Politik des aufgeklärten Glücks: Jeremy Benthams philosophisch-politisches Denken [Reprint 2015 ed.] 9783050080659, 9783050037103

Jeremy Bentham gilt als Gründervater des Utilitarismus. Seine oftmals variierte Formel vom "größten Glück der größt

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German Pages 330 [332] Year 2002

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Table of contents :
Vorbemerkung
1. Warum Bentham? Ideengeschichtlicher und systematischer Fragehorizont
2. Rezeptionsfilter
2.1. “When a disciple condemns - who shall justify”
2.1.1. Biografie
2.1.2. Methode
2.1.3. Menschenbild
2.2. Bentham unter den Deutschen
2.2.1. Händlergeist und Krämermoral
2.2.2. “Kant oder Bentham” - Friedrich Eduard Benecke
3. Handeln, Sehen und Sprechen: die anthropologischen Fundamente von Jeremy Benthams politischem Denken
3.1. Handlungsmechanik und Handlungsbeobachtung als Grundlagen des Extemalismus
3.1.1. Handeln als Spezialfall von Bewegung
3.1.2. Motive und Interessen
3.1.3. Der Handlungskontext als Handlungsursache
3.1.4. Die Logik des Willens und die Außensteuerung des Handelns
3.1.5. Beobachtung institutionalisiert: “Panoptizismus”
3.1.6. Wissen: Beobachten, Erkennen und Sprechen
3.2. Im Sprachgewirr
3.2.1. Realität und Fiktion
3.2.2. Die Genese von Bedeutung und die Unhintergehbarkeit der natürlichen Sprache
3.2.3. Methodologische Konsequenzen der Sprachverfassung
3.2.4. Sprachpolitik
Anarchical Fallacies
Die Fallacies der Reaktion
4. Der systematische Ort des Politischen in Benthams Utilitarismus
4.1. Politik und Moral - the greatest happiness of the greatest number
4.1.1. Politische und deontologische Rationalität
4.1.2. Glück individuell: Moral
4.1.3. Exkurs: Ungestörte Lust - Anmerkungen zur Sexualethik
4.1.4. Der rationale Geltungsgrund des “greatest happiness principle”
4.1.5. Glück gesellschaftlich: Politik
4.1.6. Leitprinzip politischen Glücks: Kompensation und Nicht-Enttäuschung
4.2. Politisch-institutioneile Arrangements des Glücks der größten Zahl (I) - Politik und Recht
4.2.1. Der genetische und systematische Ursprung von Recht und Herrschaft
4.2.2. Exkurs: Anmerkungen zum “Recht für Hunde” -common law
4.2.3. Die Zirkularität der Macht und die Theorie der Souveränität
4.2.4. Der strafende Staat und die Freiheit seiner Bürger
4.2.5. Das Recht gibt alles: Sicherheit, Subsistenz, Wohlstand und Gleichheit - die Teile des Glück
4.3. Politisch-institutioneile Arrangements des Glücks der größten Zahl (II) - Repräsentative Demokratie
4.3.1. Die Negativfolie: Monarchie und Korruption
4.3.2. Zur Theorie des Amtes: das “duty and interest juncture principle”
4.3.3. Öffentlichkeit und öffentliche Meinung
4.3.4. Wahlrecht als Demokratie
4.3.5. Verfassung: Constitutional Code
5. Rückblick: Benthams politische Aufklärung
6. Literaturverzeichnis
Jeremy Benthams Schriften
Weitere Literatur
7. Personenverzeichnis
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Politik des aufgeklärten Glücks: Jeremy Benthams philosophisch-politisches Denken [Reprint 2015 ed.]
 9783050080659, 9783050037103

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Wilhelm Hofmann Politik des aufgeklärten Glücks

POLITISCHE IDEEN

Band 14

Herausgegeben von Herfried Münkler

Die politische Ideengeschichte hat seit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, der Transformation der Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, aber auch mit den seit dem Wegfall des klassischen Gegenbildes dringender gewordenen Fragen nach Werten und Zielen der westlichen Demokratien, nach der Möglichkeit von Gemeinwohlorientierungen usw. neue Bedeutung gewonnen. Gibt es in dem zunehmend differenzierten und segmentierten Fach Politikwissenschaft einen Bereich, in dem die verschiedenen Fragestellungen und Ansätze zusammengeführt werden, so ist dies die Geschichte der politischen Ideen sowie die politische Theorie. Insbesondere die politische Ideengeschichte erweist sich dabei als das Laboratorium, in dem gegenwärtige politische Konstellationen gleichsam experimentell an den Theoriegebäuden vergangener Zeiten überprüft, durchdacht und intellektuell bearbeitet werden können. Eine so verstandene politische Ideengeschichte ist gegenwartsbezogen, auch wenn sie sich den aktuellen politischen Problemen nur mittelbar zuzuwenden scheint. Diese Reihe ist ein Ort für die Publikation solcher Studien. Sie veröffentlicht herausragende Texte zur politischen Ideengeschichte und zur politischen Theorie.

Wilhelm Hofmann

Politik des aufgeklärten Glücks Jeremy Benthams philosophisch-politisches Denken

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Abbildung auf dem Frontispiz: Jeremy Bentham (17448-1832), undatierter Stahlstich im Besitz des Autors

Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-05-003710-5

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Norbert Winkler, Mannheim Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

9

1. Warum Bentham? Ideengeschichtlicher und systematischer Fragehorizont 11 2. Rezeptionsfilter

23

2.1.

"When a disciple condemns - who shall justify"

24

2.1.1.

Biografie

28

2.1.2.

Methode

34

2.1.3.

Menschenbild

37

2.2.

Bentham unter den Deutschen

43

2.2.1.

Händlergeist und Krämermoral

44

2.2.2.

"Kant oder Bentham" - Friedrich Eduard Benecke

49

3. Handeln, Sehen und Sprechen: die anthropologischen Fundamente von Jeremy Benthams politischem Denken .... 59 3.1. 3.1.1.

Handlungsmechanik und Handlungsbeobachtung als Grundlagen des Externalismus

60

Handeln als Spezialfall von Bewegung

60

6

Inhalt

3.1.2.

Motive und Interessen

65

3.1.3.

Der Handlungskontext als Handlungsursache

76

3.1.4.

Die Logik des Willens und die Außensteuerung des Handelns

84

3.1.5.

Beobachtung institutionalisiert: "Panoptizismus"

91

3.1.6.

Wissen: Beobachten, Erkennen und Sprechen

100

3.2.

Im Sprachgewirr

108

3.2.1.

Realität und Fiktion

110

3.2.2.

Die Genese von Bedeutung und die Unhintergehbarkeit der natürlichen Sprache

114

Methodologische Konsequenzen der Sprachverfassung

120

3.2.3.

3.2.3.1. Exhaustive bifurcate method

121

3.2.3.2. Paraphrasierung und Archetypisierung: die fundamentale Bildlichkeit der Kommunikation

123

3.2.3.3. Die sprachliche Form der Gesetze

127

3.2.4.

130

Sprachpolitik

3.2.4.1. Legal and Political Fictions - "original contract"

132

3.2.4.2. Exkurs: Poetische Fiktionen im quantitativen Utilitarismus

139

3.2.4.3. Political Fallacies

142

Anarchical Fallacies

143

Die Fallacies der Reaktion

147

4. Der systematische Ort des Politischen in Benthams Utilitarismus 4.1. 4.1.1.

157

Politik und Moral - the greatest happiness of the greatest number

157

Politische und deontologische Rationalität

157

7

4.1.2.

Glück individuell : Moral

168

4.1.3.

Exkurs: Ungestörte Lust - Anmerkungen zur Sexualethik

180

4.1.4.

Der rationale Geltungsgrund des "greatest happiness principle"

187

4.1.5.

Glück gesellschaftlich: Politik

194

4.1.6.

Leitprinzip politischen Glücks: Kompensation und Nicht-Enttäuschung

199

Politisch-institutionelle Arrangements des Glücks der größten Zahl (I) - Politik und Recht

212

Der genetische und systematische Ursprung von Recht und Herrschaft

213

4.2. 4.2.1. 4.2.2.

Exkurs: Anmerkungen zum "Recht für Hunde" - common law

222

4.2.3.

Die Zirkularität der Macht und die Theorie der Souveränität ... 226

4.2.4. 4.2.5.

Der strafende Staat und die Freiheit seiner Bürger Das Recht gibt alles: Sicherheit, Subsistenz, Wohlstand und Gleichheit - die Teile des Glücks

4.3.

234 240

Politisch-institutionelle Arrangements des Glücks der größten Zahl (II) - Repräsentative Demokratie

253

4.3.1.

Die Negativfolie: Monarchie und Korruption

253

4.3.2.

Zur Theorie des Amtes : das "duty and interest juncture principle"

266

4.3.3.

Öffentlichkeit und öffentliche Meinung

278

4.3.4.

Wahlrecht als Demokratie

289

4.3.5.

Verfassung: Constitutional Code

301

5.

Rückblick: Benthams politische Aufklärung

307

8

6.

7.

Inhalt

Literaturverzeichnis

315

Jeremy Benthams Schriften

315

Weitere Literatur

323

Personenverzeichnis

329

Vorbemerkung

Wer immer auch über Jeremy Bentham und das Glück der größten Zahl schreibt, wer sich über Jahre mit Benthams Denken beschäftigt hat, dem wird nicht nur ein Autor immer wichtiger, der in Deutschland geradezu sträflich vernachlässigt wird, der denkt auch unter ganz anderen Bedingungen über sein eigenes Glück als Wissenschaftler und Privatmensch nach. Wenn er dann noch in der typisch deutschen philosophischen Tradition sozialisiert worden ist, dann erscheint ihm Bentham als ein hoch erwünschtes Gegengift. Als universitär verankerter Wissenschaftler war ich immer davon überzeugt, dass man das Institut der Habilitation nicht rechtfertigen kann. Meine eigene Erfahrung hat mich vom Gegenteil überzeugt und ich bin mir sicher, dass ich intellektuell und menschlich bessere Erfahrungen machen durfte als das ein Juniorprofessor je wird können. Dazu haben die guten Arbeitsbedingungen in der Politikwissenschaft an der Universität Augsburg zweifellos beigetragen. Ich habe hier meinen Kollegen und Freunden zu danken, die ein kollegiales und tolerantes Arbeitsklima für mich geschaffen haben. Den Augsburger Gutachtern bzw. Betreuern meiner Arbeit bin ich nun seit mehreren Jahren für nachhaltige Förderung und Unterstützung zu Dank verpflichtet. Professor Dr. Theo Stammen hat, wie nun schon seit einem Jahrzehnt, gefördert, angeregt und geholfen. Ohne ihn wäre ich nie Politikwissenschaftler geworden - ich hoffe wirklich sehr, dass das ein Kompliment sein kann. Professor Dr. Hans-Otto Mühleisen sei für sein sehr kluges und verständiges Gutachten gedankt und dafür, dass er sich für weitere Perspektiven für den Habilitierten so nachdrücklich eingesetzt hat. Mit Professor Dr. Rainer-Olaf Schultze verbindet mich eine intellektuelle Gegnerschaft, die ich keinesfalls missen möchte. Ich hoffe auf weiteren Streit mit einer so verstandenen empirischen Politikwissenschaft, auch wenn wir immer öfter einer Meinung sind. Meinen auswärtigen Gutachtern und Gesprächspartnern, Professor Dr. Gerhard Göhler (Berlin) und Professor Dr. Ulrich Weiß (München) bin ich ganz besonders dafür dankbar, dass sie mein intellektuelles Abenteuer Bentham von Beginn an so hoch kompetent begleitet und unterstützt haben. Das hat wirklich Spaß gemacht und hat mich intellektuell gefordert. Ich habe ihnen für unzählige Anregungen zu danken, die ich unmöglich alle in den folgenden Text einarbeiten konnte. Ich habe mich darum bemüht, trage allerdings natürlich die Verantwortung für die zahlreichen Defizite. Dem Herausgeber der politischen Ideen, Professor Dr. Herfried Münkler (Berlin), danke ich nicht nur für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in seine Reihe, sondern auch für zahl-

10

Vorbemerkung

reiche inhaltliche Hinweise. Auch hierfür gilt, dass nur ein kleiner Teil aus praktischen und nicht aus intellektuellen Gründen umgesetzt werden konnte. Wenn man ein Buch schreibt, so lebt man auch noch - man lebt sogar ganz intensiv. Dafür, dass das alltägliche Leben noch einigermaßen möglich war, muss ich Sepp und Marianne Spreng danken, die so viel Probleme gelöst haben. Auch Helmut Schuster möchte ich für seine Art der Unterstützung danken. Frau Claudia Bölzle hat den Text durch ihre Kompetenz in ein lesbares Produkt verwandelt. Dafür sei ihr herzlich gedankt. Dr. Norbert Winkler bin ich für seine Leistungen als Lektor dieses Buches in fachlicher und formaler Hinsicht ebenfalls zu nachdrücklichem Dank verpflichtet. Ich widme diese Arbeit, wie alle meine Texte, meiner über alles geliebten Frau und meiner wunderbaren Tochter. Ein Leben mit ihnen sorgt dafür, dass ich jeden Tag weiß, was das Glück ist - mein größtes Glück.

Augsburg im September 2001

Willi Hofmann

1. Warum Bentham? Ideengeschichtlicher und systematischer Fragehorizont

Wer sich im deutschsprachigen Raum mit Jeremy Benthams politischem Denken beschäftigen will, sieht sich einer merkwürdigen Konstellation gegenüber. In fast allen einschlägigen Werken wird Bentham als der Gründervater des Utilitarismus gewürdigt, dem es gelungen ist, aus einer Reihe von vorher nur in Ansätzen formulierten Argumenten zur Nützlichkeits- und Glücksproblematik moralischen und politischen Handelns eine vergleichsweise systematische Theorie zu formulieren.1 Benthams oftmals variierte Formel vom "größten Glück der größten Zahl" fehlt in kaum einem als Überblick angelegten Standardwerk der Moralphilosophie oder der politischen Ideengeschichte. Gleichwohl gibt es keine deutschsprachige Gesamtdarstellung seines politischen Denkens2 und auch die englischsprachige Literatur zu seiner politischen Theorie beschäftigt sich in neueren Texten zumeist mit seinen Überlegungen während einer bestimmten Schaffensperiode.·3 Wie allseits bekannt, ist zudem seine Reputation insbesondere in Deutschland denkbar schlecht.4 Sein Werk wird gerne als Musterbeispiel oberflächlicher Nützlichkeitsverkündung gewertet und man beruft sich bei diesen Bewertungen, die im günstigen Fall auf einer Kenntnis seiner beiden Frühschriften A Fragment on Government und An Introduction to the Principles of Morals and Legislation beruhen, gerne auf die Tatsache, dass Benthams eigener "Schüler" John Stuart Mill als Kronzeuge gegen den Utilitarismus benthamscher Provenienz gelten kann. Eine Beschäftigung mit ihm und seinem Werk lohnt daher bestenfalls, wenn man seine Ausführungen als Vorstufe der raffinierteren und systematisch aktuelleren Argumente Mills einordnet. Die Tatsache, dass Benthams bereits auf den ersten Blick stark durch rechtstheoretische Erwägungen gekennzeichnetes Schaffen einen starken Bezug zur engli1

Vgl. Göhler, Gerhard/Klein, Ansgar, Politische Theorien des 19. Jahrhunderts, in: Lieber, HansJoachim (Hrsg.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn 1993, S. 4 4 7 f. und 454 ff.; Bermbach, Udo, Liberalismus, in: Fetscher, Iring/Münkler Herfried, Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 4, München 1986, S. 325 ff.

2

So enthält der verdienstvolle Sammelband von Gähde/Schrader keinen eigenen Aufsatz zur politischen Dimension des klassischen Utilitarismus. Vgl. Gähde, U./Schrader Wolfgang H. (Hrsg.), Der klassische Utilitarismus, Berlin 1992.

3

Vgl. beispielhaft hierfür Rosen, Frederick, Jeremy Bentham and Representative Government, Oxford, 1983; ders., Bentham Byron and Geece, Oxford 1992.

4

Vgl. Höffe, Otfried, Strategien der Humanität, Frankfurt am Main 1985, S. 102. Für ein weiteres Beispiel einer positiven Würdigung vgl. auch Forschner, Maximilian, Mensch und Gesellschaft, Darmstadt 1989, S. 118 ff.

12

Warum Bentham? Ideengeschichtlicher

und systematischer

Fragehorizont

sehen Rechtstradition aufweist und seine Argumente kaum mit der kantisch geprägten deutschen moral- und rechtsphilosophischen Tradition harmonieren wollen, erschwert die Rezeption zusätzlich. Für die Rezeption seiner Werke ganz allgemein gilt, dass seine eigene Produktionsweise alles andere als förderlich für eine breite Aufnahme seiner Schriften war. Fast alle bekannten Texte fanden ihr Publikum über Mittelsmänner, die die jeweiligen Manuskripte stilistisch und strukturell überarbeitet haben, was ihrem Autor, der Zeit seines Lebens von Projekt zu Projekt eilte und der daher selten die Zeit zur Vollendung begonnener Manuskripte fand, durchaus willkommen war.5 Auch der Leser, der Benthams eigene Texte, soweit er sie selbst veröffentlicht hat oder sie durch die große Edition der Collected Works rekonstruiert werden konnten, konsultiert hat, ist den Redaktoren oft stillschweigend dankbar, da diejenigen Texte Benthams, die nicht von vorneherein als politische Kampfschriften oder polemische Abrechnungen mit Gegnern bzw. von ihm missbilligten Projekten und Positionen verfasst wurden, selbst für einen muttersprachlichen Rezipienten oft erhebliche Verständnisprobleme aufwerfen. Es ist die fast manische und mit zunehmendem Lebensalter immer mehr zunehmende Bemühung um sprachliche Genauigkeit des Ausdrucks, die allerdings, wie zu zeigen sein wird, starke systematische Gründe hat, die Satzungetüme hervortreibt, in denen immer neue Einschübe zur Erklärung der Erklärung von Erklärungen der ursprünglichen Bedeutungsintention dienen. Das Ergebnis sind Sätze, die nicht selten mehr als 200 Wörter umfassen.6 Angesichts dieser Ausgangslage bedarf es einer kurzen Rechtfertigung des spezifischen Erkenntnisinteresses, das hinter einer Rekonstruktion des politischen Denkens von Jeremy Bentham steht. Ausgangsüberlegung der folgenden Rekonstruktion von Benthams politisch-utilitaristischer Aufklärungsphilosophie ist die These, dass sich an seinem Werk aus verschiedenen Gründen die paradigmatische Formulierung des Selbstverständnisses von Politik in modernen Gesellschaften ablesen lässt. Eine Interpretation des politischen Denkens von Bentham erhebt damit zugleich den Anspruch auf die gleichsam archäologische Beschreibung des politischen Bewusstseins der Gegenwart Bei Benthams weltweit wirksamster Schrift Traités de législation civile et pénale, 3 Bde., Paris 1802, die wegen Unvereinbarkeit mit der katholischen Lehre 1819 auf den Index gesetzt wurde, handelt es sich bekanntlich um eine stark redigierte, vereinfachte und stellenweise verharmlosende Übersetzung von Etienne Dumont. Die fünf Bände des Rationale of Judicial Evidence erschienen 1827 in der Bearbeitung von John Stuart Mill. Zahlreiche seiner anderen Texte wurden erstmals in der elfbändigen Werkausgabe seines Exekutors John Bowring Edinburgh, 1838-43, ebenfalls in Bearbeitung verschiedener Redaktoren veröffentlicht. Die Bowring-Edition war ein Fehlschlag und trug, nicht zuletzt wegen des kaum lesbaren Druckbildes, wenig zur Verbreitung von Benthams Gedanken bei. Um die Lesbarkeit der folgenden Darstellung zu erhöhen, werden solche Wortberge, soweit als möglich, gemieden. Bezugnehmend auf eine Stilanalyse und insbesondere die Wirkung dieses Stils auf die zeitgenössischen Rezipienten vgl. Dinwiddy, John R., Bentham and the Early Nineteenth Century, in: ders., Radicalism and Reform in Britain, 1780-1850, London, S. 295 ff. Der früh verstorbene Dinwiddy kommt zu dem Fazit: "Paradoxically it was partly as a result of his efforts to be completely unambiguous that his style became so convoluted and opaque." Ebd. Dann folgt ein Satz mit 260 Worten.

13 mit all seinen Widersprüchen. Die Intuition, die dieser Behauptung zu Grunde liegt, speist sich aus folgenden vorgängigen Beobachtungen: - In Benthams Denken liegt zwar kein klassisch innovatives Konzept politischer Philosophie vor. Bentham selbst hat immer wieder darauf hingewiesen, wie viel er seinen Vorgängern und zeitgenössischen Autoren verdankt. Der durchgehende Eklektizismus seines Denkens wird im Fortgang der Arbeit immer wieder aufscheinen. Jedoch sind seine aus einer ursprünglich praktisch-reformatorischen Absicht hervorgegangenen Werke nicht nur ein Beitrag zur Reformdebatte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und damit von bloß antiquarischem Interesse. Benthams besondere systematische Bedeutung besteht darin, dass er die verschiedenen Pole, die das politische Denken seiner vielen Bezugsautoren 7 maßgeblich prägen, zu einer Synthese fuhren will und dabei zwar in einigen Punkten scheitert, dass er aber zugleich damit die Widersprüche des modernen politischen Bewusstseins formuliert. Das zeigt sich am deutlichsten in seinem Versuch, den methodischen Individualismus, den er in einer außergewöhnlichen Radikalität vertreten hat, den er aber als normatives Postulat des Politischen in nicht nur methodischer, sondern auch in praktischer Hinsicht verstand, über das Prinzip des "größten Glücks" mit einer normativen Gemeinwohlorientierung zu verbinden. - Dieser Syntheseversuch zwingt Bentham geradezu zur Entwicklung eines Modells politischer Nutzen- und Interessenkalküle, die zwischen den mehr oder weniger naturwüchsigen Interessen der Individuen eine künstliche Balance herstellen und sie zugleich aufklären sollen. Seine kausal-mechanistische Handlungstheorie, die jedem Handeln ein korrespondierendes Interesse des Individuums als Verursachung unterstellt, hat zwar vielfache Kritik ausgelöst, da sie moralphilosophisch nie die Dignität des kategorischen Imperativs erreichen kann, sie vermeidet jedoch jede Lücke zwischen dem empirischen und dem moralischen Subjekt und erhebt den Anspruch auf die Begründung einer empirisch abgesicherten Logik des Wil-

In erster Linie sind hier Thomas Hobbes und John Locke gemeint, deren Einfluss oft weiter reicht als derjenige der Autoren, auf die sich Bentham explizit beruft, wie Hume, Beccaria, Helvetius, Priestley oder derjenigen, die ihm als Vorbilder dienen, wie Newton und Linné. Plamenatz betont mit Recht, dass die Bedeutung des von Hobbes so hervorgehobenen egoistischen Hedonismus für Bentham und James Mill kaum überschätzt werden kann. Die wesentliche Differenz, die er sieht, besteht darin, dass "[...] they suggest that altruism arises out of egoism, or else that it is a subtle and refined form of it." Plamenatz, John, The English Utilitarians, Oxford 1958 2 , S. 8. Aus dem egoistischen Hedonismus resultiert ein Hobbes und Bentham gemeinsamer anthropologischer Pessimismus: "Bentham and the elder Mill, for instance, were as certain as Hobbes that men ought not to trust one another." Ebd., S. 16. Seine These aber, dass man eine weit geringere Bedeutung Lockes für Bentham annehmen müsse (vgl. ebd., S. 21), scheint so nicht haltbar. Zwar mag es sein, dass die naturrechtliche Folie des Denkens von Locke mit Benthams Denken inkompatibel ist. Allerdings sind die Parallelen frappierend, wenn man die naturrechtliche Begründung einen Moment suspendiert. Dann zeigt sich, dass sowohl die erkenntnis- und handlungstheoretischen Voraussetzungen wie auch die Theorie der Kommunikation, des Wissens und der Sanktionen bei Locke und Bentham eine sehr große Ähnlichkeiten aufweisen. Noch deutlicher wird dies bei den Überlegungen zur Sicherheit des bürgerlichen Lebens.

Warum Bentham? Ideengeschichtlicher

und systematischer

Fragehorizont

lens. Dabei kommt in seinem Denken dem Recht eine herausgehobene Bedeutung zu, allerdings einem positiven Recht, das aus vorrechtlichen utilitaristischen Prinzipien genuin politisch erarbeitet werden muss. In der Konsequenz zehrt in seiner Argumentation das politisch erzeugte und sanktionierte Recht, und nur um dieses geht es ihm, die Moralität dergestalt auf, dass für sie nur noch die faktische Beurteilung des individuellen Handelns durch die konventionelle Moral der Gesellschaft und bestimmte Klugheitsregeln übrig bleiben. Durchaus in der Nachfolge von Hobbes ist das Politische weitgehend der Moral gegenüber autonom, allerdings soll es der höheren Rationalität des gesellschaftlichen Glückskalküls folgen.8 Ein letztlich systematisch kaum lösbares Postulat, das aber argumentativ zu einer äußerst interessanten Position fuhrt, die man im Anschluss an Blackie einen reinen politiktheoretischen EXTERNALISMUS nennen kann.9 Bentham umgeht zwar weitgehend die systematischen Probleme des qualitativen Utilitarismus, indem er

Daher stimmt die Feststellung, Bentham habe die Theorie der Souveränität genau da wieder aufgenommen, wo sie Hobbes habe liegen gelassen. Allerdings ist dem Leviathan durch seine Bindung an das Glück der Beherrschten ein Ring durch die Nase gezogen worden. Vgl. Pollock, Frederick, An Introduction to the History of the Science of Politics, London 1890, S. 96. Blackie, der in John Lockes Begründung des Empirismus die erkenntnistheoretische Quelle des gesamten Utilitarismus verortet, sieht in dem, was er als EXTERNALISMUS bezeichnet, die entscheidende Gemeinsamkeit aller utilitaristischen Ethik: "Between Paley, the model churchman of the eighteenth century, and Bentham, the stereotyped hater of all churchmen, churches and creeds, there is no doubt a great gap; still there is a great family likeness even between these two extremes of the school; and the point in which this likeness asserts itself we think may be best expressed by the phrase EXTERNALISM. From Thomas Hobbes of Malmesbury down to Alexander Bain of Aberdeen, the morality of the Utilitarians is a morality in which the moral virtue is as much as possible denied, and the moral virtue of outward institutional or other machinery as much as possible asserted. Look everywhere for the origin of right and wrong - only not in the soul. The kingdom of heaven, according to the prophets of this gospel, is not within you, but without." Blackie, John Stuart, Four Phases of Morals, New York 1872, S. 286. Dieser Begriff des EXTERNALISMUS wird in den folgenden Überlegungen eine entscheidende Rolle spielen und an Benthams Denken exemplifiziert werden können. In der Tat stellt sein Denken über die Mechanismen sozialer Kontrolle und seine Theorie der Sanktionen fast vollkommen von der Innenauf die Außenperspektive um. Es wird uns bei der Rekonstruktion der einschlägigen Argumente vor allem darum gehen müssen zu zeigen, welche Ursachen dieser Wandel hat und wie diese Umstellung den Versuch darstellen kann, die Pole von individueller Freiheit und politischer Ordnung vor dem Hintergrund von Glückspostulaten zu verbinden. Die zentrale Interpretationshypothese lautet dabei: Bentham stellt (etwa im Panopticon) auf den moralischen EXTERNALISMUS (der dadurch ein politisch-moralisches Phänomen wird) um, damit die Sphäre des Individuums von moralischen Vorschriften entlastet (moralischer Minimalismus) werden kann, weil unter den Bedingungen der Moderne keine allgemeinverbindlichen Regeln eines guten Lebens mehr akzeptiert werden, die wesentlich über ein politisch auszuhandelndes Minimum hinausreichen. Die Formel vom größten Glück der größten Zahl ist dann aber ein formales Minimum, dessen inhaltliche Ausfüllung unter je veränderten Bedingungen im Medium der Politik neu bestimmt werden muss. Die andere Option, die man dann als Internalismus bezeichnen müsste, setzt dagegen auf eine erhöhte innere moralische Selbststeuerung der Individuen, damit das Zusammenleben in komplexen modernen Gesellschaften gelingen kann oder nimmt diese als Faktum der Vernunft an.

15 von den faktischen Nutzenkalkülen der Individuen auszugehen versucht, die er in seltener Deutlichkeit gegen einen verkürzten Moralismus (etwa in der Sexualmoral) verteidigt. Er kann aber die Frage nach der Wertigkeit von Interessen nur so weit verdrängen, wie sie nicht dem Glück der größten Zahl entgegen stehen, da sich sonst seine aufklärerische Intention verflüchtigen würde. - Von besonderem Interesse für eine politikwissenschaftliche Analyse von Benthams Werk sind seine Überlegungen zur institutionellen Ordnung einer Gesellschaft, die das größte mögliche Glück freier und selbstverantwortlicher Individuen ermöglichen soll. Die Bandbreite konkreter Vorschläge reicht hier bekanntlich von Musterverfassungen bis zu detaillierten Katalogen des Strafrechts und dem berüchtigten Reformgefängnis "Panopticon". Weniger bekannt dürften Überlegungen zu einem "Frigidarium" sein, 10 das die Versorgung der Bürger mit gut konservierten Lebensmitteln sicherstellen sollte und seine Vorschläge für die Armenfursorge, die am Beginn einer sozialpolitischen Gesetzgebung stehen, die zumindest im Ansatz die soziale Grundversorgung aller Bürger sicherstellen sollte, auch wenn sie sich rigider Zwangsmittel bedienen durfte. Benthams Argumente zum institutionellen Arrangement moderner repräsentativer Ordnungen sind von besonderem Interesse, weil sie neben manchmal eher skurrilen Vorschlägen den Versuch unternehmen, auf der Ebene rationaler Institutionalisierung die Tendenzen zur Durchsetzung abweichender Interessen, den von ihm immer wieder behandelten "sinister interests", durch Ordnungskonfigurationen so zu kompensieren, dass bei einer grundlegenden natürlichen egoistischen Orientierung der Individuen trotzdem eine zumindest nicht schädliche, wenn nicht gar für das Gemeinwohl forderliche politische Praxis herausspringt. Auch hier wird sich zeigen lassen, wie Bentham an konkreten Beispielen mit seiner Kritik ansetzt und wie ihm das englische Gewohnheitsrecht und die britische Monarchie mit ihrer aristokratischen Basis zum Leitbild reformbedürftiger Ordnung werden, die er durch ein Modell repräsentativer Demokratie zu überbieten sucht. Seine Beobachtungen zum immer möglichen Machtmissbrauch durch die Herrschenden und der zumindest latenten Allgegenwart der Korruption besitzen geradezu zeitlose Gültigkeit. Erst dieser konkrete Ansatzpunkt seines Denkens, den er auch in abstrakten Argumentationszusammenhängen nicht aus den Augen verliert, macht manchen systematischen Widerspruch bzw. manche systematische Leerstelle in seiner Argumentation verständlich. Gleichzeitig stellen sie seine Beiträge zur politischen Rhetorik ganz an den Beginn der Entwicklung moderner Persuasionsforschung, die die Notwendigkeit ideologischer Beschaffung politischer Akzeptanz durch die Beherrschten reflektiert. Wenn die hier angeführten Beobachtungen richtig sind, so kann der Versuch unternommen werden, das politische Denken Benthams als eine typisch spätaufklärerische politische Theorie zu rekonstruieren. Dabei soll es nicht vorrangig um das Verhältnis von Biografie und Werk gehen, da die hier einschlägigen Aspekte bereits mehr als zu10

Vgl. Cohen, David L., Bentham's Frigidarium: Utilitarianism and Food Preservation, The Bentham Newsletter, http://www.ucl.ac.uk/Bentham-Project/cohen.htm, 18.06.97, 19:38.

16

Warum Bentham? Ideengeschichtlicher

und systematischer

Fragehorizont

reichend diskutiert sind. Die wesentlichen Stationen der Interdependenz von Leben und Werk Benthams, vom an den aufgeklärten Absolutismus appellierenden frühen Bentham des Fragment on Government, über den zunehmend enttäuschten Bentham, der das Scheitern seiner Pläne zum Panopticon auf die monarchisch-aristokratischen Interessen zurückführte, sich auch, wie Mary Mack gezeigt hat, in der frühen Phase der Französischen Revolution für deren Ideale begeisterte, um sie kurze Zeit später vehement zu kritisieren, 11 bis zum radikalen Demokraten der späten Jahre, der mit James Mill und zahlreichen anderen "radicals" sich mit ganzer Kraft der Reformierung der politischen Verhältnisse verschrieb 12 und dem die Vereinigten Staaten von Amerika zum politischen Leitbild wurden, 13 werden eher am Rande thematisiert werden können. Offensichtlich finden in diesem Leben verschiedene Wendungen statt und Bentham selbst hat etwa mit seinem Testament, in dem er nicht nur seinen Körper der Nachwelt vermacht hat, sondern zugleich auch noch einige Überlegungen zur besseren Nutzung der Toten durch die Lebenden anstellt, 14 darüber hinaus reichlich Material für eine eher anekdotische Beschäftigung mit seiner Person hinterlassen. 15 Die zentrale systematische Bedeutung dieser biografischen Daten wurde und wird vor allem in Benthams Wendung vom an Rechtsreformen interessierten frühen Bentham, dem die politische Verfasstheit des Gemeinwesens eher gleichgültig war, zum späten Bentham, dem radikalen Reformer, der eine reine repräsentative Demokratie als Maß aller politischen Dinge verteidigt hat, gesehen. Zweifellos ist diese Sicht der Dinge nicht falsch. Sie übersieht jedoch sehr leicht, dass sich für Bentham systematisch weniger ändert, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Sein Ziel bleibt durchgängig das größte Glück der größten Zahl und das Medium seiner Verwirklichung bleibt das politische Recht. Es ändern sich, hierin besteht in der Tat die maßgebliche Differenz, primär die Adressaten seiner Lehre. Sind dies ursprünglich die politischen Eliten, so sind es späterhin alle "Bürger guten Willens", von denen er sich die Umsetzung seiner Reformvorschläge erwartet. Tendenziell sollen in dieser späteren Phase die Akteure und die Profiteure der Reform zum Glück Vgl. Mary P. Mack, Jeremy Bentham. An Odyssey of Ideas 1748-1792, London 1962. Vgl. Halévy, Elie, The Growth of Philosophical Radicalism, (zuerst frz., Paris 1901-1904, engl. Übers. 1928), Clifton NJ 1971. Entscheidend für das Leitbild Amerika war, dass in Benthams Augen hier Demokratie und bürgerliches Eigentum ohne gewaltsamen Egalitarismus zusammen bestanden. Vgl. für das Paradigma Amerika nach 1809 Dinwiddy, John R., English Radicals and the French Revolution 18001850, in: ders., Radicalism and Reform, S. 210. Auto-Icon; or Farther Uses of the Dead to the Living, unklar datierter Privatdruck, deutsch-englisch, hrsg. v. Michael Hellenthal, Essen 1995. Bentham selbst hat augenzwinkernd seinen Beitrag zur Beförderung dieser Anekdotenbildung geleistet und seine dabei gezeigte Fähigkeit zur Selbstironie korrigiert das Bild des weltfremden Spießers. So erregte er beispielsweise erhebliches Aufsehen, wenn er im hohen Alter mitten durch London trottete bzw. joggte, um sich körperlich fit zu halten. Seine Manie, neue Begriffe zu erfinden, ironisierte er durch spielerische Übertragung seiner Neologismen auf den Alltag der Haushaltsführung. Er pflegte ein enges Verhältnis zu seiner Hauskatze, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass seine Sympathie für Mäuse allseits bekannt war. Auch kulturell war Bentham bei weitem nicht so beschränkt, wie das oft vermittelt wird. Seine bevorzugte Freizeitbeschäftigung war Musik.

17 identisch werden. Das zentrale Mittel und Medium der auf utilitaristische Begründungen gestützten Vorschläge bleibt ein politischer Souverän, dessen faktische Akzeptanz die Chance fur die Vergrößerung des gesamtgesellschaftlichen Glücks ermöglichen soll, wobei eben diese faktische Akzeptanz durchgängig an reale Glückskalküle rückgebunden bleibt. Damit soll nun keineswegs behauptet werden, die Wandlung Benthams zum radikalen demokratischen Reformer sei eine bloße Marginalie. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich zwar seine Vorstellungen von einer idealen politischen Ordnung ändern, dass jedoch die Verbindung von Glückskalkül und Politik unverbrüchlich erhalten bleibt: Das größte Glück der größten Zahl entsteht nur durch ein von der souveränen politischen Gewalt garantiertes und im Medium der Politik entstandenes Recht, das sich wiederum nur über dieses Glück rechtfertigen lässt. Das erklärt auch, warum Bentham schon ein radikaler Reformer ist bevor er zum radikalen Demokraten wird.16 Leitmotiv aller seiner Anstrengungen ist die Verringerung von Leid und die Vermehrung von Freude für alle fühlenden Kreaturen.17 Die folgende Rekonstruktion behandelt Bentham als einen Vertreter einer spätaufklärerischen innerweltlichen Theorie der Kompensation,18 der Politik aus systematischen "Bentham, indeed, was an ardent reformer and a lover of mankind for nearly forty years before he became a democrat." Plamenatz, John, The English Utilitarians, S. 64. Benthams Leiddifferenz von "pain and pleasure" führt ihn dahin, dass alle Wesen, die Schmerzen empfinden können, einen Anspruch auf Berücksichtigung im Glückskalkül haben. Dadurch steht er am Beginn der Tierschutzbewegung und eine seiner Aussagen zum Thema war über Jahre hinweg Werbespruch der Body-shop-Kette, die tierversuchsfreie Kosmetika vertreibt. Gemeint ist der letzte Satz des folgenden Zitates: "The day may come, when the rest of the animal creation may acquire those rights which never could have been witholden from them but by the hand of tyranny. The French have already discovered that the blackness of the skin is no reason why a human being should be abandoned without redress to the caprice of a tormentor. It may come one day to be recognized, that the number of the legs, the villosity of the skin, or the termination of the on sacrum, are reasons equally insufficient for abandoning a sensitive being to the same fate? What else is it that could trace the insuperable line? Is it the faculty of reason, or, perhaps, the faculty of discourse? But a full grown horse or dog, is beyond comparison a more rational, as well as a more conversible animal, than an infant of a day, or a week, or even a month, old. But suppose the case were otherwise, what would it avail? the question is not, Can they reason? nor. Can they talk? but, can they suffer?" An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 283, Fn. b. Odo Marquard hat pointiert im Anschluss an Kosellecks Begriff der "Sattelzeit" die These vertreten, dass mit dem Scheitern der leibnizschen Theodizee, die noch den Nachweis fuhren wollte, dass Gott die Übel und Mängel der Schöpfung durch zahllose Annehmlichkeiten kompensiert hatte, verschiedene Typen innerweltlichen Kompensationsdenkens entstanden seien. Er unterscheidet einen individuellen Typus, bei dem das Individuum die Aufgabe des Ausgleichs von Übeln und Gütern in seinem Leben zu bewältigen hat, von einem mundanen, in dem die Philosophie mit unterschiedlichem Ergebnis eine Art Gesamtrechnung vornimmt und letztlich einen sozialreformatorischen Typus, den Bentham beispielhaft vertreten habe. "Wo die Bilanz der Übel und Güter trotz allem unbefriedigend ausfällt, muss man sie - in Richtung auf »the greatest happiness of the greatest number« - durch pragmatische Fortschrittsmaßnahmen aufbessern; ein derart planmäßig betriebenes compenser le malheur proklamieren 1758 Helvetius und 1776 bzw. 1789 Bentham. Dazu gehört dann unvermeidlich auch das Folgeproblem, wie - durch Kompensationen - diejenigen

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Gründen zum entscheidenden Mittel der Verringerung gesellschaftlicher Übel und der (damit weitgehend identischen) Vergrößerung gesellschaftlichen Glücks wird. Dieser Theorietypus setzt auf die Erreichbarkeit beschränkter gesellschaftlicher Ziele durch die Steigerung der politischen und ökonomischen Effizienz und eine Neuorganisation der gesellschaftlichen Güter- und Chancenverteilung, die allerdings nicht revolutionär, sondern auf dem Weg von Reformen erreicht werden soll. Er geht von der Notwendigkeit einer Vermittlung von Interessen aus und möchte eine Verbesserung der Verhältnisse schaffen, bei der letztlich keiner der Betroffenen schlechter gestellt werden soll. Es wird sich ohne Zwang zeigen, dass zahlreiche Topoi aus dem Werk Benthams eine Entsprechung im politischen Allgemeingut unserer eigenen politischen Vorstellungswelt haben.19 Spätestens nach dem Scheitern des sozialistischen Glücksversprechens kann der utilitäre Liberalismus Benthams als eine der bedeutsamen Selbstverständigungsoptionen moderner westlicher Gesellschaften interpretiert werden.20

entschädigt sind oder werden können, die da nicht zur »greatest number« gehören und weniger »happiness« haben als »the greatest«; [...]." Marquard, Odo, Der angeklagte und der entlastete Mensch, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, S. 45. Diese Denkstruktur, die nach Marquard notwendig zur Übertribunalisierung und Daueranklage des Menschen durch sich selbst fuhrt (ebd., S. 49), was so für Bentham nicht zutrifft, zieht sich in der Tat wie ein roter Faden durch Benthams Werk. Es geht immer wieder darum, dass Politik und Gesetzgebung radikale Veränderungen zum Guten jedenfalls gegenüber denen zu kompensieren haben, die danach schlechter gestellt wären. Entschädigung und Kompensation sind nötig, da ansonsten dem durch Reform erzeugten Guten, das unter den Bedingungen knapper Güter meist anderen weggenommen werden muss, ein Übel gleicher Größe gegenüber stünde, was das gesamtgesellschaftliche Glück dann aber nicht vermehren würde. Wir werden sehen, wie dieser Gedanke nachhaltig die Wahl der Mittel (Strafe versus Belohnung) beeinflusst. Vgl. Marquard, Odo, Kompensation, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Sp. 912-918. Hanna F. Pitkin hat das Phänomen des universellen Benthamismus so beschrieben: "Were Bentham to return today, he would surely be pleased at the extent of his triumph, the influence of his inventions, reforms, and vocabulary, the prestige of contemporary utilitarism and its derivates: public choice theory, rational choice theory, game theory, and cost benefit analyses. More generally, too, he might find ours to be a Benthamic world: in its substitution administration for politics, its oscillating between laissez-faire liberalism and the welfare state, [...]. Indeed, some of Bentham's ideas have become our commonplace assumptions, to the point where one might say that Bentham has triumphed within each of us." Pitkin, Hanna F., Slippery Bentham, in: Political Theory, 18/1, 1990, S. 105. Der Text mündet dann in einer Kritik an der Unschärfe von Benthams Argumentation. Ausgangspunkt dieser Kritik ist die bekannte Einwendung von Plamenatz, dass es Bentham letztlich nicht gelungen sei, zwischen seinen gegensätzlichen Ausgangspunkten zur Synthese zu finden. Im Original lautet das Argument: "It seems to me that Bentham without quite knowing what he is doing, is trying to reconcile two couples of irreconcilable doctrines: egoistic hedonism with utilitarism, on the one hand; and a psychological with an objective theory of morals on the other." Plamenatz, John, The English Utilitarians, S. 72. Vgl. Ionescu, Ghita, Politics and the Pursuit of Happiness, London/New York 1984. Ionescu sieht im materialistischen Utilitarismus von Bentham, der zur philosophischen Grundlage des Liberalismus wird und in Marx' historischem Materialismus, der dem Kommunismus zu Grunde liegt, die zwei zentralen Ideologien der Politisierung des Glücks. Vgl. ebd., S. 106.

19 Die folgende Rekonstruktion von Jeremy Benthams politischem Denken geht in drei größeren Schritten vor. Zunächst erfolgt eine kurze Beschreibung zentraler Interpretationsansätze, die je eine Dimension seines Werks und seiner Person in den Vordergrund gestellt haben. Sie haben dadurch verschiedene Filter geschaffen, durch die jede gegenwärtige Rezeption hindurch muss und die zugleich ein kritisches Raster derselben hergeben können. Wie bedeutsam eine solche Beschreibung der Rezeptionsfilter für eine Rekonstruktion von Benthams politischem Denken ist, lässt sich deutlich an der fast alle weiteren Wertungen von Benthams Werk bestimmenden Kritik von John Stuart Mill feststellen. Angesichts eines schwer erschließbaren Werkes wurden und werden die Wertungen des brillanten Essayisten Mill, dem es in jeder Hinsicht besser gelang utilitaristische Vorstellungen für eine breite Rezeption zu formulieren, oft ohne Nennung der Herkunft, aber häufig ohne vorherige Konsultation der Texte Benthams, reproduziert. Seine Sicht der Philosophie Benthams ist eine mögliche Berufungsinstanz für all die Interpretationen, die in Benthams Denken ein Beispiel für eine radikale, inhumane und anthropologisch halbierte Aufklärung sehen wollen, der der Mensch zur reinen Vernunftmaschine degeneriert und die in ihrem universalen Begründungswahn zugleich jede gewachsene Sittlichkeit zerstören muss. Ihren mit Abstand kritischsten Punkt erreicht diese Sicht der Dinge in dem Vorwurf, dass das Freiheitsversprechen der Aufklärung beispielhaft im Fall Benthams in ein System absoluter Kontrolle mündet. Ergänzt wird diese Sicht durch die zwar theoretisch eher weniger anspruchsvolle Sicht von Benthams Utilitarismus, die sich mit den Namen Nietzsche und Marx in Verbindung bringen lässt. Beide sehen in ihm und seinem Denken ein Beispiel erzbürgerlicher Selbstzufriedenheit, eines Denkens, das die abgeflachte Theorie des Besitzbürgertums repräsentiert, dem aber die Brillanz und Durchschlagskraft frühbürgerlicher Frische fehlt. Abgeschlossen soll dieser Abschnitt werden durch eine Diskussion einer sehr wenig beachteten Rezeption von Benthams Denken durch Friedrich Eduard Benecke, dem wichtigsten Vertreter des deutschen Sozialeudaimonismus. Beneke, dem die typisch deutsche Ablehnung von Benthams politischer Philosophie entgegen gestellt werden muss, geht von einer ursprünglich kantischen Position zu einer empirisch-psychologischen Philosophie über und diskutiert beispielhaft Kant und Bentham als die zwei zentralen erkenntnistheoretisch abgesicherten Optionen rechtstheoretischen und politiktheoretischen Denkens in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein zweiter Schritt der Rekonstruktion thematisiert Benthams Handlungstheorie und seine Theorie der Kommunikation. Dieser Vorgriff ist berechtigt, obwohl sich unschwer zeigen lässt, dass die Genese seines Denkens nicht von den systematisch grundlegenderen Argumentationsbereichen zu den praktisch politischen verläuft, sondern bestenfalls eine mitlaufende Reflexion angenommen werden muss. 21 Benthams Nachdenken hebt nicht mit der grundlegenden Reflexion an, was denn menschliches Handeln und Sprechen in Bezug auf die politische Ordnung für eine Bedeutung haben, es nimmt biograBentham selbst war der Meinung, dass dasjenige, was als erstes entdeckt wurde, nicht notwendig in der Demonstration der Entdeckung auch an erster Stelle stehen müsse. Entdeckt wird zuerst durch Erfahrung das Detail, aus dem der größere Zusammenhang der Prinzipien induktiv erschlossen wird. In der Darstellung gehen die allgemeinen Prinzipien den Einzelheiten voraus. Vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 492.

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fisch seinen Anfang in der Gegnerschaft gegen das zeitgenössische Standardlehrbuch des englischen Rechts und seinen Autor William Blackstone. In dieser Gegnerschaft fließen eine Reihe anderer biografischer Ursachen fur eine äußerst skeptische Einstellung gegenüber der bestehenden Ordnung ein, 22 die sich zuerst auf das Gebiet des Gewohnheitsrechts bzw. der englischen Rechtspflege und ihrer systematischen Rechtfertigung durch Blackstone beschränken, dann aber von diesem Gravitationszentrum aus immer weitere Dimensionen der politisch-gesellschaftlichen Ordnung erfassen. Bereits früh thematisiert Bentham die Einsicht, dass Recht ein künstliches menschliches Unternehmen ist, dass sich auf das menschliche Handeln bezieht und ein extrem kommunikationsabhängiges Unterfangen darstellt. Diese Einsicht macht zunächst eine Diskussion einer juristischen Theorie der "strafbaren" Handlungen und des sprachlichen Aufbaus des Rechtes nötig, die aber dann ein erhebliches Eigenleben entwickelt, ihn zu erkenntnistheoretischen Reflexionen nötigt und letztlich in einer Beschäftigung mit der politischen Rhetorik aufgeht. In seinem philosophischen Mehrfrontenkrieg gegen die englische Rechtstheorie der Common-law-Juristen, das kontinentale Naturrechtsdenken, theologische und intuitionistische Ansprüche auf die Lenkung menschlicher Handlungen und die seiner Meinung nach überlebte monarchisch-aristokratische Ordnung, um nur die wichtigsten Gegner zu nennen, kommt er immer wieder auf die Bedeutung, insbesondere der Sprache und der Wichtigkeit einer systematischen Reinigung derselben, zu sprechen. Wer anderen Menschen moralische oder rechtliche Vorschriften machen will, der, so ist er Zeitlebens der unerschütterlichen Überzeugung, muss wissen, was menschliches Handeln auslöst, welche Handlungen schädlich sind und insbesondere, wie diese exakt zu benennen und ihr Verbot intersubjektiv zu begründen ist. Benthams Sprach- und Handlungstheorie gründen auf lockeschem Empirismus, sie stellen eben, weil im Sinne des EXTERNALISMUS die Werte und Dimensionen des Glücks und die Verteilung der Glückschancen immer wieder neu politisch verhandelt werden müssen, einen begründungsrelevanten Teilbereich seines politischen Denkens dar. Im letzten Abschnitt der Rekonstruktion wird es um den systematischen Ort des Politischen in Benthams Utilitarismus gehen. Dabei wird sich zeigen lassen, dass seine Konstruktion utilitaristischer Philosophie primär auf die politische Dimension zielt und der privaten Ethik einen lediglich abgeleiteten Stellenwert zuweist. Ein entscheidender Unterschied, der letztlich dazu führt, dass das Politische die Moral in Benthams Utilitarismus weitgehend aufzehrt, besteht darin, dass die aus dem Bereich des Politischen nicht wegzudenkende Asymmetrie der Macht, die die Allgemeinverbindlichkeit und Durchsetzbarkeit der politischen Entscheidungen erst absichert, zwar als effektiv an die Akzeptanz der Beherrschten rückgebunden gedacht werden muss, dass aber diese faktische Akzeptanz einen sehr weiten Spielraum für die Durchsetzung egoistischer InteresVerwiesen sei hier nur auf das spannungsvolle Verhältnis zum Vater, der beispielsweise mit seiner Aufgabenstellung, die Tusculanae Disputationes des Cicero zu übersetzen, mit dazu beigetragen haben dürfte, dass aus dem jungen Jeremy ein lebenslanger Intimfeind von Ciceros, wie er es verstand, lebensfeindlicher Philosophie wurde. Ein anderes Datum ist der Zwang für die Aufnahme an der University of Oxford, die 39 Articéis of Faith zu beeiden. Der offensichtliche Widerspruch zwischen dem Inhalt des erzwungenen Eides und der wirklichen Praxis der Church of England führten bei Bentham zu einer radikalen Kirchenskepsis.

21 sen der jeweiligen Machthaber bietet. Das privat handelnde Individuum (auch der Moralphilosoph) verfügt nicht über die Mittel, seinen Handlungen und Handlungsempfehlungen die Stoßkraft zu verleihen, die hinter der souveränen Gewalt eines Gesetzgebers stehen. Das rationale Glückskalkül des Individuums findet eine Grenze unmittelbar an dem der anderen Individuen und ist zugleich einer evolutionären Entwicklung in Richtung auf eine umfassende Sympathie fähig. Es findet seine zweite Grenze an der Zwangsgewalt des Rechts. Letzteres erweist sich dabei als der weitaus effizientere und sicherere Garant einer gesellschaftlichen Ordnung, die das Glücksstreben der Individuen ermöglicht und reguliert. Es erweist sich aber eben auch in den Händen egoistisch motivierter Individuen (the ruling few) als das weitaus größere Schadensrisiko. Aus diesen Überlegungen zieht Bentham eine Reihe von Schlussfolgerungen: - Da auf ein politisch erzeugtes Recht angesichts der dauernden Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung durch "innere Feinde" nicht verzichtet werden kann und die Moral allein zu deren Bekämpfung keineswegs hinreicht, muss die Gesetzgebung durch institutionelle Arrangements dem Prinzip des größten Glücks der größten Zahl unterworfen werden. Diesem Zweck dienen seine Verfassungsentwürfe und seine Kampfschriften für die Ausweitung des Wahlrechts. - Es bedarf einer klaren Grenzziehung zwischen dem mit dem Phänomen der Regierung gleichursprünglichen positiven Recht, das allein wirkliche Rechtsansprüche verleiht und den vorrechtlichen Interessen der Individuen, die erst einer Prüfung durch das Prinzip des größten Glücks der größten Zahl bedürfen. Erst dann werden aus legitimen Interessen legale Ansprüche. In einem vorpolitischen Zustand gibt es keine Rechte, sondern bestenfalls den (allgemeinen) Wunsch nach rechtlicher Absicherung der menschlichen Lebensbedingungen. - Prinzipiell ist das Recht ein Übel, da es die menschliche Freiheit der Glückssuche beschränkt. Es wird nur gegen ein Gut eingetauscht, das einen höheren Glückswert bei einer überwältigenden Mehrzahl der Menschen (the subject many) hat: Sicherheit. Im Idealfall garantiert das Recht die Sicherheit einer auf die Zukunft hin angelegten Lebensführung (security of expectations) für möglichst viele Menschen auf möglichst hohem Niveau. An zahlreichen Stellen seines Werkes gibt Bentham dem "greatest happiness principle" eine Bedeutung, die man nicht mit das "größte Glück der größten Zahl" übersetzen sollte, sondern als "das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl" - gemeint ist eine Vergrößerung nicht nur des Glücks einer numerischen Mehrheit, sondern eine Maximierung der Reichweite der gesellschaftlichen Glücksgüter. Will man all die aufgeführten Dimensionen von Benthams politischem Denken mit einem ideengeschichtlichen Etikett zusammenfassen, so bietet sich die Benennung als aufklärerischer Epikureismus an, der mit dessen klassischen Variationen allerdings nur noch die hedonistischen Grundannahmen gemeinsam hat. Nicht die Glückskultur des Individuums steht hier im Vordergrund. Benthams Garten, auf dessen Beschreibung wir werden eingehen müssen, ist eine essenziell politische Gartenanlage, die die gesamte Gesellschaft umfasst. Den Individuen wird, wenn denn die "deontologische" Aufklärung erfolgreich war und die religiösen und weltanschaulichen Vorurteile, die sich nicht am Nutzenkalkül bewähren, alle beseitigt sind, eine selbstverantwortliche Lebensweise

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zugetraut, die mit einem Minimum an moralischen Regeln auskommt. Sie verfolgen ihre aufgeklärten Interessen und entwickeln im idealen Fall zunehmend eine kooperative Haltung gegenüber ihren Mitmenschen. Politik bleibt in der gesamtgesellschaftlichen Gartenanlage aber weiterhin von entscheidender Bedeutung. Sie muss, auch wenn durch Reformen die Übel der noch existierenden Ordnungen beseitigt sind, das Zusammenleben der prinzipiell selbstinteressierten Menschen organisieren. Der Garten kann aus anthropologischen Gründen kein Paradies werden. Politik und Recht haben dafür zu sorgen, dass er nicht wieder zu einer Wildnis wird.

2. Rezeptionsfilter

Mehr noch als für andere Autoren der politischen Ideengeschichte spielen für eine zeitgemäße Lektüre von Benthams Werk die verschiedenen Rezeptionsfilter, durch die jede Interpretation hindurch gehen muss, eine entscheidende Rolle. Dies liegt, wie bereits erwähnt, mit daran, dass er seine begonnenen Werke fast nie selbst für die Publikation fertig gestellt hat und daher bereits in einem frühen Stadium der Textproduktion eine interpretierende Redaktion einsetzt. Von Etienne Dumont über John Stuart Mill bis zu dem wenig geschickten John Bowring reicht die Liste derjenigen, wenn man nur die bekanntesten nennen will, die seine Manuskripte und verschiedenen Textfassungen für das Publikum aufbereiteten. Ein Autor aber, der selten seine Bücher selbst zu Ende schreibt und sich dazu noch eines kaum lesbaren Stils bedient, ist schon aus rein formalen Gründen hoch angreifbar, sein Denken in besonderem Maß der Vermittlung und auch Rekonstruktion bedürftig. Hinzu kommt, dass zahlreiche Texte Benthams heute kaum noch rezipiert werden, da sie sich scheinbar mit äußerst speziellen und zeitabhängigen Themen beschäftigen. Die acht Bücher zur juristischen Beweisführung finden und fanden, obwohl sie maßgebliche Informationen zu seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen bieten, selbst bei überzeugten Benthamforschern kaum Interesse. 1 Benthams gelegentliche Radikalität trägt, was die geistesgeschichtliche Einschätzung seiner Leistung betrifft, ebenfalls zu einer oft verzerrten Wahrnehmung bei. Wenn er den englischen Monarchen ununterbrochen als "corrupter general" bezeichnet und immer wieder darauf hinweist, dass Aristokraten auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung, die ihnen den Müßiggang als normal erscheinen lässt, faul und daher dümmer als arbeitende Menschen sind, so führt dies zunächst nur zu einer Distanzierung der zeitgenössischen Rezeption und ihrer Beschränkung auf eher radikale Zirkel. Sein mehr oder weniger gut verborgener Atheismus und seine offene Feindschaft gegen die Klassen der Juristen und Priester, die ihm beide parasitäre Profiteure am Elend der Menschheit sind, verstärkt diese Rezeptionsbeschränkung. Benthams Feldzug allerdings gegen das Naturrecht und seine Polemiken gegen die Menschen- und Bürgerrechte, so wie seine extremen und pauschalen Abrechnungen mit den Größen der Philosophiegeschichte erwecken den Eindruck eines über die Massen arroganten Autors, der nur wenigen anderen Die allseits bekannte Tatsache, dass immerhin John Stuart Mill diese Texte redigiert hat, wird zwar immer wieder erwähnt, sie hat m.W. aber nicht zu der erkenntnistheoretisch äußerst spannenden Frage geführt, was sich denn in Mills eigener Logik der Theorie der Beweisführung Benthams verdankt. Vgl. in Ansätzen Twinning, William, Theories of Evidence, London 1985, S. 29.

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Rezeptionsfìlter

Denkern Gerechtigkeit widerfahren hat lassen.2 Beispielhaft ist hier seine Bezeichnung Piatons als "master manufacturer of nonsense", dessen Moralität ein bloßes Wortspiel gewesen sei.3 Seine oftmals rigiden Vorschläge zur Reform der Strafgefängnisse und der Armenfürsorge tun ein Übriges für eine verzerrte Rezeption, wenn sie dazu fuhren, dass Bentham als ein Liberaler vorgeführt wird, der im Kern autoritär war. Folgende kurze Übersicht will markante Linien der historischen Konstruktion des Bildes von Bentham, das uns heute geläufig vermittelt wird, vergegenwärtigen. Dabei kann es keinesfalls darum gehen, den jeweiligen Autoren eine falsche Sicht der Werke Benthams nachzuweisen, die es durch eine richtige zu ersetzten gilt. Es versteht sich von selbst, dass hier eine andere positivere Sicht des Gründervaters des Utilitarismus zu Grunde liegt. Der systematische Ertrag dieser kurzen Rezeptionsgeschichte soll zunächst darin liegen, einige der Verzerrungen des Benthambildes und ihre geistesgeschichtlichen Ursprünge aufzuspüren, um daraus zugleich eine kritische Folie und Anregungen für die eigene Lektüre zu gewinnen. Ferner gilt es, den Blick für fundamental verschiedene Optionen der Moral- und Politiktheorie zu schärfen.

2.1.

"When a disciple condemns - who shall justify"

In seinem ironischen Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit, in dem es von intellektuellen Zwergen und Riesen nur so wimmelt, kommt Robert K. Merton auch auf das Verhältnis von John Stuart Mill und Jeremy Bentham zu sprechen. In ironischer Distanz und Brechung beschreibt er die Tatsache, dass die Wertung der Leistungen Benthams stark von der Perspektive des jüngeren Mill abhängt: „Das gibt uns auch Gelegenheit, ein historisches Unrecht wieder gutzumachen. Denn allzu viele frühere Generationen und allzu viele von uns Heutigen haben es zugelassen, daß die allseits bekannte Frühreife von John Stuart Mill die extremere Frühreife (wenn es denn hier einen Komparativ geben kann) von Jeremy Bentham überstrahlen konnte. In seiner klassischen Selbstbiografie feiert Mill seine schweren Jahre als Wunderkind, und so erfahren wir alles über jenen Zuchtmeister von Vater, der darauf sah, daß sein Sohn mit drei Jahren das griechische Alphabet lernte [...]. Gleichwohl hört man aus Mills Klagen über das vom Vater auferlegte Pensum auch deutlich sein Erstaunen über die eigenen frühen Wunderleistungen heraus. Halten wir fest, daß wir all dies von Mill selbst wissen [...]·"4 In der Tat fällt bereits bei einer oberflächlichen Durchsicht von Mills Äußerungen zu seiner Jugend und zu seinem Verhältnis gegenüber dem Mentor der Philosophical Radicals ein nicht unbedeutendes Maß an Selbstzufriedenheit auf. Wenn Merton schreibt, Alle moralphilosophischen Argumente, die nicht auf dem Utilitätsgrundsatz aufruhen, nennt er schlicht "ipsedixitism". Vgl. Artide on Utilitaranism, S. 304 f. Deontology, S. 135 f. Diese Äußerung findet John Stuart Mills schärfsten Tadel. Vgl. Bentham 1838, S. 90. Die Deontology wurde ursprünglich 1834 in zwei Bänden von John Bowring separat ediert und der Text grob verflacht und vom Redakteur entstellt. Merton, Robert K., Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit (1965), Frankfurt am Main 1983, S. 101 f.

"When a disciple condemns - who shall

justify"

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John Stuart habe in seinem Urteil der Wahrheit vor der Barmherzigkeit den Vorzug gegeben, so handelt es sich hier allerdings um eine Wahrheit, die von Parteilichkeit nicht ganz wird freigesprochen werden können.5 Seiner Einschätzung der Leistungen Benthams wächst aus mindestens zwei Gründen eine besondere Bedeutung für die weitere Wirkung Benthams zu. Sie ist, das ist der erste Grund, plausibel und schlüssig formuliert, so dass jeder Leser, der keine intime Kenntnis des teilweise lange Zeit schwer zugänglichen Werkes Benthams hat, sie ohne zu große Probleme übernehmen kann. Dies ist schon allein deshalb der Fall, weil Mill weder ein durchgängiges Lob noch einen durchgängigen Tadel formuliert, sondern meist den Eindruck eines abwägenden Urteils vermittelt. Auch gesteht er mehr oder weniger offen zu, dass sich seine Meinung über seinen Lehrer im Laufe seines Lebens von rückhaltloser Bewunderung über große Skepsis zu einer abwägenden Billigung verändert hat6 und problematisiert aus der Rückschau der Autobiografie seine Argumentationsstrategie, wenn er sie als Versuch der Selbstbefreiung aus einem "narrower Benthamism" bezeichnet und schreibt: "This was done by the general tone of all I wrote, [...], but especially by the two papers [...] which attempted a philosophical estimate of Bentham and Coleridge. In the first of these, while doing full justice to the merits of Bentham, I pointed out what I thought the errors and deficiencies of his philosophy. The substance of this criticism I still think perfectly just; but I have sometimes doubted whether it was right to publish it at that time. I have often felt that Bentham's philosophy, as an instrument of progress, has been to some extent discredited before it had done its work, and that to lend a hand towards lowering its reputation was doing more harm than service to improvement. Now however when a counter-reaction appears to be setting in towards what is good in Benthamism, I can look with more satisfaction on this criticism of its defects, especially as I have myself balanced it by vindications of the fundamental principles of Bentham's philosophy, [...]. In the essay on Coleridge [...], I might be thought to have erred by giving undue prominence to the favourable side, as I have done in the case of 5

Das gilt besonders für Mills Beschreibung seiner Rolle bei der Herausgabe und Redaktion des Rationale of Judicial Evidence. Mill beschreibt in seiner Autobiography diesen Text als "one of the richest in matter of all Bentham's productions." und den Gegenstand als "the most important of his subjects", er lobt die dabei angestellten Überlegungen als "a great proportion of all his best thought", um dann festzustellen, dass er letztlich vor allem aus den Fehlern des Verfassers gelernt hat: "But this occupation did for me what might seem less to be expected; it gave a great start to my powers of composition." Ebd. Wer so argumentiert, der hat zwar zweifellos recht, wenn er Benthams späten Stil "heavy and cumbersome" (ebd., S. 119) nennt, er lässt aber zugleich durchblicken, dass Benthams Fähigkeiten sich bei einem philosophisch eher zweitrangigen Gegenstand voll erschöpft haben und nur eine überarbeitende Redaktion überhaupt etwas aus dem Text machen konnte. Sehr unangenehm war ihm außerdem, dass Bentham auf eine Nennung des Editors bestand (vgl. ebd.) und zehn Jahre nach der Erstausgabe distanzierte er sich im Vorwort von seiner damaligen Arbeit und dem Autor deutlich. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 203.

6

So verteidigt er 1852 nachdrücklich Bentham gegen die Kritik von William Whewell, in dem er zwar an grundsätzlichen Einwänden gegen Benthams Menschenbild und insbesondere gegen die Deontology festhält, zugleich aber Bentham bescheinigt, seine Leistung für die Moral- und Rechtsphilosophie wäre "eminently meritorious". Vgl. Whewell on Moral Philosophy, Collected Works, X, 173 ff.

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Rezeptionsfilter Bentham to the unfavourable. In both cases, the impetus with which I had detached myself from what was untenable in the doctrines of Bentham and of the eighteenth century, may have carried me, though in appearance rather than in reality, too far on the contrary side."7

Halten wir fest: Mill nimmt nichts von seiner inhaltlichen Würdigung wirklich zurück, er unterstreicht eher ihre Richtigkeit und damit auch die Richtigkeit der Kritik, die auch hier, wie an zahlreichen anderen Stellen, Bentham mit dem 18. Jahrhundert identifiziert. Bedauerlich findet er eher die strategische Wirkung seiner Äußerungen. Später wird er seine starke Distanzierung von benthamitischen Positionen als eine zu große Annäherung an die Konventionen der Gesellschaft werten, eine Wertung, die aber auch nichts von den inhaltlichen Kritikpunkten an Bentham zurücknimmt, sondern seine erneute Wertschätzung über die Erfahrungen im Kontext der Beziehung mit Harriet Taylor rechtfertigt. 8 Neben der Schlüssigkeit und Plausibilität ist als zweiter wesentlicher Grund für die besondere Bedeutung von Mills Benthaminterpretation die Tatsache zu nennen, dass hier einer spricht, der über eine entscheidende Phase seines Lebens hinweg ein glühender Verfechter des Utilitarismus à la Bentham und James Mill war. Mill hatte nicht nur im Winter 1822/23 die Utilitarian Society begründet, deren Glaubensbekenntnis der Benthamismus war. Er war im Geiste dieser Lehre erzogen worden und noch in der Autobiografie stilisiert er die Lektüre Benthams zum Erweckungserlebnis, zu "one of the turning points of my life": "I now had opinions, a creed, a doctrine, a philosophy; in one of the best senses of the word, a religion; the inculcation and diffusion of which could be made the principal outward purpose of a life" 9 Aber schon in der Bezeichnung als eines äußeren Lebensziels und in dem Nachdruck, den die Schilderung auf die Tatsache legt, dass die Erweckung durch einen der von Dumont überarbeiteten Texte Benthams erfolgte, verbindet dieses überschwänglich geschilderte Ereignis mit impliziter Distanzierung und zeigt den Ansatzpunkt der grundlegenden Kritik. Es ist diese grundsätzliche Übereinstimmung, das Bild eines überzeugten Jüngers des Benthamismus, das die Kritik Mills an Bentham so wirkungsmächtig macht. Hier argumentiert kein verständnisloser Gegner polemisch gegen das Lebenswerk des Vaters des Utilitarismus, vielmehr einer, der die praktische Umsetzung der Erziehungsziele des Utilitarismus durchlitten hat, ein brillanter Kopf, der als biografischer und intellektueller Kronzeuge gegen Bentham genutzt werden kann. Es versteht sich dann, dass, je nach Einstellung des jeweiligen Autors, verschiedenen Dimensionen des Verhältnisses von John Stuart Mill zu Bentham und dem Benthamismus stark gemacht werden. Die 7 8

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Mill, John Stuart, Autobiography, S. 225 f. Die Erfahrung gesellschaftlicher Isolation, die den Preis für die in den Augen der Zeitgenossen anstößige Beziehung zu Harriet darstellte, fuhrt zu folgender Aussage: "I had now completely turned back from what there had been of excess in my reaction against Benthamism. I had, at the height of that reaction certainly become much more indulgent to the common opinions of society and the world, and more content with seconding the superficial improvement which had begun to take place in those common opinions, then became one whose convictions, on so many points, differed fundamentally from them. [...], our opinions were now far more heretical than mine had been in the days of my most extreme Benthamism." Ebd., S. 237 f. Ebd., S. 67 f.

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justify"

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Hauptlinie der Rezeption, die sich unmittelbar an der Kritik Mills anschließt, macht Bentham zu einem praktisch-reformatorischen Agitator, dessen Anspruch auf philosophisch systematisches Denken nicht gerechtfertigt ist, dessen allseitige Applikation des Utilitätsgrundsatzes aber den Grund für die großen Reformen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darstellt. Er selbst habe zwar keine praktische Erfahrung in der Welt der Gesetzgebung und Politik gehabt, sei aber gleichwohl sehr wirkungsvoll darin gewesen, die Reformbewegung argumentativ zu munitionieren. Praktisch wirkungsvoll, theoretisch schwach; so die zentrale Stoßrichtung, die sich direkt auf John Stuart Mill stützen kann. So schreibt etwa ein durchaus wohlwollender Autor, Bentham sei der Vater der Sekte der Utilitarier gewesen, dessen menschenfreundlicher Charakter trotz seiner Betonung des Egoismus als Triebfeder allen Handelns ganz außer Zweifel stehe. Gleichwohl sei sein Utilitätsprinzip für die praktische Rechtsreform zwar äußerst hilfreich gewesen, eine Überprüfung seiner Relevanz für die Moralphilosophie erübrige sich aber vollkommen: "Morality, therefore depends on consequences, not on motives, a doctrine that, however necessary in law, takes all meaning out of ethics. It is the less necessary to indulge in any criticism of his system of morals because it was decisively condemned by his disciple John Stuart Mill in the essay published only six years after Bentham's death. And when a disciple condemns, who shall justify

Wirft man einen Blick in die History of English Law aus der Mitte unseres Jahrhunderts, so findet sich eine ungebrochene Verlängerung dieser Sicht der Dinge. Hier wird schlicht festgestellt, Bentham sei in keiner Weise ein bedeutender Philosoph gewesen und es habe ihm schlicht an tieferer Einsicht in die metaphysische Dimension menschlicher Existenz gemangelt, was wiederum angesichts der Aufgabe einer Rechtsreform durchaus ein verzeihbarer Mangel sei. All dies wird unter Berufung auf John Stuart Mills Ausführungen formuliert. 11 Auch ein politischer Denker aus eigenem Recht, wie Michael Oakeshott, argumentiert gegen den Versuch, Bentham neu zu rekonstruieren unter Rückgriff auf John Stuart Mill und gibt seinen Ausführungen den eindeutigen Vorzug vor allen neueren Versuchen. Der alte Bentham, den man nach Mills Kritik, so lassen sich Oakeshotts Thesen zuspitzen, mit gutem Recht beerdigt hat, lässt sich keinesfalls durch einen neuen Bentham ersetzen, da die Sicht, die uns Mill präsentiert hat, zutreffend war. 12 Wenn es zutrifft, dass zumindest ein wesentlicher Strang der kritischen Benthamrezeption letztlich gar nicht zum Primärtext vordringt, sondern sich mit der Reproduktion der Interpretation des berühmten Schülers zufrieden gibt, so lohnt ein Blick auf die verschiedenen Argumentationsebenen, auf denen sich Mills Darstellung Randall, H.J., Jeremy Bentham, in: Law Quarterly Review, Vol. XXII, 1906, S. 314. Holdsworth, William, A History of English Law, Vol. XIII, Oxford 1952, S. 117 ff. "It appears, then, that Mill's estimate of Bentham's genius is, with certain reservations, more accurate than the view with which we are now presented. [...] The significance of Bentham as a reformer of the law and as the first English writer on jurisprudence of any importance, is immense. But as a philosopher, as a thinker, he is negligible." Oakeshott, Michael: The N e w Bentham (1932), in: ders.: Rationalism in Politics and other Essays, new expanded ed., Indianapolis 1991, S. 149 f. Bei Oakeshott findet sich auch eine Wertung Benthams als "superficial thinker" (ebd., S. 135 f.), die aus der Leitperspektive des EXTERNALISMUS positiv gewendet werden kann.

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Rezeptionsfilter

Benthams bewegt. 13 Will man die Ebenen aufzählen, die sich aus den verstreuten Äußerungen Mills zu Bentham rekonstruieren lassen, so könnte man drei benennen: Biografie, Methode, Menschenbild.

2.1.1.

Biografie

Im biografischen Argumentationsstrang, wenn man hier diese Art einer narrativen Auseinandersetzung mit einer moralphilosophischen Position so nennen will, 14 setzt sich Mill mit den Idealen des Benthamismus dadurch auseinander, dass er uns eine Geschichte ihrer Wirkung erzählt. Wir erfahren, dass er selbst der Gegenstand eines pädagogischen Experimentes war, das im Geiste des frühen Utilitarismus den Erwerb von Wissen über alle anderen Dimensionen der Ausbildung eines jungen Menschen stellte. Mill selbst rechtfertigt die Abfassung der Autobiografie damit, dass er eine außergewöhnliche Erziehung genossen habe, die belege, dass man bereits in frühen Jahren viel zu lernen fähig sei, obwohl die normalen Erziehungsformen genau diese Zeit verschwenden. 15 Diese Erziehung und ihr, so legt der Autor nahe, besonderes Ergebnis, ist primärer Rechtfertigungsgrund für die Abfassung einer ausführlichen Lebensbeschreibung. Wir bekommen in dem genau geschilderten Erziehungsdrama einen Vater vorgeführt, der trotz starker beruflicher Belastung außerordentlich viel Kraft an die Erziehung seiner Kinder, insbesondere seines Sohnes John Stuart, verwendet. 16 Ergebnis des frühen und ungewöhnlichen Trainings, John Stuart beginnt mit drei Jahren bekanntlich Altgriechisch und mit acht Jahren Latein zu lernen. Er ist ein junger Mann, der von sich behaupten kann, dass, wenn er einen Vorteil gegenüber seinen Altersgenossen gehabt habe, dieser darin bestanden habe, dass er mit einem riesigen Bildungsvorsprung ins Leben gegangen sei. 17 Wenn es aber um die Art der Vermittlung des Wissens geht, so wird deutlich, dass der junge Mill wohl unter Qualen gelernt hat. Der Vater überfordert das Kind systematisch, 18 lobt es eigentlich nie 19 und lässt es an jeder konkreten Anleitung des Schülers 13

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Dabei muss natürlich immer bedacht werden, dass auch Mills Bentham Ergebnis einer selektiven Lektüre und Rekonstruktion war. Vgl. Robson, John M., Which Bentham was Mill's Bentham?, in: The Bentham Newsletter, May 1983, No. 7, S. 15-25. Für John Stuart Mills Sicht seiner Beziehung zum eigenen Vater vgl. Sawyier, Fay H., Philosophy as Autobiography: John Stuart Mill's Case, in: Philosophy Research Archives, Vol. XI, 1986, S. 169-180. Mill, John Stuart, Autobiography, S. 5. Da James Mill das sogenannte "Lancaster monitorial system" als Erziehungsprogramm vertrat, musste John das Gelernte an seine Geschwister weitergeben. Er hasste diese Aufgabe, da ihn sein Vater für Erfolg bzw. Misserfolg der jüngeren Schüler verantwortlich machte. Vgl. ebd., S. 13. "[...] I started, I may fairly say, with an advantage of a quarter of a century over my contemporaries." Ebd., S. 33. "But my father, in all his teaching, demanded of me not only the utmost that I could do, but much that I could by no possibility have done. What he was himself willing to undergo for the sake of my instruction, may be judged from the fact, that I went through the whole process of preparing my Greek lessons in the same room and at the table at which he was writing: and as in those days

"When a disciple condemns - who shall

justify"

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fehlen. Das Kind hat, betrachtet man den mit verschiedenen Lernaufgaben vollgefüllten Tag, eigentlich keine Zeit für wirklich kindliche Beschäftigungen. Spielen sowie die Lektüre von Kinderbüchern passen nicht in die Nützlichkeitsoptimierung des utilitaristischen Kredos. 20 Aus der Perspektive des erwachsenen Autors der Autobiografie scheint aber ein anderer Punkt noch viel schwerer zu wiegen: Es ist das allgemeine Gefühlsdefizit, das die gesamte Erziehung durchzieht. Er schildert seinen Vater als einen Menschen, der keine Gefühle nach außen vermittelte und den man nach dieser Beschreibung eigentlich nur als einen unglücklichen Hedonisten bezeichnen kann. 21 James Mill, auch im alltäglichen Umgang ein Mensch, der seine Bewertung von anderen Menschen streng an den Folgen ihrer Handlungen und nicht an ihren Motiven ausrichtete, was aus pädagogischer Perspektive für einen sich abmühenden Schüler und Sohn eine extreme Missachtung der heranwachsenden Person bedeutet haben muss, stand allen stärkeren Emotionen äußerst skeptisch gegenüber. Im Umgang mit seinen Kindern beklagt der Sohn das Fehlen jeder zärtlichen Zuwendung. 22 Überblicken wir diese Beschreibung der eigenen Jugend und Ausbildung, so könnte der Eindruck entstehen, hier gehe es eigentlich weniger um eine narrative Auseinandersetzung mit dem Benthamismus als vielmehr um die Beschreibung einer problematischen Beziehung zwischen Vater und Sohn. Bentham wird als Bezugspunkt der Erziehung nur am Rande erwähnt, etwa wenn Mill darauf hinweist, dass er in der Erstellung von "marginal contents", dem Verfahren der summarischen Zusammenfassung von Text am Rand des Manuskriptes, das Bentham durchgängig anwendete, geschult wurde. Der junge Mill verdankt gar dem väterlichen Freund die Möglichkeit eines einjährigen Aufenthaltes in Frankreich bei dessen Bruder Samuel, den der Heranwachsende als eine sehr positive Unterbrechung seines Alltags empfunden hat. 23 Betrachtet man die Inhalte

Greek and English Lexicon were not, and I could yet begun to learn Latin, I was forced to have recourse to him for the meaning of every word which I did not know. This incessant interruption he, one of the most impatient of men, submitted to, and wrote under that interruptions several volumes of his History and else that he had to write during those days." Ebd., S. 9. "He kept me, with extreme vigilance, out of the way of hearing myself praised, or of being led to make self-flattering comparisons between myself and others." Ebd., S. 35. "Of children's books, any more than of playthings, I had scarcely any, except an occasional gift from a relation or acquaintance: [...]." Ebd, S. 13. "In his personal qualities the Stoic predominated. His standard of morals was Epicurean, inasmuch as it was utilitarian, taking as the exclusive test of right and wrong, the tendency of actions to produce pleasure or pain. But he had (and this was the Cynic element) scarcely any belief in pleasure; at least in his later years [...]. He was not insensible to pleasure; but he deemed very few of them worth the price which, at least in the present state of society, must be paid for them. The greater number of miscarriages in life, he considered to be attributable to the overvaluing of pleasures." Ebd., S. 49. "It will be admitted, that a man of the opinions, and the character, above described, was likely to leave a strong moral impression on any mind principally formed by him, and that this moral teaching was not likely to err on the side of laxity or indulgence. The element which was chiefly deficient in his moral relation to his children, was that of tenderness." Ebd., S. 53. Aufschlussreich ist hier die veränderte Formulierung von der frühen zur späten Textfassung. In der frühen Fassung erscheint die Zuneigung stärker: Vgl. ebd., S. 57.

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des Curriculums, das der Junge Mill von seinem Vater aufgebürdet bekam, so wird einem sofort auffallen, dass Bentham selbst, der den Unterricht in alten Sprachen radikal ablehnte, den Nachdruck, den der von Piaton begeisterte James Mill auf diese Gegenstände legte, nicht gebilligt haben dürfte.24 Auch scheint Bentham in gewisser Weise in seinem Bildungsprogramm das spielerische Element viel stärker als James Mill betont zu haben. Einer der Leitsätze der Chrestomathia lautet: "Every task may be converted into play, if the task-master be but properly acquainted with his business."25 Wendet man das auf James Mills Erziehungsmethoden, so könnte man daraus durchaus eine Kritik formulieren. Was viel folgenreicher für die Rezeption Benthams aus der biografischen Sicht John Stuart Mills wurde, ist zweierlei. Er setzte mehr oder weniger seinen Vater als einen gläubigen Benthamiten mit dem frühen Utilitarismus gleich und er stilisierte, wie bereits erwähnt, seine eigene Bekehrung zu einem systematischen Utilitarismus zu einem Benthamerlebnis und eben nicht zu einem bloßen Ergebnis der Erziehung durch den Vater. James Mill wird die Rolle eines ersten Jüngers des Benthamismus zugewiesen, der zwar über eigene Talente verfugte, in wesentlichen Teilen aber dem Meister nachfolgte. 26 Letztendlich geschieht dadurch eine weitreichende Identifizierung des Vaters mit Bentham, auch wenn Abweichungen in den politischen Überzeugungen beider, bei denen Bentham bezeichnenderweise auf der Seite der jungen und überschwänglichen Reformer stand, recht genüsslich referiert werden27 und der junge Mill für die utilitaristischen Meisterdenker eine Arbeitsteilung zwischen seinem Vater und Bentham nahe legt, die tausendfach reproduziert worden ist.28 Mills psychischer Zusammenbruch ist

Neben spezielleren Argumenten zur grammatischen Struktur der alten Sprachen (vgl. Universal Grammer, Works, VIII, S. 342) lehnte er das Erlernen derselben ab, da in ihnen kein sinnvolles Wissen für die Gegenwart abgefasst worden sei. Wer die Klassiker kennt, der kann bestenfalls seine Rede blumiger dekorieren, zu sagen hat er nichts. Vgl. Chrestomathia, S. 40. Das darf aber nicht falsch verstanden werden. Bentham schreibt hier ein Bildungsprogramm fur "the middle rank of life", der zunächst einmal eine sachliche Ausbildung braucht, wenn er im Leben bestehen will. Bentham hatte zwar einerseits eine grundsätzliche Abneigung gegen unnützes Bildungswissen, er selbst zitiert aber durchaus auch antike Autoren und allseits fällt seine extreme Vorliebe für altgriechische Neologismen auf. Man muss sich klar machen, dass die beschriebene Position in einem Buch vorkommt, das mit folgendem Satz beginnt: "[Chrestomathie] A Word, formed from two greek words, signifying conducive to usefull learning." Ebd., S. 19. Chrestomathia, S. 27. Nun soll natürlich nicht behauptet werden, Bentham wäre der Verkünder der freudvollen "laissez faire laissez aller" Erziehung. Immerhin: er sieht, dass körperliche Ertüchtigung und geistiges Training durchaus zusammen gehören. Vgl. ebd., S. 24 f. Vgl. Autobiography, S. 55. Klar ist, dass Bentham die intellektuelle Führungsfigur darstellt, auch wenn James Mills Qualitäten durchaus von seinem Sohn hervorgehoben werden. Vgl. zu einer typisch ambivalenten Würdigung ebd., S. 213. Gegen James Mill herrschte bei den Jüngeren eine klare Präferenz für das Frauenwahlrecht. "This was also the general opinion of the younger proselytes; and it is pleasant to be able to say that Mr. Bentham, on this important point, was wholly on our side." Ebd., S. 107. Da es sich hier um ein wahrlich meinungsbildendes Zitat handelt, sei es in voller Länge wiedergegeben: "The notion that Bentham was surrounded by a band of disciples who received their opinions from his lips is a fable [...] which to all who knew Mr. Bentham's habits of life and man-

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dann eben nicht mehr bloß das Ergebnis einer Jugend, in der kein Raum für Emotionen war, er ist ein experimentelles Argument gegen den Utilitarismus benthamscher Prägung. Wenn John Stuart Mill sich in seiner Autobiografie noch so sehr dazu bekennt, dass sein Leben in wesentlichen Teilen darin bestanden habe, einen gereinigten und berichtigten Benthamismus zu vertreten,29 wirkungsvoll war, dass er uns erzählt, wie das Heranwachsen in einem Umfeld, in dem diese Lehre das Leben bestimmte, ihn in den Zusammenbruch getrieben hat. Die von Mill beschriebene persönliche Krise, die in absoluter Antriebslosigkeit und einer depressiven Selbstwahrnehmung besteht, braucht uns hier nicht weiter interessieren.30 Wichtig jedoch für unseren Zweck ist seine Beschreibung der Gründe für diese Krise. Mill legt uns nahe, dass die Vernachlässigung der menschlichen Emotionen durch den frühen Utilitarismus, nicht nur eine teilweise im Kontext verständliche Reaktion bei der Verteidigung von Reformbemühungen im Projekt der Aufklärung war,31 sondern dass sie eine halbierte Rationalität und damit eine reduzierte Humanität hervorgebracht hat. Diese Fehlperzeption, aufruhend auf einer zu einfachen Assoziationspsychologie, 32 die glaubt, das menschliche Wesen sei unbegrenzt manner of conversation, is simply ridiculous. The influence which Bentham exercised was by his writing, trough them he has produced, and is producing, effects on the condition off mankind, wider and deeper, no doubt, than any which can be attributed to my father. He is a much greater name in history. But my father exercised a far greater personal ascendacy." Ebd., S. 105. Das wird genau so von Halévy nachgebetet, obwohl die bisherige Schilderung des Charakters von James Mill und die Tatsache, dass Bentham in Kontakt mit einer Vielzahl von Menschen stand und unzählige meist junge Besucher empfangen hat, auch andere Varianten dieses Verhältnisses zulassen würde. Bei Halévy heißt das dann: "Bentham gave Mill a philosophy, and Mill gave Bentham a school.", was so sicher Unsinn ist. Halévy, E., Philosophical Radicalism, S. 251. Vgl. Autobiography, S. 221. Man kann wohl mit gutem Recht sagen, dass Mill Bentham in der Tat in vieler Hinsicht, zumindest was die Rezipierbarkeit betrifft, neu erfunden hat und, dass es eben schwierig ist, wenn man geniale Schüler hat - zumindest für die eigene Reputation. Er beschreibt ihr Auftreten als das Erwachen aus einem Traum: "[...] in this frame of mind it occurred to me to put the question directly to myself, 'Suppose that all your objects in life were realized; that all the changes in institutions and opinions which you are looking forward to, could be completely effected at this very instant: would it be a great joy and happiness to you?' And a irrepressible self-consciousness distinctly answered, 'No!' At this my heart sank with me: [...] I seemed to have nothing left to live for." Ebd., S. 139. "[...] we found all the opinions to which we attached most importance, constantly attacked on the ground of feeling. Utility was denounced as cold calculation; political economy as hard-hearted; any population doctrines as repulsive to the natural feelings of mankind. [...] although we were generally in the right, as against those, who were opposed to us, the effect was that the cultivation of feeling (except the feelings of public and private duty) was not in much esteem among us, and had very little place in the thoughts of most of us, myself in particular. [...] while fully recognizing the superior excellence of unselfish benevolence and love of justice, we did not expect the regeneration of mankind from any direct action on those sentiments, but from the effect of educated intellect, enlightening the selfish feelings." Ebd., S. 114 f. Diese baut darauf auf, dass der menschliche Verstand als tabula rasa ohne alle eingeborenen Ideen oder Neigungen zur Welt kommt und es nur einer richtigen Ordnung der Umstände zu seiner bestmöglichen Entwicklung bedarf. Das führt bei James Mill aus der Perspektive seines Sohnes

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bildbar, vergisst, exemplarisch am jungen Mill durchprobiert, dass es einer "Erziehung der Gefühle" bedarf und hat gleichsam die Triebfedern menschlichen Lasters zusammen mit denen der Tugend wegrationalisiert und weganalysiert: "Analytic habits may thus even strengthen the associations between causes and effects, means and ends, but tend altogether to weaken those which are, [...], a mere matter of feeling. They are therefore (I thought) favourable to prudence and clearsightedness, but a perpetual worm at the root both of the passions and of the virtues; and above all, fearfully undermine all desires, and all pleasures, which are the effects of association [...]. All those to whom I looked up, were of opinion that the pleasure of sympathy with human beings, and the feelings which made the good of others, and especially of mankind on a large scale, the object of existence, were the greatest and surest sources of happiness. Of the truth of this I was convinced, but to know that a feeling would make me happy if I had it, did not give me the feeling. My education, I thought, had failed to create these feelings in sufficient strength to resist the dissolving influence of analysis, while the whole course of my intellectual cultivation had made precocious and premature analysis the inveterate habit of my mind. I was thus, as I said to myself, left stranded at the commencement of my voyage, with a well equipped ship and a rudder, but no sail; [ . . . ] " "

Wir sehen bei dieser Gelegenheit natürlich auch, wie sich die biografische Auseinandersetzung mit dem Benthamismus bei Mill ununterbrochen mit den beiden hervorgehobenen anderen Ebenen verbindet. Zentral ist hier die nicht widerlegbare Behauptung eines Menschen, der für sich klar eine Opferrolle beansprucht. Wenn er dann noch einen der zentralen Topoi der Anti-Benthamismus-Polemik aufnimmt und sich selbst in einem überwundenen Abschnitt seines Lebens als eine "Verstandesmaschine" beschreibt, dann dominiert diese Selbstprädikation eindeutig die in der Passage mitgelieferten Relativierungen der Aussage: "I conceive that the description so often given of a Benthamite, as a mere reasoning machine, through extremely inapplicable to most of those who have been designated by that title, was during two or three years of my life not altogether untrue of me." 34

Die ursprünglichen Motive für diese Ausführungen mögen in dem Bedürfnis nach einer Abrechnung mit dem Vater liegen, sie sind sicher auch mit einem rein innerphilosophischen Anliegen verbunden, für die geistesgeschichtliche Selbstpositionierung John Stuart Mills erfüllen sie aber vor allem einen Zweck: Sie helfen ihm dabei, sich als die zentrale Übergangs- und Vermittlungsfigur zwischen den "übervernünftigen" und optimistischen Aufklärungsphilosophien des 18. Jahrhunderts und der eher emotionalisierten pessimistischen Romantik des 19. Jahrhunderts zu stilisieren, die beides in angemessener Form miteinander verbindet: Vernunft und Gefühl. Aus diesem Blickwinkel, der bei John Mill letztendlich in einem qualitativen Utilitarismus mündet, der immer wieder darauf insistiert, dass es darum gehe, die verschiedensten Dimensionen des

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zu der gefährlichen Überzeugung, es gäbe eine "[...] unlimited possibility of improving the moral and intellectual condition of mankind by education." Ebd., S. 111. Wir werden sehen, dass bei Bentham zwar eine ähnliche Überzeugung dominiert, er aber die Grenzen der Verbesserungsfähigkeit der menschlichen Gattung deutlich sieht. Ebd., S. 143. Ebd., S. 111.

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menschlichen Daseins in individuelle und gesellschaftliche Glückskalküle einzubeziehen, ergibt sich für die folgenden Überlegungen natürlich die Frage, warum denn Emotionen in der Tat unter einem bestimmten Blickwinkel einen so geringen Stellenwert in der benthamschen Philosophie haben, wenn es doch zugleich in seinen ganzen Denkbemühungen vor allem um die Minimierung von Leid und die Maximierung von Freude geht. Bereits auf den ersten Blick scheint ja diese Leitdifferenz nicht ohne eine Beziehung zu Emotionen denkbar zu sein. Eines kann hier bereits vorweggenommen werden: Bentham sieht durchaus deren Bedeutung für ein glückliches Leben, auch wenn er sich von seiner lebenslangen Radikalität zu der problematischen Äußerung hat hinreißen lassen, es sei ihm gleichgültig, ob durch seine Reformbemühungen "glückliche Maschinen" entstehen würden, Hauptsache sei, sie seien glücklich. 35 Er problematisiert allerdings auch die Schwierigkeiten, die sich aus einer Bewertung emotionaler Zustände in Bezug auf deren Berücksichtigung im Glückskalkül ergeben und verneint prinzipiell die Berechtigung einer Berufung auf Emotionen, wenn es um die Begründung von Normen moralischer oder rechtlicher Natur geht. Was die Rezeption der Konzeption Benthams betrifft, so haben die biografischen Schilderungen Mills einen hervorragenden Bezugspunkt für die pauschale Ablehnung des Utilitarismus hergegeben. Insbesondere trifft dies für die Behauptung Mills zu, dass die dauernde analytische Haltung des frühen Utilitarismus, die nichts ungeprüft und unbegründet akzeptieren will, letztlich zu einer Paralyse jeder Motivationsstruktur führen muss und dies ganz besonders dann der Fall ist, wenn es im Umgang zwischen Menschen an einer prärationalen Geneigtheit fehlt. Beispielhaft für eine solche Nutzung von Mills Biografie ist Alasdair Maclntyre. Bei ihm liest sich Mills Bericht als ein Indiz für die prinzipielle Unbegründbarkeit moralischer Standards unter den Bedingungen einer pluralistischen Moderne. Mit Mills Nervenzusammenbruch ist die Aufklärung als Projekt gescheitert: "John Stuart Mill, das erste Kind der Lehre Benthams und gleichzeitig der hervorragendste Kopf und Charakter, der sich je zum Benthamismus bekannt hat, brauchte einen Nervenzusammenbruch, um sich zumindest selbst klarzumachen, daß sie nicht richtig ist. Mill kam zu dem Schluß, daß es die Vorstellung Benthams vom Glück war, die reformiert werden müsse, dabei war es ihm in Wirklichkeit gelungen, die Ableitung der Moral aus der Psychologie in Frage zu stellen. Doch diese Ableitung war das gesamte rationale Fundament des Benthamschen Entwurfs einer neuen, naturalistischen Teleologie. [...] John Stuart Mill hatte selbstverständlich recht mit seiner Behauptung, daß die Benthamsche Vorstellung vom Glück einer ErDie gerne gegen ihn verwendete Stelle im Panopticon setzt sich mit Einwänden dagegen auseinander, dass das panoptische Prinzip bei der Erziehung auch auf die Freizeit von Kindern angewandt werden sollte. "[...] - whether the liberal spirit and energy of a free citizen would not be exchanged for the mechanical discipline of a soldier, or the austerity of a monk? - and whether the result of this high-wrought contrivance might not be constructing a set of machines under the similitude of men? To give a satisfactory answer to all these queries, which are mighty fine, but do not any of them come home to the point, it would be necessary to recur at once to the end of education. Would happiness be most likely to be increased or diminished by this discipline? Call them soldiers, call them monks, call them machines: so they were but happy ones, I would not care. Wars and storms are best to read of, but peace and calms are better to enjoy. [...] Happiness is a very pretty thing to feel, but very dry to talk about; [...]. Panopticon, Works, IV, S. 64.

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Rezeptionsfilter Weiterung bedarf: im Utilitarismus versuchte er, einen grundlegenden Unterschied zwischen 'höherer' und 'niedrigerer' Lust zu machen, [...]. Aber die Auswirkung dieser Korrekturen war [...], daß die Vorstellung vom menschlichen Glück keine einheitliche, einfache Vorstellung ist und uns kein Kriterium für unsere grundlegenden Entscheidungen liefern kann. [...] Denn unterschiedliche Arten der Lust und unterschiedliche Formen des Glücks sind größtenteils nicht vergleichbar: Es gibt keine qualitativen oder quantitativen Maßstäbe, mit denen sie gemessen werden könnten. Die Berufung auf die Kriterien der Lust wird mir folglich nicht sagen können, ob ich trinken oder schwimmen soll, und die Berufung auf die Kriterien des Glücks kann nicht für mich zwischen dem Leben eines Mönchs und dem eines Soldaten wählen." 36

Nun ist natürlich die Frage, ob man denn ein Bier trinken oder besser Schwimmen gehen sollte, nicht unbedingt ein moralisches Problem und die Alltagserfahrung legt uns nahe, dass wir bei solchen Entscheidungen kaum moralische Argumente benötigen, handelt es sich doch bei beiden Tätigkeiten um Freizeitaktivitäten. Entscheidend ist jedoch, dass Maclntyres Argument ausgehend von Mills Bericht und seiner Kritik an Bentham die These entwickelt, "Glückskalküle" seien prinzipiell nicht möglich. Dem widerspricht die genuin politische Erfahrung, dass genau solche Kalküle die tägliche Struktur von politischen Entscheidungen ausmachen und problemlos in sie übersetzt werden können. Wir werden sehen, dass hier Benthams grundlegende Intuition ansetzt. Politik verteilt Glückschancen und kommt gar nicht umhin, die Interessen der Betroffenen wägend und begründend einzubeziehen. Angesichts dieses Faktums geht er aber davon aus, dass man dem Individuum politisch gar nicht sagen darf, was denn nun sein Glück substanziell ausmachen soll, sondern, dass dies im wesentlichen Sache des privaten Morallehrers, des "Deontologen" ist, während sich die Verteilungsregeln des politischen Kalküls an die Postulate des "greatest happiness principle" in der Gestalt halten sollen, wie sie von den nachgeordneten Prinzipien (subsistence, abundance, security und equality) formuliert werden. Die Individuen suchen ihr Glück dann schon selbst.

2.1.2.

Methode

Grundsätzlich stellt uns John Stuart Mill einen Bentham vor Augen, der durch seinen reformatorischen Eifer für die Menschheit und durch seine intensive Wahrnehmung der bestehenden Missstände zu einer fundamentalen Kritik an den bestehenden Verhältnissen und den sie ausmachenden Traditionen gelangte. Dies führte bei ihm zu einer solchen Überstrapazierung der kritischen Einstellungen, dass er großteils blind ist für die Weisheit der Traditionen auf beiden Feldern: dem der Institutionen und dem der überlieferten kulturellen Wissensbestände. "By Bentham, beyond all others, men have been led to ask themselves, in regard to ancient and received opinion, Is it true? and by Coleridge, What is the meaning of it? The one took his stand outside the received opinion, and surveyed it as an entire stranger to it: the other looked at it from within, and endeavoured to see it with the eyes of a believer in it; [...] Bentham judged a proposition true or false as it accorded or not with the result of his own inquiries; and

Maclntyre, Alasdair, Der Verlust der Tugend (1981), Frankfurt am Main 1987, S. 90 f.

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did not search very curiously into what might be meant by the proposition, when it obviously did not mean what he thought true."37

Ignoranz gegenüber der Überlieferung, anders kann man diese Art des so beschriebenen Vorgehens Benthams aus der Perspektive Mills nicht nennen. John Stuart Mill lässt kaum eine Gelegenheit aus, um genau diese Einschätzung erneut zu vertreten und präzisiert sie mehrmals. Er behauptet, Bentham wäre "more a thinker than a reader"38 gewesen und bezeichnet es als seinen größten Fehler, dass er die Gedanken anderer nur oberflächlich überprüft und diskutiert hat, womit er sich der Möglichkeit daraus zu lernen beraubt habe.39 Außerdem führe diese Verweigerungshaltung bei Bentham dazu, dass er aus Unkenntnis oder Missachtung der jeweiligen Autoren Entdeckungen für sich in Anspruch nehme, die bereits andere vor ihm gemacht hatten und bei denen es ihm lediglich gelungen war, sie zu systematisieren. Für seine philosophische Position erweist sich die Ignoranz gegenüber der Tradition und den vorgefundenen Meinungen als besonders verhängnisvoll. Da, wie Mill ausfuhrt, wir nur aus der eigenen Erfahrung und aus denen anderer lernen können, sind unsere eigenen Lernmöglichkeiten zunächst auf unseren beschränkten Erfahrungshorizont bezogen. 40 Im Falle Benthams muss man mit Mill aber davon ausgehen, dass es ihm sowohl an der Fähigkeit zur intuitiven Einfühlung in andere Menschen fehlte, dazu reichte seine Fantasie nicht aus, als auch an einer ausreichenden eigenen Lebenserfahrung, dazu war sein Leben zu eintönig. Bentham ist ein Empirist ohne Erfahrung: "[...] Bentham's knowledge of human nature is bounded. It is wholly empirical; and the empiricism of one who had little experience. He had neither internal experience nor external; the quiet, even tenor of his life, and his healthiness of mind, conspired to exclude him from both. He never knew prosperity and adversity, passion or satiety: he never had even the experiences which sickness gives; he lived from childhood to the age of eighty-five in boyish health. He knew no dejection, no heaviness of heart. He never felt live a sore and a weary burthen. He was a boy to the last."41

Auch seine prinzipielle Skepsis gegenüber den Gemeinplätzen der herrschenden Meinung, die Mill zugleich als eine der hervorragenden methodischen Einstellungen Benthams lobt, wird von ihm bei anderer Gelegenheit als problematisch hingestellt. Bent37 38 39

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Mill, John Stuart, Coleridge (1840), in: Collected Works, Vol. X, S. 119 f. Mill, John Stuart, Remarks on Bentham's Philosphy (1833), in: Collected Works, Vol. X , S. 18. "The greatest of Mr. Bentham's defects, his insufficient knowledge and appreciation of the thoughts of other men, shows itself constantly in his grappling with some delusive shadow of an adversary's opinion, and leaving the actual substance unharmed." Remarks, S. 6. Besonders delikat an diesen Ausführungen ist, dass sie fast exakt denen Benthams in dem von John Stuart Mill herausgegebenen Rationale of Judicial Evidence entsprechen. Bei Bentham liest sich das so: "The evidence by which, in any mind, persuasion is capable of being produced, is derived from one or other or both of two sources: from the operations of the perceptive or intellectual faculties of the individual himself, and from the supposed operations of the like faculties on the part of other individuals at large. For distinction's sake, to evidence of the first description, the term of evidence ab intra may be applied: to evidence of the other description, evidence ab extra." Rationale of Judicial Evidence , Works, VI, S. 218. Mill, John Stuart, Bentham (1838), in: Collected Works, X, S. 92.

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ham habe sich der Einsicht verweigert, dass diese Gemeinplätze die ganze unanalysierte Erfahrung der menschlichen Gattung enthalten und aus einer Art diskursivem Ablagerungsprozess hervorgehen.42 Selbst wenn Mill seinen Lehrer lobt, so bekommt dieses Lob schnell einen eher distanzierenden Beigeschmack und es ist keinesfalls in der Lage, die Waage wirklich auf die Seite der positiven Wertungen ausschlagen zu lassen. Der Gelobte bleibt ein "systematischer Halbdenker", ein "einäugiger"; "kein großer Philosoph", und ist jeder subtilen Analyse unfähig. Was als sein methodisches Verdienst für die Nachwelt bemerkenswert ist, nennt Mill "the method of detail": "Bentham's method may be shortly described as the method of detail; of treating wholes by separating them into their parts, abstractions by resolving them into things, - classes and generalities by distinguishing them into the individuals of which they are made up; and breaking every question into pieces before attempting to solve it. The precise amount of originality of this process, considered as a logical conception - its degree of connexion with the methods of physical science, or with the previous labours of Bacon, Hobbes, or Locke - is not an essential consideration in this place. Whatever originality there was in the method - in the subjects he applied it to, and in the rigidity with which he adhered to it, there was the greatest."43

Ein durchaus vergiftetes Lob, das vor allem auf die Rigidität der Anwendung Wert legt und bei seiner weiteren Ausführung endgültig deutlich macht, wie beschränkt die Fähigkeiten Benthams gewesen sein sollen. Mill demonstriert, dass diese Methode des Details vor allem darin besteht, alle Allgemeinaussagen von vergleichsweise hohem Abstraktionsniveau auf eine Tatsachenbasis zu beziehen. Letztlich springt dabei eine falsifizierende Haltung heraus, was die Begründungen für Institutionen und Normen betrifft. So hat er zwar als einer der Ersten die Forderung nach Präzision systematisch auf die Moral- und Politiktheorie gewendet, seine großen Erfolge damit liegen aber, nach der Ansicht seines Schülers, in der Rechtswissenschaft und hier vor allem in der Theorie des Verfahrens und der Gesetzgebung.44 Weitere synthetische Leistungen wurden von ihm nicht erbracht. Bis zu einem gewissen Punkt sind seine Ausführungen, eben, weil sie sich so an die Tatsachen anlehnen, eher eine Art intellektueller Steinbruch, aus dem größere Geister berufen sind, Gebäude zu errichten: "Though we may reject, as we often must, his practical conclusions, yet his premises, the collections of facts and observations from which his conclusions were drawn, remain for ever, a part of the materials ofphilosophy. "45

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"[...] contained the whole unanalysed experience of the human race. [...] The general opinion of mankind is the average of the conclusion of all minds, stripped indeed of their choicest and most recondite thoughts, but freed from their twists and partialities: a net result, in which everybody's particular point of view is represented, nobody's predominant." Bentham, S. 90 f. Ebd., S. 83. "What Bacon did for physical knowledge, Mr. Bentham has done for philosophical legislation." Remarks, S. 9. Vgl. auch S. 10 f. "He found the philosophy of law a chaos, he left it as a science." Ebd., S. 100. Ebd., S. 82.

"When a disciple condemns - who shall justify"

2.1.3.

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Menschenbild

In enger Verbindung mit dem Argumentationsstrang, in dem Mill Benthams methodische Schwächen diskutiert und dem Biografischen steht seine äußerst kritische Auseinandersetzung mit seinem Menschenbild und den daraus resultierenden moral- und politikphilosophischen Vorstellungen. An dieser systematischen Stelle findet bekanntlich auch seine Abwendung vom "quantitativen" Utilitarismus statt, den er durch einen "qualitativen" ersetzen möchte.46 Hier taucht das Emotionsargument wieder auf und verbindet sich mit dem der Erfahrungsleere, wenn Mill schreibt, dass vor Bentham noch nie ein Mensch, der so wenig von Gefühlen wusste, sich zu moralischen Problemen geäußert habe.47 Entscheidend für den in Rede stehenden Zusammenhang sind hier aber vor allem die manchmal eher unausgesprochenen Voraussetzungen, die der jüngere Mill in Benthams Moral- und Politiktheorie genial aufspürt und die seinen schärfsten Widerspruch herausfordern. Die Liste der von ihm behaupteten Defizite in Benthams Anthropologie und die daraus resultierenden Folgen für sein Denken bezüglich Politik und Moral ist lang und sehr hellsichtig. Sie umfasst folgende zentrale Argumente Benthams: - sein zu einfaches Menschenbild und seine Weigerung, höhere Ziele des menschlichen Daseins zureichend zu würdigen - seine Indifferenz gegenüber der Vervollkommnung der menschlichen Spezies - seinen rückhaltlosen Konsequentialismus (und damit das Fehlen des Gewissens und der Frage von moralischen Haltungen in seiner Moralphilosophie) - sein radikaler "Demokratismus" - Mill sieht eine Überziehung des Mehrheitsprinzips. Eine der klassischen Formulierungen einer qualitativen Position, lautet wie folgt: "Whoever supposes that this preference takes place as a sacrifice of happiness - that the superior being, in anything like equal circumstances, is not happier than the inferior - confounds the two very different ideas, of happiness, and content. It is indisputable that the being whose capacities of enjoyment are low, has the greatest chance of having them fully satisfied; and a highly-endowed being will always feel that any happiness which he can look for, as the world is constituted, is imperfect. But he can learn to bear its imperfections, if they are at all bearable; and they will not make him envy the being who is indeed inconscious of the imperfections, but only because he feels not at all the good which those imperfections qualify. It is better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied; better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied. And if the fool or the pig, is of a different opinion, it is because they only know their own side of the question. The other party to the comparison knows both sides." Utilitarianism, Collected Works, X, S. 212. Der Bezug auf das möglicherweise glückliche Schwein verdankt sich Thomas Carlyles Bezeichnung des Utilitarismus als "pig philosophy". Vgl. Carlyle, Thomas, Latter-Day Pamphlets, Works, Vol. XX, London 1898, S. 315 ff. "Knowing so little of human feelings, he knew still less of the influences by which those feelings are formed: [...] no one, probably [...] ever attempted to give a rule to all human conduct, set out with a more limited conception either of the agencies by which conduct is, or of those by which it should be, influenced." Bentham, S. 93.

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Rezeptionsfilter

Mill moniert mehrfach, dass es Bentham an jedem Verständnis für die differenzierte Struktur des Menschlichen gefehlt habe. Menschen sind in der Anthropologie Benthams schlicht selbstinteressierte Lust- und Leid-Maschinen, deren gesamte Handlungsweise durch die Erwartung von Lustgratifikationen und die Vermeidung von Schmerz motiviert ist. Selbst soziale oder auf die gesamte Menschheit ausgerichtete Wohltaten haben in solchen individuellen Nutzenkalkülen ihren Ursprung.48 Übersehen wird dabei mehr als die Hälfte der menschlichen Möglichkeiten, die in den höheren Dispositionen unseres Seelenlebens wurzeln.49 Es wird jede grundlegende soziale Disposition des Menschen genauso geleugnet wie jede Bestrebung zur eigenen Vervollkommnung. Das selbstinteressierte Lebewesen Mensch wird von dieser Spielart des Utilitarismus wesentlich so gelassen, wie es vorgefunden wird. Es erfolgt kein Appell, die besseren Fähigkeiten zu entwickeln, keine Aufforderung zu einer Kultivierung eines besseren Selbst um seiner selbst Willen. Für Bentham existiert auch kein diese Pflicht zur Selbstvervollkommnung diktierendes Gewissen. Sehr treffend fasst Mill diese Dimension seiner Lehre zusammen: "Man is never recognised by him as a being capable of pursuing spiritual perfection as an end; of desiring, for its own sake, the conformity of his own character to his standard of excellence, without hope of good or fear of evil from other sources than his own inward consciousness. Even in the more limited form of Conscience, this great fact in human nature escapes him. Nothing is more curious than the absence of recognition in any of his writings of the existence of conscience, as a thing distinct from philanthropy, from affection for God or man, and from self-interest in this world or in the next." 50

Dies ist eine kritisch gewendete Formulierung für das Phänomen des EXTERNALISMUS im moralphilosophischen Bereich, das Fehlen des Gewissens sein stärkster Ausdruck.51 48

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"Man is conceived by Bentham as a being susceptible of pleasures and pains, and governed in all his conduct partly by the different modifications of self-interest, and the passions commonly classed as selfish, partly by sympathies, or occasionally antipathies, towards other beings. And there Bentham's conception of human nature stops." Ebd., S. 94. "[...] it overlooks the existence of about half of the whole number of mental feelings which human beings are capable of, [...]." Ebd., S. 98. Bentham, S. 95. John Stuart Mill selbst hat bekanntlich die Gewichtung im Vergleich zu Bentham genau umgedreht. Seine fundamentale Sanktion des Glücks ist das Gewissen, dem gegenüber die äußeren Sanktionen zurücktreten müssen: "Of the external sanctions it is not necessary to speak at any length. They are, the hope of favour and the fear of displeasure from our fellow creatures or from the Ruler of the Universe, along with whatever we may have of sympathy or affection for them, or of love or awe of Him, inclining us to do his will independently of selfish consequences. [...] The internal sanction of duty, whatever our standard of duty may be, is one and the same - a feeling in our own mind; a pain; more or less intense, attendant on violation of duty, [...]. This feeling, when disinterested, and connecting itself with the pure idea of duty, [...] is the essence of Conscience; [...]." Utilitarianism, in: Mill, John Stuart, Collected Works, S. 228. Die Umdrehung erfolgt, weil das Berücksichtigen der äußeren Sanktionen quasi naturwüchsig aus dem individuellen Glücksstreben hervor geht und letztlich zwar zur Verbesserung beitragen kann, aber eben doch auch moralisch indifferent ist. Mit anderen Worten: wer ihnen gehorcht und moralisch handelt, hat noch nicht das volle Maß an moralischer Selbstvervollkommnung erreicht.

"When a disciple condemns - who shall justify"

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Die näheren Gründe fur dieses Fehlen, da Bentham durchaus das Phänomen der Pflicht kennt, wird uns ausfuhrlicher beschäftigen müssen. Allerdings werden wir dabei nicht ganz so einfach davon ausgehen können, dass hier ein schlichter Akt philosophischer Unaufmerksamkeit vorliegt, sondern wir müssen bedenken, dass es sich um eine Leerstelle aus durchaus nachvollziehbaren Gründen handelt. Aus dem Blickwinkel Mills ist dieses Fehlen ein Indiz in einer Reihe, die eindeutig darauf hinweist, dass Benthams moralphilosophischer Hauptfehler letztlich darin bestand, dass er die Möglichkeiten der menschlichen Gattung so weit unterschätzen konnte. Für ihn war ein wesentlicher Faktor jeder deontologisch argumentierenden Wissenschaft, dass sie prinzipiell von der egoistischen Natur des Menschen auszugehen habe, seltene Fälle von selbstloser Gemeinwohlorientierung sind zwar erfreulich, können jedoch im durchschnittlichen Fall nicht erwartet werden.52 Wenn sich aber die menschliche Natur nicht bessern lässt, so liegt alles Gewicht der moralischen und politischen Evolution in hohem Grade auf einer Manipulation der äußeren Umstände (sic!). Mill ist fest davon überzeugt, dass so kein moralischer Fortschritt erzeugt werden kann.53 Kommt zu dieser Position, wie das bei Bentham eindeutig der Fall ist, noch ein moralphilosophischer Konsequentialismus, der alles Handeln nicht an den moralisch indifferenten Handlungsmotiven, sondern nur an den Handlungsfolgen messen will, dann ist, so Mill, zwar noch eine Rechtsphilosophie auf diesen Grundlagen möglich, jede wirklich normative Dimension der Moralität hat sich aber vollkommen verflüchtigt. Moral wird einer Geschäftsbeziehung ähnlich, in der ein ethischer Minimalismus zur Aufrechterhaltung der rein äußerlichen Verhältnisse zwischen den isolierten Individuen vollkommen zureicht.54 Eine solche Sicht der menschlichen Dinge kann aber nicht folgenlos für die Modellierung eines Begriffs von Moral sein, da sich dann natürlich die jeweiligen moralischen Postulate, die es aufzustellen oder aufzufinden gilt, an dieser Sicht orientieren müssen. Ein Gesetzgeber, der so denkt, wird selbstredend keinen Anspruch darauf erheben können, die Menschen zu verbessern, er wird bestenfalls darauf Wert legen, dass die isoVgl. Remarks, S. 14. Das mündet dann, nach Mill, in der trivialen Aussage, dass alle Menschen meist das tun, wozu sie eine Neigung haben. In Utilitarianism unterscheidet er aber sehr wohl zwischen stark differenten situativen moralischen Anforderungen: "The multiplication of happiness is, according to the utilitarian ethics, the object of virtue: the occasions on which any person (except one in a thousand) has it in his power to do this on an extended scale, in other words to be a public benefactor, are but exceptional; and on this occasions alone is he called on to consider public utility; in every other case, private utility, the interest or happiness of some few persons, is all he has to attend to." Utilitarianism, S. 220. Das genau tut Bentham auch, wenn er das durchschnittlich Erwartbare vom "heldenhaften" trennt. Ein Moralist, der die Disposition der Handelnden nicht bessern möchte und die enge Verbindung von Disposition und Handlung übersieht, der kann eigentlich nur scheitern. Vgl. Remarks, S. 8. "Sympathy, the only disinterested motive which Bentham recognised, he felt the inadequacy of, except in certain limited cases, as a security for virtuous action. [...] There remained, as a motive by which mankind are influenced, and by which they may be guided to their good, only personal interest. Accordingly, Bentham's idea of the world is that of a collection of persons pursuing each his separate interest or pleasure, and the prevention of whom from jostling one another more than is unavoidable, may be attempted by hopes and fears derived from three sources - the law, religion, and public opinion." Bentham, S. 97.

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Rezeptionsfìlter

lierte und doch bedingt mögliche Kooperation zwischen den Individuen einigermaßen reibungslos funktioniert. Von einer Politik der Vervollkommnung kann schon gar keine Rede sein. Mill stellt uns klar die Position von Benthams quantitativem Utilitarismus vor, die prinzipiell eine gleiche Berücksichtigung aller Freuden verlangt: "Man, that most complex being, is a very simple one in his eyes. [...] If he thought at all of any of the deeper feelings of human nature, it was but as idiosyncrasies of taste, with which the moralist no more than the legislator had any concern, further than to prohibit such as were mischievous among the actions to which they might chance to lead. To say either that man should, or that he should not take pleasure in one thing, displeasure in another, appeared to him as much as an act of despotism in the moralist as in the political ruler."55

Solch ein Denken erreicht nur mehr einen sehr einfachen moralischen Normenkatalog, der fundamentale Vergehen verbietet, es sich aber versagt, alle subtileren Bereiche menschlichen Seins ordnen zu wollen. Mit anderen Worten: Der quantitative Utilitarismus ist die Bankrotterklärung der Moralphilosophie.56 Trotz dieser äußerst scharfen Kritik, sieht Mill wesentliche Argumente bei Bentham, auch wenn er sie nur im Ansatz würdigen will. Es ist in der Tat so, dass Bentham ja jede emotionale Begründung moralischer Regeln aus irgendwelchen persönlichen Vorlieben ablehnt und die Meinung vertreten hat, jedes Individuum sei der beste Richter seiner eigenen Angelegenheiten. Ferner war er nicht gewillt aus der qualitativen Differenz von Freuden, die - hier verkürzt ihn Mill fälschlich - er durchaus gesehen hat, direkte moralische und vor allem politische Forderungen abzuleiten. Der Hinweis, dass ihm dies als tyrannisch erschienen wäre, weist in die richtige Richtung. Für Mill hat er sich allerdings eines schweren Vergehens schuldig gemacht. Er hat eine moralische Position vertreten, die in hohem Maße zu einer Konservierung bestehender Vorstellungen beigetragen hat. Der Kritiker greift eine Argumentation an, die er später in On Liberty selbst nutzen wird und muss, um die Freiheit des außergewöhnlichen Individuums zu rechtfertigen. Hier greift er sie an, weil sie ihm die Rechtfertigung für den Lebensstil des Durchschnittsmenschen zu sein scheint: "He has largely exemplified, and contributed very widely to diffuse, a tone of thinking, according to which any kind of action, or any habit, which in its own specific consequences cannot be proved to be necessarily or probably productive of unhappiness to the agent himself or to others, is supposed to be fully justified: and any disapprobation or aversion entertained to-

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Ebd., S. 96. "A moralist on Bentham's principles may get as far as this, that he ought not to slay, burn or steal; but what will be his qualifications for regulating the nicer shades of human behaviour, or for laying down even the greater moralities as for those facts in human life which tend to influence the depths of the character quite independently of any influence on wordly circumstances - such, for instance, as the sexual relations, or those of family in general, or any other social and sympathetic connexions of an intimate kind?" Ebd., S 98. Wir werden sehen, dass Benthams Vorstellungen beispielhaft bei der Sexualethik in der Tat von keinem Regulierungsbedarf ausgehen, der über die Voraussetzung von "consenting adults" hinausgeht. Was die Ordnung der Sympathie betrifft, so ist sie schlicht unnötig und auch in der Familie wird Liebe nicht befohlen werden können.

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wards the individual by reason of it, is set down from that time forward as prejudice and superstition." 57

Es wird zu den zentralen Argumenten von On Liberty gehören, dass jede Maßnahme, die die menschliche Freiheit beschneiden soll, zunächst und zuvorderst dadurch gerechtfertigt werden muss, dass derjenige, der sie verlangt, nachweisen können muss, dass durch exakt diese Handlung Schaden angerichtet wird. Die Tatsache, dass Bentham jede Beschränkung des natürlichen Reichs der Freiheit, in dem das Gesetz schweigt, nur dann akzeptieren will, wenn die Schädlichkeit eines Handelns zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, gehört zu den Standardargumenten des Liberalismus. Mill wendet es so, dass das hervorragende Individuum diese Freiheit genießt, Bentham so, dass das Durchschnittsindividuum gleiche Rechte beanspruchen kann. Diese Tatsache passt sich ohne Widerstände in die Beobachtung ein, dass Benthams Denken wesentlich radikaldemokratischer ist als das John Stuart Mills. Mill dagegen wirft dem intellektuellen Kopf der "philosophical radicals" vor, dass sein bis zu einem gewissen Maß wertneutraler Utilitarismus zu einer blinden Überschätzung des Mehrheitsprinzips gefuhrt habe. Die letzte große Differenz, die wir somit hier festhalten müssen, bezieht sich auf das politisch institutionelle Arrangement des größtmöglichen Glücks, die untrennbar mit der grundlegenden Anthropologie verbunden ist. Prinzipiell geht im politischen Bereich die von Mill vorgelegte Bewertung dahin, dass Benthams Philosophie eine der alltäglichen Geschäfte ist. Sie erhält, wie wir bereits gesehen haben, den normalen Gang der Dinge, ohne dass etwas zur weiteren Entwicklung des Gemeinwesens beigetragen wird.58 Den schwersten Irrtum hat Bentham aber begangen, als er in seiner Kritik der Monarchie und der Aristokratie das Kind zusammen mit dem Bade ausgeschüttet hat. Sein Eifer, die beherrschte Mehrheit der Bevölkerung gegen mögliches Unrecht durch die Herrschenden zu sichern, hat ihn dahin gebracht, ein Ideal absoluter demokratischer Verantwortung und Kontrolle zu formulieren. Dieses Ideal aber trägt nur, wenn es über einen repräsentativen Mechanismus, die Wahl, an den Willen der Mehrheit der Bevölkerung rückgebunden ist. Wenn Bentham aber das Mehrheitsprinzip zum absoluten Kredo erhebt, dann ersetzt er lediglich eine Tyrannei durch die andere: "[...] we cannot think that Bentham made the most useful employment which might have been made of his great powers, when, not content with enthroning the majority as sovereign, by means of universal suffrage without king or house of lords, he exhausted all the resources of ingenuity in devising means for riveting the yoke of public opinion closer and closer round the necks of all public functionaries, and excluding every possibility of the exercise of the slightest or most temporary influence either by a minority, or by the functionary's own notions of right. Surely when any power has been made the strongest power, enough has been done for it; care is thenceforth wanted rather to prevent that strongest power from swallowing up all others. Wherever all the forces of society act in one single direction, the just claims of the individual

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Remarks, S. 8. "It will enable a society which has attained a certain state of spiritual development, and the maintenance of which in that state is otherwise provided for, to prescribe the rules by which it may protect its material interests. [...] It can teach the means of organizing and regulating the merely business part of the social arrangements." Bentham, S. 99.

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Rezeptionsfilter human being are in extreme peril. The power of the majority is salutary as it is used defensively, not offensively - as its exertion is tempered by respect for the personality of the individual, and deference to superiority of cultivated intelligence."59

Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht für uns von besonderem Interesse. Zunächst einmal, weil Mill hier einen vollkommen falschen aber sehr einprägsamen Vorwurf formuliert. Bentham hat zwar manchmal den Eindruck erweckt, dass ihm die Meinung einer mehrheitlichen Öffentlichkeit identisch sei mit den richtigen Vorstellungen vom größtmöglichen Glück, es gehört aber zu einer seiner immer wiederkehrenden Warnungen, dass man keinesfalls die jeweilige dominante Mehrheitsmeinung mit dem Utilitätsprinzip gleichsetzen dürfe. Dies gilt nur für eine "aufgeklärte" öffentliche Meinung. Was den Schutz des Individuums betrifft, so scheint bei Mill auf, dass er bei Bentham keine Rolle spielt. Dies ist schlicht falsch. Außerdem sind die denkbaren Konsequenzen aus den Ausführungen Mills für uns aus demokratietheoretischen Erwägungen weit schwerer akzeptierbar. Liest man nämlich genauer, und das gilt nicht nur für diese Stelle, so kann man bei Mill eine Option für eine vergleichsweise unkontrollierte Elitenherrschaft herauslesen. Benthams Kritik daran wäre vernichtend gewesen - auch wenn wir natürlich nicht daran vorbeigehen können, dass auch seine Position zweifelhafte Implikationen mit sich bringt. Wir haben hier einen Punkt der Rekonstruktion erreicht, an dem wir fast alle wichtigen Dimensionen des Rezeptionsfilters John Stuart Mill durchgegangen sind. Für uns ist entscheidend, dass fast alle Argumente Mills berücksichtigungswürdig sind. Mit den scharfen Augen des vergleichsweise vertrauten Schülers, der gelegentlich in Anspielung an die neutestamentliche Geschichte mit der Idee gespielt hat, er sei ein Petrus, der seinen Meister verleugnet habe, 60 deckt er mögliche Probleme der Philosophie Benthams auf. Der besondere Wert seiner Ausführungen, der sie zugleich für die Rezeption Benthams gefährlich und so wirkungsmächtig gemacht hat, besteht in einer internen Haltung der Kritik, die an wesentlichen Positionen des Utilitarismus festhalten will. 61 Wenden wir uns nun einem zweiten Rezeptionszusammenhang zu.

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Bentham, S. 109. Zu dieser Äußerung vgl. Robson, J.M., John Stuart Mill and Jeremy Bentham with some Observations on James Mill, in: MacLure, Millar/Watt, F.W. (Hrsg.), Essays in English Literature from the Renaissance to the Victorian Age, Toronto 1964, S. 260, Fn. 53. "According to the Greatest Happiness Principle, as above explained, the ultimate end, with reference to and for the sake of which all other things are desirable [...], is an existence exempt as far as possible from pain, and as rich as possible in enjoyments, both in point of quantity and quality; the test of quality, and the rule of measuring it against quantity, being the preference felt by those who, [...], are best furnished with the means of comparison. This being, according to the utilitarian opinion, the end of human action, is necessarily also the standard of morality; which may accordingly be defined, the rules and precepts for human conduct, by the observance of which an existence such as has been described might be, to the greatest extent possible, secured to all mankind; and not to them only, but, so far as the nature of things admits, to the whole sentient creation." Utilitarianism, S. 214. Darin sind nur wenige Worte, denen Bentham nicht hätte freimütig zustimmen können.

Bentham unter den Deutschen

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2.2. Bentham unter den Deutschen Über die äußerst dürftige und meist radikal abweisende Benthamrezeption im deutschen Sprachraum ist gelegentlich und manchmal kühn spekuliert worden.1 Sieht man einmal von der abwägend wohlwollenden Darstellung Robert von Mohls ab, deren Kritik allerdings in vielen Bereichen an die John Stuart Mills erinnert und die letztendlich Bentham den wirklichen philosophischen Tiefgang bestreitet,2 so lässt sich über verschiedenste philosophische Schulen und Denkpositionen hinweg ein zentrales Vorurteil in fast allen Varianten dieser Ablehnung identifizieren. Entscheidend ist für unsere kurze Skizze der einschlägigen Ausführungen, dass keine produktive Auseinandersetzung mit den Argumenten Benthams stattfindet, sondern Bentham als Vertreter einer nationalen und klassenspezifischen Geisteshaltung abgetan wird, die dem viel tieferen deutschen philosophischen Denken nichts Wirkliches zu sagen hat. Es wird nicht verwundern, wenn diese Haltung oft in einem bemerkenswert engen Zusammenhang mit eher demokratiekritischen Vorstellungen und einer skeptischen Haltung gegenüber der Moderne und deren Individualismus auftaucht. Damit soll natürlich nicht behauptet werden, dass solche Identifizierungen Benthams und des Utilitarismus mit dem modernen individualistischen Kapitalismus und einer bürgerlichen Wirtschaftsethik auf den deutschen Kulturraum beschränkt bleiben.3 Sie nimmt vor dem Hintergrund der besonderen deutschen philosophischen Tradition allerdings besondere Formen an, die ohne die maßgebliche Bedeutung der Philosophie Immanuel Kants kaum verständlich werden kann.4 Daher 1

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So behauptet etwa Sepp Domadl, Goethes Konzeption des weltlichen Endes von Faust, bei dem er ja bekanntlich von einer befreiten und solidarischen Welt träumt während die Lemuren sein Grab schaufeln, sei eine Benthamkritik. Der Nachweis, dass Bentham hier gemeint ist, wird vom Autor keineswegs geführt. Domadl, Sepp, Goethe und Bentham, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. XXVI, 1994, S. 91-100. Vgl. Mohl, Robert von, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. III, Erlangen 1858, Jeremy Bentham und seine Bedeutung für die Staatswissenschaften, S. 595-635. Den Hinweis auf diesen Zusammenhang verdanke ich dem Augsburger Kollegen und Freund Michael Philipp. Um nur ein neueres Beispiel zu nennen: Für den Wortführer eines populären Kommunitarismus Amitai Etzioni, ist Bentham eine der intellektuellen Schlüsselfiguren für das Elend der individualistischen Moderne. Vgl. ders., Jenseits des Egoismusprinzips (1988), Stuttgart 1994, S. 28 ff. Besonders deutlich: "Jeremy Bentham schrieb, Gesellschaft sei eine Fiktion, und Margaret Thatcher hat diesen libertären Unsinn oft wiederholt." Ders., Die Verantwortungsgesellschaft (1996), Darmstadt 1997, S. 34. Für eine soziologische Kritik am "individualistischen Fehlschluss" des Utilitarismus vgl. Bourdieu, Pierre, Praktische Vernunft (1994), Frankfurt am Main 1998, S. 143 ff. Bereits früh wurde vermerkt, dass eine Rechtsphilosophie, der die autonome Vernunft der zentrale Bezugspunkt ist, schwerlich mit einer anderen ins Gespräch kommen kann, die behauptet, sich ausschließlich auf Erfahrung zu stützen. In der Vorherrschaft des Kantianismus liege der entscheidende Grund für die Nichtrezeption Benthams in Deutschland, die sich wissenschaftssoziologisch durch die Dominanz der philosophischen Rechtswissenschaft einerseits und einer eher pragmatischen anderseits weiter verlängere. "La morale, et ce qu'on le enseigne de nos jours dans les universités allemandes, sont basés sur une pétition de principe, en opposition directe avec les idées fondamentales de Bentham. Kant, qu'on peut regarder comme le createur de ces deux

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Rezeptionsfilter

lohnt es sich auch, einen der wenigen und frühen Versuche einer Konfrontierung zweier als Paradigmen des moralphilosophischen Denkens begreifbaren Optionen, die sich an den Personen Benthams und Kants festmachen lassen, zur Kenntnis zu nehmen.5

2.2.1.

Händlergeist und Krämermoral

Schon lange bevor C.B. Macpherson behauptet hat, dass Bentham einer der Höhepunkte des besitzindividualistischen kapitalistischen Denkens gewesen sei, der eigentlich nur die naturrechtliche Fassade von Hobbes' und Lockes' politischer Philosophie niederreißen brauchte, um diesem Denkstil zur Vollendung zu verhelfen,6 haben Karl Marx und Friedrich Nietzsche auf je ihre Weise die Identifizierung des Benthamismus als Ideologie der Bourgeoisie vorgenommen. Für Marx ist Bentham einer der zentralen englischen Denker, dem es gelungen war, die mechanistisch-naturwissenschaftliche Philosophie der französischen Aufklärung mit der englischen politischen Ökonomie zu verschmelzen. Damit hat er in seiner historischen Position als Vertreter einer kämpfenden und noch unentwickelten Bourgeoisie ein hervorragendes ideologisches Kampfmittel geschaffen. 7 Er sei ein typisch englisches Phänomen und hätte, hier kommt dann die sciences (Moralphilosophie als Naturrechtslehre und Rechtsphilosophie - W.H.) avec leur bases et leurs formes actuelles, a enseigné, qu'en fait de morale et de droit, la raison pratique nous donne des notions générales, dont la vérité est intimément sentie par les hommes, et n'a jamais besoin d'être constatée par l'experience: en d'autre terms, et suivant ses propres expressions, la raison est autonomme, c'est-à-dire son propre législateur." Meynier, L., Principes de Législation, in: Annales de Législation et de Jurisprudence, 11/1821, S. 21. Wenn der Autor dann aber eine systematische Affinität zwischen Bentham und der Historischen Schule sehen will, irrt er zumindest, wenn es um Benthams Einschätzung geht. Die "Historical School, á la mode Allemagne" ersetzt, so Bentham, das Recht durch seine Geschichte und behauptet, diese wäre als politische Handlungsanweisung brauchbar. Das ist für ihn das Ende der argumentativen Vernunft. Vgl. Bentham to his Fellow Citizens of France on Houses of Peers and Senates, Works, IV, S. 425. Das lohnt schon allein deshalb, weil das Erkenntnispotential dieser beiden Paradigmen noch nicht voll ausgeschöpft ist. Vgl. Höffe, Otfried, Kategorische Rechtsprinzipien, Frankfurt am Main 1995, S. 153 ff. Höffe weist hier unter anderem auf das spezifisch deutsche Vorurteil hin, der Utilitarismus sei eine "plane Nützlichkeitsmoral". Genau so argumentiert, in offensichtlicher Unkenntnis der Quellen, Nicolai Hartmann in seiner Ethik, in der er den Utilitarismus unter den "Irrwegen der philosophischen Ethik" einreiht und ihm eine Versklavung des Menschen unter dem Diktat der Nützlichkeit vorwirft. Vgl. ders., Ethik, Berlin 19624, S. 86 ff. "Bentham baute auf Hobbes.", wie es so schön bei Macpherson heißt. Es folgt eine Berufung auf Mills Kritik an Benthams „Geschäftsphilosophie". Macpherson, C.B., Die politische Theorie des Besitzindividualismus (1962), Frankfurt am Main 1980, S. 14 f. Vgl. auch S. 302 f. "Nachdem die sentimentalen und moralischen Phrasen, die bei den Franzosen den ganzen Inhalt der Nützlichkeitstheorie bildeten, erschöpft waren, blieb für eine fernere Ausbildung dieser Theorie nur noch die Frage übrig, wie die Individuen und Verhältnisse zu benutzen, zu exploitieren seien. Die Antwort auf diese Frage war inzwischen in der Ökonomie schon gegeben worden; der einzig mögliche Fortschritt lag in dem Hereinnehmen des ökonomischen Inhalts. Bentham vollzog diesen Fortschritt." Engels, Friedrich/Marx, Karl, Deutsche Ideologie, MEW, 3, Berlin 1969, S. 389. Vgl. auch ebd., S. 397.

