Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven [1. Aufl.] 9783823381891


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Table of contents :
Inhalt
Foreword
Didactique des plurilinguismes, enjeux et éthique
Références
Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum
1 Ausgangspunkt und Zielsetzung dieses Buchs
2 Warum Plurale Ansätze?
3 Plurale Ansätze und Fremdsprachendidaktik in Deutschland
4 Potentiale der Pluralen Ansätze für die Unterrichts- und Schulentwicklung in Deutschland
Literatur
Mehrsprachigkeitsdidaktik
1 Fragestellung
2 Grundbegriffe, Theorien und Modelle des Mehrsprachenerwebs
2.1 Grundbegriffe
2.2 Theorien des Mehrsprachenerwerbs
2.3 Modelle des Mehrsprachenerwerbs
3 Begründung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik
3.1 Was ist Mehrsprachigkeitsdidaktik?
3.2 Neurolinguistische und psycholinguistische Grundlagen
3.3 Sprachtypologische und sprachgeschichtliche Grundlagen
3.4 Vorgeschichte einer Mehrsprachigkeitsdidaktik
3.5 Augeswählte empirische Erkenntnisse zum Mehrsprachenlernen
4 Aktuelle Handlungs- und Forschungsfelder
5 Modellierung einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“
5.1 Produktive Fertigkeiten
5.2 Englisch, Latein, Griechisch und weitere Schulsprachen
5.3 Deutsch als Muttersprache / Deutsch als Fremd-/Zweitsprache
5.4 Herkunfts-/Familiensprachen
5.5 Rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache
5.6 Multilingualer Sachfachunterricht
5.7 Transkulturelle kommunikative Kompetenz
6 Fazit
Literatur
Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze (REPA)
1 Einführung
2 REPA und Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen
2.1 Das Konzept der Pluralen Ansätze
2.2 Zur Entwicklung des REPA
2.3 Zur Terminologie Plurale Ansätze - Approches Plurielles im deutschen Kontext
3 Zu den Deskriptoren im REPA: Grundbegriffe und Anfertigung der Listen
3.1 Kompetenz- und Ressourcenbegriff
3.2 Kompetenzen und Ressourcen im REPA
3.2.1 Tabelle mit globalen Kompetenzen
3.2.2 Mehrsprachige und plurikulturelle Ressourcen
3.3 Erstellung der Listen
4 Zum Einsatz der REPA-Deskriptoren von Ressourcen: Möglichkeiten und Anwendungsbeispiele
4.1 Unterricht und Unterrichtsmaterialien
4.1.1 Unterrichtsplanung, -durchführung und –evaluation
4.1.2 Zur Aufgabenanalyse und –entwicklung
4.2 Curriculumsentwicklung
5 Perspektiven
Literatur
Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien
1 Einleitung
2 Einblicke in internationale Entwicklungen
3 Einblicke in Entwicklungen in der Schweiz: Curricula, Lehrwerke und lehrwerksunabhängige oder -ergänzende Materialien
3.1 Bildungskontext Schweiz
3.1.1 Sprachensituation und curriculare Reformen im Sprachenbereich
3.1.2 Variabler Einbezug pluraler Ansätze in die Schweizer Sprachencurricula
3.2 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum Bereich Sprache
3.3 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Sprache
3.4 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum Bereich Kultur
3.5 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Kultur
3.6 Förderung von interkulturellem savoir être (persönlichkeitsbezogene Kompetenzen)
3.7 Implementierung und Lehrpersonenbildung
4 Ausblick
Literatur
Begegnung mit Sprachen / Eveil aux langues
1 Einleitung
2 Eveil aux langues gegen Tradition und für Fortschritt
2.1 Der Fremdsprachenunterricht bewegt sich – von unten
2.1.1 Linguistik oder Pädagogik?
2.1.2 ‘Lerne die Sprache des Nachbarn’ / ‘Apprendre la langue du voisin’
2.1.3 Begegnung mit Sprachen
2.2 Eveil aux langues – Teil der europäischen Sprachenpolitik
2.2.1 Ein kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte des Ansatzes
2.2.2 Eveil aux langues
2.2.3 Kritische Einwände
3 Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
Sitographie
Rezeptive Interkomprehension
1 Zur Geschichte eines Begriffs
2 Interne und externe Abgrenzungen
3 Erste Ansätze und Umsetzung in verschiedenen Projekten
3.1 Interkomprehension als Pluraler Ansatz
3.2 Frühe Ansätze
4 Grundprinzipien der rezeptiven Interkomprehensionsdidaktik
5 Rezeptive Interkomprehensionskompetenz
6 Offene Fragen und Perspektiven
Literatur
Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion
1 Einleitung
2 Grundlagen und interaktionelle Merkmale
2.1 Verhandlung und Ko-Konstruktion
2.2 Soziale Repräsentationen von Sprachen und Völkern
2.3 Entwicklung der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenz
2.3.1 Die sozio-emotionale Dimension
2.3.2 Die kognitive und verbale Dimension
2.3.3 Die sprachliche und kommunikative Dimension
3 Didaktische Nutzung
4 Kritische Betrachtungen
5 Zukünftige Forschungsmöglichkeiten
Literatur
Gesamtsprachencurricula
1 Zur Einführung: Ziele eines Gesamtsprachencurriculums
2 Gesamtsprachencurriculare Konzepte und Ansätze: Begriffe und Definitionen
2.1 Integrative/integrierte Sprachendidaktik und Gesamtsprachenkonzept (seit 1998) in der Schweiz
2.2 Integrierter Ansatz (seit 2002) von Wode
2.3 Von der additiven Mehrsprachigkeit (bis 2005) über die curriculare Mehrsprachigkeit (seit 2005) von Krumm bis hin zum Curriculum Mehrsprachigkeit (seit 2013) von Reich und Krumm
2.4 Gesamtsprachencurriculum (seit 2005) von Hufeisen
2.4.1 Sprachmitteln als weiteres notwendiges Element eines GSC
2.4.2 Zwei- und vielsprachiges Sprachhandeln im Rahmen eines GSC
2.5 Ein weiterer Ansatz: systematischer CLIL-Unterricht (2015) von Surmont et al.
3 Zur Begründung der Sinnhaftigkeit bzw. der Notwendigkeit des systematischen Einbezugs nichtsprachlicher Fächer
4 Zur spracherwerbstheoretischen Rahmung und Begründung
5 Forschung
6 Abschließende Überlegungen
Anmerkung
Literatur
Inter- und transkulturelle kommunikative Kompetenz
1 Historische und theoretische Hintergründe: Fremdsprachendidaktik – Bildungswissenschaften – Kultur- und Kommunikationstheorie
1.1 Geschichte und Gegenwart der Beschäftigung mit (zielsprachigen) Kulturen im Fremdsprachenunterricht
1.2 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz I: Kultur
1.3 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz II: Kommunikation
2 Theorien und Konzepte interkultureller Fremdsprachendidaktik
2.1 Definitionen und Modelle interkultureller kommunikativer Kompetenz
2.2 Konzepte der interkulturellen kommunikativer Kompetenz
3 Modelle interkultureller Lernprozesse in der Fremdsprachenforschung
3.1 Stufenmodelle des interkulturellen Lernens
3.2 Ein hermeneutischer, subjektzentrierter Ansatz: Didaktik des Fremdverstehens
3.3 Mehrdimensionale Ansätze: interkulturelle kommunikative Kompetenz (Byram) und Lernspirale (Deardorff)
3.4 Ein integriertes Modell inter- und transkultureller Kompetenz: Stufen und Dimensionen (Reimann 2011ff.)
3.5 Interkulturelle kommunikative Kompetenz in den Bildungsstandards für das Abitur (2012)
4 Unterrichtspraktische Konsequenzen: Konzepte und Methoden des inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts
4.1 Der Fremdsprachenunterricht als „third place“ / hybrider Raum
4.2 Inter- und transkulturelle Kompetenzziele für den Fremdsprachenunterricht
4.3 Handlungsfelder eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts
4.4 Inhalte eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts
4.5 Methoden eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts
4.6 Evaluation interkultureller Kompetenzen
Literatur
Der REPA – ein Werkzeug zur Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts?!
1 Einführung
2 Die Situation in Schule und Unterricht – jüngere Entwicklungen in puncto Zweisprachigkeit
3 Auf dem Weg zu einem wirklich mehrsprachigen und mehrkulturellen bilingualen Sachfachunterricht
4 Der REPA als Impulsrahmen für die Ausgestaltung von fachlichen Aufgaben im bilingualen Sachfachunterricht
4.1 Konzeptuale Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoirs
Section XI. Evolution des cultures
Section XII. La diversité des cultures
Section XIII. Ressemblances et différences entre cultures
4.2 Methodische Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-faire
Section I. Savoir observer / savoir analyser
Section III. Savoir comparer
Section IV. Savoir parler des langues et des cultures
Section VI. Savoir interagir
Section V. Savoir utiliser ce que l’on sait dans une langue pour comprendre une autre langue ou produire dans une autre langue
4.3 Diskursive Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-être
Section I. °Attention / Sensibilité / Curiosité [intérêt] / Acceptation positive / Ouverture / Respect / Valorisation° relatives aux langues, aux cultures et à la diversité des langues et des cultures
Section II. °Disponibilité / Motivation / Volonté / Désir° pour s’engager dans l’action par rapport aux angues / cultures et à la diversité des langues et cultures
Section III. Attitudes / postures de : questionnement – distanciation – décentration – relativisation
5 Fazit
Literatur
Die Perspektive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen
1 Einleitung
2 Erstausbildung von Fremdsprachenlehrern und das transformative Potenzial der Pluralen Ansätze
3 Die empirische Studie
3.1 Der Kontext: ein spanisches fachdidaktisches Seminar
3.2 Forschungsfragen und der Fragebogen
3.3 Die Teilnehmer: Merkmale des Sprachprofils der Studenten
4 Ergebnisse
5 Zusammenfassung
Literatur
Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext
1 Zu diesem Handbuch
2 Der Begriff Plurale Ansätze und der REPA: ein Weg, die Zersplitterung der mehrsprachigkeitsdidaktischen Bemühungen zu überwinden
3 Mehrsprachigkeitsdidaktik im Deutschunterricht
4 Perspektiven: Auf dem Weg zu einer konkreten Zusammenarbeit
Literatur
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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven [1. Aufl.]
 9783823381891

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Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 12

Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann (Hrsg.)

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland

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Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Herausgegeben von Daniel Reimann (Duisburg-Essen) und Andrea Rössler (Hannover)

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Band 12

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Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann (Hrsg.)

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: [email protected] Printed in Germany ISSN 2197-6384 ISBN 978-3-8233-8189-1

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Inhalt Michael Byram Foreword . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danièle Moore Didactique des plurilinguismes, enjeux et éthique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum 15 Daniel Reimann Mehrsprachigkeitsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Anna Schröder-Sura Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) 79 Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien. Einblicke in aktuelle Entwicklungen mit besonderem Fokus auf die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Jürgen Mertens Begegnung mit Sprachen / Eveil aux langues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Christian Ollivier / Margareta Strasser Rezeptive Interkomprehension. Entwicklung und Perspektiven . . . . . . . . . . 187 Sílvia Melo-Pfeifer Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion. Interaktionelle Merkmale, didaktische Nutzung und Kritiken im Rahmen der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Britta Hufeisen Gesamtsprachencurricula. und andere Ansätze und Konzepte sprachen-, fächer- und jahrgangsübergreifender Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Daniel Reimann Inter- und transkulturelle kommunikative Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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Inhalt

Maik Böing Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) – ein Werkzeug zur Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Sílvia Melo-Pfeifer Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen aus der Perspektive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

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Michel Candelier Nachwort: Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen als fächerübergreifender Begegnungsort im Curriculum – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

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Foreword

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Michael Byram

Raised in a severely monolingual working class family, my first experience of another language than the dialect of English I spoke and the standard English I was learning to write, was the consequence of being selected to a ‘grammar school’. Here on the first day I met Latin and was able to dazzle my parents that evening by reciting ‘amo, amas, amat’ etc. and then on a later day in the first week, I could report on my first French lesson in which we practised the triangle of vowels, including the difficult nasals. A year later, I was allowed to choose German, where the teacher told us it was a masculine language and much better than ‘that feminine language, French’, we had been learning so far. Three foreign languages and three approaches; three quite separate experiences Meanwhile, in English lessons, I improved my written standard English and gradually learnt to speak it, albeit keeping my local accent. For me the working class homoge‐ neity of my primary school had become a heterogeneity of social class, and the privilege of learning foreign languages. Those who were not selected for grammar school were not allowed to learn anything other than standard English, with the emphasis on reading and writing rather than acquiring speaking com‐ petence in this variety, instead of the local dialect. Over the ensuing two generations, heterogeneity of social class has been augmented by that of ethnicity and allegiance to ‘minority’, with the major dif‐ ference that variation in ethnicity usually brings with it variety in languages well before any kind of formal education begins. Yet there has been little change in school curricula in Britain or other parts of Europe. Languages are taught separately, whether ‘foreign’ or ‘national’ and children are all too often expected to change from the language or variety they acquired at home to a standard national language. Exceptions ‘prove the rule’ - where ‘prove’ means ‘test’ - and happily there are exceptions which demonstrate that heterogeneity is increas‐ ingly recognised and catered for, although perhaps not often enough and per‐ haps not systematically enough.

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Michael Byram

The editors and authors of this book have set out to provide the foundation for the systematicity needed to ensure that all learners, whatever their social class and ethnicity, have opportunities, hopefully equal opportunities, to become plurilingual people benefiting from the languages they bring to school and the languages they meet in school, whether ‘national’, ‘minority’, ‘second’, ‘foreign’ or whatever label is used. For the authors recognise that a mis-match between the integrated plurilingualism of learners and the fissiparous multilingualism of curricula is ultimately indefensible. They recognise too the difficulties in making the necessary changes towards ‘plural approaches’: the need for teachers and curriculum designers to change, to change in radical ways which may threaten their identifications as teachers and representatives of a specific language. The editor and authors offer us a plurality of visions of plural approaches, starting with one document but including surveys and analyses of others. They have done so with a focus on Germany, written in German, drawing mainly on German-language research, both conceptual and empirical. This might be seen as a denial of the principal reflection of the book, and yet it is a necessary strategy to ensure an impact on German education. This is a realpolitisch strategy, since education systems remain national - albeit multifarious with 16 Länder in Ger‐ many - and changes are made within national education systems, even if influ‐ ences and stimuli are international. The implicit presence of the Council of Eu‐ rope in the title and explicit references in many of the ensuing chapters is an indication of the combination of the national and the European in Germany. Influences in Germany and the rest of Europe from beyond Europe remain mi‐ nimal, unfortunately. The choice of publishing in German - even though I am encouraged to write in English - has another aspect, too. The dominance of English in the publica‐ tions of the natural sciences, and the prevalence of English in the social sciences are self-evident. The nature of writing in the first is how ever different from that in the second, where variation in concepts from language to language challenge assumptions. ‘Language awareness’ is not for example the same as ‘Eveil aux langues’ and the one can complement but also refine the other. The authors of this book are well aware of this and have provided their readers with the chal‐ lenges and approaches they need. At the same time, the terminology and the discourse have their separate his‐ tories in different education systems. Several authors have recognised this in their careful historical analyses. In some cases - such as the question of ‘inter‐ comprehension/Interkomprehension - the history reveals the intermingling of European and national developments. In other cases, and here the history of Realienkunde, Kulturkunde, Wesenskunde and Landeskunde is the striking

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Foreword

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example, the history of approaches is intertwined with the history of the country. This in turn reminds us that the European perspective on the cultural dimension of language teaching is still decidedly under-developed, although there are recent indications of change in a companion volume to the Common European Framework for Languages. I began with personal history and am ending with general history. I am gra‐ teful to the editors for their invitation to write this foreword and hope I have not abused their invitation by that personal beginning, for it has a significance. Many readers of this book will come to it with their experience of learning separate languages, and have at best learnt, without being taught, to integrate them in their own plurilingualism. They may have to analyse and suspend their beliefs about languages and language teaching to profit from this book, but when they do so they will see a new vision of languages and language teaching better suited to the world in which we live.

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Didactique des plurilinguismes, enjeux et éthique

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Danièle Moore

À l’interface de la didactique des langues et des cultures, de la sociolinguistique éducationnelle et de la politique linguistique éducative, l’ouvrage porté par Sílvia Melo-Pfeifer et Daniel Reimann se centre sur les questions de plurilingu‐ ismes et d’éducation, faisant le point de l’intégration des approches plurielles en contexte germanophone. Il cible l’étude de l’agir plurilingue en contexte d’apprentissage, dans une perspective d’intervention éducative dont les enjeux visent à préparer les apprenants et leurs enseignants à vivre dans des sociétés linguistiquement et culturellement diverses. En ce sens, il s’inscrit dans une éthique de l’éducation plurilingue, qui pose l’hétérogénéité, la variation et la diversité comme caractéristiques essentielles du langage et des cultures, et le plurilinguisme comme expérience, comme com‐ pétence et comme valeur éthique, au fondement d’une formation tout au long de la vie (Beacco & Byram, 2007), inscrite dans la durabilité. L’étude des dynamiques plurilingues, ainsi que les questions de leurs trans‐ positions politiques et didactiques se situe au cœur des différents questionne‐ ments de recherche. Comprendre ces dynamiques appelle la prise en compte de trois axes inter-reliés: 1) l’analyse des pratiques (de classes et dans l’environne‐ ment plus large) et des représentations/croyances et idéologies, dans leurs liens avec les processus d’appropriation; 2) une réflexion d’ordre épistémologique, éthique et politique problématisant la compétence plurilingue et pluri-/inter‐ culturelle; 3) le développement d’une didactique du plurilinguisme contextualisée s’appuyant, comme leviers d’apprentissage, sur les expériences, les connais‐ sances et les pratiques plurielles des apprenants et de leurs enseignants, et pre‐ nant en compte différents processus de croisements et d’intermaillages de langues et de postures inter/alterculturelles comme composantes d’une éduca‐ tion plurilingue et interculturelle visant la transformation des pratiques et l’é‐ volution des idéologies et des représentations, en construisant le plurilinguisme comme atout d’apprentissage et d’enseignement (Grommes & Hu, 2014 ; Moore, 2006).

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Danièle Moore

Dans nos contextes contemporains de grande mobilité, de brassage des po‐ pulations, d’effort d’internationalisation des études et de massification de l’en‐ seignement, le nombre de jeunes et d’adultes éduqués dans une autre langue ou un autre système culturel que ceux de leur socialisation familiale ne cesse d’aug‐ menter et pose aux systèmes éducatifs et à leurs acteurs de nouveaux problèmes de description, d’aménagement et de formation. La gestion de la diversité, de ce fait, constitue un enjeu stratégique prioritaire de la politique linguistique et de l’éducation (Jessner-Schmid & Kramsch, 2015 ; Castellotti & Moore, 2008). Pour ces différentes raisons, l’ouvrage coordonné par Sílvia Melo-Pfeifer et Daniel Reimann porte de nouvelles voix et voies, en proposant, en langue allemande, les perspectives les plus nouvelles en éducation plurilingue, partant des pré‐ supposés théoriques et empiriques ouverts par les approches plurielles en édu‐ cation. L’originalité de cet ouvrage réside dans l’intérêt porté sur les questions de plurilinguismes et d’interculturalité sur différents plans de décision, de planifi‐ cation, d’aménagement, de politiques linguistiques, aux niveaux national, régi‐ onal, des communautés, des commissions scolaires, des écoles, des classes et des familles. Ces recherches s’intéressent en particulier à interroger les enjeux du plurilinguisme pour la construction et la circulation des savoirs, à l’articulation des langues et des disciplines (voir la contribution de B. Hufeisen à ce propos), dans la visée d’une théorisation didactique soutenant le renouvellement de re‐ présentations (voir Melo-Pfeifer dans cet ouvrage) et des pratiques (de classe, de formation, de construction de matériaux didactiques). Au sein de configurations particulièrement complexes et marquées par la pluralité sous toutes ses formes, les recherches présentées visent le renouvelle‐ ment des réflexions et des pratiques pédagogiques autour de l’éducation de tous les enfants, et pose la question de l’engagement des enseignants, des écoles et de l’université. Il s’agit ici d’une zone de développement stratégique de l’édu‐ cation plurilingue et interculturelle, qui articule la recherche relative à l’enseig‐ nement-apprentissage et la formation des enseignants sur le caractère haute‐ ment multilingue et multiculturel des sociétés contemporaines, au sein de situations où ces enseignements constituent des enjeux à la fois politiques et fonctionnels, appuyés sur une demande sociale forte. L’Éducation plurilingue et interculturelle est en ce sens envisagée tout à la fois comme projet de recherche, comme projet social et comme valeur. En créant des espaces de continuités et de rencontres entre les sphères politiques, sociales, familiales et scolaires pour embrasser la diversité croissante des contextes d’appro‐ priation dans lesquels évoluent les apprenants et les personnes, la recherche en didactique du plurilinguisme, dont cet ouvrage fait témoin, renvoie à deux types

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Didactique des plurilinguismes, enjeux et éthique

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de questionnements: celui, d’une part, qui consiste à rendre compte des pratiques hétérogènes d’individus ou de groupes sociaux ; celui qui, d’autre part, soutenant des propositions d’ordre politique aussi bien que didactique, se réfère à la prob‐ lématique du développement et de la mise en place de dispositifs éducatifs et de scénarios curriculaires novateurs, mettant en relation plusieurs langues, cul‐ tures et postures épistémologiques en rapport aux savoirs (Armand et al., 2008 ; Candelier et al., 2012). La conceptualisation de la compétence plurilingue et pluri-/interculturelle (Coste, Moore & Zarate, 1997/2009), en se situant au cœur des questionnements de recherche, joue d’effets de loupe entre différents niveaux d’organisation : macro/supra (nation, état, région), meso (établissement), micro (la classe), et nano (l’individu plurilingue). Dans les perspectives évoquées, l’ouvrage con‐ tribue à questionner comment la compétence plurilingue, envisagée selon une vision holistique, non segmentée, contribue positivement au développement d’une dynamique de transfert des savoirs, des habiletés et des compétences. On interroge en miroir les scénarios didactiques à mettre en place dans les classes et pour la formation des enseignants afin de favoriser le tricotage réfléchi des langues et des univers de référence des apprenants comme leviers d’apprentis‐ sages. Autrement dit, on interroge les conditions didactiques qui permettent de développer et soutenir le plurilinguisme comme atout pour apprendre, et non comme un obstacle; ce qui revient, aussi, à interroger les questions de norme monolingue scolaire, d’insécurité linguistique et d’évaluation. Il s’agit ainsi d’un important défi qu’ont réussi à relever les auteurs, en posant le plurilinguisme comme « patrimoine européen » (Beacco, 2013) et en cherchant à porter au premier plan du paysage didactique « le comprendre, la diversité et la rela‐ tion » (Castellotti, 2017). Références Armand, Françoise / Dagenais, Diane / Nicollin, Laura. 2008. „La dimension linguistique des enjeux interculturels: de l’Eveil aux langues à l’éducation plurilingue”, in: Éduca‐ tion et Francophonie, XXXVl (1), 44-64. Beacco, Jean-Claude. 2013. Éthique et politique en didactique des langues. Autour de la notion de responsabilité, Paris: Didier. Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael. 2007. Guide pour l’élaboration des politiques lin‐ guistiques éducatives en Europe. De la diversité linguistique à l’éducation plurilingue, Strasbourg: Conseil de l’Europe. Candelier, Michel / Camilleri-Grima, Antoinette / Castellotti, Véronique / de Pietro, Jean-François / Lörincz, Ildikó / Meissner, Franz-Josef / Noguerol, Artur /

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Danièle Moore

Shröder-Sura, Anna [avec Muriel Molinié]. 2012. CARAP/FREPA. Un Cadre de Référence pour les Approches Plurielles, Compétences et ressources, Graz: Council of Europe. Castellotti, Véronique. 2017. Pour une didactique de l’appropriation: diversité, compréhen‐ sion, relation, Paris: Didier. Coste, Daniel / Moore, Danièle / Zarate, Geneviève. 1997, 2009. Compétence plurilingue et pluriculturelle, Strasbourg: Éditions du Conseil de l’Europe, Division des Politiques linguistiques. Grommes, Patrick / Hu, Adelheid (eds.). 2014. Plurilingual Education: Policies, Practices, Language Development, Amsterdam: John Benjamins. Jessner-Schmid, Ulrike / Kramsch, Claire. 2015. The Multilingual Challenge: Cross-disci‐ plinary Perspectives, Berlin: Walter de Gruyter. Moore, Danièle. 2006. Plurilinguismes et école, Paris: Didier (Collection Langues et ap‐ prentissage des langues). Moore, Danièle / Castellotti, Véronique (eds.). 2008. La compétence plurilingue: regards francophones, Berne: Peter Lang.

