepublik. Das amerikanische Wirtschaftssystem legt einen deutlich stärkeren Akzent auf die unternehmerische Freiheit als das deutsche. Das Vertrauen in die positiven Kräfte des Marktes ist groß; staatliche Regulierung wirtschaftlicher Prozesse wird daher tendenziell als unangebracht oder sogar schädlich angesehen44. Die Verknüpfung von politischen Zwecken mit der Auftragsvergabe wird daher prinzipiell als Eingriff in die unternehmerische Freiheit empfunden45. Natürlich werden auch die oben bereits erwähnten Einwände wie Ineffizienz und Inpraktibilität gegen politische Auftragsvergabe angeführt46. Letzteres wiegt umso schwerer, als bei der Verfolgung politischer Zwecke normalerweise weitere staatliche Institutionen in den Vergabeprozess eingebunden werden. So kommt es beispielsweise bei der Berücksichtigung von Arbeitsstandards bei der Vergabe von Aufträgen des Bundes zu komplexen Interaktionen zwischen der Vergabestelle und dem Department of Labor47. Überraschenderweise ist politische Auftragsvergabe in den USA dennoch keineswegs selten. Nach Einschätzung amerikanischer Autoren ist sie sogar weitaus häufiger anzutreffen als in den meisten anderen Staaten48. Ihre wesentlichen Anfänge finden sich in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Rolle des Staates als Nachfrager von Leistungen stark gestiegen war und dadurch die öffentliche Auftragsvergabe als erfolgversprechendes Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele in den Vordergrund trat49. In dieser Zeit entstanden der „Davis-Bacon Act“ und der „Walsh-Healey-Act“, auf die unten noch einzugehen sein wird. Politische Auftragsvergabe muss in den USA – jedenfalls soweit sie genuin sozialpolitische Ziele verfolgt – im Zusammenhang mit der Politik der „affirmative action“ gesehen werden. Affirmative action bezeichnet verschiedene Formen aktiver Gleichstellungspolitik, die Vergabe staatlicher Aufträge nach sozialpolitischen Kriterien eine davon50. Der Gedanke aktiver Gleichstellungspolitik, Teil des Programms der „Great Society“, wurde von U.S. Präsident Kennedy zu Beginn der 60er Jahre geprägt und von seinen Nachfolgern fortgeführt. Das Programm Kennedys wandelte die Pflicht zur Nichtdiskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten und unterprivilegierter Gruppen in eine Verpflichtung um, positive Anstrengungen 44 Dieser Mentalitätsunterschied wird zunehmend als der eigentliche Grund für die sich häufenden Handelskonflikte zwischen den USA und der EU erkannt, hierzu ausführlich Steffek, Free Trade as a Moral Choice, S. 7 ff. 45 v. Wahl, Kritische Justiz 1996, S. 181. 46 Tiefer / Shook, Government Contract Law, S. 387. 47 Tiefer / Shook, Government Contract Law, S. 387. 48 Keyes, Government Contracts, S. 429. 49 Pietzcker, Staatsauftrag, S. 119. 50 Für weitere Gleichstellungsansätze in den USA siehe v. Wahl, Kritische Justiz 1996, S. 183.
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zu unternehmen, um diskriminierende gesellschaftliche Strukturen zu beseitigen51. Das Instrument des öffentlichen Auftrags wurde damit zu einem Instrument im Rahmen der Anstrengungen, gesellschaftliche Benachteiligungen von Minderheiten und Frauen zu beseitigen. Heute existieren zahlreiche gesetzliche Regelungen, die gesellschaftlich benachteiligte Gruppen im Vergabeverfahren privilegieren sollen52. Der Trend, das öffentliche Auftragswesen als politisches Instrument einzusetzen, hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Das gilt insbesondere für Maßnahmen, die sich als Antworten auf die Globalisierung oder globale Probleme verstehen. Die unten näher beschriebenen vergaberechtlichen Maßnahmen betreffen beispielsweise den Menschenrechtsschutz im Ausland, die Durchsetzung amerikanischer außenpolitischer Ziele oder die Sanktionierung von Unternehmen, die die Vorteile der ökonomischen Globalisierung zur Abwanderung ins Ausland nutzen. Zunehmend ist damit ein außenpolitischer Bezug in der amerikanischen Praxis politischer Auftragsvergabe gegeben. Dieser fehlt in der deutschen Vergabepraxis (noch) weitgehend. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen finden sich in den USA meist in einem Maßnahmenpaket, das die Reaktion auf ein legislatives Handeln erforderndes Problem darstellt; entsprechend „verstreut“ sind die vergaberechtlichen Regelungen, aus deutscher Sicht hat das eine gewisse Unübersichtlichkeit der Rechtslage zur Folge.
C. Häufige oder wichtige politische Belange bei der Auftragsvergabe in Deutschland und den USA Der folgende Abschnitt stellt einige politische Zwecke vor, die im Verlauf der Arbeit beispielhaft auf ihre Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht hin untersucht werden. Die Auflistung ist eine Auswahl, die theoretisch um zahlreiche weitere Zwecke verlängert werden könnte53. Die Untersuchung der politischen Zwecke im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgt zum Teil abstrakt, um die Vielfalt der möglichen Fallgestaltungen, wie zum Beispiel beim Umweltschutz, zumindest annähernd abzudecken. Andere Zwecke werden beispielhaft anhand von konkreten Maßnahmen dargestellt und untersucht, insbesondere umstrittene Fälle wie der Ausschluss der „Kriegsgegner“ von der Auftragsvergabe im Irak; auf entsprechende Maßnahmen geht dieser Abschnitt daher ausführlicher ein. Pietzcker, Staatsauftrag, S. 157. Für den Zusammenhang von affirmative action und öffentlicher Auftragsvergabe siehe Wallace, Army Lawyer 1997, S. 3; Cheng, Journal of Gender, Social Policy & the Law, S. 185. 53 Zahl und Umfang politischer Zwecke, die mit dem Vergabeverfahren verfolgt werden können, ist praktisch unbegrenzt; so plant die Regierung der nordostspanischen Region Katalonien, öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die ihre Angebote nicht nur in spanischer Sprache anbieten, sondern auch in katalanisch, vgl. Süddeutsche Zeitung, 24. April, S. 11. 51 52
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I. Wirtschafts- und strukturpolitische Ziele 1. Mittelstandsförderung Ein sowohl in den USA als auch in Deutschland verfolgter strukturpolitischer Zweck ist die Mittelstandsförderung. In den USA findet sie im Rahmen des „Small Business Program“ statt, das von der „Small Business Administration“ (SBA) durchgeführt wird, einer Institution zur Förderung der Belange kleiner bzw. mittelständischer Unternehmen54. Zu ihren vielfältigen Aufgaben gehört die organisatorische und technische Unterstützung von Unternehmen im Hinblick auf finanzielle Ausstattung, Innovationsförderung und Kreditvergabe55. Zudem soll sie sicherstellen, dass kleine und mittelständische Unternehmen einen gesicherten Prozentsatz an öffentlichen Aufträgen erhalten56. Zu diesem Zweck kontrahiert die SBA mit öffentlichen Auftraggebern und gibt die Aufträge an kleine bzw. mittelständische Unternehmen weiter. Die Maximalgröße „kleiner“ Unternehmen, die zu einer bevorzugten Berücksichtigung ihrer Angebote führt, liegt bei ca. 1000 Beschäftigten; für deutsche Verhältnisse handelt es sich also eher um Mittelstandsförderung. Auch im deutschen Vergaberecht werden mittelständische Unternehmen bevorzugt behandelt. Das hat seinen guten Grund, denn der Mittelstand gilt als die „Säule“ der deutschen Wirtschaft57. § 97 Abs. 3 GWB sieht vor: „Mittelständische Interessen sind vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen“. Nach verbreiteter Auffassung in der Literatur enthält die Vorschrift einen allgemeinen Förderauftrag an die öffentlichen Auftraggeber zugunsten kleiner und mittlerer Betriebe (KMU) im Rahmen des Anwendungsbereichs des GWB58. Wie auch der Wortlaut der Vorschrift recht eindeutig nahelegt, können mittelständische Interessen auch auf andere Weise als durch Losteilung im Vergabeverfahren berücksichtigt werden. Ob diese auf Ebene des Zuschlags berücksichtigt werden können, ist aber umstritten59. Auch sonst werden Versuche gemacht, die Möglichkeit der Bevorzugung von KMU einzuschränken. So wird in der Literatur vertreten, eine Bevorzugung von KMU sei nur insoweit zulässig, als die Wettbewerbsnachteile gegenüber Großbetrieben ausgeglichen wer54 Whelan, Federal Government Contracts, S. 171; ausführlich Hasty, Military Law Review 1994, S. 1 ff. 55 Whelan, Federal Government Contracts, S. 171. 56 Small Business Act, 15 USC 631 ff.; vgl. Keyes, Government Contracts, S. 430; Whelan, Federal Government Contracts, S. 170. 57 Riese, Vergaberecht, S. 213 („Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft“). Mittelständische Betriebe leisten rund 70% des Steueraufkommens, tragen etwa zwei Drittel aller Soziallasten und beschäftigen rund zwei Drittel aller Arbeitnehmer, so Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 677. 58 Hailbronner, in: Byok / Jaeger, § 97 GWB Rn. 156; Marx, in: Motzke / Pietzcker / Prieß, § 97 GWB Rn. 26 u.28; ausführlich Schäfer, Öffentliche Belange, S. 106. 59 Der BGH hat dies jüngst abgelehnt, vgl. Urteil vom 17. Februar 1999 = DB 1999, S. 1055. Hierzu ausführlich Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 718.
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den, soweit also KMU gleiche Chancen auf Beteiligung eingeräumt werden sollten60. Die Größe der Unternehmen, die als KMU gefördert werden können, hat eine deutlich andere Dimension als in den USA. Nach einer Empfehlung der EUKommission liegt die Obergrenze bei 250 Mitarbeitern, die Definition mancher Bundesländer liegt sogar deutlich darunter61.
2. Regionalförderung Regionalförderung tritt in verschiedenen Varianten auf. Sie kann in einer Bevorzugung lokaler oder nationaler Unternehmen bestehen und damit nach herkömmlichem Sprachgebrauch „protektionistisch“ motiviert sein. Regionalförderung kann aber auch beispielsweise mit dem Kriterium der Arbeitslosigkeit verknüpft sein, so dass Aufträge bevorzugt in Regionen vergeben werden, die eine hohe Arbeitslosigkeit aufweisen, um auf diese Weise Strukturförderung zu betreiben. Dies wird – wie im Fall Nord-Pas-de-Calais, wo die Ansässigkeit des Unternehmens ein Zuschlagskriterium war – meistens mit einer Vergabe des Auftrags an ein im Inland ansässiges Unternehmen verbunden sein; dies muss aber nicht der Fall sein. In den USA sind beide Varianten der Regionalförderung nicht unerheblich ausgeprägt. Die „Federal Acquisition Regulations“ verpflichten öffentliche Auftraggeber auf Bundesebene ausdrücklich dazu, Aufträge an Unternehmen zu vergeben, die in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ansässig sind („labor surplus area“)62. Die Steuerung einer derartigen politisch bzw. makroökonomisch motivierten Auftragsvergabe obliegt dem „Office of Federal Procurement Policy“63. Allerdings sind militärische Beschaffungen weitgehend von der Verpflichtung zur Berücksichtigung regionaler Arbeitslosigkeitsaspekte ausgenommen. Vor allem der „Buy American Act“ ist ein amerikanisches Beispiel für die Variante der Regionalförderung im Sinne einer Nationalpräferenz. Das Gesetz wurde ursprünglich als Reaktion auf die Depression im Jahre 1933 erlassen und sollte die Arbeitslosigkeit durch Schutz heimischer Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz bekämpfen. In Verbindung mit der Executive Order 10582 fordert es, dass nur amerikanische Endprodukte von den Bundesvergabestellen beschafft werden dür60 Hailbronner, in: Byok / Jaeger, § 97 GWB, Rn. 160; Marx, in: Motzke / Pietzcker / Prieß, § 97 GWB, Rn. 27. 61 Bis zur Einführung einer Definition auf europäischer Ebene ging man in Deutschland vielfach von einer Obergrenze von 500 Beschäftigten aus; 1996 wurde von der Kommission eine Empfehlung zur Harmonisierung der Mittelstandsförderung gegeben, vgl. Europäische Kommission, „Empfehlung vom 3. April 1996 betreffend die Definition kleiner und mittlerer Unternehmen“, Abl. 1996, Nr. L 107, S. 4. 62 FAR 20.102: „The government shall award appropriate contracts to eligible labor surplus area concerns and encourage contractors to place subcontracts with such concerns“. 63 Whelan, Federal Government Contracts, S. 172.
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fen64. Konkret hieß das zum Beispiel, dass ein Produkt dann an den Staat verkauft werden kann, wenn es in den USA hergestellt worden ist und mindestens 50% seiner Bestandteile amerikanischen Ursprungs sind65. Wer einen vom Buy American Act erfassten Auftrag erhalten will, muss ein „Buy American Certificate“ vorlegen, mit dem bestätigt wird, dass die hergestellten Produkte „heimische Endprodukte“ darstellen66. Das Gesetz kennt allerdings inzwischen eine Reihe wichtiger Ausnahmen. Zunächst findet es auf Dienstleistungen keine Anwendung67. Zudem werden all solche Produkte nicht vom Buy American Act erfasst, die für den Gebrauch außerhalb der USA bestimmt sind68. Eine andere Ausnahme entbindet den Staat von der Verpflichtung zur Beschaffung amerikanischer Produkte, wo dies aus Kostengründen unvertretbar wäre. Dies soll der Fall sein, wenn das billigste inländische Angebot das billigste ausländische Gebot (inklusive Zoll) um mehr als 6 bzw. 12 Prozent übersteigt69. Zudem besteht die Möglichkeit, die Anwendung der Vorschrift durch „waiver“ zu vermeiden. Dem US-Präsidenten kommt die entsprechende Kompetenz zu; er bestimmt auch die Länder, die in den Genuss eines waivers kommen. Mittels Executive Order 12260 hat der Präsident diese Kompetenz an den United States Trade Representative (USTR) delegiert70. Dieser hat den Mitgliedstaaten des GPA und Mitgliedstaaten weiterer Abkommen der USA über das öffentliche Beschaffungswesen waiver erteilt71. Ein Konflikt mit dem GPA ergibt sich also grundsätzlich nicht; allerdings könnte sich dies mit einer Multilateralisierung des GPA ändern, da im Falle der Gewährung von waivern an alle WTO-Staaten der Buy American Act praktisch gegenstandslos würde, was die USA aller Wahrscheinlichkeit nicht hinnehmen würden. In Deutschland wurde 1936 eine Regelung zugunsten nationaler Erzeugnisse geschaffen, nach der es verboten war, ausländische Erzeugnisse zu beschaffen, „wenn geeignete Erzeugnisse zu angemessenen Preisen im Inland gefertigt werden“. 64 41 USC, § 10; 19 Fed. Reg. 8723 (1954); vgl. hierzu ausführlich Kashdan, in: Stewart, World Trade Organization, S. 567 ff.; Szurgot, Administrative Law Journal 1994, S. 737. 65 FAR 25.109. 66 FAR 25.109. 67 Keyes, Federal Acquisition Regulation, S. 490. 68 FAR 25.108 (a). 69 Die 6-Prozent Regel findet Anwendung, wenn das heimische Gebot von einem Großunternehmen kommt, die 12-Prozent Regel, wenn das heimische Gebot von einem Mittelstandsunternehmen (small business) gemacht wird oder einem Unternehmen, das in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit ansässig ist; vgl. FAR 25.103 und Keyes, Federal Acquisition Regulation, S. 491. 70 Keyes, Federal Acquisition Regulation, S. 499. Vgl. auch Office of the United States Trade Representative, Determination Regarding Application of Agreement on Government Procurement and Waiver of Discriminatory Purchasing Requirements, 46 Fed. Reg. 1657, 6. Januar 1981. 71 Keyes, Federal Acquisition Regulation, S. 499.
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Diese Vorschrift war spätestens 1960 überholt, und seit 1984 enthalten die Verdingungsordnungen ausdrücklich eine Bestimmung, nach der inländische und ausländische Bewerber gleich behandelt werden müssen72. Weiter darf der Wettbewerb nach § 7 Abs. 1 S. 2 VOL / A „nicht auf Bewerber, die in bestimmten Bezirken ansässig sind, beschränkt werden“. Entsprechend bestimmt auch § 8 Nr. 1 Abs. 1 S. 2 VOB / A, dass der Wettbewerb nicht auf solche Bewerber beschränkt werden darf, die in „bestimmten Regionen oder Orten ansässig“ sind. Als Kriterium der Bewerberauswahl ist Regionalförderung also nach den Verdingungsordnungen nicht erlaubt, Bewerber dürfen also nicht von vornherein mit Hinweis auf ihre Herkunft ausgeschlossen werden. Auf Ebene des Zuschlags ist die Berücksichtigung der Ortsansässigkeit des Unternehmens grundsätzlich möglich, dürfte aber unter europarechtlichen Gesichtspunkten problematisch und daher relativ selten anzutreffen sein73.
3. „Anti-Outsourcing“ Die im Zusammenhang mit dem WTO-Recht wohl interessanteste Variante sind die Versuche, den negativen Folgen der Handelsliberalisierung für den heimischen Arbeitsmarkt mit dem Instrument des Vergabewesens entgegenzuwirken. Derartige Anstrengungen stehen in den Industrieländern erst am Anfang. Die USA haben nun ein – möglicherweise wegweisendes – Gesetz auf den Weg gebracht. Konkret geht es um das Problem, dass immer mehr amerikanische Unternehmen in Entwicklungsländer abwandern, wo sie zu wesentlich günstigeren Bedingungen produzieren können. Immer öfter betrifft das nicht nur die Produktion von Gütern, für die keine qualifizierten Arbeitskräfte gebraucht werden, sondern auch von solchen, für die gut ausgebildete Fachleute notwendig sind74. In Ländern wie Indien oder China werden auf absehbare Zeit die sozialen Standards niedrig bleiben; zur gleichen Zeit stehen aber immer mehr Facharbeitskräfte zur Verfügung. Für viele Großunternehmen aus den USA oder der EU lohnt sich daher die Abwanderung75. 72 § 7 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL / A; ohne ausdrückliche Erwähnung ausländischer Bieter auch § 8 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOB / A); zu den Nationalpräferenzen ausführlich Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 285. 73 Nicht nur oberhalb der Schwellenwerte der Vergaberichtlinien ist ja die europarechtliche Zulässigkeit zu prüfen, sondern auch unterhalb dieser Schwellenwerte. Hier muss sich die Maßnahme an europäischem Primärrecht messen lassen, vgl. Schäfer, Öffentliche Belange, S. 285 ff.; Benedict, Sekundärzwecke, S. 197 ff. 74 Siehe beispielsweise Süddeutsche Zeitung, „Auch Spitzenleute müssen bangen“, 27. März 2004, S. 2; hierzu bereits oben, 1. Teil, § 3. 75 Indien hat als Standort für amerikanische (und britische) Unternehmen den zusätzlichen großen Vorteil, dass Englisch Amtssprache ist; in britischen Zeitungen wird die Abwanderung von Unternehmen als Spätfolge des britischen Kolonialismus angesehen, der zur Verbreitung der englischen Sprache geführt hatte; vgl. The Economist, The New Jobs Migration, 21. Februar 2004.
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Mit breiter Zustimmung hat der amerikanische Senat im März 2004 ein „Anti-Outsourcing“-Regelung verabschiedet und damit den ersten Schritt getan, um diese Abwanderung zu stoppen. Danach dürfen Verträge nicht an amerikanische Unternehmen gegeben werden, die die nachgefragten Produkte im Ausland herstellen76. Ebenso dürfen finanzielle Zuwendungen des Bundes an die Staaten von den Empfängern nicht dazu verwendet werden, um Verträge an amerikanische Unternehmen zu geben, die ganz oder teilweise im Ausland produzieren. Ausgenommen davon sind allerdings Staaten, die Mitglieder des GPA sind77. Die Motivation hinter dem Gesetz ist natürlich zum einen, das Problem der durch Abwanderung steigenden Arbeitslosigkeit besser in den Griff zu bekommen. Im Inland produzierende Unternehmen sollen einen Vorteil erhalten, der die Abwanderung weniger lohnenswert erscheinen läßt78. Zum anderen soll das Gesetz aber auch Märkte öffnen. So führte der maßgeblich an der Schaffung des Gesetzes beteiligte US-Senator Dodd aus, dass es nicht hinnehmbar sei, dass amerikanische Unternehmen nach Indien auswandern, gleichzeitig Indien sich aber wesentlichen Marktöffnungen verschließe. Das Gesetz solle auch einen Beitrag liefern, dies zu ändern79. In zahlreichen US-Bundesstaaten sind mittlerweile ähnliche Gesetze auf dem Weg. Soweit ersichtlich, sind trotz der intensiven Diskussion in Deutschland über die Produktionsausgliederung zahlreicher Unternehmen derartige Maßnahmen noch nicht diskutiert worden.
II. Sozial- und arbeitspolitische Ziele 1. Frauenförderung In den USA wurde die Gleichstellung von Mann und Frau legislativ etwa ab den 60er Jahren gefördert. Hierzu gehörten insbesondere Programme zur Erhöhung der Zahl von Unternehmen, die von Frauen geleitet werden bzw. im Eigentum von Frauen stehen („Women-Owned Businesses“; WOB). Entsprechende Maßnahmen zeigten jedoch nur mäßigen Erfolg. Erst die Regierung Clinton nahm sich des Problems explizit im Wege des öffentlichen Auftragswesens an80. Die Bundesverwaltung wurde von Präsident Clinton per Executive Order auf das Ziel verpflichtet, fünf Prozent aller öffentlichen Aufträge pro Jahr an WOB zu vergeben. Der Kon76 Siehe Gruber, „Senate approves Restrictions on Offshore Outsourcing“, Government Executive Magazine, im Internet: http: //www.govexec.com. 77 Damit ist das Gesetz allerdings bereits für einen wesentlichen Teil der Outsourcing-Problematik entwertet, da China inzwischen Mitglied des GPA geworden ist; vgl. Sparshott, „Senate Oks bill to keep Jobs in the US“, The Washington Times, 5. März 2004. 78 Das Gesetz wird daher zu Recht als protektionistisch bezeichnet, vgl. beispielsweise den Kommentar von Hujer, Süddeutsche Zeitung, 6. März 2004, S. 23. 79 Siehe hierzu die Website des Senators unter http: //dodd.senate.gov. 80 Cheng, Gender, Social Policy & the Law, S. 193.
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gress folgte dem Beispiel der Exekutive und verabschiedete eine Reihe von Gesetzen, die die Vergabe von Aufträgen an benachteiligte gesellschaftliche Gruppen vorsieht. Auch in der Bundesrepublik wird das Ziel der Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Mann und Frau durch zahlreiche staatliche Maßnahmen zu erreichen versucht. Die Bundesregierung hat mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft eine Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern abgeschlossen81. Die Spitzenverbände sagen darin zu, ihre Mitglieder zu entsprechenden Maßnahmen anzuhalten. Solange die Vereinbarung erfolgreich umgesetzt wird, verzichtet die Bundesregierung darauf, auf gesetzlichem Wege tätig zu werden82. Verzichtet wird damit auch auf gesetzliche Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe. Auf Länderebene finden sich hingegen zahlreiche Gleichstellungs- und Frauenförderungsgesetze, die das öffentliche Auftragswesen betreffen. So sehen Regelungen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt vor, dass bei gleichwertigen Angeboten derjenige Anbieter bevorzugt werden soll, der sich der Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben angenommen hat83. Ähnliche Regelungen existieren in Thüringen und Berlin. Die gesetzlichen Bestimmungen werden durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften näher ausgestaltet. Meist ist entscheidend, welches Unternehmen mehr Frauen beschäftigt oder bereits konkrete Maßnahmen zur Frauenförderung ergriffen hat. In Brandenburg wird ausdrücklich darauf abgestellt, wieviele Frauen in qualifizierten Positionen, also in der Führungsebene, beschäftigt sind. Dabei wird auf das Bruttogehalt zurückgegriffen und dieses ins Verhältnis zu dem sämtlicher Beschäftigter gesetzt84. Der bevorzugte Bieter „soll“ bzw. „kann“ den Zuschlag bekommen. Nach dem Berliner Gleichstellungsgesetz soll in den Vertrag mit dem Auftragnehmer grundsätzlich die Verpflichtung aufgenommen werden, Maßnahmen zur Frauenförderung und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Unternehmen durchzuführen und das geltende Gleichbehandlungsrecht zu beachten85. Zu den Maßnahmen gehören etwa die Einsetzung eines Frauenbeauftragten, die Umsetzung eines Frauenförderplans und auch die Erhöhung des Frauenanteils bei den Ausbildungsplätzen und in allen Funktionsebenen des Unternehmens86. Auch andere Bundesländer machen von der Möglichkeit Gebrauch, das Unternehmen in den Vertragsbedingungen zu frauenfördernden Maßnahmen zu verpflichten87. 81 „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“ vom 2. 7. 2001; hierzu Schäfer, Öffentliche Belange, S. 78. 82 Abschnitt V. der Vereinbarung. 83 Schäfer, Öffentliche Belange, S. 75. 84 § 4 Abs. 1, 2 der brandenburgischen Frauenförderungsverordnung (FrauFöV). 85 § 13 Abs. 1 S. 1 des Berliner Landesgleichstellungsgesetz (LGG). 86 Ausführlich Schäfer, Öffentliche Belange, S. 77.
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2. Förderung sonstiger Personengruppen Sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik – und zahlreichen weiteren Ländern – gibt es Regelungen zur Bevorzugung verschiedenster weiterer Personengruppen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Der Kreis dieser Personengruppen ist teilweise eng verbunden mit den historischen und sozio – kulturellen Wurzeln der jeweiligen Gesellschaft88. In den USA wird seit den 60er Jahren besonderer Wert auf die Förderung von Minderheiten gelegt, was auf die eingangs erwähnte Politik der affirmative action zurückgeht. Auf Grundlage mehrerer Executive Orders wurde das öffentliche Auftragswesen hierfür eingesetzt. Ende der 70er Jahre wurde die SBA mit der Aufgabe betraut, sich nicht nur um Aufträge für mittelständische Unternehmen zu kümmern, sondern auch für eine angemessene Beteiligung von „Minority-Owned Businesses“ (MOB) an Staatsaufträgen zu sorgen89. Die SBA kann Aufträge übernehmen und diese dann an MOB als Subunternehmer „weitergeben“90. Daneben existiert ein „Indian Incentive Program“, das Unternehmen dazu ermuntern soll, im Rahmen öffentlicher Aufträge indianische Unternehmen als Subunternehmer einzusetzen91, sowie ein Programm zur Privilegierung von Unternehmen, die behinderte Menschen beschäftigen92. In der Bundesrepublik zählen vor allem Vertriebene – insbesondere Aussiedler, Heimatvertriebene und sog. Sowjetzonenflüchtlinge –, Spätaussiedler und Verfolgte zu den bevorzugten Bevölkerungsgruppen. § 100 Abs. 1 Bundesvertriebenenförderungs-gesetz (BVFG) in Verbindung mit § 14 Abs. 2 BVFG, § 68 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) sieht vor, dass bei der Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand die genannten Bevölkerungsgruppen bevorzugt zu berücksichtigen sind93. Die Privilegierung kennt jedoch Grenzen, so etwa durch eine zeitliche Beschränkung für Vertriebene und Spätaussiedler auf 10 Jahre; überdies entfällt eine Bevorzugung, wenn Vertriebene, Spätaussiedler und Verfolgte bereits So im Saarland und in Thüringen, vgl. hierzu Schäfer, Öffentliche Belange, S. 77. In Südafrika beispielsweise existieren nach dem Ende der Apartheid Regelungen, nach denen von Schwarzen geführte Betriebe bei der Auftragsvergabe bevorzugt werden. Auf diese Weise soll die jahrzehntelang unterdrückte Bevölkerungsmehrheit gefördert werden. 89 Tiefer / Shook, Government Contract Law, S. 379; hierzu auch La Noue, Harv. Journal of Law & Public Policy, S. 793. 90 Keyes, Government Contracts, S. 445; dies entspricht der Praxis bei der Förderung mittelständischer Unternehmen. 91 Whelan, Federal Government Contracts, S. 194; die entsprechende Vorschrift findet sich in 25 U.S.C. 47, 1544. 92 Whelan, Federal Government Contracts, S. 196. 93 Die Vorzugsbehandlung für Vertriebene ist jedoch nicht mehr unumstritten. Bayern und Hessen behaupten, dass das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz die Präferenzregelung abgelöst habe. Vgl. hierzu Götzke, Bauaufträge, S. 12. 87 88
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nach ihren früheren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in zumutbarem Maße (wieder)eingegliedert sind. Neben diesen Bevölkerungsgruppen werden auch anerkannte Werkstätten für behinderte Personen und anerkannte Blindenwerkstätten privilegiert. Die entsprechenden Regelungen finden sich in §§ 141 bis 143 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)94. Die Bevorzugung besteht nach den Richtlinien des Bundeswirtschaftsministeriums und verschiedener Landesregierungen bzw. -ministerien darin, dass die betreffenden Personen und Unternehmen bei entsprechenden Ausschreibungen in angemessenem Umfang, d. h. zu ca. 10 bis 25%, zur Angebotsabgabe mit aufzufordern sind95. Dem Angebot des bevorzugten Bieters soll der Zuschlag erteilt werden, wenn es ebenso wirtschaftlich ist wie das eines nicht bevorzugten Bieters. Das Angebot des bevorzugten Bieters soll aber auch dann gewählt werden, wenn es nur geringfügig über dem wirtschaftlichsten Angebot liegt. 3. Arbeitsbedingungen Zu den wichtigsten Zwecken, die mit dem Auftragswesen verfolgt werden, gehören Arbeitsstandards. Insoweit ist zu unterscheiden: der Sekundärzweck kann darin liegen, die Einhaltung der im Inland geltenden Standards verbindlich zu machen. Er kann aber auch in der Durchsetzung internationaler Arbeitsstandards liegen. a) Nationale Standards Mehrere amerikanische Gesetze enthalten Vorgaben für die Arbeitsbedingungen, die Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, einzuhalten haben. Dazu gehört zum Beispiel die Bestimmung, dass öffentliche Aufträge eine Klausel enthalten müssen, die die Beschäftigung von Strafgefangenen verbietet. Damit soll eine Ausbeutung von Strafgefangenen verhindert, aber auch unfairer Wettbewerb vermieden werden96. Wichtige Vorschriften enthält auch der „Davis-Bacon Act“97. Danach sind – insbesondere für Bauaufträge – die jeweils in der Region gezahlten Löhne an die Arbeitnehmer zu zahlen. Welche Löhne vorherrschend sind, wird vom US-Arbeitsministerium entschieden. Zahlreiche Sanktionsmechanismen suchen die Beachtung des Gesetzes zu erzwingen. Auch im Hinblick auf Arbeitszeit und Sicherheitsstandards enthalten amerikanische Gesetze Vorgaben für öffentliSozialgesetzbuch vom 19 Juni 2001 (BGBL. I, S. 1046, 1047). Vgl. § 3 Nr. 1 Richtlinie für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10. 05. 2001 (BAnz. Nr. 109 S. 11773). 96 Whelan, Federal Government Contracts, S. 173. 97 40 U.S.C. 276a-276a-5; FAR 22.403 – 1; FAR 22.404; hierzu Whelan, Federal Government Contracts, S. 174 f.; Pietzcker, Staatsauftrag, S. 120. 94 95
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che Aufträge. Der „Contract Work Hours and Safety Standards Act“ sieht vor, dass öffentliche Aufträge eine Klausel über Arbeitszeiten enthalten müssen, die eine Wochenarbeitszeit von grundsätzlich nicht mehr als 40 Stunden vorsieht; Überstunden müssen vergütet werden. Klauseln im Hinblick auf Sicherheitsstandards können vom Arbeitsministerium vorgegeben und ggf. angepasst werden. Die Bestimmungen gelten insbesondere für Bauaufträge und auch für Subunternehmer. Mit dem „Service Contract Act“ existiert im Bereich öffentlicher Dienstleistungsaufträge ein ähnliches Instrument98. Zu erwähnen ist schließlich der „Walsh – Healey Public Contracts Act“, eine Ergänzung der genannten Vorschriften. Danach ist der Auftragnehmer verantwortlich dafür, dass (1) der regionale Mindestlohn gezahlt wird, (2) die 40 Stunden – Woche beachtet wird, (3) grundsätzlich keine Männer unter 16 und keine Frauen unter 18 beschäftigt werden, und (4) die Beschäftigten nicht an Orten eingesetzt werden, die Risiken oder Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten bergen. Die Verpflichtungen werden im Wege von Ausführungsbedingungen in den Auftrag eingefügt. Bei Zuwiderhandlungen sieht das Gesetz Schadensersatzverpflichtungen des Unternehmens vor. Dass all diese Vorschriften Zugangsbarrieren für ausländische Unternehmen darstellen können bzw. dazu geeignet sind, effizienten Wettbewerb zu verhindern, ist sehr wohl bekannt99. In der Bundesrepublik ist das Problem nationaler Arbeitsstandards bislang vor allem im Rahmen des Vergabekriteriums der Tariftreue diskutiert worden100. Der Auftragnehmer sollte sich durch eine entsprechende vertragliche Erklärung verpflichten, seinen Arbeitnehmern bei der Ausführung der Leistung mindestens den am Ort der Leistungsausführung einschlägigen Lohn- und Gehaltstarif zu zahlen101. Einzelne Leistungen sollten nur dann an Subunternehmer weitergegeben werden können, wenn sich diese ebenfalls gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Zahlung des normalen Tariflohns verpflichteten102. Hintergrund des Gesetzes war die Erwägung des Gesetzgebers, dass es im Baubereich durch den massiven Einsatz von Niedriglohnkräften zu starken Wettbewerbsverzerrungen komme, so dass Arbeitsplätze insbesondere in tarifgebundenen, mittelständischen Unternehmen gefährdet würden. In arbeitsmarktpolitisch sensiblen Bereichen würden durch die Regelung Arbeitsplätze erhalten, die einen ausreichenden sozialen Schutz und ein angemessenes Einkommensniveau gewährleisteten103.
41 U.S.C. 351 – 358; FAR Subpart 22.10. Tiefer / Shook, Government Contract Law, S. 388. 100 Ausführlich hierzu Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 325 – 432; Schäfer, Öffentliche Belange, S. 80. 101 BT-Drucksache 14 / 8285 und 14 / 7796 in der Fassung der BT-Drucksache 14 / 8896; siehe § 1 S. 2, 3 Abs. 1 S. 1 u. 3 des Gesetzentwurfs. 102 § 3 Abs. 1 S. 2 des Gesetzentwurfs; ausführlich Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 39 und S. 432 ff., 525 ff. 103 BT-Drs. 14 / 7796, Begr. A., zu Artikel 1.1. 98 99
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Zwar scheiterte das Gesetz an der fehlenden Zustimmung des Bundesrats, doch fordern schon heute mehrere Länder – zum Beispiel Niedersachsen und Bayern – auf Grundlage von Landesgesetzen die Abgabe einer Tariftreueerklärung. Verlangt wird die Anwendung tarifvertraglicher Regelungen, auch und insbesondere wenn sie für den Auftragnehmer sonst nicht gelten würden. Zum Teil explizit erfasst ist der Fall, dass der Unternehmer einzelne Aufträge an sog. Werkvertragsunternehmen aus Staaten Mittel- und Osteuropas und der Türkei weitergeben möchte. In diesen Fällen muss auch der Subunternehmer gegenüber den mit der Auftragsführung beschäftigten Arbeitnehmern den deutschen Tarif anwenden. Teilweise muss der Unternehmer auch hierfür einstehen. Als Sanktion kommmen der Ausschluss des Unternehmers von künftigen Vergabeverfahren, sowie Vertragskündigung und Schadensersatzforderungen in Betracht104. b) Internationale Standards Die internationale Gemeinschaft hat sich im Rahmen verschiedener Organisationen auf eine Reihe von Arbeitsstandards geeinigt. Die bedeutsamsten dieser Standards sind die bereits erwähnten Kernarbeitsstandards, die seit ihrer Definition in der „Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work“ der ILO im Jahre 1998 in zahlreichen weiteren internationalen Instrumenten ihren Niederschlag gefunden haben105. Sie betreffen das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit, das Verbot der Zwangsarbeit, die Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen sowie das Diskriminierungsverbot in Beschäftigung und Beruf. Die Kernarbeitsstandards, deren Beachtung Sache des Staates sein soll, stellen internationale Mindeststandards im Bereich des Arbeitnehmerschutzes dar. Die Kernarbeitsstandards wurden in die 1999 von den UN gestartete Initiative zur Beachtung von Mindeststandards im Bereich der Menschenrechte, Umwelt und Arbeitsbedingungen inkorporiert106. Der UN Global Compact richtet sich an multinationale Unternehmen, die mit ihrer freiwilligen Teilnahme an der Initiative – unverbindlich – zusagen, die Mindeststandards insbesondere in ihren Aktivitäten in Entwicklungsländern zu beachten. Mehr als 700 multinationale Unternehmen beteiligen sich inzwischen daran107. Weiter fanden die Kernarbeitsstandards Eingang in die „Richtlinien für Multinationale Unternehmen“, die von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahre 2000 Hierzu näher Schäfer, Öffentliche Belange, S. 87. ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work, im Internet unter: http: //ww.ilo.org/public/english/standards/decl/declaration/text/index.htm. Hierzu ausführlich Coxson, Dickinson Journal of Int Law 1999, S. 497, Charnovitz, Max Planck Yearbook of United Nations Law 2000, S. 153 f. 106 Global Compact, im Internet unter www.unglobalcompact.org/Portal/; siehe hierzu Meyer / Stefanova, Cornell Int. Law Journal 2001, S. 501. 107 Die Zahle der sich beteiligenden Unternehmen wird auf der Website des Global Compacts laufend aktualisiert. 104 105
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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geschaffen wurden108. Sie richten sich an Unternehmen aus den Mitgliedstaaten und betreffen vor allem ihre Aktivitäten in Entwicklungsländern. Allerdings sind die Unternehmen auch im Rahmen dieser Initiative nicht rechtlich verpflichtet, die Standards zu beachten; die Richtlinien stellen soft law dar, so dass ein Verstoß grundsätzlich ohne rechtliche Konsequenzen bleibt109. Neben den Kernarbeitsstandards finden sich weitere wichtige internationale arbeitnehmerschützende Standards sowohl in den OECD-Richtlinien als auch anderen ILO-Dokumenten. Die OECD-Richtlinien fordern multinationale Unternehmen dazu auf, gesundheitsschützende und sichere Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Selbiges fordert die ILO „Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy“ von 1977110. Letztere – ebenfalls unverbindlich – richtet sich direkt an multinationale Unternehmen und macht damit deutlich, dass deren soziale „Verpflichtungen“ unabhängig von korrespondierenden Rechtspflichten des Gaststaats bestehen sollen. Allerdings handelt es sich hier um unverbindliche Regeln für multinationale Unternehmen. Im Bereich des Vergaberechts ist eine Orientierung an internationalen Arbeitsstandards sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik noch selten. Allerdings könnte sich das jedenfalls in der Bundesrepublik bald ändern, seit im April 2003 mit der bayerischen Hauptstadt München die erste Kommune Deutschlands einen Stadtratsbeschluss in Kraft gesetzt hat, der verhindern soll, dass die Stadt künftig Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit beschafft111. Nach dem Beschluss sind „Risikoprodukte“ beispielsweise Sportbekleidung, Teppiche, Lederprodukte, Billigprodukte aus Holz u.ä. Gibt ein Unternehmen aus Risikogebieten – Asien, Afrika, Lateinamerika – ein Angebot für derartige Produkte ab, muss es nun darlegen, dass seine Produkte nicht das Resultat ausbeuterischer Kinderarbeit im Sinne der ILO – Konvention zur Bekämpfung ausbeuterischer Formen der Kinderarbeit sind. Das kann entweder durch eine unabhängige Zertifizierung geschehen oder eine verbindliche Zusage des Unternehmens; diese Zusage muss auch die Aktivitäten aller Lieferanten und Subunternehmer abdecken112. Die Zusage kann auch in der Form gemacht werden, dass das Unternehmen, dessen Lieferanten und 108 In der Sache handelte es sich um eine Erweiterung bereits bestehender Richtlinien. Mit den Richtlinien 2000 wurden allerdings erstmals arbeitnehmerschützende Elemente in die Richtlinien aufgenommen. Die Richtlinien sind im Internet abrufbar unter http: //www. oecd.org/daraoecd/56/40/1922480.pdf. 109 Die Regierungen der Mitgliedsländer sind gehalten, nationale „contact points“ einzurichten, die als Forum für die Diskussion aller mit den Richtlinien verbundenen Angelegenheiten dienen sollen, vgl. OECD Richtlinien für multinationale Unternehmen, Abs. I.10. 110 ILO Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy von 1978, International Legal Materials, Bd. 17, S. 422. 111 Stadt München, Beschluss vom 17. Juli 2002, im Internet unter http: //www.muenchen.de/ausschreib/kinderarb.htm. 112 Siehe Stadtratsbeschluss vom 17. Juli 2002; vgl. auch Forum Vergabe, Monatsinfo 4 / 2003: „München will mit Ausschreibungspraxis ausbeuterische Kinderarbeit eindämmen“, S. 60.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Subunternehmer aktive und zielführende Maßnahmen gegen den Einsatz von Kinderarbeit eingeleitet haben. Diese Zusagen müssen belegt werden, was u. a. durch die Beteiligung an einem Verhaltenskodex – wie beispielsweise dem UN-Global Compact – geschehen kann. Die Einhaltung der Zusagen soll nach dem Willen der Stadt München stichpunktartig in Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen überprüft werden113. III. Ökologische Ziele Der Bereich des Umweltschutzes ist ein weiterer „klassischer“ Bereich, der mit der Auftragsvergabe verknüpft wird. Dies gilt sowohl für die Bundesrepublik als auch für die USA. Wie im Bereich der Arbeitsstandards, wäre auch im Rahmen der ökologischen Standards eine internationale Orientierung möglich. Mittlerweile existiert eine Vielzahl internationaler Umweltabkommen. Zudem richten sich auch die bereits erwähnten OECD-Richtlinien und der Global Compact explizit an Unternehmen. Der Global Compact fordert, ausgehend vom Prinzip der „nachhaltigen Entwicklung“ der Deklaration von Rio zu Umwelt und Entwicklung114, eine größere Verantwortung für die Reinhaltung der Umwelt von multinationalen Unternehmen, indem diese umweltfreundliche Technologie verwenden und das Vorsorgeprinzip in Umweltfragen beachten115. Auch die OECD-Richtlinien gehen vom Prinzip der nachhaltigen Entwicklung aus. In detaillierterer Form als der Global Compact verlangen sie von multinationalen Unternehmen, ernsthafte Umweltschäden durch ihre Aktivitäten zu vermeiden. Multinationale Unternehmen sollen die negativen ökologischen Folgen ihrer Aktivitäten verbessern und diese Fortschritte messen. Sie werden zudem aufgefordert, über ihre Fortschritte Rechenschaft abzulegen116. Die hergestellten Produkte und bereitgestellten Dienstleistungen dürfen keine unangemessenen Auswirkungen für die Umwelt haben, sondern sollen ressourcensparend sein. Unternehmen sollen möglichst recyclebare Stoffe verwenden oder jedenfalls solche, die umweltfreundlich zu entsorgen sind117. Die Koppelung der Auftragsvergabe an internationale Umweltstandards wäre grundsätzlich vorstellbar. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass die teilweise wenig konkreten Formulierungen der internationalen Instrumente eine ei113 Interessanterweise kann sich der Beschluss weder auf eine landes- noch eine bundesgesetzliche Regelung stützen, wie sie § 97 Abs. 4 GWB vorschreibt. Dennoch wird der Beschluss von der Stadt München für rechtmäßig gehalten, da es sich um die nationale Umsetzung der ILO-Konvention handele. Außerdem beruft sich die Stadt auf den Grundsatz der Bundestreue, da der Bund ja die ILO-Konvention ratifiziert habe. Siehe näher Forum Vergabe, Monatsinfo 4 / 2003, S. 60. 114 Rio Declaration on Environment and Development, UN Doc. A / Conf.151 / 26 (Vol. I), im Internet unter www.un.org/documents/ga/con151/aconf15126 – 1annex1.htm. 115 Global Compact, 7 – 9. Prinzip. 116 OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen, Abschnitt V. 1. 117 OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen, Abschnitt V. 6.
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gene Interpretation der Standards durch die Vergabestelle erforderlich machen und insofern ein gewisses Konfliktpotential enthalten. Das mag den Grund darstellen, weshalb bislang – sieht man von EU-internen Maßstäben ab – eine nennenswerte internationale Orientierung im Bereich des Vergabewesens noch nicht eingetreten ist. Umweltkriterien werden zumeist national definiert. Umweltschutzbezogene Kriterien können zwei verschiedene Zielrichtungen verfolgen. Zum einen können sie angebotsbezogen sein, indem beispielsweise bestimmte umweltfreundliche Bestandteile des Produkts vorgeschrieben werden. Dies kann in zwei Varianten geschehen, wie eingangs dieses Abschnitts bereits ausgeführt wurde: auf einer ersten Ebene, auf der das Produkt überhaupt erst definiert wird, oder aber auf einer zweiten Ebene, auf der spezifische Details gefordert werden, die das Angebot im Hinblick auf bestimmte Umweltschutzanforderungen erfüllen muss. Zum anderen können sich die Kriterien auch auf den Prozess der Anfertigung des zu beschaffenden Guts beziehen, insoweit also bieter- bzw. produktionsbezogen sein. Die amerikanischen Federal Acquisitions Regulations enthalten Bestimmungen, die die Vergabestellen des Bundes verpflichten, die Bestimmungen der gesetzlichen Bestimmungen des „Clean Air Act“, des „Clean Water Act“ und des „National Environment Policy Act“ zu unterstützen118. So dürfen die Vergabestellen beispielsweise keine Aufträge an Unternehmen vergeben, die Produktionsstätten und Produktionsmethoden verwenden, die auf einer „schwarzen Liste“ der „Environmental Protection Agency“ stehen119. Unternehmen müssen ein Zertifikat vorlegen, das die Nichtverwendung solcher Fazilitäten nachweist. Zusätzlich muss ein Unternehmen folgende Vertragsklausel akzeptieren: (1) Zustimmung zu allen Erfordernissen des Clean Air Act und des Clean Water Act mit Bezug auf Inspektionen, Monitoring, Berichterstattung und Informationspflichten, (2) bestmögliche Erfüllung der Erfordernisse der beiden Umweltvorschriften bei der Ausführung des Auftrags und (3) bei der Zuhilfenahme von Subunternehmern diese Bedingungen in den Vertrag mit dem Subunternehmer zu integrieren120. Es handelt sich dabei also um bieterbezogene Kriterien, die als Vertragsklausel in den öffentlichen Auftrag integriert werden. Daneben ist aber auch die Verwendung von produktbezogenen Kriterien bei Verträgen auf Bundes- und Landesebene gebräuchlich. Auch das deutsche Recht sieht sowohl auf Bundes- als auch Landesebene zahlreiche Bestimmungen zur Berücksichtigung von Umweltbelangen vor. Als Zweck wird häufig angegeben, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und der diesbezüglichen besonderen Verantwortung und Vorbildfunktion der öffentlichen Hand nachzukommen121. Auch die Entwicklung, Herstellung und Markteinführung Arnavas / Ruberry, Government Contract Guidebook, Abschnitt 6. Der Schwellenwert für diese Bestimmung liegt bei $100.000, vgl. FAR 23.105 (a). 120 FAR 23.105 (b), vgl. auch Arnavas / Ruberry, Government Contract Guidebook, Abschnitt 6 (H). 121 Ausführlich Schäfer, Öffentliche Belange, S. 94 ff. 118 119
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
rohstoff- und energiesparender, umweltfreundlicher bzw. -verträglicher Produkte und Verfahren soll angestoßen und unterstützt werden122. Bei den angebotsbezogenen Kriterien spielen die inzwischen geschaffenen Umweltzeichen eine Rolle, so der deutsche „Blaue Engel“ und die „Europäische Blume“123. Bei Produkten, die diese Umweltzeichen tragen, wird ihre Umweltfreundlichkeit auch im Vergabeverfahren vermutet. Aber auch nicht von den Umweltzeichen erfasste Kriterien können eine Rolle spielen, wie die Wiederverwertbarkeit der Produkte oder die Abbaubarkeit ihrer Bestandteile124. Auch produktionsbezogene Anforderungen werden häufig verlangt. Ein Beispiel ist der Nachweis, dass bei der Beschaffung von Tropenholzprodukten das Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt; dies kann beispielsweise durch das Zertifikat des „Forest Stewardship Council“ nachgewiesen werden. Auf diese Weise soll gesichert werden, dass bei der Beschaffung von Holzprodukten die zunehmende Rodung der Regenwälder vor allem in Südamerika nicht unterstützt wird125. Teilweise wurde die Beschaffung von Tropenholz auch ganz ausgeschlossen (dann angebotsbezogen). Sonstige Anforderungen an umweltfreundliches Verhalten des Unternehmens können auch den normalen Betriebsablaufs betreffen – bis hin zur Vermeidung von Plastikgeschirr in der Betriebskantine; solche Anforderungen werden in der Regel damit begründet, dem Umweltschutz als legitimem, verfassungsrechtlich normiertem Ziel müsse auch im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zum Durchbruch verholfen werden126.
IV. Schutz der innerstaatlichen Ordnung Ein vor allem in der Bundesrepublik umstrittenes Kriterium betrifft den Schutz vor der als sektenähnlich angesehenen Organisation „Scientology“. Die vergaberechtliche Maßnahme ist Teil eines umfassenden Katalogs von Maßnahmen, die eine Unterwanderung der Gesellschaft und staatlicher Institutionen durch die Organisation entgegenwirken und damit die innerstaatliche Ordnung schützen sollen127. Scientology wird in der Bundesrepublik weitgehend nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt und wird verdächtigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen128. 1998 wurde auf Bundesebene eine Schutzklausel in Form einer Erklärung angeSchäfer, Öffentliche Belange, S. 98. Schäfer, Öffentliche Belange, S. 98. 124 So Abschnitt I Nr. 2 Abs. 3 S. 2 der Richtlinien Sachsen-Anhalt. 125 Hierzu ausführlich Dolzer / Laule, EuZW 2000, S. 229. 126 Riese, Vergaberecht, S. 246. 127 Ausführlich Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 483; siehe hierzu auch Prieß / Pitschas, PPLR 2000, S. 171 f. 128 Das Bundesarbeitsgericht hat die Eigenschaft von Scientology als Religionsgemeinschaft in NJW 1996, S. 146 ff. verneint. 122 123
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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nommen, die von Unternehmen, die sich für die Vergabe von Beratungs- und Schulungsleistungen bewerben, unterzeichnet werden soll; sie wird gegebenenfalls Vertragsbestandteil129. Das Unternehmen sagt verpflichtend zu, dass es nicht nach der „Technologie“ des Scientology-Gründers Ron Hubbard geführt wird und diese auch nicht im Rahmen des Vertragsverhältnisses anwendet oder sonst in irgendeiner Form verbreitet. Je nach Auftrag kann es sich bei diesem Kriterium um einen angebotsbezogenen oder bieterbezogenen Zweck handeln. Bei der Beschaffung von Schulbüchern und anderem Schulungsmaterial, das in diesem Zusammenhang häufig als Beispiel angeführt wird, liegt ein unmittelbarer Bezug des Kriteriums zum Angebot vor, so dass es wohl als angebotsbezogen anzusehen ist. In allen anderen Fällen geht es um bieterbezogene Maßnahmen. Bei Verstoß gegen die Erklärung kann der Auftraggeber den Vertrag aus wichtigem Grund fristlos kündigen. Dass dieses Kriterium auf internationaler Ebene nicht unproblematisch ist, zeigt bereits die unterschiedliche Einschätzung der Bedeutung der Scientology-Organisation in den USA und in Deutschland. Während in den USA die Organisation als eine religiöse Gemeinschaft wie jede andere anerkannt ist und sich auch einiger Beliebtheit erfreut, gilt sie in der Bundesrepublik als potentiell verfassungsfeindlich und manipulativ. Tatsächlich wurden die Maßnahmen der Bundesrepublik gegen Scientology in den USA zum Teil scharf kritisiert. Offensichtlich ist, dass sie zu einer faktischen Diskriminierung amerikanischer Unternehmen führen können und sich die Frage stellt, wie derartige Diskrepanzen im Rahmen des WTO-Rechts zu behandeln sind.
V. Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen Grundsätzlich können alle international als Menschenrechte verbürgten Menschenrechte im Vergabefahren zum Kriterium gemacht werden; Bezugspunkt können die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte, des Internationalen Pakts über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte oder sonstige menschenrechtliche Instrumente sein130. Vor wenigen Jahren erregte die bereits erwähnte Regelung des US-Bundesstaats Massachusetts Aufsehen, die es Vergabestellen in Massachusetts untersagte bzw. 129 Schutzklausel / Erklärung bei der Vergabe von Beratungs- und Schulungsleistungen, Formulierungshilfe für eine Bietererklärung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „ScientologyOrganisation“ vom 24. 6. 1998, vgl. Forum Vergabe, Monatsinfo 6 / 1999, Anl. 5. Die Schutzklausel wurde 2001 von der Ständigen Interministeriellen Arbeitsgruppe „Scientology Organisation“ überarbeitet und stärker auftragsbezogen ausgestaltet. 130 Diese Dokumente sind abgedruckt in Sartorius II, Internationale Verträge und Europarecht, Nr. 19 – 21.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
erschwerte, öffentliche Aufträge an Unternehmen zu vergeben, die geschäftliche Verbindungen nach Myanmar aufwiesen131. Das Gesetz stellte eine Sanktion gegen Myanmar dar, dessen Militärregime in den Jahren zuvor durch gravierende Menschenrechtsverletzungen – darunter Folter, Mord und Vergewaltigung – Schlagzeilen gemacht hatte. Indem Unternehmen, die in Massachusetts öffentliche Aufträge erhalten wollten, gezwungen werden sollten, ihre Tätigkeiten in Myanmar einzustellen, sollte ein Beitrag zum Sturz der Militärjunta geleistet werden. Die vergaberechtliche Regelung sah die Einrichtung einer „Restricted Purchase List“ vor, auf der die in Myanmar tätigen Unternehmen verzeichnet waren132. Nur im Ausnahmefall sollte auf diese Unternehmen zurückgegriffen werden können, und selbst Gebote, die um max. 10% höher lagen, sollten in diesem Fall noch bevorzugt werden. Die Idee, das Vergaberecht zur Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen im Ausland einzusetzen, ist nicht neu. Bereits in den 80er Jahren wurde es gegen das Apartheid-Regime in Südafrika eingesetzt. Unternehmen, die mit der südafrikanischen Regierung Geschäfte machten, wurden damals von der Auftragsvergabe in den USA ausgeschlossen133. Dies geschah allerdings im Rahmen der vom UNSicherheitsrat beschlossenen Sanktionen gegen Südafrika, die letztlich erfolgreich waren und wohl zum Sturz des Regimes nicht unerheblich beigetragen haben. Dies mag den Hintergrund darstellen, weshalb zahlreiche weitere US-Bundesstaaten und lokale Körperschaften sich anschickten, dem Beispiel von Massachusetts zu folgen und ähnliche Gesetzgebung gegen Myanmar zu erlassen. Maßnahmen gegen mehrere weitere Staaten wurden zudem vorbereitet, darunter die Türkei, China, Saudi Arabien, Vietnam, Iran und Pakistan134. Die EU und Japan wandten sich allerdings gegen das Myanmar-Gesetz und die Versuche, das Vergaberecht in dieser Weise zugunsten des Menschenrechtsschutzes zu instrumentalisieren. Sie leiteten ein WTO-Verfahren gegen das Gesetz ein, das jedoch nie zu einer Entscheidung durch ein Panel gelangte. Denn der amerikanische Supreme Court, der von den inneramerikanischen Gegnern des Gesetzes angerufen worden war, erklärte das Gesetz zuvor für verfassungswidrig. Er vertrat die Auffassung, dass jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem auf Bundesebene bereits ein Sanktionsgesetz verabschiedet worden war, kein Raum mehr für eine Sanktionsregelung auf Landesebene sei135. Da das amerikanische Bundesgesetz 1996 Mass. Acts 239, kodifiziert in Mass. Gen. Laws §§ 7:22G-7:22M, 40F (1997). Ausführlich McCrudden, JIEL 1999, S. 5; Loschin / Anderson, Santa Clara Law Review 1999, S. 373; Loeb-Cederwall, New England Law Review 1998, S. 929. 133 Tatsächlich war es gerade der am Erlass des Myanmar-Gesetzes maßgeblich beteiligte Abgeordnete Rushing, der wesentlich an der amerikanischen vergaberechtlichen Gesetzgebung gegenüber Südafrika mitgewirkt hatte; siehe Wall Street Journal, „States, Cities increase Use of Trade Sanctions Troubling Business Groups and US Partners“, 1. April 1998. Interessanterweise gab der Abgeordnete zu, von der Existenz des GPA noch nie gehört zu haben, als er später das Myanmar-Gesetz auf den Weg brachte. 134 Price / Hannah, Harvard Int‘ L J, 1998, S. 443 f. 131 132
§ 1 Öffentliche Auftragsvergabe als Instrument der Politik
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sich auf amerikanische geschäftliche Aktivitäten in Myanmar beschränkte, war die Problematik damit zunächst von der Tagesordnung; das WTO-Verfahren wurde gegenstandslos136. Durch den Ausgang dieses Falls wurde jedoch nichts darüber gesagt, ob nicht in einem zukünftigen Fall – etwa wenn eine bundesrechtliche Sanktion fehlt – vergaberechtliche Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzungen zulässig sind. Schon gar nicht ist gesagt, ob nicht andere Länder in Zukunft ebenfalls den Menschenrechtsschutz über das Vergaberecht verfolgen werden; auf lokaler Ebene hat die Stadt München entsprechende Maßnahmen ja bereits ergriffen.