Bentham unter den Deutschen

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eindeutig negative Wendung, mit seiner Arbeit dazu beitragen wollen, dass der englische Spießbürger zum Normaltypus des Menschen und zum Maß aller Dinge gemacht werde. Marx beschreibt ihn an einer klassischen Stelle im Kapital als "Herrn Jeremia [...] ein Genie in der bürgerlichen Dummheit": "Aber das Vorurteil ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, dies nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des 19. Jahrhunderts. Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabrizierbar." Ferner: "Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angeborenen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und weil so jeder nur für sich und keiner für den anderen kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfifFigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses." 8

Marx, der Benthams Werk wohl nur aus den Bearbeitungen Etienne Dumonts kannte,9 prangert hier die bürgerlich ideologische Funktion von Benthams Lehre vom Menschen als freiem und rational kalkulierendem Individuum, das von seinen Interessen beherrscht wird, an. Die Lehre von den Interessen hält er für verfehlt10 und deshalb für ideologisch, weil sie die realen sozialen Beziehungen in der Klassengesellschaft verdeckt. Sie kann beispielsweise dazu benutzt werden, denjenigen, die dauernd in der Gesellschaft benachteiligt sind, zu demonstrieren, dass sie letztlich doch ihren Interessen folgen, es also nur darauf ankommt, sie richtig zu verstehen.11 Das Zitat führt uns Bentham als einen radikalen Anhänger der Lehren von Adam Smith vor, der ja in der Tat in manchen Positionen den Lehrmeister der "invisible hand" sogar noch überholte, und lässt erkennen, dass die Fiktion von freien und gleichen Besitzbürgern keinesfalls als Modell einer sozial emanzipierten Gesellschaft herhalten kann. Sozialbeziehungen sind in diesem Modell primär Geschäftsbeziehungen, die als gemeinnützlich hingestellt werden und dadurch, dass das Modell sie zum Maß aller Dinge erhebt, wird aus Benthams Denken schlicht "eine bloße Apologie des Bestehenden",12 der nach der Überwindung s 9

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Marx, Karl, Das Kapital, Bd. I, MEW, 23, Berlin 1970, S. 636 f. und 189 f. Vgl. Dinwiddy, J.R., Marx and Bentham, in: ders., Radicalism and Reform in Britain, London 1992, S. 421-435. "[...] im Interesse schiebt der reflektierende Bourgeois immer ein Drittes zwischen sich und seine Lebensäußerung, eine Manier, die wahrhaft klassisch bei Bentham erscheint, dessen Nase erst ein Interesse haben muß, ehe sie sich zum Riechen entschließt." Deutsche Ideologie, S. 194. "Das Kunststück, den 'Aufopfernden' nachzuweisen, daß sie Egoisten seien, ist ein alter Kniff, bereits bei Helvétius und Bentham hinlänglich exploitiert." Deutsche Ideologie, S. 226. Deutsche Ideologie, S. 399.

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des Feudalismus und der Etablierung der kapitalistischen Reproduktion jeder kritische Bezugspunkt verloren geht. Halten wir fest, dass Karl Marx in Bentham den archetypischen Vertreter eines antiaristokratischen Bürgertums sieht, das um die ideologische Absicherung seiner Positionen bemüht ist. Er wird als Phänomen der englischen Nationalkultur begriffen, die auf dem dort erreichten Stand des Kapitalismus bezogen werden muss. Außerdem wird behauptet, dass sein Denken in dem Moment reaktionär wurde, in dem die Bourgeoisie sich als die dominierende Klasse durchgesetzt hat. Die anthropologische Annahme von freien und selbstinteressierten Individuen erreicht eine ideologische Dynamik in dem Moment, in dem sie alle Sozialbeziehungen zu Markt- und damit Ausbeutungsbeziehungen werden lässt. Wir haben hier eine starke Zuspitzung eines Argumentes, das wir schon bei Mill im Ansatz kennen gelernt haben und das besonders bei Benthams Überlegungen zum Austausch menschlicher Dienste und seinem Modell einer Art "moralischen Fonds" der Gesamtgesellschaft nicht aus den Augen verloren werden darf. Die Frage, wie stark die moralischen und politischen Beziehungen zwischen Menschen von ihm ökonomisiert wurde, darf keinesfalls vernachlässigt werden. Von gänzlich anderen Prämissen aus, jedoch mit überraschend ähnlichen Ergebnissen, hat Friedrich Nietzsche Benthams Denken beurteilt. Auch für ihn ist Bentham der Archetyp eines philisterhaften Denkens aus England, das ohne jede Fantasie den englischen Durchschnittsspießer zum Maßstab hernimmt. Sein antienglischer Affekt jedoch ist maßlos und diffamierend, wie so viel in Nietzsches Werk und artet zu einem philosophischen Krieg zwischen den Nationen aus, bei dem der deutsche Geist zweifellos die besseren spirituellen Waffen einsetzen kann. 13 Benthams Utilitarismus wird als englische Nationalphilosophie charakterisiert: "Man sehe sich zum Beispiel diese unermüdlichen unvermeidlichen englischen Utilitarier an, wie sie plump und ehrenwert in den Fußstapfen Benthams daherwandeln [...] Kein neuer Gedanke, nichts von feinerer Wendung [...]. Zuletzt wollen sie alle, daß die englische Moralität recht bekomme: insofern gerade damit der Menschheit, oder dem 'allgemeinen Nutzen' oder 'dem Glück der Meisten', nein! dem Glücke Englands am besten gedient wird; sie möchten mit allen Kräften sich beweisen, daß das Streben nach englischem Glück, ich meine nach comfort und fashion (uns, an höchster Stelle, ein Sitz im Parlament), zugleich auch der rechte Pfad der Tugend sei [...]. Keines von allen diesen schwerfälligen, im Gewissen beunruhigten Herdentieren (die die Sache des Egoismus als Sache der allgemeinen Wohlfahrt zu führen unternehmen) will etwas davon wissen und riechen, daß die 'allgemeine Wohlfahrt' kein Ideal, kein

"Das ist keine philosophische Rasse - diese Engländer: Bacon bedeutet einen Angriff auf den philosophischen Geist überhaupt, Hobbes und Locke eine Erniedrigung und Wert-Minderung des Begriffs 'Philosophie' für mehr als ein Jahrhundert. Gegen Hume erhob und hob sich Kant; Locke war es, von dem Schelling sagen durfte: 'je méprise Locke'; im Kampfe mit der englisch-mechanistischen Welt-Vertölpelung waren Hegel und Schelling (mit Goethe) einmütig, jene beiden feindlichen Brüder-Genies in der Philosophie, welche nach den entgegengesetzten Polen des deutschen Geistes auseinander strebten und sich dabei unrecht taten, wie sich eben nur Brüder unrecht tun. [...] der Engländer, düsterer, sinnlicher, willensstärker und brutaler als der Deutsche ist eben deshalb, als der Gemeinere von beiden, auch frömmer als der Deutsche: er hat das Christentum eben noch nötiger." Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, 11/252, S. 718, hrsg. von Karl Schlechta, München 1969 6 .

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Ziel, kein irgendwie faßbarer Begriff, sondern nur ein Brechmittel ist - daß, was dem einen billig ist, durchaus noch nicht dem anderen billig sein kann, daß die Forderung einer Moral fur alle die Beeinträchtigung gerade der höheren Menschen ist, kurz, daß es eine Rangordnung zwischen Mensch und Mensch, folglich auch zwischen Moral und Moral gibt. Es ist eine bescheidene und gründlich mittelmäßige Art Mensch, diese utilitarischen Engländer [...]." 14

Diese Ausführungen haben es aus verschiedenen Gründen verdient, dass man sie in ihrem vollen Umfang zur Kenntnis nimmt. Nietzsche selbst stilisiert hier den Utilitarismus als typische Herdenmoral, in ihrer Herkunft ursprünglich englisch, zu einem der mittelmäßigen Gegner seiner Philosophie. Damit mindestens hat er Recht. Schon allein die Wortwahl der Kritik steht für einen vom Utilitarismus fundamental verschiedenen Denkstil, dem die Pointe und das dramatische Element über alles geht. Bentham dagegen hat sich selbst immer als trockenen Philosophen einer normalen Lebensführung gesehen, auch wenn er seine eigene Begabung gern als genial darstellt. Nietzsche bezeichnet ferner die typische Denkform des Utilitarismus als eine der Gleichmacherei des Ungleichen, ein nicht unwichtiger Einwand, den wir entkleidet von den hintergründigen Vorstellungen einer übermenschlichen Lebensführung werden prüfen müssen. Und zwar dahingehend, ob Bentham genügend Rücksicht auf die Verschiedenheit der Individuen nimmt, oder ob sich eine Art Uniformitätszwang in seiner Theorie manifestiert. 15 Offensichtlich, und hier führt eine inhaltliche Dimension seiner Kritik direkt zur weiteren Rezeption Benthams in Deutschland, steckt auch ein starkes antidemokratisches Ressentiment in Nietzsches vehementer Polemik gegen das "Glück der größten Zahl". Die "größte Zahl" ist für ihn die letzte Form der bisherigen "Herrschaft von Unsinn und Zufall". 16 Wenn dem so ist, so ergibt sich aus seiner Perspektive eine wirkungsmächtige Analogie zwischen, England, Utilitarismus, parlamentarischer Demokratie, Herdenmoral und Dummheit auf der einen und Deutschland, Philosophie, Aristokratie des Geistes bzw. Tiefsinnigkeit auf der anderen Seite. Genau diese Verbindung und Opposition aber findet sich radikalisiert durch den I. Weltkrieg etwa bei Werner Sombart. Sie ist dort die trivialisierte und brutalisierte Variante der Vorgaben Nietzsches und man kann wohl mit einiger Gewissheit behaupten, dass solche und ähnliche Ausführungen eine breite und subkutane Wirkung im deutschen Kulturkreis entfaltet haben. 17 14 15

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Jenseits von Gut und Böse, 11/228; S. 692. Disziplinierung und Serialisierung des Menschen sind ja auch die grundlegenden Diagnosen am Panoptizismus, die Michel Foucault formuliert hat. Darauf soll hier aber im Zusammenhang mit der institutionellen Gestalt des Externalismus, dessen wichtigste Ausformung das Panopticon ist, eingegangen werden. Vgl. Jenseits von Gut und Böse, 11/203, S. 661. Auch der viel differenzierter argumentierende Wilhelm Wundt, der am Beispiel von Benthams Forderung nach dem größten Glück einen Widerspruch von Freiheit und universaler Glücksverpflichtung diskutiert (vgl. S. 56) und die Entwicklung des Utilitarismus verkürzt aber angemessen referiert, findet letztlich eine unüberbrückbare Opposition zwischen englischem und deutschem „Geist": „Der Utilitarismus ist die spezifisch englische Philosophie. [...] Jeder tue, was ihm selber nützlich ist, so wird auch die Wohlfahrt aller am besten gedeihen! Doch dem Deutschen paßt diese Uniform nicht auf den Leib, und im Grunde auch keinem anderen Europäer.[...] Er ist die Philosophie der Gesättigten." Wundt, Wilhelm, Die Nationen und ihre Philosophie, Leipzig 1915,

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Sombart b e z e i c h n e t die Welthaltung der englischen N a t i o n als reinen Ausdruck des Händlergeistes, d e m es ausschließlich um die Führung eines möglichst b e q u e m e n Lebens auf m ö g l i c h s t h o h e m ö k o n o m i s c h e m N i v e a u geht. 1 8 D i e s e Welthaltung kommerzialisiert alle B e r e i c h e des m e n s c h l i c h e n Lebens, nivelliert das G e i s t e s l e b e n nach unten und findet ihren deutlichsten Ausdruck in Benthams Philosophie: "Wie alles Denken des Händlers, so geht auch alle wissenschaftliche Ethik Englands von dem kleinen, bisschen Leben aus, das der Herr X und Y zufällig fuhren. [...] Dieses Einzelwesen Menschlein schließt dann, so will es die utilitaristisch-eudämonistische Ethik, mit dem Leben einen Pakt [...]. Der infame Spruch, den je eine Händlerseele hat aussprechen können: handle 'gut': 'damit es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden', ist der Leitspruch aller Lehren der englischen Ethik geworden. Das 'Glück' ist oberstes Ziel des menschlichen Strebens. 'Das größte Glück, der größten Anzahl', so hat Jeremias Bentham dieses hundsgemeine 'Ideal' fur ewige Zeiten in Worte geprägt. [...] 'Glück' ist Behagen in Ehrbarkeit; Comfort mit Respectability: Apple-pie und Sonntagsheiligung, Friedfertigkeit und Foot-ball, Geldverdienen und Muse für irgendein Hobby." 19 N i e t z s c h e s Topoi einer fundamentalen philosophischen und auch kulturellen Opposition werden hier bloß variiert und für den Kriegskontext funktionalisiert. Es versteht sich fast v o n selbst, dass d e m oberflächlichen englischen Utilitarismus ein v o n Sombart mystifizierter deutscher Transzendentalismus als wahre Philosophie entgegengestellt wird. Fatal ist nur, dass bei ihm Kants Variante der Z w e i - R e i c h e - L e h r e durch einen reaktionären Fichte hindurch zu einer Lehre der Lebensüberwindung und der sich opfernden H e l d e n umgedeutet wird. M a n schwindelt vor s o viel deutscher Tiefe: "Das ist ja recht eigentlich die Großtat der deutschen Philosophie, daß sie - und nur die deutsche Philosophie, während die aller übrigen Länder in den Verstandeskategorien stecken geblieben ist - sich zur Aufgabe gestellt hat, mit den Kräften der Vernunft von unserm Leben auf dieser Erde Fäden hinüberzuspinnen in jenes ernste, stille Geisterreich, von dannen wir kommen und dahin wir gehen; daß sie das Übersinnliche in der Vernunft selbst aufgesucht und so erst eigentliche Philosophie erschaffen hat. [...] Zwei Leben leben wir auf Erden: ein niederes sinnliches und ein höheres geistiges. Mit jenem sind wir vereinzelt, mit diesem vereint. Und aller Sinn des Erdenwandels ist der: daß wir aus jenem niederen Sinnenleben aufsteigen in das höhere des Geistes, in dem wir mit der Geisterwelt, der wir entstammen wieder eins werden. Also ist Lebensüberwindung, Lebensaufgabe das, was wir vollbringen sollen." 20

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19 20

S. 140. Für ein weiteres Beispiel vgl. Mann, Thomas, Betrachtungen eines Unpolitischen, Gesammelte Werke, Frankfurt am Main 1993, S. 324 ff. "Ich verstehe unter Händlergeist diejenige Weltauffassung, die an das Leben mit der Frage herantritt: was kannst du Leben mir geben, die also das ganze Dasein des einzelnen auf Erden als eine Summe von Handelsgeschäften ansieht, die jeder möglichst vorteilhaft für sich mit dem Schicksal oder dem lieben Gott [...] oder seinen Mitmenschen im einzelnen oder im ganzen (das heißt mit dem Staat) abschließt. Der Gewinn, der für das Leben jedes einzelnen dabei herauskommen soll, ist möglichst viel Behagen, zu dem ein entsprechender Vorrat an Sachgütern gehört, geeignet, das Dasein zu verschönern." Sombart, Werner, Händler und Helden, München/Leipzig 1915, S. 14. Ebd., S. 19 f. Ebd., S. 60 f.

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Bei Sombart ist für uns zwar kein überschüssiger Rest einer Argumentation, den wir für unsere Rekonstruktion verwenden könnten, wenn man von verzerrten Äußerungen aus Nietzsches intellektueller Küche einmal absieht, dies ist aber auch nicht der Grund, warum er hier vorgeführt wird. Sombarts überzogene Darstellung der Oppositionen zwischen deutschem Geist und englischem Vulgärmaterialismus scheint uns vielmehr in manchem symptomatisch für eine intellektuelle Selbstüberschätzung, der jede Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einer anderen intellektuellen Tradition abgeht. So eine Art der Ablehnung sagt in gewissem Sinne mehr über ihren Autor als über ihren Gegenstand.

2.2.2.

"Kant oder Bentham" - Friedrich Eduard Benecke

Ganz anders liest sich, was Friedrich Eduard Benecke (1798-1854) über das Verhältnis der deutschen und englischen Philosophie mitzuteilen hat. Seine Arbeit hat zwar kaum Spuren in der deutschen Philosophiegeschichte hinterlassen, jedoch wird man seine Gegenüberstellung des kantischen Transzendentalismus und des benthamschen Utilitarismus als eine der frühesten und auch heute noch anregenden Versuche einer produktiven Auseinandersetzung zwischen beiden lesen können. 21 Von seinen Zeitgenossen wird sein eudaimonistisches und sensualistisches philosophisches Programm, dem über eine starke Betonung der empirischen Seite von Kants Kritik der reinen Vernunft die Psychologie zur Grundwissenschaft aller Geisteswissenschaften wird, vehement abgelehnt. 22 Für unseren Zusammenhang bedeutsam ist, dass in der Entwicklung einer zunehmend kritischen Haltung gegenüber dem kantischen Transzendentalismus in der Moraltheorie für Benecke die intensive Beschäftigung mit Bentham eine katalytische Wirkung hatte. Spätestens nachdem er 1830 die Grundsätze der Civil- und Criminalgesetzgebung herausgegeben hatte, 23 war Benecke bemüht, die Differenzen zwischen den beiden philosophischen Positionen herauszuarbeiten und sie dann in eine Synthese zu bringen. Für die Beziehung von Benthams Philosophie zu der Kants und der deutschen Tradition sind die Ausführungen Beneckes zu folgenden Themenbereichen bedeutsam: Seine Interpretation der weitgehenden Nichtwahrnehmung Benthams in Deutschland, seine Kritik an Kant aus der Perspektive einer teilweise von Bentham inspirierten empirisch ausgerichteten Morallehre und Psychologie und andersherum gewendet, seine Kritik an Bentham.

Vgl. auch Baumgardt, David, Bentham and the Ethics of Today, New York 1966, S. 4, Fn. 1. Vgl. zum Verlauf und Scheitern seiner Karriere Köhnke, Klaus Christian, Entstehung und Aufstieg des deutschen Neukantianismus, Frankfurt am Main 1986, S. 72 ff.; Jodl, Friedrich, Geschichte der Ethik, Bd. II, 1923 3 , Reprint Essen o.J., S. 224 ff. Zur Bedeutung der Psychologie vgl. Sachs-Hombach, Klaus, Philosophische Psychologie im 19. Jahrhundert, Freiburg/München 1993, S. 216 ff. Bentham, Jeremias, Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, aus den Handschriften des englischen Rechtsgelehrten Jeremias Bentham, herausgegeben von Etienne Dumont, Mitglied des repräsentativen Rathes von Genf. Nach der zweiten, verbesserten und vermehrten Auflage fiir Deutschland bearbeitet und mit Anmerkungen von Dr. Friedrich Eduard Benecke, Berlin 1830.

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Betrachtet man zunächst Beneckes Versuch zu erklären, warum es in Deutschland zu keiner nennenswerten Rezeption Benthams gekommen ist, so findet sich eine genaue Umdrehung der gängigen Argumentation. Nicht der Utilitarismus ist platt, es ist vielmehr die deutsche Gespreiztheit und Selbstüberhebung, die ein Lernen aus verfügbaren Quellen verweigert und sich auf eine angeblich besonders große Tiefe des eigenen Denkens beruft. Benecke bedauert, dass sich in Deutschland Lockes Ablehnung der angeborenen Ideen nicht durchsetzten konnte 24 und konstatiert eine Erfahrungsfeindschaft, die haltlosen Spekulationen freien Raum gewährt. 25 Eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung und damit der Nichtrezeption Benthams kommt Kants Philosophie zu, die auf den ersten Blick der Benthams unversöhnlich gegenüber steht und eine Denkhaltung ausgelöst hat, die alles Denken, das Moral oder Recht mit Zwecken oder gar Nutzenerwägungen begründen will, als substanzlos verdammt. Diesem, wie Benecke zeigen will, nur scheinbaren moraltheoretischen Formalismus korrespondiert allerdings in der politischen Praxis durchaus eine rigide Verfolgung der jeweiligen Interessen. Die Philosophie des kategorischen Imperativs erhält aus dieser Perspektive eine ideologische Funktion: "Man findet seit Kant bei uns Deutschen in der wissenschaftlichen Theorie eine ganz wunderliche Scheu vor dem Begriff des 'Nutzens', während man in der Praxis demselben nicht selten nur zu sehr, und aus nur zu beschränkten Gesichtspunkten huldigt. Es ist beinahe, als furchte man, dass durch die Kontrolle einer aufgeklärten Wissenschaft diese Beschränktheit werde gemissbilligt werden, und zöge eben deshalb vor, unter unklaren formalen Ausdrücken sich zu verhüllen." 26

Kants Sätze für die Wahrheit schlechthin zu halten, gar zu glauben, Systeme, die auf einer transzendentalen Begründung von Moral und Recht aufbauen, seien der sittlichen Realität angemessen, erweist sich jedoch, so Benecke, unter verschiedenen Aspekten als ein schwerer Fehler. Bereits vor einer näheren Bekanntschaft mit Benthams Werk finden sich bei ihm Ansätze einer Kantkritik, die durchaus von sich behaupten können, eine enge Verwandtschaft mit den grundlegenden Überzeugungen des Utilitarismus zu besitzen. Es sind namentlich sein Anspruch aus der Philosophie eine "Naturwissen-

"Für Deutschland leider nicht!", so sein Ausruf. Grundsätze der Civil-und Criminal-Gesetzgebung, I, S. 116, Fn. "Der tiefere Grund, weshalb Benthams Arbeiten bisher so wenig bei uns bekannt geworden sind, ist wohl in der völlig entgegensetzten Richtung zu suchen, welche in den letzten Jahrzehnden fast ganz allgemein die Philosophie in Deutschland auf der einen, in England und Frankreich auf der anderen Seite genommen hat. Während man in den letztgenannten Ländern, wie verschieden auch sonst die Ansichten sein mochten, doch darin übereinstimmte, dass nur durch ein enges Anschliessen an die innere und an die äussere Erfahrung ein selbstbegründetes Wissen gewonnen werden könne: so hatte man in Deutschland sich gewöhnt, auf jede Begründung der Philosophie durch Erfahrung, selbst durch innere, verächtlich herabzublicken." Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. vi. "Es ist endlich Zeit, die unnatürlich geschraubten Spekulationen zu verlassen, über welche alle anderen Völker uns bespötteln [...]." Benecke, Friedrich Eduard, Grundlegung zur Physik der Sitten, ein Gegenstück zu Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Berlin 1822, S. ix. Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. ix.

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schaft der menschlichen Seele" 27 zu machen, sowie seine Überzeugung, dass alle Entscheidungen über Recht oder Unrecht auf einer "sorgsamen Abwägung" der Interessen aufruhen müssen, 28 die ihn in Bezug auf wesentliche Grundannahmen nahe an Bentham heranrücken. Beneckes Kantkritik wendet sich in erster Linie gegen den Formalismus und rigiden Universalismus des kategorischen Imperativs. Kant habe die Moralphilosophie an einen Punkt getrieben, an dem er selbst zugestehen muss, dass er nicht mehr verständlich machen kann, wie denn die reine praktische Vernunft wirklich praktisch werden könne. 29 Damit aber hat er die moralische und natürliche Welt so voneinander getrennt, dass er in seiner eigenen Moralphilosophie diese Trennung an entscheidenden Stellen nicht durchzuhalten vermag. Benecke glaubt zeigen zu können, dass letztlich bei der Beurteilung moralischer Handlungen nie ganz von den Zwecken und dem Nutzen derselben abstrahiert werden kann und dass dies eben auch Kant nicht zu tun vermag. Die reine Form des Willens und das Postulat der Universalisierbarkeit des kategorischen Imperatives werden etwa dann durchbrochen, wenn Kant bei der Begründung der konkreten praktischen Regel, die besagt, dass man keinesfalls gegen ein Versprechen es zurückzuzahlen Geld leihen dürfe, wenn man dies unter dem Vorsatz tue, das Versprechen zu brechen, doch eine Reflexion der Folgen solchen Handelns anstellen muss. 30 Von diesem Ansatzpunkt des Formalismus ausgehend, kritisiert Benecke weiter die Tatsache, dass Kant vollkommen von den Kontexten einer Handlung abstrahiert und in der von ihm dominierten philosophischen Tradition keine Veränderung der moralischen und sittlichen Einstellungen des Individuums möglich sind. 31 Moralität und Sittlichkeit werden hier zu statischen Gebilden, deren Erlernen und Vervollkommnung gar nicht zureichend bedacht werden können. 32 Letztlich kommt er zu dem Urteil, Kant sei selbst

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Grundlegung zur Physik der Sitten, Berlin 1822, S. x. Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. v. "Hat sich Kant auch dadurch, dass er mit so überzeugender Kraft den ursprünglichen inneren Werth des sittlichen Willens geltend gemacht, ein höchst bedankenswertes Verdienst erworben: so können wir ihm die Starrheit nicht danken, mit welchem er das sittliche Wollen allem übrigen, selbst dem auf die höchsten Zwecke gerichteten Wollen an die Seite, ja entgegen stellt. Dass es 'unmöglich sei, ein Interesse ausfindig und begreiflich zu machen, welches der Mensch an moralischen Gesetzen nehmen könne', dass 'alle menschliche Vernunft gänzlich unvermögend sei, zu erklären, wie reine Vernunft praktisch sein könne, und alle darauf gerichtete Mühe und Arbeit verloren', sind Sätze, welche das Mass der Einsicht Kant's falschlich zu dem der Menschheit überhaupt machen, und gewiss grossen Schaden gestiftet haben, [...]." Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. 40. Benecke beruft sich hier und in der Physik der Sitten (S. 29), wo er das Argument leicht variiert, sinngemäß auf: Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe, VIII, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1980, S. 99. Vgl. Benecke, Friedrich Eduard, Grundlinien des natürlichen Systems der praktischen Philosophie, Bd. III, Berlin 1838, S. 31 f. Zu anderen Beispielen, die Konsequenzen in die Universalisierung der Handlungsregel mit einbeziehen vgl. Physik der Sitten, S. 41 ff. Vgl. am Beispiel der verbotenen Notlüge, ebd., S. 30 ff. Vgl. ebd., S. 66 ff.

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ein äußerst zeitgebundener Denker gewesen, 33 der vor allem deswegen oft mit seiner Moralphilosophie die natürliche moralische Intuition getroffen habe, weil er sich gar nicht so sehr an seine philosophischen Vorgaben gehalten habe, sondern selbst sein moralisches Gefühl habe sprechen lassen. 34 Mit all dieser, teilweise schon vor der intensiveren Beschäftigung mit Bentham formulierten Kritik, die an einer Stelle gar Kants a priori in typisch benthamscher Manier des "ipsedixitism" bezichtigt, 35 bereitet Benecke den Boden für eine Konfrontation der Positionen Benthams und Kants. Beide Philosophen sind ihm ideale Typen zweier paradigmatischer Lösungen der Probleme, insbesondere einer Rechtsphilosophie, die jedoch in enger Verbindung zur Moralphilosophie stehen muss: "Nach der Behauptung Einiger hat das Recht seine Begründung in einer inneren angeborenen Norm, welcher gemäß wir es ohne Einmischung von etwas Anderem zu bestimmen haben, unbekümmert um alle daraus hervorgehenden Folgen, nach dem bekannten fiat justitia, pereat mundus. Dagegen Andere, indem sie die Annahme einer solchen angeborenen Norm für eine blosse Einbildung, für ein durchaus unbegründetes Vorurtheil erklären, als die einzig gültige Richtschnur eben die von Jenen verworfene Erwägung der Folgen, oder der durch ein gewisses Verhältnis, durch eine gewisse Handlungsweise bedingten Güter und Übel bezeichnen. [...] Die ein angeborenes Prinzip annehmen, nehmen es fur das Recht eben so wohl, als für das Moralische an; und die über jenes aus der Erwägung der Folgen entschieden wissen wollen, machen mit wenigen Ausnahmen dieselbe Entscheidung auch für dieses geltend." 36

Kant und Bentham sind für Benecke die idealen Repräsentanten beider Theorierichtungen. Bei ihnen findet sich die klare und nüchterne Ausprägung des jeweiligen Ansatzes frei von schmückendem Beiwerk und er bemerkt, mit gewissem Bedauern, dass diese beiden großen Geister bloß nebeneinander und nicht gegeneinander gestanden haben oder doch gestellt wurden. Das angeführte Zitat legt außerdem nahe, ohne dass damit behauptet würde, die Grenzen seien gänzlich aufgehoben, dass von diesen beiden typischen Vertretern einer a priori und einer konsequentialistischen Schule letztendlich die Grundformen der Argumentation sowohl für die Rechts-, wie auch für die Moralphilosophie gelten, soweit die Begründung der Norm betroffen ist. Nicht vollkommen aufgehoben wird die Trennung, was die Zielrichtung betrifft. Sowohl bei Bentham wie auch bei Kant ist Moral eher subjektbezogen (auch wenn es wesentliche Unterschiede in der Modellierung von Moralität gibt) und das Recht auf die intersubjektive Dimension. Es lässt sich nun unschwer zeigen, dass bei seinem Versuch, die beiden Positionen miteinander zu versöhnen, der Autor ganz eindeutig auf die Seite der utilitaristischen Schule neigt. Zwar haben Kant und Bentham je nur einen Teil der Wahrheit der komplexen menschlichen Sittlichkeit erkannt, nämlich Kant die Notwendigkeit einer verall33

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„Er war bei der Abfassung seiner sittlichen Gebote zu sehr Mann, zu sehr Greis, zu sehr Philosoph, und zu sehr ein Bürger des achtzehnten Jahrhunderts." Ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 39. "Der Satz also, dass dieses oder jenes Gesetz a priori in uns liege, heisst nicht mehr oder nicht weniger, als: 'ich Kant, oder wer sonst, halte dieses Gesetz für ein sittliches, eine Begründung dafür weiss ich weiter nicht zu geben."' Ebd., S. 47. Das ist eine so frappierende Übereinstimmung, dass man vermuten muss, Benecke habe hier schon Bentham gelesen gehabt. Grundlinien des natürlichen Systems der praktischen Philosophie, III, S. 13 f.

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gemeinerungsfähigen Form der Abwägung moralischer Urteile, Bentham die Notwendigkeit, die realen Interessen der Menschen in eine jede sittliche Beurteilung mit einzubeziehen.37 Grundlegend bleibt aber für Benecke die Erkenntnis Benthams,38 so dass er dessen Utilitarismus letztlich nur objektivistisch und qualitativ ergänzen will. 39 Nicht nur, dass er Bentham deutlich stärker gegen Einwände verteidigt,40 er stimmt ihm insbesondere in Bezug auf die praktischen Konsequenzen seiner Argumentation zu. Mit am deutlichsten wird das bei der Theorie der Strafe, die ja bekanntlich einen zentralen Brennpunkt der Differenz zwischen einer kantischen und einer benthamschen Rechtsphilosophie darstellt. In der Theorie der Strafe Benthams sieht Benecke einen der Hauptfehler vieler anderer Straftheorien vermieden, die geglaubt hatten, nur ein einziges Prinzip sei grundlegend für die Rechtfertigung von Strafe: "Zuerst also finde ich das zu loben an dieser Bearbeitung des Criminalrechts, dass der Verfasser kein besonderes Princip für dasselbe aufgestellt hat ausser demjenigen, welches er fur das Recht im Allgemeinen aufgestellt hatte: das Wohl aller im Staate oder in der Menschheit Vereinigten. Wo irgend dieses Wohl zu fordern, wo irgend einer Störung desselben entgegenzuarbeiten ist, da lässt er den Criminalgesetzgeber, [...], allseitig eingreifen. Der Criminalgesetzgeber warnt den zu Verbrechen Versuchten; er baut den Verbrechen vor, [...]; bei schon begonnenen lässt er durch unmittelbar durchgreifende Hinderung oder Unterdrückung rasche Abhülfe eintreten; durch Vollziehung der Strafe wird der Verbrecher selber, und werden andere abgeschreckt, dem verletzten Teile wird Ersatz gewährt; und auf die Besserung der verderb-

"Kant und Bentham also (oder welche Namen wir an die Stelle dieser setzen mögen: denn wir haben sie ja nur als Repräsentanten zweier Richtungen aufgeführt, welche so lange bestanden haben, als man überhaupt über die praktischen Verhältnisse philosophiert hat) haben jeder nur eine Seite der Wahrheit aufgefasst." Grundlinien des natürlichen Systems der praktischen Philosophie, III, S. 34 f. Es folgt dann aber eine deutliche Gewichtung zugunsten Benthams, die in eine Entwicklungspsychologie der Moral eingebunden ist. Sie ist deswegen grundlegend, weil ohne die Berücksichtigung der Interessen gar keine sittliche Bewertung stattfinden kann: "Schliessen wir alle Interessen aus: woher wollen wir überhaupt die Entscheidungsgründe für Recht und Unrecht nehmen?" und gegen Kant gewendet: "Ohne diese (Güter und Übel - W.H.) bauen wir in die Luft: wie sich denn auch in der That alle aus den Kantischen Principien aufgeführte Moral- und Rechts-Systeme als haltlose Luftgebilde erwiesen haben." Grundlinien des natürlichen Systems der praktischen Philosophie, S. 30 und 34. Benecke geht von einer allen Menschen angeborenen moralischen Disposition aus, die bei einer fehlerfreien Entwicklung eine universale Werthierarchie hervorbringt, in der die geistigen Werte den rein physischen vorgezogen werden und in der die größtmögliche Reichweite der damit zusammenhängenden Güter gewollt wird. Naturgemäß führt das zu einer besonderen Betonung der Bedeutung von Erziehung und Sozialisation. Vgl. Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. XX. Das erklärt eine vergleichsweise große Wirkung Benekes in der Pädagogik. Vgl. Dreßler, Johann G., Benecke oder die Seelenlehre als Naturwissenschaft, II Bde., Bautzen 1840/46. Wie extrem nah seine weiteren Ausführungen an Bentham angelehnt sind, lässt sich an zahllosen Stellen zeigen. Für ein Beispiel vgl. seine mit Bentham identische Theorie des Eigentums in den Grundlinien, S. 56 f. Etwa verteidigt er ihn noch 1830 gegen den Vorwurf des politischen Radikalismus (obwohl er die Schriften zur Parlamentsreform kennt) und besteht nachdrücklich darauf, dass sein Sensualismus dem Werk rein oberflächlich anhängt. Vgl Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. xvi und 46.

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Rezeptionsfilter ten Neigungen kräftig und angemessen hingearbeitet. [...] Des Verfassers Theorie, und mit ihr die unserige, ist also weder Warnungstheorie, noch Abschreckungstheorie, noch Erstattungstheorie, noch Besserungstheorie etc., sondern all dies zusammen; [...].'""

Die zentralen Dimensionen von Strafe, die hier als der eigentliche Zweck der Institution herausgearbeitet werden, dienen eindeutig dem Glück aller Gesellschaftsmitglieder und es ist daher kein Zufall, dass Bentham und Benecke fur eine sparsame Einsetzung des Mittels Strafe und seine Verhältnismäßigkeit im Bezug zum zu erreichenden Ziel eintreten. Wir werden sehen können, wie sich in Benthams Theorie des strafenden Staates bereits im Keim wesentliche Aspekte seines politischen Denkens ausgebildet haben, das immer auf die möglichst optimale Verteilung von Glück und die Minimierung von Lasten zielt. In ihr ist Strafe prinzipiell ein Übel. 42 Mit dieser Vorstellung nun vergleicht Benecke, zunächst ohne Nennung Kants, die Vergeltungstheorie der Strafe, die, von aufgeklärten Juristen kaum mehr vertreten, als ein Indiz dafür gewertet werden kann, wie rückschrittlich und lebensfern die deutsche Philosophie eigentlich geworden ist. Rache und Vergeltung sind eine Rechtsquelle längst vergangener Zeiten, sie stehen für eine dem "Thierischen sich annähernden Rohheit" und berauben die Strafe ihres eigentlichen Sinns.43 Da dieser Zusammenhang für uns einen wesentlichen Kontrast zwischen der Philosophie Kants und Benthams andeutet, lohnt abweichend von der Argumentation Beneckes ein kurzer Blick auf die einschlägigen Ausführungen Kants. Die Metaphysik der Sitten bezieht eindeutig Stellung für die Vergeltung und bindet das Faktum der Strafe zurück an eine kategorische und keinesfalls heteronome Normvorstellung. Kant schreibt: "Richterliche Strafe (poena forensis), die von der natürlichen (poena naturalis), dadurch das Laster sich selbst bestraft und auf welche der Gesetzgeber gar nicht Rücksicht nimmt, verschieden, kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborene Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar wohl verurteilt werden kann. Er muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und, wehe dem! welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vorteil, den es verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem grade derselben entbinde, nach dem phariGrundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, II, S. 7. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 158, Grundsätze der Civilund Criminal-Gesetzgebung, I, S. 8. "Gewinnt aber, im Fortschritte der allgemeinen Bildung, der Geist einen weiteren Überblick über die menschlichen Angelegenheiten; dringt er tiefer ein in die Natur und die Entstehungsweise der den menschlichen Handlungen zum Grunde liegenden Motive; lässt der Sturm der feindeligen Leidenschaften und Affekte nach, und erweitert sich das Herz zu allgemein-menschlicher Teilnahme: so fühlen oder erkennen wir, dass die Zufügung eines gleichen Schadens, wie uns vom Verbrecher zugefugt worden, eine Vermehrung des alten Übels durch ein neues Übel sein würde, ohne Sinn und Nutzen, [...]." Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, II, S. 12 f.

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säischen Wahlspruch: 'es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe'; denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben."44

Es sind also keine der sittlichen Norm externen Gründe einer Rechtfertigung der Strafe fähig, diese kann letztlich nur aus der Unbedingtheit der Norm selbst gerechtfertigt werden und muss auch daher ganz eng an das Prinzip der Vergeltung angeschlossen bleiben. Kant tritt nachdrücklich für die Todesstrafe ein, die Bentham immer wieder vehement abgelehnt und bekämpft hat, ja er fordert, dass, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft auflösen würde, jeder Mörder vorher noch hingerichtet werden müsste, damit der Gerechtigkeit Genüge getan werde.45 Kaum eine Äußerung Kants macht deutlicher, dass der kategorische Imperativ als Normquelle jeden Bezug zu Nutzen- und Glückskalkülen vollkommen ablehnt und zeigt zugleich die praktischen und institutionellen Folgen. Die hier beschriebene Vorstellung von Gerechtigkeit steht in einem schroffen Gegensatz zu Benthams Rückbindung von Recht und Gerechtigkeit an die Nutzen- und Glücksperspektive von vergesellschafteten Individuen. Sie vermeidet zwar dadurch die Abhängigkeit und Unscharfe, die sich aus einer solchen Rückbindung zwangsläufig ergibt, tut dies aber in diesem Fall um den Preis einer enormen Rigidität und Brutalität. Weder die Besserung des Verbrechers noch den möglichen Nutzen der Strafe für die Gesellschaft lässt sie zu.46 Kant nennt Beccarias Eintreten für die Abschaffung der Todesstrafe "teilnehmende(r) Empfindelei einer affektierten Humanität" und greift auf die Zwei-Reiche-Lehre zurück, um argumentieren zu können, dass der Verbrecher als empirisches Subjekt zwar die Bestrafung nicht eigentlich wollen kann, dass er ihr aber, insofern er ein vernünftiges Wesen ist, als einer Regel der Wiedervergeltung wird zustimmen müssen.47 Damit wird das, so müsste man mit Bentham anmerken, menschliche Wesen in zwei Teile gerissen, ohne dass man sagen könnte, wie denn das noumenale Ich eigentlich zu einer Vorstellung von Recht und Unrecht gekommen ist, da es ja keine Heteronomie hervorbringende Erfahrung zur Hilfe nehmen darf. Für Bentham ist, wie wir sehen werden, Strafe per Definition ein Übel, weil durch sie Menschen ein Leid zugefugt werden muss. Sie ist somit eine höchst riskante Sache, die um ihres höheren Nutzens willen zwar eingesetzt werden darf, die aber sorgfältig abgewogen werden muss. Es macht allein wegen der Einhaltung einer Regel jedenfalls keinen Sinn, einem Menschen Leid zuzufügen. Strafende Gerechtigkeit ist kein Zweck an sich des menschlichen Seins. Sie ist ausschließlich ein Instrument des Glücks von Menschen, die sehr reale Körper haben und sind, während für Bentham ein noumenales Ich keine Existenz beanspruchen kann. Brechen wir an dieser Stelle den kurzen Vorblick ab. Es sollte klar geworden sein, worauf die von Benecke angelegte Konfrontation zwischen Kant und Bentham hinaus44

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Kant, Immanuel, Die Metaphysik der Sitten, Werke, VIII, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1979, S. 453. Vgl. ebd., S. 455 f. In der verbreiteten Meinung Kants, Recht und Nutzen sollten getrennt sein, sieht Benecke eines der größten wissenschaftlichen Hindernisse für eine humane Reform veralteter Rechtsverhältnisse. Vgl. Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, II, S. 33. Vgl. Metaphysik der Sitten, S. 457.

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läuft. Sie macht zwei Typen von Moralphilosophie als Optionen aus, die sich in ihren jeweiligen Begründungen des Sittlichen auf paradigmatisch verschiedene Ausgangspunkte beziehen: Bei Kant finden wir eine Dualität von empirischem und vernünftigem Ich, die Normquelle kategorischer Imperativ liegt vor aller Erfahrung als ein Faktum der reinen praktischen Vernunft vor und ist von jeder Erfahrung unabhängig. Weder Moralität noch Recht können ihren Geltungsgrund in Erfahrung oder den Interessen der normunterworfenen Menschen allein haben. Bei Bentham ist die konkrete Erfahrung von Lust und Leid durch Menschen alleiniger Ausgangspunkt der Argumentation. Das Faktum, auf das er sich beziehen zu müssen glaubt, hat quasi-naturgesetzliche Qualität und ist die universale Tendenz des Lebens, Leid zu fliehen und einen angenehmeren Zustand zu erhalten oder zu erreichen. Alle Normen der Moral und des Rechts sind ausschließlich diesem Zweck unterworfen und es ergibt sich bei einem Widerspruch zwischen den Interessen der betroffenen Menschen die Notwendigkeit einer Abwägung und eines Nutzenkalküls. Während Kant auf die tief in der menschlichen Vernunft verankerte Moralität vertraut, setzt Bentham auf einen kalkulierenden Verstand, der sich prinzipiell an der Oberfläche menschlichen Daseins bewegt und konsequent die Außenperspektive bezieht. Wenn man so will, bewegt sich Kants Denken von der Moral auf das Recht zu und überträgt wesentliche Aspekte, während Bentham den Weg vom Recht zur Moral nimmt. Dieser letzte Punkt einer konsequenten Betonung der Außenperspektive bei Bentham ist es auch, der Beneckes schärfsten Kritikpunkt an seiner Philosophie ausmacht. Er moniert, wie John Stuart Mill, dass der Utilitarist bei den Sanktionen des Glücks schlicht und ergreifend das Gewissen des Handelnden weggelassen hat, 48 begreift diesen Fehler aber als ein Symptom für eine generelle Einstellung Benthams sich bei Wertungen auf die "äusserliche" Dimension von Interessen, Gütern und Personen zu beziehen, die eigentlich nur dadurch wettgemacht wird, dass er als Person doch edler gedacht habe, als es seine Theorie vermuten lasse. Selbst die Tugend fasst Bentham laut Benecke falsch als eine äußerliche Angelegenheit auf. 49 Die generelle Tendenz Benthams, das "Äussere" dem "Inneren" vorzuziehen, 50 die, wie wir sehen werden, programmatisch ist, hat ganz konkrete politische Folgen, in denen sich seine mangelnde Bereitschaft für eine Höherentwicklung der Menschen durch Recht und Politik einzutreten dokumentiert: "Was der Verfasser über die Sorge für die Dürftigen erinnert, wird gewiss den Beifall jedes Einsichtsvollen erhalten. Bei der Untersuchung über die beiden anderen streitigen Punkte hat er wieder die innere (religiöse und ästhetische) Ausbildung vergessen: der Rechnungsfehler, welcher durch die ganze moralische Arithmetik des Verfassers hindurchgeht. Wollte man diese innere Ausbildung unbeachtet lassen, so möchte wohl die Verwendung von so bedeutenden Summen fur die schönen Künste schwerlich zu rechtfertigen sein: denn was der Verfasser 'das

48 49 50

Vgl. Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. 78. Vgl. ebd., S. 51 f. „Die hier vom Verfasser gegebene Erörterung über die fur die Gesetzgebung vorliegenden Zwecke enthält viele tiefdringende und scharfsinnige Bemerkungen; leidet aber wieder an dem schon so oft gerügten Fehler, dass sie über dem Äusseren das Innere, doch unstreitig Wichtigere aus den Augen verliert." Grundsätze der Civil- und Criminal-Gesetzgebung, I, S. 245.

Bentham unter den

Deutschen

57

Wesentliche' nennt, die Abhülfe für die Notdurft der Armen etc. ist ja leider eine Aufgabe, mit der man wohl schwerlich jemals ganz fertig werden möchte." 51

Wir werden von solchen Beobachtungen ausgehend Benthams Argumentation vor allem auf zwei Aspekte hin näher untersuchen müssen. Zunächst gilt es, die Gründe dafür ausfindig zu machen, die er sieht, wenn er eine qualitative Bewertung von Nutzen weitgehend ablehnt. Es wird ferner darum gehen, seine Argumente auf eine mögliche erkenntnistheoretische Absicherung einer reinen Außenperspektive näher zu durchleuchten. Es kann bereits von Beneckes kritischer Sicht der Dinge aus vermutet werden, dass ein systematischer Zusammenhang zwischen dem EXTERNALISMUS Benthams und seinem Festhalten an der Grundüberzeugung des quantitativen Utilitarismus besteht.

S1

Ebd., S. 311.

3. Handeln, Sehen und Sprechen: die anthropologischen Fundamente von Jeremy Benthams politischem Denken

Handeln und Sprechen gehören zu den anthropologischen Fundamentalphänomenen jedes politischen Denkens. Wie eine politische Theorie das Feld menschlicher Handlungen begreift und wie sie die menschliche Sprachkompetenz bewertet, gibt Aufschluss über die jeweiligen fundamentalen Annahmen ihrer Konzeption. Dies gilt auch für politische Theorien, die sich nicht explizit zu diesen Phänomenen äußern oder nur beiläufig auf sie Bezug nehmen. Überspitzt kann man sagen: Jede politische Theorie enthält auch eine Theorie des menschlichen Handelns und Sprechens, ohne dass sie in diese aufgelöst werden könnte. Es wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, dass Benthams Reflexionen zur Kommunikation und zum Handeln nicht genetisch am Anfang seines Denkens stehen. Sie sind vielmehr aus der Beschäftigung mit ursprünglich ganz anderen Bereichen menschlichen Daseins entstanden, haben dann aber ein beträchtliches Eigenleben entwickelt. Bentham ging es nie zuerst darum zu ergründen, was denn Handeln und Sprechen eigentlich seien. Er bewegt sich vielmehr von der Wahrnehmung sprachlicher und handlungsbezogener Probleme im Recht und der Gesetzgebung auf die beiden Phänomene zu, da er feststellen musste, dass Fehlkonzeptionen menschlichen Handelns ein wesentlicher Grund für ein seiner Meinung nach defizientes Rechtssystem sind und zugleich der Sprachgebrauch der Juristen ideologische Funktionen erfüllt. Von einer strikt empirischen Position ausgehend versucht er ein rationales Gegenmodell menschlichen Handelns und Sprechens zu entwerfen und stößt dabei auf eine Reihe von Problemen, deren Bearbeitung ihn in mancher Hinsicht in die Ahnenreihe der modernen Handlungstheorie 1 und der Sprachphilosophie 2 stellen. Die hier versuchte Rekonstruktion der beiden Theoriebereiche dient vor allem ihrer Zuordnung zu seinem politischen Denken. Schon auf den ersten Blick nämlich ist es auffällig, dass sich auch nach der verstärkten Hinwendung zu Fragen der Politik und Verfassung die Anstrengungen in diesen Bereichen nicht verkleinern, sondern sogar teilweise noch intensivieren. Aus der Handlungstheorie werden ganz konkrete Schlüsse für das institutionelle Arrangement der Verfassung bzw. die Moraltheorie abgeleitet und aus der Sprachreflexion wird zunehmend eine aufklärerische politische Rhetorik. Außerdem muss uns hier interessieren, wie denn Sprache und Handeln bei Bentham zu seinem von uns diagnostizierten EXTERNALISMUS stehen. Es kann vermutet werden, 1

2

Vgl. Hacker, Peter M.S., Bentham's Theory of Action and Intention, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, LXII, 1997, S. 89-109. Vgl. Ogden, C.K., Forensic Orthology, in: Psyche, VIII/4, 1928, S. 3-18.

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Fundamente von Benthams politischem

Denken

dass die Umstellung von der Perspektive der Innensteuerung auf eine der Außensteuerung eng mit handlungstheoretischen und sprachtheoretischen Überlegungen zusammenhängt. Und in der Tat wird sich zeigen lassen, wie der EXTERNALISMUS3 als die methodische Konsequenz aus der Handlungstheorie entsteht und gleichzeitig das Phänomen der Kommunikation zu einem zentralen Gegenstand politischen Denkens wird. Bei einer Rekonstruktion der anthropologischen Grundlagen des politischen Denkens von Jeremy Bentham wird auch der besonderen Bedeutung der visuellen Dimension menschlicher Weltverhältnisse Rechnung getragen werden müssen, weil Bentham in ihr einen wesentlichen Bezugspunkt für seine externalistische Argumentation findet.

3.1. Handlungsmechanik und Handlungsbeobachtung als Grundlagen des Externalismus 3.1.1.

Handeln als Spezialfall von Bewegung

Nach Bentham findet sich die menschliche Gattung, deren einzelne Vertreter an ihrem Wohlergehen interessiert sind, in einem prinzipiell bewegten Universum vor. Auch wenn Bewegung keine objektive Realität hat, wie sie nach Bentham Körpern zukommt, sondern als ein "Gefäß" vorgestellt wird,4 in dem sich die bewegten Körper befinden, so Dabei ist Benthams methodologischer EXTERNALISMUS ein Vorfahr von Poppers "methodologischem Nominalismus": "Der methodologische Nominalismus stellt sich nicht die Aufgabe, die wahre Natur eines Dinges ausfindig zu machen und zu definieren; es ist vielmehr sein Ziel, das Verhalten eines Dings unter verschiedenen Umständen zu beschreiben und insbesondere anzugeben, ob dieses Verhalten irgendwelche Regelmäßigkeiten aufweist. [...] Unsere Sprache und insbesondere diejenigen ihrer Regeln, die wohlkonstruierte Sätze und Schlüsse von einer bloßen Anhäufung von Worten unterscheiden, sind für ihn das großartige Instrument wissenschaftlicher Beschreibung; die Worte hält er für Hilfswerkzeuge zur Durchführung dieser Aufgabe und nicht fur Namen von Wesenheiten." Popper, Karl R., Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I, Tübingen 19806, S. 60. Poppers Kritik an der aristotelischen Definitionslehre als "leere Wortmacherei" und die These von der Notwendigkeit einer Überprüfung von Theorie und Hypothese an Beobachtung und Experiment jedenfalls harmonieren mit Benthams Vorstellungen. Auch nach Bentham ist unser Wissen von der Welt vorläufig aber praktisch relevant und muss jederzeit revidiert werden. Vgl. auch ders., Das Elend des Historizismus, Tübingen 19713, S. 21 f f , wo von der Notwendigkeit neuer Worte gehandelt wird. Für den Hinweis auf Popper danke ich Ulrich Weiß. "Bodies are real entities." [...] Motion. That the entity designated by the word motion is a fictitious entity seems at least equally beyond dispute. A body, the body in question, is in motion: here, unless in motion be considered as an abbreviation for in a state of motion, as we say in a state of rest, motion is a receptacle in which the body is considered as stationed." Theory of Fictions, S. 26 und 32. Das Argument für die fiktive Qualität von Bewegung ist besonders bemerkenswert, da es auf der Beobachtung aufruht, dass keine bildliche oder imaginative Repräsentation von Bewegung losgelöst von bewegten Körpern möglich ist. Bewegung ist nicht nachbildbar und nicht vorstellbar: Es bleibt nur die Möglichkeit, einen Ortswechsel von einem Zeitpunkt t, zu

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und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen

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Externalismus

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gilt doch, dass der Zustand der Ruhe nicht der Normalzustand in unserem Sonnensystem ist, auch wenn wir bezogen auf das Verhältnis zweier Gegenstände durchaus von relativer Ruhe sprechen können. 5 Jede Bewegung setzt eine Bewegungsursache voraus und Bentham unterscheidet eine Reihe von Naturkräften (powers of nature), die durch physikalische Untersuchungen erforscht wurden und die durch menschliche Kunst zu verschieden technischen Zwecken genutzt werden können. Einen Sonderfall von Bewegung stellt zweifellos die Bewegung belebter Wesen dar. Zwar gelten auch hier prinzipiell die Naturgesetze und jede Bewegung hat ihren Agenten und ihren Patienten, 6 jedoch ist die Wirkursache der Bewegung ein inneres Streben. Endliche Bewegungen lassen sich also unterteilen in Bewegungen von willensbegabten Lebewesen und solchen, die aus unbelebter Natur entstehen: "Thelematic and athelematic. To one or other of these denominations will all motions of the terminative class be found referable. Thelematic, those in the production of which volition, in the mind of a sentiment and self-moving being, is seen to be concerned. Athelematic, those in the production of which volition is not seen to have place. In the case of a motion of the thelematic class, you have for the cause of the motion - meaning for the prime cause of whatever motion happens in consequence to take place - the psychical act, the act of the will of the person by whose will the motion is produced; you have that same person for the agent." 7

Hier liegt nicht nur ein Beispiel für Benthams Vorliebe für altgriechische Wortbildungen vor, die er trotz seiner Ablehnung der alten Sprachen Zeitlebens pflegte, sondern es fällt unschwer auf, dass sich das gegebene Argument bruchlos in eine Theorie der juristischen Zurechnung einfügen lässt, aus der es ursprünglich auch im Ansatz herstammt. Für unseren momentanen Zusammenhang ist aber zweierlei wichtig: Aus den zitierten Ausführungen ergibt sich zunächst eine Mehrstufigkeit menschlichen Handelns, die sich mit Bentham von innen nach außen folgendermaßen rekonstruieren lässt. Am Anfang der Bewegung steht ein Akt des Willens, der dann wiederum Muskeln und darüber die Knochen in Bewegung setzt. Der Akt überschreitet erst unter der Bedingung, dass einem externen Objekt die Bewegung mitgeteilt wird, die Grenze der Person. 8 Diese Rekonstruktion gibt die Folie her für eine Reihe von Subdifferenzierungen, wenn es um die Frage strafbarer, bzw. vorsätzlicher Handlungen und ihrer Verantwortung geht. Der zweite wichtige Gesichtspunkt, der sich ergibt, ist die Frage nach der verursachenden Qualität des menschlichen Willens. Wenn die fiktive Entität "Wille" den Körper zu einer Handlung in Bewegung setzen kann, dann stellt sich die Frage, ob diese Art der

5

6 7 8

einem Zeitpunkt t 2 als "Hilfskonstruktion" anzunehmen. "[...], by no picture by no model, by no stationary object can any motion be represented. [...] Even on the table of the mind, in imagination, in idea, in no other way can any motion be represented. There not being any real entity to represent, the entity cannot be any other than fictitious; [...]." Ebd., S. 32 f. "Rest is not the state of our own sun, about which the planet that we inhabit moves." Chrestomatia, Appendix, V, S. 280. Vgl. Theory of Fictions, S. 40. Ebd., S. 41. Vgl. Chrestomathia, Appendix, V, S. 288. Wenn der Mensch Tiere iur sich Arbeiten verrichten lässt, dann haben wir den einfachsten denkbaren Fall der Ersetzung eines Willens durch einen anderen.

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

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Verursachung von der mechanischer Kausalität verschieden ist. Genau an dieser Stelle setzt Benthams besondere Mischung zwischen einer kausalen und teleologischen Handlungstheorie ein. Handlungen sind für ihn kausal verursachte Bewegungen, die sich zugleich von natürlichen Bewegungen durch ihre teleologische Struktur unterscheiden. Es ist signifikant, dass der radikale Gegner des Schul-Aristotelismus der englischen Universitäten die aristotelische Lehre von den Ursachen als eine behandelt, die "a just claim to notice" hat.9 "Causa materialis" und "causa formalis" nennt er als Bedingungen der Existenz eines jeden Körpers. Die "causa efficiens" wird als diejenige Ursache bezeichnet, die unter vielen anderen die Bewegung beeinflussenden Faktoren als die angesehen werden muss, die letztlich die Bewegung verursacht. Die Betonung der Umstände einer Bewegung, die nach Bentham von der normalsprachlichen Behandlung des Phänomens meist vernachlässigt werden, deutet erneut auf die rechtstheoretische Vermittelbarkeit des Arguments hin.10 Die entscheidende Differenz zwischen Bewegungen von unbelebten Objekten und denen von belebten Wesen liegt darin, dass letztere aus einem zielgerichteten Wollen heraus erfolgen: "By final cause, is meant the end which the agent had in view; meaning, as hath been seen, by the end, if anything at all be meant by it, the good to the attainment of which the act was directed; the good, i.e. the pleasure or pleasures, the exemption or security from such or such pain, or pains. It is, therefore, only in so far as the effect is the result of design on the part of a sensitive being - a being susceptible of pains and pleasures, of those sensations which, by us, are experienced and known by the names of pleasures and pains - that the species of cause here called final can have place." 11

Offensichtlich muss also bei Bewegungen belebter Wesen, und das menschliche Handeln stellt nur den Sonderfall verstandesgeleiteter Aktivität dar, das Ziel der Herstellung bzw. Erhaltung eines positiven Lebenszustandes und die Vermeidung von Schmerzen in irgend einer Weise zur handlungsverursachenden Größe werden. Bentham lässt hier und an zahlreichen anderen Stellen keinen Zweifel daran, dass er keine 9

Das ist signifikant aber wenig überraschend. Benthams praktische Philosophie verdankt Aristoteles viel. Er selbst, der sich über Aristoteles nie so abfällig geäußert hat, wie über den Schul-Aristotelismus, deutet bereits im Fragment on Government mit einem für ihn typischen Seitenhieb auf diese Abhängigkeit hin, wenn er, nachdem er festgestellt hat, dass jeder Beobachter (sie) des menschlichen Handelns das Streben nach Glück als dessen universales Ziel wird bezeichnen müssen, in einer Fußnote schreibt: "Let this be taken for a truth upon the authority of Aristotle: I mean by those, who like the authority of Aristotle better than that of their own experience." Ebd., S. 26, Fn. v. Es folgt die berühmte Eingangsstelle der Nikomachischen Ethik "Pasa techné ...", Ethica Nicomachia, 1094 a 1.

10

"By efficient cause must be understood, [...], the matter of some body or bodies: what is meant to be distinguished by it may, in general, be supposed to be the motion of that body, or assemblage of bodies, which is regarded as the principal motion - the motion which has the principal share in the production of the effect. But to the production of the effect [...] a correspondent and suitable disposition of the circumjacent non-moving bodies is not [...] less necessary than a correspondent and suitable motion, or aggregate of motions, on the part of the moving body." Theory of Fictions, S. 48.

11

Ebd., S. 49.

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andere Ursache des Handelns anerkennen will, ja, dass es eigentlich keinen Sinn macht, von anderen Handlungsursachen zu sprechen.12 Lustsuche und Schmerzvermeidung sind die Naturgesetze des menschlichen Handelns und zugleich das Daseinsprinzip der belebten Natur. Diese grundsätzliche Einsicht, die axiomatischen Charakter hat, formulieren auch die berühmten Eingangssätze der Introduction to the Principles of Morals and Legislation, wobei hier eine wichtige Dualität, die von Sein und Sollen, eingeführt wird. "Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do. On the one hand the standard of right and wrong, on the other the chain of causes and effects, are fastened to their throne. They govern us in all we do, in all we say, in all we think: every effort we can make to throw off our subjection, will serve but to demonstrate and confirm it. In words a man may pretend to abjure their empire: but in reality he will remain subject to it all the while. The principle of utility recognises this subjection, and assumes it for the foundation of that system, the object of which is to rear the fabric of felicity by the hands of reason and of law. Systems which attempt to question it, deal in sounds instead of sense, in caprice instead of reason, in darkness instead of light."13

Die fast bruchlose Verbindung von Sein und Sollen, die diese Passage bringt, hat schon früh zum Vorwurf geführt, Bentham begehe hier in geradezu klassischer Weise einen naturalistischen Fehlschluss, in dem er ein Sollen aus der bloßen Faktizität menschlichen Handelns ableite. Die Tatsache, dass Menschen so oder so handeln, darf, so die Kritik, nicht dazu verfuhren, dass man aus dieser Praxis schlicht eine Norm macht, bzw. das natürliche Objekt des Strebens zum Gut definiert.14 Moral und letztlich auch Recht wären dann überflüssig, da quasi naturgesetzlich sowieso das geschieht, was geschehen soll. Liest man die Passage aber etwas genauer im Lichte von Benthams Einteilung der Wissenschaften vom menschlichen Handeln, so kommt man zu einem anderen Ergebnis. Die Tatsache der Lustsuche und Schmerzvermeidung scheint so tief anthropologisch verankert, dass sie bei einer moral- und politiktheoretischen Reflexion nicht einfach vernachlässigt werden darf. Das heißt, dass rein argumentationsstrategisch eine Bestandsaufnahme der empirischen Daten, die wir vom menschlichen Handeln in irgendeiner Weise erhalten können, nötig ist, damit überhaupt eine normative Dimension, die einen Widerhalt in der menschlichen Natur hat, eingeführt werden kann. Man kann gar nicht sinnvoll über die Pflichten von Menschen reden, wenn man deren anthropologische Voraussetzungen nicht kennt. Benthams Bestimmung des Status von "pain" und "pleasure" bestätigt genau diese Vermutung. Schmerz und Lust sind die elementaren Erfahrungen, sie sind "interesting perceptions".15 Vergleicht man sie mit allen anderen Phänomenen, von denen wir sprechen können, so sind Schmerz und Freude die einzigen unmittelbaren und damit gewis-

Vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 214. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 11. Für die klassische Formulierung dieser Kritik vgl. Moore, George E., Principia Ethica (1903), Cambridge 1960, S. 13. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 42.

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Fundamente von Benthams politischem

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sen Entitäten. Ihrer sind wir als Erfahrungen sogar gewisser als des Körpers und des Geistes, in deren Medium wir sie zweifelsfrei machen. "That Pleasure and Pain (understand always individual pleasures and individual pains) are real entities - [and] that consequently the words 'Pleasure' and 'Pain' are respectively names of real entities - no man, it is believed, will feel disposed to doubt. Of their existence the evidence which we have is still more immediate than any that we have of the existence either of the body or the mind in which they have respectively their seats. Pain and pleasure, together with all sensations of the neutral or uninteresting classes (for by these names may be designated and distinguished all sensations or perceptions other than those of pain and pleasure), are to us the only immediately perceptible entities. In comparison of these, not only the mind itself but our own bodies respectively, with the addition of all other bodies, may be referred to a class distinguished by the appellation of inferential entities. For sensations alone are the immediate subjects or objects of experience. It is from them that we infer the existence of this or that other real entity in the character of a productive instrument or cause."16

Reiner lässt sich eine sensualistische Erkenntnistheorie kaum mehr formulieren. Bentham hält diesen Sensualismus, der weit reichende Folgen für seine Position in Bezug auf die Sicherheit von Wissen und seine Theorie der Persuasion hat, in allen Schriften ohne Einschränkungen durch. Die unmittelbare erkenntnistheoretische Konsequenz ist eindeutig: Kein Wissen, das sich nicht der unmittelbaren Wahrnehmung verdankt, kann auf "Gewissheit" Anspruch erheben und selbst das, was unmittelbar durch die Sinne perzipiert wird, ist, prinzipiell in dem Moment, wo daraus ein Schluss gezogen werden muss, extrem täuschungsgefährdet. Die Sinne können sich nicht irren, wohl aber kann es das fast immer folgende Verstandesurteil, das unmittelbar auf die Perzeption folgt und die von den Sinnen gewonnenen Daten interpretiert, bzw. die Erinnerung, die das Faktum der Sinnesperzeption nach einer bestimmten Frist wieder vergegenwärtigt.17 Besonders folgenreich wird diese nur bedingt mögliche Gewissheit, wenn, wie wir in einem der nächsten Kapitel sehen werden, die je einmalige sinnliche Erfahrung zwischen den fühlenden Wesen kommuniziert werden soll. Die handlungstheoretische Konsequenz ist ebenfalls eindeutig: Mag es auch eine Reihe von "uninterested perceptions" geben, so sind in jedem Fall "pain" und "pleasure" die Quelle aller Handlungen. Ohne sie lässt sich das menschliche Handeln nicht begreifen. Auch wenn sie selbst als die ultimativen Handlungsziele nicht die unmittelbaren Auslöser von Handlungen sind, so sind doch alle Motive und Interessen, in die sie im praktischen Handeln übersetzt werden müssen, überhaupt nur verständlich, wenn man sie auf die Grundkräfte der

A Table of the Springs of Action, S. 76. Vgl. auch ebd., S. 6. "Deception is an attribute of the judgement only: to have been deceived, is to have passed an erroneous judgement, a judgement more or less disagreeing with the fact. So far, then, as judgement is not concerned in sensation, sensation is not capable of being deceived: so far as judgement is concerned in sensation, sensation is capable of being deceived. An impression either has been received, or it has not: if it has, there is no deception in that case, if it has not, neither is there any deception in that case." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 251. Vgl. auch ebd., Works, VII, S. 3.

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Lustsuche und Schmerzvermeidung zurückfuhrt. 18 Es wird sich im nächsten Abschnitt zeigen lassen, dass die über Motive laufende Antizipation von Freude und Schmerz die eigentlich handlungsauslösende Kraft darstellt. Wissenschaftssystematisch befinden wir uns bei einer Untersuchung, die sich der handlungstheoretischen Analyse faktischen Handelns in seiner Rückführung auf "pain" und "pleasure" widmet in dem Bereich der Ethik, 19 den Bentham als den expositorischen bzw. exegetischen im Gegensatz zum zensorischen bzw. kritischen bezeichnet. Damit ist gemeint, dass Handlungen hier rein unter dem Aspekt ihrer Entstehung beschrieben werden. Völlig wertfrei geht es nicht darum, ob der Beobachter einer Handlung zustimmen kann, sondern nur darum "[...] what act is, on the occasion in question, most likely to have been done, to be doing, or to be about to be done." 20 Die im nächsten Abschnitt beschriebene Theorie der Motive und Interessen bleibt über weite Teile genau in diesem Wissensbereich und wendet sich erst dann dem zensorischen Blick zu, wenn es wirklich gilt, die Folgen von Handlungen zu beurteilen. Sie dient in der Gesamtargumentation nicht zuletzt dazu, zu zeigen, warum eine zensorische Beurteilung nicht unmittelbar bei den Motiven des Handelns, sondern erst eigentlich bei deren Folgen ansetzen muss.

3.1.2.

M o t i v e u n d Interessen

Die Vermeidung von Schmerz und die Erreichung von Freude sind zwar die letztendlichen Ziele aller menschlichen Handlungen und, laut Bentham, die Definition des Glücks, 21 sie sind aber nicht als unmittelbare Handlungsursachen wirksam. Es ist viel18

"Among all the several species of psychological entities, the names of which are to be found either in the Table of the Springs of Action, or in the Explanations above subjoined to it, the two which are as it were the roots, the main pillars or foundations of all the rest, the matter of which all the rest are composed - or the receptacles of that matter, which so ever may be the physical image, employed to give aid if not existence to conception, will be, it is believed, if they have not been already, seen to be, PLEASURES and PAINS. Without any of the rest, these are susceptible of, - and as often as they come unlooked for, do actually come into, existence: without these, no one of all those others ever had, or ever could have had, existence." A Table of the Springs of Action, S. 98. Diese Ausführungen behaupten nicht nur, dass Motive und Interessen lediglich eine abgeleitete Existenz besitzen und immer auf die Leitdifferenz von "pain" und "pleasure" zurückgeführt werden müssen, sie sind auch ein hervorragendes Beispiel fur Benthams These, dass wir von psychischen Fakten nur in Analogie zu den außerpsychisch vorfindbaren körperlichen Dingen sprechen können.

19

Die Bentham "Thelematoscopic Pneumatology or Pathologie", also die den Willen betrachtende Lehre von der Seele bzw. von den Gefühlen nennt. Vgl. Chrestomathia, Appendix, IV, Nomenclature and Classification, S. 198. Ebd., S. 202. "What happiness consists of we have already seen: enjoyment of pleasure, security from pains." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 74. Die gesamte Terminologie von Glück ergibt sich aus auf "pain" und "pleasure" bezogene Paraphrasierungen. Vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 214.

20 21

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mehr so, dass wir aus unseren bisherigen Erfahrungen von Schmerz und Lust, die ja unmittelbare Realität gehabt haben, die Möglichkeit beider im Zusammenhang mit weiteren Handlungen und der jeweiligen Reaktion unserer Umwelt antizipieren. Diese Antizipation ist die einfachste Form eines Glückskalküls. Die Handlung wird dabei entweder ein Mittel zur Erreichung eines bereits erfahrenen und wieder erwünschten oder zur Vermeidung eines befürchteten Zustandes. 22 Damit sie als Handlungsursachen wirken können, Ursachen, deren Ziel die Erreichung eines bestimmten Zustandes ist, müssen Erinnerung und Vorstellung ins Spiel kommen. Erst, wenn sich eine mehr oder weniger starke Vorstellung von einer erreichbaren Freude gebildet hat, entsteht auch eine Erwartung und es wird bereits im Vorfeld der Handlung möglich, Vorfreude zu empfinden. Im Falle von Schmerz, den es durch die Verhaltensweise dann zu meiden gilt, wäre das entsprechende Phänomen die Befürchtung und mit ihr der vorher einsetzende Zustand einer unangenehmen Erwartung. Nur über das Medium der Vorstellung erhalten also "pain" und "pleasure" die Qualität von handlungsauslösenden Motiven. 23 Bentham unterscheidet Motive des Willens, so genannte praktische Motive, und solche des Verstandes, die letztlich über Gründe zu Verstärkern für ein Willensmotiv werden können, wenn sie nicht als rein spekulative zu keinen äußeren Handlungen führen und damit folgen- und wirkungslos bleiben. 24 Die allgemeine Definition von Motiv lautet: "By a motive, in the most extensive sense in which the word is ever used with reference to a thinking being, is meant any thing that can contribute to give birth to, or even to prevent, any kind of action."25

So bestimmt, sind Motive nichts, was sich allein aus dem Inneren des handelnden Individuums entwickelt. Betrachtet man die Bedeutung von "Motiv", Bentham beruft sich hier auf die normalsprachliche Wortverwendung, so kann man innere und äußere Motive voneinander unterscheiden. Innere Motive sind die Erwartung gewordenen Vorstellungen eines möglichen Glücks oder Unglücks. Äußere Motive sind die Ereignisse oder Güter, die den erwarteten Gewinn an Freude oder die drohende Unlust in der umgebenden Welt materialisieren. 26 Diese Unterscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Bedenkt man nämlich das mögliche Reich der internen Motive, so stellt sich die Frage nach deren moralischer Qualität und deren Einteilung und in direktem Anschluss daran die weitere Frage nach dem realen Wirksamwerden der jeweiligen Motive. Besonders in diesem Kontext warnt Bentham nachdrücklich vor einem kurzschlüssigen Moralismus, der immer schon weiß, welche moralische Qualität Motive des jeweiligen Handelns haben und dreht die Argumentation in Bezug auf die Motivation und 22 23

24

25 26

Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 89. "Thus, it is no otherwise than through the medium of the imagination, that any pleasure, or pain, is capable of operating in the character of a motive. It is only through the medium of these derivative representations that the past original can, in any shape or in any part, be brought to view." A Table of the Springs of Action, S. 90. Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 92 und An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 96 f. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 96. Vgl. ebd., S. 97 f.

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ihre Moralität geradezu um. Er behauptet die prinzipielle moralische Indifferenz von Motiven und verlangt, dass man sie zunächst als das sehen soll, was sie anthropologisch und psychologisch sind: die Bewegungsursache des Handelns. Eine Handlung ohne ein Motiv wäre nicht mehr und nicht weniger als eine Wirkung ohne Ursache: "[...] an action without a motive is an effect without a cause." 27 Es ist ein kapitaler praktischer Fehlschluss, wenn die eigentlichen Ursprünge des Handelns vorschnell einer normierenden Regulierung unterworfen werden. Es liegt eine vollkommene Verkennung der Naturausstattung des Menschen vor, wenn man bestimmte Motive als per Definition moralisch schlecht identifiziert. Insbesondere in der Politik wird man von der ganzen Bandbreite menschlicher Motivation ausgehen müssen. Man kann sich den Fehler der moralischen und rechtlichen Überregulierung, so behauptet Bentham, dadurch verdeutlichen, dass man Motive in Gedanken unter Strafe stellt. Die unmittelbare Konsequenz eines solchen Vorgehens wäre der Untergang der menschlichen Gattung, weil, wenn man die Motive auf die Leitdifferenz von "pain" und "pleasure" zurückfuhrt, deutlich wird, dass sie alle ausnahmslos hier ihre vormoralische Wurzel haben: "As there is not any sort of pleasure, the enjoyment of which, if taken by itself, is not a good [...] — a necessary consequence is, that if by motive be meant sort of motive, there is not any such thing as a bad motive, no, nor any such thing as a motive, to the exclusion of any other, can with propriety be termed a 'good' motive. [...] by punishing a man as often as his conduct was deemed to have for his cause one of these bad motives, or rewarding him as often as it was found to have for its cause any one of those good motives, - of any such error, supposing it universally embraced and permanently acted upon, the destruction of the whole human race would be the certain consequence. 'Regulators are good things; mainsprings are bad things; therefore, to make a good watch, put into it regulators, two or as many as you please, but not one mainspring'"2S

Das Bild der Uhr und der nötigen Bauteile Feder und Regulator wird hier nicht zufallig auf den Bereich des Handelns übertragen. 29 Handeln hat in Benthams Denken durchaus einen mechanischen Aspekt und eine der Einteilungen, die Bentham für die Motivgruppen vornimmt, versucht die Motive daher auch vollkommen wertneutral aufzulisten und setzt sie mit den jeweiligen Freuden und Leiden bzw. Interessen in Verbindung. Dabei entsteht dann eine Art Landkarte, die zugleich als ein kritisches Instrument der Sichtung bestehender Klassifikationen dienen kann. Die kritische Pointe liegt in der Einordnung bestehender Benennungen von Motiven in "eulogistic" und "dyslogistic". 30 Die dyslo27

28 29

30

Introductory View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 154. Vgl. auch Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 259. Für die erweiterte Kausalität von Strafe/Recht, Handlung/Motiv vgl. Of Laws in General, S. 56 und 247. A Table of the Springs of Action, S. 105 f. Vgl. fur die politische Nutzung der Uhrenmetaphorik Handbook of Political Fallacies, S. 115, wo die Opposition als regulierende Uhrfeder traktiert wird. "[...] (eulogistic), (dyslogistic), (neutral) 1. 'Eulogistic' or 'dyslogistic', any such appellative may in either case be termed 'censorial'. 2. Thus it is that, in addition to the import which, in the character of a simple term, properly belongs to it, will be found involved in every such censorial appelai ion the import of at least one entire proposition: viz. a proposition expressive of a judgement of approbation or disapprobation, as above." A Table of the Springs of Action, S. 95.

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gistische oder eulogistische Bezeichnung von Motiven und Motivgruppen beruht entweder auf der falschen Verallgemeinerung der zwar prinzipiell richtigen Beobachtung eines Einzelfalls, in dem ein Motiv üble oder gute Folgen hervorgebracht hat, oder sie ist das Ergebnis von Interessen, die im "Krieg der Worte" als mächtige "makers and employers of language" für eine ihnen gefällige Konnotierung gesorgt haben. Während jede eulogistische Bezeichnung so tut, als könne aus den einschlägigen Motiven überhaupt kein Leid und kein Übel entstehen, bemüht sich die dyslogistische Bezeichnung um das genaue Gegenteil einer Zuweisung prinzipiell schädlicher Folgen aus den jeweiligen Motiven. Dagegen blickt ein wirklich aufgeklärter und ernsthaft wohlmeinender Beobachter nicht zuerst auf die Motive, sondern auf deren je kontextabhängige Auswirkung über die Handlungsfolgen, die von ihm klug in Beziehung zur Nutzenbalance gesetzt werden. Er benutzt, wann immer dies möglich ist, neutrale Wortbedeutungen für deren Bezeichnung. Der hier kurz vorgestellten Überlegung Benthams zu einer wertfreien Beschreibung von Motiven liegt eine grundsätzliche Einschätzung des menschlichen Wollens zu Grunde. Wenn er auch immer wieder betont, dass die Furcht vor der Zufugung von Leiden ein meist sichereres Mittel der Steuerung menschlichen Handelns darstellt als die Erwartung einer positiven Gratifikation, worauf ja letztlich die gesamte Theorie des strafenden Staates aufbaut, so meint das nicht, dass der natürliche Ausgangszustand menschlicher Aktivität ein Mangel ist. Wäre der Mangel allein die Ursprungserfahrung der menschlichen Motivkonstellationen, so wäre die blanke Not die entscheidende und unablässig aktive Triebfeder unseres Handelns. Dies sieht Bentham anders und er widerspricht dem sonst von ihm geschätzten John Locke, der zu Unrecht "uneasieness" als den Ausgangspunkt der Handlungsstruktur des Menschen unterstellt hatte mit dem sehr lebensweltlichen Argument, dass jeder Mensch, der einmal Hunger hatte, sich immer dann unwohl fühlen müsste, wenn er nicht gerade isst. Auch die positive Erfahrung von Vorfreude und Hoffnung, nach Bentham mit die wichtigsten Ausstattungen des menschlichen Glücks, können so nicht angemessen berücksichtigt werden. Leben heißt zunächst einmal sich wohl fühlen und ist nicht eine Kette von bloßen Mangelerlebnissen. 31 Betrachtet man Glück als ein schmerzfreies Dasein mit freudvollen Erfahrungen des Körpers und des Geistes - mehr ist, das zeigt das Synonym "well-being", nicht gemeint - , so kann man mit Bentham behaupten, dass es nur wenige Menschen gibt, die nicht wenigstens über eine gewisse Zeit glücklich gelebt haben. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass Glück unter fast allen Umständen immer und jederzeit möglich war und ist.32 Jeder Mensch hat zumindest Anteil am Glück der Hoffnung: [...] an ele-

Vgl. Deontology, S. 133. Zur gleichen Kritik, die Locke aber zubilligt, dass er eine "rougher spring of action" und damit immerhin die halbe Wahrheit erkannt habe, vgl. Defence of Economy against Edmund Burke, S. 44 f. Gemeint ist im weitesten Sinne das immer mögliche und erreichbare Glück: "The whole of history proves, that there is no circumstance connected with climate or texture of the earth incompatible with the happiness of man; and that, wherever man can live, there they may possess a government, a religion, and manners, that will render them happy." Essay on the Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 177. In allen historischen Lagen gilt der Krieg

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ment of well-being is in the possesion of every man - a pleasure of expectation - a pleasure of hope." 33 Das Glück besteht auch und nicht zuletzt aus kleinen und einfachen Teilen. 34 Das vielleicht stärkste Argument für die deutliche Dominanz des Glücks in den Augen Benthams stellt schon allein das Faktum des Lebens dar. Da der Tod offensichtlich ein Zustand ohne alle Erfahrung von Schmerz und Lust ist und der Augenblick des Sterbens so gestaltet werden kann, dass er nur wenig Schmerzen bereitet, so ergibt sich daraus, dass das Leben selbst deutlich mehr Freude als Leiden beinhaltet, ja dass es selbst eine Freude ist. Wäre dem nicht so, so wäre der Selbstmord ein weitaus häufigeres Phänomen. "Taking the whole of mankind together, on which side of the account does the balance lie, on the well being, or on the ill-being side? If religion were out of the question, the answer would require scarce a moment's thought: on the side of well-being beyond dispute; of well-being, existence is of itself a conclusive proof. So small is the quantity of pain necessarily accompanying the termination of existence."35

Das gewissermaßen trostlose Ergebnis dieser Haltung ist nun natürlich auch, dass alle philosophische Kraftanstrengung nicht hinreichen wird, ein wirklich unglückliches Leben in ein tugendhaftes und damit glückliches umzuinterpretieren. Bentham polemisiert mit äußerster Schärfe gegen Positionen, die behaupten, das höchste Gut eines menschlichen Lebens sei es, selbst eine tugendhafte Person zu werden. Darin allein bestehe das höchste dem Menschen mögliche Glück, während alle äußeren Dinge und der Zustand des eigenen Körpers eher eine untergeordnete und dienende Rolle haben. 36 Zugleich resultiert daraus aber auch eine überraschend positive Wertung menschlichen Handelns und Daseins ganz generell. Diese Einschätzung hat weit reichende Konsequenzen für die moralische wie auch politische Theorie. Bevor wir uns diesen Konsequenzen zuwenden können, ist aber noch ein Blick auf das Verhältnis von Motiven und Interessen nötig. Während nämlich Motive die konkreten und fluktuierenden Auslöser einer Handlung sind, stellen Interessen eine eher objektivierbare Konstellation dar. Sie sind deshalb eher objektivierbar, weil mit ihnen nicht bloß die momentane Triebfeder des Handelns bezeichnet wird, sondern eine Konstellation, die über die Zeit hinweg in einer bestimmten Lebenssituation stabil bleibt. Bentham definiert:

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als absolute Grenze der Glücksmöglichkeiten: "Of the state of things called war - which, beeing interpreted, is homicide, depredation, and destruction - human suffering produced in all manner of shape upon the largest scale [...]." Bentham to his Fellow-Citizens of France on Houses of Peers and Senates, Works, I, S. 438. Vgl. auch First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 157. Deontology, S. 132. "The slightest imaginable pleasure (eating a morsel of bread) is as much matter of happiness, and pro tanto happiness, as the most intense." A Table of the Springs of Action, S. 61. Deontology, S. 131. "Lie all your life long in your bed, with the rheumatism in your loins, the stone in your bladder, and the gout in both your feet, so long as you are in the habit of virtue, so long the summum bonum, be it what it may, is in your hands, and much good may it do you." Ebd., S. 138.

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"An interest, is a motive considered in an abstract point of view; viz. as possessing the faculty of being called into action, but without presenting to view any particular occasion in which it is considered as employing itself in the exercise of such faculty. When the word motive is employed, the object designated by it is in general not considered as pointing any further than to the particular good which is considered as being in view. Interest - when I say such is my interest, or, it is my interest to do so or so - points not only to the attainment of that good, but to the general effect of that event upon the sum of my well-being." 37

Der Bedeutungsbereich von Motiv und Interesse ist damit potenziell identisch, da Bentham darauf hinweist, dass ein Mensch in dem Moment ein Interesse an einer Handlung hat, in dem ihn ein Motiv zu eben dieser Handlung drängt.38 Daraus folgt zwangsläufig, dass es nicht nur keine Handlung ohne Motiv gibt, sondern ein desinteressiertes Handeln ebenfalls ins Reich der Fabel verwiesen werden muss. Jede Handlung nimmt ihren Ausgang von einem Individuum. Es vermag nur ein interessiertes Individuum in gewissem Sinne überhaupt bewusst zu Handeln, da nur via Motiv und Interesse der für das Handeln unverzichtbare Weltbezug von Schmerz- bzw. Lusterwartung hergestellt werden kann.39 Wer aber ein Interesse an Dingen und Menschen in der ihn umgebenden Welt hat, der hat dies, weil ihm diese Dinge oder Menschen Ursache von Freude oder Schmerz werden können.40 Die stärkere Objektivität eines Interesses, wobei hier die Bezogenheit auf eine vorgefundene Kontextsituation und der weitere Verlauf der Handlungskette und nicht dessen objektive Richtigkeit gemeint ist, erlaubt es auch, von einem "state of interests" zu sprechen. Die Theorie vom "state of interests" findet nicht nur wiederholt ihre Anwendung in Benthams Analysen der Politik, sie ist zugleich ein methodologisches Meisterwerk und eine der Übergangsstellen, an denen seine handlungstheoretischen Reflexionen in den bereits diagnostizierten politiktheoretischen EXTERNALISMUS münden. Bentham fuhrt die einschlägigen Argumente anlässlich seiner Diskussion der Frage ein, was denn das zentrale Hindernis einer Parlamentsreform darstellt. Er verweist in einer pessimistischen Wendung seines Reformoptimismus darauf, dass Argumente gegen die Macht der Interessen eigentlich sinnlos sind. Man könne nicht erwarten, dass der Papst sich durch Argumente zum Protestantismus bekehren lassen werde. Da dies aller menschlichen Voraussicht nach nicht geschehen kann, so lautet sein Schluss, kann

Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 257. "Interest, the universal cause of all action, being the most obvious and surely operative cause of common action of those faculties, volitional and thence of intellectual." A Table of the Springs of Action, S. 38. "In regard to interest, in the most extended, which is the original and only strictly proper sense of the word 'disinterested', no human act ever has been or ever can be disinterested. For there exists not ever any voluntary action, which is not the result of the operation of some motive or motives, nor any motive, which has not for its accompaniment a corresponding interest, real or imagined." Ebd., S. 99 f. "A man is said to have an interest in any subject in so far as that subject is considered as more or less likely to be to him a source of pleasure or exemption: subject, viz. thing or person·, [...]." Ebd., S. 91.

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man von den Mitgliedern des englischen House of Commons auch nicht eine Parlamentsreform erwarten, welche die derzeitigen MPs ihrer Sitze berauben würde. 41 Die Argumentation wird dann aber aus ihrem direkten Kontext gelöst und nicht mehr nur als Schlüssel für das konkrete politische Verhalten gewertet. Sie wird ein Vergrößerungsglas, das demjenigen, der bereit ist, der Wahrheit ins Auge zu sehen, die Mechanismen des menschlichen Handelns in einem hohen Maße erschließt, ja sie gar voraussagbar macht: "[...] be the individual who he may, have you any such wish as that of possessing either a clew to his conduct in time past, or a means of foreknowing his conduct in time future? Look to the situation he is in, in respect of interest. Have you any such wish in regard of an aggregate body? Look still to interests: [...]. In the case of an individual unknown, it is your only clew: in the case of a body - meaning the governing part of it; - except in so far as, by accident, the view taken by it of its interests may have been rendered erroneous by weakness, - it is a sure one." 42

Damit ist zunächst einmal gesagt, dass aus Interessenkonstellationen bei Individuen und bei Gruppen ein Verständnis des bisherigen Handelns und auch die Vorhersage eventuell zu erwartender Handlungen möglich sein sollen. Ferner wird uns nahe gelegt, dass es sich bei einer Rekonstruktion der Interessenkonstellationen im individuellen Fall um den einzigen Zugang handelt, bei Gruppen gar um eine sichere Vorgehens weise. Im Umkehrschluss müsste das heißen, dass die gewinnbaren Aussagen bei individuellen Handlungen nur diese Quelle haben, dass sie aber nicht so sicher sein können, wie das bei Gruppen der Fall ist. Genau dies ist gemeint. Bentham weist darauf hin, dass jede allgemeine Regel, sobald sie auf der Ebene des einzelnen Individuums angewendet wird, dem Risiko ausgesetzt ist, am "unconjecturable play of individual idiosyncracies" zu scheitern. Bei Gruppen, wo eine Dominanz durchschnittlichen Verhaltens zu erwarten steht, steigt die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Aussage mit der Zahl der Gruppenmitglieder. Bentham erläutert die letztgenannte Einschränkung am Beispiel des Eintretens des Duke of Richmond für das allgemeine Wahlrecht. Man kann, betrachtet man die Interessen eines englischen Hochadligen am Beginn des 19. Jahrhunderts, durchaus zu dem Schluss kommen, dass es keinesfalls im Interesse dieser Gruppe liegen konnte, das Wahlrecht allgemein zu machen. Gleichzeitig wäre der Schluss falsch, dass es nie einen individuellen Herzog, eben den realen Duke of Richmond, geben kann, der diese allgemeine Regel durchbricht, auch wenn alle anderen Vertreter der Gruppe sie voll und ganz erfüllen. Der zweite bemerkenswerte Aspekt weist darauf hin, dass die Rekonstruktion der Interessenkonstellation den einzigen Schlüssel zum Verständnis individuellen Handelns abgeben soll. Hier bringt Bentham eine These ins Spiel, die an der zitierten Stelle nicht ganz entfaltet wird, die aber ein wesentliches Argument für den EXTERNALISMUS und den ethischen Konsequentialismus enthält. Es geht dabei um die Problematik einer adä-

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Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 507. Vgl. auch Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 146. Ebd., S. 526.

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quaten Selbstwahrnehmung in Bezug auf die Interessen, die ein jeweiliges Handeln auslösen oder wahrscheinlich machen, eine mögliche Form von Selbsttäuschung, die eine unbeabsichtigte Fremdtäuschung auslösen kann. Noch radikalisiert wird die Problematik durch das Phänomen der bewussten Irreführung anderer Menschen. Wenn beispielsweise jemand ein öffentliches Amt bekleidet, so spielt es für die von seinen Entscheidungen betroffene Bevölkerung keine Rolle, ob der Betreffende eine angemessene Selbstwahrnehmung seiner handlungsmotivierenden Interessen hat, ob er also weiß, warum er was tut. Sehr wohl von Bedeutung für die betroffenen Menschen ist allerdings die Frage, welche Interessen er de facto hat und welche Handlungsweisen sich daraus ergeben können. 43 Addiert man hierzu noch die Möglichkeit des bewussten Betruges, so ergeben sich fast zwanglos die beiden Regeln, die Bentham als Anwendungen des Konzeptes vom "state of interests" formuliert: "1. POSITIVE RULE. - To satisfy yourself beforehand, what, on a given occasion, will be the course a man will take, look to the state of interests', look out for, and take note of the several interests, to the operation of which the situation he occupies stands exposed. 2. NEGATIVE RULE. - In your endeavour to satisfy yourself, what on the occasion in question, is the course he will take, pay no regard whatever to professions or protestations: [..,]."44 Die positive Regel verlangt eine externe Beobachtung der speziellen Handlungssituation des Individuums und unterstellt hier noch eher implizit, dass der Handelnde nicht nur als aktiv, sondern auch als ein verschiedensten Einflüssen ausgesetzter Akteur vorgestellt werden muss. Interessen und damit auch Motive sind offensichtlich, das macht ihre externe und damit objektive Qualität aus, nicht nur im Bewusstsein des Individuums, sondern sie umlagern es geradezu als eine Art Schlüsselreize für mögliche Handlungen. Die negative Regel radikalisiert den methodischen EXTERNALISMUS der ersten, in der die erklärte Selbstwahrnehmung des Handelnden ja keine Rolle spielt in Hinblick auf die möglichen Erklärungen, die der Handlungsautor selbst abgeben kann. Ihnen ist, man muss ergänzen: auf Grund der Möglichkeit von Selbst- und Fremdtäuschung, in der Politik jedenfalls nicht zu trauen. Wie stark diese zwei Regeln mit den erkenntnis- und handlungstheoretischen Voraussetzungen Benthams zusammenhängen, wird sich im weiteren Fortgang unserer Rekonstruktion noch detaillierter zeigen lassen. Kehren wir zu unserer ursprünglichen handlungstheoretischen Fragestellung zurück, die wir bei der Diskussion der Qualität von Interessen abgebrochen haben, so müssen wir nun etwas genauer über den Status von Motiven und Interessen im Bezug auf die Qualität von Handlungen Auskunft geben.

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"[...] the correctness of the conception which he himself has of what is passing and about to pass in his mind, [...], is to the public at large as indifferent as it is unascertainable: but, [...], a conception as correct as can be formed in regard to these same springs of action, [...], is frequently a matter of no inconsiderable importance." Ebd. Ebd.

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Wir haben bereits sehen können, wie Bentham einen vorschnellen Moralismus in der Bewertung von Motiven und Interessen ablehnt und die prinzipielle Notwendigkeit interessierten Handelns behauptet. Daraus resultiert dann eine positive Einschätzung der menschlichen Aktivität und des Lebens überhaupt. Die Überzeugung, dass es prinzipiell gut ist zu leben, und dass grundsätzlich das menschliche Handeln zur Vermehrung des Glücks des Handelnden tendiert, ist nicht nur die Grundüberzeugung, an der die Wissenschaft der Deontologie einsetzt, sie ist auch folgenreich für die Einschätzung des Verhältnisses von Motiv/Interesse und Handeln. Solange wir in der Argumentation die Interessen anderer Individuen nämlich außer acht lassen können, muss prinzipiell angenommen werden, dass jede denkbare Handlung insofern gut ist, als sie auf die Vermehrung des Glücks und die Vermeidung des Unglücks des jeweils Handelnden abzielt. Begründet wird dies zunächst so, dass Bentham darauf hinweist, dass jede Handlung ihren Ausgangspunkt im Streben nach Freude hat. Sitz der Erfahrung dieser Freude ist immer ein handelndes und wollendes Individuum. Daraus ergibt sich aber ein grundlegender Zirkel der Handlungsbeschreibung und Bewertung, der erst vollständig die Forderung Benthams nach einer zunächst einmal wertneutralen Beschreibung von Motiven und Interessen verständlich macht. Dieser Zirkel entsteht aus der primären Identität von Handlungs- und Erfahrungssubjekt. Wenn es nämlich stimmt, dass "pain" und "pleasure" immer nur von einem Individuum erfahren werden können, so sind sie zwar evidente Phänomene, sie sind aber zugleich auch radikal individualisiert und besitzen eine bloß eingeschränkte Intersubjektivität: "To every man, by competent attention and observation the quality of his own sensibility may be known: it may be known by the most impressive and infallible of all direct evidence, the evidence of a man's own senses. To no man, can the quality of sensibility in the breast of any other man be known by any thing like equally probative and unfallicious evidence. Countenance, gesture, deportment, contemporary conduct at the time, subsequent conduct at other subsequent times - from each of these articles of circumstance, separately or collectively taken - indications much surer and [more] unambiguous may be deduced than from any such direct evidence as is or can be constituted and delivered by any verbal account given by him of his own feelings." 45

Die emphatische Betonung der Gewissheit einer strikt auf die Person bezogenen sensuellen Erfahrung von "pain" und "pleasure" wird um den Preis einer nur noch sehr eingeschränkten Gewissheit in Bezug auf vergleichbare Zustände bei anderen Individuen erkauft. Was das Individuum noch sicher wissen kann, ist lediglich, dass auch der andere ähnliche Empfindungen hat, es kann aber nur mehr von äußeren Zeichen (articles of circumstance) auf den realen Zustand des anderen schließen. Auch hier finden wir also einen Übergang von der Handlungstheorie zu einer strikt externalistischen Argumentation, die stark aporetische Züge trägt. Wenn nun aber der je andere nicht sicher wissen kann, welche aktuellen Empfindungen von Freude und Leid der Gegenüber empfindet, dann kann er auch nicht wirklich wissen, was - da ja "pain" und "pleasure" das ultimative Ziel allen Handelns sind - die

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Deontology, S. 131.

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realen Handlungsmotive des Mitmenschen sind. Das heißt aber auch, dass wir nicht mit letzter Sicherheit wissen, was andere glücklich macht. Angenommen muss jedoch werden, dass jede Handlung, die de facto geschieht, ein Gut des Glücks (sei es positiv oder bloß die Vermeidung von Leiden) erstrebt. Genau diese Folgerung wiederholt Bentham mehrfach, ja er betont, dass selbst ein Verbrechen nur so vorgestellt werden kann, dass der Verbrecher eine Handlung mit der Absicht von Lustgewinn und Schmerzvermeidung begangen hat.46 Auch das Leben des Schwerverbrechers ist unter dieser Voraussetzung in hohem Übermaß ein gutes Leben.47 Was das Streben nach eigener Freude und nach Glück betrifft, so ist jeder - ein Topos, den Bentham nicht müde wird zu wiederholen und anzuwenden - ein besserer Richter seines eigenen Glücks als jeder andere Mensch.48 Dies muss als ein allgemein gültiger Satz mit wenigen Einschränkungen gelten, da jedem anderen Individuum schlicht das Wissen über meine konkreten Empfindungen fehlen wird. Vergleicht man jedoch wiederum die Sicherheit der Empfindung mit der des je eigenen Wissens von den Handlungen und Gütern, die eine Person glücklich machen, so steht fest, dass auch hier nur die direkte Lust oder der direkte Schmerz absolut sicher beurteilt werden.49 Es versteht sich von selbst, dass dann aber die bloße Faktizität des Handelns als Indiz dafür wird gelten müssen, wie der Handelnde das mögliche Handlungsziel bewertet. Es gibt keine Handlung, von der der Handelnde nicht in irgendeiner Weise glaubt, dass sie gut für ihn ist: "Abstraction made of future contingent consequences, viz. of consequences which, with reference to the point of time in question, are as yet but contingent, the bare fact of a person's having down to that time continued in his free as well as habitual exercise of any act [...] is of itself conclusive proof, that the act is with relation to him productive either of pure or of preponderant good, and as such fit and proper to be exercised by him." 50

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Es ist allerdings nur die erste Stufe des Verbrechens, die so beschrieben werden kann. Vgl. Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 288. Das ist aber hier nicht so zu verstehen, dass Verbrechen "gut" seien, sondern so, dass das gesamte Leben des Verbrechers am dominierenden Glück des Lebensvollzuges einen Anteil hat: "Whatever act affords any the minutest particle of satisfaction, of pleasure or removes or prevents any the least particle of pain, is, in so far good. In this case are the great majority of human acts, even in the instance of the most atrocious malefactor that ever lived." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 259, Fn. Vgl. auch Deontology, S. 278. Dort wird herausgearbeitet, dass auch das Glück des schlechtesten Menschen ein Stück vom Gesamtglück aller Lebewesen ausmacht. "With a benefit of a certain degree of experience it may be delivered in the character of a general proposition [that] every man is a better judge of what is conducive to his own well-being than any other man can be." Deontology, S. 131. Allerdings ist er nur ein "besserer", nicht der einzige oder beste Richter. Der Komparativ zeigt die eindeutige Tendenz, die allerdings Ausnahmen zulässt. Was die konkrete Empfindung betrifft, so ist die fühlende Person nicht nur ein besserer, sie ist der einzige angemessene Richter: "Every person is not only the most proper judge, but the only proper judge of what with reference to himself is pleasure: and so in regard to pain." Deontology, S. 150. Ebd., S. 151.

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Hier haben wir zugleich den Ansatzpunkt des so oft geschmähten "quantitativen Utilitarismus", der alle Arten von Freude als vergleichbar bezeichnet. Ursache dieser Position ist nicht eine schnöde Indifferenz gegenüber den höheren Gütern und Freuden, sondern vielmehr die Überlegung, dass eine Erfahrung in ihrer sensitiven Qualität immer vom Erfahrungssubjekt beurteilt werden muss und nicht von einem moralisierenden Zensor. Den Gefühlen kann man nicht so leicht Vorschriften machen. Gegen Mills Kritik gewendet, müsste man aus dieser Perspektive also eher eine Überbetonung der je subjektiven Empfindung kritisieren als eine Vernachlässigung. 51 Wie wir allerdings gesehen haben, besteht die Wahl einer Handlung in einer kalkulierenden Umsetzung eines Motivs in Bezug auf eine äußere Begebenheit. Das heißt aber, dass das subjektive Kalkül des Handelnden selbst dazu gezwungen ist, eine frühere Empfindung, die in Verbindung mit einer bestimmten Aktion stand, auf die Zukunft hin hoch zu rechnen. Das genau ist gemeint, wenn Bentham davon spricht, dass wir gar nicht anders können als zu kalkulieren und dass diese einfachste Form eines Kalküls, die sozusagen mit zum menschlichen Lebensvollzug gehört, selbst bei vollkommen unwissenden Menschen und Geisteskranken statt hat. Selbst die Leidenschaften des Menschen sind, wenn auch in rudimentärer Form, dem Zwang zum Kalkül unterworfen und es liegt nahe, dass genau an dieser Stelle des quasi natürlichen Wägens der Handlungen und Ziele der aufklärerische Diskurs des Deontologen und die ordnende Hand des Gesetzgebers wird einsetzen können. 52 Wer dagegen die Kalkulation ablehnt, der nimmt in Kauf, dass die sozialen und die asozialen Affekte jeder Kontrolle des Verstandes entzogen und ungeordnet freigesetzt werden. 53 Wer aber kalkuliert und seine Empfindungen auf die Zukunft hin entwirft, "expectation" ist, wie wir bei der Behandlung des "non-disappointment-principle" sehen werden, nicht zufällig ein Schlüsselbegriff Benthams, der ist auch, was seine eigenen Gefühle betrifft, einem beträchtlichen Risiko ausgesetzt. Sicher sein kann sich das

"Consequences apart, magnitude the same, one pleasure is as good as another." Ebd., S. 66. Wie wir bei den politischen Kalkülen des Glücks allerdings sehen werden, bleibt es nicht dabei. Darauf verweist hier schon die Nennung der Konsequenzen. Die Ungleichheit der Freude wird dann noch wichtiger, wenn es um die "pleasure of expectation" und "pain of loss" geht. "[...]: gross ignorance, they will say, never troubles itself about laws, and passion does not calculate. But the evil of ignorance admits of cure: and as to the proposition that passion does not calculate, this like most of these very general and oracular propositions, is not true. When matters of such importance as pain and pleasure are at stake, and these in the highest degree [...] who is there that does not calculate? Men calculate, some with less exactness, indeed, some with more: but all men calculate. I would not say, that even a madman does not calculate. Passion calculates, more or less, in every man: in different men, according to the firmness or irritability of their minds: according to the nature of the motives by which they are acted upon. - There are few madmen but what are observed to be afraid of the strait waistcoat." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 173 f. Vgl. auch Panopticon, Works, IV, S. 44. "Suppress calculation and you let loose dissocial as well as social affections." A Table of the Springs of Action, S. 35.

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Individuum nur seiner momentanen Geflihlszustände. 54 Welche persönlichen Folgen für die eigene Erfahrung von "pain" und "pleasure" eine Handlung hat, bleibt immer, sieht man vom Glück der Hoffnung einen Moment ab, eine Frage der Ereignisse, die erst noch geschehen werden. Richtig verstanden heißt das aber dann, dass sich der kalkulierende Akteur in einer Situation befindet, die der des Beobachters tendenziell vergleichbar wird. "In respect to future contingent pleasures and pains, so far is the situation of the individual himself [from being] more favourable to the business of forming a just estimate of [their] value than that of an observant bystander, that it is apt to be much less favourable. Why? Because to the eye of the mind, as well as to that of the body, more remote objects are apt to be eclipsed by less remote and, more especially, by present ones. [...] while to the eyes of other persons they (die mit einer Freude verbundenen überwiegenden Leiden - W.H.) are sufficiently present, to the eye of the individual himself they are, one or more of them, either not present at all or present in a degree of value inferior to that which properly belongs to them."55

Es ist also durchaus der Fall denkbar, dass ein unbeteiligter Beobachter eine bessere Abschätzung der Ziele und Mittel des Handelns vornimmt. Der Modus, in dem diese Abwägung zu geschehen hat, ist der des interessierten Beobachtens. Es kommt offensichtlich sehr viel auf die Richtigkeit der Wahrnehmung bzw. des auf ihr aufruhenden Urteils an. Auch wenn sich, wie bereits festgestellt, die Sinne eigentlich nicht täuschen lassen, so besteht doch die Gefahr, dass die urteilende Wahrnehmung durch dominierende Neigungen verzerrt wird. Für die Berechenbarkeit und Voraussagbarkeit menschlichen Handelns heißt das aber wiederum, dass selbst, wenn es dem Beobachter gelingt, die objektiv vorhandenen Interessen des Individuums in der Handlungssituation angemessen zu vergegenwärtigen, die immer mögliche falsche Wahrnehmung des Beobachteten trotzdem zu einer vollkommen anderen Handlung als der durchschnittlich erwartbaren führt. Mit anderen Worten: Die objektiv vorhandenen Interessen und die realen Wünsche des Individuums müssen nicht in jedem Fall miteinander übereinstimmen. 56 Allerdings sind die realen Wünsche durchaus aufklärbar, wenn der Beobachter in einem ethischen Diskurs die objektiven Interessen dessen, der zu handeln beabsichtigt, vor Augen führen kann.

3.1.3.

Der Handlungskontext als Handlungsursache

Bentham geht also davon aus, dass Motive keine moralisch spezifizierbaren psychischen Phänomene darstellen. Es gibt kaum einen Menschen, der nicht schon die ganze Bandbreite menschlich möglicher Wünsche einmal an sich selbst erfahren hat. 57 Dies 54

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57

"Of the value of each particle of good, of the value of each pleasure and each pain when once it becomes present to the feelings of the individual in question, by no other individual can any equally correct or compleat conception be formed." Deontology, S. 196. Ebd., S. 15 I f . "[...] - but by knowing a man's interest, his true and lasting interest, are you always certain of his wishes?" Emancipate Your Colonies, Works, IV, S. 417. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 54.

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gilt aber nur v o n M o t i v e n , w e n n sie u n a b h ä n g i g v o n einer konkreten Handlungssituatio n betrachtet w e r d e n . In d e m M o m e n t , in d e m e i n M o t i v e i n e konkrete H a n d l u n g s i n t e n tion auslöst und dann e i n e H a n d l u n g mit F o l g e n g e s c h i e h t , 5 8 ist der R u b i k o n z w i s c h e n der rein e x e g e t i s c h e n Ethik und der kritischen Ethik überschritten. 5 9 Ü b e r die a u f U m stände b e z o g e n e H a n d l u n g s i n t e n t i o n , die den A k t und s e i n e F o l g e n intendiert hat, wird in der konkreten H a n d l u n g sogar das ursprünglich neutrale M o t i v moralisch a u f g e l a d e n : "Now the effects of an intention to do such or such an act, are the same objects which we have been speaking of under the appellation of its consequences: and the causes of intention are called motives. A man's intention then on any occasion may be styled good or bad, with reference to his motives. If it be deemed good or bad in any sense, it must be either because it is deemed to be productive of good or bad consequences, or because it is deemed to originate from a good or from a bad motive. But the goodness or badness of the consequences depend upon the circumstances. Now the circumstances are no objects of the intention. A man intends the act: and by his intention produces the act: but as to the circumstances, he does not intend them: he does not, in as much as they are circumstances of it, produce them. [...] Acts, with their consequences, are objects of the will as well as of the understanding: circumstances, as such, are objects of the understanding only." 60 D a s e i n z e l n e M o t i v b z w . die j e w e i l s w i r k u n g s v o l l e n M o t i v e k ö n n e n a l s o d o c h , w e n n e s um e i n e konkrete H a n d l u n g geht, moralisch qualifiziert werden. 6 1 W a s j e d o c h nicht g e s c h e h e n darf, ist e i n e g e n e r e l l e A b q u a l i f i z i e r u n g der natürlichen m e n s c h l i c h e n W ü n s c h e und B e d ü r f n i s s e . B e n t h a m erläutert die B e d e u t u n g der H a n d l u n g s k o n t e x t e für die B e w e r t u n g einer H a n d l u n g an zahlreichen B e i s p i e l e n und führt z w e i D i n g e vor: 1. die M o t i v e n und Interessen z u g e s c h r i e b e n e Qualität hängt stark v o n der Handlungssituation ab. 2. d i e s e Z u s c h r e i b u n g ist nicht u n a b h ä n g i g v o n der E i n s t e l l u n g d e s B e o b a c h t e r s , der die H a n d l u n g beurteilt. W a s die Z u s c h r e i b u n g v o n M o t i v e n in B e z u g a u f d i e H a n d l u n g s s i t u a t i o n betrifft, s o verdeutlicht B e n t h a m e x e m p l a r i s c h , w i e stark hier eine m o r a l i s c h e B e u r t e i l u n g v o m 58

59 60 61

Von Intentionalität möchte Bentham im vollen Sinn nur sprechen, wenn die Handlung und ihre Folgen intendiert wurden. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 84. Das gilt natürlich nur fur transitive Akte in Bezug auf Personen. Vgl. ebd., S. 76. Ebd., S. 89. Daher ist es aus dieser Perspektive dann doch möglich, die Motive verschiedenen Gruppen zuzuordnen. Dabei spielt zunächst eine generelle Tendenz eine Rolle: "If any sort of motive then is either good or bad on the score of its effects, this is the case only on individual occasions, and with individual motives; and this is the case with one sort of motive as well as with another. If any sort of motive can, in consideration of its effects, be termed with any propriety a bad one, it can only be with reference to the balance of all the effects it may have had of both kinds within a given period, that is, of its most usual tendency." Ebd., S. 114. So lässt sich aus der Tendenz eine Klassifizierung gewinnen. Schaut man nämlich auf die Tendenz, die Motive haben, die Interessen des Handelnden mit denen der Mitglieder der Gemeinschaft in Einklang zu bringen, dann bietet sich folgende Ordnung an: "On this plan they may be distinguished into social, dissocial, and selfregarding." Ebd., S. 116. Bentham wird aber nicht müde daraufhinzuweisen, dass ein ursprünglich eher soziales Motiv, wie es die Sympathie mit dem Mitmenschen zweifellos doch ist, in dem Moment bedenklich wird, wo ein Individuum der Gemeinschaft vorgezogen, also aus Mitleid etwa ein Verbrecher der gerechten Strafe entzogen wird.

78

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

Handlungskontext abhängt. 62 Das Motiv der Selbsterhaltung, das Bentham als Schutz der eigenen Person gegen jede Art von Übel definiert, 63 wird in verschiedenen Situationen konjungiert. Es ist das Handlungsmotiv eines Strafgefangenen, der der Strafe entkommen will; einer ledigen Mutter, die ihr Kind tötet oder weg gibt, um der Schande zu entgehen; des Geizkragens, der einen Menschen vor seinen Augen verhungern lässt, obwohl ein Halfpenny sein Leben retten könnte; des Diebes, der Brot stiehlt, um nicht zu verhungern; des vom Ertrinken bedrohten Mannes, der einen anderen von der Planke stößt, da sie nur einen tragen kann; desjenigen, der die ihn überfallenden Räuber tötet; des Soldaten, der vor dem Feind flieht. Die Menschen werden je das Motiv anders beurteilen, sie werden es mit eulogistischen oder dyslogistischen Namen belegen. Im Falle des Strafgefangenen wird die Selbsterhaltung zu Bosheit (malice), bei der Mutter Grausamkeit (cruelty), beim Geizkragen Geiz und Knausrigkeit (avarice and niggardliness), beim Dieb Notwendigkeit (necessity), beim Ertrinkenden wird die Beurteilung eher auf Selbsterhaltung lauten und sittlich neutral sein, bei dem Überfallenen neben Selbsterhaltung Selbstverteidigung (self-defence) und beim Soldaten schlicht Feigheit (cowardice). "Yet in all these various cases, the motive is still the same. It is neither more nor less than self-preservation." 64 Schon bei diesen Beispielen der Motivzuschreibung wird deutlich, dass die Position des urteilenden Beobachters eine entscheidende Rolle spielt. Es macht einen großen Unterschied, ob man selbst, ob Freunde oder Feinde die jeweilige Verhaltensweise auf ein Motiv zurückfuhren. Man selbst und die eigenen Freunde wird bzw. werden prinzipiell dazu neigen, ein möglichst positives Bild der eigenen Intentionen zu geben. Sollte das schwierig sein, so wird in der Regel das Motiv gewählt, das dem wirklichen am nächsten steht und die größte Reputation hat. Die Feinde werden in genau der entgegengesetzten Richtung argumentieren und immer ein möglichst schlechtes Motiv unterstellen. 65 Die Zuschreibung und Beurteilung wird erschwert durch die Tatsache, dass meist mehrere Motive in einer Situation auf den Handelnden einwirken. Es bedarf schon einer sehr genauen Selbst- und Fremdbeobachtung, damit das Individuum wirklich Auskunft über seine Motive oder die anderer geben kann. Das so erworbene Wissen ist allerdings "painfull knowledge": "Almost on every occasion a man is acted upon by divers motives, concurrent and conflicting. Of this multiplicity, seldom is he conscious unless scrutinizing into his mind for the purpose. By public trustees especially, such scrutinizing is seldom practiced. Effect of it, substituting to pleasurable delusion, painful knowledge. Bitten rather than kissed would be the informationconveying hand. [...] cause - general hatred of instruction on this subject. In the picture of the springs of action in man, he would see his own. He prefers keeping them shut."66

62 63

64 65

66

Vgl. Hacker, Peter M.S., Bentham's Theory of Action and Intention, S. 98. "[...] self-preservation: the desire of preserving one's self from the pain or evil in question." Ebd., S. 112. Ebd., S. 113. Vgl. ebd., S. 110 f. Vgl. auch A Table of the Springs of Action, S. 19 ff. Dort wird solches Verhalten als "motiv-trumpet" bespottet. A Table of the Springs of Action, S. 20 f.

Handlungsmechanik

und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen des Externalismus

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Auch aus dieser Richtung scheint ein Wissen über die Innenseite des Handelns äußerst problematisch und es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Motive in einer jeweiligen Handlungssituation haben und ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, die Kausalität von Motiv, Interesse und Handlung zu durchleuchten. Dies ist umso bedeutsamer, wenn man sich den Ort der hier einschlägigen Argumente in Benthams Werk genauer ansieht. Meist geht es nämlich um Fragen der Justiz und dabei insbesondere der Strafjustiz. Es steht auch für den Autor außer Frage, dass die Intention des Handelnden eine zentrale Bedeutung bei der Zumessung von Strafe bzw. der Prävention von Verbrechen hat.67 Was nun die Umstände einer Handlung betrifft, so benutzt Bentham den Begriff "circumstances" im wahrhaft weitest denkbaren Sinn des Wortes. In der Introduction to the Principles of Morals and Legislation tauchen sie in zweifacher Gestalt als "circumstances influencing sensibility" und als "circumstances of an act" auf. Zu den Umständen, die die Empfindungsfähigkeit beeinflussen, zählt Bentham all die Konstanten, die eine Person mehr oder wenig empfindlich für die Erfahrung von Schmerz und Freude machen. Sie sind wichtig, weil sie angesichts der Tatsache, dass verschiedene Menschen verschieden starke Empfindlichkeiten an den Tag legen, erklären helfen, wie trotz einer vergleichbaren Ursache der Empfindung (exciting cause) verschiedene Grade von Lust und Unlust entstehen können. Ziel der 32 Umstände umfassenden Liste ist "[...] to sum up all the circumstances which can be found to influence the effect of any exciting cause." 68 Bei diesen Umständen des Fühlens und Handelns handelt es sich um einen Spezialfall des Phänomens "circumstances", von dem wir ja bereits wissen, dass es nur sehr beschränkt vom Handelnden beeinflussbar ist. Wir finden überraschenderweise auch die Eigenschaften des Individuums selbst unter den Umständen seiner eigenen Gefühlserfahrung, wie z.B. Gesundheit, Stärke, Neigungen, Qualität des Wissens, moralische und religiöse Dispositionen. Die allgemeine Definition von "circumstances of an act" lautet: "Now the circumstances of an act, are, what? Any objects whatsoever. Take any act whatsoever, there is nothing in the nature of things that excludes any imaginable object from being a circumstance to it. Any given object may be a circumstance to any other. We have already had occasion to make mention for a moment of the consequences of an act: these were distinguished into material and immaterial. In like manner may the circumstances of it be distinguished. [...] A circumstance may be said to be material, when it bears a visible relation in point of causality to the consequences: immaterial, when it bears no such visible relation."69

Jede denkbare Kausalrelation zwischen Umständen und Handlungen macht erstere zu einem wesentlichen Bestandteil menschlicher Aktivität. In seiner Klassifizierungswut geht Bentham gelegentlich gar so weit, dass er die Unterschiede zwischen bestimmten Handlungsumständen und Handlungskonsequenzen verwischt. 70 Das für uns zentrale Moment in seinen Überlegungen zu den Umständen der Handlung ist die Tatsache, dass

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Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 124. Ebd., S. 52. Ebd., S. 80. Gemeint sind damit die "derivative circumstances". Vgl. ebd.

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Handeln, Sehen, Sprechen:

anthropologische

Fundamente

von Benthams politischem

Denken

er das Handeln dergestalt modelliert, dass der Akteur geradezu von einem potenziell wirkungsvollen unendlichen Universum der die jeweilige Handlung motivierenden und demotivierenden anderen Handlungen und Dinge umstellt ist. Die Handlungsumstände, die der Akteur vorfindet, sind einerseits in einer unendlichen Kausalkette miteinander verbunden 71 und zugleich befindet sich der Handelnde selbst, so das von Bentham verwendete Bild, im Zentrum eines Kreises, dessen Umkreis nirgendwo ist, der durch das Handeln somit erst geschaffen wird. 72 Weil das so ist, können die Umstände einer Handlung auch als "circumstantial evidence" vor Gericht für den Nachweis einer Handlung benutzt werden, sind sie doch zu einem erheblichen Teil identisch mit den "externen" Motiven des Handelns. Das ist aber nicht nur für Benthams Theorie des juristischen Beweises bedeutsam. Die Rolle der "circumstances" in seiner Theorie der politischen Institutionen ist ebenfalls entscheidend, auch wenn sie hier eher mit einer anderen Begrifflichkeit formuliert wird. Die diesen Überlegungen zu Grunde liegenden anthropologischen Einsichten gehen davon aus, dass die innere Handlungskausalität nicht (oder kaum) erkennbar ist, dieses methodische Defizit aber dadurch kompensiert werden kann, dass die Kausalkette der äußeren Verursachungen einen hinreichend sicheren Rückschluss auf die direkt nicht erkennbare Handlungsinnenseite zulässt. Zunächst einige Ausführungen zur Innenseite des Handelns, die das bereits in groben Zügen entstandene Bild abrunden sollen und eine der wesentlichen Denkfiguren des benthamschen EXTERNALISMUS klar machen. Dann werden wir uns im nächsten Abschnitt der Außensteuerung des individuellen Handelns zuwenden und sehen, welche verschiedenen Dimensionen einer Beeinflussung von außen Bentham referiert. Halten wir zunächst fest: Die Handlungsumstände sind aus methodischen Gründen und weil sie handlungsmotivierend wirken - bedeutsam. Wie aber sieht diese handlungsmotivierende Kraft des Handlungskontextes aus. Wir haben bereits sehen können, dass Bentham sogar die verschiedenen Eigenschaften des Akteurs unter die Umstände der Erfahrung von "pain" und "pleasure" subsumiert. Die verursachende Wirkung der internen und externen Motive wird von ihm so vorgestellt, dass eine mehr oder weniger große Anzahl von Motiven auf den Handelnden einwirkt, wobei dann dasjenige Motiv mit der stärksten anziehenden Kraft die Handlung letztlich in die entscheidende Richtung lenkt. Das Handeln gehorcht quasi physikalisch dem Gesetz der stärksten Kraft. 73 Man kann Motivgruppen unterscheiden, die mehr in Richtung einer moralisch guten Handlung drängen (tutelary motives) und solche, die eher zu üblen Handlungen verleiten (seducing motives). 74 Die Disposition des handelnden Subjektes ist dabei nur ein

71

"If necessary, it might be again illustrated by the material image of a chain, such as that which, according to the ingenious fiction o f the ancients, is attached to the throne of Jupiter." Ebd., S. 81, Fn. η. Zur Vorstellung einer unendlichen Kausalkette des Handelns vgl. ebd., S. 82, Fn. o.

72

Vgl. ebd., S. 79 f., Fn 1. Daher spricht er auch von "psychological or moral dynamics, of which political is one branch". On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 71. Vgl. auch die Rede von "moral attraction" und "moral repulsion" in: A Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 503.

73

74

Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 134 f.

Handlungsmechanik

und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen des Externalismus

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Faktor, sein Wille kann nur ganz beschränkt frei genannt werden. Benthams Bestimmung der Willensfreiheit lautet daher auch: "Seidom [...] does it happen, that a man's conduct stands exposed to the action of no more than one motive. Frequently indeed - not to say commonly - does it happen, that, on one and the same occasion, it is acted upon by a number of motives acting in opposite directions: [...] And, on every such occasion, be it what it may, the action is of course, the result of that one motive, or that groupe of simultaneously operating motives, of which on the same occasion, the force and influence happen to be the strongest. Be this as it may, on every occasion, conduct- [...] is at the absolute command of - is the never failing result of - the motives, and thence, in so far as the corresponding interests are perceived and understood, of the corresponding interests, to the action of which, his mind - his will - has, [...] stood exposed. Employ the term 'free-will', employ the term 'necessity' - [...], the language so employed will not be found to be expressive of any real differences." 75

Was wir also Willensfreiheit nennen, ist nicht mehr und nicht weniger als das Ergebnis einer Fehlperzeption, die darin besteht, dass wir die eigentliche Komplexität der Handlungsverursachung nicht genau durchschauen. In uns und um uns wirken handlungsverursachende Kräfte auf uns ein und wir stehen vor dem Problem, dass die meisten Handlungen aus einem Motivkomplex äußerer und innerer Motive und Interessen entstehen.76 Alles, was wir angesichts dieser Lage tun können ist zunächst einmal, das Phänomen möglichst klar zu beobachten und zu beschreiben. Wir entdecken dann, dass für jeden von unserem Körper durchgeführten Akt ein eigentlich gar nicht beobachtbarer psychischer Akt als Ursache angenommen werden muss. Dieser psychische Akt aber ist selbst dem handelnden Individuum nur sehr schwer erkennbar und unsere Rede davon steht vor dem letztlich unüberwindlichen Problem einer grundlegenden Defizienz der Sprache, die uns dazu zwingt, von psychischen Fakten so zu sprechen, als wären sie in der Welt vorfindbare Dinge:77 "An Act or action - a human act, a human action - is either external or purely internal. In the instance of an external act, there must of necessity be something of complication; for to the external action of the body or some part of it, must have been added an antecedent act of the will - an internal act, but for which, it would have been on the footing of those motions which are exhibited by the unanimated, and even by the unorganized ingredients in the composition of such parts of the world as are perceptible to us. [...] it being understood, that it is to the mind it is ascribed and attributed, the term motion may still be employed in the designation of it, although, in what happens in the mind upon the occasion in question, no change of place can be observed; for, in speaking of what passes in the mind, we must be content, [...], to employ the

A Table of the Springs of Action, S. 112. Die redundanten Satzteile wurden gekürzt. "Examined to the bottom, this consciousness of the freedom of our will would, it is true, be found to amount to neither more no less than our blindness as to a part, more or less considerable, of the whole number of joint causes or concurrent circumstances, on which the act of the will, and with it the consequent physical acts, depend: nor is this the only instance of a false conception of power, growing out of incompetence." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 114. Motive, Interessen und Wünsche sind jedoch "psychical fictitious entities". Vgl. Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 290.

82

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische Fundamente von Benthams politischem Denken same language as that which we employ in speaking of what passes in and about the body, or we could not in any way make it the subject of discourse."78

Bentham gesteht zwar den Fall durchaus zu, dass ein aufgeklärter Mensch seine Motive und Handlungsursachen zu durchschauen vermag, w e n n das auch ein äußerst seltener Fall zu sein scheint, 7 9 für die intersubjektive Bewertung v o n Handeln reicht aber die Quelle der Selbstaussage des Handelnden keinesfalls zu. D a die innere Mechanik der Seele unsichtbar und unendlich variabel ist, 80 bleibt uns, solange Menschen keine Fenster in ihren Herzen haben, nur der W e g über die Beobachtung des Handelns und die Rekonstruktion des Innen durch das Außen. 8 1 Dieser methodische EXTERNALISMUS vertraut darauf, dass da, w o gehandelt wird, Worte eigentlich überflüssig sind: "But when acts speak, words are needless,"82 Bei hinreichender Beobachtung lassen sich aus dem Handeln die zu Grunde liegende Interessen- und Motivkonstellation, ja selbst die geheimsten Gedanken rekonstruieren. 83 Alle relevanten psychischen Zustände haben einen objektiven äußeren Index. 8 4 78 79

80

81

82 83

84

Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 217. Vgl. auch Of Laws in General, S. 267. Dabei ist das Modell aber eine der Fremdbeobachtung analoge Selbstbeobachtung: "It is one thing to be guided by the presence of certain motives, it is another thing to perceive their influence. [...] in order to understand the influence which a motive has over us, it is necessary to know how to direct the mind upon itself, and to anatomize its thoughts: it is necessary to divide the mind as it were into two parts, of which the one is to be occupied in observing the other, a difficult operation, of which, from want of exercise, few persons are capable." Principles of Penal Law, Works, I, S. 381, Fn. (Hervorheb. - W.H.) Zumindest gilt für die reformunwilligen Parlamentarier: "A hundred to one, - for want of the habit of examination, no tolerable clear conception has he, on any occasion, of the springs of action by which his own conduct is determined: no tolerably clear conception of anything that is passing in his own mind." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 492. "[...] the inexhaustible stock of varieties incident to the human character, causes of a psychological nature, inscrutable to human eyes, [...]." On the art of Packing Special Juries, Works, V, S. 183. "[...], until the parable of the man with windows in his breast be realized, such extraneous evidence cannot be of any nature than that of circumstantial evidence, [...]." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 75. Petition for Justice, Works, V, S. 449. "[...] for what are really their opinions, only from their interests and their practice are they ever knowable: for of what are really their opinions, considering that of no man's mind the interior is visible to any other, and that no position or assertion is more or less easily pronounced than its contrary, assertion on matters of opinion is no evidence: [...]. Where opinion - inward opinion - is the subject, the strongest direct evidence is weak in comparison of circumstantial evidence." Constitutional Code Rationale, in: First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 266 f. Vgl. auch Petition for Justice, Works, V, S. 471; Swear not at all, ebd., S. 197. "[...] such psychological fact having necessarily for its index, some physical fact, issuing from the same personal source." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 4. Am Beispiel der Bestechung, bei der Bestechender und Bestochener sich auf halbem Wege begegnen und durchaus zufrieden sind, wird verdeutlicht: "[...] in both situations you see smiling faces, indexes of contended hearts." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 484. "Conduct is the test of feeling." Protest again Law-Taxes, Works, II, S. 578. Allerdings ist eine Rekonstruktion des Innen vom

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Diese Argumente verdanken sich selbstverständlich der juristischen Beweistheorie. Sie lesen sich im Rationale of Judicial Evidence vor allem als Versuche, die kriminelle Motivation des Verbrechers von seiner Aussage zu trennen und im Modus der Verhaltensbeobachtung und -rekonstruktion eine möglichst zuverlässige Erkenntnisquelle für die Intentionen des vermuteten Täters zu finden. 85 Man kann die dort weiter gegebene Erörterung des Indizienbeweises als eine Zusammenfassung von Benthams Überlegungen in diesem Bereich lesen. Allerdings bleiben die ursprünglich aus dem juristischen Bereich genommenen Reflexionen nicht bloß diesem verhaftet. Vielmehr wird die These, dass menschliches Handeln nicht aus der internen Perspektive des Akteurs, sondern aus der äußeren der Konsequenzen und Umstände begriffen werden soll, zu einer grundlegenden anthropologischen Theorie ausgebaut, die in den Bereich der politischen Institutionen hinein eine entscheidende und gestaltende Bedeutung gewinnt. Herzstück dieses methodologischen EXTERNALISMUS ist die Überzeugung, dass es lediglich einige wenige natürliche Grundkräfte menschlichen Wollens gibt, man also trotz einer unendlichen Vielzahl von Motivkomplexen eine vereinfachende Klassifizierung von Interessen vornehmen kann, die dann wiederum auf ein mehr oder weniger vereinfacht vorgestelltes Außen treffen. Wird die Stärke der jeweiligen Außenanziehung oder -abstoßung in Betracht gezogen, so die These, dann lässt sich mit gewisser Genauigkeit das menschliche Handeln voraussehen, steuern und lenken. Zur Naturausstattung der menschlichen Spezies gehört nach Bentham, wie wir bereits mehrfach traktiert haben, die Erfahrung von "pain" und "pleasure". Daraus, dass wir beide je selbst als individuelle Wesen erfahren, ergibt sich als das im durchschnittlichen Fall stärkste Interesse, das an einer Optimierung der eigenen Freude und einer Minimierung der eigenen Schmerzzustände. Das ist zunächst vollkommen moralisch indifferent gemeint und soll durchaus als eine Art evolutionärer Imperativ verstanden werden, so dass die Gattung ohne diese Ausrichtung unserer Bestrebungen zum Untergang verdammt wäre. Zugleich darf auch ein Verhalten, das die eigenen Interessen großherzig opfert, nicht als unmöglich angesehen werden, es ist bloß hoch unwahrscheinlich. Helden kann man nicht durchschnittlich erwarten. Bentham schreibt über diejenigen, die als Profiteure die Reform des englischen Rechts verhindern: "In the minds of the men here in question, indeed, but no otherwise than in those of all other men, with the exception of the heroic few, prevalence of self-regard over all other regards, and this on every occasion, is among the conditions of existence. Place all regard for the interest of A in the breast - not of A but of B, and so reciprocally, the species cannot continue in existence for a fortnight. True it is, that in this or that heroic breast, on this or that occasion, under the stimulus of some extraordinary excitement, social feeling, upon the scale of such an allembracing scale, may, here and there, be seen to tower above regard for self: but to no man can the not being a hero be matter of very severe reproach. When, therefore, as here, interest from the very first - interest real, or [...] imagined - has been made to clash with duty, sacrifice of duty is, with exceptions too rare to warrant any influence on practice, sure, and as such ought to be calculated upon, and taken for the ground of arrangement and proceeding, in all

äußeren Index her immer auch eine problematische Sache. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 47. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 2.

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Fundamente von Benthams politischem

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political arrangements. Men are the creatures of circumstances. Placed in the same circumstances, which of us all [...] can take upon himself to say or stand assured - that, in the same circumstances, his conduct would have been other or better than that which, on such irrefragable grounds, he is thus passing condemnation on, and complaining of?"86

Offensichtlich wirken die handlungsmotivierenden Umstände als Verstärker bestimmter natürlicher Anlagen in uns und es ist eine der zentralen Aufgaben einer utilitären Aufklärung, für den Handelnden Klarheit über die Bedeutung der Handlungssituation zu schaffen. Jedenfalls gibt es unter den Bedingungen der menschlichen Natur keine Möglichkeit, von der dominierenden Kraft selbstbezogener Interessen zu abstrahieren. Die beiden wesentlichen Gründe hierfür haben wir bereits berührt: es sind die Identität von Handlungs- und Erfahrungssubjekt in Hinsicht auf "pain" und "pleasure" 87 sowie die Tatsache, dass solange wir Hunger, Durst und sexuelle Bedürfnisse empfinden, wir gar nicht anders können als an uns selbst interessiert zu sein. 88 Die weiteren moral- und politiktheoretischen Folgerungen, die sich aus dieser Konzeption ergeben, werden wir diskutieren müssen, wenn es um das Verhältnis von Moral, Politik und dem größten Glück der größtmöglichen Zahl geht.

3.1.4.

Die Logik des Willens und die Außensteuerung des Handelns

Wenn wir Benthams Überlegungen folgen, so haben wir es also in Bezug auf menschliches Handeln mit einem Sonderfall von Bewegung zu tun, der von einem Handlungssubjekt ausgeht, das sich sozusagen in seiner Welt umschaut und dort versucht, seine natürlichen Handlungsimpulse so in Handeln umzusetzen, dass sein Wohlbefinden möglichst vergrößert und seine Leiden möglichst klein gehalten werden. Mit Bentham muss davon ausgegangen werden, dass der Erwerb von Wissen und die kluge Anwendung des Gewussten im individuellen und im kollektiven Maßstab letztlich ausschließlich der Erfüllung dieser Aufgabe dienen. Wenn wir aber glücklich leben wollen, so muss unser Handeln auf die möglichen Widerstände und unmittelbar auf uns zurückfallenden Folgen unseres Tuns Rücksicht nehmen können. Wir müssen prinzipiell in der Lage sein, mit Handlungsfolgen zu rechnen und aus vorherigen Handlungsergebnissen zu lernen. Das bedeutet zunächst, dass nicht nur unser Verstand eine gewisse Logik entwickeln muss, sondern auch unser Wille. Eine solche Logik ist bisher, so behauptet Bentham, nie expliziert worden, obwohl die Verstandeslogik überhaupt nur im Dienste der Willenslogik relevant für die menschliche Praxis wird und sie gleichzeitig eine emi-

Petition for Justice, Works, V, S. 506, (Hervorheb. - W.H.). Vgl. auch "Man is a compound of nature and situation." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 534. "[...] the most disinterested of men is not less under the dominion of interest than the most interested" A Table of the Springs of Action, S. 100. "Self-regarding predominate over social interests - undeniable while hunger, thirst and sexual appetite exist." Ebd., S. 50.

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und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen des Externalismus

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nente politische Bedeutung hat, da nur mit ihr menschliches Handeln gesteuert werden kann.89 Die Formen, in denen die jeweilige Finalursache Schmerzvermeidung oder Lustsuche zur Kausalursache wird, in denen also die uns umgebende Welt auf unsere Handlungen gleichsam antwortet, lassen sich nach Bentham auf vier verschiedene Quellen zurückfuhren, die wir alle mehr oder minder in unseren Handlungsplänen berücksichtigen. Diese "four sanctions or sources of pain and pleasure" unterscheiden sich nicht so sehr durch die jeweilige Art, wie sie uns empfinden lassen, sondern vielmehr durch die Autorenschaft der jeweiligen Handlungskonsequenz. Bentham nennt sie die "physical", "political", "moral or public" und "religious sanction". Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in der Lage sind, eine bestimmte Form des Handelns verbindlich für den Handelnden zu machen.90 In eine kantianische Terminologie übersetzt, haben wir es hier mit einer Analytik der hypothetischen Imperative zu tun. Auch wenn Bentham den Begriff der Strafe gern auf das Reaktionsinstrumentarium der politischen Sanktion beschränkt sehen möchte, so kann man doch sagen, dass alle der genannten Sanktionen ein bestimmtes Verhalten des Individuums erzwingen, wobei eine Nicht-Einhaltung der relevanten Regel eben mit Schmerz sanktioniert bzw. eine Regelbefolgung gegebenenfalls belohnt wird.91 Zunächst betrachten wir die vier äußeren Sanktionen, bevor wir kurz eine fünfte innere Sanktion, die "sympathetic sanction", beleuchten. Die physical sanction ist praktisch identisch mit der Wirkung der Naturgesetze. Sie funktioniert ohne den Einfluss eines menschlichen Willens, ist jedoch, was ihre Unausweichlichkeit betrifft, kaum übertreffbar.92 Wer sich nicht an bestimmte Regeln der Natur hält, der mag zwar, etwa bei unvorsichtigem Verhalten, gelegentlich Glück haben, jeder, der aber die Naturgesetze missachtet, der wird die Folgen eindeutig zu spüren bekommen. Einschränkend muss hier allerdings hinzugefugt werden, dass die Art, wie die Rückwirkung der Natur auf unser Handeln gedeutet wird, eindeutig vom zivilisatorisch verfügbaren Wissen der jeweiligen Zeit abhängt.93 Außerdem ist - das gilt bei allen Sanktionen - die Übertretung der Handlungsregel auch im Fall natürlicher Sanktionen durchaus denkbar, wenn etwa ein Individuum aus ideologisch-weltanschaulicher Verblendung "mit dem Kopf gegen eine Wand läuft".94 Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 8; Of Laws in General, S. 15, Fn. h. "There are four distinguishable sources from which pleasure and pain are in use to flow: considered separately, they may be termed the physical, the political, the moral, and the religious', and inasmuch as the pleasures and pains belonging to each of them are capable of giving a binding force to any law or rule of conduct, they may all of them be termed sanctions." Ebd., S. 34. Vom "punishment" durch alle vier der Sanktionen ist die Rede ebd., S. 36. "In the case of the physical sanction, the source or root of the pleasure or pain is in the preestablished nature of things." Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 290. Vgl. auch Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 252. Die Akkumulation von Wissen in einer Kultur macht mögliche Folgen besser voraussagbar und eingetretene Ereignisse bewertbar. Vgl. Deontology, S. 202. Das entspricht der weltanschaulichen Fehlkalkulation des Asketizismus, der faktisch bewirkt, dass gegen die Natur gehandelt wird. Vgl. Article on Utilitarianism, S. 314. In seiner Auseinandersetzung mit Blackstones Naturrechtsposition beruft sich Bentham nachdrücklich darauf, dass

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Fundamente von Benthams politischem

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Die political or legal sanction ist die auf den Willen des gesetzgebenden Souveräns rückflihrbare Sanktion, die meist über gerichtlichen Zwang ausgeübt wird, der aber die ganze Bandbreite politischer Reaktionen auf ein Handeln zur Verfugung stehen. Sie ist eindeutig das Ergebnis eines menschlichen Willens, wie abstrakt man diesen auch immer fassen mag. Sie ist unter den verbleibenden Sanktionen die zuverlässigste und wirkungsmächtigste, da sie auf das Gewaltmonopol des Staates zurückgreifen kann.95 Die moral or popular sanction definiert Bentham als all die Reaktionen, die unorganisiert und spontan aus unserer sozialen Umwelt auf unser Handeln erfolgen. Dabei dient das Attribut "popular" dem Hinweis darauf, dass die Quelle der Sanktion nicht die souveräne Gewalt darstellt, "moral" weist darauf hin, dass es sich bei den sanktionierten Regeln doch um verbindliche Normen handelt. Es versteht sich von selbst, dass die so oft von Bentham traktierte "public opinion" das zentrale Medium der Ausübung der "popular sanction" darstellt und man sich das Wirken dieser Sanktion als recht vielgestaltig vorstellen muss.96 Dazu gehört aber vor allem als positive Sanktion die Freude an einem guten Namen und der gute Wille der Menschen, die einen umgeben, wie als negative Sanktion ein schlechter Ruf und die Disposition der sozialen Umwelt missliebige Menschen zu meiden und ihnen wiederum nicht behilflich zu sein, weil sie selbst niemandem helfen. Die popular sanction ist so gesehen das späte und unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft reformulierte Echo der alten ethischen Überzeugung, dass ein schlechter Mensch wird kein gutes Leben fuhren können. Die letzte der äußeren Sanktionen, die Bentham auffuhrt, bringt ihn gelegentlich in die schwierige Situation, seinen Atheismus mehr oder weniger deutlich offenbaren zu müssen. Es handelt sich dabei um die religious sanction, die entweder in diesem oder einem zukünftigen Leben eine Belohnung oder Bestrafung in Aussicht stellt.97 Betrachtet man beispielsweise seine Behandlung des Eides,98 so wird sehr deutlich, dass er diese Sanktion für eine von der gesellschaftlichen Evolution überholte Vorstellung hält, da die Religion entweder im Utilitätskalkül aufgeht, dann ist sie vernünftig aber unnötig, oder aber gegen den Utilitarismus steht, dann ist sie bloß schädlich. Ganz generell billigt er der religiösen Sanktion, wenn sie sich nicht parasitär der weltlichen Macht be-

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man im Bereich des menschlichen Handelns keinesfalls Analogien zu naturgesetzlichen Phänomenen annehmen soll, da hier die Bindewirkung von "Regeln" immer eine offene ist. Diskutiert wird das erneut am Beispiel einer Uhr, die in beiden Fällen den "Naturgesetzen" gehorcht, egal ob sie richtig geht oder nicht. Das will sagen, dass Regelkonformität keinesfalls zur Existenzbedingung gemacht werden darf. Vgl. A Comment on the Commentaries, S. 276 und 285. Vgl. Logical Arrangements, Works, III, S. 290. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 35, vgl. Logical Arrangements, S. 290. Vgl. ebd., S. 37. Am Eid wird in den Works fast die ganze Religionskritik festgemacht, da Bowring die religionskritischen Schriften Benthams für die Werkausgabe unterdrückt hat. Vgl. Swear not at All, Works, V, passim. Da die Religion das "Auge der Erfahrung" schließt, macht sie über Autorität jeden Unsinn beweisbar, was allein schon der von Bentham polemisch dargestellte theologische Umgang mit der Bibel nachweist. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 109 f.