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum

Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann

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1 Ausgangspunkt und Zielsetzung dieses Buchs

Was sind „Plurale Ansätze“? Mit den „Pluralen Ansätzen zu Sprachen und Kul‐ turen“ hat der Europarat seit etwa 2005 ein Konstrukt geschaffen, das versucht, verschiedene Ansätze des sprachsensiblen und sprachenübergreifenden Unter‐ richtens und einer inter- und transkulturellen Sensibilisierung in ein Gesamt‐ konzept mehrsprachiger und mehrkultureller Bildung zu integrieren. Hinter‐ grund sind die Bemühungen des Europarats um Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die Sprachen in ihrer grundlegenden Bedeutung für Kommunikation, inter- und transkulturellen Dialog, sozialen Zusammenhalt und demokratische Bürgerbeteiligung als essentiell erachtet werden. In einem ersten Schritt werden dabei vier „Plurale Ansätze“ unterschieden: Eveil aux langues u.a. im Sinne der Entwicklung von (früher) Sprachbewusstheit und Nutzung der herkunftsbedingten Mehrsprachigkeit innerhalb der Lerngruppen, Interkomprehension, integrative Sprachendidaktik und interkulturelles Lernen. Das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarats hat zudem mit dem Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) ein In‐ strument geschaffen, dessen deutschsprachige Fassung nunmehr veröffentlicht wird. Seine Deskriptoren zu den Bereichen Wissen (savoir, bzw. K wie know‐ ledge), Einstellungen und Haltungen (savoir être, bzw. A wie attitudes) sowie Fertigkeiten (savoir faire, bzw. S wie skills) können eine Hilfe bei der Beurteilung von Lehrmaterialien, aber auch bei der Erstellung von Materialien und in der Curriculumentwicklung darstellen. Der REPA kann mithin für die Schulpraxis vor Ort ebenso wie für die Schulentwicklung und -verwaltung zu einem nütz‐ lichen Instrument werden. Weshalb aber sind die „Pluralen Ansätze“ (ab hier PA) im deutschen Bildungssystem (bzw. den deutschen Bildungssystemen) bisher so wenig rezipiert worden? Auf den ersten Blick scheint es sich um einen etwas vagen, wenig „griffigen“ Begriff zu handeln, der ggf. „nur“ ein neues Schlagwort darstellen könnte. Auch sind sicherlich viele Aspekte dessen, was

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auf internationaler Ebene unter den Vorzeichen der PA diskutiert wurde, in Deutschland auch im Kontext anderer Diskurse bereits verhandelt worden. Dennoch stellt sich die Frage, ob und inwieweit PA als mehrere aktuell virulente Diskurse um Mehrsprachigkeit, sprachsensiblen Unterricht und Inter-/Trans‐ kulturalität vereinendes Konstrukt nicht auch für den deutschen Kontext brauchbar sind. Zentral ist in den PA nämlich neben den Kompetenzen gerade auch das Kon‐ zept der Ressourcen. Darunter wird der gesamte sprachliche und kulturelle Hintergrund verstanden, den Schülerinnen und Schüler mitbringen und in den Unterricht einbringen können – vorausgesetzt, dass die Ressourcen aktiviert werden (vgl. einführend besonders den Beitrag von Anna Schröder-Sura im vorliegenden Band). Solche Ressourcen werden in Zeiten zunehmender Zu‐ wanderung nach Europa immer vielfältiger, so dass PA auch als eine Option für die Schulentwicklung in von Migration geprägten Gesellschaften insgesamt gelten können. Ressourcen können in der Konzeption der PA aber auch im Un‐ terricht entwickelt werden. Ein Grund für die bisher wenig weitgreifende Rezeption der PA in Deutsch‐ land könnte auch in den Schulsystemen selbst begründet sein, die sich noch immer häufig über Einzel-Fachlichkeit mehr denn über Interdisziplinarität de‐ finieren. Letztendlich spricht man zum Beispiel von „Englischunterricht“ oder „Französischunterricht“ und trennt somit die disziplinären Inhalte voneinander, nicht zuletzt scheint die Bezeichnung der Fächer als jeweilige Einzelsprachen mögliche Begegnungen zwischen Sprachen und Kulturen zunächst auszuklam‐ mern (vgl. Araújo e Sá / Melo-Pfeifer 2015; Schröder-Sura / Melo-Pfeifer 2017; Vetter 2013). Zu den PA zählen, wie oben erwähnt, die interkulturellen Ansätze, die Be‐ gegnung mit Sprachen (l’Eveil aux langues), die Integrative Sprachendidaktik in unterschiedlichen gelernten Sprachen und die Interkomprehension (Cande‐ lier et al. 2012). In einer ihrer meistverbreiteten Bedeutungen kann Interkom‐ prehension als ein PA definiert werden, der Strategien der Übertragung einsetzt, die auf die Rezeption mündlicher und schriftlicher Texte in Sprachen derselben linguistischen Familie abzielen (Meissner 2010). In einer breiteren und komple‐ xeren Perspektive ist Interkomprehension in einer dreifachen inter-, inner-, und trans-familiären Perspektive in Betracht zu ziehen (Degache & Melo 2008). In‐ terkomprehension kann weiterhin auch aus einer interaktionalen Sichtweise heraus verstanden werden, in der die Gesprächspartner, basierend auf konver‐ sationellen Verhandlungsstrategien, während einer mehrsprachigen Interaktion die Bedeutung mitgestalten und konstruieren. Die Begegnung mit Sprachen (l’Eveil aux langues) mobilisiert alles Erlebte und alle Sprachrepertoires von

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Kindern, um Aufgaben vor allem spielerisch, metakognitiv, metalinguistisch und metakommunikativ zu entwickeln (Candelier 2007). Die integrative Sprachen‐ didaktik in unterschiedlichen gelernten Sprachen zielt darauf ab, linguistische, curriculare und prozedurale Synergien im Kontext des Sprachenlehrens in der Schule zu schaffen und rentabel zu machen, indem versucht wird, ein linguis‐ tisches Spiralcurriculum zu entwickeln, bei dem das gesamte Sprachenlernen an der Entwicklung einer Lernerbewusstheit beteiligt ist. Schließlich zielt der in‐ terkulturelle Ansatz, auf die Entwicklung von Einstellungen, Wissen und Kom‐ petenzen in Bezug auf kulturelle Vielfalt ab (vgl. z.B. Byram 1997). Allerdings beschränkt sich der kulturelle Ansatz nicht auf die Behandlung kultureller Viel‐ falt, sondern integriert auch Problematiken im Zusammenhang mit sprachlicher Diversität. Ziel dieses Buch, ist den Stand der Implementierung der PA in schulischen Kontexten und Lehrerausbildung im deutschsprachigen Raum (mit Beiträgen aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz, wo PA bislang stärker rezipiert wurden) zu erfassen, Engpässe in diesen Bereichen zu identi‐ fizieren und nach Möglichkeit Anregungen zu deren Überwindung zu liefern. Die PA zielen nämlich darauf ab, bestmöglich die vorhandenen mehrsprachigen und multikulturellen Ressourcen jedes Lernenden zu berücksichtigen, um sie emotional und kognitiv beim Erlenen einer neuen Sprache gewinnbringend einzusetzen. Sie sind didaktische Ansätze für das Lehren und Lernen von Spra‐ chen, welche das Potential von Vorkenntnissen mehrerer Sprachen und Kul‐ turen umzusetzen versuchen (Candelier 2008; De Pietro & Gerber 2015). Die mehrsprachigen und kontrastiven PA stellen daher eine strategische und me‐ thodische Option dar, um den „monolingualen Habitus“ in der Schule (Gogolin 2008), insbesondere auch im Fremdsprachenunterricht in sprachlich hetero‐ genen Gruppen, durch die Ausrichtung auf die reflexive Dimension und die Entwicklung eines linguistischen Bewusstseins (Kniffka & Siebert-Ott 2007) zu überwinden. 2 Warum Plurale Ansätze?

Aufgrund ihres flexiblen und komplexen Charakters können wir folgende An‐ merkungen in Bezug auf PA machen: – die PA erfassen Sprachen durch eine unbegrenzte, übergreifende Vision, die ihre Beziehungen (Ähnlichkeiten, Besonderheiten, Kontaktpunkte, continua, Mischungen, etc.) hervorhebt; – die PA sind ein zentrales didaktisches Instrument für die Umsetzung der Mehrsprachigkeitsdidaktik, indem sie einen konzeptionellen Rahmen und

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konkrete methodische Anregungen für alle Schülerinnen und Schüler sowie für die Integration mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler bieten; – die PA haben aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf sprachliche und kulturelle Ressourcen von Schülerinnen und Schülern stützen und auf die Erweiterung dieser Repertoires abzielen, retrospektive und prospektive Ziele; – die PA sind nicht immer leicht voneinander zu unterschieden (Candelier 2008, Gajo 2008) und wir könnten uns flexiblere Artikulationen zwischen ihnen vorstellen, wie die „integrierte Interkomprehension“ (Fonseca & Gajo 2016; Pietro 2014); – die PA können über den Rahmen des Fremdsprachenunterrichts hinaus‐ gehen und im gesamten Schulsystem als Teil eines fächerübergreifenden Ansatzes für die Entwicklung sprachsensibler Curricula verwendet werden (vgl. z.B. Benholz/Frank/Gürsoy 2015); folglich wären mehrspra‐ chige Ansätze eine Angelegenheit aller Lehrkräfte, die mit Lernenden anderer sprachlicher Repertoires als der Schulsprache in Kontakt kommen. Abgesehen davon sind die Vorteile verständlich, die mit der Integration von PA in Kontexten verbunden sind, in denen der Erwerb der Unterrichtssprache un‐ verzichtbar ist: „Einerseits erkennen wir, durch ihre [sc. der PA] Einführung, linguistische und kul‐ turelle Repertoires von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an und bieten ihnen Orientierungen auf einer Meta-Ebene, die ihnen eine individuellere und respektvollere Entwicklung ihrer eigenen sprachlichen Wege und Biographie er‐ lauben. Durch die Anerkennung einer „sprachlichen Vergangenheit“ bieten PA eine „mehrsprachige Zukunft“ (Schröder-Sura / Candelier / Melo-Pfeifer im Druck1).

Und nach den gleichen Autoren: „Die Integration der linguistischen Vielfalt im Unterricht [einer L2, aber auch von Fremdsprachen] würde es somit ermöglichen, von der Exklusion (oder gar einem „Negationismus“) oder von einem gewissen Paternalismus gegenüber sprachlicher

1

Im Original: «D’un côté, à travers sa mise en place, on reconnait les répertoires lingu‐ istiques et culturels des élèves issues de l’immigration et on leur offre des points de repère du type «méta», leur permettant une appropriation plus individualisée et plus respectueuse des trajectoires et biographies langagières. Reconnaissant un «passé lin‐ guistique», les AP offrent un «futur plurilingue». (Schröder-Sura, Candelier & Melo-Pfeifer, sous presse).

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und kultureller Vielfalt zu einer Unterrichtsgestaltung überzugehen, die sich nicht am „defizitären“ Kind, sondern am Kind, das mit wertvollen Ressourcen ausgestattet ist, orientiert – oder, mit anderen Worten, eine immer noch weit verbreitete Ideologie aufzugeben, die eine Monolingualisierung des mehrsprachigen Kindes empfiehlt“ (Schröder-Sura / Candelier / Melo-Pfeifer im Druck2).

PA können also als ein Lösungsansatz fungieren, um Fragestellungen der ´tra‐ ditionellen´ Mehrsprachigkeitsdidaktik, die auf eine Vernetzung von Schul‐ fremdsprachen zielt, mit aktuell viel diskutierten Fragen der Schule in mehr‐ sprachigen Gesellschaften zu verbinden (vgl. z.B. zur Lehrerbildung für die mehrsprachige Gesellschaft Benholz et al. 2017). Weshalb haben also die PA, die im europäischen Kontext auf höchster Ebene – v.a. auch am Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats – schon seit über einem Jahrzehnt ent‐ wickelt werden, in Deutschland bisher so wenig Widerhall gefunden? Mögliche Gründe versucht der folgende Abschnitt zu reflektieren, um sodann anzudeuten, worin die besonderen Chancen der PA für die Entwicklung des (Fremdspra‐ chen-) Unterrichts in Deutschland bestehen könnten. 3 Plurale Ansätze und Fremdsprachendidaktik in Deutschland

Der Fremdsprachenunterricht und die Fremdsprachendidaktik in Deutschland haben sich seit den 1990er Jahren grundlegend weiterentwickelt. Die aktuelle Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts lässt sich, nach heutigem (Er-) Kenntnisstand, in Anlehnung an Frank G. Königs (Königs 1991) und Marcus Reinfried (z.B. Reinfried 2001, Reinfried/Volkmann 2012 und zuletzt Reinfried 2017a und b) am treffendsten als „neokommunikativ“ benennen, wodurch die Fortschreibung des kommunikativen Paradigmas unter leicht geänderten Vor‐ zeichen bezeichnet werden kann. Zu weit hat sich der Fremdsprachenunterricht insbesondere seit der Jahrtausendwende (vgl. die Publikation des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen im Jahr 2001, der für die fremd‐ sprachlichen Bildungsstandards 2003ff., mithin für jeglichen Fremdsprachen‐ unterricht in der Bundesrepublik maßgeblich ist) vom kommunikativen Para‐ digma der 1970er Jahre entfernt bzw. weiterentwickelt, als dass man noch immer 2

Im Original. « Ainsi, l’intégration de la diversité linguistique en cours [de L2, que nous élargissons ici aux LE] permettrait de passer de l’exclusion (voire d’un « négation‐ nisme ») ou d’un certain paternalisme vers la diversité linguistique et culturelle à un travail didactique articulé autour, pas de l’enfant « déficitaire », mais de l’enfant em‐ preint de ressources valables. Ou, dit d’une autre façon, d’abandonner une idéologie encore assez répandue qui prône la monolinguisation de l’enfant plurilingue ». (Schröder-Sura, Candelier & Melo-Pfeifer, sous presse).

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von demselben „kommunikativen“ Fremdsprachenunterricht sprechen könnte. Zugleich wird das Grundanliegen der „kommunikativen Methode“, die kom‐ munikative Kompetenz (vgl. z.B. zur Grundlegung Hymes 1972, in der deutschen fremdsprachendidaktischen Debatte Piepho 1974) keineswegs in Frage gestellt – ja der „neokommunikative Fremdsprachenunterricht“ schreibt diese unter veränderten Vorzeichen fort und setzt sie im Sinne der Kompetenzorientierung konsequent um. Distinktive Merkmale, durch die sich ein neokommunikativer Fremdsprachenunterricht vom Unterricht der kommunikativen Methode der 1970er Jahre unterscheidet, sind nach Reinfried (2001 und 2012) Lernerorien‐ tierung, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit, Prozessorientierung, Inter‐ kulturalität und fächerübergreifendes Lernen einschließlich Mehrsprachigkeits‐ didaktik. Reinfried 2001 gliedert letztere in drei Teilbereiche: „interlinguale Koordination des Sprachinputs“, „interlinguale Lernstrategien“ und „kontras‐ tive Sprach- und Kulturbewusstheit“ (Reinfried 2001, 10). Aus heutiger Sicht könnte man vom erweiterten Konzept einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ sprechen (vgl. z.B. Reimann 2016), die Diskursfelder Interkulturalität um Trans‐ kulturalität (z.B. Reimann 2013, 2017) und Schülerorientierung um Differenzie‐ rung und Inklusion erweitern sowie Aufgaben- und Standardorientierung, Mul‐ timedialität, Kognitivierung und Metakognition, die implizit teilweise bereits in Reinfried (2001) und Reinfried/Volkmann (2012) angelegt sind, ergänzen (vgl. Reimann 2014, bes. 90f., 2015). Marcus Reinfried selbst hat die inzwischen auch virulente Diskussion um eine „Inhaltsorientierung“, die der offensichtlichen Gefahr einer inhaltlichen Verflachung des Fremdsprachenunterrichts bei allzu ausgeprägter Konzentration auf die Vermittlung der leicht messbaren funktio‐ nalen kommunikativen Kompetenzen gefolgt ist, als Charakteristikum des ne‐ okommunikativen Fremdsprachenunterrichts hinzugefügt (Reinfried 2017b, bes. 79). In einer Zeit, die in der anglophonen Forschung nicht zu Unrecht – aber sehr vage – bisweilen mit dem Etikett „post-method condition“ versehen wird (vgl. bereits Stern 1983), scheint es sinnvoll, nicht von einer etwaigen „neokom‐ munikativen Methode“, sondern, in teilweise Anlehnung an Königs 1991, von einer „neokommunikativen Phase“ des Fremdsprachenunterrichts zu sprechen und diese in Integration der Ansätze von Marcus Reinfried (2001, 2012, 2017) und Ergänzungen in Reimann 2014 und 2015 wie folgt darzustellen:

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– kommunikative Kompetenz

seit den 1970er Jahren

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– Schülerorientierung – Differenzierung inkl. Jungenförderung(*) – Inklusion(*) – – – –

aufgeklärte* Mehrsprachigkeit Inter- und Trans*kulturalität Handlungsorientierung Ganzheitlichkeit

– Inhaltsorientierung** – fächerübergreifendes Lernen einschließ‐ lich bilingualer Sachfachunterricht

seit den 1990er Jahren verstärkt seit etwa 2000

– Aufgabenorientierung(*) – Standard-Orientierung* – Kognitivierung* – Metakognition(*) – Multimedialität* Ergänzungen Reimann 2014f. Ergänzung Reinfried 2017a, b (*) implizit bereits in Reinfried 2001 und Rein‐ fried/Volkmann 2012 (z.B. s.v. Lerner- und Prozessorientierung, Ganzheitlichkeit bzw. Prozessorientierung teilweise explizit oder implizit erfasst) *

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Tatsächlich hat der Begriff „neokommunikativer Fremdsprachenunterricht“ durch die von Marcus Reinfried verfassten Kapitel zur Geschichte und Gegen‐ wart des Fremdsprachenunterrichts in der überarbeiteten Neuauflage der Fach‐ didaktik Französisch (Nieweler 2017) auch Einzug in die Handbuch-Literatur gefunden (Reinfried 2017a, bes. 72f. und 2017b, bes.74). Man sieht an dieser kurzen Zusammenschau zu jüngeren Entwicklungen des Fremdsprachenunterrichts und zu aktuellen Fragestellungen der Fremdspra‐ chenforschung in Deutschland, dass einige Aspekte, die in den PA zentral sind – etwa Schülerorientierung und Inklusion bezogen auf sprachliche Heteroge‐ nität, (aufgeklärte) Mehrsprachigkeit, inter- und transkulturelles Lernen, Ganz‐ heitlichkeit, fächerübergreifendes Lernen und metakognitive Kompetenz – in der deutschen Fremdsprachendidaktik durchaus rezipiert, beforscht und auch in die Praxis umgesetzt wurden, selten aber unter anderen Vorzeichen der PA. 4 Potentiale der Pluralen Ansätze für die Unterrichts- und Schulentwicklung in Deutschland

Es scheint, als sei der deutsche Diskurs im internationalen Vergleich bezüglich der PA zugleich zurück (bisher weitgehend ausgebliebene Rezeption) und in gewisser Hinsicht auch voraus (z.B. frühe und differenzierte Entwicklung mehr‐ sprachigkeitsdidaktischer Ansätze seit den 1990er Jahren). Worin bestehen also die Potentiale der PA für Schule und Fremdsprachendidaktik in Deutschland? Warum könnte es sich lohnen, aus Sicht der Unterrichts-, ja vielleicht sogar der Schulentwicklung, die PA stärker zu berücksichtigen? Ein zentraler Grund ist sicherlich in dem integrierenden Ansatz zu sehen, der Diskurse, die in den deutschsprachigen Forschungscommunities teilweise an verschiedenen Stellen geführt werden (etwa früher Fremdsprachenunterricht, Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik, interkulturelle Didaktik, um nur einige Beispiele zu nennen), unter den Vorzeichen der mehrsprachigen und mehrkulturellen Bildung vereint. Zugleich stellt der REPA ein sehr differenziertes Instrument gerade auch zur langfristigen Festlegung von Lernzielen, zur Unterrichtsplanung, zur Klassifizierung und Be‐ urteilung bestehender Lehr-/Lernmaterialien und als Rahmen für die Entwick‐ lung und Erstellung von Lernmaterialien und Curricula dar. Nicht zuletzt nimmt der Ansatz des Eveil aux langues, im vorliegenden Band von Jürgen Mertens vorgestellt, eine für die deutsche Fremdsprachendidaktik weitgehend neue, in‐ tegrierende Perspektivierung auf Ansätze wie frühes Fremdsprachenlernen, Mehrsprachigkeitsdidaktik gerade auch im Primarbereich und sprachensen‐ siblen Unterricht vor.