VI. Außenpolitische Ziele Schon die Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen im Ausland stellt eine außenpolitische Maßnahme dar. In der Tat wird das Vergabewesen in den USA zunehmend als Instrument der Außenpolitik angesehen, wie die folgenden Beispiele zeigen. In der Bundesrepublik, deren außenpolitisches Handeln insgesamt defensiver und deren (erfolgversprechendes) Instrumentarium daher auch begrenzter ist, ist dies dagegen nicht der Fall. Der amerikanische „Iran-Libya Sanctions Act“ ist ein umfangreiches Gesetz zur Ächtung der als „Schurkenstaaten“ bezeichneten Staaten Iran und Libyen137. Die beiden Länder stellten bei Schaffung des Gesetzes die aus amerikanischer Sicht gefährlichsten Förderer des internationalen Terrorismus dar. Unmittelbarer Anlass für die Ausarbeitung des Gesetzes waren Anschläge auf Amerikaner in Saudi-Arabien 1996 sowie der Absturz eines Jets über Schottland, der auf einen Terroranschlag zurückgeführt wurde138. Der hier relevante Teil des Gesetzes betrifft die Sanktionen gegen Firmen, die mehr als 20 Mio. $ in einem Jahr in Irans Energiesektor oder 40 Mio. $ pro Jahr in Libyens Energiesektor investieren. Sanktionen wurden auch verhängt, wenn das betroffene Unternehmen Technologie an die beiden Länder lieferte, die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen benutzt werden konnten. Zu den Sanktionen gehören die Verweigerung von Krediten und Lizenzen für die betreffenden Unternehmen139. Das Gesetz sieht aber auch vor, dass Unternehmen, deren Investitionsvolumen das genannte Limit übersteigt oder 135 Vgl. Entscheidung des US Supreme Court vom 19. 6. 2000 – Stephen Crosby, Secretary of Administration and Finance of Massachusetts v. National Foreign Trade Council, 39 ILM (2000), S. 1234. 136 McCrudden, JIEL 1999, S. 12. 137 Iran and Libya Sanctions Act, Pub. L. No. 104 – 172, 110 Stat. 1541, 1996; das Gesetz wird nach seinen Initiatoren häufig als D’Amato-Kennedy Act bezeichnet; hierzu ausführlich Dhooge, Denver Journal of Int. Law and Policy 1998, S. 5 ff. 138 Nachdem Libyen seit einiger Zeit deutliche Versuche unternimmt, sich in die Staatengemeinschaft zu integrieren und eine Abkehr vom Terrorismus propagiert, sind zahlreiche internationale Sanktionsmaßnahmen aufgehoben worden. Die US-Regierung hat es jedoch abgelehnt, die Bestimmungen ILSA’s zu diesem Zeitpunkt aufzuheben. 139 Dhooge, Denver Journal of Int. Law and Policy 1998, S 8.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
die „verbotene“ Produkte in die beiden Länder liefern, von der Vergabe öffentlicher Aufträge in den USA ausgeschlossen werden. Dies gilt sowohl für inländische Unternehmen als auch insbesondere für ausländische Unternehmen, um die Zielsetzung der USA zu erreichen, die beiden Länder wirtschaftlich zu schwächen – und auf diese Weise ihre Abkehr vom Terrorismus. Die Auftragsvergabe wird damit abhängig von dem Kriterium „Investition in Iran oder Libyen“ gemacht. Vor kurzem hat zudem das amerikanische Verteidigungsministerium eine von US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz verfasste Richtlinie herausgegeben, nach der bestimmte Firmen nicht an der Vergabe von Aufträgen für den Wiederaufbau des Iraks beteiligt werden140. Getroffen werden sollen damit die Gegner des Kriegs gegen den Irak, allen voran Frankreich, Deutschland und Russland. Unternehmen dieser Länder sind demnach von der Auftragsvergabe ausgeschlossen. Das Kriterium, nach der im Vergabeverfahren entschieden wird, lautet also „Nationalität des Unternehmens“. Nicht betroffen sind allerdings Verträge, die von den Unternehmen an Subunternehmer weitergegeben werden. Nach Protesten und auch Zugeständnissen der Kriegsgegner – wie einem teilweisen Schuldenerlass für den Irak – scheint es zur Zeit, als würden die USA in dieser Frage eventuell in absehbarer Zeit einlenken. In der Sache geht es um 26 hochdotierte Verträge zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur des Irak, die vom amerikanischen Verteidigungsministerium vergeben werden141. Die Summe der Verträge beläuft sich auf ca. 18, 7 Mrd. $ und umfasst Verträge u.a aus den Wirtschaftsbereichen Öl, Energie, Kommunikation, Wasserversorgung und Hausbau142. Das Memorandum aus dem Verteidigungsministerium führt eine Liste mit Ländern, die bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden können. Es erscheint in zweierlei Hinsicht widersprüchlich: zum einen werden Länder mit Unternehmen gleichgesetzt, obwohl gerade diejenigen Unternehmen, die den Wiederaufbau Iraks leisten können, multinationale Unternehmen sind, bei denen die Feststellung einer „Nationalität“ häufig problematisch und eher willkürlich ist. Das Memorandum spricht explizit von „Staaten“, obwohl die Aufträge natürlich nicht an Staaten, sondern an Unternehmen gegeben werden143. Zum anderen erscheint widersprüchlich, dass die Liste Länder wie die Türkei, die den USA Überflugrechte gestattete, sich ansonsten aber deutlich gegen den IrakKrieg stellte, enthält, nicht aber Frankreich und Deutschland, die den USA ebenfalls diese Überflugrechte gestattete, US-Basen in Deutschland waren sogar wichtige Versorgungsbasen für die US-Truppen144. 140 Deputy Secretary of Defense, Determination and Findings, im Internet unter: http: //www.rebuilding-iraq.net. 141 Deputy Secretary of Defense, Determination and Findings, im Internet unter: http: //www.rebuilding-iraq.net 142 Deputy Secretary of Defense, Determination and Findings. 143 Siehe Anlage 2 des Memorandums: „Countries Eligible to Compete for Contracts Funded with US Appropriated Funds for Iraq Reconstruction“.
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
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Die Richtlinie begründet den Ausschluss der in der Liste nicht angeführten „Staaten“ vom Vergabeverfahren mit dem Schutz von Sicherheitsinteressen der USA. Wörtlich heißt es in Abs. 4 und Abs. 5 des Memorandums: 4. It is necessary for the protection of the essential security interests of the United States to limit competition for the prime contracts of the procurements to companies from the United States, Iraq, Coalition partners and force contributing nations. Thus, it is clearly in the public interest to limit prime contracts to companies from these countries. 5. Every effort must be made to expand international cooperation in Iraq. Since May 2003, Coalition forces other than those from the United States have increased from 14.000 to 23.700. US force levels, accordingls, have decreased by approximately 12.000. Limiting competition for prime contracts will encourage the expansionof international cooperation in Iraq and in future efforts.
Dem Memorandum liegt also – jedenfalls dem Wortlaut nach – der Gedanke zu Grunde, dass die Kriegsgegner mit dem Ausschlusskriterium zu Zugeständnissen im Hinblick auf ihre Irak-Politik gezwungen werden können. Er basiert auf der Idee, dass Großunternehmen derart viel Einfluss auf die Regierungen in diesen Ländern ausüben können, dass sie eine Änderung des außenpolitischen Kurses herbeiführen können und diesen Einfluss aus wirtschaftlichem Eigeninteresse auch ausüben werden. Das Wolfowitz-Memorandum verwandelt die Auftragsvergabe damit in ein Instrument klassischer Machtpolitik.
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA Der Anwendungsbereich des GPA ist begrenzt. Da die Frage nach der Zulässigkeit politischer Kriterien im Wesentlichen auf das GPA beschränkt ist, ist eine genaue Bestimmung des Anwendungsbereichs von großer Bedeutung. Wie im gesamten WTO-Recht folgt auch die vom GPA angestrebte Handelsliberalisierung dem Prinzip der Reziprozität. Das bedeutet, dass keine allgemeine Grundpflicht zur Liberalisierung der Beschaffungsmärkte, sondern lediglich eine Pflicht zur Liberalisierung im zwischen den Parteien ausgehandelten Umfang besteht. Dieses Prinzip führt in GATT und GATS dazu, dass jede Partei in ihren Listen zu den Abkommen den Umfang der Marktöffnung definiert, zu der er sich verpflichtet. Im GPA liegen die Dinge allerdings komplizierter. Reziprozität wird im GPA auf das jeweilige bilaterale Verhältnis bezogen. Der Anwendungsbereich des Abkommens kann deshalb danach variieren (und dies ist auch nicht selten), zwischen welchen Vertragsparteien es betrachtet wird. Jedes Mitglied hat in seinen Anhängen zum GPA festgelegt, in welchem Umfang welche Vergabestellen im Verhältnis 144 Dies wird auch in den USA kritisiert, vgl. Jehl, Pentagon Bars Three Nations From Iraq Bids, New York Times, 10. Dezember 2003.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
zu den anderen Mitgliedstaaten des Abkommens gebunden sind145. Das Meistbegünstigungsprinzip, nach dem einem GPA-Mitglied gewährte Vorteile auch allen anderen gewährt werden müssen, steht dem nicht entgegen; die Listen definieren ja erst den Bereich, der sich an den Bestimmungen des GPA messen lassen muss. So ist der Anwendungsbereich des Abkommens beispielsweise für die USA im Verhältnis zur EU für Beschaffungen von Bauleistungen ab einem Schwellenwert von 5 Mio. SZR eröffnet, während er im Verhältnis zu Korea erst ab 15 Mio. SZR eröffnet ist146. Die EU hat die Anwendbarkeit des Abkommens – teilweise auch lediglich die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften – im Verhältnis zu anderen GPA-Mitgliedern davon abhängig gemacht, dass diese umgekehrt europäischen Unternehmen auf ihren Beschaffungsmärkten die entsprechenden Konzessionen gewähren147. Das GPA wird daher von manchen Autoren als „Ansammlung bilateraler Verträge“ bezeichnet148. Durch dieses System ist das GPA in hohem Maße unübersichtlich. Die Ursache hierfür liegt schlicht darin, dass ein Konsens über eine Marktöffnung „across the board“ während der Uruguay-Runde nicht erreicht werden konnte149. Darunter hat die Akzeptanz des GPA stark gelitten. Ziel der gegenwärtig stattfindenden Revision des GPA – auf die unten noch zurückzukommen sein wird – ist unter anderem, diese wohl größte Schwachstelle des Abkommens zu beseitigen150. Mit Blick auf die Problematik der politischen Auftragsvergabe erschwert das System des Anwendungsbereichs allgemeingültige Aussagen darüber, welche Aufträge sich an den materiellen Vorschriften des GPA messen lassen müssen. Erforderlich ist immer ein Blick in die Anhänge und Anlagen des Abkommens und darauf, um welches Vertragsverhältnis es gerade geht. Im folgenden Abschnitt werden die wesentlichen Gesichtspunkte bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs kurz dargestellt. Da einige Mitglieder die Definition ihrer Zugeständnisse unter dem Abkommen dazu genutzt haben, um politische Zwecke bei der Auftragsvergabe von vornherein zu „legalisieren“, muss dieser Aspekt ausführlicher betrachtet werden.
Ausführlich Reich, JWT 1997, S. 125; Arrowsmith, Government Procurement, S. 97. United States, Appendix I to the Agreement on Government Procurement – General Notes. Internet: http: //www.wto.org/english/tratop_e/gproc_e/loose_e.htm. Die Einheit SZR (Sonderziehungsrechte) entsprach Ende März 2004 etwa 1, 21 Euro, der jeweils aktuelle Gegenwert ist abrufbar unter www.tis-gdv.de. 147 European Communities, Appendix I to the Agreement on Government Procurement – General Notes. 148 So zum Beispiel Reich, JWT 1997, S. 126. 149 Zu den Hintergründen siehe Olivera, PPLR 1997, S. 16 ff.; De Graaf / King, International Lawyer 1995, S. 448 f. 150 Vgl. hierzu Arrowsmith, JIEL 2002, S. 761; Gaedtke, Aussenwirtschaft 2003, S. 332 – 335. 145 146
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
105
A. Persönlicher Anwendungsbereich des GPA I. Geltungsbereich des Abkommens Bislang zählt das GPA lediglich 28 Mitglieder. Die geringe Mitgliederzahl macht das Abkommen allerdings keineswegs irrelevant. Alle größeren Industrieländer gehören zu den Mitgliedern, und mit der Erweiterung der EU im Mai 2004 vergrößert sich der Anwendungsbereich des GPA um zehn weitere Staaten. China ist dem Abkommen vor kurzem beigetreten. Russland, bislang noch kein WTOMitglied, dürfte in absehbarer Zeit Mitglied der WTO und wohl auch des GPA werden. Zur Zeit laufen Verhandlungen über einen Beitritt von Jordanien, Panama und Kirgistan zum GPA. Natürlich gilt das GPA grundsätzlich nur zwischen seinen Mitgliedern. Beispielsweise könnte Russland einen möglichen Verstoß der USA gegen das GPA durch den Ausschluss bei der Vergabe von Aufträgen für den Wiederaufbau des Irak als Nichtmitglied nicht rügen. Doch das Abkommen ist für Drittstaaten nicht völlig ohne Belang. Erstens gibt Art. V Abs. 12 GPA den Vertragsparteien die Möglichkeit, die Vorteile des Abkommens auf Lieferanten in am wenigsten entwickelten Ländern zu erstrecken. Diese Länder würden auf diese Weise in den Anwendungsbereich des GPA einbezogen, soweit das für sie günstig ist. Soweit ersichtlich, ist von dieser Möglichkeit jedoch noch kein Gebrauch gemacht worden. Zweitens hält Art. XVII GPA die Mitgliedstaaten dazu an, für die Erfüllung gewisser Publikationspflichten gegenüber Lieferanten aus solchen Ländern zu sorgen, die die Vorschriften des GPA über Transparenz weitgehend einhalten151. Auch dieser Bezug des Abkommens zu Drittstaaten hat jedoch bislang keine Bedeutung in der Praxis erlangt. Gedacht werden könnte drittens auch daran, dass die Vorschriften des GPA über das Prinzip der Meistbegünstigung für Drittstaaten zur Anwendung gelangen. So könnte sich bei einem öffentlichen Warenauftrag ein WTO-Mitglied darauf berufen, dass Art. I Abs. 1 GATT zu einer Verpflichtung führe, die einem GPA-Mitglied gewährten Vorteile auch den WTO-Mitgliedern zu gewähren, die nicht Mitglieder des GPA sind. Ebenso könnte Art. II Abs. 2 GATS ein GPA-Mitglied verpflichten, die Vorteile des GPA bei Dienstleistungsaufträgen auf alle WTO-Mitglieder zu erstrecken. Für diese Auffassung jedenfalls bei Warenaufträgen spricht an sich Art. III Abs. 8 a) GATT, der die Anwendbarkeit des GATT auf öffentliche Aufträge explizit lediglich für das Gebot der Inländerbehandlung aus Art. III ausschließt152. Im Umkehrschluss müsste das Gebot der Meistbegünstigung aus Art. I GATT an sich auf öffentliche Aufträge Anwendung finden153. Arrowsmith, Government Procurement, S. 97. Nach dem Wortlaut des Art. III Abs. 8 a) GATT gilt „dieser Artikel (gilt) nicht für Gesetze, Verordnungen oder sonstige Vorschriften über die Beschaffung von Waren durch staatliche Stellen ( . . . )“. 151 152
106
2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Die besseren Gründe sprechen jedoch gegen die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips. Die Unterscheidung zwischen plurilateralen und multilateralen Abkommen wäre andernfalls weitgehend hinfällig, eine Konsequenz, die weder der Intention der Vertragsparteien noch dem Geist von Art. II Abs. 2 und Abs. 3 WTO-Vertrag entspräche. Zudem würde jeder Anreiz entfallen, einem plurilateralen Abkommen beizutreten, da der Beitritt lediglich Verpflichtungen schaffen würde; die Vorteile des Abkommens hätte man ja bereits über die Meistbegünstigungsklausel sicher. Diese Überlegungen müssen dazu führen, dass die Formulierung in Art. III Abs. 8 a) GATT als Redaktionsversehen behandelt wird und die Vorschrift auch auf Art. I GATT erstreckt wird154. Hierfür kann unterstützend angeführt werden, dass öffentliche Aufträge im GATS nach Art. XIII Abs. 1 GATS sowohl im Hinblick auf Inländerbehandlung als auch Meistbegünstigung vom Anwendungsbereich ausgeklammert sind155. Ein Grund, weshalb nur bei Warenaufträgen die Vorteile des GPA über die Meistbegünstigungsklausel allen Mitgliedern der WTO zugute kommen sollten, lässt sich wohl kaum finden. Für Drittstaaten ist das GPA daher lediglich in den angeführten zwei Fällen von Bedeutung.
II. Erfasste Vergabestellen der Mitglieder Der persönliche Anwendungsbereich wird weiter dadurch eingeengt, dass nicht alle Vergabestellen der GPA-Mitglieder durch das Abkommen gebunden werden. Art. I Abs. 1 GPA in Verbindung mit den Anlagen 1 bis 3 des Anhangs I zum GPA sind hierfür maßgeblich. Anlage 1 führt die gebundenen Vergabestellen auf Bundesebene auf („central government entities“). Alle Parteien haben die wesentlichen zentralen Stellen auf höchster Ebene dem Abkommen unterstellt. Dies schließt die nationalen Verteidigungsministerien grundsätzlich mit ein; jedoch wurde die Beschaffung von Kriegsgerät ausdrücklich ausgenommen. Die Mitgliedstaaten waren in der Entscheidung, welche Vergabestellen sie in der Anlage 1 anführten, relativ frei, da eine Definition des Begriffs der central government entity fehlt; eine solche war während der Uruguay-Runde zwar angestrebt, aber nicht erreicht worden156. Während die Bundesrepublik in dieser Anlage lediglich Ministerien und andere oberste Bundesbehörden aufgelistet hat, haben beispielsweise die USA auch die Börsenaufsicht und den Holocaust Memorial Council in der Anlage 1 aufgeführt157. 153 Zu dieser Auffassung scheinen Low / Mattoo / Subramanian, World Economy 1996, S. 21 f., zu tendieren. 154 So im Ergebnis auch Arrowsmith, die maßgeblich auf die historische Auslegung des ihrer Ansicht nach nicht eindeutigen Wortlauts abstellt, siehe Arrowsmith, Government Procurement, S. 62. Zustimmend auch Dischendorfer, PPLR 2000, S. 15 – 17. 155 Nach Art. XIII Abs. 1 GATS finden die Artikel II, XVI und XVII GATS „keine Anwendung auf Gesetze, sonstige Vorschriften oder Erfordernisse in Bezug auf öffentliche Beschaffungen von Dienstleistungen ( . . . )“. 156 Hierzu Olivera, PPLR 1997, S. 18.
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
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In Anlage 2 haben die Vertragsparteien diejenigen Stellen aufgelistet, die sie unterhalb der Ebene der Zentralregierung ansiedeln und dem Abkommen unterwerfen wollen. Die eingegangenen Verpflichtungen variieren teilweise erheblich. So haben die USA nur 37 der 50 Einzelstaaten überhaupt in die Liste aufgenommen; von diesen 37 sind wiederum einige nur teilweise an das Abkommen gebunden, d. h. nur die aufgeführten Stellen dieser Staaten haben das Abkommen zu beachten. Nur wenige Städte sind zudem erfasst. Für Kanadas zehn Provinzen gilt das Abkommen überhaupt nicht158. Die EG hat dagegen sämtliche öffentlichen Auftraggeber der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften der Anlage 2 sowie die in der Richtlinie 93 / 37 / EWG definierten Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Anlage 2 unterstellt159. Japan und Korea haben nur Provinzen und Städte angeführt, deren Bevölkerung größer als 500.000 ist. Anlage 3 führt schließlich für jedes Mitglied alle anderen Stellen auf, die im Einklang mit dem GPA ihre Beschaffung durchzuführen haben160. Hierunter fallen vor allem Stellen, die öffentliche Funktionen ausfüllen, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Gas, Elektrizität, Wasser, sowie städtische Verkehrsbetriebe und Flughäfen. Da die europäischen Vergaberichtlinien diese in der Sektorenrichtlinie bereits erfassen, war es für die Gemeinschaft nur konsequent, diese Stellen auch nahezu vollständig dem GPA zu unterstellen. Weit weniger Zugeständnisse machten die USA, auch Japan und Korea machten Einschränkungen und unterstellten beispielsweise Flughäfen und städtische Verkehrsbetriebe nicht dem Abkommen; Kanada machte in diesem Bereich keine nennenswerten Zugeständnisse161. Dies hat dazu geführt, dass die EU ihre weitgehenden Zugeständnisse im Wassersektor nicht im Verhältnis zu Kanada und den USA, im Flughafensektor nicht zu Kanada, Korea und die USA und mit Bezug auf städtische Verkehrsbetriebe nicht zu Kanada, Japan, Korea und die USA anwendet. Gerade im Bereich der versorgungswirtschaftlichen Einrichtungen stellte sich das Problem, dass diese nicht selten privatwirtschaftlich betrieben werden. In der 157 Büsing, WTO-Beschaffungswesen, S. 147. Die Liste der Bundesrepublik ist veraltet und wurde noch nicht dem neuen Zuschnitt der Ressorts angepasst. 158 Kanada hatte zugesagt, die Provinzen dem Abkommen zu unterstellen, soweit diese zu einer Zustimmung bewegt werden könnten. Offenbar ist dies nicht gelungen; vgl. hierzu Büsing, WTO-Beschaffungswesen, S. 148; Arrowsmith, Government Procurement, S. 117. 159 Die Anlage hat neben einer Definition der Einrichtung des öffentlichen Rechts folgenden Wortlaut: „Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, welche die Kriterien erfüllen, sind in Anlage I der Richtlinie93 / 37 enthalten. Diese Verzeichnisse haben lediglich hinweisenden Charakter“. Der Transparenz des Abkommens und seiner Akzeptanz in der Praxis dürfte dieser Verweis auf einen europäischen Rechtsakt kaum förderlich sein. Zur Richtlinie siehe Amtsblatt der EG Nr. L 199 / 56, 9. August 1993 und Nr. C 241 / 228, 29. August 1994. 160 Der englische Text lautet: „( . . . ) All other entities that procure in accordance with the provisions of this agreement“. 161 Zum Ganzen ausführlich Olivera, PPLR 1997, S. 16 ff.; Reich, International Public Procurement Law, S. 285 f.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
EU sind auch diese Unternehmen der Sektorenrichtlinie unterstellt, weil angenommen wurde, dass sie sich – etwa weil sie von der Verleihung von Monopollizenzen durch den Staat abhängen – von staatlichem Einfluss nicht werden frei machen können. Die EU blieb allerdings das einzige Mitglied, das gewillt war, auch auf der Ebene des GPA diesem Ansatz zu folgen. Insbesondere für die USA war es nicht denkbar, private Unternehmen dem Zwang des staatlichen Vergabeverfahrens zu unterwerfen. Die Anwendung des GPA ist deshalb auf solche Unternehmen beschränkt, die im Eigentum des Staates stehen oder seiner direkten Kontrolle unterliegen162.
B. Sachlicher Anwendungsbereich des GPA I. Auftragsgegenstände Beschaffungen staatlicher Stellen werden häufig in die Kategorien „Waren“, „Dienstleistungen“ und „Bauleistungen“ eingeteilt. Das GPA unterwirft grundsätzlich alle Beschaffungsgegenstände seinem Anwendungsbereich, folgt aber in den Anlagen dieser herkömmlichen Differenzierung. Die Beschaffung von Waren durch die in den Anlagen 1 bis 3 angeführten Vergabestellen ist grundsätzlich immer dem GPA unterworfen. Etwas anderes gilt lediglich bei Ausschluss bestimmter Warengruppen. Wichtigster Bereich ist insoweit die Beschaffung durch Vergabestellen im Bereich Verteidigung. Die EU führt eine Positivliste der Ausrüstungsgegenstände an, die bei Beschaffung durch Verteidigungsministerien unter das GPA fallen sollen163. Die USA haben eine Negativliste aufgestellt, in der die Beschaffungen bestimmter Produkte durch das Verteidigungsministerium angeführt sind, die nicht am GPA zu messen sein sollen164. Die unter das Abkommen fallenden Dienstleistungen sind in Anhang I, Anlage 4 des Abkommens angeführt. Die meisten Mitglieder bedienen sich Positivlisten, die erkennen lassen, dass im Bereich der Dienstleistungsaufträge der Anwendungsbereich des Abkommens erheblich geringer ist als im Bereich der Warenaufträge. Lediglich die USA haben im Dienstleistungssektor relativ weitgehende Zugeständnisse gemacht und nur wenige Auftragsgegenstände ausgeschlossen; sie verwenden als einziges Mitglied in diesem Bereich eine Negativliste165. Bauaufträge haben die Vertragsparteien in Anhang I, Anlage 5 des GPA behandelt. Ein Bauauftrag wird definiert als „contract which has as its objective the realization by whatever means of civil or building works, in the sense of Division 162 163 164 165
Arrowsmith, Government Procurement, S. 118. Anhang I (EG), Anlage 3. Anhang I (USA), Anlage 3. Anhang I (USA), Anlage 4.
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
109
51 of the Central Product Classification“166. Abgesehen von Korea haben die meisten Mitglieder Bauaufträge dem Abkommen unterstellt. II. Schwellenwerte Schwellenwerte bestimmen, ab welchem finanziellen Volumen ein Auftrag den Vorschriften des Abkommens unterliegt. Die Mitglieder bestimmen die Schwellenwerte gemäß Art. I Abs. 4 GPA im Anhang I selbst. Das Volumen des Auftrags errechnet sich nach den Regeln des Art. II GPA. Die unterschiedlichen Schwellenwerte stellen eine erhebliche Verkomplizierung und damit Schwachstelle des GPA dar. Zwar liegen die Schwellenwerte für Aufträge im Rahmen von Anhang I, Anlage 1 (Zentralebene) einheitlich bei 130.000 SZR bei Waren und Dienstleistungen. Im Bereich der Bauaufträge klaffen die Schwellenwerte jedoch bereits auseinander: Aufträge in Japan unterfallen bereits ab einem Volumen von 4,5 Mio. SZR dem GPA, während solche in Israel erst ab 8,5 Mio. SZR unter die Vorschriften des Abkommens fallen167. Im Rahmen von Anhang I, Anlage 2 (subzentrale Ebene) ergeben sich ebenfalls deutliche Unterschiede. Während beispielsweise die EG Schwellenwerte von 200.000 SZR (Waren und Dienstleistungen) bzw. 5 Millionen SZR (Bauaufträge) angegeben hat, liegt der Schwellenwert für US-Vergabestellen bei 355.000 SZR168. Ähnliches gilt für die sonstigen Vergabestellen in Anhang I, Anlage 3. Verträge, die nicht die geforderten Schwellenwerte erreichen, fallen nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des GPA und müssten sich allenfalls an sonstigen Vorschriften des WTORechts messen lassen169.
C. Politische Zwecke und der Anwendungsbereich des GPA Im Zusammenhang mit der hier interessierenden Problematik bedürfen zwei Aspekte besonderer Betrachtung. Zum einen haben mehrere Staaten in ihren Listen einige politische Zwecke schlicht vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen; insoweit stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit eines solches Vorgehens; außerdem ist zu überlegen, ob dieses Vorgehen ein „Modell“ darstellen könnte, um die Problematik insgesamt zu vermeiden. Zum anderen muß für die konkret zu untersuchenden Maßnahmen geklärt werden, ob sie in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen. Hierzu Arrowsmith, Government Procurement, S. 131. Anhang I (Japan), Anlage 1; Anhang I (Israel), Anlage 1. 168 Anhang I (EG), Anlage 2; Anhang I (USA), Anlage 2. 169 Dies wird aber durch die Vorschriften der anderen Verträge im Wesentlichen ausgeschlossen, vgl. Art. III Abs. 8 a) GATT, Art. XIII Abs. 1 GATS, Art. 1 Abs. 4 TBT; vgl. näher unter § 3 B.I dieses Teils. 166 167
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
I. Ausschluss politischer Zwecke vom Anwendungsbereich des GPA Die USA, Canada und Korea haben in ihre „Allgemeinen Bemerkungen“ zu Anhang I Klauseln aufgenommen, die die Förderung mittelständischer Unternehmen erlauben soll; die US-amerikanische Klausel geht darüber sogar noch hinaus: Notwithstanding the above, this Agreement will not apply to set asides on behalf of small and minority businesses170.
Die USA haben in Bezug auf subzentrale Vergabestellen zudem folgende Klausel aufgenommen: The Agreement shall not apply to preferences or restrictions associated with programs promoting the development of distressed areas and businesses owned by minorities, disabled veterans and women171.
Die deutsche Liste, Teil der Liste der Europäischen Gemeinschaften, sieht in Anhang I, Anlage 1 zudem folgenden Zusatz vor: According to existing national obligations, the entities contained in this list must, in conformity with special procedures, award contracts to certain groups in order to remove difficulties caused by the last war.
Durch diese Klauseln sollen eine Reihe von politischen Zwecken im Vergabeverfahren von vornherein legitimiert werden. Durch die unpräzise Formulierung der deutschen Klausel („certain groups“) ist es theoretisch denkbar, den Kreis der Begünstigten zu erweitern, solange es sich um Personen handelt, die als Kriegsopfer angesehen werden können. Ebenso lässt die unpräzise Fassung der amerikanischen Klausel der SBA theoretisch Raum, den Kreis der geförderten Unternehmen zu vergrößern. Das Abkommen gelangt in diesen Fällen nicht zur Anwendung. Faktische Diskriminierungen, denen sich ausländische Anbieter ausgesetzt sehen, da sie beispielsweise nicht in ausreichendem Umfang Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten beschäftigen – dies unter Umständen auch gar nicht können – bleiben außer Betracht, da das GPA nicht anwendbar ist. 1. Rechtliche Bewertung der Ausschlussklauseln Voraussetzung für diese Konsequenz ist, dass derartige Ausschlussklauseln überhaupt zulässig sind. Unproblematisch sind sie jedenfalls nicht, wie ein Blick in Art. I GPA zeigt172: 170 Anhang I (USA), General Notes, Nr. 1; Anhang I (Canada), General Notes, Nr. 1 d); Anhang I (Korea), Nr. 3 zu Anlage 1, Nr. 3 zu Anlage 2 und Nr. 2 zu Anlage 3. 171 Anhang I (USA), Nr. 2 zu Anlage 2. 172 Dass derartige Klauseln zumindest diskussionswürdig sind, wird von den (wenigen) Autoren, die sich mit dem Anwendungsbereich des GPA auseinandergesetzt haben, zumeist
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
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Art. I Scope and Coverage (1) This Agreement applies to any law ( . . . ) regarding any procurement by entities covered by this Agreement, as specified in Appendix I. (2) This applies to procurement by any contractual means, including through such methods as purchase or as lease, rental or hire purchase, with or without an option to buy, including any combination of products and services. (3) ( . . . ) (4) This agreement applies to any procurement contract of a value of not less than the relevant threshold specified in Appendix I.
Der Anwendungsbereich des Abkommens wird danach nur durch die Bestimmung der erfassten Vergabestellen sowie durch die Bestimmung des Schwellenwerts eingeschränkt. Dies sind die Regulative, die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut des GPA zur Verfügung stehen, um im bilateralen Verhältnis ein Gleichgewicht der Marktöffnungen herzustellen. Sie werden nach dem Wortlaut des Art. I Abs. 1 GPA und des Art. I Abs. 4 GPA im Anhang I von den Mitgliedern bestimmt. Ansonsten bleibt es bei dem Grundsatz des Art. I Abs. 1 GPA, dass das Abkommen auf jedes Gesetz und jede Auftragsvergabe anwendbar ist. Die besagten Klauseln schränken nun die Anwendbarkeit des Abkommens in weiterem Umfang ein. Sie betreffen offensichtlich weder die Definition der Vergabestellen noch die Definition der Schwellenwerte. Insofern stehen sie im Widerspruch zu Art. I GPA. Zwar definieren die Listen der Mitglieder teilweise auch den Umfang der Auftragsgegenstände, was ebenfalls über den vorgesehenen Rahmen der Einschränkbarkeit hinausgeht. So wurde im Bereich der Verteidigung von allen Mitgliedern die erfasste Auftragsvergabe auf die Beschaffung von nichtmilitärischen Gütern beschränkt. Die Mitglieder haben zudem, wenn sie Vergabestellen im Rahmen der Anlagen angeführt haben, in zahlreichen Fällen Angaben hinzugefügt, für welche Auftragsgegenstände die Vergabestelle nicht durch das Abkommen gebunden sein soll173. Doch kann man diese Angaben so verstehen, dass die angeführte Vergabestelle eben insoweit unter das Abkommen fallen soll, als sie nicht die ausgeklammerten Auftragsgegenstände vergibt. Ein solches Verständnis ist aber nicht möglich, wenn es sich um die Verfolgung von politischen Zwecken handelt. Gedacht werden könnte daran, die überschießenden Einschränkungen der Klauseln bezüglich politischer Zweckverfolgung als völkerrechtliche Vorbehalte zum GPA anzusehen. In der Tat werden unilaterale „Modifizierungen“ des Abkommens im Rahmen der Anlagen in der Literatur teilweise als (zulässige) völkerrechtliche übersehen. So wird beispielsweise von Arrowsmith festgestellt, dass Art. I GPA nur die Angabe von Vergabestellen und Schwellenwert betrifft, später aber apodiktisch festgestellt, dass manche Vertragsparteien den Anwendungsbereich im Hinblick auf die Verfolgung bestimmter Sekundärzwecke ausgeschlossen haben; vgl. Arrowsmith / Linarelli / Wallace, Regulating Public Procurement, S. 194 und S. 201. 173 Vgl. beispielhaft Anhang I, Anlage 1 der USA.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Vorbehalte bezeichnet174. Zutreffend ist dies allerdings nicht, da Vorbehalte zum GPA nach Art. XXIV Abs. 4 GPA explizit nicht zulässig sind175; nach Art. 19 a) WVRK durften die Mitglieder daher keine Vorbehalte anbringen. Dies musste den Parteien aufgrund der Existenz von Art. XXIV Abs. 4 GPA auch von vornherein bekannt sein, so dass die Klauseln, würden sie als unzulässige Vorbehalte angesehen, keinerlei Rechtswirkung hätten176. Auftragsvergaben, in deren Zusammenhang die in den Klauseln angeführten Zwecke verfolgt werden, könnten dann trotz Ausschlussklausel im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Zweckverfolgung mit dem GPA überprüft werden. Dennoch ist die Unzulässigkeit der Sekundärzweckklauseln keine notwendige Konsequenz. Als Bestandteil der Anhänge und Anlagen des GPA sind sie gemäß Art. XXIV Abs. 12 GPA Bestandteil des Übereinkommens. Das bedeutet, dass sie auf gleicher Stufe stehen wie die Vorschriften des GPA. Art. I GPA kann also keine Höherwertigkeit beanspruchen. Die Gleichrangigkeit der Klauseln mit Art. I GPA führt zu der Frage, wie Widersprüche zwischen Bestimmungen des WTO-Rechts aufzulösen sind. Das WTO-Recht selbst beantwortet nur die Frage, wie im Falle eines Widerspruchs zwischen dem WTO-Vertrag und einem multilateralen Abkommen in dessen Anhang177 bzw. dem GATT und einem dieser Abkommen vorzugehen ist178. Mangels Regelung im WTO-Recht selbst muss daher auf den allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundsatz des Völkerrechts zurückgegriffen werden, nach dem keine Norm eines Abkommens so ausgelegt werden darf, dass einer anderen Norm kein Anwendungsbereich mehr zukommt. Dies muss hier zu einem Vorrang der Bestimmungen der Anlagen führen. Wäre dies nicht der Fall, so hätten diese Bestimmungen überhaupt keinen Anwendungsbereich. Umgekehrt ist dies hingegen nicht der Fall: dem Art. I GPA kommt als Grundsatzregelung weiterhin Bedeutung für alle anderen Bestimmungen der Anlagen zu. Dass diese Bedeutung durch den Vorrang der Bestimmung in der Anlage teilweise ausgehöhlt wird, ist misslich; die Ursache liegt jedoch darin, dass die Vertragsparteien es versäumt haben, widersprüchliche Regelungen zu vermeiden. Der Vorrang der Bestimmung der Anlagen trägt dem Gebot Rechnung, in dieser Situation einen schonenden Ausgleich zu finden. Klauseln in den Anlagen der Anhänge des GPA, die politische Auftragsvergabe aus dem Anwendungsbereich des GPA ausklammern, sind daher zulässig und wirksam. Dieses Ergebnis ist auch politisch überzeugend, da die Anhänge ja gerade das Gleichgewicht der Marktöffnungen widerspiegeln, das die Mitglieder des AbkomStoll / Schorkopf, Welthandelsorganisation, S. 142. Der WTO-Vertrag bestimmt in Art. XVI Abs. 5, dass sich die Zulässigkeit von Vorbehalten zu einem plurilateralen Übereinkommen nach den Bestimmungen des plurilateralen Abkommens selbst richtet. 176 Für eine Rechtswirkung aber Ipsen, Völkerrecht, S. 146. 177 Art. XVI WTO-Vertrag. 178 Allgemeine Auslegungsregel zu Anhang 1A des WTO-Vertrags. 174 175
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mens in ihren Verhandlungen erreicht haben. Es würde empfindlich gestört, würden die Angaben der Mitglieder teilweise für unzulässig erklärt. Damit ist die Untersuchung einiger mit dem Vergabewesen verfolgter politischer Zielsetzungen bereits abgeschlossen: die sozialpolitischen Zwecke der Minderheitenförderung in den USA und der Kriegsopferprivilegierung in der Bundesrepublik sind nach dem GPA zulässig. Gleiches gilt für die Privilegierung von mittelständischen Unternehmen in den USA. Damit ist auch das Modell der SBA, einen bestimmten Prozentsatz öffentlicher Aufträge an sich zu ziehen und an die entsprechenden Unternehmen weiterzugeben, rechtlich unproblematisch, da das GPA gar nicht anwendbar ist. Natürlich handelt es sich hier aber um Sonderfälle; die Verfolgung derselben Zielsetzungen durch andere Mitglieder des Abkommens wäre am GPA zu messen. 2. Ausschlussklauseln als Modell für politische Auftragsvergabe? Dies wirft die Frage auf, ob die Mitglieder nicht insgesamt dem Problem der politischen Auftragsvergabe unter dem GPA aus dem Weg gehen können, indem sie es aus dem Anwendungsbereich des Abkommens herausnehmen179. Ob dies aus welthandelsrechtlicher Perspektive wünschenswert ist, ist insoweit unerheblich; könnten die Mitglieder ihre Anlagen nachträglich in diesem Sinne anpassen, wäre dies für sie eine Möglichkeit, um rechtliche Probleme zu entschärfen bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Änderung der bestehenden Listen ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Art. XXIV Abs. 6 a) GPA, die insoweit maßgebliche Norm, sieht für eine Änderung der Listen zunächst eine Mitteilung an den Ausschuss für das öffentliche Beschaffungswesen vor. Da es sich bei einer Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht um eine geringfügige Änderung handeln würde, müsste eine Prüfung durch den Ausschuss nach Art. XXIV Abs. 6 a) S. 3 und 4 GPA stattfinden. Diese Prüfung zielt nach dem Wortlaut von S. 4 darauf ab, „ein Gleichgewicht der Rechte und Pflichten und den allseits vereinbarten Anwendungsbereich dieses Übereinkommens, wie er vor dieser Änderung gegeben war, in vergleichbarer Höhe aufrechtzuerhalten“. Dies kann dazu führen, dass das betreffende Mitglied aufgefordert wird, ausgleichend weitere Vergabestellen dem Abkommen zu unterstellen oder Schwellenwerte zu senken. Kommt es im Ausschuss zu keiner Einigung, stellt sich die Frage, ob die Änderung der Anlage dennoch vorgenommen werden kann, ob also ein Recht des Mitglieds darauf besteht. Diese Frage ist zu bejahen, denn nur in diesem Fall macht es Sinn, ein Panel mit der Problematik zu betrauen, wie dies S. 5 GPA vorsieht. Hierfür spricht auch Art. XXIV Abs. 6 b) S. 1 GPA, der einen Spezialfall der Änderung der Anlagen betrifft und in diesem Zusammenhang von der Ausübung der „Rechte“ der Partei spricht180. Damit besteht grundsätzlich 179 180
Hierzu auch Arrowsmith, Government Procurement, S. 348. Arrowsmith, Government Procurement, S. 126.
8 Gaedtke
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
durchaus die Möglichkeit, die Anlagen im Sinne einer Ausklammerung von politischen Zwecken zu ändern. Nur würde dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Einsetzung eines Panels nach Art. XXII GPA führen mit der Folge, dass das Mitglied dann mit einer Aussetzung von Zugeständnissen durch die anderen Mitglieder rechnen müsste. Aus Sicht der Mitglieder des GPA erscheint es kaum geraten, diesen Weg zu gehen. Anders verhält es sich jedoch im Hinblick auf die Staaten, die dem Abkommen beitreten wollen. Für sie stellt der Ausschluss politischer Zwecke in den Anlagen eine Möglichkeit dar, um sicherzustellen, dass sie keine Vertragsverletzung des GPA riskieren181. Inwieweit dies tatsächlich notwendig ist, wird sich aus den weiteren Abschnitten dieser Arbeit ergeben.
II. Politische Zwecke im Anwendungsbereich des GPA Wie die Ausführungen gezeigt haben, bedarf es im Einzelfall immer einer genauen Prüfung, ob der betreffende Auftrag in den Anwendungsbereich des Abkommens fällt und ob gegebenenfalls eine Bindung gegenüber dem Vertragsstaat besteht, der sich auf eine Verletzung beruft. Allgemeine Aussagen lassen sich daher nur schwerlich treffen. Anhand von zwei Fällen aus der Liste der politischen Zwecke soll die Prüfung exemplarisch durchgeführt werden.
1. Stadt München gegen ausbeuterische Kinderarbeit Die Klärung der Frage, ob die Stadt München bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an das GPA gebunden ist, erfordert einen Blick in den Anhang I, Anlage 2 der EG. Diese Anlage listet die subzentralen Stellen auf, die dem GPA unterstellt sind. Dabei werden die nationalen Stellen in der Gemeinschaft nicht als subzentral angesehen; sie wurden im Rahmen der Anlage 1 aufgenommen. Die Anlage bindet nach ihrem Wortlaut „jede Einrichtung, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und die Rechtspersönlichkeit besitzt und die überwiegend vom Staat, von regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliege oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, den Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.“ 181 Arrowsmith vertritt allerdings die Auffassung, der Ausschluss politischer Zwecke aus dem Anwendungsbereich des Abkommens sie ein zeitlich begrenztes Phänomen; vgl. Arrowsmith, Government Procurement, S. 350. Außer im Verhandlungswege dürfte aber bei der jetzigen Rechtslage kaum zu verhindern sein, dass Neumitglieder ebenso wie die Mitglieder politische Zielsetzungen vom Anwendungsbereich des GPA ausnehmen.
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Die Stadt München als Kommune ist eine „lokale“ Behörde und erfüllt die genannten Kriterien unproblematisch. Sie ist damit grundsätzlich durch das GPA gebunden. Es kommt allerdings im konkreten Fall auf den Gegenstand des Auftrags an. Handelt es sich beispielsweise um die Beschaffung von Computerzubehör und technische Ausrüstung, so ist eine Bindung gegenüber Kanada nicht gegeben182. Beschaffungen von Steckern, Kabeln und ähnlichen Materialien sind von einer Bindung gegenüber Korea und Israel befreit183. Eine (weitere) Einschränkung erfährt die Anwendbarkeit des GPA durch die Schwellenwerte der Anlage. Sie variieren je nachdem, ob es um die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen oder Bauwerken geht. Bei dem Stadtratsbeschluss geht es um die Beschaffung von Waren, so dass der Schwellenwert für Waren, der bei 200.000 SZR liegt, maßgeblich ist. Bei Aufträgen, die diesen Schwellenwert erreichen, ist die Stadt München also an das GPA gebunden, soweit die Allgemeinen Anmerkungen des Anhangs nicht im bilateralen Verhältnis etwas anderes bestimmen.
2. Keine US-Aufträge an die „Antikriegskoalition“ im Irak Mit Bezug auf den von den USA verkündeten Ausschluss von Unternehmen aus Staaten, die sich gegen die Invasion der USA im Irak gewandt hatten, stellt sich die Rechtslage komplizierter dar. Zunächst stellt sich die Frage, ob die „Coalition Provisional Authority in Iraq“ (CPA) bzw. das „Department of Defense“ (DOD), wenn es für die CPA Beschaffungen vornimmt, in den persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens fallen. Weiter ist zu klären, ob die Vertragsgegenstände jeweils vom Abkommen erfasst werden. Im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich haben die USA im Anhang I, Anlage 1 den Ansatz einer Positivliste gewählt. Es kommt also darauf an, ob die betreffenden Behörden in dieser Positivliste enthalten sind. Das DOD findet sich in Nr. 87 der Anlage 1 und ist grundsätzlich vom GPA erfasst. Die CPA hingegen ist erst 2003 gegründet worden und findet sich naturgemäß nicht in der Anlage 1 der USA, die auf dem Stand vom 1. März 2000 ist. Die Frage ist also, ob der Umstand, dass die CPA eng mit dem DOD verknüpft ist, ausreichend ist, um diese Aufträge unter Nr. 87 der Anlage 1 zu subsumieren. Insoweit liefert der bisher einzige WTO-Fall zum GPA, der von einem Panel entschieden wurde, einige wichtige Hinweise184. Dort ging es um die Frage, ob die Nähebeziehung der Koreanischen Flughafenbehörde zum Koreanischen Bau- und Verkehrsministerium ausreichend war, um die Flughafenbehörde – die im GegenAnhang I (EG), Allgemeine Anmerkungen, WT / Let / 330, Nr. 3, 1. Spiegelstrich. Anhang I (EG), Allgemeine Anmerkungen, WT / Let / 330, Nr. 3, 3. Spiegelstrich. 184 Bericht des Panels zu „Korea–Measures Affecting Government Procurement“, WT / DS163 / R, vom 19. Juni 2000; hierzu ausführlich Büsing, WTO-Beschaffungswesen, S. 154 ff. 182 183
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
satz zum Ministerium nicht explizit in der Anlage angeführt war – dem GPA zu unterwerfen. Die USA hatten damals behauptet, dass das Ministerium die Kontrolle der Auftragsvergabe in den Händen halte und daher faktisch der Auftraggeber sei185. Das Panel entschied, es sei grundsätzlich möglich, dass Stellen, die nicht ausdrücklich in der Anlage genannt sind, durch das Abkommen gebunden seien. Eine nicht aufgelistete Vergabestelle falle in den Anwendungsbereich des GPA, wenn sie (1) ein Teil der aufgelisteten Vergabestelle ist bzw. rechtlich mit dieser verknüpft ist oder wenn sie (2) als Vertreterin für eine aufgelistete Vergabestelle handelt186. Überträgt man diese Grundsätze auf das Verhältnis zwischen CPA und DOD, so lässt sich eine Bindung der CPA an das GPA durchaus vertreten. Zwar ist die CPA offiziell eine Behörde der Kriegskoalition, sollte also an sich von mehreren Staaten kontrolliert werden. Faktisch läßt sich dennoch wohl kaum bestreiten, dass die CPA vom DOD kontrolliert wird187. Ein deutlicherer Hinweis als die Tatsache, dass die Entscheidung über das Irak-Memorandum vom 5. Dezember 2003 vom DOD und nicht von der CPA getroffen wurde, ist kaum denkbar. Zudem erging die Entscheidung allein unter Hinweis auf amerikanische Vorschriften und amerikanische Finanzierung. Hinzu kommt schließlich, dass das DOD das Personal der CPA bestimmt und faktisch die Organisation der Behörde innehat188. Ist also die CPA aufgrund ihres Näheverhältnisses zum DOD gebunden, wenn sie selbst Aufträge vergibt, so besteht erst recht eine Bindung, wenn das DOD Aufträge für die CPA vergibt. Denn auch wenn diese Auftragsvergabe rechtlich für die CPA vorgenommen werden soll, bleibt die faktische Kontrolle des DOD über die CPA, die die Zuordnung des Auftrags zum DOD nach sich zieht. Der persönliche Anwendungsbereich ist demnach eröffnet. Mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich weist Pauwelyn darauf hin, dass die Aufträge der CPA bzw. des DOD als Entwicklungshilfe angesehen werden könnten und damit aus dem sachlichen Anwendungsbereich des GPA fallen würden. Entwicklungshilfe ist aufgrund von drei Vorschriften bzw. Klauseln in den US-Anlagen ausgeschlossen189: So bestimmt die Anmerkung zum GPA am Ende des Abkommens, dass Art. I Abs. 1 GPA keine Anwendung findet auf „Beschaffungen im Rahmen der gebundenen Entwicklungshilfe, solange diese von den Vertragsparteien gewährt wird“. Weiter schließe Anhang I, Anlage 1 Nr. 10 Aufträge von US AID aus, die im Rahmen der Entwicklungshilfe vergeben werden, so dass argumentiert werden könne, auch Nr. 87 müsse entsprechend interpretiert werden, 185 186 187
Bericht des Panels, Ziff. 7.58. Bericht des Panels, Ziff. 7.59. Pauwelyn, Jurist, im Internet unter http: //jurist.law.pitt.edu/forum/forumnew133.php,
S. 3. 188
Pauwelyn, Jurist, im Internet unter http: //jurist.law.pitt.edu/forum/forumnew133.php,
S. 3. 189
S. 4.
Pauwelyn, Jurist, im Internet unter http: //jurist.law.pitt.edu/forum/forumnew133.php,
§ 2 Der Anwendungsbereich des GPA
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soweit er Entwicklungshilfe betreffe. Schließlich weist Pauwelyn auf den allgemeinen Ausschluss von Entwicklungshilfe in den Allgemeinen Anmerkungen der USA zu den Anhängen hin: „except as specified otherwise in this Appendix . . . any form of government assistance (is excluded), including . . . grants . . . and governmental provision of goods and services to persons or governmental authorities not specifically covered under US annexes to this agreement“190. Die für den Wiederaufbau des Irak vergebenen Aufträge als Entwicklungshilfe anzusehhen, kann jedoch kaum überzeugen, selbst wenn der Irak sich als Entwicklungsland bezeichnen sollte – was Voraussetzung für diesen Status im Rahmen des WTO-Rechts ist. Denn die USA tragen eine rechtliche Verantwortung für den Wiederaufbau des Irak. Sie entstammt aus dem vorangegangenen Angriffskrieg gegen den Irak. Unabhängig davon, ob man diesen Krieg als völkerrechtlich legitimiert ansieht oder nicht, kommt den USA (und den beteiligten Staaten) unstrittig der Status einer Besatzungsmacht im Sinne von Art. 42 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) zu191. Nach Art. 43 HLKO sind die USA daher verpflichtet, die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen. Gemäß Art. 55 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten hat die Besatzungsmacht die Pflicht, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen 192; „insbesondere führt sie Lebensmittel, medizinische Ausrüstungen und alle anderen notwendigen Artikel ein, falls die Hilfsquellen des besetzten Gebiets nicht ausreichen“. Die Leistungen, die die USA erbringen, um ihren Pflichten als Besatzungsmacht nachzukommen, können somit nicht als Entwicklungshilfe bezeichnet werden: der Begriff der Entwicklungshilfe findet jedenfalls dort seine Grenze, wo die Leistung aufgrund einer anderweitigen rechtlichen Verpflichtung erfolgt193. Folgt man der wohl in der Literatur herrschenden Auffassung, dass der IrakKrieg mangels völkerrechtlicher Legitimation rechtswidrig war, so könnten die amerikanischen Wiederaufbaumaßnahmen auch als Wiedergutmachung für ein vorangegangenes völkerrechtliches Delikt eingestuft werden194. Mit Entwicklungshilfe hätten diese Leistungen in diesem Fall noch weniger zu tun.
Anhang I (USA), Allgemeine Anmerkungen. Nach Art. 42 HLKO gilt ein Gebiet als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet; hierzu Ipsen, Völkerrecht, S. 1096 f. 192 Der Anwendungsbereich des Abkommens ist auch nach Ende der Kampfhandlungen, im Falle einer Besetzung eröffnet, Art. 2 Abs. 2. Für eine umfassende Pflicht der Besatzungsmacht für die Wohlfahrt der Einwohner des besetzten Gebiets Bothe, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 637. 193 Cypher / Dietz, Economic Development, S. 584: „The term foreign aid is often loosely and incorrectly applied to programmes that are not concessionary . . . All foreign aid is concessionary“. Kommt der Staat einer völkerrechtlichen Verpflichtung nach, liegt keine Konzession vor. 194 Siehe hierzu die Beiträge im Archiv des Völkerrechts, 2003, Heft Nr. 4 von Bothe, Der Irak-Krieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot; Bruha, Irak-Krieg und Vereinte Nationen; Kunig, Völkerrecht als Recht der Weltbevölkerung. 190 191
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Ein weiterer problematischer Aspekt ist eine Formulierung im Zusatz zu Anhang I, Anlage 1 Nr. 87 der USA. Danach findet das Abkommen auf die Beschaffung einer Liste von Produkten durch das DOD Anwendung, dies aber nach Maßgabe von Entscheidungen der US-Regierung im Hinblick auf Art. XXIII Abs. 1 GPA195. Art. XXIII Abs. 1 GPA ist die Ausnahmevorschrift des GPA für Fragen der nationalen Sicherheit. Diese Klausel inkorporiert also in die Anlage der USA eine Ausnahmevorschrift des Abkommens mit der Folge, dass bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen bereits die Anwendbarkeit des Abkommens entfällt. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Entscheidung der US-Regierung im Rahmen von Art. XXIII Abs. 1 GPA, welche Maßnahmen ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen berühren, von der WTO überprüft werden kann. Diese Frage wird im Rahmen der Untersuchung der Ausnahmetatbestände des Art. XXIII GPA ausführlich behandelt196. Vorweggenommen sei, dass den Mitgliedern im Zusammenhang mit Fragen der nationalen Sicherheit – im Einklang mit den im 1. Teil der Arbeit getroffenen Feststellungen – ein weiter Spielraum eingeräumt werden sollte, der hier dazu führen wird, dass der Anwendungsbereich des GPA für die im Irak vergebenen Aufträge nicht eröffnet ist.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA Ist der Anwendungsbereich des GPA eröffnet, kommen mehrere Verbotstatbestände in Betracht, die zu einer Unzulässigkeit politischer Auftragsvergabe führen können. Die Unzulässigkeit kann sich zunächst aus den gemeinsamen Vorschriften über das Verfahren bei der Auftragsvergabe ergeben. Die Art. VII bis XVI GPA enthalten Vorgaben, die die Vergabeverfahren der Mitglieder einheitlich gestalten sollen und einer Verfolgung von politischen Zwecken entgegenstehen können. Weiter stellt das Diskriminierungsverbot des GPA ein potentielles Hindernis dar. Es hat seinen Platz in Art. III GPA als Grundnorm, findet aber in zahlreichen weiteren Normen des GPA wiederholende Erwähnung. Schließlich ist Art. VI GPA zu nennen, der einen speziellen Tatbestand für technische Spezifikationen enthält und einer Verfolgung einiger politischer Zwecke, zum Beispiel bestimmter Umweltschutzmaßnahmen, entgegenstehen kann. Der folgende Abschnitt klärt, wie weit die Verbotstatbestände reichen und wie sie sich konkret auf die Zulässigkeit der hier interessierenden Zwecke auswirken.