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dient," kaum eine positive handlungssteuernde Macht zu, wenn man einmal von den Fanatikern, die er gern zitiert, und den Priestern, die er als privilegierte und bezahlte Lügner bezeichnet,100 absieht. Alle diese vier Sanktionen variieren in der tatsächlichen Auswirkung auf die Handlungssteuerung je nach praktischer Situation erheblich.101 Prinzipiell aber gilt, dass sie alle insofern sie wirken wollen, die physical sanction als ihr eigentliches Instrumentarium haben. Nur über die reale oder erwartete Hervorbringung von "pain" und "pleasure" lässt sich ja, wie wir gesehen haben, das Handeln der Subjekte steuern. Uns interessiert aber unter dem Aspekt einer Steuerung des Handelns aus der Außenperspektive eine andere wesentliche Differenz der Sanktionen, die deutlicher wird, wenn man die fünfte Sanktion, die Bentham in der Introduction to the Principles of Morals and Legislation noch nicht nennt, berücksichtigt. Die sympathetic sanction als Quelle von Handlungsmotiven beschreibt er wie folgt: "Sympathetic sanction: the force of sympathy, acting in the character of a tutelary sanction, tending to the prevention of mediated mischief. [...] Few men can contemplate altogether without uneasiness - at any rate, if brought home in a close and particular manner to their perception or imagination - pain suffered or supposed to be suffered by a fellow creature: of such uneasiness the nominal seat is in the sympathetic affection, and the name of it, 'pain of sympathy'. In the idea of this pain is composed the force with which the sympathetic sanction tends on every occasion to restrain the person in question from engaging in any act the tendency of which appears to him to be the giving birth to the sense of pain in the breast of a fellow creature. If, as it is by supposition the case, where he has actually been the intended author of such pain, the act by which it has been produced has been performed, the force of this principle of restraint must have been overcome by the superior force of some motive or motives acting in

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Dann aber sind die popuplar sanction und die politcal sanction via Scham und weltlicher Strafe die eigentlichen Quellen der Sanktionierung. Vgl. View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 20. Methodisch wird diese Behauptung dadurch abgesichert, dass Bentham eine Übertragung des Verfahrens der Kraftmessung von der Physik in die Psychologie vorschlägt: die Kraft wird isoliert betrachtet und dann gemessen. Das Messergebnis fur die Religion fällt eher schwach aus. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 272. Vgl. Hume's Virtues, S. 357. Im Sinn seiner praxisrelevanten exegetischen Ethik hat Bentham versucht, ihre Funktionslogik am Beispiel der Zeugenaussage vor Gericht zu demonstrieren. Er zeigt, dass die Sicherung der Wahrheit einer Aussage auf die aus der "physical sanction" ableitbare natürliche Neigung zur Wahrheit (Lüge schafft einen Kraftaufwand gegen die Natur), die durch die "popular sanction" signalisierte Missbilligung der Lüge und die legal verankerte Bestrafung der Falschaussage aufbauen kann. Es steht aber außer Frage, dass aus den Sanktionen auch Kräfte in eine andere Richtung wirken können. Wenn man sich erinnern muss für die Aussage, so ist das auch ein Aufwand an Energie, dem die natürliche Trägheit (love of ease) entgegenwirkt. Es kann zu einem Schisma in der "public opinion" kommen, was denn die angemessene Wahrheit war und ob es richtig ist, sie jetzt zu sagen. Vgl. View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 18 f f , Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 256 ff. Es versteht sich, dass genau hier dann der Ort ist für eine Reflexion institutioneller Arrangements, die dazu beitragen, dass die Sanktionen in die richtige Richtung motivieren. Man muss die Dinge eben so ordnen ("so to order matters", wie Bentham immer wieder sagt), dass die "tutelary motives" über die "seductive motives" dominieren können.

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an opposite direction. But supposing no such counter-motive in operation, the restraint produced by the sanction here in question will always be an effective one."102

Bentham betont ausdrücklich, dass die sympathetic sanction kulturell variabel und stark vom Wachstum der Zivilisation abhängig ist, dass sie aber zu der fundamentalen natürlichen Ausstattung des Menschen gehört, also als Naturanlage gegeben ist und zugleich gefordert und entwickelt werden kann. Die wiedergegebene Textstelle zeigt aber auch, dass die Wirkungskraft der Sympathie durchaus - und man muss wohl hinzufügen sehr häufig von anderen Motiven blockiert oder überboten wird. Dies ist auch bei der grundlegenden Bedeutung der selbstinteressierten Motive für den Erhalt der Gattung und des Einzelwesens wenig überraschend. Außerdem bedarf auch die Sympathie dringend der Aufklärung, da sie aus der Perspektive des Utilitätsgrundsatzes häufig die Handlungen in eine falsche Richtung lenken kann. Diese Zusammenhänge weisen aber bereits auf die Bereiche von Moral und Politik voraus, die uns hier, was die Sanktionen betrifft, nur vorausschauend beschäftigen können. Für die exegetische Ethik, die Wissenschaft von den wahrscheinlichen Handlungen, ihre Beschreibung und Erklärung ergibt sich nun, was die Sanktionen betrifft, folgendes

Abbildung 1 : Klassifikation der Sanktionen des Glücks 102 103

Deontology, S. 201. Für diese Darstellung vgl. Deontology, S. 176 f. Das Problem eines Konfliktes zwischen den Sanktionen gehört, da hier prinzipiell zwei Lösungsmöglichkeiten gegeben sind, nur teilweise in die wertfreie Ethik. Wertfrei beschreibend wird das Ergebnis immer lauten: die stärkere Kraft setzt sich durch. Dabei bleibt es aber dann doch nicht bei Bentham. Vielmehr wird das "greatest happiness principle" als Entscheidungsregel relevant, wenn es innerhalb einer Sanktion oder zwischen ihnen widersprüchliche Handlungsanreize gibt. Das muss auch so sein, weil ja nur über die Entscheidungsregel gerechtfertigt werden kann, was für ein institutionelles Arrangement welche Sanktion stärken soll.

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Wir haben es mit verschiedenen Wirkkräften zu tun, von denen zumindest vier außerhalb des Individuums angesiedelt sind. Bei zumindest dreien spielt die reale oder im Fall von Strafe befürchtete bzw. im Fall von Belohnung erhoffte Beobachtung der Handlung durch dritte eine entscheidende Rolle. Damit die Politik, die öffentliche Meinung und Gott ein Handeln sanktionieren können, müssen sie in der Lage sein, dieses auch wahrzunehmen. Während die Natur sozusagen blind agiert, ist nur die Humanität, wie Bentham die Sympathie auch bezeichnet, 104 als einzige der menschlichen Sanktionen nicht hauptsächlich von einem Außen in ihrer Wirkung auf das handelnde Individuum abhängig. 105 Den offensichtlichen Vorteil der göttlichen Allwissenheit und Allgegenwart bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit, der eine Handlungsbeeinflussung auch dann ermöglichen könnte, wenn kein menschlicher Beobachter denkbar ist, erkennt Bentham an. Jedoch argumentiert er in An Analysis of the Influence of Natural Religion on the Temporal Happiness of Mankind, dass der fragliche handlungssteuernde Einfluss nur bei wirklich geheimen Taten greifen kann und daher eher marginal ist. Wenn man sich auf die übermenschliche Sanktion stützen muss, dann ist das ein Beweis dafür, dass die menschlichen Institutionen dringend verbessert werden sollten. 106 Statt eines Gottes, der alles sieht, genügen polizeiliche und juristische Institutionen, die die bürgerliche Gesellschaft schützen und das Verbrechen entdecken bzw. bestrafen. Dazu braucht es aber nicht Gott. Es genügt "the human eye", auch wenn manche Dinge sehr schwer beweisbar sind. Religion und Sympathie, die beide ohne einen menschlichen Beobachter auskommen, sind zudem auch noch in ihrer handlungsmotivierenden Kraft eher schwach. Daraus ergibt sich, dass die verbleibenden beiden menschlichen Sanktionen eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die politische und die moralisch-sittliche Sanktion lösen, wegen ihrer Abhängigkeit von Beweis und Beobachtung, eine ambivalente Haltung bei den Subjekten aus. Sie steuern das Handeln zwar in eine bestimmte Richtung, öffnen aber prinzipiell immer die Option, so zu handeln, dass es dem "public eye" verborgen bleibt. Eine nicht entdeckte Tat hat, sieht man von den Geboten der "selfregardingprudence" einmal ab, keine Konsequenzen für den Handelnden. Wer sein Tun also verbergen kann, der ist keiner direkten Steuerung durch die beiden einschlägigen Sanktionen ausgesetzt bzw. vermag sie zu täuschen. Bentham beschreibt den grundlegenden Mechanismus am Beispiel der popular sanction wie folgt:

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"[...] motive of humanity, sympathy, general benevolence (take which name you will) [...]." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 116. Sie braucht zumindest genauso wenig wie die religiöse für ihre aktuelle Wirkung die Beobachtung durch andere Menschen: "The force of the political and moral sanctions acts upon a man only upon the supposition of discovery. The force of humanity has this in common with that of the religious sanction, that the supposition of discovery is not necessary to the application of it; and besides the comparatively greater extent of its operation when contrasted with the religious sanction, the principle of humanity (whatever may be the force with which it acts,) is surer to be present to the mind." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 117. Das gilt allerdings nicht für die evolutionäre Genese der Sympathie aus der Klugheit. Vgl. An Analysis of the Influence of Natural Religion, S. 43.

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"Avoid vicious conduct - conduct prejudicial to the general interests of the community of which you are a member, yourself included; avoid vicious conduct, or the ill will and ill offices, of the community will attach upon you. Avoid vicious conduct in every shape, and in the several shapes of mendacity, and falsehood through culpable inattention, among the rest. Thus far we have the result of its action (der moral sanction - W.H.) on the side of virtue. But now comes its action on the side of vice. Whatsoever vicious conduct it has happened to you to fall into, conceal it at any rate from the public eye: for it is only in proportion as it falls within the compass of the knowledge or suspicion of the public, that the evil consequences held up to view will take place."107

Die Sanktion wäre so moralisch wirkungslos und man kann hier sehen, wie wichtig bestimmte institutionelle Ordnungen werden, wenn es nicht mehr bloß darum geht zu beschreiben, "what is most likely, to be done", sondern "what is most fit and proper".108 Hier gilt es erst einmal festzustellen, dass unabhängig davon, ob sich die öffentliche Meinung und die Politik in ihrer jeweiligen Handlungsbeurteilung auf dem Niveau der Gebote des Utilitätsprinzips befinden, für das schlichte Wirksamwerden beider Sanktionen, die Dinge so geordnet werden müssen, dass das Unsichtbare sichtbar gemacht wird. Genau darum bemüht sich Bentham nachdrücklich. Sehen und Sichtbarkeit genießen bei ihm auf Grund ihrer engen Beziehung zum Wissen und zur Erkenntnis einen eindeutigen anthropologisch reflektierten Vorrang. Nur, wer sieht und gesehen wird, der ist eigentlich ein Mitglied der Gesellschaft. Der Gesichtssinn ist das zentrale Organ unserer Weltorientierung. Für den hier in Rede stehenden Zusammenhang bedeutet das, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass alle relevanten Handlungen, und davon sind dann natürlich auch alle politischen Handlungen voll betroffen, einem regulativen Prinzip latenter Öffentlichkeit unterworfen werden.109 Ideal ist ein Zustand dann, wenn die Dinge so geordnet sind, dass man im Bedarfsfall in der Lage ist, vor dem Auge der Öffentlichkeit über die infrage stehende Aktion zu berichten und sie gleichsam sichtbar machen kann. Dies hat zwei Seiten: auf der einen stehen die tausend Augen einer Öffentlichkeit, die durch die bloße Beobachtung das Handeln der Individuen steuert,110 auf der anderen alle denkbaren Mechanismen der Informationsbeschaffung. Bentham betont nachdrücklich, dass unter den dargestellten Voraussetzungen auch Spionage, Informantentum und Denunziation durchaus nützliche Instrumente für die Wirksamkeit von öffentlicher Meinung und politischer Sanktion sein können. Diese Problematik wird bei der Behandlung der politischen und moralischen Bedeutung von Öffentlichkeit und Strafe erörtert werden müssen.

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Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 265. Ebd. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 27. So am Beispiel einer öffentlichen Zeugenvernehmung vor Gericht erläutert: "Environed as he sees himself by a thousand eyes, contradiction, should he hazard a false tale, will seem ready to rise up in opposition to it from a thousand mouths." Bentham's Draught for the Organization of Judical Establishments, Works, IV, S. 317.

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3.1.5.

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Beobachtung institutionalisiert: "Panoptizismus"

Wir haben schon mehrfach die Tatsache erwähnt, dass für Jeremy Bentham die Möglichkeit des Sehens bzw. Beobachtens und des Gesehen-Werdens bzw. BeobachtetWerdens eine entscheidende Rolle spielt. Durch sein ganzes Werk zieht sich eine Metaphorik des Auges und des Sehens, die eines eindeutig klar macht: Sehen und Sichtbarkeit sind für Bentham anthropologische Fundamentalphänomene,111 die unsere Weltorientierung ermöglichen und die Grundlage allen Wissens hergeben.112 Dieses Phänomen wird im nächsten Abschnitt behandelt werden. Sie sind aber zugleich entscheidende Mechanismen sozialer Kontrolle. Im vorhergehenden Abschnitt der Darstellung war deutlich geworden, wie sehr die Beobachtung als ein wesentliches Instrument sozialer Kontrolle und der Durchsetzung moralischer und politischer Regeln funktioniert. Nur wer etwas zu verbergen hat, der hat auch einen Grund, sich vor den anderen zu verstecken. In der Politik zumal ist die Bemühung um Geheimhaltung allein ein Indiz für bedenkliche Absichten und immer ein Grund für Misstrauen.113 Eine der wahrscheinlich berüchtigsten Arbeiten Benthams, die Texte zum "Panopticon" hat eine Reihe von Untersuchungen ausgelöst und wurde kontrovers diskutiert.114 111

Mehrfach ist die Rede vom "public eye", das verschleiert ist (On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 116), oder Gründe verlangt (Outline of a Plan of a General Register of Real Property, Works, V, S. 432), dem Bürger Schutz gegen Übergriffe der Regierung bietet (Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 370), die Korrupteure und Profiteure sind die, die sehen können, während die Bevölkerung blind für die Missstände ist (Petition for Justice, Works, V, S. 476). Ganz allgemein ist Sehen ein sichererer Sinn als Hören, wenn es um Evidenz geht: "[...] the sense of sight is a more correct judge than that of hearing." (Essay on Political Tactics, Works, II, S. 370). Visuelle Zeichen sind zudem eindeutiger (sic!!): "A speech requires attention and silence, but visible signs have a rapid and powerfuU operation: they speak the whole at once; they have only one meaning, which can not be equivocal; [...]." (Principles of Penal Law, Works, I, S. 370) Während politische Reden nur die Menschen erregen, hat das lesende Sehen den Vorteil einer ruhigen Informationsvermittlung (Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 466).

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Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch eine bewusste visuelle Täuschung, sozusagen eine ideologische Optik geben kann. Bentham diskutiert diese Problematik am Beispiel der "Zeichen der Würde", d.h. von monarchischen und aristokratischen Symbolen, die Herrschaft durch Blendung stabilisieren. Vgl. Bentham to His Fellow-Citizens of France, on Houses of Peers and Senates, Works, IV, S. 438. Diesem blendenden Glanz wird dann in bester Aufklärungsmanier das erhellende und nützliche Gaslicht der Straßenbeleuchtung gegenüber gestellt und es wird auf die vielen Menschen verwiesen, die hungern, während die Krone Steuergelder für die eigene prunkvolle Selbstdarstellung verschwendet. An diesem Beispiel lässt sich belegen, dass zumindest Bentham nicht, wie Bagehot das den "Nützlichkeitsaposteln" vorgeworfen hat, blind war für die Bedeutung der Symbole der Macht. Er lehnt sie bloß als Täuschung in diesem Fall ab. Für ihn kann es keine Trennung zwischen den "efficient" und den "dignified parts of the constitution" geben. Wenn ein "theatralischer Effekt" eingesetzt wird, dann nur fur das, was zugleich nützlich ist. Vgl Bagehot, Walter, The English Constitution, (1867), dt. Neuwied/Berlin 1971, S. 51 und 77.

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"For why should we hide ourselves if we do not dread being seen?" Essay on Political Tactics, Works, II, S. 310. Vgl. die umfassende Darstellung und Analyse von Janet Semple, Benthams's Prison, Oxford 1993, die den historischen Kontext und die systematische Dimension berücksichtigt, den Schwer-

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische Fundamente von Benthams politischem Denken

Will man die Panopticon-Schriften richtig gewichten, so wird man sicher zwei Ebenen unterscheiden müssen, nämlich eine kontextbedingte, 1 1 5 in der es Bentham nicht zuletzt um persönlichen Erfolg, Reputation und eine praktische Lebensaufgabe ging 1 1 6 und eine systematische, in der das Panopticon nicht mehr aber auch nicht weniger als ein elaborierter Kristallisationspunkt in seinen Überlegungen zur Bedeutung v o n Beobachten und Beobachtet-Werden ist. U n s interessiert ausschließlich der systematische Strang seiner Argumentation. D i e zentrale These der Panopticon-Schriften, die das All-vivifying-Prinzip 1 1 7 des Gefängnisses beschreibt, lautet: "No matter how different, or even opposite the purpose: whether it be that of punishing the incorrigible, guarding the insane, reforming the vicious, confining the suspected, employing the idle, maintaining the helpless, curing the sick, instructing the willing in any branch of industry, or training the rising race in the path of education, [...]. It is obvious that, in all these instances, the more constantly the persons to be inspected are under the eyes of the persons who should inspect them, the more perfectly will the purpose of the establishment have been attained. Ideal perfection, if that were the object, would require that each person should actually be in that predicament, during every instance of time. This being impossible, the next thing to be wished for is, that, at every instant, seeing reason to believe as much, and not being able to satisfy himself to the contrary, he should conceive himself to be so."118 D i e angeführten Institutionen sind damit allesamt "Beobachtungs-Institute", in denen sich diejenigen, die in ihnen verwahrt oder behandelt werden, nie sicher sein können, ob

punkt allerdings auf einer kontextualistisch-ideengeschichtlichen Einordnung hat. Semple zeigt, dass die Textgrundlage der Kritik an Bentham, also vor allem durch Foucault und seine Nachfolger, zu knapp ist. Vgl. Semple, Janet, Foucault and Bentham: A Defence of Panopticism, in: Utilitas 4/1, 1992, 105-120. Zur Bedeutung der Panopticon-Erfahrung einer blockierenden Bürokratie für Benthams weiteres Werk vgl. ebd., S. 221 ff. und Appendix, S. 324 ff. Zum administrativen Detail vgl. Hume, L.J., Bentham's Panopticon: An Administrative History I + II, in: Historical Studies (Melbourne) 15, S. 703-721 und 16, S. 36-54. Vgl. auch Foucault, Michel, Überwachen und Strafen (1975), Frankfurt am Main 1995, S. 251 fif. Foucault liefert eine beeindruckende Analyse der Machttechnik des Panoptizismus, die allerdings zu einseitig ist, da sie keine Verbesserung im Vergleich zu der bestehenden Strafpraxis sehen will. 115

Zum Kontext gehören: die von Howard in Gang gesetzte Gefängnisreformbewegung, das faktisch existierende System der Gefängnisschiffe und die Deportation nach Australien. Das spielt alles insofern eine erhebliche Rolle, wie Bentham sein Panopticon unter ökonomischen Gesichtspunkten und solchen der Strafeffizienz verteidigen muss und dabei dann verstärkt auf die Vorurteile der Zeit eingeht bzw. Kompromissbereitschaft signalisiert. Eines arbeitet er aber, je länger sein Plan verzögert wird, immer deutlicher heraus: das System der Deportation ist unmenschlich und ungerecht. Das Überleben des Sträflings während der Überfahrt und in der Strafkolonie wird ausschließlich dem Zufall überlassen. Seine Besserung ist ebenfalls kein erklärtes Ziel. Wo im Deportationssystem Schatten ist, da ist im Panopticon Licht - das Licht der öffentlichen Beobachtung. Vgl. Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 185.

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Bentham wollte mit seinem Bruder Samuel zusammen die Leitung des Panopticon übernehmen. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 92. Panopticon, Works, IV, S. 40.

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sie nicht wirklich beobachtet werden. 119 Für das Gefängnis gilt die besondere Verschärfung, dass der Aufseher sieht und selbst nicht gesehen werden kann. 120 Die Gefangenen können sich nur durch Zufall kurze Zeit dem Blick des Beobachters entziehen. 121 Bentham reflektiert eine Reihe von Vorkehrungen, die verhindern sollen, dass sich ein Sträfling vor der Beobachtung verbirgt und deutet bereits den Versuch, sich dem Blick zu entziehen, als Indiz für eine Regelübertretung. 122 Die scheinbare Allgegenwart des Aufsehers (apparent omnipresence) kombiniert mit hoch wahrscheinlicher wirklicher Anwesenheit (real presence) 123 verursacht beim Gefangenen die Internalisierung der Perspektive des Beobachters. Er befindet sich in einer extrem ausgelieferten Situation 124 und weiß, dass eine Regelübertretung oder ein unangemessenes Verhalten nie sicher sein kann vor Entdeckung: Der Argus des Panopticon schläft nie. 125 Er findet gar noch Hilfstruppen in den anderen Gefangenen, da Bentham das Inspektionsprinzip in einer Richtung dadurch radikalisiert, dass jeder Häftling jeden anderen beobachten muss. 126 All dies soll einem der zentralen Ziele der Inhaftierung dienen, der Besserung des Häftlings durch Arbeit und Unterweisung. Zugleich ist der Delinquent sicher verwahrt und, so diese Gefahr besteht, unfähig zur Durchführung weiterer Straftaten. Das dritte Ziel der Inhaftierung, die Abschreckung anderer potenzieller Übeltäter, wird durch andere optische Mittel unterstützt. Nur das Ziel der Schadenskompensation kommt ohne wesentliche visuelle Dimension aus. 127 Was nun die Besserung des Häftlings betrifft, so muss davon ausgegangen werden, dass der Übeltäter nicht als Wesen schlecht ist, sondern nur eine bestimmte unglückliche Konstellation seines Charakters, Bentham vergleicht sie gelegentlich mit einer Krankheit, 128 die das Vergehen ausgelöst hat. Wir haben es also im weitaus größten Fall der Häftlinge eigentlich mit großen Kindern (grown children) zu tun, nach denen man 119

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Bentham legt großen Wert darauf, dass die Erwartung des Beobachteten sich nur aus einer faktischen Beobachtung ergibt. Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 44. "The unbounded faculty of seeing without being seen, and that as well while moving to and fro, as while sitting and standing still: [...]" Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 80. Vgl. ebd., S. 88 f. Vgl. ebd., S. 81, Fn. Vgl. ebd., S. 71 ff. Sprachrohre sollen verhindern, dass Häftlinge sich in toten Winkeln des Gebäudes dem Blick entziehen. Vgl. ebd., S. 84. Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 45. Vgl. Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 139. Die Situationscodierung, die Bentham vornimmt, ist eindeutig: Aufseher unsichtbar (invisible) bewaffnet (armed) Gefangener dem Blick ausgesetzt (exposed) hilflos (defenceless) Vgl. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 81, Fn. Bentham nennt das "the law of mutual responsibility": "Either inform, or suffer as an accomplice. [...]." Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 164. Vgl. Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 174. Entscheidend dabei ist, dass sich nach Bentham eine Hierarchie der Strafziele ergibt. Da sich das abschreckende Beispiel an die ganze gefährdete Menschheit wendet, hat es eindeutig Vorrang. "Example" steht als Ziel über "reformation", "incapacitation" und sogar "compensation". Vgl. ebd., Fn. "[···] patients, in whose case the seat of disorder is in the mind." Ebd., S. 186, Fn.

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eben genauer "schauen" muss als nach wirklich erwachsenen Menschen.129 Daher muss auch immer berücksichtigt werden, dass Strafe zwar ein Leid zufügen soll, es aber entscheidend ist, dieses Leiden in Bezug auf die Strafziele richtig zu gewichten, da ein fühlendes Wesen ihr Objekt ist.130 Die Frage, die aber bisher offen blieb, und sich nach dem Ausgeführten geradezu aufdrängt, ist die nach der Art, wie denn die Besserung im Individuum bewirkt wird. Bentham setzt sein Modell eindeutig von den Formen der Inhaftierung ab, die sich primär auf den Körper richten. Er will uns ein Gefängnis vorstellen, in dem über eine architektonische Idee Einfluss auf die Seele des Häftlings genommen und zugleich dieser Einfluss ununterbrochen kontrolliert wird.131 Die Besserung des Gefängnisinsassen ist, sieht man von lebenslanger Inhaftierung, Deportation und Todesstrafe ab, letztlich die einzige Möglichkeit einer wirklichen Prävention weiterer Missetaten.132 Getreu der Grundannahmen von Benthams EXTERNALISMUS soll und kann die gesuchte Besserung immer nur eine primär äußere sein. Das Ergebnis ist eher ein konformer als ein wirklich besserer Mensch. Bentham überträgt seine These, dass es kein wirkliches Wissen von den inneren psychischen Prozessen in einem Menschen geben kann, wenn sie sich nicht in einer Handlung oder einem Verhalten manifestieren, auch auf seine Panopticon-Pläne. Er führt aus, dass es für die Besserung der Häftlinge lediglich zureichende Indizien geben könne: To reformation? [...] "What further proof would you whish for? What further proof can human eyes have of such a change, beyond quietness, silence and obedience?"133 So ist es unmöglich tatsächlich zu kontrollieren, ob sich die Insassen des Gefängnisses wirklich in ihrer freien Zeit durch Lesen gebildet haben. Es lässt sich aber sehr genau sehen, ob sie ihre Arbeit verrichtet haben.134 Bentham schlägt, eben weil man nicht in 129

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Vgl. ebd., S. 174. Eine nicht unerheblich Anzahl von Häftlingen unterscheiden sich daher auch von ihren früheren Nachbarn mehr durch Leiden als durch Schuld. Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 76. Vgl. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 121 f. Angesichts solcher Einsichten verwundert es immer wieder, dass Bentham, der ein helles, hygienisch modernes Gefängnis, mit vielen Fenstern, ausreichend Essen und ärztlicher Versorgung plant, gleichzeitig seine Insassen in einem Tretrad das benötigte Wasser in eine Zisterne pumpen lassen will und dies noch als nützliche Körperertüchtigung bezeichnet, oder sie gar nach der Freilassung zum Militär oder in eine Art Dauerleibeigenschaft drängen will. Letzteres hat allerdings mit dem Stand der zeitgenössischen Diskussion zu tun. Da die Deportation angesichts der Tatsache, dass die Verurteilten in der Regel einfach in Australien "vergessen" wurden, was die Wiederholungstäter betraf, fast genauso unschlagbar "effizient" wie die Todesstrafe war, geriet Bentham hier in Erklärungsnöte. "A new mode of obtaining power of mind over mind, in a quantity hitherto without example: and that to a degree equally without example, secured by whoever chooses to have it so, against abuse." Panopticon, Works, IV, S. 39. "For reformation indeed [...] I had strong means, and even physical means: but as to absolute incapacitation, incapacitation with regard to future mischief, physical means (I must acknowledge) fail me. It was on reformation (I must confess) I had placed my first reliance: first in order at any rate - and it was not a weak one." Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 194. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 73. Vgl. A View of the Hard-Labour Bill, Works, IV, S. 19.

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die menschliche Natur hineinschauen kann, vor, dass die Häftlinge eine leistungsbezogene Bezahlung für ihre Arbeit erhalten sollen sowie das Recht, einen Teil ihres Einkommens für Luxusgüter auszugeben. Ein solches Verfahren motiviert zur Tätigkeit und ist für alle Beteiligten ökonomisch effizient.135 Das sicherste Indiz für die gewünschte Besserung ist in jedem Fall die unter Aufsicht geleistete Arbeit: "[...] among working men, especially among working men whom the discipline of the house would so effectually keep from all kinds of mischief, I must confess I know of no test of reformation so plain or so sure as the improved quantity and value of their work."136

Arbeit und Beobachtung machen zusammen eine reformatorische Kraft aus und Bentham wehrt sich nachdrücklich dagegen, Gefangnisse als Orte der "Zwangsarbeit" oder Fron zu bezeichnen, weil damit die so positive Erfahrung der produktiven Arbeit abgewertet wird. Der Zwang zur Arbeit wird ebenfalls eher indirekt verwirklicht, da die Häftlinge nur mit dem Nötigsten versorgt werden und daher ein Motiv haben sollen durch Leistung ihre Situation zu verbessern.137 Sie lernen sozusagen unter Aufsicht das, was den guten Mitbürger ausmacht: Fleiß und Wohlverhalten. Dabei setzt das Panopticon nicht auf ein System der Entdeckung, sondern über den Mechanismus einer immer drohenden Entdeckung auf Prävention. Daher kann es, was die innere Ordnung des Gefängnisses betrifft, weit gehend auf ein Erforschen der Herzen der Häftlinge verzichten.138 Je perfekter die vom Beobachteten antizipierte Beobachtung ausfällt, und im Panopticon erreicht die visuelle Kontrolle ihr Maximum,139 desto wahrscheinlicher kommt eine Übernahme der Beobachtungsperspektive durch den Beobachteten zu Stande. Das ist der eigentliche Kern des Systems: Bentham geht davon aus, dass man Menschen nur lange genug der Beobachtung und damit dem visuellen Zwang aussetzen muss, damit sie dann das äußere Motiv zu einem inneren machen.140 135

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Vgl. ebd., S. 12 und 21. Ein Viertel des Arbeitsertrages geht an den Häftling, drei Viertel an das Managment des Panopticons. Aus dem, was der Inhaftierte erhält, wird ein Betrag für die Zeit nach der Entlassung gespart und nur der verbleibende Rest darf ausgegeben werden. Vgl. Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 203. Panopticon, Works, IV, S. 50. (Hervorheb. - W.H.) Das führt natürlich andererseits zu einer brutalen Klassifizierung der Häftlinge in die Gruppen der "guten Hände", der "fähigen Hände", der "versprechenden Hände" und der "Dronen", die man als Gewohnheitsverbrecher nicht durch Arbeit bessern kann. Vgl. ebd., S. 49. Zu Benthams hymnischem Lob der Arbeit vgl. Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 144. Zu der Vorstellung, dass die Häftlinge ihre Lage selbst verbessern können vgl. Panopticon, Works, IV, S. 56. "Detection is the object of the first: prevention, that of the latter. In the former case the ruling person is a spy; in the latter he is a monitor. The motive of the first was to spy into the secret recesses of the heart; the latter, confining its attention to overt acts, leaves thoughts and fancies to their proper ordinary, the court above." Panopticon, Works, IV, S. 66. Vgl. für die Einordnung der Beobachtungsintensität im Verhältnis zur Schule Chrestomathia, S. 108 ff. Weil es so funktioniert, eignet sich das Panopticon auch eher für die Beaufsichtigung von Arbeit, die nach Zeit und nicht nach Stückzahl bezahlt wird. Bei einem Stücklohn hat, so Benthams

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente

von Benthams politischem

Denken

"To apparent submissivness they will be forced; and after a time, from apparent submission, real will ensue. Men become at length what they are forced to seem to be: propensities suppressed are weakened and by a long-continued suppression killed." 141

Wir werden sehen, wie dieses Prinzip der Manipulation und Steuerung von Verhalten durch Sichtbarkeit und damit Kontrolle einen wesentlichen Einfluss auf Benthams Theorie der Politik und politischer Institutionen hat. Hier haben wir es zunächst einmal mit der Anwendung externalistischen Denkens auf die Individualperspektive zu tun. Es unterstellt dem Häftling ein ganz spezielles Kalkül und macht auf der Basis der entsprechenden anthropologischen Prämissen auch nicht vor den Aufsehern halt. Nicht nur die Häftlinge, auch die Beobachter der Häftlinge sind selbst einer kontinuierlichen Beobachtung ausgesetzt. Da das Panopticon ein ökonomisch selbstständiges Institut sein soll, denkt Bentham gar an zahlende Besucher, eine Öffentlichkeit, deren Motive für eine Gefängnisbesichtigung gleichgültig sind, so sie nur als anwesende Vertreter des public eye funktionieren. Es spielt keine Rolle, wie die Dispositionen der Akteure innerhalb der perfekten Beobachtungs-Institution aussehen. Selbst die Aufseher, die mit ihrer Familie in der Anstalt leben werden, beobachten sich wechselseitig und werden beobachtet.142 Auch sie geraten dadurch, allerdings auch noch durch handfeste ökonomische Mechanismen, unter den Zwang so zu sein oder zu werden, wie sie die Institution zu scheinen zwingt. Die Frage, wer die mächtigen Beobachter beobachtet,143 beantwortet das Panopticon mit der radikalen Öffnung der Anstalt für Besucher fast jeder Art. Letztlich bleibt nämlich bei jeder mehr oder weniger souveränen Gewalt über Menschen nur ein Prinzip für deren Begrenzung: das der radikalen Öffentlichkeit:144 "[...] 1 must not overlook, that system of inspection, which, however little heeded, will not be the less useful and efficacious: I mean, the part which individuals may be disposed to take in the business, without intending, perhaps, or even without thinking of, any other effects of their visits, than the gratification of their own particular curiosity. What the inspector's or keeper's family are with respect to him, that, and more, will these spontaneous visitors be to the superintendent, - assistants, deputies, in so far as he is faithful, witnesses and judges, should he ever be unfaithful, to his trust. So as they are but there, what the motives were that drew them thither is perfectly immaterial; [..,]" 145

141 142 143

144

145

Überzeugung, der Arbeiter ein natürliches Motiv, bei Stundenlohn kann Beobachtung das Fehlen eines natürlichen Profitinteresses über die Sanktionierung durch Entlassung ersetzen. Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 60. Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 140. "[...] as many inspectors, as the family consits of persons, [...]" Panopticon, Works, IV, S. 45. "It presents an answer, and that a satisfactory one, to one of the most puzzling questions - quis custodiet ipsos custodes?" Panopticon, Works, IV, S. 45. Die Antwort lautet: So wie die Häftlinge von den Aufsehern beobachtet werden, beobachten sich diese wechselseitig und werden von den Besuchern beobachtet. "Monarchy, with publicity and responsibility for its only checks: such is the best, or rather the only form of government for such an empire." Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 85. Panopticon, Works IV, S. 46. Andernorts werden die erwarteten Besucher mit denen von Wachsfigurenkabinetten und Tierkäfigen verglichen. Vgl. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 133.

Handlungsmechanik

und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen des Externalismus

97

Die optische Perfektion der Institution ist allerdings in diesen Arrangements der Beobachtung noch nicht voll ausgeschöpft. Das Panopticon erweist sich als gänzlich auf die visuelle Wahrnehmung aufgebaut, wenn Bentham die Frage diskutiert, ob denn solche Besucher nicht das Gefängnis zu einem modernen Pranger machen würden. Die Häftlinge werden menschlich entwürdigt, wenn man sie permanent einer neugierigen und schaulustigen Öffentlichkeit aussetzt. Dagegen wendet Bentham ein, dass das primäre Ziel der Strafe Abschreckung sei und der Häftling schon bei seinem Prozess öffentlich zur Schau gestellt wurde. Im Panopticon ist er dagegen nicht mehr allein der Gegenstand der Neugier, sondern lediglich als Teil einer Gruppe. Gleichwohl will Bentham in Abwägung aller Interessen den Gefangenen während des Kirchenbesuches erlauben, eine Maske zu tragen. 146 Interessant ist in diesem Kontext nicht die mehrfach geäußerte skurrile Idee der Maske, 147 die den Häftling als Individuum schützt und trotzdem die Abschreckung zulässt, sondern das, wofür in Benthams Augen diese Maske steht. Während er nämlich die symbolische Dimension der Monarchie scharf kritisiert hat, zeigt er sich gewillt, selbst aus den schlechtesten alten Institutionen der Strafe etwas zu lernen. Die Inquisition nämlich und die Star Chamber hätten gewusst, wie wichtig der "theatralische Effekt" der Strafe für die Abschreckung sei. Mit dem erzeugten Schein einer "serious masquerade" wird der Strafe nichts objektiv hinzugefügt, sie wird aber in ihrer abschreckenden Wirkung und, bei richtiger Anwendung der Rituale, auch in ihrer reformatorischen Wirkung verstärkt. Es geht darum, zum Auge derjenigen zu sprechen, die man von Übeltaten abhalten will: "lose no occasion of speaking to the eye."'48 Getreu diesem Motto, das sich darauf beruft, dass einfachere und ungebildete Menschen stark über ihre visuelle Wahrnehmung beeinflussbar sind, diskutiert Bentham eine Reihe von abschreckenden und belehrenden Symbolen für Strafinstitutionen, die von der möglichst düsteren Farbe der Gefängnisse bis hin zu Emblemen und Sinnsprüchen über den Eingängen reicht. 149 Auch die Aufnahmeprozedur für neu eingelieferte Häftlinge soll ganz rituell verlaufen, der Einkleidung eine gründliche Körperreinigung vorhergehen und ernste Musik den Delinquenten auf einen neuen Lebensabschnitt einstimmen. 150 Die sonst geschmähte Einbildungskraft der Menschen wird hier benutzt, damit äußere Motive eines gesetzeskonformen Handelns entstehen. Der Gesetzgeber muss auch ein Meister der visuellen Kommunikation sein:

146

147 148 149

150

Sonst brauchen sie nicht geschont werden, da sie die Besucher nur in der Kapelle sehen können und sonst nicht wissen, wer sie sieht: "This [...], is the only occasion on which their eyes will have to encounter the public eye. At all other times [...] there will be no consciousness of being seen, [...]." Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 79, Fn. Vgl. Principles of Penal Law, Works, I, S. 431. Panopticon, Postscript I, Works, IV, S. 80, Fn. Vgl. Principles of the Penal Law, Works, I, S. 431, View of the Hard-Labour Bill, Works, IV, S. 32. Auch hier wird sozusagen von Außen nach Innen gearbeitet, den Sinnen gepredigt, wie es heißt, wenn Bentham eine direkte Analogie von körperlicher und seelischer Sauberkeit aufbaut, dann aber feststellen muss: "Alas! were it but as easy to wash away moral as corporeal foulness!" Panopticon, Works, IV, S. 158.

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

"Preach to the eye, if you would preach with efficacy. But that organ, through the medium of the imagination, the judgement of the bulk of mankind may be led and moulded almost at pleasure. As puppets in the hand of the showman, so would men be in the hand of the legislator, who, to the science proper to his function, should add a well-informed attention to stage effects.'" 51

Der visuelle Diskurs der theatralischen Inszenierung soll für aufklärerische Zwecke und für die Vermeidung von Übeln eingesetzt werden, da sich viele Menschen eben noch in der "Kindheit der Vernunft" befinden. So verwendet bekommt der falsche Schein eine nützliche Wirkung. Bentham vergleicht ihn mit einer Waffe, die ein Mörder zu seiner Tat genauso benutzen kann, wie ein Angegriffener zur Selbstverteidigung. Wirkliche Humanität, so sein Schluss, lässt die Strafe möglichst groß scheinen, damit sie in der Realität nicht so hart auszufallen braucht und trotzdem ihren Zweck, die Abschreckung, erfüllt. 152 Damit ist zwar noch nicht jede Dimension der Indienstnahme des Sehens und Beobachtens im Panopticon von uns diskutiert, 153 die systematisch relevanten Aspekte konnten aber herausgearbeitet werden. Wir haben das Panopticon als eine Institution der Beobachtung kennen gelernt, deren leitender Grundsatz eine scheinbar universell nötige Kontrolle ist. Jeder - egal ob Gefängnisinsassen oder Aufseher - der in die Institution eintritt, wird einer rigorosen Dauerkontrolle unterworfen, die letztlich in der Präsenz des "public eye" ausläuft. Welche immense Bedeutung die Öffentlichkeit für Benthams Denken hat, wird uns bei der Rekonstruktion seiner Überlegungen zum institutionellen Arrangement von Politik noch ausführlich beschäftigen. Eines steht jedoch bereits hier, wo wir den Punkt der Begründung utilitärer Ordnung noch gar nicht wirklich erreicht haben, für die generelle anthropologische Tendenz fest: Die wesentliche Grundlage einer institutionellen Ordnung ist Misstrauen. Und genau diese Vermutung spricht Bentham deutlich aus: "The more confidence a man is likely to meet with, the less he is likely to deserve. Jealousy is the life and soul of government. Transparency of management is certainly an immense security; but even transparency is of no avail without eyes to look at."'54

Was also für die Häftlinge gilt, das gilt in anderer institutioneller Form auch für die Aufseher und den Gefangnisdirektor. Ziel der Beobachtung ist in allen ihren Anwen151 152

153

154

Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 321. "It is the real punishment which produces all the evil: it is the apparent punishment which produces all the good. [...] Humanity consists in the appearance of cruelty." Principles of the Penal Law, Works, I, S. 549. Für das Beispiel des Kerkers, den man so nennt, obwohl man solch ein unmenschliches Verließ (pestiferous abode) aus Vernunftgründen abschaffen muss vgl. View of the Hard-Labour Bill, Works, IV, S. 10. Beispielsweise überlegt Bentham, wie man die Sträflinge zeichnen bzw. markieren könnte, sodass sie bei einer immerhin denkbaren Flucht ohne Probleme wieder identifiziert werden können. Diese Überlegungen gehören in den Umkreis der Abschaffung der Ketten, denen von den Zeitgenossen mit Misstrauen begegnet wurde, was sie etwas verständlicher macht. Vgl. View of the HardLabour Bill, Works, IV, S. 20 f.; Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 156. Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 130. Vgl. auch View of the Hard-Labour Bill, Works, IV, S. 29.

Handlungsmechanik

und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen

des

Externalismus

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dungsfällen ein konformes Verhalten, da bei einer unterstellten Dominanz selbstsüchtiger Motive auf der Seite der Gefangnisverwaltung und bei einer bereits erwiesenen Abweichung vom gesellschaftlich erwünschten Verhalten bei den Häftlingen zunächst nicht mit einer angemessenen Disposition gerechnet werden kann. Das Panopticon ist also auch ein Beispiel für das so wichtige Prinzip der Verbindung von Pflicht und Interesse, das "duty and interest juncture principle", das wir ebenfalls noch genauer beleuchten werden müssen. Die angeführten Überlegungen zur Institution bauen allesamt auf der handlungstheoretischen Grundannahme auf, dass die eigentlichen inneren Beweggründe und Motive der Menschen nicht erkannt und auch nicht beobachtet werden können. Daher stellt das EXTERNALISTISCHE Modell "Panopticon" auf die äußere Perspektive um und erspart sich dadurch eine Erforschung der Herzen. Es ist bereits früher bemerkt worden, dass das Inspektions-Prinzip des Gefängnisses eine säkulare Variante der Allwissenheit und Unsichtbarkeit Gottes darstellt, die diese auf die Außenseite der weltlichen Handlungen und eine bloß noch extrem hohe Wahrscheinlichkeit von Wissen und Sehen reduziert.155 Der wesentliche Unterschied zwischen dem göttlichen Beobachter und dem beobachteten Beobachter Benthams ist jedoch, dass letzterem ein zentrales Erkenntnisinteresse fehlt. Er will und kann kein wirklicher Ergründer der Menschenherzen sein. Als Bentham, der ja auch in seinen Texten immer wieder darauf hinweist, dass das private Vertragsmanagement seines Gefängnisses ein Grundstein der Ökonomie des ganzen Plans sei,156 von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefragt wurde, ob denn nicht die Stellung der religiösen Bildung in seinem Plan zu schwach sei, man also den Priester neben den privaten Manager stellen sollte und ob denn sein Plan nicht dazu führe, dass der fleißige über dem wirklich reuigen Gefangenen stehe, war die Antwort: "I am no searcher of hearts."I57 Wir haben gesehen, dass dies nicht nur eine beliebige persönliche Disposition ist, sondern einer reflektierten handlungstheoretischen und anthropologischen Position entspringt. Man wird im direkten Anschluss an Bentham die These formulieren dürfen, dass der Verbrecher keineswegs im emphatischen Sinn "schlechter" ist als seine nicht straffällig gewordenen Mitmenschen. Er ist vielleicht schwächer oder dümmer, verfugt über weniger Hemmungen und stärkere Bedürfnisse. Man muss ihn irgendwie dahin bringen, dass er sich konform zu den vorgegebenen Spielregeln verhält. Mehr ist nicht möglich und aus Benthams Perspektive auch gar nicht erwünscht.

155

Himmelfarb, Gertrude, The Haunted House of Jeremy Bentham (1965), in: dies., Victorian Minds, London 1968, S. 32-81. Himmelfarb beschreibt zwar richtig, wie die göttlichen Attribute "Allwissenheit" und "Unsichtbarkeit" über Anspielungen auch im Panopticon eingeführt werden, sie übersieht aber, dass es sich beim Inspektionsprinzip argumentationslogisch darum handelt, dass die fehlende Allwissenheit eben gerade institutionell kompensiert werden muss. Nur weil wir nicht genug über menschliches Handeln wissen, darum müssen wir es beobachten.

156

Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 49 f. First Report, S. 78, zitiert nach Semple, Janet, Bentham's Prison, S. 269. (Hervorheb. - W.H.) Zum gleichen Topos vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 476, Fn.

157

100

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische Fundamente von Benthams politischem Denken

3.1.6.

Wissen: Beobachten, Erkennen und Sprechen

Bisher musste der Eindruck entstehen, dass bei einer starken Dominanz der Außensteuerung des individuellen Verhaltens und der Betonung einer absolut überragenden Bedeutung von Schmerz und Lust die intellektuelle Dimension im Denken Benthams keine oder doch eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Das ist so nicht der Fall. Wissen ist als nützliches Wissen unabdingbar nötig zur Erreichung des Glücks.158 Es ist gar die unverzichtbare Voraussetzung jeder auf Kalkülen aufruhenden Handlung.159 Besser wissen heißt, besser handeln.160 Ohne Wissen gibt es kein individuelles oder soziales Glück. Von seiner aufklärerischen Verbreitung verspricht sich Bentham gar die Konvergenz beider.161 Wir können andererseits auch gar nicht anders, als mit all unserem Denken und Tun auf unser Glück zu zielen. 162 Wenn "pains" und "pleasures" "interesting perceptions" sind, dann ist Wissen in Bezug auf einen handelnden Menschen die Gesamtmenge der ihm verfugbaren "interesting ideas": "In the first place may be reckoned the quantity and quality of the knowledge the person in question happens to possess: that is, of the ideas which he has actually in store, ready upon occasion to call to mind: meaning such ideas as are in some way or other of an interesting nature: that is, of a nature in some way or other to influence his happiness, or that of other men."163

Wissen ist Handlungswissen; wir haben die Dimension des Wissens, die sich aus einer Selbst- und Fremdbeobachtung von Handlungen ergibt, schon mehrfach im Kontext der Problematik effektiver Handlungsmotivation behandelt. Die verbleibende Wissensdimension ist die eines Wissens von den Fakten der uns umgebenden Welt, da wir etwa die Naturgesetze, die Konventionen des sozialen Handelns und die unter Strafe stehenden verbotenen Handlungen kennen müssen, wenn wir uns nicht einer Sanktionierung unseres Handelns durch die externen Sanktionen des Glücks aussetzen wollen. Daher ist auch alles Wissen bestimmbar. Es ist als ein Versuch anzusehen, über die Bedingungen 158

159 160 161

162

163

"Happiness, in almost all its points, is, in every individual, brutes scarcely excepted - the most brutish savages not excepted, more or less dependent upon knowledge; the word knowledge not beeing on this occasion confined in its application to the knowledge of those recondite facts which belong to the domain of science." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 264. Vgl. Principles of Penal Law, Works, I, S. 536. Vgl. Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 191. "The less instructed a man is, the more is he led to separate his interests from those of his fellows. The more enlightened he is, the more distinctly will he perceive the union of his personal with the general interest." Principles of Penal Law, Works, I, S. 537. Daher sollen auch Vergehen gegen die Verbreitung von Wissen bestraft werden. Bentham nennt sie "offences against the epistemothreptic trust". Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 262, Fn. r, von S. 260 fortlaufend. Allerdings ist Wissen gefährlich, wenn es sich bei einem politischen Funktionär akkumuliert (intellektual aptitude), dessen moralische Neigung (moral aptitude) gegen das Allgemeinwohl gerichtet ist. " [...] well-being, [...], is the subject of every thought, and object of every action, on the part of every known Being, who is, at the same time a sensitive and thinking Being." Essay on Nomenclature and Classification, S. 179. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 55.

Handlungsmechanik

und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen des Externalismus

101

des Handelns Evidenz zu erlangen. Das Universum des Wissens stellt ein Kontinuum dar, das von den einfachsten Ergebnissen tierischer und menschlicher Weltwahrnehmung und ihrer physio-neurologischen Verarbeitung bis zu den höchst komplizierten Modellen und Theorien reiner Wissenschaft und Kunst reicht. Da der Mensch ein besonders sich auf die Zukunft hin entwerfendes Lebewesen ist, was der Leitbegriff "expectation" bei Bentham immer wieder zum Ausdruck bringt, unterscheidet sich unser Wissen jedoch von einfachsten tierischen Formen dadurch, dass wir es mittels methodischer Regeln und ohne konkreten Handlungsanlass akkumulieren können.164 Das hat dann den wesentlichen Vorteil, dass wir nicht nur Opfer der Situation und Ereignisse sind, sondern auch planend in den Ablauf der Dinge eingreifen können.165 Gleichzeitig wird fehlendes Wissen ein verantwortbarer individueller Mangel. Bentham vertritt eindeutig die Position, dass Wissen nur aus Erfahrung, die er als Beobachtung näher bestimmt, gewonnen werden kann. Auch seine eigene oft exzessiv gehandhabte "exhaustive bifurcate method", die im immer weiteren Zergliedern von abstrakten Begriffen besteht, hat lediglich einen Sinn. Sie soll auf der Grundlage von Lockes Einsicht, dass es keine angeborenen Vorstellungen gibt, dazu beitragen, dass abstrakte Aussagen auf eine mögliche Erfahrung des Gemeinten heruntergebrochen werden können.166 Aus der reinen Beziehung von Worten zueinander, aus Deduktion oder aus reiner Logik, wie immer man die erfahrungsfreie Wissenschaft auch nennen will, gibt es kein Wissen, bestenfalls handelt es sich dabei um nutzlose Spekulation.167 164

"Not polished only, but even the most savage men - not human kind only, but even the brute creation, have their rules [...] of evidence. If all practice, much more must those comparatively narrow branches of it, which are comprehended under any such names as those of art and science, be grounded upon evidence. Questions in natural philosophy, questions in natural history, questions in technology in all its branches, questions in medicine, are all questions of evidence. When we use the words observation, experience, and experiment, what we mean is, facts observed, by ourselves or others, either as they arise spontaneously, or after the bodies in question have been put, [...], into a certain situation." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 208. 165 "With a good method, we go before events, instead of following them; we govern them, instead of being their sport." View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 205. Daraus ergibt sich dann aber die politische Aufgabe für die Bereitstellung von "facts and evidence" zu sorgen. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 509. 166

Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 158 f. Entstehen soll daraus dann ein "systematic table", der wie eine Landkarte fur das gesamte mögliche Wissen aussieht, ein Bild (sie!) vermittelt, auf dem es keine dunklen Punkte mehr gibt und das eine klare Überprüfung aller wissenschaftlichen Aussagen an der individuellen Erfahrung ermöglicht. Vgl. ebd., S. 213 ff. Das Bild der Landkarte spielt auch andernorts, wenn es um die Registrierung allen Grundbesitzes in Registern geht, eine erkenntnistheoretisch interessante Rolle. Die Karte wird von Bentham nämlich als ein "archimedisches" Phänomen beschrieben, da es Übersicht gewährt und Klarheit fur das Handeln und Leben schafft. Vgl. Outline of a Plan of a General Register of Real Property, Works, V, S. 430. Im Fragment on Government zeigt sie beides: das, was ist und das, was im Recht und in der Politik noch geschehen soll. Das Bild macht das Anwesende und das Abwesende sichtbar. Vgl. ebd., S. 27.

167

Nützliches Wissen wird natürlich in der Chrestomatic School gelehrt. Zu den Unterrichtsgegenständen zählen beispielsweise "Zoohygiantics" und "Phthisozoics", also Tierpflege und Ungeziefervernichtung. Vgl. Chrestomathia, S. 79 f.

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

Letztlich kann nur eine Aussage über eine individuelle Beobachtung wahr sein. Bereits die auf ihr aufbauende induktive Verallgemeinerung bewegt sich im Reich der Fiktionen. 168 Benthams erkenntnistheoretisches Credo lautet: "Experience, observation, experiment: in these three words may be seen the source of all our knowledge. Of these, experience is without effect; any farther than as it has had observation for its accompaniment; and in the very idea of experiment, that of observation is included. Upon observation therefore it is - upon observation, that is upon attention applied to the subject with effect - that everything depends."169

Weil Experiment und Erfahrung letztlich im unversaleren Modus der Beobachtung gründen und weil sich aus ethischen Erwägungen Experimente in den Humanwissenschaften verbieten, wird bei Bentham aus Bacons Schlachtruf "Fiat experimentum" ein "Fiat observatio!".110 Wenn also von der Erfahrung als der Quelle allen Wissens die Rede ist, dann bedeutet das immer auch, dass dieses Wissen in der Beobachtung wurzelt. Außerdem zieht Bentham den Schluss, dass, da die Erfahrung immer weiter fortgeht, altes Wissen allein wegen seines Alters, selbst wenn es von namhaften Autoren stammt, problematisch sein muss, da es, so es kanonisiert wurde, die seither gemachten neuen Erfahrungen ausschließt. Dies gilt im Recht, wie auch in der Wissenschaft. 171 Was nun die Qualität unseres Wissen betrifft, so befinden wir uns in der Situation, dass wir dringlichst Gewissheit benötigen, wir uns aber zugleich in einer permanenten Irrtumsgefahr befinden. Wenn nämlich nur die momentane Beobachtung eines Ereignisses wirkliche Evidenz bedeutet, dann sind wir in allen denkbaren Bereichen, sei es vor Gericht, sei es in der Wissenschaft, sei es im Alltag, einerseits auf der dauernden Suche nach "evidence that can not lie", 172 können uns andererseits aber bereits bei der Übertragung einer Ereigniserwartung in vergleichbaren Fällen immer täuschen. Verschärft wird dieses Problem noch dadurch, dass wir unmöglich alle für unser Handeln relevanten Erfahrungen selbst machen können, wir also zwangsläufig auf die Aussagen anderer Menschen verwiesen werden. Wenn wir uns nun verdeutlichen, wie Bentham

168 "Yes upon observation made of individual perceptions, and upon the correctness with which it has been made, and the judgement grounded on it deduced, will depend, in every instance, the truth of whatsoever propositions of a general nature can, upon that part of the field of thought and action, to which these same individual perceptions and judgements appertain, be framed and delivered. By general words, a truth, in so far as ascertained by individual observation, may indeed be expressed: but it is not by stringing together general words, be they what they may, or in what number they may, that truth can be proved: [...]. [...] truth depends upon individual observation [...]. The case is - that all perceptions are not only particular but individual. In so far as it goes beyond actually existing individuals on which the actual observation has been made, every general proposition, [...], - is still but a figment - the mere figment of the imagination. [...] In observation and experiment - observation and experiment having for their subjects individual objects in these are the only original, and in case of dispute and doubt, the only definitive tests to be found." Ebd., S. 237 f., Fn. b. 169 170 171 172

Chrestomathia, S. 62. Vgl. Article on Utilitarianism, S. 295. Vgl. auch ebd., S. 285. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification S. 159 f. und 242. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 74.

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und Handlungsbeobachtung

als Grundlagen

des

Externalismus

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die hier angesprochenen Problemzusammenhänge deutet, dann befinden wir uns bereits an einer systematischen Übergangsstelle, wo Handeln und Beobachten in Kommunikation übergehen. Bentham weist darauf hin, dass wir zwar absolute Sicherheit suchen, dass es aber in der Natur der Dinge liegt, dass diese für uns eigentlich unerreichbar ist. Allein praktische Sicherheit, die für unser Handeln hinreicht, ist uns möglich. 173 Dies gilt sogar für den Bereich, den wir am leichtesten und ohne die Notwendigkeit der Introspektion erfahren können, den der natürlichen Gesetze. Auch hier gibt es keine absolute Gewissheit. Bentham möchte das Wort "unmöglich" aus dem Wortschatz wissenschaftlicher Beschreibung am liebsten ganz tilgen, da in ihm nicht mehr klar ist, dass alle unsere Aussagen über die Realität nur Ausdruck unserer Überzeugungen sind. Wer aber von Unmöglichem spricht erhebt verdeckt einen Allwissenheitsanspruch, der gar in Erfahrungsverweigerung münden kann. Auch Aussagen über die Unwahrscheinlichkeit eines Ereignisses dürfen keinesfalls so verstanden werden, dass sie eine reale Entsprechung in der Wirklichkeit haben. Sie bedeuten nicht mehr und nicht weniger als fiktive Relationen und geben den Grad der Überzeugung des sprechenden Individuums wieder. 174 Wissen wird so verstanden zu einer auf Fakten aufruhenden intersubjektiven Relation von Überzeugungen unterschiedlicher Stärke. 175 Jeder assertorische Satz, und nach Bentham ist jeder denkbare Satz assertorisch, 176 ist einerseits eine subjektive Behauptung und zugleich offen, hin zu einer möglichen Bestätigung oder Widerlegung in der Erfahrung. Dies gilt primär für Aussagen über die physikalische Welt, kann aber auch problemlos auf die Humanwissenschaften übertragen werden. Was wir über die Natur und ihre Gesetze wissen können, ist nicht mehr und nicht weniger als die gut bestätigte Regelmäßigkeit bestimmter Kausalbeziehungen. Die "Naturgesetze" sind "[...] the established and known order of things [...] which have been deduced from the general observation of mankind [,..]."177 Da all diese "general observation of mankind" abhängig ist von der historischen Weiterentwicklung und Akkumulation von Erfahrung, variiert das Wissen von ihnen mit dem Grad der gesellschaftli-

173

"Certainty, absolute certainty, is a satisfaction which on every ground of inquiry we are continually grasping at, but which the inexorable nature of things has placed for ever out of our reach. Practical certainty, a degree o f assurance sufficient for practice, is a blessing, the attainment of which, as often as it lies in our way to attain it, may be sufficient to console us under the want of any such superfluous and unattainable acquisitions." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 105.

174

"[...] - a quality, having nothing of reality connected with it, but the persuasion - [...] - the persuasion as it has place in the mind of him, by whom [...] the fictitious quality in question is thus attributed to, and spoken of as if it were a quality of, the fact itself." View o f the Rationale of Evidence , Works, VI, S. 46.

175

"Knowledge, [...] in some circumstances expresses that highest degree of persuasion as existing in two different minds at a time." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 230. "[...] all discourse, interrogation not excepted, is in one shape or other assertion, [...]." Ebd., S. 242. View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 153.

176

177

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische Fundamente von Benthams politischem Denken

chen und kulturellen Entwicklung. 1 7 8 Man darf aber auch bei einer weit entwickelten Naturwissenschaft und bei all ihren Erfolgen nicht vergessen, dass die Rede von den "Naturgesetzen" letztlich immer metaphorisch bleibt. 179 Bentham versäumt nicht darauf hinzuweisen, dass eine solche Haltung zwei wesentliche Folgen hat. Einmal ist sie prinzipiell erfahrungsoffen. Er geht zwar davon aus, dass die wesentlichen Naturkräfte bereits entdeckt sind, will aber nicht ausschließen, dass noch neue entdeckt werden, so dass bisher unwahrscheinliche Fakten möglich werden können. In der Vergangenheit, so sein Beispiel, gab es auch kein Wissen v o n der Dampfkraft und der Elektrizität. 180 Die zweite Folge besteht darin, dass eine Täuschung unseres Wissens immer möglich bleibt, dass es aber gleichzeitig für eine vernünftige Praxis hinreichend sicher ist. Wenn wir uns, was die uns umgebende Natur betrifft, an der "established and known order of things", und w a s das menschliche Handeln betrifft, an "the known order o f human conduct" orientieren, dann reduziert sich die Irrtumsgefahr auf ein erträgliches Minimum, w e n n auch, was menschliches Handeln betrifft, ein erhebliches Restrisiko bleibt. 181 Was mit der Erfahrungsoffenheit und bloßen praktischen Gewissheit unseres Wissens ausgeschlossen ist, ist jede Art v o n Wissen, wie es die Religionen anbieten. Zwar erhebt all unser Wissen und alle Wahrheit beanspruchende Rede zunächst nur einen subjektiven Anspruch auf Wahrheitsgeltung, sie können aber prinzipiell an der Erfahrung überprüft werden. D i e s gilt selbst, w i e wir im nächsten Abschnitt sehen werden, 178

179

180

lei

Was diese Tatsache betrifft, so gilt ontogenetisch und phylogenetisch: "In effect remote times are virtually present to us in remote places." und "In this respect, all nations as well as all men are children for a time." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 90 und 92. "The expression law of nature is figurative, metaphorical: it is a metaphor taken from the use given to the same word law, in the case of a political law: it is to that source, consequently, that we must resort for an explanation of it. [...] In regard to events of a physical nature, the grand and constant object of curiosity and inquiry, is that which respects the cause: and on a subject so interesting, when men cannot come at facts, rather than have nothing, they are eager to catch at, and content themselves with, words. Between this and that group of facts, a certain conformity is observed: what is the cause of that conformity? becomes then the question. Cause of the conformity? - none at all: the conformity is itself nothing: it is nothing but a word expressive of the state our minds are put into by the contemplation of those facts. There are the facts: they do exist: but the conformity, as taken for a fact distinct from the fact themselves, has no existence. Like so many other truths, this being no more than a confession of ignorance - and that invincible ignorance - is not satisfactory to the human mind. Nothing but words being on this occasion to be had - words, the counterfeit representatives of facts, - them men are determined to have, rather than have nothing." Rationale of Judicial Evidence, Works VII, S. 83, Fn. Überhaupt muss man sich aus ideologischen Gründen vor jeder Rede hüten, die die "Natur" personifiziert. Die Natur ist eine "fictitious personage" und es gilt, dass immer dann, wenn sie als Akteur auftritt, meist der Autor sich hinter ihr versteckt. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 268, Fn. a fortlaufend. Die Erkenntnis, dass Naturgesetze metaphorische Projektionen menschlicher Gesetze darstellen, fügt sich in Benthams allgemeine Strategie, die den Bereich des positiven Rechts und der faktischen Existenz des Politischen als den erfahrbaren Normalzustand begreift und von dort aus vorrechtliche und vorpolitische Zustände rekonstruiert. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 85 f. Yg] ebd., S. 98. Unter diesen Voraussetzungen macht es Sinn, von unwahrscheinlichen Ereignissen zu reden.

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als Grundlagen des Externalismus

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für die abstraktesten Fiktionen des Rechts, denen eigentlich keine erfahrbare Realität korreliert. Das religiöse Wissen, das in bestimmten Konstellationen das Gesicht der Natur nur durch die Auslegung geheiligter Texte sehen lässt, ist einer Überprüfung durch Erfahrung nicht fähig. Es arbeitet daher auch genau in die entgegengesetzte Richtung, wie es die Aufklärung tut und eignet sich hervorragend zur Abstützung von sonst nicht begründbaren Machtansprüchen.182 Religion, so Bentham, ist das Musterbeispiel für die Erhebung von Wahrheits- und Machtansprüchen, die sich per Definition einer Überprüfung an der Erfahrung entziehen. Indem nämlich Religionen den Erfahrungsgrund für das von ihnen behauptete Wissen auf die Zeit nach unserem Ableben verlegen und die prinzipielle Unerkennbarkeit eines allmächtigen Gottes behaupten, erhöhen sie genau die Unsicherheit, die für Zustände des mangelnden Wissens in Bezug auf die Zukunft geradezu typisch ist und die zwangsläufig in Furcht mündet.183 Ein nicht erkennbarer allmächtiger Gott, der dann noch gar in den Ablauf der Dinge eingreift, ist das Musterbeispiel für die Abdankung aller Erfahrung, die in der Übertragung gemachter Beobachtungen auf den neu eintretenden Fall besteht und lässt sich mit einer Krankheit vergleichen:184 "Our persuasion, therefore, of God cannot be founded upon experience. The very basis, therefore, of natural religion is an article of extra-experimental belief, or of belief altogether unconformable to experience. It has a tendency, thus in the very outset, to introduce that mental depravation which we have demonstrated to be the inevitable result of this species of belief. [...] mark the farther consequences: You dethrone and cancel the authority of experience in every instance whatever; and thus place yourself out of condition to prove any one fact, or to disprove any other." 185

Hat sich aber das Auge der Erfahrung einmal geschlossen, dann kann sich "the disease of extra-experimental persuasion" in allen denkbaren Bereiche verbreiten. Sie führt dazu, dass wir gegen die Erfahrung glauben, was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als "to throw off the character of rational beings, and in cold blood to resolve to act the part of a madman."186 Die Folgen sind unabsehbar und werden uns in Bezug auf eine 182

183 184

185 186

Vgl. Crimmins, James E., Secular Utilitarianism, Oxford 1990, S. 14 f. und 207 ff. Crimmins zeigt, dass die Religionskritik Benthams nicht eine bloße Funktion seines politischen Radikalismus ist, sondern sehr eng mit seiner Theorie des Wissens verbunden ist. Vgl. auch ders., Bentham's Metaphysics and the Science of Divinity, in: Harvard Theological Review 79/1986, S. 387-411. Vgl. An Analysis of the Influence of Natural Religion, S. 5. Damit wir überhaupt etwas wissen können, müssen wir nämlich eine großzügige Unterstellung machen: "To complete the proof, two things are requisite; the previous lessons of experience, and the applicability of these lessons to the present case. But no such application can take place unless the course of nature remains the same as it was before. A gratuitous assumption must therefore be made, that the course of nature continues inviolate and uniform." Ebd., S. 99. Ebd., S. 96 f. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 241. Allerdings kommt es in der letzten Konsequenz selten dazu, dass den religiösen Grundsätzen im Alltag wirklich Folge geleistet wird. Schließlich, so Bentham, beten die Christen zwar zu Gott um ihr tägliches Brot, die meisten verlassen sich dann aber doch nicht auf Gottes Hilfe, sondern gehen ihrer Arbeit nach, die sie ernährt. Vgl. An Analysis of the Influence of Natural Religion, S. 108.

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

aufgeklärte politische Öffentlichkeit noch beschäftigen müssen. Für Bentham jedenfalls ist die Aufspaltung der Realität in eine erfahrbare diesseitige und eine nicht erfahrbare jenseitige ein Vergehen, dessen Schwere allein dadurch ins Monströse wächst, dass es die Menschheit in verschiedenste Kirchen und Sekten mit absoluten Ansprüchen aufgespaltet und ein hervorragendes Herrschaftsmittel abgegeben hat. 187 Menschen machen sich Götter, um Gründe dafür zu haben, dass sie sich bekämpfen. 188 Jedenfalls muss man einem Menschen, der an die Drei-Einigkeit einer Person glaubt, da er der Vernunft abgeschworen hat, fast alles zutrauen. 189 Gegen eine solche Verdoppelung der Realität stellt Bentham sein Ideal der Erkenntnis, das uns noch kurz beschäftigen muss, da es uns recht nahe an den Bereich seiner Überlegungen zur Bedeutung von Kommunikation heranführt. Wir haben bereits kurz die Tatsache berührt, dass wir unmöglich als einzelnes Individuum alle für unser Leben relevanten Erfahrungen selbst machen können. Vielmehr sind wir immer darauf angewiesen, dass uns via Kommunikation Erfahrungen anderer vermittelt werden, die wir dann selbst gegen unsere eigenen Erfahrungen und Beobachtungen halten können, um ihnen zu glauben oder aber um sie in Zweifel zu ziehen. Wie nun aber muss man sich den Weg von der Erfahrung zur Kommunikation vorstellen, wenn doch das Maß aller Dinge immer partikularisierte und individualisierte Beobachtungen sind. Und in der Tat ist für Bentham das Standardmaß eines glaubwürdigen Satzes die Aussage eines AugenZeugen, der eine plausible Faktenrelation behauptet. 190 Sie kann so kommuniziert werden: "From the material physical objects in question, came the appearances, evanescent or permanent, issuing from those material objects: from those appearances, presenting themselves through the medium of sense to the minds of the several percipient witnesses in question, came the feelings of the nature of belief, in the minds of those several witnesses: in the minds again of those witnesses, by the agency of this or that motive, were produced the exertions by which the discourses assertive of the existence of those several objects were conveyed to me: by those assertions, thus conveyed to my mind, was produced on each occasion, in the interior of my mind, a correspondent feeling of belief. By the recollection, more or less distinct and particular, or rather by an extremely rapid and consequently indistinct and general recollection of the aggregate of those feelings, or rather of an extremely minute part of them [...] was produced the belief which my mind entertains at present, affirmative of the existence of the facts contained in the particular statement delivered to me by the particular individual whose testimony is now in question.191

Eine weitere Ursache fur die Akzeptanz der Wahrheitsgeltung eines Satzes, als sie diese assoziationspsychologische Rekonstruktion aufweist, kann es nicht geben. Kommuniziert wird also eine subjektiv perzipierte Relation, die einen Überzeugungszustand aus187 188 189 190

191

Vgl. An Analysis of the Influence of Natural Religion, S. 136. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 311. Vgl. Deontology, S. 217. Exemplifiziert am Gerichtsbeweis, kann dieses "standard lot of evidence" problemlos auf Benthams Erkenntnistheorie übertragen werden. Vgl. View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 14. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 238 f.

Handlungsmechanik und Handlungsbeobachtung

107

als Grundlagen des Externalismus

löst, der wiederum jederzeit an der Realität überprüft werden kann. Das ist allerdings der Idealfall, da menschliche Kommunikation ein weitaus komplizierteres Phänomen darstellt. Abschließend ergibt sich dazu folgendes Bild:

materielles Objekt

Erscheinungen Betrachter

j ι materielles Objekt

Sinneswahrnehmung Erscheinungen

I Glauben

:

ι

materielles Objekt

motivierte Erscheinungen

\\

Kommunikation

assertorischer Satz

vergangene Wahrnehmungen Hörer Erinnerung

I Glauben

A b b i l d u n g 2: Kommunikation und Glauben

/

108

Handeln, Sehen, Sprechen:

anthropologische

Fundamente

von Benthams politischem

Denken

3.2. Im Sprachgewirr Es gibt kaum einen Text Jeremy Benthams, in dem er nicht auch Stellung zum Problemkreis menschlicher Kommunikation bezieht. Sprache ist fur ihn offensichtlich ein so zentrales Problem, dass er im Anschluss an verschiedenste moral- und politiktheoretische Problemstellungen, aber auch bei ganz konkreten politischen und juristischen Reformdiskussionen, immer wieder darüber reflektiert. Sie scheint erkenntnistheoretisch, aber auch was das konkrete politische Handeln betrifft, von einer so außerordentlichen Bedeutung zu sein, dass es unabdingbar ist, sie grundlegend zu verbessern und besonders in politischen und juristischen Kontexten auf den eigenen Sprachgebrauch zu achten. Argumentiert man zunächst einmal werkgenetisch, so steht fur Bentham offenbar am Beginn seiner Reflexionen über Sprache die direkte und polemische Auseinandersetzung mit dem Werk William Blackstones, die ihn zeitlebens begleitet hat, auch wenn sie immer weiter in den Hintergrund getreten ist.1 Anlass der Sprachkritik in diesem Kontext ist zunächst die Erkenntnis, dass die von Blackstone verwendete juristische Fachsprache von unklaren Ausdrücken und Wortverwendungen durchsetzt ist.2 Daraus ergibt sich sehr früh die Überzeugung, dass dieser unklare und mit keiner erfahrbaren Realität korrelierende Wortgebrauch vor allem eine ideologische Dimension hat. Die Juristen machen sich eine eigene Rechtssprache, damit sie die wahren Herrn des Rechts bleiben können und dann über die Auslegung der unverständlich formulierten Gesetze und Regeln des "common law" letztendlich sogar zu den eigentlichen Gesetzgebern werden. Es gilt, diese Taktik zu durchschauen und dann später eine ähnliche Logik in der politischen Rhetorik der herrschenden Eliten zu entdecken. Die ideologisch verwendeten juristischen Fiktionen sind so gesehen die älteren Schwestern der politischen "fallacies" im Handbook of Political Fallacies. Für Bentham bleibt es aber nicht bei dieser werkgenetischen Dimension der Behandlung des Sprachproblems. 3 Über die rein ideologische Indienstnahme der Sprache hinaus drängt sich ihm vielmehr die Frage nach ihrer allgemeinen Bedeutung im Prozess 1 2

3

Vgl. Burns, J.H., Bentham and Blackstone: a Lifetime Dialectic, in: Utilitas, 1989 I/I, S. 22-41. Daher ist in vielen Werken jeder inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Gegnern eine Suche nach den möglichen Bedeutungen des Gesagten vorgeschaltet. Der Befund ist unterschiedlich, die Bedeutungsrekonstruktion oft polemisch. Die Ergebnisse reichen von der Feststellung des bloßen Unsinns bis zur Diagnose, dass der "Pesthauch der Fiktionen" im englischen Recht alles vergiftet habe, was auch nur in die Nähe der Infektionsquelle gelangt sei. Vgl. Fragment on Government, S. 21, Fn. r. Das Fazit am Ende einer Schlacht im Krieg der Worte lautet: "I now put an end to the tedious and intricate war of words [...]: a logomachie, wearisome enough, perhaps, and insipid to the reader, but beyond description laborious and irksome to the writer. What remedy? Had there been sense, I would have attached myself to the sense: finding nothing but words; to the words I was to attach myself, or to nothing. Had the doctrine been but false, [...]: but it was what is worse, unmeaning, and thence it came to require all these pains which I have been here bestowing on it: [...]." Ebd., S. 113. Vgl. Champs, Emanuelle de, The Place of Jeremy Bentham's Theory of Fictions in EighteenthCentury Linguistic Thought, http://www.ucl.ak.uk/Bentham-Project/dechamp.htm, 1/14/99, 13:35.

Im

Sprachgewirr

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des Wissenserwerbes und der Aufklärung auf. Da unser Wissen zu einem hohen Anteil in der Lebenswelt aber auch insbesondere in der Politik durch Kommunikation vermittelt ist, muss man davon ausgehen, dass all unser Tun von Sprache durchwoben ist. Das heißt aber, dass Sprache in gewisser Hinsicht die Herrin des Handelns ist.4 Außerdem muss der Frage nachgegangen werden, ob und wie die oben angedeuteten ideologischen Mechanismen eine Wurzel in dem so nötigen aber doch defizienten Medium menschlicher Kommunikation haben. Bentham nämlich ist der festen Überzeugung, dass eine Reinigung und Besserung der Sprache, die nun einmal unser wichtigstes, wenn auch ambivalentes Instrument der Kommunikation darstellt, zwangsläufig zur Harmonie unter den Menschen und zu einem beschleunigten Erkenntnisfortschritt beitragen muss. Das Weg einer Sprachreinigung verläuft über weite Strecken parallel zur utilitären Aufklärung des "greatest happiness principle". Beide tragen entweder dazu bei, dass sich die politisch, juristisch und moralisch streitenden Parteien auf einer bestimmten vernünftigen Basis einigen können, sind also prinzipiell konsensfordernd, oder aber ermöglichen doch als Minimalleistung eine klare Sicht der Differenzen. 5 Die Bereicherung der natürlichen Sprache durch Neologismen ist deshalb nötig und ein Gewinn, weil wir nur das, was wir angemessen benennen, auch wirklich dem Bestand unseres Wissens einfügen können. Eine neue Wissenschaft und eine neue Erkenntnis brauchen auch neue Worte. 6 Das folgende Kapitel will zunächst Benthams Theorie der Sprache skizzieren und zeigen, wie sich aus der Sprachentwicklung deren defizitärer Charakter verstehen lässt. Dann müssen die Konsequenzen dargestellt werden, die sich einmal für den wissenschaftlich-methodischen und zum anderen für den praktisch reformatorischen Ansatz Benthams aus diesen Erkenntnissen ergeben. Wie so oft bei ihm sind beide Teile untrennbar und vielfach ineinander verwoben, da die methodische Reflexion immer am Prüfstein utilitärer Anwendungsperspektiven gemessen wird.

4

"That, in this instance, language should have no influence on conduct, is not possible. For in what instance is not conduct a slave to language?" Radical Reform Bill, Works, III, S. 571.

5

Auch was diese Vorstellung betrifft, so findet sie sich schon im Fragment: "[...], had the debate been originally and avowedly instituted on the footing of utility, the parties might at length have come to an agreement; or at least to a visible and explicit issue. [...]. [...] we have a plain and open road, perhaps to present reconcilement: at the worst to an intelligible and explicit issue, - that is, to such a ground of difference as may, when thoroughly trodden and explored, be found to lead on to reconcilement at the last. Men, let them but once clearly understand one another, will not be long ere they agree. It is the perplexity of ambiguous and sophistical discourse that, [...], stimulates and inflames the passions." Fragment, S. 105. (Hervorheb. - W.H.)

6

Jeder, der neue Dinge entdecken und beschreiben will, muss zwangsläufig die etablierten Gesetze der Sprache verletzen. Nur so kann er dem Dilemma einer unzureichenden Alltagssprache entkommen. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 102. Bentham wünscht sich die "liberty of coining words without control". Vgl. Of Laws in General, S. 76, Fn. a.

110

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

3.2.1.

Fundamente von Benthams politischem

Denken

Realität und Fiktion

Wir waren bereits auf die Tatsache gestoßen, dass bei aller Berufung auf die partikulare und individuelle Erfahrung Bentham deutlich sieht, wie wenig von unserem Wissen auf eigenen Erfahrungen aufbauen kann. Wir sind auf Aussagen anderer Menschen angewiesen, die wir zwar prinzipiell gegen unsere eigenen Erfahrungen und die gut bestätigten Gesetze der Natur halten können, ohne die wir aber gar nicht in der Lage wären, unser Alltagsleben auch nur einen Moment zu gestalten.7 Es gehört geradezu zu den Überlebensbedingungen der menschlichen Gattung, dass dieser Verwiesenheit auf die Rede anderer Menschen eine natürliche Neigung korrespondiert, auch die Wahrheit zu sagen und diese zu glauben. Der Mechanismus, der uns an die Aussagen anderer Menschen glauben lässt, wenn nicht Indizien gegen diesen Glauben vorhanden sind, ist die Erfahrung. Wir haben in unserem Leben Gelegenheit festzustellen, dass unsere Mitmenschen in der Regel die Wahrheit sagen, und dass es massiver Gründe bedarf von dieser Normaltendenz abzuweichen.8 Soweit scheint die sprachliche Übertragung von wahrer Information unproblematisch. Gleichwohl ist die menschliche Sprache nicht nur das unverzichtbare Medium, in dem Tatbestände der äußeren Welt mitgeteilt werden, sie ist das wesentliche Instrument der Konstruktion aller sozialen Realität. Hier zumindest findet sich aber eine Vielzahl von Dingen über die wir sprechen, die offensichtlich keine vorfindbaren Entitäten der objektiven Welt sind, sondern Geschöpfe unserer Vorstellungskraft und unserer Rede. Sie sind ein Indiz dafür, dass die Grenzen der Sprache nicht die Grenzen der dinglichen Welt sind und geben Anlass, über die grundlegende Struktur der Sprache nachzudenken. Sprache besteht, so Bentham in der überschreitenden Fortschreibung empiristischer Sprachreflexion,9 aus zwei unverzichtbaren Bauteilen: aus Namen für reale und aus Namen für fiktive Entitäten. Jede natürliche Sprache ist ein kompliziertes Konstrukt aus Realität und Fiktion: "Throughout the whole field of language, two languages, as it were, run all along in a state of parallelism to each other, - the one material, the other immaterial; - the material all along the basis of the immaterial. The same stock of words serves for each, - each word serving, or being capable of serving, in both senses; - at any rate, every word originally employed in a material sense, is capable of being employed in an immaterial sense. Saving the class of real entities

"Continue your belief in testimony, [...] the business of your life will go on as it has been used to do: withold your belief from testimony, and with the same regularity as that with which you have been in use to bestow it, - you will not be long without smarting for your forbearance." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 236. "Experience? - of what? Of the conformity of the facts which from the subjects of the several assertions of which testimony consists, with the assertions so made concerning these respective facts. [...] hence the case of belief constitute the general rule - the ordinary state of a man's mind; the cases of disbelief constitute so many cases of exception; and to produce disbelief requires some particular assignable consideration, operating in the character of a special cause." Ebd. Zu Benthams Positivierung der (logischen) Fiktion in der Tradition des Empirismus vgl. Iser, Wolfgang, Das Fiktive und das Imaginäre, Frankfurt am Main 1993, S. 198 ff.

Im Sprachgewirr

111

distinguished by the appellation inferential, the entities of which the words of the immaterial language are designative, are all fictitious entities."10

Die Namen fur reale Entitäten sind sprachgenealogisch, wie wir noch sehen werden, die Grundlage für die Entwicklung der Namen für fiktive Entitäten. Nun darf man sich die Schlussfolgerung aus dem Angeführten keinesfalls so vorstellen, dass man nur zu den richtigen Namen der Dinge zurückkehren müsste, um die Sprache von allen ihr inhärenten Problemen zu befreien. Bentham sieht ganz klar, dass der fiktive Teil der Sprache der ist, der eigentlich dazu beiträgt, dass sie ihre zentrale Ausgabe erfüllen kann: die Mitteilung von Gedanken.11 Nur zu diesem Zweck wurde sie überhaupt entwickelt. Sie ist die einzige Möglichkeit, über die wir mitteilen können, was in unserem Inneren vorgeht, wie wir uns die äußere Welt vorstellen und was für Wahrheitsansprüche wir erheben. Fast all dies geschieht aber auf dem fiktiven Niveau der Sprache. Ohne die "fictions" würde unser Kommunikationspotenzial auf das der Tiere zurückfallen.12 Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit nach der näheren Bestimmung der verschiedenen Bedeutungsebenen von "real"- und "fictitious names" und insbesondere ihrer Beziehung zueinander. Real entities sind alle die Entitäten, denen in der Kommunikation eine reale Existenz zugeschrieben wird. Es sind letztlich die vorfindbaren Dinge der uns umgebenden äußeren Welt, die uns über eine Sinnesperzeption zugänglich sind und die daraus aus Erinnerung und Einbildungskraft entstehenden Vorstellungen. Sie alle haben letztlich ihre Evidenz in der Möglichkeit einer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung, auf der dann auch ihre Benennung und die Möglichkeit, ihnen Existenz zuzuschreiben, beruht.13 Dabei darf natürlich nie vergessen werden, dass eine Rede über "real entities" nicht mehr und nicht weniger ist als ein Ausdruck einer bestimmten Disposition unseres Geistes, da, wie wir bereits gesehen haben, jede Aussage bereits die Verarbeitung von nackten 10 11

12

13

Universal Grammer, S. 398. "Of Language, the primary use is by means of expression to make communication of thought. By the necessity of making this communication it was, that the original demand for language was created." Ebd., S. 397. "What will, moreover be seen is, that the Fiction - the mode of representation by which the fictitious entities thus created, in so far as fictitious entities can be created, are dressed up in the garb, and placed upon the level, of real ones - is a contrivance but for which language, or, at any rate, language in any form superior to that of the language of the brute creation, could not have existence." Theory of Fictions, S. 16. Vgl auch Essay on Nomenclature and Classification, S. 258; A Table of the Springs of Action, S. 5. Die voile Definition lautet: "A real entity is an entity to which, on the occasion and for the purpose of discourse, existence is really meant to be ascribed. Under the head of perceptible real entities may be placed without difficulty, individual perceptions of all sorts: the impressions produced in groups by the application of sensible objects to the organs of sense: the ideas brought to view by the recollection of those same objects; the new ideas produced under the influence of imagination, by the decomposition and recomposition of those groups: - to none of these can the character, the denomination, of real entities be refused." Theorie of Fictions, S. 10. Hinter all dem steht aber, wie Bentham an anderer Stelle anmerkt, letztlich die Möglichkeit der Berührung bzw. Nichtberührung. Was man sozusagen anfassen kann, das ist eben real, nicht fiktiv. Vgl. ebd., S. 59 f.

112

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

Sinneseindrücken durch die Urteilskraft voraussetzt. Allerdings, und diese Einsicht wendet Bentham polemisch gegen die Anhänger von Berkeleys Position, ist mit der Existenz oder Nicht-Existenz eines beobachtbaren materiellen Körpers unmittelbar die physical sanction verbunden. Während nämlich alle fiktiven und erschlossenen (inferential) Entitäten, die nur durch Denken erkennbar sind, geleugnet werden können, wird das Leugnen einer massiven Steinmauer bei dem Versuch, sie zu durchschreiten, eindeutig einen massiven Existenzbeweis auf der Stirn des Leugners hinterlassen. Die Frage nach der Wirklichkeit der materiellen Wirklichkeit ist schlicht Unsinn. 14 Die Rede von fictitious entities ist in gewissem Sinne irreführend, da der Modus ihres Seins nicht mit dem realer Entitäten verwechselt werden darf. Wenn von fiktiven Entitäten die Rede ist, dann sind damit "names of fictitious entities" gemeint, die letztlich mit ihnen identisch sind. "Fictitious entities" haben lediglich eine verbale Realität, 15 was nicht bedeutet, dass sie nicht sehr wohl eine außerordentliche handlungslenkende Wirkung haben können. Wenn bei den "fictitious names" Name und Sein tendenziell zusammenfallen, so ist ihr besonderes Kennzeichen, und das macht dann auch ihre unglaubliche Gefährlichkeit aus, dass man von ihnen sprechen muss als wären sie reale Entitäten. 16 Die Sprache lässt uns diesbezüglich, so Bentham, auf Grund ihrer grammatikalischen Struktur keine andere Möglichkeit: "A fictitious entity is an entity to which, though by the grammatical form of the discourse employed in speaking of it, existence be ascribed, yet in truth and reality existence is not meant to be ascribed. Every noun-substantive which is not the name of a real entity, perceptible or inferential, is the name of a fictitious entity. Every fictitious entity bears some relation to some real entity, and can no otherwise be understood than in so far as that relation is perceived - a conception of that relation is obtained." 17

Betrachtet man die Liste der Wörter, die Bentham als Fiktionen behandelt, so wird klar, warum er behaupten konnte, dass ohne sie menschliches Sprechen eigentlich vollkommen unmöglich ist. Was die physikalische Welt betrifft, so fallen in diese Gruppe Begriffe wie Bewegung, Quantität, Qualität, Raum, Zeit. 18 Betrachtet man die Fiktionen der moralisch-politischen Welt und der Psychologie, so wird man feststellen, dass fast alle wichtigen Begriffe wie Pflicht, Recht, Wille, Verstand usw. unter diese Rubrik fallen. Das entscheidende Phänomen hier ist, dass wir von keinem Zustand unseres Geistes oder unserer Psyche überhaupt sprechen könnten, wenn es die Fiktionen nicht gäbe. Dabei passiert nun etwas ganz besonderes. In dem wir nämlich über diese Phänomene reden, behandeln wir sie, als wären sie von der gleichen Realität, wie die äußere Welt. 14 15 16

17 18

Vgl. Universal Grammer, S. 402, Fn. a. Zur "verbal reality" vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 271, Fn. a. Dabei ist "Existenz" als universale Aussagekategorie allen Seienden selbst eine Fiktion. Vgl. Theory of Fictions, S. 50. Es ist nur in der Sprache möglich, Existenz außerhalb von Ort und Zeit zu fingieren, weil Benennen als ursprünglicher Modus für Bentham zugleich Existenzzuschreibung ist. Genau dieser Modus einer existenzzuschreibenden Benennung wird auf die Fiktionen außerhalb von Raum und Zeit übertragen. Vgl. Theory of Fictions, S. 17, Essay on Nomenclature and Classification, S. 398. Theory of Fictions, S. 12. "[...] time is, so to speak, a still more fictitious Fiction, [...]." Ebd., S. 20.

Im

Sprachgewirr

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Dies ist aber nicht der Fall und wir haben hier ein markantes Beispiel des von Bentham auf die innere Welt gewendeten EXTERNALISMUS. Die innere Welt lässt sich nur über die äußere in Sprache übersetzten. Wenn wir von uns sprechen, dann benutzen wir gleichsam die Sprache der Dinge, die uns umgeben. 19 Das hängt, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, mit der quasi-natürlichen Genese von Bedeutung zusammen. Andererseits sind wir immer in der Gefahr zu vergessen, dass unsere innere Welt und die von Politik und Moral ihren Ausdruck in einer Sprache findet, die dringend auf eine konkrete Realität verwiesen werden muss. 20 Diese Gefahr entsteht, sozusagen in einer kritischen Wendung der Position Berkeleys formuliert, dadurch, dass die Fiktionen als "general ideas" meist unserem Bewusstsein näher sind als die reale Welt und daher unschwer damit verwechselt werden können. 21 Was nun die Rückführung der Fiktionen auf reale Entitäten betrifft, so unterscheiden sich die Gegenstandsbereiche recht erheblich. Während nämlich in der physikalischen Welt die Rückführung auf reale Körper stattfinden muss, ist es in der menschlichen Welt die Leitdifferenz von "pain" und "pleasure", die Fiktionen ihre Bedeutung zuweist. Auch ist der Gebrauch von Fiktionen in den unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlicher Verantwortung belastet. Ganz allgemein sind sie unverzichtbar, aber eigentlich unmöglich. 22 Jedoch besteht der wesentliche Unterschied darin, dass die logischen Fiktionen, gemeint sind diejenigen, die wir oben als notwendig für die Rede von der physikalischen Welt identifiziert haben, von dem, der sie gebraucht bzw. untersucht, in der natürlichen Sprache vorgefunden werden. Sie sind sozusagen prinzipiell unschuldige Fiktionen. Dagegen sind politische, juristische und moralische Fiktionen zugleich das Produkt derer, die sie benutzen. 23 Das bedeutet aber, dass solche Fiktionen unschwer für die eigenen Interessen eingesetzt werden können. Sie sind gemeint, wenn Bentham darauf besteht, dass derjenige, der die Sprache beherrscht auch die Menschen über die Manipulation ihrer Meinung beherrschen kann. 24 Bevor wir uns der Genese der natürlichen Bedeutungen zuwenden, sei hier nochmals ein Überblick über die möglichen Benennungen für Entitäten gegeben:

19

20

21 22 23

24

"Of nothing that has place, or passes, in our minds can we give any account, any otherwise than by speaking of it as if it were a portion of space, with portions of matter, some of them at rest, others moving in it. Of nothing, therefore that has place, or passes in our mind, can we speak, or so much as think, otherwise than in the way of Fiction." Ebd., S. 17. "[...] any name of a fictitious entity can no otherwise be made clearly intelligible than by means of some relation which the import of it bears to some word which is the name of a real entity." A Table of the Springs of Action, S. 74. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 265 f. Vgl. Theory of Fictions, S. 14 f. "Very different in respect of purpose and necessity, is the logical species of Fiction from the poetical and political; very different the Fiction of the Logician from the Fictions of poets, priests and lawyers. For their object and effect, the Fictions with which the Logician is conversant, without having been the author of them, have had neither more nor less than the carrying on of human converse; such communication and interchange of thought as is capable of having place between man and man." Theory of Fictions, S. 18. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 108.

114

Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

Abbildung 3: Klassifizierung der entities

3.2.2.

Die Genese von Bedeutung und die Unhintergehbarkeit der natürlichen Sprache

Bevor wir uns den Konsequenzen aus Benthams Sprachkritik zuwenden können, lohnt ein Blick auf die Genese der Bedeutungen. Er kann klar machen, welche Entwicklungen zu der beschriebenen Problematik eines grundsätzlichen Dualismus sprachlicher Kommunikation gefuhrt haben und warum dieser keinesfalls einfach rückgängig gemacht werden kann. Wenn man, wie Bentham, davon ausgeht, dass alle Erkenntnis letztlich in partikular beobachtender Erfahrung wurzelt, dann drängt sich zwangsläufig die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit sprachlicher Kommunikation auf. Diese Frage ist deshalb für uns von Interesse, weil wir auch hier sehen können, wie selbst die Möglichkeit sprachlicher Kommunikation in der typisch EXTERNALISTISCHEN Vorstellung einer beobachtenden Präsenz liegt. Wenn nämlich Bentham sich selbst die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation stellt, so lautet seine Antwort, dass es die uns umgebenden Dinge und ihre Erfahrung sind, die unser Sprechen ermöglichen. Sprache, d.h. für Bentham die ersten Wortbedeutungen überhaupt, sind unter der Voraussetzung der beobachtenden Gegenwart von Sprechern, die zugleich Hörer sind, gegenüber einem Gegenstand entstanden. Die materielle Sprache ist daher eine Sprache der Dinge. 25 Wird diese Sprache fingierend auf psychische und mentale Zustände über"To no other man's is the mind of any man immediately present. Matter, this or that portion of matter external to both, in this may be seen the only channel, the only medium which the nature of the case admits of. Yonder stands a certain portion of matter. By that portion of matter feelings of a certain sort are produced in your mind: by the same portion of matter feeling of a sort, if not exactly the same, at least with reference to the purpose in question near enough to being the same,

Im Sprachgewirr

115

tragen, so muss berücksichtigt werden, dass wir auch hier den Weg von außen nach innen antreten, d.h. die unbeobachtbare psychische Welt in Analogie zur uns umgebenden beobachtbaren Welt beschreiben. Die Rede von mentalen Zuständen kann daher im strengen Sinne gar nicht wahr sein, 26 weil zumindest eine ganze Reihe von Fiktionen keinesfalls an ihrer Übereinstimmung mit einer dinglichen Wirklichkeit überprüft werden können. 27 Das muss deshalb so sein, weil alle unsere Vorstellungen aus einer Sinneswahrnehmung herrühren und es daher keine angeborenen Ideen geben kann. Die Worte, mit denen wir diese Vorstellungen kommunizieren, haben dann aber keine angeborene Bedeutung. Sie sind das konventionelle Ergebnis einer Festlegung, egal ob sie Gedanken oder Dinge bezeichnen. 28 Das hat die unmittelbare Folge, dass jeder immateriellen Bedeutung rein genetisch eine materielle vorausgehen muss, die ursprüngliche sachliche Dimension der Bedeutung dann zwar in den Hintergrund treten kann, sie aber in gewisser Weise immer archäologisch verfugbar gemacht werden kann. Mit Bentham muss daher zwischen der Herkunft einer Bedeutung und der eines Wortes unterschieden werden. Was das Wort ursprünglich bedeutet hat, sein Ursprung, das ist seine Herkunft, seine gegenwärtige Bedeutung und vor allem Verwendung kann grundsätzlich davon abweichen. 29 Es gibt ein Meer von Bedeutungen, die den Worten je nach Gebrauchskontext konventionell zugewiesen werden können. 30 Dies muss geschehen, wenn materielle Worte mit ideellem Sinn via Fiktion aufgeladen werden sollen, es bietet aber sozusagen zugleich das durch die Sprachstruktur geöffnete Einfallstor des Missbrauchs der Fiktionen. Die hier skizzierte Genese von Bedeutung erläutert Bentham so, dass klar wird, wie jede immaterielle Idee ursprünglich, auch hier begegnet uns die Bedeutung des "materiellen Bildes", von einem "material image" abgeleitet wird. Diese Erkenntnis macht er später für die Archetypisierung von Fiktionen fruchtbar. Das einschlägige Beispiel lautet: "Under yon tree, in that hollow on the ground, lies an apple; in that same spot, while I saying this to you, pointing at the same time to the spot, you are observing the same apple. By this

26 27 28

29 30

are produced at the same time in my mind. Here then is the channel of communication, and the only one. Of that channel language takes possession and employs it" Theory of Fictions, S. 64. (Hervorheb. - W.H.) Vgl. ebd., S. 59. "[...] fiction is not truth." Pannomial Fragments, Works, III, S. 221. "[...] assemblage of conventional signs which taken together are called language." Of Laws in General, S. 82. Es gibt kein natürliches Band zwischen Wort und Bedeutung. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 253. Vgl. Theory of Fictions, S. 138. Aufgabe des Verstehens ist es dann, diese Bedeutungen zu lesen. Hat aber der Autor sich unklar ausgedrückt, dann entsteht, wie Bentham beschreibt, das Problem einer unterstellten Bedeutung, die im unendlichen Raum der möglichen Bedeutungen gesucht werden muss: "Some meaning, or other, then, he cannot but be supposed to have had; - and therefore, till some determinate meanings in a limited number present themselves to the conception, it will remain wandering in infinite intellectual space, the field, abode, and station of an infinite host of meanings." Nomography, Works, III, S. 244.

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Fundamente von Benthams politischem

Denken

means, along with the signification of the words, lies ground, hollow, etc. you and I learn the signification of the word in. At and during the time we are thus conversing, the ideas of the apple, the ground, and the hollow, are in both our minds. In a word, with reference to mind, in general, by no other way could we have learned it. In no other way could the word in - add or any other word - have aquired a signification with reference to the mind."3I

Schon in der fundamentalen Erlernung und Konventionalisierung von Bedeutung ereignet sich Fiktionalisierung. Was gelernt wird in der Versprachlichung einer konkreten Beobachtung, ist nicht bloß das beobachtete Faktum und die Möglichkeit dies zu benennen. Es ist vielmehr so, dass die versprachlichte Beobachtung einen Ort hat: "in the mind". Der Apfel befindet sich also nicht nur am Fuße des Baumes, das Ganze findet sozusagen verdoppelt nochmals, begleitet mit bestimmten Emotionen, im Beobachter statt. Bentham gibt zwar prinzipiell den Nomen den Vorrang vor Verben und Präpositionen, im vorliegenden Beispiel allerdings besteht der Lerneffekt vor allem darin, dass in der Analogie zu einem Sachverhalt in der objektiven Welt verstanden wird, welchen Sinn das Wörtchen "in" - eine Präposition also - in einer psychischen Konstellation haben kann. Wie rudimentär man diese Theorie der Sprachgenese und vor allem der Genese von Bedeutung auch immer einschätzen mag, eines ist dabei entscheidend und wird klar demonstriert: Die Überzeugung Benthams, dass es nur einen Schritt braucht, der den unmittelbar und wahrhaft sensuell erfahrenen Moment verlässt, um alle Gewissheit dem Universum der bezweifelnden und begründenden Argumentation zugänglich zu machen. 32 Alle Bemühungen des "Bürgers" Bentham, durch sein Denken die Notwendigkeit von Sicherheit für das Eigentum, die allgemeinen Lebensbedingungen und die Lebensplanung zu begründen, finden eine gewissermaßen indirekt proportionale Entsprechung in der hochgradigen Unsicherheit der Kommunikation, und wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, Wissensverhältnisse. Gefahr scheint hier überall zu lauern und nur so lässt sich der geradezu manische Genauigkeitswahn des älter werdenden Bentham überhaupt verstehen. Dieser Gefahr des "Nicht-Verstanden-Werdens" kann nur entgehen, wer dazu bereit ist, durch Genauigkeit des Ausdrucks Inseln der Präzision in einer von Anfang an bestehenden Sprachverwirrung zu schaffen. Zugleich kann von diesen Fixpunkten sprachlicher Klarheit aus der Missbrauch der Sprache bekämpft werden. Nirgendwo wird dies deutlicher als wenn es um die Rolle der Sprache bei der Formulierung von Gesetzen geht, die unmittelbar in unser alltägliches Leben regulierend

Theory of Fictions, S. 64. Das ist der Ort, an dem sich die Unsicherheit des Wissens mit der des Sprechens trifft, sie sich gewissermaßen potenzieren und dann einer "Versicherung" zugeführt werden müssen: "The immediate subject of communication made by language is always the state of the speaker's mind; the state of the passive or receptive part of it; or the state of the active or concupiscible part. [...] In respect of the actual state of my sensations, [...], I am scarcely liable to be in an error. But beyond that point no sooner do I advance but a single step, if I undertake to pronounce an opinion relative to the cause of any of those sensations, from that moment I am liable to fall. I here launch into the ocean of art and science. I here commence physician; and, in the field of the physician the dominion of error is but too severely felt." Theory of Fictions, S. 70 f.

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eingreifen. Bei der Anwendung von Gesetzen wird klar, warum Bentham sagen kann, dass alles, was uns heilig ist, von wenigen Worten und ihrer Bedeutung abhängt. 33 Auch Benthams methodischer Individualismus hat eine sprachtheoretische Wurzel. Die berühmte These, dass Gesellschaft eine bloße Fiktion sei und Realität nur den einzelnen Individuen zukomme, 34 stammt aus dem Gravitationspunkt seiner Theorie sprachlicher Kommunikation. Sie ist nur ein Beispiel dafür, dass für ihn alle allgemeinen Namen (common names) lediglich als Aggregate von Einzelnamen (proper names) verstanden werden können. Das hat damit zu tun, dass die Sprachentwicklung von Bentham als eine Art von nicht reflektierter, bedeutungsübertragender Induktion vorgestellt wird. Um verständlich zu machen, wie Allgemeinnamen als logische Kategorien (logical wholes) aus einem aufmerksamen Beobachten, aus logischer Dekomposition und Aggregation entstehen, erzählt Bentham die exemplarische Geschichte einer Bedeutungsgenese. 35 In dieser Geschichte, die sich, so wie sie erzählt wird, nie, so ähnlich zugleich millionenfach ereignet haben muss, unterscheidet er den praktisch-physikalischen Umgang mit einem natürlichen Objekt, einer Pflanze durch einen Bauer, der sie abschneidet und ins Feuer wirft vom logisch-analytischen, den die Tochter des Bauern der gleichen Pflanze gegenüber an den Tag legt. Er hat das Objekt, so Bentham, einer physikalischen und chemischen Analyse unterworfen, die sich ausschließlich auf das materielle Objekt bezieht. Seine Tochter, die entdeckt, dass eben diese Pflanze eine Blüte hat, die duftet, wendet sich dem Objekt mit einer logisch analysierenden Attitüde zu. Sie trennt zwar auch die Blüte vom Rest der Pflanze, das Ergebnis der von ihr vorgenommenen Operation aber ist genau in dem Moment, in dem sie es ihrem jüngeren Bruder mitteilen will, der erste Schritt zur Fiktion. Sie nimmt ihn mit zu dem Ort, wo sie die Pflanze entdeckt hat, benennt bereits vorher oder an dem Ort die Blüte als Blüte und beide sind auf dem Rückweg in der Lage, die Blüte einer anderen Pflanze als etwas dem ersten Objekt ähnliches zu identifizieren. Mit der logischen Analyse der Pflanze in Blüte und NichtBlüte ist der Weg frei geworden für die logische Synthese, die alle Pflanzen mit einbezieht und feststellt, dass auch sie in Blüte und Nicht-Blüte eingeteilt werden können. Damit aber sind die Weichen dafür gestellt, dass im Anschluss an diese Synthese weitere stattfinden können, die dann die Blüten von Rosen und Tulpen voneinander unterscheiden und doch zugleich aufeinander beziehen. Der Name "Blüte" durchläuft also eine doppelte Fiktionalisierung. Er war zunächst der "proper name" für die Blüte einer

Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 207 f. "The interest of the community is one of the most general expressions that can occur in the phraseology of morals: no wonder that the meaning of it is often lost. When it has a meaning, it is this. The community is a fictitious body, composed of the individual persons who are considered as constituting as it were its members. The interest of the community is what? - the sum of the interests of the several members who compose it. It is in vain to talk of the interest of the community, without understanding what is the interest of the individual. A thing is said to promote the interest, or to be for the interest, of an individual, when it tends to add to the sum total of his pleasures; or, what comes to the same thing, to diminish the sum total of his pains." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 12. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 262 ff.

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einzigen Pflanze, wurde dann fiktiv auf alle Blüten von Pflanzen dieser Art übertragen und im letzten Schritt auf alle Blüten aller Pflanzen. Mehrere tausend Jahre später steht dann in unserem Beispiel die wissenschaftliche Botanik, für Bentham in Linné personifiziert,36 vor dem Problem, dass sie aus Benennungen, die auf Grund dieser einfachen Operationen entstanden sind, eine wissenschaftliche Systematisierung entwickeln muss.37 Die Lehre aus der fingierten Geschichte einer Bedeutungsgenese ist, dass wir der Sprache schon deshalb nie so ganz vertrauen können, weil sie zu einer Zeit entstanden ist, in der die Menschen noch roh und ungebildet waren. Sie hatten kaum Kenntnisse über die Natur und ihr soziales Verhalten war in den Augen Benthams ebenfalls primitiv. Sprache verfallt dem gleichen Verdacht, wie das Wissen der Vorfahren. Ihr Alter allein ist ein Indiz dafür, dass sie nicht optimal konstruiert sein kann und dringend der Renovierung bedarf. Diese Renovierung muss bereits bei sachbezogenen Benennungen ansetzen und Klarheit schaffen, da unser Wissen offensichtlich unsere Sprache in der kulturellen Evolution überholt hat. Wir bezeichnen Dinge nicht mehr als gleich, bloß weil sie auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, sondern haben in einem langen Prozess gelernt, dass die konzentrierte Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Beobachtung den Dingen erst auf den Grund gehen muss, bevor sie sinnvoll benannt werden können.38 Zugleich aber hängt die überkommene Sprache wie ein Schleier zwischen uns und den Dingen und kann unter Umständen unsere Erkenntnisvermögen fehlleiten. Es muss klar sein, dass die ungenauen oder gar falschen Benennungen nicht irgend eine vernachlässigbare Formalie darstellen, sondern in jedem Fall einen Irrtum, den wir, wenn wir sprechen, als einen vergessenen Irrtum reproduzieren. Auch der Hinweis darauf, dass die Kommunikation doch irgendwie funktioniert, löst das Problem nicht. Vielmehr geht es ja gerade um eine Verbesserung von Erkenntnis und Kommunikation. Ziel jedenfalls muss es sein, durch den Schleier der Sprache, wo immer dies uns möglich ist, zu schauen. Bentham vergleicht die gängigen Worte mit Papiergeld, dessen realer Wert nur dann festgestellt werden kann, wenn man weiß, wie man es umtauscht. 39 Angesichts der Unverzichtbarkeit der Sprache für unsere Erkenntnis und unsere Kommunikation befinden wir uns in einem Dilemma. Die alten Wortbedeutungen sind vielfach fehlerhaft und sie sind oft geeignet, uns in die Irre zu leiten. Gleichzeitig aber ist es nicht möglich, der ererbten Sprache mit all ihren Fehlern ganz zu entkommen. Das hat einen systematischen und einen kommunikationspraktischen Grund. Systematisch ist es unmöglich alle relevanten Benennungen auf einen Schlag auszutauschen.40 Wir bleiben in hohem Maß einem Zirkel verhaftet, der darin besteht, dass wir unsere neuen Worte, wollen wir sie erklärend in den Alltagsgebrauch einführen und dabei noch 36

37 38 39 40

Zum Vorbildcharakter Linnés für Bentham vgl. Marcucci, Silvestro, Bentham und Linné (1979), Wiesbaden 1982, S. 15 ff. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 270. Vgl. Ebd., S. 154. Vgl. Of Laws in General, S. 251. Das würde bedeuten "[...] to invent an entire set of new expressions and lay aside the current language altogether." Ebd., S. 299.

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uns selbst und anderen verständlich bleiben, mit der Sprache erläutern müssen, die wir nun einmal sprechen.41 Hier ist also immer nur ein begrenztes Maß an Innovation möglich, das grundsätzlich der Gefahr ausgesetzt bleibt, durch die Bestimmungen, die wir vornehmen, die neuen Wortbedeutungen mit den Ungenauigkeiten der alten Sprache aufzuladen. Rein praktisch betrachtet findet die Wortreformierung da ihre Grenzen, wo das Wissen, das sie in Sprache bringt, nicht mehr kommunizierbar ist.42 Bentham reflektiert immer wieder, dass es nicht sinnvoll sein kann, alle zentralen Wörter auszutauschen, da dann etwa eine so wichtige praktische Wissenschaft wie die Jurisprudenz nicht mehr kommunizierbar ist. Es versteht sich fast von selbst, dass das hier skizzierte Dilemma die Humanwissenschaften am schlimmsten trifft. Hier, wo die wissenschaftliche Fachsprache über weite Strecken traditionell mit der Alltagssprache deckungsgleich ist, herrscht zugleich der stärkste Widerstand gegen Erneuerung,43 weil man doch glaubt zu verstehen, wovon die Rede sein soll, weil hier die Vorurteile der Lebensführung praxisrelevant in Worten Gestalt angenommen haben und weil hier die Interessen der Herrschenden und ihrer Vasallen am stärksten durchschlagen.44 Prinzipiell jedoch ist die Lage nicht hoffnungslos. Wir können zwar nicht anders über die wahrscheinlich wichtigsten Dinge des menschlichen Lebens reden als dadurch, dass wir unsere Einbildungskraft in Gang setzen und via Fiktion und Fingieren "a multitude of imaginary beings" erschaffen, zugleich sind wir aber immer in der Lage, die Herren unserer Geschöpfe zu bleiben und den unauflöslichen Rest fiktiven Sprechens zu kontrollieren. Bentham vergleicht den Gebrauch von Fiktionen und die mögliche von ihnen ausgehende Täuschung mit der Verwechslung eines mechanischen Klavierspielers mit einem lebenden Künstler. Es mag zwar vorkommen, dass wir aus einer bestimmten Entfernung die Maschine mit einem Menschen verwechseln - der Automat erfüllt auf den ersten Blick all unsere Erwartungen an einen echten Klavierspieler - aber es bleibt immer die Möglichkeit näher an die Gestalt heranzutreten und die Täuschung ist daher eine zeitlich begrenzte und kann aufgeklärt werden.45

41

42

43 44

45

Kurz wir riskieren, dass wir Fiktionen mit Fiktionen erklären und das wäre in manchen Wissensbereichen, in denen die exhaustive method nicht greifen kann, ein "illogical and vicious circle". Vgl. Of Laws in General, S. 279. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 188, Fn. a fortlaufend. Allerdings hofft er, dass das Problem in "some maturer age" gelöst werden kann. Vgl. auch ebd., S. 215, Fn. j2 fortlaufend. Für die Gegenwart möchte er Lockes Anweisung "Define your words" durch den Zusatz ergänzen, dass jede Bestimmung einerseits genau andererseits möglichst nah am "current import" bleibt. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 231. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 226. Angesichts all dieser Probleme ist Bentham aber grenzenlos Stolz darüber, dass er doch mit einigen Wort-Innovationen erfolgreich war. Vgl. Artide on Utilitarianism, S. 302. Was beispielsweise bei der Einfuhrung des Wörtchens "international" der Fall war. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 296 auch ebd., Fn. χ. Vgl. Chrestomathia, S. 277, Fn. a.

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3.2.3.

Methodologische Konsequenzen der Sprachverfassung

Da es offensichtlich unmöglich ist, der fingierenden Kraft der Sprache zu entkommen, bleibt als erste Chance eines kontrollierten Umgangs damit eine bewusste Selbstkontrolle des Sprechens und Schreibens, die auch von anderen eingefordert werden kann. Man soll, so lautet in etwa eine wichtige Regel, den Bestand der Fiktionen nicht unnötig vermehren, sondern sich einer sachlichen und möglichst neutralen Sprache bedienen. 46 In ihr sind zwar auch Fiktionen unabdingbar, wo immer sie aber gehäuft auftreten sollte mit Täuschung, sei sie intendiert oder nicht, gerechnet werden. Leeres Wortgeklingel, das Bentham selbst gern bei seinen Gegnern diagnostiziert, ist ein sicheres Indiz für Inkompetenz oder üble Absichten. Wo dagegen die "language of plain strong sense" herrscht, kann Vertäuen in das Gesagte auf einer sachlichen und nicht bloß auf einer durch Autorität vermittelten Basis aufbauen. Das verlangt allerdings intellektuelle und moralische Anstrengungen des Individuums. 47 Zugleich warnt Bentham vor einer zweiten gefährlichen Tendenz im Angesicht der fiktiven Dimension der Diskurse. Diese Tendenz manifestiert sich im munteren Schließen von Fiktion auf Fiktion und dann wieder zurück zur Realität. Wenn wir ohne die Fiktionen nicht auskommen können, so heißt das aber nicht, dass man ihnen einen realitätsunabhängigen Wahrheitswert unterstellen darf. Vielmehr darf nicht von ihnen weiter geschlossen werden; sie müssen auf die Realität der erfahrbaren Welt, im moralischen Bereich auf "pain" und "pleasure", bezogen werden und dürfen nicht erfahrungsfrei weiter gesponnen werden. 48 Der in diesen Vorgaben anklingenden prinzipiellen Verpflichtung zu einer Bedeutungsklärung und auch zur Rückführung von fiktiven Bedeutungen dienen insbesondere die elaborierteren methodischen Reflexionen Benthams zum Verhältnis von Sprache und Erkenntnis, seine oft bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Differenzierungswut, die "exhaustive bifurcate method" auch "bipartition" genannt, sowie die Forderung nach 46 47

48

Vgl. Theory o f Fictions, S. 74. Anstrengend ist das deshalb, weil wir unsere fehlerhafte Sprache in die Wiege gelegt bekommen und sie in jeder alltäglichen Konversation unbedacht reproduziert wird. Die Verbindung von Vorstellungen und Worten ist zwar konventionell, aber zugleich "coeval with the cradle". Vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 524. Hier macht sich nämlich bemerkbar, dass im eigentlichen Sinn nicht einzelne Menschen die Sprache machen, der einzelne hat, wie beim "public opinion tribunal" nur eine Stimme unter vielen, wenn auch eine vielleicht gewichtige. Es ist "[...] the multitude, who are the manufacturers of language [...]. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 107. Im Zusammenhang mit der Rede von "political bodies" bemerkt Bentham: "It is true, that for purposes of abbreviation, it is lawful to borrow certain traits of figurative language, and that one is even obliged to do so; since intellectual ideas can only be expressed by sensible images. But in this case there are two precautions to be observed: the one, never to lose sight of simple and rigorous truth - that is to say, to be always ready mentally to translate the figurative into mental language; the other not to found any conclusion upon a figurative expression, so far as it has anything incorrect in it - that is to say, when it does not agree with the real facts. Figurative language is very useful for facilitating conception, when it follows in the train o f simple language: it is mischievous when it occupies its place." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 307.

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Paraphrasierung und Archetypisierung von nicht definierbaren Begriffen. Diese Kernbestandteile einer Theorie sprachlicher Präzisierung werden flankiert von einer Reihe nachgeordneter Mechanismen zur Bedeutungsklärung und insbesondere im Kontext der Überlegung zur sprachlichen Verfasstheit des Rechts von einigen Anweisungen zur bestmöglichen Abfassung von Gesetzen, die einen Teil der Sprache des Willens ausmachen und somit komplementär zur Logik des Willens stehen. 3.2.3.1.

Exhaustive bifurcate method

Die Methode der erschöpfenden Differenzierung, wenn man exhaustive bifurcate method so übersetzen will, ist das Kernstück der sogar von John Stuart Mill so gelobten "method of detail" Benthams. Sprachtheoretisch baut sie zunächst auf der aus der Wortgenese abgeleiteten Entstehung der Bedeutung von Allgemeinbegriffen auf und versucht diese in einer logischen und auf dem Dualitätsprinzip aufbauenden Differenzierung auf ein möglichst konkretes Niveau herabzubrechen. In seinem Essay on Nomenclature and Classification hat Bentham diese Methode fur den Versuch einer allgemeinen "Übersicht" über die menschlichen Wissensbereiche verwendet, wobei er hier aber als Ausgangsbegriff der Differenzierung keinen gängigen Alltagsbegriff hernimmt, sondern als die allgemeinste aller Wissensbemühungen die alle anderen umfasst, diejenige vom menschlichen Wohlergehen einführt und sie mit dem Wort "Eudaimonics" benennt.49 Ein solches Vorgehen ist, wie wir schon sehen konnten, immer dann nötig und kann auf den tieferen Stufen der "bipartition" wiederholt werden, wenn die Worte der Normalsprache oder der Wissenschaftssprache zu sehr mit irreführenden Konnotationen aufgeladen worden sind bzw. Phänomene in einen Oberbegriff zusammengefasst haben, die sich einem logischen Arrangement entziehen.50 Nun ist, da es sich bei dem in Rede stehenden Verfahren um eine rein logische Analyse von Wortbedeutungen handelt, auf den ersten Blick innerhalb des benthamschen Gedankengebäudes kein Erkenntnisgewinn zu erwarten. Dies ist allerdings so nicht ganz zutreffend. Sinn und Zweck des Verfahrens ist eine möglichst umfassende Darstellung eines Bereiches, den ein Wort bezeichnen kann. Was die Wissenschaftseinteilung betrifft, so ergibt sich das Bild eines umgedrehten Baums des Porphyrius, der mit seinen Wurzeln nach oben weist und dessen Äste in immer feineren Verzweigungen nach unten zeigen.51 Eventuelle Leerstellen verweisen auf Wissensdefizite und die Erlernbarkeit von Wissen profitiert ebenfalls. Man weiß, wie im Fall der Landkarte, wo man sich eben gerade befindet.52 Die zuletzt erwähnte Funktion einer primären Orientierung in einer durch Sprachfehler und Sprachmissbrauch geprägten Welt ist dann auch ohne Frage eine zentrale Leistung, die die "bipartition" erbringt.53 Sie erbringt sie vor allem im Bereich menschlichen Handelns, weil hier nämlich davon ausgegangen werden muss, dass jeder einzelne 49 50 51 52 53

Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, Table 5. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 171 und Fn. Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 212 und S. 240, Fn. b fortlaufend. Unbekannte Wörter sind "dark spots" in der sichtbaren Welt. Vgl. ebd., S. 141. Bentham sieht aber auch ihre Grenzen und weist darauf hin, dass sie ab einem bestimmten Punkt unökonomisch und unpraktisch wird. Vgl. ebd., S. 252.

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Akt eigentlich unvergleichlich individuell ist, was eine Zusammenfassung unter "comm o n names" oft höchst problematisch macht. 5 4 D a s Verfahren ist unverzichtbar, auch w e n n es den falschen alten Benennungen verhaftet bleibt: "When a number of objects, composing a logical whole, are to be considered together, all of them possessing with respect to one another a certain congruency or agreement denoted by a certain name, there is but one way of giving a perfect knowledge of their nature; and that is, by distributing them into a system of parcels, each of them a part, either of some other parcel, or, at any rate, of the common whole. This can only be done in the way of bipartition, dividing each superior branch into two, and but two, immediately subordinate ones; beginning with the logical whole, dividing that into two parts, then each of those parts into two others; and so on. These first distinguished parts agree in respect of those properties which belong to the whole: they differ in respect of those properties which are peculiar to each. To divide the whole in more than two parcels at once, [...], would not answer the purpose; for, in fact, it is but two objects that the mind can compare together exactly at the same time."55 Genus und Differenz werden so ermittelt bzw. dargestellt, wobei die Richtung des Verfahrens eindeutig auf den Einzelfall zuläuft und letztlich das unerreichbare aber immerhin sichtbare Ziel einer totalen Dekomposition des fingierten logischen Ganzen hat. 56 Es sind diese einzelnen, die in irgendeiner Form logisch aggregiert wurden, denen wirkliche Existenz zukommt, während sich jede allgemeine Bezeichnung v o n der erfahrbaren Realität des Individuellen notwendig entfernt hat und im schlimmsten Fall es gar aus den A u g e n verliert. Das Ganze jedenfalls ist keineswegs mehr als die Summe seiner Teile. D i e utilitäre Rückbindung dieser Beobachtung haben wir bereits am Beispiel der Fiktion "Gesellschaft" kennen gelernt. Sie ist v o n entscheidender Bedeutung, da ihre Implikationen dann am deutlichsten werden, w e n n man den in ihr angelegten Perspektivenwechsel mit vollzieht. Unübersehbar ist dann nämlich, dass, was immer mit dem

Das macht die Handlungsbeschreibung äußerst schwierig: "In point of language any two acts may be considered as being the same when any one phrase can be found that will serve to indicate them both: but in point of fact no two acts are perfectly the same. To be perfectly the same they must be the same with regard to the particles of matter in which they commence, the particles of matter in which they terminate, the particles of matter through which the action which they consist in is propagated during its progress, as also in respect of time and of place: but that they should be the same in respect of all these constituent circumstances is impossible: [...]." Of Laws in General, S. 297, Appendix C. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 187, Fn. a. Vgl. Theory of Fictions, S. 37. Die hier gegebene Lesart steht gegen die von Jacobs, der unter Berufung auf die Introduction to the Principles of Morals and Legislation S. 53, Fn. c fortlaufend, die Nicht-Dividierbarkeit der Fiktionen behauptet. Vgl. Jacobs, Struan, Science and British Liberalism, Aldershot 1991, S. 82 f. Jacobs legt einen engeren Begriff der Fiktion zu Grunde und übersieht, dass die fiktive Dimension der Sprache eine weitaus größere Reichweite hat, als Bentham an dieser Stelle ausführt. Die radikalste Spielart seiner Sicht muss davon ausgehen, dass alle "common η Eimes" "fictions" sind. Schwer erklären kann Jacobs, warum Bentham unter dieser Voraussetzung solche klassisch fiktiven Namen wie "Eudaimonics", "right" und "power" im Essay on Nomenclature and Classification und in Of Laws in General mit der "exhaustive method" traktiert.

Im

Sprachgewirr

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"logical whole" des "common name" für Operationen durchgeführt werden, diese Operationen Folgen für die belebte Kreatur, die Schmerz und Lust empfindet, haben können. Benthams immer wieder kehrende Mahnung, die Interessen jedes einzelnen Lebewesens zu berücksichtigen und es keinesfalls unnötigem Leiden auszusetzen, findet in der Bemühung, die die lebende Individualität verdeckenden Mechanismen der Sprache zu entlarven, ihre Entsprechung. Er verdeutlicht das an seiner Lieblingstierart, den Katzen und zeigt, wie das Individuum seinen "common name" als "proper name" verstehen kann. Eine Katze versteht den Ruf "Mieze" als ihren Namen, wenn sie immer bei der Fütterung so gerufen wird. Für denjenigen, der die Benennung benutzt, ist "Mieze" aber zugleich möglicherweise der Allgemeinname für alle Katzen und kann von ihm benutzt werden, um verschiedene Katzen gleichzeitig zum Futternapf zu rufen. Jede Katze kann also selbst verstehen, dass sie eine "Mieze" ist, sie weiß aber nicht davon, dass alle anderen Katzen auch "Miezen" sind.57 3.2.3.2.

Paraphrasierung und Archetypisierung: die fundamentale der Kommunikation

Bildlichkeit

Weist die "bipartition" noch eine gewisse Verwandtschaft mit der aristotelischen Lehre von der Definition über die Bestimmung von Genus und Differenz auf, so greifen die Paraphrase und die Archetypisierung genau dann, wenn die Definition des Begriffs unmöglich ist. Die klassische Definition kann nicht sinnvoll vorgenommen werden, wenn der zu definierende Begriff keinen Oberbegriff hat.58 Auch wenn in der erwähnten Weise definiert werden kann, so ist das Ergebnis oft unbefriedigend, da keine wirkliche Bedeutungsklärung stattgefunden hat. Sinn jeder Bedeutungsklärung, in der Terminologie Benthams "exposition of meaning" bzw. "fixation", ist es aber, Klarheit darüber zu schaffen, was ein Ausdruck bedeutet, damit wir wissen was wir vor uns haben, wenn wir den Dingen begegnen und vor allem aber dafür zu sorgen, dass der unnütze Streit, der sich aus falschen Wortbergen ergibt, in sich zusammenfällt.59 Allerdings muss man sich davor hüten, wie das Descartes und seine Nachfolger geglaubt hatten, dass es möglich sein könnte, mit ein paar aus den Naturwissenschaften und der Mathematik gestohlenen Worten deren Präzision in den Humanwissenschaften zu erreichen. Dies ist angesichts der Natur der menschlichen Dinge unmöglich.60 Unter Paraphrasierung soll nun Folgendes verstanden werden. Wenn eine Fiktion nicht auf normale Weise definiert werden kann, so soll sie in einen Satz als Subjekt eingebaut werden. Dieser ganze Satz wird dann in einen anderen Satz übersetzt. Während die Definition ein Wort durch eine Proposition ersetzt, ersetzt die Paraphrase einen Satz 57

58

59

60

"[...] what each cat understands is that itself is named by it. What no cat understands is that any other cat is named by it." Universal Grammar, S. 403. "Example 'right'. What [is] a right? Answer: a right is not a any thing. The genus it distinguishes has none above it. Here, then, is an example of a case in which a definition in the ordinary sense is impossible." A Table of the Springs of Action, S. 7. Vgl. auch ebd., S. 6. und S. 77. Vgl. Deontology, S. 160; Theory of Fictions, S. 77, Fn. 1 und Essay on Nomenclature and Classification, S. 230. Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 45.

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Fundamente von Benthams politischem

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durch einen Satz. Zentral und die eigentliche Bestimmungsaufgabe auch wirklich ausführend wird dieses Verfahren natürlich erst, wenn der erklärende Satz keine Fiktionen mehr enthält, sich also im Fall von humanwissenschaftlichen Fiktionen mehr oder weniger direkt auf "pain" und "pleasure" bezieht.61 Wenn man so will, ist Benthams eigenes umfassendes Werk in seinen weitaus größten Teilen nicht mehr und nicht weniger als eine auf die individuelle Erfahrung glückssuchender Menschen rückführende Paraphrase unseres moral- und politiktheoretischen Vokabulars.62 Wobei damit natürlich auch klar wird, wie entscheidend der Beitrag zur Bestimmung von Bedeutung ist, der von der Person des Paraphrasierenden ausgeht. Bei der Archetypisierung, ein Wort, das Bentham als Abkürzung für den Terminus archetypophantia einfuhrt, geht es um eine archäologische Rückführung auf eine Wortbedeutung. Ausgehend von der These, dass es bei "fictions" prinzipiell möglich ist, die Wurzel der Wortbedeutung von der Bedeutung der mit dem Wort bezeichneten Vorstellung zu trennen, führt die Archetypisierung das Wort auf das ursprüngliche Bild zurück, angesichts dessen es, man muss ergänzen: von anwesenden Beobachtern, erschaffen wurde. Die fiktive Bedeutung wird in die ursprünglich reale bzw. materielle des zugrunde liegenden "material image" übersetzt. Wir versetzen uns damit gleichsam zurück in die Zeit der Sprachentstehung.63 Bentham erläutert dies an einem Beispiel: "On this occasion, in the case of the name of a fictitious entity, a distinction requires to be made between the root of the idea, and the root of the word by which it is designated. Thus, in the case of obligation, if the above conception be correct, the root of the idea is in the ideas of pain and pleasure. But the root of the word, employed as a sign for the designation of that idea, is altogether different. It lies in a material image, employed as an archetype or emblem: viz. the image of a cord, or any other tie or band, (from the Latin ligo, to bind,) by which the object in question is bound or fastened to any other, the person in question bound to a certain course of practice."54

Die fiktive Bedeutung eines Wortes, mit der die Vorstellung des Sprechers übertragen werden soll, da unsere Vorstellungen anders keine intersubjektive Relevanz bekommen können, wird so darauf geprüft, ob sie mit dem archetypischen Bild harmoniert oder aber ein Gegenbild hervorruft, das vom ursprünglich Gemeinten abweicht. Damit ist die ursprünglich metaphorische Bedeutung des Wortes geklärt und es muss nun ergänzend dazu eine klare Vorstellung der aktuellen Bedeutung der Fiktion durch Paraphrasierungen entwickelt werden, die das, was wir mit Verpflichtung meinen auf die fundamentalen Erfahrungen von "pain" und "pleasure" zurückführt. Das Verfahren der Archetypisierung ist zwar in seinem Ergebnis variabel, da Bentham selbst für die Fiktion "obligation" auch ein leicht abweichendes archetypische Bild kennt,65 es hat aber den Vorzug, die losgelassenen Wortbedeutungen wieder auf ihren ursprünglichen Sinn zu 61 62 63

64 65

Vgl. Essay on Nomenclature and Classification, S. 272, Fn. a fortlaufend von S. 271. Daher ist es auch über weite Strecken eher "dry and tedious". Vgl. Of Laws in General, S. 294 f. "Archetypation [...] consists in indicating the material image, of which the word, taken in its primaeval sense, contains the expression." Essay on Nomenclature and Classification, S. 272, Fn. a fortlaufend. Ebd. Vgl. Theory of Fictions, S. 90.

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beziehen und hilft die mitschwingenden Konnotationen der Rede unter Kontrolle zu halten. Zugleich deckt es die oft vergessene und verdrängte aber doch grundlegende metaphorische Dimension unserer Rede von mentalen Zuständen auf. 66 Auch da, wo kein unmittelbarer Zugang zu einem Archetypen besteht, wendet es Bentham abgewandelt an, was zeigt, dass es auch gleichsam in umgekehrter Richtung funktioniert. Wenn nämlich eine komplexe Vorstellung versprachlicht werden soll, so kann der Verweis auf ein "material image" sehr hilfreich sein. Er setzt die Kraft der Imagination zu einem guten Zweck frei, da er sie durch die Vorgabe des Bildes gleichzeitig kontrolliert und in die richtige Richtung lenkt. Die diachrone und vor allem die synchrone Archetypisierung ist das Verfahren, das Bentham gern selbst zur Verdeutlichung seiner Thesen anwendet. Er vergisst allerdings fast nie den Hinweis, dass es sich um ein didaktisch-rhetorisches Mittel handelt, das über bildliche Analogie hilft, das Gemeinte besser zu verstehen. Bereits in den berühmten Eingangssätzen der Introduction to the Principles of Morals and Legislation taucht eine eliptische Archetypisierung auf, wenn das menschliche Wollen als an die Ketten des Throns von "pain" und "pleasure" gekettet eingeführt wird. Aber schon hier lesen wir am Schluss der eindrucksvollen Kurzfassung seiner Handlungs- und Moraltheorie die Warnung: "But enough of metaphor and declamation: it is not by such means that moral science is to be improved." 67 Eine inhaltliche Verbesserung der "moral science" kann also zwar nicht erwartet werden, gleichwohl sind Archetypisierungen eines von Benthams liebsten Mitteln zur Erklärung eigener Vorstellungen, wobei er dann gern und häufig auf biblische, mythologische oder literarische Beispiele zu sprechen kommt und an ihnen Argumente exemplifiziert. Sie dienen ihm zum oft polemischen Aufweis der Konsequenzen gegnerischer Positionen und sind Waffe im politischen Kampf um Reformen. Sei es aber, dass er den Monarchen als ein Riesenbaby beschreibt, das nach einer steuerfinanzierten Babyausstattung schreit, sei es seine Verwendung der Metaphorik des "body politic" oder seien es seine Rückbezüge auf historische Anekdoten, Bentham treibt diesen Aspekt seiner aufklärerischen Rhetorik selten über den Punkt einer erläuternden Verbildlichung hinaus. Solch ein Vorgehen mag zwar auf den ersten Blick ein Bruch der eingangs formulierten Regel von der fiktionsmindernden Selbstkontrolle sein, jedoch ist das nicht der Fall. Während nämlich Fiktionen per Definition kein eindeutiges Bild hergeben und eben deshalb erst überhaupt diskutierbar sind, wenn sie visualisiert bzw. paraphrasiert worden sind, ist das erläuternde Bild offen für das kritische Argument. Wenn nun zwar von der Verbildlichung keine unmittelbare Verbesserung des Wissens vom Menschen erwartet werden darf, dann gilt aber anders herum nicht, dass sie, was die sachliche Dimension betrifft, vollkommen neutral ist. In einer Argumentation, die sich systematisch eng an die Überlegungen zur Archetypisierung anschließt, vertritt Bentham die These, dass eine Rede, die sich nicht in Bilder umsetzen lässt, grundsätzlich bedenklich ist. Das Modell der Archetypisierung ist, so gesehen, offen hin zur stärker inhaltlich orientierten und logisch bedeutsameren Paraphrasierung. Das Bild, das wir sehen, kann durchaus mehr sein als die bloße Exposition einer Wortbedeutung, es 66 67

Vgl. zur Rückübersetzung der "psychological" in eine "physical idea" ebd., S. 87. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 11.