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Der vorliegende Band versucht, zwischen bestehenden Ansätzen der deut‐ schen Fremdsprachenforschung und den PA zu vermitteln, um zu einer inten‐ siveren Rezeption der PA und des RePA anzuregen. Dabei wird in der deutschen Fremdsprachendidaktik Vorhandenes und im Sinne der PA für die deutschen Schulsysteme zu Ergänzendes und möglicherweise zu Integrierendes zusam‐ mengetragen, um einen Vorschlag der PA für das deutsche Schulwesen zu un‐ terbreiten. Daher werden neben Kapiteln zu den vier PA im vorliegenden Band in je einem eigenen Abschnitt auch mehrsprachigkeitsdidaktische Diskurse all‐ gemein, Gesamtsprachencurricula und vergleichbare Entwürfe sowie der bilin‐ guale Sachfachunterricht als in Deutschland intensiv reflektierte, vom Grund‐ anliegen verwandte Konzepte betrachtet. In den einzelnen Kapiteln befasst sich Daniel Reimann mit Geschichte und Ausprägungen der Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik, Anna Schröder-Sura stellt den Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) vor, während Mirjam Egli Cuenat, Barbara Gros‐ senbacher, Brigitte Gubler und Gwendoline Lovey Lehrwerke und Lehrmateri‐ alien vor dem Hintergrund des REPA aus Schweizerischer Perspektive be‐ trachten, wo die PA bisher intensiver rezipiert wurden als in Deutschland. Jürgen Mertens untersucht den Ansatz des Eveil aux langues. Es schließt sich ein Beitrag über verschiedene Diskurse zur Entwicklung interkultureller Kom‐ petenzentwicklung an (Daniel Reimann), gefolgt von zwei Beiträgen zur Inter‐ komprehension mit verschiedenem Fokus: Während Christian Ollivier und Margareta Strasser Interkomprehension im traditionellen rezeptiven Ver‐ ständnis beleuchten, befasst sich Sílvia Melo-Pfeifer mit Aspekten der Inter‐ komprehension innerhalb mehrsprachiger Interaktion. Britta Hufeisen wie‐ derum reflektiert „Gesamtsprachencurricula und andere Ansätze und Konzepte sprachen-, fächer- und jahrgangsübergreifender Art“, bevor Maik Böing den REPA aus der Perspektive des bilingualen Sachfachunterrichts am Beispiel des deutsch-französisch bilingualen Geographieunterrichts untersucht. Im letzten Beitrag des Hauptteils dieses Bandes stellt Sílvia Melo-Pfeifer eine Befragung von Lehramts-Studierenden der romanischen Sprachen zu den PA an der Uni‐ versität Hamburg vor. Der Band wird von zwei Vorworten von Michael Byram und Danièle Moore eingeleitet und von einem ausführlichen Nachwort von Mi‐ chel Candelier abgerundet. Der französische Germanist, der das Konzept der PA eingeführt und entwickelt hat, untersucht hier noch einmal kritisch die ver‐ schiedenen Forschungstraditionen und Ansätze und plädiert für einen integra‐ tiven Ansatz der PA für Deutschland als einem „fächerübergreifenden Bild‐ ungsort“ – ein Plädoyer, dem wir uns nur anschließen können. Die Publikation ist in einer beinahe vierjährigen Arbeit an den und mit den PA seit Ende 2014 entstanden, als wir die Diskrepanz zwischen dem deutsch‐

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sprachigen (hier insbesondere dem deutschen) und dem internationalen Diskurs über die PA in dieses handbuchartige Projekt zu überführen beschlossen haben. In der Zwischenzeit haben wir viele Gespräche über die PA mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen geführt, und haben aus diesen Gesprächen, vor allem aber auch im Dialog mit den Autorinnen und Autoren, die bereit waren, für dieses Projekt einzelne Kapitel beizusteuern, zahlreiche neue Erkenntnisse er‐ langt. Ist auch der institutionelle und fachliche Ausgangspunkt unserer Refle‐ xionen zunächst die Fremdsprachenforschung romanistischer Provenienz, so hoffen wir, mit diesem Band auch den Kolleginnen und Kollegen an Schule und Hochschule in DaF/DaZ, Anglistik, Slavist, Niederlandistik, Sinologie usw. Ma‐ terial und Denkanstöße an die Hand geben zu können. Zwischenzeitlich haben im Rahmen dieses Projekts auch Multiplikationsveranstaltungen für Lehrkräfte an Schule und Hochschule und für Fremdsprachendidaktiker in Kooperation mit dem Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats in Essen (2017 und 2018) und in Hamburg (2018) stattgefunden, die eine große Resonanz gerade auch von schulischer Seite zeitigten. Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, für diesen Band zahlreiche ausgewiesene Autorinnen und Autoren zu ge‐ winnen, die ihre umfassende Expertise in dem jeweiligen Bereich einbringen konnten. Wir danken ihnen an dieser Stelle ganz herzlich, dass sie die Zeit erü‐ brigt haben, jenseits des schulischen bzw. hochschulischen Alltags und des Ta‐ gungsbetriebs für diesen Band teilweise sehr umfassende Kapitel beizusteuern. Ganz besonders danken wir auch Anna Schröder-Sura und Michel Candelier für ihre zahlreichen Anregungen. Weiterhin danken wir auch Hannah Neitzel, M.Ed. und Dr. Manuela Franke (beide Universität Duisburg-Essen) für ihre Un‐ terstützung bei der Redigierung und Layoutierung des abschließenden Manu‐ skripts, und, schlussendlich, dem Verlag Gunter Narr, hier vertreten vor allem durch die für uns zuständige Redakteurin Kathrin Heyng, M.A., für die hervor‐ ragende verlagsseitige Betreuung. Hamburg und Essen, im April 2018 Literatur Araújo e Sá, Maria Helena & Melo-Pfeifer, Sílvia. 2015. „Représentations de futurs pro‐ fesseurs de Langues Romanes par rapport aux approches plurielles“, in: Mantesanz del Barrio, María (edd.): La enseñanza de la intercomprensión a distancia. Madrid: Univer‐ sidad Complutense de Madrid 77-97. Benholz, Claudia / Frank, Magnus / Gürsoy, Erkan (edd.). 2015. Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern: Konzepte für Lehrerbidlung und Unterricht. Stuttgart: Fillibach bei Klett.

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Benholz, Claudia / Reimann, Daniel / Reschke, Maren / Strobl, Jan / Venus, Theresa. 2017. „Sprachbildung und Mehrsprachigkeit in der Lehrerbildung – eine Befragung von Lehramtsstudierenden des Zusatzzertifikats „Sprachbildung in mehrsprachiger Ge‐ sellschaft“ an der Universität Duisburg-Essen”, in: Zielsprache Deutsch 44, 1, 5-36. Byram, Michael. 1997. Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon: Multilingual Matters. Candelier, Michel. 22007. „Awakening to languages and Language policy”, in: Cenoz, Ja‐ sone & Hornberger, Nancy (edd.): Encyclopedia of Language and Education, Vol 6. Knowledge about Language. Heidelberg: Springer-Verlag, 219-232. Candelier, Michel. 2008. Approaches plurielles, didactiques du plurilinguisme: le même et l’autre. Cahiers de l’ACEDLE, 5, 65-90. Candelier, Michel et. al. (edd.) 2012. Le CARAP – Un Cadre de Référence pour les Approches plurielles des langues et des cultures – Compétences et ressources. Strasbourg: Conseil de l’Europe. Consulté en mars 2017 : http://carap.ecml.at/. Degache, Christian / Melo, Sílvia. 2008. „Un concept aux multiples facettes“, in Les Langues Modernes: L’Intercompréhension, 1, 7-14. De Pietro, Jean-François. 2014. „Des approches plurielles, oui, mais combien ?“, in: Troncy, Christian et. al. (edd.). Didactique du plurilinguisme – Approches plurielles des langues et des cultures – Autour de Michel Candelier. Rennes: PUR, 227-238 De Pietro, Jean-François / Gerber, Brigitte (edd.). 2015. Les approaches plurielles des langues et des cultures, Babylonia, 2. Fonseca, Mariana / Gajo, Laurent. 2016. „Apprendre dans le plurilinguisme : contact, intégration et alternance de langues en intercompréhension intégrée“, in: Domínios de Lingua@gem, 10 (4), 1481-1498. Gajo, Laurent. 2008. „L’intercompréhension entre didactique intégrée et enseignement bilingue“, in: Grin, François / Conti, Virginie (edd.), S’entendre entre langues coisines: vers l’intercompréhension, Genève: Georg, 131-150. Gogolin, Ingrid. 2008. Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule, Münster: Waxmann. Hymes, Dell Hathaway. 1972. „On Communicative Competence“, in: Pride, John B. / Holmes, Janet (edd.). Sociolinguistics. London: Penguin, 269-293. Kniffka, Gabriele / Siebert-Ott, Gesa. 2007. Deutsch als Zweitsprache. Paderborn: UTB. Königs, Frank Gerhard. 1991. „Auf dem Weg zu einer neuen Aera des Fremdsprachenun‐ terrichts? Gedanken zur postkommunikativen Phase in der Fremdsprachendidaktik“, in: Taller de letras, 19, 21-42. Meißner, Franz-Josef. 2010. „Grundlagen der Tertiärsprachendidaktik: inferentielles Sprachen lernen“, in: Meißer, Franz-Josef / Tesch, Bernd. (edd.). Spanisch kompetenz‐ orientiert unterrichten. Seelze: Klett (28-45). Nieweler, Andreas. Hrsg. 22017. Fachdidaktkk Französisch. Stuttgart: Klett.

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Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum

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Mehrsprachigkeitsdidaktik

Daniel Reimann

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1 Fragestellung

Der schulische Fremdsprachenunterricht in Deutschland findet, nicht erst, aber verstärkt durch die aktuellen Migrationsbewegungen, in zunehmend auch sprachlich heterogenen Lerngruppen statt. War Mehrsprachigkeitsdidaktik in ihren Anfängen v.a. in den 1990er Jahren vor allem auf die Vernetzung von Schulfremdsprachen ausgerichtet, so nimmt sie verstärkt seit 2010 zusätzlich auch die Dimension der Herkunfts- bzw. Familiensprachen mit in den Blick. Eine Vorreiterrolle nahm diesbezüglich die Studie Hu 2003 ein. Dieser Paradigmen‐ wechsel in der Mehrsprachigkeitsdidaktik (dazu z.B. Reimann 2015, 2016a und b) kann graphisch wie folgt veranschaulicht werden:

Abb. 1: Dimensionen der Mehrsprachigkeitsdidaktik

In Metropolregionen wie etwa Berlin, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, wo die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen durchgeführt wurden, lässt der hohe Anteil mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler geradezu „Laborbedin‐ gungen“ für empirische Forschungen bezüglich einer auf Herkunftssprachen

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bezogenen Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik entstehen. Der Beitrag stellt, nach einer grundlegenden terminologischen und theoretischen Einführung, ausgewählte Ergebnisse aus vier Studien vor, die sich auf Einstel‐ lungen von Lehramtsstudierenden und von Lehrkräften des Sekundarbereichs sowie auf die Einschätzung der Schülerleistungen in einem Teilbereich der funktionalen kommunikativen Kompetenzen bei bilingual und monolingual aufwachsenden Schülerinnen und Schülern beziehen. Abschließend schlägt er ein Unterrichtsmodell vor, das exemplarisch zeigt, wie eine Herkunftssprache (hier: Türkisch) in den Fremdsprachenunterricht (hier: Spanisch) integriert werden kann. Die Studien wurden zwischen 2014 und 2016 an der Universität Duisburg-Essen von der Professur für Fachdidaktik der romanischen Schul‐ sprachen bzw. in Kooperation dieser Professur mit dem Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache durchgeführt; ebenso entstand das Unterrichtsmodell aus der Kooperation der beiden Fachgebiete. 2 Grundbegriffe, Theorien und Modelle des Mehrsprachenerwebs 2.1 Grundbegriffe

Einleitend seien einige Grundkonzepte zusammengefasst, die für die Mehrspra‐ chen-Aneigneignung1 auf der Ebene des Individuums relevant sind. In den klas‐ sischen Werken der Mehrsprachigkeitsforschung, Interlinguistik und Die Mehr‐ sprachigkeit des Menschen, lässt Mario Wandruzska individuelle Mehrsprachigkeit bereits mit einer Varietätenkompetenz in der Erstsprache einsetzen (z.B. diatopische Varietäten und Standard) (Wandruszka 1971, Wand‐ ruszka 1979). Er bezeichnet dies prägnant als „muttersprachliche Mehrspra‐ chigkeit“ (Wandruszka 1979, 13, u.ö.) und stellt diese, neben dem Fremdspra‐ chenlernen und der Sprachmischung, ins Zentrum seiner „Interlinguistik“ (konzise in Wandruszka 1971, 127-137). Pointiert kann man aus diesem Ansatz eine Dichotomie zwischen „innerer“ und „äußerer“ Mehrsprachigkeit ableiten, wobei „innere Mehrsprachigkeit“ bereits in der Erstsprache gegeben ist, „äußere Mehrsprachigkeit“ mit der Aneignung der ersten weiteren Sprache einsetzt (cf. Roche 2013, 186). Dieser Ansatz legt es weiterhin nahe, im Kontext der Mehr‐

1

Im vorliegenden Beitrag wird bevorzugt der neutrale Begriff der (Fremd-) Sprachen-An‐ eignung verwendet, da gerade im Falle der auf schulische Kontexte bezogenen Mehr‐ sprachigkeit die Übergänge zwischen Erwerb und (Er-) Lernen im traditionellen Sinn fließend sind (einführend zur Terminologie z.B. Königs 2016a und b). Von diesem Ge‐ brauch wird abgewichen, wenn auf Theorien und Studien Bezug genommen wird, die selbst einen der traditionellen Begriffe verwenden.

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Mehrsprachigkeitsdidaktik

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sprachigkeitsdidaktik auch eine rezeptive Varietätenkompetenz in der Ziel‐ sprache als Lernziel zu formulieren (cf. z.B. Reimann 2011, 2016b und 2017). Rosemary Tracy definiert in ihrem Beitrag „Mehrsprachigkeit: Vom Störfall zum Glücksfall“ (Tracy 2014) unter Berufung auf andere Autoren Mehrspra‐ chigkeit wie folgt: „als mehrsprachig oder bilingual [...] darf gelten, wer regel‐ mäßig mehr als eine Sprache verwendet (Grosjean 2008, S. 10) und in der Lage ist, in allen seinen Sprachen Alltagsgespräche zu führen („at least casual con‐ versations on everyday topics in a second language“; Myers-Scotton 2006, S. 65). Während die letzten beiden, von Grosjean und Myers-Scotton angesetzten Kri‐ terien in jedem Fall zu übernehmen sind, wird im vorliegenden Beitrag „Mehr‐ sprachigkeit“ in Abgrenzung zu Bilinguismus erst als mit der dritten individuell verfügbaren Sprache einsetzend definiert. Die „Grade der Aktivierung“ verschiedener sprachlicher Systeme bezeichnet Tracy in Anlehnung an Green 1998 mit den Begriffen „ausgewählt“, „aktiv“ und „schlafend“ (Tracy 2014, 19): die „ausgewählte“ Sprache ist gerade im Einsatz, „aktiv [...] sind diejenigen Sprachen, die prinzipiell einsatzbereit sind“ (ibid.), „schlafend [sind] sprachliche Ressourcen, die möglicherweise seit Längerem nicht benötigt wurden und für deren Reaktivierung und flüssige Verwendung man erst einmal etwas mehr Zeit benötigt“ (ibid.). Sprachen, die regelmäßig verwendet werden, koaktivieren sich gegenseitig (op. cit., 31), Übergänge sind punktuell nicht zuzuordnen (op. cit., 27, z.B. bei Deutsch und Italienisch in). In Bezug auf die Chronologie der Sprachaneignung kann man grundsätzlich zwischen simultanem und sukzessivem Mehrsprachenerwerb unterscheiden (Müller et al. 2011, 15). Differenzierter im Hinblick auf die Entwicklung mehr‐ sprachiger Biographien ist die Unterscheidung zwischen folgenden Typen der Sprachaneignung:

Abb. 2: Typen der Sprachaneignung

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Simultaner Mehrsprachenerwerb kann nach Romaine 1995 (181sqq.) mit Müller et al. 2011, 48sqq. und Cantone/Di Venanzio 2016, 41sq. auf folgende sechs Arten erfolgen, die hier tabellarisch zusammengefasst werden: Sprache im Um‐ gang mit dem Kind von:

Elternteil 1

Elternteil 2

Umge‐ bung

Anmerkungen

Typ 1

Lx (= Erstsprache von Elternteil 1)

Ly (= Erstsprache von Elternteil 2)

L x oder „one person one Ly language“ oder „EPES“ (eine Person, eine Sprache)

Typ 2

Lx (= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

Lx Ly (= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

Beide Eltern haben dieselbe Erstsprache, die eine andere ist als die Umgebungs‐ sprache.

Typ 3a

Lx (= Erstsprache von Elternteil 1)

Ly (= Erstsprache von Elternteil 2)

Ly

Die Sprache eines Elternteils ist Umgebungs‐ sprache, die an‐ dere Sprache (hier L x) wird als Familiensprache verwendet.

Typ 3b

Lx (= Erstsprache von Elternteil 1)

Ly (= Erstsprache von Elternteil 2)

Ly

Die Sprache eines Elternteils ist Umgebungs‐ sprache, diese (hier L y) wird als Familiensprache verwendet.

Typ 4

Lx

Ly

Lz

simultaner Mehr‐ sprachenerwerb

Typ 5

Lx (= Fremd‐ sprache für El‐ ternteil 1)

Ly Ly (= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

Ein Elternteil wählt eine Fremdsprache (Bildungs‐ sprache, L z), um

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Mehrsprachigkeitsdidaktik

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Kind zweispra‐ chig zu erziehen. Typ 6

L x und L y

L x und L y

L x und Ly

Beide Elternteile sind in einem Kontext der Di‐ glossie bilingual (z.B. Elsaß, Süd‐ tirol)

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Tab. 1: Typen des simultanen Mehrsprachenerwerbs

Bezüglich des komplexen Diskurses über Formen und Ausprägungen der Mehr‐ sprachigkeit sei einführend auf Müller et al. 2011 sowie jüngst auf Bausch 2016 verwiesen, der die zahlreichen Klassifizierungsvorschläge bezüglich der Sprach‐ fähigkeit resümierend folgende fünf Typen ansetzt, die hier tabellarisch zusam‐ mengefasst werden sollen (cf. Bausch 2016, 286sq.):

Tab. 2: Ausprägungen mehrsprachiger Kompetenz

Offensichtlich können bilinguale Kinder schon sehr früh zwischen den ver‐ schiedenen Sprachen unterscheiden:

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Bereits den frühesten Wortkombinationen im Alter von 18 Monaten kann man Hin‐ weise darauf entnehmen, dass Kinder sehr wohl entscheidende Unterschiede zwischen ihren Inputsprachen erkennen und aktiv nutzen (Tracy 2014, 24).

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Charakteristisch für Bilinguale und Mehrsprachige ist der Wechsel zwischen den Sprachsystemen. Er wird als code mixing bzw. code switching bezeichnet. Die Übergänge in den Definitionen beider Phänomene sind teilweise fließend, mitunter wird code mixing auch als Oberbegriff verwendet. Enger greifende De‐ finitionen bezeichnen code mixing als die eher improvisierte, eine punktuelle z.B. lexikalische Lücke in einer Sprache ausgleichende Anleihe an eine andere Sprache, code switching dagegen als den kompetenten, strategisch eingesetzten Wechsel zwischen den Sprachsystemen. So definiert z.B. Jeuk 2014: Beim Code-Mixing oder Borrowing werden Wörter, die in der einen Sprache nicht verfügbar sind, aus der anderen Sprache übernommen. Der Lerner greift auf ein Wort aus einer ihm bekannten Sprache zurück, wenn es ihm in der Zielsprache im Moment nicht zur Verfügung steht. [...] Beim Code-Switching wird in Abhängigkeit von der Situation, dem Interaktionspartner und dem Gesprächsthema gezielt und bewusst zwischen den beiden Sprachen ge‐ wechselt (Jeuk 2014, 34f., cf. Jeuk 2015, 44).

Müller et al. 2015 definieren Code-Switching noch prägnanter als ein[en] Sprachstil, welcher auf struktureller, pragmatischer, psycholinguistischer und soziolinguistischer Ebene beschrieben werden muss. [...] Sprecher, die vom Code-Switching Gebrauch machen, können sich in beiden Sprachen ´monolingual´ verhalten. Das Code-Switching entsteht nicht aufgrund eines Kompetenzmangels (Müller et al. 2015, 24sq.).

Tracy spricht hier anschaulich von „Polyphonie“ in dem Sinne, dass „die Mi‐ schung selbst zusätzlich zu der Bedeutung von Sätzen und Äußerungen wie eine zweite Tonspur Information über SprecherInnen und ihre jeweiligen kommu‐ nikativen Intentionen mitliefert“ (Tracy 2014, 26). Eine neue Perspektive auf Sprachmischung durch mehrsprachige Individuen wird in der Theorie des translanguaging nach García und Wei formuliert, die, u.a. in Anlehnung an das Konzept der transculturación von Fernando Ortiz, betont, dass das Phänomen des code-switching im Sinne einer individuellen, kreativen Verbindung verschie‐ dener verfügbarer Sprach- und Zeichensysteme im Vergleich zum Monolingu‐ ismus zu neuen, vielfältigeren Ausdrucksmöglichkeiten führt (García/Wei 2014, z.B. 22).

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Aus linguistischer Perspektive werden solche Phänomene von einer „Migra‐ tionslinguistik“ zu beschreiben versucht. Im Konzept des „gelebten Kommuni‐ kationsraums“ (Krefeld 2004, 19) etwa wird das mehrsprachige Subjekt ins Zentrum des Interesses gerückt, insofern es durch sein (meta-) sprachliches Be‐ wusstsein und seine kommunikative Praxis z.B. in der Verwendung von Varie‐ täten sowohl seiner Erst- als auch der Umgebungssprache und / oder den Vari‐ etäten weiterer Interaktionspartner „kommunikative Räume“ konstruiert, die nicht mehr zwingend mit arealen oder territorialen „Sprachräumen“ der tradi‐ tionellen Linguistik im Sinne von Arealität und Territorialität konvergieren (z.B. Krefeld 2002a, b, 2003, 2004). Die Räumlichkeit der Kommunikation kennt in diesem Sinne drei Dimensionen, namentlich die Räumlichkeit der Sprache (Are‐ alität, Territorialität), die Räumlichkeit des Sprechers und des Hörers (Prove‐ nienz, Mobilität, Repertoire) und die Räumlichkeit des Sprechens (situative Po‐ sitionalität und Interaktion) (z.B. Krefeld 2004, 22sqq.).2 Auf der Grundlage der von ihm entwickelten drei Dimensionen der Räum‐ lichkeit von Sprache kann er vier bzw. fünf Typen von Sprechern postulieren (Krefeld 2004, bes. 33). Dieses Modell ergänzt eine soziolinguistische Typisie‐ rung der Sprechenden in extraterritorialer Situation, die Rita Franceschini auf der Grundlage der Orientierung der Sprecher/innen an der Sprachnorm vorge‐ schlagen hat und die insofern für den Kontext der hier vorgelegten Untersu‐ chungen relevant ist, als diese Orientierung immer auch in Bezug zur Kompe‐ tenz in der Umgebungssprache gesehen wird (Franceschini 2002, bes. 104sq.). Thomas Stehl hat seinerseits das Konzept einer „funktionalen Variationslin‐ guistik“ entwickelt, das, zunächst für die innerromanische Ebene ´vertikaler Sprachkontakte´ exemplifiziert am Okzitanischen und Französischen respektive süditalienischen Basisdialekten und dem Italienischen konzipiert, die Dynamik von Sprachkontakten auf den drei Ebenen „Kompetenz der Variation“, „Prag‐ matik der Variation“ und „Linguistik der Variation“ beschreibt (cf. Stehl 2012). Dieser Untersuchungsansatz wurde gewinnbringend auf den Bereich der ´ho‐ rizontalen Sprachkontakte´ in Migrationskontexten übertragen (cf. Stehl 2011a, bes. Stehl 2011b, Prifti 2011). Hier wird eine Typisierung der Sprecher/innen nach der Sprachkompetenz in Herkunfts- und Zielsprache über die Generati‐ onen hinweg vorgenommen (z.B. Stehl 2011b, 46sqq.) und eine mehrstufige „hierarchische Gradation intermediärer Kontaktvarietäten“ (fünfstufig, art. cit., 2

Die sprachliche und identitäre Ausgestaltung derartiger „gelebter Kommunikations‐ räume“ untersuchen, mit unterschiedlichem theoretischen und methodischen Zugriff, exemplarisch z.B. Melchior 2009, Prifti 2014 (einführend z.B. Prifti 2011) und Kittler 2015. Exemplarische einführende Fallstudien enthält weiterhin der Band Bernhard/ Lebsanft 2013.