195 „This Agreement will generally apply to purchases of the following FSC categories subject to United States Government determinations under the provisions of Article XXIII, paragraph 1“. 196 Siehe unten § 4 A., insbesondere § 4 A.II.1.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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A. Gemeinsame Verfahrensvorschriften der Art. VII – XVI GPA Die wenigen WTO-rechtlichen Publikationen zum Thema der politischen Auftragsvergabe diskutieren gewöhnlich vor allem die Auslegung der gemeinsamen Verfahrensvorschriften197. In der Tat sind diese von erheblicher Bedeutung, da sie die Problematik in einigen Vorschriften direkt ansprechen. Zudem würde ein verfahrensrechtliches Verbot bedeuten, dass sämtliche politischen Zwecke grundsätzlich unzulässig wären, unabhängig von der Zielrichtung oder den faktischen Auswirkungen198. Die gemeinsamen Verfahrensvorschriften führen eine teilweise Harmonisierung der nationalen Vergabeverfahren herbei. Sie sehen drei Verfahren vor, nach denen Aufträge vergeben werden können: offene Verfahren, nicht-offene Verfahren sowie eingeschränkte Vergabeverfahren199. Beim offenen Verfahren ist durch Ausschreibung des Auftrags jedem Bieter die Möglichkeit zu geben, am Vergabeverfahren teilzunehmen und eine ordnungsgemäße Prüfung seines Angebots zu erhalten200. Auftragsvergaben sind daher bekanntzumachen (Vergabebekanntmachung). Hingegen können beim nicht-offenen Verfahren nur solche Unternehmen ein Angebot abgeben, die von der Beschaffungsstelle dazu aufgefordert wurden201. Die Gefahr der Bevorzugung bestimmter, insbesondere inländischer Unternehmen ist hier besonders offensichtlich, weshalb Art. X Abs. 1 GPA bestimmt, dass ein Maximum ausländischer Unternehmen zur Teilnahme am nicht offenen Verfahren aufzufordern ist. Aus Sicht einer Vergabestelle ist es sinnvoll, ständige Listen qualifizierter Unternehmen zu führen, die im Falle einer Ausschreibung im Rahmen des nicht offenen Verfahrens zur Abgabe eines Angebots aufzufordern sind. Diese Listen erhält die Vergabestelle durch Teilnahmewettbewerbe, die der Auftragsvergabe vorgeschaltet sind. Diese werden als Präqualifikationsverfahren bezeichnet202. Auch Präqualifikationsverfahren sind bekanntzumachen (Wettbewerbsbekanntmachung)203. Beide Verfahren – sowohl das offene als auch das nicht offene – werden vom GPA als Regelfälle anerkannt; ein Vorrang eines Verfahrens ist nicht bestimmt. 197 Siehe die Aufsätze und Beiträge von McCrudden, JIEL 1999, S. 10 ff.; McCrudden, Sustainable Public Procurement, S. 22 ff.; Arrowsmith, Government Procurement, S. 325 f. 198 Dennoch sind sie prinzipiell einer Rechtfertigung zugänglich, was die Ausnahmetatbestände nach Art. XXIII GPA mindestens ebenso wichtig macht; diese werden aber besonders bei Arrowsmith stark vernachlässigt, Arrowsmith, Government Procurement, S. 344. 199 Das eingeschränkte Verfahren wird auch als Verfahren der „freihändigen Vergabe“ bezeichnet. Die Begriffe sind austauschbar. 200 Art. VII Abs. 3 a) GPA; zu den Verfahrensarten ausführlich bereits Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 239 ff.; siehe auch Büsing, WTO-Beschaffungswesen, S. 203 ff. 201 Art. VII Abs. 3 b) GPA. 202 Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 244. 203 Vgl. Art. IX GPA, insbesondere Abs. 5.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Anderes gilt hingegen für die eingeschränkte Vergabe, die nur in bestimmten, in Art. XV GPA angeführten Fällen zulässig ist. Bei diesem Verfahren setzt sich die Vergabestelle direkt mit einem (oder mehreren) Lieferanten in Verbindung, so dass ein Wettbewerb im Regelfall nicht stattfindet204. Diese Situation soll nach dem GPA allerdings den Ausnahmefall darstellen205. Der folgende Abschnitt untersucht die Zulässigkeit politischer Zwecke im Rahmen des offenen und nicht-offenen Verfahrens, für die im Wesentlichen die gleichen Vorschriften und Verbotstatbestände gelten, sowie die Zulässigkeit im Rahmen des eingeschränkten Verfahrens. Schließlich behandelt der Abschnitt den Sonderfall der Kompensationsgeschäfte, der in beiden Verfahrensarten auftreten kann und dem im GPA eine separate Norm gewidmet wird. I. Offenes und nicht-offenes Verfahren Die Verfahrensvorschriften enthalten in Art. VIII b) und Art. XIII Abs. 4 b) GPA zwei Vorschriften, die einer politischen Instrumentalisierung des Vergabeverfahrens entgegenstehen können. Sie beziehen sich auf die Bedingungen, die an den Bieter und das Angebot gestellt werden dürfen. Nach der aus dem deutschen und dem europäischen Recht bekannten Unterscheidung handelt es sich damit einerseits um Eignungskriterien und andererseits um Zuschlagskriterien. Allerdings wird diese Terminologie im GPA nicht in dieser Form durchgehalten. So enthält Art. XIII Abs. 4 GPA, der in der deutschen Übersetzung mit „Zuschlagserteilung“ übertitelt ist, neben angebotsbezogenen auch bieterbezogene Kriterien, also Eignungskriterien206. Einen eigenen Abschnitt zu Eignungskriterien gibt es nicht, wohl aber Vorschriften, die bieterbezogene Kriterien betreffen und möglicherweise einschränken. Die Trennung zwischen Eignungskriterien und Zuschlagskriterien, die im Europarecht vorgenommen wird, gibt es im GPA also nicht. Es ist daher auch nicht sinnvoll, dieses Begriffspaar im Rahmen des GPA zu verwenden. An dieser Stelle wird daher von bieterbezogenen und angebotsbezogenen Kriterien gesprochen. Die beiden hier maßgeblichen Tatbestände haben in der rechtlich verbindlichen englischen Fassung folgenden Wortlaut: Art. VIII GPA Qualification procedures shall be consistent with the following: (a) ( . . . ) Hierzu ausführlich Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 247 ff. Art. VII Abs. 3 c) GPA iVm Art. XV GPA. 206 In diese Richtung scheint die Rechtsprechung des EuGH allerdings auch zu gehen; insoweit herrscht aber noch beachtliche Unklarheit, vgl. Schäfer, Öffentliche Belange, S. 266; Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 228 f. 204 205
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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(b) any conditions for participation in tendering procedures shall be limited to those which are essential to ensure the firm’s capability to fulfill the contract in question. Any conditions for participation required from suppliers, including financial guarantees, technical qualifications and information necessary for establishing thefinancial, commercial, and technical capacity of suppliers, as well as the verification of qualifications, shall be no less favorable to suppliers of other parties than to domestic suppliers ( . . . ). Art. XIII GPA 4. a) To be considered for award, a tender must ( . . . ) be from a supplier which complies with the conditions of participation. 4. b) (The) entity shall make the award to the tenderer who has been determined to be fully capable of undertaking the contract and whose tender, whether for domestic products or services, or products or services of other Parties, is either the lowest tender or the tender which in terms of the specific evaluation criteria set forth in the notices or tender documentation is determined to be the most advantageous.
Ausgangspunkt für eine Interpretation ist nach Art. 31 Abs. 1 WVRK der gewöhnliche Wortlaut. Eine Rolle spielt darüber hinaus der systematische Zusammenhang, in dem die Vorschriften stehen. Die folgenden beiden Abschnitte zeigen, dass die zitierten Vorschriften im Hinblick auf Wortlaut und Systematik wenig eindeutig und auch widersprüchlich sind. Die Einbeziehung weiterer Überlegungen, insbesondere zu Sinn und Zweck der Vorschriften, führt im Ergebnis dazu, dass sie politischen Kriterien im Vergabeverfahren nicht entgegenstehen, soweit sich die Kriterien in den Vertragsbedingungen wiederfinden.
1. Bieterbezogene Kriterien: Wortlaut und Systematik Bieterbezogene Kriterien werden sowohl in Art. VIII b) GPA als auch in Art. XIII Abs. 4 GPA angesprochen. Während sich Art. XIII GPA sowohl auf das offene als auch das nicht-offene Verfahren bezieht, ist Art. VIII GPA nur für das nicht-offene Verfahren relevant. Denn ein „Qualifikationsverfahren“ bzw. „Präqualifikationsverfahren“ gibt es nur im nicht-offenen Verfahren207. Für das offene Verfahren gelten hingegen lediglich die Anforderungen aus Art. XIII Abs. 4 GPA. Die Mehrzahl der hier relevanten politischen Zwecke ist bieterbezogen. So handelt es sich bei den sozialpolitischen Zwecken um bieterbezogene Aspekte, wenn der Nachweis über Frauenförderungsprogramme oder Minderheitenbeteiligung gefordert wird. Ebenso sind die strukturpolitischen Kriterien wie Größe des Unternehmens und regionale Ansässigkeit des Unternehmens bieterbezogen. Auch herstellungsbezogene Aspekte sind mit Eigenschaften des Bieters verknüpft, nämlich den von ihm bereitgestellten Produktionsbedingungen, solange sie sich nicht im 207 Es werden in diesen Fällen entweder ständige – unabhängig vom einzelnen Verfahren erstellte – Listen qualifizierter Bieter verwendet oder es wird jeder einzelnen Ausschreibung ein „Teilnahmewettbewerb“ vorgeschaltet, näher Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 244 f.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Produkt niederschlagen; im letzteren Fall sind sie angebotsbezogen. Die Beachtung bestimmter Arbeitsstandards ist daher in der Regel bieterbezogen, ebenso die von Menschenrechten. Und selbst außenpolitische Kriterien wie Investitionen in Libyen oder Iran und – im Sinne der Richtlinie des US-Verteidigungsministeriums – die Staatsangehörigkeit des Unternehmens sind Kriterien, die auf Merkmale des Bewerbers abzielen und damit bieterbezogen sind. Art. XIII Abs. 4 a) GPA bestimmt im Hinblick auf bieterbezogene Kriterien, dass die Lieferanten, die für den Zuschlag in Betracht kommen, die „Teilnahmebedingungen erfüllen“ müssen. Eine Aussage über die Reichweite der möglichen Teilnahmebedingungen ist damit nicht getroffen. Problematischer ist Art. XIII Abs. 4 b) GPA. Dieser bestimmt in seiner deutschen Übersetzung, dass der Zuschlag dem Bieter erteilt wird, „von dem feststeht, dass er voll in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen ( . . . )“. Dies könnte dafür sprechen, dass nur solche Kriterien eine Rolle spielen dürfen, die sich auf die Fähigkeit des Unternehmers beziehen, die konkrete Beschaffungsleistung zu vollbringen. Doch dieses Verständnis der Vorschrift ist keinesfalls notwendig. Denn wenn der Auftrag so ausgestaltet ist, dass er den Unternehmer zur Beachtung bestimmter politischer Zwecke verpflichtet, ist der Wortlaut erfüllt: der Bieter ist eben nur dann „voll in der Lage, den Auftrag zu erfüllen“, wenn er die Arbeitsstandards beachtet oder die umweltfreundlichen Produktionsmethoden verwendet, auf die ihn die Auftragsbedingungen verpflichten werden. Weist er dies nicht nach, kann er vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Aus Sicht der Vergabestelle wäre also lediglich erforderlich, die verfolgten Zwecke in den Vertragstext mit aufzunehmen, um den Bedingungen des Art. XIII Abs. 4 b) GPA zu genügen208. Auch der Wortlaut von Art. VIII b) GPA lässt sich in diesem Sinne verstehen. In seiner deutschen Übersetzung besagt Art. VIII b) S. 1 GPA, dass für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren „nur solche Bedingungen verlangt werden“ dürfen, die „notwendig sind, um die Befähigung des Unternehmens zur Durchführung des betreffenden Auftrags sicherzustellen“. Wie oben kann dies so verstanden werden, dass die unmittelbar auftragsbezogene Fähigkeit des Unternehmens gemeint ist, das gefragte Produkt herzustellen oder die gewünschte Dienstleistung zu erbringen. Die Formulierung kann aber auch weitergehend so verstanden werden, dass auch alle nur mittelbar auftragsbezogenen Kriterien verlangt werden können, soweit sie in die Auftragsbedingungen aufgenommen und damit Gegenstand des Vertrags wurden. Weitere Bedingungen dürfen allerdings nicht gestellt werden, wie die Formulierung „nur solche Bedingungen“ nahelegt. Für das weite Verständnis spricht die Formulierung in Art. VIII b) S. 2 GPA, nach dem „alle von den Lieferanten zu erfüllenden Teilnahmebedingungen, einschließlich finanzieller Garantien, technischer Qualifikationen und Informationen zum Nachweis ihrer finanziellen, kommerziellen und technischen Leistungsfähig208
In diesem Sinne McCrudden, JIEL 1999, S. 3.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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keit sowie die Nachprüfung der Qualifikationen für Lieferanten anderer Vertragsparteien nicht ungünstiger“ sein dürfen als für inländische Lieferanten. Da es gerade die explizit genannten Qualitäten sind, die die unmittelbar auftragsbezogene Fähigkeit des Unternehmens bestimmen, indiziert die Verwendung des Worts „einschließlich“, dass auch die in die Vertragsbedingungen aufgenommenen, nur mittelbar auftragsbezogen Kriterien erfasst sein sollen. Auch systematische Überlegungen, die sich an den Regeln über die Bekanntmachung orientieren, sprechen eher für eine Zulässigkeit politischer Zwecke. Nach Art. IX GPA sind im offenen und nicht-offenen Verfahren Auftragsvergaben bzw. Qualifikationsverfahren bekannt zu machen. Diese Wettbewerbs- oder Vergabebekanntmachungen müssen gemäß Art. IX Abs. 1, 2 und 6 f.) GPA „alle wirtschaftlichen und technischen Anforderungen, finanziellen Garantien und Angaben, die von den Lieferanten verlangt werden“, enthalten. Dies scheint dafür zu sprechen, dass das GPA implizit davon ausgeht, andere bieterbezogene Anforderungen könnten nicht gestellt werden. Diese Annahme wird jedoch durch einen Blick in Art. XII Abs. 2 GPA, der die von der Vergabestelle für interessierte Lieferanten bereit zu haltenden Vergabeunterlagen betrifft, widerlegt. Zu diesen Unterlagen gehören nach Art. XII Abs. 2 f.) alle Unterlagen, die die genannten Anforderungen betreffen. Doch ist die Aufzählung nicht abschließend, wie aus Art. XII Abs. 2 j) GPA hervorgeht: bereitzuhalten sind auch Unterlagen über „alle anderen Bedingungen und Modalitäten“. Damit ist der Wortlaut offen für eine Berücksichtigung weiterer Anforderungen an den Bieter. 2. Angebotsbezogene Kriterien: Wortlaut und Systematik Angebotsbezogen sind die übrigen der oben angeführten politischen Zwecke, insbesondere Anforderungen an die Umweltfreundlichkeit des Produkts. Art. XIII Abs. 4 b) GPA könnte insoweit ein Hindernis darstellen, da danach der Zuschlag dem Bieter zu erteilen ist, dessen Angebot „entweder (als) das niedrigste oder anhand der spezifischen Bewertungskriterien in den Bekanntmachungen oder den Vergabeunterlagen als das vorteilhafteste“ beurteilt wird. Damit gilt nach dem GPA sowohl das sog. Billigstbieterprinzip als auch das Bestbieterprinzip209. Ein Verbotstatbestand für politische Zwecke kann weder dem Wortlaut noch dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift entnommen werden210. Ob ein Angebot als das vorteilhafteste beurteilt wird, lässt dem Wortlaut nach Raum für die Vorstellungen der Vergabestelle. Ein Bezug auf wirtschaftliche oder unmittelbar auftragsbezogene Kriterien ist aus dieser Formulierung jedenfalls nicht herauszulesen.
Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 275. Das übersieht Kunnert, der die gesamte Problematik in zwei Sätzen abhandelt und „vergabefremde Aspekte“ pauschal für unzulässig erklärt, Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 275. 209 210
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Ein Vergleich mit dem Europarecht bestätigt dies: in den europäischen Vergaberichtlinien ist durchweg vom „wirtschaftlich“ günstigsten Angebot – „economically most advantageous tender“ – die Rede, und selbst im Europarecht wird diese Formulierung in einem weiten Sinne verstanden, die politische Zwecke in einigem Umfang zuläßt. Die Vorschriften über die Bekanntmachung und die Vergabeunterlagen führen zu derselben Schlußfolgerung: zwar enthält Art. IX GPA keinen Hinweis auf etwaige angebotsbezogene Sekundärzwecke; die Vergabeunterlagen müssen jedoch nach Art. XII h) GPA „die Kriterien für die Zuschlagserteilung einschließlich aller Gesichtspunkte, ausgenommen den Preis, die bei der Beurteilung der Angebote in Betracht zu ziehen sind“ enthalten. Diese offene Formulierung lässt dem Wortlaut nach ebenso Raum für politische Zwecke wie der bereits erwähnte Art. XII Abs. j) GPA. Indem Art. XIII Abs. 4 b) GPA ausdrücklich auf Bekanntmachung und Vergabeunterlagen Bezug nimmt, öffnet er die Tür für die Berücksichtigung jedweder Art von angebotsbezogenen Sekundärzwecken durch die Vergabestelle.
3. Bieter- und angebotsbezogene politische Kriterien – sonstige Argumente Die Untersuchung von Wortlaut und Systematik der Vorschriften für das offene und nicht-offene Verfahren spricht dafür, dass die Berücksichtigung angebotsbezogener und bieterbezogener politischer Kriterien zulässig ist, soweit sie in die Vertragsbedingungen aufgenommen werden. Die hier anzustellenden teleologischen Erwägungen, die im Licht der im 1. Teil gemachten Schlussfolgerungen vorzunehmen sind, untermauern hingegen die Ansicht, dass politische Auftragsvergabe nach den Verfahrensvorschriften insgesamt zulässig sein sollte. a) Transparenz als Zweck der Art. VII-XVI GPA Die Präambel des GPA gibt die Zielsetzung vor, für die Herstellung von Transparenz im öffentlichen Vergabewesen zu sorgen211. Transparenz bezieht sich auf das Verfahren der Auftragsvergabe und dessen Überprüfbarkeit, so dass es hauptsächlich die gemeinsamen Verfahrensvorschriften der Art. VII-XVI GPA sind, die der Konkretisierung des Präambelabschnitts dienen. Transparenz erfordert keine Unzulässigkeit politischer Auftragsvergabe. Das Gebot der Transparenz, also eines offenen und vorhersehbaren Verfahrens, ist ein tragender Grundsatz des Vergaberechts und steht im Kontext des Welthandelsrechts für zwei Zielsetzungen212: erstens für die Herstellung und Bewahrung 211 Präambel des GPA, Absatz 3 lautet: „Parties to this Agreement ( . . . ), recognizing that it is desirable to provide transparency of laws, regulations, procedures and practices regarding government procurement ( . . . )“.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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von Transparenz des Verwaltungshandelns, einer wichtigen Errungenschaft und Voraussetzung des Rechtsstaats. Transparenz beugt Korruption vor, da sie der Verwaltung Begründungspflichten und Informationspflichten auferlegt, die eine Begünstigung von Privaten aus sachfremden Motiven erheblich schwieriger gestaltet213. Gerade im Vergaberecht, in dem die Entscheidung der Verwaltung gravierende wirtschaftliche Konsequenzen für Betriebe und ganze Regionen haben kann, ist Transparenz daher von besonderer Bedeutung214. Gemeinsame Vorschriften, die die nationalen Verwaltungen zur Veröffentlichung und Rechenschaft verpflichten, tragen zur Erreichung dieses rechsstaatlichen Ziels bei. Zweitens soll das Gebot der Transparenz das Verbot der Diskriminierung verfahrensrechtlich unterstützen. Je ausgeprägter eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von zu vergebenden Aufträgen ist, desto schwieriger ist es für Vergabestellen, eine versteckte Bevorzugung nationaler Bieter vorzunehmen215. Aus diesem Grund sehen die gemeinsamen Vorschriften umfangreiche Bekanntmachungs- und Informationspflichten vor. Je umfangreicher die Instrumente für erfolglose Bieter sind, eine Vergabeentscheidung ex post zu überprüfen oder eine Offenlegung der Kriterien für die Entscheidung zu verlangen, desto eher wird die Vergabestelle ihren materiellen Verpflichtungen zur Nichtdiskriminierung entsprechen. Deshalb sehen die gemeinsamen Vorschriften weitgehende Dokumentationspflichten vor und verpflichten die Mitglieder detailgenau auf die Einrichtung eines nationalen Widerspruchsverfahrens. Transparenz des Verfahrens soll die Bieter zudem in die Lage versetzen, ihre Chancen bei einer Teilnahme am Wettbewerb auszurechnen, indem alle Bieter mit den gleichen (umfassenden) Informationen und Chancen ausgestattet werden; auf diese Weise kann auch die Wahrscheinlichkeit, dass Bieter unbeabsichtigt ausgeschlossen werden, verringert werden216. Beide Funktionen des Transparenzgebots erfordern aber kein Verbot von politischer Auftragsvergabe. Solange die bieterbezogenen oder auftragsbezogenen Kriterien bekanntgemacht und dokumentiert werden, ist aus rechtsstaatlicher Sicht dem Erfordernis der Transparenz genügt. Der unterstützenden Rolle des Transparenzgebots im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot ist ebenfalls Genüge getan, solange politische Zwecke bekanntgemacht und dokumentiert werden und 212 Für das deutsche Vergaberecht siehe Niebuhr, Vergaberecht, § 97 Rn. 82; Stickler, Vergaberecht, § 97 Rn. 7. 213 Näher Rege, JWT 2001, S. 499; Debroy / Pursell, in: Hoekman / Mavroidis, Public Purchasing, S. 189 ff. 214 Im deutschen Vergaberecht ist der Grundsatz der Transparenz in § 97 Abs. 1 GWB verankert. 215 Ausführlich Arrowsmith, JWT 2003, S. 287 ff.; Arrowsmith / Trybus, Public Procurement, S. 245 ff. 216 Arrowsmith weist zudem auf die Funktion hin, den Parteien Informationen zur Verfügung zu stellen, die zukünftige Verhandlungen erleichtern sollen. Wenn überhaupt, lässt sich diese Zielsetzung an der Verpflichtung der Mitglieder ablesen, Statistiken über Beschaffungen unterhalb der Schwellenwerte vorzulegen.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
überprüft werden können. Das Transparenzgebot fordert keine materielle Gleichbehandlung von Bietern; es will lediglich Verfahrensdiskriminierungen minimieren und Chancengleichheit in Bezug auf die formalen Bedingungen der Teilnahme herstellen. Da Transparenz das hauptsächliche Anliegen der Art. VII-XVI GPA ist, sind diese Vorschriften nicht extensiv im Sinne eines Verbots politischer Zweckverfolgung zu interpretieren. Dass in diesen Vorschriften vielfach auf das Verbot der Diskriminierung verwiesen wird, steht dem nicht entgegen. Insofern handelt es sich um – angesichts der Existenz von Art. III GPA – nicht zwingend notwendige Konkretisierungen des Diskriminierungsverbots; die Schaffung von Transparenz steht damit eindeutig im Vordergrund. b) Ein „Purity Principle“ im GPA? McCrudden und Arrowsmith haben die Frage aufgeworfen, ob dem GPA der Grundsatz zu Grunde liege, die Verwendung von nicht-ökonomischen Kriterien im Vergabeverfahren so weit wie möglich zu verhindern; sie sprechen insoweit von einem „purity principle“217. Als Anhaltspunkt hierfür führen sie den Umstand an, dass das GPA in Art. VIII und XIII die Verwendung bestimmter Kriterien verbietet bzw. bestimmte Kriterien vorschreibt. Ein solches purity principle ist in zwei Varianten denkbar, die aber beide abgelehnt werden müssen. Die erste Variante betrifft die rein vergaberechtliche Überlegung, dass sich die Mitgliedstaaten mit dem GPA darauf geeinigt haben könnten, das Vergabewesen frei von politischen Erwägungen zu halten und nicht als Instrument für die Verfolgung politischer Ziele zu gebrauchen218. Die Untersuchung von Wortlaut und Systematik hat aber gerade gezeigt, dass weder Art. VIII GPA noch Art. XIII GPA nahelegen, dass eine Instrumentalisierung des Vergabewesens ausgeschlossen sein solle; schon gar nicht lassen die Vorschriften den Rückschluss auf ein entsprechendes Prinzip im GPA zu. Und es erscheint angesichts der Häufigkeit der Verknüpfung von politischen Zielen mit dem Vergabewesen in allen Jurisdiktionen auch geradezu abwegig anzunehmen, dass dem GPA ein Prinzip unterliegt, dass eben dies ausschließen soll. 217 McCrudden, JIEL 1999, S. 30; Arrowsmith, Government Procurement, S. 332. Im Ergebnis lehnen beide Autoren die Existenz eines solches Prinzips – zu Recht – ab. Anders hingegen Prieß, in: Prieß / Berrisch / Pitschas, „WTO-Handbuch“, S. 649, der für seine kategorische Ablehnung „vergabefremder“ Kriterien im GPA aber keine ausführliche Begründung liefert. Der gegebene Hinweis auf eine insoweit bestehende „herrschende Meinung“ kann wohl nicht tragen, da die wenigen Publikationen, die sich mit dem Thema bislang beschäftigten, den Schluss auf eine solche nicht zulassen. 218 In diese Richtung geht auch die Überlegung von Kunnert, der dem GPA den Grundsatz „Politics to the politicians, procurement to the professionals“ unterstellt, Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 275. Dieser Satz wird auch bei Prieß, in Prieß / Berrisch / Pitschas, S. 649, zitiert. Allerdings darf die Ablehnung des Vergabewesens als politisches Instrument nicht mit der Zulässigkeit nach dem GPA verwechselt werden.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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Die zweite Variante eines purity principle unterlegt dem GPA den Zweck, staatliche Regulierung zurückzufahren und die Kräfte des Marktes zur Geltung kommen zu lassen. In diesem Sinne wäre das purity principle nicht nur Ausdruck eines rein vergaberechtlichen Gedankens, sondern eines wirtschaftspolitischen Konzepts, das mit Hilfe des WTO-Rechts durchgesetzt werden soll. Allerdings ist eine solche Zielsetzung des WTO-Rechts, wie im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt wurde, gerade abzulehnen. Das WTO-Recht, und damit auch das GPA, will nicht einen Rückzug des Staates aus dem wirtschaftlichen Geschehen erreichen, sondern verfolgt das bescheidenere Hauptanliegen der Beseitigung von Handelsschranken. Das bestätigt die Präambel des GPA sogar ausdrücklich, die vom Ziel der „stärkeren Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels“ spricht219. Nicht alle politischen Zwecke im Vergabeverfahren stellen Handelsschranken dar, die abgebaut werden müssten. Deshalb geht eine Auslegung der Verfahrensvorschriften in dem Sinne, dass politische Zwecke ausnahmslos unzulässig wären, am Ziel der WTO und des GPA vorbei. c) Vergleich mit den Vorschriften des GATT und GATS Auch ein Vergleich mit den Vorschriften des GATT spricht bei genauerer Betrachtung für eine weite Auslegung der Art. VIII b) und XIII Abs. 4 b) GPA. Zwar könnte man daran denken, den Gedanken der „Product / Process-Doktrin“ aus dem GATT auf das GPA zu übertragen. Danach sind herstellungsbezogene Maßnahmen vom Anwendungsbereich des Art. III GATT ausgenommen und unterfallen Art. XI GATT, der regelmäßig zur Unzulässigkeit entsprechender Maßnahmen führt220. Nun könnte man Art. VIII b) GPA und Art. XIII Abs. 4 b) GPA ebenfalls in dem Sinne auslegen, dass sie bieterbezogene – also auch herstellungsbezogene – politische Kriterien ausschließen und damit immer zur Unzulässigkeit führen. Eine solche „parallele“ Auslegung der Abkommen würde den Eindruck vermitteln, dass das WTO-Recht in sich stimmig ist. Dieser Eindruck täuscht jedoch, denn eine „parallele“ Auslegung wäre ebenso wenig überzeugend wie die Product / Process-Doktrin selbst221. Dem GATT ist charakteristisch, dass es mitgliedstaatliche Handelsbeschränkungen des grenzüberschreitenden Handels – wie eben mengenmäßige Beschränkungen in Art. XI GATT – lediglich an der Grenze verbieten will, Maßnahmen hinter der Grenze dagegen nur insoweit, wie sie ausländische Waren gegenüber vergleichbaren inländischen Waren schlechter behandeln222. Hinter der Grenze soll der Staat also grundsätzlich nicht mehr Verpflichtungen als die Pflicht der Nichtdiskriminierung Präambel des GPA, Abs. 1. Zur Product / Process-Doktrin siehe Regan, JWT 2002, S. 443; Howse / Regan, EJIL 2000, S. 249. 221 Hierzu unten ausführlich § 3 B. 222 Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S. 521. 219 220
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
tragen. Im Hinblick auf Maßnahmen an der Grenze – also auf die Einfuhr von Produkten, die im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen stehen – wären daher weitgehende Beschränkungen ohne weiteres denkbar. Mit Bezug auf Maßnahmen dagegen, die hinter der Grenze ansetzen, gilt ein anderer Maßstab. Soweit die gemeinsamen Verfahrensvorschriften über das Diskriminierungsverbot hinausgehen, können sie nur in Ausnahmefällen weit verstanden werden. Sie sind aus diesem Blickwinkel ein Fremdkörper im WTO-Recht, rechtfertigen ihre Existenz aber aus dem Bestreben, im Vergabewesen für Transparenz zu sorgen. Eine weite Interpretation im Sinne eines Verbots (herstellungsbezogener) politischer Zwecke ist daher nicht möglich. Berücksichtigt man ferner, dass das öffentliche Auftragswesen in besonderem Maße die nationale Autonomie berührt, wird die Richtigkeit dieses Ergebnisses noch deutlicher. Die Möglichkeit, über die Beschaffungen von Waren und Dienstleistungen zur Gewährleistung des staatlichen Handelns frei entscheiden zu können, ist ein genuiner Ausdruck (innerer) staatlicher Souveränität223. Restriktionen in Bezug auf öffentliche Beschaffungen schränken diese typischerweise stärker ein als solche, die handelsbezogene Regulierungsmöglichkeiten des Staates betreffen. Im letzteren Fall geht es darum, die Freiheit des Staates zu beschneiden, privates Handeln zu regulieren. So will das GATT beispielsweise mit Hilfe des Diskriminierungsverbots und des Verbots mengenmäßiger Beschränkungen den Staat daran hindern, die Möglichkeit des Bürgers zu beschneiden, eine freie, für ihn optimale Auswahl zwischen ausländischen und inländischen Produkten zu treffen224. Die staatliche Autonomie bzw. Souveränität wird damit im Hinblick auf die Möglichkeit des Eingriffs in die private Konsumwahl eingeschränkt. Im öffentlichen Beschaffungswesen geht es dagegen sowohl um Einschränkungen der Regulierungsmöglichkeiten als auch um Einschränkungen des Staates bei der Konsumwahl. Im öffentlichen Auftragswesen sind damit aufgrund des Umstands, dass der Staat gleichzeitig der Konsument ist, beide Aspekte betroffen. Diese Kumulation an Einschränkungen staatlicher Handlungsfreiheit stellt den besonderen Souveränitätsverlust dar, den Staaten durch internationale Bindungen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens erleiden. Dies muß durch eine größere Sensibilität bei der Auslegung von internationalen Normen in diesem Bereich berücksichtigt werden. Richtigerweise sind daher die welthandelsrechtlichen Grundsätze im GPA mit größerer Zurückhaltung anzuwenden als in GATT und GATS225. Die Übertragung von Auslegungsmustern aus GATT und GATS im Sinne einer „parallelen“ Auslegung ist daher keineswegs so überzeugend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn es um ein grundsätzliches Verbot (herstellungsbezogener) politischer Auftragsvergabe geht, muss dies erst recht gelten.
223 224 225
Carrier, Minnesota J. of Global Trade, 1997, S. 67. Ähnlich McCrudden, JIEL 1999, S. 33. Im Ergebnis ähnlich McCrudden, GPA and Social Issues, S. 13.
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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d) Vergleich mit anderen internationalen vergaberechtlichen Instrumenten Ein Vergleich mit dem UNCITRAL Modellgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen und den Vergaberichtlinien der Weltbank führt zu einem weiteren Argument für die Zulässigkeit politischer Kriterien nach den Verfahrensvorschriften. Dass ein solcher Vergleich möglich und geboten ist, wurde im ersten Teil dieser Arbeit hergeleitet226. Das UNCITRAL Modellgesetz für das Vergabewesen enthält unverbindliche Vorschläge für die Ausgestaltung nationaler Vergaberechtsordnungen227. Es erscheint für die Berücksichtigung politischer Kriterien durchaus offen. Art. 6 Abs. 1 des Modellgesetzes spricht ähnlich wie Art. VIII GPA davon, dass die Bieter die Fähigkeiten zur „Durchführung des Vertrags“ aufweisen müssen; jede Aufnahme von politischen Zwecken in den Vertrag ist somit denkbar. Deutlicher noch ist Art. 32 des Modellgesetzes, der den Vergabestellen in Abschnitt c) (iii) die Berücksichtigung zahlreicher politischer Kriterien explizit erlaubt, und schließlich anfügt: „the enacting State may expand subparagraph (iii) by including additional factors“. Das Modellgesetz will damit die Berücksichtigung politischer Kriterien im nationalen Vergabeverfahren erkennbar nicht verhindern228. Es wäre also kaum einleuchtend, wenn die Vorschriften des GPA so ausgelegt würden, dass sie dem Vorschlag der UN für die Ausgestaltung nationaler Vergaberechtsordnungen diametral widersprächen. Die Richtlinien der Weltbank sollten aufgrund ihrer großen praktischen Bedeutung ebenfalls Berücksichtigung finden229. Allerdings muss doch gesehen werden, dass die Auftragsvergabe durch internationale Institutionen unter etwas anderen Voraussetzungen stattfindet als die Auftragsvergabe durch nationale Stellen; internationale Institutionen dürften aufgrund der Tatsache, dass sie die Gelder von Mitgliedstaaten verwenden, sehr viel stärker auf Effizienzgesichtspunkte bei der Vergabe eines Auftrags zu achten haben. Dennoch zeigen sich die Richtlinien politischen Kriterien gegenüber zumindest offen, indem sie keine zwingenden Vorschriften über die Ausgestaltung des Vertrages enthalten230.
Siehe oben 1. Teil, § 5 C. Hunja, in: Arrowsmith / Davies, Public Procurement, S. 97; Arrowsmith / Linarelli / Wallace, Regulating Public Procurement, S. 88. 228 So auch Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 291. 229 Hierzu Arrowsmith / Linarelli / Wallace, Regulating Public Procurement, S. 114. 230 Vgl. Guidelines: Procurement under IBRD Loans and IDA Credits, International Competitive Bidding, Ziff. 2.9 und Ziff. 2.37; hierzu auch Tucker, in: Arrowsmith / Davies, Public Procurement, S. 139. 226 227
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
4. Andere Formen politischer Auftragsvergabe als in Vertragsbedingungen Nach den oben gemachten Ausführungen sollten die gemeinsamen Verfahrensvorschriften politischer Auftragsvergabe nicht entgegenstehen. Der Wortlaut der Vorschriften ist also dahingehend zu verstehen, dass Sekundärzwecke jedenfalls insoweit uneingeschränkt zulässig sind, wie sie in die Auftragsbedingungen aufgenommen werden. Damit wären zahlreiche der oben angeführten Zwecke zulässig, da sie in Form einer Inpflichtnahme des Auftragnehmers in den Vertragsbedingungen verfolgt werden. Was aber ist mit den anderen Formen politischer Auftragsvergabe? Nicht selten werden politische Zwecke nämlich auch als Teilnahmebedingungen oder als Zuschlagskriterien formuliert, ohne dass sie als Bedingung im Vertrag erscheinen231. Diese Form der Zweckverfolgung wäre unzulässig, weil in diesen Fällen kein Kriterium verlangt wird, das sicherstellt, dass der Bieter „voll in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen“ bzw. das notwendig ist, um die „Befähigung des Unternehmens zur Durchführung des betreffenden Auftrags“ zu gewährleisten. Nur in der Form der Inpflichtnahme wäre eine Verfolgung von politischen Kriterien nach den gemeinsamen Verfahrensvorschriften uneingeschränkt zulässig. Es ist doch sehr fragwürdig, ob dieses Ergebnis sinnvoll ist. McCrudden verweist zur Unterstützung seiner Auffassung allein darauf, dass die Aufnahme des Sekundärzwecks in den Vertrag der Transparenzfunktion der Verfahrensvorschriften diene232. Im Umkehrschluss wird damit behauptet, dass die Verfolgung politischer Zwecke auf Ebene der Teilnahmebedingungen oder des Zuschlags intransparent wäre. Das leuchtet aber nicht ein. Das Gebot der Transparenz will, wie oben ausgeführt, die Vorhersehbarkeit des Vergabeverfahrens fördern und die Chancengleichheit der Bieter in verfahrensrechtlicher Hinsicht gewährleisten233. Solange die Vergabestelle ausreichend bekannt macht, welche Zwecke sie mit der Auftragsvergabe zu verfolgen beabsichtigt, hierfür klare Kriterien nennt und die Nachprüfbarkeit ihrer Entscheidung gesichert ist, ist dem Transparenzgebot Genüge getan. Es macht gar keinen Unterschied, ob der Sekundärzweck vertraglich fixiert wird oder ob er nur auf der Zuschlagsebene berücksichtigt wird, wenn dem Bieter von vornherein bekannt ist, welche Bedingungen er erfüllen muss. Aus Transparenzgründen bedarf es einer Aufnahme politischer Kriterien in die Vertragsbedingungen daher jedenfalls nicht. Das Erfordernis der Aufnahme des politischen Zwecks in die Vertragsbedingungen erscheint daher reichlich formalistisch und wenig überzeugend. 231 Darauf weist Meyer hin: „(Die Verpflichtung des Unternehmers in den Vertragsbedingungen) ist in Deutschland allerdings eine eher unübliche Technik“, vgl. Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 97. 232 McCrudden, GPA and Social Issues, S. 40. 233 Oben § 3 A.I.3.a).
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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Die naheliegende Folgefrage ist, ob die Art. VIII b) GPA und Art. XIII Abs. 4 b) GPA unter diesen Umständen nicht dahingehend ausgelegt werden können, dass sie auch andere Formen der politischen Auftragsvergabe zulassen. Das erscheint allerdings sehr problematisch und wird im Ergebnis verneint werden müssen. Hier dürfte nämlich ein Punkt erreicht sein, an dem die Streitbeilegungsorgane bei der Entscheidung eines entsprechenden Falls an die Grenzen ihrer Interpretationsfreiheit stoßen würden. Im ersten Teil wurde ausgeführt, dass sich die Streitbeilegungsorgane nicht über einen eindeutigen Wortlaut hinwegsetzen können. Wenn der Wortlaut überhaupt im Sinne einer Zulässigkeit politischer Zweckverfolgung verstanden werden kann, ist der Wortlaut aber eindeutig: nach Art. VIII b) GPA dürfen „nur solche Bedingungen“ verlangt werden, die die „Befähigung des Unternehmens zur Durchführung des betreffenden Auftrags“ sicherstellen234, und Art. XIII GPA bestimmt, dass der Bieter „voll in der Lage“ sein muss, den „Auftrag zu erfüllen“. Die Streitbeilegungsorgane können die „balance of rights and obligations“, die den WTO-Verträgen – und eben auch dem GPA – zu unterstellen ist, nicht einseitig ändern. Wenn die Vorschriften so zu verstehen sind, dass eine politische Instrumentalisierung nur bei Aufnahme in die Vertragsbedingungen möglich ist, können die Streitbeilegungsorgane über diese Vereinbarung der Mitgliedstaaten nicht hinweggehen. Die Vorschriften sollten geändert werden und sind damit ein Fall für die Revision des GPA; über sie hinwegsetzen können sich die Streitbeilegungsorgane jedoch nicht235. Solange der Wortlaut der Vorschriften bestehen bleibt, müssen die Mitglieder im Anwendungsbereich des GPA sicherstellen, dass sie politische Kriterien in die Vertragsbedingungen aufnehmen.
II. Eingeschränkte Vergabe Unter bestimmten Bedingungen dürfen Aufträge von den Vergabestellen im Wege der eingeschränkten (freihändigen) Vergabe vergeben werden236. Die Vorschriften der Art. VII-XIV, die das offene und nicht-offene Verfahren betreffen, kommen in diesen Fällen nicht zur Anwendung237. Die Vorschrift für die einge234 Daran ändert auch Art. VIII h) GPA nichts. Die Vorschrift stellt klar, dass ein Lieferant unabhängig von Art. VIII a)-g) GPA wegen Konkurses, unwahrer Erklärungen oder aus anderen Gründen von der Teilnahme am Verfahren ausgeschlossen werden kann. Art. VIII b) GPA kommt dann also nicht zur Anwendung. Zum einen gilt die Vorschrift aber nur für Art. VIII GPA und nicht für Art. XIII GPA, zum anderen können unter „anderen Gründen“ der Logik der Vorschrift nach nur solche Gründe verstanden werden, die im Zusammenhang mit einer Unzuverlässigkeit des Unternehmers stehen, die dem Konkurs oder unwahren Erklärungen des Unternehmers nahekommen. 235 Zur Revision des GPA unten 4. Teil. 236 Näher hierzu Arrowsmith, Government Procurement, S. 284. 237 Zum eingeschränkten Verfahren Kunnert, WTO-Vergaberecht, S. 247; ausführlich Arrowsmith, Government Procurement, S. 281 ff.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
schränkte Vergabe ist Art. VII Abs. 2 c) GPA iVm Art. XV GPA. Art. XV GPA sieht zwei Fallgruppen vor, bei deren Vorliegen die Vorschriften über das offene und nicht-offene Verfahren nicht angewendet zu werden brauchen: erstens die aufgelisteten Fälle in Art. XV a) – j) GPA, die Situationen beschreiben, in denen eine offene oder nicht-offene Vergabe aus Zeit- oder Sachgründen nicht opportun erscheint; und zweitens, wenn die Vergabe „mit der Absicht, einen größtmöglichen Wettbewerb zu verhindern, oder so angewendet wird, dass sie ein Mittel zur Diskriminierung zwischen Lieferanten anderer Vertragsparteien oder zum Schutz inländischer Erzeuger oder Lieferanten darstellt“. An dieser Stelle ist keine Untersuchung notwendig, wie insbesondere das Vorliegen der zweiten Fallgruppe überprüft werden kann. Hier spielt lediglich die Frage eine Rolle, ob politische Zwecke bei der Vergabe eines Auftrags im eingeschränkten Verfahren verfolgt werden können. Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen. Art. XV GPA selbst enthält keinen Verbotstatbestand. Und selbst wenn im Rahmen der eingeschränkten Vergabe die Absicht nachweisbar sein sollte, dass größtmöglicher Wettbewerb verhindert wird oder eine Diskriminierung stattfindet, also ein politischer Zweck verfolgt wird, führt dies lediglich zu einer Anwendung der Art. VII – XIV GPA238. Solange bei bieterbezogenen Kriterien darauf geachtet wird, dass diese in die Vertragsbedingungen aufgenommen werden, stehen diese aber, wie gezeigt, politischer Auftragsvergabe nicht entgegen. III. Kompensationsgeschäfte In Art. XVI GPA hält das Abkommen gemeinsame Vorschriften über das spezielle Problem der Kompensationsgeschäfte bereit239. Kompensationsgeschäfte können sowohl im offenen und nicht-offenen Verfahren als auch im eingeschränkten Verfahren vorgenommen werden. Es handelt sich dabei nach der Legaldefinition in der Fußnote zu Art. XVI GPA um „Maßnahmen zur Förderung der inländischen Entwicklung oder zur Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation durch Klauseln über den Inlandsgehalt, die Lizenzierung von Technologie, Investitionserfordernisse, Kompensationshandel oder ähnliche Auflagen“240. Gemeint ist eine Konstellation, in der die Vergabe eines Auftrags an einen ausländischen Bieter davon abhängig gemacht wird, dass dieser eine Gegenleistung für die Gewährung des Auftrags zugunsten der einheimischen Wirtschaft erbringt. Ausführlich zu den Voraussetzungen Arrowsmith, Government Procurement, S. 284 f. Art. XVI Abs. 1 GPA hat folgenden Wortlaut: „Die Beschaffungsstellen nehmen bei der Qualifikation und Auswahl von Lieferanten, Waren oder Dienstleistungen oder bei der Bewertung von Angeboten und bei der Vergabe von Aufträgen davon Abstand, Kompensationsgeschäfte vorzuschreiben, anzustreben oder zu berücksichtigen“. 240 In der verbindlichen englischen Fassung: „Offsets in government procurement are measures used to encourage local development or improve the balance-of payments accounts by means of domestic content, licensing of technology, investment requirements, countertrade or similar requirements“. 238 239
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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In der Praxis sind Kompensationsgeschäfte vor allem im Rahmen von Rüstungsgeschäften, Luftfahrtgeschäften und Technologietransfergeschäften relevant241. So forderte beispielsweise das österreichische Wirtschaftsministerium für die Beschaffung von Abfangjägern im Jahre 2001 von dem ausländischen Unternehmen, das den Zuschlag erhalten sollte, Gegengeschäfte in Form von Investitionen in Österreich. Konkret handelte es sich um die Verpflichtung, 200% des Kaufpreises der Flugzeuge – dieser betrug immerhin 1,82 Mrd. Euro – in technologieintensive Branchen in Österreich zu investieren242. In der Schweiz wird im Falle der Beschaffung von Rüstungsgütern bei einem ausländischen Hersteller im Regelfall die Vereinbarung geschlossen, der schweizerischen Industrie im Gegenzug (Sub-)Aufträge aus seinem Einflussbereich zu erteilen oder ihr den Zugang zu solchen Aufträgen zu erleichtern243. Ein weiteres plastisches Beispiel ist die Verpflichtung eines amerikanischen Rüstungsunternehmens, das Kriegsflugzeuge an Australien liefern sollte, durch die australische Vergabestelle, im Gegenzug das amerikanische Marine Corps zu überzeugen, Süßigkeiten von einem großen australischen Hersteller zu beziehen244. Es leuchtet ein, dass Kompensationsgeschäfte im Rüstungsbereich angesichts der finanziellen Bedeutung der Aufträge ein beliebtes und geeignetes Mittel sind, um für die eigene Wirtschaft noch einen Vorteil „herauszuholen“, wenn der Auftrag schon ins Ausland vergeben wird245. Keineswegs ausgeschlossen ist jedoch, dass in Zukunft auch andere, zum Beispiel soziale Zwecke im Wege von Kompensationsgeschäften verfolgt werden.
1. Verhältnis zu den Art. VII-XV GPA Nach der Definition des GPA betreffen Kompensationsgeschäfte in formeller und materieller Hinsicht einen speziellen Fall politischer Auftragsvergabe. In formeller Hinsicht handelt es sich um vertragliche Vereinbarungen, die entweder getrennt von dem zu vergebenden öffentlichen Auftrag fixiert werden oder in diesen integriert werden können246. Dabei kann, wie Art. XVI Abs. 1 GPA andeutet, die kompensatorische vertragliche Vereinbarung prinzipiell bereits zu einem Kriterium bei der Qualifikation von Lieferanten oder bei der Bewertung von Angeboten geTietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 47. Initiative Sicherer Luftraum; im Internet: http: //www.sichererluftraum.at/meldungwirtschaft4.htm. 243 Schweizer Informationen für Lieferanten im Bereich Rüstungspolitik und Rüstungsablauf unter http: //www.gr.admin.ch/lieferanten/2_ruepol_rueabl.asp?menuId=170. 244 Taylor, Offsets in Procurement as an Economic Development Strategy, Working Paper, 2002, S. 1. 245 Im Jahr 1997 wurden von allen Beschaffungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums von ausländischen Bietern 65% der Auftragswerte im Wege von Kompensationsgeschäften wieder ins Land „hereingeholt“, vgl. die Statistik bei Taylor, Using Offsets in Procurement as an Economic Development Strategy, Working Paper, 2002, S. 28. 246 Arrowsmith, Government Procurement, S. 333. 241 242
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
macht werden. In jedem Fall handelt es sich aber um eine Verpflichtung, die das Unternehmen gegenüber dem Staat eingeht. In materieller Hinsicht handelt es sich um Vereinbarungen, die bestimmte Zielsetzungen verfolgen: die Förderung der inländischen Entwicklung und die Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation. Alle anderen vertraglich eingegangenen Verpflichtungen eines Unternehmens werden vom GPA nicht als kompensatorisch im Sinne von Art. XVI GPA angesehen. Art. XVI GPA greift somit aus der Menge der möglichen Varianten politischer Auftragsvergabe einige Spezialfälle heraus und bezeichnet diese als Kompensationsgeschäfte. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. XVI GPA sollen diese Geschäfte weder vorgeschrieben werden, noch sollen sie angestrebt werden oder in irgendeiner Form bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden. Sie sollen unzulässig sein. Auf den ersten Blick scheint dies in Widerspruch mit den Ausführungen des vorigen Abschnitts zu stehen. Kompensationsgeschäfte im durch Art. XVI GPA definierten Sinn stellen aber nichts anderes als (unmittelbare) Diskriminierungen ausländischer Bieter dar. Dass sie nach dem GPA unzulässig sein sollen, ist daher nur konsequent, wenn es auch einer speziellen Vorschrift hierzu – insbesondere im Rahmen der Verfahrensvorschriften – nicht bedurft hätte247.
2. Reichweite des Art. XVI GPA a) Verbesserung der Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz eines Landes beschreibt die systematische Aufzeichnung aller wirtschaftlichen Transaktionen, die in einem bestimmten Zeitraum zwischen Inländern und Ausländern stattgefunden haben248. Die Zahlungsbilanz gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Verflechtung eines Landes. Die ökonomische Idealvorstellung geht von einem Gleichgewicht der Zahlungsbilanz aus, das dann gegeben ist, wenn die Zahlungsströme vom Ausland ins Inland sich – ohne Intervention der Zentralbank – gerade ausgleichen. Eine passive Zahlungsbilanz bedeutet einen Abfluss von Kapital ins Ausland und auf lange Sicht eine Gefährdung der wirtschaftlichen Stabilität des Landes. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb öffentliche Auftraggeber versucht sein können, Aufträge gerade nicht an ausländische Hersteller zu vergeben. Die Beschaffung im Ausland geht als Verbindlichkeit gegenüber dem Ausland in die Zahlungsbilanz ein249. Je mehr Aufträge „ins Ausland“ vergeben wer247 Dies erkennt auch Arrowsmith an, wenn sie formuliert, dass die meisten unter Art. XVI GPA fallenden nationalen Maßnahmen „sowieso vom Gebot der Inländerbehandlung des Art. III GPA erfasst sind“ (eigene Übersetzung), Arrowsmith, Government Procurement, S. 165. 248 von Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 130. 249 Je nachdem, ob eine Dienstleistung oder Ware beschafft wird, wird die Beschaffung in der Handels- oder Dienstleistungsbilanz verbucht werden, die zur Leistungsbilanz, einer Teilbilanz der Zahlungsbilanz, gehören.
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den, desto eher wird also die Zahlungsbilanz passiv. Im Interesse einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz wird dem Staat daher durchaus daran gelegen sein, nicht zu viele hochwertige Aufträge an ausländische Hersteller zu vergeben oder aber den ausländischen Hersteller zu verpflichten, im Gegenzug bestimmte, die Zahlungsbilanz wieder ausgleichende Geschäfte im Inland vorzunehmen. Diese Variante des Art. XVI GPA ist ohne wesentliche Auswirkungen auf die Zulässigkeit der hier zu untersuchenden politischen Zwecke. Die Absicht, die Zahlungsbilanz zu verbessern, besteht weder bei Maßnahmen zur Förderung des Umweltschutzes noch bei Förderung sozialer Zwecke. Auch bei strukturpolitischen Zwecksetzungen wird eben nicht auf die Verbesserung der Zahlungsbilanz abgezielt, sondern auf die Förderung bestimmter Regionen oder Unternehmensformen. Auch eine Regelung wie der Buy National Act wird von dieser Alternative des Art. XVI GPA nicht eingeschränkt. Buy National Regelungen beziehen sich auf den originären Akt der Beschaffung, also die Vergabe des Auftrags an einen inländischen Bieter, während Art. XVI GPA lediglich die mit der Beschaffung verbundenen Gegengeschäfte ins Visier nimmt und die Unzulässigkeit beispielsweise einer Regelung vorsieht, die den (ausländischen) Unternehmer zur Vergabe von Subaufträgen an inländische Subunternehmer verpflichtet, um so die Zahlungsbilanz aufzubessern. b) Förderung der inländischen Entwicklung Im Gegensatz zum Ziel der Verbesserung der Zahlungsbilanz scheint das Ziel der Förderung der inländischen Entwicklung dagegen mehrere politische Zwecke zu umfassen. So könnte man daran denken, nicht nur wirtschaftliche Ziele darunter zu subsumieren, sondern beispielsweise auch soziale, denn auch ihre Förderung kann ja der inländischen (sozialen) Entwicklung dienen. Und auch durch umweltschutzbezogene angebotsbezogene Kriterien wird die inländische Entwicklung gefördert, wenn man darunter die Qualität der Lebensumstände versteht250. In einem derart weitreichenden Sinn kann der Begriff der „inländischen Entwicklung“ aber sinnvollerweise nicht verstanden werden. Er muss im Zusammenhang mit den aufgezählten Klauseln für Kompensationsgeschäfte gesehen und ausgefüllt werden. Diese Aufzählung über den Inlandsgehalt, die Lizenzierung von Technologie, Investitionserfordernisse und Kompensationshandel legt nahe, dass lediglich die inländische wirtschaftliche Entwicklung gemeint ist. Die Klauseln zielen allesamt auf Versuche ab, den „Nachteil“ für die heimische Wirtschaft auszugleichen, dass das vom Staat nachgefragte Produkt im Ausland beschafft wird. Wenn überhaupt ein Nachteil damit verbunden ist, dann ist dies ein wirtschaftlicher Nachteil, der sich – neben Ungleichgewichten innerhalb der Zahlungsbilanz – in 250 Die Frage nach der Reichweite von Art. XVI GPA wird auch von Arrowsmith aufgeworfen, aber nicht beantwortet, vgl. Arrowsmith, Government Procurement, S. 333.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
einem Verlust von Arbeitsplätzen, wirtschaftlichen Problemen in regionalen Problemzonen sowie in einem Rückgang der Konsumkraft niederschlägt251. Maßnahmen zur Förderung der inländischen Entwicklung sollen diese Folgen verhindern und durch entsprechende Verpflichtungen ausländischer Unternehmen die inländische Volkswirtschaft unterstützen. Unter „Förderung der inländischen Entwicklung“ sind daher allgemein all diejenigen Maßnahmen zu verstehen, die der inländischen wirtschaftlichen Entwicklung dienen und im Zusammenhang mit einem Ausgleich des unmittelbaren Nachteils stehen, der der heimischen Wirtschaft durch die Beschaffung des Produkts im Ausland entsteht. Damit sind solche Gegengeschäfte als Kompensationsgeschäfte zur Förderung der inländischen Entwicklung unzulässig, die auf bestimmte Formen der Regionalförderung abzielen, nämlich beispielsweise den ausländischen Bieter zur Investition in einer Region oder generell im Inland verpflichten, die durch die Vergabe des Auftrags an einen ausländischen Hersteller besonders betroffen ist. Klarzustellen ist aber, dass es sich insoweit um einen Sonderfall der Regionalförderung handelt; gemeinhin wird der Vertrag schon gar nicht an einen ausländischen Hersteller, sondern unmittelbar an einen Hersteller aus der zu fördernden Region gegeben252. Vertragsklauseln, die den ausländischen Bieter zur Vergabe von Subaufträgen an mittelständische Unternehmen im Inland verpflichten, dürften ebenfalls nach Art. XVI Abs. 1 GPA unzulässig sein. Hier kann der erforderliche Zusammenhang mit der Vergabe des Auftrags an einen ausländischen Hersteller darin gesehen werden, dass entstehende unmittelbare Nachteile für heimische mittelständische Unternehmen ausgeglichen werden sollen. Auch hier muss gesehen werden, dass dies einen speziellen Fall der „mittelbaren“ Mittelstandsförderung darstellt; im Regelfall wird der Fall so liegen, dass der Auftrag direkt an ein mittelständisches Unternehmen gegeben wird. Dieser Fall wird von Art. XVI GPA jedoch nicht erfasst. Dass die Regelung des Art. XVI GPA eine gewisse Unstimmigkeit herbeiführt, ist nicht zu bestreiten: die unmittelbare Verfolgung von politischen Zwecken ist, solange sie in den Vertragsbedingungen niedergelegt wird, zulässig. Die mittelbare Verfolgung politischer Zwecke per Kompensationsgeschäft müßte dann an sich erst recht zulässig sein, ist aber nach Art. XVI GPA in bestimmten Fällen unzuläs251 Nach der dem Freihandel zu Grunde liegenden Theorie entstehen allen beteiligten Akteuren langfristig Wohlstandsgewinne durch Effizienzgewinne. Nachteile entstehen daher lediglich punktuell und unmittelbar. 252 Dieser Sonderfall ist aber recht häufig anzutreffen, wie der Besorgnis des amerikanischen Kongresses zu entnehmen ist, dass Kompensationsgeschäfte zu einer Verlagerung amerikanischer Arbeitsplätze ins Ausland führen könnten. Vgl. hierzu ausführlich US House of Representatives, 106th Congress, Hearing of the Committee on Government Reform, „Defense Offsets: Are they taking away our Jobs?“, 29. Juni 1999, im Internet unter http: //gpo. gov/congress/house. Das GPA wurde im Rahmen des Hearings trotz seines Art. XVI wegen seiner Ausnahmeregelungen im Bereich der nationalen Sicherheit als nicht hinreichender Schutz gegen Kompensationsgeschäfte dieser Art betrachtet, S. 11.