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kann die ursprüngliche Erfahrung wiederhergeben, die im Wort verdeckt ist, die aber die eigentliche Ursache seiner Entstehung war. Bilder sind zwar keine B e w e i s e , das darf nie vergessen werden, 6 8 sie sind aber unter Umständen unser zentraler Referenzpunkt des Denkens und Argumentierens. "Pain" und "pleasure" können wir gewissermaßen bildlich antizipieren, Fiktionen nicht oder doch nur sehr beschränkt, w e n n wir sie in erfahrbarer Realität inkorporieren: "The fundamental idea, the idea which serves to explain all the others, is that of an offence. It possesses clearness by itself; it presents an image·, it addresses itself to the senses, it is intelligible by the most limited mind. An offence is an act from which evil results. To do a positive act, is to put one's self in motion; to do a negative act, is to remain still. Now, a body in motion, or a body at rest, presents an image; an individual wounded, an individual suffering, in consequence of any action, presents an equally familiar image. It is not the same with the fictitious entities called rights and obligations. They can not be depicted under any form; they may, however be connected with sensible images, but they then cease to be abstractions; they are united to real things, as in the expressions, the right to do a certain act - the obligation to perform it or not to perform it."69 Fiktionen müssen also immer übersetzt werden. Sie können über die Archetypisierung an die Realität angenähert werden, ihre letzte rationale Exposition erhalten sie aber nur durch die utilitäre Reflexion. Sie ist gleichsam in der Lage, das, w o z u die Paraphrasierung und die Archetypisierung die Vorleistungen erbringen, wirklich mit Geltung auszustatten. Allerdings bleibt auch der utilitären Argumentation das Bild des leidenden Individuums, und nur um das Individuum kann es gehen, unverzichtbarer Bezugspunkt. Es muss aufgerufen werden können, w e n n Konsequenzen eines Handelns oder einer politischen Entscheidung, sei es ein Gesetz oder eine Verwaltungsvorschrift, vor dem Hintergrund v o n "pain" und "pleasure" und der Minimierung von Leid bzw. der Maximierung v o n Glück abgeschätzt werden sollen. Es kann aufgerufen werden, weil wir wissen, dass all unsere abstraktesten Vorstellungen einer konkreten individuellen Perzeption entstammen, die sie in einer erfahrbaren und sichtbaren Realität verorten. 70 So Wo sie so eingesetzt werden, da herrscht zu recht der Verdacht auf eine ideologische Indienstnahme des Bildes. Bentham diskutiert das am Beispiel der gemischten bzw. balancierten Monarchie und diagnostiziert eine unangemessene Archetypisierung durch Bedeutungsübertragung: "For proving the aptitude of their principle, the Corruptionists have two emblems: as if an emblem were a proof. Its aptitude - but to what end? for that it has any aptitude with relation to the greatest happiness they dare not venture to assert: at any rate in any direct terms: the falsehood would be to palpable. Of these emblems, one may be stilled the mechanical, the other the chemical." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 206. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 160. Auch die Idee eines Vergehens stammt von einer individuellen Wahrnehmung einer Missetat her. Bentham erläutert das am Beispiel seines Lieblingsautors Swift: "All ideas originate all of them from the senses: our ideas of mischief and the causes of it, as well as any other. Imagination may do something: but it must always have experience or observation or report, that is it must have sense as a ground to work upon. It follows then that there never can have been such a thing as a law which did not owe its establishment originally to the view of some particular mischief: the mischief resulting from some individual occurrence. In a nation of Strudlbruggs (Gulliver's Voyage to Laputa) there would be no such thing, we may presume, as a law against homicide: in a re-

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gesehen ist der Umgang mit den Fiktionen der "moral science" auf die visuelle Dimension menschlicher Weltwahrnehmung verwiesen, obwohl auch hier keine letzte Sicherheit erwartet werden darf. Die anderen nachrangigen Überlegungen Benthams zu den methodologischen Konsequenzen aus der Problematik der Sprachverwirrung können fast alle in Bezug zur Paraphrase und Archetypisierung bzw. Bifurcation gesetzt werden. Sie sind zu einem erheblichen Teil subsidiär oder weisen Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit den beschriebenen Ansätzen auf. Hauptstoßrichtung ihrer Verwendung ist die Verhinderung von "obscurity and ambiguity". Der Vollständigkeit halber seien sie kurz aufgelistet: Synonymisierung, Antithese, Illustration, Exemplifikation, Deskription, Enumeration, Amplication und Restriction.71 3.2.3.3.

Die sprachliche Form der Gesetze

Neben methodologischen Konsequenzen in Bezug auf jedes wissenschaftliche Sprechen finden sich in Benthams Werk auch immer wieder Anweisungen zur sprachlichen Idealform von Gesetzen. Bentham ging immer davon aus, dass die Bekanntmachung und Verständlichkeit zu den wesentlichen Voraussetzungen von vernünftigen Gesetzen gehören.72 Die Publizität des Rechts ist eine der Bedingungen dafür, dass es sich evolutionär an die Postulate des "greatest happiness principle" angenähert hat und weiter wird annähern können. Die Inhalte der gesetzlichen Vorschriften, die Anspruch auf Vernünftigkeit erheben können, sind über die Zeit hinweg beschränkt variabel, sie müssen den veränderten Erwartungen der Menschen angepasst werden, wenn auch zugleich der Kern dessen, was durch das positive Recht geboten und verboten werden soll unter den Voraussetzungen einer fortgeschrittenen Aufklärung als ziemlich stabil angesehen werden kann, was seinen Geltungsanspruch in Bezug auf Ort und Zeit betrifft. Diese Universalität des Rechts ist aber eher eine der Gründe und Worte als der jeweiligen gesetzlichen Mittel.73 public of angels, against angelicide; nor in one of devils against diabolicide." Of Laws in General, S. 160, Fn. c. Unsterblichkeit macht den Tatbestand der Tötung unmöglich und unerfahrbar. Es gibt ihn und das Wort hierfür nicht und man müsste einem unsterblichen Strudlbrugg erst lang und breit erklären, um was es dabei gehen kann. Vgl. Theory of Fictions, S. 91 ff. "Uncognoscibility of laws" ist für ihn das Kardinallaster des Rechts. Bentham unterscheidet eine "uncognoscibility ab extra", die in der fehlenden Bekanntmachung der Gesetze besteht und eine "uncognoscibility ab intra", die auf unverständliche Formulierungen zurückgeführt werden muss. Vgl. Nomography, Works, III, S. 243. Zur Universalität der richtig verstandenen Gründe vgl. Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 193. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in den "universally applying circumstances" der Gesetzgebung. Vgl. Codification Proposals, Works, IV, S. 561. Zur "language of universal law" vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 217. Am stärksten werden diese Thesen betont, wenn Bentham sich selbst als idealen Verfasser von Gesetzen anbietet und daher nachdrücklich die Universalität der anthropologischen Grundausstattungen und der fundamentalen Vergehen bzw. der Begründungsdiskurse herausarbeitet. Vgl. Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 26, 45 und 93.

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Da aber das Ziel der Sprache Verständigung ist und der Gesetzgeber, wenn er die Einhaltung seiner Gesetze wirklich will, was Bentham für das zeitgenössische England bekanntlich bestreitet,74 vor allem darauf abzielen muss, dass er von seinen Untertanen auch verstanden wird, ergibt sich zwangsläufig, dass der Imperativ jedes Sprechens auch für die Gesetze gilt: "speak intelligibly".75 Das ist nun keine bloße vernachlässigbare Formalie. Vielmehr ergibt sich folgender Kreislauf: Wenn der Gesetzgeber verstanden werden will, dann muss er sich klar ausdrücken und seinen Willen erklären, erklärt er aber seinen Willen, dann ist er den kritischen Prinzipien der Publizität und damit einem erheblichen Begründungszwang ausgesetzt. Geht man, wie Bentham, davon aus, dass das Glück der Wenigen nicht öffentlich rechtfertigbar ist, dann ergibt sich daraus ein erheblicher Druck in Richtung auf die Utilitätskonformität der Aktivitäten des staatlichen Gesetzgebers. Das heißt aber auch, wenn man all diese Vorstellungen zusammen betrachtet, dass es nicht möglich ist, die Gesetze für alle Zeiten unabänderlich perfekt zu machen, da sich die menschlichen Verhältnisse ändern. Es muss aber sehr wohl grundlegende überzeitliche Begründungen und Prinzipien mittlerer Abstraktionshöhe geben, die immer gelten und es muss eine Form des Gesetzes geben, die ebenfalls universal richtig ist. Verkürzt gesagt hieße das, dass zwar die Gesetze nicht perfektionierbar sind, sehr wohl aber Verfahren der Gesetzgebung und Formen ihrer Abfassung.76 Für die sprachliche Form der Gesetze müssten sich also Regeln angeben lassen, die dem Leitziel ihrer Verständlichkeit dienen und die unabhängig von den jeweiligen zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten Geltung beanspruchen können. Bentham hat solche Postulate bei zahlreichen Gelegenheiten formuliert. Eine der ausführlichsten Darstellungen der Sprachregeln für Gesetze findet sich in seinem Text zur Nomography, der bereits vom Titel her in diese Richtung weist. Die zentralen Regeln, die hier vorgeschlagen sind, werden in Absetzung zu den diagnostizierten Defiziten des englischen Rechts formuliert und sind von der Überzeugung getragen, dass angemessene Formulierungen der Rechtssystematik und insbesondere dem Gesetzesgehorsam dienen. Die zentralen Regeln der Nomography lauten: a) - Verwende keine rein technische Rechtssprache, bestimme jedes unklare und mehrdeutige Wort, (exposition and fixation) b) - Sorge dafür, dass das Recht so eingeteilt wird, dass die Betroffenen es je für ihre Lebenssituation auch kennen können, (rule of distribution) c) - Vermische die Gegenstände der Gesetzgebung nicht miteinander, (rule of purity) d) - Sorge für eine vollständige Behandlung der Gegenstände, (rule of completeness) e) - Verwende Verweise auf abhängige Rechtsregeln ((indication of reference) Die Juristenkaste hat die Rechtssprache absichtlich in einem "state of depression below the condition of barbarism" gehalten, da nur so ihr Gruppeninteresse durchsetzbar war. Vgl. fur zahllose Stellen Nomography, Works, III, S. 250. Vgl. Nomography, Works, III, S. 238. Auch die Sprache des Rechts verfolgt das universale Ziel aller Sprache: "the universal end of language". Vgl. Codification Proposals, Works, IV, S. 554.

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f) - Benutze die selben Worte für die selben Tatbestände und Rechte, (principle of steadiness) g) - Führe keine unnötigen Verdoppelungen ein (command includes permission, lawfullness needs no permisson). h) - Minimiere die Länge der Sätze, (no repetitions, no selfevidence, abbreviation, enumeration) i) - Gesetze müssen nummerierte Abschnitte haben, (a law in parts) j) - Nutze, wenn immer möglich, Substantive und keine Verben, (substantive-prefering principle) k) - Wo nötig, führe eindeutige und verständliche neue Worte ein. (new propositions need new words) Einem wesentlichen Teil dieser Regeln geht es, beispielhaft am "substantive-prefering principle", um die eindeutige Festlegung von Bedeutungen. 77 Die Worte des Rechts sollen wie Felsen sein, Bedeutung nicht wie ein Blatt auf einem Fluss, dass einfach und schnell weggespült werden kann. Bentham stellt eine direkte Verbindung zwischen dem von ihm propagierten "natural system" des Rechts und seiner sprachlichen Angemessenheit auf der einen und dem bekämpften "technical system" und seiner von sprachlichen Fehlern durchsetzten Abfassung auf der anderen Seite her. Das natürliche System des Rechts folgt dem Vorbild alltäglicher Verständigkeit und nimmt keine weltfremden und verdeckenden Formulierungen in Kauf. Es ist nachvollziehbar und verständlich, da es die Menschen da aufsucht, wo sie ihr Leben führen und keine künstlichen Vorschriften über sie stülpt. 78 Bentham hat einen erheblichen Teil seines Lebens damit zugebracht, das natürliche System des Rechts zu propagieren und das künstliche des englischen Rechts anzugreifen. 79 Immer spielt dabei die sprachliche Form eine entscheidende Rolle, ja die Verweigerung der Rechtsreform geht Hand in Hand mit der Verweigerung der Sprachreform. 80 Aus den bereits angedeuteten Gründen haben diejenigen, die das Recht in ihrer Gewalt haben, kein Interesse an seiner Verbesserung und Verständlichkeit. Sie arbeiten mit der durch Unverständlichkeit erzeugten Unsicherheit, obwohl die Reduktion von Unsicher-

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"Where a substantive is employed, the idea is stationed as it were upon a rock: - where no substantive is employed, but only a verb, the idea is as it were a twig or a leaf floating on a stream, and hurried down out of view along with it." Nomography, Works, III, S. 267. So interpretiert er dann auch seine eigenen Sprachvorschriften. Die Anweisungen greifen insbesondere dann, wenn die bevorzugt zu verwendende Umgangssprache das Risiko der Unscharfe mit sich bringt. Die regulierende Unterstellung ist, das die Bedeutung der Worte, die man in der normalen Kommunikation gebraucht, auch verstanden wird. Bentham reflektiert, dass er sonst auch gar nicht seine Bücher schreiben könnte. Erst wenn vermutet werden muss, dass zwei Individuen je unterschiedliche Verstehensneigungen haben, dann greift die Verpflichtung zur Bedeutungsfixierung. Bentham hatte diesen Verdacht, was sein eigens Werk betrifft, offensichtlich sehr oft. Vgl. Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 184. Sein Kampf beginnt auch hier bereits mit dem Fragment on Government. Vgl. ebd., S. 25. "[...] the horror of innovation in language forms a natural accompaniment to the horror of innovation in law [...]. Nomography, Works, III, S. 271.

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heit einen der zentralen Zwecke allen Rechts darstellt.81 Die durch Bedeutungsfixierungen hergestellte Rechtssicherheit wird in den Augen Benthams zum exakten Gegenbild des bestehenden Rechts. "Proportioned to the uncertainty attaching to the import of the words employed upon legal subjects, will be the uncertainty of possession and expectation in regard to property in every shape, and also the deficiency of political security against evil in every shape: proportioned, therefore, to the fixity given to the import of those same words, will be the security for good in every shape, and against evil in every shape. Until, therefore, the nomenclature and language of law shall be improved, the great end of government cannot be fully attained." 82

Wenn es stimmt, dass ein erheblicher Teil von Herrschaft über Sprache und Kommunikation ausgeübt wird, dann stellt sich der kritischen Analyse, die der Reform vorausgeht und deren Durchsetzungsbedingungen reflektiert, notgedrungen die Aufgabe einer genaueren Betrachtung der sprachlichen Täuschungs- und Verdeckungsmittel, mit denen sich eine Reihe von interessierten Gruppen, die sich auf ideologischem Gebiet wechselseitig stützen, ungerechtfertigt an den Herrschaftsunterworfenen bereichern.

3.2.4.

Sprachpolitik

Bentham macht Herrschaft ausschließlich vom faktischen Gehorsam der Beherrschten abhängig. Hinter jeder Unterordnung unter ein bestehendes Ordnungssystem und seine Vertreter steht ein stilles oder auch explizites Kalkül, das die Kosten und den Nutzen von Gehorsam bzw. Widerstand gegeneinander abwägt. Wie das genauer aussieht, das werden wir im nächsten Hauptteil der vorliegenden Ausführungen durchleuchten müssen. Für den hier in Rede stehenden Zusammenhang ist wichtig, dass in dem Moment, in dem die Herrschenden nicht über absolute Zwangsmittel gegenüber den Beherrschten verfügen, sie darauf angewiesen sind, Zustimmung zu ihrer Herrschaft oder doch zumindest schweigende Akzeptanz zu mobilisieren.83 Daher ist gerade in einem System, wie es das britische darstellt, der Bedarf an Kommunikation groß.84 Man muss, da man

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Daher will Bentham auch, so weit wie nur immer möglich, die Interpretationsfreiheit der Richter gegenüber dem Recht einschränken: "But when the judge dares to arrogate to himself the power of interpreting the laws, that is to say, of substituting his will for that of the legislator, every thing is arbitrary - no one can foresee the course which his caprice may take." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 325. Prinzipiell abgelehnt wird die "liberal interpretation" des Rechts, die, im Gegensatz zu einer rein auslegenden "strict interpretation", einen hypothetischen Willen des Gesetzgebers unterstellt. Sie ist Anmaßung der legislativen Gewalt im Gewand der Rechtsprechung. Vgl. Of Laws in General, S. 162 f. Letztlich liegt ihre Möglichkeit in der Unaufmerksamkeit der bisherigen Gesetzgeber, die meist ungebildet oder naiv waren. Vgl. ebd., S. 237 f. Ebd., S. 270 f. "The less the force, the more urgent the need of delusion as well as of corruption." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 211. "Fallacy is fraud; and fraud is useless when everything is done by force." Handbook of Political Fallacies, S. 246. Vgl. ebd., S. 158. Auch in diesem Kontext haben wir wieder eine durchschlagende Metaphorik des Sehens: "A property, which under any form of government but the democratical, is by all ru-

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ohne die Kooperation derjenigen, die man unterdrücken und ausbeuten will, keinen Erfolg haben kann, den öffentlichen Diskurs durch Verbote, wie sie etwa die Libel laws darstellen, kontrollieren und Diskurse stimulieren, die den Schein der Rechtmäßigkeit und Gemeinwohlbindung erzeugen. Hat sich ein Diskurs, wie der der Parlamentsreform und des Wahlrechts, trotz aller Gegenmaßnahmen weitgehend verselbstständigt, dann bedarf es verstärkter Anstrengungen ihn zu diskreditieren. Man wird alles tun, möglichst die Hegemonie über die öffentliche Debatte dadurch zurückzugewinnen, dass man das Vokabular der Gegner verfälscht bzw. in die falsche Richtung interpretiert. Bentham analysiert in seinem Werk aber nicht nur die Rhetorik der Reaktion, er hat sich, wenn auch vor seiner radikaldemokratischen Bekehrung, zudem ausgiebig mit der Rhetorik des Umsturzes beschäftigt. Beide bedienen sich überraschend ähnlicher Werkzeuge. Gleichgültig jedoch, ob "fictions" oder "fallacies" einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, eines muss dabei immer als Hintergrund bewusst bleiben, nämlich die Tatsache, dass wir uns hier an der Grenze zwischen dem Reich der Sprache des Willens und dem Reich der Sprache des Verstandes befinden. Gemeint ist damit die Beobachtung, dass die sprachliche Kommunikation immer einen doppelten Bezug hat. Sie bezieht sich einmal in ihrer assertorischen Dimension auf eine mögliche Wahrheitsgeltung und zum anderen auf den Durchsetzungswillen des Sprechers. Wenn wir sprechen, so ist dies immer mit einer persuasiven Absicht verbunden und das Nicht-Erreichen des persuasiven Ziels verursacht einen Zustand des Unwohlseins. 85 Wenn nun aber auch jeder assertorische Satz ein Willensmoment bei sich fuhrt und umgekehrt jeder Imperativ mit assertorischen Elementen aufgeladen ist, so kann man beide Bereiche doch prinzipiell dadurch voneinander trennen, dass man assertorische Sätze als solche begreift, die sich als Äußerung des Verstandes an den Verstand des Rezipienten richten, während jeder Imperativ zunächst das sprachliche Ergebnis eines Willens ist, der wiederum an einen Willen adressiert ist.86 Im Zusammenhang von Benthams Projekt ist eindeutig das Ziel klar: was die Politik und das Recht betrifft, so soll sich die Sprache des Willens

lers desired to be found and preserved, and consequently, where not found, to be created - is blindness·. [...]. By blindness, - by whatsoever bandage kept over the eyes - by this state of the eyes, coupled with laud from lips and from hand with pen in it, much reward was to be got; from vision - distinct relative vision - nothing better than punishment." Bentham to his Fellow-citizens of France, Works, IV, S. 446. Vgl. Theory of Fictions, S. 58. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 299, Fn. b2. Es macht den Unterschied von Rat (advice) und Befehl (exhortation) aus, dass ein Ratschlag keine neuen Motive beim Hörer kreiert, sich also an den Verstand wendet, während ein Befehl genau dadurch unterscheidbar ist, dass er neue Motive beim Hörer schafft. Vgl. Of Laws in General, S. 14, Fn. 1. Die Sprache des Willens ist außerdem noch durch bestehende Machtasymmetrie gebrochen. Eine Willensäußerung kann sich dreifach gestalten: "Addressed to an inferior, a discourse expressive of the will of his superior, possesses the character and effect of a law: adressed to a superior, a discourse expressive of the will of an inferior, presents itself in the character of a petition·, addressed to an equal, a discourse expressive of the will of his equal, presents itself in the character of a proposal." Nomography, Works, III, S. 235.

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möglichst weit in eine des Verstandes auflösen.87 Was die kritisierten "fallacies" und "fictions" betrifft, so haben wir in ihnen neben der Korruption und dem einschüchternden Terror das dritte Medium der Aufrechterhaltung einer vernünftig nicht rechtfertigbaren Herrschaftsbeziehung. Sie funktionieren, indem sie, die eigentlich Kreaturen des Willens sind, sich täuschend an den Verstand wenden und damit als eine Art kommunikative Hilfstruppen die Kraft des gesetzlichen und politischen Befehls verstärken und legitimieren. Dadurch wird aber kommunikativ der gesellschaftliche Wissenshaushalt, der, wie wir sehen konnten, außerordentlich auf die wahrhaftige Kommunikation angewiesen ist, manipuliert.88 3.2.4.1.

Legal and Political Fictions - "original contract "

Unter dieser Überschrift kann hier keine genauere Analyse von Benthams Kritik an den Fiktionen des "common law" erfolgen. Hierzu ist eine Spezialkenntnis der englischen Rechtsgeschichte nötig, die außerhalb Großbritanniens bzw. der angelsächsischen Rechtstradition kaum vorkommen wird.89 Für unseren Zusammenhang auch wichtiger ist eher der politisch-ideologische Gebrauch einzelner zentraler Fiktionen, die eindeutig auf die gesamte Herrschaftsordnung hin Auswirkungen haben. Daher betrachten wir exemplarisch die Fiktionen des Gesellschafts- bzw. Herrschaftsvertrages, die wiederum eng mit der Vorstellung einer Bindung von Herrschaft durch den Krönungseid zusammen hängen. Die von Blackstone in seinen Commentaries referierte Fiktion des "original contract" als der zentralen Grundlage von politischer Herrschaft wird bereits im Fragment on Government unter Berufung auf Humes klassische Kritik angegriffen und polemisch bearbeitet. Wir können hier die Argumentationslinie, die sich mit Begriffsunschärfen befasst, beiseite lassen, da sie bereits bekannte Topoi referiert. Interessant für uns ist an den Ausführungen im Fragment und an den anderen einschlägigen Stellen, welche Ursachen Bentham für die Entstehung der Vertragsfiktion sieht und warum es sich hier um eine politisch gefährliche Einrichtung handelt, der nicht zugestanden werden kann, dass sie in einer Art mentalem Bild ein fundamentales Phänomen der Politik und der Einrichtung einer politischen Ordnung, wenn auch eben nur fiktiv, sichtbar macht. Dabei Eines Tages sollen über eine vernünftige Gesetzgebung die vernünftigen Gründe der Gesetze die Weltherrschaft antreten: "Reasons these alone are addresses from understanding to understanding. Ordinances without reasons, are but manifestations of will, - of the will of the mighty, extracting obedience from the helpless." Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 100. Vgl. auch ebd., S. 78 und 170. Der Schlachtruf des sich selbst als einen machtlosen Berater der Mächtigen stilisierenden Bentham, den die Machtlosigkeit unter diesem Blickwinkel geradezu zum Gesetzgeber bzw. Abfasser von Gesetzen privilegiert, lautet daher auch: "stat pro volúntate ratio". Outline of a Plan of General Property, Works, V, S. 418. "The general [mode of deception - W.H.] consists in forcing the people with whom you have to do, to borrow your understanding, and under the cover of it, your will, by preventing them from having any understanding fit for use, and thence from having any will applicable to the purpose." On the Art of Packing Special Juries, Works V, S. 74. Vgl. Postema, Gerald J., Bentham and the Common Law Tradition, Oxford 1986, S. 263 ff., ders: Facts, Fictions and Law, in: Archiv fur Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 16, 1983, S. 37-64.

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steht natürlich für Bentham vollkommen außer Frage, dass es eine Vertragsschließung nicht geben konnte. Er argumentiert vielmehr, dass alle politische Herrschaft aus anderen genetischen Quellen herkommt und ihre faktische Geltung ebenfalls keineswegs aus einer reziproken Bindung durch Vertrag abgeleitet werden kann.90 Seine Kritik der Vertragskonstellation gewährt also gleichzeitig einen ersten Blick auf seine politische Theorie im engeren Sinne. Betrachten wir nun die von Bentham diskutierten Gründe dafür, dass auf ein Vertragsmodell der Begründung politischer Herrschaft zurückgegriffen werden musste, so kann man systematische und eher externe unterscheiden. Zu den eher externen Gründen zählt die Tatsache, dass selbst so eine herausragende intellektuelle Gestalt, wie sie John Locke zweifellos darstellt, nicht ganz über ihre Zeit hinaus konnte. Locke, so sieht es Bentham, blieb bei aller Innovationskraft selbst einem eher aristokratischen Gesellschaftsmodell verhaftet.91 Außerdem muss davon ausgegangen werden, dass 1688 die maßgeblichen Interessen übermächtig für eine nur beschränkte Veränderung waren, während gleichzeitig die Aufklärung der Menschen noch nicht weit genug war, um die Mechanismen der Macht zu durchschauen. Indem Locke die Vertragsfiktion übernahm und umgestaltete, konnte er mit der Akzeptanz verschiedenster Gruppen rechnen, da sie wesentliche Dinge beim Alten ließ und auf das bekannte Mittel der Verpflichtung setzte.92 Der entscheidende interne Grund, warum ein Vertragsmodell zur Begründung herangezogen wurde, bestand darin, dass man glaubte, damit zwei auf den ersten Blick absolut unvereinbare Dinge miteinander verbinden zu können, nämlich den gelegentlich nötigen Widerstand mit der prinzipiellen Pflicht zur Unterwerfung unter Herrschaft. Bentham erzählt uns eine "fiktive" Geschichte: "Conversing with Lawyers, I found them full of the virtues of their Original Contract, as a recipe of sovereign efficacy for reconciling the accidental necessity of resistance with the general duty of submission. This drug of theirs they administered to me to calm my scruples. But my unpractised stomach revolted against their opiate. I bid them open to me that page of history in which the solemnization of this important contract was recorded. They shrunk from this challenge; nor could they, when thus pressed, do otherwise than our Author has done, confess the whole to be a fiction. This, methought looked ill. It seemed to me the acknowledgement of a bad cause, the bringing a fiction to support it. 'To prove fiction, indeed,' said I, there is need of fiction; but it is the characteristic of truth to need no proof but truth. Have you then really any such privilege as that of coining facts? You are spending argument to no purpose. [...] 'as well 90

Die Entstehung von Regierung ist vollkommen gleichgültig für die Zielsetzung ihrer Politik und fur ihre Riickbindung an das Glück der Menschen: "The origination of governments from a contract is a pure fiction, or in other words a falsehood. It never has been known to be true by any instance, [...]. All government that we have any account of have been gradually established by habit, after having been formed by force; [...]. What signifies it how governments are formed? Is it the less proper - the less conducive to the happiness of society - that the happiness of society should be the one object kept in view by the members of the government in all their measures?" Anarchical Fallacies, Works, II, S. 501 f.

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Vgl. Article on Utilitarianism, S. 315. Sein "property-trumpeting principle" und der "original contract" wird kritisiert ebd., S. 298. Vgl. Bentham to his Fellow-citizens of France, Works, IV, S. 447.

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may you suppose that proposition itself to be true, which you wish to prove, as that other whereby you hope to prove it.' Thus continued I unsatisfying and unsatisfied, till I learnt to see that utility was the test and measure of all virtue; of loyalty as much as any; and that the obligation to minister to general happiness, was an obligation paramount to and inclusive of every other. [...]. I bid adieu to the original contract: and left it to those to amuse themselves with this rattle, who could think they needed it."93

Dieser Ausschnitt aus einer wahrhaft riesigen Fußnote verdient deshalb hier ausfuhrlich zitiert zu werden, weil zumindest zwei Dinge daran deutlich werden. Einmal demonstriert Bentham die Funktionslogik einer politischen Fiktion. Der fiktive Vertrag wird nur eingeführt, weil er etwas beweisen soll, was selbst fiktiv ist. Faktisch, das wird sich sofort bei den nächsten Argumenten zeigen, dient seine wirkungsmächtigste Variante, und das ist die Lockes, bloß zur ideologischen Rechtfertigung eines Umsturzes. Der aber ist in "terms of law" eben kaum widerspruchsfrei beschreibbar und schon gar nicht rechtfertigbar. Außerdem behauptet Bentham, dass das Utilitätsprinzip des größten Glücks in seiner Denkbewegung das Vertragsprinzip ersetzt, und dies auch noch mit einem weitaus höheren Plausibilitätsgrad und einer eben solchen Reichweite tun kann. Der Vertrag wird deshalb zum Modell der Vereinigung des Unvereinbaren, weil das ihm zu Grunde liegende Modell einer wechselseitigen Versprechung, die "man" einhalten muss, den Menschen nahe lag und liegt und, weil sie dazu neigen, nicht von logischen Voraussetzungen, sondern von Gewohnheiten anzunehmen, dass sie fundamental sind.94 Dabei sieht die grundlegende Beziehung zwischen der Geltung von Versprechen und Verträgen nie so aus, dass sie auf einer natürlichen Richtigkeit (law of nature) oder auf der leeren Phrase des gesunden Menschenverstandes (right reason) aufbauen könnte. Die eigentliche Verpflichtung zum Einhalten der Verträge ergibt sich nämlich genau umgekehrt. Es ist nicht die Verbindlichkeit eines grundlegenden Herrschaftsvertrages, der alle anderen Rechts- und Vertragsverhältnisse begründet, sondern anders herum. Die die politische Realität einholenden Nutzenkalküle der Individuen erhalten die Rechtsbeziehungen, die von souveräner Gewalt garantiert werden und daraus erst fließt die Bedingung der Möglichkeit von Versprechen und Verträgen. Beide werden durch je eine der beiden unterschiedlichen menschlichen Sanktion gedeckt, da es zum Vorteil der Gesellschaft ist, dass wir beide einhalten. Mit anderen Worten: Verträge und Versprechen gelten nur, weil sie für das Glück der vergesellschafteten Menschen nützlich sind. Daher werden sie im idealen Fall von der "popular"- und der "political sanction" auch sanktioniert, im realen Fall besteht eine universale Tendenz hierzu.95 93 94 95

A Fragment on Government, S. 52, Fn. ν fortlaufend. Vgl. ebd., S. 53. "But, after all, for what reason is it, that men ought to keep their promises? The moment any intelligible reason is given, it is this: that it is for the advantage of society they should keep them; and if they do not, than, as far as punishment will go, they should be made to keep them. It is for the advantage of the whole number that the promises of each individual should be kept: and, rather than they should not be kept, that such individuals as fail to keep them should be punished. [...] Such is the benefit to gain, and mischief to avoid, by keeping them, as much more than compensates the mischief of so much punishment as is requisite to oblige men to them." A Fragment on Government, S. 55. Das relevante Sollen wird nicht aus einem individuellen, sondern einem

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Daraus folgt aber rein rechtssystematisch, das in keinem Fall irgend ein fiktiver Vertrag der Geltungsgrund des Rechts ist, vielmehr gilt genau umgekehrt, dass es, nur weil es ein Vertragsrecht gibt, so etwas Ähnliches wie Verträge geben kann.96 Vor dem Recht gibt es keinen Vertrag, sondern nur die vorlegalen "services", die sich die Individuen auch in einem vorgestellten staatsfreien Zustand immer schon leisten. Innerhalb der Rechtstheorie Benthams wird der Vertrag zwischen rechtsunterworfenen Individuen daher als eine vom Gesetzgeber absichtlich freigelassene Leerstelle,97 das ist dann die Bedeutung der Vertragsfreiheit, im alles durchdringenden Rechtsgefiige begriffen. Ist ein Vertrag geschlossen, so liegt eine gesetzesanaloge Konstellation vor, die zwar aus Freiheit hervorgegangen ist, die aber, weil der Souverän die Verträge gleichsam als Gesetze adoptiert, nun den Rückgriff auf den Zwang der "political and legal sanction" erlaubt.98 Worin aber besteht nun der unverhältnismäßig große Schaden dieser Fiktion vom "original contract"? Zweifellos ist jede nicht auf Realität rückfiihrbare Fiktion schädlich, weil sie über Falschheit und Täuschung die öffentliche Moral und politische Kultur verdirbt. Wenn öffentlich Unsinn zur Rechtfertigung von Institutionen hergenommen wird, dann arbeitet man so gegen die Aufklärung. Das zeigt sich bereits am Beispiel der unmittelbar aus der Vertragsfiktion hervorgehenden weiteren Argumentation bzw. in Bezug mit der damit verbundenen Vorstellung vom Krönungseid, der bekanntlich 1688

kollektiven Nutzenkalkül abgeleitet, so dass sich daraus auch ergibt, dass das immer bestehende Übel der Strafe für ein gebrochenes Versprechen wegen der bestehenden Vorteile (wer Versprechen hält, der wird nicht bestraft, es nutzt allen mehr als die Strafe dem Individuum schadet) eindeutig kompensiert wird. Nur, wenn Menschen durchschnittlich ihre Versprechen halten, dann kann es eine "security of expectation" und damit fur alle eine vernünftige Lebensführung geben. Daraus ergibt sich natürlich auch, dass die vereinzelte Vernunft durchaus dazu neigen kann, Versprechen zu ihrem unmittelbaren Vorteil zu brechen. Es kann keine praktisch relevante Verbindlichkeit von Versprechen oder der Neigung, die Wahrheit zu sagen, allein aus bloßen individuellen Kalkülen geben. Externalistische Perspektive und Kompensation gehen hier geradezu optimal Hand in Hand. Allerdings wird der äußere Zwang auch vom von den äußeren Zwängen unabhängigen Motiv des "selfregard" unterstützt. Vgl. Introductory View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 20 "Contracts came from government, not government from contract." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 502 (Hervorheb. - W.H.). An dieser Stelle wird dann auch ohne Nennung des Namens die Vorstellung von Thomas Hobbes vom "Recht auf alles" im Naturzustand polemisch angegriffen. Vgl. zum Rechtsgrund von Verträgen auch Principles of the Civil Code, Works, I, S. 333. Zum "law with a blank" und der Vorstellung eines "imperfect law", bei dem der Gesetzgeber eine Art Initiativfunktion hat, die durch das "consumative" Handeln der Individuen zu einem vollständigen Gesetzesakt wird, vgl. Pannomial Fragment, Works, III, S. 222. Vg. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 190. Grundsätzlich ausgeschlossen dürfen nur Verträge sein, die sich gegen das öffentliche Wohl richten. Jedes Individuum ist prinzipiell ein besserer Richter seines Glücks als es der Gesetzgeber in diesem Fall sein kann. Daher tritt Bentham auch gegen seinen ökonomischen Lehrmeister Adam Smith dafür ein, dass es kein Gesetz gegen Wucherzinsen geben darf, da das genau die universale Vertragsfreiheit beschränken müsste. Solch ein politischer Patemalismus ist nicht begründbar: Vgl. Defence of Usury, Works, II, S. 8.

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an die neuen Verhältnisse angepasst wurde." Wenn man nämlich auf der Vertragsfiktion aufbauend behauptet, dass James II. seinen "trust" verlassen habe und gleichsam von sich aus seinen Vertrag mit dem englischen Volk zur Disposition gestellt hat, dann ist das eine öffentlich behauptete Lüge, die sich auf eine Fiktion stützt. Jeder weiß schließlich, dass es keinen Vertrag zwischen James und dem Volk gab und es ist notorisch, dass er sich bis zum bitteren Ende mit aller Kraft an seinen Thron geklammert hat.100 In dieses ideologische Geflecht fügt sich die Vorstellung einer eidlichen Bindung des Herrschers bruchlos ein. Sie stützt auch in dem nur scheinbar so neuen politischen Weltbild die Vorstellung von einer gebundenen und am Wohl der Bevölkerung orientierten Herrschaft. Bentham betrachtet angesichts seiner generellen Abneigung gegenüber der Eidespraxis101 Krönungseide bestenfalls als unsinnig, was ihre wirkliche Beeinflussung der Regierung betrifft, und führt das an den sich ausschließenden Berufungen auf Gott durch George I. und den Pretender vor. Was ihre ideologische Wirkung angeht, so sind Krönungseide das ideale Instrument eines Menschen mit Religion auf den Lippen und einer Mördergrube im Herzen.102 Spätestens an dieser Stelle wird der eigentlich ideologische Gebrauch der Vertragsfiktion erkennbar. Sie ist so hilfreich für die herrschenden Eliten, weil sie so massiv interpretationsbedürftig ist und weil sie die eigentlichen Mechanismen von Herrschaft und Gehorsam geschickt verschleiert. Hinter diesem Schleier können sich die sinistren Interessen der "ruling few" hervorragend betätigen. Der Vertrag spiegelt nämlich genauso wie der unsinnige Krönungseid eine Sicherheit vor, wo es auf diese Weise keine geben kann, nämlich genau dort, wo die von Bentham sonst so gepriesene und erhoffte Verrechtlichung der menschlichen Beziehungen ihre Grenzen findet und die so nötige Sicherheit in vollkommen andere institutionelle Formen gegossen werden muss. Wenn nämlich behauptet wird, dass der Vertrag zwischen Monarch und Bürgern als seinen wesentlichen Inhalt einen Tausch von Gehorsam gegen eine gute, d.h. am Glück der Bürger orientierte Regierung hat, dann ist damit nichts in Bezug auf die Regierungspolitik gesagt, es ist bloß der Anschein erweckt, dass man die souveräne Gewalt in irgendeiner Weise über einen Vertrag binden könnte. Das aber ist schlicht Unsinn. Die Gewalt, die alle Verträge sanktioniert, kann nicht über einen Vertrag eingefangen wer-

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Bentham lässt keinen Zweifel an seiner Verachtung für die veränderte Szene und die Bill of Rights. Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 175. Die Bindung des Monarchen durch den Krönungseid ist eine Bühnenshow: "Chains to the man in power? Yes; but such as he wears upon the stage: to the spectators as imposing, to himself as light as possible. Modelled by the wearer to suit his own purposes, they serve to rattle but not to restrain." Handbook of Political Fallacies, S. 71. 100 Yg] Bentham to the Spanish People on Liberty and Public Discussion, Works, II, S. 288. Wenn James II. "abgedankt" hat, dann, weil er abwesend war und weil er davongejagt wurde. Davongejagt wurde er, weil er schlecht regierte. Wenn das so ist, dass schlechte Regierung und Abwesenheit die entscheidenden Kriterien sind, so die Polemik Benthams, dann hat das Britische Parlament schon längst abgedankt. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 509. 101 Sie schaffen da Vertrauen, wo keines sein sollte. Vgl. Outline of a Plan of a General Register of Real Property, Works, V, S. 427. 102 Vgl. Swear not at All, Works, V, S. 206.

Im Sprachgewirr

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den.103 Aus der Einsicht, dass der Souverän als Herr aller Verträge nicht selbst durch Vertrag gebunden werden kann, zieht Bentham allerdings nicht wie Thomas Hobbes den Schluss, dass es keine mögliche Rückbindung von Souveränität geben kann, sondern er will sie über das institutionelle Arrangement der repräsentativen Demokratie mit den Nutzenkalkülen der Beherrschten verbinden. Faktisch verdeckt der Vertrag ein reales, aber oft implizites Kalkül, dass aller Herrschaft zu Grunde liegt, von dem die herrschenden Wenigen aber nicht unbedingt wollen, dass es ein offenes Kalkül wird. Im Fragment formuliert es Bentham so, dass im möglichen Ernstfall eigentlich nur der falsche Schein eines Vertragsbruches die reale Abwägung des Nutzens ersetzt: "It is manifest, on a very little consideration, that nothing was gained by this manoeuvre after all: no difficulty removed by it. It was still necessary, and that as much as ever, that the question men studied to avoid should be determined, in order to determine the question they thought to substitute in its room. It was still necessary to determine, whether the king in question had, or had not acted so far in opposition to the happiness of the people, that it were better no longer to obey him; in order to determine, whether the promise he was supposed to have made, had, or had not been broken. For what was the supposed purport of this promise? It was no other than what has just been mentioned."104

Es gibt, wenn ein bestimmtes Niveau der rationalen Rückbindung von Herrschaft einmal erreicht worden ist, keine Rückzugslinie hinter dieses Kalkül mehr. Wenn man so will, stellt es das Nutzenkalkül der vertragsschließenden Parteien bei Hobbes auf Dauer, anstatt es in einem Vertrag terminieren zu lassen. Es bleibt auch gar keine andere Wahl. Diesem Kalkül wird man unter den Bedingungen der menschlichen Existenz nicht entkommen können. Es muss allerdings unter Normalbedingungen, und das sind die einer repräsentativen Regierung, durch ein institutionalisiertes Kalkül von Wählern ersetzt werden, das dann die wesentliche Unterstellung im Vergleich zur Monarchie voraus hat, dass die gewählten Repräsentanten im Wahlturnus ausgewechselt werden können. Dies macht den wesentlichen Kern von Benthams Institutionenlehre aus, da, und bei einem Autor, der rechtstheoretische Argumente sonst so stark macht überrascht das zunächst, die Messlatte der reinen Rechtskonformität hier nicht zureichen kann. Zwar ist ein Regieren gegen die Gesetze ein zentrales Indiz für eine mangelnde Gemeinwohlorientierung eines Monarchen oder einer anderen Regierung. Ein Indiz reicht aber keineswegs aus als politisches Kriterium vernünftiger Herrschaft. Es gibt Regierungsordnungen, in denen das Recht zu kaum einem anderen Zweck als dem der Beförderung der Interessen der "ruling few" verwendet wird. Man kann das Glück der Regierten auch an einem guten Recht vorbei systematisch schmälern, außergewöhnliche Umstände mögen außerlegale politische Mittel verlangen und nicht zuletzt wird ein einzelner Rechtsbruch des Souveräns bei einem vernünftigen Kalkül der Herrschaftsunterworfenen kaum die Mü103

104

Bestenfalls handelt es sich eben um Versprechen des Souveräns, die aber keiner legalen Sanktion ausgesetzt sind, weswegen sie nicht illegal sein können und bestenfalls der "moral or religious sanction" unterworfen werden können. Rechtssystematisch stehen sie auf dem Niveau der Verträge zwischen unabhängigen Staaten, deren ultima ratio die kriegerische Auseinandersetzung ist. Vgl. Of Laws in General, S. 16. A Fragment on Government, S. 54.

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he eines wirklichen Umsturzes rechtfertigen.105 Es bleibt immer eine Frage der erfahrungsgesättigten Entscheidung, ob es sich denn auf der Seite der Herrschaftsadressaten weiter lohnt, dem Herrscher zu gehorchen, oder besser, ob die Kosten für den immer möglichen Wiederstand zu hoch sind, um wegen erträglicher Übel, die man zwar gern abgeschafft hätte, mit denen man aber leben kann, alles aufs Spiel zu setzen. Genau diese grundlegende Dramatik des Kalküls wird von der Vertragsfiktion ideologisch verdeckt. Betrachtet man aber diese entscheidende Denkfigur Benthams, so wird einem unschwer einleuchten, was bei genauerer Lektüre den herrschenden und einflussreichen Eliten daran nicht gefallen haben kann. Bereits der junge Aufklärer Bentham, der bekanntlich im Fragment noch Jahrzehnte vom demokratischen Radikalismus seines Alters entfernt war und eher auf eine Reform von oben setzte, verweist auf das dauernde implizite Nutzenkalkül der Untertanen als alleinigem Grund aller politischer Herrschaft. Es liefert zugleich den kausalen und normativen Grund: "[...] why subjects should obey Kings as long as they so conduct (entsprechend der Verfassungserwartung - W.H.) themselves, and no longer: why they should obey in short so long as the probable mischiefs of obedience are less than the probable mischiefs of resistance: why, in a word, taking the whole body together, it is their duty to obey, just so long as it is in their interest, and no longer."106

Danach kann es keine Pflicht zum politischen Gehorsam der Bürger geben, der kein Interesse an eben diesem Gehorsam entspricht. Offensichtlich kann dieses Interesse verschiedener Natur sein. Es kann die bloße Akzeptanz einer Herrschaft als geringeres Übel genauso einschließen wie auch die bereitwillige Zustimmung und Unterstützung einer als vorteilhaft eingeschätzten Herrschaftsordnung. Die Verbindung von Pflicht und Interesse, das "duty and interest juncture principle" jedenfalls findet seine Anwendung nicht bloß bei politischen Amtsträgern, sondern im Frühwerk auch bereits auf der Ebene der einfachen Bürger. Eines ist damit aber keineswegs gemeint: dass es eine extralegale Pflicht zum Gehorsam gegen ein als übel empfundenes Herrschaftssystem geben soll. Hier ist lediglich gesagt, dass wir solange gehorchen, bis wir nicht mehr gehorchen wollen und es eine Vertragsfiktion braucht, wenn man uns mehr als diese Verpflichtung andichten will. Die Ursache hierfür liegt in einer einfachen und gut beobachtbaren Tatsache: Macht entsteht durch Gehorsam und wird durch seinen Entzug vernichtet.107

105 106 107

Ebd., S. 54 ff. Ebd., S. 56. Daher gibt es gegen Tyrannei letztlich nur ein effizientes Gegengift: "The true rampart, the only rampart, against a tyrannical government, has always been, and still is, the faculty of allowing this disposition to obedience - without which there is no government - either to subsist or to cease. The existence of this faculty is as notorious as its power is efficacious." Pannomial Fragments, Works, III, S. 219.

Im Sprachgewirr 3.2.4.2.

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Exkurs: Poetische Fiktionen im quantitativen Utilitarismus

Wir haben bereits mehrfach die Tatsache berührt, dass Bentham ein eher ambivalentes Verhältnis zur menschlichen Vorstellungskraft hat. Sie ist unabdingbar nötig, da wir nur durch die imaginierende Vorwegnahme möglicher Erfahrungen überhaupt Motive haben können. Zugleich eignet sich der Mechanismus antizipierender Einbildungskraft hervorragend zur Steuerung des individuellen Handelns, so wie es in den verschiedenen institutionellen Bereichen des panoptischen Systems beschrieben ist. Auf der anderen Seite steht er jeder Überdrehung des Bereichs der Imagination und des Fantastischen mit äußerster Skepsis und manchmal geradezu beißender Kritik gegenüber. Dafür, dass der biografische Ursprung dieser Skepsis auch gebührend berücksichtigt wird, hat Bentham selbst nachdrücklich Sorge getragen.108 Das generelle Bild eines kunst- und literaturfeindlichen Autors lässt sich bei einer näheren Betrachtung jedoch nicht aufrecht halten. Es speist seine erhebliche Plausibilität allerdings aus zwei vergleichsweise auffalligen Argumentationslinien, die die Tatsache teilweise verdecken, dass Bentham die poetisch-künstlerische Fiktion durchaus auch für ein moralisch eher unschuldiges und glücksvermehrendes Vergnügen gehalten hat.109 Überhaupt stehen die Dinge ja nicht so, dass er keine "höheren" Freuden akzeptieren will oder gar darauf bedacht ist, alle anspruchsvolleren Vergnügungen zu minimieren oder nach unten zu nivellieren. Schon allein der Standpunkt eines rein quantitativen Nutzenkalküls legt den kalkulierenden Individuen nahe, dass sie sich mit intellektuellen Freuden befassen sollen, da diese im Vergleich zu den rein körperlichen Vergnügungen bei der Kosten-Nutzen-Rechnung günstiger abschneiden.110 Die beiden angesprochenen Argumente, die zu dem Bild vom kunstfeindlichen Bentham geführt haben, beziehen sich einmal auf die Gefahr einer Verwechslung von Imagination und Realität, was Irrtum und Manipulation Tür und Tor öffnet und zielen zum 108

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Vgl. seine Berichte darüber, dass die Bediensteten seiner Großmutter ihm als Kind mit Geisterund Teufelsgeschichten Angst eingejagt hatten und seine späte Stilisierung der ersten Romanlektüren. Bentham behauptet, dass die zentrale Wirkung der Lektüre die Verwechselung von Fiktion und Realität gewesen sei und er vor allem Mitleid und Angst empfunden habe. "Now that I know the distinction between the imagination and the judgement, I can own how these things plagued me, without any impeachment of my intellect." Memoirs, Works, X, S. 21, vgl. auch S. 10 ff. In dieser Perspektive propagiert Bentham die These, dass kultureller Luxus eine Quelle der Tugend und nicht des Lasters ist: "This being the case, every innocent amusement that the human heart can invent is useful under a double point of view: - 1st, For the pleasure itself, which results from it; 2d, From its tendency to weaken the dangerous inclinations which man derives from his nature. And when I speak of innocent amusements, I mean all those which cannot be shown to be hurtful. [...] Happy the people who, rising above brutal and gross vices, study elegance of manners, the pleasures of society, the embellishments of their places of resort, the fine arts, the sciences, public amusements, and exercises of mind." Principles of Penal Law, Works, I, S. 540 f. Allerdings macht er an anderer Stelle, wo ebenfalls die Unschuld der künstlerischen Fiktion betont wird, zugleich deutlich, dass, wo immer Kunst handlungsmotivierend werden kann, die Grenzziehung zwischen unschuldigen und gefährlichen Fiktionen schwierig wird. Vgl. Theory of Fictions, S. 18. Vgl. Chrestomathia, S. 23. Allerdings vergisst Bentham nicht den Hinweis, dass damit keinesfalls die religiöse körperfeindliche Vergeistigung gemeint ist.

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anderen auf eine radikale Ablehnung einer hochkulturellen Tyrannei qualitativer Vergnügungen auf Kosten der einfacheren und in seinen Augen harmloseren Beschäftigungen. Für die Politik, die für Bentham primär eine Schmerzvermeidungstechnologie ist,111 hat insbesondere der zweite Thesenbereich massive Auswirkungen. Bentham selbst hat zwar an zahlreichen Stellen, an denen er die Verfahren der Archetypisierung angewandt hat, Bezüge zur Mythologie und auch zur Literatur hergestellt. Er bezieht sich gelegentlich auf Swifts poetisches Werk, die griechische Mythologie und das Alte Testament. Allerdings wird er nicht müde vor den bedenklichen Folgen zu warnen, die drohen, wenn die Imagination die anderen intellektuellen Kompetenzen ersetzt. Besonders einfachere Geister, Kinder und Menschen, die sich nicht entwickelt haben, sind nachhaltig der Gefahr ausgesetzt, dass sie Realität und Imagination verwechseln, was gegebenenfalls dann zu einer problematischen Handlungsorientierung fuhren kann. Im schlimmsten Fall hat das künstliche Bild der Vorstellung das der aus Erfahrung herstammenden Erinnerung ersetzt; die Grenze zwischen Erfahrung und Traum ist verwischt.112 Damit die künstlerische Fiktion ihren harmlosen Nutzen erbringen kann, muss die Kulturtechnik des Verstehens soweit entwickelt sein, dass der mehr oder weniger gebildete Rezipient die Fiktion der Kunst von der Realität unterscheiden kann. Er muss in der Lage sein, etwa die Erzählungen aus 1001 Nacht als das zu erkennen, was sie offensichtlich sein wollen - unterhaltende Märchen. So wie Robinson Crusoe eine fiktive Biografie mit hohem Plausibilitätsgrad darstellt, anders wäre er nicht verständlich oder unterhaltend, gleichzeitig aber der Text die eigene Fiktionalität signalisiert und damit indiziert, genau so muss der Leser die entsprechenden Signale auch deuten können.113 Geschieht dies nicht, dann hat der literarische Text eine unterschwellige und nicht gerechtfertigte meinungsbildende Funktion, die dem Rezipienten nicht in das Bewusstsein gelangt. Auf diese Weise schließt er sich aber mehr oder weniger bruchlos an den ideologischen Diskurs der politischen bzw. juristischen Fiktion

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112

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Aus diesem Blickwinkel ist dann Literatur kein wesentlicher Beitrag zum Glück, da das von den "Tatsachen" abhängt: "Happiness depends upon the correctness of the fact with which our mind is furnished, and the rectitude of our judgement; but poetry has no very direct tendency to produce either correctness of knowledge or rectitude of judgement. [...] Homer is the greatest of poets: where shall we place him among moralists?" Rationale of Reward, Works, II, S. 213. Selbst eine falsche Erinnerung hat einen Erfahrungsgrund, die Imagination nicht. "Recollection, if it be recollection, must have had some ground, how narrow so ever, in the truth of things, to serve as a foundation for the conception of the false facts. Take away this portion of the true ground, the picture is the work, not in any respect of the recollection, but of the imagination merely. The original picture is completely rubbed out by the hand of oblivion; and fancy has painted a picture of an other imaginary fact in the place of it." Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 252 f. Zur Problematik der "weak minds" und dem Bericht einer Kindheitserfahrung bei der Traum und Realität verwischt waren vgl. ebd., S. 254 f. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 94. Vgl. Defence of Usury, Works III, S. 17. Für ein Beispiel, das zeigt wie aus der Perspektive des Schriftstellers die politisierende Dimension des literarischen Diskurses positiv gesehen wird, vgl. Schuster, Susanne, Narrative Politik: Untersuchungen zu einer politischen Lektüre von Daniel Defoes Robinson Crusoe Trilogie, Würzburg 2000.

Im Sprachgewirr

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Betrachtet man den zweiten Argumentationsstrang, so fuhrt er unmittelbar ins Zentrum von Benthams sogenanntem qualitativem Utilitarismus und John Stuart Mills Kritik an seiner augenscheinlichen Kulturindifferenz. Es geht hier darum, dass Bentham stringent eine Position vertritt, die die jeweilige kulturelle Beschäftigung solange irgend möglich aus der Perspektive des handelnden Individuums betrachten will. Daher besteht er auch im Zusammenhang mit kulturellen Dingen auf die prinzipielle Gleichwertigkeit der Vergnügen. Er verlangt eine durchgehend gleiche Berücksichtigung der von den unterschiedlichen Individuen erwarteten Gratifikationen. Das führt zunächst einmal dazu, dass der kulturelle Luxus der Eliten nicht um den Preis finanziert werden darf, dass den Ärmeren angemessene Hilfe und Leistungen vorenthalten werden. Angesichts der trivialen Tatsache, dass man niemandem geben kann, wenn man nicht vorher jemandem etwas genommen hat, stellt er fest, dass nicht die ornamentalen Schmuckstücke des gesellschaftlichen Baus Vorrang haben, sondern die notwendigen Dinge.115 Wer etwa von theatralischen Aufführungen profitiert und sie genießt, der soll auch für ihre Kosten aufkommen. 116 Es kann nicht richtig sein, dass aus dem gemeinsamen Steueraufkommen der gesamten Nation kulturelle Veranstaltungen finanziert werden, die für die Armen eher gleichgültig sind und nur für die sowieso besser gestellten Eliten einen Nutzen haben. Letztlich wurzelt diese Überzeugung in einer prinzipiellen Skepsis Benthams gegenüber jeder Art von glänzender oder gar überbordender Repräsentation. Die klassische Stelle im Rationale of Reward, die Benthams Ruf als eines eher kunstfeindlichen Philosophen geprägt hat, liest sich aber auch als eine klassische Lektion in egalitärer Demokratie: "The utility of these arts and sciences, [...],- the value which they possess, is exactly in proposition to the pleasure they yield. Every other species of pre-eminence which may be attempted to be established among them is altogether fanciful. Prejudice apart, the game of push-pin is of equal value with the sciences of music and poetry. If the game of push-pin furnish more pleasure, it is more valuable than either. Everybody can play at push-pin: poetry and music are relished only by a few. The game of push-pin is always innocent: it were well could the same be always asserted of poetry. Indeed, between poetry and truth there is a natural opposition: false morals, fictitious nature. The poet always stands in need of something false. When he pretends to lay his foundation in truth, the ornaments of his superstructure are fictions; his business consists in stimulating our passions, and exciting our prejudices. Truth, exactitude of every kind, is fatal to poetry. [...] If poetry and music deserve to be preferred before a game of push-pin, it must be because they are calculated to gratify those individuals who are most difficult to be pleased."117

Poesie wird hier in eine Fundamentalopposition zur Wahrheit gesetzt und es bleibt in der Tat Kunst ganz allgemein nur noch als eine eben harmlosere Beschäftigung im Ver115 116

117

Vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 317. Die allgemeine Regel lautet: Wer von einem Vergnügen profitiert, der soll auch für seine Kosten aufkommen. Gebrochen wird sie: "When, for a service rendered to a certain number of individuals, the obligation of payment is imposed upon the public: for example, the expenses of a theatre, wholly or in part paid out of the public purse." The Rationale of Reward, Works, II, S. 243. The Rationale of Reward, Works, II, S. 253 f.

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gleich zur Trunk- und Spielsucht übrig. Diejenigen, die den höheren Künsten den Vorrang geben, scheinen geschmäcklerische Menschen zu sein, denen nur noch subtile Freuden überhaupt ein Glücksgefuhl vermitteln können. Es kann aber keine Hierarchie der Künste und des Geschmacks geben, da der grundlegende Vergleichsmaßstab letztlich nur darin besteht, ob eine gegenwärtige Freude weitere zukünftige Freuden oder eher Schaden hervorbringt. Bentham glaubt vielmehr, dass all diejenigen, die die Menschen zu "höheren" Beschäftigungen erziehen wollen, in Wirklichkeit nur eine tyrannische Macht ausüben, die im Sinn eines kulturellen Asketizismus den von der kulturellen Erziehung betroffenen Menschen mehr Freude nimmt als sie gibt. Wer aber die einfachen Vergnügungen zu Gunsten von vorgeblich höheren verächtlich macht, der übersieht, dass all diese unschuldigen und oft einfaltig scheinenden Beschäftigungen, Bentham nennt das Kartenspiel Solitaire: ein selbstgenügsames und wenig riskantes Glück versprechen. Man kann, so sein Argument, die Kritik auch umdrehen und gegen die Kritiker wenden. Dann aber sieht die Sache so aus, dass es eher schwierig wird zufrieden zu sein, wenn unser Geschmack zu raffiniert geworden ist und wir mit zunehmendem Lebensalter immer anspruchsvoller werden. Dagegen setzt der qualitative Utilitarismus die Mahnung, dass es Sinn machen kann, sich an die Vergnügen der Kindheit zu erinnern. Vergleicht man nämlich ein Kind, dass ein Kartenhaus baut mit Ludwig XIV. beim Bau von Versailles, so mag, das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens kommt hier unausgesprochen zur Anwendung, das vergleichende Glückskalkül durchaus zu Gunsten des Kindes ausfallen. 118 Dieser zweite hier skizzierte Argumentationsstrang zeigt uns ein Zusammenfließen von prinzipieller Skepsis gegenüber der emotionalisierenden Kunst, die die schlichte Faktizität transzendiert einerseits und von Überzeugungen, die sich aus einer im qualitativen Utilitarismus wurzelnden kulturpolitischen Position ergeben. Insbesondere letztere trägt stark egalitäre Züge und man muss den Hintergrund einer immer noch aristokratisch dominierten Schau- und Verschwendungskultur hinzudenken, damit Benthams radikale Kritik der "Hochkultur" nicht wirklich als Kunst- und Kulturfeindschaft verstanden wird. Die eigentlichen Ursprünge dieser Position lassen sich jedoch eindeutig in der Vorstellung von Freiheit verorten, die sich aus seinem quantitativem Utilitarismus ergibt. Diese ist in hohem Maß zwiespältig, da sie zwar nicht der erheblichen Arroganz von John Stuart Mills Haltung verfallt, jedoch andererseits dem Vorwurf ausgesetzt ist, bis auf die Frage möglicher weiterer Nutzen- bzw. Schmerzkonsequenzen kaum einen Ansatz für eine differenziertere Wertung von Glück bereit zu halten. 3.2.4.3.

Political

Fallacies

Neben den "fictions" spielen "fallacies" im politischen Krieg der Wörter eine herausragende Rolle. Eine genaue Grenzziehung zwischen beiden Phänomenen ist nur schwer möglich, da zu den "fallacies" in jedem Fall auch eine fingierende Haltung gehört. Will man beide voneinander trennen, so bietet sich eine Unterscheidung entlang der von se118

"The child who is building houses of cards is happier than was Louis XIV. when building Versailles. Architect and manson at once, master of his situation and his materials, he alters and overturns at will." Ebd., S. 255.

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mantisch und pragmatisch an. "Fallacies" unterscheiden sich von populären Irrtümern dadurch, dass sie als Argumente strukturiert sind und sich mit persuasiver Absicht an das Auditorium bzw. die Leser wenden.119 Während die Fiktionen in der Regel eine nicht existierende Realität hervorbringen, sind die "Fallacies" eher Fehlschlüsse, die sich auf eine fiktive oder aber eine reale Entität beziehen können. Bentham weist darauf hin, dass die klassische Disziplin, die sich mit ihnen beschäftigte, die Rhetorik120 war, und behauptet gleichzeitig, dass seit Aristoteles in diesem Bereich keine Fortschritte mehr erzielt wurden. Die Bezeichnung als Fehlschlüsse macht außerdem klar, dass es im Gegensatz zu den Fiktionen keine unverzichtbaren "fallacies" geben kann. Sie sind zwar allgegenwärtig, jedem Kopf, den man der Hydra der Sophismen abschlägt, wachsen scheinbar zwei neue nach. Jedoch ist es eine unabdingbare Aufgabe des Reformers, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, da sie es sind, die entweder jeder gesellschaftlichen Verbesserung im Wege stehen oder sie in die falsche Richtung abdrängen. Weil es in jedem politischen Bereich eine Vielzahl von praktisch relevanten Fehlschlüssen gibt, ist ein Handbuch der Fehlschlüsse zugleich auch ein "manual on the art of government". Sein Ziel ist es, Irrtümer zu entkräften oder doch zumindest, wo sie nicht mit der Wurzel vernichtet werden können, ihren Gebrauch im öffentlichen Diskurs unmöglich zu machen.121 Wenn der Boden für die utilitaristische Verbesserung der menschlichen Verhältnisse dadurch bereitet ist, dass die nötigen Institutionen und Reformen herausgearbeitet sind, dann ist die Beschäftigung mit "fallacies" sozusagen der noch übrige taktische Zweig der Aufklärung, der die zentralen Mechanismen der politischen Täuschung, und das sind für Bentham immer mehr die Mittel der Reaktion, offen legt und in ihrem Spiegel indirekt die nötigen Reformen sichtbar macht. Anarchical Fallacies Erstmals hat sich Bentham anlässlich der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution systematisch mit dem Phänomen des Fehlschlusses auseinander gesetzt.122 Er argumentiert hier als ein rationaler Reformer gegen die schwärmerischen Vorstellungen einer überzogenen Imagination, die in ihrer revolutionären Begeisterung das Kind mitsamt dem Bade ausschüttet. Es kann uns nicht darum gehen us

"By the name of a fallacy it is common to designate any argument employed or topic suggested for the purpose, or with the probability of producing the effect of deception, or of causing some erroneous opinion to be entertained by any person to whose mind such an argument may have been presented." Handbook of Political Fallacies, S. 3.

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Vgl. Secor, Marie J., Bentham's Book of Fallacies: Rhetorican in Spite of Himself, in: Philosophy and Rhetoric 22/2, 1989, S. 83-94. Secor beklagt die Vernachlässigung von Bentham durch die neue Rhetorik und argumentiert, dass Benthams Rhetorik eine ist, die zur Abschaffung des Rhetorischen fuhren soll. Was ihn selbst natürlich nicht an seiner Rhetorik des Fortschritts gehindert hat. "Fallacies" sollen so geächtet werden, dass man sie nicht mehr benutzen kann, wie derbe und unanständige Ausdrücke in Gegenwart von Damen. Vgl. Handbook of Political Fallacies, S. 258 f. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings bereits von der Gewaltsamkeit der Revolution entsetzt, was einige der Ausfälle in den Schriften zu den "anarchical fallacies" erklärt. Vgl. Burns, J.H., Bentham and the French Revolution, in: Transactions of the Royal Historical Society 1966, S. 95-114.

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Benthams Argumente gegen die einzelnen Artikel der Erklärung zu referieren und zu analysieren. Das wenig überraschende Ergebnis wäre, um es summarisch zu sagen, dass Bentham in den einzelnen Positionen oft Dinge bekämpft, die er so oder so ähnlich früher oder später selbst gefordert hat.123 Ein solches Kapitel der Abgrenzung eines eitlen Autors von der Konkurrenz hat an dieser Stelle keinen Anspruch auf besondere Aufmerksamkeit. An Benthams Kritik der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fällt bereits nach wenigen Seiten Lektüre auf, wie stark sie sich auf sprachliche Unzulänglichkeiten konzentriert. Der inhaltliche Schwerpunkt der Kritik, der in dem berühmten Diktum gipfelt, unveräußerliche, ewige natürliche Menschenrechte seien Blödsinn auf Stelzen,124 ist untrennbar mit dem Vorwurf verbunden, die ganze Erklärung sei "[...] a perpetual vein of nonsense, flowing from a perpetual abuse of words, [...]125 und eben deshalb sei eine Kritik der französischen Menschenrechtspolitik zuvorderst eine Sprachkritik, da hier der Sprachmissbrauch gefahrlichste Erwartungen und Taten hervorbringe.126 Einer der Kardinalfehler der Deklaration muss mit Bentham darin gesehen werden, dass sie einem der schwersten Fehler einer Argumentation überhaupt verfallen sei: sie hat die Wirklichkeit vorschnell übersprungen und bewegt sich in ihren Aussagen im Bereich vager Verallgemeinerungen. Wer aber vorschnell verallgemeinert, der ist in besonderem Maß dem Risiko ausgesetzt, dass sich in seine Argumentation Fehlschlüsse einschleichen, die dann nur mit einer möglichst selbstgewissen und arroganten Sprache verteidigt werden können. Bentham schlägt den umgekehrten Weg vor, den aber nur gehen kann, wer sich wirklich mit der Materie des Rechts beschäftigt hat und wer dadurch auch inhaltliche Kompetenzen erlangt hat. Nur über eine genaue Beobachtung und Analyse der bestehenden Ordnungen können deren Defizite behoben werden und es lassen sich allgemeine Regeln formulieren, die nicht in der Luft hängen, sondern einen Widerhalt in der Realität haben. Die Verfasser der Menschenrechtserklärung sind aber so vorgegangen, dass sie die abstrakte Schlussfolgerung der Prinzipien vor die Sätze gestellt haben, die sie eigentlich begründen. Sie haben die Form der Demonstration mit

123

Bentham hat nach seiner radikalen Wende nicht mehr viel von den einschlägigen Texten wissen wollen, wenn er auch immer ein Feind des Naturrechtsdenkens blieb. Vgl. Twining, William, The Contemporary Significance of Bentham's Anarchical Fallacies, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, LXI/4, 1975, S. 325-354, hier 327 f. Man muss sich allerdings klar machen, dass selbst der radikale Bentham nicht die Ordnung umstürzen wollte. Einer seiner Leitsätze im Fragment bleibt für ihn sein ganzes Leben gültig, da er darin den Kern reformierender Aufklärung erblickt, auch wenn sich der Ton und die Adressaten ändern. "For my part, I know not for what good reasons it is that the merit of justifying a law, when right should have bee thought greater, than of censuring it when wrong. Under a government of Laws, what is the motto of a good citizen? To obey punctually; to censure freely." Fragment on Government, S. 10.

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"Natural rights is simple nonsense: natural and imprescriptible rights, rhetorical nonsense, - nonsense upon stilts." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 501. Ebd., S. 497. "The criticism is verbal: - true, but what else can it be? Words - words without a meaning, or with a meaning too flatly false to be maintained by anybody, are the stuff it is made of. Look to the letter, you find nonsense - look beyond the letter, you find nothing." Ebd., S. 497.

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der Form der Entdeckung vertauscht,127 was in Benthams Augen fast zwangsläufig zu überzogenen und widersprüchlichen Positionen fuhren muss. Es ist geradezu das Kennzeichen des Anarchisten im Gegensatz zum vernünftigen Kritiker, dass er die Wirklichkeit des Rechts leugnet und an ihre Stelle seine kruden Fantasien setzt, mit denen die Menschen grundlos aufgewiegelt werden.128 Beispielhaft lässt sich die von Bentham als anarchistisch gebrandmarkte Position am Gebrauch des Wortes "Freiheit" demonstrieren. Das universale Freiheitsversprechen, dass der Anarchist auf einer natürlichen Freiheit und einer ursprünglich gleichen Ausstattung der Menschen mit grundlegenden unveräußerlichen Rechten aufbaut, steht im krassen Widerspruch zu unserer alltäglichen Erfahrung, die uns lehrt, dass Freiheit immer bürgerlich-rechtlich beschränkte Freiheit sein muss, da sie sonst gar nicht existieren könnte.129 Dieses Freiheitsversprechen ist entweder eine bloße hohle Phrase, da ja auch die Revolutionsregierung keine schrankenlose Freiheit zulassen will, oder aber sie ist ein allgemein gültiges Mittel gegen jedes Zwangsrecht, das dem jeweiligen Menschen nicht passt. Wenn es eine vorstaatliche Freiheit und vorstaatliche Rechte gegeben hatte, so waren sie gänzlich nutzlos oder gefährlich. Nicht die Existenz von Freiheit und Recht hat die Menschen zur Erfindung der Gesetze getrieben, sondern der Wunsch danach, also ihre grundsätzliche Abwesenheit. Alles Recht entsteht auf Kosten der Freiheit. Die Deklaration aber verwechselt systematisch den vorstaatlichen Wunsch nach Recht und gesetzlich geschützter Freiheit mit deren Existenz: "We know what it is for men to live without government - and living without government to live without rights: [...] no habit of obedience, and thence no government - no government, and thence no laws - no laws, and thence no such things as rights - no security - no property: liberty, as against regular controul, the controul of laws and government - perfect; but as against all irregular controul, the mandate of the stronger individuals, none. [...] In proportion to the want of happiness resulting from the want of rights, a reason exists for wishing that there were such things as rights. But reasons for wishing there were such things as rights, are not rights; - a reason for wishing that a certain right were established, is not that right - want is not supply - hunger is not bread."130

Die systematische Verwechslung des Wunsches mit der Realität, die zugleich die historisch-evolutionäre Genese von politischer Herrschaft gegen alles Wissen in eine Vertragsgründung projiziert, wirkt wiederum zurück auf die zu gestaltende politische Ordnung. Indem nämlich natürliche Rechte und Freiheiten fingiert werden, entsteht eine falsche Opposition zwischen dem natürlich Richtigen und dem Legalen. Das ist allein 127 128

129

130

Vgl. ebd., S. 493. Vgl. ebd., S. 498. Zu Benthams rhetorischem Positivismus vgl. Maneli, Mieczyslaw, Bentham's Juridical Positivsm and Rhetoric, in: Revue internationale de Philosophie, 36/1982, S. 240-256. Schrankenlose Freiheit und Recht passen nicht zusammen: "[...] all rights are made at the expense of liberty - all laws by which rights are created or confirmed. [...] All coercive laws, therefore (that is, all laws but constitutional laws, and laws repealing or modifying coercive laws,) and in particular all laws creative of liberty, are, as far as they go, abrogative of liberty." Ebd., S. 503. Das muss so sein, weil die Antwort auf die folgende rhetorische Frage ja lauten muss: "Is not the liberty of doing mischief liberty?" Ebd., S. 505. Ebd., S. 500 f.

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deshalb gefahrlich, weil durch die Behauptung, der eigentliche Grund der eigenen Forderungen liege in einem natürlich richtigen Anspruch, zugleich die eigenen Argumente gegen jeden Einwand immunisiert werden. Wer sich auf ein natürliches Recht beruft, der braucht keine Argumente auszutauschen. Seine Rede wird verdecken, dass er einen Vorschlag für die Gestaltung des Gemeinwesens macht - nicht mehr und nicht weniger. Er hat keinesfalls einen überzeitlichen Standard zur Beurteilung aller menschlichen Verhältnisse, mit dem er alle folgenden Generationen binden kann, in der Hand, auch wenn er mit einem solchen kaum verdeckten Anspruch auftritt.131 Bentham will damit nicht sagen, dass es keine berechtigte Kritik an der faktisch existierenden Rechtsordnung geben darf. Er will allerdings nachdrücklich auf die Bedeutung der Positivität des Rechtes hinweisen und zugleich das Utilitätsprinzip als einzig angemessenem Standard einer Kritik stark machen. Richtig betrachtet ist auch ein natürliches Recht entweder nützlich für das Glück der Menschen oder es ist unsinnig, sich darauf zu berufen. Der "Anarchist" jedoch verfolgt eine rhetorische Strategie, die seine Vorstellungen der Kritik in utilitären Diskursen entzieht. Wenn er festlegt, was der Gesetzgeber tun kann bzw. was das Gesetz tun kann, dann erweckt er durch die einfache Vertauschung der Modalverben "sollen" und "können" den Eindruck einer politischen Unmöglichkeit, die dem Muster der physikalischen Unmöglichkeit in Bezug auf die Naturgesetze nachgebildet ist. Die systematische Vertauschung von "sollen" und "können" geißelt Bentham mehrfach,132 da sie das Ende aller Diskussion bedeutet. Zugleich wird seine Vorstellung vom rationalen Diskurs sichtbar: "I say, the law cannot do so and so: you say, it can. When we have said thus much on each side, it is to no purpose to say more; there we are completely at a stand: argument such as this can go no further on either side, - or neither yields, - or passion triumphs alone - the stronger sweeping the weaker away. Change the language, and instead of cannot, put ought not, - the case is widely different. The moderate expression of opinion and will intimidated by this phrase, leads naturally to the inquiry after a reason: - and this reason, if there be any at bottom that deserves the name, is always a proposition of fact relative to the question of utility."133

Zwar ist auch damit keine endgültige Sicherheit erreicht, da wir uns damit abfinden müssen, dass absolute Sicherheit nicht zu den menschlichen Angelegenheiten passt,134 jedoch ist die Entscheidungsfindung im Medium eines öffentlichen Diskurses auf ein 131

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Die Erklärung ist nur die neueste Variante des Konzepts der Versklavung der (zukünftig) Lebenden durch die Toten. "It is the old conceit of being wiser than all posterity - wiser than those who will have had more experience; - the old desire of ruling over posterity - the old recipe for enabling the dead to chain down the living." Ebd., S. 494. An dieser Stelle trifft sich, was zunächst erstaunt, die Kritik an der Menschenrechtserklärung mit der am "common law". Das Erstaunen reduziert sich, wenn man sich klar macht, dass das Utilitätskalkül ein genuin politisches ist und die permanente Aushandlung der menschlichen Dinge verlangt. Vgl. auch ebd., S. 515. Vgl. ebd., S. 510, 523 f. Ebd., S. 495. "Now the question is put, as every political and moral question ought to be, upon the issue of fact; and mankind are directed into the only true track of investigation which can afford instruction or hope of rational argument, the track of experiment and observation. Agreement, to be sure, is not even then made certain: for certainty belongs not to human affairs." Ebd. (Hervorheb. - W.H.)

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Rationalitätsniveau gehoben, das zumindest den Ausschluss der blanken Emotionen und grundlosen individuellen Vorlieben sicherstellt. Wir werden sehen, dass in dieser Rationalität einer öffentlichen Geltendmachung von Ansprüchen letztlich die gesamte Evidenz des Prinzips des größten Glücks wurzelt und nur in diesem Medium auch begründet werden kann. Die Argumentationsstrategie des Anarchisten jedenfalls fuhrt zwangsläufig entweder in die Diktatur desjenigen, der den Einblick in das behauptete natürliche Recht hat und damit ein Interpretationsprivileg oder, was Bentham wahrscheinlicher zu sein scheint, in die Auflösung der Ordnung. Wenn nämlich den Individuen das Recht einer unreflektierten Beurteilung der bestehenden Rechtsordnung zugesprochen wird und sie vorher mit unverdauten und unverdaulichen Naturrechtsphrasen gefüttert worden sind, dann droht der Ordnung die Auflösung durch die asozialen Strebungen, die das Recht eigentlich bändigen sollte. Eine funktionierende gesellschaftliche Ordnung verlangt nämlich immer auch Opfer von den Menschen. Sie müssen zumindest bereit sein, ihre Handlungen an einer Rechtsordnung zu orientieren und sie müssen gewillt sein, einen Teil ihres materiellen Wohlstandes für den Erhalt der Sicherheit der Lebensbedingungen zu opfern. Dies steht als Faktum am Beginn jeder Ordnung.135 Eine Menschenrechtserklärung, die zuerst eine natürliche Freiheit und ein Naturrecht auf Eigentum erklärt, nur um beides dann wieder zurücknehmen zu müssen, verwickelt sich in Widersprüche und, was noch viel schlimmer ist, kann die einmal gegebenen Versprechen nicht mehr einfach so zurückholen. Der "Blödsinn auf Stelzen" des Naturrechts hat dann aber eminent politische Folgen. Die Fallacies der Reaktion War der Bentham der Anarchical Fallacies noch ein eher elitär denkender Autor mit einem eher skeptischen Blick auf die Fähigkeiten der später von ihm so vehement verteidigten "subject many", so ist der Verfasser des Handbook of Political Fallacies136 nach seiner radikaldemokratischen Bekehrung davon überzeugt, dass es bloß die Täuschungen der "ruling few" und der "influential non ruling few" sind, die einer Verbes-

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"The great enemies of public peace are the selfish and dissocial passions: - necessary as they are the one to the very existence of each individual, the other to his security. On the part of these affections, a deficiency in point of strength is never to be apprehended: all that is to be apprehended in respect of them, is to be apprehended on the side of their excess. Society is held together only by the sacrifices that man can be induced to make of the gratifications they demand: to obtain these sacrifices is the great difficulty, the great task of government." Ebd., S 497. Das Wort "Verfasser" muss hier in seiner weitesten Bedeutung verstanden werden. Was wir vorliegen haben, ist in der hier verwendeten Ausgabe eine mehrfache Übersetzung. 1816 hatte Etienne Dumont ein Traité du sophismes politiques frei aus Benthams Manuskripten kompiliert und veröffentlicht. Dieser Text wurde dann unter Benthams Aufsicht von Peregrine Bringham in eine englische Ausgabe übersetzt, ergänzt und 1824 veröffentlicht. Die verfügbaren Ausgaben verwenden letzteren Text, der aber in seiner Gruppierung der Fallacies dem von Dumont folgt und nicht Benthams ursprünglichen Vorstellungen entspricht.

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serung der Verhältnisse im Wege stehen. Daher müssen diese "instruments of deception" im wahrsten Sinne "niedergesprochen" werden.137 In der von Etienne Dumont vorgenommenen Einteilung handelt das Handbook of Political Fallacies Fehlschlüsse in verschiedenen Gruppen ab. Es analysiert solche, die auf Autorität bauen, neben solchen, die eine Verzögerung von Maßnahmen intendieren, Schlüssen die eine Gefahr an die Wand malen oder dem Gegner verdeckte Absichten unterstellen und solche, die schlicht auf Verwirrung setzen. Dann wird versucht, die tieferen psychischen und moralischen Ursachen für die Fehlschlüsse zu ergründen. Wir gehen hier zunächst die verschiedenen Gruppen von fallacies durch, wobei wir einige Überschneidungen mit den uns bereits bekannten Fallstricken der Kommunikation nur kurz erwähnen müssen, und werden dann abschließend die gemeinsamen Ursachen der Fehlschlüsse beleuchten. An erster Stelle nennt das Handbook die fallacies of authority. Sie müssen von einer ehrlichen und angemessenen Berufung auf Autorität unterschieden werden, da wir in unserem Denken und Kommunizieren ganz legitim immer wieder auf das Wissen von Menschen, denen wir eine bessere Einsicht zutrauen, zurückgreifen. Legitime Autorität ist dann vorhanden, wenn die Berufungsinstanz als Person hinreichend befähigt und ehrlich ist. Außerdem muss ihre Meinung im Kontext relevant sein und das Medium ihrer Übermittlung muss frei vom Verdacht der Manipulation bleiben. Da die hier angesprochene Autorität immer in Bezug auf einen persuasiven Akt verstanden werden muss, ist ihr Maß relativ zum Wissen desjenigen, demgegenüber man sich auf sie beruft. Wer nichts oder wenig weiß, der wird viele Autoritäten akzeptieren müssen.138 Als Quelle von persuasiver Autorität scheinen Professionalität, Macht, Reichtum und ein guter Ruf zu fungieren. Bentham selbst möchte eigentlich nur eine professionelle Autorität, etwa die eines Arztes oder sonstigen Wissenschaftlers bzw. Kenners gelten lassen. Alle andere Autorität lebt von Unterstellungen, die im Einzelfall erst geprüft werden müssen.139 Wenn man zum Beispiel annimmt, dass Macht einem die Mittel zum Erwerb von Wissen in die Hand gibt, dann muss im Einzelfall geprüft werden, ob sie auch so genutzt wurde, ob also Motive für eine solche Verwendung angenommen werden können. Wie im Fall des guten Rufes, ergibt sich legitime Autorität erst, wenn Erfahrung bewiesen hat, dass sie der jeweiligen Person oder Institution auch zusteht. Im Falle des Reichtums, der ja auch Mittel zum Wissenserwerb bereitstellt, widerspricht der Autor hier und an zahlreichen Stellen seines Werkes dem populären Vorurteil, dass

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"[...] instruments of deception should be talked of, well talked of, and talked out of fashion - in a word, talked down." Handbook of Political Fallacies, S. 11. "The need for the legitimately persuasive force of authority, that is - the probability of comparatively superior information on the one hand, is in inverse ratio to the information of the person on whom it is designed to operate, on the other." Ebd., S. 23. Gegen eine solche Überprüfung wenden diejenigen, die von den autoritären Fehlschlüssen profitieren, erprobte Gegenmittel an. Sie bauen beispielsweise eine Scheinautorität für sich selbst auf, was Bentham "self-trumpeter's fallacy" nennt, oder aber argumentieren, dass alle moralisch integren Menschen gegen die Maßnahme sind, die "fallacy" der "laudatory personalities". Vgl. ebd., S. 79 f.

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Reiche gebildet seien. Das Argument muss umgedreht werden: Reiche sind in der Regel dumm, weil sie zwar die Mittel aber kein Motiv fur den Wissenserwerb haben.140 Betrachtet man von diesen Überlegungen zur legitimen und illegitimen Autorität aus die gängigen politischen Argumente, so muss man mit Bentham feststellen, dass Autorität im politischen Diskurs meist illegitim eingesetzt wird. Autorität ist immer dann ein falsches Argument, wenn man selbst in der Lage wäre, ein begründetes Urteil zu formen. Da nun aber der absolute Grundsatz des größten Glücks der größtmöglichen Zahl erkannt und bekannt ist, muss jedes Argument, das sich nicht auf ihn beruft, sondern auf eine vorgebliche Autorität gegen ihn, ein Fehlschluss sein. Wer den Utilitätsgrundsatz ablehnt, ist ein Feind des Glücks der Gemeinschaft. Wer sich auf ein überkommenes Wissen beruft und die eigene Kompetenz zur Reflexion zurückstellt, der hat den Akt der Selbstaufgabe der Vernunft vollzogen und ist zu einem geworden, dem das "worshipping of dead men's bones"141 wichtiger ist als das eigene Denken. Damit aber das vorgebliche Wissen einer mit Autorität versehenen Vergangenheit an die Stelle des durch Erfahrung und Beobachtung gemachten wirklichen Wissens treten kann, ist es nötig, dass einige zusätzliche Unterstellungen gemacht werden. So muss etwa die Sprache so manipuliert werden, dass die Vergangenheit gegen die Logik als alt und gut bezeichnet wird, während die Gegenwart jung und unerfahren genannt wird. Mit dieser Manipulation wird der Eindruck erweckt, dass die "Alten" mehr gewusst hätten als die "Jungen", was zwar im menschlichen Leben von Erfahrung gedeckt ist, was aber keinesfalls auf die Geschichte der menschlichen Spezies zutrifft. Das Wissen der Alten ist genau betrachtet "the wisdom of the cradle", das Wissen des Säuglings in der Wiege. Wenn wir etwas von ihnen lernen können, dann weniger, wie wir unsere eigenen Verhältnisse gestalten sollen, als vielmehr wie sie die ihren gestaltet haben und warum sie in so vielen Feldern erfolglos waren. Wir lernen nicht aus den Erfolgen der Vergangenheit, wir lernen aus ihren Fehlern.142 In welcher Verkleidung "fallacies" der Autorität aber auch auftreten, sei es, dass sie sich nur auf die Vergangenheit berufen, sei es, dass sie Gesetze und Absprachen der Vergangenheit als sakrosankt erklären, oder aber das Geschrei erheben, die vorgeschlagene Maßnahme sei ohne Beispiel, immer ist ihr Ziel die Konservierung der Verhältnisse und damit die unausgesprochene Privilegierung der Mächtigen und Reichen. Ihre Wirkung können sie entfalten, weil in den entscheidenden Kontexten, etwa im House of Commons, eine Mischung von Unterwürfigkeit unter die bestehende Herrschaft, Faul-

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Vgl. ebd., S. 20. Dabei handelt es sich um den Anwendungsfall der Theorie der Motive auf die möglichen Handlungsneigungen von sozial situierten Akteuren. Das zitierte Argument taucht in Verwandlung wieder auf, wenn es um die Frage geht, wie stark Menschen, die ihr sozialer Rang über andere erhebt (z.B. Aristokraten) motiviert sein werden, die Belange der Mitmenschen zu berücksichtigen. Die Antwort ist eindeutig. Wer die anderen nicht braucht, der hat, abgesehen von der reinen Sympathie, die nicht sehr weit trägt, kein Motiv, sie besonders zu schätzen.

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Ebd., S. 26. "It is from the folly, not from the wisdom of our ancestors that we have so much to learn; [...]." Ebd., S. 51. Bentham listet einige Beispiele für die "foolish opinions" der Vergangenheit auf: Hexerei, Teufelsglaube, Exorzismus usw.

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heit, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit dominiert.143 Diese politisch verantwortlichen Menschen, und auch hier treffen wir auf die Metaphorik des Sehens, die sich blind Autoritäten unterwerfen, weil sie zu faul und feige sind, die Augen dem Licht der Vernunft auszusetzen, neigen dann auch dazu, die Augen der anderen zu schließen. Sinn und Zweck der Autoritätsfehlschlüsse ist die allgemeine Verdunklung der politischen Welt.144 Die zweite Gruppe der Fehlschlüsse, die wir vorgeführt bekommen, die fallacies of danger, verfahrt so, dass sie eine mögliche Gefahr mit Reformen in Verbindung bringt. Dies kann dadurch geschehen, dass dem Reformer und Innovator schlechte Absichten und Motive unterstellt werden, ihm ein übler Charakter, zweifelhafte Verbindungen und ein inkonsistentes politisches Verhalten vorgeworfen werden.145 All diesen Versuchen, drohende Gefahr über die Person zu kreieren ist gemeinsam, dass sie sich nicht mit dem Inhalt des Vorschlags auseinander setzen. Sie sind daher alle irrelevant; wer sie einsetzt gesteht indirekt zu, dass er zur Sache nichts zu sagen hat, der gemachte Reformvorschlag sogar eigentlich ganz zutreffend ist und nur über eine Verleumdung der Person des Reformers angegriffen werden kann.146 Dabei, so Bentham, ist es vollkommen gleichgültig wie die Motive und Absichten gewichtet sind. Man wird gerade im politischen Bereich selten moralisch absolut reine Absichten finden und dies ist auch gar nicht nötig, da es ausschließlich auf die öffentlich zu prüfende Qualität der Politik und nicht auf das Seelenleben des Politikers ankommt. Umgekehrt wäre es ja auch vollkommen unsinnig, eine schlechte Gesetzgebung mit der moralischen Integrität der sie betreibenden Parlamentarier begründen zu wollen. Andere Varianten der fallacies of danger beziehen sich, wie etwa das Zwergen-Argument (hobglobin argument) oder die fallacy of distrust, auf die generelle Innovationsangst der Menschen, indem sie entweder Innovation mit Wandel zum Schlechteren gleichsetzen oder aber eine diffuse Gefahr aus der Veränderung beschwören, die zwar noch nicht jetzt sichtbar ist, die sich aber am tieferen Grund der Reform befindet und Unheil hervorbringen wird.147 Hätte man einen Zauberstab, der diejenigen berührte, die diese "fallacies" einsetzen, so Bentham, dann würden sie sich vor den Augen der überraschten Zuschauer allesamt in die typischen Vertreter der sinistren Interessen verwandeln. Wir sähen anstatt besorgter Mitbürger verschlagene Priester und Anwälte, Pfründenjäger, Landadelige und korrupte Parlamentarier, die ihren Sitz durch Bestechung

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Vgl. ebd., S. 30. "In authority, defence, such as it is, has been found for every imperfection, for every abuse, for every most pernicious and most execrable abomination that the most corrupt system of government has ever husbanded in its bosom. And here may be seen the mischief necessarily attached to the course of him whose footsteps are regulated by the finger of this blind guide. What is more, what inferences may be deduced respecting the probity or improbity, the sincerity or insincerity of him who, standing in a public situation, blushes not to look to this blind guide to the exclusion of and in preference to reason - the only guide that does not begin by shutting his own eyes, for the purpose of closing the eyes of his followers." Ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 83 f. "To employ personalities, neither labor nor intellect is required." Ebd., S. 92. Vgl. ebd., S. 93 und 100. Zur "counter fallacy time the innovator-general" vgl. S. 96.

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gekauft haben. Mit einem Wort, wir sähen all die, die ein nachhaltiges Interesse an der Beibehaltung der alten Zustände haben. Eine besondere Erscheinungsform der fallacies of danger muss noch erwähnt werden. Es ist die fallacy of the official malifactor's screen. Sie ist besonders beliebt, da sie darin besteht, jedem, der die Regierung oder einen Amtsträger angreift, zu unterstellen, er greife die bestehende Ordnung an und betreibe über deren Diffamierung den Umsturz.148 Nun ist es aber so, dass nur ein vollkommen Verrückter den Umsturz einer bestehenden Ordnung bewusst betreiben wird. Die Dinge liegen laut Bentham so, dass selbst eine Regierung, die noch weit schlechter ist als die bestehende, erhalten werden sollte, da sonst alle Sicherheit hinfallig wird.149 Ziel einer Kritik an der Regierung kann es nicht sein, die Ordnung zu vernichten, sondern die Sicherheit der unter ihr lebenden Bürger zu verbessern oder zu optimieren. Wer nur berechtigte Kritik an der Regierung zulassen will, der darf gar keine mehr erlauben und ist in seinem Herzen bereits ein Tyrann. Es gehört vielmehr zu den herausragenden Eigenschaften einer guten Verfassung, dass in ihr die Personen eine nur geringe Bedeutung haben und zugleich diejenigen, die ausgezeichnete Machtpositionen einnehmen, der Kritik unterworfen werden. Es ist ganz eindeutig der Preis für die politische Herausgehobenheit von Menschen in einer guten Ordnung, dass sie der Kritik ausgesetzt werden. Wer in solch einer Verfassung von politischen Opponenten angegriffen wird, der kann sich genauso wenig darüber beschweren, dass er kritisiert wird, wie das ein Soldat kann, wenn er im Krieg Gewehrkugeln ausgesetzt sein sollte.150 Die nächste dargestellte Gruppe der Fehlschlüsse sind die fallacies of delay. Sie sind nicht bloß wegen ihrer politisch rhetorischen Bedeutung von Interesse, sondern auch, weil, was die Frage des Reformtempos betrifft, Bentham selbst offensichtlich nicht immer konsistent argumentiert.151 Im Handbook of Political Fallacies ist jede Argumenta148

Vgl. ebd., S. 103 f. 149 "Were the business of government carried on ever so much worse than it now is, it is still from the power of government that each man receives whatever protection he enjoys against both foreign and domestic adversaries. Therefore what produces his own disposition to obedience, and his wish to see others obey, is not his respect either for the persons by whom or the system according to which the powers are exercised, but his regard for his own security. [...] it might be affirmed with confidence that even the most indigent and most ignorant in any society would not be foolish enough to desire a complete dissolution of the bonds of government. In such a state of things, whatever a man might expect to grasp at the moment, he would have no assured hope of keeping." Ebd., S. 107 f. Das ist eine teilweise ausgeführte Nutzenkalkulation, von der Bentham andernorts behauptet hat, dass sie der dauernde Quellgrund politischer Herrschaft sei. 150 151

Vgl. ebd., S. 113. Gradualismus ist nämlich, bis auf wenige Ausnahmen, ein typisches Kennzeichen der Reformargumentation Benthams. Das hat politisch-taktische und theoretisch-systematische Gründe. Bentham war klug genug, um zu wissen, dass eine abrupte Veränderung der Verhältnisse die möglichen Betroffenen geradezu in Alarmstimmung versetzen musste. Solche Gegner konnte man durch den Hinweis, dass die Veränderungen langsam und mit angemessener Kompensation geschehen sollten, beruhigen. Das Moment der langsam kompensierenden Veränderung passt aber auch zum systematischen Kern seiner Theorie. Wer nämlich verändert, der schafft bei denjenigen, die etwas abgeben sollen, die "pain of loss", die in seinem Glückskalkül in der Regel als schwerer

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tion, die eine Verzögerung erwirken will, gleichzusetzen mit dem Versuch, jede Verbesserung als solche vollkommen zu verhindern. Das ist deshalb so, weil der ältere und durch die Verhinderung des Panopticon abgeklärte Bentham gelernt hat, dass das Verzögern oft den Sieg der Reaktion mit sich bringt, weil der reformerische Eifer, der gegen die Verhältnisse anrennt, mit der Zeit erlahmt. Die zur Schau gestellt Weisheit, die eulogistisch die Begriffe "moderate" und "temperate" ins Spiel bringt, will letztlich, indem sie alles, was auf die Veränderung drängt als gewaltsam und ungeduldig dyslogistisch brandmarkt, die Verbesserung ganz verhindern.152 Das Arsenal dieser "fallacy" ist voll mit Argumenten. Hier wird angesichts der lethargischen Untätigkeit der von den Missständen Betroffenen und der gefühllosen Gleichgültigkeit der Herrschenden zynisch auf die vergleichsweise Ruhe der Bevölkerung verwiesen, die sich doch kaum beschwert.153 Es wird darauf verwiesen, dass es in anderen Ländern noch so viel schlechter zugehe und dass man letztlich ganz froh sein könne, dass es im eigenen Land bei allen Problemen nicht so schlimm stehe.154 Außerdem neigt die Argumentation hier dazu, auf die praktische Einsicht zu rekurrieren. Das Schnecken-Tempo Argument stützt sich auf die Alltagserfahrung, dass man nicht zu viele Dinge gleichzeitig machen kann.155 Daher soll eins nach dem anderen getan werden, es soll nicht überstürzt gehandelt werden und es soll vor allem durch die beschleunigte Durchführung von Maßnahmen kein Schaden angerichtet werden. Die besondere Kraft dieser Art der rhetorischen Täuschung besteht darin, dass sie in uns Bilder hervorruft. Es sind die Bilder eines durch zu schnellen Blutabfluss sterbenden Menschen, eines durch zu schnelle Fahrt verunglückenden Fahrzeugs und eines Schiffes, das zerschellt, weil es in schwerem Wasser zu viele Segel gesetzt hatte, die hier in uns abgerufen werden und die Neigung zur Vorsicht geradezu mit hervortreiben. Eine letzte und besonders raffinierte Technik der Verzögerung, die fallacy of artful diversion, setzt auf die Verwirrung der Reformargumente. Sie besteht in dem einfachen "Why that? [...] Why not this?"156 Das ist zwar eine vergleichsweise einfache Operation, ihre Durchschlagskraft darf aber keinesfalls unterschätzt werden. Glückt sie, so wird die Aufmerksamkeit von den ursprünglichen Vorschlägen abgelenkt und im schlimmsten Fall die Argumentation so verwirrt, dass niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht. Die letzte Gruppe der "fallacies", die wir behandeln müssen, die fallacies of confusion, ist die vielgestaltigste, da sie an dem Punkt zum Einsatz kommen, an dem eine öffentliche Reformdiskussion um keinen Preis mehr aufgehalten werden kann. Hierzu ge-

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wiegend beurteilt wird als der Gewinn derjenigen, die profitieren. Das ist schon deshalb der Kern seines Denkens, weil die gesamte Eigentumsdoktrin darauf aufbaut. Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen zum "non-disappointment principle". Vgl. ebd., S. 131. Das ist dann der quietistische Fehlschluss. Vgl. ebd., S. 123. Bentham weist mit Recht daraufhin, dass dieses Argument selbst unter den elendsten Umständen ohne Scham gebraucht wird. "No country is so wretched, so poor in every element of prosperity as not to supply material to this fallacy." Ebd., S. 127. Es kann nur funktionieren, weil das Volk in absoluter Verblendung gehalten wird. Vgl. ebd., S. 131 f. Ebd., S. 136.

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hört die petitio principii, die zwar bereits Aristoteles gekannt hat, die er aber nicht zureichend beschrieben hat. Nach Bentham besteht sie im Wesentlichen in "[...] the employment of a single question-begging name."157 Sie ist deshalb wahrscheinlich der wirkungsvollste Fehlschluss, weil sie der natürlichste ist. Wir alle neigen dazu, dass wir Dinge wertend benennen und können Opfer genau dieser quasi-natürlichen Neigung werden.158 Geschieht das im politischen Bereich, so wird die Rationalität des Diskurses maßgeblich reduziert. Im Kriegsfall entschuldigen Ehre und Ruhm jedes Verbrechen und machen jedes noch so unsinnige Opfer sinnvoll. "Würde" ist ein Schlüsselbegriff, der Verschwendung und Verheerung rechtfertigt. "Großzügigkeit" stellt ein euphemistisches Synonym für verheerende Verschwendungssucht dar. Die Liste dieser wertenden Begriffe, die einen Einwand ab ovo unmöglich machen, ist beeindruckend und nie vollständig. Die petitio principii ist eng verwandt mit der fallacy of impostor terms. Dieser Fehlschluss beruht ebenfalls auf einer speziellen Form der Wortverwendung. Verhältnisse, die unter ihrem eigentlichen Namen niemand verteidigen könnte, werden schlicht umbenannt und sind nun unverzichtbare Bestandteile der bestehenden und prinzipiell guten Ordnung. Der "Einfluss der Krone" ist das klassische Beispiel für eine solche Strategie. Niemand würde sagen, dass die Bestechung von Wählern und Parlamentariern ein notwendiges Mittel der parlamentarischen Regierung darstellt. Der Einfluss der Krone jedoch ist ein positives Phänomen, das lediglich die verfassungsgemäße Stellung des Monarchen reflektiert. Auf einem sehr ähnlichen Niveau bewegen sich die vague generalities, Begriffe die Bentham immer wieder mit Polemik und Verachtung überzogen hat. Dabei handelt es sich um Begriffe, die als eine Art intellektueller Nebelwerfer fungieren, der alles, was ihn umgibt, im wahrsten Sinn des Wortes unsichtbar und daher unangreifbar macht. Ihr Ziel ist die Verwirrung des geistigen Auges,159 die dadurch erreicht wird, dass man sich so allgemein ausdrückt, dass jederzeit eine Ausweichmöglichkeit bzw. ein Abtauchen in Unverbindlichkeit möglich ist. Da dort, wo nichts behauptet wird, nicht widersprochen und nicht bewiesen werden kann,160 eignen sich die unklaren Allgemeinheiten hervorragend für die Verdeckung der bestehenden Missstände. "Ordnung", "Glorious Revolution", "Establishment" sind Begriffe, unter denen man eigentlich Beliebiges verstehen kann und von denen aus derjenige eine gute Chance zur Verschleierung hat, der sie geschickt im Krieg der Worte einsetzt. Vergleichbar funktionieren die allegorical idols, die Personen durch Institutionen ersetzen und sweeping classifications, die Individuen mit Gruppen identifizieren. Man spricht im ersten Fall nicht mehr von einzelnen Mitgliedern der Regierung, sondern von der Regierung als Institution, nicht von Anwälten und Juristen, sondern vom Recht, nicht von den Priestern, sondern von der Kirche. Wer 157 158

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Ebd., S. 139. Das liegt an der assoziativen Verknüpfung von Bedeutung, Wort und Wertung. Vgl. ebd., S. 143. Genau der gleichen Logik folgt die dyslogistische oder eulogistische Benennung von Motiven in der Ethik. "The subject is thrown into confusion, and the mind's eye in its endeavors to see into it are bewildered; and that is what is wanted." Ebd., S. 164. "But when nothing is asserted, nothing is on the one hand offered, and nothing is on the other expected, to be proved." Ebd., S. 151.

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nun die einzelne Person oder Gruppe angreift, der setzt sich dem Verdacht aus, dass er die Institution als solche missbilligt.161 Im zweiten Fall überträgt man die schlechte Meinung, die von einer bestimmten Gruppe existiert, wie etwa im Fall der englischen Katholiken, vollkommen ungeprüft auf alle Menschen, die auch nur entfernt dieser zuzurechnen sind. Jedenfalls dienen all die "fallacies", die mit unklaren Wortbedeutungen spielen, einer Machtausübung, die, würde man die treffenden Worte benutzen, als unangemessen erkennbar wäre und daher nur unter dem Deckmantel von trickreichen Sprachspielen möglich ist. Die verbleibenden fallacies of confusion gruppieren sich in die der anti-rationalen Schlüsse und die der paradoxen Annahmen. Die anti-rational fallacies weisen sich durch eine durchgehende Theoriefeindschaft aus. Sie unterstellen, dass ein Verbesserungsplan zu weit von der eben nun einmal gebrechlichen Realität abweicht und übersehen, dass all unser Wissen notwendig theorieimprägniert ist.162 Zu ihrem polemischen Wortschatz gehört die Bezeichnung von Reformen als utopisch, spekulativ und zu gut für die menschliche Natur. Vorgebracht werden sie von Menschen, die sich selbst als "Praktiker" sehen und stilisieren, was allerdings nicht mehr und nicht weniger heißt, als dass es sich um Menschen handelt, die in den alltäglichen Geschäften und Routinen so befangen sind, dass sie sich eine andere Ordnung der Dinge überhaupt nicht mehr vorstellen können. Sie sind nicht diejenigen, denen das wirklich reife Urteil zusteht, sondern Menschen, die nicht über den Moment hinausdenken können. Vollkommen fehlt bei der Verwendung der anti-rationalen "fallacies" die Einsicht, dass ein Plan, der sich als unpraktikabel herausstellt, auch in der Theorie bereits inkonsistent gewesen sein muss, da ja eine gut/schlecht Opposition von Theorie und Praxis prinzipiell unsinnig ist.163 Die paradoxical assertions sind im Kern die Annahmen, die dem Utilitarismus Benthamscher Provenienz und insbesondere seinen zentralen Annahmen entgegenstehen. Zu ihnen gehören folgende Behauptungen: das Utilitätsprinzip sei gefahrlich, die methodische Klassifikation nutzlos, Einfachheit und Verständlichkeit ein Übel, persönliches Desinteresse ein Zeichen für Kompetenz. Die erste Behauptung ist nur unter ganz bestimmten Bedingungen und für bestimmte Personen zutreffend,164 die anderen sind schlicht falsch. Sie dienen, wie die anderen "fallacies" auch, zur Verwirrung und sollen verhindern, dass klare und einsehbare Maßstäbe an die politische Ordnung und an die jeweiligen Regierenden angelegt werden. Betrachtet man diese Liste der Fehlschlüsse, so stellt sich die Frage nach ihren allgemeinen Charakteristika und insbesondere nach den genaueren psychologischen und moralischen Ursachen ihrer Benutzung, mithin die Frage nach der Verantwortung des 161

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Vgl. ebd., S. 169 ff. Zum Beispiel der Bezeichnung "Kirche", die verwendet wird, um 1. die historische Kirche, 2. die Priester, 3. das Gebäude, 4. alle Mitglieder, 5. den Ritus zu bezeichnen, vgl. auch Theory of Fictions, S. 94 ff. Theorieskepsis hat durchaus einen Grund in der Erfahrung, allerdings kommen wir ohne Theorie nicht aus. Vgl. ebd., S. 196. Vgl. ebd., S. 199 f. Bentham spielt auf die Äußerung Lord Loughboroughs, der die Gefährlichkeit des Utilitarismus 1789 behauptet hatte, und seine eigene damalige Naivität an. Vgl. ebd., S. 207.

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Individuums. Bentham nennt acht allgemeine Charakteristika aller "fallacies": Sie sind 1. sachlich irrelevant, 2. ein Indiz für das vollkommene Fehlen von Sachargumenten, 3. für jeden guten Zweck unnötig, daher 4. nur für üble Zwecke brauchbar, 5. verschwenden die Zeit, erzeugen 6. eine Missstimmung durch Verwirrung, verweisen 7. auf moralische oder intellektuelle Schwäche dessen, der sie äußert, und 8. auf geistige Schwäche bei dem, der sie an der Stelle von Argumenten akzeptiert.165 Als die Ursachen ihrer Benutzung können vier mögliche aber nicht ganz gleichwertige Mechanismen genannt werden. Da ist zunächst das rein strategische Interesse desjenigen, der in einer gegebenen Situation von der Nutzenverteilung profitiert und den die Dominanz egoistischer Bestrebungen dazu bringt, das Gemeinwohl dem Eigenwohl systematisch zu opfern. Werden "fallacies" so verwendet, dann zählen ihre Ursachen zu den reinen sinistren Interessen, die noch dazu den Anwendern bewusst sind. Sie sind den "sinister interest - self-conscious type" zuzuordnen, die neben der logischen Verbindungsstruktur von Missbräuchen und den sie verdeckenden Fehlschlüssen ein moralisches Band der Interessen zwischen denjenigen herstellen, die die Gemeinschaft ausbeuten.166 Das so beschriebene Phänomen ist moralpsychologisch wenig komplex, diejenigen, die "fallacies" so einsetzen, wissen was sie tun, sie täuschen bewusst andere ohne selbst an die Täuschung zu glauben. Davon müssen nun diejenigen unterschieden werden, deren Bewusstsein der eigene Wille einen Streich spielt und die sich selbst und die anderen über ihre wirklichen Motive und Interessen im Unklaren lassen. Das ist möglich, weil in Benthams Architektonik der menschlichen Seele der Verstand vor allem ein Instrument der Mittelwahl des Willens ist.167 Da wir bereits wissen, dass die Selbsterkenntnis der Motivquellen unseres je eigenen Handelns durch eine innere Beobachtung unseres selbst zwar prinzipiell möglich ist, aber eine schwierige und selten beherrschte Kunst darstellt, so ist es nur konsequent, dass die fehlende Selbsterkenntnis zu einem Einfallstor der Selbsttäuschung durch "fallacies" wird. Während wir nämlich ein massives Interesse haben, die Motive der Menschen um uns herum, von deren Verhalten unser Wohlergehen abhängt, möglichst genau zu kennen und mit ihnen zu rechnen, so verstellt ein massives Interesse den Blick auf unsere eigene Motivation. Da unsere soziale Umwelt soziale Motive meist höher bewertet168 als egoistische, eine gute Tat aus Hilfsbereitschaft mehr gilt als aus Geltungssucht, lohnt ein Blick nach innen meist nicht, weil dort nicht unbedingt die erhofften Motive gefunden werden.169 Wird trotzdem eine Selbstprüfung durchgeführt, 165

Vgl. zu dieser Aufzählung ebd., S. 227 f. Vgl. ebd., S. 229 ff. 167 "jhe understanding is not the source, reason is of itself no spring of action. The understanding is but an instrument in the hand of the will. It is by hopes and fears that the ends of action are determined; all that reason does, is to find and determine the means." Ebd., S. 213. 168 Das meint natürlich nur die allgemeine Tendenz. Wir hatten gesehen, dass soziale Motive durchaus zu problematischen Handlungen fuhren können. 169 Die typische Situation solch einer umgebogenen Beobachtung der eigenen Motive wird wie folgt beschrieben: "When he looks at other men, he finds mentioned as a matter of praise the prevalence of the purely social motives, the semi-social motives, and those of the dissocial sort which have their source in an impulse supplied by the purely social or semi-social motives. It is by the 166

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Handeln, Sehen, Sprechen: anthropologische

Fundamente von Benthams politischem

Denken

so erfolgt sie möglichst zielgerichtet und selektiv, sodass die erwünschten positiven Ergebnisse vorliegen. Dann wird sie beendet. Auf diesem so beschriebenen psychischen Mechanismus baut nun die Möglichkeit auf, dass derjenige, der "fallacies" einsetzt, sie auch selbst gern glaubt. Helfen sie ihm doch, seine problematische Motivation beizubehalten, also die eigenen Interessen gegen das Gemeinwohl zu verfolgen und zugleich dazu, die eigene psycho-moralische Ökonomie im Gleichgewicht zu halten. Bentham nennt das Phänomen der geneigten Selbsttäuschung und Fremdtäuschung, mit dem häufig gerechnet wird werden müssen, interest-begotten prejudice. Die beiden anderen Mechanismen, die zum Einsatz von "fallacies" führen, sind keineswegs gleichwertig mit den beiden bereits behandelten. Die authority-begotten prejudices können entweder entstehen, wenn Menschen blind der Autorität glauben, oder aber, wenn bestimmte Menschen feststellen, dass ein Fehlschluss auch ihren Interessen dient und es daher lohnt, für seine Verbreitung zu sorgen.170 Im zweiten Fall nähern sie sich denen an, die strategisch erkannt und benutzt werden. Die counter-fallacies setzen eine besondere Anwendungskonstellation voraus, in der Fehlschlüsse als Hilfstruppen der Reformer verwendet werden, was jedoch immer mit einer Selbstanzeige geschehen soll, da sonst die Aufklärung des Handbook of Political Fallacies verraten werden würde. Die Ausführungen hierzu sind weder konsistent noch besonders klar.171 Nach diesem Durchgang durch die verschiedenen "fallacies" der Reaktion dürfte klar sein, welche außergewöhnliche Bedeutung einer rhetorisch informierten Aufklärung nach Bentham zukommt. Sie ist unabdingbar, weil sich aufbauend auf der immer latenten sprachlichen Verzerrung von politischer Rationalität ein täuschender Diskurs konstituiert, der das alles entscheidende Medium des öffentlichen Austausches anstatt zu einem des Fortschritts zu einem der Beharrung macht. Die verwirrte Sprache verschleiert als "fiction" und als "fallacy" den klaren Blick der Menschen und sie verhindert so bereits im Ansatz die utilitäre Aushandlung von vernünftigen politischen Lösungen. Die politische Superinstitution der "public opinion" muss immer wieder aufgeklärt werden, damit sie ihre ungeheuer bedeutende Rolle in einer glücksoptimierenden repräsentativen Demokratie spielen kann.

170 171

supposed prevalence of these amiable motives that he finds reputation raised, and the respect and goodwill enhanced to which every man is obliged to look for so large a portion of the comfort of his life. [...] But the more closely he looks into the mechanism of his own mind, the less he is able to refer any of the mass of effects produced there to any of these amiable and delightful causes. He finds nothing, therefore, to attract him towards this self-study; he finds much to repel him from it. [...] Perhaps he is a man in whom a large proportion of the self-regarding motives may be mixed with a slight tincture of the social motives operating upon the private scale. In that case, what will he do? In investigating the source of a given action, he will in the first instance set down the whole of it to the account of the amiable and conciliatory motives, in a word, the social ones. This, [...] will always be his first step; and it will be commonly be his last also." Ebd., S. 236 f. Vgl. ebd., S. 238 f. Vgl. ebd., S. 240 f.

4. Der systematische Ort des Politischen in Benthams Utilitarismus

4.1. Politik und Moral - the greatest happiness of the greatest number Bei dem Versuch einer Rekonstruktion der anthropologischen Grundlagen von Jeremy Benthams politischem Denken, die im Verlauf seiner Reformarbeit und seines streitbaren intellektuellen Lebens teilweise vorlaufend und teilweise nachholend erarbeitet wurden, haben wir bereits mehrfach die Grenzen zwischen der handlungstheoretischen Perspektive, die die exegetische Ethik einnimmt, und einer kritischen Ethik bzw. Politik erreicht. Bevor wir uns seiner politischen Theorie im engeren Sinne zuwenden, wird es nötig sein, das Verhältnis von Handlungstheorie, Moral und Politik näher zu bestimmen. Wir werden dabei zunächst einmal sehen müssen, ob sich die anthropologische Annahme eines primär selbstinteressierten Individuums mit ethischen und politischen Idealvorstellungen verbinden lässt, oder ob am rationalen Egoismus der Individuen alle Postulate der Mitmenschlichkeit scheitern müssen. Dabei wird sich zeigen lassen, wie sich auch hier Benthams Denken von außen nach innen wendet und die Prinzipien des größten Glücks, das "greatest happiness principle" selbst und seine unmittelbar derivaten Postulate, primär politischer Natur sind, während die moralische Selbstkultivierung zwar eine wichtige Option der utilitären Weltverbesserung darstellt, ihr aber nie zugetraut werden kann, den Menschen vollkommen zu verändern.

4.1.1.

Politische und deontologische Rationalität

Betrachtet man das Verhältnis von Politik und Individualethik bei Bentham, so ergibt sich auf den ersten Blick ein widersprüchliches Bild, das an eine Zwei-Reiche-Lehre erinnert. Während nämlich, wie Bentham etwa in der Introduction to the Principles of Morals and Legislation nahe legt, die "private ethics" eine Kunst der individuellen Selbst-Regierung zum Zwecke der eigenen Glücksmaximierung darstellt, ist das Prinzip der "public ethics", d.h. jeden politischen Handelns, die Maximierung des Glücks der

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Der systematische

Ort des Politischen

in Benthams

Utilitarismus

gesamten Gemeinschaft.1 Wer seine eigenen Handlungen unter Maximen stellen will, dem dient eine private Ethik dazu, sich in der moralisch sozialen Welt zurechtzufinden. Er lernt die Spielregeln der "public and moral sanction" und gegebenenfalls die aus der "physical sanction" drohenden Folgen einer unklugen Verhaltensweise. Geht es aber um die "public ethics", so soll die Freude auf möglichst viele Personen ausgedehnt und das Leid möglichst begrenzt werden. Bentham hat dies in einem Merkvers zusammengefasst: "Intense, long, certain, speedy, fruitfull, pure Such marks in pleasure and in pains endure. Such pleasure seek, if private be thy end: If it be public, wide let them extend. Such pains avoid, whichever be thy view: If pains must come, let them extend to few." 2

Hier deutet sich bereits an, dass es keine zwei verschiedenen Reiche einer privaten und einer öffentlichen Ethik geben kann, sondern, dass derselbe Standard für alle Bereiche der Lebensführung gelten soll. Und in der Tat hat Bentham an den Stellen, an denen er

"Ethics at large may be defined, the art of directing m e n ' s actions to the production of the greatest possible quantity of happiness, on the part of those whose interest is in view. What then are the actions which it can be in a m a n ' s power to direct? They must be either his own actions, or those of other agents. Ethics, in as far as it is the art of directing a m a n ' s own actions, may be styled the art of self-government, or private ethics. [...] As to the other human beings, the art of directing their actions to the above end is what we mean, or at least the only thing which, upon the principle of utility, we ought to mean, by the art of government: which, in as far as the measures it displays itself in are of a permanent nature, is generally distinguished by the name of legislation: as it is by that of administration, when they are of a temporary nature, determined by the occurrences of the day." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 282 f. Es folgt eine Analogie zwischen der privaten Erziehung von Minderjährigen durch die Eltern und einer "public educatio n " durch die Regierung, die S. 68 dadurch überboten wird, dass die Eltern als "deputies" einer guten Regierung bei der Leistung der Kinder zum Glück eingeführt werden. Diese Ausführungen haben David Lyons dazu veranlasst, Benthams Ansatz als parochiale Theorie eines "dual Standard" zu bezeichnen, die öffentliche und private Ethik nebeneinander stellt und letztlich in der Politik eine artifizielle Harmonie der tendenziell konvergierenden Interessen erzeugt, die dann parochial auf eine begrenzte Gemeinschaft bezogen ist. Vgl. Lyons, David, In the Interest of the Governed, Oxford 1973, S. 29 ff.; ders., On Reading Bentham, in: Philosophy XLVII/1972, S. 7479. Den einflussreichen Thesen Lyons widerspricht John Dinwiddy, wenn er daraufhinweist, dass die von Bentham so ausgiebig traktierten Phänomene wie Strafe und die Verbindung von Pflicht und Interesse nur dann wirklich wichtig sind, wenn die individuellen Handlungsorientierungen zum Wohle der Gemeinschaft gesteuert und reguliert werden müssen, wenn also der Standard der am bloß individuellen Glück ausgerichteten "private ethics" von dem der "public ethics" überformt werden muss. Genau zu diesem Schluss kommt man auch, wenn man die Institution des Panopticons berücksichtigt, das j a genau zur Korrektur falscher individueller Glückssuche da ist bzw. die Ausführungen Benthams in der Deontology heranzieht, die die Bedeutung einer Glückskonvergenz betonen Vgl. Dinwiddy, John R., Bentham on Private Ethics and the Principle of Utility, in: Revue International de Philosophie, 141/1982, S. 278-300, hier insbesondere S. 291. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 38, Fn. a.

Politik und Moral - the greatest happiness of the greatest

number

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das "greatest happiness principle" traktiert, immer darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung des Glücks der größten Zahl auch der zentrale Maßstab der Individualethik sein soll, auch wenn er besonders die Anforderungen des Prinzips gegenüber politisch herausgehobenen Personen betont. Wie aber soll das zusammen gedacht werden? Die hier vertretene Interpretation behauptet, dass die beiden verschiedenen Dimensionen eines egoistisch motivierten Individuums einerseits und einer eingeforderten Orientierung am Glück der Gemeinschaft andererseits nur über den Mechanismus einer typisch EXTERNALISTISCHEN Argumentation zusammen gedacht werden können. Es ist die Tatsache einer ausschließlich im intersubjektiven Diskurs rechtfertigbaren Geltung des Utilitätsprinzips zusammen mit dem Faktum einer latent utilitären Außensteuerung des menschlichen Handelns durch die beiden humanen Sanktionen, die eine optimistische Sicht auf die Vereinbarkeit der scheinbaren Gegensätze zulässt. Machen wir uns zunächst klar, was das "greatest happiness principle" von den handelnden Individuen verlangt. Es ist mit Benthams Worten das ethische Prinzip, "[...] which states the greatest happiness of all those whose interest is in question, as being the right and proper, and only right and proper and universally desirable, end of human action: of human action in every situation, and in particular in that of a functionary or set of functionaries exercising the powers of government. The word utility does not so clearly point to the ideas of pleasure and pain as the words happiness and felicity do: nor does it lead us to the consideration of the number, of the interests affected: to the number, as being the circumstance, which contributes, in the largest proportion, to the formation of the standard here in question; the standard of right and wrong, by which alone the propriety of human conduct, in every situation, can with propriety be tried."3

Es handelt sich nach diesen Sätzen beim "greatest happiness principle" also um einen Standard, der jedes menschliche Handeln anleiten soll, gleichgültig, in welcher Lebenssituation sich der Akteur befindet. Die besondere Erwähnung der politischen Funktionäre ist in diesem Kontext offensichtlich so gemeint, dass der universelle Handlungsmaßstab für alle gilt, fur die Menschen aber, die Verantwortung tragen, besonders bedeutsam ist. Wenn es zwischen der privaten Ethik und der politischen Ethik einen Unterschied gibt, so kann er nicht primär in der Handlungsnorm liegen, sondern muss sich aus anderen Quellen speisen. Außerdem darf keinesfalls vergessen werden, dass bei allen möglichen Unterschieden zwischen Moral und Politik der entscheidende anthropologische Ausgangspunkt erhalten bleibt, der darin besteht, dass alle Handlungen, gleichgültig in welchem Bereich, ein interessiertes Individuum voraussetzen. Das gilt dann selbstverständlich auch für alle ethischen Handlungen und Verpflichtungen. 4

3 4

Ebd., S. 11, Fn. a. "Ethics then, in as far as it is the art of directing a man's actions in this respect, may be termed the art of discharging one's duty to one's neighbour. [...] It may here be asked, how it is that upon the principle of private ethics, legislation and religion out of the question, a man's happiness depends upon such parts of his conduct as affect, immediately at least, the happiness of no one but himself: this is as much as to ask, what motives [...] can one main have to consult the happiness of another? By what motives, or, which comes to the same thing, by what obligations, can he be bound to obey the dictates of probity and beneficence? In answer to this, it can not but be admitted, that the

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Der systematische Ort des Politischen in Benthams

Utilitarismus

Die erste offensichtliche Differenz, die es zu markieren gilt, besteht in den unterschiedlichen Sanktionen des Glücks, die ihre Wirkung in Moral und Politik unterschiedlich entfalten. Während der "political and legal sanction" die Zwangsmittel des Staates zur Verfugung stehen, kann die Moral nur auf die Einsicht des Angesprochenen und gesellschaftliche Steuerungsmedien für das individuelle Verhalten zurückgreifen. Diesen unterschiedlichen Möglichkeiten der Sanktionierung korrespondieren in Benthams Denken zwei unterschiedliche idealtypische Rollen einer moralisch-praktischen Aufklärung: der Deontologe und der Gesetzgeber. 5 Während der souveräne Gesetzgeber durch die Schaffung von Recht Handlungsmotive produzieren kann, besteht das Instrumentarium des Deontologen bei der Beeinflussung menschlichen Handelns darin, dass er auf die möglichen Folgen des Tuns aufmerksam macht und somit dem Akteur eine weitere Reflexionsebene bei der Verfolgung des individuellen Glücks eröffnet. 6 Der Moralist ist ganz bescheiden eine Art "scout", der sich mit Benthams Worten auf die Jagd nach durchschnittlich eintretenden Handlungsfolgen gemacht hat, diese, so gut er kann, sammelt und sie vor denjenigen ausbreitet, die seine Dienste in Anspruch nehmen wollen. 7 Allerdings ist er nicht nur auf dieser Ebene wirksam. Bis zu einem gewissen Grad kann nämlich der Deontologe durchaus an der Schaffung neuer Motive mitwirken. Dies geschieht dann, wenn er seine Stimme im Chor der Öffentlichkeit erhebt und bestimmte Verhaltensweisen auf Grund ihrer Inkompatibilität mit den Grundsätzen der Utilität brandmarkt, oder wenn er bestehende Verhaltensregeln der "public and moral sanction" als aus denselben Gründen für falsch erklärt. Das Verfahren, in dem Bentham dieses Erheben der "moral voice", beschreibt ist nicht zufällig in voller Analogie zu einer Beratung in einer gesetzgebenden Versammlung dargestellt. Die Stimme des Deontologen ist nämlich - wie die eines einzelnen Parlamentsmitgliedes - nicht mit dem Maß an Bindungskraft ausgestattet, wie die des Gesetzgebers bzw. der repräsentativen Gesamtkörperschaft. Sie ist ein Beitrag zu einem Diskurs, in dem der Moralist, bzw. im anderen Fall der Abgeordnete, vielleicht auf Grund seiner Reputation und seines Sachverstandes eine herausragende Stellung hat, in dem er aber nur Mahnen und Begründen

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only interests which a man at all times and upon all occasions is sure to find adequate motives for consulting, are his own." Ebd., S. 284. Deontologie wird hier in dem engeren Sinn der "private deontology" verstanden, obwohl Bentham gelegentlich den Begriff mit Ethik allgemein und insbesondere mit der Amtsethik der "ruling few" gleichsetzt. Wenn er das tut, dann ist aber immer der identische Wissensbestand gemeint, den Moralist und Gesetzgeber haben sollen, damit sie das Glück von einzelnen und von allen Mitgliedern der Gemeinschaft vergrößern können. Vgl. Deontology, S. 124 und 334. Die hier vorgenommene Trennung bezieht sich auf den engeren Begriff von Deontologie, wie ihn Bentham durchgehend als Bezeichnung für die nicht-politische individuelle Moral benutzt, um sie vom Recht abzusetzen. Vgl. Nomography, Works, III, S. 235. "To the legislator, to the moralist as to everybody, these means (of happiness - W.H.) being the same, the sole difference is [that] by the legislator is exercised an unlimited power of creating as well as applying such means viz. motives; by the moralist no farther, nor otherwise, than as above: as to the rest, all he has to do with motives is to indicate them." A Table of the Springs of Action, S. 66. Vgl. Deontology, S. 251.

Politik und Moral - the greatest happiness of the greatest number

161

kann, sich jedoch in keinem Fall eine darüber hinausgehende Autorität anmaßen darf.8 Entschieden wird dann von allen Gesellschaftsmitgliedern bzw. allen Repräsentanten. Unterscheiden sich die Mittel der Handlungssteuerung fundamental, so sind auch die Ziele einer moralischen Aufklärung von denen der politischen Aufklärung durchaus verschieden. Während die rechtlich-politische Handlungssteuerung und Kontrolle auf die gesellschaftlich fundamentale Tugend der "probity" hinwirkt, sind das Ziel der Moral die Förderung von "prudence", "benevolence" und "beneficence". Der Politik und dem Recht hat es zunächst zu genügen, wenn die Menschen rechtschaffen sind und ein reibungsfreies Zusammenleben dadurch möglich wird, dass sich die Bürger rechtskonform verhalten. Moral greift regelnd in den Bereich ein, der sich nicht politisch und rechtlich regeln lässt. Es ist der Bereich der alltäglichen außerpolitischen "services", die sich Menschen immer und ohne jeden rechtlichen Zustand leisten, ohne die sie ganz prinzipiell nicht leben können.9 Würde dieser Bereich rechtlich geregelt, dann müsste ein perfekter Überwachungsstaat eingerichtet werden und es wäre selbst dann immer noch sehr fraglich, ob die handlungsmotivierende Kraft des Rechts für eine angemessene Erbringung der nötigen Dienste hinreichen würde. Unter diesem Aspekt betrachtet ist die Regelungstiefe der Moral eindeutig größer als die des Rechts und der Politik.10 Auch erweisen sich die politischen Mittel zur Schaffung von Motiven, staatliche Belohnung und Strafe, als zu grobe Werkzeuge für eine Feineinstellung alltäglichen menschlichen Verhaltens.11 Die "civil virtues", auf die wir im Umgang miteinander vertrauen müssen, lassen sich nicht befehlen, sind allerdings auch nicht spektakulär. 8

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Vgl. ebd., S. 205 f. Da aber in der Beratung der öffentlichen Meinung kein Diskurs unter Bedingungen der Anwesenheit gemeint sein kann, bleibt die Äußerung des Moralisten oft ohne sofortige Entgegnung. Dies bezeichnet Bentham als gefahrlich, weil das den "self-constituted legislator of the popular or moral sanction" dazu verführen kann, aus Eitelkeit überspannte und grundlose Regeln zu verteidigen. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 179. "In the exchange of services which constitutes social intercourse, some are free some are forced. Those which are required by the law, constitute rights and obligations. [...] Still, whatever the legislator may do, there are a great number of services upon which he has no hold: he can not direct them, because it is not possible to define them, and even because constraint would change their nature, and convert them into evils. For the punishment of their violation, such an apparatus of research and of punishments would be required, as would spread terror through society. Besides, the law does not know the real obstacles which prevent their being rendered: it cannot put into activity hidden forces; it cannot create that energy, that superabundance of zeal, which surmounts difficulties, and goes a thousand farther than commands." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 338. Das moralische Gebot bezeichnet Bentham allerdings als "supplemental law" und "social or moral code", das dort beginnt, wo das Gesetz endet. Beispiele für nicht rechtlich befehlbare Verhaltensweisen, die der "secondary code" der Moral reguliert sind: "equity, patriotism, courage, humanity, generosity, honour, disinterestedness". "In this case, as in so many other cases, there is an analogy between rewards and punishments. It is an imperfection common to both these sanctions, that they are applicable to actions alone, and exercise only a distant and indirect influence upon the habits and dispositions which give a colour to the whole course of life. [...]. The two systems are like imperfect scales, useful only for weighing bulky commodities; and as an individual, whose life has been less guilty than that of a man of a hard and false heart, is punished for a single theft, there is also often a necessity of rewarding a

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Utilitarismus

Geht es jedoch darum, was für Bentham systematisch den Vorrang genießen soll, die moralische Regulierung des Verhaltens oder aber eine rechtliche Sicherstellung eines reibungslosen Zusammenlebens, so wird deutlich, dass die Moral zwar feiner und flexibler menschliches Alltagsleben ordnet, dass aber, was die Sicherheit der Kontrolle des Verhaltens betrifft, das positive Recht eindeutig den Vorrang genießt. Nicht das Recht ist die Ausfallbürgschaft der Moral, sondern genau umgekehrt: Die Moral tritt ein, wenn das Recht defizitär ist: "Probity, prudence, benevolence; these are the subjects of morality. The law ought, however to include all that relates to probity; all that teaches men to live together without injuring each other. There will then remain for morality, prudence and benevolence: but secure probity and prudence will have fewer snares to escape, and will walk more securely: prevent men from injuring one another, and benevolence will have fewer suffering to relieve ,"12

Die reine Rechtskonformität des Handelns, die aus einer kantianischen Perspektive bloße Legalität darstellt, wird von Bentham deshalb so schwer gewichtet, weil die Rechtschaffenheit der Menschen, die das Recht sicherstellen soll, wesentlich mehr ist als ein akzidentielles Moment menschlichen Zusammenlebens. Nur über das Recht ist es nämlich möglich, eine der Grundqualitäten des Glücks zu garantieren: Sicherheit. 13 Während die Moral, was die Erzwingbarkeit des Verhaltens betrifft, sich in einem vergleichbaren Zustand befindet wie das internationale Recht, 14 ist das positive Recht das universale Band, das Gesellschaft und Zivilisation überhaupt erst möglich macht. Wenn also die Moral das Verhalten der Individuen genauer und emotional motivierender beeinflussen kann, so bezahlt sie dies mit mangelnder Effizienz und Sicherheit. Auf ihren schwachen Pfeilern könnte keine politische Gemeinschaft aufgebaut werden. 15 Auf eine moralische Bindung der Mitmenschen kein Übel zu tun, Leben und Eigentum des je anderen zu achten, darauf allein ist kein Verlass. Erst das Recht verhilft zur nötigen Sicherstellung einer vernünftigen und glücksoptimierenden Lebensführung, weil es die Grundlagen für die Glückssuche der vergesellschafteten Menschen über Zwangsgewalt garantieren kann. 16

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certain distinguished service, performed by a man who is otherwise little entitled to esteem." Rationale of Reward, Works, II, S. 231. Essay on the Promulgation of Laws, Works, I, S. 158. So auch: "By Private deontology considered as an art, understand the art of maximizing the net amount of happiness in that part of the field of thought and action which is left free by the power of law and government." Deontology, S. 249. "We have now arrived at the principal object of the Laws: the care of security. This inestimable good is the distinctive mark of civilization: it is entirely the work of the laws." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 307. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 200. Vgl. Of Laws in General, S. 196. "Under one or other of two heads, viz. Rules of perfect obligation and Rules of imperfect obligation, have the Rules of Morality - the whole aggregate of them - been wont to be ranked. Those, the general observance of which is most indispensably necessary to the being, as well as wellbeing, of society, are the rules of perfect obligation: and these are rules of law." Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 143.

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Bevor wir Benthams moraltheoretische Vorstellungen vom Zusammenspiel von individueller Glückssuche und gesellschaftlicher Glücksmaximierung etwas genauer untersuchen, müssen wir noch einen Blick auf die Moralität des Rechts bzw. die systematische Relation von Moral und Politik werfen. Wir hatten eingangs die These aufgestellt, dass in Benthams politischem Denken eine eng mit seinem EXTERNALISMUS zusammenhängende Tendenz vorherrscht, das politisch erzeugte Recht die Moral aufzehren zu lassen. Die These einer tendenziellen Minimierung des moralisch regulierten Bereichs menschlichen Handelns zu Gunsten einer Dominanz gesetzlicher Ordnung stützt sich zunächst auf die Beobachtung, dass Bentham vor allem im Kontext seiner Bemühungen um eine vollkommene Kodifizierung des Rechts, aber auch an anderen relevanten Stellen seines Werks, einem auf utilitaristischen Grundsätzen aufbauenden Rechtskodex die Funktion einer Anweisung für ein auch moralisch angemessenes Leben zuweist. Das politisch auf der Basis des "greatest happiness principle" ausgehandelte positive Recht ist ein Vademecum des Lebens: "In a system thus constructed upon this plan, a man need but open the book in order to inform himself what the aspect borne by the law bears to every imaginable act that can come within the possible sphere of human agency: what act it is his duty to perform for the sake of himself, his neighbour or the public: what acts he has a right to do, what other acts he has a right to have others perform for his advantage: whatever he has either to fear or to hope from the law. In this one repository the whole system of the obligations which either he or any one else is subject to are recorded and displayed to view: [...]." 17

Offensichtlich deckt das positive Recht potenziell alle möglichen menschlichen Handlungen ab und Bentham geht sogar so weit, dass er fur die privatesten Beziehungen den Eindruck erweckt, dass das, was gesetzlich erlaubt bzw. verboten ist, als alleinige Orientierung für das menschliche Leben ausreicht. 18 In bestimmten Bereichen kann man sich, so wird ferner argumentiert, gar nicht moralisch richtig verhalten, wenn man die rechtlichen Schranken nicht kennt, da hier, insbesondere in Eigentumsfragen, die Moral eine abgeleitete Funktion des Rechts ist.19 Bezieht man dann noch die Tatsache mit in die Betrachtung ein, dass für ihn auch Geschmacksfragen und innere Handlungen

Of Laws in General, S. 246. "'Citizen,' says the legislator, 'what is your condition? Are you a father? Open the chapter Of Fathers"' View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 193, vgl. auch ebd., S. 209. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 292. Die hier in Fußnote s gestellte Frage, was denn geschehen soll, wenn die Anordnungen des Gesetzgebers nicht so sind wie sie sein "sollten", scheint einen Zirkel aufzubauen. Gemeint ist damit aber natürlich die Rückführung auf das Utilitätsprinzip. Ganz im Gegenteil zu einem Zirkelargument macht die Fußnote deutlich, dass beide Bereiche; Recht und Moral nicht in einem systematischen Verständnis auseinander ableitbar sind, etwa so, dass ein moralisches Gebot zum positiven Recht wird. Das wäre genetisch zwar möglich und geschieht auch, wenn eine moralische Vorschrift als so wichtig empfunden wird, dass sie mit der politischen Zwangsgewalt ausgestattet werden soll. Allerdings müssen Regeln immer, egal aus welchem Bereich sie in den je anderen hinein wechseln, der Prüfung des Glückskalküls unterworfen werden. Es besteht also eine systematische Parallelität und keine lexikalische Folge.