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48, von Prifti 2011, 88 im Fall seiner Studie auf sechs Stufen erweitert) vorge‐ schlagen.3 Schließlich ist für den Gegenstandsbereich dieses Beitrags zu unterscheiden, welche der Sprachen im schulischen Kontext miteinander interagieren: auf der

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3

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die „Migrationslinguistik“ ihrem Gegenstands‐ bereich entsprechend meist eher die systemlinguistischen Implikationen des Sprach‐ kontakts und soziolinguistische Fragestellungen, weniger aber die Funktionsweise von Sprachaneignung durch Individuen untersucht. Daher kann auf einen über diese Hin‐ weise hinausgehenden, detaillierten Forschungsbericht an dieser Stelle verzichtet werden. Aus der jüngeren deutschsprachig-romanistischen Migrationslinguistik seien zumindest folgende, dem Kontext der vorliegenden Untersuchungen affine, Studien erwähnt: Ein Projekt zur Erforschung der Sprache italienischer Immigranten in Mann‐ heim, das von Christine Bierbach und Gabriele Birken-Silverman im Auftrag des Insti‐ tuts für Deutsche Sprache Mannheim durchgeführt wurde (Sprache italienischer Mi‐ granten in Mannheim. Intra- und interlinguale Variationsformen, Funktionen und Dynamik), befasste sich u.a. mit der Sprachverwendung durch Kinder sowie mit der Sprachlandschaft in einem Einwanderungsgebiet, in dem nicht nur Deutsch und Itali‐ enisch, sondern auch weitere Gastarbeitersprachen in Kontakt treten; untersucht wurden u.a. Sprachenrepertoire, kommunikative Praxis, gruppenspezifische Kommu‐ nikationsstile und Identitätsentwürfe. Im Rahmen dieses Projekts sind zahlreiche auf‐ schlussreiche Publikationen entstanden (z.B. Bierbach 1985, Bierbach/ Birken-Silverman 2003, 2004). Soziolinguisische Aspekte (z.B. Franceschini/Müller/ Schmid 1984, Schmid 1994, Franceschini 2001), später auch neurolinguistische Korrelate der Mehrsprachigkeit (z.B. Franceschini 1999, Franceschini/Nitsch/Zappatore 2003) wurden v.a. auch in der deutschsprachigen Schweiz, insbesondere in der Regio Basi‐ lensis, untersucht. An der Schnittstelle von Migrationslinguistik und Mehrsprachig‐ keits-/Erwerbsforschung sind u.a. folgende Untersuchungen zu verorten: Aus Projekten zur Erforschung des Sprachgebrauchs von Gastarbeitern, z.B. Zweitsprachenerwerb ita‐ lienischer, portugiesischer und spanischer Arbeiter, das von 1977 bis 1982 von Jürgen Meisel koordiniert wurde, ging der Hamburger SFB 538 zum Thema Mehrsprachigkeit hervor, in dem vor allem auch der simultane und sukzessive Erwerb von Mehrspra‐ chigkeit untersucht wurde (1999-2011). Nach frühen auf bilingual deutsch-italienische Kinder bezogenen Untersuchungen wie Taeschner 1983 sind aus dem genannten Ham‐ burger Projekt mehrere Studien zu bilingual deutsch-romanophonen Kindern hervor‐ gegangen (zusammenfassend und einführend Müller et al. 2011 (12006) und jüngst Müller et al. 2015). Schließlich kann hier nur kurz in Erinnerung gerufen werden, dass der große Forschungszweig der Kreolistik (einführend z.B. Kramer 2004, Stein 2016), in nicht unbeträchtlichem Maße aber auch die Forschungen zur Ausdifferenzierung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen (in jüngerer Zeit umfassend z.B. Adam 2003, 2007), Phänomene untersuchen, die auch Gegenstand einer Migrationslinguistik sind. Zur jüngeren Migrationslinguistik v.a. aus italianistischer Perspektive cf. einfüh‐ rend auch die kommentierten Forschungsberichte Reimann 2005 und Reimann 2009, bes. 71sq. und 74sq. Weiterhin kann in den Gegenstandsbereich einer „Migrationslin‐ guistik“ einführend, aus tendenziell Schweizerischer Perspektive, mit einigen histori‐ schen Rückblicken, v.a. aber aktuelle Perspektiven aufzeigend, auf Lüdi 2011 verwiesen werden.

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einen Seite sind dies die schulischen Fremdsprachen, auf der anderen Seite die Herkunfts- bzw. Familiensprachen. Herkunftssprachen – als Entsprechung zum englischen Begriff heritage languages z.B. bei Rothman 2009, 156 – definieren sich nach Cantone/Di Venanzio 2016 zunächst über folgende drei Kriterien: „(1) die Sprache wird zuhause gesprochen, (2) es handelt sich nicht um die Sprache der Umgebung, und (3) der Erwerb findet ungesteuert statt“ (art. cit. 2016, 36sq.). Es scheint weiterhin sinnvoll, mit Lüttenberg 2010 zwischen Herkunfts- und Familiensprachem zu unterscheiden. Als Herkunftssprachen bezeichnet man dann die jeweiligen Standardvarietäten der Herkunftsregion, als Familienspra‐ chen die in den Familien gesprochene Sprache, die auch eine Varietät der Her‐ kunftssprache sein kann. Wesentliche Faktoren für Spracherhalt – im Gegensatz zu Sprachverlust – attrition – auf individueller Ebene und über die Generationen hinweg sind im Falle der Herkunfts- respektive Familiensprachen in Anlehnung an Cantone/Olfert 2015 (27sq.): (1) Alter bei Einreise bzw. allgemeine „Dauer des Kontakts zur Erstsprache in monolingualer Umgebung“ (art. cit., 27), (2) Gene‐ rationenzugehörigkeit (häufig Aufgeben der heritage language ab der dritten Generation (ibid.), (3) „Zugang zur Schriftlichkeit“, z.B. durch herkunftssprach‐ lichen Unterricht (ibid.), (4) „Bildungsniveau der Familie“ – Auswirkungen bis‐ lang unklar (widersprüchliche Ergebnisse aus verschiedenen Studien) – (art. cit., 27sq.), (5) „Größe der Sprachgemeinschaft im Einwanderungsland“ und damit verbundene Möglichkeit, die Sprache zu praktizieren (art. cit., 28), (6) „Einstel‐ lung zur heritage language“ (ibid.), (7) „Bindung zum Herkunftsland“ sowie „Identifizierung mit Kultur, Sprache, Religion etc.“ (ibid., jeweils mit weiter‐ führender Bibliographie, cf. bes. den grundlegenden Band Köpke et al. 2007). 2.2 Theorien des Mehrsprachenerwerbs

Einen einschlägigen theoretischen Rahmen des Mehrsprachenerwerbs stellen die Schwellen- und Interdependenzhypothese von Skutnabb-Kangas/Toukomaa und Cummins dar (Skutnabb-Kangas/Toukomaa 1977, Cummins 1979). Die Schwellenhypothese besagt, dass in der Erstsprache zunächst ein bestimmtes Niveau erreicht sein muss, bevor Zwei- und Mehrsprachigkeit erreicht werden können. Andernfalls komme es zu einer „subtraktiven Zweisprachigkeit“ (Ext‐ remfall: „doppelte Halbsprachigkeit“ bzw. „doppelter Semilingualismus“ (Roche 2013, 164, Roche 2016, 19)), d.h. defizitärer Kompetenz in beiden (bzw. mehreren) Sprachen. Den Normalfall stellt in diesem Modell die asymmetrische Zwei- oder Mehrsprachigkeit bei höher entwickelter erstsprachlicher Kompetenz dar – sie habe keinen Einfluss auf das weitere Fremdsprachenlernen und die weitere kognitive Entwicklung. Die Interdependenzhypothese geht davon aus, dass die Erstsprache beim Fremdsprachenerwerb insofern eine bedeutende Rolle spielt,

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als ab einem bestimmten Sprachniveau in beiden Sprachen eine positive gegen‐ seitige Beeinflussung stattfindet, ergänzt um positive Effekte auf andere kog‐ nitive Kompetenzen (einführend und kritisch reflektierend z.B. Roche 2013, 163-166, Roche 2016, 19-21). Zwar gibt es begründete Einwände gegen die Grundannahme dieses Ansatzes (cf. z.B. Roche 2013, 164sq.), die ihn teilweise in Frage stellen lassen, doch ist er bis heute nicht gänzlich widerlegt, zuletzt gerade auch in Deutschland wieder durch Ergebnisse empirischer Forschungen gestützt worden (z.B. Rauch/Jurecka/Hesse 2010). Jüngere Studien kommen etwa zu fol‐ genden Ergebnissen: Zusammenfassend zeigen die Studien zur Bilingualität und zum Drittspracherwerb, dass Bilinguale, die in ihren beiden Sprachen über relativ hoch entwickelte Sprach‐ kompetenzen verfügen, gegenüber monolingualen Lernern einer weiteren Sprache im Vorteil sind. (Göbel/Rauch/Vieluf 2011, 52)

Auf internationaler Ebene gibt es Studien, die nicht nur wie etwa Rauch 2014 eine bessere Lesekompetenz Bilingualer in einer Fremdsprache belegen, sondern auch Korrelationen (über die Lesekompetenz hinaus) mit der mathematischen Kompetenz feststellen (Bournot-Trites/Reeder 2001, kritische Würdigung in Roche 2013, 165sq.). 2.3 Modelle des Mehrsprachenerwerbs

Unter den zahlreichen Modellen zum Mehrsprachenerwerb und -lernen sind meines Erachtens die folgenden beiden für das schulische Fremdsprachenlernen besonders interessant: Das eher pycholinguistische dynamische Modell von Herdina/Jessner 2002 (Dynamic Model of Multilingualism) unterstreicht die Be‐ deutung verschiedener Faktoren, die beim Mehrsprachenlernen miteinander interagieren, u.a. (Mehr-) Sprach(en)lernfähigkeit, selbst wahrgenommene Sprachkompetenz, Selbstbewusstsein, Ängstlichkeit/Angst und Motivation. Das metasprachliche Wissen und ein Mehrsprachen-Monitor spielen eine zentrale Rolle beim mehrsprachigen Lernfortschritt. Das soziolinguistisch begründete ökologische Modell von Aronin / O´Laoire 2004 stellt die individuelle Aushand‐ lung der Bedürfnisse eines/r Lernenden in den Bereichen Identität, Umwelt und (sprachlichen) Interessen in den Vordergrund. Dabei können für das mehrspra‐ chige Individuum verschiedene Erfordernisse in verschiedenen Sprachen zu einer jeweils unterschiedlichen Kompetenzentwicklung (einschließlich Kom‐ petenzverlust – attrition) führen, die u.a. in Transfers und Code-Wechseln münden können.

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für schulische Mehrsprachen-Aneignung besonders relevante Modelle des Mehrsprachenerwerbs dynamisches Modell (Herdina / Jessner 2002)

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Interaktion verschiedener Faktoren, u.a.: - (Mehr-) Sprach(en)lernfähigkeit - selbst wahrgenommene Sprachkompetenz - Selbstbewusstsein - Ängstlichkeit / Angst - Motivation - metasprachliches Wissen - Mehrsprachen-Monitor

ökologisches Modell (Aronin / O´Laoire 2004) Bedeutung individueller – im Verlauf auch variabler – Bedürfnisse der Lernenden, v.a. in Bezug auf: - Identität - Umwelt - (sprachliche) Interessen => in verschiedenen Sprachen zu verschiedenen Zeitpunkten ggf. unterschiedliche Bedürfnisse und folglich Kompetenzentwicklung (inkl. Sprachverlust – attrition)

Abb. 3: Modelle des Mehrsprachenerwerbs

3 Begründung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik 3.1 Was ist Mehrsprachigkeitsdidaktik?

Mit der ausdrücklichen Benennung der Bereiche „Sprachbewusstheit“ und „Sprachlernkompetenz“ in den Bildungsstandards für das Abitur des Jahres 2012 sind Grundanliegen der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu verbindlichen Kompe‐ tenzzielen des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe geworden. Aus eu‐ ropäischer Perspektive ist Mehrsprachigkeit spätestens seit dem Weißbuch zur allgemeinen und politischen Bildung der europäischen Kommission aus dem Jahr 1995 ein vorrangiges Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Die EU versteht dabei unter Mehrsprachigkeit „Muttersprache plus zwei weitere Sprachen“; in zahlreichen weiteren Dokumenten bis zur „neuen Rahmenstrategie für Mehr‐ sprachigkeit“ aus dem Jahr 2005 hat die EU ihr bildungspolitisches Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit wiederholt (cf. bspw. Polzin-Haumann 2013: 104sq.). Dabei ist es sinnvoll, wie das saarländische Bildungsministerium in seinem „Sprachenkonzept Saarland 2011“ von „funktionaler Mehrsprachigkeit“ zu spre‐ chen. Darunter versteht man eine „individuell und funktional angepasste, nicht

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an einer wie auch immer als perfekt definierten Zielnorm ausgerichtete Sprach‐ kenntnis“ (ibid.). Mehrsprachigkeitsdidaktik ist sicherlich ein zentrales Diskussionsfeld des aktuellen Fremdsprachenunterrichts, den man als neokommunikativen Fremd‐ sprachenunterricht bezeichnen kann. Er setzt die kommunikative Methode der 1970er Jahre und deren Grundanliegen, kommunikative Kompetenz zu entwi‐ ckeln, fort. Zugleich treten zahlreiche neue Anliegen wie Schülerorientierung, Differenzierung einschließlich Inklusion, Inter- und Transkulturalität, Hand‐ lungsorientierung, Ganzheitlichkeit, fächerübergeifendes Lernen, Aufgabenund Standardorientierung sowie eine Neubewertung der Kognitivierung, Me‐ takognition und Multimedialität hinzu, sodass es sinnvoll erscheint, von einer neokommunikativen Phase des Fremdsprachenunterrichts zu sprechen, die ver‐ stärkt seit etwa 2000 spürbar ist (siehe Abb. 6) (cf. hierzu bspw. Königs 1991; Reinfried 2001; Reimann 2014a). Zu den genannten Diskussionsfeldern tritt eben die Mehrsprachigkeit, die wir hier als aufgeklärte Mehrsprachigkeit fort‐ schreiben wollen (zum Konzept cf. Reimann 2015; der Begriff als solcher tritt unabhängig davon und weniger ausdifferenziert bereits bei Roche 2013, 167 auf). Ansatzpunkte der Mehrsprachigkeitsdidaktik in der aktuellen Konzept- und Theoriebildung sind vor allem die individuellen Lernervariablen wie auch die Sprachlerntheorien. Im Hinblick auf die individuellen Lernervariablen, wie etwa biologische Variablen (Alter, Geschlecht), kognitive Faktoren (wie Intelligenz und Sprachlerneignung) sowie sozioaffektive Faktoren (wie Motivation, Lern‐ emotionen, Einstellung und diverse Persönlichkeitsfaktoren) (zu diesen beiden Kategorien cf. Edmondson/House 2006, 171), aber auch soziokulturelle Faktoren (v.a. Elternhaus), treten bereits bekannte (Fremd-) Sprachen als wesentliche Faktoren hinzu. Dabei sind zwei verschiedene Typen von bekannten Sprachen zu unterscheiden: Einerseits Herkunfts- bzw. Familiensprachen und anderer‐ seits vorgelernte schulische Fremdsprachen. Es ist sinnvoll, in diesem Zusam‐ menhang mit Lüttenberg (2010) zwischen Herkunftssprachen und Familien‐ sprachen zu unterscheiden. Als Herkunftssprachen bezeichnet man die jeweiligen Standardvarietäten der Herkunftsregion, als Familiensprachen die in den Familien gesprochene(n) Sprache(n), die auch eine Varietät der Herkunfts‐ sprache sein kann/können. Vorgelernte Sprachen indes sind schulische Fremd‐ sprachen, in denen Vorkenntnisse vorhanden sind. Beide Typen weiterer Spra‐ chen sind in den Fremdsprachenunterricht einzubeziehen (siehe Abb. 7):

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Vernetzende Sprachenvermittlung in Geschichte und Gegenwart

Abb. 4: Individuelle Lernervariablen beim Fremdsprachenlernen

Im Hinblick auf die Sprachlerntheorien ist festzustellen, dass alte Theorien in erweiterter Form wieder relevant werden: Einerseits kann man von einer er‐ weiterten Kontrastivhypothese sprechen, insofern als Analogien oder Diver‐ genzen nicht nur zwischen einer L1 und der Zielsprache, sondern zwischen allen am Sprachlernprozess beteiligten Sprachen auf diesen einwirken, zum anderen ist auch die Interlanguage-Hypothese zu erweitern, insofern nicht nur L1 und Zielsprache neben einer Interlanguage stehen, sondern auch mehrere Interims‐ Vernetzende Sprachenvermittlung in Geschichte und Gegenwart sprachen miteinander interagieren können (Reimann 2015, 5sq.; 2016, 118 sq.) (siehe Abb. 8):

Abb. 5: Erweiterte Sprachlerntheorien und Mehrsprachigkeitsdidaktik

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Die jüngere mehrsprachigkeitsdidaktische Forschung in Deutschland kann auf eine inzwischen 25-jährige Geschichte verweisen. Bei einem Blick auf Konzepte und Phasen der jüngeren Forschung ist festzustellen, dass sich deren Fokus in den Zweitausender Jahren zunächst stark verengte, bevor er sich seit etwa 2010 wieder spürbar erweitert, weshalb hier auch in Anlehnung an Butzkamms Kon‐ zept der „aufgeklärten Einsprachigkeit“ (Butzkamm 1973) von „aufgeklärter Mehrsprachigkeit“ gesprochen wird. Während die Mehrsprachigkeitsdidaktik der 1990er Jahre auch die produktiven Fertigkeiten und die Mehrkulturalität mit im Blick hatte, verengte sich in den Zweitausender Jahren der Fokus auf die sogenannte Interkomprehension. Seit etwa 2010 wird erneut eine auch produk‐ tive Mehrsprachigkeit unter Berücksichtigung von Mehrkulturalität in den Blick genommen (siehe Abb. 10). Zentrale Begriffe der Mehrsprachigkeitsdidaktik sind „echte Mehrsprachig‐ keit“ (die Karl Richard Bausch wie die europäischen Behörden ab der dritten modernen Fremdsprache konzipiert), „additive“ und „integrative“ Mehrspra‐ chigkeit (cf. u.a. Bausch/Helbig-Reuter 2003). Unter additiver Mehrsprachigkeit versteht Bausch das traditionelle Vorgehen, bei dem mehrere Sprachen nachei‐ nander gelehrt werden, ohne dass das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler bewusst aktiviert wird, während integrative Mehrsprachigkeit die Mehrspra‐ chigkeit durch bewusste Vernetzung intendiert (siehe Abb. 9):

Vernetzende Sprachenvermittlung in Geschichte und Gegenwart (bis ca. 1990 – Prinzip der Einsprachigkeit)

seit ca. 1990

Abb. 6: Additive und integrative Mehrsprachigkeitsdidaktik

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Franz-Joseph Meißner, der als ein weiterer Vorreiter der deutschsprachigen Mehrsprachigkeitsdidaktik gelten darf, prägte in den 1990er Jahren das Konzept einer „Didaktik der romanischen Mehrsprachigkeit“, das die Vorreiterrolle zu‐ mindest im Bereich der schulischen Fremdsprachendidaktik beanspruchen darf. Er konzipierte Mehrsprachigkeitsdidaktik als „Transversaldidaktik“, wobei zu‐ nächst auch die produktive Mehrsprachigkeit nicht ausgeschlossen war. Sodann verengte sich der Fokus der Diskussion auf die sogenannte „Interkomprehen‐ sionsdidaktik“, bei der vertiefte rezeptive Kenntnisse (v.a. im Leseverstehen) als Grundlage einer späteren produktiven Mehrsprachigkeit und dabei zugleich Erschließungs- und Lernstrategien im Sinne einer Förderung methodischer Kompetenzen entwickelt werden sollen. Dieser Ansatz, der zunächst mit hoch‐ schuldidaktischer Zielsetzung an der Universität Frankfurt am Main entwickelt worden war, lässt sich nur punktuell auf die Schule übertragen (reine Fertig‐ keitsorientierung, fehlende kulturelle/Bildungs-Komponente, Ausdrucksbe‐ dürfnis und -wille der Schüler bleiben unberücksichtigt). In jüngerer Zeit mehren sich daher die Veröffentlichungen, die wieder eine weiter gefasste Mehrsprachigkeit postulieren und dabei zum einen den Aspekt der Mehrkultu‐ ralität im Sinne der ursprünglich immer implizierten inter- und transkulturellen Komponente mit integrieren oder aber die produktive Mehrsprachigkeit, wei‐ tere Schulsprachen außer den romanischen Sprachen und nicht zuletzt die Her‐ kunfts- bzw. Familiensprachen zahlreicher Schülerinnen und Schüler mit ein‐ beziehen (siehe Abb. 10). In jüngerer Zeit sind zahlreiche Sammelbände erschienen, die von der Vitalität des mehrsprachigkeitsdidaktischen Diskurses zeugen (z.B. Fernández Ammann / Kropp / Müller-Lancé 2015, Witzigmann / Rymarczyk 2015, Rückl 2016, Frings / Paffenholz / Sundermann 2017). 3.2 Neurolinguistische und psycholinguistische Grundlagen

Eine Grundannahme der Mehrsprachigkeitsdidaktik lautet, dass es zu Lerner‐ leichterungen durch Vernetzung im Sinne verstärkter, da öfter aktivierter neu‐ ronaler Vernetzungen kommt. Wird z. B. Spanisch als L4 nach Französisch als L3 erlernt, hat man das französische Äquivalent zu einem neuen spanischen Lexem, z.B. la puerta, im Regelfall im Französischen bereits mehrfach gehört (la porte). Gleichzeitig „wiederholt“ man auch das französische Wort, wenn man das spanische lernt bzw. aktiviert. Zentrale Begriffe sind hier die im Kontext der Kontrastivhypothese geprägten Begriffe Transfer und Interferenz. Transfer ist die erfolgreiche, da „richtige“, Übertragung von einer Sprache in eine andere, Interferenz die zu einem Verstoß gegen die Norm der aktuellen Sprache füh‐ rende Übertragung (z.B. frz. entrer → sp. entrar => Transfer vs. frz. prendre → sp. *prender statt tomar =>Interferenz). Die wenigen neurolinguistischen Stu‐

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dien zum mehrsprachigen Fremdsprachenlernen, die überwiegend aus dem anglophonen Bereich stammen, weisen darauf hin, dass mit steigendem Sprach‐ können offensichtlich eine Annäherung der Verarbeitungsmuster an die in der Muttersprache stattfindet (cf. Kotz 2009, außerdem Tatsuno/Sakai 2005 für das Sprachenpaar Japanisch und Englisch sowie Osterhout et al. 2006 für das Spra‐ chenpaar Englisch und Französisch). Die Tatsache, dass Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik vor allem auch für die romanischen Sprachen diskutiert wurde, liegt darin begründet, dass die romanische Sprachfamilie beinahe die einzige ist, aus der mehrere Sprachen (mindestens drei: Französisch, Spanisch, Italienisch, mit Ein‐ schränkungen vier: Portugiesisch), als Schulfremdsprachen vermittelt werden. Dies gilt weiterhin nur in Ansätzen für die slawischen Sprachen, wo vereinzelt Tschechisch oder Polnisch neben Russisch an Schulen gelernt wird, und dann für die germanischen Sprachen, wenn Niederländisch nach Englisch auf der Grundlage des Deutschen erlernt wird. 3.3 Sprachtypologische und sprachgeschichtliche Grundlagen