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sig. Der Wertungswiderspruch löst sich jedoch auf, wenn man berücksichtigt, dass eine unmittelbare Verfolgung politischer Zwecke nicht notwendig zu Diskriminierungen ausländischer Bieter führt, während Kompensationsgeschäfte regelmäßig unmittelbare Diskriminierungen darstellen. Dieser Unterschied rechtfertigt eine andere Behandlung des Kompensationsgeschäfts, denn es ist ja, wie oben ausgeführt, gerade der Sinne des GPA wie auch des WTO-Rechts insgesamt, (unmittelbare) Diskriminierungen ausländischer Produkte und Anbieter abzubauen und zu verhindern, da sie Handelsbarrieren darstellen.
B. Das Diskriminierungsverbot Das Verbot der Diskriminierung durchzieht das gesamte Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen. Es stellt die Konkretisierung der Zwecksetzung der Liberalisierung nationaler Märkte dar und das Instrument, um diese Liberalisierung zu erreichen. Die Grundnorm im GPA findet sich in Art. III; daneben wird das Verbot der Diskriminierung in zahlreichen Vorschriften genannt, ohne dass diese Mehrfachnennungen aber zu Präzisierungen oder Erweiterungen des Art. III GPA führen würden. Art. III GPA hat folgenden Wortlaut: Article III National Treatment and Non-Discrimination (1) With respect to all laws, regulations, procedures and practices regarding government procurement covered by this Agreement, each Party shall provide immediately and unconditionally to the products, services and suppliers of other Parties offering products or services of the Parties, treatment no less favorable than: (a) that accorded to domestic products, services and suppliers (b) that accorded to products, services and suppliers of any other Party. (2) With respect to all laws, regulations, procedures and practices regarding government procurement covered by this Agreement, each Party shall ensure: (a) that its entities shall not treat a locally-established supplier less favorably than another locally established supplier on the basis of degree of foreign affiliation or ownership (b) that its entities shall not discriminate against locally-established suppliers on the basis of the country of the production of the good or service being supplied, provided that the country of production is a Party to the Agreement in accordance with the provisions of Article IV. (3) The provisions of paragraphs 1 and 2 shall not apply to customs duties and charges of any kind imposed on or in connection with importation, the method levying such duties an charges, other import regulations and formalities, and measures affecting trade in services other than laws, regulations, procedures and practices regarding government procurement covered by this Agreement.
Das Gebot der Nichtdiskriminierung besteht nicht als allgemeines Verbot von Ungleichbehandlungen, sondern wird ausgefüllt durch zwei spezielle Gleichbe-
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
handlungsgebote: das Gebot der Inländerbehandlung und das Gebot der Meistbegünstigung253. Grundsätzlich fordert das Gebot der Inländerbehandlung vom nationalen Gesetzgeber, gleichartige ausländische und inländische Waren und Hersteller im Anwendungsbereich des Abkommens gleich zu behandeln. Das Gebot der Meistbegünstigung bezieht sich dagegen nicht auf einen Vergleich der Behandlung von ausländischem und inländischem Produkt bzw. Hersteller, sondern auf einen Vergleich zweier gleichartiger ausländischer Produkte oder ausländischer Hersteller254. Keine Produkte, Dienstleistungen und Hersteller eines Mitgliedstaates dürfen weniger günstig behandelt werden als entsprechende aus anderen Mitgliedstaaten; Vorteile sind damit allseitig zu gewähren. Das Diskriminierungsverbot ist für die Frage der Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe von enormer Bedeutung. Je nachdem, ob bzw. unter welchen Bedingungen Ungleichbehandlungen von inländischen und ausländischen Bietern oder Angeboten vom Diskriminierungsverbot erfasst sind, ergibt sich eine Unzulässigkeit politischer Auftragsvergabe. Diese besteht dann unabhängig davon, ob die politischen Zwecke im Rahmen von Vertragsbedingungen verfolgt werden oder nicht. I. Inländerbehandlung Das Gebot der Inländerbehandlung in Art. III Abs. 1 a) GPA besagt, dass die Tatsache, dass ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Hersteller ausländischer Herkunft ist, nicht zum Anknüpfungspunkt für eine benachteiligende Ungleichbehandlung gemacht werden darf. Die Formulierung in Art. III GPA macht bereits eines deutlich: im Gegensatz zum GATT erfasst das Verbot der Diskriminierung auch den Hersteller als Wirtschaftssubjekt. Für Art. III GATT war in verschiedenen Panel-Berichten darauf hingewiesen worden, dass nur die Gleichbehandlung von Produkten unmittelbar geschützt sei, den Wirtschaftssubjekten also nur mittelbar Schutz gewährt wird255. 253 Die Überschrift von Art. III GPA könnte vermuten lassen, dass „National Treatment“ und „Non-Discrimination“ unterschiedliche Kategorien darstellen. Doch entspricht es ganz herrschender Auffassung, dass das Prinzip der Nichtdiskriminierung den Oberbegriff darstellt, so dass es zu formalistisch wäre, das doch recht offensichtliche Redaktionsversehen in der Überschrift des Art. III GPA zum Anlass für eine rechtliche Argumentation zu nehmen. 254 Ausführlich hierzu Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 159; Davey / Pauwelyn, in: Cottier / Mavroidis, Regulatory Barriers and Non-Discrimination, S. 13. 255 So z. B. in Canada – Administration of the Foreign Investment Review Act, Panel Report vom 25. Juni 1983, BISD 30S / 140, para. 6.5: „ . . . the national treatment obligations of Article III of the General Agreement do not apply to foreign persons or firms but to imported products . . . “; United States – Measures Affecting the Importation, Internal Sale and Use of Tobacco, Panel Report, 4. Oktober 1994. Das darf natürlich nicht dahingehend missverstanden werden, dass Wirtschaftssubjekte gegebenenfalls gegen Diskriminierungen vorgehen können; ein Streitbeilegungsverfahren kann nur von Staaten bzw. Staatenverbünden als WTO-Mitgliedern eingeleitet werden.
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Die Fassung des Art. III GPA zeigt, dass das Gebot der Inländerbehandlung im WTO-Recht nicht per definitionem auf den Schutz nur von Produkten beschränkt ist, sondern auch durchaus auch einen weiteren Schutzbereich haben kann256. Auch im Rahmen des GPA wäre es grundsätzlich möglich gewesen, den Anwendungsbereich auf Waren und Dienstleistungen zu beschränken, ohne dem Gebot der Inländerbehandlung seine Wirkungskraft zu nehmen.
1. Anwendungsbereich Grundsätzlich ist das Diskriminierungsverbot auf alle Beschaffungsmaßnahmen anwendbar, die in den Anwendungsbereich des GPA fallen. Eben dies stellt Art. III Abs. 1 GPA klar. Im Anwendungsbereich des GPA sind „alle Gesetze, Vorschriften, Verfahren und Praktiken“ vom Gebot der Inländerbehandlung erfasst. Die Regelung des Art. III Abs. 3 GPA enthält jedoch eine wichtige Einschränkung des Anwendungsbereichs des GPA und macht im konkreten Fall die Prüfung erforderlich, ob der Anwendungsbereich des Gebots der Inländerbehandlung eröffnet ist. Nach Art. III Abs. 3 GPA gilt das Diskriminierungsverbot nicht für im Zusammenhang mit der Einfuhr von Waren erhobene Zölle, Abgaben und andere Einfuhrbestimmungen sowie für „andere den Handel mit Dienstleistungen betreffende Maßnahmen als Gesetze, Vorschriften, Verfahren und Praktiken betreffend das unter dieses Übereinkommen fallende öffentliche Beschaffungswesen“. Das bedeutet, dass solche Maßnahmen, die nicht unmittelbar das öffentliche Beschaffungswesen regeln, sondern allgemein die Einfuhr von Waren oder den Marktzugang für Dienstleistungen, vom Anwendungsbereich des Gebots der Inländerbehandlung ausgenommen sind257. Im Hinblick auf die Vergabe öffentlicher Warenaufträge schafft diese Vorschrift keine grösseren Probleme, da Einfuhrbestimmungen für Waren vom allgemein geltenden Diskriminierungsverbot des GATT erfasst werden. Anderes gilt für Dienstleistungsaufträge: da das GATS nur solche Dienstleistungen erfasst, die von den Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen Listen dem Abkommen unterstellt wurden, ergeben sich Lücken im Diskriminierungsverbot bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen. Im Hinblick auf solche Dienstleistungen, die nicht dem GATS unterstellt sind, besteht kein Schutz durch das Diskriminierungsverbot, so dass einem betrof256 Zu dieser Ansicht scheint jedoch Tietje zu tendieren, Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 225. 257 Dieses Verständnis erscheint angesichts des Wortlauts zwar nicht zwingend, es dürfte sich jedoch – insbesondere unter Berücksichtigung der korrespondierenden Vorschrift des Art. XIII Abs. 1 GATS – um die einzig sinnvolle Interpretation der Vorschrift handeln. Ähnlich auch Arrowsmith, die solche Maßnahmen, die nicht „spezifisch“ mit dem Vergabewesen verbunden sind, vom Anwendungsbereich ausklammern will („provisions that do not relate specifically to government procurement, but to markets in general, are not regulated by the GPA“), Arrowsmith, Government Procurement, S. 104 und S. 163.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
fenen Unternehmen der Umstand, dass der entsprechende Auftrag dem GPA unterfällt, nicht weiterhilft258.
2. Vergleichspaar Ob der Verpflichtung zur Inländerbehandlung Genüge getan wird, kann nur durch die Bildung von Vergleichspaaren überprüft werden. a) Bildung von Vergleichspaaren Art. III GPA spricht von Waren, Dienstleistungen und Lieferanten der Vertragsparteien. Nur „inländische“ und „ausländische“ Waren, Dienstleistungen und Lieferanten können Vergleichspaare darstellen. Die Bestimmung, ob eine Ware oder eine Dienstleistung aus dem Ausland stammt, ist im GPA, ähnlich wie in GATT und GATS, nicht sonderlich kompliziert. Entscheidend ist der Aspekt der Grenzüberschreitung, der mit Ware oder Dienstleistung verbunden ist. So ist eine Ware „ausländisch“, wenn sie importiert wird; eine Dienstleistung erfüllt dieses Kriterium, wenn sie ein Ausländer im Inland erbringen will, oder die Dienstleistung grenzüberschreitend oder im Ausland für die beschaffende Stelle vornehmen will259. Für die Bestimmung, aus welchem Staat das Produkt stammt – dies ist für die Feststellung wichtig, ob gegenüber diesem Staat eine Bindung besteht – hält Art. IV GPA eine Regelung über Ursprungsregeln bereit. Schwieriger zu bestimmen ist hingegen, wann ein Lieferant als ausländischer Lieferant anzusehen ist und damit eine Vergleichsgruppe mit einem inländischen Lieferanten bilden kann. Den Grundfall bei der Klärung dieser Frage dürfte die Konstellation darstellen, in der ein Unternehmen im Ausland ansässig ist und dort seine Güter produziert. Hier ergeben sich keine rechtlichen Probleme; in jedem Fall hat das Unternehmen dann eine ausländische Staatszugehörigkeit und ist daher „ausländischer Lieferant“. Zwei Abwandlungen dieser Grundkonstellation behandelt Art. III Abs. 2 GPA. Zunächst ist der praktisch sehr relevante Fall denkbar, dass ein ausländisches Unternehmen im Inland produziert, beispielsweise Tochterunternehmen unterhält. Auch für diesen Fall gilt gemäß Art. III Abs. 2 a) GPA das Gebot der Inländerbehandlung. Das ausländische Unternehmen verliert seinen Charakter als ausländisches Unternehmen also nicht dadurch, dass es im Inland eine Produktion unterhält. Der Fall zielt damit direkt auf den Problemfall der „transnationalen“ bzw. Näher Gaedtke, Aussenwirtschaft 2003, S. 329 und S. 347 f. Die verschiedenen Formen der Erbringung von Dienstleistungen listet Art. I Abs. 2 GATS auf. 258 259
§ 3 Verbotstatbestände für politische Auftragsvergabe im GPA
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„multinationalen“ Unternehmen, bei denen die Bestimmung der Staatszugehörigkeit nach allgemeinem Völkerrecht außerordentlich schwierig ist260. Die zweite Abwandlung der Grundkonstellation zielt auf den wichtigen Fall, dass ein im Inland ansässiges Unternehmen im Ausland produziert. Auch hierfür gilt nach Art. III Abs. 2 b) GPA der Grundsatz der Inländerbehandlung, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Produktionsort sich in einem GPA-Mitgliedstaat befindet. Für die Zwecke des Diskriminierungsverbots gilt das Unternehmen damit als ausländisches Unternehmen, so dass der betroffene Mitgliedstaat des GPA nötigenfalls ein Streitbeilegungsverfahren einleiten kann. Auch hier entfällt die Notwendigkeit einer völkerrechtlichen Bestimmung der Staatszugehörigkeit des Unternehmens. Möglich ist damit, ein inländisches Unternehmen mit einem anderen – rechtlich an sich inländischen – Unternehmen, das im Ausland produziert, zu vergleichen. Von Arrowsmith wird Art. III Abs. 2 b) GPA für überflüssig gehalten, da sein Regelungsbereich vollständig in Art. III Abs. 1 GPA aufgehe261. Das ist allerdings nicht zutreffend. Ohne die Regelung des Art. III Abs. 2 GPA müsste bei entsprechender Konstellation auf die völkerrechtliche Staatszugehörigkeit des Unternehmens abgestellt werden. Ein Unternehmen verliert seine Staatszugehörigkeit jedoch nicht notwendig dadurch, dass es einen Teil seiner Produktion ins Ausland verlegt262. Ohne Art. III Abs. 2 b) GPA wäre es also ohne weiteres möglich, dass zwei Unternehmen als inländisch angesehen werden und damit als Vergleichsgruppe ausscheiden, obwohl eines der Unternehmen die fraglichen Waren oder Dienstleistungen im Ausland produziert. Allenfalls könnte dann die Konstellation über den Vergleich von Waren bzw. Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots gezogen werden; wenn es sich aber um eine Ungleichbehandlung handelt, die auf den Lieferanten abzielt („bieterbezogen“ ist) und nicht auf die Ware oder Dienstleistung („angebotsbezogen“ ist), könnte der Fall aus dem Anwendungsbereich des Art. III GPA gänzlich herausfallen. Insofern ist Art. III Abs. 2 b) GPA keineswegs irrelevant. Zusätzlich hat die Vorschrift die klarstellende Bedeutung, dass bei der Anwendung des Art. III GPA eine Bestimmung der Staatszugehörigkeit des Unternehmens nicht erforderlich ist, die bei multinationalen Unternehmen zu vielfältigen Komplikationen führen und die Handhabung des Abkommens deutlich erschweren würde. 260 Siehe hierzu Wallace, The Multinational Enterprise and the Law; im Überblick auch Ipsen, Völkerrecht, S. 299; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 56; in diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des IGH im Fall Barcelona Traction von Bedeutung, in der der IGH die „Inkorporationstheorie“ und die „Sitztheorie“ anerkannt hat, vgl. ICJ Reports 1970, S. 39 ff. 261 Arrowsmith, Government Procurement, S. 157. 262 Folgt man beispielsweise der „Sitztheorie“, so macht es gar keinen Unterschied für die Staatszugehörigkeit, ob eine Niederlassung im Ausland besteht, weil sich der Sitz als effektiver Verwaltungssitz des Unternehmens nicht ändert. Auch nach der „Inkorporationstheorie“, die auf den Ort der Gründung der Unternehmung abstellt, würde die Staatszugehörigkeit des Bieters sich nicht durch die Existenz von Niederlassungen im Ausland ändern.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
b) Das Problem der „Gleichartigkeit“ Eine ungelöste Frage des Art. III GPA ist, ob dieser die Prüfung der „Gleichartigkeit“ der betreffenden inländischen und ausländischen Waren, Dienstleistungen oder Lieferanten erfordert. Der Wortlaut des Art. III GPA spricht an sich dagegen, denn er enthält dieses Kriterium – im Gegensatz zu Art. III GATT oder Art. VII GATS – nicht explizit. Dennoch argumentieren beispielsweise van Calster und Spennemann, dass dem Art. III GPA das Gleichartigkeitskriteriums quasi unterlegt und deshalb zu prüfen sei263. Dass die das Vergleichspaar ausmachenden Waren, Dienstleistungen und Lieferanten so ähnlich sein müssen, dass ein Vergleich sinnvoll erscheint, ist unmittelbar einleuchtend. Völlig verschiedene Dinge können kein Vergleichspaar bilden, und es wäre unsinnig, auf ihren Vergleich eine Diskriminierung stützen zu wollen264. Der entsprechende Wertungsakt ist beispielsweise im GATT durchaus erforderlich, zum Beispiel wenn es um einen Vergleich von (importierten) Computerbildschirmen und Fernsehern geht. Im Vergabewesen hingegen erscheint das Problem weniger relevant, weil eine Vergabestelle typischerweise zwischen vergleichbaren bzw. gleichartigen Produkten auswählen muss265. Dass hier „Äpfel mit Birnen“ verglichen werden, erscheint doch sehr unwahrscheinlich. Das Problem der Gleichartigkeit verengt sich damit im GPA auf zwei Aspekte, nämlich die „Product / Process-Doctrine“ und den „Aims-and-Effects-Test“. Im Rahmen des GATT wird noch immer von zahlreichen Autoren eine Unterscheidung zwischen produktbezogenen und produktionsbezogenen Faktoren im Sinne der Product / Process-Doctrine vertreten266. Produktionsbezogene Faktoren sollen nicht in den Anwendungsbereich des Art. III GATT fallen, da sich das Gebot der Inländerbehandlung ausweislich des Wortlauts der Vorschrift lediglich auf Produkte, nicht aber deren Herstellung beziehe. Ein Importverbot, das zwischen Produkten auf der Basis der unterschiedlichen Art und Weise ihrer Herstellung differenziert, wird daher nicht als von Art. III Abs. 4 GATT, sondern von Art. XI GATT erfasst gesehen. Danach ist es nicht möglich, im Rahmen von Art. III GATT zu argumentieren, das ausländische Produkt stelle aufgrund seiner andersartigen Herstellung als das inländische (beispielsweise wegen Kinderarbeit) ein van Calster, RECIEL 2003, S. 301; Spennemann, ZEuS, 2001, S. 55. Im deutschen Verfassungsrecht wird dieses Problem dadurch gelöst, dass nur „wesentlich“ Gleiches gleich behandelt werden muss, siehe hierzu Stein / Frank, Staatsrecht, S. 387; zum Gleichheitssatz im Grundgesetz ausführlich Huster, Rechte und Ziele. 265 So auch Griller, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance, S. 274. 266 Siehe hierzu Regan, JWT 2002, S. 443 ff.; Howse / Regan, EJIL 2000, S. 249 ff.; Jackson, EJIL 2000, S. 303. In der Streitbeilegung wurde die Doktrin ebenfalls vertreten, siehe Bericht zu „United States – Restrictions on Imports of Tuna“; GATT BISD, 39S / 155; „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, DS29 / R; „United States – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages“, BISD 39S / 208; „United States – Taxes on Automobiles“, WT / DS31 / R. 263 264
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„ungleichartiges“ Produkt dar, so dass eine Diskriminierung nach Art. III GATT entfiele. Überträgt man dieses Argumentationsmuster auf Art. III GPA, so erhält man bei isolierter Betrachtung des Merkmals „Waren“ paradoxerweise das gegenteilige Ergebnis267. Im GPA gibt es keine dem Art. XI GATT entsprechende Vorschrift. Das bedeutet, dass die „Herausnahme“ von produktionsbezogenen Maßnahmen gerade zur Zulässigkeit dieser Maßnahmen führen würde. Damit würden diese Maßnahmen gerade eine Privilegierung erfahren, also nicht unter das Diskriminierungsverbot fallen, während produktbezogene Maßnahmen die Bedingungen des Art. III GPA erfüllen müssten268. Das ist ein Ergebnis, das die Vertreter der Product / Process-Doctrine gerade nicht erreichen wollten. Die Besonderheit des Art. III GPA besteht jedoch darin, dass er auch eine Ungleichbehandlung von „Lieferanten“ verbietet269. Dadurch unterscheidet sich das Diskriminierungsverbot im GPA von der Ausformung des Diskriminierungsverbots in den anderen Abkommen der WTO, insbesondere von Art. III GATT. Durch dieses Tatbestandsmerkmal werden die soeben beschriebenen Konsequenzen der Product / Process-Doctrine gleichsam neutralisiert. Denn produktionsbezogene Maßnahmen sind nichts anderes als bieterbezogene Maßnahmen270. Wird also an produktionsbezogene Kriterien eine Differenzierung geknüpft, so mag zwar zutreffen, dass keine gleichartigen Produkte betroffen sind; in jedem Fall sind aber gleichartige Lieferanten betroffen271. Produktionsbezogene Maßnahmen führen damit jedenfalls zu einer Ungleichbehandlung von Lieferanten. Das Ergebnis, das man aus dem Anwendungsbereich des Art. III GPA bei Anwendung der Product / Process-Doctrine „herausfällt“, wird also dadurch revidiert, dass eine Ungleichbehandlung von Lieferanten vorliegt. Das bedeutet, dass die Anwendung der Product / Process-Doctrine im Rahmen der Vergleichspaarbildung überhaupt keine praktischen Konsequenzen hat und damit – jedenfalls an dieser Stelle – ohne jede Bedeutung ist. Mit der Gleichartigkeitsprüfung ist in der Diskussion zu Art. III GATT neben der Product / Process-Doctrine zudem der Aims-and-Effects-Test verbunden. Danach wurde geprüft, welche Auswirkungen die nationale Maßnahme hatte und welcher regulative Zweck hinter dieser Maßnahme stand272. Bestand er darin, die heiDarauf weist McCrudden hin, GPA and Social Issues, S. 16. McCrudden, GPA and Social Issues, S. 16. 269 Dieser Aspekt wird regelmäßig übersehen, so auch trotz ausführlicher Diskussion der Product / Process-Doctrine bei McCrudden, JIEL 1999, S. 8; ebenso bei Spennemann, ZEuS 2001, S. 50 f. 270 Siehe oben 3. Teil, § 1 A.2. 271 Auf die Verschiedenartigkeit der Produktionsmethoden eine Ungleichartigkeit von Lieferanten gründen zu wollen, wäre kaum noch nachvollziehbar. 272 Hudec, International Lawyer, 1998, S. 628; Regan, JWT 2002, S. 443; Wille, EJIL 1998, S. 182. 267 268
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
mische Produktion zu schützen, war er also „protektionistisch“, so sprach dies für die Annahme der Gleichartigkeit der Produkte. Diese zu Art. III Abs. 2 GATT entwickelte Rechtsprechung konnte sich auf den Verweis der Vorschrift auf Art. III Abs. 1 GATT stützen, der davon spricht, dass nationale Maßnahmen „nicht derart angewendet werden sollen, dass die inländische Erzeugung geschützt wird“. Insofern ist durchaus vertretbar, dass die Prüfung des Art. III Abs. 2 GATT eine Überprüfung des nationalen Politikziels beinhaltet. Eine Übertragung des Aims-and-Effects-Test auf das GPA hätte wichtige Konsequenzen für die Zielkonfliktproblematik. Der Aims-and-Effects-Test würde die Möglichkeit bieten, auf der Tatbestandsseite solche nationale Maßnahmen auszuscheiden und damit für von vorneherein für zulässig zu erklären, die die nationale Produktion nicht schützen sollen. Dies würde das Problem vermeiden, im Rahmen von Art. XXIII Abs. 2 GPA bestimmte nationale Politikziele für unzulässig erklären zu müssen, was wegen der Formulierung des Art. XXIII Abs. 2 GPA unvermeidlich ist. Die Tatbestandsseite ist aufgrund ihres Wortlaut offen für eine Anerkennung sämtlicher nationaler Politikziele, so dass grundsätzlich jede nationale Maßnahme, sofern sie nicht eine protektionistische Absicht verfolgt, für zulässig erklärt werden könnte. Eine Übertragung des Aims-and-Effects-Test auf das GPA muss jedoch aus mehreren Gründen abgelehnt werden. Erstens hat er mit der Prüfung, ob Güter oder Lieferanten „gleichartig“ sind, überhaupt nichts zu tun. Es ist dogmatisch nicht mehr nachvollziehbar, dass die (auf den Schutz der heimischen Produktion gerichtete) Intention des Gesetzgebers zum Kriterium für die genuin objektive Prüfung werden soll, ob zwei Gegenstände vergleichbar sind. Zweitens bietet sich im GPA kein Anknüpfungspunkt im Wortlaut der Vorschrift, der der Formulierung in Art. III Abs. 1 GATT vergleichbar wäre. Eine Prüfung der protektionistischen Intention würde den Wortlaut des Art. III Abs. 1 GPA daher deutlich überziehen und würde den Rahmen zulässiger Auslegung dieses Kriteriums wohl verlassen. Eine Prüfung subjektiver Zielsetzungen ist zudem praktisch unmöglich. Wie will ein Streitbeilegungsorgan feststellen, ob der nationale Gesetzgeber aus protektionistischer Motivation heraus gehandelt hat oder nicht? Nationale Gesetzgebung ist das Resultat eines komplexen Bündelungsvorgangs verschiedener Interessen, und weder eine Untersuchung noch eine eindeutige Beurteilung der Motivation einer Regelung ist realistisch273. Aus dem Gesagten folgt, dass die Prüfung der „Gleichartigkeit“ von Waren, Dienstleistungen und Lieferanten im GPA letztlich keinen Mehrwert bringt. In Anlehnung an die vom Berufungsgremium herausgearbeiteten Kriterien könnte man (bei Waren) auf die jeweilige Zollklassifizierung des Produkts abstellen, auf physi273 Wie es scheint, ist das Berufungsgremium inzwischen auch für das GATT vom Aimsand-Effects-Test abgerückt, vgl. die Berichte des Berufungsgremiums zu „Japan – Taxes on Alcoholic Beverages“, WT / DS8, 10, 11 / AB / R; „Chile – Taxes on Alcoholic Beverages“, WT / DS87 und 110 / AB / R, Ziff. 56 ff.
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sche Merkmale wie Geschmack, Aussehen, Geruch, Farbe etc.274, die Endnutzung im jeweiligen Markt, Verbrauchervorlieben und -gewohnheiten sowie auf die Qualitätskategorien der betreffenden Produkte275. Praktische Relevanz dürfte die Anwendung dieser Kriterien in der Praxis aber kaum erlangen, da die Vergabestellen sowieso regelmäßig zwischen nach diesen Kriterien gleichartigen Produkten zu entscheiden haben. Es macht daher durchaus Sinn, dass die Voraussetzung der Gleichartigkeit in Art. III GPA nicht aufgenommen wurde276. 3. Ungleichbehandlung Nach dem Wortlaut von Art. III Abs. 1 und Abs. 2 GPA darf die ausländische Ware, Dienstleistung bzw. der Lieferant nicht ungünstiger („less favorable“) behandelt werden als die bzw. der inländische. Entsprechende Ungleichbehandlungen sind damit verboten. Für das GATT hat das Berufungsgremium entschieden, dass die Nachteile, die ausländischen Waren zugemutet werden, nicht durch anderweitige Vorteile kompensiert werden können; eine Behandlung bleibt dennoch „ungünstiger“277. Maßgeblich ist demnach eine punktuelle Betrachtungsweise und keine Gesamtschau. Es besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung im Rahmen des GPA abzuweichen, zumal sie sinnvoll erscheint, um ein Feilschen und Aufrechnen von Vor- und Nachteilen zu verhindern, das jede Rechtssicherheit beseitigen würde. Weiter muss nach der Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane keine tatsächliche Ungleichbehandlung vorliegen, ausreichend ist bereits das Risiko einer solchen auf der Grundlage einer entsprechenden Regelung. Auch dieser Grundsatz kann ohne weiteres auf das GPA übertragen werden278. a) Unmittelbare Ungleichbehandlungen Es steht außer Frage, dass das Diskriminierungsverbot unmittelbare Ungleichbehandlungen verhindern will. Die Terminologie ist insoweit, ähnlich wie im Europarecht, uneinheitlich: teilweise wird von direkten Diskriminierungen gesprochen, häufig auch von de jure Diskriminierungen279; letztere Bezeichnung er274 Diese Kriterien wurden im Bericht der Working Party zu „Boder Tax Adjustments“ entwickelt und später bestätigt; vgl. Bericht des Panels zu „Spain-Tariff Treatment of Unroasted Coffee“, Ziff. 3.6 – 3.10 und 4.4. – 4.10. 275 Siehe hierzu insbesondere den Bericht des Berufungsgremiums zu „Canada – Certain Measures Concerning Periodicals“, WT / DS31 / AB / R, S. 21. 276 Im Ergebnis ist daher der entsprechenden Auffassung von Griller, in Griller (Hrsg.), International Economic Governance, S. 274 beizupflichten. 277 Bericht des Berufungsgremiums zu „Japan – Taxes on Alcoholic Beverages“, WT / DS8, 10, 11 / AB / R; zu dieser Thematik Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 217; Kennedy, in : Bhala / Kennedy, World Trade Law, S. 93. 278 Hierzu ausführlich Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 241. 279 Beispielsweise Hudec, International Lawyer 1998, S. 621.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
scheint allerdings insofern etwas unglücklich, als sie suggeriert, dass es sich um gesetzlich geforderte Ungleichbehandlungen handeln müsse; das ist aber nicht der Fall, da das Diskriminierungsverbot gerade auch einfache Verwaltungspraktiken erfasst280. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung liegt vor, wenn Waren, Dienstleistungen oder Lieferanten anderer Vertragsparteien unmittelbar ungünstiger behandelt werden als inländische. Anknüpfungspunkt für das staatliche Handeln muss also die ausländische Staatszugehörigkeit bzw. die Eigenschaft als ausländische Ware oder Dienstleistung sein. Bezogen auf die Sekundärzweckproblematik ergibt sich daraus bereits die Unzulässigkeit mehrerer Praktiken. Der deutlichste Verstoß liegt in Regelungen wie dem Buy National Act, der die Vergabestellen zur Beschaffung amerikanischer Produkte verpflichtet. Differenzierungskriterium ist also die „Staatszugehörigkeit“ des Produkts bzw. des Lieferanten. Maßnahmen beispielsweise zur Verfolgung arbeits- und sozialpolitischer oder ökologischer Zielsetzungen hingegen knüpfen typischerweise nicht an die Staatszugehörigkeit an, sondern an die Produktionsbedingungen. Unmittelbare Diskriminierungen sind hier nicht gegeben. Etwas komplizierter verhält es sich mit den vorgestellten amerikanischen Regelungen zu Investitionen in Myanmar sowie zur Förderung außenpolitischer Interessen. Wie ausgeführt, knüpfte das Myanmar-Gesetz an den Umstand an, ob das sich um den Auftrag bewerbende Unternehmen in Myanmar investierte. Damit wurde beispielsweise aus europäischer Sicht zwar nicht an die Staatsangehörigkeit des Lieferanten oder die Zuordnung der angebotenen Ware oder Dienstleistung zu einem bestimmten Rechtsraum angeknüpft. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung von amerikanischen und beispielsweise europäischen oder japanischen Unternehmen lag deshalb nicht vor. In der Regelung lag aber gleichzeitig eine unmittelbare Ungleichbehandlung von in Myanmar ansässigen Lieferanten und Produkten und Dienstleistungen aus Myanmar. Allerdings ist diese Ungleichbehandlung im Rahmen des GPA nicht relevant, da Myanmar kein Mitglied des Abkommens ist. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte sich Myanmar darauf berufen. Art. III GPA spricht ausdrücklich von der Verpflichtung gegenüber „anderen Vertragsparteien“, nicht aber von Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten281. Die im Myanmar-Gesetz liegende unmittelbare Ungleichbehandlung ist daher für Art. III GPA ohne Belang. Gleiches gilt für den „Iran-Libya Sanctions Act“, der Unternehmen von der Auftragsvergabe ausschließt, die das festgelegte Investitionsvolumen im Iran oder Libyen überschreiten. Um eine unmittelbare Ungleichbehandlung von GPA-Mitgliedern handelt es sich hingegen im Falle des Irak-Memorandums des US-Verteidigungsministeriums zum Wiederaufbau des Irak. Wie erwähnt, werden darin bestimmte „Staaten“ von 280
Art. III GPA spricht neben Gesetzen und Vorschriften auch von „Verfahren und Prakti-
ken“. 281
Zu den Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten siehe bereits oben § 2 A.I.
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der Auftragsvergabe ausgeschlossen. Gemeint sind Unternehmen, die einem der in der dem Memorandum angefügten Liste nicht aufgeführten Staaten zuzuordnen sind. Anknüpfungspunkt für die Frage, ob das Unternehmen für die Vergabe des Auftrags in Betracht kommt, ist also die Staatszugehörigkeit des Unternehmens. Es handelt sich damit um eine unmittelbare Ungleichbehandlung von Unternehmen aus den betroffenen Staaten. Die Regelung ist somit – soweit sie in den Anwendungsbereich des GPA fällt – nach Art. III Abs. 1 GPA unzulässig. b) Mittelbare Ungleichbehandlungen Die Frage nach der Behandlung von mittelbaren Ungleichbehandlungen ist für die hier zu untersuchende Thematik von besonderer Relevanz. Denn es sind mehrheitlich mittelbare Ungleichbehandlungen, die bei der Verfolgung politischer Zwecke im Vergabeverfahren entstehen. Und gerade im Hinblick auf diese mittelbaren Diskriminierungen ist die WTO dem Vorwurf ausgesetzt, ohne Rücksicht auf den Wert und die größere Legitimation nationaler politischer Ziele prinzipiell jede nationale Regulierung ins Visier zu nehmen und sie mit dem Stigma des Protektionismus zu belegen. Im Zusammenhang mit der Problematik mittelbarer Ungleichbehandlungen stellen sich für das GPA drei Fragen: erstens, ob diese überhaupt unter das Diskriminierungsverbot des Art. III GPA zu subsumieren sind; zweitens, unter welchen Bedingungen dies zu geschehen hat, und drittens, welche Konsequenzen sich daraus für die politische Auftragsvergabe ergeben. Im Hinblick auf die erste Frage wird in der welthandelsrechtlichen Literatur zumeist ohne weiteres bejaht, dass mittelbare Ungleichbehandlungen, die sich zu Lasten ausländischer Produkte auswirken, vom Diskriminierungsverbot des WTORechts erfasst sind282. Dies gilt jedenfalls für das GATT, an dessen Beispiel die Frage für gewöhnlich erörtert wird. In der Tat hat auch das Berufungsgremium bereits in diesem Sinne entschieden283. Es ist unbestreitbar, dass aus welthandelsrechtlicher Sicht eine Notwendigkeit besteht, auch mittelbare Diskriminierungen in den Kreis der verbotenen Maßnahmen einzubeziehen. Ähnlich wie im europäischen Einigungsprozess sind auch zahlreiche Mitglieder der WTO dazu übergegangen, unmittelbare Diskriminierungen durch mittelbare zu ersetzen und auf diese Weise den nationalen Markt ebenso effektiv wie zuvor abzuschotten. Eine Liberalisierung im Sinne eines Abbaus von Handelshemmnissen kann daher nur gelin282 Beispielsweise Kennedy, in: Bhala / Kennedy, World Trade Law, S. 100; GATT, Analytical Index, S. 155; Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 204; Hudec, International Lawyer, 1998, S. 624. 283 Panel-Bericht zu „Canada – Certain Measures Affecting the Automotive Industry“, WT / DS / 139 / R, § 78; Bericht des Berufungsgremiums zu „European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distributioin of Bananas“, WT / DS27 / AB / R; Bericht des Panels zu „Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper“, WT / DS44 / R.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
gen, wenn mittelbare Diskriminierungen, die als Handelsschranken angesehen werden müssen, vor der WTO angegriffen werden können. Dies gilt auch für das öffentliche Auftragswesen284. Die Formulierung von angebots- oder bieterbezogenen handelsfremden Kriterien eignet sich hervorragend dazu, heimischen Produzenten einen Vorteil im Vergabeverfahren und letztlich den Zuschlag zu sichern, ohne ausländische Bieter unmittelbar zu diskriminieren. Das Liberalisierungsziel der Präambel des GPA legt ein Verbot entsprechender Handelsschranken nahe. Dafür spricht auch Art. VI GPA, der den Sonderfall der technischen Spezifikationen behandelt. Dort ist davon die Rede, dass technische Spezifikationen keine „unnötigen Hindernisse für den internationalen Handel“ bereiten sollen285. Art. VI GPA ähnelt damit einem Beschränkungsverbot und hat damit eine recht große Reichweite. Es würde einen Widerspruch darstellen, wenn Art. III GPA nicht einmal mittelbare Diskriminierungen erfassen würde, Art. VI GPA hingegen sogar den Charakter eines Beschränkungsverbots besäße. Dennoch sollte das GPA zumindest angebotsbezogene politische Zwecke, die lediglich den Auftragsgegenstand auf einer ersten Ebene, also in seinen Grundzügen definieren, von einem Verbot mittelbarer Ungleichbehandlung ausnehmen286. Oben wurde bereits ausgeführt, dass das öffentliche Auftragswesen in besonderem Maße mit der nationalen Autonomie verbunden ist. Dieser Umstand manifestiert sich nirgendwo stärker als in der Definition dessen, was der Staat überhaupt beschaffen will. Es ist schlichtweg nicht vorstellbar, dass das WTO-Recht Staaten vorschreibt, was sie beschaffen dürfen und was nicht; eben dies wäre aber die Konsequenz, wenn bestimmte Produktanforderungen nicht gestellt werden dürften, weil sie mittelbar zu Lasten ausländischer Anbieter gehen. So wäre beispielsweise unzulässig, eine besondere Umweltfreundlichkeit des beschafften Produkts zu verlangen – beispielsweise umweltfreundliche Busse – wenn dies mittelbar zu Lasten ausländischer Anbieter gehen würde. Soweit die verlangte Umweltfreundlichkeit nicht die Ebene einer ersten Definition des Auftragsgegenstands verlässt und daher beispielsweise als technische Spezifikation einzuordnen ist, kann es einer staatlichen Vergabestelle nicht untersagt werden, eine Präferenz für derartige Produkte auszusprechen287. Anders stellt sich die Lage in Bezug auf die sonstigen politischen Kriterien, insbesondere bieterbezogene dar. Anlass für eine Privilegierung, die die Zulässigkeit nach sich zieht, besteht in diesen Fällen nicht. Um das GPA nicht leerlaufen zu 284 Daher sieht Spennemann mittelbare Diskriminierungen von Art. III GPA auch unproblematisch erfasst; Spennemann, ZEuS 2001, S. 54; ebenso Arrowsmith, Government Procurement, S. 161; vorsichtiger McCrudden, JIEL 1999, S. 37. 285 Hierzu ausführlich unter C. dieses Teils. 286 Siehe zu der Unterscheidung von zwei Ebenen der Produktdefinition durch die Vergabestelle bereits oben 3. Teil § 1 A.II.; für das europäische Recht vgl. Westphal, PPLR 1999, S. 8. 287 In diesem Sinne auch das Europarecht, siehe Europäische Kommission, Berücksichtigung sozialer Belange, KOM (2001) 566, 15.10. 2001.
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lassen, müssen mittelbare Ungleichbehandlungen durch nationale Maßnahmen insoweit von Art. III GPA erfasst sein. Eine Feinsteuerung der Zielkonfliktproblematik findet dann über eine „modifizierte“ Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Ausnahmetatbestände – insbesondere Art. XXIII Abs. 2 GPA – statt. Dies steht im Einklang mit den im ersten Teil der Arbeit gemachten Feststellungen. Mit Ausnahme von politischen Zwecken bei der ersten Definition des Auftragsgegenstands sind daher mittelbare Ungleichbehandlungen vom Diskriminierungsverbot des Art. III GPA grundsätzlich erfasst. Die zweite Frage, unter welchen genauen Voraussetzungen von einer mittelbaren Ungleichbehandlung gesprochen werden kann, ist in Literatur und Streitbeilegung noch weitgehend ungeklärt288. Natürlich ist sie für die Zielkonfliktproblematik von Bedeutung, da deren Bedeutung abnimmt, wenn der Begriff der mittelbaren Ungleichbehandlung eng gezogen wird. Im Wesentlichen lassen sich drei Ansätze unterscheiden: Der „Diagonal Test“ stellt darauf ab, ob es ausländische Produkte, Dienstleistungen und Lieferanten gibt, denen durch eine nationale Maßnahme ganz generell ein Nachteil gegenüber den gleichartigen inländischen Entsprechungen entsteht289. Ehring nennt als Beispiel ein Verbot von hochalkoholischem Bier290: verglichen wird die Behandlung importierten hochalkoholischen Bieres mit gleichartigem inländischen Bier. Da auch geringalkoholisches Bier gleichartig wäre, ergebe sich ein Nachteil für das importierte Bier. Auf quantitative Fragen kommt es bei dieser Prüfung nicht an. Entscheidende Weichenstellung ist vielmehr die Bestimmung der „Gleichartigkeit“. Geht man davon aus, dass trotz einer Differenzierung wie im Beispiel von gleichartigen Gütern gesprochen werden kann, so wird sich fast immer eine mittelbare Ungleichbehandlung ergeben; es kommt nach diesem Test ja nur darauf an, dass einige importierte Güter von der Regelung nachteilig betroffen sind. Aus diesem Grund kann der Diagonal Test wohl auch nicht ernsthaft vertreten werden. Zwar ist richtig, dass das Panel im Asbestfall ähnlich vorging. Nachdem es entschieden hatte, dass asbesthaltige Produkte und asbestfreie Produkte als gleichartig anzusehen sind, stellte es lediglich fest, dass das französische Importverbot ausländische asbesthaltige Produkte ungünstiger behandelte als asbestfreie inländische291. Doch ein solcher Test würde die Zahl der mittelbaren Ungleichbe288 Soweit ersichtlich, setzte sich erstmals Ehring ausführlich mit dem Problem auseinander, vgl. Ehring, JWT 2002, S. 921 – 977; ihm in ähnlicher Weise nachfolgend Fauchald, JWT 2003, S. 443; den neuesten Beitrag hierzu liefert Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S. 521; sowie Duvigneau, Marktregulation, Manuskript, S. 96 ff. 289 Ehring, JWT 2002, S. 924. 290 Ehring, JWT 2002, S. 924. 291 Das Berufungsgremium musste sich in der Berufung mit dieser Frage nicht mehr beschäftigen. Es kam zu dem Ergebnis, dass die beiden Gruppen von Produkten bereits keine gleichartigen Produkte darstellten, vgl. Berufungsgremium, Bericht vom 5. April 2001, Euro-
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handlungen so weit ausdehnen, dass kaum noch eine Regelung dem Gebot der Inländerbehandlung genügen würde. Das Diskriminierungsverbot würde in diesem Fall eher einem Beschränkungsverbot gleichkommen denn einem Verbot mittelbarer Diskriminierungen. Sinnvoller erscheint daher der „Asymmetric Impact Test“, nach dem eine mittelbare Ungleichbehandlung dann vorliegt, wenn ausländische Güter oder Lieferanten von einer Regelung verhältnismäßig stärker negativ betroffen sind als inländische. Es handelt sich um einen quantitativen Test, der auf die negativen Folgen einer Regelung für inländische und ausländische Güter abstellt292. Ist die Gruppe der ausländischen Güter stärker betroffen, so handelt es sich um eine mittelbare Ungleichbehandlung. Entscheidend sind damit die Auswirkungen einer Regelung auf ausländische Güter und Lieferanten im Vergleich zu denen für gleichartige inländische. Eben in der möglichen Asymmetrie steckt die Handelsbeschränkung, die die prinzipielle Unzulässigkeit nach dem Diskriminierungsverbot rechtfertigt; nicht selten ist sie gerade beabsichtigt, um inländische Produkte zu privilegieren. Dieser Ansatz ist daher zu bevorzugen. Wann liegt nun eine Ungleichbehandlung konkret vor? Dies ist eben nicht schon der Fall, wenn nur die Anzahl von einer Regelung benachteiligter Produkte und die gleichartigen inländischen Produkte betrachtet werden. Um beim Beispiel zu bleiben: es genügt nicht, nur die Gruppe der hochalkoholischen Biergetränke zu betrachten und eine mittelbare Ungleichbehandlung dann anzunehmen, wenn mehr ausländische Biergetränke betroffen sind als inländische. Vielmehr muss die Gesamtheit der bevorzugten und benachteiligten Güter betrachtet werden: entscheidend ist das Verhältnis von bevorzugten inländischen Produkten zu benachteiligten inländischen gleichartigen Produkten, verglichen mit dem Verhältnis von bevorzugten ausländischen Produkten zu benachteiligten gleichartigen ausländischen Produkten293. Das macht durchaus Sinn, weil dadurch die Struktur von Import und Export angemessen berücksichtigt wird und rein quantitative „Benachteiligungen“ ausgeschieden werden, die keine Handelsbarrieren darstellen. In einer Formel ausgedrückt stellt sich die Voraussetzung für eine mittelbare Diskriminierung wie folgt dar: Bevorzugtes inländisches Gut Benachteiligtes ausländisches Gut
>
Bevorzugtes ausländisches Gut Benachteiligtes ausländisches Gut
Man stelle sich beispielsweise vor, das Verbot hochalkoholischen Bieres würde vier inländische Wertungseinheiten und acht ausländische betreffen. Die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung erschiene einleuchtend, wäre aber fehl am Platz, pean Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT / DS135 / AB / R. 292 Sind innerstaatliche Güter stärker betroffen, so handelt es sich um eine Inländerdiskriminierung, die nach Art. III GPA wie dem Diskriminierungsverbot des WTO-Rechts insgesamt ohne weiteres zulässig ist. 293 Zum Ganzen ausführlich und zutreffend Ehring, JWT 2002, S. 965.
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wenn von der Regelung verhältnismäßig genauso viel oder weniger inländisches niedrigalkoholisches Bier betroffen wäre. Wären also zwei inländische Einheiten bevorzugt und vier ausländische, so würde sich ein inländischer Quotient von 2 / 4 gegenüber einem ausländischen von 4 / 8 ergeben. Eine mittelbare Diskriminierung würde ausscheiden, und das wäre auch sachgerecht. Ein neuer, insbesondere von Duvigneau vertretener Ansatz stellt auf die „Erfüllbarkeit“ der Anforderungen der nationalen Maßnahme ab294. Wenn ausländische Waren (im GPA vor allem Bieter) die Anforderungen der Maßnahme faktisch schlechter erfüllen können als inländische, soll danach eine mittelbare Ungleichbehandlung gegeben sein. Dieser Ansatz unterscheidet sich von dem oben beschriebenen dadurch, dass er nicht auf quantitative, sondern auf qualitative Gesichtspunkte abstellt. Er ist notwendig mit einer Wertung verbunden und eröffnet den Streitbeilegungsorganen dadurch gewisse Freiräume in der Beurteilung, was durchaus sinnvoll ist. Auch dieser Ansatz erscheint wesentlich sachgerechter als der zuerst genannte, da er auf das eigentliche Anliegen der Handelsliberalisierung abzielt, nämlich die Schaffung von Wettbewerbsgleichheit ausländischer und inländischer Produkte und Bieter; nur wenn Wettbewerbsgleichheit nicht gegeben ist, sollte auch von einer Diskriminierung gesprochen werden. Jedenfalls im öffentlichen Auftragswesen dürfte sich dieser Ansatz in seinen Ergebnissen aber von dem soeben beschriebenen im Normalfall nicht wesentlich unterscheiden. Politische Kriterien im Vergabeverfahren sind häufig Ausdruck nationaler kultureller Wertvorstellungen oder Problemlagen, wie Kriterien wie der Anteil von Frauen im Unternehmen oder im Vorstand, die Anzahl von Spätaussiedlern oder Kriegsversehrten, oder auch die Verbundenheit mit Scientology belegen. Allein deshalb dürfte es für zahlreiche ausländische Unternehmen im Vergabeverfahren bereits schwerer sein, die geforderten Kriterien zu erfüllen. Aber auch bei Kollision geforderter Umwelt- oder Arbeitsstandards mit ausländischen Standards wird die Erfüllung geforderter Kriterien ausländischen Unternehmen kaum möglich sein. Auch wenn solche Standards internationalisiert sind bzw. sich die nationale Maßnahme daran orientiert, kann nicht ohne weiteres auf die Erfüllbarkeit für das Unternehmen geschlossen werden, da es im Normalfall der Umsetzung in die nationale Rechtsordnung bedarf. Mit Bezug auf die eingangs gestellte dritte Frage muss zunächst zugegeben werden, dass eine generelle Antwort nicht möglich ist: nach dem „Asymmetric Impact Test“ ist immer eine genaue Prüfung der Auswirkungen der Maßnahme notwendig, und auch nach dem Erfüllbarkeits-Test muss immer im Einzelfall untersucht werden, ob die Erfüllung der Bedingungen dem ausländischen Produkt oder Bieter schwerer fällt oder fallen wird als dem inländischen. Das Ergebnis kann danach variieren, wo der Bieter ansässig ist, welchen nationalen gesetzlichen Regelungen er also unterworfen ist, und auch welche faktischen Gegebenheiten die Möglich294
S. 96.
Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S. 521; Duvigneau, Marktregulation, Manuskript,
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keit der Erfüllung der im Vergabeverfahren geforderten Kriterien ansonsten beeinflussen. Soweit strukturpolitische Zwecke wie Regionalförderung nicht bereits unmittelbare Ungleichbehandlungen darstellen, dürften sie in aller Regel zu mittelbaren Ungleichbehandlungen führen. Eine Besonderheit gilt hingegen für vergaberechtliche Regelungen gegen das „Outsourcing“, also das Abwandern von Unternehmen ins Ausland. Typischerweise werden sich derartige Maßnahmen entweder explizit oder jedenfalls faktisch vor allem gegen inländische Unternehmen richten, wie auch die geplante amerikanische Regelung zeigt. Dann aber liegt eine Inländerdiskriminierung vor und damit keine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. III GPA. „Anti-Outsourcing-Gesetze“ sind damit schon auf Tatbestandsseite zulässig. Zu mittelbaren Ungleichbehandlungn dürften hingegen normalerweise die sozialpolitischen Ziele der Frauenförderung und die Förderung sonstiger benachteiligter Personengruppen führen. Auch die Verfolgung arbeitnehmerschützender Ziele wird meist Ungleichbehandlungen nach sich ziehen. Insbesondere wenn beispielsweise bei deutschen Ausschreibungen das nationale soziale Niveau zum Maßstab genommen wird, wird der Quotient heimischer bevorzugter und benachteiligter Produkte bzw. Lieferanten regelmäßig kleiner sein als derjenige ausländischer Produkte und Lieferanten, und daher eine Ungleichbehandlung vorliegen. Anders kann der Fall liegen, wenn lediglich international anerkannte Mindeststandards verlangt werden, wie beispielsweise nach dem genannten Münchner Stadtratsbeschluss. Hier wird sich eine Ungleichbehandlung möglicherweise nur im Verhältnis zu einigen wenigen Staaten ergeben. Ökologische Zielsetzungen müssen im Einzelfall daraufhin untersucht werden, ob sie nicht als primär produktbeschreibende Kriterien eine privilegierte Behandlung erfahren können. Umweltfreundliche Waren oder Dienstleistungen können ohne weiteres beschafft werden. Wie oben ausgeführt, ist aber genau zu prüfen, ob es sich tatsächlich um eine Definition des Auftragsgegenstandes handelt und nicht um eine genauere Bestimmung mittels technischer Spezifikationen. Im letzteren Fall ist Art. VI GPA einschlägig. Ansonsten ist zu prüfen, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung nach den oben beschriebenen Maßstäben vorliegt. Ob das Myanmar-Gesetz zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung geführt hätte, ist nicht sicher. Zwar betraf es nach Einschätzung der Kommission und einiger Kommentatoren mehr europäische Unternehmen als amerikanische295. Doch ist nicht gesichert, ob dadurch auch der entsprechende Quotient zuungunsten europäischer Waren, Dienstleistungen und Lieferanten ausfiel. Auch hier zeigt sich, dass der Nachweis einer mittelbaren Ungleichbehandlung eine Frage des Nachweises im Einzelfall ist. Nach dem Erfüllbarkeits-Test wäre eine Ungleichbehandlung ver295 Die EU und auch Japan stützten sich bei ihrer Klage vor der WTO deswegen auch auf Art. III GPA. Fischer hingegen ist der Auffassung, dass mehr amerikanische Unternehmen von der Regelung negativ betroffen waren als europäische, vgl. Fischer, RIW 2003, S. 348.
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mutlich abzulehnen gewesen, da das Kriterium ja gleichermaßen für amerikanische wie europäische Unternehmen galt. Allerdings wäre insoweit auch zu untersuchen gewesen, ob europäische Unternehmen eventuell traditionell stärker in Myanmar vertreten sind als amerikanische, und beispielsweise bestehende vertragliche Verpflichtungen, Einbindungen in Wirtschaftsförderprogramme etc. eine Erfüllung des Kriteriums der amerikanischen Vergabestellen für europäische Unternehmen schwieriger bzw. teurer gestalteten als für amerikanische. Auch hier wäre insoweit die Tatsachenfeststellung im Einzelfall entscheidend gewesen. Bezüglich Maßnahmen zum Schutz der innerstaatlichen Ordnung wie die besagte Scientology-Erklärung stellt sich die Frage, ob dieses Kriterium so eng mit dem Auftragsgegenstand verknüpft ist, dass es zu einer Privilegierung kommen kann, eine mittelbare Diskriminierung also unschädlich wäre. Die Frage dürfte zumindest für den Bereich von Schulungs- und Beratungsleistungen zu bejahen sein, solange gesichert ist, dass sich der Kontakt des Anbieters zur Organisation unmittelbar auf das Produkt auswirkt oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auswirken wird. In diesem Fall ist eine privilegierte Behandlung auch gerechtfertigt. Es ist einem Staat kaum zuzumuten, Produkte zu beschaffen, die er als gefährlich einstuft. Hier muss das welthandelsrechtliche Liberalisierungsinteresse von vornherein zurücktreten.
II. Das Gebot der Meistbegünstigung 1. Inhalt und Bedeutung des Gebots der Meistbegünstigung Während sich das Gebot der Inländerbehandlung auf einen Vergleich inländischer und ausländischer Güter und Lieferanten bezieht, geht es bei dem Gebot der Meistbegünstigung um einen Vergleich der Behandlung ausländischer Waren, Dienstleistungen und Lieferanten untereinander296. So bestimmt Art. III Abs. 1 b) GPA, dass Waren und Dienstleistungen sowie die Lieferanten der Vertragsparteien nicht ungünstiger behandelt werden als Waren, Dienstleistungen und Lieferanten anderer Vertragsparteien. Das Gebot der Meistbegünstigung stellt also ein Verbot der Schlechterbehandlung und als solches ein Element des Diskriminierungsverbots im GPA dar297. Wichtig ist, dass das Gebot der Meistbegünstigung nicht zur Unzulässigkeit der in den Anhängen der Mitglieder gemachten Einschränkungen des Anwendungsbereichs gegenüber anderen Mitgliedern führt. Es verhindert auch diesbezügliche Privilegierungen der Mitglieder nicht. Das Gebot der Meistbegünstigung wird 296 Bericht des Panels zu „Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry“, WT / DS54 / R, WT / DS55 / R, W / DS59 / R, WT / DS64 / R, Abs. 14.138; siehe auch Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, S. 160. 297 Tietje, Nichttarifäre Handelshemmnisse, S. 195.
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durch die Bestimmung der Anhänge erst ausgestaltet, gilt also erst in seinem Anwendungsbereich298. Volkswirtschaftlich führt es zu einer besseren Ressourcenallokation, indem es verhindert, dass verschiedene Handelspartner aus politischen Motiven gegeneinander ausgespielt werden. Auf entsprechende Ungleichbehandlungen abzielende nationale Regelungen sind im Rahmen der eingegangenen Verpflichtungen abzubauen; eine günstige Behandlung für einige WTO-Mitglieder in Bezug auf Waren, Dienstleistungen und Lieferanten ist bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch den anderen Mitgliedern zu gewähren. Auf diese Weise erfüllt auch das Gebot der Meistbegünstigung die marktliberalisierende Funktion der WTO. Es dient zudem der Koordinierung des internationalen Handels, indem es das Netz von zwischenstaatlichen Privilegien und Sonderregeln entwirrt und das Handelssystem auf diese Weise praktikabler und überschaubarer macht. Die Bedeutung des Gebots der Meistbegünstigung neben dem Gebot der Inländerbehandlung ist begrenzt299. Wenn beispielsweise das Produkt aus Staat A ebenso zu behandeln ist wie das inländische Produkt B und dasselbe für das ausländische Produkt C gilt, erscheint die Notwendigkeit einer Meistbegünstigungsklausel nicht recht ersichtlich; die Folge ist, dass Produkt A und Produkt C gleich zu behandeln sind. Dieser Schluss ist jedoch nicht immer korrekt. In einigen Fällen kommt dem Gebot der Meistbegünstigung durchaus eine Bedeutung zu. Ein Beispiel ist die Fallgruppe der Inländerdiskriminierung. So ist es – wie beim Sekundärzweck der Förderung aussenpolitischer Beziehungen – denkbar, dass das Produkt aus A gegenüber inländischen Produkten bevorzugt wird. In diesem Fall liegt kein Verstoß gegen das Gebot der Inländerbehandlung vor. Wird das Produkt aus C ebenso wie das inländische Produkt behandelt, so wäre bei Geltung allein des Gebots der Inländerbehandlung keine welthandelsrechtlich zu beanstandende Lage gegeben, obwohl eine Ungleichbehandlung zu Lasten von C vorliegen würde. In dieser Situation kommt das Gebot der Meistbegünstigung zur Geltung, das eine Schlechterstellung von C gegenüber A verbietet. 2. Anwendung auf die Sekundärzweckproblematik Im Rahmen der politischen Auftragsvergabe sind nur wenige Fälle denkbar, in denen ein Konflikt mit dem Gebot der Meistbegünstigung auftreten kann. Dazu gehören die außenpolitisch motivierten Maßnahmen im Vergabewesen. Der Ausschluss bestimmter „Staaten“ von der Vergabe von Aufträgen für den Wiederaufbau des Irak durch das US-Verteidigungsministerium bedeutete einen Ausschluss von Lieferanten aus diesen Staaten von der Auftragsvergabe. Anknüpfungspunkt war die Staatszugehörigkeit des Lieferanten. Sie wurden damit im Vergleich zu Lieferanten anderer Mitgliedstaaten unmittelbar ungleich behandelt. Die Regelung stellt damit einen Verstoß gegen das Gebot der Meistbegünstigung dar. Er ist je298 299
Arrowsmith, Government Procurement, S. 166. Dies betont auch Arrowsmith, Government Procurement, S. 166.