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Utilitarismus

keinesfalls moralische Fragen aufwerfen, 20 so könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass für die Moral kaum noch ein Regelungsbereich übrig bleibt. Außerdem legt Bentham den Schluss nahe, wie sich beispielhaft an der Sexualethik zeigen lässt, dass die bisherigen Ethiken eine Vielzahl von moralischen Verboten aufgestellt haben, die für das Glück der Menschen nicht nötig waren, die aber, insbesondere wenn es sich um religiöse Gebote handelte, letztlich zur Entstehung eines Schuldkomplexes bei den Normadressaten und damit im Effekt, zu deren besseren Beherrschbarkeit geführt haben. Mißgunst und Leid waren die Ergebnisse. Dieser Befund ist allerdings zu einseitig. Wenn man genauer hinschaut, so wird man feststellen, dass sich nur der Teil der Moral, der sich mit Verboten beschäftigt, tendenziell über politische Mechanismen in das positive Recht auflöst. Das liegt zunächst daran, dass von den beiden politischen Instrumenten der Handlungssteuerung, staatliche Strafe und staatliche Belohnung, nur ersteres wirklich im vollen Umfang zur Verfügung steht und wirkt, während das zweite an einem grundsätzlichen Wissensdefizit zu scheitern droht. 21 Da die staatlichen Ressourcen nämlich beschränkt sind, ist es nicht vorstellbar, dass alle erwünschten positiven Handlungen belohnt werden könnten. 22 Wir hatten bereits gesehen, dass hierfür die Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen der "public"- und "moral sanction" offenbar besser geeignet sind. Es ist daher kein Zufall, dass für die Deontologie im engeren moralischen Sinne neben der praktischen Klugheit, Wohlwollen und Wohltun als entscheidende Gegenstände reserviert werden müssen. Der zweite wesentliche Grund für diese Tendenz liegt in der gleichen systematischen Quelle der Strafmechanismen von Recht und Moral. Nach Benthams Idealvorstellung muss sich jede moralische und auch jede rechtliche Vorschrift vor dem Tribunal des "greatest happiness principle" rechtfertigen. Die verschiedenen Positionen werden vor dem Hintergrund der vernünftigen Utilität abgewogen und die Entscheidung kann nur dann Geltung für sich beanspruchen, wenn sie so begründet werden kann. Es muss gezeigt werden, dass die verbotene Handlung schadet und dass die gebotene nutzt. Das aber gilt als der entscheidende Mechanismus in beiden Bereichen. Es gilt in Politik und Moral. Ziel jeder Aufklärung ist die endgültige Durchsetzung dieser Art der Findung von Gebot und Verbot. Bentham beschreibt das systematische Ineinander und Auseinander von Politik und Moral: "But wherever the punishment of the political sanction ought to apply, there also ought that of the moral: in this respect therefore this whole work belongs still to ethics. On the other hand

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Vgl. Deontology, S. 181. Das gilt insbesondere, wenn es um die Leistung besonderer Dienste für das Allgemeinwesen geht: "Such is the nature of extraordinary services, that it is neither practicable nor desirable for them to be performed by a large multitude of persons. If punishment, then, where the means employed to induce men to perform them, it would be necessary to pitch upon some select persons as those on whom to impose the obligation. But of the personal qualifications of individuals, the legislator, as such, can have no knowledge." The Rationale of Reward, Works, II, S. 205. Das macht einen entscheidenden Unterschied zwischen der staatlichen und der privaten "Erziehung" aus. "There is no government so rich as to do much by rewards: there is no father so poor as not to possess an inexhaustible store of them." Principles of Penal Law, Works, I, S. 569. Vgl. auch The Rationale of Reward, Works, II, S. 208.

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there are divers cases in which although the punishment of the political ought not at any rate to apply, howsoever it may be with the moral, there are others in which neither the one ought to apply nor the other, nor in short any punishment at all. [...] Where any punishment is groundless, there all punishment is groundless ', there neither that of the political, nor that of the moral ought to apply. So also if the punishment of the political sanction is inefficacious, the feebler punishment of the moral sanction must be so likewise: but it may very well happen that all punishment on the part of the political sanction may be unprofitable or needless, where that of the moral shall be both requisite and profitable." 23

Die zitierte Stelle aus Of Laws in General ist zweifellos eine der aufschlussreichsten zum Verhältnis von Politik und Moral in Benthams gesamten Werk und es würde sich, wenn dies das Thema der vorliegenden Darstellung und Interpretation wäre, eine ideengeschichtliche Vergleichsanalyse mit den Ausführungen John Stuart Mills zur Genesis des moralischen Verbots aus dem rechtlichen in Utilitarianism sicherlich lohnen.24 Für unseren Zusammenhang ist bedeutsam, dass, hier am Beispiel der Strafe exemplifiziert, der jeweilige Grund für die Operation der Sanktion prinzipiell identisch ist. Das bedeutet, um bei der Strafe zu bleiben, dass, sobald gezeigt werden kann, dass eine Handlung aus Nutzengründen besser unterbleiben sollte, es vor allem um die Abwägung geht, welche Sanktion angemessener für ihre Verhinderung eingesetzt wird. Werden die unterschiedlichen Vor- und Nachteile der jeweiligen "sanction" berücksichtigt, so ist die Differenzierung keinesfalls eine der Begründung, sondern nur der Mittelwahl. Allgemein gilt, dass das Individuum jede Handlung, die das eigene und das Glück der Gemeinschaft vermehrt, ausführen soll und jede, die das Gegenteil bewirkt, unterlassen soll. Es folgt daraus aber nicht, dass jedes Mal der Gesetzgeber Vorschriften erlassen muss. Auch hier ist, weil, wie Bentham es ausdrückt, nur so das Gesetz direkt intervenieren kann, die Strafe ideal geeignet, um die Grenzziehung zu erläutern.25 Dies ge-

23 24

25

Of Laws in General, S. 219 (Hervorheb. - W.H.). Ganz kann der Versuchung aber doch nicht widerstanden werden. Daher sei hier ein Auszug aus genau dem Text Mills gegeben, der als eindeutigster Nachweis der Wende zum qualitativen Utilitarismus gilt: "We should be glad to see just conduct enforced and injustice repressed, even in the minutest details, if we were not, with reason, afraid of trusting the magistrate with so unlimited an amount of power over individuals. When we think that a person is bound in justice to do a thing, it is an ordinary form of language to say, that he ought to be compelled to do it. [...] The above is, I think, a true account, as far as it goes, of the origin and progressive growth of justice. But we must observe, that it contains, as yet, nothing to distinguish that obligation from moral obligation in general. For the truth is, that the idea ofpenal sanction, which is the essence of law, enters not only in the conception of injustice, but into that of any kind of wrong. We do not call anything wrong, unless we mean to imply that a person ought to be punished in some way or other for doing it; if not by law, by the opinion of his fellow creatures; if not by opinion, by the reproaches of his own conscience. This seems the real turning point of the distinction between morality and simple expediency." Mill, John Stuart, Utilitarianism, in: Collected Works, X, S. 245 f. (Hervorheb. - W.H.) "If legislation interferes in a direct manner, it must be by punishment.' 1 1 say nothing in this place of reward: because it is only in a few extraordinary cases that it can be applied, and because even where it is applied, it may be doubted perhaps whether the application of it can, properly speaking, be termed a act of legislation." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 285.

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in Benthams

Utilitarismus

schieht in der Introduction to the Principles of Morals and Legislation entlang der Fälle, in denen eine rechtliche Strafandrohung unangemessen ist. Man kann dort nämlich sehen, wie die verschiedenen Sanktionen faktisch und idealiter unterschiedliche Formen der Regelsanktionierung bereithalten.26 Stellt man die Fälle gegenüber, so ergibt sich folgendes Bild: Strafe der politischen Sanktion

Strafe der moralischen Sanktion

grundlos:

- wo kein Schaden entsteht grundlos in beiden Fällen

ineffizient:27

-

bei Ex-post-factum-Strafandrohung keine Prävention bei Unbekanntheit des Verbotes Unzurechnungsfähigkeit des Täters unbeabsichtigten Handlungen höherer Gewalt

unprofitabel:28

unnötig:

exklusives Feld der privaten Ethik - die Tat kann nicht genau gefasst und verfolgt werden - die generelle Missachtung wirkt breiter als die gesetzliche Strafdrohung - es stehen andere Mittel als Strafe zur Verfügung: Aufklärung

Abbildung 4: Die Differenz der Strafsanktionen

Wenn das über einen öffentlichen Diskurs erzeugte positive Recht, in dem begründet etwas verboten, die privatrechtlichen Abmachungen der Individuen sanktioniert und beschränkt geboten wird, neben seiner extremen Strafeffizienz einen zentralen Vorteil gegenüber der Moral hat, so besteht der in seinem gleichzeitig größten Defizit. In Terms des EXTERNALISMUS ist es ein äußerst schwieriges Unterfangen, die Dispositionen des Individuums wirklich in einer Wertung angemessen zu berücksichtigen. Nun hat aber Faktisch und ideal deshalb, weil natürlich die Sanktionen immer so funktionieren, egal ob ihre Gebote dem Utilitätsgrundsatz entsprechen oder nicht. Wir werden sehen, dass der Mechanismus der öffentlichen Rechtfertigung noch hinzugedacht werden muss, um eine Tendenz in die Richtung der Konformität mit dem "greatest happiness principle" plausibel zu machen. " [...] if the thunders of law prove impotent, the whispers of simple morality can have little influence." Ebd., S. 287. D.h. die Übel der Strafandrohung) übersteigen das Übel der Tat. Dies ist in vier Dimensionen möglich: der ausgeübte Zwang schränkt alle Bürger unangemessen ein, die Furcht vor der Strafe ist für den Delinquenten übergroß, sein tatsächliches Leiden ist übergroß, die Mitmenschen empfinden dem Delinquenten gegenüber Mitleid. Vgl. ebd., 163 f.

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die politische Sanktion und mit ihr das Recht den entscheidenden Vorteil, dass es in weiten Teilen genau von dieser Disposition abstrahiert. Da es nämlich nichts vom Individuum wissen kann, d.h. seine Regeln faktische Allgemeinheit beanspruchen, ist seine vernünftige und kluge Anwendung ideal fur die Regelung der Beziehungen von ansonsten freien Menschen. Man muss sich klar machen, dass Benthams regulierender Rechtsutilitarismus vor allem um eins bemüht ist: die ungestörte Glückssuche der einzelnen Menschen. Wenn sie möglich sein soll, so darf weder das Recht noch die Moral ein allgegenwärtiges Regelsystem bereitstellen und die Menschen damit genau an dieser Glückssuche hindern. Auf diese Problematik werden wir im Anschluss - in einem Exkurs zur Sexualethik - eingehen müssen. Was das Recht angeht, so trifft sich Benthams Mahnung, dass der Gesetzgeber, was seine Regelungswut betrifft, gefälligst zurückhaltend sein sollte mit einem systematischen Vorteil des Rechts, der die ergänzende Funktion der Moral nochmals in einem neuen Licht, dem des EXTERN ALISMUS, erhellt. Wenn nämlich das Recht aufgeklärt ist und den grundsätzlichen Prinzipien des Utilitarismus folgt, dann ist es "blind" gegenüber den Individuen. "It is a standard topic of complaint, that a man knows too little of himself. Be it so: but is it so certain that the legislator must know more? It is plain, that of individuals the legislator can know nothing: concerning those points of conduct which depend upon the particular circumstances of each individual, it is plain, therefore, that he can determine nothing to advantage. It is only with respect to those broad lines of conduct in which ail persons, or very large and permanent descriptions of persons, may be in a way to engage, that he can have any pretence for interfering; and even here the propriety of his interference will, in most instances, lie very open to dispute. At any rate, he must never expect to produce a perfect compliance by the mere force of the sanction of which he is himself the author. All he can hope to do, is to increase the efficacy of private ethics, by giving strength and direction to the influence of the moral sanction." 29

Die Vor- und Nachteile von Recht und Moral gleichen sich damit wechselseitig aus. Während das Recht auf absolute Zwangsgewalt bauen kann, durch Strafe Motive schafft und zugleich zu einer allgemeinen und abstrakten Regulierung und Kontrolle neigt, ist die Moral das deutlich flexiblere und oft situationsnähere Mittel zu Leitung und Beeinflussung menschlichen Handelns. Über Mechanismen wie Scham oder einen guten bzw. schlechten Ruf kann sie Menschen positiv und nachhaltig zum Handeln motivieren. Ihre Sanktionen sind weniger scharf und sicher, zugleich aber auf schwächere Evidenz angewiesen und können daher auch ohne einen perfekten Beweis strafen bzw. belohnen. Beiden, Recht und Moral, ist unter den Bedingungen eins aufgeklärten Utilitarismus aufgetragen, ihre Ge- und Verbote vor dem Tribunal der Vernunft zu rechtfertigen, d.h., sie müssen zeigen können, dass ihre jeweiligen Regeln dem Glück der größtmöglichen Zahl forderlich sind.

An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 290. Es folgt eine Ausführung darüber, dass sich der Gesetzgeber keinesfalls in alle Bereiche regelnd einmischen sollte, da sonst eine totalitäre Durchdringung der Gesellschaft droht. Außerdem ist er nicht Gott, ein allgütiges Wesen, das die Menschen mit der Androhung unendlich vieler Torturen zu ihrem Heil zwingt. Vgl. auch Principles of the Private Code, Works, I, S. 536 f.

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4.1.2.

Utilitarismus

Glück individuell: Moral

Direkt im Anschluss an die oben zitierte Stelle, die uns einen vorteilhaften Nachteil des Rechts erläutert hat, der in seiner dem Individuum gegenüber blinden Allgemeinheit besteht, diskutiert Bentham die Frage, ob es nicht auch eine Aufgabe des Rechts sein könnte, die eigentlich genuin moralischen Tugenden der "benevolence" und "beneficence" zu fordern. Die Antwort in der Introduction to the Principles of Morals and Legislation lautet, dass es sehr wohl Bereiche geben müsse, in denen die Gesetzgebung über die bloße Verhinderung von üblen Taten, von einfachem Unrecht also, hinaus tätig werden sollte. Es handelt sich dabei dann darum, das Wohltun anderen Menschen gegenüber zu fordern, das keinen direkten Verzicht oder Schaden, kein übermäßiges Opfer des handelnden Individuums verlangt.30 Insbesondere bei der Übertragung dieses Arguments auf Fragen nach einer gerechten Verteilung der Glückschancen spielen diese Überlegungen bis in die Theorie des Eigentums hinein eine entscheidende Rolle und fuhren zu einem bedeutsamen Spannungsverhältnis von Eigentumsrecht einerseits und wohlfahrtsstaatlichen Überlegungen andererseits. Wenn wir aber jetzt den Bereich der individuellen Ethik betrachten, so empfiehlt es sich zunächst, den Übergang zwischen einer rein exegetischen und einer kritischen ethischen Betrachtung zu markieren. Den rein exegetischen Blickwinkel haben wir bereits als handlungstheoretische Grundlage von Benthams Denken rekonstruiert und wir konnten feststellen, dass die Tatsache, dass sich alles menschliche Handeln auf eine Zukunft hin entwirft, die Möglichkeit für eine Intervention ethischer Beratung und Klugheit eröffnet. Das allgemeine Ziel der Deontologie beschreibt Bentham im direkten Anschluss an diese Möglichkeit als die Glücksvermehrung des Individuums auf der Basis seines natürlichen Glücksstrebens.31 Prinzipiell ist der Blickwinkel hier also der des vereinzelten Individuums und seines optimalen Wohlbefindens. Konsequent unterscheidet Bentham daher auch zwischen den Handlungen des Einzelnen, die nur ihn selbst betreffen und die ausschließlich Auswirkungen auf sein Glück haben und solchen, die das Glück und die Interessen der anderen Menschen berühren. Im ersten Fall haben wir es mit dem isolierten Individuum zu tun. Sein Glücksstreben wird geleitet von der Tugend eines bindungslosen menschlichen

30

31

"As to the rules of beneficence, these as far as concerns matters of detail, must necessarily be abandoned in great measure to the jurisdiction of private ethics. [...] The limits of the law on this head seem, however, to be capable of being extended a good deal farther than they seem ever to have been extended hitherto. In particular, in cases where the person is in danger, why should it not be made the duty of every man to save another from mischief, when it can be done without prejudicing himself, as well as to abstain from bringing it on him?" An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 292 f. (Hervorheb. - W.H.) In diesem Kontext ist wohl eher noch an das Phänomen der Hilfeleistung bei einem Unglück gedacht. Allerdings öffnet diese Argumentation, wenn man sie nur weit genug versteht, Tür und Tor für ein Glückschancen verteilendes Recht. Nachgewiesen werden muss nämlich nur, dass dem leistenden Individuum kein übergroßer Nachteil im Vergleich zum Gewinn auf der Seite des erhaltenden Individuums entsteht. Vgl. Deontology, S. 124 f.

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Wesens, der Klugheit. Sie ist in diesem Fall eine rein selbstbezogene Klugheit (self-regarding prudence) der optimalen Mittelwahl zu bestimmten Zwecken. 32 In dem Moment aber, in dem das Glück anderer Menschen mit ins Spiel kommt, verwandelt sich die selbstbezogene in zweifacher Hinsicht in eine fremdbezogene Klugheit (extra-regarding prudence). Sie wird zur Tugend des Menschen als eines sozialen Wesens, der sympathetisch berücksichtigt, dass auch andere Interessen als seine eigenen von seinem Handeln betroffen sind und zugleich damit rechnet, dass sein Tun wiederum ein Handeln der Mitmenschen auszulösen vermag, welches wiederum sein eigenes Glück beeinflussen kann. 33 Unter den uns bereits bekannten Voraussetzungen der exegetischen Ethik, die uns die grundlegende Interessiertheit menschlicher Aktivität gezeigt hat, können wir also von einem Kontinuum menschlichen Handelns ausgehen, das sich von den reinen Akten der biologisch unabdingbaren Selbsterhaltung über die selbstbezogene Glückssuche sozial indifferenter oder aber sozial problematischer Handlungen bis hin zu Akten der Selbstaufgabe aus Menschenliebe erstreckt. 34 Was die Handlungen betrifft, die ausschließlich der natürlichen Selbsterhaltung dienen, so sind sie für Bentham ethisch eher indifferent, wenn man einen emphatischen Begriff von Ethik voraussetzt. Sie sind zwar nützlich in dem Sinne, in dem sie lebenserhaltend und, wie etwa das Essen, auch freudespendend sind, können aber keinen Anspruch auf Tugendhaftigkeit in der engeren Bedeutung des Wortes erheben. Übersehen darf dabei natürlich nicht werden, dass diese Basis der menschlichen Selbsterhaltung auch die Quelle der Tatsache ist, dass wir uns zunächst um uns selbst, um unser eigenes Wohl kümmern und auch kümmern sollen. 35 Benthams Diktum, dass besagt, die menschliche Spezies würde keinen Moment überleben, wenn sich jeder zuerst um die Lebensführung des anderen kümmern würde, hat, so gesehen, dann eben doch einen moralischen Impetus, weil man aus ihm eine implizite Kritik des Prinzips der Nächstenliebe herauslesen kann. 36 Alles was im eigentlichen Sinne mit einer der drei Tugenden Benthams 37 zu tun hat, führt das Moment des Verzichts bei sich. Erst, wenn um einer Maximierung von eige-

32 33 34 35 36

37

Vgl. ebd., S. 127, Fn. 1. Vgl. ebd., S. 126. Vgl. ebd., S. 128. Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 50 und 108. "It is a kind of discovery of mine that the non-predominance of self-regard over [regard for] others would be inconsistent with the preservation of the species. If I thought more about you than I thought about myself, I would be the blind leading the blind and we would fall both of us into the ditch." Hume's Virtues, S. 353. Explizit zur Kritik der Bergpredigt und der These, dass die Religion Jesu Christi nichts mit dem irdischen Glück zu tun habe, vgl. Deontology, S. 170 f. Vgl. auch A Table of the Springs of Action, S. 17. "Prudence, probity, beneficence: under one or other of these denominations are comprized, it may be seen, every known quality conducive to human happiness, every thing that bears - or at least every thing which taking for the standard of this genuine virtue conduciveness to well-being ought to bear - the name of virtue." Ebd., S. 190. Die Rechtschaffenheit ist in dieser Trias die durch das Recht erzwungene Tugend, da ihr eine vollkommene (Rechts-)Pflicht korrespondiert. Vgl. ebd., S. 191.

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nem oder anderem Glück willen auf eine gegenwärtige Freude verzichtet wird, dann kann von einem tugendhaften Verhalten gesprochen werden: "For a beneficial action to be virtuous, some effort must accompany the performance of it. The actions that are most beneficial to [the] community, are those by which the individual is preserved and those by which the species is preserved: to neither of these two species of acts as such is any such epithet as that of 'virtuous' ever attributed. For a species of action to be regarded as having a claim to the appellation of virtuous, it seems necessary that some effort should in some degree have accompanied it." 38

Entlang der Trennung von Klugheit und Wohltun entspricht der Verzicht bzw. die gemeinte Anstrengung des Handelnden unterschiedlichen Nutznießern.39 Wenn man eine Belastung auf sich nimmt, um einen Schaden zu vermeiden, beispielsweise also einen längeren und unbequemeren Weg wählt, weil der einfachere und weniger anstrengende mit erheblichen Risiken belastet ist, so handelt man klug, indem man seine eigenen Interessen nicht auf Grund einfacher Bequemlichkeit aufs Spiel setzt. Wenn sich dieses Moment der Anstrengung aber für andere bezahlt macht, dann hat die Handlung einen Wert im Sinne des Wohltuns für andere. Bentham erläutert das so: Wenn jemand für sein Abendessen einen Laib Brot kauft, so hat er eine in zweifacher Hinsicht nützliche Tat vollbracht. Er hat das Geschäft des Bäckers mit einem Profit ausgestattet und er hat etwas zum Erhalt seines eigenen Lebens getan. Bentham nennt diese Klasse von Handlungen, die aus reiner selbstbezogener Klugheit entstehen aber doch durch eine reziproke Beziehung mit anderen real werden, wohltuende Handlungen ohne Wohlwollen. 40 Verlässt der Proband unseres moralischen Experiments jedoch die Bäckerei und sieht einen hungernden Menschen, der vor Hunger zu sterben droht, gibt ihm seinen Laib Brot und verzichtet auf sein eigenes Essen, dann muss das Fazit lauten: "[...] here too is 38 39

40

Ebd., S. 178. In beiden Fällen ist es aber die Kunst der Deontologie, die der "artless and untutored nature" unseres Glücksstrebens bei der Abwägung assistiert. Vgl. ebd., S. 198. Beim Kauf des Brotes ist sicherlich nicht das wichtigste Motiv, dass der Bäcker durch den Profit gut und angenehm leben kann. Man darf aber, so Bentham, nicht vergessen, dass solche Tauschhandlungen wesentlicher Teil unserer friedlichen Alltagskultur sind, in denen niemandem geschadet und doch allen Beteiligten genutzt wird: "[...], so many beneficence without benevolence. In truth, in the whole mass of human affairs, the good which has for its spring the benevolent, the sympathetic, affection would upon examination be found to bear a very small proportion to that which has its source in the influence exercised by the self-regarding class of virtues. The quantity of the matter of wealth, of subsistence and abundance, which is transfered without equivalent [...] bears but a small proportion to that which is not obtained but for an equivalent, viz. in the way of trade. The quantity which is voluntarily offered up to government to be employed for the benefit of the public at large bears but a small proportion to the quantity paid in obedience to compulsory requisition." Ebd., S. 212. Es ist kein Zufall, dass die Tauschhandlung und die Bezahlung von Steuern hier nebeneinander stehen. Wir werden sehen, dass die bereits angedeutete utilitaristische Idealvorstellung der Verteilung von Glückschancen nicht allein auf die freiwillige Leistung von Individuen vertraut, sondern vielmehr die politische Intervention verlangt. Die persönliche Bereitschaft zur Mildtätigkeit braucht und fördert ein kluger Souverän, er geht aber nicht davon aus, dass die Freiwilligkeit allein hinreicht, um die notwendigen öffentlichen Mittel für politische Maßnahmen bereitzustellen.

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usefulness. But besides usefulness, here is virtue: for to subject a man's self to pain in any shape, as I by the supposition have subjected myself to it in the shape of hunger, requires an effort, and this effort I have made." 41 Moralische Tugend hat also offensichtlich etwas mit dem Verzicht zu Gunsten von Mitmenschen zu tun. Und genau dies wird bestätigt, wenn Bentham klar macht, was eigentlich unmoralisches Handeln bedeutet. Es ist nämlich nicht unmoralisch, wenn ein Individuum seine eigenen Interessen verfolgt und mit anderen Menschen auf dem gleichen Niveau verkehrt bzw. Geschäfte macht. Es ist aber im Sinne des "greatest happiness principle" durchaus unmoralisch, wenn man sozusagen mit verdecktem Visier seine eigenen Interessen strategisch verfolgt und sich auf Kosten anderer bereichert. Die berüchtigten sinistren Interessen sind nicht die Interessen eines selbstinteressierten Individuums, dass seinen Anteil am möglichen Glück genießen möchte und dem dieser Anteil auch zusteht. Sie sind die Interessen, die das Glück des Einzelnen oder einiger weniger um den Preis des Unglücks der anderen oder der vielen erkaufen. 42 Bentham weist daraufhin, dass es ein Maß an tugendhafter Selbstverleugnung geben kann, dem der Verzicht zu Gunsten anderer nicht mehr besonders schwer fallt, oder gar kaum noch spürbar ist. Er bezeichnet diese Haltung als den Höhepunkt der Tugend. 43 Gleichzeitig besteht er darauf, dass jeder Verzicht auf Freude, der nicht durch ein angemessenes Gegengewicht kompensiert wird, keine Tugend darstellt, sondern Dummheit. Allerdings geht es hier nicht nur um die eigene Freude: "To give up any the least particle of pleasure for any other purpose than that of obtaining for a man's self or some other person a greater quantity of pleasure, or saving oneself or some other person from a more than equivalent quantity of pain, is not virtue but folly. To cause or endeavour to cause any other person to give up any particle of pleasure for any other purpose than that of obtaining for a man's self or some other person a greater quality of pleasure, or saving oneself or some other person from more than equivalent quantity of pain, is not virtue but vice - is not beneficence or benevolence, but maleficence or malevolence." 44

Warum aber sollte ein Individuum über das leicht einsehbare faktische Nutzenkalkül eigener Vorteile hinaus dazu bereit sein, für das Glück anderer seine eigenen Interessen zu opfern, zu verzichten und damit doch letztlich gegen eines der grundsätzlichen Gebote der eigenen Glücksmaximierung zu handeln. Letztlich leistet die Politik den wesentlichen Beitrag zur Sicherung der in diesem Zusammenhang nötigen erhöhten moralischen Rationalität des größten Glücks der größtmöglichen Zahl. Dies muss so sein, weil die Deontologie keine neuen Motive schaffen kann, sondern das Individuum im Gegensatz zur Politik nur durch Hinweise auf eine Konvergenz bzw. Koinzidenz von Klugheit und Wohlwollen aufklären kann. 45 Außerdem wird man von zwei weiteren 41 42 43 44 45

Ebd., S. 179. Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 18 f.; Deontology, S. 110 f. Vgl. ebd., S. 156 und Article on Utilitarianism, S. 306. Deontology, S. 188. "The office and use of the extra-regarding branch of deontology - meaning private deontology is to engage men in the practice of probity and beneficence by shewing, as far as this is the case, the coincidence of the dictates of probity and beneficence with those of self-regarding prudence. To point out this coincidence where it exists, and so far as it exists, is [...] all that can be done by

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grundsätzlichen Phänomenen ausgehen müssen. Es gibt nämlich einerseits eine nicht auflösliche Opposition der Interessen unter den Bedingungen nur knapp verfügbarer Güter. 46 Sie kann zwar in der evolutionären Perspektive abnehmen bzw. abgebaut werden, ganz verschwinden wird sie voraussichtlich nicht. Für den Deontologen und die Moral ist hier eine Grenze erreicht. Er/sie können zwar auf eine bestehende Interessenkonvergenz hinweisen und hinarbeiten, sie für den je wirklichen Moment erzeugen kann sie nur die Politik, indem sie nach bestimmten abgeleiteten Axiomen des Prinzips des größten Glücks eine Harmonie schafft, die sich im quasi natürlichen Medium der Moralität nicht herstellen lässt. Das zweite angesprochene Phänomen hängt mit Benthams Einschätzung der Moralisierbarkeit von menschlichen Handlungen zusammen. Es ist nämlich nicht so, dass wir ständig und ununterbrochen zu ethisch motivierten Opfern unseres eigen Glücks verpflichtet sind. Die Sache der Moral und auch des Rechts, wie man hier ergänzen darf, ist eine im Kern eher undramatische. Will sagen: Es macht gar keinen Sinn, dass ständig Glücksmomente geopfert werden, da dadurch die Gesamtheit des Glücks in dieser Welt nicht zunimmt. 47 Ständige Selbstopfer sind weder nötig noch erwünscht, da es einen beachtlichen Teil des Glücks gibt, den man sozusagen gratis, das heißt ohne die Investition von eigenem oder fremdem Leid genießen kann. 48 Allerdings arbeitet auch schon die faktische und noch mehr die ideale Moralität des Utilitätsprinzips in die Richtung einer Harmonie der Interessen und einer zunehmenden Bereitschaft der Menschen, ihr eigenes momentanes Glück für andere zu opfern. Wenn wir einmal die verschiedenen Gründe auflisten, warum denn ein Individuum für andere verzichten soll bzw. tatsächlich Verzicht leistet und damit das fremde Glück fördern soll bzw. fördert, so ergibt sich folgende Übersicht: 1. Die soziale Welt der "services" funktioniert wie eine Art Fonds, in den man einzahlt und aus dem man je nach Gelegenheit Ausschüttungen erwarten darf. 2. Wer Gutes für andere tut, der erfährt in sich das Gefühl einer menschlichen Solidarität, das je nach eigener Entwicklung und dem Stand der jeweiligen Zivilisation eine spezifische Freude erzeugt. Wenn man mit Bentham auch davon ausgehen muss, dass Individuen prinzipiell eher dazu neigen, ihr eigenes Glück dem anderer vorzuziehen, so kann man doch gleichzeitig die Existenz eines sozialen Verhaltens und einer wie auch immer gearteten sozialen Disposition aus Erfahrungsgründen nicht leugnen. 49 Bentham betont, dass die These

46 47

48 49

any individual teacher acting as such. To give any encreased extent to that coincidence belongs only to him who for that purpose has been furnished with the powers of government: in which case any instruction that comes to be given belongs to the head, not of private, but of political deontology." Ebd., S. 196 f. "[...] a strong and almost continual competition does really exist." Ebd., S. 192 f. "[...] it will be seen that in the general tenor of life the act of sacrifice is neither possible nor so much as desirable; that it can not have place, and that if it were to have place, the sum total of the happiness of mankind would not be augmented by it." Ebd., S. 121. "[...] happiness may be obtained gratis, and without sacrifice [...]". Ebd., S. 122. "To deny the existence of this social affection would be to talk in the teeth of all experience. Scarce in the most brutal savage would they be found altogether wanting." Deontology, S. 148. Es wäre fur Bentham ein platter performativer Selbstwiderspruch, wenn er kein "Interesse der Hu-

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v o n der grundlegenden Selbstinteressiertheit des Individuums nie und nimmer mit der platten Aufforderung an gespreizte Individuen verwechselt werden darf, rücksichtslos das eigene Glück auf Kosten anderer Menschen zu suchen. 5 0 Der These v o m selbstinteressierten Individuum und der Lehre von den sinistren Interessen kommt eine viel größere Bedeutung für die politische Theorie zu als für die Morallehre. D i e s liegt insbesondere an den durch Machtasymmetrie entstehenden besonderen Risiken und Chancen von politischer Herrschaft. Das machtlose Einzelindividuum kann der Gemeinschaft nur begrenzt Schaden zufügen. Betrachten wir nun unsere beiden genannten Gründe, die einen Glücksverzicht motivieren können, so müssen wir feststellen, dass der erste Komplex in der selbstbezogenen Klugheit verankert ist. Wir haben hier den Fall einer weitgehenden Koinzidenz von Eigen- und Fremdinteresse, die allerdings etwas komplizierter ist als eine einfache Identität. Die Dinge liegen hier so, dass vermittelt über den Mechanismus eines guten Rufes und einer durch eigenes Handeln mitgeschaffenen positiven Umwelt, das Individuum in der längerfristigen Perspektive aus früheren Verzichtsleistungen persönlich wiederum Nutzen zieht. Es ist unter anderem unser Wunsch, geliebt zu werden, der uns nicht bloß zu kostenlosen Wohltaten, sondern im Rahmen des dem Menschen Möglichen auch zu Opfern motiviert.

manität" kennen würde und sich gleichzeitig als Gesetzgeber und Wohltäter der gesamten Menschheit stilisieren würde. Als ein Beispiel für eine solche Selbststilisierung dessen, der von sich behauptet "being of all countries and of no party" (Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 110) sei eine Stelle angeführt, an der Bentham den selbstlosen Bentham als Beispiel anfuhrt und deutlich macht, dass es seinem anthropologischen Pessimismus darum geht, eine vernünftige Grundlage für die politisch-legale Ordnung zu finden. Hier kann eben nicht von der Dominanz der Menschenliebe ausgegangen werden: "Yes: I admit the existence of disinterestedness in the sense in which you mean it. I admit the existence of philanthropy - of philanthropy even to an all-comprehensive extent. How could I do otherwise than admit it? My children! I have not far to look for it. Without it, how could so many papers that have preceded this letter, have come into existence? [...] But my children! it is on what has been seen most commonly to happen - and thence presents itself as most likely to happen - it is upon this that all practice, [...], must be built." Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 431. Seine ganze Auseinandersetzung mit den "ruling few", die sich ihr Glück mit dem Leid der herrschaftsunterworfenen "subjekt many" erkaufen, ist ja nichts anderes als die politisch gewendete Forderung an die Menschen, das Glück auch der Mitmenschen zu befördern oder zumindest nicht zu mindern. Was den übertriebenen Individualismus betrifft, lesen wir im Rationale of Judicial Evidence, dass das Prinzip als solches zwar unverzichtbar ist, dass es aber zugleich bei einer Überspannung zu Störungen der gesellschaftlichen Ordnung kommt. "Bad as the consequences sometimes are of an over-anxiety on the part of each individual for his own welfare; yet, if the chief object of each mans anxiety were placed without himself [...], the consequence would be much worse. In the existing state of things, by this over-anxiety the well-being of society receives more or less disturbance: in the other state of things supposed, the very being of society would be soon destroyed." Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 329. An anderer Stelle: "There are many who exaggerate the selfish principle and who think that by swelling their notions of themselves they are still serving their race." Hume's Virtues, S. 353 f.

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"By every act of virtuous beneficence which a man exercises, he contributes to a sort of fund a sort of Saving Bank - a sort offund of general Good-will, out of which services of all sorts may be looked for as about to flow on occasion out of other hands into his: if not positive services, at any rate negative services, services consisting in the forbearance to vex him by annoyances with which he might otherwise have been vexed. [...] A main distinction here is between beneficence which can not be exercised without self-sacrifice and beneficence which can be exercised without self-sacrifice. To that which can not be exercised without self-sacrifice, there are necessarily and these comparatively very narrow ones. Indeed, beneficence which is accompanied with any degree of self-sacrifice is not exercised without being to a certain amount exercised at the expense of self-regarding prudence: although it may be no otherwise at the expense of self-regarding prudence than as the seed sown by the husbandman is sown at the expense of self-regarding prudence. [...] To the exercise of beneficence in the case in which it is exercised without self-sacrifice, it is plain there can be no limits: and by every exercise thus made of it, a contribution is made to a man's General Good-will Fund, and made without expense."51

Wer Gutes tut, dem erwachsen auf der einfachsten denkbaren Ebene offensichtlich Vorteile aus einer Art Tauschgeschäft. 52 Aber die zitierte Stelle geht wesentlich weiter in ihrem systematischen moralphilosophischen Anspruch. Sie nutzt nämlich genauer betrachtet eine offenbar vertraute ökonomische Terminologie, die sie gleichzeitig moraltheoretisch umdeutet. Wenn unsere Sparkasse der moralischen Einlagen nämlich streng ökonomisch funktionieren würde, dann müsste die Rückzahlung der Einlage plus Verzinsung entsprechen. Dem ist aber offensichtlich nicht so. Es geht vielmehr darum, dass die jeweilige gute Handlung einen Beitrag darstellt für eine allgemein zugängliche und nützliche Einrichtung, die insgesamt das Leben angenehmer und schöner macht. Unterschieden wird vielmehr nicht nach dem Ertrag, den die Einzahlungen erbringen, wenn wir im Bild (sie!) bleiben wollen, sondern nach den Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten. Bentham unterscheidet zwischen den Leistungen, die ein Individuum aus dem, was für das eigene Überleben und das gute Überleben nötig ist, erbringen kann und Leistungen, die unbegrenzt erbracht werden können, weil sie offenbar nicht den Kernbereich der eigenen Glücksausstattung betreffen. Gemeint ist damit zunächst, dass niemand mehr materielle Mittel und körperlichen bzw. psychischen Einsatz für andere erbringen kann, als in seinen Kräften steht. Niemandem ist mit dem sich auf dem Altar der Menschenliebe aufopfernden Fanatiker gedient, der sich und anderen beweist, was für ein außerordentliches Individuum er/sie ist. Das ändert weder etwas an den politischen Verhältnissen, noch hat es wirklich aufklärerische Folgen. Es ist nur dumm. Andererseits gibt es offensichtlich einen Bereich, in dem das Opfer nicht den Kernbereich der eigenen Lebensführung betrifft, sondern wo nur eine bestimmte psychische Leistung gefordert ist, die, wenn sie gut trainiert wurde, durchaus zu einem moralischen Habitus werden kann, der vorbildlich ist. Bentham nennt in diesem Zusammenhang beispielhaft die Selbstbeherrschung und den daraus resultierenden Verzicht auf billige Rache für erlittenes Unrecht. Es ist dies eine Tugend, die einen Verzicht auf die Befriedigung von einfachen aber starken menschlichen Trieben verlangt. Sie ist ein Verzicht,

51 52

Deontology, S. 184 f., (Hervorheb. - W.H.). Vgl. The Rationale of Reward, Works, II, S. 230.

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der aber - gut eingeübt - eigentlich nichts mehr kostet, während er zugleich als ein Akt des negativen Wohltuns (negative beneficence) durch Unterlassung das Zusammenleben wesentlich erleichtert. Wer nämlich, wo immer er kann, sich für erlittenes oder vermeintlich erlittenes Unrecht durch übles Verhalten rächt, der verhindert die Entstehung eines sozialen Klimas, in dem sich die Individuen wechselseitig vertrauen können. Richtig betrachtet kann dies, auch wenn die momentane Befriedigung von Rachegefühlen eine unmittelbare Genugtuung einbringen mag, nicht im Interesse desjenigen sein, der diese Gefühle ausleben möchte und sich daher nicht kooperativ verhält, sondern strategisch. Dass die angeführte Stelle für Bentham eine besonders hohe Bedeutung hat, wird deutlich, wenn man weiter liest. Es folgt nämlich eine für Bentham eher untypische Exemplifizierung aus seinem Privatleben. Bentham erzählt uns eine Geschichte, die eine ungewöhnlich persönliche Note hat. Er berichtet von einem ihm bekannten Mann, dessen Lebensmaxime gewesen sei, dass "[...] he did not like to be made a property of or he would not be made a property of."53 Das Ergebnis dieser Einstellung war, so seine Auswertung, dass dieses Leben eben nicht gekennzeichnet war von den Freuden, die sich durch die Wertschätzung anderer Menschen ergeben, sondern durch die Abstoßung durch die Mitmenschen gegenüber einem ambitionierten Egoisten. Wer also, so die Lehre aus dieser Geschichte, übermäßig darauf achtet nicht ausgenutzt zu werden, wer gar nicht bereit ist, auch ohne direkte Belohnung anderen zu helfen, der führt ein isoliertes und kein glückliches Leben. Der andere angesprochene Komplex von Gründen, der Verzicht und selbstloses Handeln motiviert, lässt sich zwar ebenfalls genetisch auf das Eigeninteresse zurückführen, er überschreitet aber die Grenze einer Abwägung von zukünftigen Nutzengratifikationen in eine ganz bestimmte Richtung. Gemeint ist die grundsätzlich für das Utilitätsprinzip äußerst wichtige Sympathie, die bereits mehrfach angesprochene "sympathetic sanction". Auch Sympathie wird selbstverständlich von einem Individuum empfunden und motiviert dieses. Hier kann also die Überschreitung nicht liegen. Entscheidend ist vielmehr, dass in der Sympathie Freude und Leid einer anderen Kreatur meine Freude und mein Leid auslösen, ohne dass dieses Wesen direkt handelnd auf mich einwirkt.54 Betrachtet man den Stellenwert, den die Sympathie in Benthams Denken beansprucht, so wird deutlich, dass sie neben der These von der grundlegenden Selbstinteressiertheit des Individuums wahrscheinlich den wichtigsten Platz einnimmt. Für die moralische Disposition des Menschen muss neben und zusammen mit der prinzipiellen Selbstinteressiertheit auch angenommen werden, dass eine fundamentale Fähigkeit zum Mitleiden existiert. Wir können davon ausgehen, dass es kaum einen Menschen gegeben hat, dem 53 54

Ebd., S. 186. "In the case of the sanction of sympathy, or sympathetic sanction, the occasion on which any pleasure or pain appertaining to this sanction is capable of being experienced is, when of some act which the person in question has it in contemplation to exercise, a consequence about to result is pleasure or pain, in any shape, as the case may be, in the breast of some other person in whose well-being the person in question experiences an interest, produced by the force of sympathetic affection." Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 291. (Hervorheb. - W.H.)

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Utilitarismus

die Betrachtung eines glücklichen Menschen nicht angenehmer war als die eines leidenden Geschöpfes. 55 Zugleich erfährt diese grundlegende Emotion des Mitleidens mit dem Wachstum von Wissen und Zivilisation eine Ausweitung und Vertiefung. Die Wahrnehmung, dass auch andere mitleiden, vertieft unsere eigene Gefuhlskultur und weitet den Kreis der möglichen Menschen, mit denen wir fühlen, systematisch aus. Bentham rekonstruiert genetisch ein Ineinander von Sympathie, Egoismus und "moral and popular sanction": "As experience encreases and mental culture advances, the field of operation and influence of this principle of action enlarges itself more and more. [...] In so far as the sympathetic affection operates, its tendency can not but be to minister, in the first instance at least, to the well-being of some individual or individuals other than the individual whose breast is the seat of it. In so far as it becomes productive of the desired effect, [...] the ultimate result is a clear accession to the aggregate stock of happiness in the community. By continually recurrent experience or observation, the attention of each individual being incidentally pointed to this effect, hence it is that in each breast, even by a self-regarding affection itself, the value and usefulness of the sympathetic affection, considered as existing and operating in other breasts in the character of a source of happiness to himself, is brought to each man's notice: each man's sympathy finds itself excited and brought into action, as it were, by contagion, by the observation or supposition of the operation of the sympathetic affection in the breast of others. From the example of the services thus rendered by his next neighbour to his next neighbour but one, a man, by a process more prompt than that of reflection, contracts and catches, as it were, a propensity to requite upon occasion the author of those benefits with similar benefits. But the cheapest mode of requital [...] is the giving expression, external expression, to the benevolent affection which the man feels with him. But to give expression to this affection, [...], is to direct and apply in the shape of reward the force of the popular or moral sanction to the production of similar acts. And thus it is that out of the self-regarding affection rose by degrees the sympathetic affection; out of that the power of the popular or moral affection - and both of them, in their main tendency, operating in conjunction to the encrease of the aggregate of happiness." 56

Halten wir fest: Die Beobachtung von wohltuenden Handlungen durch einen Dritten lässt diesen lernen, dass sie glücksvermehrend sind. Das beobachtete gute Beispiel, bei dem die Unterstellung einer sympathetischen Motivation hinreicht (observation or supposition), löst im Beobachter eine präreflexive Neigung zur Akzeptanz eben dieses Handelns aus. Die niedrigsten Kosten, da sie kein direktes eigenes Opfer verlangen, für eine positive Gratifikation einer als glücksvergrößernd wahrgenommenen Handlung, bestehen, wenn ein öffentliches Lob ausgesprochen wird. In diesem Moment haben wir das Phänomen einer Stimmabgabe in der fiktiven Versammlung der "public and moral sanction". Sie wird in eine bestimmte Richtung gelenkt. Vorbehaltlich der Zustimmung der Mitmenschen wird derjenige, der die Tat aus Wohlwollen vollbracht hat, in der

55

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"Scarcely can that human being ever have existed to whom, unless when afflicted by the contemplation of some unfortunate state of circumstances or agitated by some tumultuous passion, the sight of a fellow creature though a stranger to him in a state of apparent comfort was [not der Kontext legt diese Ergänzung nahe - W.H.] more gratifying than the sight of a fellow creature equally a stranger to him in a state of apparent sufferance." Deontology, S. 129. Ebd., S. 203 f.

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Wertschätzung der Mitmenschen steigen und die daraus resultierenden Vorteile genießen können. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Deontologie, diesen gleichsam naturwüchsigen Prozess zu befördern und wenn möglich, auf ein höheres Niveau der Reflexion zu heben. Was die Beschleunigung des Wachstums der Sympathie in der Kulturevolution betrifft, so kann sie dabei an einer von Bentham diagnostizierten Analogie zwischen der Phylo- und Ontogenese anknüpfen. Je erfahrener und älter Kulturen und Menschen werden, desto mehr verstehen sie die Folgen und Verstrickungen ihres Tuns. Sie begreifen die mögliche Reichweite und Konsequenzen. Was vorher als Empfindung auf die engsten sozialen Beziehungen beschränkt blieb und nur Gruppe, Familie, Freunde mit in die Folgenkalkulation einbezogen hat, wächst an zu einer Berücksichtigung der Interessen, möglichen Freuden und Leiden der ganzen Staatsbevölkerung und auf seiner höchsten Stufe schließlich der Menschheit bzw. jeder belebten Kreatur. 57 Was hier nun wie eine Erfolgsgeschichte der moralischen Entwicklung der Menschheit ausschaut, bei der letztlich die faktischen Urteile der "moral and public sanction" durch unzählige Interventionen sympathetischer Urteile der Individuen immer mehr zu einer Artikulation universaler Sympathie werden, 58 weist aber in den Augen Benthams durchaus auch eine problematische Seite auf. Wir wissen bereits, dass Bentham moralische Urteile, die auf bloßen Emotionen aufbauen, und das sind Sympathie wie Antipathie eben doch, radikal ablehnt. 59 Eine Moralität aus Gefühl kann nur eine chaotische Sache sein. Sie gewährt nach Belieben, tut wohl wem und wann sie will, verbietet aber auch im Moment der Erregung grundlos das harmloseste Glücksstreben eines einzelnen Menschen. So wichtig die Sympathie und das Wohlwollen sind, sie bedürfen beide der Aufklärung durch Vernunft und das heißt durch die Kalküle des "greatest happiness principle". 60 Benthams eigene moraltheoretische Lösung dieses Problems ist auf den 57

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"How by mental culture the wider and remoter gains more and more upon the nearer interest." Ebd., S. 129, Fn. Er stellt fest, dass in den zivilisierten Ländern Europas die tatsächlichen Urteile der Öffentlichkeit meist mit den Forderungen des Utilitarismus übereinstimmen. Abweichungen, wenn die Politik oder die Religion die Menschen in eine andere Richtung manipulieren, müssen aber immer befürchtet werden. Vgl. ebd., S. 236.

59

"In so far as, by an assemblage of sympathies or antipathies or both, [...], a judgement or dictate of the popular or moral sanction has been produced, that judgement or dictate will be pernicious, and will accordingly be thereby at variance with the principle of general utility." Ebd., S. 205.

60

Die Klugheit ist nach Bentham eine Verstandessache, Wohlwollen und Wohltun kommen aus dem Herzen bzw. dem Willen. Vgl. ebd., S. 179. Erst wenn sie aufeinander bezogen werden, das Wohltun klug und die Klugheit wohlwollend geworden sind, dann ist eine wichtige Etappe der moralischen Aufklärung absolviert. Daher ist es vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers, den Instinkt der Sympathie zu erziehen und kultivieren. Er soll dazu beitragen, dass sich ein Klima der mitfühlenden Humanität entwickelt und verbreitet (1) und er soll die Sympathie zugleich in die richtige Richtung lenken und dadurch aufklären (2). "1. Would he inspire the citizens with humanity? He should set them the first example; he should show not only the greatest respect for human life, but for all circumstances influencing sensibility. [...] The legislator ought to interdict every thing which may serve to lead to cruelty. [...] Why should the law refuse its protection to any sensitive being? The time will come, when humanity will extend its mantle over every thing

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ersten Blick widersprüchlich. Seinem Utilitarismus geht es letztendlich vor allem um die Gefühle v o n Menschen, "pain and pleasure" sind die ultimativen Richtwerte seiner Argumentation, auch ist die sympathische Empfindlichkeit ein wesentlicher Anker der Glücksvermehrung, die das einzelne Individuum übersteigt. Seiner Meinung nach ist jede moralische und politische Vorstellung, die die Gefühle der Betroffenen als Ergebnis nicht berücksichtigt, unvernünftig. 61 Gleichzeitig aber sind Emotionen nicht fähig, ihre eigene Erfüllung richtig zu beurteilen, bzw. sie geraten in einen oft unbewussten Widerspruch zueinander. Wir hatten bereits gesehen, dass unser Handeln meist von einem Motivkomplex verursacht wird und es scheint hier offensichtlich nötig, will man nicht eine Herrschaft der zufällig stärksten Erregung akzeptieren, dass die Vernunft regulierend eingreift. Das hier angedeutete Verhältnis v o n aufgeklärter Emotionalität und einer wohlwollenden Vernünftigkeit bildet die zentrale Grundlage v o n Benthams Utilitarismus: "It is to the force of this sanction that the principle of utility (understand of general utility) stands indebted for whatsoever reception it meets with, other than that which it may happen to any other articles in the list of sanctions to be instrumental in procuring for it. Under the guidance of the principle of utility it operates in alliance with the several other sanctions: under the same guidance it may not unfrequently be seen operating in opposition to them and checking them in those sinister courses of maleficience into which, in opposition to the dictates of general utility, they are all of them more or less apt to be led by the political sanction, whether under its own guidance, or under the guidance of the religious sanction. Equally steady and efficient in its action with any of those self-regarding sanctions it can not said to be; but a force, howsoever weak and unsteady, is still not the less a force: and were it not for the force of this sanction, no small portion of the good, physical and moral, which has place in human affairs, would be an effect without a cause."62 N a c h diesen Ausführungen verdankt das glücksoptimierende Prinzip seine Akzeptanz vorwiegend der sympathetischen Ausrichtung von Menschen. Die Leitidee des größtmöglichen Glücks für möglichst viele Menschen bzw. der Verhinderung des Leids für

which breathes. [...] 2. The feelings of benevolence are liable to be led astray from the principle of general utility. This can only be prevented by instruction: they cannot be commanded; they cannot be forced: they can only be persuaded and enlightened. Men are brought by little and little to distinguish the different degrees of utility; to proportion their benevolence to the extent of its object." Principles of Penal Law, Works, I, S. 561 ff. Gemeint ist mit dem aufgeklärten Wohlwollen, dass es keine tätige Symathie mit Übeltätern oder Hetzern geben sollte, da in diesen Fällen die eigentlich positive Emotion zu problematischem Handeln führen kann. Ideal ist ein Wohlwollen, das in der Lage ist, mit dem allgemeinen Wohl zu fühlen: "The objects sought in these public instructions should be, to direct the affections of the citizens to this object; to repress the wanderings of benevolence; to make them feel their own interest in the general interest; [...]." Ebd. "Void of all claim to regard on the part of any rational mind is every subject-matter of consideration on any other ground than that of its influence on the feelings of some sensitive being." Equity Dispatch Bill, Works, III, S. 388, Fn. Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 292.

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alle fühlenden Lebewesen ist der ideale Führer für das Gefühl. 63 Die Kraft des Mitleids wird hier zwar als eher schwach, seine Wirkung als nicht gleichmäßig stark und effizient im Vergleich zu den anderen Sanktionen vorgestellt, jedoch wird ihm immerhin zugetraut, dass es in Verbindung mit dem rationalen Rüstzeug des Utilitätsprinzips die sinistren Tendenzen der anderen Sanktionen korrigiert. Mit der hier hervorgehobenen besonderen Bedeutung der "sympathetic sanction" wird jedoch aus Benthams Moraltheorie keine Ethik des universalen Mitleids. Es muss immer in Erinnerung bleiben, dass der alleinige Ort der Empfindung und Motivation das Individuum bleibt 64 und der Verweis auf das evolutionär wachsende Mitgefühl vor allem dazu dient, eine konkrete Verwurzelung des "greatest happiness principle" in der Motivationsstruktur der Menschen ausweisen zu können. Die Frage, warum denn nun das Individuum das Glück auch der anderen berücksichtigen und gar fordern soll bzw. auch tatsächlich immer wieder fordert, wird damit nur teilweise beantwortet. Die jedoch sehr wichtige Teilantwort lautet: weil wir mit unseren Mitmenschen glücklich sind und weil wir mit ihnen leiden. Wenn wir unsere individuelle Existenz richtig als soziale Existenz verstehen, dann ist es in unserem eigenen Interesse, dass das allgemeine Glück wächst. Es soll wachsen, weil wir in mehrfacher Weise einen Anteil an diesem Glück haben und daher auch mit den Freuden der anderen unsere eigenen vermehren bzw. mit den Leiden anderer unser eigenes Leid vermindern. Der aus einer EXTERNALISTISCHEN Position argumentierende Bentham versäumt aber nicht, dieses Argument immer wieder zu relativieren, bzw. realistisch zu interpretieren. Die dargestellte genetische Rekonstruktion der Sympathie aus einem rationalen Eigeninteresse deutet bereits darauf hin, dass wir es bei dem vorliegenden Phänomen mit einer reinen Motivation zu tun haben, die so in der Realität eher selten vorkommen wird. Dies ist aber für die systematische Relevanz des Arguments auch gar nicht nötig. Schon allein der Schein des tätigen Mitleids reicht aus, um in der evolutionären Perspektive eine öffentliche Wertschätzung der Sympathie zu erzeugen, die dann wiederum in Bezug auf eine selbst-bezogene Klugheit handlungsmotivierend werden kann. Wir haben von einer Konstellation auszugehen, in der die Handlungen, die das Glück der Mitmenschen vergrößern, aus einer Gemengelage von Interessen heraus motiviert sind. Wer einen wohltätigen Akt ausfuhrt, der kann zugleich von einer Reihe von Motiven dazu veranlasst worden sein. Zu nennen sind zumindest: wirkliches Mitleid und der Wunsch, das eigene und fremde (Mit-)Leiden zu beenden, der Wunsch ein Klima zu schaffen, in dem man auch selbst mit Hilfe rechnen kann (die Sparkasse der guten Taten), der

"For the dictates of utility are neither more nor less than the dictates of the most extensive and enlightened (that is well-advised) benevolence." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 117. "First comes the self-regarding pleasure: then comes the idea of the pleasure of sympathy, which you suppose that pleasure of yours will give birth to the bosom of your friend: and this idea excites again in your's a new pleasure of sympathy, grounded upon this. The first pleasure issuing from your bossom, as it were from a radiant point, illuminates the bosom of your friend: reverberated from thence, is reflected with augmented warmth to the point from whence it first proceeded: and so it is with pains." Ebd., S. 60. (Hervorheb. - W.H.).

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Wunsch nach einem guten Ruf und den damit zusammenhängenden Vorteilen, Selbstzufriedenheit 65 und das Gefühl der Macht und Überlegenheit. 66 Wenn sich Handlungen beobachten lassen, und daran lässt Bentham kaum einen Zweifel, die andernfalls innerhalb seiner mechanistischen Handlungstheorie als Wirkungen ohne Ursache beschrieben werden müssten, dann muss letztlich davon ausgegangen werden, dass die Sympathie als zureichendes Handlungsmotiv existiert, was wiederum einem Utilitarismus eine Verankerung in der menschlichen Motivationsstruktur gibt, der von klugen Individuen mehr als die Berücksichtigung ihrer je eigenen und nahe liegenden Interessen verlangen kann. Seine volle Bedeutung erhält dieser Zusammenhang aber erst, wenn er vor dem Hintergrund der einzig möglichen rationalen Rechtfertigung des "greatest happiness principle" betrachtet wird. Dann nämlich wird deutlich, dass die Tatsache der Sympathie zusammen mit dem Faktum der intersubjektiven Rechtfertigbarkeit des Glückspostulats die zentrale Grundlage einer deontologischen Dimension von Benthams Utilitarismus abgibt. Durch seine moralpsychologische Verankerung in der Sympathie und seine Begründung im intersubjektiven Diskurs ist, so könnte man Benthams Argumentation aktualisierend zusammenfassen, der Utilitarismus als moralphilosophische Leittheorie unschlagbar. Bevor wir uns aber der Geltungsproblematik zuwenden, sollen am Beispiel der Sexualethik und Sexualpolitik wichtige Ergebnisse exemplifiziert und Benthams moralphilosophischer Minimalismus verdeutlicht werden.

4.1.3.

Exkurs: Ungestörte Lust - Anmerkungen zur Sexualethik

Es wurde bereits mehrfach angesprochen, dass Bentham einen ethischen Minimalismus vertritt und der Verbotswut gängiger Ethiken, aber auch einer überregulierenden Ge65 66

Vgl. Deontology, S. 183. Die Empfehlung der praktischen Deontologie in dieser Richtung klingt fur manche Ohren wahrscheinlich zynisch. Man könnte aber auch sagen, dass es sich hier um eine der besten Empfehlungen einer realistischen Ethik handelt, die der gesamte Kanon der Moralphilosophie zu bieten hat. Der Autor dieser Ausführungen muss jedenfalls seine Bewunderung bekennen, da seines Wissens nirgendwo sonst so genial die Verbindung von Machtwille und Moralität beschrieben ist. Wir kennen sonst von de Sade bis Nietzsche eher die lustvolle Produktion einer Opposition von Moral und Macht (die Bentham durchaus auch kennt), die sich gern in wilden Spekulationen verliert. Der im Sinne Benthams einschlägige praktische (hypothetische) Imperativ würde lauten: wenn Du nichts zu tun hast, dann tu Gutes - es macht Spaß. "Wheneveryou have nothing else to do, in other words whenever you have no particular object in view of pleasure or profit, or immediate or remote good, set yourself to do good, in some shape or other, to sensitive beings rational or irrational, assignable or unassignable. In so doing, and in proportion as you do so, you will be producing a stock of sympathy and good reputation, laid up in the breasts of others, ready upon occasion to be brought into action for your advantage. In the meantime, whatsoever be the result in both or either of this shapes, you will have giving exercise to your faculties, mental and bodily, and by means of such exercise, strength: and experiencing and enjoying the pleasure of power that sort of pleasure which is capable of being reaped from the mere exercise of power, independently of all advantages in the shape of fruit or result of such exercise." Ebd., S. 278 f.

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setzgebung ablehnend gegenüber steht. In einer ideologiekritischen Wendung der These, dass jede Moral und jedes Recht, die zuviel und damit auch Unnötiges von den Menschen verlangen, die Übertretung ihrer Gebote geradezu provozieren, 67 behauptet er, dass die christlichen Kirchen im Einklang mit den Herrschenden, vor allem deshalb eine so raffinierte Verbotsmoral entwickelt haben, weil sie dadurch zugleich den demütigen Sünder, welcher der Vergebung bedarf, gleich mit produzieren konnten. Das schlechte Gewissen erwies und erweist sich als hervorragendes Herrschaftsmittel. 68 Da kaum ein anderes menschliches Handlungsmotiv so stark ist wie sein natürliches sexuelles Bedürfnis, hat sich infolge der benannten Logik im Bereich menschlicher Sexualität eine geradezu beispielhafte Moral entwickelt, die insbesondere mit einer wertenden Wortverwendung eine der wichtigsten Quellen menschlichen Glücks diffamiert. 69 Diejenigen, die den moralischen und juridischen Diskurs beherrschen, führen gleichsam Krieg gegen die menschliche Sexualität und stilisieren, da sie für den Gattungserhalt dann doch unabdingbar ist, nur eine Erscheinungsform, die sie Liebe nennen, zu ihrer einzig richtigen Ausdrucksform. 70 Das hat dazu gefuhrt, dass, was die Sexualität betrifft, die Vernunft im öffentlichen Diskurs kaum eine Chance auf Gehör hat.71 Wir haben es hier mit einem Phänomenbereich zu tun, in dem die tatsächlich existierenden Regeln und Verbote sowohl der "public and moral sanction", wie auch der "political sanction" denkbar weit von dem entfernt sind, was sich vor dem Gerichtshof der glücksvermehrenden Vernunft rechtfertigen lässt. Aus dieser letzten, für seine Lebensspanne sehr zutreffenden Bemerkung, hat Bentham selbst den Schluss gezogen, dass er seine Anmerkungen zur Sexualethik besser nicht veröffentlichen sollte.72 Er reflektiert ausführlich darüber, dass, gerade was nicht konforme Sexualpraktiken betrifft, die Aufklärung noch keinen Erfolg für sich verbu-

Vgl. Petition for Justice, Works, V, S. 458. Vgl. Swear not at All, Works, V, S. 210. "To sexual desire, when the effects of it are looked upon as bad, is given the name of lust. Now lust is always a bad motive. Why? Because if the case be such, that the effects of the motive are not bad, it does not go, or ought not to go, by the name of lust. The case is, then, that when I say, 'Lust is a bad motive', it is a proposition that merely concerns the import of the word lust; and which would be false if transferred to the other word used for the same motive, sexual desire. Hence we see the emptiness of all those rhapsodies of common-place morality, [...]. Would you do a real service to mankind, show them the case in which sexual desire merits the name of lust; [...]." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 114 f. "Legislators, Moralists, and Divines, finding it operating, to so great an extent, and with so efficient a force, in opposition to their views and endeavours, make unceasing war upon it. The corresponding compound or mixt desire (/ove) being protected by its necessity to the preservation of the species, and thence by public opinion, the form of invective is by this means directed exclusively against the simple desire, which however is not the basis, but the indispensably necessary basis, of the whole compound." A Table of the Springs of Action, S. 102. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 367. Vgl. Campos Boralevi, Lea, Bentham and the Opressed, Berlin/New York, 1984, S. 37-65, hier vor allem der Abschnitt zu Bentham's Auto-censure, S. 37 ff. Boralevi weist darauf hin, dass Benthams Schriften zur sexuellen Nonkonformität einen lebensnahen Autor erblicken lassen, der sich eindeutig von dem Zerrbild John Stuart Mills unterscheidet. Vgl. ebd., S. 66.

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chen kann und jeder, der sich gegen die allgemeinen Vorurteile wendet, damit rechnen muss, selbst als ein "Perverser" gebrandmarkt zu werden. Angesichts der Tatsache, dass beispielsweise die britischen Marineregeln nur homosexuelle Akte als ein Vergehen betrachten, gegen das die Todesstrafe nicht in eine Begnadigung umgewandelt werden konnte, scheint eine solche Befürchtung angemessen.73 Die Thematik menschlicher (Homo-)Sexualität hat ihn trotzdem sein Leben lang beschäftigt.74 Man kann, neben der Tatsache, dass die sexuelle Nonkonformität sich als exemplarisches Feld der Kritik an einer ethischen und rechtlichen Überregulierung eignet,75 einige weitere Gründe ausmachen, die Bentham zu einer so intensiven Bearbeitung des Gegenstandes veranlasst haben. Zumindest zwei stehen in engem Zusammenhang mit der von uns diagnostizierten minimalistischen Moralvorstellung und den Kernbeständen seines hedonistischen Utilitarismus. Zu diesen Gründen zählen die von Bentham erkannte Leib-Feindschaft aller etablierten Ethiken mit einem Rückbezug zur christlichjüdischen Tradition einerseits und seine eigenen Vorstellungen von einem freudvollen und gelungenen Leben. Was die Leib-Feindschaft betrifft, so wird sie von ihm im Zusammenhang mit der bestehenden Bewertung von Freuden diskutiert und er stellt fest, dass die Unterscheidung von edleren und unedlen Freuden letztlich auf die Leitdifferenz von Körper und Geist zurückgeführt werden muss, wobei dann aus den einschlägigen platonisch-christlichen Vorurteilen eine klare Abwertung aller körperlichen Freuden als unedel resultiert. Dagegen erhebt der Materialist Bentham scharfen Einspruch: "Alas! Alas! all this is a mistake. Not the particular organ, but the whole body is the ignoble thing here meant, and if the pleasure be one thing to which the organ is subservient, the body is the thing to which the pleasure is subservient. Well, but suppose 'ignoble', though it means nothing, mean any thing, and let the body be as ignoble as heart can wish: what follows? The seat of the pleasure, be the pleasure what it will, is it not all this while in the mind? Did ever any body see a body that felt pleasure when the mind was out of it?" 76

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Bentham kommentiert diese Regel mit erheblichem Zynismus: "In the Articles of War established for the English Navy, [...], after providing with respect to this offence and other species of impurity that they 'shall be punished with dead' it is added without mercy. [...] Of all the offences of which a man in the maritime service can be guilty, burning a fleet, betraying it to the enemy and so forth, this is the only one which it was thought proper to exclude from mercy. The safety of the fleet and of the Empire were in the eyes of the legislator objects of inferior account in comparison with the preservation of a sailor's chastity." Offences against One's Self, Paederasty, hrsg. von Louis Crompton, in: Journal of Homosexuality, 3/4 und 4/1, 1978. Zitiert nach: http://www.colubia.edu/cu/libraries/events/sw/bentham-/index.html, 18.06.97. Vgl. Crompton, Louis, Jeremy Bentham's Essay on Paederasty, in: Journal of Homosexuality, 3/4, 1978, S. 383-387. Überreguliert wird dabei der Bereich, den Bentham im Kontext der Rechtstheorie "self-regarding offences" nennt und der die "Übel" umschreibt, die sich ein Individuum selbst zufügen kann. Da man sich fast all das, was einem andere antun auch selbst antun kann, stellt sich die Frage, ob die "Selbstbeschädigung" verboten werden sollte. Das Recht darf hier keinesfalls intervenieren, da das mehr Schaden als Nutzen bringen würde. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 167. Was die Moral betrifft, so muss sie sich hüten, aus Geschmacksfragen das Recht auf Bevormundung abzuleiten. Das mündet zu schnell in Beliebigkeit. Vgl. Paederasty, S. 23. Deontology, S. 141.

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Der Dualismus von Leib und Seele ist, ethisch so interpretiert, eine falsche und unheilvolle Aufspaltung des wirklich existierenden menschlichen Wesens, die nur zu einer Verringerung des Glücks fuhren kann. Bentham geht an anderer Stelle sogar so weit, dass er die Wertigkeiten christlich-platonischer Ethik genau umdreht und die Freude an sexuellen Aktivitäten polemisch gegen die Freude der Gottesschau stellt.77 Gegen eine solche Einschätzung der menschlichen Natur, die letztlich wesentliche Aspekte des menschlichen Daseins ignoriert oder gar bekämpft, stellt Bentham sein eigenes Postulat einer freien Suche nach menschlichen Freuden. Wie wir im nächsten Abschnitt noch ausfuhrlicher sehen werden, wenn es um die Geltungsproblematik des "greatest happiness principle" geht, soll seiner Vorstellung nach die menschliche Lust sich möglichst frei entfalten können und ihre rationale Schranke nur am Glück anderer Menschen finden. Entscheidend hierbei ist aber, dass Benthams Leitsatz von der ungestörten Lust am Beispiel sexueller Nonkonformität umgesetzt, zeigt, wie wichtig es ihm war, dass die freien Individuen in wesentlichen Bereichen selbst müssen entscheiden können, was sie zu ihrer Lustvermehrung tun wollen. Der Satz, dass jedes Individuum im Grunde ein besserer Richter seines Glücks ist wie jedes andere menschliche Wesen, gilt als Postulat gewendet gerade da, wo, wie im sexuellen Bereich, Menschen sehr intim miteinander verkehren. Wenn, so die generelle Stoßrichtung der Argumentation, nicht gezeigt werden kann, dass die jeweilige Betätigung irgendjemandem schadet, so muss der Leitsatz in Geltung bleiben, der besagt, dass sowohl der Moralist als auch der Gesetzgeber die Suche nach Freude und Lust ungestört lassen sollen. 78 Betrachtet man nun Benthams Ausführungen zur Homosexualität, dem spektakulärsten Fall von sexueller Nonkonformität im zeitlichen Kontext, so wird nicht nur deutlich, wie wenig seine Vorstellungen in den engen Rahmen des überlieferten Bildes eines verknöcherten und weltfremden Menschen passen, sondern man kann auch sehen, wie genau die skizzierte Argumentationsstrategie eingehalten wird. Bentham nennt Homosexualität die prominenteste Form der "irregularities of the venerai appetite which are stiled unnatural" und bekennt offen, dass er im Utilitätsprinzip keinen Grund für Verbot und Verfolgung zu finden vermöchte: "I have been tormenting myself for years to find if possible a sufficient ground for treating them with the severity with which they are treated at this day by all European Nations: but upon the principle of utility I can find none." 79 Abgesehen davon, dass er prinzipiell den Unterschied zwischen "natürlich" und "unnatürlich" als eine nicht gebotsbegründende Differenz von häufig und nicht

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Vgl. ebd., S. 137 f. Sexuelle Freuden sind im Gegensatz zu allen anderen in seinen Augen mit extrem niedrigen Kosten belastet: "The pleasure of the sexual sense seems to have no positive pain to correspond to it: it has only the pain of privation, or pain of the mental class, the pain of unsatisfied desire." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 47, Fn. g. "With few exceptions, and those not very considerable ones, the attainment of the maximum of enjoyment will be most effectually secured by leaving each individual to pursue his own enjoyment, in proportion as he is in possession of the means." Manual of Political Economy, Works, III, S. 35, vgl auch ebd., S. 73, sowie Pannomial Fragments, Works, III, S. 224. Paederasty, S. 2.

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häufig auftretenden Fällen interpretiert hat, 80 lassen sich vom Standpunkt der Überzeugung, dass ein Schaden als Grund eines Verbots von Handlungen nachgewiesen werden muss, in diesem Falle keine hinreichenden Verbotsgründe finden. Im Rahmen der Mehrstufigkeit möglicher Schäden, 81 die sich auf die Betroffenen und die umgebenden Menschen auswirken könnten, so argumentiert Bentham, lässt sich kein wirkliches Leid finden. Wenn, das ist die wesentliche Voraussetzung, die inkriminierte sexuelle Praxis zwischen zwei Erwachsenen statt hat, die beide in ihrem Wollen übereinstimmen, so kann kein primärer Schaden entstehen. 82 Was die möglichen sekundären Schäden betrifft, wie das schlechte Beispiel, die Verweichlichung der Gesellschaft, die Vernachlässigung des weiblichen Geschlechts und eine negative Auswirkung auf die Bevölkerungsentwicklung, so lassen sich auch hier, da meist ja ein primäres Übel nachgewiesen werden muss, damit sekundäre sich daraus ableiten lassen, keine wirklichen Schäden benennen. Die einzelnen Punkte werden diskutiert und die Grundlosigkeit bisheriger Verbote auf eine reine Geschmacksabneigung zurückgeführt, die aber keinesfalls die Basis für die Ordnung irgendeines Teils des menschlichen Zusammenlebens hergeben kann. Wer immer sich auf der Grundlage von Geschmacksurteilen zum Richter über das Verhalten anderer macht, verwandelt sich, insbesondere als Gesetzgeber, schnell in einen Tyrannen, der in jedem Schlafzimmer einen Spion braucht und der Verleumdern ein unbegrenztes Feld für ihre schmutzige Tätigkeit eröffnet. Wenn man die einzelnen möglichen Gründe fur ein Verbot homosexueller Praktiken, deren Ursache Bentham im Erziehungssystem der Internate sieht, durchgeht, so ergeben sich folgende Argumente: Von einem schlechten Beispiel könnte nur die Rede sein, wenn sich das einschlägige Verhalten wirklich als schädlich erweisen sollte. Das aber war bereits im Bezug auf direkte Übel nicht nachweisbar und Bentham referiert genüsslich gegen den Vorwurf der Verweichlichung bzw. "Feminisierung" der Gesellschaft, den von der offiziellen Lehre verdrängten Aspekt der antiken Geschichte, den er, wie folgt zusammenfasst: "It appears then that this propensity was universally predominant among the antient Greeks and Romans, among the military as much as any. The antient Greeks and Romans, however, are commonly reputed as a much strouter as well as a much braver people than the stroutest and bravest of any of the modern nations of

"Unnatural, when it means any thing, means unfrequent: [...]." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 27, Fn. d fortlaufend. Bentham unterscheidet bekanntlich zwischen primären und sekundären Schäden. Zu den primären Übeln zählen diejenigen, die einer klar bezeichenbaren Gruppe oder einem Individuum entstehen, zu den sekundären diejenigen, die die Gesellschaft unscharf gefährden bzw. in Unruhe versetzen. Beispiele fur letztere wären "danger and alarm", etwa im Falle eines Raubüberfalls die objektive Gefahr, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden oder aber die subjektive Angst vor solch einem Überfall, die Menschen am Reisen oder an Geschäften hindern kann. Vgl. ebd., S. 143 ff. "As to any primary mischief, it is evident that it produces no pain in anyone. On the contrary it produces pleasure, and that a pleasure which, by their perverted taste, is by this supposition prefered to that pleasure which is in general reputed the greatest. The partners are both willing. If either of them be unwilling, the act is not that which we have here in view: it is an offence totally different in its nature of effects: it is a personal injury; it is a kind of rape." Paederasty, S. 3.

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Europe."83 Wie bei der Lektüre und Interpretation des Neuen Testaments die Theologen dazu neigen so zu tun, als habe Jesus das alles nicht so gemeint und dann noch vergessen, die Ausnahmen für seine Gebote zu diktieren,84 genau so blenden die Historiker und Moralisten den unpassenden Aspekt einer durchgehend homophilen Antike aus, weil er nicht in ihr ideologisches Konzept passt. Die historische Erfahrung jedenfalls gibt in diesem Kontext keine Begründung her. Sie hilft auch nicht, wenn es um das Problem der Bevölkerungspolitik geht, da es diesen Völkern nicht an Nachkommen gefehlt hat und wir wissen, Bentham verweist auf Hume und Smith, dass das Bevölkerungswachstum weniger von den sexuellen Neigungen als von der ökonomischen Subsistenz abhängt.85 Der einzige Grund für ein Verbot homosexueller Betätigung, den Bentham vergleichsweise ernst nimmt, ist der der Vernachlässigung der Frauen. Er stellt fest, wie an zahlreichen anderen Stellen seines Werkes für andere Lebensbereiche, dass im Bereich der Sexualmoral die Frauen eindeutig benachteiligt sind.86 Sie sind einer viel rigideren Sexualmoral unterworfen als das Männer gemeinhin sind und es wäre eine weitere Verringerung an Glückschancen, wenn durch ein zu extensives homosexuelles Leben sie ihrer potenziellen Geschlechtspartner bzw. Ehepartner beraubt werden würden. Bentham argumentiert hier, dass man von der Gesamtzahl aller Frauen erst einmal die Verheirateten und die Prostituierten abziehen muss, bevor ein Glückskalkül angestellt werden kann. Die verheirateten Frauen sind bereits mit einem Lebens- bzw. Sexualpartner versorgt. Die Existenz von Prostituierten beweist einen solchen Überschuss an sexueller

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Ebd., S. 5. "What says the law of Jesus? Ye shall not swear falsely? No: but Swear not at all. [...] In this prohibition the words are general, all-comprehensive. [...] If, of words thus plain and positive, the only obvious import is not to be trusted to, would it not be better that, instead of being in such multitudes distributed, all Testaments, old and new, should be burnt, and the Church-of-England Common Praybook, with its articles of faith, and other appendages, distributed instead of them?" Swear not at all, Works, V, S. 219. Vgl. ebenso ebd., S. 203 und 222. Vgl. Paederasty, S. 7. Zugleich müsste man, wenn man aus diesem Grund homosexuelle Männer in Europa öffentlich verbrennt (was in Frankreich und den romanischen Ländern im 18. Jahrhundert die Strafe war, während in England dafür Hängen vorgesehen war), alle Mönche auf einem kleinen Feuer rösten. "Opinion allows great liberty to the stronger sex, but imposes great restraint upon the weaker one. [...] The interests of females have too often been neglected." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 355. Dies sind die Leitsätze für die Geschlechterbeziehung, die allerdings eine prinzipielle Dominanz des Mannes in der Ehe nicht ausschließen. Diese hat aber einen zweitrangigen Grund, seine Stärke, die durch eine überwölbende Rechtsbeziehung begrenzt werden muss. Bentham plädiert nachdrücklich für die allgemeine Einfuhrung von Eheverträgen zur Sicherstellung der Frauen und verlangt die Akzeptanz der Scheidung. Vgl. auch Williford, Miriam, Bentham on the Rights of Women, in: Journal of the History of Ideas, XXXVI/1975, S. 167-176, die herausstellt, dass er am Beginn der Emanzipationsbewegung stand und als einer der Ersten eine systematische Analyse der Unterdrückung liefert. Zugleich wird gezeigt, wie Bentham auch hier vor den möglichen Konsequenzen seiner eigenen Argumentation zurückschreckt, da er die Männer noch fur zu unreif für eine volle Gleichstellung der Frauen hält. Williford betont besonders die Wirkung von Benthams Argumenten auf Mill und die spätere Frauenbewegung.

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Energie, dass die Tatsache, dass diese von ihm bedauerten Frauen nicht alle verhungern, ein Indiz für die Unnötigkeit eines Verbotes aus diesen Gründen nahe legt.87 Für ein Glückskalkül bleiben also nur diejenigen Vertreterinnen des weiblichen Teils der Menschheit übrig, die ohne Mann durchs Leben gehen müssten, wenn Homosexualität zwischen Männern toleriert werden würde. Das dann durchgeführte Kalkül kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die zahleichen Vorteile einer Ehe das Risiko einer Glücksminderung für Frauen verschwindend klein machen.88 Das Gleiche gilt im übrigen auch für eine eventuelle Auswirkung auf die eheliche Treue, bei der Bentham feststellt, dass es, bei einem gewissen Grad an Neigung zur Untreue, sachlich vollkommen egal ist, wer der Partner des Ehebruches ist.89 Als eine Art Fazit der hier dargestellten Überlegungen Benthams kann gelten, was er selbst im Zusammenhang mit religiösen Gründen für ein Verbot von Homosexualität äußert und was uns unmittelbar zu unserem nächsten thematischen Punkt bringt. Es ist dies die Überlegung, dass sich am religiös begründeten Verbot deutlich die Lustfeindlichkeit der (christlichen) Religionen und damit auch der abendländischen Weltanschauungen erkennen lässt, da diese die weltlichen Dinge so ordnen wollen, dass eigentlich alles, was den Menschen Freude macht, unter die Sünden gerechnet werden muss oder nur um eines anderen "höheren" Gutes wegen getan werden darf. Dem steht der Utilitarismus als fundamental andere Option gegenüber, da er den Sinn des Lebens ausschließlich in der Freude sieht.90 Diese Orientierung an der Freude und dem Glück der Menschen soll aber auch zugleich die einzige intersubjektiv rechtfertigbare Moralgrundlage sein.

Vgl. Paederasty, S. 9. Bentham war aus verschiedenen Gründen gegen ein (in England bestehendes) Verbot der Prostitution. Er glaubte, dass durch ein bloßes Verbot den Frauen nicht geholfen werde, da diese sich nur aus Ermangelung einer anderen Möglichkeit des Broterwerbes verkaufen und daher bei einer rechtlichen Verfolgung eher noch schlechter dastünden als ohne ein solches. Die Alternative angesichts der trotz des Verbotes allgegenwärtigen Übertretung ist Hilfe nicht Kriminalisierung. Vgl. Principles of the Penal Law, Works, I, S. 545 f. Die Vorteile der Ehe seien hier ohne Kommentar aufgezählt: die Möglichkeit Kinder zu haben, die Tatsache, dass die sexuelle Anziehungskraft bei Männern schneller nachlässt, weswegen homosexuelle Akte zwischen alternden Partner unästhetisch sind, die Heiratspolitik der Vereinigung von Firmen und Vermögen, die dauernde Verfügbarkeit einer Sexualpartnerin. Vgl. Paederasty, S. 9. Vgl. ebd., S. 12. Dort findet sich auch der Hinweis, dass das Phänomen der verheirateten Männer, die bei gleichgeschlechtlichen Akten ertappt wurden, lehrt, dass eher von Bisexualität ausgegangen werden muss als von Hetero- bzw. Homosexualität. "It may be asked indeed, if pleasure is not a good, What is life good for, and what is the purpose of preserving it? But the most obvious and immediate consequences of a proposition may become invisible when a screen has been set before by the prejudices of false philosophy or the terrors of a false religion." Ebd., S. 16.

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4.1.4.

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Der rationale Geltungsgrund des "greatest happiness principle"

Bisher hatten wir feststellen können, dass das Prinzip des größtmöglichen Glücks nach Benthams Überzeugung einen starken Wiederhalt in der menschlichen Natur hat, da es beides berücksichtigt: die Tatsache des mehr oder weniger rationalen Glücksstrebens eines, was seine Empfindungen und Wünsche betrifft, in sich selbst eingesperrten Individuums und zugleich die Tatsache einer grundsätzlichen Mitempfindlichkeit genau dieses Individuums gegenüber anderen, von deren zivilisatorischem Wachstum Bentham ausgeht, das er sogar für vergleichsweise sicher hält. Nun ergibt sich daraus zunächst nur, dass das Prinzip des größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Anzahl von Menschen als eines Handlungsimperativs91 nicht unbedingt der menschlichen Natur widerspricht, eventuell vielleicht sogar noch, dass man mithilfe dieses Prinzips den ebenfalls von Bentham nie geleugneten sogar immer als bestehend vorausgesetzten Interessenantagonismus zwischen den Menschen versöhnen könnte. Es ergibt sich nicht daraus, welche Form von Geltung dieses Prinzip eigentlich haben soll. Nur eines ist sicher ausgeschlossen, wenn wir der bisherigen Rekonstruktion folgen: jede Form von transzendentaler Geltung, von vor aller Erfahrung liegenden Ideen oder Selbstreflexen der praktischen Vernunft im Sinne Kants. Benthams Überzeugung, was die Geltungsgrundlage des Prinzips des größtmöglichen Glücks betrifft, so wird man nach einer Lektüre seines umfassenden Werkes sagen müssen, ist am besten in den einleitenden Seiten der Introduction to the Principles of Morals and Legislation zusammengefasst, taucht in der Deontology und dem Table of the Springs of Action wieder auf, ist ihm aber, das wird eine eingehendere Lektüre seiner Theorie der Öffentlichkeit zu zeigen haben, in gewisser Weise so selbstverständlich, dass er sie fast vernachlässigt. Die tiefere Ursache dieser Vernachlässigung liegt darin, dass ihm die direkte Evidenz des Prinzips zusammenfällt mit seiner späteren politischen Grundüberzeugung, die besagt, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen, nämlich die Beherrschten, ein Interesse daran haben, dass genau dieses Prinzip gelten soll und kein anderes. So gesehen, kann die hier vorgelegte Rekonstruktion der Geltungsgrundlagen nur im Zusammenhang mit den folgenden Kapiteln erfolgreich sein. Benthams Überlegungen zum Status92 des Prinzips sind zunächst kritischer Natur, in dem sie die möglichen Konkurrenten als schlicht unsinnig denunzieren. Man muss sich

Und als ein Handlungsimperativ wird es auch von Bentham verstanden, weshalb die Unterscheidung von Regel- und Aktutilitarismus hier keiner weiteren Reflexion wert ist. Es soll hier keine Diskussion der Herkunft des Prinzips erfolgen, da die systematisch nicht wichtig ist und Bentham sich selbst im Lauf seines Lebens nie als Erfinder desselben betrachtet hat. Er hat sich aber ganz unterschiedlich erinnert, woher er es den übernommen haben könnte und es gibt zahlreiche Kandidaten, die das "Erstgeburtsrecht" beanspruchen können. Vgl. hierzu den klassischen Aufsatz von Shackelton, Robert, The Greatest Happiness of the Greatest Number: the History of Bentham's Phrase, in: Besterman, Theodore (Hrsg.), Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, Vol. XC, Banbury 1972, S. 1461-1482, insbesondere S. 1472 ff., wo die verschiedenen Umwege und Umformulierungen des Topos von Hutcheson ausgehend über Beccaria zu Bentham nachgezeichnet werden und Schräder, Wolfgang, Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, Hamburg 1984, S. 95 f. Schräder stellt als zentrale Differenz zwischen der

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immer klar machen, so Bentham, dass das Utilitätsprinzip eigentlich keine Konkurrenz zulässt, sondern einen Alleinvertretungsanspruch bezüglich einer aufgeklärten Moralund Politiktheorie für sich behauptet. 93 Bevor wir uns dem eigentlichen Geltungsgrund des Utilitätsprinzips zuwenden, der prinzipiell ein politischer ist und zugleich einer, der zwanglos mit dem faktischer Gültigkeit verknüpft gedacht werden kann, müssen wir mit Bentham einen Blick auf die Konkurrenz werfen. Gemäß seinem eigenen Grundsatz, dass Konkurrenz zur Kompetenz führt, einer zutiefst liberalen Vorstellung, ergibt sich aus den Defiziten der Konkurrenz und den eigenen Leistungen der eigentliche Markt- und damit Geltungswert des utilitären Argumentes. All die Denkansätze der Moral-, Rechts- und Politiktheorie, die dem Utilitarismus entweder unversöhnlich entgegen stehen und ihn unter anderem als einen platten Epikurismus verleumdet haben 94 oder aber gelegentlich bzw. zufallig mit ihm in bestimmten Teilüberzeugungen übereinstimmen, lassen sich mit Bentham zwei verschiedenen Gruppen zuordnen. Bei dieser nicht überschneidungsfreien Zuordnung ergeben sich der Asketizismus einerseits und das Prinzip der Sympathie bzw. Antipathie andererseits. 95 Letzteres Prinzip ist uns bereits als Faktum des menschlichen Fühlens begegnet, das Bentham durchaus in sein ethisches Konzept zu integrieren versucht. Als ein durch die utilitäre Reflexion nicht geleitetes Prinzip der Beurteilung menschlichen Handelns muss es aber abgelehnt werden, da es weder begründbar noch rational anwendbar sein kann. 96 Dafür hat es allerdings den Vorteil, dass es der menschlichen Trägheit stark entgegen kommt. Wer nämlich auf seiner Basis urteilt, der braucht nicht lange zu argumentieren, es reicht, wenn er seine momentanen Gefühle konsultiert und daraus Zustimmung und Ablehnung direkt ableitet. Es versteht sich fast von selbst, dass die Gefahren, die sich daraus ergeben, in der Politik im Vergleich zur privaten Ethik noch einmal potenziert werden. Wenn sich beispielsweise der strafende Staat vom Hass leiten lässt, dann hat

Ausgangsposition Hutchesons und der Form, die die Maxime bei Bentham annimmt heraus, dass bei Hutcheson die soziale Stellung der Individuen eine Rolle spielt und das Glück der Menge dadurch kompensiert werden kann. "Principle of Utility allows no rival. Whatever is not under is opposite to it. Directly opposite: the principle of asceticism; indirectly: every other. Principle of caprice or groundless fancy: under this head may every such other be placed, utility being the only principle ever supported by argument." A Table of the Springs of Action, S. 31. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 19. Vgl. auch Deontology, S. 139 f. Der "ipsedixitism" wird hier nicht eigens behandelt, da er systematisch weitgehend mit dem Prinzip von Sympathie und Antipathie deckungsgleich ist. Vgl. Deontology, passim. "By the principle of sympathy and antipathy, I mean that principle which approves or disapproves of certain actions, not on account of their tending to augment the happiness, nor yet on account of their tending to diminish the happiness of the party whose interest is in question, but merely because a man finds himself disposed to approve or disapprove of them: holding up that approbation or disapprobation as a sufficient reason for itself, and disclaiming the necessity of looking out for any extrinsic ground. Thus far in the general department of morals: and in the particular department of politics, measuring out the quantum (as well as determining the ground) of punishment, by the degree of disapprobation." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 25. (Hervorheb. - W.H.)

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die Vernunft zusammen mit der Humanität abgedankt und es entsteht ein nicht rechtfertigbarer Schaden. 97 Interessant ist nun, dass Bentham praktisch die wichtigsten moralphilosophischen Schulen seiner Zeit unter diesem Prinzip der emotionalen Willkür subsumiert. Dem Verdikt der unbegründeten Deklamation, letztlich also eines unreflektierten Intuitionismus verfallen der Reihe nach: 1. Moral Sense (Shaftesbury, Hutcheson und Hume); 2. Common Sense (Beattie); 3. Understanding; 4. Rule of Right; 5. Fitness of Things; 6. Law of Nature (bedeutungsgleich mit: Law of Reason, Right Reason, Natural Justice, Natural Equity, Good Order); 8. Truth; 9. Doctrine of Election. 98 Diesen, oft von illustren Namen vertretenen Positionen unterstellt Bentham, dass sie sich nicht um die Frage des Nutzens und Schadens von Handlungen kümmern, und dass sie, selbst wenn sie dies tun, "pain" und "pleasure" nicht als die entscheidenden Bezugspunkte berücksichtigen. Wenn man aber bloß eine Neigung in sich vorweisen kann, die als Grund für die Akzeptanz einer Handlung herhalten soll, dann muss man die Frage, ob diese Handlung denn jemanden schaden könnte, erst noch beantworten. Man steht damit recht eigentlich noch vor der moralisch unabdingbaren Reflexion. Sollte es sich erweisen, dass die fragliche Handlung wirklich ein Übel hervorbringt, so wird sie auch dadurch nicht entschuldbar oder gar zur Pflicht, wenn man die betreffende Neigung "Tugend" nennt. Sollte sich aber erweisen, dass die fragliche Handlung nützlich ist, so kann eine bloße Neigung zu ihrer Ablehnung keinesfalls hinreichen. Bentham versucht die Grenze zwischen moralischen Urteilen und Geschmacksfragen möglichst klar zu ziehen: "Ί feel in myself (say you again) 'α disposition to detest such or such an action in a moral view; but this is not owing to any notions I have of its being a mischievous one to the community. I do not pretend to know [...]: it may be, for aught I know, an useful one.' - 'May it indeed?' (say I) 'an useful one? but let me tell you then, that unless duty, and right and wrong, be just what you please to make them, if it really be not a mischievous one, [...], it would be very wrong in you, to take upon you to prevent him: detest it within yourself as much as you please; that may be a very good reason [...] for you not doing it yourself, but if you go about, by word or deed, to do anything to hinder him, or make him suffer for it, it is you, and not he, that have done wrong: [...].'""

Eine bloße Neigung zur Ablehnung einer Handlung, die nicht begründet zeigen kann, dass die einschlägige Aktion schädlich ist, reicht bestenfalls hin, um die eigene Person von einem Tun fern zu halten. Sie ist weder moralisch noch rechtlich verpflichtend, sondern wäre, wenn sie den anderen in seiner Entfaltung behindert oder ihm gar Schmerz zufügt, ein schmerzhafter Eingriff in dessen Freiheit. Es ist kein Zufall, dass 97

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"[...] if you hate much, punish much: if you hate little, punish little: punish as you hate. If you hate not at all, punish not at all: the fine feelings of the soul are not to be overborne and tyrannized by the harsh and rugged dictates of political utility." Ebd. Wenn schon die Sympathie dringend der Führung durch die nutzenabwägende Vernunft braucht, damit kein Schaden aus dieser positiven Neigung entsteht, dann ist unschwer klar, dass die Abneigung, der Hass und die Rachegefiihle noch viel mehr durch die Kraft des begründeten Denkens in vernünftige Bahnen gelenkt werden müssen. Vgl. hierzu auch Paederasty, S. 23. Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 26 f., Fn. d fortlaufend. Ebd., S. 29. (Hervorheb. - W.H.)

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ein solch zentrales Argument in Form eines "fiktiven" Dialogs präsentiert wird. Entscheidend scheint nämlich nicht nur der Inhalt der Gebote und Verbote, sondern auch die jeweilige Form ihrer Rechtfertigung. Wir hatten bei der Behandlung der "moral and public sanction" bereits gesehen, dass Bentham sie als einen vielstimmigen Chor vorstellt, in dem jeder seine Stimme erheben kann, seine Gründe anführen soll und wo sich dann im Idealfall eine begründete Meinung herausbildet. Die mögliche Zustimmung ist nicht nur fur die faktische Gültigkeit des jeweiligen moralischen Urteils bedeutsam, vielmehr ist das Verfahren Teil einer besonderen Rationalität, die auch das "greatest happiness principle" für sich in Anspruch nimmt. Die gemeinte Rationalität ist die des öffentlichen Vernunftgebrauches, die nur begründete Meinungen im Diskurs zulässt und in dem Moment nicht mehr vorhanden sein kann, in dem bloße Geschmacksbehauptungen aufeinander treffen. Nachdem wir uns noch dem Asketizismus zugewendet haben, werden wir sehen können, dass das Moment der diskursiven Rechtfertigbarkeit genau das ist, dass auch dem Utilitätsprinzip seine eigentümlich herausgehobene Stellung im Vergleich mit anderen Positionen zuweist. Es ist das einzige Prinzip, das nicht bloß öffentlich geäußert und gelehrt werden kann, das werden auch die falschen Positionen, sondern zusätzlich das Moment einer kommunikativen Akzeptanz als entscheidendes Kriterium selbst propagiert. Der Asketizismus ist die moralphilosophische Position, die unter keinen Umständen mit dem Prinzip des größten Glücks vereinbar ist. Die Begründung hierfür ist eher trivial, da bereits auf den ersten Blick der grundsätzliche Unterschied zwischen einer hedonistischen und einer asketischen Welthaltung einleuchtet. 100 Bentham lässt kaum einen Zweifel daran, dass es sich hier um einen perversen Standpunkt handelt, der, obzwar er auch als philosophischer existiert, seinen eigentlichen Ursprung in kranken religiösen Vorstellungen hat Und auch nur in seiner religiösen Variante wirklich eindeutig die Höherwertigkeit des Leidens propagiert. Letztlich kann der Asketizismus nur vertreten werden, wenn man einen bösen Schöpfergott annimmt, der es liebt zu sehen, wie wir uns in unserem irdischen Leben quälen. 101 Für die Frage nach einem möglichen Geltungsgrund ethischer Prinzipien ist an Benthams Behandlung der asketischen Moralvorstellung besonders interessant, dass er behauptet, dieser sei im Wesentlichen auf die Individualethik beschränkt geblieben. Das liegt daran, dass dieses Prinzip der Universalisierung unfähig ist: "The principle of asceticism, however, with whatever warmth it may have been embraced by its partisans as a rule of private conduct, seems not to have been carried to any considerable length, when applied to the business of government. [...] Whatever merit a man may have thought there would be in making himself miserable, no such notion seems ever to have occurred to any of them, that it may be a merit, much less a duty, to make others miserable: although it should seem, that if a certain quantity of misery were a thing so desirable, it would

100 "By the principle of asceticism I mean that principle, which, like the principle of utility, approves or disapproves of any action, according to the tendency which it appears to have to augment or diminish the happiness of the party whose interest is in question; but in an inverse manner: approving of actions in as far as they tend to diminish his happiness; disapproving of them in as far as they tend to augment it." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 17 f. ,0

'

Vgl. An Analysis of the Influence of Natural Religion, passim.

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not matter much whether it were brought by each man upon himself, or by one man upon another."102

Für unseren Zusammenhang ist die Richtigkeit dieser Interpretation bzw. Rekonstruktion der Geistes- und Kulturgeschichte von geringer Bedeutung im Vergleich zu ihrer argumentativen Einbettung in den Kontext. Das zitierte Argument weist darauf hin, dass es wohl offensichtlich kaum möglich ist, die asketische und freudenfeindliche Einstellung dergestalt zu verallgemeinern, dass man sie zu einem Gebot im zwischenmenschlichen Umgang macht. Man mag sich, das Paradebeispiel Benthams zielt hier immer wieder auf die Mönche und ihre klösterliche Lebensweise, von der Welt aussperren, mag fasten und für fragliche jenseitige Belohnungen selbst quälen, all dies wird man als individuelle Lebensperspektive durchaus verfolgen können, jedoch nicht als eine politische Handlungsmaxime. Niemand wird, wenn er nicht als verrückt betrachtet werden will, den Satz vom größten Glück umdrehen und das größte mögliche Leid der größten möglichen Zahl von Menschen öffentlich zu einer Handlungsanleitung der praktischen Vernunft erklären. 103 Exakt an dieser Stelle der Diskussion der möglichen Geltungsgründe sind wir, wie schon beim Fall des Prinzips der emotionalen Willkür, wieder bei dem Phänomen einer diskursiven Rechtfertigung angelangt. Bei einer weiteren Betrachtung der verschiedenen institutionellen Mechanismen, die eine Umsetzung des Prinzips des größten Glücks ermöglichen sollen, fallt immer wieder auf, dass Bentham stillschweigend insbesondere in seiner Demokratietheorie davon ausgeht, dass nur das "greatest happiness principle" von der überwältigenden Mehrzahl der Bevölkerung als Ziel aller Politik akzeptiert werden kann. Dies ist die werkgeschichtlich spätere Variante der kommunikativen Verknüpfung von individueller Glückssuche und dem Glück aller anderen Betroffenen. Bereits im Vorfeld seiner Auseinandersetzung mit den möglichen Konkurrenten des Utilitätsprinzips und der Vorschrift der allgemeinen Glücksmaximierung reflektiert Bentham über den Status des Prinzips. Er behauptet, dass das "greatest happiness principle" ein selbstevidenter Ausgangspunkt aller Handlungsbeurteilung darstellt, den wir unsystematisch und vortheoretisch häufig insbesondere zur moralischen Beurteilung von Handlungen benutzen, 104 und geht davon aus, dass ein solches Prinzip keiner eigentlichen Begründung zugänglich ist, da es Ausgangspunkt aller Begründungen sein muss. 105 Wir haben es danach also mit einer anthropologisch verankerten Superregel zu tun, die wir offenbar nicht aus anderen Gründen ableiten können.

102 103

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An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 19 f. Wird dieses Leid als eine Vorleistung für jenseitige Freuden "verkauft", so handelt es sich bei einer solchen Strategie, wenn sie denn geglaubt werden sollte, um "utilitarianism misapplied". Das liegt natürlich an den anthropologischen Voraussetzungen: "By the natural constitution of the human frame, on most occasions of their lives men in general embrace this principle, without thinking of it: if not for the ordering of their own actions, yet for the trying of their own actions, as well as of those of other men." Ebd., S. 13. "Has the rectitude of this principle been ever formally contested? It should seem that it had, by those who have not known what they have been meaning. Is it susceptible of any direct proof? it should seem not: for that which is used to prove every thing else, cannot itself be proved: a chain

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Wenn nun aber auch nicht das normale Verfahren der Begründung zur Verfügung steht, so bleibt doch die Möglichkeit eines aporetischen Aufweises. Es lässt sich nämlich plausibel machen, so die Introduction to the Principles of Morals and Legislation, dass wir ohne eine zumindest indirekte Berufung auf die Utilität keinen praktischen Diskurs in Gang halten können. Es ist, und genau dies versucht Bentham in einem "fiktiven" Diskurs zu zeigen, vielleicht unmöglich, das Prinzip des größten Glücks positiv zu begründen, zugleich aber ist es sicher auch unmöglich, seine Richtigkeit zu widerlegen, wenn man weiter über praktische Probleme sinnvoll verhandeln will.106 Bentham schlägt ein mehrstufiges Verfahren vor:107 Zuerst muss sich der Gegner die Frage vorlegen, ob er das Prinzip insgesamt ablehnt und was er denn an seine Stelle, insbesondere im politischen Bereich setzen möchte. Sollte er es ganz ablehnen, so muss die Frage beantwortet werden, ob denn in Moral und Politik ganz ohne leitendes Prinzip verfahren werden soll. Wird die Frage damit beantwortet, dass es natürlich ein Prinzip geben soll, stellt sich im Anschluss sofort das Problem, ob die vom Kritiker ins Auge gefasste Vorstellung nur eine Variante des Utilitätsprinzips darstellt (dann geht es nur noch um kleinere Korrekturen) oder, ob eine der verschiedenen Arten des Sympathie/Antipathie-Prinzips vorliegt. Ist letzteres der Fall, so muss die weitere Frage lauten, ob denn die emotionale Zustimmung bzw. Ablehnung eines jeden Menschen zur Regel gemacht werden sollte, was zur Anarchie fuhren muss, oder ob nur diejenige eines bestimmten einzelnen, was Tyrannei bedeutet. Der Gegner wird zugeben müssen, dass das Prinzip der persönlichen Vorliebe und des unbegründeten Geschmacks zwangsläufig zur Unmöglichkeit weiterer Diskussionen über das jeweilige Thema fuhrt, da aus ihm keine konsistente und damit diskutierbare Position entwickelt werden kann.108 Sollte der Gegenüber nun darauf hinweisen, dass die jeweilige Position natürlich begründet werden muss, dann wird er in die Situation kommen, in der er Auskunft darüber geben muss, auf welcher Basis denn diese Begründung stattfinden soll. In den meisten Fällen befindet sich der Streitpartner dann bereits teilweise auf dem Boden des Utilitätsprinzips und es geht nun darum, ihm klar zu machen, dass nur von diesem aus wirklich dis-

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of proof must have their commencement somewhere." Ebd., S. 13. (Hervorheb. - W.H.) Zum Begriff des Prinzips vgl. ebd., S. 11, Fn. b. Hier wird die Deutung von Ross Harisson aufgenommen und überboten. Harrison argumentiert richtig, dass Benthams indirekte Beweisführung darauf hinaus läuft zu zeigen, wie die Bedingungen der Möglichkeit eines Diskurses über ethische Probleme zwanglos mit dem "greatest happiness principle" harmonieren. Er will aber nicht zugestehen, dass Bentham gezeigt habe, dass das für keines der anderen Prinzipien gilt. Eben dies möchte ich behaupten. Bentham hat versucht zu zeigen, dass wir alle das allgemeine Glück diskursiv vertreten können, dass dies aber - richtig verstanden - nie beim Intuitionismus oder Asketizismus so sein kann. Vgl. Harrison, Ross, Bentham, London 1983, S. 187. Vgl. zum Folgenden An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 15 f. "[...] whether at this rate there are not as many different standards of right and wrong as there are men? and whether even to the same man, the same thing, which is right today may, not (without the least change in its nature) be wrong to-morrow? and whether the same thing is not right and wrong in the same place at the same time? and in either case, whether all argument is not at an end? and whether, when two men have said, Ί like this', and Ί don't like it', they can (upon such a principle) have anything more to say?" Ebd., S. 16.

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kursiv und damit ftir den je anderen nachvollziehbar argumentiert werden kann. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass er weiterhin behauptet, es gebe noch andere Möglichkeiten einer Begründung aus eben anderen Prinzipien, so bleibt für eine abschließende Runde der Diskussion die Nachfrage, wofür diese denn gut seien. Wird darauf die Antwort verweigert, ist der Aufklärungsversuch allerdings gescheitert. Steigt der Gegenüber hier ein, so hat er implizit akzeptiert, dass der allgemeine Nutzen das übergeordnete Prinzip sein muss und sein "Prinzip" eine nachrangige Ableitung darstellt. Den wesentlichen Aspekt einer solchen rekonstruierenden Rechtfertigung des "greatest happiness principle" muss man wohl darin sehen, dass vollkommen unabhängig von der inneren Disposition der Subjekte dieses Prinzip das einzige ist, das in einem moralischen Diskurs nicht geleugnet bzw., dessen Gegenteil nicht vertreten werden kann, wenn die Diskussion nicht zusammenbrechen soll. Minimalismus und EXTERNALISMUS gehen, erneut in einem "fiktiven" Frage-und-Antwort-Spiel, eine den Utilitarismus fundierende Verbindung ein: '"But is it never then, from any other considerations than those of utility, that we derive our notions of right or wrong?' I do not know: I do not care. Whether a moral sentiment can be originally conceived from any other source than a view of utility, is one question: whether upon examination and reflection it can in point of fact, be actually persisted in and justified on any other ground, by a person reflecting within himself, is another: whether in point of right it can properly be justified on any other ground by a person addressing himself to the community, is a third. The two first are questions of speculation: it matters not, comparatively speaking, how they are decided. The last is a question of practice: the decision of it is of as much importance as that of any can be."109

Nach diesen Worten zählen die Genese einer moralischen Einstellung und die innere moralische Haltung zu den vernachlässigbaren Dimensionen der Moralität. Benthams EXTERNALISMUS verzichtet aus erkenntnistheoretischen Gründen und nicht aus Ignoranz auf die moralische Instanz des Gewissens. Er argumentiert auch hier nicht von innen, also von der persönlichen Wahrnehmung des praktischen Subjekts aus, sondern von außen. Wirklich praktisch relevant, und das im Sinn einer idealen Konvergenz von Geltung und Gültigkeit, sind nur solche moralischen und politischen Leitideen, die sich auch in einem öffentlichen Diskurs vertreten lassen und zumindest eine Chance auf allgemeine Zustimmung haben. Allgemein zustimmen werden aber im Idealfall alle Betroffenen nur, wenn sie davon keinen Schaden erwarten, sondern einen allgemeinen Nutzen, in dem ihr jeweiliger individueller Nutzen zwar nie voll aufgeht, dessen Teil er aber ist. Die Tatsache, dass sich eine moralische Vorschrift, ein Gesetz oder auch eine politisch-administrative Maßnahme zum Schaden der Gemeinschaft auswirken wird, diese Tatsache kann derjenige, der sie fordert, vielleicht für sich kennen und als Ziel wollen. Er wird aber nicht mit der geringsten Aussicht auf Erfolg mit ihr öffentlich auftreten, sondern vielmehr durch die uns bekannten Mittel der "fallacies" und "fictions" einen Schleier der Täuschung vor den Augen der Mitbürger erzeugen. Daraus lässt sich aus der Perspektive Benthams unschwer erkennen, dass ab einem bestimmten Punkt der

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Ebd., S. 28, Fn. d fortlaufend.

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kulturellen Evolution, die Durchsetzung und Akzeptanz von Regeln und Handlungen untrennbar mit ihrer allgemeinen Nützlichkeit verbunden ist.110 Für den Status des Prinzips des größten Glücks bedeutet dies aber, dass es ab ovo ein genuin politisches Prinzip ist. Es ist in sich weder Ergebnis göttlicher Fügung noch allein Ausfluss einer moralischen bzw. sympathetischen Disposition der Menschen. Vielmehr ist aus diesem Blickwinkel die Moralität selbst ein Politikum, da die "moral and public sanction" nicht das Modell für politische Entscheidungen hergibt, sondern umgekehrt die politische Versammlung, Beratung und Entscheidung das Modell für die (gültige und Geltung beanspruchende) Moral bereitstellt. Prüfstein für die jeweilige Richtigkeit oder Falschheit einer moralischen und politischen Handlung ist also nicht ein isoliertes Einzelgewissen oder aber die zugleich so wichtige sympathetische Disposition von Menschen, sondern vielmehr ihre potenziell allen Gemeinschaftsmitgliedern diskursiv vermittelbare Nützlichkeit bzw. glücksvergrößernde Qualität. An dieser Stelle drängt sich dann aber die Frage auf, wie denn nun eigentlich das Prinzip des größten Glücks politisch angewendet werden kann und was für eine politische Ordnung diejenige des größten Glücks ist. Hierbei sind es vor allem zwei Aspekte, die Berücksichtigung finden müssen. Es ist zum einen die Frage, wie das Prinzip konkret verstanden werden soll, also wie es auf eine reale Glücksverteilung gewendet werden kann. Der zweite Aspekt betrifft die Frage, welche politisch institutionelle Ordnung ihm und den aus ihm abgeleiteten derivaten Regeln am besten entspricht.

4.1.5.

Glück gesellschaftlich: Politik

Politisches Handeln soll also das Glück einer möglichst großen Zahl von Menschen berücksichtigen. Bentham geht davon aus, dass ein demokratisches und republikanisches Institutionengefüge dies faktisch am Besten garantieren kann. Bevor aber die politischinstitutionelle Gestalt des größten Glücks der größtmöglichen Zahl näher betrachtet werden kann, muss geklärt werden, wie die optimale Glücksverteilung denn aussehen soll und was ihre Spielregeln sind. Wir werden in einem der nächsten Abschnitte (Negativfolie: Monarchie) allerdings ergänzend hierzu auch berücksichtigen müssen, dass das Utilitätsprinzip nur vor dem vom späten Bentham radikal abgelehnten Ordnungsprinzip "Monarchie" voll verständlich wird. In der Introduction to the Principles of Morals and Legislation beschreibt Bentham das ideale Glückskalkül eines Gesetzgebers noch zu einer Zeit, in der er fest daran glaubte, dass die herrschenden Eliten am Wohl der Bevölkerung interessiert seien und daher seine Reformvorschläge auch gerne annehmen und realisieren würden. Das Kalkül verlangt die Berücksichtigung aller betroffenen Interessen, die genaue Einbeziehung aller Leiden und aller Freuden der Menschen, auch in der längerfristigen Perspektive, 110

Genau diese Argumentationslinie verfolgt er auch, wenn er sich mit der Menschen- und Bürgerrechtserklärung der Französischen Revolution auseinander setzt. Er will zeigen, dass ein begründender Diskurs, der keine Position absolut setzt, notwendig in eine Auseinandersetzung über die Nützlichkeit dessen, worum verhandelt wird, für die Menschen münden muss. Vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 495.

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und mündet dann in einer Aufrechnung, einer buchhalterisch anmutenden Bilanz von Nutzen und Lasten. Dabei wird gefordert, dass die Anzahl der betroffenen Personen die entscheidende Dimension für die Beantwortung der guten oder schlechten Tendenz der infrage stehenden Maßnahme sein soll.111 Will sagen, dort wird nahe gelegt, dass, wenn mehr Menschen von der Maßnahme profitieren als Menschen von ihr belastet werden, sie dann im Sinne des Utilitarismus als richtig angesehen werden muss. Bentham nennt dies an anderer Stelle das happiness-numeration principle und bezeichnet es als das Prinzip, das die Idee des Utilitarismus näher spezifiziert: "In the formation of such a work, the sole proper all comprehensive end should be the greatest happiness of the whole community, governors and governed together, - the greatest-happiness principle should be the fundamental principle. The next specific principle is the happinessnumeration principle. Rule: In case of collision and contest, happiness of each party being equal, prefer the happiness of the greater to that of the lesser number." 112

Wenn man nur die Regel und damit den zweiten Satz betrachtet, so muss der Eindruck entstehen, dass Bentham sich eindeutig auf die platte Vorschrift festlegt, dass im Kollisionsfall das Glück der Wenigen hinter dem der Vielen zurückstehen muss. Und in der Tat fordert er genau das. Jedoch wird dies im Anschluss an ein spezifisch politisches Verhältnis, dem von Regierten und Regierenden gefordert, was hier sagen könnte, dass wenn es um den gesamten politischen Zusammenhang geht, dass eben dann, wenn die Regierenden ihr persönliches Glück nur auf Kosten des allgemeineren Glücks der Regierten gewinnen können, der Vorzug eindeutig den Ansprüchen der Bevölkerung gebührt. Wir werden noch sehen, dass bei einem erheblichen Teil der von Bentham in diese Richtung vorgebrachten Ausführungen immer der institutionelle Kontext einer monarchischen bzw. aristokratischen Interessendurchsetzung gegen den Rest der Bevölkerung mitgedacht werden muss. Ein anderer wichtiger Gedanke ist, dass die Formulierung, die verlangt, dass das Glück der Vielen dem der Wenigen vorzuziehen ist, im Kontext der Theorie der Strafe eine zentrale Rolle spielt. Das ist deshalb wichtig, weil bei einem Glückskalkül in diesem Kontext auf der Basis der Annahmen der exegetischen Ethik natürlich auch das Glück des Verbrechers mit in das Kalkül einfließen muss. Das ist zwar in diesem Fall nicht das allein entscheidende Moment dafür, dass der Lustgewinn des Übeltäters niedriger veranschlagt wird als das Leid der Opfer, es spielt aber insofern eine Rolle, weil Strafe die Glückschancen des Delinquenten natürlich maßgeblich verringert. Wenn nämlich ein universales Interesse existiert, so kann es im Sinne von Benthams methodischem Individualismus nur ein Aggregat aller Einzelinteressen sein. Das heißt aber dann, dass man einzelne Interessen als nicht aggregierbar aussortiert, obwohl sie aus der Perspektive des Individuums durchaus vorhanden sind, oder aber, dass man der damit verbundenen Freude einen niedrigeren Stellenwert zubilligt als dem entstehenden Schaden. Gäbe es nämlich nur die Perspektive des Täters, so könnte man beispielsweise das

111 112

Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 40. Pannomial Fragments, Works, III, S. 211.

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Verbrechen nur aus asketizistischen Gründen bestrafen.113 Das bedeutet aber, dass das Glück aller schon deshalb nicht immer möglich ist, weil man unter politischen Normalbedingungen davon ausgehen muss, dass es prinzipiell widersprüchliche Interessen gibt. Daraus folgt dann aber, dass die Freude des einen das Leiden des anderen ausmachen kann und daher das genuin politische Ziel notwendig eine Maximierung des Glücks und eine Minimierung des Leidens sein muss: "If the nature of the case admitted of any such result, the endeavour of this constitution would be - on each occasion to maximize the felicity of every one of the individuals, of whose interests the universal interest is composed; on which supposition, the greatest happiness of all, not of the greatest number only, would be the end aimed at. But such universality is not possible. For neither is in the augmentation given to the gross amount of felicity, can all the individuals in question ever be included; nor can the infelicity, in which the expense consists, be so disposed of, as to be borne in equal amount by all: in particular, such part of the same expense, as consists in the suffering produced by punishment."UA

Daraus ergibt sich, dass nie absolut alle am verteilten Glück werden partizipieren können; manche werden stärker andere weniger stark profitieren. Auch werden die Lasten nie absolut gleich verteilbar sein, was wiederum dazu fuhren kann, dass Einzelne allein auf ihr Glück verzichten müssen bzw. stärker durch die Kosten der Glücksvermehrung betroffen sind. Wir werden sehen müssen, wie Bentham sich eine solche ungleichgewichtige Verteilung der Glückschancen und Lasten genauer vorstellt und welche Regeln verhindern sollen, dass aus dem größtmöglichen Glück der Vielen das größtmögliche Unglück der wenigen wird. Außerdem machen Antipathie und die prinzipielle Opposition der Interessen die andere Seite der evolutionären Konvergenz von Interessen und dem Wachstum der Sympathie aus.115 Es kann zwar in vielen Fällen eine falsche Opposition zwischen den Interessen durch den Deontologen aufgeklärt werden und die Fähigkeit zur Wahrnehmung 113

"It is only upon that principle, and not from the principle of utility, that the most abominable pleasure which the vilest of malefactors ever reaped from his crime would be to be reprobated, if it stood alone. The case is, that it never does stand alone; but it is necessarily followed by such a quantity of pain [...] that the pleasure in comparison of it, is as nothing: and this is the true and sole, but perfectly sufficient, reason for making it a ground for punishment." An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 18.

114

Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 269. "The preparation in the human bosom for antipathy towards other men is, under all circumstances, most unhappily copious and active. The boundless rage of human desire, and the very limited number of objects adapted to satisfy them, unavoidably leads a man to consider those with whom he is obliged to share such objects, as inconvenient rivals who narrow his own extent of enjoyment. Besides, human beings are the most powerful instruments of production and therefore every one becomes anxious to employ the services of his fellows in multiplying his own comforts. Hence the intense and universal thirst for power; the equal prevalent hatred of subjection. Each man therefore meets with an obstinate resistance to his own will, and is obliged to make an equally constant opposition to that of others, and this naturally engenders antipathy towards the beings who thus baffle and contravene his wishes." An Analysis of the Influence of Natural Religion, S. 75. Hier wird deutlich, wie sich Macht über die "services" in Glückschancen übersetzen lässt.

115

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der Interdependenz des individuellen und allgemeinen Glücks wächst ständig.116 Jedoch reicht all dies nicht hin, um unter den Bedingungen knapper Güter und selbstinteressierter Menschen eine immer vorhandene Neigung zur Bevorzugung des eigenen Glücks auf Kosten anderer verschwinden zu lassen.117 Das wiederum bedeutet aber, dass eine politische Theorie der Maximierung des Glücks keinesfalls auf ein Verschwinden der Interessengegensätze setzen kann, es sei denn, sie wäre eine utopische Konstruktion, die die menschliche Natur vollkommen außer Acht lässt. Für eine optimistische Einschätzung im Bereich der Politik ist eine vollkommene Übereinstimmung zwischen den partikularen und dem allgemeinen Interesse auch gar nicht nötig. Es reicht für die Verbesserung der menschlichen Dinge mit menschlichen Mitteln vollkommen hin, wenn die Verbindung von individuellen Interessen und allgemeinem Interesse nicht unmöglich ist.118 Benthams Vorstellung von einem glücklichen Gemeinwesen ist die eines gepflegten epikureischen Gartens, dessen Gärtner aber nicht ein Privatmann ist, sondern ein kluger Gesetzgeber, der den menschlichen Stärken und Schwächen voll Rechnung trägt.119 Es handelt sich um einen Garten, der dringend der Pflege bedarf, da er sonst von Unkraut überwuchert wird. Die Pflege des Gartens ist die eigentliche Aufgabe der Politik, das Politische mithin trotz aller evolutionären Perspektiven ein fundamentaler Bestandteil der menschlichen Lebenspraxis, der, da sich die menschliche Natur mit aller Wahrscheinlichkeit nicht vollkommen ändern lässt, nur um den Preis der Inhumanität aus der Welt geschafft werden könnte.120 116

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Man muss klar zwischen einer unaufhebbaren und einer aufhebbaren Opposition der Interessen unterscheiden. Konkurrenz um knappe Güter wird es immer geben, solange die Erde nicht neu erschaffen wird. Aber Hass wegen politischer bzw. religiöser Vorurteile kann weitestgehend aus der Welt geschafft werden. Vgl. Principles of Penal Law, Works, I, S. 562. Der Aufweis bereits bestehender Konvergenz ist die eine Sache, die Erzeugung neuer Konvergenz der Interessen die andere. Letzteres kann nur die Politik: "To point out this coincidence where it exists, and so far as it exists, is [...] all that can be done by any individual teacher acting as such. To give any encreased extent to that coincidence belongs only to him who for that purpose has been furnished with the powers of government: in which case any instruction that comes to be given belongs to the head, not of private, but of political deontology." Deontology, S. 197. Diese Möglichkeit wird mit eindeutigem Bezug zur Differenz Regierte/Regierende diskutiert und mit Überlegungen zu institutionellen Arrangements verbunden. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 245. "It is only by making use of the interests, the affections, and the passions that the legislator, who labors for the service of mankind can effect his purposes. Those interests, acting in the capacity of motives, may be of the self-regarding class, or the dissocial, or the social. Social motives the legislator will, wherever he finds them already in action, not only utilize but cherish and cultivate. As for the self-regarding and dissocial, although his study will be rather to restrain than to encourage them, he will at any rate, wherever he sees them already in action or likely to come into action, use his best endeavors to direct their influence, with whatever force he can muster, to his own social purposes." Handbook of Political Fallacies, S. 226. Damit wird der immer wieder vorgetragenen Überlegung widersprochen, Bentham habe versucht das Politische durch eine perfekte Bürokratie zu ersetzen. Vgl. hierzu recht einfach Letwin, Shirley R., The Pursuit of Certainty, Cambridge 1965, S. 187 f., auf hohem Niveau mit der Beziehung zu Webers Diagnose Hume, L.J., Bentham and Bureaucracy, Cambridge 1981, passim. Hume

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"Every thing beyond this is chimerical. Perfect happiness belongs to the imaginary regions of philosophy, and must be classed with the universal elixir and the philosopher's stone. In the age of greatest perfection, fire will burn, tempests will rage, man will be subject to infirmity, to accidents, and to death. It may be possible to diminish the influence of, but not to destroy, the sad and mischievous passions. The unequal gifts of nature and of fortune will always create jealousies: there will always be opposition of interests; and consequently, rivalries and hatred. Pleasures will be purchased by pains; enjoyments by privations. Painful labour, daily subjection, a condition nearly allied to indigence, will always be the lot of numbers. Among the higher as well as the lower classes, there will be desires which cannot be satisfied; inclinations which must be subdued: reciprocal security can only be established by the forcible renunciation by each one, of every thing which might wound the legitimate rights of others. If we suppose, therefore, the most reasonable laws, constraint will be their basis: but the most salutary constraint in its distant effect is always an evil, is always painful in its immediate operation. [...] This faithful picture, the result of facts, is more worthy of regard, then the deceptive exaggerations which excite our hopes for a moment, and then precipitate us into discouragement, as if we had deceived us in hoping for happiness. Let us seek only for what is attainable·, it presents a career sufficiently vast for genius; sufficiently difficult for the exercise of the greatest virtues. We shall never make the world the abode of perfect happiness: when we shall have accomplished all that can be done, this paradise will yet be, according to the Asiatic idea, only a garden·, but this garden will be a most delightful abode, compared with the savage forest in which men have so long wandered." 121 D e r "Naturzustand" e i n e s w i l d e n W a l d e s wird ersetzt durch e i n e n p f l e g e b e d ü r f t i g e n Garten, in d e m d i e m e n s c h l i c h e n E i g e n s c h a f t e n nicht a b g e s c h a f f t , sondern b e s t e n f a l l s kultiviert w o r d e n sind. W i r b e f i n d e n uns dann z w a r nicht in e i n e m Paradies, in d e m alle g l e i c h m ä ß i g und o h n e A n s t r e n g u n g g l ü c k l i c h sind, v i e l m e h r m u s s das j e e i g e n e G l ü c k durch V e r z i c h t erkauft w e r d e n und auch das der G e m e i n s c h a f t ist nur i m T a u s c h g e g e n K o s t e n und L a s t e n erreichbar. Z u g l e i c h aber ist der W e g v o m W a l d in den Garten ein W e g v o n d e m , w a s ist, w i e s i c h B e n t h a m ausdrückt, z u d e m , w a s sein soll. W e n n n ä m lich das aktuelle Ziel e i n e s j e d e n Individuums sein e i g e n e s G l ü c k ist und e s d i e s bei allen s y m p a t h e t i s c h e n Ü b e r s c h n e i d u n g e n auch i m m e r bleibt, s o findet erst in der Politik der e i g e n t l i c h e Ü b e r g a n g z u m a n g e m e s s e n e n Ziel des H a n d e l n s , d e m G l ü c k der V i e l e n wirklich statt. 1 2 2 D a s liegt einmal an d e n unterschiedlichen verfugbaren Mitteln der M o ral und der Politik, die v o m S e i n z u m S o l l e n fuhren bei einer g l e i c h z e i t i g identischen G r u n d l a g e i m Utilitarismus, 1 2 3 e s liegt aber z u m anderen auch in der g e n u i n e n Struktur d e s G l ü c k s . G l ü c k ist das ungestörte und g e l e g e n t l i c h s y m p a t h e t i s c h e G e n i e ß e n v o n Freude, deren z u v e r l ä s s i g e V e r t e i l u n g nur über politische M e c h a n i s m e n ausgehandelt

sieht vollkommen richtig, dass Benthams Theorie der Regierung "bürokratischer" ist als alles, was das 18. Jahrhundert sonst zu bieten hatte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Forderung nach Effizienz und Kontrolle ein bürokratischer Angriff auf die Politik ist oder bloß Mittel der Politik in einer Zeit, in der sich Verwaltungsinstitutionen erst zu bilden beginnen. Zur Feststellung, dass keine denkbare Reform die Natur des Menschen zu verändern vermag vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 219. 121 122

123

Of the Influence of Time and Place in the Matters of Legislation, Works, I, S. 194. "According to utility, proper end: greatest happiness of greatest number. Actual end: each man's own." A Table of the Springs of Action, S. 37. Vgl. ebd., S. 62 f.

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werden kann, da sie nicht ohne Kosten, die das Individuum in manchen Fällen nicht allein tragen kann, auskommt. Es ist also die Seite der Kosten, die - anders als dies bei den rein selbstbezogenen Handlungen sich darstellt - das "greatest happiness principle" so fundamental politisieren. Bevor wir uns die Folgen dieser Überlegung genauer vorlegen, muss allerdings das noch immer offene Problem einer Maximierung des Unglücks der Wenigen zu Gunsten der Maximierung des Glücks der Vielen behandelt werden.

4.1.6.

Leitprinzip politischen Glücks : Kompensation und Nicht-Enttäuschung

Es überrascht, dass Bentham an vergleichsweise wenigen Stellen seines doch so umfangreichen Werkes auf die Problematik einer möglichen zynischen Fehldeutung des "greatest happiness principle" eingeht. Fast hat es den Anschein, als wäre es für ihn nahezu ausgeschlossen, dass das Glück der Vielen, sieht man von wenigen bestimmten Ausnahmekonstellationen ab, durch das Unglück der Wenigen oder gar eines Einzelnen erkauft werden könnte. Bentham scheint diese Vorstellung, so soll hier argumentiert werden, in der Tat so absurd, dass er sie nur gelegentlich diskutiert und dabei dann seine Argumentation nicht einmal ganz ausführt. Dies ist nur dann plausibel und erscheint nicht als kapitaler Fehler seines politischen Denkens, wenn man zeigen kann, dass er eine Reihe von subsidiären Argumenten zum "greatest happiness principle" im Auge hat, die ihm so selbstverständlich sind, dass er sie zwar oft in anderen Kontexten anfuhrt, es aber versäumt, ihre systematische Relevanz herauszustellen. Betrachtet man eine der wenigen eigenen Überlegungen Benthams zum angesprochenen Problem, so findet sich eine eher selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Topos von der größten Zahl, wenn er ausfuhrt, dass dies ein nur scheinbar klarer Ausdruck sei, der eine fundamentale Tatsache des Pain-und-pleasure-Kalküls vollkommen außer Acht lasse: "Greatest happiness of the greatest number. Some years have now elapsed since, upon a closer scrutiny, reason, altogether incontestable, was found for discarding this appendage. On the surface additional clearness and correctness [was] given to the idea: at the bottom the opposite qualities. Be the community in question what it may, divide it into two unequal parts, call one of them the majority, the other the minority, lay out of the account the feelings of the minority, include in the account no feelings but those of the majority, the result you will find is that to the aggregate stock of the happiness of the community, loss, not profit, is the result of the operation."124

Angesichts dieser selbstkritischen Würdigung des doch scheinbar so eindeutigen Prinzips der größeren Zahl wird klar, wie Bentham es auf keinem Fall verstanden haben wollte. Man kann geradezu sein Unbehagen zwischen den Zeilen spüren, wenn er sich dazu zwingt, die ihm absurd scheinenden Konsequenzen einer immerhin möglichen Verdrehung des Prinzips über ihre Konsequenzen zu erläutern. Er führt aus, dass man 124

Artide on Utilitarianism, S. 309.

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bei einer solchen verqueren Interpretation einen Teil der Gemeinschaft in absolute Sklaverei versetzen könnte, nur um der verbleibenden Mehrheit eine minimale Besserstellung zu ermöglichen. Auf die rhetorische Frage, ob solch ein Vorgehen denn wirklich das Glück der Gemeinschaft vergrößern würde, lautet die Antwort: "The question answers itself." 125 Die tragende Selbstverständlichkeit, das implizite Axiom gleichsam, auf dem die Überzeugung aufbaut, dass eine Schlechterstellung der Minderheit zu Gunsten der Mehrheit kein dem "greatest happiness principle" angemessenes Vorgehen ist, wird uns allerdings an der einschlägigen Stelle auch genannt. Sie besteht im Wesentlichen in der These, dass das Leid und der Schmerz eines Glücksverlustes prinzipiell immer schwerer wiegen als der diesem Verlust entsprechende Gewinn. 126 Glück, das durch Leiden erkauft ist, braucht eine erhöhte Rechtfertigung. Im Fall der Strafe beispielsweise ist diese Rechtfertigung mehrstufig. Sie baut auf der Tatsache auf, dass der Täter selbst das Gleichgewicht des Glücks durcheinander gebracht hat und zugleich, weit gewichtiger, dass es zur Abwendung größerer Schäden nötig ist, das falsche Verhalten mit Sanktionen zu belegen. 127 Betrachtet man die These von der dominierenden Wertigkeit des Verlustes etwas genauer, so wird ein durchaus konservativer Zug in Benthams politischem Denken überdeutlich, der zusammen mit seinem Respekt vor dem Individuum einen der tragenden Pfeiler seines Utilitarismus modelliert. Der angesprochene konservative Grundzug, den der Reformer Bentham sozusagen in sich selbst immer wieder argumentativ außer Kraft setzen musste, geht von der Annahme aus, dass jede Veränderung an einem bestehenden Zustand der Verteilung von Glückschancen zunächst ein Übel darstellt. Bezieht man nämlich die anthropologische Grundstruktur eines auf sein Glück bedachten menschlichen Wesens mit in die Überlegungen ein, so ergibt sich, dass die "pain of loss" desjenigen, der einen Verlust erleidet deswegen schlimmer ist, als jede dem Verlust zunächst korrespondierende Freude desjenigen, der gewinnt, weil die Erwartungsstruktur der Betroffenen unterschiedlich ist. Erwartung, Enttäuschung und zu deren Verhinderung Entschädigung sind neben dem "greatest happiness principle" die entscheidenden Komponenten von Jeremy Benthams politischem Denken. Erst mit dem "disappointment-prevention principle" zusammen entfaltet das zentrale Gebot der Utilität seine volle politische Bedeutung. 128 125 126

127 128

Ebd., S. 310. "Take from your 2 0 0 0 and give to your 2001 all the happiness you find your 2 0 0 0 in possession of: insert, in the room of the happiness you take out, unhappiness in as large a quantity as the receptacle will contain. To the aggregate amount of the happiness possessed by the 4001 taken together, will the result be net profit? On the contrary, the whole profit will have given place to loss. How so? Because so it is that, such is the nature of the receptacle, the quantity of unhappiness it is capable of containing during any given portion of time is greater than the quantity of happiness." Ebd., S. 310. (Hervorheb. - W.H.) Vgl. auch ebd., S. 287 f. Vgl. auch Radicalism not Dangerous, Works, III, S. 610. Das Phänomen radikalisiert sich, wenn der Verlierende ärmer ist, als der, der gewinnt. Vgl. Letters on Scotch Reform, Works, V, S. 6. Vgl. Codification Proposal, Works, IV, S. 540. Bentham nennt es das "subordinate-principle" des "greatest happiness principle" und behauptet, dass es den Kern der Gerechtigkeitsvorstellung des bürgerlichen Rechts reformuliert. Sein systematischer Status wird wie folgt beschrieben: "Undenominated as yet, though so extensively

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201

Da nämlich das menschliche Wesen im Unterschied zum Tier seinen gegenwärtigen Zustand auf eine mögliche Zukunft hin hoch rechnet und dabei bestimmte Glückschancen in die Überlegungen mit einbezieht, ist die grundlegende Fähigkeit von in die Zukunft hineinverlängerter Genusserwartungen ein fundamentales Faktum, das Recht und Politik mit in ihre gesellschaftsgestaltenden Aktivitäten einbeziehen muss. Es ist daher die zentrale Aufgabe des Rechts und aller Politik, diese quasi-natürlichen Erwartungen tematischer Status wird wie folgt beschrieben: "Undenominated as yet, though so extensively acted upon, is this alike unobjectionable principle. Call it the Disapointment-prevention principle." Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 342. Das Prinzip erstreckt sich dann aber auch voll über den strafenden Bereich des Rechts, auch wenn Bentham es hier noch auf das bürgerliche Recht beschränkt sieht. Vgl. Fn. a, ebd. Während in der Introduction to the Principles of Morals and Legislation Kompensation noch eine unter vielen Zielbestimmungen des Strafrechts ist (vgl. ebd., S. 182) und die Befriedigung der Opfer, die den Täter leiden sehen, bestenfalls als "collateral end" zählt, da so mehr Schmerz als Freude erzeugt wird (vgl. ebd., S. 158, Fn. fortlaufend), bestimmt Bentham an anderen Stellen die Befriedigung (satisfaction) aus der Strafe eindeutig als Wiedergutmachung (compensation). Sie wird neben der Prävention zum zweiten Hauptzweck der Strafe, da sich so möglichst weit das Übel der ersten Stufe reparieren lässt und zugleich die Übel der zweiten Ordnung reduziert werden, wenn die Bürger sehen, dass bei begangenem Unrecht das Opfer möglichst weit in den vorherigen Zustand zurück versetzt wird. Vgl. Principles of Penal Law, Works, I, S 371. Außerdem gehört es zu den wichtigen Aufgaben der Politik, die Verhaltenskontrolle durch die rechtliche Strafandrohung so zu steuern, dass möglichst kompensierbare Verbrechen die nichtkompensierbaren verdrängen, wenn schon die Abschaffung des Verbrechens unmöglich ist. Vgl. Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 244. Die Ausweitung der Idee der Kompensation auf alle Rechtsbereiche bzw. Politikbereiche hat einen konkreten rechtspolitischen Hintergrund. Bentham kritisiert immer wieder, dass im englischen Recht derjenige, der kleinere Schäden als Opfer erleiden musste, noch am Ehesten eine Chance auf Wiedergutmachung hat, während z.B. Opfer von Kapitalverbrechen bzw. deren Angehörige keinerlei Hilfe aus den Mitteln des Täters erhalten. Das Vermögen des Verbrechers verfällt in diesen schweren Fällen an die Krone. Vgl. ebd., S. 199; Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 186 f. Sie hat aber auch einen massiven biografischen Hintergrund. Bentham schreibt: "To your Lordship's most humble servant, since he conceived himself to understand what satisfaction meant, nothing but dissatisfaction (he will confess) has ever been afforded by the arrangements thus made with reference to it; and with this feelings, some sixteen years ago, he set to work, [...]. " Zu den Zielen des Strafrechts: "[...], I assumed the liberty [...] of adding to those actually and habitually aimed at, such others, if any, in regard to which it might appear reasonable and desirable that they should be aimed at. But, in regard to this of compensation, as far as my opportunities of observation have extended, and from all I have been able to collect from offices of insurance, courts of justice, and other places, it has appeared to me that, when a loss has been suffered, the receiving back again the amount of it, or so much towards it as may be to be had, is an event pretty general looked upon as a desirable one; [...] those be excepted, at whose expense and to whose loss the matter of compensation was to be fund: [...]." Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 200. Der biografische Hintergrund besteht darin, dass diese Zeilen mitten in einer bitteren Klage Benthams stehen, die sich auf seine Aufwendungen im Kontext des Panopticon-Projektes beziehen. Er spricht von seiner Erwartung, den Plan verwirklicht zu sehen und davon, wie bitter diese enttäuscht worden sei. Bekanntlich wurde er fur diese Aufwendungen durch die parlamentarische Bewilligung einer beträchtlichen Summe entschädigt.

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auf Dauer zu stellen. Das durch den souveränen Staat geschaffene Recht schafft Sicherheit. Die Bedeutung der Sicherheit von begründeten Erwartungen erläutert Bentham am Eigentum: "If industry creates, it is the law which preserves: if at the first moment, we owe every thing to labour, at the second and every succeeding moment, we owe every thing to the law. In order to form a clear idea of the whole extent which ought to be given to the principle of security, it is necessary to consider, that man is not like the brutes, limited to the present time, either in enjoyment or suffering, but that he is susceptible of pleasure and pain by anticipation, and that it is not enough to guard him against an actual loss, but also to guarantee to him, as much as possible, his possessions against future losses. The idea of this security must be prolonged to him through the whole vista that his imagination can measure. This disposition to look forward, which has so marked an influence upon the condition of man, may be called expectation - expectation of the future. It is by means of this, we are enabled to form a general plan of conduct; it is by means of this, that the successive moments which compose the duration of life, are not like insulated and independent points, but become parts of a continuous whole. Expectation is a chain which unites our present and our future existence, and passes beyond ourselves to the generations which follow us. The sensibility of the individual is prolonged through all the links of this chain.'" 2 9

Die Erwartung einer Verlängerung bestehender Besitz- und Lebensverhältnisse stellt offenbar eine zentrale Form der für die Handlungstheorie so gewichtigen Antizipation von "pain" und "pleasure" dar. Verlustängste sind Ängste um eine ausbleibende Erfahrung von glücklichem Genuss und vor der Enttäuschung, die sich aus einer Frustration von Erwartung ergibt. Der dabei entstehende Schmerz wird von Bentham "pain of dissappointed expectation" genannt und rangiert im Vergleich mit anderen leidvollen Erfahrungen ganz oben auf der Intensitätsskala. Das ist aus der "bürgerlichen" Perspektive Benthams deshalb notwendig so, weil die "pain of loss" aus einer stabilen und bestehenden Erwartung hervorgeht, während die Freude des Gewinns auf einer viel instabileren und unsichereren Erwartung aufbaut,130 wenn nicht etwa ein Vertrag oder sonstige Transaktionen einer solchen zu Grunde liegen, d.h. der Betroffene seine Zustimmung gegeben hat.131 Das hier am Beispiel des Eigentums entwickelte Prinzip der verhinderten Enttäuschung wurde Bentham mehr und mehr zu einem Leitprinzip seines politischen Den-

129 130

131

Principles of the Civil Code, Works, I, S. 308. (Hervorheb. - W.H.) Bentham möchte "fixed" und "floating expectations" unterscheiden. Vgl. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 8. "In the case of loss of the possession, he who has the possession would feel a pain of privation or say regret, more acute - than a man of the same turn of mind, whose expectation of obtaining it was no stronger than the possessor's expectation of keeping it, would, in the event of his failing to obtain possession of it. Of so many hundred millions of persons, each of whom, in case of having had possession of the thing and then lost it, would upon the losing of it have felt pain in a certain shape proportioned to the value of the thing, not one feels pain in any shape at the thoughts of not having it: [...]." Pannomial Fragments, Works, III, S. 222. Hier wird außerdem das Gebot der Nicht-Enttäuschung von Erwartungen als zentraler Teil des Prinzips des größten Glücks bezeichnet.