Betrachtet man die Ausdifferenzierung der indoeuropäischen Sprachenfamilien, so ist klar, dass die romanischen Sprachen, die auf das innerhalb der germani‐ schen Sprachenfamilie aus dem italischen und in diesem aus dem latino-falis‐ kischen Zweig hervorgegangenen Latein resultieren, zahlreiche Ähnlichkeiten aufweisen. Es ist bekannt, dass die Verständigung innerhalb der sogenannten Romania bis weit ins Mittelalter hinein möglich war und auch heute noch teil‐ weise möglich ist; hierin sah auch die Interkomprehensionsmethode ihren An‐ satz. Ähnlichkeiten lassen sich auf allen Ebenen des Sprachsystems feststellen. Gleichwohl gibt es Differenzen, die auch beim Fremdsprachenlernen zu Inter‐ ferenzen zwischen zwei schulisch gelernten romanischen Sprachen führen können. Analogien und Differenzen sind in verschiedenen Bereichen unter‐ schiedlich ausgeprägt, so greift zum Beispiel im Hinblick auf die Morphologie des Plurals die Unterscheidung in West- vs. Ostromania, d.h. hier sind Ähnlich‐ keiten zwischen Spanisch und Französisch größer als zwischen Spanisch und Italienisch, im Bereich der Lexik greift mitunter eine Unterscheidung in Zentralvs. Randromania, d.h. hier sind die Ähnlichkeiten zwischen Französisch und Italienisch größer als zwischen Französisch und Spanisch (z.B. sp. más vs. frz. plus, it. più, sp. hombro vs. frz. épaule, it. spalla, sp. hallar vs. frz. trouver, it. trovare) (cf. Rohlfs 1971). Zentrale Begriffe der mehrsprachigen Wortschatzdi‐ daktik sind „Profilwörter“ (Klein/Stegmann 2000, 146) sowie transparenter vs. nicht-transparenter Wortschatz (cf. Hausmann 2005; Darlau 2005). Als Profil‐ wort bezeichnet man ein Wort, das nur in einer romanischen Sprache vorkommt und diese somit von den anderen gelernten romanischen Sprachen unter‐

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scheidet, z.B. sp. alcanzar. Während mit Profilwörtern eher die sprachsystema‐ tische Ebene bezeichnet wird, weist das Begriffspaar transparenter vs. nicht-transparenter Wortschatz unmittelbar auf die Lernerperspektive: Hier wird betrachtet, ob ein Lexem für den Lernenden durch Erschließung aus der eigenen Sprache, anderen gelernten Sprachen oder auch der zu lernenden Sprache verständlich ist, oder ob es mit erhöhtem Aufwand erlernt werden muss (z.B. internacional vs. aguantar). Auch im Bereich der Morphosyntax ergeben sich in Tempussystem und in Modusgebrauch – um nur zwei Beispiele anzu‐ deuten – trotz einiger Abweichungen wesentliche Übereinstimmungen zwi‐ schen den romanischen Sprachen, die das Erlernen des Spanischen etwa nach Französisch oder auch nach Latein erheblich erleichtern. Dies gilt freilich auch in die andere Richtung, wenn etwa Französisch nach Spanisch als dritte oder auch spät beginnende Fremdsprache erlernt wird. Aus den genannten Betrach‐ tungen zu Differenzen im lexikalischen Bereich ergeben sich Konsequenzen für die Fremdsprachenvermittlung. Unter Umständen können sich im lexikalischen Bereich eher die Sprachenpaare Französisch und Italienisch sowie Spanisch und Portugiesisch stützen; Lehrende können dies bei der Unterrichtsplanung be‐ rücksichtigen. Bedenkt man, dass insgesamt über 800 Millionen Menschen auf der Welt eine romanische Sprache als Muttersprache sprechen (12% der Welt‐ bevölkerung; cf. Bossong 2008, 7), wird das enorme kommunikative Potenzial des romanischen Wortschatzes deutlich. Es wird klar, dass das Erlernen einer oder mehrerer romanischer Sprachen einen erheblichen Beitrag zur Entwick‐ lung einer transkulturellen kommunikativen Kompetenz im Sinne einer Ver‐ ständigung über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg leisten kann (cf. Reimann 2014c). 3.4 Vorgeschichte einer Mehrsprachigkeitsdidaktik

Mehrsprachige Glossare gab es bereits im Mittelalter (cf. Glück 2002, 412). So ist schon in der Zeit um 1425 aus Norditalien ein lateinisch-venezianisch-alttsche‐ chisch-frühneuhochdeutsches Gesprächsbuch belegt (cf. ibid., 416). Solche Vo‐ kabulare und Sprachbücher sollten dem Erlernen der Volkssprachen, insbeson‐ dere zum Zwecke des Handels, dienen (cf. ibid., 413). Vor allem in der Folge des ursprünglich deutsch-italienischen Sprachbüchleins von Adam von Rottweil vom Ende des 15. Jahrhunderts sind zahlreiche mehrsprachige Vokabularien entstanden (cf. ibid., 420 sqq.). Die erste fünfsprachige Ausgabe aus dem Jahr 1513 enthält neben dem Lateinischen vier lebende Volkssprachen, darunter neben dem Italienischen und dem Deutschen auch das Spanische (cf. ibid., 429 sq.). Auch eine Ausgabe aus Antwerpen aus dem Jahr 1534 enthält eine spanische Sektion (cf. ibid., 430). Im 17. Jahrhundert tritt wieder eindeutig das Lateinische

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und sogar das Griechische an die erste Stelle solcher Glossare, d.h. die ursprüng‐ lich für pragmatische Zwecke entwickelten Lehrwerke werden nunmehr wieder für die gebildete Schicht konzipiert, die sich auch Kenntnisse in den modernen Sprachen aneignen will. So gibt es hier Glossare, in denen auf das Lateinische und ggf. Griechische das Niederländische, Französische, Italienische und Spa‐ nische folgen (cf. ibid., 431). Aus dem Jahr 1617 stammt die viersprachige Aus‐ gabe der Janua linguarum von William Bathe in den Sprachen Lateinisch, Fran‐ zösisch, Spanisch und Englisch (cf. Weller 1998, 70). Auch mehrsprachige Dialogbücher aus dieser Zeit sind überliefert, so z.B. die Gemmulae linguarum: Dialogues en quatre langues: français, espagnol, italien et allemand (cf. ibid.; Amsterdam 1656). Diese Tradition setzt sich bis ins 19. Jahrhundert fort, so ist aus dem 18. Jahrhundert ein Lehrwerk L’arte di insegnare la lingua francese per mezzo dell´italiana. Comprenant dans une nouvelle Méthode la Théorie et la Pra‐ tique générale de ces deux langues (cf. Jacques Contois 1737; Meißner 1998, 97)überliefert. Ein erster Bruch mit diesen mehrsprachigkeitsdidaktischen An‐ sätzen ist in der direkten Methode des 19. Jahrhunderts begründet, welche die absolute Einsprachigkeit propagierte. Dennoch gab es weiterhin einzelne mehr‐ sprachigkeitsdidaktische Ansätze, insbesondere an den klassischen Gymnasien, beispielsweise ist aus dem Jahr 1921 eine „Einführung in das Spanische für La‐ teinkundige mit der Marcón’schen Novelle El Capitán Veneno und Vokabular dazu“ eines Studienrats Dr. Eberhard Vogel überliefert, der Oberlehrer am Re‐ algymnasium und Lektor an der Technischen Hochschule in Aachen war (cf. Vogel 1921). Die „unaufgeklärte Einsprachigkeit des Behaviourismus“, die bis weit in die kommunikative Phase hinein, d.h. bis in die 1980er Jahre, wirksam war, unterbindet dennoch das Weitergreifen solcher mehrsprachigkeitsdidakti‐ scher Ansätze. Ab den 1970er Jahren sind einzelne frühe Veröffentlichungen und eine Praxis der Mehrsprachigkeit avant la lettre festzustellen (z.B. Abel 1971; Ernst 1975; Zapp 1979, 1983). Ansonsten ist bis in die 1980er Jahre hinein eine Vorreiterrolle der Lateindidaktik und des Lateinunterrichts in Sachen Mehr‐ sprachigkeit festzustellen (cf. Mader 1979). Mit dem Postulat der aufgeklärten Einsprachigkeit (siehe hierzu Butzkamm 1973), der kognitiven Wende und dem neokommunikativen Fremdsprachenunterricht ist ab den 1990er Jahren der Grundstein für die Entwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik im heutigen Sinne gelegt (cf. Reinfried 1998, 24-27; Reimann 2014b, 23-27). Die hier postu‐ lierte „aufgeklärte Mehrsprachigkeit“ charakterisiert sich u.a. durch die Einbe‐ ziehung auch des Englischen, ggf. des Lateinischen und der Herkunfts- bzw. Familiensprachen. Insofern Mehrsprachigkeitsdidaktik nunmehr auf mehreren verschiedenen Ebenen wirksam wird, könnte man auch von einer „mehrspra‐ chigen Wende“ des Fremdsprachenunterrichts seit etwa 2010 sprechen.

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3.5 Augeswählte empirische Erkenntnisse zum Mehrsprachenlernen

Trotz der zahlreichen sprachenpolitischen Postulate nach Mehrsprachigkeit und wertvollen Beiträgen zur Methodik des mehrsprachigen Unterrichts (z.B. Vences 1998 oder 2011) – gibt es bislang nur wenige empirische Studien zur Wirksam‐ keit von Mehrsprachigkeitsdidaktik im deutschsprachigen Kontext. Verhältnis‐ mäßig gut erforscht, wenn auch insbesondere in qualitativer Hinsicht, ist der Bereich der Interkomprehensionsdidaktik (cf. v.a. Bär 2009, Mordellet-Roggen‐ buck 2011). In Bezug auf Einstellungen von Lernenden und Lehrenden auch zur produktiven Mehrsprachigkeit können zwei Pilotstudien erste Aufschlüsse geben: Die Untersuchung von Reimann 2014d nimmt die Sicht der Schülerinnen und Schüler in den Blick. Bei 45 Probanden kommt sie zu dem Ergebnis, dass insgesamt die Zahl der wahrgenommenen Transfers die Zahl der wahrgenom‐ menen Interferenzen leicht übertrifft und dass insgesamt eine romanische Sprache beim Erlernen einer weiteren romanischen Sprache von den Schüler‐ innen und Schülern als leicht hilfreich erachtet wird. Die größten Hilfen werden dabei im Bereich des Wortschatzes wahrgenommen, gefolgt von der Grammatik und in geringerem Maße dem freien Sprechen, während im Bereich der Aus‐ sprache eher kleinere Störungen wahrgenommen werden. Eine sozusagen kom‐ plementäre Studie legt Neveling (2012) vor: Sie untersucht die Lehrersicht auf das Mehrsprachenlernen. Aus ihr geht hervor, dass Spanischschülerinnen und -schüler aus der Sicht der Lehrkräfte metakognitive Kompetenzen stärker aus dem Fach Deutsch als aus anderen Fremdsprachen wie dem Englischen und dem Französischen beziehen; nur im Bereich der Vokabellernstrategien und dem Umgang mit dem Wörterbuch sind die lebenden Fremdsprachen und hier ins‐ besondere das Englische beim Spanischlernen die stärkste Bezugsgröße. Unter den von den Lehrkräften wahrgenommenen, selbst initiierten Sprachverglei‐ chen der Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Sprachen überwiegt das Englische vor dem Französischen und dem Lateinischen, gefolgt vom Deutschen und weiteren Fremdsprachen. Die Lehrerinnen und Lehrer selbst beziehen sich in den Bereichen Wortschatz, Lernstrategien und Grammatik insbesondere auf Englisch und Französisch, wobei im Bereich der Grammatik auch das Deutsche herangezogen wird. Nach den Erkenntnissen Neveling (2012) vermissen Spani‐ schlehrkräfte vor allem Hilfen in Lehrwerken, Fortbildungen und Unterrichts‐ material. Lebensweltliche Mehrsprachigkeit im Französischunterricht unter‐ sucht, nach der bereits erwähnten Studie Hu 2003, auch die Dissertation Volgger 2012. Die Perspektiven von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften zur Rolle des Englischen im Rahmen mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze un‐ tersucht die Dissertation Jakisch 2015.

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4 Aktuelle Handlungs- und Forschungsfelder

An anderer Stelle habe ich jüngst den Versuch unternommen, zentrale Begriffe und Konzepte der mehrsprachiger Bildung aufzuarbeiten und die Mehrsprachig‐ keitsdidaktik in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts und innerhalb der jüngeren fremdsprachendidaktischen Theoriebildung zu verorten (Reimann 2015sq.). Dabei bin ich u.a. zu dem Ergebnis gelangt, dass Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik bei ihrer, gerade auch in der romanistischen Fremdsprachenforschung in‐ tensiv vorangetriebenen, theoretischen Begründung in den 1990er Jahren durchaus weit gedacht war und sowohl den Bereich des Sprachverstehens (Re‐ zeption) als auch die produktiven Fertigkeiten und Teilkompetenzen im Blick hatte; auch war kulturelle Bildung im Sinne von „Mehrkulturalität“ impliziert (cf. Christ 2011, Christ 2015, in Ansätzen auch Schädlich 2013). Etwa während des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends konzentrierten sich die Bemühungen der Forschung v.a. auf eine vertiefte Ergründung der rezeptiven Fertigkeiten (und hier insbesondere der schriftlichen Rezeption) im Rahmen der so genannten In‐ terkomprehensionsdidaktik. Dies schien, bei allen Verdiensten dieses Ansatzes, einer gewissen Verengung der Sicht auf Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenun‐ terricht gleichzukommen. Seit etwa 2010 lassen sich verstärkt Veröffentlich‐ ungen feststellen, welche sowohl die Produktion als auch die kulturelle Bildung, weitere Fremdsprachen und neue Aspekte wieder bzw. neu ins Visier nehmen. Nicht zuletzt angesichts der – durch die jüngsten Zuwanderungsbewegungen nochmals massiv verstärkten – zunehmenden sprachlichen Heterogenität un‐ serer Lerngruppen sind z.B. auch weitere Sprachen als die klassischen Schul‐ fremdsprachen in mehrsprachige Lehr-/Lernprozesse mit einzubinden, dem Deut‐ schen kommt nunmehr eine veränderte Stellung zu usw. Insgesamt bin ich zu der Einsicht gelangt, dass Mehrsprachigkeitsdidaktik, wie sie etwa bis 2010 ver‐ standen wurde, um sieben Diskurs- und Handlungsfelder erweitert wurde oder werden sollte. Dies habe ich – in Anlehnung an Butzkamms Konzept der „aufge‐ klärten Einsprachigkeit“ (cf. Butzkamm 1973), als „aufgeklärte Mehrsprachigkeit“ zu bezeichnen vorgeschlagen (cf. Reimann 2015). Die sieben Diskurs- und Hand‐ lungsfelder einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ sind demnach: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

produktive Fertigkeiten und Teilkompetenzen Englisch, Latein, Griechisch und weitere Schulfremdsprachen Deutsch als Muttersprache / Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Herkunfts- und Familiensprachen rezeptive Varietätenkompetenz multilingualer Sachfachunterricht transkulturelle kommunikative Kompetenz.

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Dies kann wie folgt veranschaulicht werden:

1990er Jahre: Didaktik der romanischen Mehrsprachigkeit (auch produktiv) und Mehrkulturalität 2000er Jahre: Interkomprehension

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2010 – Aufgeklärte Mehrsprachigkeit + produktive Fertigkeiten + Englisch (+ Latein + Griechisch + weitere Schulsprachen) + Deutsch als Muttersprache / Deutsch als Fremd-/Zweitsprache + Herkunfts-/Familiensprachen + rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache + multilingualer Sachfachunterricht + transkulturelle kommunikative Kompetenz

Abb. 7: Phasen der jüngeren romanistisch-mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die sieben Diskurs- und Handlungsfelder einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeitsdidaktik“ nach 2010 in Grundzügen zu skizzieren, um Anregungen für weitere Forschungen und für die Unterrichtspraxis zu liefern. 5 Modellierung einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ 5.1 Produktive Fertigkeiten

Ein wesentlicher Punkt ist die (Re-) Integration der produktiven Fertigkeiten in die Mehrsprachigkeitsdidaktik. Diese sind gerade für den schulischen Bereich essen‐ tiell – Schülerinnen und Schüler wollen, wenn sie sich mit einer Sprache befassen, lernen, diese zu sprechen (cf. Bär 2009, 520). Angesichts der intensiven Bemü‐ hungen der 2000er Jahre um eine vertiefte Erforschung der Potentiale interkom‐ prehensiver Ansätze war die Entwicklung produktiver Fertigkeiten und Teilkom‐ petenzen zunächst aus dem Blick geraten. Natürlich bietet die Erforschung der Potentiale mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze im produktiven Bereich wie auch die mehrsprachigkeitsdidaktisch basierte Entwicklung produktiver Fertigkeiten und Kompetenzen größere Schwierigkeiten in der Operationalisier- und Messbarkeit als die rezeptiven Fertigkeiten, was die vertieften Bemühungen um die Interkompre‐ hension in den 2000er Jahren zusätzlich erklären kann. Doch ist es nunmehr an der Zeit, auch auf die Entwicklung des Sprechens und des Schreibens in mehrspra‐

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chigen Lernbiographien zu zielen und die Effekte entsprechender Maßnahmen zu erforschen. Erste empirische Erkenntnisse zeigen, dass Schülerinnen und Schüler durchaus einen Einfluss vorgelernter Sprachen auch in der Produktion zur Kenntnis nehmen (cf. z.B. Reimann 2014, 122sq.). Ein viel versprechendes Beispiel für einen Ansatz, wie Interkomprehension auch in Produktion überführt werden kann, findet sich in der Salzburger Lehrwerkreihe Scopriamo l´italiano – Descu‐ bramos el español – Découvrons le franҫais – Italienisch / Spanisch / Französisch in‐ terlingual. Im Französisch-Band findet sich etwa folgende Aufgabenstellung:

Abb. 8: Mehrsprachige Aktivität in Découvrons le franҫais

In Übung 11, die interkomprehensiv angelegt ist, gilt es, auf der Grundlage eines französischen Textes über Fussball, weitgehend neu zu erlernende bzw. neu zu erlernende Lexeme enthaltende Formulierungen mit Hilfe der in vorgelerntem Italienisch bzw. Spanisch dargebotenen Textfragmente wiederzuerkennen und auf Französisch eigenständig zu fixieren. Damit ist bereits ein erster Schritt in Richtung einer – natürlich ausschließlich reproduzierenden – schriftlichen Pro‐

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duktion getan. Tatsächlich in die, nunmehr mündliche, Produktion überführt wird die interkomprehensive Übung dann in Aktivität 12: „Quelle est la tenue de ton équipe préférée? Décris-la à ton voisin / ta voisine!”

Damit wird der Übergang von der sprachlichen Wiedererkennung zur spon‐ tanen, freien mündlichen Produktion initiiert. Solche Aktivitäten sollten ver‐ mehrt – auch noch häufiger als in der zitierten Lehrwerk-Reihe geschehen – in den mehrsprachig ausgerichteten Fremdsprachenunterricht integriert und ihre Effektivität empirisch evaluiert werden.

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5.2 Englisch, Latein, Griechisch und weitere Schulsprachen

In der „klassischen“ Konzeption der romanistischen Mehrsprachigkeitsdidaktik oftmals ein wenig vernachlässigte, in den Sprachenbiographien unserer Schüler‐ innen und Schüler aber äußerst präsente, Sprachen sind das Englische und das Lateinische, ggf. auch das (Alt-) Griechische und weitere Schulfremdsprachen. In Bezug auf das Englische wurde diesbezüglich in den vergangenen Jahren gegen‐ gesteuert (z.B. Leitzke-Ungerer / Blell / Vences 2012, darin u.a. Bär 2012; Schöpp 2015, zahlreiche Veröffentlichungen von Leitzke-Ungerer, z.B. Leitzke-Ungerer 2005, 2008, 2011a, b), das Lateinische bleibt noch immer häufig außen vor, ob‐ schon sowohl empirische Indizien dafür sprechen, dass es von den Schülerinnen und Schülern als hilfreich wahrgenommen wird (z.B. Reimann 2014, 120sqq.), als auch die Alltagswahrnehmung von Lehrkräften dies immer wieder bestätigt. Nicht zuletzt scheinen die in den Bildungsstandards für das Abitur unter „Sprach‐ bewusstheit“ ausgewiesenen Kompetenzen gerade in einem, Sprache vertieft re‐ flektierenden, in der Metasprache Deutsch gehaltenen Unterricht verstärkt zu er‐ zielen. Potentiale und Perspektiven insbesondere des Englischen und Lateinischen in (romanistisch-) mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichteten Ansätzen sollen im Folgenden kurz beleuchtet werden. Das Englische bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte v.a. im lexikalischen Be‐ reich, wie folgende Tabelle aus dem Bereich des Grundwortschatzes illustriert: Englisch

Französisch

Spanisch

Italienisch

to arrive

arriver

(arribar)

arrivare

attention

attention

atención

attenzione

to continue

continuer

continuar

continuare

different

différent

diferente

differente

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famous

fameux

famoso

famoso

surprise

surprise

sorpresa

sorpresa

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Tab. 3: Englisch als Transferbasis für romanische Sprachen

Der hohe „romanische“ Anteil des englischen Lexikons erklärt sich durch verschie‐ dene Wege der „Romanisierung“, unter denen die römische Besatzung Britanniens die geringste Rolle spielt. Bedeutsam sind vielmehr das Kirchenlateinische, später das Mittellatein und vor allem das (Mittel-) Französische, mit den beiden Schwerpunkten Normannisch (Übernahmen v.a. im 12./13. Jahrhundert) und das Zentralfranzösisch (Übernahmen v.a. 13./14. Jhd.) (cf. z.B. Bähr 1997, 73-78). Natürlich bieten sich An‐ knüpfungsmöglichkeiten punktuell auch im Bereich der Morphosyntax, zumindest im Rahmen – teilweise didaktisch reduzierter – „grammatikalischer“ Analogien, wie etwa der Existenz einer Verlaufsform oder Spezifika des Tempusgebrauchs. Brückenschläge zum Englischen, die über den lexikalischen Vergleich hi‐ nausgehen und sich authentischer Dokumente bedienen, lassen sich insbeson‐ dere in der nordamerikanischen Kultursphäre finden, etwa in Filmen wie dem inzwischen als „Klassiker“ des mehrsprachigen Fremdsprachenunterrichts gel‐ tenden Spanglish (cf. Leitzke-Ungerer 2011a). Einen interessanten Ansatz stellen auch die von Eva Leitzke-Ungerer entwickelten Mehrsprachigen Aufgabenori‐ entierten Plattformen (MAP) dar (Leitzke-Ungerer 2012sq.), in denen mehrspra‐ chige Interaktion unter Einbeziehung des Englischen initiiert wird. Dies wird im Folgenden an einem Beispiel illustriert:

Abb. 9: Beispiel aus den Mehrsprachigen Aufgabenorientierten Plattformen (MAP) (Leitzke-Ungerer 2014, 50)

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Es werden hier Rollenspiel-Situationen angeregt, in denen natürlicherweise in mehreren Sprachen interagiert werden muss, was von den Schülerinnen und Schülern eher als positive Herausforderung denn als Überforderung wahrge‐ nommen wird. Des Weiteren verdeutlichen die Ergebnisse der Studie Neveling 2012, dass insbesondere das fremdsprachenbezogene Strategiewissen häufig aus der Ersten Fremdsprache Englisch aktiviert wird (Neveling 2012). Nichtsdestoweniger muss nach wie vor auch an die anglistische Fachdidaktik und an die Engli‐ schlehrkräfte appelliert werden, der Verantwortung, die ihnen bei der Initiie‐ rung zahlreicher Schülerinnen und Schüler in die Mehrsprachigkeit zukommt, tatsächlich auch in gerecht zu werden (Sensibilisierung und Motivation für an‐ dere (Fremd-) Sprachen). In Bezug auf das Lateinische kann festgehalten werden, dass die Auswir‐ kungen auf die prozeduralen Fertigkeiten in modernen Fremdsprachen in ei‐ nigen Studien tatsächlich widerlegt wurden (z.B. Haag 1995, Haag / Stern 2000, 2003). Dennoch sind hier weitere Studien erforderlich, um zu belastbaren Aus‐ sagen gelangen zu können. Auch widerspricht die Alltagsempirie vieler Lehr‐ kräfte und die Aussagen der Schülerinnen und Schüler in Reimann 2014 (120sqq.) diesen Annahmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vorteile, die aus vorgelerntem Latein entstehen, zum einen individuell unterschiedlich ausgeprägt sein dürften, zum anderen ggf. in anderen Bereichen wirksam werden, wie einem allgemeinen Sprachbewusstsein und einer metasprachlichen Kompetenz, die sich ggf. auch positiv auf das Erlernen weiterer Sprachen aus‐ wirken kann. Zumindest scheint es nicht angemessen, das Lateinische aus der Konstruktion mehrsprachiger Curricula gänzlich auszuschließen. Beachtens‐ wert ist, dass in den mehrsprachigkeitsdidaktischen Bemühungen die Didaktik und Methodik der Alten Sprachen seit den 1970er Jahren eine Vorreiterrolle einnahm: zahlreiche Lehrwerke und Wortkunden lieferten bereits seit dieser Zeit Verweise auf erb- und lehnwörtliche Lexeme in modernen Sprachen, ins‐ besondere in den romanischen Sprachen und Englisch. Auch wird punktuell mit romanophonen Textfragmenten in den Lehrwerken gearbeitet (vorbildlich etwa bereits der Cursus Continuus in seiner Ausgabe von 1995, in dem in den Ab‐ schnitten Si parla italiano bzw. Se habla español in sich geschlossene, auf den Inhalt des Haupttextes der Lektion bezogene “Kürzestgeschichte” geboten werden (Fink / Maier 1995), in der aktuellen Lehrwerkgeneration kann beson‐ ders auf Via mea mit seiner Rubrik „Römische Spuren“ in jeder Lektion ver‐ wiesen werden, z.B. Pinkernell-Kreidt / Kühne / Kuhlmann 2011). Aktuelle, vor‐ bildliche Ansätze zur Integration des Lateinischen in mehrsprachigkeits-

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didaktische Bildungsgänge stellen das Schulfach und das Lehrwerk Aurea Bulla der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft dar (vgl. Müller / Gutierrez / Netti / Wesselmann 2016). Ein extremes Beispiel stellt die von Michael Mader 1979 begründete, zuletzt 2008 in vierter Auflage neu edierte „Lateinische Wort‐ kunde für Alt- und Neusprachler“ dar, die, als lateinische Wortkunde konzipiert, für jedes mögliche Lexem nicht nur das deutsche, sondern auch das jeweilige italienische, spanische, französische und englische Lexem (in dieser Reihen‐ folge) angibt.