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doch ohne praktische Relevanz, weil er neben den Verstoß gegen das Gebot der Inländerbehandlung tritt. Das gleiche gilt für ähnliche vergaberechtliche Regelungen und Maßnahmen, mit denen zu Lasten von Lieferanten aus Mitgliedstaaten eine wirtschaftliche oder politische Nähe zu einem anderen Mitgliedstaat gesucht werden soll. Auf den ersten Blick erscheinen zudem bestimmte Maßnahmen innerhalb der EU konfliktträchtig. Wie ist beispielsweise eine Regelung zu beurteilen, die die Vergabe eines Auftrags in Deutschland von der Einhaltung europarechtlich definierter Standards – zum Beispiel Umweltstandards – abhängig macht, die höher liegen als die in den USA? In diesem Fall werden europäische Anbieter außerhalb Deutschlands im Vergleich zu amerikanischen Anbietern mittelbar bevorzugt. Eine mittelbare Ungleichbehandlung zu Lasten amerikanischer Lieferanten dürfte in diesem Fall gegeben sein. Allerdings greift hier die in den Anmerkungen zum GPA am Ende des Vertragstextes aufgenomme Klarstellung, dass die Bezeichnungen „innerstaatlich“, „national“ und „Staat“ sich auch auf „gesonderte Zollgebiete“ beziehen300. Die EU (bzw. EG) umfasst ein solches gesondertes Zollgebiet. Im Beispiel können daher europäische Anbieter außerhalb Deutschlands im Rahmen von Art. III Abs. 1 b) GPA nicht mit amerikanischen verglichen werden; dieser Vergleich wäre vielmehr innerhalb von Art. III Abs. 1 a) GPA, also dem Gebot der Inländerbehandlung, anzustellen.
C. Technische Spezifikationen Schließlich enthält Art. VI GPA den bereits mehrfach angesprochenen speziellen Verbotstatbestand für technische Spezifikationen. Dabei handelt es sich, sehr allgemein gesprochen, um die technischen Anforderungen, die an ein Produkt jenseits der ersten Produktdefinition gestellt werden. Es ist recht offensichtlich, dass diese eine reiche Quelle für versteckte Diskriminierungen ausländischer Produkte oder Anbieter darstellen können; technische Anforderungen können so formuliert werden, dass sie genau auf den inländischen Bewerber „passen“, den ausländischen dagegen zu einer Umstellung der Produktion zwingen301. Technische Vorschriften unterfallen grundsätzlich dem TBT. Art. VI GPA regelt aber technische Spezifikationen speziell für das öffentliche Auftragswesen, was Art. 1 Abs. 4 TBT ausdrücklich anerkennt. Art. VI GPA lehnt sich in seiner Formulierung jedoch eng an das TBT – insbesondere dessen Art. 2 – an. Art. VI Abs. 1 und 2 GPA haben folgenden Wortlaut: 300
Die Endnote des GPA stellt insoweit das Pendant zur Regelung in Art. XXIV GATT
dar. 301 Arrowsmith, Government Procurement, S. 305; Reich, International Public Procurement, S. 302.
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(1) Technical specifications laying down the characteristics of the products or services to be procured, such as quality, performance, safety and dimensions, symbols, terminology, packaging, marking and labeling, or the processes and methods for their production and requirements relating to conformity assessment procedures prescribed by procuring entities, shall not be prepared, adopted or applied with a view to, or with the effect of, creating unnecessary obstacles to international trade. (2) Technical specifications prescribed by procurement entities shall, where appropriate: a) be in terms of performance rather than design or descriptive character; and b) be based on international standards, where such exist; otherwise, on national technical regulations, recognized national standards or building codes.
In einer Fußnote zu Art. VI Abs. 2 GPA findet sich eine Definition einer (nationalen) „technischen Vorschrift“, die der Definition technischer Vorschriften im TBT – dort im Anhang des Abkommens zu finden – entspricht und im Wesentlichen eine Wiederholung der Definition einer technischen Spezifikation in Art. VI Abs. 1 GPA darstellt: For the purpose of this Agreement, a technical regulation is a document which lays down characteristics of a product or a service or their related processes and production methods, including the applicable administrative provisions, with which compliance is mandatory. It may also include or deal exclusively with terminology, symbols, packaging, marking or labelling requirements as they apply to a product, service, process or production method.
Technische Vorschriften oder Spezifikationen betreffen also die genauere Bestimmung des Leistungsgegenstands im Hinblick auf Kriterien wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Abmessungen sowie Verpackung, Kennzeichnung, Beschriftung etc. Auch Vorschriften im Hinblick auf Produktionsmethoden sind insoweit erfasst, als sie technische Vorgaben machen; insoweit muss sich die nationale Maßnahme an Art. VI GPA (und nicht an Art. III GPA) messen lassen302. Art. VI GPA dürfte im Hinblick auf die hier zu untersuchenden politischen Zwecke vor allem für ökologische Zielsetzungen von Bedeutung sein. Werden beispielsweise bestimmte umweltfreundliche Verfahren von einem Hersteller verlangt oder konkrete recyclebare Grundstoffe als Bestandteile des nachgefragten Produkts vorgegeben, so dürften diese Anforderungen die Ebene der Definition des Auftragsgegenstandes verlassen und Spezifikationen des Auftragsgegenstandes im Sinne von Art. VI GPA darstellen303. Umweltzeichen oder umweltschützende Verpackungsvorschriften sind nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. VI Abs. 1 GPA ebenfalls erfasst. 302 Das dürfte die logische Konsequenz aus der Stellung des Art. VI GPA als Spezialtatbestand sein. Dennoch will Arrowsmith Art. III GPA neben Art. VI GPA zur Anwendung kommen lassen, Spezifikationen also an beiden Vorschriften prüfen. Insbesondere bei weiter Interpretation des Art. VI GPA dürfte dies aber keine praktischen Konsequenzen haben. 303 Hierzu Kunzlik, in: Arrosmith / Davies, Public Procurement: Global Revolution, S. 203 f. 304 So für das TBT Beispiel Duvigneau, Aussenwirtschaft 2003, S: 521.
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Ansonsten ist die Bedeutung des Art. VI GPA für die Zulässigkeit einer politischen Instrumentalisierung des Vergabeverfahrens – abgesehen von versteckten Diskriminierungen zur Bevorzugung einheimischer Unternehmen – begrenzt. Die meisten politischen Kriterien setzen an Eigenschaften des Unternehmers an und beziehen sich daher nicht auf technische Aspekte des Produkts. Auch arbeitnehmerschützende Vorschriften, wie zum Beispiel Vorschriften über einen Mindestlohn oder die wöchentliche Arbeitszeit bei der Produktion des vom Staat nachgefragten Gutes fallen nicht unter Art. VI GPA: zwar stehen sie im Zusammenhang mit dem Produktionsprozess und können insofern als produktionsbezogen bezeichnet werden. Allerdings fehlt ihnen der technische Bezug, der von Art. VI GPA vorausgesetzt wird. I. Inhalt und Reichweite des Verbots aus Art. VI Abs. 1 GPA Seinem Wortlaut nach fordert Art. VI GPA, dass technische Spezifikationen nicht mit der Absicht oder der Wirkung vorgeschrieben werden dürfen, unnötige Handelshemmnisse für den internationalen Handel zu schaffen. Geklärt werden muss damit zunächst der im GPA ansonsten nicht verwendete Begriff des Hemmnisses für den internationalen Handel („obstacle to international trade“). Er steht im Kontrast zu den üblicherweise verwendeten Bezeichnungen der Nichtdiskriminierung bzw. Inländerbehandlung und Meistbegünstigung. Ein Blick auf die identische Formulierung in Art. 2 Abs. 2 TBT spricht dafür, dass der Begriff des „Hemmnisses“ weiter geht als der der Diskriminierung, denn ansonsten wäre die zusätzliche Anführung dieses Begriffs neben dem der Diskriminierung in Art. 2 Abs. 1 TBT überflüssig. Häufig wird in der Literatur daher mit Bezug auf Art. 2 Abs. 2 TBT auch von einem Beschränkungsverbot gesprochen, vergleichbar mit dem aus dem Europarecht bekannten304. Gleiches gilt für Art. VI Abs. 1 GPA305. Danach sind alle technischen Spezifikationen von Art. VI GPA erfasst, die den Handel zwischen den WTO-Mitgliedstaaten zu behindern imstande sind306. Art. VI Abs. 2 b) GPA sieht in diesem Zusammenhang vor, dass technische Spezifikationen auf internationale Standards – verbindlicher oder unverbindlicher Art – gestützt werden sollen307. Konsequenterweise stellen sie dann keine Handels-
Reich, International Public Procurement, S. 122 f.; S. 301 f. Hierzu ausführlich Arrowsmith, Government Procurement, S. 314; die Möglichkeit einer weiten Auslegung betonen auch Hoekman / Mavroidis, in: Hoekman / Mavroidis, Public Purchasing, S. 18 f. 307 Solche internationalen Standards sind das Resultat der Arbeiten mehrerer Organisationen, beispielsweise der International Standards Organization (ISO), der International Electrotechnical Commission (IEC). Europäische Institutionen wie CEN oder CENELEC zur Vereinheitlichung nationaler Standards gelten hingegen im Rahmen der WTO als „nationale“ Organisationen. 305 306
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hemmnisse dar. Umgekehrt tendierte die Rechtsprechung im Sardinenfall sogar dahin, im Hinblick auf den entsprechend formulierten Art. 2 Abs. 4 TBT ein Hemmnis anzunehmen, weil die EU von einem bestehenden internationalen Standard abgewichen war308. Die Gemeinschaft hatte in diesem Fall das Inverkehrbringen bestimmter Fische auf den europäischen Markt unter der Bezeichnung Sardinen untersagt, obwohl internationale Standards dies bei Anfügung einer Herkunftsbezeichnung vorsahen. Dies geschah aus Sorge vor möglicher Irreführung der Verbraucher. Das Berufungsgremium hielt die internationalen Bestimmungen für den Schutz vor Irreführung geeignet und erklärte daher die europäische Maßnahme für unzulässig. Ob Art. VI GPA ebenso weitgehend verstanden werden kann wie Art. 2 Abs. 4 TBT, erscheint zunächst fraglich, weil Art. VI Abs. 2 GPA im einleitenden Satz relativierend bestimmt, dass technische Spezifikationen nur insoweit auf internationale Standards gestützt werden müssen, als das „angebracht“ ist. Allerdings wird wohl kaum ein sachlicher Grund ersichtlich sein, warum bei Existenz von internationalen Standards auf nationale Standards zurückgegriffen werden sollte. Hinzu kommt, dass die WTO nach dem im ersten Teil dieser Arbeit Gesagten eine Einbeziehung internationaler Normen und Standards fördern sollte. Wo internationale Standards existieren, sollten die Streitbeilegungsorgane daher fordern, dass nationale Vergabestellen sich auch an ihnen orientieren309.
II. „Notwendigkeit“ von Handelshemmnissen und Rechtfertigung Die Notwendigkeit eines Handelshemmnisses führt zu seiner Zulässigkeit. Damit stellt sich die Frage, ob es sich hier um ein Merkmal zur Rechtfertigung oder ein Tatbestandsmerkmal des Verbotstatbestands handelt. Das ist praktisch von erheblicher Bedeutung: wer sich auf einen Verbotstatbestand beruft, muss dessen Voraussetzungen darlegen und beweisen; ein Interesse und die Last, eine Maßnahme zu „rechtfertigen“, hat nur der Beklagte. Diesen trifft in diesem Fall die Darlegungs- und Beweislast. Diese Grundsätze sind auch im WTO-Recht anerkannt310. Die negative Formulierung in Art. VI GPA („unnecessary“) ist ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei dem Kriterium der Notwendigkeit nicht um ein Rechtfertigungs-, sondern um ein Tatbestandsmerkmal handelt. Das macht auch Sinn, denn der Verbotstatbestand des Art. VI GPA ist sehr weit geraten. Er wird dadurch wie308 Bericht des Berufungsgremiums, European Communities – Trade Description of Sardines, WT / DS231 / AB / R. 309 Darin liegt ein potentielles Konfliktpotential mit den EG-Vergaberichtlinien, die verlangen, dass primär europäische Normen herangezogen werden, vgl. Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, S. 32. 310 Ausführlich zu Darlegungs- und Beweislasten im WTO-Recht Waincymer, WTO Litigation, S. 549 – 561.
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der eingeengt, dass das klagende Mitglied grundsätzlich nachweisen muss, dass die Maßnahme nicht notwendig war. Da dies naturgemäß schwer zu bewerkstelligen sein wird, wird man hier mit abgestuften Beweislastregeln arbeiten müssen311. Die Folgefrage ist, was konkret unter einer (nicht) notwendigen Maßnahme zu verstehen ist. Insoweit muss hier auf die untenstehenden Ausführungen zu Art. XXIII Abs. 2 GPA verwiesen werden. Denn auch der allgemeine Ausnahmetatbestand des Art. XXIII Abs. 2 GPA enthält die Voraussetzung, dass nationale Maßnahme notwendig sein müssen, wenn auch im Zusammenhang mit einer Rechtfertigung. Es besteht kein Grund, die Voraussetzung der Notwendigkeit in Art. VI GPA anders zu interpretieren als in Art. XXIII Abs. 2 GPA312. Dieser im Rahmen von Art. XXIII Abs. 2 GPA für die Sekundärzweckproblematik sehr bedeutsame Punkt sollte im Rahmen des praktisch weniger erheblichen Art. VI GPA nicht vorweggenommen werden313. Ein anderer problematischer Aspekt bedarf an dieser Stelle hingegen der Klärung. Auffallend ist, dass Art. VI Abs. 1 GPA keinerlei Hinweis darauf enthält, in Bezug worauf die nationale Maßnahme denn notwendig sein soll. Anders verhält sich dies in Art. 2 Abs. 2 TBT. Dort heißt es, dass technische Vorschriften nicht handelsbeschränkender als notwendig sein dürfen, um „ein berechtigtes Ziel zu erreichen“; die Vorschrift enthält sodann eine Liste zulässiger Ziele, die aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut nicht abschließend zu verstehen ist. Auch Art. XXIII Abs. 2 GPA spricht von der Notwendigkeit von Maßnahmen und nennt gleichzeitig die Ziele, auf die sich diese Notwendigkeit beziehen muss. Art. VI GPA ist in dieser Hinsicht offen. Das spricht dafür, grundsätzlich jedes nationale Politikziel hierunter zu fassen, wie dies auch bei Art. 2 Abs. 2 TBT der Fall ist314. Zudem deckt sich diese Interpretation mit dem im ersten Teil der Arbeit entwickelten Gedanken, dass die WTO sich in der Beurteilung, ob ein nationales Politikziel zulässig ist, möglichst zurückhalten und den Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht einen regulativen Freiraum offenhalten sollte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob nach Art. VI GPA unzulässige Regelungen nach Art. XXIII GPA noch gerechtfertigt werden können. Denn immerhin hat ja schon eine Filterung nationaler Maßnahmen durch die Notwendigkeitsprüfung 311 Siehe zum Problem des „proving a negative“ den Bericht des Panels zu „Canada – Patent Proctection“, Abs. 7.60; vgl. zudem Waincymer, WTO Litigation, S. 560. 312 Einen Gleichlauf der Notwendigkeitsprüfung bejaht auch implizit Arrowsmith, Government Procurement, S. 315, die ihre Interpretation der Notwendigkeitsprüfung der Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane zu Art. XX GATT entnimmt. 313 Siehe hierzu unten § 4 B.IV. 314 So ist wohl auch Arrowsmith zu verstehen: „It is submitted that the derogations are not relevant in determining wether technical specifications are lawful under the GPA: specifications do not have to be justified on the basis of one of the interests referred to in Art. XXIII GPA or under other GPA derogations“; siehe Arrowsmith, Government Procurement, S. 146.
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im Rahmen von Art. VI GPA stattgefunden. Im TBT stellt sich das Parallelproblem, das bis heute nur wenig diskutiert und ungelöst ist: können Maßnahmen, die gegen Art. 2 TBT verstoßen, gerechtfertigt werden? Mangels eines Rechtfertigungstatbestandes im TBT selbst käme nur eine Anwendung des Art. XX GATT in Frage. Während hier die schwierige Frage auftaucht, ob Rechtfertigungstatbestände aus einem WTO-Abkommen auf ein anderes Abkommen – ggf. analog – übertragen werden können, geht es im GPA lediglich um die Frage, ob eine Rechtfertigung von „unnötigen“ Handelshemmnissen nach Art. XXIII Abs. 2 GPA noch möglich ist. Angesichts des Wortlauts, der die Ausnahmevorschrift auf alle Vorschriften des Abkommens bezieht, dürfte die Frage zu bejahen sein. Allerdings wird dies ohne praktische Relevanz sein: wenn das klagende Mitglied nachweisen kann, dass eine Maßnahme nicht notwendig zur Erreichung eines nationalen Politikziels im Sinne von Art. VI GPA war, so wird auch die Notwendigkeitsprüfung im Rahmen von Art. XXIII Abs. 2 GPA kein anderes Ergebnis bringen. Wenn es dem beklagten Mitglied dagegen nicht möglich war, im Rahmen von Art. VI GPA den Nachweis der Notwendigkeit zu erbringen und damit das Vorbringen des klagenden Mitglieds zu widerlegen, wird es auch die Voraussetzungen des Art. XXIII Abs. 2 GPA in keinem Fall erfüllen können. Die Ausnahme der nationalen Sicherheit in Art. XXIII Abs. 1 GPA sieht hingegen schon keine Notwendigkeitsprüfung vor, die der in Art. VI GPA vergleichbar wäre315. Es ist daher prinzipiell denkbar, dass spezifische Anforderungen an das Produkt „unnötige“ Handelshemmnisse darstellen, aber der nationalen Sicherheit dienen sollen. Hier kann es dem Mitglied offensichtlich nicht verwehrt werden, sich auf Art. XXIII Abs. 1 GPA zu berufen. Auch hier spricht der Wortlaut des Art. XXIII Abs. 1 GPA deutlich für diese Möglichkeit, der vorsieht, dass „die Bestimmungen dieses Übereinkommens“ – also auch Art. VI GPA – die Vertragsparteien nicht daran hindern, Maßnahmen im Bereich der nationalen Sicherheit vorzunehmen.
§ 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen Rechtswidrige nationale Maßnahmen können durch Ausnahmebestimmungen des GPA gerechtfertigt sein. Wichtigste Vorschrift in diesem Zusammenhang ist Art. XXIII GPA. Absatz 1 der Vorschrift sieht eine Bestimmung zur Rechtfertigung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit vor. Art. XXIII Abs. 2 GPA enthält eine allgemeine Ausnahmeregelung. Letztere ähnelt trotz einiger Unterschiede stark der allgemeinen Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT. 315 Die in Art. XXIII Abs. 1 GPA genannte „Notwendigkeit“ (die deutsche Übersetzung spricht von Unerlässlichkeit) bezieht sich nicht auf die Maßnahme also solche, sondern auf die Beschaffung.
§ 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen
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Teilweise wurde in der Literatur angezweifelt, dass Vorschriften wie Art. XX GATT und Art. XXIII GPA Ausnahmeregelungen darstellen und ihre Rechtsfolge in der Rechtfertigung von Rechtsverstößen besteht; die Vorschriften wurden als eigenständige Tatbestände begriffen. Wären diese Zweifel berechtigt, so würde dies einen möglichen Widerspruch des ersten Teils glätten: dort wurde argumentiert, dass die Ausnahmetatbestände einer eher weiten Interpretation bedürfen. Das widerspricht dem Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften; würde Art. XXIII GPA gar keine Ausnahmevorschrift darstellen, würde sich das Problem nicht stellen. Allerdings ist der Wortlaut der Überschriften sowohl von Art. XX GATT als auch Art. XXIII Abs. 2 GPA, der von „General Exceptions“ bzw. „Exceptions to the Agreement“ spricht, doch recht eindeutig. Darüber hinaus haben auch die Streitbeilegungsorgane die Vorschriften eindeutig in diesem Sinne charakterisiert316. Der Charakter der Vorschriften als „Ausnahmen“ dürfte daher kaum noch ernsthaft zu bestreiten sein. Es muss auch nicht notwendig als unstimmig angesehen werden, Ausnahmevorschriften weit auszulegen. Der Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen ist kein Dogma; in der Tat haben selbst die Streitbeilegungsorgane verschiedentlich darauf hingewiesen, dass er im Rahmen von Art. XX GATT nicht notwendig Anwendung finde317. Zudem kann diesem Grundsatz in völkerrechtlichen Verträgen der Grundsatz des „in dubio mitius“ entgegengesetzt werden, nach dem völkervertragsrechtliche Beschränkungen der staatlichen Entscheidungsfreiheit im Zweifel eng auszulegen sind318. Dieser Grundsatz dient gerade dem – im ersten Teil bei der Lösung von Zielkonflikten für besonders geboten erachteten – Autonomieschutz. Allerdings dürfte die Anwendung dieses Grundsatzes eine „Zweifelslage“ voraussetzen, mithin zumindest einen unklaren Wortlaut, so dass er nicht ohne weiteres den Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen „aushebeln“ kann. Immerhin haben die Streitbeilegungsorgane die Regel des in dubio mitius bereits anerkannt319.
316 Das Berufungsgremium stellte in seinem Bericht zu „United States – Measures Affecting Imports of Woven Shirts and Blouses from India“, WT / DS33 / AB / R, S. 16, u. a. fest: „( . . . ) Articles XX and XI:2 c) GATT are limited exceptions from obligations under certain other provisions of the GATT 1994, not positive rules establishing obligations in themselves. They are in the nature of affirmative defences“; auf diesen Bericht und diese Ausführungen wird seitdem regelmäßig verwiesen, vgl. nur Bericht des Panels zu „Brazil – Export Financing Programme for Aircraft“; WT / DS46 / R, Abs. 7.55; siehe auch Feddersen, Ordre Public, S. 161 ff. 317 Am deutlichsten wohl insoweit das Berufungsgremium im Hormonfall, „European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones)“: „( . . . ) merely characterizing a treaty provision as an „exception does not by itself justify a „stricter“ or „narrower“ interpretation of that provision than would be warranted by examination of the ordinary meaning of the actual treaty words, viewed in context and in the light of the treaty’s object and purpose, or, in other words, by applying the normal rules treaty interpretation ( . . . )“. 318 Ipsen, Völkerrecht, S. 122.
11 Gaedtke
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A. Ausnahmen im Bereich der nationalen Sicherheit: Art. XXIII Abs. 1 GPA I. Auslegung des Tatbestands Die Sicherheitsklausel des Art. XXIII Abs. 1 GPA ist bislang – wie auch die entsprechenden Vorschriften in allen anderen Abkommen des WTO-Rechts – in der Praxis der Streitbeilegung noch nicht relevant geworden320. Die Klausel bestimmt, dass die Vertragsparteien solche Maßnahmen vornehmen können, die „sie zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen“ für notwendig erachten. Im Einzelnen hat die Vorschrift folgenden Wortlaut: Nothing in this Agreement shall be construed to prevent any Party from taking any action or not disclosing any information which it considers necessary for the protection of its essential security interests relating to the procurement of arms, ammunition or war materials, or to procurement indispensable for national security and national defense purposes.
Die etwas unübersichtliche Vorschrift enthält zwei Alternativen. Die erste Alternative liefert für solche Maßnahmen eine Ausnahme, die das Mitglied zum Schutz seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Beschaffung von Waffen, Munition oder Rüstungsmaterial für notwendig hält. Handelt es sich um die Beschaffung anderer Produkte, ist der Ausnahmetatbestand also nicht einschlägig. Die zweite Alternative ist dagegen sehr viel umfassender. Danach sind solche Maßnahmen gerechtfertigt, die das Mitglied mit Bezug auf für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigung unerläßliche Beschaffungen trifft, soweit es diese Maßnahmen für seine wesentlichen Sicherheitsinteressen für notwendig hält. Die Vorschrift ist nicht leicht verständlich. Sie dürfte aus zwei Ebenen bestehen: auf einer ersten Ebene ist zu prüfen, ob eine Beschaffung „unerlässlich für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigung“ ist. Ist dies der Fall, wird dem Mitglied auf einer zweiten Ebene grundsätzlich die Entscheidung zugestanden, ob es eine diese Beschaffung betreffende Maßnahme für notwendig für seine wesentlichen Sicherheitsinteressen hält. Die zweite Alternative ist zwar ähnlich, aber deutlich weiter formuliert als beispielsweise Art. XXI GATT. Art. XXI b) GATT listet drei konkrete Fälle auf, in denen die Mitglieder Maßnahmen treffen können, die nach ihrer Auffassung zum 319 Bericht des Berufungsgremiums zu „European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones)“, WT / DS26 / AB / R; WT / DS48 / AB / R, Abs. 165. Hierzu ausführlich Feddersen, Ordre Public, S. 140. 320 Die einzige Streitigkeit, in der die Sicherheitsklausel je eine Rolle spielte und in der es zur Einrichtung eines Panels kam, betraf Art. XXI GATT; in dieser Streitigkeit schlossen jedoch die „terms of reference“ eine Befassung des Panels mit Art. XXI GATT aus, vgl. „United States – Trade Measures affecting Nicaragua“, GATT Doc. L / 6053; näher Nissen, Recht der Internationalen Wirtschaft 1999, S. 354.
§ 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen
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Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen notwendig sind321. Liegen deren Voraussetzungen objektiv vor, wird dem Mitglied zugestanden, in seinem Ermessen zu handeln. Art. XXIII Abs. 1 Alt. 2 GPA enthält dagegen mit der „nationalen Sicherheit“ und der „nationalen Verteidigung“ zwei Generalklauseln, die nur sehr schwer zu konkretisieren sind. Art. XXIII Abs. 1 Alt. 2 GPA ist damit potentiell sehr weitreichend und sicherlich die bedeutsamere der beiden tatbestandlichen Alternativen. Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit Art. XXIII Abs. 1 GPA ist daher die Auslegung des Halbsatzes „unerlässlich für die nationale Sicherheit oder Verteidigung“. Zumindest dieser Teil der ansonsten einem subjektiven Maßstab unterliegenden Vorschrift ist seinem Wortlaut nach einer objektiven Bewertung zugänglich322. Ein möglicher Ansatz wäre, die Einschätzung, ob eine Maßnahme für die nationale Sicherheit unerlässlich ist, dennoch komplett der Beurteilung der Mitgliedstaaten zu überlassen323. Das wäre insofern wertungsmäßig vertretbar, als es die Legitimation der WTO doch deutlich übersteigen würde, über genuin nationale Fragen wie die Einschätzung dessen zu urteilen, was die Sicherheitsinteressen in wesentlichem Maße betrifft, und welche Maßnahmen zu ihrer Verfolgung notwendig sind. Wie sensibel dieser Aspekt in der Tat ist und auch von den Mitgliedstaaten gehandhabt wird, zeigt die Kompromissbereitschaft der USA und der EU im transatlantischen Konflikt um den „Helms-Burton Act“324. Das amerikanische Gesetz sah Diskriminierungen ausländischer Unternehmen vor, die mit Kuba Geschäftsbeziehungen unterhielten. Die USA begründeten das Gesetz damit, dass die Beziehungen zu Kuba und damit das Gesetz ihre nationale Sicherheit berührten325. Der Druck, den die EU durch die Einleitung eines WTO-Verfahrens auf die USA ausübte, führte schließlich zu einer bilateralen Einigung, die europäischen Unternehmen eine weitgehende Befreiung von den Bestimmungen des Gesetzes einräumte. Beide Konfliktparteien wollten unter allen Umständen verhindern, dass in Genf über den Begriff der nationalen Sicherheit der USA debattiert würde326. In der Tat 321 Es handelt sich um Maßnahmen in Bezug auf spaltbare Stoffe bzw. deren Rohstoffe, auf den Handel mit Waffen und Kriegsmaterial sowie Maßnahmen in Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen, vgl. Art. XXI b) i) – iii) GATT. 322 Für die strukturell ähnlich formulierte Vorschrift des Art. XXI GATT wird allerdings vertreten, dass sie insgesamt einem subjektivem Maßstab unterliege, vgl. Hahn, Einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen, S. 342; ablehnend aber Nissen, Recht der Internationalen Wirtschaft, S. 355. 323 Diesen Ansatz diskutiert, im Ergebnis ablehnend, Arrowsmith, WTO Government Procurement, S. 149. 324 Dazu bereits oben 1. Teil, § 1 C.II. 325 Ausführlich Nissen, Recht der Internationalen Wirtschaft 1999, S. 353; Kress / Herbst, Recht der Internationalen Wirtschaft 1997, S. 630. 326 Hierzu Piczak, Pittsburgh Law Review, 2000, S. 287; Nissen, Recht der internationalen Wirtschaft 1999, S. 354 ff.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
stünde die Glaubwürdigkeit der WTO auf dem Spiel, würde sie zu weit in die nationale Regelungsautonomie eingreifen327. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass Art. XXIII Abs. 1 GPA das große Risiko birgt, dass Mitglieder missbräuchlich ihre Sicherheitsinteressen als Rechtfertigung für diskriminierende Maßnahmen vorgeben werden. Vor dem Hintergrund des zum globalen Problem werdenden internationalen Terrorismus kann für praktisch jede nationale Beschaffungsmaßnahme, die internationale Relevanz besitzt, eine sicherheitspolitische Komponente gefunden werden. Wenn die Streitbeilegungsorgane die Beurteilung, ob die nationale Sicherheit die Beschaffung sowie die damit zusammenhängende Maßnahme gebietet, vollständig in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellten, würden sie sich jeder rechtlichen Kontrolle über Maßnahmen der Mitglieder entäußern; die Regeln des GPA wären in diesem Fall der Aushöhlung preisgegeben328. Auch in diesem Fall stünde die Glaubwürdigkeit der WTO auf dem Spiel. Um diesem Dilemma zu entkommen, sollte daher zumindest eine Mindestmaß an Überprüfung im Sinne einer Missbrauchskontrolle durch die Streitbeilegungsorgane stattfinden. Wie kann eine solche Missbrauchskontrolle konkret aussehen? Arrowsmith schlägt vor zu überprüfen, ob tatsächlich „wesentliche Sicherheitsinteressen“ betroffen sind. Auch solle Gegenstand einer Überprüfung durch die Streitbeilegungsorgane sein, ob die konkrete Maßnahme im Hinblick auf ihr Ziel vernünftig erscheint, und ob der Mitgliedstaat eine vernünftige Rechtfertigung dafür vorbringt329. Sie schlägt somit eine vollständige Verobjektivierung des Tatbestands vor, was angesichts der Tendenz in der Diskussion zu Art. XXI GATT, die Sicherheitsklausel zur Gänze der Beurteilung der Mitgliedstaaten zu unterstellen – also rein subjektiv zu verstehen – erstaunlich ist. Der Ansatz von Arrowsmith ist aber auch in der Sache zu weitgehend. Die Entscheidung, ob eine Maßnahme die „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ berührt, ist eine subjektive Entscheidung der Mitglieder und kann daher nur ihnen überlassen bleiben. Abgesehen von dem insoweit eindeutigen Wortlaut steht dies auch im Einklang mit der in dieser Arbeit verfolgten Linie, dass die Mitglieder ihre mit dem Beschaffungswesen verfolgten politischen Ziele so weit als möglich frei wählen können sollten. Dies muss gerade dann gelten, wenn es um die wesentlichen Sicherheitsinteressen eines Mitglieds geht und der entsprechende Tatbestand auch noch subjektiv formuliert ist. 327 Selbst von einem europäischen Botschafter wurde im Rahmen des USA-NicaraguaKonflikts geäußert: „( . . . ) it is not the role of GATT to resolve disputes in the field of national security.“ Daran hat sich auch durch die Schaffung der WTO nichts geändert. Die USA hatten anlässlich der Einleitung des WTO-Verfahrens im Helms-Burton-Fall bereits deutlich gemacht, eine Entscheidung der WTO ignorieren zu wollen; siehe Dhooge, Arizona Journal of Int & Comp Law 1997, S. 612; Nissen, Recht der Internationalen Wirtschaft 1999, S. 356. 328 Für Art. XXI GATT spricht Hahn von einer „carte blanche“, die den Mitgliedstaaten zugestanden würde, um ihre selbstdefinierten Interessen vor die Bindungen des GATT zu stellen, Hahn, Einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen, S. 342. 329 Arrowsmith, WTO Government Procurement, S. 149.
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Eine Missbrauchskontrolle kann sich daher nur auf den objektiv formulierten zweiten Teil der Ausnahmevorschrift beziehen. Sie sollte in der Prüfung bestehen, ob die konkrete Beschaffung nach den Angaben des Mitgliedstaats in einem plausiblen Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit steht. Man könnte also auch von einer Plausibilitätskontrolle sprechen. Nationale Sicherheit ist angesichts des in Art. XXIII Abs. 2 GPA genannten Begriffs der öffentlichen Sicherheit allerdings von diesem abzugrenzen330. Nach dem herkömmlichem Verständnis betrifft die nationale Sicherheit die äußere Sicherheit, während sich die öffentliche Sicherheit auf die Abwehr von Gefahren von innen, also auf die innere Sicherheit bezieht331. Das Mitglied des GPA muss damit im Rahmen von Art. XXIII Abs. 1 GPA geltend machen, dass die Beschaffung im Zusammenhang mit der äußeren Sicherheit steht, und diesen Zusammenhang plausibel darlegen. II. Rechtfertigung politischer Auftragsvergabe nach Art. XXIII Abs. 1 GPA Die Übertragung dieser Kriterien auf politische Auftragsvergabe verdeutlicht die Bedeutung der vorgeschlagenen Missbrauchskontrolle. Für eine Rechtfertigung nach Art. XXIII Abs. 1 GPA kommen vor allem die deutschen Scientology-Erklärungen, die vergaberechtlichen Bestimmungen des Iran-Libya Sanctions Act sowie das Irak-Memorandum des US-Verteidigungsministeriums in Betracht. Letzterer Fall stellt allerdings insofern einen Sonderfall dar, als die USA in ihren Listen den Anwendungsbereich des Abkommens mit Art. XXIII Abs. 1 GPA verknüpft haben332; nur wenn der Anwendungsbereich danach eröffnet ist, kommt eine eigentliche Rechtfertigung noch in Betracht. Die Erklärungen zur Scientology-Zugehörigkeit sollen verhindern, dass das als für den Rechtsstaat gefährlich eingestufte Gedankengut der Organisation über staatliche Beschaffungen in den staatlichen Bereich Einzug erhält. Die Maßnahme dient also dem Selbstschutz des Staates. Eine Subsumtion unter Art. XXIII Abs. 1 GPA scheidet dennoch nach dem oben Gesagten sogleich aus. Die Beschaffung muss unerlässlich für die nationale „äußere“ Sicherheit sein. Das kann die Bundesrepublik bzw. die Gemeinschaft aber keinesfalls plausibel darlegen. Betroffen ist nämlich die innere Sicherheit, so dass die Maßnahme unter die öffentliche Sicherheit in Art. XXIII Abs. 2 GPA zu subsumieren ist. 330 Im Europarecht, beispielsweise in Art. 30 EGV, umfaßt der Begriff der öffentlichen Sicherheit dagegen nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl innere und äußere Sicherheit. Der Unterschied rechtfertigt sich dadurch, dass eine dem Art. XXIII GPA vergleichbare Differenzierung zwischen „nationaler“ Sicherheit und „öffentlicher“ Sicherheit nicht existiert. Siehe zur europarechtlichen Problematik Lenz, EG-Vertrag, Art. 30 Rn. 10. 331 Für diese Interpretation spricht auch implizit die Formulierung in Art. XXI GATT, die den Begriff der nationalen Sicherheit im Zusammenhang mit außenpolitischen Krisenszenarien verwendet. 332 Siehe oben unter § 1 C.I.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Der Iran-Libya Sanctions Act zeigt, dass der Spielraum für die Mitgliedstaaten keineswegs derart weitgehend ist, dass das Abkommen wertlos wird, wenn man der WTO eine Missbrauchskontrolle einräumt. Man stelle sich beispielsweise einen größeren Bauauftrag vor, der in den USA zu vergeben ist. Bewirbt sich um diesen Auftrag ein Bauunternehmen, dass gleichzeitig im Iran (Bau-)Investitionen getätigt hat, die das erlaubte Limit des Iran-Libya Sanctions Act übersteigen, so könnte das Unternehmen den Zuschlag nicht erhalten333. Ist die Maßnahme als mittelbar diskriminierende nach dem GPA unzulässig, kommt eine Rechtfertigung nach Art. XXIII Abs. 1 GPA nur in Betracht, wenn objektiv entweder eine Beschaffung von Waffen, Munition oder Kriegsmaterial vorliegt oder eine Beschaffung, die unerlässlich für die nationale Sicherheit oder Verteidigungszwecke ist. Nichts von alledem ist der Fall. Es wäre auch nicht plausibel, wenn die USA sich darauf berufen würden, dass die Vergabe eines normalen Bauauftrags unerlässlich für die nationale Sicherheit wäre. Die oben hergeleitete Plausibilitätskontrolle würde einen derartigen Missbrauch der Vorschrift verhindern. Obwohl die Maßnahme also durchaus in einem gewissen Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit stünde, könnten sich die USA hier nicht erfolgreich auf Art. XXIII Abs. 1 GPA berufen. Das steht nicht in Widerspruch zu den oben gemachten Ausführungen zu diesem Tatbestand oder den im ersten Teil dieser Arbeit gemachten Feststellungen zum Autonomieschutz. Denn eine Rechtfertigung nach Art. XXIII Abs. 2 GPA bleibt ohne weiteres denkbar; die Maßnahme muss sich dann aber gegebenenfalls stärker auf ihre handelsfreundliche Ausgestaltung hin untersuchen lassen. Im Hinblick auf das Memorandum des US-Verteidigungsministeriums zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Irak wurde oben darauf hingewiesen, dass die Anwendung des Abkommens auf bestimmte Aufträge von den Entscheidungen der US-Regierung mit Bezug auf Art. XXIII Abs. 1 GPA abhängig sein wird. Damit sind die Entscheidungen gemeint, ob Beschaffungen „unerlässlich für die nationale Sicherheit“ sind und ob die vergaberechtliche Maßnahme die wesentlichen Sicherheitsinteressen der USA berührt. Ist dies der Fall, so soll der Anwendungsbereich des Abkommens nicht eröffnet sein. Sollte die US-Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, würde der oben angelegte Maßstab wohl dazu führen, dass das Abkommen für die USA nicht anwendbar ist. Die Streitbeilegungsorgane wären in diesem Fall auf die Kontrolle beschränkt, ob sich die USA missbräuchlich darauf berufen, dass die Beschaffungen für ihre äußere Sicherheit erforderlich sind. Das in dem Memorandum angeführte Sicherheitsinteresse besteht darin, amerikanische Soldaten aus dem Irak abziehen zu können, sollten Staaten der „Antikriegskoalition“ durch die Maßnahme dazu bewegt werden, auf den Kurs der USA einzuschwenken und Truppen in den Irak zu senden. Die Formulierung in dem 333
Siehe hierzu oben § 1 C.VI.
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Memorandum bezieht sich lediglich auf die Begründung, warum die Maßnahme nach Auffassung der USA ihre wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen berührt. Kein Wort verliert das Memorandum darüber, warum die Beschaffungen unerlässlich für die nationale Sicherheit sein sollen. Darauf kommt es aber gerade an. Allerdings kann wohl davon ausgegangen werden, dass die USA im Falle eines Streitbeilegungsverfahrens die erforderlichen Angaben „nachreichen“ würden. Sie wären wohl auch unschwer möglich, denn die Beschaffungen für den Wiederaufbau des Iraks dienen der Befriedung des Landes und damit der Sicherheit der von den USA im Irak stationierten Soldaten. Die Sicherheit seiner militärischen Einheiten dürfte ohne weiteres zur äußeren Sicherheit eines Staates zu zählen sein. Den USA wäre es damit unschwer möglich, die Unerlässlichkeit der Beschaffungen im Irak für die nationale Sicherheit plausibel darzulegen. Dass die nationale Maßnahme, nämlich der Ausschluss von Firmen der Antikriegskoalition von den Aufträgen im Irak, zu einer Entsendung von Soldaten dieser Staaten in den Irak führen wird, scheint doch eine recht gewagte Überlegung zu sein. Ihre Plausibilität steht aber nicht zur Debatte. Dieser Aspekt betrifft die Frage, ob die Maßnahme nach Auffassung des Mitglieds für seine wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist. Nach dem oben Gesagten steht diese Einschätzung allein im Ermessen der Mitglieder. Es ist nicht Sache der WTO, diese Einschätzung zu überprüfen. Dass die US-Regierung sich innerstaatlich zur Rechtfertigung ihres Vorgehens nicht auf die „nationale Sicherheit“, sondern auf das „öffentliche Interesse“ stützen will, spricht nicht gegen die Berufung auf ihre Sicherheitsinteressen im Rahmen des WTO-Rechts. Pauwelyn weist zwar zutreffend darauf hin, dass dies die amerikanische Position nicht unbedingt glaubwürdiger macht334. Doch ist keinesfalls davon auszugehen, dass die Begriffe der „nationalen Sicherheit“ im nationalen Recht eines Mitglieds und im internationalen Recht deckungsgleich sind. Wie der erste Teil dieser Arbeit deutlich machen sollte, bestehen fundamentale Unterschiede in der Interpretation von Rechtsbegriffen in Abhängigkeit davon, wie es um Integrationsauftrag, Struktur und Legitimation eines internationalen Rechtskörpers bestellt ist. Die WTO ist jedenfalls gehalten, den Mitgliedstaaten bei der Auslegung dieses Begriffs ein weites Ermessen zuzugestehen. Wenn im nationalen Recht der USA der Begriff strenger gehandhabt wird, so ist dies ohne Auswirkung auf die Beurteilung der Rechtslage im WTO-Recht. Selbstverständlich ist auch ohne Belang für die rechtliche Beurteilung der amerikanischen Maßnahme, ob sie der Situation für angemessen gehalten wird oder nicht335. Sicherlich widerspricht der Gedanke, andere Staaten mit dem Instrument 334 Pauwelyn, Jurist, im Internet unter http: / / jurist.law.pitt.edu / forum / forumnew133. php, S. 6. 335 Die EU-Kommission bewertete die Maßnahme (erwartungsgemäß) als politischen Fehler der amerikanischen Regierung, vgl. Süddeutsche Zeitung, „Wir brauchen nicht noch einen Handelskonflikt“, 11. Dezember 2003.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
des Vergabewesens unilateral auf die Linie amerikanischer Interessen zu zwingen, dem multilateralen Geist des GPA wie des WTO-Rechts insgesamt. Auch mag die hinter der Maßnahme stehende Erwartung, dass der Einfluss der Industrie auf die staatliche Politik so stark ist, dass er grundlegende außenpolitische Entscheidungen einer Regierung umwälzen kann, kritisierbar oder auch schlicht unzutreffend sein. Doch stehen diese Aspekte außerhalb der rechtlichen Prüfung des GPA und dürfen nicht mit den rechtlich relevanten Aspekten vermengt werden.
B. Die allgemeinen Ausnahmevorschriften: Art. XXIII Abs. 2 GPA Die wichtigste Ausnahmevorschrift für das GPA ist Art. XXIII Abs. 2 des Abkommens. Erstaunlicherweise findet die Vorschrift in den Abhandlungen zum GPA nur eine deutlich inadäquate Berücksichtigung. So widmet ihr Reich gar keine Beachtung, während Arrowsmith sie auf lediglich fünf Seiten abhandelt336. Auch die deutschsprachigen Arbeiten zum GPA enthalten nur kurze und sehr generelle Hinweise auf Art. XXIII Abs. 2 GPA. Dabei hat sich schon im GATT gezeigt, welche Brisanz die Auslegung der Ausnahmevorschriften des Art. XX GATT besitzt. Art. XXIII Abs. 2 GPA hat folgenden Wortlaut: Subject to the requirement that such measures are not applied in a manner which would constitute a means of arbitrary or unjustifiable discrimination between countries where the same conditions prevail or a disguised restriction on international trade, nothing in this Agreement shall be construed to prevent any Party from imposing or enforcing measures: necessary to protect public morals, order or safety, human, animal or plant life or health or intellectual property; or relating to the products or services of handicapped persons, of philanthropic institutions or of prison labour.
Art. XXIII Abs. 2 GPA weist die für allgemeine Ausnahmevorschriften des WTO-Rechts typische zweigliedrige Struktur auf. Die Vorschrift besteht zum einen aus den einzelnen Ausnahmetatbeständen im zweiten Halbsatz. Zum anderen sieht sie eine generalklauselartige „Präambel“ vor, die vorschreibt, dass die Maßnahmen weder eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Staaten, in denen die gleichen Verhältnisse bestehen, noch eine versteckte Beschränkung des internationalen Handels darstellen dürfen. Diese einleitenden Voraussetzungen sind beispielsweise in Art. XX GATT den Ausnahmetatbeständen deutlich vorangestellt, weshalb sie dort nach allgemeinem WTO-Sprachgebrauch als „chapeau“ bezeichnet werden. Diese Bezeichnung ist treffender als die missverständliche Bezeichnung „Präambel“ und soll hier übernommen werden337. Aus dem Aufbau der Vorschrift ergibt sich die logische Prüfungsreihenfolge: zunächst ist das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands zu untersuchen, und sodann 336 337
Arrowsmith, Government Procurement, S. 143 – 148. Anders Feddersen, Ordre Public, S. 163.
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die Maßnahme daraufhin zu betrachten, ob sie den Erfordernissen des chapeau genügt338. Wie im ersten Teil ausgeführt, kann und sollte diese Prüfung als eine modifizierte Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgefasst werden. Die Prüfung der Ausnahmetatbestände stellt eine Prüfung dar, ob die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt. Die Notwendigkeitsprüfung betrifft die Frage nach dem Vorliegen einer „milderen“ Alternative, während der chapeau Gesichtspunkte enthält, die im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung von Bedeutung sind. Nach dem im ersten Teil Gesagten ist es aber nicht möglich, Rechtsgüterabwägung vorzunehmen; das verbietet der Respekt, den die Streitbeilegungsorganen dem Stellenwert nationaler Politikziele entgegenbringen müssen.
I. Ansätze für eine enge Auslegung der Ausnahmetatbestände in Literatur und Rechtsprechung Entgegen den im ersten Teil gemachten Ausführungen ging in der Vergangenheit einigen Kommentatoren und auch GATT-Paneln die Reichweite der Ausnahmetatbestände zu weit. Hudec zufolge sind die Ausnahmetatbestände „so weit gefasst, dass es schwierig ist, sie nicht zu erfüllen“339. Verschiedene Ansätze wurden daher zu Art. XX GATT entwickelt, um den Anwendungsbereich der Vorschriften zu begrenzen. Diese Ansätze lassen sich theoretisch auf Art. XXIII Abs. 2 GPA übertragen. Bereits erwähnt und abgelehnt wurde der vermeintlich für die Ausnahmevorschriften allgemein geltende Grundsatz der engen Auslegung. Aber auch die weiteren, speziell auf die Auslegung der Ausnahmetatbestände gerichteten Ansätze können nicht überzeugen; angebracht ist vielmehr eine weite Auslegung der Ausnahmetatbestände.
1. Ausschluss „extraterritorialer“ Maßnahmen An erster Stelle ist der mögliche Ausschluss „extraterritorialer“ nationaler Maßnahmen von einer Rechtfertigung nach Art. XX GATT bzw. Art. XXIII Abs. 2 GPA zu nennen. Die verwendeten Begrifflichkeiten sind häufig unscharf. In seiner allgemeinsten Form geht es um nationale Maßnahmen, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen und die Regelungsautonomie anderer Staaten einschränken; dabei werden extraterritoriale Maßnahmen auch häufig in einem Atemzug mit dem Reizwort des Unilateralismus genannt. Aufhänger der Debatte war der Bericht des Panels im Thunfischfall, in dem das Panel den Versuchen der USA, mittels eines Importverbots gegen mexikanischen Thunfisch eine Rechtsänderung in Me338 So explizit das Berufungsgremium im Fall „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, WT / DS58 / AB / R, Abs. 19. Ausführlich hierzu Feddersen, Ordre Public, S. 168. 339 Hudec, in: Hilf / Petersmann, EC und GATT, S. 239.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
xiko zum Schutz von Delphinen herbeizuführen, eine Absage erteilte. Das Panel vertrat die Ansicht, dass die USA nach dem GATT nicht berechtigt waren, Delphine im Wege „extrajurisdiktionaler“ Maßnahmen zu schützen340. Seitdem wird häufig vertreten, dass Art. XX GATT nur Schutzgüter umfasst, die im Inland belegen sind, solche Maßnahmen also unzulässig sind, die sich auf Schutzgüter im Ausland beziehen. Damit wird der Anwendungsbereich des Art. XX GATT bzw. Art. XXIII Abs. 2 GPA – und damit die Gegenstände nationaler politischer Maßnahmen – deutlich eingeschränkt. In diesem Zusammenhang wird aber meist übersehen, dass die Begriffe der „Extraterritorialität“ und „Extrajurisdiktionalität“ im allgemeinen Völkerrecht bereits mit Inhalten belegt sind. Eine Maßnahme ist dann extrajurisdiktional, wenn der handelnde Staat nach den völkergewohnheitsrechtlichen Regeln keinen Anknüpfungspunkt für sie vorbringen kann341. Extraterritorialität hingegen bezieht sich auf Regelungsgegenstand und Regelungsziel; jedenfalls wenn beides im Ausland liegt, ist eine Maßnahme extraterritorial342. Maßnahmen wie die amerikanische im Thunfischfall sind danach recht deutlich weder extraterritorial noch extrajurisdiktional343. Sie sind nicht extraterritorial, weil die Regelung in einem Importverbot besteht. Unmittelbarer Anknüpfungspunkt und damit Regelungsgegenstand ist also das in die USA gelieferte Produkt. Es folgt schon aus dem Territorialprinzip, dass einem Staat Jurisdiktion für die Bestimmung zukommt, welche Waren er auf sein Staatsgebiet einführt344. Daher ist die Maßnahme auch nicht extrajurisdiktional345. In anderen Fällen kann möglicherweise auch auf das Wirkungsprinzip zurückgegriffen werden, beispielsweise wenn es um den Import von Produkten geht, die im Ausland im Wege von Kinderarbeit oder Lohndumping hergestellt werden. Nach dem Wirkungsprinzip haben Staaten Jurisdiktion für Sachverhalte im Ausland, wenn diese sich im Inland mit hinreichendem Gewicht auswirken346; dies dürfte bei Formen des „social dump340 Bericht des Panels zu „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, BISD 39S / 155, Abs. 5.25. 341 Ausführlich Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 54. 342 Über die genaue Reichweite des Begriffs der Extraterritorialität herrscht in der völkerrechtlichen Literatur keine Einigkeit; vgl. hierzu Schwarze, Jurisdiktionsabgrenzung; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 76 f. 343 Dass die amerikanische Maßnahme nicht extraterritorial war, erkennt auch Diem, der diesen wichtigen Aspekt jedoch lediglich in einer Fußnote andeutet, siehe Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 114 (dort Fn. 611). 344 So auch Charnovitz, Virginia Journal of International Law 1998, S. 719 (dort Fn. 179). Zum Territorialprinzip siehe Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 54. 345 Ähnlich auch Nollkaemper: „( . . . ) under general international law, import policies and corresponding measures at the border or in the national market are a prerogative of sovereign states, and as such lawful. ( . . . ) no issues of extraterritoriality jurisdiction appears to arise as measures are applied to national markets; Nollkaemper, in: Weiss / Denters / de Waart, International Economic Law with a Human Face, S. 188. 346 Zum Wirkungsprinzip ausführlich Schwarze, Jurisdiktionsabgrenzung, S. 25 ff.
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ing“ im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte der Fall sein. Auch dies hat zur Folge, dass handelsbeschränkende Maßnahmen nicht als extrajurisdiktional angesehen werden können. Die Berücksichtigung völkerrechtlicher Normen wird daher meistens dazu führen, dass handelsbeschränkende Maßnahmen, die ein Schutzgut im Ausland verfolgen, zulässig sind. Es erscheint doch sinnvoll, diese völkerrechtlichen Inhalte bei der Auslegung der Ausnahmevorschriften zu berücksichtigen347. Erstens läßt sich kaum überzeugend behaupten, dass es hier um die vertragsautonome Auslegung eines WTO-Begriffs ginge, denn der Begriff der Extraterritorialität taucht weder in Art. XX GATT noch in Art. XXIII Abs. 2 GPA, noch an einer anderen Stelle im WTORecht auf. Zweitens entspricht es gerade der Aufgabe der WTO, existierende völkerrechtliche Normen in ihre Rechtsordnung zu integrieren. Insoweit ist die Berücksichtigung der oben angeführten Grundsätze zur Jurisdiktion über Art. 31 Abs. 3 c) WVRK geboten. Modifizieren völkerrechtliche Verträge diese Grundsätze für bestimmte Sachgebiete, so ist dies im Einzelfall zu berücksichtigen. Die WTO-Verträge selbst enthalten solche Modifikationen jedoch nicht. Drittens macht es auch gar keinen Sinn, den Umfang politischer Ziele auf diese Weise zu begrenzen. „Unilaterale“ Maßnahmen würden auf diese Weise schlicht für unzulässig erklärt. So leicht kann sich die WTO ihrer Koordinationsaufgabe aber nicht entledigen; ein schlichtes Verbot derartiger Maßnahmen ist ein viel zu pauschaler und für die großen handelspolitischen Akteure kaum akzeptabler Ansatz. Will die WTO ihre Koordinationsaufgabe überzeugend wahrnehmen, so muss sie einen Interessenausgleich zwischen Staaten schaffen, die aufgrund ihrer besonderen Machtfülle extraterritoriale bzw. unilaterale Maßnahmen mit Erfolg vornehmen können und solchen, die ihnen typischerweise ausgesetzt sind. Ein solcher Ausgleich ist am besten möglich, wenn man eine grundsätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit anerkennt und dann nach Kriterien sucht, die den Bedürfnissen von Adressaten unilateraler Maßnahmen entgegenkommen. Das Spannungspotential, dass mit „extraterritorialen“ bzw. unilateralen Maßnahmen verbunden ist, sollte also nicht auf der Seite des „ob“, sondern besser auf der Ebene des „wie“ entschärft werden. Schließlich steht ein solches Vorgehen auch im Einklang mit dem Gebot, nationale Regelungsziele im Sinne des Autonomieschutzes soweit als möglich anzuerkennen, und sich bei der Überprüfung nationaler Maßnahmen vornehmlich auf die Ausgestaltung und das Zustandekommen der Norm zu konzentrieren. 2. Ausschluss produktionsbezogener Maßnahmen Unter dem Blickwinkel der Diskussion um die Product / Process-Doktrin konzentriert sich ein Teil der Literatur nicht auf die Extraterritorialität der Maßnahme, 347 Im Garnelenfall ließ das Berufungsgremium die Tür hierfür offen, vgl. Bericht zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, WT / DS58 / AB / R, Rn. 124.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
sondern schlicht auf ihre Eigenschaft als produktionsbezogene. Im Gegensatz zu produktbezogenen sollen produktionsbezogene Maßnahmen außerhalb der explizit im Ausnahmetatbestand genannten keiner Rechtfertigung zugänglich sein348. Als Argument hierfür wird für das GATT Art. XX e) angeführt, der explizit an einen Herstellungsprozess („in Strafvollzugsanstalten hergestellte Waren“) anknüpft. Dessen Existenz zeige, dass Art. XX GATT produktionsbezogene Aspekte ansonsten fremd seien. Ähnliches würde für das GPA gelten: dort ist eine Ausnahme zugunsten von „von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellten Waren oder erbrachten Dienstleistungen“ angeführt. Ebenso wie für Art. XX GATT könnte hier theoretisch vertreten werden, dass diese Ausnahmetatbestände deswegen ausdrücklich angeführt wurden, weil sie ansonsten als produktions- bzw. bieterbezogene Aspekte nicht unter Art. XXIII Abs. 2 GPA fallen würden. Hintergrund dieser Auffassung ist die Sorge um die Vielfalt möglicher produktionsbezogener Maßnahmen und ihr protektionistisches Potential. Natürlich überschneiden sich die Motive auch mit den im vorangegangenen Abschnitt genannten; produktionsbezogene Maßnahmen sind eben häufig extraterritorial im oben beschriebenen Sinne. Diese Auffassung führt zu einem Maximum an Handelsliberalisierung und zieht den Kreis rechtlich unbedenklicher politischer Maßnahmen eng: sobald eine produktionsbezogene vergaberechtliche Maßnahme, auf die das GPA anwendbar ist, die Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung erfüllt, wird diese regelmäßig nach Art. XXIII Abs. 2 GPA nicht zu rechtfertigen sein. Wie oben dargestellt, bezieht sich in der Praxis die große Mehrzahl der politischen Zwecke im Vergabeverfahren auf den Produktionsprozess oder Eigenschaften des Unternehmens. Politische Auftragsvergabe wäre dann im Wesentlichen unzulässig. Ein Ausschluss produktionsbezogener Aspekte von einer Rechtfertigung nach Art. XX GATT bzw. Art. XXIII Abs. 2 GPA ist jedoch weder rechtsmethodisch noch in der Sache überzeugend. Es ist alles andere als zwingend, aus der Existenz eines produktionsbezogenen Tatbestandsmerkmals im Umkehrschluss zu folgern, dass produktionsbezogene Kriterien ansonsten nicht gerechtfertigt werden könnten. Ebenso kann nämlich gefolgert werden, dass die Aufnahme dieses Tatbestands lediglich der spezielle Ausdruck eines allgemeinen, allen Tatbeständen des Art. XXIII GPA zu Grunde liegenden Rechtsgedankens ist349. Auch dieser Schluss ist nicht zwingend, zeigt aber, dass der oben vorgestellte formale Schluss hier nicht überzeugen kann. Und auch die Sorge vor einer Ausuferung protektionistischer produktionsbezogener Maßnahmen kann kein überzeugendes Argument darstellen. Zum einen handelt es sich in vielen Fällen um legitime Anliegen nationaler Politik, die als produktionsbezogene Maßnahmen verfolgt werden, und die im Sinne eines 348 Feddersen,Minnesota Journal of Global Trade 1998, S. 109; hierzu Howse, Journal of Small and Emerging Business Law 1999, S. 143. 349 Ähnlich Bal, Minnesota Journal of Global Trade, 2001, S. 80.