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kens. 132 Wie wir sehen werden, haben Recht und Gesetz faktische Erwartungen zu ihrer Existenzbedingung, während zugleich der kluge Gesetzgeber diese realen Erwartungen im Sinne der Glücksmaximierung handhaben und steuern soll. Hervorragendes Ziel ist angesichts der Tatsache, dass das Glück meist Kosten verursacht, eine Minimierung genau dieser Kosten. 133 Was für die Glückssuche des vereinzelten Individuums gilt, nämlich die Abwägung von Kosten und Nutzen, wird im Maßstab der Gesellschaft auf die Gesamtheit der Mitglieder übertragen. Wo immer es möglich ist, gilt als zentraler Leitsatz, dass Opfer vermieden werden sollen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass sie eben oft unvermeidbar sind. Bentham diskutiert dieses Problem am Beispiel der Rechte, die die Gemeinschaft an den Diensten des Einzelnen hat. 134 Er stellt fest, dass die Allgemeinheit durchaus ein Recht darauf hat, dass ein Individuum für sie etwas leistet. Gleichzeitig muss aber auch die Voraussetzung gelten, dass jedes Mitglied der Gesellschaft das exakt gleiche Recht darauf hat, die geforderten Dienste von einem anderen bzw. allen anderen geleistet zu sehen. Hält man diese beiden Sätze gegeneinander, so befindet man sich in einer aporetischen Konstellation, wie sie etwa das Versprechen der Menschenund Bürgerrechtserklärung bereits nicht angemessen lösen konnte. Die Skala des Nutzens bleibt zwar im Gleichgewicht, wie Bentham es ausdrückt, die Konsequenzen wären aber äußerst schädlich, weil die Gesamtheit so auf jeden Dienst verzichten müsste. Wenn nämlich keine Lasten getragen werden wollen, so wird sich auch keine Verbesserung der Situation herstellen lassen. 135 Eine wirkliche Lösung dieses Problems stellt nur ein Verfahren bereit, bei dem die Lasten möglichst gleichmäßig auf möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden oder aber, wo immer möglich, ein Ausgleich für das betroffene Individuum in Form von Macht, Geld oder Ehre geschaffen wird, die Bentham als Medien einführt, die ebenfalls von der Gesamtgesellschaft bereitgestellt werden. Damit aber nimmt die praktische Umsetzung des "greatest happiness principle", die Bentham als äußerst schwierig und immer korrekturbedürftig darstellt, eine überraschende Wendung. Es geht nun also nicht mehr nur um die möglichst gleichmäßige und vor allem weitreichende Verteilung der Glückschancen, sondern auch der Lasten des Glücks. 136 Wir werden sehen, dass Bentham diese gleichmäßige Verteilung unter dem 132

133

134 135 136

Das "non-dissapointment principle" bezeichnet er auch als das Definitionskriterium der Gerechtigkeit, die ohne dieses gar keinen Sinn hat. Vgl. Equity Dispatch Court Bill, Works, III, S. 388. "But no benefit can have existence but with, and by means of, a correspondent burthen. No profit without loss: without expenditure and expence which is voluntary loss. What remains is, that in quantity and value the benefit - the profit - be as great, the burthen - the loss - the expence - as small as possible." Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 208. Vgl. zum Folgenden The Rationale of Reward, Works, II, S. 207. Das gilt ausnahmslos auch für jede denkbare Reform. Vgl. Handbook of Political Fallacies, S. 95. Das heißt, dass das "greatest happiness principle" nur eine "Abkürzung" darstellt für die zwei untrennbar zusammenhängenden Vorstellungen: 1. Sorge dafür, dass die Mittel des Glücks die größtmögliche Reichweite erlangen. 2. Sorge dafür, dass die Kosten für eben dieses Glück, unter Berücksichtigung des abnehmenden Grenznutzens, so breit verteilt werden, dass sie möglichst keiner spürt. Vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 229 und Codification Proposals, Works, IV, S. 540. Siehe auch die folgenden Ausführungen zum Verhältnis von "security" und "equality"

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Aspekt der Leistungsfähigkeit der Menschen noch modifiziert. Hier jedoch muss zunächst festgestellt werden, dass seine Argumentation eine eindeutige Barriere gegen die Vorstellung aufbaut, der Einzelne oder eine Minderheit könnten in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Utilitarismus geopfert werden, wenn immer es der Mehrheit nutzt. Sein methodischer Individualismus, für den die Gesellschaft eine diskursiv erzeugte Fiktion darstellt, schlägt um in einen praktischen Individualismus, der zwar keine geheiligten ewigen Rechte des Individuums kennt, da diese praktisch irrelevant und nicht rechtfertigbar sind, weil es eben immer zu Opfern kommen muss, wenn die Gemeinschaft, und das sind eben alle, inklusive des betroffenen Menschen, existieren soll, der aber trotzdem einen fundamentalen Respekt vor dem Einzelnen verlangt.137 Nur das Individuum ist der Adressat des Glücks, nur Individuen leiden und empfinden Freude und es ist zweifellos so, dass es auch die Individuen sind, die dem Prinzip des Glücks für alle in einem freien Diskurs zustimmen können. Bentham bringt diese Aspekte zusammen und formuliert in wünschenswerter Deutlichkeit: "The interest of individuals, it is said, must give way to the public interest. But what does this mean? Is not one individual as much a part of the public as any other? This public interest, which is thus personified, is only an abstract term; it only represents the aggregate of individual interests: they must all be taken into the account, instead of considering a part as the whole, and the rest as nothing. If it were proper to sacrifice the fortune of one individual to augment that of the others, it would be still more desirable to sacrifice a second and a third, and so on to any greater number, without the possibility of assigning limits to the operation; since whatever number may have been sacrificed, there still remains the same reason for adding one more. In a word, the interest of the first is sacred, or the interest of no one can be so. The interests of individuals are the only real interests. Take care of individuals; - never molest them - never suffer them to be molested, and you have done enough for the public." 138

Wenn nämlich die Individuen in einem öffentlichen Diskurs dem Prinzip der Glücksoptimierung zwar zustimmen könnten, so würden sie kaum dazu bereit sein, einem hier angedeuteten Prinzip des Opfers einzelner für die anderen zuzustimmen. Solch eine Deutung des "greatest happiness principle" würde seinen eigentlichen Sinn in sein Gegenteil verdrehen und die Balance eindeutig in Richtung des Unglücks ausschlagen lassen. Bentham geht gelegentlich so weit, dass er sogar das Leiden, dass ein Einzelner bei Verlust empfindet höher einschätzt als alles mögliche Glück für die anderen, das daraus hervorgehen könnte.139

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Selbst Millionen bestehen aus Individuen und allein diese sind auch innovationsfähig. Vgl. Essay on Political Tactics, Works, II, S. 347. The Rationale of Reward, Works, II, S. 252; vgl. auch Principles of the Civil Code, Works, I, S. 321. Wenn es wirklich eine "second rule" fur Benthams Denken gibt, dann ist das das "nondisappointment principle", das die Voraussetzung für die (tertiäre) Regel darstellt, jeder habe als einer zu zählen. Nur wenn der Verlust des einen mehr wiegen kann, wie der Gewinn der vielen, dann macht das Sinn. Vgl. Smith, Constance I., Bentham's Second Rule, in: Journal of the History of Ideas, XXXI/1970, S. 462-463. "Note, that - by striking out any individual, in whose instance fixed expectation, either of continuance in possession, or of acquisition of possession, has place, - nothing is gained, upon the whole, by the community of which he forms a part. Not more is the community thus benefited, -

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Bezieht man diese Position auf unser eingangs dieses Abschnitts traktiertes Problem, so wird deutlich, dass Benthams politisches Denken ohne seine Theorie der Kompensation und mit alleiniger Berücksichtigung des Prinzips des größten Glücks bestenfalls halb verstanden ist. Das Postulat der Glücksvermehrung bzw. des Erhalts von Glück durch die Abwehr drohenden Leidens gründet nämlich ganz eindeutig in der Vorstellung, dass das grundsätzlich glücksorientierte Leben der Individuen geschützt werden soll und ihnen der Raum für ihre Glückssuche von schädlichen Einflüssen frei gehalten werden soll. Weil Menschen ein freudiges und grundsätzlich positives Leben erwarten, schaffen sie Moral und insbesondere das Recht, damit sie ein solches Leben sicher fuhren können. Bentham sieht also, wenn man von ganz wenigen Ausnahmesituationen absieht,140 keinesfalls vor, dass das Individuum oder eine Minderheit dem Glück der Mehrheit geopfert werden sollen. Ganz im Gegenteil: Der Schutz der individuellen Interessen und die Bewahrung bestehender Verhältnisse macht eine leitende Perspektive seines Denkens aus. Es ist diese Perspektive, die aus Bentham im eigentlichen Sinn einen Reformer und nicht einen Revolutionär gemacht hat,141 der selbst in der radikalsten Phase seiner Agitation fur einen Umbau der englischen Ordnung, immer noch an der Überzeugung fest hält, dass demjenigen, dem etwas weggenommen werden soll, irgendein Ersatz geboten werden, oder doch zumindest der Verlust möglichst weit gemildert werden soll.

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than, by the removal of a weight from one side of a ship to another, the ship is lightened." Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 8. Wird so ein Fall doch in Erwägung gezogen, dann handelt es sich um ein Beispiel aus einer längst vergangenen Zeit. Bentham diskutiert das individuelle Opfer an Hand der Geschichte Jephtas, der das Opfer des ersten Lebewesens beschworen hatte, das ihm bei der Heimkunft begegnen würde, wenn er im Kampf gegen die Feinde siegreich sein sollte. Abweichend von aller Gewohnheit begrüßte ihn seine Tochter und wurde getötet. Benthams Rekonstruktion dieser von ihm archetypisierend eingeführten Geschichte geht dahin, dass es sich im Kern bei dieser biblischen Episode um die Begrenzung der Macht des Königs durch die Priesterkaste gehandelt habe. Beides sei zwar an sich schlecht, despotische Königsmacht und die Macht von Priestern, in diesem Fall müsse man die Dinge aber im Kontext sehen: "The time was a time of war - a time during which, the earlier and less experienced the state of society is, the less distinctly does the authority of a commander-in-chief differ from a despotism. In this state of things, the authority of Jephta, did it stand in need of a check? The sort of check which the priesthood were able and disposed to apply, was it upon the whole a salutary one? Both questions determined in the affirmative, the price for the keeping of this check in order and repair - that price, great as it was, was not perhaps too great. One individual - the father afflicted: another individual - the daughter sent out of the reach of affliction; - what are these evils, in comparison of those of a course of unbridled and tyrannically exercised despotism, or of civil war, its desperate and perhaps still more afflictive remedy?" Swear not at all, Works, V, S. 223. (Hervorheb. - W.H.) Bentham betont, dass es sich um eine rein hypothetische Diskussion handelt. Daher verficht er auch genau die Einstellung, die ihm selbst später in seinen radikalen Schriften zum Stein des Anstoßes wird gegen den Radikalismus der Französischen Revolution und vertritt hier den Gradualismus als politischen Königsweg. Vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 533.

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Damit haben wir bereits einen der zentralen Bereiche berührt, in denen das Prinzip der Nicht-Enttäuschung bzw. Kompensation in Benthams politischem Denken auf praktische Folgen hin angelegt ist. Neben dem angesprochenen Bereich der Kompensation von Verlusten bei Reformen, bei denen die Amtsinhaber bzw. Profiteure entschädigt bzw. schonend behandelt werden sollen, spielt die Idee der Kompensation in zumindest einem weiteren praktischen Kontext eine entscheidende Rolle: bei Benthams durchgängiger Ablehnung der Todesstrafe. Prinzipiell kann man sagen, dass die Idee eines innerweltlichen Ausgleichs, die gegen jede Vorstellung einer jenseitigen Belohnung oder aber Bestrafung des menschlichen Tuns eintritt, eine der Leitideen seines gesamten Denkens ist. Der Grundsatz, dem das menschliche Handeln nach dem Utilitarismus seiner Meinung nach folgen muss, lautet hierbei: "Everything which can be repaired is nothing,"142 Wenden wir uns zunächst seiner Behandlung des Kompensationsideals im Kontext der Reformpolitik zu, so lassen sich zwei geradezu antagonistische Strömungen in seiner Argumentation erkennen. Bentham hat immer und überall in seinem Werk die These vertreten, dass unter den bestehenden Bedingungen die Wenigen die Vielen ausbeuten, und dass es das wichtigste Ziel seiner Arbeit sei, genau diese Ausbeutung zu beenden. Schon der vorradikale Bentham verwendet das "greatest happiness principle" im Fragment on Government mit dieser Stoßrichtung, wenn auch hier die Rolle der bösen Buben noch allein den Juristen vorbehalten ist und der Autor davon ausgeht, dass die eigentlichen Herrscher durchaus das Wohl der Bevölkerung im Auge haben. Später hat sich das dann bekanntlich in einen Feldzug gegen die Reichen und Herrschenden gewendet, die sich auf Kosten der Machtlosen und Armen bereichern. Bentham wurde aber, wie wir im nächsten Abschnitt bei einer Darstellung des Verhältnisses von "security" und "equality" sehen werden, trotz seiner im Kern bereits wohlfahrtsstaatlichen Überlegungen nie ein radikaler "Neuverteiler" der bestehenden Glückschancen. Mit den zwei antagonistischen Strömungen seiner Argumentation ist eher gemeint, dass er einerseits immer wieder darauf hinweist, dass durch die Reformen einige zu Gunsten der überwältigenden Mehrzahl der Bevölkerung ihre (unberechtigt) privilegierte Stellung und damit auch ihre erheblichen schmarotzerhaften Einkünfte verlieren werden.143 Es wird nie möglich sein, und hier spielt dann das "happiness-numeration principle" seine genuin politische Rolle, das bestehende Institutionengefuge zu verändern und zugleich ohne alle Opfer auszukommen.144 Wer, so sieht er es in diesen Zusammenhängen, für eine gradualistische Vorgehensweise plädiert und dafür eintritt, dass man die Veränderungen so vornehmen soll, dass sie keine zu großen Opfer verlangen, der ist letztlich ein

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Principles of the Penal Law, Works, I, S. 579. Der drohende Verlust ist aus diesem Blickwinkel der Verlust von unrechtmäßiger Macht und erpresstem Geld. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 448. In diesem Zusammenhang wird klar, wie konkret das "greatest happiness principle" auf die zeitgenössische Situation bezogen gemeint war und wie eindeutig die größere Zahl als die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (subject many) und die kleinere Zahl als die verschwindend wenigen Herrschenden (ruling few) verstanden werden müssen. Das Prinzip ist genuin politisch zentriert und meint implizit die Umkehrung einer nicht rechtfertigbaren Verteilung von Glückschancen immer mit. Vgl. Equity Dispatch Court Proposal, Works, III, S. 301.

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Feind der Neuerung und Verbesserung.145 Dahinter steht jedoch nicht der durchaus nachvollziehbare Wunsch nach einer Entschädigung, sondern vielmehr die Ablehnung jeder Reform. Denn selbst mit einer beträchtlichen Entschädigung kann man nie den Goldesel der Herrschenden ersetzen, sind die gegenwärtigen Ausbeuter doch in der geradezu paradiesischen Situation, ihre Einkünfte im System der Gebühren und Steuern mehr oder weniger beliebig selbst festlegen zu können.146 Ausbeutung als Ausbeutung ist, nimmt man diesen Standpunkt ein, nicht kompensierbar. Den hier rekonstruierten Argumenten steht die zweite Position Benthams entgegen, die selbst in der ungerechtesten Verteilung von Macht und Geld noch ein grundlegendes Moment von Erwartungen sehen möchte, die es nicht zu enttäuschen gilt. Dabei mag die praktisch politische Einsicht eine nicht unwesentliche Rolle spielen, dass gewaltsame Reformen meist erfolglos sind,147 da sie gegen sich zu viele und zu starke Interessen mobilisieren und es sinnvoll ist denjenigen, die verlieren werden, "goldene Brücken" zu bauen, da das die Erfolgsaussichten für Verbesserungen steigert.148 Heraus kommt dabei eine Politik des "allen Wohl und niemand Wehe" und ein Gradualismus, der selbst noch in den radikalen Schriften immer wieder aufscheint,149 und der, wie wir sehen 145

"Accordingly, as, to the ruling few, abuse in every shape is profit - having been created and preserved by them for that purpose, - that which, in regard to removal of every part of that same abuse - in other words, in regard to reform in every shape, - they insist upon is - that it shall be gradual. A man of this stamp is as fond of reform as you or any body, only it must be gradual. [...] Fellow-citizens! As often as you meet with a man holding to you this language, say to him 'Sir, we have our dictionary: what you are saying we perfectly understand: done gradually means left undone - left undone for ever, if possible; if not, every part of it for as long as possible.'" Bentham to his Fellow-citizens of France, Works, IV, S. 423. Zur gleichen Perspektive als "fancies of delay" vgl. Handbook of Political Fallacies, S. 123 ff.

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Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 99. "[...]: reform the world by force, you might as well reform the moon, and the design is fit only for lunatics." Emancipate Your Colonies, Works, IV, S. 416. Bentham will auch die Interessen derer berücksichtigt sehen, die indirekt mit den Interessen der Funktionäre verbunden sind (Familie, Bedienstete usw.), die ihr Amt verlieren sollen. Der Prozess der Umstellung soll hier wesentlich über die Mechanismen des Ausgleichens von manifesten und des Steuerns von latenten Erwartungen laufen. Vgl. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 36. Vgl Handbook of Political Fallacies, S. 58 f. und Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 441. Im Plan argumentiert Bentham allerdings sehr sophistisch: "Extinguish monarchy? - suppress, extirpate the peerage? - Oh, no I indeed: nothing would I extinguish; nothing would I extirpate: uti possidetis - that which you have, continue to have - and God bless you with it: this, in all matters of reform - this, in so far as is not inconsistent with the very essence of reform, is and so long as I have had any, has ever been - with me a ruling principle. Leaving with all my heart, the full benefit of it to monarchy and aristocraty - to the ruling few, my aim, my whishes, confine themselves to the securing, if it be possible, a participation in the same benefit to democracy - to the subject-many - to the poor suffering and starving people." Diese Stelle will diejenigen in Sicherheit wiegen, denen es eigentlich an den Kragen gehen muss. Bentham wollte die Monarchie und die Peerage abschaffen, daran lässt er sonst in seinen radikalen Schriften so gut wie nie einen Zweifel. Außerdem erweckt er hier den Eindruck, dass Monarchie und Aristokratie eine art "property" seien, was so natürlich nicht stimmt und wenige Zeilen später zurückgenom-

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konnten, eine theoretische Entsprechung im "non-disappointment principle" hat. Der Grund hierfür liegt darin, dass dieses Prinzip wirklich ein Fundament seines politischen Denkens ausmacht, da es für ihn der unverzichtbare Anker des Eigentumsrechts ist150 und so gesehen immer dann, wenn jemandem, der etwas hat, dieses etwas genommen wird, die Grundlagen des Eigentums verletzt wird. "Now as to disappointment. Of an occurrence from which expectation of benefit in any shape experiences disappointment, pain, in some degree or other, is a constantly attached consequence: in the exclusion put upon this pain may be seen the sole but perfectly sufficient immediate reason for giving to every man whatsoever is deemed his own, instead of suffering another to get or keep possession of it." 151

Dazu muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass mit Bentham die Verletzung eines jeden individuellen Interesses Anspruch auf die Berücksichtigung durch den Gesetzgeber hat. Das gilt für den Verbrecher und in noch viel stärkerem Maße für den besitzenden Bür-

men wird, wo er klar macht, dass es sich bei diesen Positionen um Ausformungen des politischen "trust" handelt. Der politische "trust" ist aber kein Besitz. Darüber hinaus scheint es hier so, als wäre ein kostenfreier Umbau der politischen Ordnung zu Gunsten der Demokratie möglich. Was schon allein auf Grund seines eigenen Grundsatzes, dass jede Veränderung der bestehenden Glücksverteilung Kosten verursacht, die, so darf man mit vollem Recht ergänzen, eben nie ganz kompensiert werden können, nicht stimmt. Wichtig für unseren Zusammenhang ist die zitierte Passage, weil das Ideal der Kontinuität der Besitz-Bestände als ein dauerndes Prinzip seines Denkens erwähnt wird und das insofern stimmt, wie er zumindest eine teilweise Entschädigung der herrschenden Eliten durchaus ins Auge gefasst hat. 150

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Das heißt aber, dass Bentham sich gleichsam selbst beruhigt, wenn er graduelle politische Veränderungen selbst noch in der radikalen Radical Reform Bill fordert: "All cry of danger - danger to property - would here be without pretext. If in radikalism there were any real danger, it might be excluded by graduality." Radical Reform Bill, Works, III, S. 562. Petition for Justice, Works, V, S. 478. Vgl. ebenfalls Deontology, S. 189. Nochmals als eine Trias von Glück, Enttäuschungsfreiheit und Eigentum, die die fundamentalen Bezüge deutet: "Accordingly the first application, or say emanation, of the greatest happiness principle is the disappointment-prevention, more briefly styled the non-disappointment, principle. It is by this principle that, [...], direction is given to the arrangements of which the law of property, under which in its most extensive sense may be included all objects of general desire, is composed. Let disappointment as far as possible be prevented. Why prevented? Answer - because disappointment cannot have place but as sensation of a painful kind has place. Inseparably connected with the idea of disappointment is the idea of expectation: disappointment has place in so far as expectation of the agreeable kind fails to be realised, fails to be followed by the results it has anticipated." Article on Utilitarianism, S. 295 f. (Hervorheb. - W.H.) Daraus ergibt sich dann, wenn man die Beziehungen umdreht, dass derjenige, der nichts erwartet, auch nicht enttäuscht werden kann: "'Blessed is he that expecteth not, for he shall not be disappointed," says an addition proposed to be made to the beatitudes, if i misrecollect not, by Dean Swift." Outline of a Plan of a General Register of Real Property, Works, V, S. 421. Vgl. zum gleichen Topos von Swift Deontology, S. 189. Bentham erinnert sich meist unscharf an literarische Quellen. In Swifts Werk war diese Variation der Bergpredigt nicht nachweisbar. Allerdings ist sie das in einem Brief Popes an John Gay. Vgl. Fn. 1, ebd.

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ger oder politischen Funktionär.152 Es gilt aber natürlich auch, dass keinesfalls eine Überkompensation statthaben darf, da man dann gleich das beanspruchte Geld ins Meer werfen könnte.153 Gleichzeitig treibt Bentham seine Kompensationswut so weit, dass er selbst im Angesicht der Sklaverei, die natürlich keineswegs über seinen Utilitarismus gerechtfertigt werden kann, für eine ausgleichende Veränderung eintritt und eine nur behutsame Anpassung der bestehenden Verhältnisse erwartet,154 während er gleichzeitig Kompensation für die Arbeiter verlangt, die durch den zunehmenden Einsatz von Maschinen ihren Broterwerb verlieren,155 und selbst die von ihm so sehr bekämpften Empfänger von Gebühren für staatliche Dienstleistungen entschädigt sehen will. 156 Ein ganz anderes Licht wirft die zweite praktisch relevante Konsequenz des Non-disappointment- und Kompensationsgebotes auf diesen Grundpfeiler von Benthams Utilitarismus. Es handelt sich um seine Ablehnung der Todesstrafe. Bentham argumentiert auf verschiedenen Ebenen gegen diese grausame, aber doch damals wie leider noch heute äußerst gebräuchliche Institution.157 Er bezweifelt ihre abschreckende Wirkung, da viele Verbrecher so arm und elend sind, dass sie der Tod nicht eigentlich abschrecken kann.158 Er, für den der Tod nicht das schlimmste aller Übel darstellt, nennt die

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An einem bestimmten Punkt trennen sich die beiden Linien von erfolgsorientiertem und gerechtigkeitsorientiertem Kompensationsgebot eindeutig zu Gunsten dessen, was richtig ist. Im Vorfeld allerdings wird ein kluges Kalkül der Innovation voraus gehen. "The value of dissatisfaction will be in the compound ratio of three things: 1. The multitude of the persons dissatisfied; 2. The intensity of the dissatisfaction in each person; 3. The duration of the dissatisfaction on the part of each. These are the bases of calculation, if we would operate with success: the smaller the number of the discontented, the greater the chance of success; but this is not a reason for employing less humanity in the manner of treating them. If only one person were rendered unhappy by the change, he would yet be worthy of the notice of the legislator, who ought at least to free his measures from insult and contempt, to create new hopes, to collect those which revive, and to publish amnesties for the past. Really useful changes possess a fund of reason, which will tend at all times to produce a conviction of their utility." Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 181.

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Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 169. Vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 346. Die Sklaven sollen sich, so hätte dann auch der Sklavenhalter eine Kompensation, freikaufen können und Bentham stritt für eine Emanzipation von Familien. Sicher ist für ihn in jedem Fall, dass "The march of liberty, though slow, is not the less certain." Ebd. Da entdeckt der Modernisierer Bentham sein Herz für die Verlierer der Technisierung. Vgl. Manual of Political Economy, Works, III, S. 39 und 67. Vgl. ebd., S. 72, Fn., auch Petition of Justice, Works, V, S. 505. Zu seiner absolut ablehnenden Haltung zu jeder Form von Gebührensystem, vgl. A Protest against Law-Taxes, Works, II, passim. Vgl. zum Folgenden Principles of Penal Law, Works, I, S. 441 ff. Wenn Verbrechen so entstehen, werfen sie ein bezeichnendes Licht auf die Gesellschaft, in der sie entstehen. Ein System aber, das Menschen in solche Verzweiflung treibt und dann mit unmenschlicher Härte bestraft, kann vor dem Richterstuhl der utilitären Vernunft nie und nimmer gerechtfertigt werden. Bentham hat immer wieder gesehen, dass einen Menschen, den der Hunger quält und dem so oder so der Tod droht, keine denkbare Strafe wird an seinen Taten hindern können.

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Abschaffung von grausamen Hinrichtungsmethoden eine der wenigen Neuerungen, die man ohne jede Einschränkung als Sieg der Humanität würdigen muss. Zugleich aber behandelt er auch die scheinbaren oder wirklichen Vorteile der Todesstrafe, die er als durchaus präventiv im radikalen Sinn, exemplarisch, volkstümlich und dem Vergehen gegenüber proportional akzeptiert und diskutiert ihre Defizite, die als ihre Nutzlosigkeit, Maßlosigkeit und Unangemessenheit herausgestellt werden.159 Der entscheidende Punkt aber, der die Todesstrafe für jedes aufgeklärte und humane Rechtssystem vollkommen ausschließt, ist die Tatsache, dass sie die einzige Strafe ist, die in keiner Weise mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn einmal ein Mensch getötet worden ist, dann ist sein Leben unwiederbringlich und damit unkompensierbar verloren. Das aber bedeutet, dass sich diese wirklich kapitale Strafe nur in einem einzigen Grenzfall rechtfertigen lassen könnte. Dieser wäre gegeben, wenn mit der Verleihung der Macht zu Töten den Richtern zugleich die Unfehlbarkeit verliehen werden könnte.160 Dies ist aber vollkommen unmöglich und das Fazit muss daher uneingeschränkt lauten: "Note - that the only sort of wrong for which, in the shape of compensation adequate satisfaction is not capable of being made to a man, is - that which consists in the applying to him, or to some person specially dear to him, the punishment of death. In this one circumstance may be seen a reason - and that of itself a sufficient one - for abrogating altogether that mode of punishment: namely, in the event of its being found injurious, the irreparability of the injury done by the infliction of it."161

Leben, auch wenn der Tod nicht das schlimmste aller denkbaren Übel darstellen mag, ist unersetzlich und daher ist sein Verlust - Bentham nennt hier nicht zufällig die Vernichtung eines nahestehenden Menschen - ein absolut unkompensierbares Gut. Unter den Bedingungen der Unsicherheit des menschlichen Wissens und Handelns ist es ein entscheidendes Kriterium für alles, was geschieht, dass es unter Umständen wieder gut gemacht werden kann. Bei einem Irrtum oder aber bei einer unbeabsichtigten Konsequenz des jeweiligen politischen oder aber rechtlichen Entscheidens spielt es eine zentrale Rolle, dass mögliche Fehler korrigiert werden können. Mögen sie auch nicht voll verbesserbar sein, so scheint sich aus all dem Angeführten doch eine Art von politi-

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Daraus ergibt sich eine Klugheitsregel der Wohlfahrt für die Elenden. Man muss ihnen ein Leben ermöglichen, das sie nicht verlieren wollen. Vgl. ebd., S. 543. Hier ergeben sich nur auf den ersten Blick Widersprüche. Die Todesstrafe ist zugleich angemessen und maßlos. Weil sie die Tat wiederholt und das Leiden, das die Hinrichtung allein verursacht, eher gering ist, ist sie angemessen und wird daher auch von vielen akzeptiert. Da der künstliche Tod oft besser ist als das, was unter Umständen die Natur für uns bereithält, liegt hier auch nicht die maßlose Grausamkeit der Strafe. Sie ist vielmehr darin angelegt, dass das Opfer weiß, was geschehen wird. Die "pain of apprehension" ist es, die sie unmenschlich macht, da das Opfer sein Leiden antizipiert. Vgl. ebd., S. 445. "[...] when the propriety of arming men with the power of inflicting the punishment of death is the question of consideration, it ought not to be forgotten, before putting into their hands the fatal weapon, that they are not exempted from the weaknesses of humanity; that their wisdom is not increased, neither are they rendered infallible, by thus arming them." Ebd., S. 448. Es handelt sich hier um die spezielle Variante der für Bentham typischen These, dass Macht kein Wissen verleiht. Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 443.

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schem Imperativ zu ergeben, der vor allem darauf hinauslaufen muss, dass keine Verhältnisse geschaffen werden, die nicht wieder korrigierbar sind. Ein solcher Imperativ, wie immer man ihn aber formulieren mag, schließt die Vernichtung von menschlichem Leben gänzlich aus. Er steht für einen fundamentalen Respekt fur das menschliche Dasein und verlangt die Minimierung von Leiden, während er gleichzeitig die Anwendung von Gewalt nur in klar definierten Ausnahmefallen zulassen kann.

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4.2. Politisch-institutionelle Arrangements des Glücks der größten Zahl (I) - Politik und Recht Benthams rechtsphilosophische Reputation ist offensichtlich besser als sein Ruf eines moralphilosophischen oder politiktheoretischen Denkers.1 Es besteht auch kein Zweifel, dass seine biografische Entwicklung von Problemen der Rechtstheorie ausgeht und sein Lebensweg immer wieder Stationen aufweist, an denen er sich über Jahre hinweg für eine Reform und Kodifizierung des Rechts in verschiedenen Ländern der Welt eingesetzt hat. Allerdings deutet schon die Tatsache, dass sein frühstes, von ihm selbst veröffentlichtes Werk, das Fragment on Government, sich über weite Strecken mit dem Problem der Legitimation und Konstruktion politischer Ordnung bzw. Herrschaft befasst, darauf hin, dass genuin politische Fragestellungen eng mit seinen rechtstheoretischen und rechtspolitischen Bemühungen verknüpft waren. Und in der Tat entwickelt Bentham fast durchgängig seine Überlegungen zum Recht in engem Anschluss an Probleme, die weit in den Bereich der politischen Theorie hinein reichen. Dies, so könnte man argumentieren, mag mit seinem Rechtspositivismus zu tun haben, der eben vom existierenden Recht ausgeht und dies analysiert, es bestenfalls verbessern will und daher auch auf die faktische Herstellung von Rechtsbeziehungen durch die jeweilige politische Ordnung verwiesen ist. Wenn man unter Positivismus den Versuch verstehen will, ohne Zuhilfenahme transzendenter oder transzendentaler Argumente eine durchaus kritische Theorie des Rechts und der Politik zu entwickeln, so ist diese Sicht der Dinge angemessen. Bentham versucht eine vernünftige Rekonstruktion positiver menschlicher Ordnungsbeziehungen. Versteht man aber darunter eine Theoriebildung, die die bloße Faktizität des Rechts als hinreichend für dessen ideale Geltung betrachtet und so Sein und Sollen kurz schließt, so wird man das Phänomen nicht erklären können, dass sich Benthams Bestrebungen nicht bloß auf eine Effizienzsteigerung des real vorfindbaren Rechts gewendet haben, sondern er vielmehr bemüht war, den Kern idealer Rechtsgeltung aus der faktischen Gültigkeit von Gesetzen herauszuarbeiten.2 Nur darum kann er davon sprechen, dass alle Rechte und Pflichten die Kinder des positiven Rechts sind,

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Dafür ist nun nicht bloß die Betonung von Benthams Leistung für die Jurisprudenz durch John Stuart Mill verantwortlich, sondern ganz besonders die Würdigung seiner Rechtstheorie durch Herbert L.(ionel) A.(dolphus) Hart. Hart, der in kritischer Perspektive zwar behauptet, der quantitative Utilitarismus Benthams würde das Opfer individueller Interessen für das Glück der größten Zahl zulassen, einer Interpretation, der hier widersprochen wurde, geht davon aus, dass, wenn Benthams Of Laws in General nicht erst 1945 von Charles Warren Everett unter den Manuskripten entdeckt und publiziert worden wäre, es dieser Text gewesen wäre und nicht John Austins "obviously derivative work" The Province of Jurisprudence Determined, das das Selbstverständnis der englischen Jurisprudenz geprägt hätte. Vgl. Hart, H.L.A., Bentham's Of Laws in General, in: ders., Essays on Bentham, Oxford 1982, S. 105-126, hier S. 108. Zur erwähnten kritischen Perspektive vgl. ders., Natural Rights: Bentham and John Stuart Mill, in: ebd., S. 79-104, hier S. 98 ff.

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Vgl. hierzu in Ansätzen Lee, Keekok, The Legal-Rational State, Aldershot 1990, S. 156 ff.

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Rechte, Pflichten und Gesetze im Idealfall aber Kinder des Utilitätsprinzips sein sollen.3 Wenn das aber so gemeint ist, dass man wird darüber verhandeln müssen, welche Rechtsregel denn im Dienste der Glücksvermehrung gelten soll, so drängt sich die Frage auf, in welchem Diskurs dies geschehen kann. Hieraus ergibt sich zwanglos die Hinwendung zur Politik, von der geklärt werden muss, wie sie zum Recht steht und insbesondere in wie weit unter den Vorgaben des "greatest happiness principle" das Recht politisiert bzw. die Politik als verrechtlicht gedacht werden muss. So gesehen wandelt sich das Bild Benthams als eines primär rechtsphilosophischen Denkers zu einem primär politiktheoretischen Autor, der sich der generellen Politizität des Rechts radikal bewusst war, während er einer Verrechtlichung der politischen Beziehungen eine klare Absage erteilt, da er sie für eher schädlich oder wenig sinnvoll hält. Es sind die Postulate der Glücksmaximierung und der Leidens- bzw. Kostenminimierung, die letztlich dazu führen, das Recht nicht bloß aus der Perspektive seiner faktischen Gültigkeit zu sehen, sondern vor allem unter dem Aspekt seiner Produktion. Das Phänomen der Gesetzgebung als politischem Akt und die Rolle des Gesetzgebers bzw. Abfassers von Gesetzen werden rückgebunden an die fundamentale Frage des allgemeinen Nutzens. Die Schaffung von "guten" Gesetzen fordert unter diesen Voraussetzungen eine Gesetzgebung, die sich als eine schlichtende Macht zwischen die Interessen der Individuen stellt und das Glück der großen Zahl befördert.4

4.2.1.

Der genetische und der systematische Ursprung von Recht und Herrschaft

Bei einer ersten Lektüre der einschlägigen Passagen in Benthams Werk zur Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Politik wird man feststellen müssen, dass beiden offensichtlich eins gemeinsam ist: sie sind isoliert betrachtet reine Übel. Bentham definiert die rechtskonforme Ausübung von politischer Macht und die Schaffung des strafbewehrten Rechts als Übel erster Ordnung und weist darauf hin, dass beide die für die Glückssuche des Individuums nötigen Freiräume per Definition einschränken.5 Herr3 4

5

Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 160. "In the eyes of every impartial arbiter, writing in the character of legislator, and having exactly the same regard for the happiness of every member of the community in question as for that of every other, the greatest happiness of the greatest number of the members of that same community can not but be recognized in the character of the right and proper, and sole right and proper, end of government: end, or say object of pursuit." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 235. Jedes Gesetz hat drei Aspekte. Es bindet, zwingt und begünstigt zugleich. Die Folge ist, dass das zwingende Element, das dem bindenden die Kraft verleiht, der eigentliche Quellgrund des Übels ist. Bentham betont, dass selbst Handlungen, die die reine Freude bringen, sich dann in Übel verwandeln, wenn sie erzwungen werden. "Take even any given time, and at that time let the act itself be pleasant to perform, the idea of coercion intervening may of itself be sufficient to give it a opposite effect. [...] either the law has no effect, or there is a party who is exposed at least to suffer by it: if no one else, at least the party who it binds. It follows that a law, whatever good it may do at the long run, is sure in the first instance to produce mischief. The good it does may compen-

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schaft und Recht können systematisch vor dem Hintergrund des Prinzips des größten Glücks nur gerechtfertigt werden, wenn der Zwang, der von ihnen ausgeht, ein höherwertiges Gut bzw. überwiegendes Glück für die Gemeinschaft hervorbringt. Das heißt zunächst einmal, dass offenbar weder Politik noch Recht Glück ohne Lasten schaffen können.6 Bentham bringt diesen Zusammenhang in ein archetypisches Bild und schildert das Phänomen der Zwangs-Ordnung als eine Variante des Baumes der Moral, der süße und bittere Früchte hervorbringt. Wenn sich seine Pflege lohnen soll, so muss für ein Überwiegen der genießbaren Produkte gesorgt werden: "The end of all these acts of authority should be to produce the greatest possible happiness to the community in question. This is the true, and only true end of the laws. Still, of the operation by which it is possible to conduct men towards this end, the effect - the constant, necessary, and most extensive effect, is to produce evil as well as good; to produce evil, that good may be produced, since on no other conditions can it be produced. The mystic tree of good and evil, already so interesting, is not the only one of its kind: life, society, the law, resemble it, and yield fruits equally mixed. Upon the same bough are two sorts of fruits, of which the flavour is opposite - the one sweet and the other bitter. The sweet fruits are benefits of all kinds the bitter and thorny fruits are burthens. The benefits are rights, which under certain circumstances are called powers - the burthens are obligations - duties." 7

sate the mischief Ά does a million times over: but still it begins with doing harm. No law can ever be made but what trenches upon liberty: if it stops here, it is so much pure evil: if it is good upon the whole, it must be in virtue of something that comes after. It may be necessary evil: but still at any rate it is an evil. To make a law is to do evil that good may come." Of Laws in General, S. 54. Was fur das Recht gilt, das gilt uneingeschränkt auch fur die Regierung, nicht nur fur ihre legislativen, sondern auch fur ihre administrativen Funktionen: "All government is in the very essence of it an evil·, for government can not be carried on but in proportion as obligation is created; and taken by itself all obligation is an evil." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 4. (Hervorheb. - W.H.). Vgl. auch Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 272. Auch hier ist der Zwang das entscheidende Kostenminimum. Vgl. Article on Utilitarianism, S. 295. Bei einer kostenlosen Produktion des Glücks (good pure) muss man an die Leistungen von "beneficence" und "benevolence" denken, die dem Individuum keine materiellen Opfer abverlangen. Sie können kaum erzwungen werden, wäre das allerdings möglich, so wäre das Glück mit den Lasten des "äußeren" Zwangs erkauft. Pannomial Fragments, Works, III, S. 220. Die Früchte des Baumes tauchen wieder auf, wenn es um politische Herrschaft geht. Sie verteilt ebenfalls "benefits" and "burthens", Vorteile und Lasten. Sie kann offensichtlich gar nicht anders: "In the distribution of both these fruits of rule - the sweet and bitter - all rule as such is necessarily occupied. In the case of good rule, it is with satisfaction on part of the rulers that the sweet fruits are distributed, with regret, and only under the rod of necessity, the bitter ones." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 247. Der Gärtner kommt auch ins Spiel, wenn die menschliche Natur als Baum archetypisiert wird, der in den Motiven zweierlei Früchte trägt: "They are trees, which bear excellent fruits, or poisons, according to the aspect in which they are found, according to the culture of the gardener, and even according to the wind which prevails, and the temperature of the day. The most pure benevolence, too confined in its objects, or mistaking its means, will be productive of crimes: selfish affections, though they may occasionally become hurtful, are constantly most necessary; and notwithstanding their deformity, the malevolent passions are almost at least useful - as means of defence, as securities against the invasions of personal interest." Principles of Penal Law, Works, I, S. 539.

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Unschwer lässt sich hier erkennen, dass der Gerechtigkeitsbegriff Benthams, und das "greatest happiness principle" als die Superregel seines Utilitarismus hat uns nichts anderes erwarten lassen, voll in einer Vorstellung von Verteilungsgerechtigkeit aufgeht.8 Recht und politische Herrschaft sind zugleich Medium und in hohem Maß Ergebnisse von Verteilungsdiskursen, in denen es darum geht, Rechte, Pflichten und auch Güter so zu verteilen, dass das Glück möglichst vieler Menschen erhalten und wo möglich gesteigert wird.9 Ziel ist dabei, wenn die utilitären Grundsätze eingehalten werden, die Maximierung des Glücks bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten - also eine Ergebnisoptimierung bei der Verteilung der Glückschancen. Auch aus der Minimierung der Kosten wird erneut deutlich, dass Benthams Utilitarismus das Opfer des Einzelnen zum Wohle der Gemeinschaft zwar verlangt, dass dies aber vor allem bedeutet, dass der Betreffende für sich selbst verzichtet und nicht bloß zum Gegenstand einer Glücksmaximierung anderer wird. Genau das ist gemeint, wenn Bentham sagt, dass es nie und nimmer gleiche Rechte fur alle wird geben können - sehr wohl aber gleiche Gerechtigkeit im utilitären Diskurs.10 Das soll auch heißen, dass schon allein auf Grund der grundsätzlichen Asymmetrie, die das Recht festschreibt, weil eben keine Rechte ohne korrespondierende Pflichten existieren können, es nicht möglich ist, die Glückschancen absolut gleichmäßig zu verteilen. Jedoch ist es durchaus möglich, die fundamentalen Bedingungen des individuellen Glücks so zu ordnen, dass sie dem Prinzip des größten Glücks gehorchen. Dies deutet nicht nur auf ein spannungsvolles Verhältnis von Recht, Politik und Glück hin, es führt auch zu der Frage, warum sich denn überhaupt Herrschafts- und Rechtssysteme etablieren und vor allem, worin denn ihre wesentlichen Bestimmungsfaktoren liegen. Diese Frage ist zuerst die Frage nach der faktischen Kausalität der Entstehung von Recht und Herrschaft und zweitens nach ihrer systematischen Bedeutung für das Glück der vergesellschafteten Individuen. Da wir bereits gesehen haben, dass Bentham jede vertragstheoretische Rekonstruktion des Politischen ablehnt, muss es sich bei seiner Behandlung des Themas um eine andere Form der Grundlegung von Ordnung handeln. Bentham geht nicht den Weg, wie etwa Hobbes mit seiner resolutiv-kompositiven Methode," aus einem vorpolitischen Zustand politische und rechtliche Verhältnisse abzuleiten. Vielmehr geht es ihm darum, politische Herrschaft in einer selbstbezüglichen Reflexion zu rekonstruieren. Dieses Verfahren liegt deshalb nahe, weil, wie

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Gemeint ist hier natürlich ein sehr weiter Begriff von Verteilung, der aber dadurch gerechtfertigt scheint, dass Bentham selbst Rechte ausschließlich unter dem Nutzenaspekt diskutiert. Vgl. Kelly, P.J., Utilitarianism and Distributive Justice. Jeremy Bentham and the Civil Law, Oxford 1990, insbesondere Kapitel 6 und 7. Das Glück soll immer möglichst viele Menschen treffen. Für den Gesetzgeber heißt das, dass jede Maßnahme, die mehr Menschen glücklich macht als eine andere absoluten Vorrang genießen muss. Vgl. Codification Proposal, Works, IV, S. 540. "That all men should have equal rights, not only would be politically pernicious, but is naturally impossible: but I hope this will not be said of equal justice." Protest against Law Taxes, Works, II, S. 578. Vgl. Weiß, Ulrich, Das philosophische System von Thomas Hobbes, Stuttgart/Bad Cannstatt, 1980, S. 60 ff.

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Utilitarismus

er feststellt, ein menschliches Dasein außerhalb einer gesellschaftlichen Bindung kaum vorstellbar ist.12 Was denkbar ist und auch im Gegensatz zu Vertragsfiktionen der Erfahrung zugänglich ist, das sind die in seinen Augen "wild umherstreifende Horden amerikanischer Wilder", deren Beschreibung sich eher dem Naturzustand Lockes annähert, allerdings noch viel radikaler gegen den zivilen Zustand, ebenfalls in Nordamerika zu besichtigen, gestellt wird.13 Auch verweist Bentham in diesen Zusammenhängen auf Kriegszustände, in denen das bürgerliche Recht suspendiert und staatliche Gewalt weitgehend abwesend ist.14 Aus solchen quasi-natürlichen Zuständen, die, hier nähert sich die Argumentation nochmals der von John Locke, als labile und latent antagonistische Kooperation begriffen werden, fuhrt allerdings weder genetisch noch evolutionär, und hier trennt sich die Vorstellung von Lockes Ideen, ein Vertrag, sondern nur eine durch Stärke errichtete politische Dominanz.15 "A period may be easily imagined when men existed without laws, without obligations, without crimes, without rights. What would they then possess? Persons, things, actions; persons and things, the only real beings; actions, which exist only for a fleeting moment, which perish the instant that they are born, but which still leave a numerous posterity. Among these actions, some will produce great evils, and the experience of these evils will give birth to the first moral and legislative ideas. The strongest will desire to stop the course of these mischievous actions - they will call them crimes. This declaration of will, when clothed with an exterior sign, will receive the title of law. Hence, to declare by a law that a certain act is prohibited, is to erect such a act into a crime. To assure to individuals the possession of a certain good, is to confer a right upon them. To direct men to abstain from all acts which may disturb the enjoyment of certain others, is to impose an obligation on them. To make them liable to contribute by a certain act to the enjoyment of their fellows, is to subject them to a service. The ideas of law, offence, right, obligation, service, are therefore ideas which are born together, which exist together, and which are inseparably connected." 16

Herrschaft, Gehorsam und Recht sind somit offensichtlich gleich ursprünglich und der Ausgangspunkt jeder geordneten rechtlichen Beziehung scheint eine mit Zwangsgewalt (the strongest) ausgestattete Person zu sein. Herrschaft und Recht entstehen gemeinsam, aus ihrer Verbindung geht am Ursprung aller bürgerlichen Gesellschaft das Eigentum und alle damit zusammenhängenden Erwartungen hervor. Zwar unterscheiden sich die 12

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"But where does man exist without society? and if there be any such place, whence are its laws derived?" View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 157. Vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 310. Vgl. ebd., S. 307. Hier könnte der Eindruck entstehen, dass Bentham gegen Locke der Option Robert Filmers zuneigt. Bentham nennt sogar den Zustand vollkommener Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern "[...] a state of perfect political society with respect to his parents [...]." Ebd., S. 44. Er versäumt allerdings nicht darauf hinzuweisen, dass dieser Zustand vorübergehend ist und daher das entscheidende Kriterium der Herrschaftserrichtung, das der dauerhaften Institutionalisierung, nicht erfüllt. Außerdem macht er an anderer Stelle klar, dass bei aller Kritik an Lockes Vertragsidee diese den Vorstellungen Filmers haushoch überlegen ist. Die Vertragsfiktion enthält einen nicht entfalteten utilitaristischen Kern. Vgl. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 349. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 159.

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Ordnungen "of a rude age"17 sehr beträchtlich von denen aufgeklärter Zeitalter, die oben wieder gegebene Beschreibung macht jedoch eines eindeutig klar: systematisch liegt der Ursprung aller Herrschaft und allen Rechts in der Gewährung von Sicherheit, die nötig wird, weil die Verhältnisse unsicher sind. Das heißt aber, dass ihr Ursprung die fundamentale Erfahrung von Leid ist, das es zu verhindern gilt. Sie sind von Beginn an Schmerzvermeidungsstrategien, da sie verhindern sollen, dass das natürliche Glücksstreben der Individuen von anderen gestört wird. Recht setzt also von menschlichem Handeln erzeugtes Leid voraus, das es als Unrecht definiert' 8 und es ist dieser Zusammenhang, der die Untrennbarkeit von Regieren und Bestrafen erklärt.19 Für Bentham haben Überlegungen der koevolutionären Genese von politischer Herrschaft und Recht vor allem einen heuristischen Wert. Sie können erhellen, dass beispielsweise Recht und Eigentum untrennbar miteinander verwoben sind;20 bewiesen wird dies nicht genetisch, sondern nur systematisch. Der Grund hierfür liegt in seiner uns bereits bekannten Überzeugung, dass die Institutionen und insbesondere das Recht der Vorfahren durch die kulturelle Entwicklung überholt sind und es nötig ist, aus der Gegenwart heraus eine Verbesserung der Ordnung zu versuchen, die sich kaum an der Vergangenheit, dafür aber umso mehr am Utilitätsprinzip orientieren soll. Im Fragment on Government findet sich eine der wenigen expliziten Überlegungen, wie denn Genese und Geltung von Recht bzw. die Legalität und Legitimität politischer Ordnung zueinander gestellt werden sollen. In seiner Auseinandersetzung mit Blackstone macht Bentham klar, dass es ihm vor allem um ein aktuelles und systematisches Problem geht, wenn er darauf hinweist, dass wir die Vorstellung von der natürlichen Gesellschaft bestenfalls als eine negative aus einem bestehenden Zustand heraus projizieren können. Faktischer Ansatzpunkt allen Denkens über das Verhältnis von politischer Herrschaft und natürlicher Gesellschaft ist eine idealtypische Unterscheidung: "The idea of a natural society is a negative one. The idea of a political society is a positive one. 'This with the latter, therefore, we should begin. When a number of persons (whom we may style subjects) are supposed to be in the habit of paying obedience to a person, or an assemblage of persons, of a known and certain description (whom we may call governor or governors) such persons altogether (subjects and governors) are said to be in a state of political SOCIETY. The idea of a state of natural SOCIETY is, as we have said, a negative one. When a number of persons are supposed to be in the habit of conversing with each other, at the same 17 18

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Vgl. Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 190. Daher lassen sich die Begriffe "Gesetz" und "Vergehen" auch eindeutig ineinander übersetzen und Bentham kann schreiben: "But to create an offence is to make a law: the offence being given, the law is thereby given. Moreover the mischief of the offence exhibits the end of the law, not in its natural situation indeed but as it were in an inverted posture, by the rule of contraries: the end of the law being not the mischief itself, but the good which consists in the prevention of that mischief. By classing offences then according to their mischiefs, laws have already been classed according to their ends: so that in giving an analysis of offences, we have given, as far as it has gone, an analysis of legal ends." Of Laws in General, S. 33. "No punishment, no government; no government, no political society." Principles of Penal Law, Works, I, S. 528. Erst das Recht schafft Eigentum durch die Sicherung der Erwartungen und die Kreation von Pflichten. Vgl. Of Laws in General, S. 255.

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Utilitarismus

time that they are not in any such habit as mentioned above, they are said to be in a state of

natural SOCIETY."21

Diese Bestimmung definiert die Gehorsamshaltung gegenüber einem bestimmten angebbaren Personenkreis als das Existenzkriterium einer politischen Gemeinschaft. Die unpolitische Dimension menschlichen Zusammenlebens wird davon negativ abgesetzt, in dem sie als ein Zustand begriffen wird, in dem Menschen zwar miteinander verkehren, in dem es aber keine institutionalisierte Asymmetrie von Befehl und Gehorsam gibt, die durch die Verankerung in den Einstellungen der Herrschaftsadressaten auf Dauer gestellt worden wäre. Diese Überlegungen machen den Kern von Benthams Theorie des Politischen aus, der, soweit es um einen grundsätzlichen Begriff von Politik geht, eng verzahnt ist mit einer Imperativtheorie des Rechts und einer zunächst empirischen Herrschaftssoziologie im Sinne Max Webers. Da Bentham nämlich feststellt, dass die beiden Zustände der Gesellschaft in ihrer reinen Form nur als eine Art ideale Typen verstanden werden können, die so in der Realität nicht existieren,22 muss davon ausgegangen werden, dass real bestehende Ordnungen innerhalb eines Kontinuums zwischen den beiden idealen Polen angesiedelt sind und zugleich muss die Frage beantwortet werden, was denn unter diesen Voraussetzungen sichere Anzeichen eines politischen Gemeinwesens sein könnten. Diese Frage wird von Bentham so beantwortet, dass er die Existenz von politischen Ämtern, die innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft von den Individuen als mit Befehlsautorität ausgestattet betrachtet werden, zum wesentlichen Indiz dafür erklärt, dass wir es mit einer politischen Gemeinschaft zu tun haben. Die Gesellschaftsmitglieder betrachten von sich aus die Ämter und die Amtsinhaber als Träger einer imperativen Gewalt, die zugleich die Quelle allen Rechts darstellt und sie benennen die Institutionen denen sie zugehören. 23 Die Existenz von Herrschaft- und Rechtsbeziehungen wird durch einen Akt der Selbstbeschreibung oder mit den Worten Eric Voegelins der Artikulation der jeweiligen Gesellschaft manifest. 24 Daraus folgt aber nun zweierlei für das politische Denken Benthams. Für ihn kann es das Politische jenseits eines institutionellen Arrangements im engeren Sinn nicht geben. 25 Politik ist immer die Verteilung von Glückschancen zwischen Leid und Freude empfindenden Individuen unter den Bedingungen eines institutionalisierten Verfahrens,

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A Fragment on Government, S. 40. "This habit, accordingly, has been spoken of simply as present [...], or, in other words, we have spoken as if there were a perfect habit of obedience, in the one case: it has been spoken of simply as absent [...] or, in other words, we have spoken as if there were no habit of obedience at all, in the other. But neither of these manners of speaking, perhaps, is strictly just. Few, in fact, if any, are the instances of this habit being perfectly absent; certainly none at all, of its being perfectly present." Ebd. Vgl. ebd., S. 45 f. Vgl. Voegelin, Eric, Die Neue Wissenschaft der Politik (1951), Freiburg i. Br. 1991, S. 70. In Max Webers Terminologie haben wir es hier mit "Repräsentation" zu tun. Vgl. Hofmann, W./Riescher, G., Einführung in die Parlamentarismustheorie, Darmstadt 1999, S. 24 f. Zur schlagenden Analogie der Bestimmung von Herrschaft als Befehls- und Gehorsamsrelation bei Weber und Bentham, vgl. Hofmann, Wilhelm, Repräsentative Diskurse, Baden-Baden 1995, S. 98, Fn. 267. Vgl. A Fragment on Government, S. 40, Fn. p.

Arrangements

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bei dem grundsätzlich bestimmte Glücksverteilungen wahrscheinlicher und andere wiederum ausgeschlossen sind. Betrachtet man Benthams Entwicklung unter diesem Aspekt, so stellt sich seine Abwendung vom aufgeklärten Absolutismus und seine Hinwendung zur radikalen Demokratie als ein Wandel der Vorstellungen vom optimalen Verteilungsverfahren bzw. von Verteilungsordnungen dar, bei dem allerdings die grundsätzliche Begrifflichkeit des Politischen erhalten bleibt. Von der (gemäßigten) Monarchie zur (radikalen) Demokratie führt der Weg seines Denkens nicht, weil letztere prinzipiell die bessere politische Ordnung darstellt, sondern über die Einsicht, dass erstere die optimale Verteilungsgerechtigkeit institutionell nahezu unmöglich macht. Institutionelle Ordnungen sind kein Selbstzweck, sie müssen sich vielmehr als kompatibel zum Glück der größten Zahl erweisen, wenn sie gerechtfertigt werden sollen. Die zweite angesprochene Konsequenz besteht darin, dass die Tatsache, dass Bentham politische Herrschaft als Relation von Befehl und Gehorsam definiert, notwendig zu einer Imperativtheorie des Rechts führt. Das Gesetz ist ein Gesetzesbefehl, der sich an einen oder mehrere potenzielle Adressaten wendet, die damit erst, dass dem Befehl in der Regel Folge geleistet wird, zu Herrschaftsunterworfenen werden. Dies muss so sein, weil die mit der Herrschaft verbundenen Zwangsmittel zwar hinter einem jeden Gesetz drohen, ihre Existenz und vor allem Effizienz aber nicht losgelöst von der vergleichsweise freien Akzeptanz der Untertanen gedacht werden kann. Offenbar hat also das Recht eine entscheidende kommunikative Dimension und ist untrennbar mit der Vorstellung einer akzeptierten souveränen Gewalt verbunden. Dabei muss analytisch zwar scharf unterschieden werden zwischen dem im Gesetzesgehorsam enthaltenen Moment von Akzeptanz (Gesetzesakzeptanz) und der Anerkennung von souveräner Gewalt (Herrschaftsakzeptanz), zugleich sind beide aber so aufeinander verwiesen, dass sie tendenziell ineinander aufgehen. Man wird davon ausgehen müssen, dass ab einem bestimmten Maß der Nichtakzeptanz von (Gesetzes-)Befehlen zugleich die Herrschaft sich auflöst, andererseits wird durch die alltägliche Regelbefolgung zugleich immer auch Herrschaft akzeptiert. Wie wir bereits sehen konnten, besteht ein wesentliches Ziel der utilitären Aufklärung darin, die immer existierenden impliziten Nutzenkalküle der Beherrschten in Bezug auf das Recht, das begründet und erläutert werden soll, und die Herrschaft, deren Nutzen erkennbar sein soll, auf ein reflexives Niveau zu heben. Den einfachsten und grundlegendsten Nutzen von Recht und Herrschaft, der selbst noch in ihren defizientesten Formen anwesend ist, macht Bentham an einem immer wiederkehrenden Topos fest, dem der Kriegsfuhrung. Gemeint ist damit nicht der Krieg nach außen, der allerdings, wenn es um die Frage geht, wer denn die Kosten des Rechtssystems tragen soll, gern von ihm als Beispiel herangezogen wird,26 sondern ein Prinzipiell will Bentham, dass diejenigen, die von einer Sache oder Institution profitieren, auch für deren Kosten aufkommen sollen. Dieser Grundsatz soll aber beim Recht nicht gelten, weil diejenigen, die ohne Gerichtsverfahren ihre Rechte genießen, sie ohne persönlichen Aufwand unter dem dauernden Schutz der Gerichte haben. Bentham lehnt Gebühren für Gerichtsverfahren radikal ab. Vom Recht profitieren alle Gesellschaftsmitglieder, daher müssen auch alle für die Kosten des Systems aufkommen. Diejenigen, die ihr Recht einklagen, vergleicht er mit den Bewohnern der Grenzregionen im Krieg: "The suitor is the forlorn hope in this forensic warfare. To throw upon the suitor the expense of administering justice, in addition to the trouble and the risk of su-

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Militarismus

Krieg nach innen. Wenn Herrschaft heißt, mit Befehlen und Strafandrohungen die innere Ordnung in irgendeiner Weise aufrecht zu erhalten, dann ist ihr wesentliches Mittel, die Gesetzgebung, eine besondere Art der Kriegsfuhrung. Der Krieg, den es zu fuhren gilt, ist eine dauernde Auseinandersetzung mit den inneren Feinden, mit Übeltätern und sonstigen Gefahren, die das Gemeinwesen und damit die Glückssuche der Individuen bedrohen.27 Man kann sich nun vorstellen, dass in diesem Bild eine recht vielgestaltige Erfüllung der angesprochenen Funktionen abgedeckt ist. Der befehlende souveräne Gesetzgeber kann seine Aufgaben mehr oder weniger gut erfüllen. Er verfügt jedenfalls, egal ob die Vermehrung des Glücks seiner Untertanen sein faktisches oder bloß sein vorgegebenes Ziel darstellt, über herausgehobene Machtmittel, kann, solange ihm die überwiegende Mehrzahl seiner Herrschaftsunterworfenen Gefolgschaft leistet, äußerst weit reichende Befehle vor allem in Form von Gesetzen erlassen und er kann bei der Übertretung eben dieser Gesetze strafen. Die durch Herrschaft errichtete Macht scheint also eine ganz besondere Kompetenz zu sein. Bentham definiert sie in verschiedenen Anläufen. Als eines ihrer wesentlichen Kennzeichen nennt er die Extralegalität. Gemeint ist damit, dass denjenigen, denen die politische Macht in einem Gemeinwesen übertragen ist, Befugnisse gegenüber den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zustehen, die durch normale Rechtsbeziehungen nicht gedeckt sind. Jede Form von Macht über Personen bedeutet letztlich die Verleihung einer primär extralegalen Kompetenz, die nur auf den niedrigeren Stufen der von Bentham als vollkommen gedachten Machthierarchie wieder auf einer zweiten legalen Stufe eingefangen werden kann.28 Bentham erklärt das zu Grunde liegende Phänomen so: "Powers are constituted by exceptions to imperative laws. Let me explain myself. Every complete law is in its own nature coercive or discoercive. The coercive law demands, or prohibits: it creates an offence, or in other terms, it converts an act into an offence: - 'thou shalt not kill,' - 'thou shalt not steal.' The discoercive law creates an exception: it takes away the offence; it authorises a certain person to do a thing contrary to the first law: 'The judge shall cause such an individual to be put to death,' - 'The collector of taxes shall exact such a sum.'"29

Gemeint ist mit diesen Ausführungen, dass der entscheidende Unterschied zwischen einem Dieb und einem Finanzbeamten die Autorisierung zum "Rechtsbruch" durch die gesetzgebende Gewalt darstellt.30 Wird aber dem Richter oder Finanzbeamten die Befugnis übertragen, ein Recht eines der Gesellschaftsmitglieder zu brechen und wird dies

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ing for it, is as if, in case of an invasion, you were to take the inhabitants of the frontier and force them not only to serve for nothing, but to defray of themselves the whole expenditure of the war." Protest Against Law-Taxes, Works, II, S. 576. Vgl. auch The Rationale of Reward, Works, II, S. 243; Petition for Justice, Works V, S. 444 und ebd., S. 499. Vgl. Of Laws in General, S. 245 f. Zu den Machtübertragungen (i.e. Verfugungsmacht) in privaten Rechtsbeziehungen vgl. Of Laws in General, S. 261 und 190. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 195. Es folgt eine Aufzählung der Gewalten, die politisch genannt werden. Bentham nennt: direkte Macht über Personen, privates und öffentliches Eigentum, individuelle und kollektive Befehlsgewalt, die Macht Grenzen zwischen Gruppen zu ziehen (Rechtsbetroffene), Belohnungsmacht. Vgl. Of Laws in General, S. 37, wo die sprachliche Dimension dieser Differenz reflektiert wird.

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gesetzlich autorisiert, und nur darin besteht der Unterschied zum "Verbrechen", so stellt sich unmittelbar das Problem der Kontrolle dieser außerordentlichen Befugnis. Auf der Basis der Anthropologie Benthams, die von primär selbstinteressierten Individuen ausgeht, muss es sich hier um ein zentrales Thema aller institutionalisierten Gewalt handeln, da immer davon ausgegangen wird werden müssen, dass die mit Macht ausgestatteten Amtsträger zum Missbrauch eben dieser Macht neigen. Das Problem potenziert sich zu einem Hauptproblem seines politischen Denkens, wenn es um die Macht geht, von der die Autorisierung zur extralegalen Aktion herstammt. Der Ursprung aller politisch rechtlichen Gewalt ist die uns bereits bekannte Quelle der höchsten Befehlsgewalt, des wie auch immer entstandenen Souveräns. Bentham schreibt bereits in A Fragment on Government,31 dass es kaum vorstellbar ist, wie diese Gewalt außer durch die ultima ratio einer Gehorsamsverweigerung bzw. der Revolte, in die Schranken gewiesen werden kann. Hier haben wir bereits die Grenze zur Theorie der Souveränität erreicht. Ihr zentrales Problem ist vor dem Hintergrund der erfolgten Klärung der genetischen und systematischen Ursprünge politischer Gewalt, die Frage nach der Begrenzung eben der Macht, die als universale Befehlsmacht die Machtmittel der Gesellschaft in ihrer Hand hält. Es gab und gibt nur einen Grund dessentwegen sich die Errichtung von politischer

Er bezieht sich dabei auf die Parlamentssouveränität der gängigen Verfassungsideologie, die dem "King in Parliament" absolute politische Gewalt zubilligt und erwähnt in seiner Auseinandersetzung mit Blackstone eine Machtbegrenzung durch Verfassung (limited by express convention). Vgl. A Fragment on Government, S. 98. Wie wenig er eine solche Begrenzung allein für wirkungsvoll hält, hat er aber bereits vorher klar gemacht. Bentham diskutiert die Frage, wann denn Widerstand angemessen ist, £tn Hand seines bereits bekannten Utilitätskalküls: "It is then, we may say, and not till then, allowable to, if not incumbent on, every man, as well on the score of duty as of interest, to enter into measures of resistance; when according to the best calculation he is able to make, the probable mischiefs of resistance (speaking with respect to the community in general) appear less to him than the probable mischiefs of submission. This then is to him, that is to each man in particular, the juncture for resistance." Ebd., S. 97. Neben der Tatsache, dass hier von einer Pflicht zum Widerstand die Rede ist und davon, dass die Folgen nicht bloß für das Individuum bedacht werden sollen, sondern für "the community in general" taucht hier das Problem der "juncture of resistance" auf. Wann aber genau die Zeit zum Widerstand gekommen ist, dazu lässt sich keine eindeutige Angabe machen. "Common sign for such a purpose, I, for my part, know of none: [...]." Ebd. Dann folgt: "Unless such a sign then, which I think impossible, can be shown, the field, [...], of the supreme governor's authority, though not infinite, must unavoidably, I think ain unless where limited by express conventionk, be allowed to be indefinite. Nor can i see any narrower, or other bounds to it, under this constitution, or under any other yet freer constitution, if there be one, than under the most despotic. Before the juncture I have been describing were arrived, resistance, even in a country like this, would come too soon: where the juncture arrived already, the time for resistance would be come already, under such a government even as any one should call despotic." Ebd., S. 97. Daraus lässt sich schließen, dass ein zentrales Problem aller Politik nach Bentham der Umgang mit einer zwar endlichen aber zugleich notwendig Undefinierten Gewalt darstellt. Der Fall der höchsten Gewalt, die durch "express convention" begrenzt ist, wird nämlich in Fußnote "k" ausschließlich auf Staatenbünde bzw. Gebilde wie das Reich bezogen, in denen selbständige politische Körper über eine übergeordnete Gewalt entscheiden können. Er ist nicht relevant fur die Beziehung von Souverän und Untertan in einem normalen politischen Gemeinwesen.

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Utilitarismus

Herrschaft unabhängig von ihrer bloßen Faktizität rechtfertigen hat lassen: Herrschaft dient mindestens zur Bekämpfung von Leiden, das sich die Individuen zufügen können und das sie als Unrecht definiert und sanktioniert. Sie soll dies unter den Bedingungen des Utilitätskalküls so tun, dass die Kosten dieser Leistung minimal bleiben und zugleich, wo immer möglich, das Glück der Gesellschaftsmitglieder vergrößert wird. Nun liegen die Dinge aber so, dass die Schaffung einer außergewöhnlichen institutionellen Macht selbst zum Risiko werden kann. Bentham beschreibt den Tatbestand so, dass die politische Herrschaft die Risiken der Unsicherheit reduzieren soll, dass sie aber unter Umständen selbst zu einem Risiko für genau die Sicherheit wird, die sie selbst schaffen bzw. erhalten soll. Selbst unter den Bedingungen einer prinzipiell rechtskonformen Herrschaft kann nämlich das Recht, das aus souveräner Macht ausfließt, zum Instrument der Bereicherung derjenigen werden, die doch als Treuhänder für das Wohl der Gemeinschaft einstehen sollten. Herrschaft ist daher zugleich nützlich und riskant: "All this while, one thing is undeniable: namely, that for the purpose of establishing, and in the endeavour to establish, security, those who establish government begin with establishing insecurity: insecurity viz. as against those in whose hands the means of security against others are reposed. On the other hand, another thing is no less undeniable: namely that without this risk, the other, a still greater evil, can not by any possibility be avoided."32

Es scheint so zu sein, dass es erst einer politischen Herrschaft bedarf, um bestimmte gesellschaftliche Probleme zu lösen, die anders nicht gelöst werden können, dass aber, kaum ist diese Herrschaft etabliert, sich die Aufgabe stellt, sie so zu ordnen, dass sie nicht selbst zum Schaden wird.33 Dies ist, weil Herrschaft ein Übel erster Ordnung darstellt, das nur auf einer höheren Ebene kompensiert werden kann, ein schwieriges Unterfangen, wenn der zentralen Macht mit der Möglichkeit zu Schaden nicht auch zugleich die Möglichkeit Gutes zu tun weggenommen werden soll.34 Bentham vertraut darauf, dass die souveräne Gewalt aus ihrer grundlegenden Zirkularität heraus so geordnet werden kann, dass sich genau dieses Problem lösen lässt.

4.2.2.

Exkurs: Anmerkungen zum "Recht für Hunde" - common law

Bevor wir uns mit Benthams Theorie der Souveränität beschäftigen soll hier noch ein kurzer Blick auf seine Kritik der zeitgenössischen Common-law-Praxis erfolgen. Zwar kann es, aus bereits erwähnten Gründen, nicht um eine vollständige Rekonstruktion seiFirst Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 281. "The great point is to get any government at all: it is the most useful point, and the most difficult. When once you have got your government, and got it tolerably settled, then is the time to temper it." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 362. Das Problem stellt sich auf jeder Stufe der Herrschaftspyramide, da die Macht Gutes zu tun und die Macht zu schaden die gleiche Macht sind. Es geht daher immer darum: "[...] in the station of each functionary to establish this impotence, leaving to him at the same time the necessary power - to render him unable to do wrong, yet sufficiently able to do right, is the great difficulty, and ought to be the constant object and endeavour of whatsoever labour is employed in the field of legislation." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 15.

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ner Auseinandersetzung mit der Struktur und dem Aufbau des "common law" gehen, es ist aber im Hinblick auf seine Überlegungen zur Souveränität, zu deren wesentlichen Definitionskriterien die souveräne Gesetzgebung gehört, sinnvoll, die Defizite bestehender Ordnungsleistungen zur Kenntnis zu nehmen. Nur wenn man sich zumindest im Überblick klar macht, was Bentham alles an der bestehenden Rechtspraxis für absolut widervernünftig hielt, dann wird einem einigermaßen plausibel werden, warum sich ausgerechnet in seiner Souveränitätstheorie eine Reihe von nicht unerheblichen Überdehnungen finden lassen. Fasst man seine Kritik am "common law" grob zusammen, so kommt man zumindest auf folgende Punkte: Verfahren und Zuständigkeiten sind bis zur Absurdität undurchschaubar und unvernünftig. Diese Ordnung dient letztlich nur der Bereicherung der Juristen und der Frustration der begründeten Erwartungen der Bürger. Es wird keine Verantwortung für die Rechtsregeln bzw. Entscheidungen übernommen und eine Begründung der "customs" und anderer Rechtsquellen erfolgt nicht. Was die absurde Organisation des Rechtswesens und seine Ausnutzung als permanente Einnahmequelle der Juristen betrifft, so führt Bentham als maßgebliche Beispiele für absurde Verfahrensregeln insbesondere im Rationale of Judicial Evidence den Ausschluss von Beweismitteln an, den der gesunde Menschenverstand keineswegs nachvollziehen kann 35 und er gibt Beispiele für Verfahrensabläufe vor Gericht wieder, die sich wie eine Satire lesen.36 Die dabei verfolgte Darstellungsstrategie setzt das technische System des "common law" vom natürlichen System des Utilitarismus ab und versucht zu zeigen, dass die bestehende Rechtsordnung die Herrschaft toter Männer zum Nutzen lebender Plünderer darstellt.37 Die Tatsache, dass insbesondere im Privatrecht kein Rechtstitel vor Gericht durchgesetzt werden kann, wenn nicht bei jedem weiteren Verfahrensschritt die nötigen Gebühren entrichtet werden, führt nach Bentham außerdem letztlich dazu, dass das "fee gathering system" 99% der Bevölkerung vom Recht de facto ausschließt. 38 Daraus folgt aber, dass das Recht ausgerechnet denen vorenthalVgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 384 ff. und View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 110 ff. Bekanntlich lehnt Bentham ein Zeugnisverweigerungsrecht des Angeklagten ab, da er darin den Verzicht auf eine mögliche Beweisquelle sieht, der nicht gerechtfertigt werden kann. Vgl. ebd., S. 100. Dabei wird das natürliche Rechtssystem dadurch ins Spiel gebracht, dass Bentham die Verfahren eines "common law court" auf einen Familienstreit überträgt. Genussvoll schildert er, was ein Familienvater tun müsste, wenn zwei seiner Kinder sich um ein Spielzeug streiten und er sich an die Regeln des "common law" halten würde. Das Verfahren wird in allen Details beschrieben und es wird klar, dass die Kinder erwachsen wären, bis der Vater endlich zur Entscheidung käme. Das Fazit lautet: "After I had made my speech, would not you think me in a delirium? From the beginning to the end, would you think there was the least particle of common sense?" Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 188. Vgl. Letters on Scotch Reform, Works, V, S. 15. Wenn es um diese Fragen geht, so wird der frühe "radikale" Bentham sichtbar. In einem Text, den er 1792 verfasst hat und der erst 1823 veröffentlicht wurde, lesen wir: "ASHHURST. - 1 . No man is so low as not to be within the law's protection. TRUTH. - Ninety-nine men out of a hundred are thus low. Every man is, who has not from five-and-twenty pounds, to five-and-twenty times fiveand-twenty pounds, to sport with, in order to take his chance for justice. I say chance ·, remember-

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ten wird, die am dringendsten seines Schutzes bedürfen, da sie nicht über andere Mittel der Abwehr von Unrecht verfugen.39 Es folgt daraus weiter, dass sie nicht nur des Schutzes beraubt werden, sondern, dass denjenigen, die bereits zu den Besitzenden gehören, eine zusätzliche Waffe zur Ausbeutung der unteren Schichten in die Hand gegeben wird. Jeder reiche Mann, der genügend Geld dafür ausgeben will, kann einen ärmeren durch ein Rechtsverfahren endgültig ruinieren, da die Gerichtskosten den Schwächeren ohne alle Mittel zurücklassen werden.40 Das einzige absolut unverzeihliche Verbrechen des englischen Rechts ist, so Bentham, die Armut.41 Der vielfaltige Missbrauch des "common law" als Quelle unerschöpflicher Gebühreneinnahmen und als Instrument der Unterdrückung macht aus den Gerichten eine Art von Verkaufsstellen für das Unrecht und für die dauerhafte Verzögerung von Gerechtigkeit.42 Das ist so nur möglich, weil das "common law" unter dem Aspekt seiner Produktion ein reines Richterrecht ist. Während das ideale natürliche System des Rechts einen zentralen Gesetzgeber hat, nehmen im Gewohnheitsrecht unzählige Richter und die verschiedenen "reports" bzw. "treatises" diese Funktion wahr und schaffen Recht unter der Vorgabe, das gute alte Recht auszulegen.43 Dabei kommt ein Recht heraus, das Bentham als Recht für Hunde brandmarkt: "Scarce any man has the means of knowing a twentieth part of the laws he is bound by. Both sorts of law are kept most happily and carefully from the knowledge of the people: statute law

ing how great a chance it is, that, although his right be as clear as the sun at noon-day, he loses it by a quibble. [...] 'We will deny justice' - says King John - 'we will sell justice to no man.' This was wicked King John. How does the good King George? He denies it to ninety-nine men out of a hundred and sells it to the hundreth." Truth versus Ashhurst, Works, V, S. 233. Vgl. zum gleichen Topos On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 95 und nochmals S. 98. Damit greift er die fundamentale Rechtsideologie Englands und mit ihr einen der entscheidenden Topoi der Herrschaftslegitimation an. Die Rechtsgarantien der Magna Carta und der Habeas Corpus Act sind, wie er immer wieder betont, bloße Versprechen, die in der Rechtswirklichkeit nicht eingelöst werden. Diese Wirklichkeit sieht so aus, dass Recht, Geld und auch politische Macht aneinander assimiliert sind und die Armen sogar von der fundamentalen Rechtsgleichheit ausgeschlossen werden. Bentham weist zwar nachdrücklich darauf hin, dass es keine Gleichheit der Rechte geben könne, da das die Gesellschaft geradezu planieren würde, dass es aber sehr wohl ein Recht auf die Berücksichtigung der ungleichen persönlichen Rechte gibt. Das hat dann aber auch etwas mit der sozialen Stellung zu tun. Wenn nämlich Gerechtigkeit auch für die Armen herrscht, dann braucht es weniger Mildtätigkeit: "We think of the poor in the way of charity, for to deal out charity gratifies not only benevolence, but pride. We think much of them in the way of charity, but we think little of them in the way of justice. Justice, however, ranks before charity; and they would need less charity, if they had more justice." A Protest against Law Taxes, Works, II, S. 579. 39 40 41 42

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Vgl. Protest against Law-taxes, Works, II, S. 574 f. Vgl. Petition for Justice, Works, V, S. 493. Vgl. auch ebd., S. 449 und 503. "Under English judge-made law, the only unpardonable crime is poverty." Ebd., S. 468. Bentham spricht von "delay-shop" und "verdict-shop". Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 88. Vgl. Letters on Scotch Reform, Works, V, S. 7. Zu den Rechtsquellen des "common law" vgl. Of Laws in General, S. 185 ff.

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by its shape and bulk; common law by its very essence. It is the judge (as we have seen) that make the common law. Do you know how they make it? Just as a man makes laws for his dog. When your dog does anything you want to break him of, you wait till he does it, and then beat him for. This is the way you make laws for your dog: and this is the way the judges make laws for you and me. They won't tell a man beforehand what it is he should not do - they won't so much as allow of his being told: they lie by till he has done something which they say he should not have done, and then they hang him for it." 44

Die rationale Gegenstrategie, die wir bereits kennen, eines nicht ex post sondern ex ante begründeten und verkündeten Rechts, setzt sich von einem solchen in weiten Bereichen vollkommen willkürlichen Vorgehen deutlich ab. Das "common law" (und die bestehende Form des "statute law") jedoch konterkariert exakt den Kern jeder Nützlichkeitstheorie des Rechts. Nur wenn das Gesetz vor einer beabsichtigten Handlung bekannt, begründet und gegebenenfalls mit einer Strafandrohung aufgeladen ist, nur dann vermag es auch die fur seinen allgemeinen Nutzen unabdingbare motivierende und damit handlungssteuernde Wirkung zu entfalten. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so bedeutet dies, dass der Zustand, den selbst noch das schlechteste Recht schafft, nämlich ein Zustand vergleichsweiser Rechts-Sicherheit nicht erhalten werden kann.45 Wenn Recht das ist, was der Richter gerade will 46 und wenn unreflektiert aus oft lange zurückliegenden Einzelfallen allgemeine Regeln fabriziert werden,47 dann ist keine Sicherheit möglich und damit der eigentliche Grund des Rechts aufgelöst. Die Bürger können, selbst wenn sie es noch so möchten, dem Recht gar nicht gehorchen. Bentham versteigt sich gar so weit in dieser Argumentation, dass selbst Sklaven, die wissen, was ihr Herr von ihnen erwartet, unter dem Aspekt der Rechts-Sicherheit besser dastehen als die freien Engländer.48 In Einklang mit seiner bereits geschilderten Grundannahme, die die Nicht-Enttäuschung von Erwartungen zu einem geradezu sakrosankten Prinzip erhebt, beschreibt er die Hauptaufgabe des bürgerlichen Rechts und zugleich das zentrale Defizit des "common law": "Of that branch, the grand and allpervading object is - to keep out change: - to prevent as much as possible, those disappointments, which are the result of actual and unexpected change, and those alarms, which are produced by the tremulous expectation of change. In this case, general uncertainty in the state of the law - that perpetual source of unexpected changes, in individual instances, to an unfathomable extent - is the grand source of evil: and uncertainty

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Truth versus Ashhurst, Works, V, S. 235. Deshalb hat in England, so Bentham, bisher nicht das Recht die persönliche Integrität und den Besitz der Bürger garantiert, sondern die "moral and public sanction". "If that country has hitherto escaped absolute destruction; if the lust of power, and the thirst of riches, have hitherto been kept within any tolerable bounds; we must attribute it to the force of the moral sanction, not to that of the political sanction; to manners, and not to laws." Of the Influence of Time and Place in Matters of Legislation, Works, I, S. 187. Das gilt insbesondere für die "equity courts", die Bentham vollkommen ablehnt: Vgl. Petition for Justice, Works, V, S. 484. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 54. Vgl. Petition for Codification, Works, V, S. 547.

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is the inherent disease of that wretched substitute to law, which is called unwritten law, and which, in plain truth, is no law at all."49

Der zentrale Punkt von Benthams Rechtsdenken, den wir bereits als einen konservierenden Grundzug beschreiben konnten, kommt hier geradezu überdeutlich zum Vorschein. Bentham - dem radikalen Reformer - geht es um eine Reform, die zumindest in wesentlichen Teilen Bestände, und das heißt hier vor allem Besitz-Bestände, sichert. Was immer an einer bestehenden Glücksverteilung verändert werden soll, das muss ich unbedingt dem Diskurs der Nicht-Enttäuschung beugen, es muss eine Kompensation bereitgehalten und es müssen die Rechts- und Herrschaftsbeziehungen so organisiert werden, dass die Erwartungen der rechtsunterworfenen Individuen gesichert bzw. nur schrittweise modifiziert werden. All dies vermag das "common law" keinesfalls zu leisten. Es ist weder in der Lage einen stabilen gesellschaftlichen Zustand zu erhalten, dazu ist die Rechtssetzung und Rechtsfindung zu unscharf und willkürlich, noch besteht unter seinen Ordnungsbedingungen die Möglichkeit einer rationalen Transformation der Verhältnisse in Richtung auf eine optimierende Glücksverteilung, die, das darf nie aus den Augen verloren werden, für einen kurzen Moment eher Unglück produziert, das Moment der Kompensation dann aber zur Heilung von Asymmetrien nutzt. Die kurze Rekonstruktion der zentralen Stoßrichtung von Benthams Kritik am "common law" macht den Hintergrund etwas deutlicher, von dem sich seine Theorie des Rechts abhebt. All die Eigenschaften, die dem "common law" fehlen, also Berechenbarkeit, Bekanntheit, Verständlichkeit, Klarheit, Widerspruchsfreiheit und vor allem eine vernünftige Begründung auf der Basis des Prinzips des größten Glücks, müssen ein Recht auszeichnen, das Bentham für angemessen hält. Zugleich aber braucht dieses vernünftige Recht eine Quelle, von der aus es die gesamte Gesellschaft durchdringen kann: die souveräne Gewalt der Gesetzgebung.

4.2.3.

Die Zirkularität der Macht und die Theorie der Souveränität

Benthams Rechtstheorie ist eine Imperativtheorie des Gesetzes.50 Alles Recht muss innerhalb dieser Vorstellung als "Rechtsbefehl" eines alle anderen partikularen Willen übertreffenden souveränen Willens begriffen werden. Dadurch kommt es zu einer eindeutigen Parallelität von Recht und Herrschaft, die sich entlang der sprachlichen Ver-

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50

Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 102. Dabei ist eine besondere Pointe der Argumentation, dass jede Form von Verbesserung, der das "common law" fähig ist, nur über individuelle Enttäuschungen geschehen kann, da nur so eine Veränderung des unscharfen aber doch eingewöhnten Systems denkbar ist. Der Grund liegt darin, dass die richterrechtliche Rechtsfindung nicht systematisch auf die existierenden Erwartungen eingehen kann, da es kein vorher bekanntes Recht zur Steuerung der Einstellungen und Erwartungen gibt. Vgl. ebd., S. 20. Jeder Rechts-Satz lässt sich in einen Imperativ übersetzten, was nicht heißt, dass jeder Satz in einem Gesetz ein Imperativ sein muss. Vgl. Of Laws in General, S. 303. Zum Verhältnis von logischem und grammatikalischem Imperativ, vgl. ebd., S. 104 f.

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fasstheit des Rechts entwickelt. 5 1 Wenn nämlich politische Herrschaft auf der Disposition der Herrschafitsunterworfenen aufbaut einem Befehl gegenüber zu gehorchen, dann lässt sich Gesetzgebung als ein Sonderfall dieser durch Akzeptanz entstandenen "power o f imperation" definieren. 5 2 D i e kleinste Rechtseinheit, die Bentham gelegentlich mit dem Bild des Muskels eines politischen Körpers archetypisiert, wird v o n ihm als eine Art "Rechtspartikel" oder "Rechtsatom" definiert. 53 D i e s e kleinste Einheit ist eine Willensäußerung des Souveräns: "A law may be defined as an assemblage of signs declarative of a volition conceived or adopted by the sovereign in a state, concerning the conduct to be observed in a certain case by a certain person or class of persons, who in the case in question are or are supposed to be subject to his power: such volition trusting for its accomplishment to the expectation of certain events which it is intended such declaration should upon occasion be a means of bringing to pass, and the prospect of which it is intended should act as a motive upon those whose conduct is in question."54

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"1. A habit is but an assemblage of acts', under which name I would include, for the present, voluntary forbearances. 2. A habit of obedience then is an assemblage of acts of obedience. 3. An act of obedience is any act done in pursuance of an expression of will on the part of some superior. 4. An act of POLITICAL obedience (which is what is here meant) is any act done in pursuance of an expression of will on the part of a person governing. 5. An expression of will is either parole or tacit. 6. A parole expression of will is that which is conveyed by the signs called words. 7. A tacit expression of will is that which is conveyed by any other signs whatsoever: among which none are so efficacious as acts of punishment annexed in time past, to the non-performance of acts of the same sort with those that are the objects of the will that is in question. 8. A parole expression of the will of a superior is a command. [...] 11. The STATUTE LAW is composed of commands. The COMMON LAW, of guasi-commands." (A Fragment on Government, S. 40, Fn. o.) Man muss sich klar machen, dass hier die an eine Handlung geknüpfte Strafe als ein motivierendes Zeichen ohne sprachlichen Ausdruck bestimmt und zugleich die Gesamtheit aller möglichen Herrschaftsbeziehungen als unterschiedlich geformte Kommunikationsbeziehungen definiert wird. Unschwer erkennbar ist dann die offensichtliche Defizienz des "common law" in terms der explizit sprachlichen Kommunikation und es wird klar, warum die sprachliche Form des Gesetzes fundamental bedeutsam ist. Einen Befehl, den man nicht versteht oder hört wird man selbst bei einem "perfect habit of obedience" gar nicht ausführen können. Die Effizienz der Herrschaft und die Rechtskonformität des Handelns der Herrschaftsunterworfenen jedenfalls wird durch das stumme Verknüpfen von Tat und Strafe sicherlich nicht verbessert. Gesetzgebung ist nur ein, wenn auch äußerst wichtiger, Teil der "power of imperation", da Bentham davon ausgeht, dass sie notwendig durch eine "power of imperating de singulis" ergänzt werden muss. Beide zusammen, die allerdings nicht schlicht mit Legislative und Exekutive gleichgesetzt werden dürfen, machen die gesamte Befehlsmacht der Souveränität aus, jener Macht, von der man annehmen muss, dass sie alle andere Macht in sich absorbiert hat. Vgl. Of Laws in General, S. 81 f. Bentham spricht von der "idea of a law". Vgl. ebd., S. 12. Ebd., S. 1.

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Mit dem Hinweis auf mögliche Folgen, die der souveräne Rechtsbefehl in Aussicht stellt und die als Handlungsmotiv wirken sollen, wird in der Definition von Recht überhaupt das Moment des strafbewehrten Zwangs systematisch bedeutsam. Wir finden nun folgende Interdependenz von Gehorsam, Souveränität und Recht vor: Die souveräne Herrschaft hat ihren Existenzgrund in einem grundsätzlichen Gehorsamshabitus der Untertanen, die so entstehende Souveränität verbietet und gebietet über Rechtsbefehle den Herrschaftsunterworfenen, die dem Befehl Folge leisten oder aber einer möglichen Sanktionierung ihres Handelns durch der staatlichen Zwang ausgesetzt sind. Damit befinden wir uns zunächst in einem einfachen Zirkel, da wir nun sagen müssen, dass es nur deshalb souveräne Gewalt gibt, weil es prinzipiell Gehorsam gibt und umgekehrt, dass es Gehorsam gibt, weil eine souveräne (Zwangs-)Gewalt existiert. Die Frage, die es nun zu bearbeiten gilt, lautet, wie dies gedacht werden soll und welche Folgen sich für das politisch institutionelle Arrangement aus diesem Zusammenhang ergeben. Für Benthams Vorstellung von Souveränität muss davon ausgegangen werden, dass er sie als die alleinige Quelle eines die gesamte Gesellschaft durchdringenden Rechtsdiskurses versteht. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass sein Begriff von Recht, wie wir ihn oben wieder gegeben haben, von ihm selbst als eine politische Häresie verstanden wird, da er faktisch jeden zwangsbewehrten Befehl unter das Recht subsumiert. Er reflektiert selbst, dass er als Ausfluss der Rechtssetzungskompetenz des Souveräns zusammenfasst, was kein anderer Rechtstheoretiker und schon gar nicht die allgemeine Verwendung des Wortes "Recht" darunter fassen würde.55 Das soll so verstanden werden, und wir begegnen hier der abstrakten rechtstheoretischen Form seines Begriffs von Sicherheit, dass die Gesamtheit der gesellschaftlichen Interaktionen, insofern sie eine asymmetrische Struktur hat, letztendlich auf die Souveränität zurückgeführt werden muss und in ihr ihren letzten Haltepunkt hat. Egal, ob ein Koch ein Essen zubereitet oder ob jemand aus seinem Besitz ein Geschenk macht, all diese Veränderungen der bestehenden statischen Realität sind, so Bentham, letztlich auf Befehl oder Erlaubnis des Souveräns rückfuhrbar, weil er, wenn es zu Störungen der Interaktion kommt, oder aber weil die Interaktionen nur so konstituiert werden können, immer die letzte Berufungsinstanz für die Validität, und das heißt hier Legalität, des Handelns sein muss.56 Dies hat weit reichende Folgen für den damit gegebenen Begriff von Freiheit

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Vgl. ebd., S. 9. "It is thus that every mandate that is issued within the limits of the sovereignty and that is not illegal, is in one sense or the other the mandate of the sovereign. Take any mandate whatsoever, either it is of the number of those which he allows or it is not: there is no medium: if it is, it is his; by adoption at least, if not by original conception: if not, it is illegal, and the issuing it an offence. Trivial or important makes no difference: if the former are not his, then neither are the latter. The mandates of the master, the father, the husband, the guardian, are all of them the mandates of the sovereign: if not, then neither are those of the general nor of the judge. Not a cook is bid to dress a diner, a nurse to feed a child, an usher to whip a school boy, an executioner to hang a thief, an officer to drive an enemy from a post, but it is by his order. If anyone should find a difficulty in conceiving this, he has only to suppose the several mandates to meet with resistance: in one case as well as in another the business of enforcing them must rest ultimatively with the sovereign." Ebd., S. 22 f.

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und zeigt zugleich, was für eine außergewöhnliche Bedeutung politischer Herrschaft zuwächst. Sie garantiert die Gesamtheit aller gesellschaftlichen Institutionen. Der alles durchdringenden Ordnungskompetenz des Souveräns korrespondiert seine faktische Verfügung über Zwangsmittel und letztendlich die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine strukturierte Befehlskette, die Anordnungen, Zwang und Strafe in Realität umsetzt. Der Souverän ist nicht nur dadurch definiert, dass er zu befehlen vermag, sondern wesentlich dadurch, dass er die ihm Herrschaftsunterworfenen leiden machen kann.57 Für Bentham, der Macht grundsätzlich in physische Zwangsmacht (power of contrectation/autocheiristic power) und in Befehlsmacht (power of imperation) differenziert,58 ist die Befehlsmacht in der physischen Gewaltausübung verwurzelt, wobei gleichzeitig im Sinne der skizzierten Zirkularität im Fall der politischen Herrschaft der physische Zwang nicht ohne Gehorsam auskommt. "Power of imperation [...], rests ultimately upon the power of contrectation; since all punishment is an exercise of the power of contrectation; [...]. Finally, in an established commonwealth, of the power of all subordinate power-holders the ultimate efficient cause is the command or allowance of the sovereign: of the power of the sovereign himself the constituent cause is the submission and obedience of the people. [...] As to the two plans just mentioned: the power of imperation being the same thing with the power of creating offences; it is thus that the two plans above mentioned coincide: the power of contrectation is the power of doing those acts which are necessary, amongst other purposes, for that of punishing offences, and which where this power is wanting, are offences of themselves."59

Herrschaft entsteht somit aus einer doppelten Machtübertragung. Die Macht zu befehlen und die Macht, wo nötig, Körper zu zwingen, steht den Vertretern der souveränen Gewalt allein zu. Wäre diese extralegale Macht nicht übertragen worden, so gäbe es kein "dominion", denn die jeweiligen Handlungen, exemplarisch im Fall der körperlichen Bestrafung eines Verbrechers, wären selbst Verbrechen (offences of themselves). Auch deutet diese Stelle aus Of Laws in General bereits auf die Terminologie des Constitutional Code voraus, wo dann endgültig die wirklich herrschaftskonstituierende Macht über das bloße Gehorchen hinaus in das Staatsvolk hinein verlagert wird.60 Im hier in 57

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"In point of fact a man is subject to any and every sovereign who can make him suffer: whether it be in person (that is in body or in mind) in reputation, in property, or in condition." Ebd., S. 20, Fn. d. "The faculties by which a being of any kind, rational or irrational, animated or inanimate, is capable of being the subject of power are all reducible to two classes, those which are merely passive, and those which are active or selfmoving: [...]. Power which is exercised over the passive faculties may be styled in a large sense power of contrectation; that which is exercised over the active or self-moving faculties, power of imperation." Ebd., S. 138, Fn. h fortlaufend. Vgl. auch ebd., S. 38 und Principles of International Law, Works, II, S. 540. Ebd., S. 139. In Of Laws in General geht das noch durcheinander, auch wenn bereits hier zwischen der faktischen Quelle der Souveränität und der idealen unterschieden wird, die später in demokratietheoretischer Perspektive nahezu verschmelzen. Dort ist am Beginn des Werks die Rede davon, dass der "efficient cause" der Souveränität der Gehorsam sei: "Now in point of fact not to meddle at present with the point of right (or to speak more intelligibly with the point of utility or expediency, since right independently of law and of utility is unintelligible) in point of fact, I say, the ultimate

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Rede stehenden Zusammenhang ist das zunächst so gemeint, dass der Souverän seine zwingende Macht nur ausüben kann, wenn ihm seine subordinierten Machtträger in einer wann auch immer endenden Befehlskette wirklich gehorchen, während zugleich ein beträchtliches Maß an Gehorsam sich aus der Tatsache ableiten lässt, dass bei Nichtgehorchen eines Befehlsempfangers eine direkte Bestrafung an jeder der Stellen der Befehlskette, an der die Gehorsamsleistungen von anderen noch hinreichend erbracht werden, erfolgen kann. Solange den Gesetzesbefehlen keine Folge geleistet wird, solange befindet sich das Recht im Zustand einer eigentümlichen Suspendierung, eines Schlafes, wie es Bentham ausdrückt, der dann beendet ist, wenn de facto gehorcht wird.61 Betrachtet man dieses Verhältnis von Gehorsam und souveräner Gewalt bei Bentham, so wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass verschiedenste konkrete institutionelle Ordnungen sich hier problemlos einfügen lassen. Der Autor selbst hat sich auf dem Weg zu seiner reiferen Demokratietheorie erst zu der Erkenntnis durcharbeiten müssen, dass seine so formulierte Theorie der Souveränität nur dann wirklich zum "greatest happiness principle" passt, wenn man denen, aus deren Gehorsam alle Macht entspringt, auch einen entscheidenden Anteil an ihrer Ausübung zubilligt. Allerdings finden sich auch in seinen frühen Arbeiten bereits deutliche Hinweise in diese Richtung. Sie stehen meist im Zusammenhang mit Überlegungen, wie denn souveräne Gewalt begrenzt und verteilt werden kann. Bentham hat sich sehr abschätzig zur klassischen Gewaltenteilungslehre geäußert.62 Er war außerdem der festen Überzeugung, dass zweite Kammern im Gesetzgebungsverfahren zu Konfusion, Zeitverlust und Verantwortungslosigkeit fuhren müssen.63 Gleichzeitig findet sich bei ihm durchaus die Rede, dass die Befehlsgewalt "may be broken into shares"64 und Hinweise darauf, dass Menschen in verschiedenen Lebensbereichen durchaus dazu neigen, mehreren Herrn zu dienen.65 Letzteres ist im strengen Sinn nicht mit Benthams Vorstellung von Souveränität vereinbar. Man muss mit ihm unterscheiden zwischen einer verteilten und einer wirklich geteilten Souveränität. Geteilte Herrschaft würde in diesem Fall ein System der Hinderung von Machtausübung durch verschiedene Vertreter souveräner Gewalt bedeuten. Dies lehnt Bentham als ineffizient und letztlich kontraproduktiv ab. Was es sehr wohl geben muss, ist eine Verteilung der

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efficient cause of all power of imperation over persons is a disposition on the part of those persons to obey: the efficient cause then of the power of the sovereign is neither more nor less than the disposition to obedience on the part of the people." Ebd., S. 18, Fn. a. Zum Bedeutungswandel des Begriffs "Souveränität" vgl. Bums, J.H., Bentham on Sovereignty, An Exploration (1973), in: Parekh, Bhikhu, Jermy Bentham - Critical Assessments, Vol. III, London 1993, S. 757-772, hier S. 768 ff. Vgl. ebd., S. 141. Die Nomenklatur der klassischen Gewaltenteilungslehre ist viel zu ungenau und fuhrt daher zu Verwirrung. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 198. Extrem polemisch gegen den Unsinn einer geteilten Souveränität vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 520. Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France on Houses of Peers and Senates, Works, II, S. 420-450 passim. Of Laws in General, S. 26, Fn. h. Klassisches Beispiel sind hier natürlich religiöse Oberhäupter, die mit weltlichen Souveränen konkurrieren. Vgl. ebd., S. 18, Fn. a fortlaufend.

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"power of imperation", die sogar recht weit reichend sein kann. So ist es durchaus mit der Idee einer souveränen Gewalt verträglich, wenn sie Spielräume für autonome Entscheidungen auf einer niedrigeren Ebene des Systems lässt.66 Außerdem müssen bestimmte Teile der Befehlsgewalt einfach deswegen übertragen werden, weil sie nicht von einer Person oder einem repräsentativen Organ allein ausgeübt werden können. Bentham nennt hier die "accensitive power", das heißt die Macht, die per Befehl Personen in einen bestimmten Rang erhebt bzw. zu einer bestimmten Gruppe hinzufügt.67 Gewaltenteilung entlang der Funktionen von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ist damit offenbar nicht gemeint. Wie auch immer Macht verteilt wird, es bleibt aus logischen Gründen unverzichtbar, dass eine zentrale Entscheidungsgewalt die Befehle konsistent und verantwortbar aus sich heraus gibt, an der Spitze der Herrschaftspyramide steht. Auf sie muss alle legale Macht rückbezogen werden und gegen sie gibt es keine legalen Mittel.68 Daraus folgt zwangsläufig, dass eine legale Begrenzung souveräner Gewalt systematisch hoch problematisch ist. Während das Recht gegenüber den Herrschaftsunterworfenen in hohem Maß einen vollständigen Rechtscorpus darstellen kann, bleibt das Recht gegenüber dem Souverän eigentümlich hilflos. Das liegt schlicht daran, dass Bentham Recht als eine Willensäußerung des Souveräns definiert hat und nun eigentlich für jede rechtliche Beschränkung souveräner Gewalt nur noch das Modell der Selbstverpflichtung bzw. der Verpflichtung von Nachfolgern übrig bleibt.69 Neben diesem eher rechtssystematischen Problem besteht außerdem kaum eine Möglichkeit, exakt die Gewalt, die über die ganze Fülle der politisch legalen Zwangsmittel verfügt, genau diesen auszusetzen.70 Auch hier scheitert die Verrechtlichung der Beziehungen des Souveräns zu den Herrschaftsunterworfenen ganz grundsätzlich. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass nicht verschiedene Amtsträger durchaus für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können. Es wird aber deutlich, dass Bentham einer verfassungsrechtlichen Begrenzung souveräner Gewalt, dem Teil des Rechts, den er transzendent und "laws in principem" nennt, eine andere Stellung zuweisen muss als das beim bürgerlichen Recht oder dem Strafrecht der Fall war.71 Systematisch gibt es nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: die Rechtsquelle und die Sanktion des "Rechts" muss zumindest in diesem Fall anders definiert werden. In diese Richtung 66

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Das sind dann die unvollständigen Befehle des Souveräns, die gleichsam ausgefüllt werden müssen bzw. dürfen. Of Laws in General, S. 26. Diese Macht ist sehr vielgestaltig. Sie erscheint als Macht einen Amtsträger zu ernennen und als Macht der Jury einen Angeklagten der Gruppe der Verbrecher zuzuordnen. Vgl. ebd., S. 85 ff. "A mandate is either referable to the sovereign or it is not: in the latter case it is illegal, and we have nothing to do with here." Ebd., S. 29. "By an expression of will which has its own conduct for its object, he enters himself into a covenant: by an expression of will which has the conduct of his successors for its object, he addresses to them a recommendatory mandat." Ebd., S. 65. Es heißt schlicht: "The force of the political sanction is inapplicable to this purpose: [...]." Ebd. S. 68. "The business of the ordinary sort of law is to prescribe to the people what they shall do: the business of this transcendent class of laws is to prescribe to the sovereign what he shall do: [...]." Ebd., S. 64.

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deuten bereits die Überlegungen Benthams in Of Laws in General, die darauf hinweisen, dass bestimmte Verhaltensbegrenzungen zu den Bedingungen gehören können, an die die Untertanen ihren Gehorsam knüpfen und seine Ausführungen über die sanktionierenden Ersatzleistungen der öffentlichen Meinung bzw. der Religion, die in der Lage sind, zumindest teilweise die souveräne Gewaltausübung zu beeinflussen.72 Die Frage, wer denn unter den Bedingungen einer notwendigen Defizienz des herkömmlichen Rechts und bei einer unvermeidbaren "Unvollkommenheit" des Verfassungsrechts eigentlich die Wächter bewacht, wird in späteren Schriften eindeutiger so beantwortet, dass eine Judiflzierbarkeit der Souveränität als unmögliche systematische Lösung zurückgewiesen wird. Die in Of Laws in General aufscheinende Kompromissbereitschaft in Bezug auf eine Selbstbindung der souveränen Gewalt, die ja gegenüber den Vertragstheorien und der Ideologie des Krönungseides so polemisch behandelt wurde, wird ebenfalls nicht mehr in dieser Form in Erwägung gezogen, sondern auf eine kontrollierte Selbstfestlegung hin reinterpretiert. Immer stärker wird, wie im Panopticon, auf öffentliche Beobachtung und eine organisierte Wahl-Macht der Herrschaftsunterworfenen gesetzt: "Those laws the organization of which is complete [...] ought to precede those of which the organisation is necessarily defective. A certain part of the political code is necessarily in this latter condition. There must be a stop somewhere in the establishment of laws. Quis custodiet ipsos custodes? - The laws which govern the subjects ought to precede those by which it is attempted to restrain the sovereign power. The first - the laws for the people in populum form a complete whole; they are accompanied by penalties, and a procedure which insures their execution. But the laws in imperium respecting the governors, unless they change their nature, cannot have for their assistance either the one or the other of these auxiliary laws. A punishment cannot be assigned for the offences of the sovereign, or of the body which exercises the sovereignty: no tribunal and no forms can be prepared for their trial; - all that human wisdom has been able to devise is reduced to a system of precautions and indirect means, rather than a system of legislation. The power of removal, for example, is employed to obviate the corruption of a representative body. The nature of the case does not admit of any judicial methods, any regular procedure."73

Endgültig vollzogen und in eine institutionelle Ordnung übersetzt wird der hier angedeutete Wandel im Konzept der Souveränität in Benthams Theorie der repräsentativen Demokratie, an der er bis zu seinem Lebensende gearbeitet hat. Hier liegt die souveräne Gewalt im Sinne der Volkssouveränität im Volk, da nur so sichergestellt ist, dass sie auch zum Wohl der Vielen ausgeübt wird.74 Die Rolle der Herrschaftsunterworfenen bei der Hervorbringung von Herrschaft ist keine passive des bloßen Gehorchens mehr,

Das Problem bleibt letztlich, wie man für den Souverän bzw. die Träger der Souveränität ein handlungsmotivierendes Motiv schafft. Vgl. ebd., S. 70. Diese Frage wird in der Theorie des Amtes wieder aufgenommen und mit dem "duty and interest juncture principle" versucht einer Lösung näher zu bringen. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 162. "The sovereign power give to those, whose interest it is that happiness be maximized." Constitutional Code, S. 21.

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vielmehr eine aktive konstituierende.75 Deshalb wird Souveränität von der Gesamtheit des Volkes zumindest über den Wahlakt als eine "locative" bzw. "dislocative power",76 in die sich die "accensitive power" von Of Laws in General im Constitutional Code demokratisch verwandelt hat, ausgeübt.77 Die Souveränität ist damit dualisiert in eine dominierende konstitutive und eine gestuft abhängige operative Gewalt.78 Damit ist das ursprüngliche Prinzip einer absoluten Spitze der Entscheidungshierarchie zu Gunsten der vielen Herrschaftsunterworfenen geradezu umgedreht aber erhalten. Die Gesetzgebung wird von einer unbeschränkten aber dem sie konstituierenden Volks-Souverän verantwortlichen repräsentativen Körperschaft garantiert: "The Supreme Legislature is omnicompetent. Coextensive with the territory of the state is its local field of service; coextensive with the field of human action is its logical field of service. To its power, there are no limits. In place of limits it has checks. These checks are applied, by the securities, provided for good conduct on the part of the several members, individually operated upon; [...]." 79

Damit wird versucht die Notwendigkeit einer omnikompetenten Gesetzgebung mit der gleichzeitigen Forderung des Prinzips des größten Glücks zu versöhnen, sodass effizient und durchschlagend entschieden werden kann, bei einer gleichzeitigen Maximierung der möglichen Kontrolle des Entscheidens in Bezug nicht auf den repräsentativen Körper insgesamt, das wäre weder im Sinne des methodischen Individualismus noch im Sinn des Souveränitätsgedankens, sondern seine einzelnen Entscheidungsträger. Bentham hat damit versucht, das prinzipielle Problem zu lösen, das er bereits in A Fragment on Government angesprochen hat,80 und das darin besteht, dass der wirkliche Unterschied zwischen einer freien und einer despotischen Regierung nicht darin liegen kann, dass sie beide an ihrer Spitze über fast unbegrenzte Kompetenzen und Machtmittel verfugen, sondern darin, wie die Herrschaft geordnet und in "circumstances" eingebettet werden muss, damit sie dem Glück der Menschen dient.

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"The sovereignty is in the people. It is reserved by and to them. It is exercised, by the exercise of the Constitutive authority, [...]." Constitutional Code, S. 25. Vgl. Constitutional Code, S. 32, V/3/1. Vgl. Constitutional Code, S. 26, IV/2. "The constitutive authority is that, by which at all times the holders of the several other authorities in this state, are what they are: by it, immediately or interventionally, they have been in such their situations located, and therefrom are eventually dislocable." Constitutional Code, S. 29, V/l/2. Bentham ordnet die "authorities" so zu: "Taken together, the Legislative and the Administrative compose the Government', the Administrative and the Judiciary, the Executive', the Legislative and the Executive, what may be termed the Operative, as contra-distinguished from the Constitutive." Constitutional Code, S. 27, IV/6. Dabei ergibt sich, dass die Verwaltung und Rechtssprechung der Legislative, die damit die höchste institutionalisierte Gewalt ist, unterstehen, während diese der Konstitutive unterworfen bleibt. Vgl. ebd., IV/7. (doppelte Hervorheb. - W.H.) Vgl. auch First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 6. Auch hier tauchen wieder die Archetypisierungen der Regierung als Uhr auf, vgl. ebd., S. 135, wo die "constitutive power" als Regulator und die "operative power" als Feder beschrieben werden. Constitutional Code, S. 42, VI/1/1. (Hervorheb. - W.H.) Vgl. A Fragment on Government, S. 97 f.

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Bereits im Fragment, und hierin besteht eine der bemerkenswerten Kontinuitäten des politischen Denkens Benthams, der ein Reformer war, lange bevor er ein radikaler Demokrat wurde, finden sich gleichsam wie Leitmotive die entscheidenden Topoi. Es ist nicht die Machtvollkommenheit der Herrschaftsausübung, die den Unterschied zwischen Freiheit und Despotie markiert. Die Merkmale der Freiheit unter den Bedingungen von Herrschaft sind: die Machtverteilung (nicht Trennung) zwischen den verschiedenen Inhabern der souveränen Gewalt, die Quelle der souveränen Autorität, der Wechsel in den Rollen von Herrscher und Beherrschten, die Verantwortung der Herrschenden, die zunächst in der Angabe von Gründen für ihr Tun besteht, die Freiheit der Meinungsäußerung und damit der Presse, die es jedem erlaubt, seine Beschwerden öffentlich vorzutragen und eine Assoziationsfreiheit, die alle Arten der legalen Opposition kurz vor dem wirklichen Aufstand billigt. Wenn für Bentham Recht und Souveränität untrennbar aneinander gebunden waren, so muss dies immer so gesehen werden, dass diese Verbindung wegen ihres zentralen Zieles der Sicherung der bürgerlichen Ordnung unbedingt so begrenzt und gelenkt werden muss, dass das Glück der größten Zahl zugleich gefördert und die Gefahr der Schädigung durch die Superkompetenz des Souveräns minimiert werden sollte. Gleichwohl soll die Macht noch als Macht zum Guten erhalten bleiben. 4.2.4.

Der strafende Staat und die Freiheit seiner Bürger

Das Nachdenken über Strafe ist einer der Ausgangspunkte des Denkens von Jeremy Bentham. Er beschäftigt sich immer wieder mit der Rechtfertigung und der Gestaltung von Strafe. Sie ist ihm deshalb so überaus wichtig, weil sie auf Grund seiner handlungstheoretischen Annahmen das bei weitem effizienteste Mittel der Handlungssteuerung und -kontrolle über die Schaffung künstlicher Motive darstellt. Dabei gilt Strafe für Bentham als viel eher geeignet zur Unterbindung von Handlungen als zur Motivierung von Aktivitäten. Aus seiner Sicht der Dinge ist sie gerade deshalb von so herausragender Bedeutung, weil einmal auf Grund unserer anthropologischen Grundausstattung ihr Instrumentarium dem der Belohnung weit überlegen ist81 und zum Zweiten weil es, betrachtet man den Lauf der menschlichen Dinge, viel öfter nötig ist, Menschen daran zu hindern anderen zu schaden als sie dazu zu bringen, jemandem positiv etwas Gutes zu

Die Zufugung von Leid ist deutlich einfacher als die Schaffung von Glück. Sie greift in die einfachen Bedürfnisse des Menschen ein, in dem sie ihm etwas wertvolles nimmt, das allen Menschen wertvoll ist (Freiheit, Besitz usw.). Belohnung kann nur die Mittel zum Glück bereit stellen und wenn man jemanden wirklich glücklich machen will, dann muss man ihn gut kennen. "Punishment may be applied in all shapes to all persons. Pleasure, however, in the hands of the legislator, is not equally manageable: pleasure can be given only by giving the means by which it is purchased - that is to say the matter of wealth - which every one may employ in his own way." Rationale of Reward, Works, II, S. 197. Außerdem ist Strafe unendlich variabel, vgl. Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 164.

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tun. 82 D a s ist deshalb so, weil das Leben an sich dominierend ein gutes und glückliches ist, w e n n es nicht v o n außen beeinträchtigt und damit das glücksuchende Individuum an seinem Wohl beschädigt wird. Politische Herrschaft selbst ist ohne Strafe nicht denkbar. Bentham formuliert ohne Einschränkung: "Punishment is everywhere an evil; but everywhere a necessary one: punishment, that is to say, suffering applied purposely by public functionaries. No punishment, no government; no government, no political society."83 D a s soll aber nicht heißen, dass die Regierung allein schon dadurch entsteht, dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen strafende Gewalt ausüben. Es gilt nämlich gleichzeitig, dass sich aus dem bloßen Faktum der Bestrafung keine Rechtsbeziehung ergeben kann. 84 Recht entsteht nur aus der begründeten Setzung einer Verpflichtung und der gleichzeitigen Verleihung eines korrespondierenden Rechtes. A u s der Realität dieser Rechtssetzung entsteht die fiktive Rechtspflicht, deren Nicht-Erfüllung unter Strafe gestellt wird. 85 Genau dies meint Bentham, w e n n er immer wieder darauf hinweist, dass jede Regierung auf das zentrale Steuerungsmedium der Furcht vor Strafe zurückgreifen muss, w e n n sie nicht bloß überzeugen, sondern auch befehlen will. 8 6 D a s untrennbare Bezugsgeflecht v o n Rechten und Pflichten erhält überhaupt nur einen Sinn,

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"The case seems to be that in general there are more acts which men have need to be restrained from doing, than there are which they have need to be constrained to do. [...] The moments which give a man the opportunity of performing any positive service to the community are separated by long and frequent intervals: but mischief a man may do almost at any time. [...] Mankind then, take the sum of their conduct throughout life have much greater need of a bridle than of a spur." Of Laws in General, S. 112, Fn. o fortlaufend. Principles of Penal Law, Works, I, S. 528. (Hervorheb. - W.H.) Das genau ist ja der Kardinalfehler des "common law". "[...] but it is not that by any such act of power or punishment that a real law can be brought into existence. Punishment is the act of a judge, or any other person who has power to do evil to the party said to be punished: a law is the work of none but a legislator." Nomography, Works, III, S. 244. "Whatever business the law may be conversant about, may be reduced to one sort of operation, viz: that of creating duties. To make duties, in the first place it must define them: in the next place it must mark out punishment to be inflicted for the breach of them.b Here then are two operations distinguishable in themselves, though for use they must always be conjoined. b It is by creating duties and by nothing else that the law can create rights. When the law gives you a right, what does it do? it makes me liable to punishment in case of my doing any of those acts which would have the effect of disturbing you in the exercise of that right." Of Laws in General, S. 249. Bentham erzählt die Geschichte eines Königs, der nicht auf die Furcht vor Strafe zurückgreifen will, sondern seine Untertanen für ihr rechtskonformes Verhalten belohnt. Das Ergebnis ist schlagend: Während nämlich die Strafe nur eingesetzt werden muss, wenn das Gesetz gebrochen wird, muss die Belohnung immer dann erfolgen, wenn es eingehalten wird. Das Königreich ist bald ruiniert. Vgl. The Rationale of Reward, Works, II, S. 208. Vgl. auch First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 249.

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wenn bei den entscheidenden Begriffen der Rechtssprache immer auch das Moment des Zwangs und der eventuellen Strafe mitgedacht wird.87 Wenn beispielsweise die Person und das Eigentum unantastbar sein sollen, so muss der Gesetzgeber folgendes tun: Er kann demjenigen, dem das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf den freien Gebrauch seines Eigentums zugestanden wird, diese Rechte nur verschaffen, indem er alle anderen Gesellschaftsmitglieder verpflichtet, weder die Person noch das Eigentum des Betreffenden in irgend einer Weise zu beschädigen bzw. zu entziehen.88 D.h. aber in letzter Konsequenz - und Bentham zieht diese Schlussfolgerung - , dass das Recht, wie immer es auch verfahren will, gar nicht anders kann als eine asymmetrische Beziehung zwischen den Rechtsunterworfenen herzustellen bzw. zu perpetuieren und diese Asymmetrie durch die ultima ratio der Strafandrohung abzusichern. Wo immer nämlich Rechte existieren, da existieren notwendig entsprechende Pflichten, wo aber Pflichten ohne Rechte existieren, da ist ein nutzloses Gesetz entstanden.89 Für das Verhältnis von bürgerlichem Recht und Strafrecht heißt dies aber, dass das Strafrecht logisch das bürgerliche Recht dominiert, letzteres verlöre ohne seine Strafandrohung den Rechtscharakter, während das bürgerliche Recht unabdingbar nötig ist, damit das Strafrecht überhaupt verstanden werden kann. Man kann beide Teile des universalen Rechtscodes ineinander übersetzen,90 weil sie jeweils das gleiche Verhältnis bedeuten, es aber je unter einem anderen Aspekt darstellen.91 Damit es beispielsweise Diebstahl geben kann, muss im bürgerlichen Recht ein Begriff von Eigentum formuliert

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Nur über die Realität von Recht und Strafe, die eindeutig auf die Leitdifferenz von "pain" und "pleasure" bezogen sind, erhalten folgende Fiktionen ihren Sinn "obligation, right, title, property". Vgl. Of Laws in General, S. 136. Beim Schutz der Person gilt das für jeden Bürger im Verhältnis zu allen anderen. Die kleinste Verletzung der Person muss strafbar sein, da sonst einer des anderen Sklave werden würde. "Let any one be allowed to touch your person in any manner whatsoever without being called to account for it: he may abuse this liberty (sic!) so much as to render your life a burthen to you: you become in effect his slave: [...]." Specimen of a Penal Code, Works, I, S. 166. Daher muss folgende Relation durch das Recht in Hinblick auf Vergehen gegen die Person geschaffen werden: "Here the parties bound are either all persons whatsoever [...] (ausgenommen, diejenigen, denen Macht verliehen worden ist - W.H.): or in particular cases particular classes of persons from whom offences of the nature in question are particularly apprehended. The parties purposely exposed to suffer, none: the parties favoured in the first instance, each person in particular to whom protection for his person against the mischief in question is thus given." Of Laws in General, S. 60. Beim Eigentum sieht es so aus, dass, indem mir das Recht den Besitz an einem von mir gekauften Laib Brot sichert, es gleichzeitig alle anderen davon ausschließt, und zwar auch den Bäcker, der es gebacken hat. Die Adressaten der Verpflichtung sind alle Menschen: "bound are all mankind." Vgl. ebd. "[...] so sure as rights are created, duties are created too; and that though you may make duties without making rights (which is in fact the result of the alas! but too numerous catalogue of laws by which nobody is the better,) yet to make rights without making duties is impossible." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 526. Vgl. auch Pannomial Fragments, Works, III, S. 217. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 15. Vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 299.

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werden, dessen Verletzung dann im Strafrecht unter eine Sanktionierung gebracht wird. Man kann also nicht verstehen, was Diebstahl eigentlich ist, wenn man nicht erklärt bekommen hat, was Eigentum bedeutet. Zugleich aber macht das Eigentum wenig Sinn, wenn man nicht alle möglichen Verletzungen des Eigentums durch das Strafrecht ausschließt. Eigentum ist mit dadurch bestimmt, dass die verschiedensten Formen der Vergehen (Unterschlagung, Veruntreuung usw.) gegen es verboten sind. Das Verhältnis von Strafrecht und bürgerlichem Recht bringt Bentham selbst in das Bild von Pyramiden, die auf der gleichen Basis stehen, deren Spitzen aber nicht deckungsgleich sind. Folgende Darstellung vermittelt er in Of Laws in General·?2 offence

offence offence penal law

civil law circumstances Abbildung 5: Das Verhältnis von bürgerlichem Recht und Strafrecht

Die Rechtsordnung gestaltet sich danach als ein alles durchdringendes Gewebe von Rechten und Pflichten, die als Befehl der souveränen Gewalt mit Strafdrohungen bewehrt sind. Das bürgerliche Recht erklärt, wie die Beziehungen der Menschen zueinander geregelt sind und das Strafrecht stellt die eigentlich handlungssteuernde Motivation für eine Achtung dieser Regelungen bereit.93 Letzteres ist aus zwei Gründen das für die Menschen wichtigste Recht. Es garantiert ihnen im durchschnittlichen Fall, dass ihre 92 93

Vgl. Of Laws in General, S. 197 f. und 234. "These matters of explanation belong principally to the civil code: the commanding part, contained in penal laws, properly constitutes the penal code. All laws which have no penal clauses, or which only prescribe the obligation of restitution when any one has become possessed of the property of another without evil intention, may be placed in the civil code. All laws which direct a punishment over and above simple restitution [...] may be reserved for the penal code. [...] Each civil law forms a particular head, which ought to rest upon a penal law. Each penal law is the consequence, the continuation, the termination of a civil law." View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 161.

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Rechte nicht verletzt werden94 und zugleich macht es ihnen deutlich, was ihnen selbst droht, wenn sie Rechte anderer verletzen sollten.95 Insbesondere das Strafrecht betrachtet den Menschen immer als einen möglichen Täter und als ein mögliches Opfer. Es schränkt daher die absolute Freiheit aller ein, verpflichtet sie zur Unterlassung bestimmter Handlungen, um zu verhindern, dass sie selbst Opfer der untersagten Übeltaten werden.96 Vom Recht insgesamt werden alle belastet, damit sie auch alle davon profitieren können. Trotz der Notwendigkeit der Beschränkung menschlicher Handlungsmöglichkeiten durch das Recht wertet Bentham diese als das zentrale Übel des Rechts.97 Wie auch immer die Dinge betrachtet werden, das Recht ist besonders vor dem Hintergrund seines Zwangs- und Strafcharakters auf den ersten Blick der natürliche Feind der menschlichen Freiheit. Allein diese Tatsache reicht aus, um zu sagen, dass die Freiheitseinschränkungen immer ein ausreichender Grund für die Verhinderung eines Gesetzes sind, wenn nicht eindeutig weitere Vorteile daraus erwachsen.98 Die Freiheitsbegrenzung muss durch ein überwiegendes Gut kompensiert werden,99 da selbst bedenklichen Handlungen, die gleichzeitig zu einer Kompensation ihrer negativen Tendenzen beitragen, keine Gefahr darstellen und der Gesellschaft auch nutzen können, sodass ihr Verbot die Balance des Glücks durcheinander bringen würde.100 94 95

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Vgl. Swear not at All, Works, V, S. 220. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 320. Eine nicht begriffene Strafandrohung ist daher auch reine Verschwendung, vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 315. Vgl. Nomography, Works, III, S. 257. "By imposing restraints upon the actions of individuals, it produces a feeling of uneasiness: so much liberty lost - so much happiness destroyed." Manual of Political Economy, Works, III, S. 43.

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"In the same proportion as it creates obligations, the law curtails liberty: it converts into offences, acts which would otherwise be permitted and unpunishable. [...] These curtailments of liberty are inevitable. It is impossible to create rights, to impose obligations, to protect the person, life, reputation, property, subsistence, or liberty itself, but at the expense of liberty. But every restraint imposed upon liberty is liable to be followed by a natural feeling o f pain, more or less great, independent of an infinite variety of inconveniences and sufferings which may result from the particular mode of this restraint. It follows, therefore, that no restraint should be imposed, no power conferred, no coercive law sanctioned, without a specific and satisfactory reason. There is always one reason against every coercive law, and one reason which, where there no other, would be sufficient by itself: it is, that such a law is restrictive of liberty. Whoever proposes a coercive law, ought to be ready to prove, not only that there is a specific reason in favour o f this law, but also that this reason is more weighty than the general reason against every law." Principles o f the Civil Code, Works, I, S. 301. (Hervorheb. - W.H.).

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Das Argument, dass Einschränkungen von Freiheit kompensiert werden können, wird in der Linie der Benthamexegese von Halévy zu Long zum eindeutigen Indiz dafür, dass für Bentham Freiheit keinen eigenen Wert hat. Dem kann man so weit zustimmen, wenn nicht vergessen wird, dass Freiheitsverlust offensichtlich auch Schmerzen auslöst und es zum Glück freien Genuss braucht. Vgl. Long, Douglas G., Jeremy Bentham's Idea of Liberty in Relation to his Utilitarianism, Toronto 1977, S. 2 1 2 ff.

îoo

"xhe liberty which the law ought to allow of, and leave in existence - leave uncoerced, unremoved - is the liberty which concerns those acts only, by which, if exercised, no damage would

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Nun fuhrt zwar die Begrenzung der "natürlichen Freiheit" zu einer Einschränkung, die als ein Übel definiert werden muss, zugleich zeigt der Zusammenhang aber auch, dass Freiheit offenbar ein höchst ambivalentes Phänomen darstellt. Bentham formuliert die rhetorische Frage: "The liberty of doing evil, is it not liberty?"101 Das kann dann aber nur bedeuten, dass die "natürliche Freiheit" zunächst moralisch eher indifferent ist. Bentham möchte dies so verstanden wissen, dass "natürliche" Freiheit eigentlich nur Freiheit vom Gesetz bedeuten kann. Wie schon bei der Rekonstruktion des Verhältnisses von herrschaftsfreiem Zustand und politischer Gesellschaft verfahrt er so, dass er aus dem Zustand der rechtlichen Ordnung heraus den einer vorrechtlichen Lebensform fiktionalisiert. Ziel dieser Projektion ist zu zeigen, dass der Preis für die Freiheit gegenüber dem Recht ein hohes Maß an Unfreiheit gegenüber den anderen Menschen sein kann. Die Abwesenheit von rechtlichem Zwang setzt die Unfreiheit gegenüber den ebenfalls nicht gezwungenen Mitmenschen: "The Legislator hath not yet entered upon his office. As yet he has neither commanded nor prohibited any act. As yet all acts therefore are free: [...]. As against the law all persons possess as great a measure of this great blessing of liberty as it is possible for persons to possess: and in a greater measure than it is possible for men to possess it in any other state of things. This is the first day of the political creation: the state is without form and void. As yet then you and I and everyone are at liberty. Understand always, as against the law: for as against one another this may be far from being the case. Legal restraint, legal constraint and so forth are indeed unknown: but legal protection is unknown also. You and your neighbour, suppose, are at variance: he has bound you hand and foot, or has fastened you to a tree: in this case you are certainly not at liberty as against him: on the contrary he has deprived you of your liberty: and it is on account of what you have been made suffer [...] that the legislator steps in and takes an active part in your behalf. [...], how is it that he must demean himself? He must either command or prohibit. For there is nothing else that he can do: he therefore cuts of on the one side or the other a portion of the subject's liberty. Liberty then is of two or even more sorts, according to the number of quarters from whence coercion, which it is the absence of, may come: liberty as against the law, and liberty as against those who first in consideration of the effect of their conduct upon the happiness of society, and afterwards in consideration of the course taken against them by the law, may be styled wrong-doers. These two sorts of liberty are directly opposed to one another: and in as far as it is in favour of an individual, that the law exercises his authority over another, the generation of the one sort is, as far as it extends, the destruction of the other." 102

Der erste Tag der politischen Schöpfung, betrachtet aus der Perspektive der erfolgten Schöpfung, ist einer, der mit einem Schlag die Waage der Freiheit zu Gunsten der gesicherten Freiheit umwendet. Freiheit - und damit sind wir bereits bei unserem nächsten thematischen Abschnitt - ist erst sichere Freiheit unter den Bedingungen rechtlicher

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be done to the community upon the whole; that is, either no damage at all, or non but what promises to be compensated by at least equal benefit." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 505 f. Dann folgt die Forderung, dass nur solche Handlungen als erlaubt gelten dürfen, die mit dem Glück aller Menschen kompatibel sind. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 301. Of Laws in General, S. 253 f.

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Ordnung.103 Das, was man sich als ein universales Reich der Freiheit vorstellen kann, das noch weit in die bestehende Rechtsordnung hinein reicht,104 ist eine durchaus begrenzt angenehme Lebenssituation. Es ist erst das Recht, gesetzt durch eine überwältigende souveräne Gewalt, das es den Individuen erlaubt, ihre Freiheit in Sicherheit zu genießen.105 Die "natürliche" Freiheit war im Vergleich dazu wenig wert. Sie war die Freiheit der Stärkeren oder eben im Moment geschickteren Individuen. Genau betrachtet ist Freiheit die Abwesenheit eines bestimmten Zwangs (coercion, which it is the absence of). Die Individuen stellen sich deutlich besser, wenn der Zwang der einer wohl organisierten politischen Herrschaft ist, der eine naturwüchsig zufallige Dominanz so überformt, dass zwar bestehende Ungleichheiten nicht ganz aufgehoben werden, es aber doch jedem offen steht, seine Möglichkeiten des Glücks ungehindert zu verwirklichen. An dieser Stelle der Rekonstruktion können wir uns nun der zweiten Gruppe politischer Grundbegriffe zuwenden, die in enger Verbindung mit der fundamentalen Anforderung des "non-disappointment principle" und der Theorie der Kompensation stehen. Die angesprochenen Begriffe markieren allesamt die vom Recht zu gewährenden fundamentalen Voraussetzungen des Glücks.

4.2.5.

Das Recht gibt alles: Sicherheit, Subsistenz, Wohlstand und Gleichheit - die Teile des Glücks

Grundlage des Prinzips der Nicht-Enttäuschung ist die Überlegung, dass bestehende Erwartungen nicht enttäuscht werden sollen. Sicherheit als ein fundamentales Ergebnis rechtlich-politischer Herrschaft ist in gewisser Weise die institutionalisierte Form der 103

Daher sind für Bentham auch Freiheit und Sicherheit in hohem Maße austauschbare Begriffe. Die Pointe liegt in der Tatsache, dass niemanden seine Freiheit zu handeln etwas nutzt, wenn nicht sichergestellt ist, dass kein anderer ihn an der Ausübung dieser Freiheit hindert. "Under the head of security, liberty might have been included, so like wise property: Since security for liberty, or the enjoyment of liberty, may be spoken of as a branch of security: - security for property, or the enjoyment of proprietary rights, as another." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 503. Damit löst sich auch das von Long gestellte Problem auf, da Bentham zwar der Überzeugung war, dass das Recht und der Zwang keine Freiheit schaffen kann, sehr wohl aber sieht, dass es verschiedene Freiheiten geben kann, die das Recht beschützt. Long kommt auf anderem Weg zum gleichen Ergebnis. Vgl. Long, Douglas G., Bentham on Liberty, Toronto 1977, S. 74 f.

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Das ist dann der Fall, wenn man etwa von einem Gesetz nicht betroffen ist. Dann ist die Person "favoured in point of agency". Vgl. Of Laws in General, S. 56. Das "universal law of liberty" gilt auch noch unter den Bedingungen einer existierenden Rechtsordnung. Allerdings kann es nur aus der Innenperspektive des faktisch geltenden Rechts rekonstruiert werden und besteht in den nicht erlassenen Gesetzen vor dem Hintergrund der potenziell alle möglichen Handlungen betreffenden Rechtsregeln. Vgl. Of Laws in General, S. 119. An anderer Stelle formuliert Bentham den Zusammenhang von Nicht-Regulierung und positiver Freiheit, in dem er darauf hinweist, dass Freiheit als natürliche Handlungsmöglichkeit existiert und zugleich nur in der rechtlichen Ordnung wirklich wirksam wird. Wir sind frei, weil wir handeln können und, weil das Recht uns handeln lässt bzw. dies rechtlich nicht geordnete Handeln sogar schützt. Vgl. View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 157 f.