Abb. 10: Auszug aus Mader (1979)

Ganz neue Arbeits-, Einsatz- und Vermittlungsgebiete ergeben sich bei der In‐ tegration von Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache. Hier scheinen die Alten Sprachen eine Schlüsselfunktion auch für die Förderung im Fach Deutsch einnehmen zu können. Das Potential insbesondere des Latein‐ unterrichts im Hinblick auf die sprachliche Integration, mithin für einen be‐ deutenden Aspekt der Entwicklung inter- und transkultureller kommunikativer Kompetenz, ist im Umfeld des Lehrstuhls für Didaktik der Alten Sprachen der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht worden (z.B. Kipf 2014, Große 2015); entsprechende Projekte und Studien werden dort weiter vertieft. Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine verstärkte Kooperation zwischen neusprachlichen und altsprachlichen Fachdidaktiken der Entwicklung mehrsprachiger Biogra‐

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phien nur zuträglich sein kann (cf. exemplarisch für das Sprachenpaar Englisch und Latein den Band Doff / Kipf 2013).

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5.3 Deutsch als Muttersprache / Deutsch als Fremd-/Zweitsprache

Im Rahmen einer integrativ gedachten Mehrsprachigkeit kommt auch dem Deutschen – als Mutter wie als Fremd- und Zweitsprache – eine gewisse Be‐ deutung im Fremdsprachenunterricht zu. Bei in bestimmten Kontexten zuneh‐ mend geringeren muttersprachlichen Kompetenzen kann auch der Fremdspra‐ chenunterricht punktuell dazu beitragen, deutsche Sprachkompetenzen zu verbessern. Sicherlich kommt diesbezüglich den Alten Sprachen (insbesondere Latein) eine größere Bedeutung zu als den neueren Fremdsprachen, doch können auch diese durch systematische punktuelle Einbeziehung des Deutschen ihren Beitrag zu einer Förderung der Deutschkompetenzen leisten. Dies betrifft zum einen die Ebene der Verfügung über die sprachlichen Mittel (z.B. Lexik, kontrastierende Arbeit an morphosyntaktischen Phänomenen), zum anderen aber in besonderem Maße die Ebene der Sprachreflexion (einschließlich meta‐ sprachlicher Terminologie) und Sprachbewusstheit. Mindestens in demselben Maße wie das Deutsche als Muttersprache können auch die Deutschkompe‐ tenzen derjenigen Schülerinnen und Schüler gefördert werden, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache erlernen oder erworben haben. Diesbezüglich wird einer Einbeziehung des Deutschen in den Fremdsprachenunterricht in Zukunft ggf. noch größere Bedeutung zukommen als bisher. Gerade auch sprachkont‐ rastierendes Arbeiten und zweisprachige Semantisierung könnten hier hilfreich sein. Auch diesbezüglich stehen vertiefte Studien noch aus, am weitesten ent‐ wickelt ist hier derzeit die Didaktik der Alten Sprachen mit dem an der Hum‐ boldt-Universität zu Berlin angesiedelten Projekt „Pons Latinus“ (einschließlich begleitender Evaluierungs-Studien). 5.4 Herkunfts-/Familiensprachen

Herkunfts- und Familiensprachen können im Sinne einer pädagogischen Moti‐ vation (Aufwertung der Zuwanderungsgeschichte), im Sinne der Förderung des Sprachbewusstseins aller Schülerinnen und Schüler und punktuell auch als Lernhilfe (Brücke zu einer schulischen Fremdsprache) in den Fremdsprachen‐ unterricht integriert werden, man denke etwa an die zahlreichen Französismen des Türkischen. Einführende Konzepte und Materialien wurden diesbezüglich bereits vorgelegt (z.B. Granados / Siems 2014, Fernández Ammann / Kropp / Müller-Lancé 2015, Reimann / Siems 2015). Insbesondere bietet sich auch die Aktivität der Sprachmittlung an, um mehrsprachige Situationen möglichst au‐ thentisch auszugestalten. Zur Illustration sei in Auszügen ein Beispiel zur drei‐

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sprachigen mündlichen Sprachmittlung (informelles Dolmetschen) zwischen den Sprachen Deutsch, Spanisch und Türkisch, konzipiert für den Spanischun‐ terricht der fortgeschrittenen Sekundarstufe I (3. Lernjahr, Jahrgangsstufe 9/10), wiedergegeben. Der gegebene Aufgabenkontext lautet wie folgt: Im Rahmen eines trinationalen Schüleraustausches kommen spanische und türkische Austauschschüler/innen an eine Schule nach Deutschland. Eine/r ihrer Gastgeber/ innen spricht Türkisch und Deutsch und lernt seit zwei Jahren Spanisch an der Schule. Nach der Vorstellung des Programms in der Aula, bei der den Gästen auch der deutsche Schulalltag erklärt wurde, sollen Spanier/innen und Türk/innen ins Gespräch über den (Schul-) Alltag in der Türkei bzw. in Spanien kommen. Die/Der deutsch-türkische Gastgeber/in vermittelt zwischen den beiden bzw. zwischen den Gruppen (sofern mehrere spanische Schüler/innen an der Situation beteiligt sind, s.u. zu Gruppenbil‐ dung). Insofern trägt diese Aktivität auch zum interkulturellen Lernen bei. Die Sprach‐ mittlung findet zwischen den Sprachen Spanisch und Türkisch statt (Reimann / Siems 2015, 33f.).

Der Input für die/den dreisprachige/n Schüler/in aus Deutschland (bilingual deutsch-türkisch mit Schulfremdsprache Spanisch) lautet wie folgt (art. cit., 36):

Abb. 11: Beispiel für eine dreisprachige Sprachmittlungsaufgabe

Die entsprechenden Rollenspiel-Vorgaben für die/den spanisch- und die/den türkischsprachige/n Schüler/in enthält die entsprechenden komplementären Informationen, wobei der Input für die/den türkischsprachige Schüler/in auf Türkisch und auf Deutsch geliefert wird, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle türkischsprechenden Schülerinnen und Schüler einer Lern‐ gruppe über ausreichende Lesekompetenzen im Türkischen verfügen. Ein denk‐ bares Szenario zur Kontextualisierung einer schriftlichen Sprachmittlungs-Ak‐

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tivität ist ein trinationaler Schüleraustausch, bei dem ein gemeinsames Produkt beispielsweise in der Fremdsprache Spanisch erstellt und dafür z.B. ein Liedtext zusammengefasst werden soll. Reimann / Siems 2016 (35f. und 37-43) schlagen etwa vor, dass zu dem Thema „Lieder für die Umwelt“ ein türkischsprachiges Lied zu einem ökologisch relevanten Thema auf Spanisch zusammengefasst werden soll. Entsprechende Unterrichtsszenarien können auch für weitere in den Lern‐ gruppen vorhandene Sprachen entwickelt werden. Sind viele Sprachen und je‐ weils nur in geringer Zahl vorhanden, sind etwa an unterrichtliche Settings mit Expertengruppe denkbar, in denen jeweils „Sprach-Experten“ Dokumente in einer Sprache bearbeiten usw. Einen Sonderfall der Herkunfts-/Familiensprecher stellen Muttersprachler/ innen im Fremdsprachenunterricht dar. Obschon dies im Grunde alle Fremd‐ sprachen betrifft (cf. bereits Roth 1996), hat die Fachdidaktik Russisch diesbe‐ züglich die meisten Erkenntnisse erzielt (einführend z.B. Tichomirowa 2011, Mehlhorn 2011 und 2014, jeweils mit weiterführender Bibliographie). Dabei konnten bislang folgende Potentiale der Präsenz von Muttersprachler/innen im Russischunterricht festgestellt werden: – – –

– – – –

größere Chancen für die russischsprachigen Schüler auf einen erfolgrei‐ chen höheren Schulabschluss […], Bestätigung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die sie aus ihrem Heimat‐ land mitgebracht haben […], Erhöhung des Selbstwertgefühls bei den russischsprachigen Schülern aus der Erfahrung, auch einmal etwas besser zu können, und positive Aus‐ strahlung auf ihr Verhalten in anderen Fächern […], Kompetenzzuwachs […] in Bezug auf ihre schriftsprachlichen Kenntnisse […], Erhalt und Ausbau ihrer sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Rus‐ sischen […], Möglichkeit, über die Erstsprache Russisch den Zweitspracherwerb des Deutschen zu stützen […], Ermöglichung interkulturellen Lernens durch die Verbindung von russi‐ scher und deutscher Kultur […] (Mehlhorn 2014, 247, jeweils mit weiter‐ führenden bibliographischen Angaben).

Dem stehen u.a. folgende Probleme gegenüber: – geringe Akzeptanz des Russischunterrichts bei Familien mit starkem As‐ similationswillen, in denen zu Hause nur noch Deutsch gesprochen wird […],

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übersteigertes Selbstbewusstsein einiger „Muttersprachler“, was sich im Anspruch auf Bestnoten und Zweifeln an der Kompetenz der Lehrperson äußert […], – Entmutigung leistungsschwächerer Schüler, Abwahl des Faches Russisch durch einen Teil der Fremdsprachenlerner und Abwertung des Unter‐ richtsfachs Russisch durch „reine Muttersprachlerklassen“ […], – sprachliche und methodische Überforderung [sc. der Lehrkräfte] durch Schüler mit russischsprachigem Hintergrund und damit verbundene Un‐ sicherheit vieler Russischlehrkräfte […] (art. cit., 248).

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Es ist davon auszugehen und entspricht auch der Alltagswahrnehmung von Spanisch-, Italienisch-, Französisch- und Englischlehrkräften, dass diese Er‐ kenntnisse weitgehend auch für andere Schulfremdsprachen zutreffen. Es bietet sich an, die Präsenz von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern zu nutzen und diese zu fördern, indem sie in verschiedenen differenzierenden Maßnahmen als Experten eingesetzt werden (jüngst art. cit., 248sq.). Auch gibt es inzwischen Lehrwerke des Russischen, die spezielle Aktivitäten zur Binnendifferenzierung für Mutterspracher/innen vorsehen (art. cit., 249). Entsprechende Fragestel‐ lungen werden derzeit in einem laufenden, BMBF-geförderten Großprojekt em‐ pirisch vertieft (Russische und polnische Herkunftssprache als Ressource im Schul‐ unterricht? - Eine Bestandsaufnahme zur Rolle des familiären und schulischen Kontexts für die Nutzung von Herkunftssprachen durch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, Projektleitung: Bernhard Brehmer und Grit Mehl‐ horn, Laufzeit: 2013-2016, http://www.phil.uni-greifswald.de/index.php? id=43909 (25.02.2016), cf. z.B. Brehmer / Mehlhorn 2015, Mehlhorn 2015). Auch wenn in der heutigen Zeit andere Gruppen von Familien- bzw. Herkunftsspre‐ cherinnen und -sprechern im Fokus stehen, so scheint es in einer Zeit zunehm‐ ender Mobilität und Migration angebracht, entsprechende Forschungen und Konzepte auch in Bezug auf Muttersprachler/innen in anderen Schulfremdspra‐ chen (also z.B. Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch) anzustellen, um die individuelle Förderung solcher Schülerinnen und Schüler bestmöglich gestalten zu können. 5.5 Rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache

Unter „rezeptive Varietätenkompetenz“ (cf. Reimann 2011) wird hier die Fähig‐ keit verstanden, exemplarische Varietäten der im Fremdsprachenunterricht er‐ lernten Sprachen auch rezeptiv zu kennen, d.h., lesend und insbesondere hörend zu verstehen. Zwar sind Varietäten aus linguistischer Sicht nicht im engeren Sinn dem Phänomen der Mehrsprachigkeit zuzuordnen, aus didaktischer Per‐ spektive sind sie im Sinne der Entwicklung von Sprachbewusstheit der Ausprä‐

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gung mehrsprachiger Kompetenzen indes durchaus zuträglich (cf. schon Wand‐ ruszkas Konzept der „inneren Mehrsprachigkeit“ des Menschen, das sich eben auf Varietäten der Erstsprache bezieht, Wandruszka 1979). Insofern wird hier postuliert, (rezeptive) Varietätenkompetenzen systematisch zu fördern und in mehrsprachigkeitsdidaktische Bemühungen zu integrieren. Hintergrund dieser v.a. aus romanistisch-didaktischer Sicht angestellten, sicherlich aber auch für den anglistischen Bereich reflektierenswerten Überlegung ist die Tatsache, dass es sich sowohl beim Französischen als auch beim Spanischen um plurizentrische Sprachen handelt, deren Standardvarietät jeweils nur durch den Bruchteil der im Mutterland lebenden Primärsprecherinnen und -sprecher vertreten ist (so‐ fern diese alle über die Standardvarietät verfügen), während weiter Teile der Aufgeklärte Mehrsprachigkeit (4): und -sprechern eine der zahlreichen Gesamtmenge von Primärsprecherinnen Rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache Varietäten sprechen. Sehr deutlich veranschaulicht dies die Relation der in Frankreich lebenden Bevölkerung zu Primärsprecherinnen und -sprechern in Französisch und Spanisch als plurizentrische Sprachen der Frankophonie respektive der in Spanien lebenden Bevölkerung zur restli‐ (Relationen nach Bossong 2008) chen Hispanophonie (Relationen nach Bossong 2008):

Abb. 12: Relationen der Sprecherzahlen in Franko- und Hispanophonie

Bei der Entwicklung einer Didaktik plurizentrischer Sprachen treten soziolin‐ guistische (sprachenpolitische) neben varietätenlinguistische (neben der des‐ kriptiven Varietätenlinguistik kommt hier der perzeptiven Varietätenlinguistik (cf. Krefeld / Pustka 2010a und b) besondere Bedeutung zu) und fremdsprachen‐ didaktische Aspekte (Theorie der transkulturellen kommunikativen Kompe‐ tenz, s.u.). Dies kann wie folgt veranschaulicht werden:

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Abb. 13: Bezugsgrößen einer varietätensensiblen Fremdsprachendidaktik

Wünschenswert wäre, dass in bedeutenden, repräsentativen oder aus didakti‐ schen Gründen ausgewählten Varietäten eine systematische Progression v.a. im Hörverstehen erzielt wird, z.B. auch durch Integration entsprechender Hör‐ verstehens-Aktivitäten z.B. in Modul- oder Plateauphasen der Lehrwerke. An anderer Stelle (Reimann 2011) habe ich für das Französische folgende Varietäten vorgeschlagen: 1. eine südfranzösische Varietät bzw. das Regionalfranzösische des Midi, insofern weite Teile Frankreichs von einem „südfranzösischen Akzent“ betroffen sind, was bei den Schülerinnen und Schülern bereits beim Schüler‐ austausch ab dem Massif Central zu Verständnisschwierigkeiten führen kann, sofern sie darauf nicht zumindest in Grundzügen vorbereitet sind. Zugleich er‐ laubt die Auseinandersetzung mit dem Französischen des Midi einen unmittel‐ baren, auf die Metropole bezogenen Einstieg in das Varietätenspektrum des Französischen; 2. eine Varietät des subsaharischen Französisch: die subsahari‐ schen Varietäten sind einerseits in der Aussprache stark markiert, so dass das Hörverstehen ohne entsprechende Vorbereitung erschwert ist. Zum anderen stellen die afrikanischen Länder nicht unbeträchtliche Teile der Sprecherinnen und -sprecher des Französischen. Nicht zuletzt wird meine 2011 erhobene For‐ derung nach einer verstärkten Berücksichtigung der frankophonen Varietäten Afrikas durch die jüngsten Migrationsbewegungen nach Europa akut verstärkt. 3. ggf. im Sinne der Europabildung und der Förderung von Nachbarsprachen eine weitere europäische Varietät, etwa das Französische Belgiens oder der Schweiz. Für das Spanische kann entsprechend empfohlen werden: 1. das an‐

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dalusische Spanisch, das ähnlich wie das Französische des Midi einerseits ohne Vorbereitung nicht unmittelbar zugänglich ist, andererseits auf der iberischen Halbinsel weit verbreitete Züge in der Aussprache beinhaltet und nicht zuletzt als Basis der hispanoamerikanischen Varietäten gilt („español atlántico“); 2. das Spanisch Mexikos als nordamerikanische Varietät einerseits und als Sprache des bedeutendsten hispanoamerikanischen Handelspartners der Bundesrepublik Deutschlands andererseits, wenn man die häufig vorgebrachten utilitaristische Argumente für das Erlernen des Spanischen in den Vordergrund stellt, 3. das argentinische Spanisch als exemplarische südamerikanische Varietät und vor allem als im Sinne der mehrsprachigen und transkulturellen Bildung sprachpä‐ dagogisch höchst interessante Varietät, in deren Entwicklung spanische und italienische Elemente eingeflossen sind, und ggf. 4. wiederum v.a. aus (sprach-) pädagogischen Varietäten des Spanischen in den USA als Kristallisationspunkt des Bilinguismus Englisch-Spanisch, der oben bereits als mögliche Brücke zur Integration des Englischen in mehrsprachige Curricula genannt wurde. Die im Sinne der Mehrsprachigkeitsdidaktik in Erwägung zu ziehenden Varietäten des Französischen und Spanischen werden in der folgenden Tabelle nochmals zu‐ sammengefasst (vgl. Reimann 2017): Rezeptive Kompetenzen (v.a. mündlich) in ausgewählten Varietäten Französisch

Spanisch

südfranzösische Varietät

andalusisches Spanisch

subsaharisches Französisch

mexikanisches Spanisch

kanadisches Französisch

argentinisches Spanisch

ggf. weitere europäische Varietät (Belgien, Schweiz)

ggf. spanische Varietäten in den USA

Tab. 4: Rezeptive Varietätenkompetenz im Französischen und Spanischen

5.6 Multilingualer Sachfachunterricht

Die in der Englischdidaktik mitunter zu beobachtende Assoziation von Bilin‐ gualem Sachfachunterricht / CLIL mit Mehrsprachigkeit scheint mir nicht ziel‐ führend, handelt es sich doch bei klassischem bilingualem Sachfachunterricht um Unterricht in einer bis zwei, nicht aber mehreren Sprachen. Natürlich kann CLIL ein Baustein zur Entwicklung mehrsprachiger Individuen sein, ist hierfür aber nicht ausreichend. Im Umkehrschluss ist, was auch für klassischen Bilin‐

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gualen Sachfachunterricht / CLIL gilt, auch eine Befruchtung des Fremdspra‐ chenunterrichts aus Ansätzen des multilingualen Sachfachunterrichts möglich, insofern anspruchsvolle und motivierende Inhalte, wie sie klassischerweise in den Sachfächern verhandelt werden, auch in den Fremdsprachenunterricht der Oberstufe Einzug halten können. Ein geradezu vorbildliches Beispiel im Hin‐ blick auf die Bereicherung des Fremdsprachenunterrichts durch sachfachliche Inhalte ist die Sammlung von Texten italienischer Naturwissenschaftlerinnen, die Jean-Pierre Jenny jüngst für den Italienischunterricht zusammengestellt, aufbereitet und kommentiert hat (Jenny 2016). Ein echter Beitrag zur Entwicklung mehrsprachiger Lernbiographien ist da‐ rüber hinaus sachfachliches Lernen, das jeweils mehrere Sprachen einbezieht, mithin multilingualer Sachfachunterricht. Dies kann ggf. auch nur punktuell erfolgen, je nach Gegenstand. Ein hervorragendes Beispiel, wie dies ausgestaltet werden könnte, stellt das in Frankreich bereits 2008 publizierte Projekt Euro-Mania dar (CRDP de Midi-Pyrénées) dar (cf. www.euro-mania.eu). Es wendet sich an Schülerinnen und Schüler zunächst französischer Schulen im Alter von 8 bis 11 Jahren, also am Ende der Grundschulzeit und in der Über‐ gangsphase in die Sekundarstufe. Es enthält insgesamt 20 Dossiers aus den Be‐ reichen Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik in sechs romanischen Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Ru‐ mänisch, Okzitanisch). Zur Veranschaulichung werden im Folgenden einzelne Aktivitäten aus dem für das Fach Mathematik konzipierten Modul 13 – Dé‐ chiffrer le monde vorgestellt (cf. http://carap.ecml.at/Portals/11/NTFo‐ rums_Attach/Icomp5_dechiffrer_le_monde.pdf, 25.02.2016). Im ersten Beispiel soll, in einer in rumänischer Sprache dargebotenen Übung, die Menge der Zu‐ taten für Pfannkuchen / Crêpes, die im Rezept für acht Personen angegeben ist, für den Fall einer Zubereitung für eine Klasse mit 32 Schülerinnen und Schülern bzw. für eine Familie mit vier Personen berechnet werden:

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Erkenntnisse der jüngeren Forschung in der Praxis

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Mehrsprachigkeitsdidaktik Beispiel-Aktivität (1):

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Abb. 14: Beispiel für multilingualen Sachfachunterricht: Rumänisch im Mathematikun‐ terricht

Auch das zweite Beispiel, nunmehr in italienischer Sprache gehalten, stellt eine klassische Textaufgabe dar: zum einen sollenin dieder Angaben zur Oberfläche und Erkenntnisse der jüngeren Forschung Praxis zur Einwohnerzahl gerundet werden, zum anderen eine Graphik erstellt werden, in die Oberfläche Beispiel-Aktivität (2): und Einwohnerzahl eingetragen werden und sodann die Länder in Bezug auf diese beiden Datenreihen verglichen werden:

Abb. 15: Beispiel für multilingualen Sachfachunterricht: Italienisch im Mathematikun‐ terricht

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Am Ende des Dossiers werden Sprachvergleich und Sprachreflexion ausgehend

der jüngeren Forschung in der Praxis vom sprachlichen Input der mathematischen (Text-) Aufgaben systematisch an‐ geregt:

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3):

Abb. 16: Sprachreflexion im Mathematikunterricht

Einzelne Elemente dieser Unterrichtsreihen sind unverändert auch im Unter‐ richt der romanischen Sprachen der Sekundarstufe I im deutschsprachigen Raum einsetzbar. Eine systematische (Weiter-) Entwicklung solcher Module zum multilingualen Sachfachunterricht auch im deutschsprachigen Raum scheint für die mehrsprachige Bildung wünschenswert. 5.7 Transkulturelle kommunikative Kompetenz

In Fortführung verschiedener Modelle der interkulturellen (kommunikativen) Kompetenz habe ich 2011sqq. ein Modell der transkulturellen kommunikativen Kompetenz vorgeschlagen und v.a. seit 2015 weiterentwickelt (z.B. Reimann

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2011, 2013, 2014b). Transkulturelle kommunikative Kompetenz kann letztlich als Kulminations- und Konzentrationspunkt aller Bemühungen um Mehrspra‐ chenkompetenz gelten. Auch dieses Modell kann weder als umfassend noch als die Operationalisierung inter- bzw. transkultureller Kompetenz abschließend ermöglichend angesehen werden. Allerdings stellt es den Versuch dar, eine Operationalisierung von Lernprozessen erleichternde Stufung mit der Beschrei‐ bung verschiedener Dimensionen kultureller Lernprozesse zu integrieren. Es handelt sich um ein integrierendes, gestuftes Modell, in dem das Kontinuum von Landeskunde, Inter- und Transkulturalität die Progression des individuellen Lernprozesses widerspiegelt: „Landeskunde“, inter- und transkulturelle Kom‐ petenz widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich insofern, als soziokul‐ turelles Orientierungswissen Grundlage für den Aufbau interkultureller Kom‐ petenz sein kann. Diese wiederum, d.h. die (Er-) Kenntnis des Selbst und des Anderen, die Erkenntnis der im Sinne der Transdifferenz nicht zu leugnenden Differenzen und das (Fremd-) Verstehen sind unabdingbare Voraussetzungen zum (tendenziell) späteren Erreichen einer tatsächlichen transkulturellen kom‐ munikativen Kompetenz im Sinne einer Kompetenz zur Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Es handelt sich, wie im Folgenden in der Grafik angedeutet, um einander überlagernde Sphären oder Schwerpunktset‐ zungen, nicht um klar trennbare Abfolgen: inter- und sogar transkulturelles Lernen kann gleichzeitig zum oder sogar vor dem landeskundlichen Lernen einsetzen usw.; dennoch ist eine substantielle Erweiterung inter- bzw. transkul‐ tureller (kommunikativer) Kompetenz nur auf der Grundlage eines vertieften soziokulturellen Orientierungswissens bzw. interkultureller Kompetenz mög‐ lich, d.h., der Lernprozess wird in seinen Schwerpunkten durchaus der ge‐ nannten Reihenfolge Landeskunde – interkulturelles Lernen – transkulturelles Lernen entsprechen. Dabei integriert das Modell die drei Dimensionen inter(und trans-) kultureller Kompetenz nach Erll/Gymnich 2011, die Wirkungsrich‐ tungen im Sinne Deardorffs (Bertelsmann-Stiftung 2006) und die von mir bereits an anderer Stelle vorgeschlagene taxonomische Stufung in inter- (Verstehen) und transkulturelle Kompetenz (Verständigung) (cf. Reimann 2011sqq.). Da‐ durch wird verdeutlicht, dass das soziokulturelle Orientierungswissen v.a. die kognitive Dimension inter- und transkultureller Kompetenzen betrifft und letzt‐ genannte weiterhin jeweils über eine emotional-affektive und eine handlungs‐ bezogen-konative Komponente verfügen. Dabei führt die affektive Komponente tendenziell eher zu einer internen Wirkung im Sinne der (Persönlichkeits-) Bil‐ dung, welche sich v.a. über das (Fremd-) Verstehen entwickelt, während die ko‐ native Dimension v.a. als die externe Wirkung zu verstehen ist, die zur Verstän‐ digung in der Interaktion mit einem Kommunikationspartner führt.

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Die grundlegende Rolle des sprachlichen Lernfortschritts wird dabei durch die vertikale und die horizontale Achse am Rand der Graphik verdeutlicht: die vertikale Dimension repräsentiert dabei die Dauer und – im Regelfall damit verbunden – die Progression des Sprachenlernens. Die horizontale Achse bzw. die horizontale Dimension der drei Kreise deutet dagegen den Grad der Vertie‐ fung an, der in den einzelnen Teilbereichen erreicht werden kann. Somit wird deutlich, dass auch interkulturelles und transkulturelles Lernen auf einem wenig entwickelten sprachlichen Kenntnisstand möglich ist, eine reflektierte Vertie‐ fung in der Fremdsprache realistischer Weise aber erst bei fortgeschrittenen Sprachkenntnissen. Da aber die kognitiven Fähigkeiten mit fortgeschrittenem Alter, gerade im Fall der sogenannten spät beginnenden Fremdsprache – eine Position in schulischen Sprachlernbiographien, die immer wieder gerade auch dem Italienischen und dem Spanischen zukommt –, auch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Sprachkenntnisse wenig entwickelt sind, durchaus inter- und trans‐ kulturelle Reflexionen erlauben, impliziert die Forderung nach transkulturellem Lernen auf der Ebene der Sprache auch Offenheit für ungezwungene Sprach‐ mischung, wie sie echt mehrsprachige Individuen an den Tag legen, insbeson‐ dere auch in Bezug auf die Interaktion im fremdsprachlichen Klassenzimmer (cf. z.B. Weinrich 1983, Butzkamm u.a. 1973, 2009) In jüngerer Zeit bevorzugte Formen der freieren Sprachmittlung (z.B. informelles Dolmetschen) sind inso‐ fern transkulturelle kommunikative Aufgaben par excellence (cf. z.B. Leitzke-Un‐ gerer 2008, Rössler 2008). 6 Fazit

Die Förderung von Mehrsprachigkeit und der in ihr implizierten Mehrkultura‐ lität leisten einen wesentlichen Beitrag zur Europabildung (KMK 2008) und zur Friedenserziehung. Der Fremdsprachenunterricht gerade in den zweiten und dritten Fremdsprachen wie Französisch, Spanisch oder Italienisch trägt zur Ent‐ wicklung mehrsprachiger Biographien ansonsten nur monolingual aufwach‐ senden Schülerinnen und Schülern bei (cf. die Definition der Mehrsprachigkeit durch die EU: Muttersprache + zwei weitere Sprachen). Auch ist die zweite Fremdsprache Voraussetzung für die Erlangung der allgemeinen Hochschul‐ reife. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, für alle Schülerinnen und Schüler zweite, dritte und spät beginnende moderne Fremdsprachen zugänglich zu ma‐ chen. Weiterhin ist eine Stärkung der empirischen Fremdsprachenforschung unabdinglich, um den Fremdsprachenunterricht u.a. im Hinblick auf – schulisch und herkunftsbedingt entwickelte – Mehrsprachigkeit noch effektiver und schüleradäquater zu gestalten. Dies betrifft gerade auch die zweiten und dritten

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Fremdsprachen mit ihren spezifischen Anforderungen an die Lernenden. Dazu müssen Professuren für Fremdsprachendidaktik eingerichtet und forschungs‐ stark ausgestattet werden.

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Daniel Reimann

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Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA)

Anna Schröder-Sura

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1 Einführung

Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) wurde in zwei Programmen (2004-2007 und 2008-2011) am Europäischen Fremdspra‐ chenzentrum des Europarats (EFSZ)1 in Graz entwickelt. Er ist das Ergebnis der Zusammenarbeit eines Teams aus Deutschland, Frankreich, Malta, Ungarn und der Schweiz unter der Leitung von Michel Candelier sowie der Unterstützung durch ein Netzwerk von Lehrenden und Bildungsverantwortlichen zahlreicher europäischer Staaten sowie Kanada. Das Produkt dieser Kooperation besteht aus mehreren Komponenten2: –

dem Referenzrahmen selbst (REPA – Kompetenzen und Ressourcen), be‐ stehend aus Deskriptoren für Kompetenzen und Ressourcen – einer graphischen Darstellung der Deskriptoren von Ressourcen in Bezug auf ihre Förderung in unterschiedlichen Bildungsstufen – einer Datenbank mit Unterrichtsmaterialien – mehreren Modulen für die Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung

Der REPA stellt Instrumente zur Förderung sprachen- und kulturenübergreif‐ enden Lernens bereit und kann auf alle Sprachen und sprachlichen Aktivitäten unabhängig von ihrer Kombination und Position im Curriculum angewendet werden. Dies betrifft folglich die Schul- bzw. Unterrichtssprache(n), die Schul‐ fremdsprachen, die Herkunftssprachen, die Regional- und Umgebungssprachen

1 2

Ziele und Inhalte der Programme werden durch die Vertreter der Mitgliedsstaaten und unter Berücksichtigung der Orientierungen der Division des politiques linguistiques festgelegt. Alle Instrumente sind auf der Projektwebseite des EFSZ verfügbar: http:// carap.ecml.at/.

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der Schülerinnen und Schüler (De Pietro/Lőrincz 2011, 49) oder auch weitere Sprachen, die keiner der genannten Kategorien angehören. Zahlreiche Anwendungsbeispiele (s. Kapitel 2) belegen, dass die Instrumente vor allem im Fremdsprachenunterricht zum Einsatz kommen, obwohl der REPA grundsätzlich in allen Sprach- und Sachfächern mit unterschiedlichen Schwer‐ punkten genutzt werden kann. Die einzelnen Komponenten können vom Ele‐ mentarbereich bis zum Tertiärbereich mit unterschiedlichen Sprachen und Kul‐ turen vernetzenden Verfahren eingesetzt werden. Sie richten sich in ihrer flexiblen Kombinierbarkeit an Lehrende, Aus- und Fortbildende, Lehrwerkau‐ toren, Bildungsverantwortliche und Curriculumentwickler.

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2 REPA und Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen 2.1 Das Konzept der Pluralen Ansätze

Mit dem Begriff 'Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen' werden „Lehr- und Lernverfahren bezeichnet, die zugleich mehrere Sprachen bzw. sprachliche Varietäten und Kulturen einbeziehen“ (Candelier et al. 2012, Hervorhebung im Original). Diese weit gefasste Definition stellt das Hauptunterscheidungs‐ merkmal zum eher traditionellen, zumeist ausschließlich einzelsprachlich aus‐ gerichteten (Fremd-)Sprachenunterricht dar. Beide Zugänge sind komplementär und können bei zielgerichtetem Einsatz im Unterricht als einander ergänzend aufgefasst werden. Eine Vernachlässigung bzw. ein Ausschluss einer der beiden Orientierungen ist heute aus gesellschaftlichen, bildungspolitischen und auch fremdsprachendidaktischen Gründen weder gewollt noch möglich (Beacco et al. 2016, insbesondere Kapitel 1.1., 15-16). Gesellschaft(en) und die unmittelbare Umgebung zeichnen sich in den meisten Lebensbereichen durch Pluralität aus. So stellen Candelier und De Pietro in Bezug auf den schulischen Kontext zu Recht fest: […] l’enseignant […] doit non seulement enseigner une langue […], mais il ne peut le faire qu'en prenant en compte le contexte « pluriel » dans lequel son enseignement prend place – autrement dit un contexte dans lequel des langues de plus en plus nom‐ breuses et diversifiées sont présentes, sous des formes diverses. (Candelier/De Pietro 2012)

Jeder einzelsprachliche Unterricht ist durch sprachliche und kulturelle Vielfalt gekennzeichnet und bereitet gleichzeitig auf diese Vielfalt vor, was den Rück‐ griff auf gezielte didaktische Verfahren erforderlich macht. Als didaktische Ansätze werden im Referenzrahmen die Interkomprehensi‐ onsdidaktik (Meißner/Reinfried 1998, Meißner et al. 2004, Meißner 2005, Olli‐

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vier/Strasser 2013), die integrierte bzw. integrative Sprachendidaktik (Roulet 1980, Neuner 2005, Wokusch 2005), der Eveil aux langues-Ansatz (Candelier 2003, 2007) und das interkulturelle Lernen (Byram 1997, 2003) aufgeführt. Vor dem Erscheinen des REPA existierten sie im deutschsprachigen Raum unter diesen oder auch ähnlichen synonymisch verwendeten Begriffen3 mehr oder weniger isoliert nebeneinander. Im REPA wurden sie mit der Bezeichnung „Plu‐ rale Ansätze“ zusammengeführt, da sie alle mehrere sprachliche und kulturelle Varietäten einbeziehen. Ihre Verflechtungen lassen die Überlegung zu, die ein‐ zelnen Ansätze in einer globalen Perspektive als Varianten eines einzigen Plu‐ ralen Ansatzes zu betrachten, die je nach Zielsetzung und Zielgruppe eingesetzt werden. Dahingehende Vorschläge werden sowohl allgemein (z.B. Candelier 2008, De Pietro 2009), als auch spezifisch beispielsweise für das Verhältnis zwi‐ schen integrierter Didaktik und Eveil aux langues (De Pietro 2008) sowie für das Verhältnis zwischen integrierter Didaktik und Interkomprehension (Gajo 2008) diskutiert. So können Unterrichtsmaterialien zur Förderung bestimmter Res‐ sourcen der Schülerinnen und Schüler je nach Zielsetzung des Unterrichts im Sinne der integrierten Sprachendidaktik (vgl. z.B. den Beitrag Hufeisen im vor‐ liegenden Band) oder der Interkomprehensionsdidaktik (vgl. z. B. Ollivier/ Strasser im vorliegenden Band) eingesetzt werden. Bei der Entwicklung des Konzepts der Pluralen Ansätze und des entsprech‐ enden Referenzrahmens wurde der Schwerpunkt auf diese vier gelegt, ohne je‐ doch die Möglichkeit der Übertragbarkeit auf andere Ansätze auszuschließen. Ausgehend von der o.g. Definition der Pluralen Ansätze wurden dahingehende Überlegungen, vor allem im Hinblick auf den bilingualen (Sachfach‑)Unterricht (Cavalli 2014, De Pietro 2014, Gajo 2014) beleuchtet. 2.2 Zur Entwicklung des REPA

Aufgrund der erkennbaren Berührungspunkte zwischen Eveil aux langues, in‐ tegrierter Sprachendidaktik, Interkomprehensionsdidaktik und interkultu‐ rellem Lernen erschien die Erstellung eines gemeinsamen Referenzrahmens möglich und gewinnbringend. Zu seinen Zielsetzungen zählten die Abstim‐ mung und systematische Koordinierung der Ansätze unter Berücksichtigung gemeinsamer oder sich ergänzender Lernzielformulierungen. Gleichzeitig sollte ein gemeinsamer Referenzrahmen durch die Verknüpfung und Kombination der einzelnen Ansätze untereinander zur Verdeutlichung ihres Potentials beim

3

Zur Terminologie im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik im deutsch- und franzö‐ sischsprachigen Raum siehe z.B. Candelier & Schröder-Sura 2016, Neuner 2008.

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Sprachenlernen und somit zu ihrer Konsolidierung beitragen (vgl. Candelier et al. 2012, 9). Wie sich im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen zum REPA gezeigt hat, liegt der Fokus in zahlreichen Bildungskontexten häufig auf einzelnen Ansätzen. Gleichzeitig hat seine Verbreitung zur bewussten Wahrnehmung der vier An‐ sätze beitragen können. Damit wurde auch eine der ursprünglichen Zielset‐ zungen des Referenzrahmens erfüllt. Die Initiative für die Entwicklung dieses Referenzrahmens ist darüber hinaus als Beitrag zu dem durch den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (GeR) (Europarat 2001) initiierten Paradig‐ menwechsel zu verstehen. So liegt der Verdienst des GeR nicht allein in den umfassenden Deskriptoren der Niveaustufen und ihren Einsatzbereichen, son‐ dern auch in der Definition der mehrsprachigen und mehrkulturellen Kompe‐ tenz (Europarat 2001: 17) und der Darstellung der allgemeinen Kompetenzen in den Bereichen savoir, savoir-faire und savoir-être (Europarat 2001: 22-24). An diesen transversalen Dimensionen (Candelier 2012) sowie an den daraus resultierenden Möglichkeiten zur Förderung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz setzt der REPA an. Zwar bietet der GeR im Kapitel 5.1. (Europarat 2001: 103-109) in Ansätzen Beschreibungen transversaler Kompe‐ tenzen an (5.1.1.2 Soziokulturelles Wissen, 5.1.1.3 Interkulturelles Bewusstsein, 5.1.2.2 Interkulturelle Fertigkeiten, 5.1.3 Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir être), 5.1.4 Lernfähigkeit (savoir-apprendre), doch sind diese weder im Umfang noch in der Systematik mit den Beschreibungen der kommunikativen Kompetenzen vergleichbar. 2003 verwies Bredella auf das Fehlen von Deskrip‐ toren in den Bereichen Offenheit für neue Erfahrungen und die Bereitschaft für die Relativierung eigener kultureller Sichtweisen und befürchtete zu jener Zeit sogar, dass man nicht ernsthaft an einer Umsetzung solcher Ziele interessiert sei (Bredella 2003, 55). Gleichzeitig verwies Christ auf fehlende Kann-Beschrei‐ bungen in Bereichen wie code-switching, Rückgriff auf andere bekannte Spra‐ chen, Aufrechterhaltung der Kommunikation im mehrsprachigen Dialog (Christ 2003, 65). Nach De Pietro (2012, 27) finden reflexive und attitudinale Dimensi‐ onen im GeR kaum Berücksichtigung. Im Hinblick auf didaktische Weiterentwicklungen sowie auf sprachenpoliti‐ sche Auswirkungen in Europa stellte einer der Koautoren des GeR dahingehend fest: […] des notions telles que celles de compétence (pluri)culturelle ou de compétence plurilingue vivent leur vie plutôt à côté ou en dehors du Cadre ; bien qu’il en soit fait état dans des chapitres de l’ouvrage, [elle est] relativement peu mobilisée […] dans les usages attestés du Cadre (Coste 2006, 43).

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Vor dem Hintergrund der formulierten Leerstellen und Desiderata erschien die Ent‐ wicklung des REPA nötig. 2.3 Zur Terminologie Plurale Ansätze - Approches Plurielles im deutschen

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Kontext

Der Begriff Approches Plurielles des langues et des cultures (Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen) wurde im Jahre 2002 durch Michel Candelier im Rahmen des Projekts Evlang 4 eingeführt. Er bezog sich anfangs auf den Eveil aux langues-Ansatz, wurde jedoch bald auf die Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen und die integrierte Sprachendidaktik erweitert (Candelier 2008). Anknüpfend an den Begriff der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz im GeR (Candelier 2003, 28) kam das interkulturelle Lernen hinzu. Plurale Ansätze stehen im direkten Bezug zur Mehrsprachigkeitsdidaktik bzw. der „Didactique du plurilinguisme“ (Candelier 2008, Schädlich 2013). Trotz vielfältiger, teilweise divergierender Definitionsansätze sowohl im deutsch- als auch im französischsprachigen Raum, besteht ein Konsens u.a. im Hinblick auf die Notwendigkeit der Anknüpfung an Vorkenntnisse der Lernenden bzw. an den Transferbegriff. Die gemeinsamen Zielsetzungen und Prinzipien der Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik bzw. der „Didactique du plurilinguisme“ lassen sich durch Plurale Ansätze im Unterricht konkretisieren, was zwangsläufig zur Nutzung von Vorkenntnissen, Synergien und Transferleistungen führt (vgl. Meißner 2005, Candelier/Castellotti 2013, 184-186). Unter der Bezeichnung Approches plurielles wurden Ansätze zusammenge‐ fügt, die um die Jahrtausendwende in der (fremd)sprachendidaktischen Praxis wenig verbreitet waren und als innovativ galten. Der Titel der französischen Originalfassung des REPA Cadre de référence pour les approches plurielles des langues et des cultures (CARAP) wurde wörtlich ins Deutsche übersetzt, obwohl die Einführung eines neuen Begriffs mit Schwierigkeiten bei seiner Akzeptanz und Verbreitung verbunden sein kann. Die Verwendung bereits existierender und etablierter Bezeichnungen, die mit spezifischen Bedeutungen und Traditi‐ onen belegt waren, hätte möglicherweise zu Verklärungen und Überlappungen geführt (vgl. Candelier/Schröder-Sura 2016).

4

Im Rahmen dieses Projekts wurde zwischen 1997 und 2001 der Eveil aux langues-Ansatz in zahlreichen Grundschulklassen in Frankreich, Italien, Österreich, Spanien und der Schweiz erprobt und evaluiert.

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3 Zu den Deskriptoren im REPA: Grundbegriffe und Anfertigung der Listen

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3.1 Kompetenz- und Ressourcenbegriff

Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen basiert auf einem Modell zur Beschreibung mehrsprachiger und mehrkultureller Kompe‐ tenzen. In Anlehnung an die Definition des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001, 26-27) wird eine Aufteilung der Kompetenzen in einzelne Elemente zu‐ grunde gelegt. Während Weinert die Bezeichnungen „kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten“ sowie „motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften und Fähigkeiten“ verwendet, werden diese Elemente im REPA gemäß dem GeR (2001, 22-23) den drei Bereichen savoir, savoir-faire und savoir-être zugeordnet und auf mehrsprachige und mehrkulturelle Elemente bezogen. In der deutschen Fassung werden sie mit den Bezeichnungen Wissen, Fertigkeiten sowie Ein‐ stellungen und Haltungen übersetzt. Eine ähnliche Dreiteilung nimmt Beckers 2002 vor und bezeichnet diese Elemente als interne Ressourcen5 im Unterschied zu externen Ressourcen (wie z.B. Wörterbücher, Sprachmittler etc.). Der Res‐ sourcenbegriff ist im Bereich der Bildung von Mehrsprachigkeitsmodellen be‐ sonders hervorzuheben (vgl. Lüdi 2011, 170). Unter Kompetenz versteht Beckers (2002, 57) die Mobilisierung dieser Ressourcen. Sie umfasst gleichzeitig die Aus‐ wahl und die Kombination geeigneter Ressourcen (vgl. Jonnaert 2002, 41). Kom‐ petenz manifestiert sich stets in der Handlung selbst: […], la compétence ne réside pas dans les ressources (connaissances, capacités, …) à mobiliser, mais dans la mobilisation même de ces ressources. La compétence est de l’ordre du « savoir mobiliser » (Le Boterf 1994, 16).

Die Weiterentwicklung dieser Mobilisierungskompetenz durch Le Boterf in jün‐ geren Publikationen (2013, 17) ist ohne Weiteres auf das Kompetenzverständnis im REPA übertragbar und verdeutlicht die Wirksamkeit dieses Konzepts: La compétence n’est pas une addition : considérer la compétence comme une somme ou une simple addition de ressources, c’est raisonner en termes d’assemblage et non de combinatoire. L’assemblage, comme dans un jeu de Lego, produit une construction dans laquelle chaque élément garde sa forme propre, quelle que soit l’architecture dans laquelle il s’insère : qu’il s’agisse d’un camion, d’une maison ou d’un pont, chaque pièce reste identique à elle-même. Il en va différemment dans une combinatoire qui 5

Der Begriff interne Ressourcen wird im REPA in Anlehnung an Rychen (2005, 15) in „psychosoziale“ („kognitive, praktische, motivationale, emotionale und soziale“) Kom‐ ponenten unterteilt.