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Autonomieschutzes auch respektiert werden müssen. Zum anderen bietet auch in diesem Zusammenhang der chapeau der Ausnahmevorschriften ausreichende Möglichkeiten, um dieser Sorge zu begegnen.
3. Ausschluss wirtschaftspolitischer Motive Schließlich wird zum Beispiel von Arrowsmith die Auffassung vertreten, dass wirtschaftspolitische Motive wie die Förderung von Regionen oder von „infant industries“ – also jungen, noch nicht wettbewerbsfähigen Industriezweigen, die (noch) der staatlichen Förderung bedürfen – von vornherein einer Rechtfertigung nach Art. XXIII Abs. 2 GPA entzogen seien350. Die entsprechende Auffassung wird teilweise zu Art. XX GATT vertreten351. Auch für das Europarecht vertritt der EuGH zu Art. 30 EG-Vertrag die Ansicht, dass die dort angeführten Rechtfertigungsgründe Tatbestände „nicht-wirtschaftlicher Art“ darstellten352. Richtig ist, dass die Formulierung in Art. XXIII Abs. 2 GPA – „nothing in this Agreement shall be construed to prevent a Party from imposing or enforcing measures ( . . . )“ – auf einen inhaltlichen Gegensatz zwischen Art. XXIII Abs. 2 GPA und den restlichen Vorschriften des Abkommens hinweist. Ein Mitglied soll trotz des hauptsächlich wirtschaftspolitischen Anliegens der Vorschriften des GPA in der Lage sein, andere politische Ziele zu verfolgen. Das spricht dafür, die Ausnahmetatbestände von vornherein als „nicht-wirtschaftlich“ zu interpretieren. Abgesehen davon, dass die Begriffe „wirtschaftlich“ und „nicht-wirtschaftlich“ nur schwerlich einer sinnvollen Abgrenzung zugeführt werden können353, sprechen jedenfalls für das GPA gewichtige Argumente für die Gegenauffassung. Im Gegensatz zum GATT enthält das GPA keine „escape-Klausel“ zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen für die heimische Wirtschaft354. Droht also infolge unvorhergesehener Entwicklungen einem inländischen Industriezweig ein ernsthafter Schaden, so gibt es keine Klausel, die dem Staat das Recht einräumt, mit dem Instrument des Vergabewesens auf diese Situation zu reagieren. Ebenfalls gibt es keine Vorschrift, die den Mitgliedern erlaubt, das Vergabewesen zur Regionalförderung einzusetzen, während das Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen dies zulässt355. Nun wäre es kaum einleuchtend, wenn der Spielraum, der den Arrowsmith, Government Procurement, S. 344. Jansen / Lugard, JIEL 1999, S. 530; siehe auch Feddersen, Ordre Public, S. 170. 352 EuGH, Rs. 7 / 61, Slg. 1961, 695; EuGH, Rs C-324 / 93, Slg. 1995, I-563, 608; vgl. hierzu Feddersen, Ordre Public, S. 170. 353 Feddersen weist für Art. XX GATT darauf hin, dass Art. XX c) und d) GATT kaum als „nicht-wirtschaftlich“ angesehen werden können; die These der Differenzierung scheint also bereits vom Wortlaut der Vorschriften selbst widerlegt zu werden; vgl. Feddersen, Ordre Public, S. 170. 354 Art. XIX GATT. 355 Art. 2; vgl. Arrowsmith, Government Procurement, S. 345. 350 351
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Mitgliedern zur Verfügung steht, im öffentlichen Beschaffungswesen gerade enger wäre als nach den anderen Abkommen. Dies insbesondere deshalb, weil – wie bereits mehrfach ausgeführt – der Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens in besonders starkem Maße die nationale Autonomie berührt und eher ein „Mehr“ als ein „Weniger“ an nationalen Spielräumen fordert. Das spricht dafür, den Mitgliedstaaten den erforderlichen Spielraum im Rahmen von Art. XXIII Abs. 2 GPA zuzugestehen. Arrowsmith kann zudem nicht zugestimmt werden, wenn sie darauf hinweist, dass die Flexibilität des Anwendungsbereichs insoweit eine Kompensation für die Mitglieder des GPA darstellt356: zum einen würde vom Diskriminierungsverbot nicht mehr viel übrig bleiben, wenn die Mitgliedstaaten anfingen, genuin wirtschaftspolitisch motivierte Maßnahmen vom Anwendungsbereich des GPA auszunehmen; zum anderen liegt in der Flexibilität des Anwendungsbereichs, wie zu Beginn dieses Teils der Arbeit dargelegt, gerade die große Schwachstelle des Abkommens, die nicht noch vergrößert werden sollte. Gerade umgekehrt sollte vorgegangen werden: damit die Mitglieder – insbesondere in Zukunft beitretende Staaten – sich nicht weiterhin in Klauseln zur Beschränkung des Anwendungsbereichs „flüchten“, um bestimmte politische Ziele verfolgen zu können, sollten diese in den Anwendungsbereich des Art. XXIII Abs. 2 GPA integriert werden bzw. jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Eine Beschränkung der Ausnahmetatbestände auf rein nicht-wirtschaftliche Motive sollte daher nicht vorgenommen werden.
II. Auslegung der speziellen Ausnahmetatbestände 1. Von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellte Waren und erbrachte Dienstleistungen Die in § 1 dieses Teils vorgestellten Regelungen zur Förderung körperlich und / oder geistig behinderter Menschen können ohne größere Probleme unter den Ausnahmetatbestand der Maßnahmen „in Bezug auf von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen“ subsumiert werden. Die Existenz entsprechender Regelungen in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen war gerade der Grund, weshalb diese Ausnahme – die über das GATT hinausgeht – in das GPA eingefügt wurde357. Maßnahmen sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht nur zur Förderung behinderter Mitmenschen, sondern auch zur Förderung anderer Personengruppen möglich, solange diese mit Wohltätigkeitseinrichtungen verbunden sind, d. h. typiArrowsmith, Government Procurement, S. 345. Sie fand sich auch bereits im Tokyo Code von 1979, vgl. Reich, International Public Procurement, S. 115. 356 357
§ 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen
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scherweise dort beschäftigt sind; der karitative Zweck wird aber im Vordergrund der Tätigkeit der Einrichtung stehen müssen, so dass sich ein Unternehmen nicht ohne weiteres als „Wohltätigkeitseinrichtung“ bezeichnen kann, wenn es solche Zwecke nur in untergeordnetem Maße verfolgt. Staatliche Programme wie beispielsweise das deutsche zur Förderung von Spätaussiedlern oder von Opfern der Nazi-Diktatur scheinen von der Vorschrift also nicht erfasst zu sein. Das ist im konkreten Fall unerheblich, weil die Bundesrepublik derartige Programme aus dem Anwendungsbereich des GPA genommen hat. Mit Bezug auf andere Programme zur Förderung von sozial benachteiligten Gruppen – beispielsweise Minderheiten – stellt sich aber die Frage nach der Reichweite des Tatbestands. Man könnte daran denken, den sozialen Beweggrund der ersten drei Alternativen zum Anlass zu nehmen, um eine allgemeine Ausnahme für Maßnahmen zur Förderung gesellschaftlich schwächer gestellter Gruppen zu begründen. Das würde eine Subsumtion aller sozial motivierten Maßnahmen unter Art. XXIII Abs. 2 GPA ermöglichen und diese Maßnahmen noch dazu von der Prüfung der „Notwendigkeit“ befreien, weil der Tatbestand lediglich einen „Bezug“ voraussetzt. So weit wird man aber nicht gehen können, ohne den Wortlaut entgegen den im ersten Teil entwickelten Grundsätzen zu überdehnen. Die Auslegung muss sich an den im Wortlaut aufgeführten Tatbestandsmerkmalen orientieren und grundsätzlich davon ausgehen, dass diese abschließend gemeint sind. Es dürfte daher nicht möglich sein, die drei Merkmale im Sinne einer Generalklausel für soziale Maßnahmen zu interpretieren. Ohnehin erscheint schon zweifelhaft, ob den drei Tatbeständen tatsächlich eine einheitliche soziale Motivation unterliegt; die Alternative „von Strafgefangenen hergestellte Waren“ hat wohl eher den Sinn, durch Gefangenenarbeit entstehende Wettbewerbsvorteile zu verhindern. Anderes gilt hingegen, wenn höherrangiges Völkerrecht ein erweiterndes Verständnis eines Tatbestandsmerkmals nahelegt. Praktische Relevanz könnte dies für vergaberechtliche Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten, insbesondere des Verbots von Zwangsarbeit, erlangen. Aufgrund der Nähe des Ausnahmetatbestands „von Strafgefangenen hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen“ zum Verbot der Zwangsarbeit kann diese Ausnahme weitergehend so verstanden werden, dass sie auch all solche vergaberechtlichen Maßnahmen legitimiert, die in Zusammenhang mit dem Verbot von Zwangsarbeit stehen358. Rechtlich dürfte dieses Verständnis ohne weiteres möglich, wenn nicht gar geboten sein: die 358 Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass dieser Ausnahmetatbestand nicht die Notwendigkeit der Maßnahme bezüglich des verfolgten Ziels verfolgt, sondern lediglich einen Bezug. Es ist daher lediglich ein „Zusammenhang“ mit dem Ausnahmetatbestand zu fordern. Versuche der Streitbeilegungsorgane im Rahmen von Art. XX g) GATT, das Kriterium des „Bezugs“ ähnlich dem Notwendigkeitskriterium zu interpretieren, sind jedenfalls für das GPA aufgrund der deutlichen Differenzierung im Wortlaut der Vorschrift abzulehnen; vgl. für Art. XX g) GATT den Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline“, WT / DS2 / AB / R.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
WTO selbst ist an die entsprechende völkerrechtliche Norm gebunden und muss daher ihre angemessene Berücksichtigung in der Streitbeilegung aus eigener Verpflichtung heraus sicherstellen. Zudem muss sie über Art. 31 Abs. 3 c) WVRK die völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen der Mitglieder beachten, insbesondere die höherrangigen. Eröffnet sich, wie an dieser Stelle, ein sachlicher Zusammenhang, der die Berücksichtigung der Norm ermöglicht, so kann die völkerrechtliche Norm an dieser Stelle eingebracht werden. Angemessener erscheint es allerdings, die Norm im Rahmen der Generalklausel der „öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit“ zu berücksichtigen. Das Verbot der Zwangsarbeit kann als Ausdruck der öffentlichen Ordnung verstanden werden und damit unmittelbar unter den Tatbestand subsumiert werden. Das ist überzeugender als eine Ausdehnung eines Ausnahmetatbestands über seinen Wortlaut hinaus. Zudem ist völkerrechtlich anerkannt, dass Art. 31 Abs. 3 c) WVRK seine Bedeutung besonders im Rahmen von Generalklauseln – wie insbesondere der der „öffentlichen Ordnung“ – entfalten sollte359. 2. Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums Der Ausnahmetatbestand zugunsten des Schutzes geistigen Eigentums spielt im Zusammenhang mit den hier relevanten politischen Kriterien keine Rolle. Der Tatbestand, der keine Entsprechung im GATT oder GATS findet, fand sich bereits im Tokyo Code von 1979360. Im Gegensatz zu den soeben diskutierten Ausnahmen müssen Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums „notwendig“ sein361. Die praktische Relevanz des Tatbestands dürfte insgesamt begrenzt sein. 3. Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen Wichtiger ist hingegen die Ausnahme zum „Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen“. Dieser Tatbestand erhält eine besondere Bedeutung dadurch, dass in Art. XXIII Abs. 2 GPA eine Ausnahme zum Schutz „erschöpflicher Ressourcen“, wie sie Art. XX (g) GATT vorsieht, fehlt362. Unter den Tatbestand der „erschöpflichen Ressourcen“ wurden von den Streitbeilegungsorganen meist Tier- und Umweltschutzmaßnahmen subsumiert, wie im Thunfischfall, im Garnelen- und im Benzinfall363. Wie gezeigt, ist die Möglichkeit einer Sinclair, Vienna Convention, S. 141. Reich, International Public Procurement, S. 115. 361 Hierzu unten IV. 362 Zu Art. XX g) GATT und der Behandlung umweltschützender Maßnahmen nach dem GATT vgl. Altemöller, RabelsZ 2000, S. 213. 363 Bericht des Berufungsgremiums, United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT / DS2 / AB / R. 359 360
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Rechtfertigung nationaler Maßnahmen unabhängig davon, ob das von der Maßnahme verfolgte Schutzgut im Inland oder im Ausland belegen ist. Ebenso unerheblich ist, ob sich die Maßnahme an produktbezogenen Kriterien orientiert oder produktions- bzw. bieterbezogen ist. a) Ökologische Maßnahmen Produktdefinierende ökologische Kriterien sind schon auf Tatbestandsseite zulässig und bedürfen hier keiner Erörterung. Solche Kriterien hingegen, die diese Ebene verlassen, werden häufig als technische Spezifikationen einzuordnen sein und sind nach Art. VI GPA grundsätzlich unzulässig. Ob sie unter Art. XXIII Abs. 2 GPA subsumiert werden können, ist praktisch nur von geringer Relevanz, weil bereits im Rahmen von Art. VI GPA die insoweit entscheidende Notwendigkeitsprüfung vorzunehmen ist364. Allerdings ist die Frage für alle anderen ökologischen Zielsetzungen wichtig, insbesondere solche umweltschutzbezogenen Maßnahmen, die in keinem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen. Soweit diese mittelbare Diskriminierungen nach sich ziehen, kommt es auf ihre Rechtfertigung nach Art. XXIII Abs. 2 GPA an. Unproblematisch ist die Subsumtion all solcher ökologischer Maßnahmen, die unmittelbar den Tier- oder Pflanzenschutz bzw. den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen ins Auge fassen. Wie steht es aber mit Regelungen, die sich nur mittelbar darauf beziehen, unmittelbar hingegen auf den Schutz der Bodenqualität, der Luft oder des Wassers gerichtet sind? Fordert die Vergabestelle vom Bieter, rohstoffschonende Produktionsverfahren anzuwenden oder bestimmte Emissionsgrenzwerte einzuhalten, so zielt dies unmittelbar auf den Schutz erschöpflicher Ressourcen und nur mittelbar auf den Gesundheitsschutz. Wie erwähnt, ist es aber gerade die Ausnahme der erschöpflichen Ressourcen, die in Art. XXIII Abs. 2 GPA fehlt. Unter Hinweis auf diesen Umstand lehnt Arrowsmith all solche umweltschützenden Maßnahmen ab, die keine direkte Auswirkung auf die menschliche Gesundheit haben365. Gerade für deutsche vergaberechtliche Regelungen zum Schutz der Umwelt, die – wie oben ausgeführt366 – häufig mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gerechtfertigt werden, ist die Frage der Reichweite der Umweltschutzausnahme des GPA von erheblicher Relevanz. Die besseren Gründe sprechen dafür, auch den Schutz erschöpflicher Ressourcen in den Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands aufzunehmen. Der Schluss, dass aus dem Fehlen einer Ausnahme zum Schutz erschöpflicher Ressourcen folgt, dass das GPA derartige Maßnahmen nicht erlauben wolle, basiert im Wesentlichen Hierzu bereits oben § 3 C.II. Arrowsmith, Government Procurement, S. 346; die Problematik mag aber in ihrer Tragweite übersehen worden sein, da Arrowsmith ihr lediglich zwei Sätze widmet. 366 Siehe unter § 1 C.III. dieses Teils. 364 365
12 Gaedtke
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
auf dem historischen Argument, dass die Vertragsstaaten sonst eine dem Art. XX g) GATT entsprechende Vorschrift in das GPA mit aufgenommen hätten. Es ist aber keineswegs gesichert, dass die Nichtaufnahme der Alternative absichtlich geschah und nicht auf einem Redaktionsversehen beruhte, so dass der Schluss bereits nicht zwingend ist; zudem sind auch die historischen Motive bei der Vertragsauslegung nach Art. 32 WVRK nur subsidiär zu berücksichtigen. Außerdem kann ebenso vertreten werden, dass es der Ausnahme der „erschöpflichen Ressourcen“ sachlich gar nicht bedarf, weil die entsprechenden Maßnahmen bereits durch die vorhandenen Alternativen abgedeckt sind; denn in der Tat dienen Maßnahmen zum Schutz erschöpflicher Ressourcen im Regelfall dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Lebewesen auf dem Planeten. Vor allem aber übersieht die von Arrowsmith vertretene Auffassung den Wortlaut und die Bedeutung der Präambel des WTO-Vertrags. Darin heißt es, dass die „Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ( . . . ) auf die Erhöhung des Lebensstandards gerichtet sind ( . . . ), in dem Bestreben, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt und gleichzeitig die Steigerung der dafür erforderlichen Mittel zu erreichen ( . . . )“367. Deutlicher kann ein Bekenntnis zum Umweltschutz kaum ausfallen. Präambelbestimmungen sind nach Art. 31 Abs. 2 WVRK im Auslegungsprozess zu berücksichtigen. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, dass sich die zitierte Passage in der Präambel des WTO-Vertrags und nicht in der Präambel des GPA findet: nach Art. II Abs. 3 WTO-Vertrag sind die in der Anlage 4 enthaltenen plurilateralen Verträge „Bestandteil dieses Übereinkommens“, mithin Teil des WTO-Vertrages. Das GPA ist also Bestandteil des WTO-Vertrages, so dass die Präambel des WTO-Vertrages die „oberste“ Präambel des GPA ist und direkte Wirkung für die Auslegung des GPA entfaltet. Nun wäre es kaum verständlich, wenn aufgrund eines zweifelhaften Schlusses aus den Bestimmungen des GATT die den Umweltschutz betreffenden Vorschriften des GPA in besonders enger Weise interpretiert würden. Vielmehr spricht die Präambel dafür, den Mitgliedstaaten eine möglichst weitgehende Regulierungsfreiheit im Bereich des Umweltschutzes zuzugestehen. Dann müssen gerade solche Maßnahmen, die sich auf den Schutz der Lebensgrundlagen – also der erschöpflichen Ressourcen – richten, vom Ausnahmetatbestand des GPA „zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen“ erfasst sein. Klargestellt werden muss allerdings, dass sich einige umweltschutzbezogene Maßnahmen nicht auf diesen Tatbestand des Art. XXIII Abs. 2 GPA stützen lassen. Wie die Ausführungen zu den Verfahrensvorschriften der Art. VII-XVI GPA ergeben haben, sind nur solche Regelungen zulässig, die die vom Bieter geforderten politischen Zwecke in die Vertragsbedingungen aufnehmen. Ansonsten liegt ein Verstoß gegen das GPA unabhängig vom Vorliegen einer Diskriminierung vor. Bei Maßnahmen, die beispielsweise ein umweltschutzbezogenes Kriterium nur in den Teilnahmebedingungen oder als Zuschlagskriterium vorsehen, kann nun im Regel367
Präambel zum WTO-Übereinkommen, Abs. 1.
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fall als Rechtfertigung nicht erfolgreich hervorgebracht werden, dass die Maßnahme den Schutz der menschlichen Gesundheit oder der natürlichen Lebensgrundlagen verfolge. Denn der Verstoß gegen das GPA muss ja gerade mit dem verfolgten Ziel zusammenhängen, wie dies der Fall ist, wenn umweltschutzbezogene Maßnahmen zu einer Diskriminierung führen. Mit anderen Worten: der Ausnahmetatbestand soll genau den erfolgten Verstoß gegen das Abkommen rechtfertigen, nicht irgendeinen Verstoß. Dass die Aufnahme des Umweltschutzkriteriums in die Vertragsbedingungen aus Motiven heraus unterblieben ist, die mit dem Katalog des Art. XXIII Abs. 2 GPA zusammenhängen, ist aber kaum denkbar. Das bedeutet nicht, dass Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften überhaupt nicht gerechtfertigt werden könnten. Ist ein eingeschränktes Verfahren durchgeführt worden, obwohl nach dem GPA ein offenes Verfahren hätte durchgeführt werden müssen, kann sich beispielsweise ein städtisches Krankenhaus unter Umständen darauf berufen, dass zur Versorgung der Patienten – also zum menschlichen Gesundheitsschutz – eine möglichst eilige Beschaffung notwendig und ein langwieriges offenes Verfahren daher nicht möglich war. Bei der Verfolgung von genuin politischen Zwecken im Vergabeverfahren wird eine Rechtfertigung über Art. XXIII Abs. 2 GPA aber normalerweise nicht ernsthaft möglich sein, was eine (endgültige) Unzulässigkeit von Regelungen und Verfahren nach sich zieht, die gegen die gemeinsamen Verfahrensvorschriften verstoßen. b) Menschenrechtsbezogene und arbeitnehmerschützende Maßnahmen Menschenrechts- und arbeitnehmerschützende Kriterien können sich auf den Schutz der Gesundheit von Menschen beziehen und damit für eine Subsumtion unter die Ausnahme des Lebens- und Gesundheitsschutzes in Betracht kommen. So werden Vorgaben im Hinblick auf die bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags zu beachtenden Sicherheitsstandards für Arbeitnehmer, wie sie beispielsweise der erwähnte „Contract Work Hours and Safety Standards Act“ erlaubt, unter die Alternative gefasst werden können368. Gleiches gilt für die Bestimmungen des „Walsh-Healey Public Contracts Act“, die sich auf Vermeidung von Risiken und Gefahren für die Sicherheit der Mitarbeiter beziehen. Auch die neue Vergabepraxis der Stadt München, keine Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu beschaffen, dient dem Gesundheitsschutz von Menschen, nämlich Kindern. Bei menschenrechtlich motivierten Regelungen, die entsprechende Verstöße im Ausland beseitigen helfen sollen, muss bereits an dieser Stelle daran gedacht werden, dass sich die Maßnahmen auch einer Notwendigkeitsprüfung zu stellen haben werden. Es ist recht offensichtlich, dass die vergaberechtliche Maßnahme der Stadt München für sich genommen nicht geeignet sein wird, um ausbeuterische Formen der Kinderarbeit zu bekämpfen. Mögliche Schwierigkeiten im Rahmen der Not368
12*
Hierzu oben § 1 C.II.3.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
wendigkeitsprüfung können von vornherein vermieden werden, indem die Zielsetzung der Maßnahme der Struktur des Art. XXIII Abs. 2 GPA angepasst wird. So kann es sinnvoll sein, die Zielsetzung der Maßnahme auf das Inland zu richten und sie als das zu formulieren, was sie eigentlich darstellt: eine Maßnahme zum Ausdruck und Schutz der heimischen Wertordnung. Denn dieser würde bei Beschaffung von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit durch den Staat deutlich zuwidergehandelt; die Eignung der Maßnahme zum Schutz der deutschen Wertordnung dürfte außer Zweifel stehen. Mit dieser Zielsetzung wäre die Maßnahme allerdings nicht mehr auf die Alternative des Gesundheitsschutzes, sondern auf den Ausnahmetatbestand der „öffentlichen Ordnung“ zu stützen.
III. Auslegung der Generalklauseln: Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit Mit der Trias der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit enthält Art. XXIII Abs. 2 GPA drei Generalklauseln369. Art. XXIII Abs. 2 GPA geht damit weiter als Art. XX a) GATT, der nur die Generalklausel der öffentlichen Sittlichkeit („public morals“) nennt, und geht auch weiter als Art. XIV a) GATS, der die Ausnahmen der „öffentlichen Sittlichkeit und Ordnung“ enthält370. Art. 27 Abs. 2 TRIPS spricht von „ordre public und Sittlichkeit“. Dass die potentielle Bedeutung der Generalklauseln groß ist, ist offensichtlich. Kurioserweise waren sie aber noch nie Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahren, so dass die Ungewissheit über ihre Auslegung beträchtlich ist. Zunächst stellt sich die Frage, ob die drei Klauseln drei verschiedene Alternativen darstellen oder zu einem einzigen Tatbestand zusammengefasst werden können. Der wortlautorientierte Ansatz spricht dafür, die Klauseln als drei verschiedene Tatbestände zu behandeln. Eine Abgrenzung der Alternativen erscheint nicht erforderlich; sie wäre auch kaum zu bewerkstelligen371. Ausreichend ist, wenn im Einzelfall eine Maßnahme einer der drei Klauseln zugeordnet werden kann.
369 In der nichtamtlichen deutschen Übersetzung, abgedruckt in Benedek, Welthandelsorganisation, S. 522, ist der Fehler unterlaufen, dass die Alternative der öffentlichen Sittlichkeit fehlt, stattdessen zweimal (!) von öffentlicher Sicherheit die Rede ist. 370 Die deutsche Übersetzung spricht in Art. XIV GATS anstatt von „öffentlicher Sittlichkeit“ von „öffentlicher Moral“; hier soll jedoch bei der Übersetzung von „public morals“ einheitlich von „öffentlicher Sittlichkeit“ gesprochen werden, wie sie die deutsche Übersetzung auch in Art. XX GATT vorsieht. 371 McCrudden geht davon aus, dass sich alle drei Generalklauseln stark überlappen, vgl. McCrudden, GPA and Social Issues, S. 25.
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1. Ein Ordre Public-Vorbehalt im GPA? Im Zusammenhang mit den Generalklauseln des GATT oder auch des GPA ist bisweilen von einem Vorbehalt des „ordre public“ die Rede372. Das leuchtet insofern unmittelbar ein, als in Art. XXIII Abs. 2 GPA ja ausdrücklich von der öffentlichen Ordnung die Rede ist. Die französische Bezeichnung wird normalerweise weitergehend zur Bezeichnung von Regelungen verwendet, die inländischen Wertvorstellungen zum Durchbruch verhelfen sollen373. So ist er aus dem deutschen internationalen Privatrecht bekannt, das in Art. 6 EGBGB die Anwendung einer Norm eines anderen Staates verbietet, wenn dies ein Ergebnis nach sich zieht, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist374. Auch aus dem Europarecht ist der Begriff geläufig; so bezeichnet der EuGH die Ausnahmetatbestände des Art. 30 EGV allerdings insgesamt als ordre publicKlausel, nicht nur die auch in Art. 30 EGV anzutreffende Ausnahme der „öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit“375. Auch Art. 27 Abs. 2 TRIPS erkennt wohl an, dass der Begriff des ordre public eine eigene, über die bloße öffentliche Ordnung hinausgehende Bedeutung besitzt, wenn er im englischen Text die französische Bezeichnung übernimmt. Trotz einer gewissen Uneinheitlichkeit in seiner Verwendung könnte man das Konzept des ordre public zum Ansatzpunkt für eine Argumentation nehmen, die die Ausfüllung der Trias im GPA in die Beurteilung der Mitglieder stellt. Es wären danach die Mitglieder, die bestimmen würden, ob ihre inländischen Wertvorstellungen betroffen sind und es sich daher bei ihren Maßnahmen um solche zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung oder Sicherheit handelt. Wenn man also in der Ausnahme-Trias einen Ausdruck des ordre public zugunsten der Mitglieder des GPA sehen kann, würde dies dafür sprechen, dass die Mitglieder frei bestimmen könnten, welche politischen Ziele sie mit einer Maßnahme verfolgen; eine Kontrolle durch die Streitbeilegungsorgane würde dann nur noch anhand der Voraussetzungen des chapeau erfolgen. Nun mag ein solches Verständnis der Ausnahmetatbestände wünschenswert erscheinen; juristisch vertretbar ist es jedoch nicht. Denn in diesem Fall wären sämtliche weiteren Alternativen des Art. XXIII Abs. 2 GPA überflüssig, die Generalklausel wäre ausreichend, weil alle nationalen Maßnahmen auf sie gestützt werden könnten. Ein Ergebnis, das den Ausnahmenkatalog des Art. XXIII Abs. 2 GPA weitgehend sinnentleert, ist aber mit der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Zudem würde eine solche Interpretation auch der im Rahmen von Art. XXIII Abs. 1 GPA vorgenommenen Wertung widersprechen. Selbst für den Fall der nationalen Sicher372 Vgl. nur Feddersen, Ordre Public, S. 44; für das GPA angedeutet bei Arrowsmith, Government Procurement, S. 144. 373 Kroppholler, Internationales Privatrecht, S. 239. 374 Kroppholler, Internationales Privatrecht, S. 239. 375 Oppermann, Europarecht, Rn. 1290, 1306 ff.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
heit wurde dort abgelehnt, das Vorliegen des Ausnahmetatbestands komplett in das nicht nachprüfbare Ermessen des Mitglieds zu stellen. In Art. XXIII Abs. 1 GPA ist zumindest eine Missbrauchskontrolle geboten. Wertungsmäßig ist es dann nicht vertretbar, auf eine Kontrolle durch die Streitbeilegungsorgane zu verzichten, wenn es um die nationale Autonomie weniger stark berührende Politikziele wie beispielsweise die Wahrung der öffentlichen Sittlichkeit geht. Mit der Systematik der Ausnahmetatbestände ist es schlicht nicht vereinbar, die Verfolgung politischer Ziele allgemein in das Ermessen der Mitglieder zu stellen376. Solange eine Liste von Ausnahmetatbeständen vorhanden ist, muss der Rechtsanwender akzeptieren, dass nicht alle politischen Ziele ohne weiteres unter diese Ausnahmetatbestände subsumiert werden können, sondern im Einzelfall zu prüfen ist, ob ihre Voraussetzungen vorliegen. Mit anderen Worten: die Existenz eines Katalogs von Ausnahmetatbeständen bedeutet zwingend, dass es politische Ziele geben muss, die nicht darunter subsumiert werden können. Die Generalklauseln können daher keinen ordre public-Vorbehalt im Sinne von Tatbestandsmerkmalen darstellen, deren Vorliegen allein durch die Mitglieder selbst bestimmt wird.
2. Öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit Vertretbar ist aber, den Mitgliedstaaten zumindest einen gewissen Spielraum bei der Einschätzung zu lassen, wann eine Maßnahme auf die Aufrechterhaltung ihrer öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung oder Sicherheit zielt. Erforderlich ist dann eine welthandelsrechtliche Definition der drei unbestimmten Rechtsbegriffe, um die Grenzen abzustecken, innerhalb derer die Mitgliedstaaten die Begriffe nach eigenem Ermessen ausfüllen können377. Unter der öffentlichen Sittlichkeit könnte man insoweit die innerhalb einer Gesellschaft eines Mitglieds anerkannten ethisch-moralischen Anschauungen verstehen. Wie im ersten Teil dieser Arbeit ausgeführt, ist die Klausel dynamisch zu interpretieren in dem Sinne, dass es sich um die Anschauungen im Zeitpunkt der Auslegung des Vertrags handelt; auf diese Weise kann den in jeder Gesellschaft stattfindenden Anschauungswandlungen Rechnung getragen werden378. Der in Art. XXIII Abs. 1 GPA vorgenommenen Unterscheidung entsprechend bezieht sich der Begriff der öffentlichen Sicherheit auf das grundlegende Interesse des Staates am sicheren und wirksamen Funktionieren des Staates und am Schutz vor innerstaatlichen Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung. Angesichts der Das erkennt auch Feddersen an, vgl. Feddersen, Ordre Public, S. 151 ff. Ähnlich geht der EuGH im Rahmen des Art. 30 EGV vor. Vgl. EuGH, Rs 39 / 77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999 / 2013; siehe Streinz, Europarecht, Rn. 734; ausführlich Oppermann, Europarecht, Rn. 1530 – 1532. 378 Siehe hierzu oben 1. Teil, § 4 A. 376 377
§ 4 Rechtfertigung rechtswidriger Maßnahmen
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besonderen Sensibilität von Sicherheitsfragen wird der dem Mitglied zu gewährende Ermessensspielraum hier recht groß sein müssen. Den wichtigsten Ausnahmetatbestand dürfte die Alternative der „öffentlichen Ordnung“ darstellen. Auf den ersten Blick erscheint er sehr weitgehend, da unter die öffentliche Ordnung die Gesamtheit der staatlichen Regeln und Vorschriften gefasst werden kann und, etwa im deutschen Recht, auch wird. Zu beachten ist im Kontext des WTO-Rechts allerdings eine Fußnote zur Ausnahme der öffentlichen Ordnung in Art. XIV a) GATS, die die Auslegungsanweisung enthält, dass die Ausnahmeregelung in Bezug auf die öffentliche Ordnung nur in Anspruch genommen werden kann, „wenn eine wirkliche, ausreichend schwerwiegende Bedrohung der Grundwerte der Gesellschaft vorliegt“. Diese Formulierung legt – in enger Anlehnung an ein Dictum des EuGH zur Ausnahme der öffentlichen Ordnung im Europarecht379 – ein enges Verständnis dieses Ausnahmetatbestands insoweit nahe, als hoheitlich festgelegte Regeln Grundwerte der Gesellschaft repräsentieren müssen. Fehl am Platz ist im Rahmen der Prüfung des Ausnahmetatbestands allerdings der Grad der Bedrohung des Grundwerts, denn hier handelt es sich nicht um eine Frage nach dem (zulässigen) Ziel der Maßnahme. Dieser Aspekt ist vielmehr im Rahmen der Notwendigkeitsprüfung zu berücksichtigen380. Bereits hingewiesen wurde darauf, dass das öffentliche Beschaffungswesen aufgrund seiner besonderen Nähe zur staatlichen Funktionsfähigkeit eine gewisse Sonderstellung im WTO-Recht einnimmt, so dass die Auslegungsregel aus dem GATS nicht unbesehen in das GPA übernommen werden kann. Dennoch ist unverkennbar, dass das WTO-Recht den Mitgliedern die Ausnahme der öffentlichen Ordnung nicht ohne weiteres zugestehen will. Dies muss auch im GPA berücksichtigt werden. Daher ist unter (nationaler) „öffentlicher Ordnung“ im Grundsatz die Gesamtheit der staatlichen Regelungen und Vorschriften zu verstehen, die Ausdruck von wesentlichen Werten der staatlichen Gemeinschaft sind.
3. Internationalisiertes Verständnis: Eine internationale öffentliche Ordnung Die vorangegangenen Ausführungen setzen implizit voraus, dass sich die Mitglieder an ihren innerstaatlichen Gegebenheiten orientieren und aufgrunddessen bestimmte Maßnahmen ergreifen. Insbesondere für die Alternative der öffentlichen Ordnung gilt aber, dass neben die nationale auch eine internationale öffentliche Ordnung tritt381. Sie wird über Art. 31 Abs. 3 c) WVRK durch internationale Sätze 379 Im Fall „Rutili“ sowie im Fall „Bouchereau“ hatte der EuGH entschieden, dass eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung“ vorliegt, wenn ein „Grundinteresse der Gesellschaft“ berührt ist, vgl. EuGHE Rs. 36 / 75 (Rutili), Slg. 1975, 1219 ff.; Rs 30 / 77 (Bouchereau), Slg. 1977, 1999 ff. (2013). 380 Der Wortlaut der Fußnote zu Art. XIV GATS ist für ein solches, systematisch einleuchtenderes Vorgehen durchaus offen.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
definiert382. Auf ein solches Verständnis läuft auch die Argumentation von Feddersen hinaus, der die Generalklausel des Art. XX GATT in einen „Begriffskern“ und einen „Begriffshof“ unterteilt383. Während der Begriffshof von den Mitgliedstaaten nach ihren Vorstellungen ausgefüllt werde und sich einer Überprüfung durch die Streitbeilegungsorgane stellen müsse, erfasse der Begriffshof internationale Normen und auch unverbindliche Sätze und sei von einer Überprüfung weitgehend freigestellt384. Die damit verbundene Privilegierung von Maßnahmen, die sich an einer internationalen öffentlichen Ordnung orientieren, wird hier ausdrücklich befürwortet. Maßnahmen, die sich an in internationalen Rechtssätzen niedergelegten Zielen orientieren und von den Handelspartnern vertraglich oder sonstwie angenommen wurden, müssen aus welthandelsrechtlicher Sicht unbedenklich sein, denn verfolgt werden ja gemeinsame Zielsetzungen. Die von den Schöpfern des Art. XIV GATS gesehene Notwendigkeit, den Anwendungsbereich der „öffentlichen Ordnung“ einzuengen, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten alle nur denkbaren handelsbeschränkenden Zielsetzungen darunter fassen, entfällt gerade, wenn es um die Verfolgung harmonisierter Zielsetzungen geht. Außerdem macht es Sinn, wenn die WTO die Orientierung staatlicher Maßnahmen an internationalen Rechtssätzen fördert. Sie setzt damit Anreize zu weiterer internationaler Kooperation und Harmonisierung und trägt auf diese Weise ihrer Koordinierungsfunktion Rechnung385. Wollen Mitgliedstaaten den Verstoß eines anderen Mitglieds gegen völkerrechtliche Normen zum Anlass für handelsbeschränkende Maßnahmen nehmen, müssen sie also lediglich den Völkerrechtsverstoß der Gegenseite nachweisen. Dabei wird 381 Durch die Umsetzung internationaler Sätze in nationales Recht ergeben sich natürlich Überschneidungen von nationaler und internationaler öffentlicher Ordnung. 382 Die große Bedeutung von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK für Begriffe wie „public policy“ und „public order“ stellt Sinclair in seiner Kommentierung zu Art. 31 WVRK heraus; vgl. Sinclair, Vienna Convention, S. 139. 383 Die Ausführungen beziehen sich auf die Generalklausel der öffentlichen Sittlichkeit in Art. XX a) GATT; der Ansatz kann aber dem Gedanken nach ohne weiteres auf die hier vorgenommenen Erörterungen übertragen werden; auch Charnovitz vertritt eine ähnliche Auffassung zur Generalklausel des GATT: „The best solution would be to internationalize Article XX a) GATT“; vgl. Charnovitz, Virginia Journal of International Law, S. 742. 384 Feddersen, Ordre Public, S. 263; dass Feddersen auch die unverbindliche ILO Deklaration über Kernprinzipien und Rechte des Arbeitnehmers anführt, wird kaum als Versehen angesehen werden können; auch die Arbeit von Feddersen kann mithin als Beleg für die Möglichkeit einer Subsumtion unverbindlicher Sätze unter Art. 31 Abs. 3 c) WVRK gewertet werden. Gleiches gilt für McCrudden, der ebenfalls unverbindliche internationale Sätze zur Ausfüllung des Begriffs der internationalen Ordnung anführt, ohne auf die Konsequenzen für die Reichweite von Art. 31 Abs. 3 c) WVRK einzugehen. 385 Eine Überschreitung des den Streitbeilegungsorganen zur Verfügung stehenden Spielraums liegt in einer solchen Auslegung nicht. Zum einen befindet sich die Fußnote zur „öffentlichen Ordnung“ im GATS und nicht im GPA. Zum anderen steht diese Auslegung im Einklang mit Art. 31 Abs. 3 c) WVRK und ist, wie gezeigt, auch unter teleologischen Gesichtspunkten voll gerechtfertigt. Unter diesen Umständen dürften sich keine Probleme im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 S. 3 DSU ergeben.
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es sich häufig um völkerrechtliche Repressalien handeln, also Maßnahmen, die in Reaktion auf einen Völkerrechtsverstoß ergehen und auf seine Beseitigung abzielen386. Besonderheiten ergeben sich deswegen an dieser Stelle jedoch nicht. Hervorgehoben werden sollte, dass bei der Prüfung des Völkerrechtsverstoßes auf das Verhalten des Staates, nicht das Verhalten des Unternehmens abgestellt werden muss. Dass das Unternehmen beispielsweise mit Hilfe von ausbeuterischer Kinderarbeit entgegen den Buchstaben des Art. 3 der ILO-Konvention 182 produziert, stellt nämlich keinen Völkerrechtsverstoß dar. Nach wie vor sind (multinationale) Unternehmen weder an Völkervertragsrecht noch an Völkergewohnheitsrecht gebunden. Die erwähnten internationalen Verhaltenskodizes stellen gerade keine verbindlichen Normen dar, sondern appellieren in unverbindlicher Weise an multinationale Unternehmen, diese Normen einzuhalten. Erste Entscheidungen auf nationaler Basis gehen in die Richtung, multinationale Unternehmen zumindest insoweit völkergewohnheitsrechtlich für gebunden anzusehen, wie die völkerrechtlichen Bindungen von Individuen reichen387. Nationale beschaffungsrechtliche Maßnahmen, die auf einen „Verstoß“ von Unternehmen gegen (vermeintliche) völkerrechtliche Verpflichtungen abstellen, mögen ein weiteres Indiz für den Beginn einer entsprechenden Staatenpraxis sein. Jedenfalls ist es aber noch zu früh, um völkergewohnheitsrechtliche Bindungen multinationaler Unternehmen anzunehmen388. Abzustellen ist daher in diesen Fällen auf den Verstoß des Mitglieds, der in seinem Unterlassen liegt. Lässt ein Mitglied auf seinem Territorium Handlungen Privater zu, zu deren Verbot und Verhinderung es sich international verpflichtet hat, so trifft es grundsätzlich eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit wegen Missachtung von Handlungspflichten389. In diesem Unterlassen ist der Völkerrechtsverstoß zu sehen, der zum Anlass für die nationale Regelung genommen werden kann390. Auch soweit unverbindliche Rechtssätze betroffen sind, gelten die oben angestellten Überlegungen. Sind sie von den an einem Konflikt beteiligten Handelspartnern gebilligt worden, so geht es bei handelsbeschränkenden Maßnahmen, die sich gegen ihre Nichtbeachtung richten, um Ziele, die beide Parteien anerkannt haben. Das rechtfertigt eine Berücksichtigung dieser Ziele im Rahmen des Ausnahmetat386 Hierzu ausführlich Schröder, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 597 – 602; Ipsen, Völkerrecht, S. 953 ff. 387 Ein Beispiel hierfür ist die im September 2002 ergangene Entscheidung eines amerikanischen Court of Appeals zur Verstrickung des amerikanischen Ölkonzerns Unocal in Menschenrechtsverletzungen in Myanmar. Hierzu ausführlich Gaedtke, Archiv des Völkerrechts 2004, S. 241. 388 Gaedtke, Archiv des Völkerrechts 2004, S. 241. 389 Schmalenbach, Archiv des Völkerrechts 2001, S. 63 f. 390 Siehe zur Unterlassenshaftung auch die „Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts“ der International Law Commission, Report of the International Law Commission, 53rd Session 2001, S. 53 und 70; in Art. 2 bzw. der zugehörigen Kommentierung wird eine Unterlassenshaftung ausdrücklich anerkannt.
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bestands der (internationalen) öffentlichen Ordnung391. So können beispielsweise die oben erwähnten unverbindlichen zwischenstaatlichen Instrumente, die multinationale Unternehmen zur Einhaltung von Mindeststandards bei ihren Aktivitäten anhalten, an dieser Stelle Berücksichtigung finden. 4. Die Generalklauseln als Rechtfertigungsgrund für politische Zwecke Diese Grundsätze für die Auslegung der Generalklauseln sind aber nicht so großzügig, dass alle politischen Ziele im Vergabeverfahren unter die drei Tatbestände subsumiert werden könnten. Für international definierte Ziele führen sie allerdings zu einer weitgehenden Zulässigkeit. So können vergaberechtliche Maßnahmen, die sich an international definierten Arbeitsstandards orientieren, unter die Alternative der öffentlichen Ordnung subsumiert werden. Wird beispielsweise das in der ILO-Deklaration enthaltene Recht der Vereinigungsfreiheit in einem Mitgliedstaat missachtet, so ist es möglich, in Reaktion darauf ergehende handelsbeschränkende Massnahmen ihrem Ziel nach zu rechtfertigen. Auch in der Variante, dass von dem sich um den Auftrag bewerbenden Unternehmen der Nachweis gefordert wird, dass es bestimmte internationale Standards beachtet, ist dies möglich. Der von dem ausländischen Unternehmen erbrachte Nachweis muss allerdings als Beleg dafür betrachtet werden, dass im Produktionsstaat die entsprechenden Standards von staatlicher Seite respektiert werden; nur in dieser Konstruktion ist es möglich, über Art. 31 Abs. 3 c) WVRK die Maßnahme auf die internationale öffentliche Ordnung zu stützen392. Erforderlich ist zudem, dass der Produktionsstaat als Mitglied seine Zustimmung zu dem betreffenden internationalen Rechtssatz gegeben hat oder gewohnheitsrechtlich an ihn gebunden ist. Will man die Maßnahme der Stadt München auf diesem Wege rechtfertigen, so wäre also erforderlich, den vom Unternehmen erbrachten Nachweis als Beleg dafür anzusehen, dass im Produktionsstaat die ILO-Konvention 182 zum Schutz vor ausbeuterischer Kinderarbeit bzw. die Bestimmungen des Global Compact von staatlicher Seite geachtet und durchgesetzt werden. Werden von einer Vergabestelle beispielsweise Vorgaben im Hinblick auf eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und eine Vergütung der Arbeitnehmer während des Urlaubs und gesetzlicher Feiertage gemacht, so kann ebenfalls an eine Rechtfertigung über die öffentliche Ordnung gedacht werden. Kommen Regelungen von ILO-Konventionen insoweit nicht in Betracht – beispielsweise weil die in einen Disput verwickelten Handelspartner nicht Mitglied der Konventionen sind – so kann immer noch daran gedacht werden, die Maßnahme auf die Bestimmungen des IPWSKR zu stützen. Dieser sieht in Art. 7 d) vor, dass ein jeder ein Recht „auf Für die ILO Deklaration McCrudden, GPA and Social Issues, S. 27. Vgl. hierzu auch die Problematik, ob Maßnahmen im Rahmen des chapeau staatenoder herstellerbezogen sein können bzw. müssen; hierzu unten V. 391 392
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gerechte und günstige Arbeitsbedingungen“ hat, das allen Arbeitnehmern „Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, regelmäßig bezahlten Urlaub sowie Vergütung gesetzlicher Feiertage“ sichert393. Doch wie ist dieser Artikel im Hinblick auf die „Angemessenenheit“ der Arbeitszeit konkret auszulegen? Die Unbestimmtheit zahlreicher völkerrechtlicher – insbesondere menschenrechtlicher – Verträge und Dokumente ist eines der großen Probleme, vor denen die Streitbeilegungsorgane bei ihrer Einbeziehung stehen. Im konkreten Beispiel dürfte sich die Arbeitszeitbegrenzung von 40 Stunden innerhalb einer Spanne bewegen, die man als „angemessen“ bezeichnen kann, während die beiden anderen Kriterien explizit von Art. 7 d) des Pakts erfasst sind. Es wäre also möglich, eine entsprechende vergaberechtliche Maßnahme auf die (internationale) öffentliche Ordnung zu stützen, um ihre Zielrichtung zu rechtfertigen. In anderen Fällen, wo internationale Vorschriften nicht ausreichend konkret sind, müssen die Streitbeilegungsorgane versuchen, durch Beiziehung von Interpretationshilfen von anderen internationalen Organisationen ihre Klärung zu erreichen; notfalls müssen sie sie selbst im Einzelfall konkretisieren394. Auf internationale Rechtssätze kann auch das Myanmar-Gesetz des US-Bundesstaats Massachusetts gestützt werden395. Die ILO hat aufgrund einer Untersuchung bereits bestätigt, dass in Myanmar von staatlicher Seite gegen das Verbot der Zwangsarbeit verstoßen wurde396. Die vergaberechtlichen Maßnahmen des USBundesstaats fanden in Reaktion darauf statt, so dass die Rechtfertigung über die (internationale) öffentliche Ordnung offensteht. Im Hinblick auf den „Iran-Libya Sanctions Act“ dürfte dies ebenfalls der Fall sein, soweit in diesen Ländern stattfindende Menschenrechtsverletzungen zum Anlass für die vergaberechtliche Regelung genommen werden können. Im Hinblick auf die Zwecke der Frauenförderung und der Tariftreue dürfte es schwierig sein, eine internationale Grundlage für die verfolgten Zwecksetzungen zu finden. Zwar bestimmt beispielsweise Art. 3 des IPWSKR, dass sich die Vertragsstaaten zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung der in dem Pakt festgelegten Rechte verpflichten, Art. 7 a) i) 2. HS IPWSKR schreibt zudem explizit vor, dass Frauen keine ungünstigeren Arbeitsbedingungen haben dürfen. Allerdings handelt es sich hier um Verbote der Ungleichbehandlung. Angesichts der auf deutscher und europäischer Ebene intensiv geführten Debatte über die Problematik dürften solche Regelungen, die auf eine Bevorzugung von Frauen 393 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, abgedruckt in Sartorius II, Internationale Verträge und Europarecht, Nr. 21. 394 Insofern ist der Schlussfolgerung von Cottier zur Einbeziehung von Menschenrechten in das internationale Wirtschaftsrecht in JIEL 2002, S. 132 zuzustimmen: „It is time to say goodbye to fragmentation and a tradition of splendid isolation within international law“. 395 So im Ergebnis wohl auch McCrudden, GPA and Social Issues, S. 28. 396 International Labour Organization, Forced Labour in Burma: Report of the Commission of Inquiry appointed under Article 26 of the Constitution or the International Labour Organization to examine the observance by Maynmar of the Forced Labour Convention.
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abzielen, nicht ohne weiteres hierunter gefasst werden können397. Solange auf der Ebene der ILO nicht entsprechende Regelungen geschaffen werden, werden sich die Zielsetzungen von Maßnahmen, die Kontingente für Betriebe im Eigentum von Frauen vorsehen oder solche, die Unternehmen mit einem besonders hohen Anteil an Frauen in der Vorstandsebene bevorzugen, nur schwerlich auf internationale Vorschriften stützen lassen. Gleiches gilt für das Kriterium der Tariftreue. Es gibt keinen internationalen Rechtssatz, der die Bezahlung von Arbeitnehmern nach Tariflohn vorschreibt. In diesen wie auch allen anderen Fällen, in denen die Vergabekriterien über international festgeschriebene Standards hinausgehen, kann die Generalklausel der öffentlichen Ordnung nur in Anspruch genommen werden, wenn wesentliche Interessen oder Grundwerte der heimischen Gesellschaft betroffen sind. Es kommt dann also der oben beschriebene, den Grundsatz darstellende strengere Maßstab für die (nationale) öffentliche Ordnung zum Tragen. Das sich auf die Ausnahme berufende Mitglied muss in diesem Fall nachweisen, dass der verfolgte Zweck eine besondere innerstaatliche Bedeutung besitzt. Ein Indiz hierfür wäre beispielsweise eine Verankerung des Zwecks in der nationalen Verfassung oder eine breitgefächerte Verfolgung des Zwecks durch eine Vielfalt nationaler Maßnahmen. Auch Rechtsprechung hochrangiger nationaler Gerichte wird den hohen Stellenwert eines politischen Zwecks belegen können. Während im Falle der Frauenförderung wie auch in der Münchner Kinderarbeitsregelung der Nachweis gelingen könnte, dürften die diesbezüglichen Erfolgsaussichten im Falle des Tariftreuegesetzes doch sehr gering sein. Auch im Fall einfacher Arbeitsstandards wird nach diesen Bedingungen nur selten ein wesentliches Interesse oder ein Grundwert des Staates betroffen sein. Und auch das Kriterium der Mittelstandsförderung wie auch das der Regionalförderung wird diesen Test kaum bestehen können. Wenn die Vorgaben des WTO-Rechts eine Bedeutung haben sollen – und das ist der Auslegungsklausel des Art. XIV GATS zu entnehmen –, so wird eine Grenze für die Rechtfertigung auf Basis der „öffentlichen Ordnung“ gezogen werden müssen, die in den genannten Fällen erreicht sein dürfte. Auch die Klausel der öffentlichen Sittlichkeit wird hier keine anderen Ergebnisse liefern können. Die Klausel der öffentlichen Sicherheit wird vor allem für Zwecke wie dem in Deutschland verfolgten Schutz des Gemeinwesens vor Unterwanderung durch die Scientology-Sekte durch entsprechende Unternehmer-Erklärungen relevant sein398. Damit ist weder die Wertung verbunden, dass eine solche Gefahr tatsächlich be397 Vgl. insbesondere die „Kalanke“-Entscheidung des EuGH, EuGHE, Rs c-450 / 93, Slg. 1995, I-3051 ff.; ausführlich zu den europarechtlichen Bestimmungen Oppermann, Europarecht, S. 711 ff. 398 Prieß / Pitschas subsumieren die Scientology-Erklärungen unter die Alternative der „öffentlichen Ordnung“, ohne auf die „öffentliche Sicherheit“ einzugehen. Siehe Prieß / Pitschas, PPLR 2000, S. 193.
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steht, noch eine Wertung, dass Maßnahmen wie die Scientology-Erklärungen ein richtiges oder falsches Mittel sind. Im Rahmen der Alternative der öffentlichen Sicherheit kommt dem Mitglied ein weiter Spielraum zu, der eine weite Einschätzungsprärogative beinhaltet, ob eine Gefahr vorliegt und wie sie zu behandeln ist.
IV. Notwendigkeit der Maßnahmen Mit Ausnahme der Tatbestände bezüglich der von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen und Strafgefangenen hergestellten Güter ist den Tatbeständen des Art. XXIII Abs. 2 GPA gemeinsam, dass die auf sie bezogenen Maßnahmen „notwendig“ sein müssen. Dadurch wird der Spielraum für den nationalen Gesetzgeber weiter eingeschränkt.
1. Die Notwendigkeitsprüfung – Symbol für einen „trade-bias“? Von Kritikern der WTO wird das Notwendigkeitskriterium häufig als Beleg für eine Voreingenommenheit der WTO zugunsten handelsbezogener Aspekte – einen „trade-bias“ – angeführt399. In der Tat unterliegen Maßnahmen zur Realisierung eines freien Welthandels einer solchen Prüfung nicht. Im Rahmen der WTO sind sie gerade erwünscht, und außerhalb des WTO-Rechts müssen sie sich einer vergleichbaren Prüfung nicht stellen. Beispielsweise findet im Rahmen der ILO keine Prüfung statt, ob marktöffnende, die Ziele der ILO beeinträchtigende Maßnahmen „notwendig“ sind, um die Ziele der WTO zu verwirklichen. Im Hinblick auf das Erreichen einer Wettbewerbssituation zwischen inländischen und ausländischen Gütern müssen also nicht die mildesten Maßnahmen getroffen werden. Ebensowenig findet eine Notwendigkeitsprüfung im Hinblick auf den Umweltschutz statt – im Gegensatz zum Recht des Welthandels ist das internationale Umweltrecht Stückwerk und kennt mangels einer internationalen Umweltschutzorganisation nicht einmal einen festen institutionellen Rahmen. Es lässt sich daher nicht von der Hand weisen, dass die internationale Rechtsordnung asymmetrisch ist und eine gewisse Voreingenommenheit zugunsten handelsbezogener Zwecke aufweist400. Ein trade-bias zugunsten der Belange des Welthandels kann darüber hinaus darin gesehen werden, dass der Nachweis der Notwendigkeit der Maßnahme im Rahmen von Art. XXIII Abs. 2 GPA dem Mitglied obliegt, dass sich auf die Ausnahme beruft, also dem „Beklagten“401. Im Zweifel geht das WTO-Recht daher davon aus, dass die Maßnahme nicht notwendig ist. Handelsfremde Belange haben es auf diese Weise natürlich noch schwerer, vor der WTO anerkannt zu werden. 399 Siehe zum Beispiel Garcia, Brooklyn Journal of International Law 1999, S. 83; Kritik an der Formulierung des Notwendigkeitstests äußert auch Schoenbaum, AJIL 1997, S. 276. 400 So auch Nichols, Northwestern Law Review 1996, S. 672 – 673. 401 Waincymer, WTO Litigation, S. 549.