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Nicht-Enttäuschung menschlicher Erwartungen. Bentham hat das Thema der rechtlich geschaffenen Sicherheit v o m B e g i n n seiner schriftstellerischen Arbeit an immer wieder aufgenommen und in verschiedenen Kontexten variiert. 106 Die anderen Teile des politisch gemachten Glücks lassen sich entweder als spezielle Ausformungen der Sicherheit verstehen, wie die Subsistenz und der Wohlstand, die ein durchaus spannungsvolles Verhältnis zum Kern v o n Sicherheit haben können, oder aber sie stehen bereits, wie das Gleichheitspostulat, auf den ersten Blick im Widerspruch dazu. Jedenfalls gilt für Bentham, w a s die Teile des Glücks betrifft, die politisch gemacht und verantwortet werden müssen, dass Sicherheit, Subsistenz, Wohlstand und Gleichheit die unmittelbarsten praktischen Ziele des "greatest happiness principle" darstellen. 107 A n ihnen wird deutlich, dass es sich bei der ganzen rechtstheoretischen Diskussion, die Bentham immer wieder aufnimmt, ganz grundsätzlich immer um Verteilungsprobleme und mithin um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit handelt. 108 Security ist eines der absolut zentralen Ziele des Rechts, 1 0 9 da sie grundlegend für den menschlichen Lebensvollzug ist und wesentliche Aspekte der Subsistenz als eine spezielle Form der Sicherheit bestimmt werden müssen. Bentham unterscheidet Sicherheit für die Integrität der eigenen Person, Reputation, Eigentum und Lebensführung. 1 1 0 Es sind dies teilweise einfach bestimmbare Qualitäten, teilweise zusammengesetzte Aspekte der menschlichen Lebensführung in einer Gesellschaft. 1 1 1 Entscheidend ist, und 106

Die enge Verknüpfung von Recht und Sicherheit findet sich sehr deutlich bereits im Fragment on Government. Dort wird das naturwissenschaftliche Wissen über die Luft, die wir atmen, gleichgesetzt mit der Wichtigkeit des Wissens vom Recht, das macht, dass wir ruhig atmen können. Vgl. A Fragment on Government, S. 4. 107 Vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 211. 108 Bentham selbst fuhrt die vier genannten vom Recht geschaffenen Teile des Glücks zwar unter der Einteilung "distributive law". Das heißt aber natürlich bei ihm, wenn man das Verhältnis von bürgerlichem Recht, Strafrecht und Verfassung betrachtet, dass alle anderen Rechtsformen wesentlich der Absicherung der im bürgerlichen Recht vorgenommenen Verteilung von "rights and duties" dienen. Daher kann er dann auch davon sprechen, dass es sich um die fundamentalen Ziele allen Rechts handelt, vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 302. 109 "We have now arrived at the principal object of the Laws: the care of security. This inestimable good is the distinctive mark of civilisation: it is entirely the work of the laws." Ebd., S. 307. 110 "Security considered as applied to individuals has for its objects four distinguishable possessions: person, reputation, property, condition in life." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 197. 111 Die Klassifizierung ist schwankend. So nennt Bentham gelegentlich fünf Aspekte der Sicherheit, erwähnt aber gleichzeitig die Unschärfe und die Überschneidungen der Klassifizierung: "Of security [...] the several subject-matters, corporeal, incorporeal, or say fictitious, taken together have been found comprehendible under the five following heads: 1. Person: the security in this case, is security against evil, in whatever shape a man's person, body or mind included, stands exposed to it. 2. Property·, under which denomination, the matter of subsistence and the matter of abundance, as above, are comprehended. 3. Power, consider in its two distinguishable branches - the domestic and the political. 4. Reputation: a fictitious entity, the value of which, considered in the character of a subject-matter of possession and security, consists in its being a source of respect, or love, or both: [...]. 5. Condition in life: an factitious and fictitious entity, compounded of property, power, and reputation, in indeterminate and indefinitely diversifiable proportions." Leading Prin-

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das macht deutlich, wie alle verschiedenen Zweige des Rechts von hier aus sich entfalten, dass es um eine Sicherheit gegen verschiedene Bedrohungen geht. Wenn die Person, ihr Besitz und die Gesamtheit des Lebenskontextes gegen etwas gesichert werden sollen, so ist entscheidend, dass man die Feinde, gegen die das Recht sie jeweils schützen soll, angegeben muss können. Handelt es sich nämlich um innere Feinde, die die Lebenssicherheit, wie sie das bürgerliche Recht definiert, gefährden, so ist die Waffe zu ihrer Abwehr das Strafrecht. Sollten externe Feinde auftauchen, so bestimmt die Verfassung die Regeln und die Organisation der notwendigen Verteidigung. Auch gegen einen ganz besonders gefahrlichen Feind, die Inhaber politischer Ämter innerhalb der politischen Gemeinschaft, soll das Verfassungsrecht, allerdings nicht bloß dieses allein, Vorkehrungen treffen. 112 Die Kosten der Sicherheit, die für jede hier angeführte Schutzmaßnahme zwangsläufig entstehen, können letztlich nur aus dem Bestand, der eigentlich geschützt werden soll, aufgebracht werden. Im Fall der elementaren Sicherheit, die das Recht gewähren soll, liegen die Dinge so, dass Sicherheit für Sicherheit geopfert werden muss, was wiederum bedeutet, dass es schon auf dieser Ebene zumindest für das Eigentum keine perfekte Sicherheit geben kann. 113 Bentham argumentiert hier so, dass er eine Unterscheidung zwischen der generellen Sicherung von gerechtfertigten Erwartungen einerseits und Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel andererseits einfuhrt.114 Wenn beispielsweise Steuern erhoben werden, so bedeutet das nicht, dass der Staat willkürlich in die Eigentumssicherheit der Bürger eingreift. Mit einer vernünftig begründeten Besteuerung wird vielmehr erreicht, dass sich die Steuerzahler mit ihrem Eigentum erst richtig

112

113

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ciples of the Constitutional Code, Works, II, S. 269, Fn. fortlaufend. "Security" umfasst also als Sicherheit des Eigentums, die Sicherheit der Subsistenz und des Wohlstandes, als Sicherheit der Lebensführung zumindest Komponenten des Eigentums, der Reputation und der jeweiligen Machtansprüche. Hier haben wir es offensichtlich mit Begriffen zu tun, die in ihrer Vorfahrenreihe den Begriff des "property" bei Locke haben und die aus einer nicht vollkommen rationalisierten bzw. rationalisierbaren Induktion stammen. Zu einer sieben Punkte umfassenden Klassifizierung der "objects of security", vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 213. Vgl. First Lines of a Proposed Code of Law, S. 197 ff. und Pannomial Fragments, Works, III, S. 213. "An important distinction is to be made between the ideal perfection of security, and that perfection, which is practicable. The first requires that nothing should be taken from any one; the second is attained if no more is taken than is necessary for the preservation of the rest. [...] This sacrifice is not an attack upon security; its only a defalcation from it. [...] wealth can only be defended at its own expence. [...] If there are any individuals who perceive not this necessary connexion, it is because, in this respect as in so many others, the wants of today eclipse those of tomorrow. All government is only a tissue of sacrifices. The best government is that in which the value of these sacrifices is reduced to the smallest amount." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 313. Vgl. ebd. Wenn ein Gegenstand, für den Sicherheit gewährt wird, verringert wird, dann ist damit nicht das Prinzip der Sicherheit aufgehoben: "Howsoever the subject-matter of security be lessened, security itself will not be lessened, if by means of the defalcation made from the subjectmatter, the probability of retaining what remains of it, be not lessened." Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 270, Fn. Das macht dann genau den Unterschied zum Diebstahl aus. Vgl. Radicalism not Dangerous, Works, III, S. 608.

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sicher fühlen können. Auch werden ihre Erwartungen nicht enttäuscht, da der notwendige Eingriff in ihre Besitzstände nicht überfallartig, sondern von langer Hand geplant und damit auch erwartbar geschieht. Abundance ist offensichtlich ein spezifizierter Teil der Sicherheit. Wenn das Recht Wohlstand gibt, so ist das keineswegs so zu verstehen, dass die Politik einen wesentlichen Beitrag dazu leisten könnte, die Untertanen vermögend zu machen. Ganz generell huldigt Bentham dem Kredo von Adam Smith, dass es dem unbehinderten Fleiß und dem schrankenlos freien Kapitaleinsatz der Bürger überlassen bleibt, Wohlstand zu schaffen. Der Staat kann letztlich nur eines zum Wohlstand beitragen, er kann seine Bürger möglichst wenig an der Vermehrung der nationalen Reichtümer hindern.115 Wohlstand ist in der Definition Benthams all das, was nicht zur Erhaltung der bloßen Existenz benötigt wird (i.e. Subsistenz) oder direkt im Konsum, der über die bloße Lebenserhaltung hinaus geht, verzehrt wird.116 Die Sicherung von Wohlstand verdient es neben der bloßen Sicherung von Eigentum eigens genannt zu werden, weil nur da, wo sich über die Konsumption und das bloße Überleben hinaus Güter angesammelt haben, auch überschüssige Mittel bereit stehen, die für die Zwecke der Allgemeinheit verwendet werden können. Wer Wohlstand gegen die Subsistenz setzt, der hat nicht verstanden, dass alles das, was verteilt werden soll - so formuliert Bentham einen geradezu unsterblichen Topos des liberalen Glaubensbekenntnisses - , erst einmal erarbeitet sein 117

muss. Auch im Fall der subsistence geht es zuerst einmal darum, dass rechtlich das vom arbeitenden und besitzenden Individuum geschaffene Existenzminimum geschützt wird.118 Die Materie der Subsistenz ist, wie Bentham es formuliert, entweder originär oder dérivât. Diese Unterscheidung ergibt sich aus der Herkunft der Mittel zum bloßen Überleben bei gleich bleibendem Bedarf zur Erhaltung des Existenzminimums. Auch hier spielt die Quelle der Bedrohung die entscheidende Rolle. Wenn es sich nämlich um 1,5

Das ist dann die wirtschaftsliberale Variante des methodischen Individualismus. Vgl. Manual of Political Economy, Works, III, S. 40. 116 « o f t jj e instruments of abundance, the fund is composed of the surplus of the means of subsistence, deduction made of the quantity destroyed by consumption in all its shapes." First Lines of a Proposed Code of Law, S. 195. 117 Wohlstand ist ein im wahrsten Sinn des Wortes komparativer Terminus. Vgl. Pannomial Fragments, Works, III, S. 228. Allerdings ist er in Benthams Verständnis nicht mehr und nicht weniger als eine Verlängerung der Subsistenz: "We have seen that abundance is produced by degrees, by the continued operation of the same cause which had provided for subsistence: there is no opposition between these two objects. On the other hand, the greater the abundance, the more secure is subsistence. Those who have condemned abundance, under the name of luxury, have never understood this connexion." Principles of the Civil Code, Works, I, S, 304. 118 Unschwer erkennbar ist die "subsistence" ebenfalls eine spezifische Form der "security". Sie wird allerdings von Bentham so interpretiert, dass sie gegebenenfalls in Widerspruch zur allgemeinen Sicherheit insbesondere des Eigentums treten kann. Definiert ist sie wie folgt: "The original fund of each man's subsistence is each man's labour. The production of it is the work of nature without Law and antecedently to Law. What it looks for at the hand of Law, is security: security against calamity, security against hostility: security against hostility from foreigners, from fellow subjects, from rulers." First Lines of a Proposed Code of Law, S. 194.

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eine Bedrohung durch Aggressionen von anderen Menschen handelt, dann ist die Sicherung der Subsistenz neben der "security of person" die elementarste Leistung des Rechts. Die Unversehrtheit des Lebens und der Person ist untrennbar mit der Sicherung der selbst erarbeiteten Lebensgrundlagen verbunden. Handelt es sich allerdings darum, dass die Bedrohung für die Subsistenz aus einer anderen Richtung her kommt, also durch die Wechselfalle des Lebens, Naturkatastrophen usw. bedingt ist, so scheint das Recht nicht das angemessene Medium zum Schutz zu sein. Hier kommen nun die derivaten Mittel der Subsistenz ins Spiel. Wenn ein Mensch zu jung, zu alt oder aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, seine materielle Existenz selbst zu garantieren, so soll das Recht eine "security against calamity" bereitstellen. Es ist Aufgabe der Regierung dies zu Gewähr leisten, auch wenn sie damit notwendig in ein schwer lösbares Dilemma gerät: "If, against any of the causes of deficiency in regard to subsistence, the Government has failed to provide an efficient remedy, the consequence is death. Security against calamity has so far failed to have been afforded. But, against deficiency in regard to subsistence, no remedy can ever be provided but at the expence of security for abundance. The fund of abundance is composed of the stock remaining of the produce of labour, deduction made of their several amounts subtracted by consumption, useful and useless, immediate and gradual, natural and human, in all their several shapes. In his endeavour to provide a remedy against deficiency in regard to subsistence, [the legislator] finds himself all along under the pressure of this dilemma - forbear to provide supply, death ensues, and it has you for its author. Provide supply, you establish a bounty upon idleness, and you thus give increase to the deficiency which it is your endeavour to exclude. [...] One leading observation applies to all places and all times. So long as any particle of the matter of abundance remains in any one hand, it will rest with those to whom it appears that they are able, to assign a sufficient reason why the requisite supply to any deficiency in the means of [subsistence] should be refused."119

Wir haben hier nicht nur ein schönes Beispiel dafür, dass sich Bentham selbst nicht an seine Vorschriften zur möglichst klaren Abfassung von Texten gehalten hat, sondern auch einen der Gravitationspunkte seiner Theorie der Glücksdistribution. Offensichtlich wird hier nicht so argumentiert, dass derjenige, der seine eigene Subsistenz nicht erarbeiten kann, ein Recht auf Hilfe hat. Gleichzeitig aber stellt Bentham klar, dass ein Gesetzgeber bzw. eine Regierung, die tatenlos zusieht wie Menschen aus materiellen Gründen sterben, die Schuld für den Tod der Mitmenschen trägt. Der oder die politisch Verantwortlichen werden gar zu Tätern (death ensues, and it has you for its author), wenn es um die Sicherung des Überlebens geht und sie bzw. er trotz des überwältigenden und d.h. unkompensierbaren Wertes um den es geht, den Tod der Betroffenen in Kauf nehmen. Bentham, der einer Unterstützung der Armen sehr skeptisch gegenüber steht,120 lässt hier kaum einen Zweifel daran, dass die Beweislast desjenigen, der sich 119 120

First Lines of a Proposed Code of Law, S. 194 f. (Hervorheb. - W.H.) Weshalb er in anderen Kontexten für die Zwangseinweisung von Bettlern in Arbeitshäuser plädiert, die, wie das Panopticon, privat geführt werden sollen. Interessant ist die Begründung für die Anwendung von Zwang. Bentham führt das Mitleid an, das der Bettler durch sein armseliges Erscheinen auslöst und bezeichnet es als ein unangemessenes Leiden für die Tender-hearted-Passanten. Da man aus seiner Sicht von einem rudimentären Kalkül derjenigen, die betteln, ausgehen

Arrangements

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anbietet, einen Vorrang des Wohlstandes eines Teils der Bevölkerung vor dem Existenzminimum einer anderen Gruppe zu begründen, außerordentlich sein muss. Daraus wäre aber zu folgern, dass Bentham an dieser Stelle einen Bruch mit seinem so hoch gehaltenen Prinzip der Nicht-Enttäuschung ins Auge fasst bzw., dass das Prinzip des größten Glücks die Wertigkeit von "pain" und "pleasure" in diesem Fall nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ fasst bzw., dass diese eigenartige Unterscheidung hier total zusammenbricht, weil sie immer nur die "höheren" Freuden gegen Benthams scheinbare kulturelle Indifferenz ausgespielt hat, aber selten die elementare Frage diskutiert, was denn die Differenz zwischen Qualität und Quantität angesichts des schlichten Überlebens ausmacht. Eine Frage, die vielleicht in den westlichen Industrienationen wenigstens einigermaßen marginalisiert werden konnte, die aber für den weitaus größten Teil der Weltbevölkerung unangetastet eine Leitfrage der Humanität ausmacht: "From these considerations it appears, that it may be laid down as a general principle of legislation, that a regular contribution should be established for the wants of indigence; it being well understood that those only ought to be understood as indigent, who are in want of necessaries. But from this definition follows, that the title of the indigent, as indigent, is stronger than the title of the proprietor of a superfluity as a proprietor; since the pain of death, which would finally fall on the neglected indigent, will always be a greater evil than the pain of disappointed expectation, which falls upon the rich when a limited portion of his superfluity is taken from him. " 1 2 1

Hinter der Tatsache, dass Bentham die Bereitstellung der Subsistenz aus dem Wohlstand so stark macht, steht in der Tat die Überlegung, dass bei allen Schwierigkeiten eines qualitativen Vergleichs von Leiden und Freuden es doch möglich ist, einen Vergleichsmaßstab zu finden, der die Gewinnung allgemeiner Regeln oder doch zumindest Leitlinien fur die Verteilung von Glücksgütern in einem utilitären Kalkül absichert.122 muss, das sie im durchschnittlichen Fall in ihre Lage gebracht hat, bleibt zur Verhinderung des Mitleidens und zur Besserung der Verhältnisse nur der Zwang zur Arbeit. Vgl. Tracts on Poor Laws and Pauper Management, Works, VIII, S. 401. Zur Diskussion im Zeitkontext und insbesondere zur Ambivalenz der Vorschläge Benthams, vgl. Bahmueller, Charles F., The National Charity Company. Jeremy Bentham's Silent Revolution, Berkeley 1981. Bahmueller zeigt die Anwendung des Panopticon-Prinzips auf die Armenfürsorge durch Bentham und hebt besonders darauf ab, dass die Überlegungen Benthams zwar ganz am Beginn einer systematischen Armenpflege stehen, dass er aber zugleich hier fast gänzlich die Würde derjenigen, denen geholfen werden sollte, aus den Augen verliert. 121

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Principles of the Civil Code, Works, I, S. 316. (Hervorheb. - W.H.) In der angefügten Fußnote * stellt Bentham dann die Beziehung zu den "expectations" her, die es zwar immer gibt, die der Gesetzgeber aber immerhin managen kann: "If this deduction were established on a fixed footing, each proprietor, knowing beforehand, what he would have to give, the pain of disappointment would disappear, and make way for another pain, a little different in its nature and less in its degree." Man muss natürlich dabei immer klar sehen, dass the "pain of death" letztlich gefasst werden kann als die radikalste Variante der "pain of disappointed expectations". Das Problem einer politischen Arithmetik besteht für Bentham darin, dass es keine universalen Maßstäbe für "pain" und "pleasure" gibt. Während wir die physikalische Welt messen und wiegen können, ist jedes Maß für Freude und Leid hochgradig vom Kontext und der Individualität der Menschen abhängig. Es gibt zwar kein moralisches Thermometer, weswegen bei der Bernes-

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Betrachtet man nämlich das, was bei einer radikal asymmetrischen Glücksverteilung auf dem Spiel steht, so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass diejenigen, die im absoluten Überfluss leben, durch zusätzliche Glücksgüter nicht proportional glücklicher werden, während gleichzeitig die Summe des gesellschaftlichen Glücks durchaus überproportional vergrößert wird, wenn man denjenigen, die sehr arm sind, wenigstens ein einigermaßen erträgliches Leben sichert. Bentham tritt, bei aller sonstiger Ablehnung staatlicher Überregulierung des Verhaltens der Menschen, vehement für eine staatliche Hilfsleistung ein, die aus den Mitteln derjenigen genommen werden sollen, die im Überfluss leben. Die wohlerwogene Hilfe für einen Not leidenden Menschen aus bloßem Mitleid ist zwar, wie wir gesehen haben, eine durchaus ethisch angemessene Handlung, auf der Ebene der politischen Ordnung der Dinge, so Bentham unter Verweis auf Algernon Sidney, eine der Ikonen des angelsächsischen Republikanismus, ist aber angesichts der Unwiederbringbarkeit des auf dem Spiel stehenden menschlichen Lebens, keine ausreichend sichere Garantie für das geforderte Ergebnis.123 Dieser Strang der Argumentation, der die Sicherheit des Überlebens gegen die Sicherheit des Eigentums stellt, ruht letztlich auf Benthams Theorie vom abnehmenden Grenznutzen auf. Man kann zwar keine eindeutige Marke angeben, ab der man davon wird ausgehen müssen, dass ein Besitzender eigentlich kaum noch eine Vergrößerung seiner Freuden aus dem Genuss neu hinzukommenden Eigentums erfahren kann, jedoch hilft auch hier die archetypische Beschreibung, um im Rückgriff auf unser vortheoretisches Gerechtigkeitsgefühl zu verdeutlichen, worum es eigentlich geht. Bentham benutzt in diesem Zusammenhang gern das Bild des reichsten Mannes im Königreich, der mehr oder weniger deutlich mit dem Monarchen identifiziert wird,124 und eines durchschnittlichen Arbeiters mit einem Einkommen, das gerade eben für sein Auskommen Gewähr leistet. Bei jeder Vergrößerung des Reichtums des Monarchen wird man sehen können, dass die Intensität und der Umfang seiner daraus resultierenden Freude nicht proportional ansteigt, während bei dem Arbeiter bis zu einer gewissen Grenze ein viel stärkerer (überproportionaler) Effekt mit geringeren Mitteln erzielbar ist. Für die Freude scheint damit aber erst einmal zu gelten, dass sie zwar abhängig vom Besitz von Gütern

sung von Freude oder Leid der Rückgriff auf ein zählbares Äquivalent wie Geld hilfreich sein kann (vgl. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 304 und Codification Proposals, Works, IV, S. 540 f.), jedoch lässt sich unter Berücksichtigung der Probleme ganz generell sagen: "Difference of character is inscrutable; and there are not two individuals whose circumstances are alike. I these two considerations were not laid on one side, it would be impossible to form a single general proposition: but though each of these propositions may be found false or inexact in each particular case, it will neither militate against their speculative correctness, nor their practical utility. It is sufficient, - 1 st, If they approach more nearly to the truth than any others which can be substituted for them; and, 2dly, If they may be employed by the legislator, as the foundation of his labours, with less inconvenience than any others." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 305. 123

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Freiwillige Hilfe ist unsicher, die Lasten und der Nutzen werden ungleich verteilt. Die Frage ist, wie viele Wohltäter aus Selbstüberwindung man finden wird: "Will many generous hearts be found, who, with Sidney, will put back the vivifying cup from their parched lips, saying, Ί can wait - Think first of that unfortunate soldier, who has more need Than I?'" Ebd., S. 315 f. Vgl. Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 271.

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und äußeren Mitteln des Glücks ist, dass aber zugleich die Zunahme von Freude durch die Vermehrung von Glücksgütern nicht proportional steigt: "[...] to every particle of the matter of wealth corresponds a particle of the matter of happiness. [...] So far as depends upon wealth, - of two persons having unequal fortunes, he who has most wealth must by a legislator be regarded as having most happiness. [...] But the quantity of happiness will not go on increasing in anything near the same proportion as the quantity of wealth: - ten thousand times the quantity of wealth will not bring with it ten thousand times the quantity of happiness. It will even be matter of doubt, whether ten thousand times the wealth will in general bring with it twice the happiness. [...] The effect of wealth in the production of happiness goes on diminishing, as the quantity by which the wealth of one man exceeds that of another goes on increasing: in other words, the quantity of happiness produced by a particle of wealth [...] will be less and less at every particle; the second will produce less than the first, the third than the second, and so on.'" 25

Wenn man also auch keinen exakten Wendepunkt angeben kann, an dem die Glücksvermehrung durch die Zunahme der Glücksgüter endgültig vernachlässigbar klein wird, so wird man von den angeführten Überlegungen aus eine gesamtgesellschaftliche Güterund auch Lastenverteilung wünschen müssen, die nicht nur die Tatsache berücksichtigt, dass Arbeit und Leistung die Quelle allen Wohlstandes ist, sondern auch Bedürfnisse und Besitzstände mit in Verteilungskalküle einbezieht. Bentham versucht sich in der Beschreibung von solchen Güterverteilungen und entfernt sich dabei am weitesten von seinem sonst so hoch gehaltenen Prinzip der Sicherheit des Eigentums, wenn er feststellt, dass man sich die Wegnahme eines Teils von Wohlstandes vorstellen kann, die von demjenigen, dem etwas weggenommen werden soll, gar nicht wirklich verspürt wird.126 Bei einer redistributiven Verteilung, und gemäß Benthams Grundsatz, dass man niemandem etwas geben kann, was man nicht einem anderen weggenommen hat, sind alle entscheidenden Distributionsforen redistributiv, ergeben sich bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Auswirkungen von Verlust bzw. Gewinn auf Individuen mit verschiedenen Ausgangssituationen folgende Konsequenzen für die Glückschancen:'27

Ausgangszustand

Verteilungsmodus

Folgen für das Gesamtglück

gleicher Wohlstand

von gleich zu gleich

Verlustschmerz größer als Gewinnglück Abnahme des Glücks

125 126

127

Pannomial Fragments, Works, III, S. 228 f. "A quantity of the matter of wealth may be assigned, so small, that if subtracted from the fortune of a person possessed of a certain quantity of the matter of abundance, no sensible subtraction of happiness would be the result." Ebd. Vgl. ebd., S. 229 f.

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Utilitarismus

ungleicher Wohlstand

von arm zu reich

je ärmer der Verlierer und je reicher der Gewinner, desto radikaler die Abnahme des Gesamtglücks

ungleicher Wohlstand

von reich zu arm

je reicher der Verlierer und je ärmer der Gewinner, desto bedeutender die Zunahme des Gesamtglücks

Abbildung 6: Verteilungsordnung

Über die Darstellung der "security" sind wir damit bereits weit in den Bereich der equality als dem vierten Hauptbestandteil des politisch hergestellten Aspekts von Glück geraten. Die Schlussfolgerung, die sich aus der bisherigen Darstellung der Verteilungsproblematik ergibt, lautet schlicht, dass jede Verteilung von Glücksgütern, die sich möglichst nahe an die gleiche Verteilung annähert, das gesellschaftliche Gesamtglück vergrößert.128 Allerdings tritt die Forderung nach Gleichheit unter dem Aspekt der Besitzgleichheit in ein entscheidendes Spannungsverhältnis zur Sicherheit des Eigentums. Während es für Bentham keine Frage sein kann, dass die strikteste Gleichheit erstrebt werden muss, wenn es um die Sicherheit der Person, des guten Rufs und der Lebensführung geht,129 so reflektiert er mehrfach, dass dies keinesfalls in Bezug auf den Besitz der Person ebenfalls gelten könne. Die Gleichheit der elementaren Rechtsgüter und der Subsistenz130 ist eine elementare Voraussetzung des größten Glücks der jeweiligen Nation. Die Gleichheit der Besitzverhältnisse dagegen ist für Bentham praktisch unmöglich und politisch bzw. wirtschaftlich verhängnisvoll. Wenn es um eine Reihung von "security" und "equality" geht, so geht es genauer bestimmt um eine Gewichtung das Verhältnisses von gesichertem Wohlstand und Gleichheit, weil nur hier wirklich ein Spannungsverhältnis entsteht. Gleichheit ist zwar die Vollendung des Rechts, aber nur so weit, wie sie mit der Sicherheit des Eigentums ver128

129

130

"Hence, throughout the whole population of a state, the less the inequality is between individual and individual, in respect of the share possessed by them in the aggregate mass or stock, of the instruments of felicity, - the greater is the aggregate mass of felicity itself: provided always, that by nothing that is done towards the removal of the inequality, any shock be given to security, [...]. Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 272. Vgl. fast textgleich First Lines of a Proposed Code of Law, S. 200. "[...] where is the man to whom appropriate security ought not to be afforded for his person, for his reputation or for his condition in life? Where is the man to whom, for any one of those three possessions, greater or better security ought to be afforded than to any other?" First Lines of a Proposed Code of Law, S. 199. Subsistenz meint Gleichheit immer mit, da man das Existenzminimum entweder hat, dann ist es gleich mit dem aller anderen Mitglieder der Gesellschaft, oder nicht hat, dann besteht die Pflicht für die Regierung, es für den Betreffenden bereit zu stellen, da er andernfalls stirbt. Vgl. ebd. zur Definition von Subsistenz im Verhältnis zu den "articles of enjoyment", vgl. Manual of Political Economy, Works, II, S. 37.

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einbar ist. 131 Sollte es zu einem aktuellen Konflikt zwischen beiden kommen, so steht eindeutig fest: "When security and equality are in opposition, there should be no hesitation: equality should give way." 132 Bentham hat also einerseits einer möglichst gleichen Distribution von Glückschancen das Wort geredet und zugleich die Position, die er als gleichmacherisches "leveling system" bereits als besonders bedenkliches Ideal der Französischen Revolution verdammte, 133 noch in seinen späten radikalen Schriften mit Nachdruck als weit entfernt von seinen Vorstellungen und als vollkommen widersinnig gebrandmarkt. 134 Diese scheinbare Ambivalenz löst sich zumindest teilweise auf, wenn man sein Bekenntnis einen Moment ernst nimmt, dass es nicht um die Herstellung von wirklich fak131

132 133

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"Equality as between individual and individual, so far as it is consistent with subsistence and security - there you have perfection in internal law: [...]." Colonies, Commerce, and Constitutional Law, S. 148. Principles of the Civil Code, Works, I, S. 311. Vgl. The Levelling System, Works, I, S. 358-364. Gleichmacherische Gesetze sind schlicht Räuberei, so wird dort argumentiert und diejenigen, die die Gleichheit anstreben sind moralisch äußerst dubiose Menschen: "The man of benevolence is the man to whom the spectacle of another's happiness is delightfull. The lover of equality, in its most refined form, is the man to whose eyes the spectacle of another's prosperity is intolerable. What is the envious man but the same? What, then, is this so much boasted passion for equality? It is a propensity which begins in vice and leads to ruin." Ebd., S. 361. Bei einer genaueren Lektüre seiner Ausführungen zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird deutlich, dass sich seine eigene Argumentation exakt an den Problemstellungen, die hier aufgeworfen werden, abarbeitet. Insbesondere die Verbindung von Eigentum und Gemeinnutzen sind ein Leitmotiv, deren Form in der Erklärung Bentham zwar scharf kritisiert (vgl. Anarchical Fallacies, Works, II, S. 499), die er selbst aber immer wieder bearbeitet. Wenn er in diesem Zusammenhang sagt, dass die Deklaration das Kardinalproblem der distributiven Gerechtigkeit nicht angemessen habe lösen können, so liest sich das wie ein Hinweis auf seine eigenen Argumentationsnöte: "[...] all men are to be equal in property, and that for everlasting; at the same time that he who has a thousand times as much as thousand others put together, is not to be deprived for a single farthing of it, without having first received an exact equivalent." Anarchical Fallacies, Works, II, S. 521. Benthams eigener Anspruch auf Lösung des Problems stützt sich hier auf die Hoffnung, dass man nur weiter kommen könne bei der Bearbeitung der Problemlage, wenn man auf den Wert der betroffenen Gefühle schaut (value of affections). Dann ergibt sich als Lösungsoption, dass man vernachlässigbare Verluste nicht unbedingt kompensieren muss, wenn ihnen ein überproportionaler Nutzen entspricht. Also As minimaler Verlust wird in Bs überproportionalem Gewinn kompensiert, nicht in einer Ersatzleistung für A. Das kann aber nur unter bestimmten Rahmenbedingungen gelten, die insbesondere darauf aufruhen, dass Β nur das Existenzminimum garantiert werden darf. Hier argumentiert er teilweise aus der Defensive und versucht zu beweisen, dass das gleiche allgemeine und geheime Wahlrecht nicht zum Umsturz der Eigentumsrechte führen wird, weil diejenigen die dadurch politische Mitwirkungsrechte erlangen, kein Interesse an der Auflösung der Institution Eigentum haben können. Er nennt dafür folgende Gründe: 1. wer nur ein Partikel Wohlstand über die bloße Subsistenz hinaus besitzt, hat ein Interesse am Eigentum, 2. selbst die Armen wollen Besitzende werden und haben nichts davon, wenn durch eine unbedachte Neuverteilung alle arm werden, weil die Konsequenzen eines solchen falschen Radikalismus katastrophal sein würden. Vgl. Radicalism not Dangerous, Works, III, passim, insbesondere ebd., Part III, S. 612 ff.

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tischer Besitzgleichheit gehen könne, sondern nur um eine möglichst weit reichende Verringerung von Ungleichheit.135 Dies ist deshalb das eigentlich angemessene Ziel von Politik, weil eine wirklich gleiche Verteilung nur dann logisch denkbar wäre, wenn man die permanente Intervention des Staates in die Besitzverhältnisse mitdenken würde. Gesetzt nämlich, man hätte für einen Moment eine vollkommen gleiche Verteilung erreicht, so müsste man ebenfalls sicher stellen, das die nun folgenden Handlungen der Individuen diese Verteilung nicht wieder verändern. Dies ist vollkommen unmöglich.136 Eine gleiche Verteilung des Besitzes über politische Mechanismen ist aber auch nicht wünschbar, weil sie auf zumindest zwei Ebenen mehr Schaden anrichtet als gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringt. Wir hatten bereits gesehen, wie schwierig es ist, genau den Punkt zu finden, an dem der Verlust von äußeren Gütern so wenig von der "pain of loss" bringt, dass dieser Schaden im Glückskalkül wirklich ganz vernachlässigt werden kann. Prinzipiell muss immer damit gerechnet werden, dass Individuen unter der Enttäuschung ihrer berechtigten Erwartungen leiden. Hier können Leiden zwar minimiert werden, ganz ausgeschlossen werden können sie kaum. Zugleich aber ergibt sich nicht nur ein Problem auf der individuellen Ebene, auf der der Übel erster Ordnung, sondern auch auf der der gesamtgesellschaftlichen Einstellungen gegenüber dem Eigentum. Zwar hatte Bentham argumentiert, dass die Institution des Eigentums als solche nicht damit abgeschafft oder in ihren Grundfesten erschüttert wird, wenn ein Teil des Wohlstandes, den es selbstverständlich zu minimieren gilt, für einsehbare Zwecke verwendet wird. Allerdings sieht er trotzdem die Gefahr, die sich als ein Übel zweiter Ordnung, ergeben kann, wenn staatliche Eingriffe in das Eigentum stattfinden. Sollten sie nämlich nicht sehr beschränkt bleiben, so wird man damit rechnen müssen, dass die wirklich Betroffenen und auch alle anderen Eigentümer ihren Besitz nicht mehr für sicher halten und das daraus zusätzlich, als Übel dritter Ordnung, eine Dämpfung des Fleißes einsetzt. Bentham stuft dieses Ineinander von Besorgnis angesichts der staatlichen Eingriffe ab und beschreibt sie als "pain of apprehension grounded on loss", was das Übel zweiter Ordnung darstellt, und "pain from repression of industry", was auf der dritten Ebene den befürchteten Schaden anrichtet.137 135

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"The establishment of equality is a chimera: the only thing which can be done is to diminsih inequality." Principles of the Civil Code, Works, I, S. 311. "As to absolute equality in relation to property, such equality is neither possible nor desirable. It is not possible because, supposing it to have place at the commencement of any one day, the operations of that one day will have sufficed to have destroyed it before the commencement of the next." First Lines of a Proposed Code of Law, S. 200. Vgl. First Lines of a Proposed Code of Law, S. 201. Exakt an der Stelle, an der er mit am weitesten geht, was den Bruch des "non-disappointment principles" betrifft, schreckt er ganz offensichtlich vor den Folgen zurück, die eine radikale Neu-Bewertung der bestehenden Besitzverhältnisse nach sich ziehen würde. Immerhin sieht Bentham, dass, würde man aus dem Prinzip des abnehmenden Grenznutzens die entsprechenden "radikalen" Konsequenzen ziehen, man im Rahmen des "greatest happiness principle" zu folgendem Schluss kommen müsste: "[...] sufficient reason would have place for taking the matter of wealth from the richest, and transferring it to the less rich, till the fortunes of all were reduced to an equality, or a system of inequality so little different from perfect equality, that the difference would not be worth calculating." Pannomial Fragments, Works, III, S. 230. Dann aber folgt das Erschrecken: "But call in now the effects of the second

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Man muss sich klar machen, dass Bentham hier bei allen zeitabhängigen Spezifika nicht mehr und nicht weniger durcharbeitet als eines der fundamentalen Dilemmata moderner Staatlichkeit. Er tut dies ohne Rückgriff auf naturrechtliche oder transzendente Argumente und versucht, eine gerechte Güter- und damit Rechteverteilung zu finden. Letztlich besteht seine Lösung wesentlich darin, dass die konkrete Beantwortung des Verteilungsproblems immer wieder neu politisch gefunden werden muss. Es bleiben aber dabei einige zentrale und für ihn offensichtlich unumstößliche Rahmenbedingungen der Verteilung ausweisbar, die seiner festen Überzeugung nach im Prinzip des größten Glücks wurzeln und damit eben auch in der anthropologischen Grundausstattung der menschlichen Gattung. Wenn bei einer Maximierung des gesellschaftlichen Glücks gleichzeitig die Kosten dieses Glücks minimiert werden sollen, so muss immer denjenigen genommen werden, die viel besitzen, sodass sich der Verlustschmerz in möglichst engen Grenzen hält. Zugleich soll die psychologische Wirkung der Wegnahme vom Gesetzgeber berücksichtigt werden, da seiner Meinung nach gesellschaftliches Glück nur verteilt werden kann, wenn genügend Wohlstand vorhanden ist, sodass auch genügend Güter zur Verteilung bereit gestellt werden können. Dabei kommt, man wird es nicht anders sagen können, in vielen Bereichen ein Denkstil zum tragen, der an die Politik des "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" erinnert, die auch die alltägliche Struktur der uns bekannten Politiken ganz wesentlich bestimmt. Bentham und wir wissen alle, dass die staatliche Ordnung ohne die (Steuer-) Leistungen der Steuerpflichtigen138 und die "immateriellen inputs" nicht überlebensfahig sein kann. Niemand will (aus Gründen des puren Egoismus und aus Sympathie für die leidenden Menschen) wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Armut und Verslumung ein alltägliches Phänomen darstellen, während gleichzeitig Reichtum sich schamlos unnötige Vergnügen welcher Art auch immer leistet. Gleichzeitig will sich aber niemand dafür zu besonderen Leistungen veranlasst sehen. Bentham kann, obwohl er es mehr als deutlich sieht und auch demokratietheoretisch durcharbeitet, dieses Problem eigentlich nicht lösen, nicht weil seine Theorie keine Lösungsoptionen bereitstellen würde, sondern weil er sich letztlich nicht entscheiden kann, was denn nun wirklich schwerer wiegt, die Verlustschmerzen der Eigentümer oder die Lebenslage der Armen. In seinem Werk findet sich kaum eine Stelle, in der die offensichtlich so sehr moralisch aufgeladene Theorie vom abnehmenden Grenznutzen wirklich in ihrer vollen moralphilosophischen Wucht durchgearbeitet ist, ohne dass unmittelbar darauf die Angst des be-

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anti those of the third order, and the effect is reversed: to maximization of happiness would be substituted universal annihilation in the first place of happiness - in the next place of existence. Evil of the second order, - annihilation of happiness by the universality of the alarm and the swelling of danger into certainty: - Evil of the third order, - annihilation of existence by the certainty of the non-enjoyment of the fruit of labour, and thence the extinction of all inducement to labour." Wer nämlich keine Steuern bezahlt, der akzeptiert den Zusammenbruch der gesamten positiven Staatsleistungen. Auch wenn, so Bentham, für die korrekte Steuereinziehung eine hoch komplizierte Kette von rechtskonformen Handlungen nötig ist, die oft so nicht existiert, gehört das Vergehen der "Steuerhinterziehung" zu denen, die in einem Maß schaden können "that baffles calculation". Vgl. An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 149 ff.

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Der systematische Ort des Politischen in Benthams

Utilitarismus

sitzenden Bürgers vor einer zu großen Schmälerung seines Eigentums voll durchschlagen würde. Wir finden kaum, vielleicht mit Ausnahme seiner Äußerungen zur Monarchie, Bemerkungen, die den schlichten Tatbestand akzeptieren, dass Reichtum ab einer bestimmten Größe aus der Perspektive des Glücks der größten Zahl etwas durchaus Unanständiges sein kann, wenn gleichzeitig Menschen wegen eines Mangels an Grundnahrungsmitteln oder einer grundständigen medizinischen Versorgung sterben müssen. Stattdessen flüchtet er sich in Überlegungen dazu, wann es den möglich ist, einem Menschen etwas zu nehmen, ohne dass er dabei Verlustschmerzen empfindet. Jemandem wirklich etwas nehmen, ohne dass dabei Verlustschmerzen entstehen, kann man immer dann, wenn der betreffende keine Gefühle mehr empfindet. Der ideale Punkt der Redistribution ist also der Tod des Eigentümers. Man kann, da auch Eigentümer sterben müssen, beides tun, den Besitz stark machen und zugleich für eine Politik in Richtung auf zunehmende Gleichheit eintreten: "Where no expectation has had place, no disappointment can have place. [...] In the case of each individual, a particular point of time there is at which, without defalcation made from security in his instance, or in the instance of any other individual, his property may be subjected to a distribution or other disposition whereby, according to the amount of it, equality will be promoted, advance towards absolute equality made. This time is the time of a man's death. In the instance of [any] other individual, if, in their instance, sufficient and effective care has been taken to exclude expectation, no evil will be produced: for the only evil incident to the case is disappointment, and by the exclusion of expectation, disappointment has been excluded.'"39

Daraus ergibt sich, dass der Zeitpunkt des Ablebens von Eigentümern die optimale Eingriffssituation für eine Politik der Gleichheit und damit auch der Glücksoptimierung sein muss. Auch hier macht die Tatsache, dass Erwartungen die Grundlage aller Enttäuschungen darstellen, es zur entscheidenden Kunst der Politik die Erwartungen positiv in eine Richtung zu manipulieren, in der das Glück aller vergrößert werden kann, ohne dass Individuen zu sehr darunter leiden. Das, wofür, bei all der Widersprüchlichkeit der Position Benthams, hier eine Lanze gebrochen wird, ist nicht mehr und nicht weniger als eine langfristig angelegte Politik des Managements der Erwartungen. Sie setzt zumindest zwei weitere Phänomene voraus: die Fähigkeit derjenigen, die die Macht haben auch wirklich vorausschauend Politik zu planen und die Fähigkeit der Beherrschten sich auf diese Planung einzustellen. Im Sinne einer externalistischen Steuerung der Erwartungen von außen werden so die Mittel bereit gestellt, die nötig sind, um die Leistungen zu erbringen, von denen man nicht erwarten kann, dass sie sich spontan aus den Handlungen der vergesellschafteten Individuen ergeben. Das setzt aber offensichtlich eine politische Rationalität voraus, die nicht unabhängig von der jeweiligen politischen Ordnungsform gedacht werden kann. Es stellt sich die Frage, wie eine am Glückspostulat der größtmöglichen Zahl orientierte Politik verfasst sein soll, wenn sie auf der Ebene der Verfahren Raum für Verteilungsdiskurse geben soll, die den hier skizzierten Rahmenvorstellungen genügen können.

139

First Lines of a Proposed Code of Law, S. 202.

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4.3. Politisch-institutionelle Arrangements des Glücks der größten Zahl (II) - Repräsentative Demokratie Benthams werkgeschichtlich späte Überlegungen zur parlamentarischen Demokratie können als ein Meisterstück der Theorie repräsentativer Ordnung gelten, da sie die zahlreichen anthropologischen Reflexionen des Autors bruchlos für diesen Zusammenhang fruchtbar machen. Man kann sicher sagen, dass seine Vorstellungen von der repräsentativen Regierungsordnung und der republikanischen Staatsform in vielen Bereichen mindestens gleichwertig mit John Stuart Mills Beiträgen zu diesem für moderne Staatsordnungen zentralen Theoriestrang sind und zudem den gegenwärtigen Verfassungssystemen mit all ihren Widersprüchen in vielen Teilen weitaus näher stehen.1 Die hier folgende Rekonstruktion von Benthams Theorie repräsentativer Demokratie beginnt mit einer Darstellung der Ordnungsform und ihrer Defizite, von der sich die repräsentative Ordnung positiv abheben soll. Dann folgt eine Analyse der entscheidenden Dimensionen repräsentativer Demokratie. Dabei geht es zuerst in einer Theorie des Amtes um die verschiedenen institutionellen Mechanismen, die für eine moralische und fachliche Eignung der politischen Amtsträger sorgen sollen. Untrennbar damit verbunden und zugleich ein Kernstück von Benthams politischem Denken sind seine Überlegungen zur Öffentlichkeit und ihrer elementaren Kontrollfunktion sowie die Begründung, die er aus utilitaristischer Perspektive für ein gleiches, allgemeines und geheimes Wahlrecht liefert. Unter der Überschrift "Verfassung" muss es dann noch darum gehen, wie der Constitutional Code - Benthams politisches Vermächtnis - die verschiedenen Institutionen der repräsentativen Demokratie miteinander in Beziehung setzt.

4.3.1.

Die Negativfolie : Monarchie und Korruption

Will man einen so kämpferischen Autor, wie es Jeremy Bentham zweifellos war, der immer dann, wenn es gegen einen besonders geliebten Feind ging, zur polemischen Höchstform gelangte, einigermaßen angemessen verstehen, so wird man bei seinen Argumenten immer mitbedenken müssen, wogegen sie sich denn richten bzw. an welchen Zuständen sie im strengen Sinn des Wortes Anstoß genommen haben. Für Bentham sind die jeweiligen Gegner bei strukturell gleicher Argumentation in gewisser Weise auswechselbar.2 Blackstone ist das personifizierte "common law", die Universitätseide Rosen weist darauf hin, dass zwischen Mills Considerations on Representative Government und Benthams Constitutional Code eigentlich bloß oberflächliche Übereinstimmung herrscht. Die Differenz gründet sich nach seiner sehr plausiblen Lesart vor allem in der vollkommen unterschiedlichen Einschätzung der Kompetenzen der Bevölkerung, die dann zu verschiedenen institutionellen Arrangements fuhrt. Vgl. Rosen, F., Jeremy Bentham and Representative Government, Oxford 1983, S. 183 ff. Mit der strukturellen Kontinuität des Argumentes ist der durchgängig verwendete Topos gemeint, dass man das Glück der größtmöglichen Zahl verfolgen soll, weil bisher das genaue Gegenteil in der politischen Praxis geschieht. Bentham nennt die systematische Bevorzugung einer parasitären

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sind die glücksfeindliche und verlogene anglikanische Kirche und die Monarchie der Inbegriff korrumpierter und korrumpierender Herrschaftsverhältnisse. Was die Monarchie betrifft, so war seine Einschätzung sicherlich nicht die ganze Spanne seines produktiven Lebens so negativ. Bentham, der in späten Jahren so radikale Demokrat, setzte in einer frühen Phase ganz eindeutig auf eine aufgeklärte Monarchie, die mit einem rationalen Beamtenstab und mit seinen Reformvorschlägen in der Hand die D i n g e verbessern sollte. 3 Einen entscheidenden Wendepunkt bringt hier zweifellos die Erfahrung des Scheiterns seiner Pläne zum Panopticon. A m Ende des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts sieht er eine allumfassende Verschwörung der einflussreichen und reichen Kreise des Landes gegen die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung am Werk. 4 In seiner Kritik wird der Monarch bzw. die Monarchie als Institution mehr und mehr eine Art Platzhalter ftir das verhängnisvolle Ineinander v o n falschen institutionellen Ordnungen und menschlicher Selbstpräferenz. Die Monarchie und die mit ihr eng verbundene Aristokratie 5 schaffen unter den Bedingungen einer sich zunehmend modernisierenden Gesellschaft eine Art v o n Defensivstrategie, die sich aus uns bereits bekannten ideologischen Elementen, faktischer Einschüchterung und vor allem Korruption zusammensetzt. Damit aber sind auch die Aspekte bereits benannt, die eine positiv zu gestaltende Gegenordnung wird in Betracht ziehen müssen, wenn sie die Gefahren und Fehlentwicklungen, die sich am Königtum exemplifizieren lassen, vermeiden will.

3

4 5

Minderheit vor der Mehrheit ein "all-comprehensive evil". Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France on Houses of Peers, Works, IV, S. 425. Wo er hierfür und gegebenenfalls für gute Geschäfte eine Chance sah, da engagierte er sich. Beispielhaft für seine Versuche die Politik und insbesondere das Recht eines Landes über die jeweiligen Herrn zu beeinflussen, ist seine Beziehung zu Russland, Katharina der Großen bzw. Zar Alexander I. Vgl. zu der früheren Phase dieser Beziehung Christie, Ian R., The Benthams in Russia, 1780-1791. Vgl. ebd., S. 175 ff. Alexander I. ist deshalb ein besonders interessantes Beispiel, weil man sehen kann, wie Bentham hier eine Kompromissbereitschaft bis zur Selbstverleugnung signalisiert, wenn er ja - wenn er nur endlich die Gelegenheit bekommen könnte, seine Gesetzesentwürfe politische Realität werden zu lassen. Der immerhin schon radikale Bentham würde noch im Jahr 1815 darauf verzichten, seinen umfassenden Code mit einer Verfassung zu krönen, da der Zar daran offensichtlich kein Interesse haben kann. Wichtiger ist ihm da schon seine Selbststilisierung. So schickt er Alexander den als Präsent übergebenen wertvollen Ring zurück, da er immer wieder darauf bestanden hatte, dass der ideale Gesetzesverfasser ohne Lohn und damit ohne direktes ökonomisches Motiv arbeiten müsse. Allerdings wird man berücksichtigen müssen, dass der gleiche Bentham, der sich beim Zaren einschmeichelt und alle möglichen Konzessionen machen würde, natürlich davon ausgeht, dass schon ein bürgerliches Gesetzbuch in seinem Sinn, also ein Gesetzeswerk, in dem alle Vorschriften ausführlichst begründet werden, eine explosive Wirkung für eine Herrschaft haben muss, die man seiner Meinung nach nicht vernünftig begründen kann. Vgl. Supplement to Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 82 ff. Vgl. Dinwiddy, John, Bentham, Oxford 1989, S. 11. Deshalb definiert er die Ordnung Englands: "[...] the English form of government - a mixture, composed of monarchico-aristocratical despotism with a spice of anarchy [...]." Constitutional Code, S. 25,11/24. Aristokratie ist für Bentham eine Art weit gefasster Sammelbegriff unter dem die Vertreter jedes vom Gemeinwohl abweichenden Gruppeninteresses subsumiert werden können. Es gibt eine Wahl-, Macht-, Titel-, Finanz-, Erb-, Klerikal- und sogar Talentaristokratie. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 189 f.

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Demokratie

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Die Person des Monarchen eignet sich besonders als Studienobjekt für institutionelle Fehlentwicklungen, weil ihn die Institution der Monarchie in eine besonders herausragende Stellung gebracht hat. Deshalb lässt sich ein allgemeiner Mechanismus an ihm demonstrieren, den Bentham als eine grundlegende Folge aller sozialen Asymmetrie formuliert hat. Gemeint ist die beobachtbare Tatsache, dass die prinzipiell primär an ihrem eigenen Wohl orientierten Menschen im genau proportionalen Maß, in dem sie Reichtum und Macht über ihre Mitmenschen stellen, ihr Interesse an den anderen verlieren. Mit anderen Worten: Wer die Hilfe der anderen nicht braucht, der nimmt weniger Rücksicht auf seine Umgebung und neigt stärker dazu, seine Mitbürger zu ignorieren.6 Er hat, um auf das Bild zurückzukommen, weniger Bedarf an Auszahlungen aus der Sparkasse der guten Taten und deshalb auch weniger Motivation selbst Einlagen zu tätigen, obwohl seine Mittel ihm gerade dies erleichtern würden und er dadurch sogar sich selbst einen Dienst leisten könnte, da solch ein Verhalten den Neid und die Missgunst derer, die weniger haben, ausbalancieren kann.7 Genau dies scheint im Fall der Monarchie zuzutreffen. Sie versammelt alle oder doch einen erheblichen Teil der gesellschaftlichen Machtmittel in einer Hand, trifft dann aber keine wirksame Vorsorge dafür, dass diese Mittel auch zum Wohl der Bevölkerung eingesetzt werden. Es ist nicht eine minderwertige moralische Ausstattung, die alle Könige und Alleinherrscher zu potenziellen und meist auch tatsächlichen Übeltätern macht. Wie wir aus der Theorie des "state of interest" bereits wissen, liegt die Differenz vielmehr darin, dass hier institutionell eine der gefahrlichen Tendenzen der menschlichen Natur in die Lage versetzt wird, sich zuungunsten aller anderen Menschen auszuwirken. Jeder Mensch wäre gern ein Unterdrücker, der Monarch darf einer sein.8 Nicht das unterscheidet den Monarchen in der universalen Glückskonkurrenz, sondern die Mittel, die ihm zur Befriedigung dieses Strebens zur Verfügung stehen: "The greatest felicity of the greatest number of the people requires that the external instruments of felicity, whatsoever they may be, be shared by the whole number in a proportion as 6

7

8

Das empirische Beispiel sind nicht zufällig der Alleinherrscher. Vgl. Constitutional Code, S. 122, VI/31/21. Eine positive Variante des Verhältnisses von hoher Stellung und Wohltun, wobei letzteres dann den Neid der Mitmenschen kompensiert, ist durchaus vorstellbar. Vgl. Deontology, S. 238. "Thus it is that by the innate propensities of man's nature, propensities necessary to the very existence of the species, every man is rendered, at least in desire and whish, and upon occasion in endeavour, a depredator and a oppressor. In the situation of Monarch, the joint powers of his corporeal instruments of misrule supply a man with corporeal instruments sufficient to enable him to grant to these desires the requisite correspondent gratification: and thus it is that the power being added to the desire, the correspondent effect is produced: the correspondent effect in the present case, the unquestionable sacrifice of the real felicity of the greatest number, of the millions, to the questionable felicity of this one. In the instance of each individual member of that same community, whatever it be, this same sinister desire, the desire of making to the profit of his own happiness, the sinister sacrifice, has place: but in the instance of no such individual has the power any place: to this purpose the incorporeal requisites are wanting: and these being wanting, the corporeal are so too." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 212 f. Es wird an dieser Stelle im übrigen nicht der Hinweis auf die Nicht-Gleichwertigkeit der Freuden vergessen: "real felicity" vs. "questionable felicity".

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near to equality as is consistent with universal security, and with that abundance at each moment of time which is itself necessary in the character of a security for the permanency of universal subsistence. On the other hand, the greatest felicity of the Monarch requires, or at least, [...], is by him understood to require, that the aggregate mass of the several external instruments of felicity be in the largest possible proportion at his absolute disposal. Thus then as between the Monarch on the one hand and the whole number of the members of the community in question on the other, a diametrical opposition of interests has place. But, setting aside what changes may have been made by social habits and political institutions, exactly such is the state of interests between every member of every community on the one part and every other member of the same community on the other. The difference is - the Monarch has actually at his disposal, with a power more or less approaching to absolute, the aggregate mass of those same instruments: the power of employing them in the character of instruments of his own personal gratification and enjoyment: the individual, not." 9

Macht akkumuliert in einer Person bringt jede denkbar vernünftige Verteilung der Glückschancen durcheinander. Sie assimiliert notwendig Macht an Geld und all die anderen Dinge, die Menschen für ihr Glück für nötig halten und auch nötig haben.10 Der späte Bentham macht die Monarchie zum Laboratorium der utilitaristisch begriffenen Unmoralität. Er zeigt an ihr all die Gefahren, die sich aus einer losgelassenen Individualität, die der Kontrolle durch die moralischen und rechtlichen Sanktionen entkommen ist, ergeben können. So gesehen ist der Monarch nicht ein historisch überlebtes Phänomen. Er ist jedes Individuum, das durch soziale Asymmetrie der Beeinflussung durch und vor allem der Verantwortung gegenüber die bzw. den Mitmenschen entkommen ist. Man wird sagen können, dass sich aus Benthams so "moderner" Kritik der Monarchie unschwer auch eine Kritik des modernen Individualismus, vorgetragen nicht von einem konservativen Autor im engeren Sinne, sondern von einem radikalen Modernisierer, ableiten lässt.11 Das Königtum, dessen Macht letztlich auf der Dummheit der Beherrschten aufbaut12 und dessen Legitimation geradezu abstrus ist,13 schafft in seiner reinen Form eine BeFirst Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 16. Dabei entsteht ein selbstverstärkender Zirkel zwischen Macht und Begierde: "Consciousness of the power is continually stimulating and sharpening the desire." Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 430. "Money, power, factitious dignity - among the modifications of the matter of good - among the good things of this wicked world - these, as it is the interest, so has it ever been the study, - as it has been the study, so has it been the endeavour - of the monarch - as it has been, so will it, and where the monarch is a human being, so must it be everywhere - to draw to himself in the greatest quantity possible." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 440. Der "Monarch" in diesem Sinn ist jeder, der fur sich das "sinister sacrifice" verlangt. Er/sie stellt die eigenen Interessen frei von der Kontrolle der Sanktionen und verlangt für sich einen übermäßigen Anteil an den Ressourcen dieser Welt, die Menschen glücklich machen können, während er/sie zugleich billigend in Kauf nimmt, dass das Glück aller anderen ausgeschlossen wird. Auch unter diesem Blickwinkel ist Bentham ein kritischer Archäologe des ubiquitären modernen Bewusstseins. Er ist es aber, und das hebt ihn als wirklich außerordentlichen Denker hervor, von einem individualistischen Standpunkt aus. Monarchen kann es nur geben, wo Menschen ihre Interessen opfern. Das tun systematisch nur geistig schwache Menschen, die nicht verstehen, was eigentlich geschieht. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 154.

Arrangements

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ziehung zwischen Herrschaftsinhabern und Beherrschten, die letztlich nur eine politisch umgedeutete Variante des Verhältnisses von Herrn und Sklaven darstellt.14 Zwar gibt es auch eine Identität zwischen den Interessen von Herrn und Sklaven, Postmeistern und Pferden, Bentham macht aber sehr deutlich, dass das Gewinninteresse des Ausbeuters die Ausgebeuteten nur eben so gerade noch vor dem Untergang bewahrt. Von wirklicher Interessenidentität kann da keinesfalls die Rede sein, wo nur eine sehr partielle Überschneidung der Interessen statt hat, die den Herrschaftsunterworfenen bestenfalls das nackte Überleben garantiert, das aber nicht unbedingt dem einzelnen Individuum gesichert sein muss. Faktisch sieht es also eher so aus, dass derjenige, der die Machtmittel in der Hand hat, das größte Unglück der größten Zahl wollen kann, solange dabei seine Chancen auf Bereicherung nicht verringert werden, bzw. solange er nicht auf gewaltsamen Widerstand stößt.15 Bentham, dessen Wortgebrauch sich in seiner radikalen Phase so entwickelt hat, dass er selten vom König, sondern vom "corrupter general" oder "malefacter general" redet und sogar vor der Beschimpfung als aufgeblasener Frosch nicht zurückschreckt,16 behauptet, dass der Monarch in seiner herausgehobenen Position noch in anderer Hinsicht ein Lehrstück für eine Art Antipolitik des Glücks ist. Er ist nämlich so weit über die Mitbürger gestiegen, dass ihm wesentliche Erfahrungen und vor allem auch wesentliche Eigenschaften, die für sein Amt eigentlich unabdingbar sind, vollkommen fehlen müssen. Da ist zunächst die Tatsache, dass er die Erfahrung von Leid und Abhängigkeit 13 14

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Vgl. ebd., S. 113 f. "Turn first to Monarchy. Here, the all-determining principle is - that as beasts in general are made for the use of men in general, - so, in each community are men - all of them but one - made for the use of that one: of this universal slave-holder, the duty (for he too has his duty) is - as in all other matters and on all other occasions, so in this matter and on this occasion - at every moment of time whatsoever, to do that which, at that same moment, is most agreeable to himself." Constitutional Code, S. 455, IX/26/43. "There is a community of interest between a Post-master and his Post-horses: but this community of interest suffices not for saving them from an untimely death at the end of a life of torment. The interest which a Monarch has in common with his subjects is not sufficient to render him in general so well disposed towards his subjects as a Post-master is to his Post-horses. [...] Spite of whatsoever there is in common between the two interests, in the breast of every Monarch the tendency of his disposition is at all times and in all places to produce the greatest infelicity of the greatest number. Such is every where the tendency necessarily produced by his situation: and such every where, except in so far as accidental circumstances have risen up in opposition to such tendency, has been, and so long as Monarchy exists upon the face of the earth will be - the effect." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 156. (Hervorheb. - W.H.) Zur gleichen Form der Archetypisierung des Problems, vgl. auch Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 442. Dass es trotzdem nicht viel häufiger zu einer totalen Despotie und in jener Folge zu Umstürzen bzw. Rebellionen kommt, liegt daran, dass es natürlich, bei aller prinzipiellen Opposition der Interessen, auch Überschneidungen gibt. Der Fall ist denkbar, dass gelegentlich per Zufall das Glück der Vielen befördert wird, weil es gerade zum Glück der Wenigen passt. Selbst der übelste Minister wird sich nicht selbst schaden wollen, bloß um dem Volk zu schaden. Vgl. Handbook of Political Fallacies, S. 199 und Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 542. Da ist die Rede vom "great frog with a crown on his head". First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 312, Fn. a. Für die anderen Beispiele vgl. jede spätere Schrift Benthams.

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nicht kennt. Beides aber ist unabdingbar, wenn man eine Politik des Glücks für die Herrschaftsunterworfenen machen will oder doch zumindest soll. Viel schlimmer noch ist jedoch, dass das "royal pupil" prinzipiell so gestellt ist, dass es weder auf der Ebene der moralischen Eignung noch auf der der intellektuellen Eignung durch Lernen entwickelt werden könnte. Der Monarch lernt schon als Kind nur die Dinge, die ihn für sein Amt eigentlich unbrauchbar machen.17 Nur weil Monarchen tendenziell lernunfähig sind und sie damit kaum die beiden primären Qualitäten, die Bentham für ein politisches Amt für unabdingbar hält, die moralische und die intellektuelle Eignung (moral and intellectual aptitude), erlangen bzw. erarbeiten können, gibt es überhaupt Revolutionen. Man muss nämlich davon ausgehen, dass das Volk eigentlich viel duldsamer ist, als das die reale Glücksverteilung in einer Monarchie erwarten lassen würde. Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen viel ertragen, was darauf hinweist, dass die realen Nutzenkalküle der Beherrschten eher herrschaftsstabilisierend sind, und dass es nur deswegen überhaupt zu Aufständen kommt, weil die Monarchen und ihre Mitprofiteure letztlich ihr duldendes Volk so sehr verachten, dass sie es zu weit treiben mit seiner Unterdrückung und Ausbeutung.18 Damit sind Revolutionen als die Folgen einer losgelassenen Individualität, die unter den Bedingungen einer unkontrollierten Machtasymmetrie mehr vom Gesamtglück für sich nehmen will als eine faire Chancenverteilung eigentlich zulässt, definiert. Das eigentlich problematische an der monarchischen Ordnungsform besteht also darin, dass sie institutionell die riskanten Neigungen von Individuen freisetzt und mit den Mitteln zur Durchsetzung ihrer abweichenden Interessen ausstattet. Dabei werden auf der Basis dieser Herrschaftsasymmetrie, die das Moment der Verpflichtung nur für das Volk kennt, während die regierenden Eliten und an derer Spitze der König von aller Verantwortung und Pflicht freigestellt werden,19 eine Reihe von dynamischen Abläufen 17 18 19

Vgl. ebd., S. 165 ff. Vgl. ebd., S. 165. Zum Verachtungstopos vgl. auch Radicalism not Dangerous, Works, III, S. 620. Der Monarch kann bekanntlich in der englischen Verfassungsideologie keine falsche Handlung ausführen. Bentham wird das "The king can do no wrong." zum Beweis, dass er eigentlich nur üble Dinge tun kann, da er durch seine Stellung sein falsches Handeln zu Recht uminterpretieren kann: " [...] evil and nothing but evil, is in that monarchy as in every other, the uninterrupted occupation of the Monarch' s political life." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 54. Das ist so, weil sich der König verantwortungsfrei außerhalb der Gemeinschaft des größten Glücks definiert. Sein Glück steht allein (his happiness stands alone) außerhalb des Glückskalküls der Vielen und daher ist jede Handlung, die er ausführt, nicht mehr innerhalb dieses Kalküls relevant. Bentham spricht von einer "theory of impeccability" (Vgl. ebd., 273), die, wenn man sie zu Ende denkt, zu einer Theorie der Unmündigkeit wird, da eigentlich nur Kinder und geistig verwirrte Menschen nicht für ihr Tun verantwortlich gemacht werden können. "Exactly in the condition of an infant in leading strings is this impeccable person: with the impeccability, the mental imbecillity of an infant is combined." Ebd., S. 275. Diese ideologische Verantwortungslosigkeit wird, was die gesamte Herrschaftselite betrifft, unterstützt durch ein reales System der Rechtsverhinderung, das dafür sorgt, dass die jeweiligen Amtsträger jeder Kontrolle und Rechenschaft faktisch enthoben sind. Das Fazit lautet daher: "Power without obligation in the regions above - obligation without power in the regions below - such is the scheme of division and distribution appointed and carried into effect." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 505. Daraus re-

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in Gang gesetzt, die die gesamte Gesellschaft durchdringen und die ebenfalls zur Negativfolie der Monarchie gehören. Darunter fallen zumindest eine fur die Glücksverteilung höchst kontraproduktive Verschwendungssucht und die Korruption, die sich wie eine Wucherung über die gesamte Gesellschaft ausbreitet. Beide hängen natürlich eng miteinander zusammen, bedingen sich gar in vieler Hinsicht, da die Mittel für die Korruption durchaus auch als verschwendete betrachtet werden müssen, insofern sie die Glückschancen ungerecht und unproduktiv verteilen. Was die typisch monarchistische und aristokratische Verschwendungssucht betrifft, so ist sie vor allem deshalb ein Übel, weil nicht die Mittel des Monarchen bzw. der reichen Feudalkaste für deren eigenen Prunk ausgegeben werden, sondern die Mittel des Gemeinwesens, die an anderen Stellen so bitter fehlen. Dabei lässt sich ein eigenartiger Mechanismus beschreiben, der auf dem absolut falschen Vorurteil, dass Reichtum und Kompetenzen zusammenhängen, aufbaut. Wenn man nämlich in einem Gemeinwesen davon ausgeht, dass ein prunkvolles Auftreten den Amtsträger für sein Amt geeigneter macht als ein einfaches Erscheinungsbild, so kommt man innerhalb dieser perversen Logik zu dem Ergebnis, dass man die unfähigen Amtsträger bzw. Herrscher nur reich genug machen muss, damit sie auch für ihre Funktionen geeignet sind.20 Zugleich hängt die nicht rechtfertigbare Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen nicht allein mit dem Geld zusammen. Zwar ist es so, dass Geld und materieller Wohlstand für Bentham das rechnerische Äquivalent für fast jede Form von Glücksgütern darstellen, da sie sie gleichsam "übersetzen" lassen, jedoch sind sie dies nur, soweit sie - über welche Vermittlung auch immer - Glück schaffen und Übel abwehren.21 Es geht Bentham auch um die Verschwendung von Ehre als einer der Ressourcen für die Motivation positiver Leistungen für die Gemeinschaft. In der Monarchie existiert ein verschwenderischer Umgang mit Würden, die dann wiederum in Geld und andere parasitäre Einkünfte aus dem gesamtgesellschaftlichen Fonds von sozialen Diensten (services) und Glücksgütern umgewandelt werden. Mit eifersüchtigem Blick beschreibt ein Autor, der selbst in seiner Heimat nie das Maß an Ehrung und Würde erreicht hat, das er für seine Leistungen für die Menschheit und insbesondere für sein Vaterland als angemessen empfunden hätte,22 wie im allgemeinen Wettlauf um die Güter des Glücks23 die nasultiert dann in polemischer Zuspitzung, dass die Herrschenden ein Recht zum Plündern haben und die Beherrschten ein Recht, geplündert zu werden. Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 117, Fn. Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 432. "The matter of wealth is not of any value, nor can the subtraction of it from any person be productive of injury, nor for the punishing of him who without right obtains it for himself can there be any sufficient reason, otherwise than in so far as the general effect of it is to serve for the attainment of pleasure or for the avoidance of pain." Deontology, S. 152. Bentham sieht das selbst. Er reflektiert darüber, dass er etwa in Frankreich hoch geschätzt und teilweise sogar verehrt wurde, während er in England froh sein musste, wie er ironisch anmerkt, dass man ihn nicht eingesperrt hat. "Never has he yet been punished, nor so much as prosecuted. In this negative shape has manifested itself the gratitude testified towards him by his own country's government." Article on Utilitarianism, S. 312. Er benennt die "objects of desire". Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 152.

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türliche Verteilung von Respekt durch die monarchisch-aristokratische Intervention durcheinander gerät. Wenn nämlich Würde und Ehre die Ursache für Respekt sind,24 dann ist die Schaffung künstlicher Würde nicht mehr und nicht weniger als eine Art Steuer auf die gesellschaftlich verfügbare Gesamtmenge von natürlicher Würde und dem daraus resultierenden Respekt.25 Bentham macht deutlich, dass er eigentliche Würde nur dem zubilligen will, der sie durch herausgehobene Leistungen auch verdient hat. Dies muss aber nicht durch die Verleihung von Ehrentiteln oder Ehrenabzeichen geschehen, sondern ereignet sich in gewisser Weise naturwüchsig im menschlichen Umgang und in der gesellschaftlichen Kommunikation.26 Die Produktion künstlicher und damit grundloser Würde, wie es sie nur in der Monarchie geben kann, führt lediglich dazu, dass diejenigen, die wirklich etwas für ihr Land geleistet haben, nicht die volle Anerkennung erhalten, sondern sie mit Schwindlern und Hochstaplern teilen müssen. Am Ende des Herstellungsprozesses künstlicher Ehren steht dann ihr geradezu notwendiger Beitrag zur Ausbeutung und zur Verschwendung der gesellschaftlichen Glücksgüter: "As in the situation of King, honor and dignity require for their support splendor and lustre, that is to say money torn for the purpose out of the pockets of the people, so in every situation within the reach of the royal eyes. Hence it is that if a man in a certain rank be in want of money, whether it has been by misfortune or by prodigality or folly in any other shape that the gap has been produced, the deficiency is to be supplied at the expence of the laborious part of the people: the productive classes are to be squeezed for money to fill it up. Incessant are the complaints of the expence of affording to the helpless among the productive classes those supplies without which starvation and death must of necessity be their fate: profound is the silence as to the expence of supplying to the extravagant in the higher order the means of ulterior extravagance."27

Die Rechnung der über königliche Macht hergestellten künstlichen Würde bezahlen die arbeitenden Schichten der Bevölkerung, die allein in der Lage sind, den nötigen Wohlstand bereitzustellen, der dann aber zuungunsten des gesellschaftlichen Glückskalküls verteilt wird.28 Es wird den fleißigen Bürgern genommen und den trägen Herrschenden

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"[...] Dignity is the efficient cause of respect." Ebd., S. 48. Das hat dann aber zu tun mit der Enttäuschung einer Erwartung: "As it is with money, so it is with respect. More respect can not be paid to and enjoyed by one man, but less respect is paid to another or others: every act by which factitious dignity is thus conferred on a man, a quantity of respect secured to him over and above whatsoever he would otherwise have received and enjoyed, has therefore in this particular the effect of a tax: the gain to one party is attended with loss to another party, and the defalcation made by the operation from the aggregate of felicity is more than equivalent [to] the addition made to it." Ebd., S. 49. Ein Register hervorragender Taten sollte es aber schon geben, da man dann vergleichen kann, was denn die einzelnen Menschen zum Glück der Gemeinschaft beigetragen haben. Ebd., S. 313, Fn. a fortlaufend. Bentham spricht von der Schaffung eines "elevated pauperism". Der Monarch erhöht jemanden und, wenn man dann feststellt, dass er nicht reich genug ist, dann gibt man ihm aus dem "public fund" die Mittel für seine Würde. Vgl. Radical Reform Bill, Works, III, S. 591, Fn. Zum Beispiel des Earl of Leinster, der zum Herzog erhoben wurde und bei dem man dann aber feststellte "[...]

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gegeben, während gleichzeitig so getan wird, als würde man an diejenigen, denen die Subsistenzmittel fehlen, den Wohlstand des Landes verschwenden. Hier laufen, auf den konkreten Fall einer Verteilung der Glückschancen zwischen den gesellschaftlichen Schichten bezogen, Benthams abstrakte Überlegungen zum Verhältnis von Gewinn, Verlust, Glück und konkreter gesellschaftlicher Ordnung zusammen und machen deutlich, wie er in seiner radikalen Phase das "greatest happiness principle" verstanden wissen möchte. Es ist klar und wird nach einer Darstellung der Korruptionsproblematik noch deutlicher werden, dass eine solche institutionelle Ordnung, wie sie die Monarchie bereitstellt, prinzipiell unvereinbar mit dem Prinzip des größten Glücks und seinen unmittelbar derivaten Axiomen ist. Zu den elementaren Übeln der Monarchie gehört, neben einer vollkommen unangemessen Distribution von Würde im Medium der politischen Schaffung von unangemessenen sozialen Differenzen, für Bentham auch die allgegenwärtige Korruption. Sie differenziert sich bei ihm zwar auf ganz verschiedenen Ebenen aus, man wird aber sagen können, dass er ganz besonders in diesem Bereich seiner Monarchiekritik der CountryIdeologie des 18. Jahrhunderts folgt. Bekanntlich wird in ihr eine Opposition, besonders im Kreis um Bolingbroke, dem der sehr oft von Bentham zitierte Jonathan Swift angehörte, zwischen der von der Korruption der Krone durchdrungenen "court party" und einer gewissermaßen reinen quasi-nationalen "country party" stilisiert.29 Bentham schließt an diesen Diskurs an und wendet ihn radikaldemokratisch. Für ihn gibt es nicht mehr die Möglichkeit, dass eine andere Organisation der Regierung oder marginale Veränderungen des Wahlrechts ausreichen könnten, das Übel der Korruption zu bannen. Korruption definiert er vielmehr zu einem universalen Phänomen, das ähnlich wie das Phänomen der Bewegung in physikalisch-biologische und menschliche Korruption unterschieden werden muss. Verfall bestimmt alle Materie, insbesondere aber all das, was lebt.30 Daraus muss geschlossen werden, dass zwar bestimmte institutionelle Ar-

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being so high as he was, it was found that he was not rieh enough." Plan of Parliamentary Reform, Works, ILI, S. 441, Fn. Vgl. Hofmann, W., Was heißt hier konservativ? Lord Henry St. John Bolingbrokes politisches Denken im Spannungsfeld von Modernität und romantischem Konservativismus, in: Berg-Schlosser u.a. (Hrsg.), Politikwissenschaftliche Spiegelungen, Opladen 1998, S. 60-75. Von der moralischen Korruption, die offenbar eine "fictitious entity" darstellt, kann nur analog zum physischen Verfall gesprochen werden. Die Analogie zwischen der moralischen und außermoralischen Welt reflektiert Bentham als eine Archetypisierung: "Otherwise than by speaking of matter, it is not possible to speak of mind: as corruption in the physical sense is to matter, so is corruption in the psychological sense to mind: a more apt mode of designation - of archetypation - was never found in any case. To employ it is not rhetoric: it is the work of the purest and most indispensable logic. In this case as in others, as it is with matter, so it is with mind. As it is in two out of the three physical kingdoms, so it is in the political one. To sow seed is to prepare corruption: to put together male and female is to breed corruption. But in the two living, say growing, kingdoms, corruption has its antidotes - its antiseptics: and e'en so has it in the one political: in both it has its preventives and its retardatives: nor in either one is it destitute of its acceleratives." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 43. Mit den zwei Königreichen sind die lebenden Dinge - also tierische und pflanzliche - gemeint. Das dritte stellt das mineralische Reich

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rangements besonders beschleunigend für die Ausbreitung von Korruption wirken,31 dass sie aber zugleich ein universales Phänomen darstellt und als grundlegende Disposition des selbstinteressierten Individuums unter allen Umständen existiert. Wer behauptet, es gäbe Menschen, die unter gar keinen Umständen korrumpierbar seien und er selbst sei ein solcher Mensch, der täuscht sich entweder bewusst oder unbewusst selbst bzw. seine Mitmenschen.32 Daraus ergibt sich die Folgerung, dass es ziemlich unsinnig ist zu glauben, man könne Korruption einfach verbieten und durch eine bloße Strafandrohung aus der Welt schaffen. 33 Das ist unsinnig, weil sie offenbar ein allgemein menschliches Phänomen darstellt. Außerdem ist sie höchst vielgestaltig und reicht von der Korruption der Repräsentanten durch Ämtervergabe, Nepotismus und Ehrungen bis hin zur Korruption der Wähler in der Form des Stimmenkaufes. Betrachtet man das Phänomen etwas genauer, so lässt sich in Beziehung zur latenten und universalen Korruptionsneigung, von der eben im durchschnittlichen Fall ausgegangen werden muss, durchaus zeigen, wie und warum die Monarchie ein besonders korruptes Ordnungsmodell darstellt und warum es in ihr kaum effiziente institutionelle Mechanismen zur Bekämpfung des Übels geben kann. Im Kampf gegen die Korruption ist die Monarchie so machtlos, weil der Quacksalber auf dem Thron eigentlich gar kein Interesse an der Heilung dieser moralischen Krankheit hat und sich deshalb, mehr noch als die herumziehenden Wunderdoktoren, auf die betrügerische Vorspiegelung einer Heilungsabsicht verlassen muss. Der "quack on a seat called throne" ist deshalb nicht an der Ausrottung der Korruption interessiert, weil sie die zentrale Bedingung seiner Macht darstellt. Wenn man nämlich, so Bentham, zwischen einer persönlichen und einer systembezogenen Korruption unterscheidet, wobei erstere jede Vorteilnahme meint, die das politische System unter Strafe stellt und letztere die Art von Korruption, die das System verlangt und befördert,34 dann handelt es sich bei der Monarchie selbst um ein zutiefst korruptes System. Korruption meint nämlich nicht mehr und nicht weniger in Benthams Terminologie, als die bewusste Erzeugung eines persönlichen Vorteils auf Kosten der Allgemeinheit: "In the case of a functionary, corruption - political corruption, according to the common acceptation of the word, is understood to have place as often as by any act of his the sinister sacrifice has, with [his] consent and knowledge, and in pursuance of his endeavour, been effected."35

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dar. Vgl. auch zur Natur als ununterbrochene Konsumption und Produktion View of a Complete Code of Laws, Works, III, S. 177. Im Anschluss an die klassische Korruptionsrhetorik des 18. Jahrhunderts gilt nach Bentham dies insbesondere, wenn man eine Exekutive mit ausreichenden Ressourcen hat, die auf eine Legislative angewiesen ist. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. ebd., S. 44. Verbot und Bestrafung sind nur ein notwendiges kein zureichendes Mittel gegen die Korruption. Vgl. ebd., S. 32 f. Bentham spricht von "personally seated" und "systematically seated". Vgl. ebd., S. 255. Ebd., S. 17. "Sinister sacrifice" ist definiert: "[...] the sacrifice of the universal interest to his personal or other personal interest [...]." Ebd.

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Da der Monarch letztlich dadurch definiert ist, dass er seine Interessen über das Allgemeinwohl stellt, ist er Quelle und Ziel aller Korruption, er ist in der Tat der "corrupter general".36 Die Rede von einer systematischen Korruption in jeder monokratischen Herrschaftsstruktur meint nun nicht, dass es keine Verantwortlichen für diesen Misstand gäbe. Die "ruling few" wissen, auch wenn es Zustände der Selbstkorruption gibt, in denen die Täter nur noch Agenten der allumfassenden Unmoral sind, generell sehr genau was sie tun. Auch für die systematische Korruption gilt: "[...] the corruption that has place is the fruit of design: that they know what they are about: that they are conscious, fully conscious, of the evil that has place: [...]."37 Betrachtet man nun das System der Korruption etwas näher, so zeigt sich, dass es gerade dadurch so durchschlagend und universell funktioniert, weil es die allgemeinen Objekte menschlicher Glückssuche zur Erzeugung von gesellschaftlicher Glücksminderung nutzt. Geld, Macht und künstliche Ehren sind die entscheidenden Medien politischer Korruption.38 Sie funktionieren dadurch, dass sie auf ein Individuum als externe Motive wirken und es zu einer Handlungsweise veranlassen, die dem Gemeinwohl abträglich ist.39 Durch diese Art der Beschreibung kann Korruption von Bentham zugleich als ein derivater Modus politischer Kommunikation beschrieben werden, in dem der illegitime Einfluss von Willen auf Willen den politisch einzig legitimen Einfluss von Argumenten auf die Urteilsbildung ersetzt. Es gilt, bei jeder besseren politischen Ordnung genau diesen Wirkmechanismus politischer Korruption umzudrehen.40 Zum System im vollgültigen Sinn entwickelt sich die Korruption aber erst, wenn sie in Konstellationen existiert, in denen in der aktuellen Situation gar kein korrumpierender Willen mehr nötig ist damit ein korrupter Wille entsteht. Dann ist ein Zustand erreicht, in dem die Erwartungen der Menschen bereits so durch die institutionelle Fehlentwicklung verdorben 36

Der Monarch und die Aristokratie werden mit dem Bild einer Firma beschrieben, deren Vorstandsvorsitzender bzw. Vorstand sie sind und deren einziges Unternehmensziel die Ausbeutung des "subject many" darstellt. Daher ist die universale Korruption, die sie betreiben, nicht bloß "A mere moral spot? - a mere ideal imperfection [...]", sondern eine nationale Katastrophe. Vgl Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 442.

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First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 256. Vgl. ebd., S. 20. Es werden damit die grundsätzlichsten menschlichen Bedürfnisse angesprochen, "[...] those desires, which in human nature have no bonds." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 438. Gelegentlich wird auch "the matter of evil" als Medium der Korruption benannt. Gemeint ist damit Entzug von Glücksgütern oder Strafe, die ebenfalls handlungslenkend wirken können. Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 433. Beide - "matter of good und matter of evil" - sind im Sinne des EXTERNALISTISCHEN Ansatzes Steuerungsmedien, die unter der Voraussetzung wirken, dass jeder das Handeln anderer beeinflussen kann, der Motive zu erzeugen vermag, die stark genug sind, andere Handlungsmotive zu überbieten. Bentham beschreibt dies am Beispiel einer korrupten Jury, deren Urteil genau so gelenkt werden kann. Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 71.

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Vgl. Logical Arrangements, or Instruments of Invention and Discovery, Works, III, S. 288. "By corruption you will understand - any act or state of things, by which, by means of operating on his will, a functionary is induced to act in a course, deviating in any matter from the path of duty." Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 433. Vgl. zur notwendigen Umdrehung der Einflüsse, Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 542.

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sind, dass sie gleichsam in vorauseilendem Gehorsam das Gemeinwohl bestimmten Gruppeninteressen opfern, weil sie sich eine Belohnung erwarten bzw. negative Auswirkungen für ihr eigenes Glücksstreben abwenden wollen.41 Es sind zwischen dem Korrumpierenden und dem Korrumpierten "[...] two habitually corresponding lines of conduct [...]" entstanden, die keine ungewöhnliche Intelligenz voraussetzen und die ohne direkte Kommunikation den Effekt des "sinister sacrifice" erzeugen. Es genügt auf der Seite der Teilnehmer der Verstand oder besser Instinkt eines Haustiers, wenn nur die Materie der Korruption in ausreichendem Maß zur Verfügung steht. Wenn die Katze den Fleischkarren sieht, erwartet sie ihr Futter: "For the performance of it, on the part of the individual corrupted no extraordinary degree of intellectual aptitude [...] is necessary: the degree of intellectual aptitude universally possessed by all domestic animals of an inferior degree is quite sufficient. In any one of the Streets of London, taking observation of the appointed time, behold the sort of commercial intercourse that has place between three parties - the cat's-meat barrow-woman, the householder and the cats. The hour arrived, the interesting vehicle makes its appearance, the householders and the cats repair to their respective doors: at each door, as the vehicle arrives along side of it, the householder sallies forth, pays the purchase money for the ration, and places it within the reach of the four-legged domestic functionary. At a certain time of the day, or upon the hearing of a certain sound, [...], the watchful functionary, on making his appearance at the door, has been in the habit of receiving his ration: no speech affording the assurance that, in the event of his making his appearance on the spot, the ration will be placed within his reach has, unless by accident, ever been addressed to him, either by his employer or by his purveyor. Yet of his part of the contract, the performance has not been the less punctual, or the less effectual." 42

Korruption kann so archetypisiert werden, weil es sich bei ihr um ein Phänomen handelt, das in der anthropologischen Grundausstattung der Spezies verankert ist. Vom Wirkungsmechanismus her betrachtet funktioniert sie auf der exakt gleichen Basis wie die strafrechtliche Strafandrohung bzw. die Belohnung für außergewöhnliche Dienste. Sie schafft Motive allerdings mit Mitteln, die dem Gemeinwesen ungerechtfertigt entzogen werden und die dann auch noch für eine weitere Schädigung des allgemeinen Glücks und für die Beförderung von individuellem bzw. gruppenbezogenem Glück eingesetzt werden. Wenn diese Rekonstruktion richtig ist, so bestätigt sie die These von der prinzipiellen Korrumpierbarkeit des Menschen und stellt Benthams politisches Denken vor das Problem, dass auch die Herrschaftsunterworfenen nicht immun gegen diese moralische Infektion sein können. Bentham geht mit dieser Problemstellung auf zweifache Weise um.

"For the production of the maleficient effect styled corruption, not necessary is it that there should really be any person in whose mind any such intention has place as that of administering the matter of corruption, for the purpose in question, or for any other. Why not necessary? Answer - Because any person, disposed to earn the wages of corruption, on sight of any other person occupying a situation which places in the hands of the occupier any adequate mass of the matter of corruption, together with the means of benefiting himself by the administration of it, will presume the existence of an adequate disposition so to administer it, and will act accordingly." Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 435. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 21 f.

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Einmal betont er nachdrücklich, dass unter den bestehenden Umständen, d.h. unter den Bedingungen einer mehr oder weniger eingeschränkten monarchischen Macht in einer konstitutionellen Monarchie mit dem Wechsel der Regierungsparteien keine Bekämpfung der universellen Korruptionsneigung möglich ist. Man muss zumindest das allgemeine und geheime Wahlrecht für kurze Legislaturperioden einfuhren, damit ein wesentlicher institutioneller Stützpfeiler der Korruption wegfallt. Belässt man es bei einem bloßen alternierenden Wechsel der politischen Eliten, den "ins" und "outs", womit Whigs und Torries gemeint sind, so wird es unter dem Aspekt der Korruption immer wieder Allianzen gegen das Volk zwischen den gegenwärtig Regierenden und denen, die hoffen demnächst an die Fleischtöpfe heranzukommen, geben müssen.43 Jede Form von Repräsentation, die nicht unter der absoluten Kontrolle des Herrschaftsadressaten steht, treibt Korruption notwendig hervor.44 Keine Reform wird die menschliche Natur ändern können. Man wird von der Einsicht ausgehen müssen, dass keine Reform, die das Amt des Monarchen weiter bestehen lässt, ein institutionelles Korrektiv zur universellen Korruption darstellen kann. Die Monarchie als institutionalisierte Verantwortungslosigkeit ist nicht reformierbar, sie muss abgeschafft werden.45 Der zweite Argumentationsstrang, der sich mit dem Problem einer grundsätzlichen Korrumpierbarkeit aller Menschen beschäftigt, stellt klar, dass das Lebenselixier der repräsentativen Demokratie für die Korruption tödlich ist. Korruption verträgt sich genauso wenig wie die von Bentham so scharf kritisierten moraltheoretischen Positionen oder sonstigen politischen Übel mit Öffentlichkeit.46 Auch wenn man davon ausgeht, dass Menschen unter allen Umständen potenziell korrumpierbar sind und immer sein werden, so ist doch das Argument, dass man deshalb keine Reformen durchführen sollte, nicht haltbar. Es übersieht, dass das Ziel jeder Reform in Richtung repräsentativer Demokratie die Errichtung einer Ordnung sein muss, die in der Lage ist, die bestehenden gefährlichen Neigungen der Individuen zu kompensieren oder umzulenken. Die repräsentative Demokratie wird prinzipiell vom "least benevolent set of men" ausgehen,47 sie hält aber der "fallacy of popular corruption" folgendes entgegen: "The field here in question is that of politics; and applied to this area, the fallacy would lay the axe to the root of all government. It would do so, not only to political remedies, but to all other remedies against that preponderance of selfregarding interest over social interest and affection,

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"The alliance which at first had place on the part of the new rulers and the people against the former ruler or rulers now gives way to an alliance between the former rulers and the new rulers against the people." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 204. "Thus it is that exposure to corruption is of the very essence of the representative system." Ebd., S. 25 f. Der Unterschied besteht darin: nur die repräsentative Demokratie besitzt ein Gegengift. Vgl. ebd., S. 219. Bentham spricht hier von einer moralischen Unmöglichkeit. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 457. "Thus it is that, under a properly-devised system of election procedure, the least benevolent set of men, supposing them equal in self-regarding prudence, will render as much service to the universal interest as the most benevolent. And by 'least benevolent' is meant, if anything is meant, the 'most corrupt'." Handbook of Political Fallacies, S. 184 f.

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which is essential to man's existence, but which, for the creation and preservation of political society and man's well-being in it, has to be checked by a force formed within itself."48

Es müssen, mit einem Wort, institutionelle Ordnungen gefunden werden, in denen die Möglichkeiten der korrupten Vorteilnahme auf allen politischen Ebenen so weit wie irgend denkbar reduziert worden sind. Wesentliche Mechanismen hierfür sind die allgemeinen und geheimen Wahlen, radikale Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung und Diskussion, Minimierung der verfügbaren Korruptionsmaterie und Maximierung der Verantwortlichkeit der politischen Funktionäre. Bei alldem lässt Bentham aber gelegentlich durchscheinen, dass das Volk, wenn auch wesentlich aus Mangel an Gelegenheit, bisher zumindest weniger korrupt war als die regierenden Eliten.49

4.3.2.

Zur Theorie des Amtes: das "duty and interest juncture principle"

Benthams Theorie des Amtes hat verschiedene Aspekte, sie steht aber unter jedem dieser Aspekte in engster Beziehung zu seinen anthropologischen Grundannahmen. Gemeint ist damit seine Überzeugung, dass jede Handlung zu der Macht, Motiv und Mittel vorhanden sind, auch wirklich ausgeführt werden wird,50 wenn nicht eine Antizipation von Handlungsfolgen als stärkeres Motiv dies zu verhindern vermag. Darauf baut nicht nur seine ganze Konzeption des strafenden bzw. belohnenden Staates auf, sondern eben auch seine Theorie des Amtes. Will man nämlich Menschen mit politischer Macht ausstatten, so kann man ihr potenzielles Handeln in verschiedenster Weise steuern und man kann zumindest in wesentlichen Teilen dafür Sorge tragen, dass sie nicht zu viel Schaden anrichten können. Man wird immer davon ausgehen müssen, dass das Glück der größten Zahl kein zureichendes Handlungsmotiv für einen politischen Amtsträger darstellt, da die Überschneidungen seines Interesses mit dem allgemeinen Interesse zwar vorhanden sind, sie aber zu schwach sein dürften, ein Tun zu beeinflussen, das sein individuelles Glück auf Kosten des Allgemeinwohls durchsetzen könnte.51 Vorrangiges Ziel einer institutionellen Ordnung muss es daher sein, die Verfolgung egoistischer Interessen auf Kosten der Allgemeinheit auszuschließen. Dafür genügt zunächst die Förderung einer rein negativen Qualität. Bentham nennt sie die "moral aptitude" des Amts-

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Ebd., S. 185 f. Dabei spielen dann die philanthropischen Führer naturgemäß eine besondere, nämlich selbstlose Rolle: "That there has been least of vice and corruption in the subject many, because they have not been so much affected by sinister interest, and have thus been left free to pursue the course pointed out to them, partly by men who have found a personal interest in giving their conduct a universally beneficial direction, and partly by discerning and uncorrupted men, lovers of their country and mankind, [...]." Ebd., S. 187. Vgl. Manual of Political Economy, Works, III, S. 34. Für jedes institutionelle Arrangement folgt daraus, dass das Glück aller mit dem Glück des Handelnden verknüpft werden muss und genau dieselbe Verbindung für das Unglück hergestellt werden soll. In allen denkbaren Systemen wird eine Opposition von individuellem Glück (Interesse) und allgemeinem Glück (Pflicht) entweder toleriert oder aber eben sanktioniert. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 126.

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trägers, die in erster Linie darin besteht, dass er sich nicht auf Kosten der Mitmenschen in seinem Amt bereichert.52 Im Kontext der Überlegungen zum politischen Amt erreicht Benthams anthropologischer Pessimismus seinen Höhepunkt. Dies geschieht aus systematischen Gründen, nicht weil Bentham die Existenz von Sympathie und humanen Neigungen vergessen hätte.53 Das ideale System der Ordnung politischer Ämter hat nicht von optimalen menschlichen Neigungen auszugehen, sondern vom immer möglichen "worst case".54 Der aber lässt sich mit einfachen Worten beschreiben: Wo immer es Macht gibt, dort wird sie missbraucht.55 Fast zwangsläufig muss dann aber auch gelten, dass ein gut verfasstes politisches Ordnungsgefüge ein System des Misstrauens gegenüber den Herrschenden darstellt, das auf durchgehende Kontrolle und Verantwortung bei gleichzeitiger Machtminimierung setzen muss.56 Diese Einsichten Benthams sind nicht erst ein Ergebnis der Reflexionen seiner radikalen demokratischen Phase. Sie reichen zurück zu den frühsten Panopticon-Plänen, wo sie sich vor allem gegen ein unkontrolliertes Management von Gefängnissen wenden und haben in dieser Zeit einen ganz konkreten Erfahrungshintergrund. Bentham verweist auf die Tatsache, dass die Zahl der Toten auf "[...] moral aptitude is a negative quality: it is constituted by the absence, in so far as possible, of a certain propensity universal in human nature. This propensity in the breast of each individual is the propensity to sacrifice all other interests to that which at each moment appears to him to be his own preponderant interest [...]." Ebd., S. 13. Es handelt sich zwar bloß um eine Art Unterlassung des Übels, in der Terminologie der Deontology also um "negative beneficence", diese ist aber von grundlegender Bedeutung, da Bentham darauf hinweist, wie gefährlich ein kluger aber unmoralisch-egoistischer Politiker oder Funktionär ist. Die "moral aptitude" ist daher noch wichtiger als die "intellectual aptitude". Vgl. ebd., S. 103. Auch was die moralische Eignung für politische Ämter betrifft, geht Bentham davon aus, dass Reiche und Adelige wegen ihrer herausgehobenen Stellung, viel weniger vorweisen können, als die Vertreter des Mittelstandes. Das Gleiche gilt natürlich auch für die intellektuelle Eignung und die Einsatzbereitschaft. Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 439. Er formuliert als eine grundlegende Einsicht: "The heart is pierced through and through with the melancholy truth. Yes: all that rule - all that even think to rule - are against the people." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 535. Da gilt dann aber die Maxime, dass jedes denkbare Übel eintreten wird: "But such is the nature of man when clothed with power - in that part of the field of government which is here in question, whatever mischief has not yet been actually done by him to-day, he is sure to be mediating to-day, and unless restrained by the fear of what the public may think and do, it may actually be done by him tomorrow." Bentham to the Spanish People on the Liberty of the Press, Works, II, S. 281. Die Idee des möglichen Übels ist auch noch leitend im Constitutional Code. Vgl. Constitutional Code, S. 119, VI/31/11. "Every man invested with power in any shape from the lowest to the highest, will occasionally be disposed to abuse it: in every way that can be imagined." Radical Reform Bill, Works, III, S. 570, Fn. *. Die rechtsstaatlich so wichtige Unschuldsvermutung wird hier variierend umgedeutet: "No man ought to be presumed actually guilty to the purpose of judicial punishment: every man ought to be presumed disposed to be guilty and endeavouring to be guilty to the purpose of legislative enactment: every man, and most of all he who, having it most in his power to be guilty, [...]." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 15.

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den Schiffen, die für den Sklaventransport verwendet wurden, in dem Moment radikal reduziert werden konnte als man das Einkommen des Schiffsarztes und des Kapitäns dieser Schiffe direkt mit der Anzahl der Überlebenden koppelte. Das Fazit aus dieser Beobachtung lautet: "The experiment has instruction in it: - instruction derivable from it in more points of view than one. The difference between loss and loss shows the influence that may be exercised over human action, by a due application of the principles of moral dynamics - by a right management of the springs of action in human nature. The amount of the original customary loss - this amount compared with the causes that produced it, may serve to show how insufficient is the utmost check which the principle of sympathy, supported by whatever assistance it may happen to receive from all other principles of the social stamp - [...] - is capable of opposing to the influence of the selfregarding principle of pecuniary interest, even where human life where human lives even in multitudes are at stake." 57

Diese für die Mitmenschen wenig schmeichelhafte Einschätzung führte Bentham zunächst dazu, dass er für sein Gefängnis und auch für die Einrichtungen der Armenfürsorge eine Art negative Lebensversicherung für die Insassen vorsah. Gemeint ist damit, dass das Überleben der Betreffenden dadurch abgesichert wird, dass die ökonomischen Interessen der Anstaltsleitung mit der Sterblichkeitsrate gekoppelt werden. Die Verantwortlichen erhalten eine Art Bonus für jeden, der nicht stirbt und bezahlen für jeden Toten aus einem vorher festgesetzten Fonds, den sie anteilig behalten dürfen, je nachdem wie die Rate der Sterbefalle zurückgeht.58 Später wird dieses Prinzip als das "interest and duty juncture principle" auf alle gesellschaftlichen Positionen, insbesondere auf alle politischen Ämter angewendet und es wird in diesem Zusammenhang ganz deutlich, wie das "greatest happiness principle" nun das Verhältnis der Wenigen zu den Vielen verstanden wissen will. Die Regierenden sind die Wenigen, deren Glück zur Not geopfert werden muss, und sei es bloß in der Form der Selbstkontrolle bzw. Fremdkontrolle, die verhindert, dass sie sich auf Kosten des Allgemeinwohls besser stellen als die Beherrschten.59 Für die "men in high situations" gilt es deshalb insbesondere eine möglichst feste Verbindung zwischen ihrer Pflicht und ihrem jeweiligen subjektiven Interesse zu schaffen, weil sie durch die Ver-

Panopticon versus New South Wales, Works, IV, S. 197, Fn. Vgl. Panopticon, Works, IV, S. 53, vgl. auch Panopticon, Postscript II, Works, IV, S. 124. Zur Anwendung des "life-assurance"- bzw. "life-warranting principle" auf die Armenfursorge vgl. Tracts on Poor Law and Pauper Management, Works, VIII, S. 381. "Taken according to above description of it, Good rule being that rule which has for its end in view, or say object of pursuit, the greatest happiness of the greatest number of the beings of whom the community in question is composed, bad rule, or say misrule, will be that rule which has for its end in view or object of pursuit not that greatest number, but some lesser number. The persons by whom the rule is exercised being sensitive beings, as such taking respectively for their end in view and object of pursuit their own happiness, they will of themselves compose this lesser number, the greatest happiness of which is the end in view or object of pursuit in the case of this same bad rule: compose it, or at any rate be comprized in it." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 245. (Hervorheb. - W.H.).

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fugung über Machtmittel eben auch mehr Verantwortung tragen und deutlich mehr Schaden anrichten könne, als dies ein Durchschnittsbürger je könnte.60 Das Prinzip der Verbindung von Pflicht und Interesse stellt einen der tragenden Pfeiler des gesamten benthamschen Utilitarismus dar, wenn es um die politische Institutionalisierung des "greatest happiness principle" geht. Es ist, welche Sanktion man auch als die jeweilige Trägerin einer Strafandrohung hinzudenken mag, das Prinzip, das den Übergang zwischen dem, was ist, nämlich der Verfolgung selbstbezogener Interessen, und dem, was sein soll, dem Glück der großen Zahl, herstellt. Bentham nennt es im Constitutional Code Rationale als das dritte Axiom der Verfassungsgründung: " 1. Position - Axiom. The right and proper end of government in every political community is the greatest happiness of all the individuals of which it is composed. [...] 2. Position - Axiom. The actual end of government is in every political community the greatest happiness of those, whether one or many, by whom the powers of government are exercised. [...] If, as above, so it be, that in the situation of a ruler, whatsoever that situation be, the conduct of no man can at any moment reasonably be expected to be determined by any interest that at that same moment stands in opposition to that which in his conception is his own individual interest, [it] follows that for causing it to take any direction in which it will be subservient to the universal interest, the nature of man, the nature of the case, affords no other method than that which consists in the bringing of the particular interest of rulers into accordance with the universal interest: Here then we have a third principle of the first rank in addition to the two former ones. Call it the Means-prescribing, or Junction-of-interests prescribing principle. To make a third, e'en join the former two. The first declares what ought to be: the next, what is: the last, the means of bringing what is into accordance with what ought to be. [..] how can it be effected? The nature of the case admits but one method, which is the destroying the influence and effect of whatever sinister interest the situation of the individual may expose him to the action of [...]." 61

Damit sind wesentliche Überlegungen der Theorie einer EXTERNEN Außensteuerung des Handelns unmittelbar für die politisch-institutionelle Ordnung in Anspruch genommen. Die grundlegende anthropologische Hypothese ist die gleiche, die den Wirkmechanismen der Korruption zu Grunde lag. Letztlich muss ein stärkeres Interesse von außen kreiert werden, das das Handeln in die gewünschte Richtung, in diesem Fall zu einer Politik des Glücks, durch Verhinderung von Schaden zwingt.62

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Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 329. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 232 ff. "Be the act what it may, there are two modes in either of which a man may be divested of the interest requisite to his performance of it: one is the over-powering the force of whatsoever body of interests may be acting on him in a direction tending to engage him in the performance of it, in other words destroying the effect of all the sinisiter interests by the application of a preponderant right and proper interest: [...]." Ebd., S. 232. Die andere Form - neben dieser Steuerung der "inclination" - ist die Wegnahme oder Reduzierung der Machtmittel - also die Steuerung via "power". Wissen lässt sich offensichtlich nicht so leicht steuern.

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Die gesuchte Ordnung, um die es gehen soll, muss in der Lage sein die politischen Eliten, und nach Bentham ist die Regierung immer die Sache von wenigen,63 so unter die Aufsicht der Regierten zu stellen, dass sie einem Höchstmaß an Verantwortung ausgesetzt sind. Das heißt aber, dass all die Verbindung von Pflicht und Interesse nur im Medium der Öffentlichkeit überhaupt einen Sinn macht. Wenn aber, wie wir sehen werden, Öffentlichkeit im größtmöglichen Maß bereitgestellt wird, dann kann die jeweilige Verantwortung, die erst Interesse und Pflicht zusammenbringt, institutionell abgesichert werden. Dies kann nur so geschehen, dass die Amtsträger letztlich von den Herrschaftsadressaten abhängig gemacht werden. Das "duty and interest juncture principle" und die Forderung nach allgemeinen und gleichen Wahlen bilden zusammen mit dem Prinzip der Publizität eine Art Kräftedreieck, in dem allein sich nach Bentham repräsentative Demokratie bewegen kann, wenn sie den Defiziten der monarchischen bzw. aristokratischen Ordnung vorbeugen will. Bei der konkreten Umsetzung des Prinzips, bei der Frage also, wie denn die institutionelle Ordnung gestaltet sein muss, in der Pflicht und Interesse des politischen Funktionärs möglichst weit zur Deckung gebracht werden, unterscheidet Bentham direkte und indirekte Vorgehensweisen. Zu den direkten Mitteln, die dazu beitragen können, dass möglichst geeignete und integre Personen in politische Ämter gelangen, zählen für ihn 1. eine universale Ämterkonkurrenz und 2. die Minimierung der dem Amtsträger verfügbaren Machtmittel und ökonomischen Ressourcen.64 Die Ämterkonkurrenz und die unterschiedlichen Bestellungsverfahren nehmen in Benthams Werk einen erheblichen Raum ein, sind für uns aber nur in ihrer systematischen Bedeutung von Interesse. Bentham wollte sicherstellen, dass diejenigen, die ein politisches Amt übernehmen, auch fachlich ausgebildet sind und das Amt nicht nur deshalb anstreben, weil sie, wenn sie es einmal erlangt haben, ohne Arbeitsaufwand ein gesichertes Einkommen ohne erbrachte Leistungen beziehen wollen.65 Hinsichtlich der 63

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"The political cannot, in the most improved state of society, be with propriety in hands other in number than a select few: in the least improved, it has everywhere been of necessity in the hands of a single person." Principles of Judicial Procedure, Works, II, S. 7. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 28. Macht soll minimiert und Kontrolle maximiert werden: "For this purpose, and on these several occasions, confidence [...] may with truth be said to be minimized: distrust and suspicion maximized. Principle acted upon, say for shortness, the confidence-minimization principle : whence, as to practical deductions, the controulmaximization principle. Corresponding rules are the following. - I. To no official situation, attach any more power than is necessary to enable the functionary to exercise the functions of it with the most effectual subserviency to the dictates of the greatest-happiness principle. II. To every such situation, apply such instrumentary arrangements as, by means of appropriate selection, restraint and constraint shall afford the efficient security for appropriate aptitude in all its branches. III. The arrangements for restraint are those which promise to afford the most effectual security against abuse of power: to wit, of the several powers respectively instituted and conferred." Constitutional Code, S. 118, VI/31/2-5. Die Forderung nach Kompetenz, was insbesondere das Wissen, das für die Gesetzgebung nötig ist, meint, reicht bis zur frühsten Schaffensperiode Benthams zurück. "But to love power is one thing: and to love the labour which alone can qualify a man to exercise it as he should do, is another." Of Laws in General, S. 245. Vgl. auch A Table of the Springs of Action, S. 21 f.

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Sicherung fachlicher Kompetenz tritt er dafür ein, dass die Bewerber eine angemessene Ausbildung nachweisen können. 6 6 Fast noch wichtiger ist ihm aber, dass sie auch hinreichend motiviert ihre Aufgaben versehen. Damit dies sichergestellt ist, denkt er verschiedene Modelle des Verhältnisses von Amtsführung und Entlohnung durch, kommt aber an den weitaus meisten Stellen zu in unseren A u g e n eher skurrilen Vorstellungen. 6 7 Der wohlbegüterte Jeremy Bentham, der sich seiner Lebtage nie wirklich Gedanken über ein materiell sehr angenehm ausgestattetes Leben machen musste, der in besten bürgerlichen Verhältnissen lebte und sich so ganz ohne ökonomische Sorgen seinen philanthropischen N e i g u n g e n widmen konnte, befürwortet beispielsweise eine Art negative Auktion für den Ämtererwerb. 6 8 Damit ist gemeint, dass derjenige das Amt bekommt, der bei angemessener fachlicher Eignung in einer Art Auktion alle anderen unterbietet, was seine Besoldungsvorstellungen betrifft. 69 Dadurch soll zweierlei erreicht werden. Der Anwärter soll nachweisen, dass er das Amt nicht w e g e n des Geldes allein anstrebt und es soll garantiert werden, dass er, w e n n er denn im A m t ist, nicht über zu

Prinzipiell unterscheidet er etwa bei Ministern zwischen einer "preparation period", die eine Art Lehrlingszeit von bis zu sieben Jahren darstellt und einer "consummation period", die die eigentliche Amtszeit ausmacht. Während ersterer besucht der Anwärter Kurse und bildet sich. Vgl. Constitutional Code, S. 312, IX/16/5-7. Vgl. auch ebd., 327 f., IX/16/57-59. Damit sind weniger seine Vorstellungen gemeint, die eine Befragung der zukünftigen Amtsträger betreffen oder die Vorschläge, die er zu einer Liste möglicher Amtsanwärter macht, aus der dann die Kandidaten in ihr Amt berufen werden können. Zur "locable list" vgl. ebd., S. 316, IX/16/16, zur Befragung vgl. ebd., S. 322, IX/16/34. Befragt werden dürfen Kandidaten übrigens auch von ihren Konkurrenten, wobei es überraschenderweise - für uns aber eigentlich dann doch nicht nur eine feste Einschränkung gibt: "Into any alleged irregularities of the sexual appetite, all scrutiny, as being irrelevant, and pregnant with useless and mischievous annoyance to third persons, will be interdicted." Ebd. Zur Prüfung des fachlichen Wissens, vgl. auch First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 77 f. Er überlegt aber auch positive Auktionen, wo diejenigen, die das Amt wollen, dafür einen Betrag bieten sollen. Auch das soll sozusagen ihre Freude an der Amtsausübung beweisen. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 89 ff. Im Constitutional Code ist das System der "pecuniary competition" ein tragender Pfeiler der Personalrequirierung. Wenn die Sektion "Located Who" nämlich die Frage diskutiert hat, wer denn in ein Amt berufbar ist, dann beginnt die direkt folgende Sektion "Located How": Pecuniary Competition So soon as, by the records of the Qualification Judicatory, candidates, apt for official situations, and thence placed on the locable list, have been made known, the Prime Minister will by advertisement, give notice, of the day on or before which, but not after which, the offers of persons desirous of filling the several situations are to be delivered in at his office. These offers will be so many biddings in the office competition process. Name of this advertisement, the pecuniary-competition-inviting, or official pecuniary-competition, advertisement. The pay annexed to each office having been predeterminated by an ordinance of the Legislature, each bidding will be either reductional, or emptional or compound." Ebd., S. 338, IX/17/1. Diese Vorstellung verteidigt Bentham mit scharfen Worten gegen Edmund Burke in seiner Defence of Economy Against Edmund Burke. Vgl. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 91 f.

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viel Geld verfugt, das dann zur Bestechung oder Manipulation eingesetzt werden könnte.70 Der Kern dieser Überlegungen besteht aber, bei mancher Verwirrtheit der institutionellen Ideen, letztlich im zutiefst liberalen Konzept der Konkurrenz. Ämter sollen nicht an Personen vergeben werden, die diese entweder als Belohnung für angepasstes politisches Verhalten verstehen oder aber als eine Art Versorgungsstelle für Freunde und Verwandte derjenigen dienen, die nun einmal gerade die Macht haben. Konkurrenz ist, so eines der Glaubensbekenntnisse Benthams, der immer vorgibt, sich diesem Prinzip auch als fiktiver Gesetzgeber eines beliebigen Gemeinwesens gern unterwerfen zu wollen, der einzige zureichende Garant für Kompetenz.71 Wer, wo auch immer, die Konkurrenz als Selektionsmechanismus ausschließt, der hat deswegen dann auch die Begründungspflicht.72 Zu den direkten Mitteln, die eine Konvergenz von Pflicht und Interesse der politischen Funktionsträger erbringen sollen, und die sich zwar auch auf die intellektuelle Eignung und eine möglichst aktive Amtsführung richten, jedoch im Kern stärker auf die "moral aptitude" abzielen, zählt Bentham alle Verfahren, die die moralische und auch rechtliche Verantwortung der Betreffenden gegenüber den Beherrschten maximieren. Es versteht sich von selbst, dass die Möglichkeit der Bestellung durch Wahl und auch der Abberufung den Schwerpunkt der hier einschlägigen institutionellen Arrangements ausmacht. Bentham beschreibt die beiden Dimensionen der Verantwortung:

Dieses Argument wird in der Legislator's Inaugural Declaration so gefasst, dass der wirklich motivierte Kandidat eigentlich sogar für sein Amt bezahlen würde: "[...] the less a man is content to receive, for taking upon himself the duties of an office, the more conclusive is the evidence given, of his relish for the functions of it: that if, instead of receiving, he would be content to give, money for the occupation, the evidence would be still more conclusive: the more so, the more he would be content to give for it: [...]." Constitutional Code, S. 139, VII/4. Die Besoldungskonkurrenz ist auch deshalb für ihn so wichtig, weil er der parlamentarischen Konkurrenz nicht so recht trauen mag. Vgl. Ebd., S. 78. Vgl. zum Parlament als bloß unvollkommener Schule First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 83. Das ist so, obwohl die Konkurrenz um die Glücksgüter das alleinige Hindernis dafür ist, dass unter den Bedingungen knapper Güter alle gleichmäßig glücklich sein können. Wenn in einem Haus mit zwei Menschen nur Lebensmittel für einen gelagert sind, dann macht das die Dramatik der Konkurrenz durchaus deutlich. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 234. Trotzdem gilt, was die Konkurrenz im Dienste des Glücks betrifft: "Free competition is equivalent to a reward granted to those who furnish the best goods at the lowest price." Principles of Penal Law, Works, I, S. 534. Das aber gilt ganz uneingeschränkt, wenn es darum geht, dass der Allgemeinheit Leistungen zum denkbar niedrigsten Preis beschafft werden sollen: "Allowing the liberty of competition, you may propose rewards to any number without expense - you pay it but to one: [...]." Rationale of Reward, Works, II, S. 226. Da ist es dann auch nicht so gewichtig, dass Menschen in ihren Erwartungen und Hoffnungen über den Mechanismus der Konkurrenz notwendig enttäuscht werden müssen. Das ist deshalb nicht so schlimm, weil j a nur die, die es sich auch leisten können, um die Gunst der öffentlichen Anerkennung konkurrieren werden und, selbst wenn sie nicht erfolgreich sind, immerhin die Freude der Betätigung und den Genuss der eigenen Leistung hatten. Zu den Vorteilen der Konkurrenz und zur Begründungspflicht desjenigen, der sie ausschließen will vgl. S. 227 ff.

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"By the indirect means, understand those by which a counterforce - the force of an other class - is employed to the same purpose: brought into action in the view of its opposing itself to the power of the trustees in question in the event of their engaging on any occasion in the sinisiter sacrifice, and thereby acting in breach of such their trust. These are: 1. Maximization of their legal responsibility, in so far as the nature of the case, that is to say the height of their situation and the magnitude of their power, admits of: say, Maximization of their legal responsibility. 2. Maximizing moral responsibility on their part: responsible to men in general, and to their Constituents in particular, in the character of Members of the Public opinion Tribunal, having for its function the application of the force of the popular or moral sanction. Say, Maximization of their moral responsibility."73

Verantwortung muss also auf zwei Ebenen institutionalisiert bzw. organisiert werden. Unschwer erkennen lässt sich, dass sie gegenüber den zwei humanen Sanktionen besteht, der moralischen und der rechtlichen, während Bentham die religiöse hier vollkommen ausklammern möchte. Sie hat sich, so argumentiert er, zu lange schon als Instrument der Korruption und nicht als ihr Gegengift erwiesen, so dass man ihr nicht wird zutrauen können bei der Konvergenz von Pflicht und Interesse mitzuwirken. Die beiden erwähnten Ebenen, auf denen Verantwortung hergestellt werden soll, unterscheiden sich aber nicht nur in Bezug auf die Sanktion, sondern auch in Hinsicht auf die Person bzw. die damit verbundene Materie der Verantwortung. Sie lässt sich offensichtlich bis zu einem bestimmten Grad rechtlich organisieren, was im Kontext nur bedeuten kann, dass der Amtsträger unter strafrechtlichen Gesichtspunkten wird damit rechnen müssen, dass ein Fehlverhalten auch sanktioniert wird. Die Art von Fehlern, d.h. von "sinisiter sacrifices", an die man dabei wird denken müssen, ist auch nicht zu schwer strafrechtlich bestimmbar. Zur "legal responsibility" gehört aber auch die Art von Verantwortung, die Bentham die "administrational responsibility" nennt. Mit ihr ist jede Form der Verantwortung gemeint, die sich aus Fehlern ergibt, die auf mangelnde Fähigkeiten zurückgeführt werden müssen.74 Bei der rein rechtlichen Verantwortung dominiert bei einem Rechtsbruch das strafende Element der "legal sanction", während bei dauernd erwiesener Unfähigkeit die Strafe zunächst einmal nur in der Amtsenthebung (disabilitative punishment) besteht. In beiden Fällen einer (rein) rechtlichen und einer administrativen Verantwortung möchte Bentham das Moment der Kompensation für den entstandenen Schaden keinesfalls vernachlässigt sehen. Der verbrecherische und der unfähige Funktionär sollen, so weit es geht, zur Wiedergutmachung des Schadens herangezogen werden.75 Etwas anders verhält es sich mit der moralisch genannten Verantwortung, die Bentham, wenn es nicht um die Quelle der Sanktion, sondern um ihre Wirkung geht, auch die "dislocational responsibility" nennt, der die "dislocative function" der Bevölkerung entspricht, die wiederum als die andere Seite der "locative function" definiert ist. "Lo73 74 75

First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 28. Vgl. Constitutional Code, S. 24,11/22. "Compensational responsibility has the effect of punitional in the ratio of the sum parted with, to the remainder left. By it, wounds inflicted by the wrong are curable: it is on this account preferable, as far as it goes, to simply punitional, by which, though employed for the hope of preventing greater future evil, pain is the only effect produced with certainty." Ebd., 1/22.

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cative"- und "dislocative power" sind in der Terminologie des Constitutional Code die wesentliche Form der alles konstituierenden Macht des Staatsvolkes.76 In dieser Macht, die zwar analog zu Belohnung und Strafe das Amt der Repräsentanten besetzt oder entzieht, die aber gleichzeitig fundamental unterschieden ist von der legalen Sanktion, hat die Wahlbevölkerung, obzwar es kein imperatives Mandat geben soll, die Mittel in der Hand, die dafür sorgen sollen, dass die Parlamentarier das sind, wozu sie die Verfassung bestimmt: Agenten des Gemeinwohls und nicht fragmentierter Interessen.77 Die Tatsache, dass sich die "locative"- und insbesondere "dislocative power" des Wahlkörpers grundsätzlich von der strafenden Macht des Rechts, das bei einem Rechtsbruch angewendet werden soll, unterscheiden, macht Bentham dadurch deutlich, dass er zwar bei der Aufzählung der Kompetenzen des Wahlvolkes gegenüber den Repräsentanten auch eine strafende Funktion nennt (punifactive function),78 die weitere Gestaltung des Verhältnisses der "locative"-, "dislocative"- und "punifactive function" zueinander dann aber zeigt, dass es die dislokative Funktion ist, die vor allem im Sinne des Duty-and-interest-juncture-Prinzips wirkt. Während es nämlich schlicht das ursprüngliche Recht der Bevölkerung darstellt, das Gesetzgebungsorgan zu wählen, das dann selbst berechtigt ist, den Regierungschef zu bestimmen, worin sich somit aber die "locative function" erschöpft, reicht die dislokative Macht wesentlich weiter.79 Abgesetzt durch die Bevölkerung können nämlich praktisch alle Amtsträger werden: alle Repräsentanten, selbst die nicht vom Volk gewählten Minister (einschließlich Premier) und alle Richter und sonstigen Beamte.80 Wenn ein bestimmtes Quorum der Wahlberechtigten dies verlangt, muss für den oder die betreffenden Amtsträger ein eigener "Ab-Wahltermin" festgesetzt werden, an dem dann die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung über ein weiteres Verbleiben im Amt abstimmt.81 Erst als eine Art Additiv kommt dann noch eine indirekt strafende Macht der Wähler ins Spiel. Zugleich mit der Frage, ob der Betreffende im Amt bleiben soll (dislocate 76

77

78 79

80 81

"To the Constitutive Authority it belongs, amongst other things, to depute and locate, [...], the members composing the Legislative; and eventually, [...], to dislocate them: but not to give direction, either individual or specific, to their measures, nor therefore to reward or punish them: except in so far as relocation may operate as reward, and dislocation as punishment; or in so far as, at the instance of the Constitutive, punishment may come to be eventually applied to them, by the hand of succeeding Legislatures, [...]." Ebd., S. 26, IV/2. "Of the Constitutive authority, the constant will, (for such it cannot but be presumed to be,) is that the national felicity - the happiness of the greatest number - be maximized: to this will, on each occasion, it is the duty of the Supreme Legislature, according to the measure of its ability, to give execution and effect." Ebd., S. 45, VI/2/1. Vgl. ebd., S. 30, V/2/2. Zur "locative function" heißt es schlicht: "Locative function. Functionaries, in relation to whom this function is exercised by the members of the Constitutive authority, are as follows - Their Deputies, deputed by them to the legislature, to act as members of the Supreme Legislature, [...] this power is exercised by the members of the whole Constitutive body, as divided into the bodies belonging to the several Election Districts; [...]. Ebd., S. 30, V/2/3. Vgl. ebd., S. 31 f., V/2/5. Vgl. ebd., S. 33, V/3/4. Der in den CW gegebene Text nennt ein Viertel der Berechtigten als Quorum, bezweifelt diese Lesart aber zugleich stark.

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him/retain him) wird die Frage gestellt, ob ein Rechtsverfahren gegen den Betreffenden angestrengt werden soll (accuse him/absolve him). Stimmt eine Mehrheit für Absetzung und Anklage, dann tritt ein Komitee der Legislative in Aktion, vor dem der Generalstaatsanwalt den so Beurteilten anklagt.82 Damit ist rein institutionell deutlich gemacht, wie sich die rechtliche und eine politisch-moralische Verantwortung unterscheiden lassen. Bentham, der großen Wert darauf legt, dass sich keine parlamentarische Oligarchie herausbildet,83 will auf jeden Fall sicherstellen, dass die letzte Beurteilungskompetenz darüber, ob ein Repräsentant dem Glück der großen Zahl gedient hat, in der Form einer politischen Beurteilung, die eben über die rechtliche hinausreicht, von denen vorgenommen wird, die die eigentlich Betroffenen der Politik waren und im Falle einer weiteren Amtsführung auch bleiben würden. Grundlage einer solchen Beurteilung, und damit wären wir beim letzten Mechanismus angekommen, der Pflicht und Interesse konvergieren lassen soll und der uns zugleich einen hervorragenden Übergang zur Theorie der Öffentlichkeit anbietet, sollen nach Bentham die Prinzipien einer utilitaristisch ausgerichteten Idealvorstellung der Amtsführung sein. Damit aber eindeutig klar ist, was das den sein kann, d.h., damit klar ist, welche Politik am größten Glück wirklich orientiert ist, schaltet Bentham einen Akt in seinem Constitutional Code dem Amtsantritt von Parlamentariern vor, den er Legislator 's Inaugural Declaration nennt. Jeder gewählte Parlamentarier muss diese Erklärung vor seinen Wählern nach der Wahl abgeben, er darf allerdings die Teile der Erklärung, von denen er abweichen will und wird, kenntlich machen. Bentham reflektiert den Sinn einer solchen Erklärung, die ja eindeutig an einen Krönungseid für Parlamentarier erinnert,84 da sie offenbar dazu dienen soll, das politische Handlungspotenzial zu kontrollieren, das rechtlich allein nicht kontrollierbar ist. Die Legislator 's Inaugural Declaration versteht sich als eine Vermittlungsinstanz zwischen "Public Opinion Tribunal", Amtsträger und "greatest happiness principle": "Of a formulary of this sort, the chief use is to keep the Legislative and other constituted authorities in the more effectual subjection to the Constitutive: to wit, by means of the power of 82

83

84

Vgl. ebd., S. 34, V/3/7-9 und zur "legislation penal judicatory", die aktiv wird, wenn "dislocation, with extra publicity, shall not be deemed sufficient" S. 111, VI/28/1-8. Das ist einer der Gründe, weswegen er die Wiederwahl von Parlamentariern erst zulassen will, wenn die dreifache bzw. doppelte Anzahl der zu vergebenden Sitze an „Altparlamentariern" außerhalb des Hauses existiert. Vgl. ebd., S. 72, VI/25/1. Es muss jedenfalls Wechsel und Aus-Wahl geben sonst wird die Wahl "an empty show". Wie nicht anders zu erwarten, widerspricht Bentham der Deutung der Declaration als eines Eides. Die Möglichkeit der "openly declared reservatons" ist die entscheidende Differenz, da sie denjenigen, der die Erklärung abgibt, nicht zur Lüge zwingen, wie die formalisierten Eide und weil sie dadurch kein falsches Vertrauen schaffen. Letzteres soll wohl auch durch ihren Umfang gewährleistet werden, der mit dazu beiträgt, den Parlamentarier auf eine beträchtliche Anzahl relativ genau beschriebener Verhaltensweisen festzulegen. Vgl. ebd., S. 135, Fn. fortlaufend. All dies kann aber nicht verhindern, dass Bentham exakt auf die gleichen Probleme der gesamten bisherigen Verpflichtungspraxis via politischem Eid stößt und sie auch ganz auf der Linie der Tradition zu beheben versucht. Gemeint ist das Problem der Äquivokation, das Bentham lösen will, indem er außerordentlich lange (sie!) und eindeutige Sätze fllr die Erklärung formuliert und das damit begründet, dass es darum gehe, dafür zu sorgen, dass der Sprecher weiß und meint, was er sagt.

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the moral sanction, as exercised by the Public Opinion Tribunal. The points here enumerated are in general such, that in relation to them, - more especially in the case of persons in the situation in question - the force of the legal sanction cannot, in the nature of the case, be brought to bear, in such sort, as to subject men to punishment under the name of punishment, for aberration, in any direction, from the assumed line of rectitude. But, in the exercise given to its power, the Public Opinion Tribunal neither is, nor ought to be, nor can be, fettered, by those formalities, by which the exercise of the power of the legal sanction ought everywhere to be, and to a certain degree is every where restricted. Under the sort of law established and enforced by the power of the moral sanction, - the penalty, for transgression in whatsoever shape, is forfeiture of a correspondent degree of popularity: and no formality is necessary to the giving execution and effect to this forfeiture. [...] Upon the whole, the instrument may be considered as a sort of Moral Code, adapted to the situation of Legislators; and as containing a sort of map of the field of legislation."85

Die Deklaration verklammert also die Gebote einer rechtlich weder normierbaren noch durchsetzbaren normativen Dimension des politischen Handelns der Repräsentanten mit dem Strafmechanismus des "Public Opinion Tribunal". Dabei geht es natürlich nicht nur um die Formulierung und Propagierung dieses "moral code", es geht immer auch um die Aufklärung der Öffentlichkeit darüber, was denn die Verfassung des Glücks von einem Amtsträger verlangen muss und woran sie sich bei der Beurteilung seiner Amtsführung orientieren soll.86 Die Landkarte, mit der die Erklärung archetypisiert wird, 85 86

Ebd., S. 133 f. Die Gegenstände der Legislator's Inaugural Declaration sind in 13 Abschnitte gegliedert und befassen sich mit den folgenden Topoi: I. Ziele der Politik. Der Gewählte verspricht, sich in allen Entscheidungen allein am "greatest happiness principle" zu orientieren und übernimmt explizit die volle moralische Verantwortung für sein Amt. Außerdem erklärt er, dass er sich um Wissen bemühen werde und fleißig für das Allgemeinwohl eintreten will. Am Ende des Abschnittes tauchen die Ziele der Repräsentation als die Grundbegriffe des politischen Denkens Benthams auf: "Greatest happiness of greatest number maximized; national subsistence, abundance, security, and equality maximized; official aptitude maximized: expence in all shapes, minimized." II. Abschwören des "sinisiter sacrifice"·. Er verspricht, dass er sich der moralischen Gefährdungen seiner Stellung bewusst bleiben und auf keinen Fall seine eigenen Interessen verfolgen wird. III. Sparsamkeit und Korruptionsfreiheit: Äußerste Zurückhaltung bei der Ausgabe von öffentlichen Mitteln wird zugesagt und das Prinzip der Ämter-Auktion akzeptiert. Zusätzlich wird festgelegt, dass keinesfalls auf Kosten der ärmeren Schichten (comparatively indigent many) irgendein Luxus (Kultur oder Wissenschaft) für die wenigen Reichen (comparatively opulent few) finanziert werden darf. Der Repräsentant wird auf keinen Fall seinen Geschmack oder seine Meinung absolut setzen und daraus Gebote oder Verbote ableiten, die sich nicht argumentativ rechtfertigen lassen. Er erklärt, dass er Schaden für Individuen nur zulassen wird, wenn dies für den Erhalt der Gemeinschaft unabdingbar ist. IV. Bekanntheit des Rechts·. Für die Verbreitung, einfache Abfassung und Klarheit des Rechts wird er nachdrücklich eintreten. V. Gleiche Gerechtigkeit: Gerechtigkeit für alle und der Schutz des Rechtes für die, die ihn am meisten benötigen, ist Grundlage aller gesetzgeberischen Akte. VI. Unparteilichkeit bei Wahlen: Für die Wahl der Minister wird Unparteilichkeit und die alleinige Orientierung an den Fähigkeiten der Kandidaten zugesagt.

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dient dem Parlamentarier aber auch seinen Wählern als Orientierung und ist Vertreter eines von Bentham besonders geliebten typischen EXTERNALISTISCHEN Mechanismus'. Dieser Mechanismus findet seinen Ausdruck außerdem im öffentlichen Aushängen von Tafeln und Vorschriften in Amtsräumen und Versammlungsorten, womit sichtbar gemacht wird, was denn die hier einschlägigen Spielregeln sein sollen. Zur Familie der deklarierten und ausgehängten Spielregeln gehören beispielsweise eine Tafel der politischen Fehlschlüsse, die nicht ohne Einspruch verwendet werden dürfen, im Parlament,87 die so genannten Admonitory Rules and Notices, die in jeder Amtsstube aufgehängt werden sollen und umfangreiche Informationen zur Amtsperson sowie zu Amtsführung und zu Zuständigkeiten enthalten,88 sowie die zahllosen Schautafeln und Lernbilder in der "chrestomatic school", die die Schüler, wenn immer sie den Blick heben sollten, lehrreich überfluten sollen. 89 Im politischen Bereich ist ihre zentrale Funktion im Kern identisch mit den Prinzipien des Panoptizismus: Wer dauernd vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Regeln beobachtet wird, der wird sie, egal ob er sie akzeptiert oder

VII. Friedliche und kompromissorientierte Außenpolitik. Der Amtsinhaber wird keine imperialistische oder kriegstreiberische Politik unterstützen, erklärt sich gegen Kolonien und dagegen, für den Unsinn der nationalen Ehre auch nur einen Menschen unglücklich zu machen. VIII. Unparteiliche Amtsführung·. Er verspricht eine Amtsführung ohne Ansehen der Person. IX. Anwesenheitsversprechen·. Der Repräsentant wird bei den Beratungen der Legislative immer anwesend sein. X. Volkssouveränität und Öffentlichkeit·. Das Volk ist Quelle aller Macht und die Legislative hat so zu handeln, dass sie vom Volk beobachtet werden kann. XI. Respektierung untergeordneter Autoritäten·. Das Mitglied der höchsten Legislative wird die untergeordneten Autoritäten in einer rechtskonformen und glücksmaximierenden Ausübung ihrer Funktionen nicht beeinträchtigen. XII. Ehrlichkeit: Der Gewählte verspricht immer währende Ehrlichkeit und Einsatz für eine vollkommene Transparenz der politischen Geschäfte. Er wird keine "fallacies" verwenden. XIII. Bescheidenheit·. Der Amtsinhaber betrachtet sich als bloßer Agent des Volkes, das seine Angelegenheiten aus rein technischen Gründen nicht selbst besorgen kann und daher an ihn die Lösung der anstehenden Probleme als Aufgabe übertragen hat. Daher wird er jeder Form der Arroganz wiederstehen und die Gefühle seiner Mitbürger respektieren bzw. jede Art der Hochfahrendheit vermeiden. Constitutional Code, S. 133 ff., VII/1-14. Sie wird sogar in der Legislator's Inaugural Declaration eigens erwähnt. Vgl. ebd., S. 146, VII/13 und First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 64 f., wo noch ein "Tactic Table" zu Verfahrensfragen hinzu kommt. Sie sind aufgeführt als "Means of bringing the force of the popular or moral sanction to bear with greatest advantage upon the conduct of public functionaries in the several departments" First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 60 ff. Hauptstoßrichtung ist hier folgende: "The functionary is not the master of any person having business to do at his Office." "[...] his situation with reference to every such person is rather that of a servant than that of a master, [...]." Ebd. "[Tabular Exhibition principle.] The all-comprehensive object is, to maximize the quantity of useful instruction, imbibed in this receptacle, during the allotted time. [...] Rule. - Whatever part of the interior of the building is exposed to the view of the Scholars, keep it covered with the matter of instruction, in some shape or other: viz. in the shape of verbal didactic discourse in print, or graphical imitations, or, in some instances, the things themselves." Chrestomathia, S. 113.

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nicht, auch nicht übertreten.90 In diesem Sinn ist es gemeint, wenn Bentham die Frage, ob es denn richtig sein könne, wenn man über solche Einrichtungen die politischen Funktionäre geradezu wie kleine Kinder behandelt, mit einem eindeutigen Ja beantwortet.91

4.3.3.

Öffentlichkeit und öffentliche Meinung

Wenn man, wie Bentham dies getan hat, davon ausgeht, dass jeder mögliche Verdacht gegen diejenigen, die Herrschen, angemessen ist, dann muss jedes Mittel, über das Verdachtsmomente aus der Welt geschafft werden können, bzw. der Machtmissbrauch beschränkt werden kann, einen wesentlichen Beitrag zur Vergrößerung des allgemeinen Glücks leisten. Ein entscheidendes Instrument guter Politik stellt für Bentham eindeutig die Öffentlichkeit dar, die man in seinem Denken geradezu als die Super-Institution der repräsentativen Demokratie wird bezeichnen müssen. Ohne Öffentlichkeit ist keine gute Ordnung denkbar. Allein die Verhinderung oder Begrenzung von Öffentlichkeit ist ein hinreichendes Indiz für eine Politik der sinistren Interessen, fur Unterdrückung und die Abweichung vom Gemeinwohl. Wir hatten bereits die tiefere Schicht identifiziert, in der Utilitätsprinzip und öffentlicher Diskurs untrennbar miteinander verbunden sind, da nur das Prinzip des größten Glücks überhaupt öffentlich und universal gerechtfertigt werden konnte. Ein vergleichbares Verhältnis ergibt sich in der Beziehung von Öffentlichkeit und der Politik des größten Glücks. Zunächst soll nun geklärt werden, wie Bentham die Bedeutung der Öffentlichkeit in Bezug auf die politische Ordnung in seinem Konzept der repräsentativen Demokratie sieht und wie er sie in seine Vorstellungen von deren institutionellem Arrangement einpasst. Dann sollen uns seine Überlegungen zur Pressefreiheit verdeutlichen, dass Bentham radikal die Meinungsfreiheit als konstitutives Moment jeder sinnvoll verfassten Öffentlichkeit begreift. Abschließend können die Probleme, die sich aus einer gespaltenen Öffentlichkeit ergeben, zeigen, wie er sich den Prozess einer nicht abschließbaren Aufklärung der öffentlichen Meinung vorstellt. Im Verfassungsentwurf des Constitutional Code ist Öffentlichkeit ein alles durchdringendes Ordnungsprinzip, das neben der allgemeinen Wahl die Rückbindung der Herrschaft an die Beherrschten sicherstellen soll. Mit der wesentlichen Ausnahme des Wahlaktes, in dem die konstituierende Macht des "subject many" ausgeübt wird, garantiert die Verfassung, die Bentham entwirft, ein Maximum an Öffentlichkeit,92 das sich 90

91 92

Das ist im Essay on Political Tactics so beschrieben: "The least deviation becomes sensible; and hence deviations become rare; for rules are rarely transgressed when they cannot be transgressed without impunity, - when the law which condemns is before your eyes, and the tribunal which judges you at the same moment, no one will be more tempted to violate it than he would be tempted to steal red-hot iron." Works, II, S. 320. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 67. Daher fordert der Code auch die Maximierung der Öffentlichkeit durch ein eigenes "publication system", das alle Gesetze und sonstigen Daten möglichst weit verbreiten soll. Bentham unterscheidet in diesem Zusammenhang einen allgemeinen Nutzen und einen partikularen Nutzen der

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als Gestaltungsprinzip der politischen Ordnung bis in die Architektur hinein auswirkt.93 Die Sitzungen des Parlamentes sind prinzipiell öffentlich und es soll schon durch den Sitzungssaal dafür Sorge getragen werden, dass möglichst viele Zuschauer den Verhandlungen folgen können.94 Die Ein- und Ausgänge des Plenarsaales beispielsweise sollen so gestaltet werden, dass sich die gewählten Repräsentanten ihrer Aufgabe durch Abwesenheit nicht entziehen können, ohne vom Auge der Öffentlichkeit dabei beobachtet zu werden. Im Essay on Political Tactics wird darüber hinaus eine Liste der Gründe für die radikale Öffentlichkeit parlamentarischer Verhandlungen diskutiert. Sie umfasst folgende Argumente, von denen Bentham deutlich macht, dass sie zum institutionellen Kernbestand von Repräsentation gehören:95 1. Die Öffentlichkeit erzwingt von den Parlamentariern die Erfüllung ihrer Pflicht. 2. Sie mobilisiert das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürger für die Politik der Regierung. 3. Sie ermöglicht die Artikulation der Wünsche der Regierten. 4. Sie ist Voraussetzung jedes sinnvollen Wahlaktes durch die Bevölkerung. 5. Sie mobilisiert das Wissen der Gesellschaft für die Politik. 6. Sie ist amüsant. Hinter dem ersten Argument verbirgt sich offenbar eine bestimmte Variante des Dutyand-interest-juncture-Prinzips in Hinsicht auf gewählte Repräsentanten. Öffentlichkeit und die hinter ihr stehende Strafdrohung der "moral and public sanction",96 deren in-

93

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Öffentlichkeit, sowie eine interne und externe Öffentlichkeit. Als allgemeiner Nutzen gilt die erhöhte Wirkung der Gesetze und die Kontrolle der politischen Funktionäre. Partikularer Nutzen entsteht im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall. Interne Öffentlichkeit meint amtsintern, externe die gesamte Bevölkerung. Gegen absolute Öffentlichkeit im "publication system" spricht allerdings das Gebot der Sparsamkeit. Constitutional Code, S. 162 ff, VIII/11/1-17. Zur Bedeutung der Architektur für das Panopticon vgl. Constitutional Code, S. 53, VI/20/24; ebd., S. 395, IX/21/20 und ebd., S. 440, IX/26/10. "Special cause to the contrary expected, the sittings of this Assembly are, at all times, public. The auditory is a committee of the Public Opinion Tribunal, hearing and reporting for the information of the Constitutive. So far as is consistent with convenience in respect of health, sight, hearing, minutation, and necessary intercommunication between actor and actor on the Legislation theatre, [...], this Constitution requires that the number of the members of the Public Opinion Tribunal, to whom access and appropriate accommodation is given, be maximized." Constitutional Code, S. 56 f., VI/21/1-2. "[...] let us place at the head of its regulations the fittest law for securing the public confidence, and causing it constantly to advance towards the end of its institution. This law is that of publicity." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 310. Vgl. zum Folgenden auch Hofmann, W./Riescher, G., Einfuhrung in die Parlamentarismustheorie, Darmstadt 1999. Dazu gehört natürlich die Abwahl. Bentham fasst diese Funktion der Öffentlichkeit aber im Constitutional Code weiter. Er nennt sie die "executive function" und beschreibt ihre Wirkung in einem wahrhaft monströsen Satz. Gemeint ist, dass unterhalb der Schwelle der rechtlichen Bestrafung Missbilligung und daraus resultierend Missachtung, Unpopularität und in der Konsequenz ein Entzug der sozialen Reputation, der sich bis zur Isolation steigern kann, stattfinden wird,

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stitutionalisierte Form sie darstellt, schaffen der omnikompetenten Macht der Gesetzgeber ein Motiv, das sie vom Missbrauch abhalten kann. So gesehen ist Öffentlichkeit in der Politik die zentrale Gestalt, die das System des Misstrauens auf der Basis bekannter anthropologischer Prämissen annimmt.97 Nur vor ihrem Hintergrund macht die politische Beratung in einer durch Fraktionen strukturierten beratenden parlamentarischen Institution wirklich Sinn. Nur auf der Grundlage öffentlich debattierter Politikentwürfe - die Verbindung zum vierten Argument ist offensichtlich - kann der Wähler vernünftig über die Amtsführung seiner Abgeordneten entscheiden.98 Gegen Kontrolle durch Öffentlichkeit kann sich letztlich nur der wirklich wehren, der üble Ziele im Sinn hat oder aber wegen Unfähigkeit die Überwachung seines Tuns befürchten muss.99 Damit ist indes zugleich erklärt, warum Öffentlichkeit ein vergleichbar hohes Maß an Vertrauen bei den Bürgern mobilisieren kann. Wenn nämlich die politischen Maßnahmen vor einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden, dann entsteht bei denen, die unter Umständen die Lasten einer Entscheidung tragen müssen, die Einsicht in die begründete Notwendigkeit von Verzichtsleistungen und es wird zugleich deutlich, ob sie denn gerecht über die Mitbürger verteilt werden sollen. Das gewohnte Bild einer öffentlichen Debatte, so Bentham in seiner Darstellung eines klassischen Topos liberaler Parlamentarismustheorie, bildet eine nationale Haltung rationaler Auseinandersetzung heraus, die auch Gegenpositionen für die Entscheidungsfindung fruchtbar machen kann.100 Die dritte Funktion parlamentarischer Öffentlichkeit besteht darin, dass sich in ihr die öffentliche Meinung als eine aufgeklärte Meinung artikulieren kann und damit die Regierung in die Lage versetzt, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen einzugehen.101 Bereits hier jedoch melden sich bei Bentham leise Zweifel, ob sein Bild nicht zu optimistische Färbungen und Wunschvorstellungen aufweist. Er reflektiert über die Schwächen öffentlicher Meinungsbildung und insbesondere darüber, dass es zahlreiche wenn der oder die Repräsentanten sich nicht klar am Willen der Bevölkerung orientieren. Vgl. ebd., S. 37, V/5/3. 97 "The greater the number of temptations to which the exercise of political power is exposed, the more necessary is it to give to those who possess it, the most powerful reasons for resisting them. But there is no reason more constant and more universal than the superintendence of the public. The public compose a tribunal, which is more powerful than all the other tribunals together." und "Is it objected against the régime of publicity, that it is a system of distrust? This is true; and every good political institution is founded upon this base." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 310 und 314. 98 Vgl. ebd., S. 312. Im Constitutional Code nennt Bentham die Beurteilungsfunktion der Öffentlichkeit auch in Bezug auf Sachfragen "censorial function". Vgl. S. 36, V/5/2. 99 "For why should we hide ourselves if we do not dread being seen." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 310. 100 Ygi ebd., § 311. Dazu genügt jedoch nicht die bloß interne Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte. Keine Versammlung kann nämlich so groß sein, dass sie die allgemeine Öffentlichkeit ersetzt. Außerdem ist angesichts der Struktur eines Parteienparlamentes nicht damit zu rechnen, dass die je andere Seite die nötige Distanz und Objektivität für ein reiferes Urteil aufbringt. Das kann nur die Öffentlichkeit insgesamt leisten. 101 "The public is placed in a situation to form an enlightened opinion, and the course of that opinion is easily marked." Ebd.