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Allerdings ist der trade-bias der Notwendigkeitsprüfung weit weniger gravierend als der in dem begrenzten Katalog der Ausnahmetatbestände enthaltene. Im Rahmen der Ausnahmetatbestände führt er nämlich dazu, dass die Mitglieder bestimmte Ziele gar nicht verfolgen können, weil sie nicht in dem Katalog enthalten sind. Hier gibt das WTO-Recht vor, dass die Belange des Welthandels von vornherein höher zu bewerten sind als das betroffene nationale Politikziel. Eine strenge Notwendigkeitsprüfung hingegen hat lediglich zur Folge, dass die Mitglieder verstärkt auf die Handelsverträglichkeit ihrer Maßnahmen zu achten haben. Das kann zwar dazu führen, dass politische Zielsetzungen schwerer erreichbar sind; die negativen Folgen für den Handlungsspielraum des Staates sind dennoch ungleich geringer. Hinzu kommt, dass die Notwendigkeitsprüfung gar nicht unbedingt in einer die Belange des Welthandels einseitig bevorzugenden Weise ausgelegt werden muss. In der Tat zeigt die Entwicklung der Berichte der Streitbeilegung bereits in diese Richtung.
2. Die Notwendigkeitsprüfung im Spiegel der Streitbeilegung Ihren ursprünglich vertretenen Ansatz entwickelten die Streitbeilegungsorgane bereits unter dem GATT. Danach war eine Maßnahme notwendig, wenn eine alternative Maßnahme („reasonable alternative“) zur Verfügung stand, die entweder in geringerem Umfang oder gar nicht gegen das GATT verstieß402. Im ThunfischFall verneinte das Panel die Notwendigkeit der amerikanischen Maßnahme, da mit dem Versuch, eine internationale Vereinbarung auszuhandeln, eine mildere alternative Lösung zur Verfügung gestanden habe403. Dieser Ansatz ähnelt dem aus dem deutschen Recht bekannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit404; der legitime Zweck der Maßnahme wird dabei dadurch festgestellt, dass ein Mitglied zur Erreichung eines der in den Ausnahmetatbeständen genannten Ziele tätig wird. Im Hinblick auf die Eignung der Maßnahmen haben die Streitbeilegungsorgane vertreten, dass eine mildere Maßnahme auch dann angenommen werden kann, wenn sie nicht ebenso geeignet ist wie die vorgenommene405. So sah das Panel im Thunfisch-Fall die Notwendigkeit einer bi- oder multilateralen Alternative, obwohl die USA vorgetragen hatten, dass die unilaterale Maßnahme wesentlich geeigneter war. Eine einheitliche Spruchpraxis hat sich diesbezüglich allerdings nicht herausgebildet; in einem anderen Fall hatten die Streitbeilegungs402 Bericht des Panels zu „United States – Section 337 of the Tariff Act of 1930“, GATT BISD 36S / 345, Ziff. 5.26; Bericht zu „Thailand – Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes“; GATT BISD 37S / 200. 403 Bericht des Panels zu „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, GATT BISD 39S / 155, Ziff. 5.22. 404 Feddersen, Ordre Public, S. 278. 405 Vgl. beispielsweise die Berichte der Panel zu „Thailand – Restrictions on Importations of and Internal Taxes on Cigarettes“ GATT BISD 37S / 200; „United States – Restrictions on Imports of Tuna“, GATT BISD 39S / 155.
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organe vertreten, dass die Mitgliedstaaten gerade nicht auf weniger geeignete Maßnahmen zurückgreifen müssten406. Im Fall Korea-Beef modifizierten die Streitbeilegungsorgane diesen Ansatz und führten einen flexibleren Prüfungsmaßstab ein. In seinem Bericht führte das Berufungsgremium aus, dass die Auslegung des Merkmals der Notwendigkeit im Einzelfall erfordern könne, das Gewicht der Werte oder Zielsetzungen zu berücksichtigen, die mit der nationalen Maßnahme geschützt werden sollten. Je wichtiger oder drängender diese Zielsetzungen seien, desto leichter müssten die entsprechenden Maßnahmen als notwendig nach dem WTO-Recht anerkannt werden407. Weiter hielt das Berufungsgremium den Grad der Eignung der Maßnahme zur Durchsetzung des Schutzziels für relevant und führte schließlich aus, dass auch die handelsbeschränkende Wirkung der Maßnahme von Bedeutung sei408. Damit deutet das Berufungsgremium an, dass eine stark handelsbeschränkende Wirkung einer Maßnahme möglicherweise wegen ihrer gewichtigen Zielsetzung gerechtfertigt werden könnte. Nach dem ursprünglich vertretenen Ansatz wäre dies nicht denkbar; danach ist die Qualität der Zielsetzung ohne Belang für die Prüfung, so dass es auch nicht möglich ist, den Mitgliedern einen größeren Spielraum einzuräumen, wenn besonders wichtige Werte betroffen sind.
3. Differenzierender Prüfungsansatz Dass das Kriterium der Notwendigkeit erfordert, nach milderen Alternativmaßnahmen zu suchen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Insoweit ist der Wortlaut eindeutig und lässt der Auslegung keinen Spielraum. Allerdings ist es der Rechtsanwendung überlassen zu bestimmen, unter welchen Bedingungen eine Maßnahme als mildere Maßnahme angesehen wird. Insoweit können die Streitbeilegungsorgane also einen Spielraum zur Fortentwicklung des WTO-Rechts nutzen. Nach hier vertretener Auffassung sollten sie ihn nutzen, um bei einigen Maßnahmen den der Notwendigkeitsprüfung innewohnenden trade-bias so weit wie möglich aufzuheben. Diese Maßnahmen sollten privilegiert behandelt werden. Nach den zustimmungswürdigen Ausführungen des Berufungsgremiums im Fall Korea-Beef kann sich eine Privilegierung aufgrund der besonderen Gewichtigkeit der Zielset406 Bericht des Panels zu „United States – Section 337 of the Tariff Act of 1930“, GATT BISD, 36S / 345, Ziff. 5.26. 407 Bericht des Berufungsgremiums zu „Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef“, WT / DS161,169 / AB / R, Ziff. 162: „It seems to us that a treaty interpreter assessing a measure claimed to be necessary ( . . . ) may, in appropriate cases, take into account the relative importance of the common interests or values that the law or regulation to be enforced is intended to protect. The more vital or important those common interests or values are, the easier it would be to accept as „necessary“ a measure designed as an enforcement instrument“. 408 Bericht des Berufungsgremiums zu „Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef“, WT / DS161,169 / AB / R, Ziff. 163.
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zung der Maßnahme, aus ihrer Eilbedürftigkeit oder sonstigen gewichtigen Umständen ergeben, die ein Rekurrieren auf an sich denkbare mildere Maßnahmen nur unter besonderen Umständen geboten erscheinen lassen409. Welche Maßnahmen besitzen eine solche Gewichtigkeit, dass sie für eine derartige Privilegierung in Betracht kommen? Zu nennen sind hier an erster Stelle Maßnahmen, die in Reaktion auf Verletzungen von ius cogens oder zur Durchsetzung der Beachtung dieser Normen ergehen. Die internationale Rechtsordnung gibt hier die besondere Gewichtigkeit des Schutzziels bereits zweifelsfrei vor. Betroffen sind damit vergaberechtliche Maßnahmen wie das Myanmar-Gesetz, das vor allem in Reaktion auf Zwangsarbeit in Myanmar erging. Folgt man der oben diskutierten Auffassung von Howse / Mutua, wären zudem sämtliche auf universal geltende Menschenrechte bezogene Zwecke zu privilegieren, da diesen von Art. 103 Abs. 1 UN-Charta in Verbindung mit Art. 55 UN-Charta eine völkerrechtliche Höherrangigkeit zugebilligt wird410. Ähnlich wie oben im Rahmen der Prüfung des Tatbestands der öffentlichen Ordnung käme es also darauf an, ob die vergaberechtlichen Sekundärzwecke unter die Vorschriften menschenrechtlicher Verträge wie die des IPWSKR oder des IPBPR subsumiert werden können. Unabhängig davon, ob man dem Ansatz von Howse / Mutua folgt, sollten jedenfalls die mehrfach angesprochenen Standards, die sich auf internationaler Ebene als Mindeststandards in den Bereichen Umwelt, Arbeitnehmerschutz und Menschenrechten herausschälen, eine Privilegierung erfahren. Für elementare Standards in diesen Bereichen sollte die WTO eine Mitverantwortung übernehmen; wie im ersten Teil herausgearbeitet wurde, steht dies durchaus im Einklang mit den Funktionen der WTO, da die Organisation zumindest im Hinblick auf Mindeststandards Marktintegration fördern kann und sollte. Auch Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit werden normalerweise eine besondere Gewichtigkeit besitzen und damit für einen privilegierten Notwendigkeitsmaßstab in Betracht kommen. Das würde beispielsweise die von deutschen Vergabestellen geforderte Scientology-Erklärung betreffen. Maßnahmen mit Bezug auf diejenigen Zwecke, die aufgrund ihrer grundlegenden Bedeutung unter die Ausnahme der (nationalen) öffentlichen Ordnung subsumiert werden können, kann eine besondere Bedeutung allerdings nur dann zukommen, wenn eine „schwerwiegende Bedrohung“ vorliegt, die Verfolgung des Zwecks also besonders dringlich erscheint411. Natürlich nehmen die Streitbeilegungsorgane bei der Entscheidung, ob einem Zweck eine privilegierte Stellung beizumessen ist, eine Beurteilung des Gewichts nationaler Politikziele vor. Das wurde im ersten Teil dieser Arbeit grundsätzlich als problematisch bezeichnet. Das schließt ein solches Vorgehen im Rahmen der 409 In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Cleveland, JIEL 2002, S. 165; für Menschenrechte auch McCrudden, JIEL 1999, S. 45. 410 Siehe hierzu oben 1. Teil, § 4 A. 411 Hierzu oben § 4 B.III.2.
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Notwendigkeitsprüfung jedoch nicht aus: erstens ist soweit wie möglich darauf zu achten, dass die Gewichtigkeit des verfolgten Zwecks durch das Mitglied selbst belegt wird, wie durch den Verweis auf ius cogens, verfassungsrechtliche Verankerung etc. Den Streitbeilegungsorganen kommt in diesen Fällen lediglich die Aufgabe zu, die besondere Gewichtigkeit des Politikziels festzustellen, nicht aber, sie herzuleiten. Und zweitens geht es in diesen Fällen – im Gegensatz zu den Ausnahmetatbeständen – ja gerade nicht darum, dass eine Bewertung nationaler Ziele im Hinblick darauf erfolgt, ob diese überhaupt zu einer Rechtfertigung herangezogen werden können. Eine Bewertung findet im Gegenteil nur deshalb statt, um den Mitgliedern gegebenenfalls eine Abweichung von einem an sich geltenden (strengeren) Prüfungsmaßstab zuzubilligen. a) Prüfung nicht-privilegierter Maßnahmen Liegen keine privilegierenden Umstände vor, so kommt der ursprüngliche Ansatz der Streitbeilegungsorgane zur Anwendung. Von dem Mitglied, dass sich auf Art. XXIII Abs. 2 GPA beruft, muss nachgewiesen werden, dass die Maßnahme geeignet, also dem Zweck förderlich, sowie erforderlich ist412. Letzteres sollte mit der Maßgabe geprüft werden, dass Alternativmaßnahmen vergleichbar geeignet erscheinen müssen wie die ergriffene Maßnahme. Der Kreis der Alternativmaßnahmen, die zwar „milder“ sind, aber auch weniger geeignet, um den Schutzzweck zu erreichen, wird damit nicht berücksichtigt. Es ist auch im Rahmen dieses Prüfungsmaßstabs kaum vertretbar, den Mitgliedstaaten zuzumuten, auf das von ihnen gewählte Schutzniveau zugunsten eines – handelsfreundlicheren – schwächeren Schutzniveaus zu verzichten413. Das Gegenargument, durch diese Auffassung würde dem handelsfremden Zweck eine nicht gerechtfertigte Höherwertigkeit gegenüber den handelsbezogenen Belangen der WTO eingeräumt, ist nicht zutreffend. Eine Gewichtung von Schutzzielen liegt hierin noch nicht; die WTO erkennt lediglich einen erweiterten Spielraum für nationale Entscheidungen an. Es geht hier also um eine moderate Ausübung von Herrschaft durch die WTO. Dennoch können diese Anforderungen für die Mitgliedstaaten eine nicht unerhebliche Hürde darstellen, denn im Einzelfall wird der Nachweis schwerfallen, dass keine gleich geeignete mildere Maßnahme zur Verfügung stand. Die meisten vergaberechtlichen Maßnahmen werden sich dieser nicht-privilegierten Prüfung stellen müssen. Das gilt für Regelungen, die den Arbeitnehmerschutz zu fördern beabsichtigen und dabei über ein internationales Mindestschutz412 „It is up to the contracting party seeking to justify measures under Article XX GATT to demonstrate that those measures are ,necessary‘“; so bereits der Panelbericht zu „United States – Section 337“, GATT BISD, 36S, Ziff. 5.27. 413 So auch Arrowsmith, WTO Government Procurement, S. 145; in diesem Sinne auch die Ausführungen des Berufungsgremiums in „Korea – Measures Affecting Imports of Fresh, Chilled and Frozen Beef“, WT / DS161, 169 / AB / R, Ziff. 176.
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niveau hinausgehen, sowie beispielsweise auch für das Kriterium der Tariftreue. Gleiches gilt für entsprechende umweltschutzbezogene Maßnahmen sowie solche zur Förderung sozial benachteiligter Gruppen, soweit sie nicht ausnahmsweise eine Privilegierung beanspruchen können. Auch Maßnahmen zur Strukturförderung werden in diese Kategorie fallen, soweit diese überhaupt unter einen Ausnahmetatbestand subsumiert werden können; wie oben gezeigt, wird dies aber regelmäßig bereits nicht der Fall sein. Die Eignungsprüfung dürften diese vergaberechtlichen Maßnahmen überstehen. Zwar ist umstritten, ob die Verfolgung politischer Zwecke im Vergabeverfahren ein probates Mittel zur Erreichung der entsprechenden Ziele ist. Zahlreiche Autoren halten politische Auftragsvergabe für ineffizient414. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Instrument des öffentlichen Auftrags gar nicht geeignet ist, die verfolgten Ziele zu erreichen, sondern lediglich, dass andere staatliche Instrumente dies eventuell besser leisten könnten. Letzteres ist für die Frage der Eignung, bei der es auf die Förderung des verfolgten Zwecks ankommen muss, ausreichend. Die Eignungsgsprüfung ist keine Effizienzprüfung. Das Schwergewicht der Prüfung liegt auf der Untersuchung der Erforderlichkeit der Maßnahme, also dem Test, ob eine vergleichbar geeignete alternative Maßnahme denkbar ist415. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf Produktkennzeichnungen („labeling“) verwiesen, die mildere Maßnahmen beispielsweise im Vergleich zu Importverboten darstellen. So könnte beispielsweise eine Angabe auf dem Produkt vorgeschrieben werden, ob das Produkt im Einklang mit bestimmten Umweltschutzstandards hergestellt wurde416. Der Kennzeichnungsansatz läßt sich jedoch nicht auf das öffentliche Beschaffungswesen übertragen. Sein Sinn besteht darin, die Entscheidung über den Konsum des Produkts dem privaten Verbraucher zu überlassen417. Die Verbraucher werden über die Produktkennzeichnung von den (negativen) Bedingungen, zu denen das Produkt hergestellt wurde, unterrichtet und werden – zumindest teilweise – den Kauf des Produkts meiden, so dass ein ausreichender Sanktionseffekt erreicht wird. Im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gibt es aber keinen privaten Verbraucher, der zu unterrichten wäre, da es ja gerade die öffentliche Hand ist, die das Produkt beschafft. Eine Kennzeichnung von ProSiehe nur Rittner, EuZW 1999, S. 677; Hopp, DB 2000, S. 469. Montini möchte auf diese Prüfung ganz verzichten. Er schlägt vor, lediglich Geeignetheit und „Proportionaliät“ zu prüfen, worunter er eine Abwägung des Schutzziels gegen die Handelsbeschränkung verstehen will. Die WTO würde in diesem Fall allerdings eine umfassende materielle Abwägung vornehmen und gleichzeitig auf die Untersuchung verzichten, ob mildere Maßnahmen denkbar gewesen wären; beides erscheint nicht sinnvoll. Siehe Montini, in: Francioni, Environment, Human Rights and International Trade, S. 153 – 155. 416 Zum Kennzeichnungsansatz (social / environmental labeling) kritisch Basu, Cornell Int. Law, 2001, S. 493. 417 Aktuelles Beispiel ist die Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Lebensmittel (genveränderte Organismen GVO) ab 18. April 2004; vgl. hierzu Süddeutsche Zeitung „Gentechnik-Revolution wird ignoriert – am 18. April beginnt die Kennzeichnungspflicht für GVO“, 16. April 2004, S. 37. 414 415
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dukten ist also vollkommen nutzlos418. Sie kann daher auch keine mildere Maßnahme gegenüber solchen Maßnahmen darstellen, die bestimmte Produkte von der Auftragsvergabe ausschließen. Ebensowenig können die Mitglieder darauf verwiesen werden, andere nationale Instumente zur Durchsetzung der betreffenden Politikziele einzusetzen als das öffentliche Auftragswesen. Ebensowenig wie es Sache der WTO ist, die Effizienz politischer Auftragsvergabe zu beurteilen, gehört auch nicht zu ihren Aufgaben einzuschätzen, ob diese an sich wünschenswert ist419. Wenn die Mitgliedstaaten sich nicht darauf geeinigt haben, politische Auftragsvergabe zu verbieten, kann die WTO ein solches Verbot nicht durch die Hintertür einführen, indem sie dieses Instrument staatlichen Handelns für inopportun erklärt. Die WTO soll lediglich dafür sorgen, dass ausländische Anbieter und Produkte im Bereich des Beschaffungswesens grundsätzlich keine schlechteren Wettbewerbsbedingungen vorfinden als inländische. Das bedeutet, dass die Streitbeilegungsorgane sich bei der Untersuchung der Alternativmaßnahme in der Regel auf solche aus dem Bereich des Beschaffungswesens zu konzentrieren haben420. Eine wichtige mögliche Alternativmaßnahme könnte darin bestehen, die Maßnahme auf inländische Anbieter zu beschränken. Ausländische Bieter würden dann von den politischen Anforderungen der Vergabestelle befreit. Milder ist eine derartige Ausgestaltung vergaberechtlicher Anforderungen in jedem Fall. Es kommt lediglich zu einer Inländerdiskriminierung. Eine Patentlösung für die Beurteilung der Notwendigkeit vergaberechtlicher Maßnahmen ist dies jedoch nicht. Häufig würde der Charakter von Art. XXIII Abs. 2 GPA als Ausnahmevorschrift konterkariert, wenn nationale Politikziele nur dann als notwendig anerkannt würden, wenn sie lediglich für inländische Anbieter Geltung beanspruchten. Beispielsweise ist nicht denkbar, das Ziel der Bevorzugung von Spätaussiedlern im Vergabeverfahren nur auf inländische Bieter zu beschränken; von der Bevorzugung würde nicht viel übrig bleiben, wenn der Auftrag dann an den ausländischen Bieter gehen muss, demgegenüber auf die Bevorzugung nicht Rücksicht genommen werden kann. Anders hingegen, wenn sich das Ziel der Maßnahme lediglich auf inländische Unternehmen erstreckt. Das Ziel der Frauenförderung durch Gleichstellungsmaßnahmen des Bundes oder der Länder in Deutschland beispielsweise wird sich in aller Regel auf Unternehmen in Deutschland beziehen. In diesem Fall kann durchaus verlangt werden, dass die Vergabestelle die Regelung von Anfang an nur auf deutsche Unternehmen bezieht. Gleiches würde für die Verbesserung der Tariftreue in Deutschland gelten; würden ausländische Unternehmen von dem Erfordernis befreit, dürfte sich an der Eignung der Maßnahme kaum etwas ändern.
418 Den Kennzeichnungsansatz unabhängig vom GPA ablehnend Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 456. 419 Zu dieser Ansicht scheint aber McCrudden, GPA and Social Issues, Manuskript, S. 34 zu tendieren. 420 Anders aber McCrudden, GPA and Social Issues, Manuskript, S. 34.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Sollten beispielsweise nationale Gleichstellungsmaßnahmen zur Frauenförderung oder andere Maßnahmen doch einmal ihr Ziel (auch) im Ausland suchen, so muss die Ausgestaltung jedoch hinreichend flexibel sein. Fordert beispielsweise eine vergaberechtliche Regelung kategorisch, dass der Frauenanteil in Vorstand oder Geschäftsführung 50% betragen muss, so dürfte das einer Erforderlichkeitsprüfung nicht standhalten. Es ist möglich, dass im Ausland betriebliche Frauenförderung vornehmlich durch andere, aber womöglich ebenso effektive Maßnahmen vorangetrieben wird. Politische Kriterien sollten entsprechend offen formuliert sein. Im Beispiel sollte das Kriterium so formuliert sein, dass das Unternehmen die Gleichstellung von Frauen durch den Anteil von Frauen in Vorstand oder Geschäftsführung „oder ähnliche Umstände oder Maßnahmen“ nachweist421. Bei nationalen Maßnahmen, die sich an internationalen Normen orientieren bzw. in Reaktion auf Verstöße darauf ergehen, kommt als alternative Maßnahme zur „unilateralen“ Sanktion häufig auch die Inanspruchnahme eines internationalen Streitbeilegungsmechanismus in Betracht. Wird die Auftragsvergabe beispielsweise von der Einhaltung (nicht privilegierter) ILO-Normen abhängig gemacht, ist an ein Verfahren nach den Vorschriften der ILO-Verfassung als mildere Maßnahme zu denken. Die ILO ermöglicht ein Untersuchungsverfahren bei behaupteten Verstößen gegen ihre Abkommen, das im Erfolgsfall zu einer Empfehlung an den betreffenden Staat führt, die Vertragsverletzung abzustellen; letztendlich kann ein Verfahren sogar bis zum IGH getragen werden422. Zuzugeben ist, dass zahlreiche internationale Streitbeilegungsmechanismen langwierig und nicht immer erfolgreich sind; so bleibt auch die Nichtbeachtung von Empfehlungen der ILO de facto ohne wesentliche Konsequenzen423. Dennoch darf daraus nicht gefolgert werden, dass ein Streitbeilegungsverfahren vor der ILO keine vergleichbar geeignete Alternative zu einer rein nationalen Sanktionsmaßnahme wäre, denn auch und erst recht haben einzelne Sanktionen im Bereich des Vergabewesens nur eine begrenzte Aussicht auf Erfolg. Stellt sich allerdings die Erfolglosigkeit des Verfahrens heraus oder gerät die durch das Verfahren verursachte zeitliche Verzögerung außer Verhältnis, ist der Weg frei für nationale Sanktionsmaßnahmen, einschließlich solcher im Beschaffungswesen.
421 Eine ähnliche Überlegung stellte das Berufungsgremium im Garnelenfall in Bezug auf die unzureichend flexibel ausgestaltete amerikanische Regelung an. Allerdings geschah dies im Rahmen der Prüfung einer „willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung“; besser aufgehoben ist dieser Aspekt in der Notwendigkeitsprüfung, da die flexible Formulierung die Maßnahme zu einer „milderen Alternative“ macht. 422 Art. 26 ff. der ILO-Verfassung; hierzu Körner-Dammann, ILO-Standards, S. 45 ff. 423 Cappuyns, Col. Journal of Transnational Law, 1998, S. 680; diese negative Einschätzung teilt auch Summers, Penn. Journal of Int. Econ. Law, 2001, S. 63.
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b) Prüfung privilegierter Maßnahmen Die Zahl der für eine privilegierte Prüfung in Betracht kommenden Maßnahmen wird nach dem oben Gesagten eher begrenzt sein; im Regelfall wird der soeben beschriebene Maßstab zur Anwendung kommen. Die Streitbeilegungsorgane haben es aber in der Hand, eine Maßnahme in die Kategorie privilegierter Maßnahmen zu verlagern, wenn ihnen das geraten erscheint; ihnen ist insoweit ein Wertungsspielraum gegeben, der Raum für eine am Einzelfall orientierte Entscheidung lässt. Auch im Rahmen der privilegierten Prüfung kann nicht darauf verzichtet werden, nach dem Vorhandensein milderer Maßnahmen zu fragen. Der besonderen Bedeutung der Maßnahmen kann aber durch eine Vermutung zugunsten der Notwendigkeit der Maßnahme Rechnung getragen werden424. Legt das beklagte Mitglied die Voraussetzungen für eine Privilegierung der Maßnahme ausreichend dar, so gilt also die Maßnahme als notwendig, es sei denn, dem klagenden Mitglied gelingt es, diese Vermutung zu widerlegen. Auf diese Weise wird der oben beschriebene trade-bias weitgehend entschärft. Weiter kann der Kreis der Maßnahmen, deren Eignung als vergleichbar mit der ergriffenen Maßnahmen angesehen wird, etwas enger gezogen werden; dies führt nicht zu Widersprüchen, da eine Maßnahme zur Erreichung eines besonders wichtigen Schutzguts eben nur dann eine ernsthafte Alternative darstellen kann, wenn ihre Eignung der ergriffenen Maßnahme besonders nahekommt. Auf diese Weise können die Streitbeilegungsorgane zudem der Bedeutung einer Maßnahme im Einzelfall Rechnung tragen. Für das Myanmar-Gesetz und die anderen, oben in diese Kategorie eingeordneten Maßnahmen bedeutet das, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Notwendigkeitsprüfung standhalten würden. Dem klagenden Mitglied wird beispielsweise kaum der Nachweis gelingen, dass alternative Maßnahmen einen dem Myanmar-Gesetz nahekommenden Erfolg haben würden. So dürfte in der Anerkennung durch die Streitbeilegungsorgane, der betreffenden Maßnahme einen privilegierten Prüfungsmaßstab zuzubilligen, eine wichtige Weichenstellung für die Zulässigkeit der Maßnahme liegen.
V. Die Voraussetzungen des „chapeau“ Schließlich muss sich politische Auftragsvergabe den Voraussetzungen des chapeau stellen, darf also nicht „zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen die gleichen Bedingungen herrschen“, oder zu einer „verschleierten Beschränkung des internationalen Handels“ führen. Wie im ersten Teil der Arbeit ausgeführt, können die Streitbeilegungsorgane bei der Interpretation des chapeau nicht so weit gehen, eine Güterabwägung zwischen den 424 Ähnlich, allerdings im Rahmen einer Proportionalitätsprüfung: Cleveland, JIEL 2002, S. 174.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Belangen des Welthandels und dem auf nationaler Ebene verfolgten Ziel vorzunehmen. Die im Rahmen des chapeau vorzunehmende Kontrolle muss sich daher darauf beschränken, die Art und Weise des Zustandekommens der Maßnahmen zu überprüfen sowie eine Art Protektionismuskontrolle vorzunehmen.
1. Verbot der willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung Die Praxis der Streitbeilegungsorgane hinsichtlich der Merkmale der „willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung“ ist wenig übersichtlich, reflektiert die soeben angestellten Vorüberlegungen jedoch bereits weitgehend. Im Garnelenfall führte das Berufungsgremium aus, dass die amerikanische Regelung an einem Mangel an Flexibilität leide und daher eine „ungerechtfertigte Diskriminierung“ darstellte; die USA hatten gefordert, dass im Ausland praktisch die gleichen Schutzmaßnahmen beim Fang von Garnelen bestehen müssten wie in den USA; dies war Voraussetzung für eine Lizenzerteilung zum Import von Garnelen. Weiter kritisierte das Berufungsgremium im Garnelenfall, dass ausländischen Firmen auch dann der Import von Garnelen verwehrt wurde, wenn sie zwar im Einklang mit den amerikanischen Vorschriften produziert hatten, ihre Staaten aber keine entsprechende Vorschriften kannten425. Schließlich sah es auch darin eine ungerechtfertigte Diskriminierung, dass die USA mit einigen Handelspartnern verhandelt hatten, um ein Abkommen zum Schutz von Meerestieren zu erreichen, anderen Handelspartnern gegenüber diese Anstrengungen nicht unternommen hatten und stattdessen ein Importverbot verhängt hatten426. Bereits im Benzinfall hatten die Streitbeilegungsorgane ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit zu einer internationalen Verständigung bestanden habe427. Im Rahmen des Merkmals der „willkürlichen Diskriminierung“ haben die Streitbeilegungsorgane vor allem Verfahrensprobleme hervorgehoben: im Garnelenfall kritisierten sie, dass den von der Verweigerung einer Lizenz betroffenen Staaten kein Gehör gewährt worden war. Darüber hinaus beanstandeten sie, dass für die betroffenen Staaten keine Möglichkeiten existierten, die Entscheidung der USStellen innerstaatlich anzufechten428. Die Ausführungen der Streitbeilegungsorgane zur willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung betreffen teilweise Aspekte, die bereits im Rahmen der 425 Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, Ziff. 165. 426 Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, Ziff. 166 – 172. 427 Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline“; WT / DS2 / AB / R. 428 Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“, Ziff. 180, 182.
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Notwendigkeitsprüfung relevant sind und dort abschließend abgehandelt werden können. So ist die Frage, ob die USA von ausländischen Staaten den amerikanischen im Wesentlichen gleiche Umweltschutzmaßnahmen fordern durften, oder ob nicht ausreichend war, dass im Ausland ein vergleichbares Niveau – gegebenenfalls im Wege anderer Maßnahmen – sichergestellt wurde, eine Frage nach der milderen Alternative429. Es erscheint auch keineswegs eingängig, warum Verfahrensprobleme eher zu einer „willkürlichen“ Diskriminierung, unnötige Maßnahmen dagegen zu einer „ungerechtfertigten“ Diskriminierung führen sollen. Die Ausführungen in den Berichten der Streitbeilegungsorgane werden jedoch unter Berücksichtigung ihres Kontextes etwas besser verständlich: sowohl der Benzinfall als auch der Garnelenfall betrafen Maßnahmen, die auf den Ausnahmetatbestand des Art. XX (g) GATT gestützt wurden. Da dieser keine Notwendigkeitsprüfung vorsieht, die Streitbeilegungsorgane jedoch keinen Anlass sahen, auf diesen Tatbestand gestützte Maßnahmen weniger streng zu behandeln als andere, verlagerten sie Aspekte der Notwendigkeitsprüfung in den chapeau. Die doch sehr weite Formulierung des chapeau begünstigte dieses Vorgehen. Das Berufungsgremium rechtfertigte es mit den Worten, dass die Prüfung des chapeaus in Abhängigkeit vom betroffenen Ausnahmetatbestand variieren könne. Dieses Vorgehen vermag rechtsmethodisch nicht ganz zu überzeugen, da das Nichtvorhandensein des Kriteriums der Notwendigkeit bei einigen Ausnahmetatbeständen – in Art. XXIII Abs. 2 GPA bekanntermaßen bei den Ausnahmen zugunsten von Behinderten, Wohlfahrtseinrichtungen und Strafgefangenen – an sich darauf schließen läßt, dass Aspekte der Notwendigkeitsprüfung gerade nicht vorgenommen werden sollen. Die vom Berufungsgremium vorgenommene Prüfung läßt aber erkennen, dass es den chapeau – unter den im vorangegegangenen Abschnitt genannten Voraussetzungen – als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ansieht und eine entsprechende Prüfung für erforderlich hält. In den Worten des Berufungsgremiums: die Ausnahmevorschriften sollen sicherstellen, „einen Missbrauch der Ausnahmevorschriften zu verhindern“430. Soweit allerdings Maßnahmen bereits der Notwendigkeitsprüfung unterliegen, haben Überlegungen zum Vorhandensein möglicher milderer Alternativen im Rahmen des chapeau keinen Platz. a) Flexibilität nationaler Maßnahmen Mit dem Kriterium der Flexibilität hat das Berufungsgremium insoweit einen wichtigen Aspekt genannt, der für politische Maßnahmen im öffentlichen Auftragswesen von erheblicher Bedeutung ist. Wie ausgeführt, hatten Importeure von 429 Siehe zu diesem Problem den vorangegangenen Abschnitt zur „Notwendigkeit“ nationaler Maßnahmen. 430 Bericht des Berufungsgremiums zu „United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products“; WT / DS58 / AB / R, Ziff. 156; das Berufungsgremium spricht von einem „abus de droit“.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
Garnelen nach der amerikanischen Regelung im Garnelenfall keine Lizenz bekommen, selbst wenn ihre Fangmethoden im Einklang mit den amerikanischen Vorschriften standen. Die Maßnahme orientierte sich am Herkunftsland, nicht am Hersteller. Das ist an sich im Einklang mit dem Wortlaut des chapeau, denn dieser spricht ja gerade von einem Verbot willkürlicher oder ungerechtfertigter Diskriminierung zwischen „Staaten“, in denen die gleichen Bedingungen herrschen – und nicht von einem Verbot der Diskriminierung zwischen „Herstellern“, die unter den gleichen Bedingungen produzieren. Dennoch sah das Berufungsgremium im Garnelenfall in der amerikanischen Vorgehensweise einen Mangel an Flexibilität der (Anwendung der) Regelung und damit eine ungerechtfertigte Diskriminierung. Als das Berufungsgremium die von den USA angepasste Maßnahme überprüfte, musste es sich zu diesem Aspekt nicht noch einmal äußern431. Die Auffassung des Berufungsgremiums hat gute Gründe auf ihrer Seite. Einzelnen ausländischen Herstellern, die ihre Produktionsmethoden auf die Vorgaben der Vergabestelle einzustellen bereit sind, kann auf diese Weise der Export ermöglicht werden, ohne dass im Ausland gleich die Gesetzeslage verändert werden müßte. Knüpft eine Vergaberegelung die Vergabe von Aufträgen an bestimmte umweltfreundliche Kriterien, die in bestimmten Ländern aber nicht Gesetz sind, so wäre es widersinnig, wenn die Regelung deswegen Bieter ausschließt, obwohl diese bereit sind, sich nach den Vorgaben der Regelung zu richten. Dieser Ansatz wäre zu formalistisch. Er wäre dem internationalen Handel auch offensichtlich abträglich. Zudem wäre er dem mit der Regelung verfolgten politischen Ziel abträglich, da die Regelung solche ausländischen Bieter zur Umstellung ihrer Produktionsmethoden bringen kann, die an den entsprechenden Aufträgen interessiert sind. Stellen diese Unternehmen ihre Produktionsmethoden um, kann dies der Beginn eines Prozesses sein, an dessen Ende auch die Änderung der Gesetzeslage steht, also im Beispiel eine Hebung des Umweltschutzniveaus. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Unternehmen, die ihre Produktion umstellen und daher im Wettbewerb Nachteile erleiden, Druck auf den Gesetzgeber ausüben werden, um diese Nachteile allen Unternehmen aufzubürden. Zuzugeben ist, dass ein herstellerbezogener Ansatz die Autorität der Rechtsordnungen ausländischer Staaten teilweise unterläuft432. Fordert die WTO im Rahmen des chapeau einen herstellerbezogenen Ansatz der nationalen Regelung (bzw. seiner Anwendung), so begünstigt sie das Unterlaufen nationaler Gesetzgebung „aus dem Ausland“. Je mehr Unternehmen ihre Produktion auf die aus dem Ausland eingeforderten Bedingungen einstellen, desto mehr läuft die nationale Gesetz431 Im Anschluss an den Ausgangsbericht hatten die amerikanischen Behörden eine individuelle Lizenzerteilung ermöglicht. Im Zeitpunkt des Verfahrens nach Art. 21 Abs. 5 DSU schwebte in den USA ein Gerichtsverfahren, dass sich mit der inneramerikanischen Zulässigkeit dieses Vorgehens befaßte. Solange keine Entscheidung des US-Gerichts vorlag, die sich gegen individuelle Lizenzerteilung aussprach, bestand für das Berufungsgremium in der Tat keine Notwendigkeit, auf diesen Punkt einzugehen. 432 Vgl. hierzu auch Neumann, Koordination des WTO-Rechts, S. 472 ff.
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gebung Gefahr, ihre Stellung als Bezugspunkt für produzierende Unternehmen – und damit an Bedeutung – zu verlieren. Schlimmstenfalls werden Rechtskonflikte zwischen den von der ausländischen Vergabestelle geforderten Standards und der nationalen Gesetzgebung provoziert. Hier können die internationalen Verhaltenskodizes für Unternehmen Abhilfe schaffen, beispielsweise wenn die Vergabestelle vom ausländischen Bieter den Nachweis fordert, dass er im Einklang beispielsweise mit dem Global Compact für multinationale Unternehmen produziert. Denn der Zielstaat hat über seine UN-Mitgliedschaft der Initiative und den Standards zugestimmt, so dass eine zumindest indirekte staatliche Billigung der verlangten Standards vorhanden ist. Dies gilt aber natürlich nur insoweit, wie sich die in Verhaltenskodizes „kodifizierten“ Standards mit den Zielen im Vergabeverfahren decken. b) Verfahrensbezogene Aspekte Das Berufungsgremium hat des weiteren im chapeau die Prüfung verortet, ob die nationale Regelung in verfahrensbezogener Hinsicht angemessen erscheint433. Hierfür stellte es darauf ab, ob den betroffenen Staaten Gehör eingeräumt worden war und ob Anfechtungsmöglichkeiten bestanden. McCrudden hebt hervor, dass es im Rahmen des GPA vor allem um Transparenzanforderungen gehe; Bieter müssten wissen, was von ihnen erwartet wird und was sie tun müssen, wenn sie sich unfair behandelt fühlen434. In den chapeau zusätzliche, über die bereits sehr weitgehenden Transparenzvorschriften des GPA hinausgehende Anforderungen hineinzulesen, erscheint allerdings problematisch. Das GPA sieht ja bereits vor, dass alle Anforderungen an die Bieter in der Bekanntmachung zu veröffentlichen sind. Es enthält in Art. XX GPA auch detaillierte Vorschriften über ein Widerspruchsverfahren, das die Mitglieder des GPA einzurichten haben. Wenn das Abkommen damit die geforderten Aspekte bereits berücksichtigt und ausführlich darlegt, erscheint es kaum möglich, in den chapeau noch weitergehende Anforderungen an nationale Regelungen zu stellen. Dies würde wohl als nach Art. 3 Abs. 2 S. 3 DSU verbotene Ergänzung der Pflichten der Mitglieder angesehen werden müssen. Anders als beispielsweise im GATT, das keine gemeinsamen Vorschriften im Hinblick auf nationale Verfahren vorsieht, dürfte der Gesichtspunkt des „due process“ für den chapeau des GPA aus diesen Gründen keine größere Bedeutung besitzen. Damit dürften sich auch für politische Auftragsvergabe aus diesem Kriterium keine weiteren Anforderungen ergeben.
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Hierzu Hansen, Virginia Journal of Int. Law 1999, S. 1017, 1058 ff. McCrudden, GPA and Social Issues, S. 38.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
c) Asymmetrischer Unilateralismus Der dritte wichtige Aspekt, der sich in der Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane herausgeschält hat, ist die Obliegenheit, die Mitglieder im Hinblick auf multilaterale Kooperationsbemühungen gleich zu behandeln. Das Berufungsgremium hatte im Garnelenfall eine Diskriminierung darin gesehen, dass die USA mit einigen Staaten die Umweltschutzproblematik im Wege multilateraler Bemühungen gelöst hatten, gegenüber anderen Staaten hingegen ohne Umschweife zu unilateralen Maßnahmen gegriffen hatten. Howse vertritt die Auffassung, durch die – undeutlich formulierte – Entscheidung des Berufungsgremiums sei keine allgemeine Verpflichtung der Mitglieder zu multilateralen Maßnahmen vor der Ergreifung unilateraler Maßnahmen etabliert worden435; in der Tat wandte sich das Gremium wohl lediglich gegen den hier als asymmetrisch bezeichneten Unilateralismus der USA. Dennoch ist das von den Streitbeilegungsorganen aufgestellte Erfordernis bedeutsam: soweit mit einigen Mitgliedern des Abkommens multilaterale Verhandlungen geführt wurden, muss dies im Hinblick auf denselben Sachgegenstand auch mit anderen Mitgliedern geschehen. Dieses Erfordernis dürfte allerdings kaum die Akzeptanz des GPA in der Praxis fördern: nationale Vergabestellen müssen, bevor sie Maßnahmen ergreifen, die auf ein „Fehlverhalten“ im Ausland Bezug nehmen, prüfen, ob im Hinblick auf die betroffene Materie bi- oder multilaterale Abkommen existieren oder auch nur entsprechende Versuche in dieser Richtung unternommen wurden. Damit dürften die Vergabestellen häufig überfordert sein. Als Beispiel mag hier die vergaberechtliche Komponente des Iran-Libya Sanctions Act dienen: Vergabestellen müssten vor Anwendung der vergaberechtlichen Bestimmungen des Gesetzes die Prüfung vornehmen, ob die US-Regierung mit anderen Staaten, denen sie Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen oder Unterstützung des Terrorismus vorwerfen, vor der Ergreifung entsprechender Sanktionen bi- oder multilaterale Verhandlungen durchgeführt hat. Dass Vergabestellen eine solche Untersuchung im Zuge eines Vergabeverfahrens vornehmen, erscheint nicht eben realistisch.
2. Verbot der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels In der Spruchpraxis der Streitbeilegungsorgane wurde das Potential des Kriteriums des „Verbots der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels“ bislang nicht ausgeschöpft. Bis heute hat das Merkmal keine klaren Konturen erhalten436. In den zu Art. XX GATT ergangenen Berichten stellten die Streitbeile435 Howse, Columbia Journal of Env. Law 2002, S. 507; diese Obliegenheit wäre im Übrigen im Rahmen der Notwendigkeitsprüfung zu berücksichtigen; für eine Diskussion siehe auch Cone, JWT 1999, S. 51 – 61. 436 Vgl. bereits die Kritik von Howse, Journal of Small and Emerging Bus. Law, 1999, S. 145.
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gungsorgane vor allem auf Gesichtspunkte der Transparenz ab. So lehnte das Panel im Thunfisch-Fall eine verschleierte Beschränkung mit der Begründung ab, die Maßnahme der USA sei als Handelsmaßnahme erlassen und öffentlich verkündet worden437. In einem anderen Fall hob das Panel ebenfalls den Umstand hervor, dass die amerikanische Maßnahme im Federal Register verkündet worden war, und lehnte deshalb eine verschleierte Beschränkung ab438. Das Abstellen auf Gesichtspunkte der Transparenz erscheint kaum überzeugend, denn die Streitbeilegungsorgane berücksichtigen diese ja bereits im Rahmen der Prüfung der „ungerechtfertigten oder willkürlichen Diskriminierung“. Im GPA ist die Prüfung von Transparenzgesichtspunkten im Rahmen des chapeau, wie oben ausgeführt, weitgehend überflüssig, denn die Transparenzvorschriften des Abkommens sind bereits sehr umfangreich. Immerhin scheint der Asbestfall eine Wende in der Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane anzudeuten. Dort erwog das Panel, dem Merkmal der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels eine stärkere Beachtung zu schenken: es führte aus, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands formal erfüllt seien, die Rechtfertigung scheitern könne, wenn die Maßnahme in Wahrheit auf versteckte Weise handelshemmende Ziele verfolge; dann stelle die Berufung auf den Ausnahmetatbestand einen Missbrauch dar, den der chapeau verhindern wolle439. Das Panel stellte fest, dass die protektionistische Motivation einer Maßnahme zu einem Verstoß gegen das Verbot der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen würde440. Das Verbot der verschleierten Beschränkung könnte auf diese Weise ein weiteres wichtiges Prüfungskriterium werden, das nationale Maßnahmen passieren müssen. Maßnahmen dürfen nicht in versteckter Form die heimische Produktion schützen. Das Kriterium der verschleierten Beschränkung würde auf diese Weise zu einem „Protektionismustest“, der eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Ausnahmevorschriften verhindert. Das ist gerechtfertigt, wie im ersten Teil der Arbeit bereits dargelegt wurde: die Untersuchung der Maßnahme auf ihren schützenden Charakter hin ist dem Wortlaut nach am stärksten mit dem Kriterium der verschleierten Beschränkung verbunden und kann daher wohl nicht auf der Tatbestandsseite stattfinden441. Führt der protektionistische Charakter einer Maßnahme auf Tatbestands437 Bericht des Panels zu „United States – Restrictions on Import of Tuna and Tuna Products from Canada“, GATT BISD 29S / 91, S. 108. 438 Bericht des Panels zu „United States – Imports of Certain Automotive Spring Assemblies“, GATT BISD 30S / 107, S. 125. 439 Bericht des Panels zu „European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products“, WT / DS135 / R, Ziff. 8.236. 440 Bericht des Panels zu „European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products“, WT / DS135 / R, Ziff. 8.236. 441 Duvigneau spricht insoweit von einer „antiprotektionistischen Aufladung“ der Tatbestandsmerkmale des Art. III GATT, vgl. Duvigneau, Marktregulation unter dem WTO / GATT-Recht, Manuskript, S. 61.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
seite dazu, dass sie den Verbotstatbestand erfüllt, führt die Berücksichtigung dieses Merkmals auf der Rechtfertigungsebene dazu, dass die Maßnahme gegebenenfalls nicht gerechtfertigt werden kann. Das Verbot der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels ergänzt somit als Protektionismusverbot die im Rahmen der Notwendigkeitsprüfung und des chapeau stattfindende „modifizierte“ Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nun ist es außerordentlich schwierig zu bestimmen, wann eine Maßnahme protektionistisch ist. Das Problem fängt bereits bei der Begriffsdefinition an. Protektionismus wird meist definiert als das staatliche Bestreben, einheimischen Unternehmen durch oder aufgrund regulatorische(r) Maßnahmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ausländischen Unternehmen zu sichern442. Doch wann liegt eine solche Situation vor? Müssen ausländische Produkte strenge innerstaatliche Umweltschutzvorschriften erfüllen, führt dies zu einem Wettbewerbsvorteil inländischer Unternehmen, da die Kostenbelastung für ausländische Unternehmen, die ihre Produktion dem inländischen Markt anpassen müssen, höher sein wird. Ebenso stellen niedrige soziale Standards einen Wettbewerbsvorteil ausländischer Unternehmen dar, denen gegenüber jedes „höhere“ soziale Erfordernis, das mit dem Import oder mit der Vergabe von Aufträgen verknüpft wird, einen Wettbewerbsvorteil für inländische Unternehmen schafft. Dennoch kann man derartige Maßnahmen nicht einfach als das Werk von Interessengruppen abtun und sie pauschal als protektionistisch – und damit hier als unzulässig – bezeichnen, wie dies häufig getan wird443. Jedes Gesetz erfüllt die Interessen einiger Gruppen der Gesellschaft in besonderem Maße; das ändert nichts daran, dass die mit ihm verfolgten Zwecke legitim sein können und die Berufung auf den Ausnahmetatbestand des WTO-Rechts keinesfalls als einen Rechtsmissbrauch erscheinen lässt. Auf die „protektionistische“ Intention des Gesetzgebers bzw. der Exekutive abzustellen, wie dies teilweise in der WTO-Rechtsprechung getan wurde, führt ebenfalls nicht viel weiter444. Denn zum einen wird diese insbesondere in den genannten Fällen allenfalls teilweise darauf gerichtet sein, inländischen Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen, so dass sich die kaum zu beantwortende Frage stellt, wie stark die protektionistischen Motive im Verhältnis zu den anderen sein müssen. Viele Maßnahmen werden auch schlicht ambivalent sein: sie verfolgen in bester 442 In diesem Sinne Sykes, Chicago Law Review 1999, S. 3; ihm folgend Bender, ZaöRV 2003, S. 1032. 443 So werden beispielsweise Umweltvorschriften häufig mit dem Makel des Protektionismus belegt und als Werk von Industrieverbänden dargestellt, die sich abschotten wollten. Das mag im Einzelfall zutreffen, ist aber dennoch zu einseitig, weil es den Wert der Realisierung umweltschutzbezogener Zwecke nicht berücksichtigt; ob Umweltschutz im Ergebnis das Werk von Industrieverbänden oder verantwortungsbewussten Politikern ist, ist unerheblich. Zudem können umgekehrt auch marktöffnende Gesetze als das Werk von homogenen Interessenverbänden angesehen und – wegen ihrer negativen Folgen für andere Politikziele – kritisiert werden. Die pauschale Bezeichnung von nationalen Regelungen als „protektionistisch“ ist nur ein anderes Beispiel für einen weit verbreiteten „trade-bias“. 444 Zum Aims-and-Affects Test vgl. bereits oben § 3 B.I.
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Absicht nationale politische Zielsetzungen und wirken gleichzeitig als Handelsbarriere. Zum anderen ist es einer judikativen Instanz, zumal einer internationalen, praktisch unmöglich, die Intentionen, die mit einer Maßnahme bei ihrer Schaffung bzw. Durchführung verfolgt wurden, zu klären. Das hat auch das Berufungsgremium im Asbest-Fall anerkannt und eine Untersuchung von hinter nationalen Maßnahmen stehenden Intentionen als wenig aussichtsreich angesehen445. Ein „Protektionismustest“ sollte daher nach objektiven Gesichtspunkten erfolgen und sich auf einen engen Protektionismusbegriff stützen. Eine verschleierte Beschränkung sollte daher angenommen werden, wenn im Rahmen einer Gesamtschau der von der Maßnahme verfolgte konkrete Zweck auf nationaler Ebene so inkonsequent verfolgt wird, dass der mit der Maßnahme verbundene Wettbewerbsvorteil für die nationale Produktion deutlich im Vordergrund steht. Nicht der Wettbewerbsvorteil, sondern der Schutzzweck steht hingegen im Vordergrund, wenn die konkrete Maßnahme nur eine Variante einer auch mit Hilfe anderer staatlicher Instrumente verfolgten Zielsetzung ist. So wäre es eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels, wenn bei Aufträgen, bei denen die Konkurrenz ausländischer Bieter besonders groß ist, ein politischer Zweck verfolgt wird, der deutlich zu einem (faktischen) Ausschluss ausländischer Bieter führt, dieser Zweck im innerstaatlichen Recht ansonsten aber kaum verfolgt wird. Zu fragen ist also, ob die Regelung gerade darauf angelegt ist, ausländische Produkte oder Unternehmer auszuschließen, in welcher Form dies geschieht oder ob es bei dem vermeintlichen Vorteil für inländische Unternehmer vielleicht nur um den Ausgleich eines Nachteils geht446. Dabei obliegt dem Mitglied, das sich auf den Ausnahmetatbestand beruft, die Darlegungslast. Eine derart definierte Prüfung des Verbots der verschleierten Beschränkung weist teilweise Parallelen zu den Voraussetzungen der Generalklauseln, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf. Das ist konsequent. Im Rahmen des Ausnahmetatbestands der (nationalen) öffentlichen Ordnung muss das Mitglied nachweisen, dass dem Schutzziel die besonders hohe Bedeutung zukommt, die eine Subsumtion unter den Ausnahmetatbestand rechtfertigt. Eine Möglichkeit, die sich dem Mitglied hierfür bietet, ist der Nachweis, dass sich das verfolgte Schutzziel im nationalen Recht in stark ausgeprägter Form wiederfindet. Dasselbe gilt natürlich auch für die Prüfung, ob die Maßnahme eine verschleierte Beschränkung darstellt. Denn wenn das mit der Maßnahme verfolgte Ziel Ausdruck grundlegender Werte des Mitglieds und entsprechend tief in der nationalen Rechtsordnung verankert ist, besteht auch nur wenig Raum für die Annahme einer protektionistischen Regelung. Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Prüfung der verschleierten Beschränkung indirekt auch mit einer Prüfung des Gewichts des mit einer nationalen 445 Bericht des Berufungsgremiums zu „European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos Containing Products“, WT / DS135 / R, Abs. 8.236. 446 Dass der Ausgleich eines Nachteils nicht als Wettbewerbsvorteil angesehen werden kann, betont Bender, ZaöR, 2003, S. 1032.
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Maßnahme verfolgten Schutzziels in der nationalen Rechtsordnung verbunden ist. Das bedeutet aber nicht, dass hier eine Angemessenheitsprüfung stattfindet, zu der den Streitbeilegungsorganen nach den Ausführungen des ersten Teils die Autorität fehlt447. Hier handelt es sich nicht um eine Abwägung von Rechtsgütern, sondern um eine Untersuchung, wie konsequent und mit welchen Auswirkungen für den internationalen Handel die Zielsetzung der Maßnahme in der nationalen Rechtsordnung verfolgt wird. Es ist also in der Hand des Mitglieds, ob die Maßnahme den Test der verschleierten Beschränkung passiert, nicht das Ergebnis einer Güterabwägung der Streitbeilegungsorgane. Ob politische Auftragsvergabe als protektionistisch einzustufen ist, bedarf danach einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall. Generelle Aussagen lassen sich nur schwer treffen, da ein wichtiges Kriterium ist, wie stark ausländische Unternehmen von der vergaberechtlichen Maßnahme und möglichen anderen nationalen Maßnahmen mit derselben Zielrichtung betroffen sind. Dies gilt insbesondere für umweltschützende und arbeitnehmerschützende Maßnahmen. Strukturpolitische Maßnahmen wie zum Beispiel die Regionalförderung sind weitgehend bereits oben für unzulässig angesehen worden, weil sie sich meist nicht unter den Katalog der Ausnahmetatbestände subsumieren lassen. Sie würden auch am Protektionismustest scheitern, da insbesondere Regionalförderung in jeder Form zu Lasten ausländischer Bieter und Produkte gehen wird. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass es sich im Fall der Regionalförderung nicht um eine „verschleierte“ Beschränkung des internationalen Handels, sondern vielmehr um eine „offene“ Beschränkung handele. Denn natürlich müssen sich derartige Maßnahmen – so für sie überhaupt ein Ausnahmetatbestand in Betracht kommt – im Rahmen des chapeau erst recht einer Protektionismusprüfung stellen. Das Myanmar-Gesetz und auch das amerikanische Sanktionsgesetz gegen Iran und Libyen dürften beispielsweise keine verschleierten Beschränkungen des internationalen Handels darstellen. Beide sind Teil eines umfangreichen Maßnahmenpaketes auf nationaler Ebene, dass die anvisierten Sanktionszwecke erfüllen soll. Dazu gehören auch Vorschriften, die – wie solche über die (Nicht)Gewährung von Einreisevisa oder das Verbot von Investitionen durch amerikanische Unternehmen – gar keine Auswirkungen auf den internationalen Handel haben448. Als protektionistisch kann man beide Regelungen daher wohl nicht bezeichnen. Gleiches gilt für die Scientology-Erklärung, die in einer Reihe von Regelungen und Maßnahmen steht, die der Gefahr begegnen sollen, die nach Meinung des 447 Simmons sieht dagegen im Verbot der verschleierten Beschränkung des internationalen Handels ein Merkmal zur Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme; siehe Simmons, Columbia Journal of Environmental Law 1999, S. 449. 448 So existiert beispielsweise auf Bundesebene ein Gesetz, das jede Unterstützung der Regierung Myanmars untersagt; Vgl. Federal Burma Sanctions Law, Omnibus Consolidated Appropriations Act, Pub. L. No. 104 – 208, § 570, 110 Stat. 3009 – 166. Hierzu Büsing, DAJV Newsletter, 2 / 01, S. 74.
§ 5 Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen
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deutschen Staates von der Organisation ausgeht. Auch diese Maßnahmen stehen zum Teil mit dem Handel in keinster Verbindung, was ein starkes Indiz dafür ist, dass die vergaberechtliche Variante keine verschleierte Beschränkung darstellt.
§ 5 Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen durch politische Auftragsvergabe Eine Besonderheit des WTO-Rechts ist die Existenz eines Streitbeilegungsverfahrens auch für Fälle, in denen gar kein Rechtsverstoß durch ein anderes Mitglied behauptet wird. Ausreichend für ein Verfahren ist, dass durch ein Abkommen gewährte Vorteile geschmälert oder zunichte gemacht werden. Dieses Verfahren – die sog. Nichtverletzungsbeschwerde („non-violation complaint“) – geht auf das GATT 1947 zurück, das in Art. XXIII GATT einen Rechtsbehelf für den Fall der Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen durch einen Vertragspartner vorsah. Hintergrund war der Umstand, dass zahlreiche nichttarifäre Handelshemmnisse nicht Gegenstand internationaler Regulierung waren; Nichtverletzungsverfahren sollten die Möglichkeit verringern, dass diese Handelshemmnisse benutzt würden, um die im Rahmen des GATT verhandelten Zollsenkungen zu unterlaufen und dadurch die verbesserten Wettbewerbsbedingungen für ausländische Produkte wieder zu beseitigen449. Das Konzept des Nichtverletzungsverfahrens wurde in das WTO-Recht übernommen und findet sich auch im plurilateralen GPA in Art. XXII Abs. 2 GPA450. Danach müssen folgende – wenig konkreten – Voraussetzungen erfüllt sein: Eine staatliche Maßnahme muss einen Vorteil, der einem Mitglied aus einem Zugeständnis nach dem GPA erwächst, kausal zunichte machen oder schmälern451. Konsequenz einer erfolgreichen Nichtverletzungsbeschwerde ist nicht die Verpflichtung, die angegriffene Maßnahme zurückzunehmen, sondern eine beiderseits zufriedenstellende Anpassung zu finden. Nichtverletzungsverfahren sind bislang selten gewesen. Sowohl die Streitbeilegungsorgane als auch Mitglieder wie USA und EU haben betont, dass es sich um ein Verfahren für Ausnahmefälle handele452. Die weit formulierten Voraussetzungen täuschen also über die praktische Bedeutung. In der Geschichte von GATT und WTO hat es bislang auch nur einen Fall gegeben, in dem ein Nichtverletzungs449 Vgl. Trebilcock / Howse, Regulation of International Trade, S. 79; ausführlich von Bogdandy, JWT 1992, S. 95; Cho, Harv. Int. Law Journal 1998, S. 311. 450 Dies wurde inzwischen von einem GPA-Panel bestätigt, siehe „Korea – Measures Affecting Government Procurement“, WT / DS / 193R, Ziff. 7.85 und Ziff. 7.97. 451 Hierzu grundlegend der Panelbericht zu „Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper“, WT / DS44 / R. 452 Bericht des Panels zu „Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper“, WT / DS44 / R (22. April 1998), Abs. 10.36.
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2. Teil: Politische Auftragsvergabe in GPA-Mitgliedstaaten
verfahren mit Erfolg durchgeführt wurde453. Das hat an sich seinen guten Grund: in einem komplexen Vertragsgeflecht wie dem WTO-Recht hat Priorität, ob die zahlreichen Verpflichtungen eingehalten werden. Ist dies nicht der Fall, so wird das Gleichgewicht der gegenseitigen Verpflichtungen durch die Verpflichtung zur Entschädigung bzw. das Recht zur Aussetzung von Zugeständnissen wiederhergestellt454. Nur im Ausnahmefall werden Mitglieder eines Abkomens akzeptieren, dass sie auch wegen solcher Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen werden, die nicht gegen die von ihnen ausgehandelten Verpflichtungen verstoßen. Dennoch erfüllen Nichtverletzungsverfahren eine wichtige Funktion der WTO, nämlich einen Beitrag zur multilateralen Lösung von Konflikten im Bereich des Handels, selbst wenn eben eine Verletzung des WTO-Rechts nicht vorliegt. Mit Bezug auf politische Auftragsvergabe wären Nichtverletzungsbeschwerden durchaus denkbar. Wie aus den vorangegangenen Abschnitten der Arbeit deutlich geworden ist, ist die Verfolgung politischer Zwecke im Vergabeverfahren doch in weitem Umfang zulässig, solange die Verfahrensvorschriften eingehalten werden. Politische Auftragsvergabe macht aber die Zugeständnisse, die die jeweiligen Mitglieder im Hinblick auf die Öffnung ihrer Beschaffungsmärkte gemacht haben, zunichte. Unternehmen aus Mitgliedstaaten werden von der politischen Zweckverfolgung nicht selten in einer Weise betroffen sein, die eine erfolgreiche Bewerbung um den Auftrag wenig aussichtsreich macht. Im Sinne der bisherigen Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane werden also die Wettbewerbsbedingungen für ausländische Unternehmen, die durch die Marktöffnungszugeständnisse verbessert werden sollten und die sich in einem Gleichgewicht befinden, durch politische Auftragsvergabe im Einzelfall wieder deutlich verschlechtert. Nun könnte man einwenden, dass das Abkommen die Möglichkeit politischer Auftragsvergabe ja einbezieht – immerhin lassen darauf die Art. VIII und Art. XIII GPA schließen – und deswegen diese Verschlechterung der Wettbewerbssituation vom GPA einkalkuliert sei. Weiter könnte man argumentieren, dass in diesem Fall eine Zunichtemachung von Vorteilen aus dem GPA im Sinne von Art. XXII Abs. 2 GPA nicht vorliegt. Das Berufungsgremium hat aber im Asbest-Fall klargestellt, dass eine Maßnahme, die grundsätzlich von einem WTO-Abkommen erfasst wird, eine Nichtverletzungsbeschwerde nach dem gleichen Abkommen nicht ausschließt – und das selbst in dem Fall, in dem die Verletzungsbeschwerde nur daran scheitert, dass eine Ausnahmevorschrift einschlägig ist455. Das Potential von Nichtverletzungsbeschwerden ist bislang unterschätzt worden. Zwar ist richtig, dass diese Beschwerden in gewissem Sinne der Logik völkerrecht453 Vgl. Bericht des Panels zu „European Communities – Payments and Subsidies Paid to Processors and Producers of Oilseeds and Related Animal-Feed Proteins“; BISD 37 / 86; hierzu ausführlich Jackson / Davey / Sykes, International Economic Relations, S. 287 ff. 454 Vgl. Art. 21 und 22 DSU. 455 Bericht des Berufungsgremiums, „European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos Containing Products“, WT / DS135 / AB / R.
§ 5 Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen
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licher Verträge zuwiderlaufen. Dennoch könnte dieser Rechtsbehelf stärker als bisher für Fälle fruchtbar gemacht werden, die die Streitbeilegungsorgane im Rahmen von Verletzungsbeschwerden überfordern würden. Nichtverletzungsbeschwerden könnten quasi ein Ventil darstellen, um besonders sensible oder von vornherein „unlösbare“ Fälle zu behandeln456. Fälle politischer Auftragsvergabe, die zwar zulässig, aber für den Handelspartner nicht akzeptabel sind, könnten daher als Nichtverletzungsbeschwerde vor der WTO behandelt werden. Zu denken ist dabei insbesondere an solche Fälle, die die nationale oder öffentliche Sicherheit berühren. Hier müssen die Streitbeilegungsorgane, wie oben gezeigt, besondere Rücksicht auf die nationale Regelungsautonomie nehmen. Auf diese Weise würde die WTO Maßnahmen politischer Zweckverfolgung nicht einfach nur für zulässig erklären, sondern würde auf einer anderen Ebene mit dem Fall befasst bleiben. Diese – stärker verhandlungs- als regelorientierte – Ebene bietet erstens den wichtigen Vorteil, dass der Handelskonflikt im Rahmen einer Institution ausgetragen wird und dadurch kanalisiert wird; die Gefahr von „spill-over-Effekten“, also von Ausweitungen handelspolitischer Konflikte auf ernsthafte außenpolitische Konflikte, kann auf diese Weise verringert werden457. Zweitens bietet das Nichtverletzungsverfahren für die WTO den Vorteil, dass sie einen Verlust an Glaubwürdigkeit vermeidet, den sie erleiden würde, wenn sie im Rahmen der Verletzungsbeschwerde „Urteile“ sprechen würde, die nicht befolgt werden. Drittens würde auf diese Weise den Bestrebungen vorgebeugt, das WTOStreitbeilegungssystem in seiner Regelorientiertheit „zurückzufahren“, indem bereits Verletzungsbeschwerden stärker verhandlungsorientiert gelöst werden. Würden Nichtverletzungsbeschwerden zumindest einen Teil der Fälle auffangen, mit denen das Streitbeilegungssystem ansonsten überfordert ist, so entfiele jede Notwendigkeit, das Streitbeilegungssystem durch eine Änderung des DSU zu schwächen.
456 Eine noch stärkere Rolle weist Nettesheim der Nichtverletzungsbeschwerde zu: „The dispute settlement bodies must accept the essential importance of the concept of nullification or impairment“, vgl. Nettesheim, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico 2003, S. 725. 457 Insofern bieten sich Nichtverletzungsbeschwerden auch als Alternative für die zunehmenden transatlantischen handelspolitischen Konfrontationen an; vgl. hierzu ausführlich Petersmann, Transatlantic Trade Conflicts; Decker, Handelskonflikte der USA mit der EU.
14 Gaedtke
3. Teil
Initiativen zur Reform des öffentlichen Beschaffungswesens Die im vorangegangenen Teil vorgenommene Untersuchung hat gezeigt, dass sich nicht alle Vorschriften des Abkommens so auslegen lassen, dass sie zufriedenstellende Ergebnisse liefern. Der Wortlaut der Vorschriften stellte in mehreren Fällen ein Hindernis dar, das wegen der durch Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU gezogenen Grenzen nicht zu überwinden war. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich einige Vorschläge für die Reform- und Kodifizierungsdiskussion, die zur Zeit über das öffentliche Beschaffungswesen stattfindet. Gegenwärtig finden drei Initiativen statt, die das primäre Ziel verfolgen, das öffentliche Beschaffungswesen im Rahmen der WTO zu multilateralisieren. Durch die gescheiterte Ministerkonferenz von Cancún Ende 2003 haben diese Initiativen, die teilweise zu den in Cancún behandelten „Singapore-Issues“ gehören, einen herben Rückschlag erlitten. Die bereits seit einigen Jahren laufenden Arbeiten werden sich dadurch aller Voraussicht nach weiter verzögern; mit einem Scheitern muss allerdings wohl nicht gerechnet werden1. Die erste Initiative betrifft die Revision des GPA, die durch eine Beseitigung der Schwächen des Abkommens das Regelwerk attraktiver für einen Beitritt weiterer Staaten machen soll. Die zweite Initiative zielt auf den Abschluss eines multilateralen Abkommens über Transparenz im Vergabewesen. Es verfolgt den Zweck, als „Minus“ zum GPA den WTO-Mitgliedern – insbesondere Entwicklungsländern, die sich bislang nicht zu einem Beitritt zum GPA entschließen konnten – einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem liberalisierten Beschaffungswesen zu ermöglichen. Die dritte Initiative schließlich findet im Bereich des GATS statt, in dessen Rahmen eine multilaterale Übereinkunft über die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungsaufträge gefunden werden soll2.
1 Sowohl Industrieländer als auch Entwicklungsländer haben ihr Interesse bekundet, die Verhandlungen wieder aufzunehmen; vgl. Süddeutsche Zeitung, Europa will Welthandelsrunde beleben, 23. April 2004, S. 21. 2 Ausführlich hierzu Arrowsmith, JIEL 2002, 761; Arrowsmith, Government Procurement, S. 414; S. Gaedtke, Aussenwirtschaft 2003, S. 327.
§ 1 Die Revision des GPA
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§ 1 Die Revision des GPA Der Sinn der Überarbeitungsbemühungen des GPA liegt vor allem darin, das Abkommen praxistauglicher zu machen und (dadurch) die Voraussetzungen für die Multilateralisierung des Abkommens zu schaffen. Der Ausschuss für das öffentliche Beschaffungswesen hat sich drei Ziele gesetzt, die auf dem Revisionsmandat aus Art. XXIV Abs. 7 (b) und Abs. 8 GPA beruhen3. Erstens gehört dazu die Vereinfachung und Verbesserung des GPA, einschließlich einer Berücksichtigung der Fortschritte im Bereich der Informationstechnologie, zweitens die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Abkommens, und drittens die Beseitigung von diskriminierenden Regelungen, die nach dem Abkommen in seiner bisherigen Form geblieben waren4. Eine Änderung des GPA im Hinblick auf eine sinnvolle Behandlung des Problems der politischen Auftragsvergabe trägt jedenfalls zur Verbesserung des Abkommens bei und gehört damit zu den Zielen, mit denen sich der Ausschuss zu beschäftigen hat. Teilweise wird erwogen, in das GPA eine Regelung zu übernehmen, die die Verfolgung von politischen Zwecken im Vergabeverfahren ausdrücklich für zulässig erklärt. Angesichts der unklaren und widersprüchlichen Regelungen in Art. VIII und Art. XIII GPA und des sonstigen Schweigens des GPA in dieser Frage erscheint eine solche Klarstellung nicht abwegig. Dennoch sollte von der Aufnahme einer solchen Regelung in das GPA Abstand genommen werden. Denn dadurch würde das Diskriminierungsverbot unterlaufen, zahlreiche Fälle politischer Auftragsvergabe stellen ja mittelbare Diskriminierungen dar und sind damit gegebenenfalls nach Art. III GPA unzulässig. Sie können nur gerechtfertigt werden, wenn sich die mit ihr verbundenen Maßnahmen als notwendig darstellen und den Anforderungen des chapeau standhalten. Auf die Überprüfung politischer Auftragsvergabe auf ihre möglichst handelsfreundliche Ausgestaltung sollte nicht leichtfertig verzichtet werden, indem politische Auftragsvergabe schon auf der Tatbestandsseite für allgemein zulässig erklärt wird. Andernfalls würde der WTO weitgehend die Möglichkeit genommen, das – gerade durch bieterbezogene Maßnahmen hervorgerufene – Spannungspotential politischer Auftragsvergabe im Einzelfall zu entschärfen und damit ihrer Koordinierungsfunktion wirksam nachzukommen. Auch die von politischer Auftragsvergabe nachteilig betroffenen Unternehmen bzw. ihre Herkunftsländer haben legitime Interessen, die auf diese Weise im Einzelfall keine Berücksichtigung mehr finden könnten. Zudem kann eine nicht ausdrücklich geklärte Rechtsfrage in einem Abkommen durchaus eine disziplinierende Wirkung haben, die im Hinblick auf die Verfolgung 3 Siehe hierzu WTO, Annual Report on Government Procurement, Committee on Government Procurement, Doc. No. GPA / 8 (17. Oktober 1996), Ziff. 22; WTO, Annual Report on Government Procurement, Committee on Government Procurement, Doc. No. GPA / 58 (11. Oktober 2001), Ziff. 23. 4 WTO, Annual Report on Government Procurement, Committee on Government Procurement, Doc. No. GPA / 58 (11.Oktober 2001), Ziff. 23.
14*
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3. Teil: Initiativen zur Reform des öffentlichen Beschaffungswesens
von politischen Zwecken nicht unerwünscht ist5. Mitgliedstaaten werden das Instrument tendenziell vorsichtiger und maßvoll einsetzen, wenn sie mit einer Überprüfung der Maßnahmen durch die WTO rechnen müssen. Eine ausdrückliche Klarstellung der Zulässigkeit von politischer Auftragsvergabe sollte daher nicht erfolgen.
A. Änderung der gemeinsamen Verfahrensvorschriften Erwogen werden sollte aber eine Änderung der gemeinsamen Verfahrensvorschriften. Dies wurde oben bereits angedeutet6. Es ist nicht einsehbar, warum eine Verfolgung von politischen Zwecken lediglich im Rahmen von Vertragsklauseln möglich sein soll. Wenn die politischen Zwecke ausreichend publik gemacht werden, besteht kein Grund, sie nicht auch anderweitig zuzulassen. Der Wortlaut der entsprechenden Vorschriften des GPA ließ sich aber nicht anders als im Sinne einer Unzulässigkeit anderweitiger Vorgehensweisen interpretieren. Hier besteht also Handlungsbedarf. Der Wortlaut von Art. VIII b) S. 1 GPA und Art. XIII Abs. 4 b) GPA sollte geändert werden. Die Formulierung in Art. VIII b) S. 1 GPA – „Befähigung des Unternehmens zur Durchführung des betreffenden Auftrags“ – könnte gestrichen werden. Der Wortlaut in Art. XIII Abs. 4 b) GPA könnte dahingehend geändert werden, dass der Zuschlag dem Bieter erteilt wird, „von dem feststeht, dass er in der Lage ist, die Bedingungen der Vergabestelle zu erfüllen, ( . . . )“. Auf diese Weise würde politische Auftragsvergabe auf allen Stufen des Vergabeverfahrens ermöglicht. Das wäre wohl besonders für deutsche Vergabestellen von Bedeutung, denn im Gegensatz zum amerikanischen (und auch englischen) Vergabewesen scheinen politische Zwecke in Deutschland häufig nicht in den Vertragstext aufgenommen zu werden7. Gleichzeitig könnte in die Vorschriften über die Bekanntmachung und die Vergabeunterlagen ein Absatz eingefügt werden, der die Angabe von Sekundärzwecken explizit verpflichtend macht; bislang folgt diese ja lediglich aus dem offenen Wortlaut von Art. XII j) GPA. Damit würde dem Anliegen der Transparenz Rechnung getragen.
5 Zur optimalen Bestimmtheit von WTO-Normen siehe Trachtman, Harv. Int. Law Journal, S. 350 ff. 6 2. Teil, § 3 A.I.4. 7 Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 97; Schäfer weist darauf hin, dass eine solche Kategorie im deutschen Recht zum Teil gar geleugnet wird, Schäfer, Öffentliche Belange, S. 245; Kling, Vergabefremde Regelungen, S. 145.
§ 1 Die Revision des GPA
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B. Änderung des Art. XXIII Abs. 2 GPA Sinnvoll wäre des weiteren eine Änderung des Art. XXIII Abs. 2 GPA im Sinne der Öffnung eines größtmöglichen Spielraums für die Mitglieder des GPA hinsichtlich der Wahl der Ziele, die sie mit dem Vergabewesen verfolgen wollen8. Dass dies der angemessene Umgang mit der Frage der politischen Auftragsvergabe wäre, wurde in den beiden vorangegangenen Teilen dieser Arbeit mehrfach betont. Klarzustellen ist, dass dadurch nicht einer rechtspolitischen Überzeugung Rechnung getragen würde, dass das öffentliche Beschaffungswesen das richtige Instrument zur Verfolgung politischer Zwecke ist9. Vielmehr würde eine solche Änderung lediglich der rechtspolitischen Überzeugung Rechnung tragen, dass es nicht Sache der WTO ist, diese Entscheidung für die Mitglieder zu treffen bzw. festzulegen, welche Zwecke mit dem Auftragswesen verfolgt werden können. Eine Möglichkeit zur Reform des Art. XXIII Abs. 2 GPA ist, die verschiedenen Ausnahmetatbestände ganz zu streichen und stattdessen eine Formulierung zu wählen, die die Zielverfolgung in das Ermessen der Mitglieder stellt. Politische Auftragsvergabe müßte dann „lediglich“ notwendig sein und den Anforderungen des chapeau genügen. Eine Alternative besteht darin, die Ausnahmetatbestände durch das Einfügen des Passus‘ „unter anderem“ zu erweitern. Das GPA dürfte dann „nicht so ausgelegt werden, dass (es) eine Vertragspartei daran hindert, notwendige Maßnahmen u. a. zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, zum Schutz des geistigen Eigentums oder in Bezug auf von Behinderten, Wohltätigkeitseinrichtungen oder Strafgefangenen hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen zu beschließen oder durchzuführen“. Diese Formulierung würde der in Art. 2 Abs. 2 S. 3 TBT entsprechen, die zutreffend so interpretiert wird, dass die verfolgbaren nationalen Ziele nicht begrenzt sind10. Die zweite Möglichkeit erscheint am sinnvollsten. Zum einen stellt sie die geringere Änderung des Art. XXIII Abs. 2 GPA dar und dürfte daher größere Aussicht auf Umsetzung besitzen. Auch würde die Struktur der Ausnahmetatbestände des WTO-Rechts in dieser Variante beibehalten; es würde lediglich eine Vorschrift des GPA im Sinne einer Vorschrift des TBT umgestaltet. Zum anderen würde der Ausnahmetatbestand auf diese Weise offener gestaltet: sollten die Argumente, die gegen eine Bewertung nationaler Politikziele durch die WTO sprechen, eines Tages wegfallen, würde eine solche Formulierung den Streitbeilegungsorganen eher erlauben, einzelne Politikziele für unzulässig erklären. Denn es ist durchaus denkbar, dass beispielsweise die Legitimität der Organisation 8 In diesem Sinne wohl auch Arrowsmith, WTO Government Procurement, S. 355; Arrowsmith, JIEL 2002, S. 782. 9 Eine rechtspolitische Einschätzung politischer Auftragsvergabe findet sich bei Meyer, Politische Zielsetzungen, S. 547. 10 Weiß / Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 574.
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3. Teil: Initiativen zur Reform des öffentlichen Beschaffungswesens
und der Streitbeilegung in absehbarer Zeit in einer Weise verbessert wird, die einen tieferen Eingriff der Streitbeilegungsorgane in die nationale Souveränität erlaubt11. Eine „vollständige“ Verhältnismäßigkeitsprüfung, die eine ernsthafte Prüfung legitimer Zwecksetzungen und der Angemessenheit nationaler Maßnahmen umfasst, wäre dann vorstellbar. Für diesen Fall wären Formulierungen der Ausnahmetatbestände hinderlich, die das Recht der Mitglieder festschreiben, jedes nationale Ziel verfolgen zu können. Die zweite Variante berücksichtigt diesen Gesichtspunkt besser, da sie flexibler ist.
§ 2 Ein multilaterales Abkommen über Transparenz Mit der Erklärung der 1. WTO-Konferenz von Singapur wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Bedeutung von Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen der Mitgliedstaaten als Voraussetzung für Verhandlungen über ein entsprechendes multilaterales Abkommen beschäftigen sollte12. Damit erkannten die Vertragsparteien an, dass der Beitritt zum GPA einen großen Schritt darstellt; ein Transparenzabkommen soll grundsätzlich beitrittswilligen Staaten einen ersten Schritt in Richtung GPA-Beitritt ermöglichen13. Die EU und die USA setzen sich stark für ein solches Abkommen ein, während beispielsweise Indien, Pakistan, Malaysia und Ägypten den Sinn eines bindenden Abkommens in diesem Bereich grundsätzlich in Frage stellen bzw. seinen Anwendungsbereich möglichst klein halten wollen14. Die Arbeitsgruppe hat lediglich ein Mandat zur Klärung von Vorfragen, so dass die Beratungen noch nicht weit gediehen sind und sich bisher hauptsächlich um Grundsatzfragen drehten. Auf der Ministerkonferenz in Cancún 2003 sollte an sich das Mandat für den Beginn von Vertragsverhandlungen erteilt werden, doch konnte diesbezüglich wegen des Scheiterns der gesamten Konferenz bekanntlich keine Einigung erzielt werden. Das bedeutet aber keineswegs das Ende des geplanten Transparenzabkommens. Der 2003 auf unbestimmte Zeit vertagte Beschluss über die Aufnahme von Vertragsverhandlungen wird sich allerdings weiter verzögern. Nach hier vertretener Auffassung ist es nicht sinnvoll, die Sekundärzweckproblematik in dem geplanten Abkommen zu behandeln. Erstens muss gesehen werden, dass das Abkommen eine Vorstufe zum GPA darstellen soll. Es darf daher 11 Zu den Defiziten vgl. oben 1. Teil, § 4; zu Reformvorschlägen zur Verbesserung der Legitimität der WTO vgl. de Biévre, JWT 2003; Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation, S. 241. 12 Erklärung der Ministerkonferenz von Singapur, Doc. No. WT / MIN(96) / DEC (13. Dezember 1996); hierzu auch Brown, PPLR, 1998, S. CS 50. 13 Hierzu bereits Arrowsmith, Int. and Comp. Law Quarterly 1998, S. 805. 14 WTO, Bericht der Sitzung vom 7. Februar 2002, Working Group on Transparency in Government Procurement, Doc. No. WT / WGTGT / M / 17 (15. April 2003).
§ 2 Ein multilaterales Abkommen über Transparenz
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materiell nicht überfrachtet werden. Politische Auftragsvergabe ist vor allem ein materielles Problem der Zulässigkeit von (faktischen) Diskriminierungen und der Möglichkeit ihrer Rechtfertigung. In einem Abkommen, dessen Sinn vornehmlich darin besteht, die Vergabeverfahren der Mitglieder anzugleichen und für ausländische Bieter transparent und fair zu gestalten, ist eine Regelung der Problematik daher fehl am Platz; dies gilt umso mehr, als politische Auftragsvergabe im GPA weder in seiner derzeitigen Fassung noch in einer reformierten Fassung geregelt ist bzw. sein sollte. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass politische Auftragsvergabe auch einen Bezug zur Transparenzproblematik aufweist, sollte auf eine Regelung verzichtet werden. Soll das Transparenzabkommen nämlich einen ersten Schritt auf dem Weg zur Annahme des GPA darstellen, muss es konsequenterweise auch ein geringeres Transparenzniveau von den Mitgliedern verlangen als das GPA. Zweitens wäre es unklug, das Abkommen mit einem so umstrittenen Problem zu belasten. Das Transparenzabkommen soll vor allem die Entwicklungsländer „ins Boot holen“. Diese sprechen sich jedoch zu einem großen Teil gegen die Zulässigkeit politischer Auftragsvergabe aus, da diese häufig zu ihren Lasten geht15. Ein Verbot ist jedoch nicht denkbar, und eine Regelung, die politische Auftragsvergabe für zulässig erklären würde, würde den Entwicklungsländern kaum Anreize bieten, dem Abkommen beizutreten. Das Transparenzabkommen sollte sich in seinem Regelungsbereich besser auf die unmittelbar mit dem Transparenzgebot zusammenhängenden Aspekte beschränken16. Es sollte beispielsweise die Mitglieder verpflichten, Informationen über das nationale Vergabesystem bereitzustellen, etwa indem Informationen über Gesetzgebung und Praktiken im nationalen Vergabeverfahren öffentlich zugänglich gemacht werden17. Eine Kernfunktion des Transparenzgebots besteht zudem darin, zu vergebende Aufträge bekannt zu machen. Nur so können eventuell interessierte ausländische Bieter Kenntnis von dem Auftrag erlangen. Ideal wären Vorschriften, die eine Veröffentlichung von geplanten Beschaffungen in bestimmten Medien – Internet oder vorab bestimmte Zeitschriften – festlegen. Sollten sich derartige Vorschriften nicht realisieren lassen, könnte den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt werden, selbst zu bestimmen, wie sie geplante Beschaffungen publik machen wollen. Wichtig erscheint auch die Dokumentation und nachträgliche Veröffentlichung der Kriterien, die die Vergabestelle zur Vergabeentscheidung bewogen haben. Eine Pflicht zur Veröffentlichung macht es einer Vergabestelle ungleich schwerer, sachfremde Motive im Vergabeverfahren zu verfolgen. Politische Zwecke sind aber gerade keine sachfremden Motive; jedenfalls steht es der WTO außerhalb eines expliziten Konsens seiner Mitglieder – der nicht existiert – nicht zu, sie als solche zu betrachten. Vergabestellen sollten daher lediglich darauf verpflichtet werden, das 15 16 17
Rege, JWT 2001, S. 489. Ausführlich Gaedtke, Aussenwirtschaft 2003, S. 340 – 345. Siehe hierzu Arrowsmith, WTO Goverment Procurement, S. 463.
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3. Teil: Initiativen zur Reform des öffentlichen Beschaffungswesens
gegebenenfalls für die Vergabe des Auftrags ausschlaggebende (politische) Motiv zu benennen; die Entscheidung der Vergabestelle sollte auf Ersuchen des erfolglosen Bieters hin überprüft werden können.
§ 3 Politische Realisierbarkeit der Vorschläge Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit die in diesem Abschnitt entwickelten Vorschläge in der Praxis zu verwirklichen sein werden. Im Hinblick auf das Transparenzabkommen ist ihre Relevanz allerdings gering, weil politische Auftragsvergabe in diesem Abkommen gerade nicht geregelt werden soll; es wird insofern eher darum gehen, wie hoch das Transparenzniveau sein wird, das mit dem Abkommen erreicht werden kann. Angesichts des Widerstands einiger Entwicklungsländer ist insofern eine gewisse Skepsis angebracht. Die Vorschläge zur Reform des GPA werden insofern leichter zu realisieren sein, als nur ein Entwicklungsland – will man China dazu zählen – bislang Mitglied des Abkommens ist. Die Kehrseite dessen ist natürlich, dass mit den Vorschlägen die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Multilateralisierung sinkt. Eine Multilateralisierung des GPA wird aber ohnehin ganz entscheidend davon abhängen, dass den Entwicklungsländern Vorteile im Rahmen der WTO-Agenda außerhalb des GPA geboten werden, die ihnen den Beitritt lohnenswert erscheinen lassen. Wirtschaftliche Vorteile aus dem GPA erwachsen den Entwicklungsländern nämlich kaum; ein liberalisierter Beschaffungsmarkt nützt vor allem den Industrieländern18. Das Anliegen einer Korrektur der Verfahrensvorschriften dürfte sich im Rahmen des Möglichen bewegen, da diese nur das Anerkenntnis beinhalten würde, dass die Behandlung politischer Auftragsvergabe kein Transparenzproblem ist und dass eine verfahrensrechtliche Einengung der Möglichkeiten politischer Zweckverfolgung nicht sinnvoll ist. Wesentlich umstrittener dürfte hingegen die vorgeschlagene Ergänzung des Art. XXIII Abs. 2 GPA – auch in ihrer zweiten Variante – sein. Die bisherigen Verhandlungen im Bereich der Arbeitsgruppe geben ausweislich der Sitzungsprotokolle keinen Hinweis, wie die Chancen einer solchen Vertragsänderung einzuschätzen sind. Wäre eine Änderung nicht zu erzielen, stünde zu erwarten, dass sich die Mitglieder stärker auf einn listenorientierten Ansatz konzentrieren. Ähnlich den oben diskutierten Ansätzen der USA und auch der Bundesrepublik würden die Mitglieder dann bestimmte politische Zwecke im Rahmen der Auftragsvergabe aus der Liste der Zugeständnisse zu streichen. Ein solches Vorgehen ist nicht wünschenswert, wäre aber wohl kaum zu verhindern. Das gilt insbesondere für Mitglieder, die dem Abkommen neu beitreten. Der komplizierte und zu enge Anwendungsbereich des GPA würde in diesem Fall 18
Rege, JWT, 2001, S. 495.
§ 3 Politische Realisierbarkeit der Vorschläge
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weiterhin die große Schwäche des Abkommens bleiben und seine Beachtung in der Praxis entscheidend beeinträchtigen. Dieses Szenario könnte für die Mitglieder allerdings Motivation liefern, sich doch auf eine Ergänzung des Art. XXIII Abs. 2 GPA zu einigen.
Zusammenfassung der Ergebnisse Die Arbeit hat Möglichkeiten und Grenzen politischer Auftragsvergabe nach dem WTO-Recht untersucht. Das Problem wurde als vergaberechtliche Variante der das gesamte WTO-Recht durchziehenden Problematik der Kollision von handelsbezogenen und handelsfremden Belangen verstanden, mit der die WTO konfrontiert ist. Im ersten Teil der Arbeit wurde untersucht, wie die WTO mit diesen Zielkonflikten grundsätzlich unter teleologischen und rechtspolitischen Gesichtspunkten umgehen sollte. Die auf diese Weise gefundenen Prioritäten und Grundsätze bildeten den Hintergrund für die konkrete Untersuchung der vergaberechtlichen Vorschriften des GPA im zweiten Teil der Arbeit. Nach den Ergebnissen des ersten Teils sollte die Verfolgung politischer Ziele im Anwendungsbereich des WTO-Vergaberechts zulässig sein, solange sie wesentliche Elemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beachtet. Die Prüfung des GPA im zweiten Teil ergab allerdings, dass politische Auftragsvergabe nach dem GPA noch weiteren Einschränkungen unterliegt. Probleme im Hinblick auf die Zulässigkeit ergeben sich, wenn politische Zwecke nicht in die Vertragsbedingungen des Auftrags aufgenommen werden. Zudem gibt es Zwecke, die nicht als legitime Zielsetzungen im Rahmen der Ausnahmevorschriften des GPA anerkannt werden können. Der erste Teil der Arbeit suchte – unabhängig vom Wortlaut der vergaberechtlichen Vorschriften – nach Kriterien, die Hilfestellung bei der Lösung von Zielkonflikten im WTO-Recht bieten. Vier Aspekte sind danach von grundsätzlicher Bedeutung. Dazu zählen erstens die Funktionen der WTO. Nicht zu den Funktionen der WTO gehört die Deregulierung nationaler Märkte im Sinne eines allgemeinen Abbaus marktkorrigierender Vorschriften. Aufgabe der WTO ist lediglich die Liberalisierung nationaler Märkte, verstanden als Abbau von Handelsschranken, der das Verfolgen nationaler Politikziele grundsätzlich unangetastet lässt. Neben dieser Funktion kommt der WTO in Maßen eine marktintegrative Funktion zu; die Organisation hat zudem die Aufgabe, die vielfältigen Spannungen ausgesetzten und komplexen internationalen Handelsbeziehungen zu koordinieren. Für die Lösung von Zielkonflikten sind zweitens die deregulativen Folgen des WTO-Rechts von Bedeutung, die nicht im Einklang mit den Aufgaben der Organisation stehen. Die Struktur des WTO-Rechts begünstigt einen Abbau von Kompetenzen auf nationaler Ebene, der auf internationaler Ebene nicht kompensiert werden kann. Zudem führt der Abbau von Handelsbarrieren zu einem Druck auf Hochstandardländer, ihre Standards zu senken, um in einem globalen Standortwett-
Zusammenfassung der Ergebnisse
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bewerb wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden; für Niedrigstandardländer bestehen kaum Anreize, ihre Standards zu heben. Drittens spielen bei der Lösung von Zielkonflikten die Legitimitätsdefizite der WTO eine Rolle. Diese finden sich auch im Streitbeilegungsverfahren, das nur wenig transparent ist und keine hinreichenden Partizipationsmöglichkeiten vorsieht. Gesteht man dem hier vor allem formell verstandenen Legitimitätsbegriff auch eine materielle Dimension zu, so findet sich eine Grenze der Legitimität von WTO-Entscheidungen dort, wo sie grundlegende nationale Wertentscheidungen in Frage stellt. Viertens muss berücksichtigt werden, dass die WTO den wirtschaftlichen Arm eines internationalen Ordnungssystems darstellt. Sie ist gehalten, sich in diese internationale Ordnung einzufügen. Die Streitbeilegungsorgane müssen daher sowohl ihre eigenen völkerrechtlichen Verpflichtungen als auch die ihrer Mitglieder berücksichtigen. Sie sollten auch solche, auf handelsfremde Materien bezogenen Sätze in ihre Überlegungen einbeziehen, die keine Rechtsqualität beanspruchen können. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sollte die WTO bei der Lösung von Zielkonflikten nationale Regelungsziele weitgehend anerkennen, mithin den Mitgliedern ein weites Maß an regulativer Autonomie zugestehen. Eine Überprüfung von Maßnahmen, die sich als Handelsbarrieren darstellen, sollte daher vor allem im Hinblick auf ihre handelsfreundliche Ausgestaltung stattfinden. Der Ort für eine derartige Prüfung ist nach Wortlaut und Systematik der meisten WTO-Verträge die Seite der Rechtfertigung. Hier ist das Koordinationsinstrument der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu befürworten, das allerdings im WTO-Recht der Modifikation bedarf. Die WTO darf keine Angemessenheitsprüfung vornehmen; zu einer damit verbundenen Güterabwägung ist die Organisation unter anderem aufgrund ihrer bestehenden legitimatorischen Defizite nicht in der Lage. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch insoweit zu modifizieren, als die WTO einem „trade-bias“ der internationalen Ordnung durch die Privilegierung bestimmter Zwecke entgegenwirken sollte; dazu gehören solche Zwecke, die für die Mitglieder eine besonders hohe Bedeutung besitzen, und auch solche, die international abgesichert sind. Zudem sollte die WTO auch (marktintegrativ) an der Entwicklung internationaler Mindeststandards mitwirken und diese im Rahmen der „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ begünstigen. Unter diesen Vorzeichen untersuchte der zweite Teil die Zulässigkeit verschiedener, exemplarisch ausgewählter politischer Zwecke im Vergabeverfahren. Diese wurden der deutschen und der amerikanischen Rechtsordnung entnommen. Neben struktur-, arbeits- und sozialpolitischen sowie ökologischen Zwecken wurden auch außen- und sicherheitspolitische sowie menschenrechtsbezogene Zielsetzungen berücksichtigt. Politische Auftragsvergabe ist nur im Anwendungsbereich des GPA problematisch. Dieser Anwendungsbereich erschließt sich erst im Einzelfall durch eine Be-
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trachtung der Listen der Mitglieder in den Anlagen zu dem Abkommen. Häufig haben die Mitglieder den Anwendungsbereich in Abhängigkeit vom jeweiligen bilateralen Verhältnis modifiziert. Teilweise haben sie allerdings auch politische Zweckverfolgung bereits vom Anwendungsbereich des GPA ausgeklammert. Dieses Vorgehen ist nicht unproblematisch, aber rechtlich wirksam und muss hingenommen werden. Die nachträgliche Ausklammerung politischer Zwecke verändert das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und ist nach Art. XXIV Abs. 6 GPA nur schwerlich möglich. Für Mitglieder des GPA stellt sie daher kein Modell zur Legalisierung politischer Auftragsvergabe dar stellt Neumitgliedern steht es aber offen, politische Zwecke von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Abkommens zu nehmen. Drei Verbotstatbestände des GPA stehen politischer Auftragsvergabe in unterschiedlichem Umfang entgegen. Dabei ist nach angebotsbezogenen und bieterbezogenen Kriterien zu differenzieren. Die gemeinsamen Verfahrensvorschriften stehen angebotsbezogenen Kriterien nicht entgegen. Im Hinblick auf bieterbezogene Kriterien enthalten sie dagegen teilweise widersprüchliche Aussagen. Die Mehrzahl der Argumente spricht dafür, dass sie politischen Kriterien nicht entgegenstehen. So wollen die gemeinsamen Verfahrensvorschriften vor allem Transparenz im Vergabeverfahren sichern; das erfordert kein Verbot von politischen Kriterien, sondern nur ihre Bekanntmachung und Überprüfung. Zudem gehört es nicht zu den Aufgaben der WTO, einen Rückzug des Staates aus dem wirtschaftlichen Geschehen zu erreichen, indem sie ihm die Verwendung des Instruments der Auftragsvergabe „verbietet“. Eine entsprechende Interpretation der Verfahrensvorschriften führt zwar zur Zulässigkeit politischer Zweckverfolgung. Nach dem insoweit nicht zu überwindenden Wortlaut von Art. VIII b) GPA und Art. XIII Abs. 4 b) GPA ist das aber nur bei Aufnahme des politischen Ziels in die Auftragsbedingungen möglich. Anders als in den USA ist dies in Deutschland nicht immer der Fall, weshalb sich hier Probleme für die deutsche Vergabepraxis ergeben können. Kompensationsgeschäfte sind nach Art. XV GPA unzulässig. Das steht im Einklang mit der Aufgabe der WTO, Handelsbarrieren abzubauen. Denn bei der Koppelung des Auftrags an Gegenleistungen durch das ausländische Unternehmen kommt es zu (unmittelbaren) Diskriminierungen, die das GPA verhindern soll. Die Aufnahme der Vorschrift in das GPA wäre daher nicht erforderlich gewesen; sie hat lediglich klarstellenden Charakter. Das Diskriminierungsverbot des GPA ist nur in Form des Gebots der Inländerbehandlung von praktischer Relevanz. Dieses Gebot steht politischer Auftragsvergabe uneingeschränkt entgegen, soweit ausländische Waren, Dienstleistungen oder Lieferanten unmittelbar ungünstiger behandelt werden als inländische. Die Prüfung der „Gleichartigkeit“, die in Art. III GPA nicht ausdrücklich gefordert wird, führt dabei nicht zu einer praktisch relevanten Einschränkung des Anwendungsbereichs; insbesondere ist die Product / Process-Doctrine ohne Bedeutung. Die Anwendung eines Aims-and-Effects-Tests ist abzulehnen. Die Durchführung eines
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„Protektionismustests“ gehört nach Wortlaut und Systematik in den Ausnahmetatbestand des Art. XXIII GPA. Nicht vom Verbot der Diskriminierung umfasst sind Inländerdiskriminierungen. Mit Bezug auf mittelbare Ungleichbehandlungen ist zu differenzieren. Aufgrund der besonderen Nähe des öffentlichen Auftragswesens zur staatlichen Autonomie kann es den Mitgliedern des Abkommens nicht verwehrt werden, den Auftragsgegenstand zu definieren, auch wenn diese Beschreibung politische Kriterien einschließt. So werden beispielsweise umweltfreundliche Beschreibungen von Produkten, soweit sie nicht technische Spezifikationen darstellen, nicht vom Diskriminierungsverbot erfasst. Bei allen anderen mittelbaren Ungleichbehandlungen ist dies aber der Fall. Ob eine solche Ungleichbehandlung vorliegt, kann quantitativ unter Berücksichtigung der Struktur von Import und Export bestimmt werden; denkbar ist auch eine qualitative Prüfung, ob das politische Kriterium von ausländischen Produkten oder Lieferanten schwerer erfüllt werden kann als von inländischen. Daneben verbietet Art. VI GPA solche technischen Spezifikationen, die den Handel zwischen den Mitgliedern beschränken können. Die Vorschrift ist von begrenzter Relevanz für politische Kriterien und betrifft vor allem die Formulierung umweltschutzbezogener Anforderungen. Eine Rechtfertigung von Maßnahmen, die gegen Art. VI GPA verstoßen, ist trotz der bereits im Rahmen des Tatbestandes stattfindenden Notwendigkeitsprüfung möglich. Rechtswidrige politische Zweckverfolgung kann nach Art. XXIII GPA gerechtfertigt werden. Art. XXIII Abs. 1 GPA betrifft den Sonderfall von Maßnahmen, die im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Maßnahmen stehen. Hier kann die WTO lediglich eine Missbrauchskontrolle nationaler Maßnahmen durchführen, da die nationale Sicherheit essentieller Bereich nationaler Regelungsautonomie ist. Dennoch ist die Ausnahme aufgrund ihres Wortlauts begrenzt; während außenpolitische Maßnahmen wie das amerikanische Verbot von Irak-Aufträgen an die „AntiKriegs-Koalition“ darunter fällt, lassen sich andere wie zum Beispiel der Iran-Libya Sanctions Act nicht darunter subsumieren. Die weitaus wichtigere Vorschrift ist der allgemeine Rechtfertigungstatbestand des Art. XXIII Abs. 2 GPA. Im Rahmen dieser Vorschrift ist eine modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Bei der Prüfung legitimer Zwecksetzungen ist nach den Überlegungen des ersten Teils dieser Arbeit eine weite Auslegung geboten. Deshalb ist der Ausschluss „extraterritorialer“ Maßnahmen ebenso abzulehnen wie der kategorische Ausschluss produktionsbezogener und wirtschaftspolitisch motivierter Maßnahmen. Umweltschutzbezogene Maßnahmen können auch insoweit unter den Tatbestand der „Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen“ subsumiert werden, als sie sich auf den Schutz erschöpflicher Ressourcen beziehen; das Fehlen eines entsprechenden Ausnahmetatbestandes – wie er sich beispielsweise in Art. XX GATT findet – macht keinen Unterschied. Die zahlreichen Maßnahmen des deutschen Ver-
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gaberechts, die auf den Schutz erschöpflicher Ressourcen abzielen, können demnach ohne weiteres unter den Tatbestand subsumiert werden. Eine besondere Bedeutung kommt der Generalklausel der „öffentlichen Ordnung“ zu. In Anlehnung an die interpretative Note zu Art. XIV GATS muss für ihre Inanspruchnahme grundsätzlich ein Grundwert der nationalen Ordnung betroffen sein. Das kann ein Mitglied beispielsweise durch eine verfassungsrechtliche Verankerung des entsprechenden Zwecks nachweisen. Die Klausel kann aber auch im Sinne einer „internationalen“ öffentlichen Ordnung verstanden werden. Sie ist dann eröffnet, wenn ein Mitglied den verfolgten politischen Zweck auf eine internationale Vorschrift stützt. Das können sowohl verbindliche als auch unverbindliche internationale Vorschriften sein. Damit können beispielsweise Zwecke gerechtfertigt werden, die sich an Arbeitsstandards der ILO oder menschenrechtlichen Standards des IPWSKR oder des IPBPR orientieren. Müssen politische Kriterien hingegen über die nationale öffentliche Ordnung gerechtfertigt werden, werden sie an Grenzen stoßen; das gilt insbesondere für sozial- und arbeitsrechtliche Standards. Das Kriterium der Tariftreue wird sich beispielsweise nicht auf die Klausel stützen lassen. Das Merkmal der Notwendigkeit nationaler Maßnahmen dokumentiert einen „trade-bias“, der von den Streitbeilegungsorganen entschärft werden sollte. Alternativmaßnahmen sollten daher mindestens eine vergleichbare Eignung aufweisen müssen wie die ergriffene Maßnahme. Kennzeichnungspflichten stellen keine Alternative dar. Auch können Mitglieder nicht darauf verwiesen werden, andere Instrumente als das Vergabewesen zur Verfolgung des jeweiligen Zwecks einzusetzen. Bezieht sich das Ziel der Maßnahme auf inländische Sachverhalte, können Mitglieder aber verpflichtet sein, das politische Kriterium auf inländische Bieter zu beschränken. Ebenso sind sie verpflichtet, politische Kriterien nicht lediglich nach dem innerstaatlichen Recht, sondern so offen zu formulieren, dass gleichwertige ausländische Standards Anerkennung finden können. In Anlehnung an den Fall Korea-Beef erfahren solche Maßnahmen eine Privilegierung, die eine besondere Gewichtigkeit geltend machen können, sei es aufgrund ihres Zwecks, ihrer Eilbedürftigkeit oder sonstiger Umstände. In diesen Fällen sollten den Mitgliedern Erleichterungen im Hinblick auf die Darlegungslast zugestanden werden. Das Verbot der willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung ergänzt die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Maßnahmen müssen nach der Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane ausreichend flexibel, im Hinblick auf verfahrensbezogene Aspekte nicht zu beanstanden sein und dürfen die Vertragspartner des GPA nicht in ungleicher Form mit unilateralen Maßnahmen belasten. Die Flexibilität bezieht sich darauf, dass nicht die Rechtslage im Herkunftsland zum Maßstab für das politische Kriterium genommen werden darf, sondern gegebenenfalls auf den konkreten Unternehmer abzustellen ist. Verfahrensbezogene Aspekte werden aufgrund der umfangreichen Verfahrensvorschriften des GPA nur von untergeordneter Bedeutung sein. Zu beachten ist das Gebot, mit Vertragsparteien des GPA in Ver-
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handlungen zu treten, wenn bezüglich einer politischen Zielsetzung solche Verhandlungen bereits durchgeführt wurden. Vertragsparteien sind insoweit gleich zu behandeln; die Praktikabilität dieses Erfordernisses im Vergabewesen ist jedoch zweifelhaft. Schließlich ist zu prüfen, ob die Berufung auf einen Ausnahmetatbestand deshalb einen Rechtsmissbrauch darstellt, weil das politische Kriterium eine verschleierte Beschränkung darstellt. Dieses Merkmal sollte genutzt werden, um protektionistische Maßnahmen auszuscheiden. Das Mitglied muss in diesem Zusammenhang nachweisen, dass es den verfolgten Zweck nicht nur vorgeschoben hat, um ausländische Bieter von dem Vergabeverfahren fernzuhalten; das kann dadurch geschehen, dass es darlegt, dass der Zweck auch anderweitig in der nationalen Rechtsordnung verankert ist, insbesondere ohne negative Auswirkungen auf den internationalen Handel. Im Ergebnis ist der Spielraum, den das GPA seinen Mitgliedern bei der Verfolgung politischer Zwecke lässt, nicht ausreichend und sollte erweitert werden. Zum einen sollten die Verfahrensvorschriften in dem Sinne geändert werden, dass sie politische Ziele nicht nur im Rahmen von Vertragsbedingungen zulassen. Zum anderen sollte der Ausnahmekatalog des Art. XXIII Abs. 2 GPA erweitert werden, um den Mitgliedern zu ermöglichen, grundsätzlich jedes Ziel im Vergabeverfahren zu verfolgen. Vorbild hierfür könnte die Regelung in Art. 2 Abs. 2 TBT sein. Sollte es gelingen, derartige Änderungen im Rahmen der derzeit stattfindenden Revision des GPA durchzusetzen, wäre das GPA in der Lage, eine sachgerechte Auflösung von Zielkonflikten zu ermöglichen.
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Sachwortverzeichnis Abkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen siehe SPS Abkommen über technische Handelshemmnisse siehe TBT Affirmative action 83 Aims-and-Effects-Test 142 ff. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 62 amicus curiae Brief 40, 56 „Antikriegskoalition“ (Irak) 115 Appellate Body siehe WTO-Streitbeilegungsverfahren Baukoordinierungsrichtlinie 79 Beentjes Entscheidung 80 Bestbieterprinzip 123 Billigstbieterprinzip 123 Blauer Engel 98 Buy American Act 86 Chapeau 197 ff. Clean Air Act 97 Clean Water Act 97 Concordia Bus Finland (Entscheidung) 81 Davis-Bacon Act 83, 92 Demokratiedefizit 52 Department of Defense (USA) 115 Deregulierung 25 f. Dienstleistungssektor 108 Diskriminierung 137 ff. – ungerechtfertigte 199 – willkürliche 199 due process 201 Entwicklung, inländische 135 Entwicklungshilfe, gebundene 116 Environmental Protection Agency (EPA) 97 Equilibrium of rights and obligations 39, 113
Europäische Blume 98 Europäische Integration 45 extrajurisdiktionale Maßnahmen 169 Federal Acquisitions Regulations 86 Forest Stewardship Council 98 Freihandel 25 f. Freihandelszone 26 Garnelenfall siehe WTO-Streitbeilegungsverfahren GATS 127 f. GATT 127 f. Gegengeschäfte 136 Gleichstellungsmaßnahmen 90 f., 196, Global Compact 94, 186, 201 GPA – Anhänge 106 f. – Beschränkungsverbot 148 – Diskriminierungsverbot 137 ff. – Drittstaaten 105 – Eignungskriterien 120 – eingeschränktes Verfahren 119, 131 – Meistbegünstigung 153 ff. – nicht-offenes Verfahren 119 f. – offenes Verfahren 119 f. – persönlicher Anwendungsbereich 105 – Präambel 178 – Präqualifikationsverfahren 119 – Qualifikationsverfahren 121 – sachlicher Anwendungsbereich 108 – Schwellenwerte 109 ff. – Teilnahmebedingungen 122 – Ungleichbehandlung, mittelbare 147 – Ungleichbehandlung, unmittelbare 145 – Verfahrensvorschriften 119 – Zuschlagskriterien 120 Haager Landkriegsordnung 117 Handelsliberalisierung 27 ff.
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Sachwortverzeichnis
Harmonisierung 29 f. Harmonische Auslegung 63 Havanna-Charta 60 Helms-Burton Act 37, 163 f. Hormonfall 37 ILO 50 – Kernarbeitsstandards 94 f., 186 – Untersuchungsverfahren 50 in dubio mitius 161 Inkorporationstheorie 141 Inländerdiskriminierung 195 Interessengruppen 42 IPWSKR 186 f. Irak-Memorandum siehe Wolfowitz-Memorandum Iran-Libya Sanctions Act 101, 166, 206 Ius cogens 193 Kinderarbeit 114, 179 f. Kompensationsgeschäfte 132 ff. Konsens, umgekehrter 48 Kontrolldichte 38 Labeling siehe Produktbezeichnung Legitimationskette 54 Legitimität 52 Liberalisierung 27 f. Lieferkoordinierungsrichtlinie 79 Maastricht-Entscheidung 53 Marktintegration 29 f. – negative 29 – positive 29 Meistbegünstigungsprinzip 106, 153 ff. member-driven organization 47 Mindeststandards 31, 44 Minority-Owned Businesses (MOB) 91 Missbrauchskontrolle 164 f., 182 Mittelstandsförderung 85 Model Law on Procurement 67 Multinationale Unternehmen – Engagement im Irak 101 f. – Richtlinien (OECD) 94 – völkerrechtliche Bindungen 185 München, Stadt – Regelung gegen Kinderarbeit 114, 188
Myanmar- Gesetz (Massachusetts) 18, 99 ff., 187, 192, 197, 206 Nichtverletzungsbeschwerde 32, 207 ff. Nightmare Report 17 Non-violation complaint siehe Nichtverletzungsbeschwerde Nord-Pas-de-Calais-Entscheidung 81 Öffentliche Ordnung 182 ff. – internationalisierte 183 ff. ordre public 181 ff. Outsourcing 88 f. Partizipation 56 Primat des Rechts 34 Product / Process-Doktrin 127 f., 142 ff. Produktbezeichnungen 194 produktionsbezogene Maßnahmen 171 f. Protektionismuskontrolle 71, 205, 221 Public Choice-Theory 51 race to the bottom 22, 41 f. Regionalförderung 86 f. Ressourcen, erschöpfliche 177 Reziprozität 103 f. Ricardo, David 25 Richtlinien für multinationale Unternehmen (OECD) 94 Rio-Deklaration (Umwelt und Entwicklung) 96 Scientology 98, 165, 188, 206 Sektorenrichtlinie 79 Sicherheitsinteressen 162 ff. Sitztheorie 141 soft law 66 Sozialklausel 22, 31 Small Business Administration (SBA) 85 Smith, Adam 25 Spätaussiedler 91, 195 Spill-over effect 34, 209 SPS 27, 30 Standortwettbewerb 219 Stare decisis 36 Südafrika 100 Tariftreueerklärung 94, 187 TBT 27, 30
Sachwortverzeichnis technische Spezifikation 148, 155 ff. Territorialitätsprinzip 169 f. Thunfischfall siehe WTO-Streitbeilegungsverfahren „trade-bias“ der WTO 189, 222 Transparenz 57 f. – Vergabewesen 124 ff., 130 – WTO-Abkommen über Transparenz 214 ff. – WTO-Streitbeilegungsverfahren 203 TRIPS 31 Umweltstandards 96 Umweltzeichen 156 UNCITRAL 67, 129 Unilateralismus 202 United States Trade Representative 87 Vereinte Nationen 61 – UN-Charta 61 Verfahrenslegitimität 39 vergabefremde Kriterien 74 Vergaberecht – europäische Vergaberichtlinien 79 f. – Vergaberechtsänderungsgesetz 19 – § 97 Abs. 4 GWB 78 Vergabestellen, subzentrale 110 Vergabeverfahren – eingeschränktes 131 – nicht-offenes 120 ff. – offenes 120 ff. Verhältnismäßigkeit 70, 199 Verteidigung 111, 162 ff. Vertriebene 91
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Vorbehalt, völkerrechtlicher 112 Walsh-Healey Act 83 Weltbank 129 Wiener Vertragsrechtskonvention 24, 62 ff. – Art. 31 Abs. 3c) 64 – Modifikation inter se 64 Wirkungsprinzip 169 Wolfowitz-Memorandum 102 f., 166 ff. Women-Owned Businesses (WOB) 89 WTO – interpretative Entscheidungen 47 – judikative Kompetenzen 47 f. – legislative Kompetenzen 46 – member-driven organization 47 – Ministerkonferenz Cancún 210 – Ministerkonferenz Singapur 214 – Sitzabkommen 65 – Teilordnung im int. System 60 – umgekehrter Konsens 48 – Völkerrechtssubjektivität 65 WTO-acquis 35 WTO-Streitbeilegungsverfahren – Appellate Body 36 ff., 47 ff. – Asbestfall 208 – Garnelenfall 198 ff. – Korea-Beef 191 – Thunfischfall 34 f., 160, 190 WTO-Vertrag – Kontrolldichte 38 – Präambel 30 – vertragsautonome Auslegung 36 Zahlungsbilanz 132, 134 f.
SUMMARY When awarding contracts, national procurement authorities often not only pursue purely contract-related objectives, but also political objectives (so-called secondary objectives). For instance, companies applying for a contract might be asked to prove that they respect fundamental social, environmental or human rights standards. The pursuit of secondary objectives may produce considerable barriers for foreign companies in the procurement process, which raises the question of their compatibility with WTO law – in particular with the WTO Agreement on Government Procurement (GPA). This study examines the extent to which WTO law allows for the use of secondary objectives. The problem is considered to be one aspect of the broader ‘‘trade and . . .” debate about the compatibility of national non-trade related policies with WTO law. The discussion in the first part of the study focuses on general arguments to solve ‘‘trade and . . .” problems in WTO law, such as structure, function and legitimacy of the organisation. The second part examines in depth the different provisions of the GPA. The current reform initiatives regarding WTO procurement law are discussed in the third part. The study concludes that the pursuit of secondary objectives in the procurement process is, to a large extent, compatible with current WTO law.
RÉSUMÉ Les pouvoirs adjudicateurs nationaux subordonnent l’attribution des marchés publics au respect de critères professionnels. Viennent s’y ajouter des critères de nature . Il s’agit par exemple de dispositions sociales fondamentales, de normes liées à l’environnement ou aux droits de l’homme à observer lors de la production. Etant donné que cette pratique peut engendrer dans le cadre de la procédure d’adjudication des restrictions pour les entreprises étrangères, le problème qui se pose est la compatibilité de cette pratique avec les règles de l’OMC en général, et plus particulièrement celles de l’accord de l’OMC sur les marchés publics. Cette étude se propose de démontrer les possibilités et les limites d’une telle passation de marchés publics conforme aux règles du commerce international pouvant être qualifiée de nature . Cette étude se penche – dans le cadre de l’adjudication de marchés – sur le conflit entre intérêts liés au commerce et ceux qui lui sont étrangers, problématique qui imprègne tout le droit de l’OMC. La première partie développera les arguments propres à la solution de ce conflit à partir d’une réflexion notamment sur la structure, la fonction et la légitimité de l’OMC. La deuxième partie présentera une analyse approfondie des dispositions de l’accord sur les marchés publics. La troisième partie traitera des initiatives au sein de l’OMC de réforme des marchés publics. Pour conclure, il découle de cette étude que l’OMC laisse à ses membres une certaine marge de manœuvre afin de poursuivre des objectifs politiques dans le cadre de l’adjudication de marchés.