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Beispiele dafür gibt, wie wirklich aufklärerische Maßnahmen an einer hysterischen Öffentlichkeit zerschellt sind, führt das dann aber darauf zurück, dass sich in diesen Fällen keine vernünftige herrschende Meinung bilden konnte, weil die Regierenden nicht genügend Informationen im Vorfeld der Maßnahme - und das heißt dann eben nicht genug parlamentarische Öffentlichkeit - hergestellt haben. Die nötige Mobilisierung von Wissen im öffentlichen Diskurs begründet Bentham damit, dass es eine bloße Fiktion sei, wenn man behaupte, das Wissen des Landes sei im Parlament versammelt. Die bedeutendsten Menschen, die Entdeckungen und Vorschläge zum Nutzen der Menschheit gemacht haben und immer noch machen, hatten nie einen Sitz als Abgeordnete.102 Daher ist ein breiter öffentlicher Diskurs unverzichtbar, der, so stellt es Bentham im Constitutional Code ausführlicher dar, zumindest zwei Funktionen erfüllt. Er beschafft die nötigen Sachinformationen aus jeder beliebigen Region und jedem beliebigen Wissensbereich ("statistic"- bzw. "evidence-furnishing function") und er lässt erkennen, welche Zustände wie verbessert werden können (melioration-suggestive function).103 Bei all den hier angesprochenen Leistungen der Öffentlichkeit104 wird deutlich, dass Bentham in ihr die "moral and popular sanction" eindeutig zur Herrin der "legal"- und "political sanction" gemacht hat. Wenn nämlich die Öffentlichkeit die institutionalisierte "moral and "public sanction" darstellt, die die politische Sanktion kontrolliert,105 dann kann sie das nur unter einer wesentlichen Voraussetzung auch mit Rückbindung an das "greatest happiness principle" tun. Sie muss tendenziell identisch sein mit der Bevölkerung. Genau dies ist, mit einer bedeutsamen Ausweitung, in der Tat für Bentham gegeben. Die Öffentlichkeit ist das alle Macht konstituierende Volk in einem bestimmten Aggregatszustand: "This constitution recognises the Public Opinion Tribunal, as an authority essentially belonging to it. Its power is judicial. [...] A member of the Public Opinion Tribunal exercises his functions without commission; he needs none. Dislocability and puniability of members expected, the Public Opinion Tribunal is to the Supreme Constitutive, what the Judiciary is to the Supreme Legislative. Of the following members may this Judicatory be considered as being composed. 1. All individuals, of whom the Constitutive body of this state is composed. 2. All those classes, which under § 1, Art. 3, stand excluded from all participation in such supreme power. 3. Of all other communities, all such members, to whom it happens to take cognizance of the question, whatever it may be."106

Analog zur Gewaltenverteilung in Legislative und Exekutive, d.h. hier, zu ihrem rechtssprechenden Teil, beschreibt Bentham die Öffentlichkeit als das Volk in seiner urteilen102 103 104

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Vgl. ebd., S. 312. Bentham nennt John Locke, Isaac Newton, David Hume und Adam Smith. Vgl. Constitutional Code, S. 36 f., V/5/1 und 4 Die Unterhaltungsfunktion übergehen wir hier. Sie ist sozusagen eine Art Freude spendender Überschuss ohne sonstige systematische Relevanz. Man könnte allerdings mit Bentham fragen, ob der Besuch einer Parlamentssitzung ein „unschuldiges" Vergnügen darstellt. Wer daher die Öffentlichkeit ablehnt und bekämpft, der bekämpft die Grundlagen der moralischen Ordnung des Gemeinwesens. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 269. Constitutional Code, S. 35, V/4/1 und 2. Zum gleichen Topos vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 241 f.

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den Funktion. Es ist aber nur das machteffiziente Zentrum einer universalen Öffentlichkeit zu der letztlich alle Menschen zählen, auch diejenigen, die gar nicht wahlberechtigt sind oder anderen Staaten angehören. Öffentlichkeit konstituiert sich aus dieser universalen Diskursgemeinschaft für Bentham unter kontingenten Bedingungen als verschiedenste Teilöffentlichkeiten, die als Agenten der einen großen Kommunikationsgemeinschaft aller Menschen gleichsam als deren Vertreter beispielsweise eine Gerichtsverhandlung besuchen, sich auf die Besuchertribüne des Parlaments begeben oder aber lesend und schreibend über politische Gegenstände kommunizieren.107 Das, was diese universale Kommunikationsgemeinschaft, die sich offensichtlich weniger über Institutionen als über bestimmte Themen konstituiert, hervorbringt, ist die öffentliche Meinung. Diese ist zwar in Benthams Bild eine Art von Urteilsspruch (verdict unobligatory),108 jedoch lässt sich ihr jeweiliger Inhalt äußerst schwer feststellen. Gegen den Einwand, wir hätten es hier letztlich mit einer leeren Hülse zu tun, weist Bentham darauf hin, dass sie, was ihre Feststellbarkeit betrifft, keinesfalls ungenauer bestimmbar sei als das so gelobte Gewohnheitsrecht und besteht im Constitutional Code auf ihrer absoluten Unverzichtbarkeit.109 In den die Verfassung vorbereitenden Papieren diskutiert er das Problem etwas ausfuhrlicher und kommt dort zu dem Ergebnis, dass die öffentliche Meinung die Tatsache ihrer geradezu weltumspannenden Entstehung damit bezahlt, dass man sie eigentlich nicht feststellen kann, sondern nur vermuten wird müssen.110 Die öffentliche Meinung als ein bestimmtes Urteil ist eine unverzichtbare Fiktion,111 sie kann nur, etwa über das Mehrheitsprinzip, approximativ ermittelt oder diskursiv durch einen Beitrag beeinflusst werden. Bevor wir uns dem Problem der Spaltungen und Fehlentwicklungen in der öffentlichen Meinung zuwenden, das eng mit dem Problem ihrer Eindeutigkeit verknüpft ist, muss noch klar gemacht werden, warum Bentham eine ganz starke Beziehung zwischen einer funktionierenden Öffentlichkeit und der möglichst radikalen Fassung der Meinungsfreiheit herstellt. Der Kampf gegen alle Arten von Zensur durchzieht sein ganzes Werk und sein Ton erreicht hier oft eine außergewöhnliche Schärfe. Bentham betrachtet 107

Vgl. ebd., V/4/3. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 66. 109 Vgl. ebd., S. 36, V/5/4/. ι io " j 0 {hg decision pronounced by the tribunal of public [opinion], the nature of the case admits not of any efficient cause of ascertainment: the members of this tribunal being among the inhabitants not only of the territory of the political state in question, but of every other territory on the earth's surface, all such as to the power add the will of taking cognizanze of the subject in question whatever it be. Therefore in the nature of the case not being capable of being ascertained, it can only be presumed." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 57. Benthams eigene wahrhaft weltumspannende Tätigkeit als Anreger und Verfasser von Gesetzen, auch wenn sie praktisch wenig erfolgreich war, seine Einmischung in die nationalen Politiken verschiedenster Länder von Frankreich über Spanien bis Griechenland und Lateinamerika stehen hier im Hintergrund. m "By the term Public Opinion Tribunal, understand a fictitious entity - a fictitious tribunal the existence of which is, by the help of analogy, feigned under the pressure of inevitable necessity for the purpose of discourse to designate the imaginary tribunal of judiciary by which the punishments and rewards of which the popular and moral sanction is composed are applied." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 283. 108

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jede Form der Beschränkung der Pressefreiheit offenbar als einen ganz persönlichen Angriff auf seine Freiheit und schreibt daher auch zu den berüchtigten Six Acts Georg III., die er als "liberticide measures" brandmarkt: "By this measure I feel myself injured and oppressed in my general capacity o f a member o f this great community." 1 1 2 A b g e s e h e n davon, dass sich die Gesetzgebung gegen Schmähschriften problemlos auf Benthams eigenes Werk anwenden hätte lassen und er so ganz persönliche Gründe für eine Kritik an der Beschneidung der Presse- und Publikationsfreiheit hat, argumentiert er zudem sehr stark aus einer systematischen Position heraus. D i e s e geht davon aus, dass ohne Meinungs- und Publikationsfreiheit keinerlei Kontrollfunktion der Öffentlichkeit gegenüber der Regierung mehr ausgeübt werden kann. 113 Wenn jede Art der kritischen Auseinandersetzung mit bestehenden Verhältnissen zur Beleidigung uminterpretiert wird, dann ist es bloß eine Frage der Nervenstärke und nicht der Kompetenz, wer sich noch öffentlich seine Meinung zu äußern getraut. Eine Beschränkung der Meinungsfreiheit lässt sich aber auch noch aus einer Reihe v o n anderen Gründen nicht rechtfertigen. Zunächst einmal ist es unmöglich so (kritisch) zu schreiben, dass es nicht irgendjemanden verletzen oder aufstacheln könnte. 1 1 4 Wenn man solche Empfindlichkeiten zum M a ß kommunikativer Freiheit macht, dann kann man unmöglich an einem bestimmten Punkt halt machen. 1 1 5 Man muss letztlich jede freie Kommunikation verbie-

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Radicalism not Dangerous, Works, III, S. 605 f. Die Six Acts von 1819 waren der Höhepunkt einer wahrhaften Gesetzgebungskanonade gegen die radikale Reformbewegung und die zahlreichen Versammlungen und Demonstrationen, bei denen eine Verbreiterung des Wahlrechtes gefordert wurde. Bereits vorher waren Gesetze zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit (Seditious Meetings Act, 1795) und rechtsstaatlicher Mindestgarantien (Habeas Corpus Suspension Act, 1817) verabschiedet worden. Hier einschlägig von den sechs Gesetzen, die ähnliche Ziele verfolgen, ist vor allem das Act for the more effectual prevention and punishment of Blasphemous and Seditious Libels. Es will alles Schrifttum unterbinden, "[...] tending to bring into hatred or contempt the person of H.M.... or the Regent, or the Government and Constitution,... or either House of Parliament, or to excite H.M.'s subjects to attempt the alteration of any matter in Church or State as by law established, otherwise than by lawful means, ..." Bei entsprechender Auslegung konnten drakonische Strafen verhängt werden. Zitiert nach Aspinall, A./Smith E.A. (Hrsg.), English Historical Documents 1783-1832, Oxford 1969, S. 339. Zu Benthams Polemik gegen die Six Acts vgl. The King against Edmonds, Works, V, S. 246.

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"[...] to place on any more advantageous footing the official reputation of a public functionary, is to destroy, or proportionally to weaken, that liberty, which under the name of the liberty of the press, operates as a check upon the conduct of the ruling few; and in that character constitutes a controlling power, indispensably necessary to the maintenance of good government." Bentham to the Spanish People on the Liberty of the Press, Works, II, S. 279. Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 107. Dazu bräuchte man außerdem ein "pathological thermometer" (The King against Edmonds, Works, V, S. 245) und selbst dann wäre nicht ausschließbar, dass "a man, weak in mind and strong in body" nicht doch in Rage geraten könnte. The King against Wolseley, Works, V, S. 259. Dieser Prozess endet notwendig im Despotismus. Mit der Pressefreiheit geht die Freiheit insgesamt verloren. Es gibt gegenüber der Regierung nur noch zwei Äußerungsmodi: man darf Belangloses sagen und man darf sie loben. Vgl. The King against Edmonds, Works, V, S. 243 f.

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ten.116 Außerdem riskiert derjenige, der die Meinungsfreiheit einschränkt, den Stillstand des Fortschrittes. Wer außer der breiten Öffentlichkeit sollte denn in der Lage sein, die Richtigkeit einer Kritik bzw. eines Vorschlages zu überprüfen.117 Wahrheit, so Bentham, setzt sich in einem offenen Diskurs in langfristiger Hinsicht immer durch, während der Irrtum im Licht des öffentlichen Vernunftgebrauches zwangsläufig verdorrt. Als Fazit dieser Argumente kann nur gelten, dass nur dort, wo die blanke Macht die Vernunft ersetzt, keine Meinungsfreiheit existieren wird.118 Wer nur seine sinistren Interessen verfolgt, der wird ungern bereit sein, sich in einem Begründungsdiskurs zwingen zu lassen und seine politischen Entscheidungen zu rechtfertigen.119 Außerdem gilt, dass nur die absolute Diskussionsfreiheit die Macht des Volkes effektiv durchschlagen lässt. Wenn das "Public Opinion Tribunal" tendenziell identisch ist mit dem alle Macht konstituierenden Volk, dann muss die freie Bildung der "public opinion" selbst gedacht werden als die faktischen Bestimmung dessen, was die Menschen als das größte Glück der größten Zahl ansehen. Unter den Prämissen von Benthams methodischem Individualismus kann dies auch nicht anders gedacht werden. Nur wenn potenziell alle Individuen eine Stimme im doppelten Sinn des Wortes haben, dann kann, da grundsätzlich jeder der beste Richter seines Glücks ist, die diskursiv erfolgte Ermittlung dessen, was die Menschen wollen, identisch mit der jeweils "richtigen" d.h. glücksfördernden Politik sein. Die Öffentlichkeit ist die entscheidende Institution, in der der späte Bentham die Konvergenz dessen, was sein soll (das Glück der großen Zahl) mit dem was ist (das Glück der wenigen) für möglich hält.

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Wir haben es also bei den "libel laws" mit einer Variante der Regulierung auf der Basis von "sympathy" und "antipathy" zu tun, die unter Strafe stellt, was nicht gefällt. "It consists in confounding on this ground demand for punishment with demand for disapprobation: [·..]." On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 106. Daher definiert Bentham: "[...] in point of actual law, a libel is any paper in which he, who to the will adds the power of punishing for it, sees anything he does not like [...]." Ebd., S. 65. "The liberty of the press has its inconveniences, but the evil which may result from it is not to be compared with the evil of the censorship. Where shall that rare genius, that superior intelligence, that mortal accessible to all truth and inaccessible to all passions, be found, to whom to confide this right of supreme dictation over all the productions of the human mind? [...] Who is the censor? He is an interested judge - a sole, an arbitrary judge, who carries on a clandestine process, condemns without hearing, and decides without appeal. Secrecy, the greatest of all its abuses, is essential to all censorship: publicity to plead the cause of any book is to publish it, in order to determine whether it were fit for publication. Whilst as to the evil which may result from it, it is impossible to estimate it, since it is impossible to say what it arrests. It is nothing less than the danger of arresting the progress of the human mind in every career. [...] There is only one course of safety for him: it is to proscribe all but ordinary ideas - to pass his blasting scythe over every thing which rises above the ordinary level. [...] The true censorship is that of an enlightened public, which will brand dangerous and false opinions, and will encourage useful discoveries." Principles of Penal law, Works, I, S. 538. (Hervorheb. - W.H.) Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 357. Sinistre Interessen sind per Definition pressefeindlich. Vgl. On the Art of Packing Special Juries, Works, V, S. 91.

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"No man or body of men, other than the greatest number themselves, ever took for the object of government the greatest happiness of the greatest number: no body of rulers other than that same greatest number, or if a less number, a number actually subject to their effectual influence. [...] it is only in proportion to the liberty of public discussion that the greatest number, the subject many, can give employment to whatsoever power may have professed to be given to them, or learn how to give employment to it [to] their advantage."120

Leider aber liegen die Dinge nicht so einfach, da Benthams Politik des Glücks keine platte Identität von Mehrheitswillen und Glücksoptimierung gestattet. Er setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit der Kritik eines im öffentlichen und freien Diskurs ermittelten allgemeinen Willens auseinander. Wir hatten bereits gesehen, dass es durchaus Probleme geben kann, was die Klarheit des Willens betrifft, den die öffentliche Meinung zum Ausdruck bringt. Außerdem gibt eine ganze Reihe von Einwänden gegen eine radikale Forderung nach Publizität. Die meisten weist Bentham eindeutig zurück. Gleichwohl hält auch er einige für berücksichtigenswert und diskutiert im Anschluss daran fundamentale Probleme von Meinungsfreiheit, Publizitätsgebot und Öffentlichkeit. Überblickt man die verschiedenen Einwände gegen die Prinzipien der Öffentlichkeit, so lassen sie sich alle mehr oder weniger eindeutig folgenden Topoi zuweisen. Sie laufen darauf hinaus, dass Öffentlichkeit der sachlichen Erledigung einer Angelegenheit schaden und zugleich die betroffenen Menschen unangemessen verletzen kann bzw. verweisen auf Inkompetenz und Verführbarkeit der politisch mobilisierten Massen, die gar keine einheitliche Meinung haben können. Bezüglich der Unangemessenheit von Publizität in verschiedenen Zusammenhängen akzeptiert Bentham durchaus, dass es politisch und juristisch relevante Geschäfte geben könne, bei denen Öffentlichkeit ausgeschlossen werden sollte.121 Es gibt beispielsweise zweifellos Angelegenheiten von Bürgern auf Ämtern, bei denen der Schutz der Privatsphäre wichtiger ist als der Schutz, den die Öffentlichkeit für den betroffenen Bürger gegen behördliche Willkür bereitstellt. Auch bei Gerichtsverfahren, die prinzipiell alle öffentlich durchgeführt werden sollen, kann es hoch angemessen sein, dass keine Dinge ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, die privateste Verhältnisse betreffen und so über die eigentlich verhandelten Vergehen oder Rechtsfragen hinaus, die Menschen ins Unglück gebracht werden.122 Entscheidendes Prinzip aber ist auch hier, dass es sich nicht um einen dauernden Ausschluss von Öffentlichkeit handeln kann, da der größtmögliche Schaden, den Publizität anrichten kann, immer noch aufs Ganze gesehen kleiner ist als die dauernde Geheimhaltung. Öffentlichkeit bleibt die regulative Idee, ihr

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First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 208 f. Vgl. Constitutional Code, S. 163 f., VIII/11/5-7. Hier ist als Beispiel das Gesundheitswesen genannt und es wird darauf verwiesen, dass es dort um sehr persönliche Dinge geht, die niemanden etwas angehen. Andere Fälle sind selten. Vgl. Constitutional Code, S. 438, IX/26/4. Für die im engeren Sinne politischen Gegenstände kann es eigentlich nur im Kriegsfall ein ernstes Gebot zur Geheimhaltung geben. Vgl. Rationale of Judicial Evidence, Works, VI, S. 360 ff.

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Ausschluss ist nur begrenzt und grundsätzlich die Ausnahme.123 Es muss in allen Fällen gelten, dass Öffentlichkeit jederzeit hergestellt werden kann.124 Vollkommen zurückgewiesen wird von Bentham die Forderung nach einem Persönlichkeitsschutz für Politiker oder andere öffentliche Funktionäre. Sie befinden sich in einer Situation, so seine Interpretation des "greatest happiness principle", in der sie nur sind, weil sie dort sein wollen. Wenn sie daher in ihrem Glück geschmälert werden sollten durch öffentliche Angriffe, so können sie sich dagegen zwar wehren, und es stehen ihnen bessere Mittel hierfür zur Verfügung als jedem Privatmann, sie haben aber kein Recht darauf, die freie Äußerung über ihre Person oder Amtsführung zu unterbinden. Sie sind für solche Angriffe bestens entschädigt, da ihnen ihr Amt Einfluss, Macht und gelegentlich Geld einbringt, was alle möglichen Angriffe kompensieren muss. Jemand, der sich um ein politisches Amt bemüht hat, der darf sich einfach nicht beklagen, wenn ihm die kritischen Worte um die Ohren fliegen, genauso wenig, wie sich ein freiwilliger Soldat beschweren darf, wenn ihm die Kugeln um die Ohren schwirren.125 Schwieriger zu widerlegen als diese Art der Skepsis gegenüber der Öffentlichkeit erweist sich der Argumentationsstrang, der auf die Unreife und Zerstrittenheit der "public opinion" hinweist. Bentham selbst neigt gelegentlich durchaus dazu, so zu argumentieren, als wäre die öffentliche Meinung ein homogener Block und eigentlich immer auf dem besten Weg zum allgemeinen Glück. In anderen Kontexten sieht er diesen Zusammenhang jedoch selbst eher skeptisch126 und sucht dann offenbar nach Indizien, an denen sich eine positive Einschätzung festmachen lässt. Bereits bei seiner Beschäftigung mit "fictions" und "fallacies" konnten wir sehen, dass es offensichtlich im politischen Diskurs eine erhebliche Anzahl von Verwirrungen gibt, die es aufzuklären gilt. Die fiktive Entität "public opinion" wird instrumentalisiert und ist vielfach in sich selbst gespalten. Sie ist aber, so Bentham gegen das Argument der Inkompetenz, nicht hintergehbar. Wenn man sich klar macht, dass selbst unter einer monokratischen Herrschaftsstruktur, so sie nicht despotisch ist, jeder Herrschaftsunterworfene ein Recht auf Gehör gegenüber dem Herrscher hat, dann muss das in einem Ordnungsgefüge, das sich offen

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"In no case should the concealment be foreknown to be perpetual and indefinite." Ebd., S. 369. "[...] to this purpose the distinction between actual and potential publicity should be kept in mind. [...] In whatsoever office ultimately-potential publicity is from any part of the proceeding banished, in so far despotism is established." Introductory View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 28. "The military functionary is paid for being shot at. The civil functionary is paid for being spoken and written at. The soldier, who will not face musquetry, is one sort of coward. The civilian, who will not endure obloquy, is another. Better he be defamed, though it be ever so unjustly, than that, by a breach of official duty, any sinister profit sought, should be reaped. To him who has power, opulence and reputation, selfdefence is, in proportion to his power, opulence, or reputation, more easily than if he had none: defenders cannot be wanting to him, so long as he has patrons, colleagues, or dependents." Constitutional Code, S. 40, V/6/2. Vgl. auch Handbook of Political Fallacies, S. 112 und 122; The King against Edmonds, Works, V, S. 246. Sein Blick fällt auf die Intoleranz der Menschen insbesondere in zwei Bereichen: Religiöse und sexuelle Andersartigkeit wird von unaufgeklärten Öffentlichkeiten fanatisch und grundlos verfolgt. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 290.

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zum Glück der großen Zahl bekennt und das Volk als Quelle aller Macht ansieht, noch viel mehr so sein.127 Gegen eine prinzipielle Inkompetenz des Volkes führt Bentham eine Reihe von Argumenten ins Feld. Er verweist zunächst darauf, dass selbst dann, wenn es richtig wäre, dass die Öffentlichkeit kein reifes Urteil entwickeln könnte, diese Feststellung letztlich folgenlos bliebe. Unter den bestehenden Bedingungen kann man nicht mehr einfach hinter den universalen gesellschaftlichen Diskurs zurück. Wer sich gegen die herrschende öffentliche Meinung wendet, der kann dies nur im Medium der Öffentlichkeit tun. Er handelt und redet in ihr gleichsam gegen sie, wenn er eine bessere Meinung antizipiert: "An individual may pretend to disregard its decrees - to represent them as formed of fluctuating and opposite opinions, which destroy one another; but everyone feels, that though this tribunal may err, it is incorruptible; that it continually tends to become enlightened; that it unites all the wisdom and all the justice of the nation; that it always decides the destiny of public men; and that the punishments which it pronounces are inevitable. Those who complain of its judgements, only appeal to itself; and the man of virtue, in resisting the opinion of to-day - in rising above general clamour, counts and weighs in secret the suffrages of those who resemble himself." 128

Außerdem wird man davon ausgehen müssen, dass es keine symmetrischen Kommunikationsverhältnisse gibt. Ausgehend von der anthropologischen Einsicht, dass die meisten Wissensbestände, über die wir unseren Alltag strukturieren, von anderen Menschen an uns vermittelt worden sind, argumentiert Bentham, dass jede Öffentlichkeit ein mehrfach gestuftes Kommunikationsforum darstellt, in dem zumindest drei Gruppen von Teilnehmern an der gesellschaftlichen Kommunikation identifiziert werden können. Dies sind als erste Gruppe die Desinteressierten, als zweite die Interessierten ohne eigene Urteilsmöglichkeit, die sich an anderen orientieren und drittens die hoch motivierten Personen, die sich ihr Urteil auf Grund genauer Informationen selbst bilden. Wenn es gelingt - und genau hier liegt die Gefahr verschiedener Manipulationsstrategien - die dritte Gruppe richtig und angemessen zu informieren, dann entwickelt die öffentliche Meinung durch deren kommunikative Kompetenz hindurch ein aufgeklärtes Urteil.129 Das wiederum bedeutet natürlich, dass der Pressefreiheit und der Schaffung künstlicher Ehren ein entscheidender Anteil an der Bildung der öffentlichen Meinung zukommt. Nur dort, wo offen frei und pluralistisch informiert wird, da kann sich ein aufgeklärtes Urteil bilden. Wo durch Zensur, Manipulation, Geheimhaltung und insbesondere durch künstliche Würden der Kommunikationsfluss verzerrt beziehungsweise behindert wird, da wird, will man eine Absicht unterstellen, die Bevölkerung bewusst dumm und urteilsunfahig gehalten.130 Optimistisch kann man hier nur deshalb sein, weil die Öffent127 128 129

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Vgl. Principles of Penal Law, Works, I, S. 574. Essay on Political Tactics, Works, II, S. 310. "But this class being better informed, and judging better, will furnish more correct opinions for those who receive them ready made. By rectifying these, you will have rectified the others; by purifying the fountain, you will purify the streams." Ebd., S. 313. Zur Bedeutung des "derivative judgement" vgl. auch Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 448. Vgl. zur Bedeutung der "channels of information" s. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 292 f. und zur Nutzung von "factitious dignity" als Manipulationsinstrument ebd., S. 280

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lichkeit nicht nur die gesamte nationale Macht im Zustand der Kommunikation darstellt, sondern weil ihr zugleich eine Art Selbstverbesserungsmechanismus zur Verfügung steht:131 Aufklärer und Aufklärung. Als ununterbrochener Prozess der Aufklärung ist sie so gesehen wirklich unfehlbar: "It follows, therefore, that recognizing the fallibility of the public, it is proper to act as though it were infallible; and that we ought never, under pretence of this fallibility, to establish a system which would withdraw the representatives of the public from its influence. [...] Experience will soon disclose the great difference between the opinion which arises out of a particular circumstance, and that which is formed after mature reflection - between the clamour of the multitude, which is dissipated in noise, and the enlightened opinion of the wise, which survives transitory errors. [...] It is therefore, in a correct knowledge of public opinion, that the means must be found for resisting it when it is considered ill founded: the appeal lies to itself - as from Philip misinformed, to Philip correctly informed. It is not always according to public opinion that an enlighted and virtuous man will decide, - but he will presume, in consulting general utility, that public opinion will take the same course; and there is no stronger moral probability in a country where discussion is free." 132

Was die Spaltung der öffentlichen Meinung betrifft, so möchte Bentham zwischen zwei Varianten, einer geradezu naturwüchsigen Dualität und einer manipulierten unterscheiden. Manipulierte Spaltungen sind nicht mehr und nicht weniger als künstlich erzeugte Produkte sinistrer Interessen, die sich der uns bekannten Manipulationsmittel bedienen. Sie gilt es aufklärerisch zu vernichten. Die naturwüchsige ergibt sich zweifach entlang den Dualismen von Beharrung und Veränderung einerseits und dem von Mehrheit und Minderheit andererseits. Wenn politische Systeme nämlich als zukunftsoffene und daher notwendig veränderbare Ordnungen begriffen werden sollen,133 so entsteht mit Notwendigkeit eine Spaltung entlang der Befürwortung bzw. Ablehnung von Reformen. Jede entwicklungsfähige politische Ordnung nimmt diesen Widerstreit in sich auf und organisiert ihn.134 Die Reformer können dabei darauf vertrauen, dass solange der Wi-

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und 321. Bentham zeigt dort, dass, wenn man von Geld und Macht abstrahiert, die beide künstliche Würde schaffen, sich eine Art natürliche Leistungs-Würde etablieren müsste. Wo dann wirkliches unmanipuliertes Wissen ist, da urteilt die "public opinion" gerecht. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 502. Wenn es um die Selbstperfektion der "public opinion" geht und diese gegen die Einwände der "ruling few" verteidigt werden muss, dann wird Bentham fast hymnisch: "The universal power of the whole country - will it employ itself against itself? [...] Undangerous in perfection, gentle in perfection, continually improving, self-improving, - what other power can be so completely incapable of being abused as this?" Petition for Justice, Works, V, S. 505. Essay on Political Tactics, Works, II, S. 368. "It is true that all laws and all political institutions are essentially dispositions for the future. The professed object of all of them is to afford a steady and permanent security to the interests of mankind. In this sense, all of them may be said to be framed with a view of perpetuity. But perpetual is not synonymous with irrevocable; and the principle on which all laws ought to be, and the greatest part of them have been established is that of defeasible perpetuity, a perpetuity defeasible only by a change in the circumstances and reasons upon which the law is founded." Handbook of Political Fallacies, S. 66. Vgl. Bentham to the Spanish People on Liberty of Public Discussion, Works, II, S. 287.

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derspruch öffentlich diskutiert wird, sie eindeutig im Vorteil sind. Da sich Missstände und sinistre Interessen nicht öffentlich rechtfertigen lassen, geht es vor allem darum, gegen Verheimlichung und Täuschung vorzugehen.135 Auch hier sorgt also Aufklärung dafür, dass sich die Öffentlichkeit in die richtige Richtung bewegt. Gleiches gilt in hohem Maß für das Verhältnis von (Regierungs-)Mehrheit und (Minderheits-)Opposition. Auch dieser Gegensatz wird, solange er öffentlich und diskursiv reguliert ausgetragen wird, für die Entwicklung fruchtbar gemacht und dient als Mechanismus der Integration von Minderheiten, die hoffen können, über den freien Austausch von Argumenten demnächst zu Mehrheiten zu werden.136 Der alte Bentham des Constitutional Code hoffte jedenfalls ganz offensichtlich trotz mancher Enttäuschungen immer noch, so wie einst der junge des Fragment on Government, dass die kulturelle Evolution, die ja auch die Konkurrenz der Interessen durch Aufbau von Sympathie, wenn schon nicht abschaffen, so doch abmildern soll, letztlich dazu führen wird, dass sich im Medium der Öffentlichkeit der reale gesellschaftliche Diskurs letztlich in der Form, die das "greatest happiness principle" vorgibt, um das Glück aller drehen wird. Das "Public Opinion Tribunal" hat sich und wird sich weiter entwickeln: "Even at the present stage in the career of civilisation, its dictates coincide, on most points, with those of the greatest happiness principle; on some, however it still deviates from them: but, as its deviations have all along been less and less numerous, and less and less wide, sooner or later they will cease to be discernable, aberration will vanish, coincidence will be complete."137

4.3.4.

Wahlrecht als Demokratie

Während die universal verfasste Öffentlichkeit auch ohne den institutionalisierten Wahlakt selbst unter einer Monarchie noch eine heilsame Wirkung auf die Politik haben kann, ist die demokratische Wahl ohne den öffentlichen politischen Diskurs, sei es im Parlament oder in der Presse, sinnlos. Insbesondere bezogen auf die parlamentarische Debatte muss die Wahl als im doppelten Sinn darauf bezogen gedacht werden: sie schließt sich gleichsam bewertend an ihn an und eröffnet ihn dadurch gleichzeitig, dass sie die Bestellung der debattierenden Repräsentanten durchführt. Der radikal gewordene

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Das Argument lautet, dass Reformen nur über Regeln eingeführt werden können, während der Missbrauch der Macht regellos existiert. Regeln aber werden öffentlich gemacht und befolgt, während der Missbrauch das Dunkel des Verborgenen braucht. Vgl. Swear not at all, Works, V, S. 208. "The existence of a government regulated by an assembly, is founded on a habitual disposition to conformity with the wish of the majority; constant unanimity is not expected, because it is known to be impossible; and when a party is beaten by a small majority, far from finding in this circumstance a motive for illegal resistance, it only discovers a reason for hope of future success." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 314. Constitutional Code, S. 36, V/4/4. Zum Fragment vgl. Kap. 3.2., Fn. 20 dieser Arbeit.

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Bentham138 diskutiert in seinen Schriften zur Parlamentsreform und in seinen Verfassungsentwürfen meist demokratietheoretische Fragen als Fragen der Wahlberechtigung und der Wahlverfassung. Dort schwankt er dann gelegentlich zwischen Pragmatik und theoretischer Konsistenz, wenn er etwa das Frauenwahlrecht für die einzig adäquate Folgerung aus dem Prinzip des größten Glücks erklärt und es zugleich doch nicht in seinen Verfassungsentwurf aufnimmt. Benthams Argumentation zu einem demokratisch verfassten Wahrecht bewegt sich zumindest auf zwei Ebenen, die es darzustellen gilt. Die erste Ebene betrifft die Verteidigung der freien und geheimen Wahl gegen monarcho-aristokratische Einwände, auf der er die Grundlagen des Prinzips des größten Glücks als Berufungsinstanzen heranzieht. Die zweite Ebene geht der Frage nach, ob denn das angezielte Wahlsystem in der Lage ist, die prinzipielle Selbstpräferenz auch der Wähler systematisch so zu kanalisieren, dass sie dem Glück der gesamten Bevölkerung dienlich gemacht werden kann, ohne dass es dabei zu einer substanziellen Glücksverminderung der je Einzelnen kommt. Gegen die bisherige Struktur einer parlamentarisch beeinflussten monarchischen Regierung mit starker aristokratischer Beteiligung wendet Bentham ganz grundsätzlich ein, dass bei ihr nur zufallig, sozusagen als Ergebnis eines nicht geplanten Spiels, eine Politik für die Bevölkerung herausgekommen ist. Nur eine effiziente Kontrolle der Regierung durch das Volk kann diesen Missstand beheben.139 Sie durchbricht mit der Hilfe der Öffentlichkeit den Mechanismus, den Bentham das "judica-teipsum principle" der englischen Verfassung genannt hat, und das als Prinzip der Selbstbeurteilung und der wechselseitigen Lobeshymnen der oligarchisch strukturierten Machtelite jede Kritik im Keim erstickt hat, und mündet in logischer Konsequenz in der Wahlmacht der Beherrschten.140 Demokratie kann für Bentham nur repräsentative Demokratie sein - das aber radikal.141 Die Forderung nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht aber lässt sich, so Bentham, eindeutig ableiten, wenn man nur den Sinn der Regierung als die Maximierung des Glücks und die Minimierung des Unglücks ausbuchstabiert. Dann nämlich, weil Glück von einzelnen Individuen erfahren wird, ergibt sich folgende Argumentationskette. Das allgemeine Glück soll gefordert werden, dies kann nur durch die Berücksichtigung aller betroffenen Individuen geschehen. "[...] the ultimate end advancement of the universal interest. In the description of that end is included - comprehension of all distinguishable particular interests: viz. in such sort, that such

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Wobei er seine Wende zum radikalen Demokraten reflektiert und an das Jahr seiner Bekanntschaft mit James Mill bindet. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 438. Vgl. Handbook of Political Fallacies, S. 156 f. und S. 199. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 491 und 494 f. Vgl. Letters on Scotch Reform, Works, V, S. 3. Amerika ist das große Beispiel fur die repräsentativ-demokratische Option, da hier Sicherheit und Gleichheit politisch ausbalanciert werden konnten. Vgl. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 447. Scheint im Plan of Parliamentary Reform noch die Defensivposition durch, so ist in den First Principles Preparatory to Constitutional Code nur noch die Rede von der einzig angemessenen Regierungsform (vgl. ebd., S. 113) und im Constitutional Code muss nicht einmal das mehr erwähnt werden. Es wird nur noch die Form der Repräsentation beschrieben.

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of them, between which no repugnancy has place, may be provided for in conjunction, and without defalcation·. - while, in regard to such of them, between which any such repugnancy has place, such defalcations, and such alone, shall be made, as, when taken all together, shall leave in the state of a maximum whatsoever residuum of comfort and security may be the result: - with exceptions to as small an extent as possible, interests all to be advanced: without any exception, all to be considered,"142 D i e s e heißt aber, w e n n alle Interessen zumindest gleiche Berücksichtigung finden sollen, da sich keine Gründe für eine ungleiche Berücksichtigung aus den Prinzipien des Utilitarismus herleiten lassen, 1 4 3 dass nur ein allgemeines Wahlrecht dieser Interessenberücksichtigung die Gewähr leisten kann. Wenn nämlich nur einer wählen dürfte, dann hätten alle anderen Mitbürger exakt den gleichen Anspruch auf Ausübung dieses fundamentalen Rechts. 1 4 4 Daraus ergibt sich das Postulat eines virtuell universalen Wahlrechts, das alle Bürger und Bürgerinnen einschließt und nur in begründeten Fällen Ausnahmen von der allgemeinen Regel zulässt. Bei der näheren Diskussion der Gruppen, für die Bentham einen Ausschluss v o m Wahlrecht zulassen möchte, wird deutlich, dass außer Analphabetismus und Wahnsinn nur Minderjährigkeit, als zeitlich beschränkte und daher willkürliche Grenzziehung, erlaubt sein sollen. Für den Ausschluss v o n Frauen jedenfalls gibt es keinen vernünftigen Grund. 145 D a s Gebot, das der weitest denkba142 143

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Ebd., S. 452. Jeder Mensch empfindet Freude und Schmerz und hat damit den exakt gleichen Anteil am Gesamtglück: "The happiness and unhappiness of any one member of the community - high or low, rich or poor - what greater or less part is it of the universal happiness and unhappiness, than that of any other." Ebd., 459. Das gleiche Empfindungspotenzial ist Basis der Wahlgleichheit. Vgl. James, Michael, Bentham's Democratic Theory at the Time of the French Revolution, in: Bentham Newsletter, 1986/10, S. 5-17 hier S. 12. "If, in the instance of any one individual of the whole body of the people, it be right that the faculty of contributing to the choice of a representative - to the choice of a person, by whom, in the representative assembly, his interest shall be advocated, be possessed and exercised, - how can it be otherwise than right, in the instance of any one other such person?" Ebd., S. 452. Die Hälfte der Menschheit kann nicht begründet von einem fundamentalen Recht ausgeschlossen werden. Vgl. ebd., S. 463 und 541. Dann aber: "[...] no man appears to mean that females should vote." Radical Reform Bill, Works, III, S. 559 und die Ausschlussklausel von Constitutional Code, S. 29, V/2/3, die Frauen, Minderjährige, Analphabeten und Fremde ausschließt. Der Ausschluss in der Radical Reform Bill ist umso gravierender, weil Bentham hier sogar nahe legt, man könnte Kriminelle und Wahnsinnige ruhig wählen lassen, da das keinen überwiegenden Schaden anrichtet. Die Erklärung für diese offenkundige Differenz bietet Bentham, wenn er den gesamten Kontext argumentativ ausbreitet. Dann argumentiert er zunächst, dass Frauen, da sie auf Grund ihrer körperlichen Unterlegenheit - und allein wegen dieser - in Privatangelegenheiten schlechter gestellt seien und eben deshalb als Kompensation dringend politische Mitwirkungsrechte brauchen. Die bestehende Asymmetrie der Verteilung der Rechte wird auf die Kulturentwicklung zurückgeführt, in der sich stabile Verhältnisse aus kriegerischen entwickelt haben. Diese Entwicklung fuhrt aber dazu, dass alle Macht in männlichen Händen akkumuliert wurde. Es gibt für sie keinen utilitären Grund. Dann aber kommt die Frage, ob es nicht an der Zeit sei, diese Fehlentwicklung zu korrigieren und der anderen Hälfte der Menschheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Bentham weicht aus: "No. In no political state that I know of should I think it at present expedient to make any such proposal. Before the state of the legal system had been made on almost all other

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ren Fassung des Wahlrechts zu Grunde liegt, nennt Bentham das Simplizitätsprinzip, das vorschreibt, dass all die D i n g e zugelassen werden sollen, aus denen sich trotz offenbarer Tendenz zu einem Übel unter den bestehenden Voraussetzungen dann eben doch kein spürbarer Schaden ergibt. Wendet man dieses Gebot auf den Wahlrechtsdiskurs an, dann bleibt als letzter wirklich stichhaltiger theoretischer Grund für einen Ausschluss v o m Wahlrecht das Analphabetentum und keinesfalls, wie bei der bestehenden Regelung bzw. den Vorstellungen der moderaten Reformer eine Eigentumsqualifikation übrig. 146 Bei denen, die nicht lesen können, verhält es sich aber eindeutig so, und das macht ihren Fall mit dem Minderjähriger im Prinzip vergleichbar, dass ihre Disqualifikation, w e n n sie es nur wollen, rein temporärer Natur ist und durch eine Anstrengung, die zeigt, dass ihnen die Wahl wichtig ist, aus eigener Kraft überwunden werden kann. 147 Wenn es um die technische Gestaltung des Wahlaktes geht, so finden sich bei Bentham die wenigen Stellen in seinem Werk, an denen er für vollkommene Geheimhaltung eintritt. Sinn und Zweck der geheimen Wahl ist es, die Wahlen wirklich frei zu machen. Es geht schlicht darum, dass die geheime Wahl zusammen mit kurzen Legislaturperio-

points contributory in the highest degree to the greatest happiness of the greatest number, scarcely could any prospect be afforded of [its] being rendered so as to this. The contests and confusion produced by the proposal of this improvement would engross the public mind and throw improvement in all other shapes to a distance." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 99 f. Auch hier bleiben dann, aus rein pragmatischen Gründen, nur die Frauen rechtlos, während "no other descriptions of persons" (außer Analphabeten) so behandelt werden. Genau die gleiche Argumentation wiederholt sich bei der Frage, ob Frauen als Zuschauer von Parlamentsdebatten zugelassen werden sollen. Immerhin handelt es sich hier ja um die Zulassung zu einem der "committees des "Public Opinion Tribunal" und damit der weitest gefassten Institution überhaupt. Bentham fürchtet, obwohl er wenige Seiten vorher behauptet hatte, die Demagogie sterbe im parlamentarischen Diskurs einen schnellen Tod, eine Beeinflussung der sachlichen Debatte durch das "schöne" Geschlecht und begründet seinen Ausschluss mit seiner besonderen Bedeutung (Removing them [...] is avowing their influence, and it ought not to wound their pride.) und der Unreife der Männer. Vgl. Essay on Political Tactics, Works, II, S. 327. Weibliche Schönheit - der ästhetische Vorzug wird bei ihm zum politischen Nachteil, weil er die männliche Hälfte der Menschheit verwirren kann - ist für Bentham auch ein wesentliches Instrument der Korruption. Vgl. First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 321, Fn. a. 146 "p r 0 p e r ty ; it is continually said, is the only bond and pledge of attachment to country. - Not it indeed. Want of property is a much stronger one. He who has property, can change the shape of it, and carry it with him to another country, whenever he pleases: he who has no property, can do no such thing. In the eyes of those who live by the labour of others, the existence by whose labour they live, is indeed of no value: not so in the eyes of the labourers themselves. Life is not worth more to yawners than to labourers: and their own country is the only country in which they can so much as hope to live." Radical Reform Bill, Works, III, S. 560. Das Qualifikationskriterium der Steuerzahlung nutzt Bentham zu einem geschickten Gegenargument: Es kommt ganz darauf an, was man unter Steuer versteht. Jeder, der konsumiert, zahlt auch indirekte Steuern, so dass er seinen Beitrag für das Gemeinwesen leistet. 147

Vgl. Parliamentary Reform, Works, III, S. 464. Der Bertreffende muss eben schlicht Lesen und Schreiben lernen, dann ist er bereit fur sein "Amt". "An elector is a trustee: a trustee ought to be fit for his trust." Radical Reform Bill, Works, III, S. 560.

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den und einer ansonsten wachsamen Öffentlichkeit das ideale Gegengift gegen die Korruption des "sinister sacrifice" darstellt. Kurze Legislaturperioden, Bentham plädiert für ein Jahr,148 haben den Vorteil, dass sie die Korruption vor ein extremes organisatorisches und ressourcenbezogenes Problem stellen. Wenn in kurzen Abständen gewählt wird, so müssen die Parlamentarier dauernd ihre Wähler und die Krone bzw. die Regierung dauernd neue Parlamentarier einschüchtern und bestechen. Das wird nicht nur tendenziell teuer, sondern senkt auf der Seite derjenigen, die auf Bestechung warten, extrem die Chancen auf einen relativ hohen Preis für ihre Stimme. Wer kann schon viel für seine Gefügigkeit in politischen Dingen verlangen, wenn in einem Jahr bereits wieder andere Konstellationen existieren können.149 Die geheime Wahl stellt damit das Zentrum all der institutionellen Arrangements dar, die aus Benthams Sicht der naturwüchsigen Korrumpierbarkeit der Menschen entgegen wirken sollen, 150 weil sie die Berechenbarkeit und Kontrolle von Handlungen durch Beobachtung durch denjenigen, der korrumpieren will, systematisch unterbindet und so den Bestochenen wieder in die gleiche Freiheit einsetzt, die er vor der Bestechung hatte.151 Die Wähler können in der Wahl dann ihren eigenen Willen zum Ausdruck bringen. "Secrecy is of the very first importance: because where there is no secrecy, there can be no assurance of genuineness. The vote may be bribed or forced; and whether bribed or forced, the vote is the expression of the wish - not of the voter, but of him by whom he is either bribed or forced. So far as this state of things has place, the wishes, by which the choice is determined, will be - not the wishes of the many, governed by the interests of the many, but the wishes of the few, governed by the interests of the few - by that comparatively narrow body of interest which is in a state of continual opposition to the universal interest, and to which, in so far as the opposition has place, or by the ruling few is thought to have place, the universal happiness will be made a constant sacrifice." 152

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Vgl. ebd., S. 561. Wenn alle Wähler eine gleiche Stimme geheim abgeben, so ist die Wählerbestechung "impracticable". Was die Parlamentarier betrifft, so wird ihr Vertauensbruch gegenüber den Wählern "not worth purchasing". Vgl. ebd., S. 561. Der Autor nimmt sich da demonstrativ selbst nicht aus: "Setting aside the fear of personal shame, and of the evil example that would be set to the public - many an election do I remember, in which not only a couple of guineas, but the half or a quarter of that sum, or even less, would, under any degree of affluence, have sufficed to determine the direction which I myself would have given to my vote." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 454, Fn. "On the other hand, let but this direction be to a certainty unknown to every individual but the voter himself, - the freedom - the complete freedom - of the suffrage, is the necessary result." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, ebd. Zu dieser Freiheit wird er dann auch, wenn schon nicht gezwungen, so doch gedrängt. Jeder Wähler zeichnet nämlich eine Wahldeklaration, die der Legislator 's Inaugural Declaration vergleichbar ist. Ihr einziger wesentlicher Punkt ist, dass er seine Entscheidung geheim halten wird und jede Nachfrage als "oppression" betrachtet. Vgl. Radical Reform Bill, Works, III, S. 565. Ebd., S. 558. Die Radical Reform Bill stellt im wesentlichen die Ausformulierung des im Constitutional Code erwähnten Election Code dar. Im Constitutional Code, der Publizität sonst über alles stark macht, lesen wir, dass im Fall der Wahl "the evil of publicity would, in this instance, be

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Wurde der Ansatz der EXTERNALISTISCHEN Steuerung von Handlungen in der Theorie der Öffentlichkeit dazu genutzt, um eine Koinzidenz von öffentlicher Meinung und politischer Entscheidung zu erzwingen bzw. dazu, das Interesse des Funktionärs an seine Pflicht zu binden, so wird er hier in der genau umgekehrten Richtung fruchtbar gemacht. Der wirkliche Wille der Individuen wird am reinsten sichtbar, wenn er geheim zum Ausdruck gebracht wird.153 Dann kann keine "seductive or corruptive force, operating from without"154 das innere Kalkül des Wählers beeinflussen, er wird - auch wenn sein Urteil derivativ sein sollte - im Prinzip auf der Basis von kommunizierten Informationen und eigener Reflexion entscheiden. Hier stellt sich aber das Problem, was aus dem allgemeinen Glück werden soll, wenn sich die Aggregation all der in ihr eigenes Recht eingesetzten Individuen nicht auf das Allgemeinwohl richtet. Alle wollen, das ist sicher, ihr je eigenes Glück, und Bentham wird nicht müde zu betonen, dass die Wähler als einzelne Individuen genau die gleiche anthropologische Grundausstattung wie die Gewählten mitbringen. Mit einem Wort: Den Herrschaftsunterworfenen fehlt auf dieser Ebene der Beschreibung der Verhältnisse nur die Macht, sich auf Kosten der anderen Menschen schamlos so zu bereichern, wie es die Herrschenden eben auf Grund ihrer Macht tun können. Auch unter einer repräsentativen Demokratie haben wir es nicht plötzlich mit lauter Menschen zu tun, deren Entscheidungen aus einem aufgeklärten Wohlwollen ausfließen. Ganz im Gegenteil besteht ihr wesentlicher Vorteil gerade darin, dass ihre ausgeklügelten Kontrollmechanismen und die Verleihung der Wahlmacht politische Amtsträger unter dauernde Aufsicht stellen und sie abberufbar machen. Diese Ordnungsform rechnet offensichtlich nicht mit solchen Menschen, die selbstlos am Allgemeinwohl orientiert sind. Demokratie braucht keine selbstverleugnende Tugend.155 Der willensbefreiende Modus der geheimen Wahl wird von Bentham daher auch so interpretiert, dass er keinesfalls von einem Wähler ausgehen will, der unter den gegebenen Bedingungen sein Interesse dem Allgemeinwohl systematisch zu opfern bereit ist. Wer solch einen Wähler voraussetzt, der befindet sich in Utopia und nicht auf dieser Welt. Er dreht den naturalistischen Fehlschluss geradezu um und behauptet, dass, das, was sein soll, auch wirklich schon der Fall ist.156 Die geheime Wahl setzt das natürliche

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destructive of the Constitution". Constitutional Code, S. 163, VIII/11/6. Es geht um "the inward wish", der über die Wahl artikuliert werden soll und hier legt Bentham den Schluss nahe, dass dessen ungehinderte Ausübung genüge "for the advantage of the general interest." Dabei handelt es sich beim Wechsel von Publizität zur Geheimhaltung, so Bentham am Beispiel der geheimen Abstimmung in einer Versammlung, um den Appell des offenbar gewordenen Wollens zum wirklichen. "Secrecy ought only to be admitted as a kind of appeal. To demand a ballot, is to appeal from the apparent to the real wish of the assembly." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 309. Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 453. "Of democracy it is among the peculiar excellencies, that to good government in this form nothing of virtue, in so far as self-denial is an ingredient in virtue, is necessary." Ebd., S. 471, Fn. fortlaufend. "A man ought - every man ought - to sacrifice in every case - to sacrifice in this case in particular - his own personal interest to the universal interest. Good: - there we have an antecedent. Ergo, so he will: there we have the consequent. Well: if in the consequent there be any truth, here

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Interesse im Gegensatz zu einem künstlich durch Einfluss geschaffenen Interesse frei.157 Im Idealfall wäre sie ein Mechanismus, der den individuellen Willen als ein Mittel zur Findung des Allgemeininteresses nutzt.158 Allerdings kann man an zwei Dingen nicht vorbei: Es gibt erstens keinen institutionellen Mechanismus, der die Natur des Menschen ändert, sie kann bestenfalls aufgeklärt und extern gelenkt werden159 und es muss zweitens davon ausgegangen werden, dass die simple Vorstellung, die quantitative Aggregation von Einzelinteressen sei identisch mit dem allgemeinen Interesse,160 in dem Moment problematisch wird, in dem sie politisch relevant ist. Beides zusammen fuhrt zu der Annahme, dass die naturwüchsige Selbstbezogenheit der Individuen sie fast zwangsläufig dahin bringen muss, ihre Interessen auf Kosten des Allgemeinwohls, d.h. in dem Fall der überwiegenden Mehrzahl der Mitmenschen zu verfolgen. Bentham sieht sehr genau, dass dem politisch befreiten bürgerlichen Mittelstand, auch wenn er ihn gelegentlich als moralisch besonders privilegiert beschreibt,161 Gefahr von innen durch organisierte Interessen droht. Es sind nun die Interessen einer neuen "Aristokratie", will sagen, einer wie auch immer gearteten Gruppe von Partikularinteressen, die sich organisiert gegen die Interessen der überwiegenden Mehrzahl der Menschen durchzusetzen versuchen. Organisierte Interessen sind überall, wie Bentham sich archetypisierend ausdrückt, eine Kette aus Eisen, während das allgemeine Wohl bestenfalls ein Band aus Sand darstellt. Der Grund hierfür wird gleich mitgeliefert: "The individuals who compose the particular interest always are, [...], a compact harmonizing body - a chain of iron: the individuals making the universal interest are on every such occasion an unorganized, uncombined body - a rope of sand. Of the partakers in the universal interest,

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are we already in Utopia·, no need of penal law, no, nor so much as of sermons." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 488. "Votes ought to be given secretly in all cases in which there is more to fear from the influence of particular wills, than to hope from the influence of public opinion. What are these cases? To answer this question, it is necessary to distinguish two species of interest: the one factitious - the other natural. Interest is purely factitious when the voter has nothing to gain or to lose in consequence of his vote, except his vote is known. Interest is natural when the voter may lose or gain in consequence of his vote, even should it remain unknown. [...] Secret voting destroys the influence of factitious interest: it has no effect upon the influence of natural interest." Essay on Political Tactics, Works, II, S. 368. Geheimhaltung und Öffentlichkeit sind beides Mittel, die je unterschiedlich verwendet werden können. Ideal ist, wenn ihr Einsatz dem "public interest" dient: "To give effect to that will, the effectuation of which is in the highest degree subservient to the public interest in question - this is the only ultimate end: in relation to this ultimate end, the giving effect to his own private and individual will, as governed by his own private and individual interest, or supposed interest, is but a means." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 490, Fn. * "If, however, it be realy supposed, that by any such mechanical process the mind of man can realy be cleared of interest, [...], the supposition will upon examination be found delusive." View of the Rationale of Evidence, Works, VI, S. 158. Vgl. Leading Principles of the Constitutional Code, Works, II, S. 269. "The middle ranks of society are the most virtuous: it is among them that in the greatest number of points the principles of honour coincide with the principles of utility: [...]." Principles of Penal Law, Works, I, S. 457.

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the proportion of interest centered in one individual is too small to afford sufficient inducement to apply his exertions to the support of his trifling share in the common interest. Add to which the difficulty, the impossibility, of confederacy to any such extent as should enable the exertions of the confederates fairly to represent the amount of general interest - that general interest embracing, with few exceptions, the whole mass of society."162

Daraus folgt, dass das, was eigentlich das Geschäft aller wäre, zugleich dasjenige ist, das eigentlich niemand betreibt.163 Während die organisierten Partikularinteressen sich öffentlich Gehör verschaffen und sehr wohl wissen, wie sie Politik in ihrem Sinne beeinflussen können,164 kann es durchaus sein, dass die Sache der Vielen keine Stimme findet und daher keine Repräsentation. Was bedeutet dies nun für die Einschätzung der Rationalität des Wählers bzw. die moralische Qualität des Wahlaktes? Bentham weist zunächst einmal darauf hin, dass es zwar richtig ist, dass wir es auch im Fall der Wahl mit einem Kalkül zu tun haben, in dem in der Regel das subjektiv perzipierte Interesse des Wählers den Wahlakt bestimmen wird und nicht eine wie auch immer geartete Orientierung am Gemeinwohl. Allerdings, so darf nicht ganz vergessen werden, hat auch der isolierte Wähler einen Anteil am Gesamtglück, hält gleichsam eine Aktie an der Aktiengesellschaft "Staat". Dieses allgemeine Interesse am Glück aller kann unter ganz bestimmten Umständen, so Bentham, dann eben doch handlungsmotivierend werden. Man muss zumindest eine minimale Vorstellung vom Gemeinwohl bei der überwiegenden Mehrzahl der Wähler eben vor allem denen, die keine organisierten "aristokratischen" Interessen haben165 unterstellen und dann noch davon ausgehen, dass diese Vorstellung auf der Ebene eines unabdingbaren moralischen Minimums wirksam werden kann. Getreu dem Motto der individuellen Glückssuche, dass man Gutes tun soll, wenn man nichts anderes zu tun hat, gilt hier, dass man den besseren Kandidaten unterstützen soll, wenn man sonst keine Interessen hat. Man soll sich also vom eigenen Anteil am Gemeinwohl motivieren 162

Observations on the Restrictive and Prohibitory Commercial System, Works, III, S. 98. Der Pulvermacher hat ein Interesse am Krieg, der Glaser an zerbrochenen Fenstern. "[...] such then, in relation to the grand point in question, is the state of interests. And - not to speak of individuals individually taken - taking men in bodies, what is their conduct ever determined by, if it be not by interest? - the balance, on the account taken by each man of his own interest? [...] What is everybody's business is nobody's business [...]." Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 153 f. (Hervorheb. - W.H.) Vgl. zur Anwendung des Topos' auf die Pflichterfüllung von MPs, Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 506. 164 "Shopkeeper, tobacconists, glovers, are compact bodies - they can arm counsel - they come in force to the House of Commons. Suitors for justice have no common cause, and scarce a common name - they are everybody and nobody - their business being everybody's is nobody 's." A Protest Against Law Taxes, Works, II, S. 581. 165 " j r u e it jS; that it is only on the supposition, that on the part of the majority of the voters there exists, in the breast of each, either from self-formed or from derivative judgement, a practically adequate conception of the course dictated by his share in the universal interest, - true it is, that only in so far as this supposition is in conformity to fact, will the freedom in question, supposing it secured, be subservient to the great ends proposed: but, of the propriety of a supposition to this effect, proof sufficient for practice has already, it is presumed, been afforded." Plan of Parliamentary Reform, Works, III, S. 454. 163

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lassen. Wenn dem keine anderen Motive entgegenstehen, so wird, zumindest legt Benthams Theorie der Motivation des Handelns dies nahe, eine Mischung aus "self-regarding prudence" und "sympathy" den Wahlakt entscheiden: "If, in the event of his voting in favour of him, who, in his estimation, is the less worthy candidate, in preference of him who in his opinion is the more worthy candidate, a man sees no prospect of advantage to himself, nor of disadvantage in the contrary event, - it seems not to much to hope and expect, that his vote will most commonly be in favour of that candidate who, in his opinion, is the more worthy candidate. If conscience will not do this, it will do nothing. But assuredly, the less deeply men are led, or lead themselves, into temptation, the more likely they will be to be delivered, or to deliver themselves, from evil. The less it is that the law expects from every man, the less it will expose itself to disappointment. Less than the disposition to do good, - so far as it is to be done by serving the public, in such case, and in such case only, in which it can be done without an atom of loss or other inconvenience to himself - cannot surely from any man be expected."166

Trotz der Nennung des Gewissens und der Anspielung auf das "Vaterunser" verlässt Bentham hier die Gesamtarchitektur seiner Theorie nicht. Es geht ihm vor allem um den Nachweis, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass eine Allgemeinwohlorientierung handlungsmotivierend durchschlagen kann. Der Topos von der (Selbst-)Verfuhrung und (Selbst-)Erlösung weist darauf hin, dass es seiner Anthropologie nach eine grundlegende Komplexität der menschlichen Motivstruktur gibt, die sich auch im politischen Bereich voll auswirkt. Wir wissen bereits, dass kein Motiv als generell moralisch minderwertig bezeichnet werden darf. Dies gilt aber auch in der Politik, in der besonders natürlich die "pain and pleasures of power" und -"of symapthy" neben den üblichen rein selbstbezogenen Freuden und Leiden (körperlich und pekuniär) eine entscheidende Rolle spielen.167 Die Machtliebe beispielsweise ist ein solch komplexes Interesse, von dem Bentham behauptet, dass die korrespondierenden Motive unter bestimmten Bedingungen durchaus für die Gemeinschaft positive Handlungen hervorbringen können.168 Wenn nun aber sogar die Interessenlage der überwiegenden Mehrzahl der beherrschten Wähler, des nach wie vor existierenden "subject many", so aussehen würde, dass sich einige ganz spezielle selbstbezogene Interessen ausweisen lassen würden, die einer Partikularisierung nicht zugänglich wären, weil sie nahezu identisch mit dem allgemeinen Interesse sind, dann wäre die Entscheidung des Wählers für das Glück der Vielen 166 167 168

Ebd., S. 548. Vgl. A Table of the Springs of Action, S. 81 ff. So schreibt er in seiner Defence of Economy Against Rose: "Now, then, if by this same love of power men may be 'corrupted', by this same love of power (I say) they may be operated upon; and if operated upon to a bad purpose, they must be strange men indeed if they do not find themselves operated upon, with how little force and effect so ever, by some principle or other, in a counter direction: in a counter direction by some principle or other, call it fear of disrepute, call it conscience, call it what you please - which they would find acting, not in opposition to, but in concert with, the love of power, in any case, in which the purpose, towards which it operated upon them and to which it tended to direct their exertions, were a good one." Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 122 f.

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noch deutlich stärker motiviert. Einer solchen Motivierung der Entscheidung für das Glück der größten Zahl aus einem eher selbstbezogenen Interesse redet Bentham das Wort. Er weist darauf hin, dass es zwar richtig sei, dass sich auch in einer repräsentativen Demokratie alle isolierten Individuen einen Vorteil auf Kosten der anderen verschaffen möchten, dass sie aber nicht wollen können, dass alle anderen sich den gleichen Vorteil verschaffen. Wenn daher die Dinge so geordnet sind, dass sich keiner aus der bestehenden Rechtsordnung ausklinken kann, um seinen eigenen Vorteil zu suchen, dann wird es zugleich das Interesse aller, dass das so bleibt. Damit aber ist das Fundament des Glücks in den Augen Benthams bereits gelegt, weil jeder zumindest Sicherheit haben will. 169 Außerdem verhält sich die Sache so, dass man getrost darauf vertrauen kann, dass es eine ganze Menge von Interessen gibt, die schlicht gar nicht verallgemeinerungsfähig sind und schon deshalb keine Repräsentation auf der nationalen Ebene werden erlangen können. Die absolut individuellen Interessen können allein deshalb nicht durchschlagen, weil die Institutionen der repräsentativen Demokratie dies gar nicht zulassen.170 Öffentlichkeit und geheime Wahl haben, auch wenn sie beide entgegengesetzte Steuerungsmechanismen auf der Basis EXTERNALISTISCHER Anthropologie darstellen, eines gemeinsam, sie verhindern richtig eingesetzt in hohem Maß, dass etwas, was nicht verallgemeinerungsfahig ist, sich in einer Gemeinschaft als kollektives Ziel durchsetzt.171 Sollte dies doch der Fall sein, so hat der Mechanismus einen ergänzenden Auf169

"In regard to obligations, those obligations in all their several shapes, by the creation of which rights are created and the enjoyment of them secured, and therewith such portion of felicity as man by his nature is qualified for the enjoyment of put within his reach, it is the interest of the subject many that they be fulfilled in as large a proportion as possible. Not but that in regard to each such obligation, [...], each man would be desirous and disposed to shake it off from himself if not restrained by a preponderant force under almost any government that can have existence. But forasmuch as in the general fulfilment of the aggregate of the obligations he always has more or less enjoyment to hope for, and from the general non-fulfilment of them nothing at all - and so, whatsoever be the proportion in question, more to hope from the fulfilment of it than from the non-fulfilment of it, at the same time in the class to which he belongs he can not for the claiming of any preference for himself in this particular any pretence which other men of the same section or of other sections would be disposed to be in any degree influenced by, thus it is that in this class the interest and desire of each are in pretty uniform accordance with the interest and desire of all." First Principles Preparatory to Constitutional Code, S. 72. Das heißt aber letztlich nicht mehr und nicht weniger, als dass die Vielen die Lehre des Utilitarismus im Kern immer schon begriffen haben. Sie wissen, dass sie sich einen Vorteil unter den Bedingungen egalitärer Rechtsbeziehungen nur dadurch erkaufen können, dass er von allen gebilligt wird. Das ist aber nur der Fall, wenn sie besondere Gründe für eine außergewöhnliche Berücksichtigung haben (superior need or excellence). Falls das nicht der Fall ist, ist ihr Wunsch nach einer Ausnahme bei gleichbleibendem Rechtschutz illusorisch. Niemand wird zustimmen, dass A auf Kosten aller andern eine Position bekommt, für die er weder einen Bedarf aus Not noch ein Verdienst aus Leistung hat.

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Auch die partikularen Interessen eines Wahlkreises sind in einem vielköpfigen nationalen Parlament eben nicht unbegründet durchsetzbar. Vgl. Constitutional Code, S. 43 f., VI/1/10. Bentham geht in seiner Experimentierfreude, was diese Frage betrifft, sogar so weit, dass er im Constitutional Code bei der Wahl des Prime Ministers beide Wahlmodi kombiniert. Es gibt zuerst

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klärungsbedarf, d.h., die Individuen wissen noch nicht alle, was ihre individuellen und kollektiven Ziele sind. Unter den Bedingungen aufgeklärter Individualität findet der Eigennutz eines jeden eine sehr primitive Schranke am Eigennutzen eines jeden anderen, wenn er sich institutionell vermitteln muss: "If it were possible, each constituent would cause to be chosen such a Candidate as would sacrifice the interest of all the constituents to his: each Candidate, [...], rather than not succeed, [would] engage himself to that same constituent to make that same sinister sacrifice, and, rather than not have his vote and interest in the next Election, perform that engagement. Thus it is with all the constituents having votes for the seat attached to that District. But, certain points common to all excepted, the interests of all these several constituents are in a state of opposition to one another: the interest of no one can be promoted without the sacrifice of the interests of all his competitors and opponents, without the sacrifice of all these adverse interests. To recommend himself to all, what is possible is - to promote the interest of each in those points in which it is not opposed by any other interests: this accordingly is what is done."172

Bei allem, was man gegen diese Vorstellung einwenden kann, dass sozusagen nur der kleinste gemeinsame Nenner der parlamentarischen Repräsentation fähig sein soll, so liegt hier doch eine Art umgekehrter und demokratisch informierter Formulierung des Prinzips des größten Glücks der größten Zahl vor. Sie besagt, dass das, worauf sich alle werden einigen können, die schlichte Tatsache ist, dass zwar alle Individuen glücklich werden wollen, dass sie aber nicht zustimmen werden, wenn einer oder eine Gruppe auf Kosten der anderen sein Glück durchsetzen will. Das ist der minimale Standard, auf den sich Individuen einigen müssen, wenn sie eine Demokratie in der Form repräsentativer Demokratie einrichten wollen, in der die Fehler der monarchisch-aristokratischen Ordnungsform nicht wiederholt werden sollen. Es ist, wie wir aus Erfahrung wissen, ein durchaus problematisches Minimum, da es letztlich nur die minimalen Rechtsgarantien abdeckt und ansonsten die Menschen sich selbst überlässt. Bentham selbst war offensichtlich der Meinung, dass es sich hierbei wahrhaftig um ein bloßes Minimum handelt. Er selbst hat für sich sicherlich eine ganz andere Interessenstruktur gesehen und sich - mit mehr oder weniger Recht - auch in eine ganz andere Rolle stilisiert. Es mag zwar für einen einigermaßen normalen Ablauf der Geschäfte genügen, wenn sich keiner auf Kosten der anderen bereichern kann, eine Welt, in der man mit Freude und vor allem erfüllt leben kann, wird so nicht erbaut. Benthams Leitmodell politischen Verhaltens weicht daher auch ganz deutlich von dem ab, was er als Existenzminimum einer glückssuchenden repräsentativen Demokratie annimmt. Eine Gesellschaft, in der es besser zugehen soll, braucht Menschen, die über die Tatsache, dass sie ihre egoistischen Interessen als identisch mit den Interessen der anderen betrachten, hinausgeht. Solch eine Gesellschaft braucht Menschen, die vom "public spirit" erfüllt eine geheime Abstimmung im Parlament, dann eine offene. Die geheime wird nach der offenen ausgezählt. Wenn beide voneinander im Ergebnis abweichen, so ist der gewählt, der die offene Wahl gewonnen hat. Das Ganze geschieht - man will es kaum glauben - "For the sake of instruction by experience". Die Parlamentarier lernen dabei, wie abhängig sie doch von ihrer Umgebung (offener Modus) und ihren persönlichen Vorlieben und Interessen (geheimer Modus) sind Vgl. ebd., S. 157 f., VIII/8/1-6. 172

Ebd., S. 135.

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sind und wird alles daran setzen, sie auch zu fordern und in ihr Recht einzusetzen. Mit den "public spirited" men, den "heroic few", 173 wird die repräsentative Demokratie im Durchschnitt zwar nicht rechnen können, sie sind aber trotzdem für das Funktionieren der Aufklärung unabdingbar. Es handelt sich dabei nicht um moralische Monster, deren Selbstverleugnung asketische Formen annehmen muss, sondern um Menschen, die ihr Interesse in gewisser Weise nicht mehr vom Allgemeinwohl unterscheiden können und wollen. Die Beschreibung des "public man", der Vollendung der Tugend, ist die Selbstbeschreibung Benthams: "The man of probity and public spirit, the man of general and universal benevolence, is, not he in whose instance a continual sacrifice is made of personal interest, but he in whose instance situation and character have concurred in effecting between his personal interest and the public interest such a connexion, that, in labouring to promote the public interest, he is labouring to promote his own interest at the same time."174

Bentham, der sich selbst gern als eine Art Newton der Gesetzgebung begriff und auch bezeichnen ließ,175 hat in seiner Selbststilisierung sozusagen den idealen Agenten des Gemeinwohls porträtiert, dem es vor allem darum geht, ein auch für andere nützliches Leben zu führen 176 und der dabei die nebenher anfallenden Gratifikationen von Ruhm und Ehre zwar nicht in erster Linie anstrebt, sie aber auch nicht verschmäht.177 Gleichzeitig aber lehnt er jede materielle Belohnung ab. Er ist im strengen Sinn des Wortes machtlos und bedient sich ausschließlich der begründeten Rede, um mit ihr seine Mitmenschen über ihre Interessen und den Stand der menschlichen Dinge aufzuklären. Mit einem Wort: Der Mann mit "public spirit" ist letztlich ein Intellektueller, den es gelegentlich in die praktische Politik verschlagen mag, dessen Hauptaufgabe aber, die er mit Genuss erfüllt, die Partizipation am öffentlichen Diskurs ist. Er erhebt seine Stimme und lenkt dadurch die "public opinion" in eine bestimmte Richtung. Er ist vor allem ein eifriger Entlarver der verdeckt und täuschend agierenden Lobschreiber der Herrschenden und Lehrer der Beherrschten. Dieses Bild ließe sich noch ungleich feiner ausmalen. Die wenigen Pinselstriche mögen aber genügen, um deutlich zu machen, wie Bentham seine eigene Rolle und damit die Rolle eines jeden aufklärenden Denkens bestimmt hat. Die Öffentlichkeit und die Wahl bringen als institutionelle Voraussetzungen eine ganze Reihe an Mechanismen, deren Wirkungen sich auf die menschliche Natur beziehen. Gleichzeitig aber ist das Engagement einzelner Menschen zum Wohle aller unverzichtbar. Dann wird das, was die Deontologie am Horizont sichtbar machen konnte, schrittweise und zuerst nur auf der Basis einer ausgehandelten Interessenhomogenität Wirklichkeit: Die aufklärende Vernunft wird die Wolken des Vorurteils zerstreut haben und ein allumfassendes Wohlwollen erhält seine Chance zur Gestaltung der Realität. Der Prozess der Aufklärung aber darf nie enden. Solange es Interessen und Individuen gibt,

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"Public spirit operates not with sensible effect except in a few highly cultivated minds belonging to the best educated classes." A Table of the Springs of Action, S. 16. Rationale of Judicial Evidence, Works, VII, S. 329. Vgl. Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 322. Und das, so der ausdrückliche Wunsch Benthams, über den Tod hinaus. Vgl. Auto-Icon, S. 14. Vgl. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, S. 103.

Arrangements

des Glücks der größten Zahl (II) - Repräsentative

Demokratie

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ist der epikureische Garten vom Wildwuchs bedroht und bedarf gärtnerischer Anstrengungen.

4.3.5.

Verfassung: Constitutional Code

Abschließend soll hier noch eine Skizze der von Bentham im Constitutional Code entworfenen Verfassungsordnung entworfen werden.178 Sie soll eine Ordnung des größten Glücks sein und ist im Wesentlichen so angelegt, dass die dargestellten derivaten Prinzipien des "greatest happiness principle" in ein Institutionengefuge umgesetzt werden. Vorbild ist hier in Vielem die Verfassung der Vereinigten Staaten, von der aber in einigen entscheidenden Punkten abgewichen wird. Die zentrale Abweichung betrifft den Bruch Benthams mit jeder auch noch so entfernten Form von horizontaler oder vertikaler Gewaltenteilung. Es gibt in seinem Code zwar so etwas wie ein föderales Element, das aber stark reduziert ist. Den "sublegislatures" stehen eher die typisch englischen Verfahrensrechte der "bye-laws" zu als eine originäre Gesetzgebungskompetenz.179 Außerdem gibt es in Benthams Plan kein mit der Präsidentschaft vergleichbares Amt. Vorbild ist und bleibt im Bezug auf die Beziehung von "exekutiver" und "legislativer" Gewalt das parlamentarische Regierungssystem. Der Constitutional Code garantiert keine Grundrechte. An ihre Stelle tritt eine Bindung der Verfassung und jeder Politik an die Grundidee des Utilitarismus.180 Benthams Idealstaat ist eine Republik. In ihr basieren alle politischen Gewalten auf der Volkssouveränität. Das (wahlberechtigte) Volk übt seine ursprünglich souveräne Macht als "constitutive authority" im Wahlakt und in Abberufungsakten aus. Durch diese Gewalt sind alle anderen Gewalten, was sie sind.181 Das gesamte Volk als Teil der 178

Es kann deshalb nur um eine Skizze gehen, weil Benthams Constitutional Code in der Ausgabe von Bowring einen Verfassungsentwurf mit 650 Seiten darstellt. Damit dürfte es sich um eine(n) der umfangreichsten Verfassungen bzw. Verfassungsentwürfe überhaupt handeln, die je vorgelegt wurden. Der von Rosen edierte erste Band des Constitutional Code in den Collected Works umfasst immerhin auch bereits 450 Seiten in einem im Gegensatz zur Bowring-Edition lesbaren modernen Druckbild. Das liegt schlicht daran, dass Bentham - gemäß seiner Losung "pro volúntate ratio" - jeden Artikel ausfuhrlichst begründet hat und er einfach nicht ohne unendliche Abschweifungen und Erklärungen schreiben konnte oder wollte. Der Code wurde schon allein deshalb praktisch nicht rezipiert.

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"In relation to the hereinafter-mentioned Sublegislatures, the Supreme Legislature exercises the several functions, directive, corrective, arbitrative." Constitutional Code, S. 47, VI/3/1. Vgl. Constitutional Code, S. 18 ff., II/1-24. D.h., das Ziel aller Politik ist die Vermehrung von Glück. Ihr Mittel kann die Verteilung von Lasten sein, die aber nie selbst Ziel sein können. Die einschlägigen Artikel entfalten in Kurzfassung die negative Herrschaftsanthropologie, die Imperative der Maximierung der intellektuellen und moralischen Eignung politischer Amtsträger, das Gebot der Verantwortlichkeit und fassen dies letztlich zusammen in dem Satz: "The sovereign power give to those, whose interest it is that happiness be maximized." Ebd. "The constitutive authority is that, by which at all times the holders of the several other autorities in this state, are what they are: by it, immediately or interventionally, they have been in such their situations located, and therefrom are eventually dislocable." Constitutional Code, S. 29, V/l/1.

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allumfassenden Menschheit übt exakt die gleiche Macht über die diskursive Meinungsbildung des "Public Opinion Tribunal" aus. Kerninstitution fur alle politisch relevanten Entscheidungen ist die direkt gewählte Legislative. Sie ist omnikompetent und zugleich allmächtig, so lange die Legislaturperiode dauert.182 Eine gute politische Ordnung ohne Gesetzgebung, so hatte Bentham bereits früher festgestellt, ist undenkbar, weil sie das Institut ist, das die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens an die sich ständig verändernden Verhältnisse anpasst.183 Dieses andauernde Reformpostulat gegenüber dem Parlament gilt auch für die Verfassung selbst.184 Nicht nur dadurch wird die Legislative neben dem "Public Opinion Tribunal" zur zweiten Superinstitution des Constitutional Code. Sie hat nicht nur die Kompetenz, die eigene Verfassung zu verändern, sondern ist zugleich die Herrin aller anderen abgeleiteten Gewalten.185 Nach der Wahl ist das Parlament Träger der Souveränität auf Zeit. Es ist und bleibt letzte Instanz aller administrativen und juridischen Gewalt, die von den beiden Zweigen der Exekutive - Verwaltung und Gerichte - ausgeübt werden und überwacht diese. So stark muss die Legislative gedacht werden, und damit beerbt sie eindeutig den Souverän von Of Laws in General und dem Fragment on Government, dass es bloß ihre physischen Grenzen sind, die sie daran hindern, die abgeleiteten Gewalten selbst auszuüben: "Only by unalterable physical incompetence, is the Supreme Legislature prevented from being its own Executive, or from being the sole legislature. The Supreme Legislature will not, to the neglect of its own duties, take upon itself any of those functions, for the apt exercise of which, when taken in the aggregate, those subordinate authorities alone, can, in respect of disposable time, appropriate knowledge, judgement, and active aptitude, have been provided with sufficient means. But, in case of non-performance, or unapt performance, or well grounded apprehension of either, - to the exercise of no function of the Executive or the Sublegislative authority can the Supreme Legislature be incompetent."186

Das heißt aber, dass die Legislative alle Entscheidungen, wenn sie dabei ihre Hauptaufgabe, die Gesetzgebung, nicht vernachlässigt, letztlich an sich ziehen kann und die anderen Autoritäten keinen autonomen Geschäftsbereich haben. Dies wird bei der Exekutive deutlich, weil deren Haupt als Prime Minister, nicht nur von der Kammer gewählt 182

Vgl. ebd., S. 42, VI/1/1. 183 " a general right of legislation is one of those branches of power, the existence of which may be stated, without much fear of contradiction, as necessary in every political community whatsoever, old established or new established: necessary - if, for short spaces of time, not absolutely to the very being of the state, yet at all times to the -well-being of it." A Plea for the Constitution, Works, IV, S. 254. 184 "Variable at all times, - variable at the pleasure of the Legislature for the time being, - is every article in this and every other code." Constitutional Code, S. 44, VI/1/13. 185 Bentham stellt dies klar, wenn es um die Wortverwendung von "supreme" geht. In jedem Bereich mag es eine oberste Instanz geben, sie alle aber sind der Legislative und der Konstitutive untergeordnet. "Thus may be spoken of a Supreme Administrative, and a Supreme Judiciary·, although, with reference to Supreme Legislature, they are both of them subordinate, as is the Legislative itself to the Constitutive." Ebd., S. 27, IV/7. 186

Ebd., S. 42 f., VI/1/6.

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wird und jederzeit absetzbar ist,187 sondern auch, weil er von Bentham als Diener des Parlamentes definiert wird.188 Eine seiner zentralen Funktionen besteht darin, dass er den wirklichen Willen der gesetzgebenden Versammlung und damit den angenommenen Willen des Volkes ausführt.189 Er hat keinen Sitz im Parlament und kann mit ihm nur schriftlich verkehren, außer er wird einbestellt. Alle anderen Funktionen, die er ausübt, übt er unter Kontrolle bzw. in Bezug auf die Legislative aus. So hat er zwar die Befehlsgewalt über alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, er ernennt, entlässt, befördert oder suspendiert sie, ist oberster Befehlshaber der Streitkräfte, verfügt über ein Informationsrecht gegenüber dem Parlament und ein allgemeines bzw. auch eine spezielles Initiativrecht, kann jedoch alle diese Dinge nur tun, solange ihn die Legislative gewähren lässt. Sein Recht zur Ernennung und Abberufung aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes macht ihn zwar durchaus zu einem faktisch einflussreichen Mann. Prinzipiell aber gilt: "[...] he is at all times subordinate to the majority of the Members of the Legislature in their aggregate capacity [...]."190 Im Gegensatz zum klassischen Typus der parlamentarischen Regierung kann Benthams Prime Minister das Parlament nicht auflösen, sodass auch dieses Mittel der Disziplinierung der Legislative durch die administrierende Exekutive wegfallt. Wenn die These, dass Bentham eine Abschaffung der Politik durch die Verwaltung ins Auge gefasst hat, ein gewisses Recht hat, dann kann sie an der Beschreibung des Amtes des Premiers festgemacht werden. Er, und letztlich alle Minister, haben vor allem dienende Aufgaben in Bezug auf die Legislative.191 Hier findet Politik als Entscheidung statt, während die Regierung diese Entscheidungen vorbereitet bzw. ausführt, ohne dass sie dabei wirklich Politik gestaltet. Regierung ist bei Bentham Administration, aber auch diese soll unter der maximalen Kontrolle der Beherrschten stattfinden. Ein recht ähnliches Verhältnis findet sich im Verhältnis von Legislative und Gerichten. Die Rechtsprechung ist nicht unabhängig von der Gesetzgebung vorstellbar. Die Richter werden samt und sonders von der Legislative berufen und sind absetzbar. Die Funktion der Gerichte ist schlicht die Umsetzung von Rechtsbefehlen der Legislative.192 Dabei kommt, bis auf den Fall einer Anklage gegen einen politischen Funktionär, der 187

Vgl. zur Wahl und Absetzung ebd., S. 157, VIII/8/1. und S. 159, VIII/9/1. Absetzbar ist er natürlich auch durch die Wahlbevölkerung. 188 Das gilt fur alle Minister. Vgl. ebd., S. 147 f., VIII/1/6. 189 "Executive function. Exercise is given to it, in so far as, [...], he gives execution and effect, to any ordinances, emanating, whether immediately or unimmediately, from the Legislature: thus giving corresponding execution and effect to the rightly presumed will of the Constitutive. Ebd. S. 149, VIII/2/3. 190 Ebd., S. 157, VIII/6/2. 191 Die Funktionen der Regierung, in Benthams Terminologie "Ministers Collectively" sind: statistic function, als umfassende Registrierung und Erfassung von Fakten, requisitive function, als Ressourcenbeschaffung nur erlaubt auf der Grundlage von Parlamentsbeschlüssen, inspective function, Kontrolle aller nachgeordneten Behörden, für die die Minister Verantwortung tragen, informative function als Weitergabe von Wissen an den PM und die Legislative, information-elicitative function, als geplantes Sammeln von Informationen, melioration-suggestive function als Verbesserungsvorschläge an den PM. Vgl. ebd., S. 218-295, IX/7-12. 192

Vgl. ebd., S. 26, IV/3 und IV/5.

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Legislative keine rechtsprechende Funktion zu.193 Das bezieht sich aber nur auf den je konkreten Fall, der vor Gericht kommt. Über ihn entscheidet das Gericht, soweit es um die Subsummierung unter die Regel geht - nicht aber über den Sinn der Gesetze. Benthams lebenslange Ablehnung von Richterrecht und "case law" schlägt voll durch, wenn er die Interpretationsfreiheit der Richter auf praktisch Null reduzieren will. Der Richter mag entscheiden, ob es sich im vorliegenden Fall um einen Rechtsbruch handelt. Was er nicht zu entscheiden hat, ist, was ein Recht bzw. einen Rechtsbruch im Kern eigentlich darstellt. Das steht allein dem Gesetzgeber zu. Daher ist eine Entscheidung nach Präzedenzfallen und Gewohnheitsrecht in der Verfassung des Constitutional Code nicht nur ein "[...] acting without reason, to the declared exclusion of reason, and thereby in declared opposition to reason [...]", sie ist schlicht ein Verfassungsbruch.194 Benthams Ziel ist es, eine institutionelle Ordnung zu erreichen, die garantiert, dass letztlich die Rechtsprechung willensidentisch mit der Gesetzgebung ist.195 Das will er deshalb so gestaltet wissen, weil sich sonst die obersten Gerichte ohne jede demokratische Legitimation zum obersten Gesetzgeber aufspielen können und es dann, seiner Meinung nach, fast zwangsläufig zu einem widersprüchlichen und für die Sicherheit hoch riskanten Rechtssystem kommen muss, das nicht konsistent Ausfluss eines Willens ist. Um dies zu verhindern weist er den Gerichten folgende drei Funktionen zu: die Judge 's contested-interpretation-reporting-function, die Judge 's eventually emendative function und die Judge's sistitive function,196 Alle drei Funktionen dienen dazu, die Interpretationskompetenz der Gerichte zumindest in Bezug auf den gesetzgeberischen Willen überflüssig zu machen. Bei der contested-interpretation-reporting-function, geht es, verkürzt gesagt, in einer umgedrehten Variante der konkreten Normenkontrolle darum, dass der Richter, wenn sich ein Rechtsfall auf die Frage, was denn das Gesetz gemeint haben kann, zuspitzt, nicht entscheidet, sondern die Legislative um eine Klarstellung bittet.197 Mit ihr eng verbunden ist die Funktion, in deren Ausübung der Richter eine Ergänzung bzw. bestimmte Klarstellung vorschlagen kann, die eventually emendative function,198 Während nun diese beiden Funktionen eine Art Feed back an die Gesetzgebung auslösen, kommt die dritte Funktion zum Tragen, die als sistitive function, des Gerichts das Verfahren anhält, bis der Gesetzgeber entschieden hat, was denn nun der Wille des Souveräns ist.199 193

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"Neither in non-penal nor in penal cases, does the Legislature act, on any occasion, as an Appellate Judicatory: [...]." Constitutional Code, S. 112, VI/28/9. Vgl. ebd., S. 434, IX/24/49. Seine vernichtende Kritik der Rechtsprechung nach Präzedenzfall basiert im Übrigen auf der Beobachtung, dass diese logisch unterkomplex ist. Sie vergleicht bloß Handlungen, ohne dass sie sich auf ein die Handlungen lenkendes und zugleich richtendes Prinzip beruft. Vgl. ebd., S. 432, IX/25/45. Er drückt das gelegentlich so aus, dass die höchste juridische Kompetenz identisch ist mit der Gesetzgebungskompetenz. Vgl. Bentham to his Fellow-Citizens of France, Works, IV, S. 443. Vgl. Constitutional Code, S. 418, IX/24/5. Vgl. Constitutional Code, Works IX, S. 502 ff., XII/19/1-19. Hier zitiert nach der von Doane bearbeiteten Variante bei Bowring, da noch nicht in den Collected Works. Vgl. Rosen, F., The Constitutional Code: New Version, in: Bentham Newsletter 1979/2, S. 40-44. Vgl. Constitutional Code, Works, IX, S. 504 ff., XII/20/1-28. Vgl. Constitutional Code, Works, IX, S. 508 ff., XII/21/1-22.

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Aus dieser kurzen Darstellung des Verhältnisses der Autoritäten zueinander durfte deutlich geworden sein, was fur eine ungemein herausragende Stellung die Legislative im Denken des späten Bentham einnimmt. Sie ist schlicht das Herz des gesamten Verfassungslebens und insbesondere bei ihr geht es darum, die Konformität zum "greatest happiness principle" festzuschreiben. Sie ist zentraler Agent des Volkes und sein Wächter gegen Übergriffe der administrativen Gewalt. Einige der Mechanismen, die der Constitutional Code dafür vorsieht, dass die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung auch wirklich ihrer Pflicht nachkommen und die Maximierung des Glücks bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten auch wirklich betreiben, haben wir bereits kennen gelernt. Wahl und Abberufung sind hier sicherlich neben einer eventuellen Anklage zentral. Zusätzlich dazu sorgt sich der Constitutional Code um die Anwesenheit der Repräsentanten. Sie dürfen zwar, wie alle Amtsträger, einen Ersatzmann benennen, für den sie aber voll verantwortlich sind,200 erhalten aber beispielsweise keine Entschädigung, wenn sie aus Krankheitsgründen an der Teilnahme von Sitzungen verhindert sind.201 Das liegt schlicht daran, dass ihre Abwesenheit gedacht werden kann als das Fehlen einer Stimme auf der Seite der Vernunft. Das aber ist eigentlich unverzeihlich, da es einer - wie unwahrscheinlich auch immer sie sein mag Durchsetzung sinistrer Interessen dienen könnte. Der Gesetzgeber und der Arzt sind immer im Dienst.202 Bentham legt großen Wert darauf, dass bei allem nötigen Wechsel in der personellen Zusammensetzung der gesetzgebenden Versammlung, der einer Oligarchisierung vorbeugen soll, das Wissen der vorherigen Legislativen nicht verloren geht und trifft daher Vorkehrungen über eine Art institutionalisiertem Altparlamentarier-Gremium.203 Daneben soll auch dafür gesorgt werden, dass systematisch, ohne Mithilfe der Administra-

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Bentham nennt das die "seif suppletive function". Vgl. exemplarisch für Parlamentarier Constitutional Code, S. 59, VI/23/1-2. Die Gesetzgebung ist der wichtigste Akt des gesamten Gemeinwesens. Deshalb tagt die Versammlung täglich - außer an Ferientagen. Der Parlamentarier erhält seine Entschädigung bar auf die Hand am Eingang des Parlaments. Es gilt: "Sick or well, for no day, on which he does not attend, vacation days excepted, does any Legislator receive his pay." Ebd., S. 50, VI/20/4. Vgl. ebd., S. 49, VI/18/2. Er nennt es das "Continuation Committee", das - die Erfahrung des lebenslangen Reformers schlägt hier durch - dafür sorgen soll, dass kein Wissen und vor allem keine begonnenen sinnvollen Vorhaben verloren gehen. Das soll so funktionieren: "[...] each Legislature, antecedently to its outgoing, will elect a Committee, the members of which, - to the number of from {seven} to {twenty-one,} or more, - will, under the name of the Continuation Committee, under the direction of the legislature, apply their endeavours, collectively or individually, in the next succeeding Legislature, to the carrying on of the designs and proceedings of the then next preceding Legislature, in an unbroken thread." Ebd., S. 68, VI/24/1. Die Mitglieder des Komitees haben, da sie nicht vom Wahlvolk gewählt sind, kein Stimmrecht in der neuen Legislative, sehr wohl aber Rede- und Antragsrecht.

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tion oder der Rechtsprechung, der gesellschaftlich nötige Innovationsbedarf gedeckt wird. Auch hierfür wird eine eigene Institution geschaffen.204 Zentral bei all dem bleibt die Rolle des Parlamentariers. Er, der jederzeit abberufen werden kann, soll, so Bentham, über ein freies Mandat verfugen. Es ist, die Struktur seiner Formulierung erinnert geradezu frappierend an Edmund Burke, einer der Garanten für eine Politik des Glücks der Vielen. "Separately or collectively, the Constituents of a Member of the Legislature will, at all times, as such, make to such their deputy what communication they think fit: to his cognitive faculty, to his judicative faculty, or even to his will, it may be addressed. But, in so far as the good of the community taken in the aggregate is the paramount object of his care, no obedience will he pay to any such particular will, to the detriment of what appears to him the universal interest. Paramount to his duty to a part is, on every occasion, his duty to the whole. An engagement, exacted of him by a part, would be an act of insubordination as towards the whole. It belongs not to him to judge, until he has seen or heard. His will is commanded by his judgement, not his judgement by his will. Such contrariety may have place, without detriment of moral aptitude on either side. They may have good reason for dislocating him; he for exposing himself to be dislocated."205

Personale Repräsentation wird so ein institutioneller Mechanismus, der das unmittelbare Durchschlagen der partikularen Interessen zumindest zu bremsen vermag. Ganz verhindern kann sie es, so die anthropologische Grundannahme, kaum. Das freie Mandat ist aber einer der vielen Filter durch die - unter den Bedingungen einer Ordnung, die auf die Außenperspektive vertraut - das rationale Eigeninteresse hindurch muss, bevor es sich auf der Ebene der Politik wirkungsvoll manifestieren kann. Zusammen mit der evolutionären Entwicklung der Konvergenz von Klugheit und Wohlwollen, die von der deontologischen Aufklärung im Medium der weitest denkbaren Öffentlichkeit befördert wird, erlauben politische Institutionen, wie sie der Constitutional Code vorsieht, und das freie Mandat ist nur eine hiervon, eine Politik des größtmöglichen Glücks.

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Das ist dann die "Legislation Enquiry Judicatory". Das sind schlicht nicht mehr und nicht weniger als Enquete Kommissionen. Sie sorgen für die Aufbereitung des nötigen Wissens in bestimmten Bereichen. Der Code verlangt eine rein sachangemessene Besetzung. Vgl. ebd., S. 93, VI/27/1-4. Ebd., S. 43, VI/1/9.

5. Rückblick: Benthams politische Aufklärung

Eine rekonstruierende Lektüre des politischen Denkens von Jeremy Bentham erweist, dass seine Texte als ein wesentlicher Beitrag zur Formierung des modernen politischen Bewusstseins mit all seinen Widersprüchen zu begreifen ist. Bentham geht davon aus, dass wir wenig von den wirklichen Motiven und den wahren Beweggründen menschlichen Handelns im Einzelfall wissen. Wir können zwar beobachten, wie sich unsere Mitmenschen verhalten, müssen aber bei der Zuschreibung von Motiven im je einzelnen Fall immer auch unser eher allgemeines anthropologisches Wissen heranziehen, um zu einer Interpretation zu gelangen. Da wir außerdem vergleichsweise wenig aus der eigenen Beobachtung wissen können, greifen wir notwendigerweise auf die Kommunikation als Quelle eines eher distanzierten Wissens zurück. Aber auch Kommunikation ist auf Grund von vielfachen Verzerrungen durch sprachimmanente Defizite und instrumenteile Täuschung eine zutiefst unsichere Angelegenheit. Aus der doppelten Unsicherheit von Wissen und Kommunikation hilft, so seine Überlegung, letztlich nur eine Besinnung auf die fundamentalen Strukturen menschlicher Willens- und Verstandesleistungen, die wir induktiv durch Erfahrung und Beobachtung gewonnen haben. Auf der Basis dieses problematischen Wissens und unter dauernder Berücksichtigung der Risiken der Kommunikation lassen sich einige anthropologische Erkenntnisse formulieren und politiktheoretisch auswerten. Wenn wir auf die überlebensbedingte Grundausstattung der menschlichen Spezies schauen, so können wir ein selbstinteressiertes Individuum beobachten, das seine eigenen Interessen verfolgt und prinzipiell dazu neigt, sein Wohl dem Wohl anderer Menschen vorzuziehen. Bentham möchte das so verstehen, dass wir es hier mit einer Motivierung von Verhalten zu tun haben, die vormoralisch ist und daher auch von einer exegetischen und nicht-wertenden Ethik beschrieben werden muss. Motive sind sittlich neutral, so lange man sie unter dem Aspekt ihrer handlungsverursachenden Kraft betrachtet und zugesteht, dass Menschen immer nur handeln, weil sie einen für sie selbst angenehmen Zustand herbeiführen und unangenehme Erfahrungen vermeiden wollen. Damit aber wird die Leitdifferenz von "pain" und "pleasure" zur alles dominierenden Orientierung des menschlichen Handelns und Wünschens. Der Mensch muss als ein von zahllosen Außenreizen umstelltes informationsverarbeitendes Wesen vorgestellt werden, das grundsätzlich so handelt, dass es seine Lust vergrößert und Unlust meidet. Es ist dabei vollkommen von seiner Vorstellungskraft und seinem Wissen abhängig, die ihn, aus eigener und fremder früherer Erfahrung abgeleitet, zur Antizipation von Lust

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Aufklärung

und Schmerz befähigen. Was immer handelnd geschieht, hat seine zureichende Wirkursache in einem auf Freude gerichteten Handlungsziel und in der Vermeidung von Schmerz. Auf der Basis dieses Menschenbildes wendet sich Bentham mit aller Schärfe gegen die moralische und rechtliche Überregulierung menschlichen Glücksstrebens. Anstatt den Menschen vorzuschreiben, was sie tun sollen, ist der Moralist aufgerufen hinzuschauen, was sie denn wirklich tun, um glücklich zu werden. Daraus aber, dass Menschen glücklich werden wollen und eigentlich gar nicht anders können, als mit ihrem Handeln ein Gut zu erstreben, ergibt sich zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen den realen Bestrebungen und der wahrscheinlichen Glücksgratifikation. Wollen und Sollen treten schon auf dieser niedrigsten Ebene in ein Spannungsverhältnis, weil sich das Individuum über sein Glück täuschen kann. Bereits das Glückskalkül des rationalen und gar strategisch orientierten Egoisten bedarf der Aufklärung durch einen deontologischen Diskurs, der die Bedeutung von Handlungen und Gütern für das jeweilige Nutzenkalkül an den Folgen aufzeigt. Wo immer eine geringere nahe liegende Freude für eine fernere aber bedeutendere Freude aufgegeben wird, da hat eine Reflexion die direkte Motivierung durch die Außenwelt durchbrochen und der Aufklärung eine Tür geöffnet. Diese Aufklärung aber muss, will sie nicht im moralischen wie auch im rechtlichen Bereich das Glück der größten Zahl schmälern, immer begründen können, warum eine bestimmte Handlung Schaden anrichtet und warum sie daher besser unterbleiben sollte. Aus der Perspektive des handelnden Individuums wird man zusätzlich davon ausgehen müssen, dass es die individuellen Interessen sind, die das Handeln motivieren; man wird aber nicht sagen können, dass dies immer zulasten der anderen Menschen geschieht. Die kulturelle Evolution der menschlichen Gattung hat die zarte Pflanze der Sympathie wachsen und gedeihen lassen. Die Menschen haben gelernt, dass zahlreiche der scheinbar allein auf das Ich bezogenen Interessen nicht auf Kosten der Mitwelt verfolgt werden müssen. Aus einer ursprünglich auf den engsten Familien- und Gruppenkreis bezogenen Fähigkeit zum Mitleid, die unter Bedingungen des modernen Nationalstaats bzw. einer umfassenden Menschheit durchaus noch in ein Spannungsverhältnis mit einer universalen Moralität treten kann, hat sich über den Mechanismus einer gesellschaftlichen Gratifikation von sozial wertvollen Handlungen eine Befähigung zum umfassenden Wohlwollen und Wohltun entwickelt, die die rein selbstbezogene Klugheit ergänzt. Das Individuum empfindet Freude an der Freude des Mitmenschen und leistet einen Beitrag dafür, dass sich ein gesellschaftliches Klima entwickelt, in dem jeder mit der Hilfe seiner Mitmenschen rechnen kann, weil er selbst hilfsbereit war. Bei aller Zuversicht in Bezug auf die Entwicklungsfähigkeit der menschlichen Spezies und ihrer prinzipiellen Aufklärbarkeit bleibt für Bentham jedoch ein im Kern externalistischer Blick auf die menschlichen Dinge durchgehend zentral. Seine moralische und seine politische Theoriebildung geht, da sich zwar evolutionäre Verschiebungen in der moralischen Ökonomie der Menschen ausmachen lassen, sich daraus aber nicht durch einen qualitativen Sprung ein neuer Mensch entwickelt, davon aus, dass die Konformität von Handlungen mit dem Glück anderer Menschen nicht bloß aus der emotionalen Zu-Neigung einer im Grunde immer noch selbst interessierten Person heraus ge-

309 dacht werden kann. Vielmehr stellen sich die Verhältnisse so dar, dass das selbstinteressierte Individuum seine Schranken an den anderen selbstinteressierten Individuen findet. Außensteuerung führt auch hier, indem sie sozusagen die operationalisierte Form der Handlungstheorie darstellt, zur Handlungsmotivation, indem sie Motive vor dem Hintergrund einer Pain-and-pleasure-Orientierung anbietet. So wie wir alle mehr oder weniger präzise den Naturgesetzen Folge leisten, da wir ansonsten in den alltäglichen Lebensvollzügen kaum erfolgreich wären, orientiert sich unser Handeln an künstlichen Gesetzen, die ebenfalls mit einer Sanktionierung von nicht regelkonformen Handlungen drohen. Beobachtet von unseren Mitmenschen und abhängig von deren Wohlwollen und Hilfsleistungen, beteiligen wir uns mehr oder weniger aktiv an der Formung eines allgemein anerkannten Verhaltenskodex' und sind ihm zugleich unterworfen. Die "moral and public sanction" ist als ein weicher Mechanismus, der Ansehen, Respekt und damit auch Unterstützung mobilisiert, die Artikulation einer konventionellen Ethik, von der Bentham annimmt, dass sie sich, je aufgeklärter und freier sie sich im Medium der öffentlichen Meinung ausbilden kann, zunehmend am Prinzip des größten Glücks der größten Zahl ausrichtet. Nur dieses Prinzip ist einer öffentlichen Rechtfertigung vor dem Forum eines universalen Publikums fähig, das sich im Sinne des methodischen Individualismus aus lauter einzelnen selbstinteressierten Menschen zusammensetzt. Man kann sich, auch wenn dies nicht explizit geschieht oder im konkreten Fall falsch angewendet wird, vor solch einem Forum nur auf die Maximierung des Glücks aller und einer Minimierung der Lasten als grundlegende Entscheidungsregel einigen. Moralische Sanktionen allein reichen aber nicht hin für die berechenbare Steuerung menschlichen Handelns. Bentham ist durchgehend von den Phänomenen des Verbrechens und der Strafe fasziniert. Sie sind schon früh für ihn das entscheidende Experimentierfeld seiner externalistischen Ethik und Politik. Das Verbrechen betrachtet er nicht in erster Linie als einen Bruch der rechtlich gesetzten Spielregeln des menschlichen Zusammenlebens, sondern auf der rein deskriptiven Ebene als eine Handlung, mit der ein Mensch versucht sich Glück zu verschaffen. Es handelt sich also um ein von der Pain-und-pleasure-Erwartung bzw. -Befürchtung motivierte Handlung, die erst auf der Ebene der Konsequenzen wirklich schädlich wird. Ein Verbrechen unter Strafe zu stellen und dies noch dazu begründet zu tun, ist für Bentham die Geburtsstunde minimaler politischer Ordnung und rechtlicher Verhältnisse. Die künstlich erzeugte Strafe ist neben der Belohnung ein politisch geschaffenes Instrument zur Steuerung der menschlichen Handlungen. Sie vertraut auf ein jedem Tun vorhergehendes Kalkül der Person, in das sie als stärkeres Motiv eingeht, das die anderen Motive überbietet und so Konformität sicherstellt. Der Gründervater des systematischen Utilitarismus war der festen Überzeugung, dass die präventive Wirkung des Rechts untrennbar mit der Bekanntheit der Regeln und der Straffolgen bei einer Regelübertretung verknüpft ist. Nur hier liegt der Sinn aller Strafe, dass eigentlich nicht gestraft werden soll, da die abschreckende Wirkung motivierend in der Antizipation das Verbrechen verhindert. Bestraft wird nicht, damit vergolten, sondern damit nicht verbrochen wird. Die politisch-legale Sanktion, die die Strafmacht gleichsam verwaltet und anwendet, ist von Bentham zunächst bloß definiert als eine souveräne Gewalt, die alle anderen in-

310

Rückblick: Benthams politische

Aufklärung

nerhalb der Gesellschaft zu überwältigen vermag. Sie entsteht und wird auf Dauer gestellt durch die faktische Akzeptanz von Herrschaft, die sich einem impliziten Nutzenkalkül der Beherrschten verdankt. Sie gehorchen, solange der Nutzen aus der politischen Ordnung größer ist als der Schaden, den sie angerichtet hat, bzw. als der Schaden, den eine Rebellion auslösen würde. Eine andere Rechtfertigung von Herrschaft kann es nicht geben. Ist Herrschaft aber erst einmal entstanden, so durchdringt ihr als Imperativ des Souveräns begriffenes Recht die gesamte Gesellschaft und definiert die bestehenden Verhältnisse als Rechtsverhältnisse. Bürgerliches Recht und Strafrecht sind letztlich nur zwei Fassungen dieser Verhältnisse. Das bürgerliche Recht definiert die Verpflichtungsstrukturen, deren Verletzung dann das Strafrecht mit Sanktionen bedroht. Bentham lehnt jede naturrechtliche Argumentation und damit auch jede transzendente Absicherung von Rechtsregeln und Herrschaftsordnungen ab und setzt an ihre Stelle das Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen sowie eine Theorie der Nicht-Enttäuschung begründeter Erwartungen. Das Kalkül des Glücks ist die einzige vorrechtliche Instanz, die er als Prüfstein allen Rechts akzeptieren will. Es verbietet unter der Voraussetzung, dass die Zufügung von (Verlust-)Schmerzen im Kalkül immer schwerer wiegt als ein möglicher daraus resultierender Gewinn, dass den Individuen zu Gunsten der Mehrheit bewusst und außer in wenigen Ausnahmefallen Schaden zugefügt wird. Sollte dies doch nötig sein, so fordert das Kalkül, wie es in einer auf Wiedergutmachung angelegten Bestrafung des Verbrechers auch geschieht, dass Kompensationen bereitstehen, damit die Glücksverteilung wieder in die Balance gebracht wird. Gefordert ist statt einer naturrechtlichen Fiktion, dass über die Leitvorstellungen von "security", "subsistence", "abundance" und "equality" ein Zustand der innergesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit hergestellt wird, der die Gesamtmenge des Glücks maximiert. Sicherheit ist immer die Sicherheit der glücksuchenden Personen und von glückgewährendem Eigentum, wobei letzteres entweder im Überfluss oder bloß als Existenzgrundlage vorhanden ist. Subsistenz muss aus eigenen oder fremden Mitteln dem Individuum vom Staat garantiert werden. Überfluss und Wohlstand werden grundsätzlich geschützt, da nur sie Quelle der Subsistenz derer zu sein vermögen, die sie nicht selbst erarbeiten können. Auf der Basis der Theorie vom abnehmenden Grenznutzen fasst Bentham eine Güterverteilung ins Auge, in der diejenigen, denen eine Reduzierung ihres Wohlstandes kaum spürbar ist, einen Beitrag für die leisten, deren Glück bereits durch minimale Bereicherung überproportional anwächst. Gleichheit der Verteilung soll dies keinesfalls bedeuten, da die Struktur von Sicherheit für die Individuen dies verbietet. Da aber auch für die Sicherheit des Eigentums immer ein Teil eben dieses Eigentums geopfert werden muss, ist es vertretbar, wenn aus Überfluss ein Beitrag zur Lebenssicherung der Armen abgezweigt wird. Mit Gleichheit ist damit zunächst eine Rechtsgleichheit in Bezug auf die Durchsetzung asymmetrischer Rechte gemeint und eine praktische soziale Gleichheit, die tendenziell redistributiv ist. Hier und an den Stellen, an denen er für eine radikale politische Reform eintritt, geraten Bentham zwei seiner Axiome in Widerspruch. Die Theorie der Nicht-Enttäuschung, die praktisch konservierend wirken muss, widerspricht offenbar der Vorstellung einer egalisierenden Verteilung von Glücksgütern. Bentham umgeht das Problem teilweise

311 dadurch, dass er annimmt, man könne minimale Lasten sogleich auf den gesellschaftlichen Überfluss verteilen, dass die "pain of loss" kaum mehr spürbar ist. Teilweise sucht er aber einen Ausweg über die langfristige Steuerung von Erwartungen, die dann eben gar nicht enttäuscht werden können, wenn der Gesetzgeber sie nicht hat aufkommen lassen oder gar geweckt hat. Ideal scheint ihm der Moment des Todes für eine redistributive Politik, da in ihm alle Erwartungen enden. Was also die Beziehung von Moral, Politik und Recht betrifft, finden wir bei Bentham wesentliche Entsprechungen zu unserer alltäglichen politischen und moralischen Praxis. Ihr Selbstverständnis kann als bürgerlich tolerant bei gleichzeitiger Neigung zur Besitzstandswahrung begriffen werden. Moral dient zur Orientierung einer individuellen Lebensführung, die sich nur noch wenigen Regeln wirklich allgemein verpflichtet fühlt und stattdessen eine Pluralität von Lebensstilen hervorgebracht hat, die sich bestenfalls noch auf das rechtlich garantierte und formale Minimum von Spielregeln des Zusammenlebens einigen können. Veränderungen werden zwar als sachlich notwendig dauernd gefordert, zugleich aber sollen keine unkompensierbaren Opfer entstehen und gerade deshalb können sie nur behutsam gradualistisch durchgeführt werden, um eine Umplanung der Lebensperspektive durch die betroffenen Individuen zu ermöglichen. Was nun die Folgerungen aus diesen Überlegungen für das institutionelle Arrangement der Politik bei Bentham betrifft, so muss zunächst davon ausgegangen werden, dass er sich erst in seiner späten Schaffensphase zum radikalen Verfechter einer repräsentativen Demokratie entwickelt, wenngleich Ansatzpunkte für diese Entwicklung bereits in seinem frühen Denken angelegt sind und in der Verteidigung von Meinungsfreiheit und der Kritik am bestehenden Recht beispielsweise auch immer wieder durchbrechen. Der frühe Bentham setzt auf die Umsetzung des "greatest happiness principle" im Medium eines durchgehend rationalisierten und daher auch begründeten Rechts ohne jeden redistributiven Anspruch. Träger der Rationalisierung ist für ihn noch eine politische Elite, obwohl er von Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit an eine unheilige Allianz von Juristen und Priestern sieht, die sich gegen die Aufklärung und das Glück der Menschen richtet. In seiner Theorie der repräsentativen Demokratie laufen die verschiedenen Stränge der Argumentation zusammen. Bentham argumentiert hier strikt externalistisch, wenn er verlangt, dass eine maximale Kontrolle durch Beobachtung einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber den politischen Amtsträgern statthaben muss, damit Macht nicht zur Selbstbereicherung missbraucht wird. Sein anthropologischer Pessimismus erreicht in den politischen Institutionen, die er im Auge hat, seinen Höhepunkt, weil hier eine Asymmetrie geschaffen wird, die die Neigungen des selbstinteressierten Individuums in einer Form freisetzen, wie das bei den Herrschafitsunterworfenen nie der Fall sein kann. Historisches Lehrstück für diese Behauptung ist ihm die Monarchie, die den Monarchen zur universalen Korruption und Ausbeutung befähigt, da sie ihn außerhalb der Kontrolle durch die Beherrschten stellt. Gegengift gegen eine solch verhängnisvolle Entwicklung kann nur eine Art politischer Panoptizismus sein, der alle politisch relevanten Handlungen ins Licht der Öffentlichkeit bringt und zugleich die Beobachtung des politischen Geschehens an die effiziente Sanktion der Beherrschten bindet. Nur die Bevölkerung als Ganze ist am Wohl des Ganzen interessiert, auch wenn sich in ihr das einzelne Indi-

312

Rückblick: Benthams politische Aufklärung

viduum von dieser Orientierung ausnehmen möchte und seinem privaten Nutzen nachstrebt. Dies aber gilt es, wenn es auf Kosten der anderen geschehen soll, auf allen Ebenen zu verhüten. In allen relevanten Zusammenhängen gilt Benthams Verachtung nicht demjenigen, der zielstrebig seine Interessen verfolgt oder in offener Konkurrenz den Vorteil vor seinen Mitkonkurrenten erlangt. Sie gilt denjenigen, die sich auf Kosten der anderen einen Anteil vom Gesamtglück nehmen, der ihnen weder auf Grund von Leistung noch wegen besonderer Bedürftigkeit zusteht. Interessen, die sich vom Allgemeininteresse abheben und zu Gruppeninteressen bilden, wird es immer geben. Es gilt aber zu verhindern, dass diese Interessen die Macht bekommen, über politische Mechanismen eine besondere Berücksichtigung durchzusetzen. Damit dies ausgeschlossen wird, sollen eine universale Begründungspflicht für alle politischen Maßnahmen und die permanente Abberufbarkeit aller Amtsträger eingeführt werden. Radikale Öffentlichkeit und allgemeine geheime (Ab-)Wahlen dienen auf der politischen Ebene einer Kontrolle von Herrschaft, die die Lehren aus der Anthropologie fruchtbar macht und zugleich weiß, dass der Verrechtlichung politischer Beziehungen enge Grenzen gesetzt sind. Sie schaffen beide ein System in dem die "moral and public sanction", in der nun in Form der "public opinion" der Wille des Volkes sich bildet, die "political and legal sanction" überwacht. Die Frage, ob denn das wählende und sich in der "public opinion" artikulierende Volk überhaupt in der Lage ist, Anwalt des Gemeinwohls zu sein, ob es, mit einem Wort, intellektuell und moralisch überhaupt reif für seine Aufgabe ist, wird von Bentham mit einem eingeschränkten Ja beantwortet. Er geht davon aus, dass - bei allen Defiziten der Individuen - nur die Gesamtheit der Menschen an Rechtsverhältnissen als der Bedingung der Möglichkeit von individueller Glückssuche interessiert sein kann. Jeder will sein eigenes Glück, so wäre die Schlussfolgerung, und nur alle wollen das Glück aller. Das heißt aber, dass sich die überwältigende Mehrzahl der Menschen zumindest darauf wird einigen können, dass in der Form des negativen Glücks Schaden von den Menschen gewendet wird. Eine egalisierende Verteilung der Glückschancen ist damit nicht unbedingt gedeckt. Sie muss evolutionär und aufklärerisch betrieben werden. Was die geistige Eignung betrifft, so ist auch hier der Prozess der Aufklärung nie abgeschlossen. Benthams Erkenntnistheorie und seine Theorie der Kommunikation lassen die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse klar erkennen. Wir wissen in der Tat nie genug, sind aber zugleich prinzipiell durch Erfahrung aufklärbar. Da Interessen immer verzerrend in die Kommunikation hineinwirken und die Medien der Kommunikation den falschen Anspruch einer exakten Abbildung der Realität mit sich führen, befinden wir uns immer und immer wieder vor dem Problem einer tendenziell unabschließbaren Dialektik von Täuschung, Irrtum und Aufklärung. Dieser Prozess ist, solange sich die anthropologische Grundausstattung der Individuen nicht ändert, unabgeschlossen und unabschließbar. Es muss, so Bentham, immer Menschen mit einer starken Gemeinwohlorientierung geben, da sonst die Aufklärung ohne Akteure wäre. Es kann aber nicht damit gerechnet werden, dass Ämter nur von moralischen Helden besetzt werden. Daher soll das Institutionengefüge der repräsentativen Demokratie so geordnet werden, dass das Glück der Menschen zumindest nicht bedroht wird, wenn ganz durchschnittliche und das heißt

313 eben selbstinteressierte Individuen in die wichtigen Ämter der Exekutive und Legislative gelangen. Der Ämtererwerb durch Personen, die ausschließlich an ihre Interessen denken, soll so weit als immer möglich durch Kontrollverfahren ausgeschlossen werden. Dabei darf nie unberücksichtigt bleiben, dass es für Bentham nicht moralisch disqualifizierend ist, wenn sich jemand im Rahmen der Gesetze um sein Glück kümmert. Wer, so Benthams feste Überzeugung, nicht auf „seinen Vorteil" achtet, der ist letztlich gar nicht lebensfähig. Ein politischer Moralismus, der von Politikern verlangt, dass sie bessere Menschen sein sollen, verfehlt jedenfalls das Beziehungsgeflecht von Moral und Politik in der repräsentativen Demokratie vollkommen. An seiner Stelle bietet sich der Utilitarismus als empirisch verankerte Theorie der repräsentativen Ordnung an. Er überspringt nicht die faktische Glücksorientierung der Menschen, sondern klärt sie auf. Ihm sind Moral und Politik nie Selbstzweck, sondern Mittel bei der Verwirklichung von Glück. Gerade weil politische Herrschaft, wenn sie auf Dauer gestellt und effizient sein soll, auf die Gesamtheit des menschlichen Lebensvollzuges durchschlagen muss, ist sie Chance und Risiko für die nach Freude strebenden und Leiden vermeidenden Individuen. Sie ist für die Sicherheit eines „guten Lebens" unverzichtbar und muss zugleich so organisiert sein, dass sie nicht zu einer Gefahr dafür wird. Nur eine repräsentative Ordnung, die damit rechnet, dass das selbstinteressierte Individuum all seine Chancen auch wahrnimmt und für genau diesen Fall auch institutionell vorsorgt, kann dies garantieren. Sie ist für die Menschen eine zutiefst nützliche Ordnungsform, weil sie ihren Nutzenbestrebungen eine Ordnung gibt. Das utilitaristisch begründete Recht ordnet das individuelle Glücksstreben der Bevölkerung so, dass es die minimalen Standards definiert, die jedem seine je eigene Form des Glücks ermöglichen. Es wird in einem Institutionengefüge erzeugt, das den Machtmissbrauch tendenziell unmöglich machen soll und zugleich minimale Kosten verursacht. Im Ergebnis ist Benthams politisches Denken undramatisch. Es will und kann nicht zu deutlich sagen, was denn das Glück der Menschen ausmachen soll. Sie müssen dies immer unter konkreten Umständen selbst entscheiden. Das Prinzip des größten Glücks und die von ihm abgeleiteten sekundären Prinzipien erheben allerdings den Anspruch, dass sie nicht mehr und nicht weniger sind, als die vernünftige Form des universalen Glücksstrebens, die man nicht weiter zu begründen vermag, der aber alle Menschen prinzipiell zustimmen können. In einer wahrhaft nützlichen Ordnung in seinem Sinn sind die Dinge so geregelt, dass nur das verboten ist, was eindeutig Schaden und Schmerz verursacht. Ansonsten gilt, dass man das Glück ungestört lassen soll und darauf vertrauen muss, dass ein erfülltes Leben in den Augen derjenigen, die es leben dürfen, ein Leben mit anderen Menschen und für andere Menschen ist.

Literaturverzeichnis

Jeremy Benthams Schriften Trotz der Problematik einer oft relativ starken redaktorischen Intervention muss John Bowrings Ausgabe von Benthams Werken immer noch als gewichtiger Referenzpunkt jeder Beschäftigung mit Bentham gelten. Zwar wirft die Vielfalt der Texte, die die Collected Works bringen, in manchen Bereichen ein anderes Licht auf Benthams Denken, sie schafft aber genau so, wie die bei Benthamexegeten dominierende Neigung, aus den unendlichen Manuskriptbeständen zu zitieren, keinen wirklich neuen Bentham. Das liegt schon allein daran, dass zahlreiche Stellen, die entweder die neue Ausgabe bringt oder die aus den Handschriften genommen sind, sich in Variationen auch bei Bowring finden. Oft unterscheiden sich die Ausgaben eher in der Anordnung des Textes oder in Formulierungsvarianten als in den Inhalten. Ausnahmen von dieser Regel gelten hier vor allem für Texte, die bei Bowring nicht vorkommen (z.B. Of Laws in General), bei denen er sich selbst als "Autor" gefühlt und die er vollkommen verunstaltet hat (z.B. die Deontology, die aber nicht in die Works aufgenommen wurde) oder aber bei solchen Texten, die der anglikanische Geistliche schlicht unterdrückt hat (z.B. An Analysis of the Influence of Natural Religion).

Inhaltsverzeichnis: Bowring Edition Der Verweis (-») meint die folgende Liste der Texte in den Collected Works und andere Editionen, die anschließend aufgeführt sind. Hier werden allerdings bereits einige Informationen zum Textstatus der in der Bowring Edition veröffentlichten Werke aufgeführt. Bei den in vorliegender Arbeit zitierten Texten ist außerdem, da nicht alle Bände der Works ein Inhaltsverzeichnis aufweisen, die Seitenzahl angegeben. Wenn nur eine Jahreszahl angegeben ist, so handelt es sich um das Datum der Erstveröffentlichung. 1843 steht dabei für eine Erstveröffentlichung durch Bowring, auch wenn die Edition bereits 1838 begonnen wurde. Zwei Zahlen stehen für die bekannte Zeitdifferenz zwischen Abfassung/Druck und Veröffentlichung. Die Zusammenstellung erfolgt nach Ross Harrisson und den CW.

316

Literaturverzeichnis

Bandi Titel An Introduction to the Principles of Morals and Legislation -> CW Essay on the Promulgation of Laws, S. 154-168

MSS/veröffentlicht in 1770ern/ Druck 1780/ publiziert 1789 1843

Essay on the Influence of Time and Place in Matters of Legislation, S. 169-194 A Fragment on Government —> CW

1843

Principles of the Civil Code, S. 297-354

1843

Principles of Penal Law, S. 365-580

1776

1782/1843

Redaktion/Textstatus Bentham in den CW

rückübersetzt aus Dumonts Traités de législation civile et pénale Bowring aus MSS und Traités de législation Bentham Traités de législation civile et pénale und MSS Traités de législation civile et pénale und MSS

Band II Titel

MSS/veröffentlicht

Redaktion/Textstatus

Principles of Judicial Procedure, S. 1-188

1843

Richard Doane

The Rationale of Reward, S. 189-266

1825

Leading Principles of a Constitutional Code for any State, S. 267-274 On the Liberty of the Press, and public Discussion, S. 275-298 An Essay on Political Tactics, S. 299-374

1823

Richard Smith/teilweise Rückübersetzung von Théorie des peines et des récompenses, 1811 (Dumont) Bentham?

1821

Bentham

The Book of Fallacies —> andere Ausgabe Anarchical Fallacies, S. 489-534

1791 teilw./l 816 1824 1789 ff./1816/1843

Bentham/Richard Smith James Mill/Place/Bingham andere Dumont Bentham/Dumont

Principles of International Law, S. 535-572

1843

? Bowring

A Protest against Law-Taxes, S. 573-584

1795

Bentham

Supply without Burden, S. 585-598

1795

Bentham

Tax with Monopoly, S. 599-600

9

9

Jeremy Benthams Schriften Band III Titel

MSS/veröffentlicht

Redaktion/Textstatus

Defence of Usuiy, S. 1-29

1787

Bentham

A Manual of Political Economy, S. 30-84

1843

Bowring

Observation on the Restrictive and Prohibitory Commercial System, S. 85-103 A Plan For Saving all Troubles and Expense in the Transfer of Stock, S. 105153 A General View of a Complete Code of Law, S. 155-210 Pannomial Fragments, S. 211-230 Nomography, S. 231-283

1843

Bowring

-1800/1843

Bowring

1843 1843

Bowring nach Traités de législation civile et pénale R. Smith R. Smith

Logical Arrangements or Instruments of Invention and Discovery, S. 285-295 Equity Dispatch Court Proposal, S. 297-431

1843

R. Smith

1830

?

Plan of Parliamentary Reform, S. 433-557

1817

Bentham

Radical Reform Bill, S. 558-597

1819

Bentham

Radicalism not Dangerous, S. 599-622

1843

1819/1843

?

Band IV Titel

MSS/veröffentlicht

Redaktion/Textstatus

A View of the Hard-Labour Bill, S. 1-36

1778

Bentham

Panopticon; or the Inspection-House und Postscript I/II, S. 37-172 Panopticon versus New South Wales, S. 173-248 A Plea for the Constitution, S. 249-284

1791

Bentham

1802

Bentham

1803

Bentham

1790

Bentham

1790

Bentham

1793

Bentham

Draught of a Code for the Organisation of the Judical Establishment in France, S. 285-304 Benthams Draught, S. 305-406 Emancipate Your Colonies!, S. 407-418.

318 Jeremy Bentham to his Fellow-Citizens of France, on Houses of Peers and Senates, S. 419-450 Papers Relative to Codification and Public Instruction -> CW Codification Proposal

Literaturverzeichnis 1830

? Bentham

1817

Bentham

1822

Bentham

Band V Titel

MSS/veröfFentlicht

Redaktion/Textstatus

Scotch Reform, S. 1-54

1807

Bentham

The Court of Lord's Delegates, S. 55-60

1808

Bentham

1809(1810)

Bentham

1813 1792/1823

? Bentham Bentham

The Elements of the Art of Packing, as applied to Special Juries, S. 61-186 Swear not at all, S. 187-230 Truth versus Ashhurst, S. 231-238 The King against Edmonds and Others, S. 239-252 The King against Sir Charles Wolseley, S. 253-262 Official Aptitude Maximized; Expense Minimized —> CW A Commentary on Mr Humphreys' Real Property Code, S. 387-416 Outline of a Plan of a General Register of Real Property, S. 417-436 Justice and Codification Petitions, S. 427-549 Lord Brougham - Boa Constrictor

1820

Bentham

1820

Bentham

1816/1830

Bentham

1843

?

1832

? Bentham

1829

? Bentham

1831

? Bentham

Band V I Titel Introductory View of the Rationale of Evidence, S. 1-187 The Rationale of Evidence, S. 188-585

MSS/veröfFentlicht 1810/1843 1827

Redaktion/Textstatus James Mill John Stuart Mill

319

Jeremy Benthams Schriften

Band VII Titel The Rationale of Evidence, S. 1-644

MSS/veröffentlicht 1827

Redaktion/Textstatus John Stuart Mill

Band VIII Titel

MSS/veröffentlicht

Chrestomathie -> CW

1817

Fragment on Ontology —> Essay on Logic —> Essay on Language —> Fragments on Universal Grammer -> Tracts on Poor Laws and Pauper Management, S. 359-439 Observations on the Poor Bill, S. 440-459

1843 —> alle CW bzw. and. Ausgabe 1843

Redaktion/Textstatus Southwood Smith

Southwood Smith ? Chadwick

1834

Chadwick

Three Tracts Relative to Spanish and Portuguese Affairs Letters to Count Toreno

1821

Bentham

1822

Bentham

Securities against Misrule

1843

Bowring

Band IX Titel

MSS/veröffentlicht

Redaktion/Textstatus

Constitutional Code I -> CW

1830

Bentham

Constitutional Code II/III, S. 428-646

1843

Richard Doane

Band X Titel Memoirs and Correspondence

M S S/veröffentlicht 1843

Redaktion/Textstatus Bowring

320

Literaturverzeichnis

Band X I Titel

MSS/veröffentlicht

Redaktion/Textstatus

Memoirs including Autobiographical Conversations and Correspondence

1843 Briefwechsel -> CW

Bowring

Jeremy Benthams Schriften

321

Collected Works An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, hrsg. von J.H. Burns/H.L.A. Hart, Oxford (1970) 1996. Of Laws in General, hrsg. von H.L.A. Hart, London 1970. A Fragment on Government, hrsg. von J.H. Burns/H.L.A. Hart, Cambridge 1977. A Comment on the Commentaries and A Fragment on Government, hrsg. von J.H. Burns/H.L.A. Hart, London 1977. 'Legislator of The World', Writings on Codification, Law and Education, hrsg. von Philip Schofield/Jonathan Harris, Oxford 1998. enthält·. Papers Relative to Codification and Public Instruction, S. 3-188. First Lines of a Proposed Code of law for any Nation Compleat and Rationalized, S. 189-243. Codification Proposal, S. 244-384. First Principles Preparatory to Constitutional Code, hrsg. von Philip Schofield, Oxford 1989. enthält: Economy as Applied to Office, S. 1-122. Identification of Interests, S. 123-148. Supreme Operative, S. 149-226. Constitutional Code Rationale, S. 227-332. Deontology, Together with A Table of the Springs of Action an Article on Utilitarianism, hrsg. von Amnon Goldsworth, Oxford 1983. enthält·. A Table of the Springs of Action (incl. Marginals), S. 5-116. Deontology, S. 117-282. Article on Utilitarianism (lange und kurze Version), S. 283-330. Dedacologia, S. 331-344. Hume's Virtues, S. 345-363. Official Aptitude Maximized; Expense Minimized, hrsg. von Philip Schofield, Oxford 1993. enthält·. Defence of Economy against the Right Honourable Edmund Burke, S. 39-94. Defence of Economy against the Right Honourable George Rose, S. 95-156. Observations on Peel's Speech, S. 157-198. Indications Respecting Lord Eldon, S. 199-290. On the Militia - On Public Account Keeping - Constitutional Code, Table of Content, S. 291-304. Appendix A: Postscript Respecting Lord Eldon, S. 305-341. Appendix B: On Retrenchment, S. 342-367. Appendix C: On the Mode of Remuneration, S. 368-392. Chrestomathia, hrsg. von M.J. Smith/W.H. Burston, Oxford 1983. enthält neben Chrestomathia u.a. Essay on Nomenclature and Classification, S. 139-275. Analytical Scetch on the Several Sources of Motion, S. 276-318. Universal Grammer, S. 394-409. Constitutional Code I, hrsg. von F. Rosen/J.H. Burns, Oxford 1983.

322

Literaturverzeichnis

Andere Ausgaben Auto-Icon; or Farther Uses of the Dead to the Living, unklar datierter Privatdruck, deutsch-englisch, hrsg. ν. Michael Hellenthal, Essen 1995. An Analysis of the Influence of Natural Religion (1822), in: Atheism in Britain, Vol. IV, hrsg. von David Berman, Dublin 1996, Seiten nach dem Erstdruck. Offices Against One's Self - Paederasty, ediert von Louis Crompton, in: Journal of Homosexuality, 3/4 und 4/1, 1978. Zitiert nach: http://www.columbia.edu/cu/libraries/events/sw/-bentham-/index.html, 18.06.97. Theory of Fictions, hrsg. von C.K. Ogden, New York 1932. Handbook of Political Fallacies, hrsg. von Harold A. Larrabee, New York 1971.

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Alexanderl. 254 Aristoteles 143, 153 Bacon, F., 36, 46, 102 Bahmueller, Ch.F. 245 Bagehot, W., 91 Beattie, J., 189 Beccaria, C., 13,55,187 Benecke, E., 19,49-57 Berkeley, G., 112 f. Blackie, J.St., 14 Blackstone, W., 20, 85, 108, 132, 217, 221,253 Bolingbroke, Lord, 261 Bowring, J., 12, 23 f., 86, 301, 304 Bringham, P., 147 Burke, E., 271,306 Campos Boralevy, L., 181 Carlyle, Th., 37 Cicero, M.T., 20 Coleridge, S.T., 25,34 Crimmins, J.E., 105 Descartes, R., 123 Dinwiddy, J.R., 158 Doane, R., 304 Domadl, S., 43 Duke of Richmond 71 Dumont, É., 12, 23, 26, 45, 49, 147 f. Earl of Leinster 260 Etzioni, Α., 43

Everett, Ch.H., 212 Fichte, J. G., 48 Filmer, R., 216 Foucault, M., 47,92 Gay, J., 208 Georg III. 283 George I. 136 Goethe, J.W.v., 43,46 Halévy, E., 31,238 Harrison, R., 192 Hart, H.L.A., 212 Hartmann, Ν., 44 Hegel, G.W.F., 46 Helvetius, C.A., 13, 17 Himmelfarb, G., 99 Hobbes, Th., 13 f., 36, 44, 46, 135, 137,215 Höffe, O., 44 Howard, H., 92 Hume, D., 13, 46, 132, 185, 189, 197, 281 Hutcheson, F., 187 ff. Ionescu, G., 18 Jacobs, St., 122 James II. 136 Kant, I., 12, 19, 43 f., 46, 48-56, 162, 187 Katharina die Große 254

330 Koselleck, R., 17 Leibniz, G.W., 17 Linné, C.V., 13,118 Locke, J., 13 f., 20, 36,44, 46, 50, 68, 101, 119, 133 f., 216, 242, 281 Long, D.G., 238, 240 Loughborough, Lord, 154 Ludwig XIV. 142 Lyons, D., 158

Personenverzeichnis

Sidney, Α., 246 Smith, Α., 45, 135, 185, 243, 281 Sombart, W., 47 ff. Swift, J., 126, 140, 208, 261 Taylor, H., 26 Thatcher, M., 43 Tupper, M., 45 Voegelin, E., 218

Maclntyre, Α., 33 f. Mack, M., 16 Macpherson, C.B., 44 Marquard, O., 17 f. Marx, K., 18 f., 44 ff. Merton, R.K., 24 Mill, J., 13,16,26,28-31,42,290 Mill, J.St., 11 f., 19, 23-44, 46, 56, 75, 121, 141 f., 165, 181, 185,212, 253 Mohl, R.V., 43 Newton, I., 13,281,300 Nietzsche, F., 19, 44, 46-49, 180 Oakeshott, M., 27 Philipp, M., 43 Pitkin, H.F., 18 Plamenatz, J., 13, 18 Platon 24, 30 Pope, Α., 208 Popper, K.R., 60 Porphyrius 121 Priestley, J., 13 Rosen, F., 253,301 Sade, de 180 Schelling, E.W.J., 46 Schräder, W., 187 Secor, M.J., 143 Semple, J., 91 f. Shaftesbury, Third Earl of, (Cooper, A.A.), 189

Weber, M„ 197,218 Weiß, U., 60 Whewell, W„ 25 Williford, M., 185 Wundt, W„ 47