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fait système : chaque élément est modifié par les autres. Le savoir-faire […] doit se modifier, s’adapter, lorsqu’il se combine avec des savoirs […] etc. (Le Boterf 2013, 17).

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Das Ergebnis der Bündelung und Anordnung von Ressourcen zieht also stets auch eine gegenseitige Anpassung der aktivierten Ressourcen nach sich. Jede Neukombination von Ressourcen aus unterschiedlichen Bereichen hat immer auch eine Entwicklung oder Veränderung derselben Ressource zur Folge. Be‐ zogen auf ein Beispiel aus der Interkomprehensionsdidaktik würde es bedeuten, dass das Erkennen und Dekodieren des Wortes combinação aus der dem Lern‐ enden nicht bekannten Sprache Portugiesisch über die Entsprechungen combi‐ nation, combinación, combinazione, kombinacja beispielsweise mit dem Wissen um regelmäßige Entsprechungen der Wortendungen einhergehen kann. 3.2 Kompetenzen und Ressourcen im REPA

In Anlehnung an die Kompetenzdiskussion wurde mit der Entwicklung des REPA der Versuch unternommen, die für die Bereiche Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität grundlegenden Kompetenzen und Ressourcen zu beschreiben. Im REPA werden diejenigen Kompetenzen und Ressourcen aufgeführt, die ge‐ zielt durch einen Rückgriff auf Plurale Ansätze aufgebaut werden können. Er beinhaltet ein Schaubild mit Globalkompetenzen und drei Listen mit Des‐ kriptoren von vor allem internen Ressourcen der Lernenden in den Bereichen deklaratives Wissen (savoir, knowledge), Einstellungen und Haltungen (sa‐ voir-être, attitudes) und Fertigkeiten (savoir-faire, skills). Die Lernkompetenz wird als eine der beiden übergeordneten Globalkompetenzen (siehe Kap. 3.2.1) dargestellt. Die Deskriptoren zu ihrer Beschreibung werden in den Bereichen savoir, savoir-être und savoir-faire integriert und erscheinen somit in jeder Des‐ kriptorenliste. Darüber hinaus werden am Ende jeder Liste Deskriptoren auf‐ geführt, die das Lernen Lernen thematisieren. Savoir-apprendre wird daher an‐ ders als im GeR als eine transversale Kompetenz verstanden (vgl. Martinez/ Schröder-Sura 2011, 73). Kompetenzen und Ressourcen stehen in keiner festen Verbindung zuei‐ nander: Je nach Kontext aktiviert eine bestimmte Kompetenz zum Teil unter‐ schiedliche Ressourcen, sodass auf einen streng hierarchischen Aufbau der Res‐ sourcen verzichtet wurde. Das Verhältnis zwischen Kompetenzen und Ressourcen entspricht eher einem Kontinuum: Der Komplexitätsgrad von Kom‐ petenzen kann variieren und zahlreiche Ressourcen erweisen sich als bereits zusammengesetzte Einheiten. Manche Elemente können daher, je nach Art der Aufgabe oder Situation, als gebündelte Ressource oder Kompetenz niedrigen Komplexitätsgrades verstanden werden.

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Eine stärkere Gliederung des Kontinuums kann durch die Einführung einer Zwischenstufe, jene der Mikrokompetenzen, erreicht werden (Meißner 2012, 80). Diese Möglichkeit wird in der ersten Fassung des REPA (2007/2009) darge‐ stellt, in der zweiten überarbeiteten Fassung jedoch zugunsten eines stufenlosen Kontinuums aufgegeben (Candelier et al. 2012: 13). Beide Optionen können ver‐ treten werden.

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3.2.1 Tabelle mit globalen Kompetenzen

Als globale Kompetenzen werden im REPA diejenigen Kompetenzen bezeichnet, „die während der Reflexions- und Handlungsprozesse deklaratives (savoir), per‐ sönlichkeitsbezogenes (savoir-être) und prozedurales Wissen (savoir-faire) akti‐ vieren“ (Candelier et al. 2012). Sie betreffen alle zwischensprachlichen und zwi‐ schenkulturellen Vernetzungen und aktivieren das gesamte sprachliche und kulturelle Repertoire der Lernenden. Der REPA unterscheidet zwei allgemeine Kompetenzbereiche, wobei der erste (K1) die mehrsprachige und kulturelle Kommunikation fokussiert während der zweite (K2) die mehrsprachigen und mehrkulturellen Lern- und Reflexionsprozesse umfasst: • •

Kompetenz, sprachlich und kulturell im Kontext von Alterität zu kommuni‐ zieren (K1) Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung eines mehrsprachigen und plu‐ rikulturellen Repertoires (K2)

Diese zwei Bereiche greifen ineinander und werden zur Modellierung getrennt voneinander aufgeführt. Beiden werden weitere Kompetenzen zugeordnet. Zum Bereich der mehrsprachigen und kulturellen Kommunikation zählen folgende Kompetenzen: Kompetenz zur Konfliktlösung, Hindernisbewältigung und zur Klärung von Missverständnissen, Aushandlungskompetenz, Sprachmittlungs‐ kompetenz und Adaptationskompetenz. Die Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung eines mehrsprachigen und plurikulturellen Repertoires (K2) um‐ fasst den Umgang mit den eigenen interkulturellen und mehrsprachigen Lern‐ erfahrungen sowie die Kompetenz zum systematischen und gezielten Einsatz von Lernstrategien in neuen, den Lernenden weniger vertrauten bzw. von ihnen als fremd empfundenen Lernkontexten und -umgebungen. Einige Kompetenzen, die im Kontext von sprachlicher und kultureller Plura‐ lität eine besondere Bedeutung einnehmen, befinden sich in diesem Modell in einem Zwischenbereich (K3-K7). Sie können weder dem einen noch dem an‐ deren Bereich eindeutig zugewiesen werden und sind sowohl in einer Kommu‐ nikationssituation als auch für den Lernprozess von Bedeutung. Dies gilt bei‐ spielsweise für den Perspektivwechsel (K3), für die Kompetenz, dem sprachlich

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und/oder kulturell Unvertrauten einen Sinn zu geben (K4) oder auch für die Kompetenz, die eigene kommunikative Situation oder eine Lernsituation und die damit verbundenen Handlungen kritisch zu analysieren (K6). Dieses Modell erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es dient vielmehr dazu, die Dimen‐ sionen der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz zu erfassen und diese durch die Konkretisierung in Ressourcen für das Lernen operationali‐ sierbar zu machen.

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3.2.2 Mehrsprachige und plurikulturelle Ressourcen

Um die mehrsprachige und plurikulturelle Handlungs- und Reflexionskompe‐ tenz möglichst detailliert beschreiben zu können, werden die Dimensionen Wissen, Fertigkeiten sowie Haltungen und Einstellungen im REPA in drei Listen mit jeweils bis zu 170 Deskriptoren dargestellt. In den Listen wird eine Diffe‐ renzierung zwischen Haupt- und Unterkategorien, aber keine strenge Hierar‐ chisierung der Deskriptoren vorgenommen (vgl. Kap. 3.2). Die REPA-Deskriptoren im Bereich Wissen (savoir, knowledge)6 wurden für die sprachliche und kulturelle Dimension getrennt aufgeführt. In Bezug auf Sprache werden folgende Ebenen differenziert: 1.

Deskriptoren, die metakognitive Kenntnisse bzw. die erwarteten Ergeb‐ nisse von Beobachtungs- und Analyseprozessen formaler sprachlicher Merkmale darstellen. Sie unterstützen ein reflexives Vorgehen und die explizite Auseinandersetzung mit Regeln und Regelmäßigkeiten von Sprachen und von Sprachgebrauch. 2. Deskriptoren, die sich auf die Förderung von Interaktionen in endo- und exolingualen Kommunikationssituationen beziehen.

In Bezug auf Kultur wird ebenfalls zunächst zwischen zwei Ebenen unter‐ schieden. Dabei nimmt die erste Ebene Bezug auf kulturell bedingte Praxen und Verhaltensweisen und die zweite Ebene auf soziale Aspekte und kulturspezifi‐ sche Interpretationsschemata. In den Bereichen Sprache und Kultur wurden folgende Kategorien für die Zuordnung der Deskriptoren festgelegt. Diese Kategorien sind in beiden Berei‐ chen zum Teil äquivalent.

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Zur Kennzeichnung der Deskriptoren in den Bereichen Wissen, Fertigkeiten sowie Einstellungen und Haltungen wird jeweils der erste Buchstabe der englischen Bezeich‐ nungen Knowledge, Attitudes, Skills verwendet.

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Sprache I II III IV V VI VII

Sprache als semiotisches System Sprache und Gesellschaft Verbale und nonverbale Kommunikation Entwicklung von Sprachen Vielfalt und Diversität – Vielsprachigkeit und Mehrsprachigkeit Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Sprachen Sprache und Spracherwerb/Sprachenlernen

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Kultur (Bereiche VIII – XV) VIII IX X XI XII XIII XIV XV

Kulturen: Allgemeine Merkmale Kulturelle und soziale Diversität Kulturen und interkulturelle Beziehungen Entwicklung von Kulturen Kulturelle Diversität Kulturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede Kultur, Sprache und Identität Kultur: Kulturerwerb / kulturelles Lernen

Das folgende Beispiel dient zur Veranschaulichung der Strukturierung und An‐ ordnung der Deskriptoren7:

Abb. 1: Auszug aus der Deskriptorenliste im Bereich des Wissens

Die Deskriptoren im Bereich der Einstellungen und Haltungen der Lernenden nehmen Bezug auf die im GeR beschriebene persönlichkeitsbezogene Kompe‐ tenz (Europarat 2001, 106-107). Manche Elemente folgen zum Teil einer anderen 7

Die Färbung der Schlüsselsymbole gibt Auskunft über den Grad der Notwendigkeit der Pluralen Ansätze zum Aufbau einer Ressource. Zweifarbige Schüssel symbolisieren, dass ein Pluraler Ansatz zur Umsetzung erforderlich ist.

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Zuordnung, z.B. ist im REPA der Faktor „kognitiver Stil“ in der Liste der Fertig‐ keiten zu finden und die „Überzeugungen“ in der Liste des Wissens. Die in diesem Bereich verbleibenden Einstellungen und Haltungen decken vor allem die von der Außenwelt potentiell wahrnehmbaren, möglichst erklärbaren Ele‐ mente ab, die im Unterricht aufgegriffen und mit Hilfe pluraler Verfahren auf‐ gebaut werden können. Die neunzehn Kategorien (wie z.B. Achtung, Sensibilität, Neugier, Interesse, Bereitschaft, Motivation) werden in sechs Bereiche eingeteilt. Die Kategorien und Deskriptoren sind meistens auf den Lernenden selbst (siehe A 8.6.3 oder A-14.3.1) oder auf seinen Bezug zur Außenwelt (siehe A-5.3) ausgerichtet.

Abb. 2: Auszug aus der Deskriptorenliste im Bereich der Einstellungen und Haltungen

Der Bereich der Fertigkeiten ist in sieben Kategorien gegliedert: I. II. III. IV. V. VI. VII.

Beobachten können / Analysieren können; Identifizieren können; Vergleichen können; Über Sprachen und Kulturen sprechen können; Das Wissen aus einer Sprache nutzen können, um eine andere Sprache zu verstehen oder in einer anderen Sprache zu kommunizieren; Interagieren können; Lernen können;

Die Listen umfassen Handlungen, die sowohl auf metasprachliche Reflexion‐ sphasen als auch auf Kommunikationssituationen abzielen.

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Abb. 3: Auszug aus der Deskriptorenliste im Bereich der Fertigkeiten

3.3 Erstellung der Listen

Die Erstellung des REPA erfolgte induktiv über eine systematische Analyse von über 100 Publikationen in verschiedenen Sprachen zu den einzelnen Pluralen Ansätzen. Aus der gesichteten Literatur wurden zunächst Textauszüge gefiltert, in denen (Elemente von) mehrsprachige(n) und plurikulturelle(n) Kompetenzen beschrieben wurden. Die ausgewählten Passagen wurden in einer Generalta‐ belle gesammelt und in weiteren Schritten sortiert, gegebenenfalls in die ge‐ meinsame Arbeitssprache Französisch übertragen, und synthetisiert (Candelier/ De Pietro 2011). So kann beispielsweise der Deskriptor: In neuen Lernsituationen auf seine Lernerfahrungen zurückgreifen können (Einen Lerntransfer durchführen können) auf drei Quellen zurückgeführt werden: • • •

Bezüge herstellen zwischen den Lernprozessen in zweiten, dritten und weiteren Sprachen (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997: 25) Recours à des savoirs d’apprentissage transférés d’une situation linguistique à l’autre (Bailly et al. 2003, 54)) Effectuer le transfert didactique (Meissner et al. 2003, 24)

In seltenen Fällen blieb die Originalquelle unverändert. So wurde die Passage „Fähigkeit, Lesestrategien in L1 zu identifizieren, dann in L2 anzuwenden“ (Lut‐ jeharms 2002, 119) in die folgende Ressource übertragen und der Liste der Fer‐ tigkeiten zugeordnet:

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S 5.6 - Die eigenen Lesestrategien in der Erstsprache (L1) identifizieren und diese in der nachgelernten Sprache (L2) anwenden können

Trotz des Umfangs und der detaillierten Darstellung der Listen können einige Deskriptoren als Folge jüngerer Entwicklungen in den Bereichen Mehrspra‐ chigkeit, interkulturelle Kompetenz und Lernkompetenz aus heutiger Sicht un‐ vollständig bzw. nicht mehr aktuell erscheinen8. Dabei spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle (vgl. Candelier/ Schröder-Sura 2015, 13-14): die Erweiterung pluraler Ansätze um zusätzliche didaktische Ansätze im bilingualen Unterricht (De Pietro 2014, Gajo 2014, 123); Translanguaging als didaktisches Verfahren (Garcia 2012, Melo-Pfeifer 2015); Weiterentwicklungen innerhalb der jeweiligen Pluralen Ansätze selbst: die wachsende Rolle der Sprachmittlung innerhalb der integrierten Didaktik (Rei‐ mann/Rössler 2013) oder auch die Weiterentwicklung der Konzepte im Bereich des interkulturellen/transkulturellen Lernens (Reimann 2014) und der Förde‐ rung von Lernkompetenz (Martinez 2008, Doyé et al. 2010, Behr 2015, Morkötter 2016a). Darüber hinaus können Bereiche der Listen für einen bestimmten Pluralen Ansatz im Rahmen von anderen Projekten vertieft werden (vgl. MIRIADI 2015, PEPELINO 2015). Bei hinreichender Übereinstimmung der zugrunde gelegten Prinzipien können diese Instrumente als eine Erweiterung der REPA-Deskrip‐ toren betrachtet werden. Der REPA versteht sich nicht als eine endgültige und geschlossene Liste von Deskriptoren, auch wenn das Instrument die Grundaspekte der Pluralen An‐ sätze vermutlich abdeckt. Je nach Bedarf kann der Benutzer neue, den eigenen Schwerpunkten entsprechende Deskriptoren hinzufügen und vorhandene Des‐ kriptoren präzisieren bzw. umformulieren (siehe auch Kap. 4.2.1). 4 Zum Einsatz der REPA-Deskriptoren von Ressourcen: Möglichkeiten und Anwendungsbeispiele

Die REPA-Deskriptoren der Ressourcen können in folgenden Bereichen einge‐ setzt werden: a) b) c)

8

Unterrichtsplanung, -durchführung und -evaluation Aufgabenanalyse und -entwicklung Curriculumsentwicklung

Zur Erstellung der Deskriptoren wurde Fachliteratur aus dem Zeitraum 1984 - 2006 berücksichtigt.

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In diesem Kapitel wird sowohl der potentielle Nutzen der Deskriptoren näher erläutert als auch auf existierende Anwendungsbeispiele hauptsächlich aus Deutschland hingewiesen. Die beiden erstgenannten Anwendungsfelder (a und b) werden in Kapitel 4.1 (Unterricht und Unterrichtsmaterialien) behandelt, das dritte Feld (c) in Ka‐ pitel 4.2. 4.1 Unterricht und Unterrichtsmaterialien

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4.1.1 Unterrichtsplanung, -durchführung und –evaluation

Die detaillierte Auflistung (meta-)kognitiver, affektiver und sozialer Kompe‐ tenzziele in den Bereichen Mehrsprachigkeit und Interkulturelles bzw. Trans‐ kulturelles Lernen entspricht den Prinzipien kompetenzorientierten Unterrichts und trägt zu seiner Transparenz bei. Auch wenn diese Ziele teilweise ohne Rückgriff auf Plurale Ansätze im Unterricht umgesetzt werden können, so können die Deskriptoren doch einen Beitrag dazu leisten, diese Ansätze und Verfahren im Sprachunterricht zu kombinieren und systematisch und integriert zu nutzen sowie eine Progression aufzubauen. Die hohe Anzahl der Deskrip‐ toren erfordert eine wiederholte Auswahl bezogen auf die Bedürfnisse der Lern‐ gruppen sowie gezielte Absprachen zwischen den Sprachfächern und gegebe‐ nenfalls den Sachfächern. Das Ziel ist eine stärkere Vernetzung auch bei der Entwicklung der mehrsprachigen funktionalen kommunikativen Kompetenz und der interkulturellen (kommunikativen) Kompetenz sowie einer konsequen‐ teren Bildung von Synergien beim Aufbau von Sprachbewusstheit und Sprach‐ lernkompetenz. 4.1.2 Zur Aufgabenanalyse und –entwicklung

Die Umsetzung mehrsprachiger und interkultureller Kompetenzziele erfordert angemessene Unterrichtsmaterialien. Im Rahmen des REPA-Projekts wurde zu diesem Zweck eine Datenbank entwickelt9. Sie enthält Unterrichtsmaterialien in verschiedenen Sprachen zu allen Pluralen Ansätzen. Alle Materialien können entweder direkt bzw. nach einer Kontextualisierung im Unterricht eingesetzt werden oder auch als Anregungen zur weiteren Aufgabenkonstruktion dienen. Der Suchvorgang in der Datenbank kann über die Eingabe unterschiedlicher Auswahlkriterien erfolgen, wovon ein Kriterium die Eingabe der REPA-Des‐

9

Die Unterrichtsmaterialien stehen zur kostenfreien Nutzung auf der Projektseite zur Ver‐ fügung: http://carap.ecml.at/Database/tabid/2313/Default.aspx (Zugriff: 02.05.2017).

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kriptoren sein kann. Der Versuch einer Zuweisung einzelner Deskriptoren zu den Materialien trägt gleichzeitig zu ihrer Analyse bei. In Deutschland haben sprachenübergreifende Ansätze nur ansatzweise Be‐ rücksichtigung in der neuen Lehrwerkgeneration für unterschiedliche (Fremd‑)Sprachen sowie Schul- und Niveaustufen (Grossenbacher et al., in diesem Buch), insbesondere für Französisch- und Spanischunterricht (vgl. Schröder-Sura & Melo-Pfeifer, 2017) gefunden. Ähnliche Entwicklungen sind beispielsweise auch in der deutschsprachigen Schweiz (vgl. z.B. Schader 2004, Klee/Egli Cuenat 2011, Grossenbacher et al. 2012, siehe auch Kapitel 3 in diesem Buch) oder Österreich zu beobachten (Rückl et al. 2013). Ebenfalls wurden zahl‐ reiche, lehrwerksbegleitende bzw. -ergänzende Materialien erstellt (Behr 2005, Oomen-Welke 2007, Preker-Franke/Preker 2011, Dorn et al. 2012, Leitzke-Un‐ gerer et al. 2012). Auch hier können die Deskriptoren von Lehrenden als Ana‐ lysewerkzeug eingesetzt werden, z.B. zur Überprüfung, ob und in welchem Ausmaß mehrsprachige Ressourcen in den Bereichen savoir, savoir-faire und savoir être mobilisiert werden (vgl. Martinez/Schröder-Sura 2011, 76-77). Die Deskriptorensets sind bei zielgruppenspezifischer und altersgerechter Umfor‐ mulierung durchaus zur Formulierung persönlicher Lernziele (vgl. z.B. Gros‐ senbacher et al. 2012) oder auch zur anschließenden Evaluation und Reflexion des Gelernten denkbar.

Abb. 4: Raster zur Selbstevaluation (Schröder-Sura 2017, 30)

Die Deskriptoren können auch in Form von Checklisten für Erzieher und Leh‐ rende zur Überprüfung der Ziele und zur Differenzierung eingesetzt werden (Schröder-Sura 2017, 30). Die zielgerichtete Formulierung der Deskriptoren im Bereich der Einstellungen und Haltungen sollte im direkten Zusammenhang mit den Anforderungen der Aufgabe stehen. Hier muss besondere Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, dass die Deskriptoren vom Evaluierenden als situati‐

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onsbezogen verstanden werden und die Reflexion einer erreichbaren Progres‐ sion durch das Lösen der Aufgabe ermöglichen. Neben der Analyse und Ergänzung bestehender Materialien kann die Be‐ rücksichtigung der Deskriptoren Aufgabenkonstruktionsprozesse – auch kom‐ petenzorientierter Lernaufgaben – begleiten. Zur Orientierung und systemati‐ schen Nutzung kann hierbei ein weiteres REPA-Instrument, die Darstellung der Deskriptoren im Bildungsverlauf Hilfestellung leisten:

Abb. 5: Darstellung der Deskriptoren im Bildungsverlauf

Diese Ansicht der Deskriptoren gibt Auskunft über den Zeitpunkt, ab dem der Einsatz entsprechender Materialien zur Förderung bestimmter Ressourcen bei Lernenden besonders sinnvoll erscheint.

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4.2 Curriculumsentwicklung

Instrumente wie der GeR und Dokumente wie der Guide for the development of language education policies in Europe (Beacco et al. 2003/2007) und der Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and intercultural education 10 (Beacco et al. 2010/2016) sowie die Notwendigkeit der Auseinan‐ dersetzung mit sprachlicher und kultureller Vielfalt in schulischen und außer‐ schulischen Kontexten haben europaweit zu curricularen Entwicklungen und Veränderungen geführt. In zahlreichen Ländern wie z.B. Finnland, Luxemburg, Schweiz (Candelier/Schröder-Sura 2015: 17, Daryai-Hansen et al. 2015, De Pietro et al. 2015) hat der REPA zur Konkretisierung der mehrsprachigen und pluri‐ kulturellen Kompetenz und der Sprachlernkompetenz beigetragen, indem kon‐ krete Plurale Ansätze oder Kompetenzbeschreibungen in die nationalen Curri‐ cula Eingang gefunden haben11. Bei der Implementierung sind mehrere Möglichkeiten denkbar. So erfolgt die Nennung der Pluralen Ansätze in öffent‐ lichen Dokumenten gelegentlich explizit. Alternativ werden die auf Mehrspra‐ chigkeit bezogenen Prinzipien zwar beschrieben bzw. wird auf die Förderung der Mehrsprachigkeit allgemein Bezug genommen, entsprechende Plurale An‐ sätze werden jedoch nicht genannt. Ähnlich verhält es sich mit der Anwendung der Deskriptoren. Für alle Spra‐ chen – einschließlich der Schulsprache - enthält z.B. der Plan d’études romand (PER) einen sprachenübergreifenden Bereich mit eigenen eher allgemein for‐ mulierten Deskriptoren, die nach Ansicht von De Pietro et al. (2015, 59-65) zur Präzisierung und Konkretisierung direkt mit den REPA-Deskriptoren in Ver‐ bindung gesetzt werden können. Es ist anzunehmen, dass die Autoren des PER mit den Inhalten des REPA vertraut waren. In der italienischsprachigen Schweiz ist die konsequenteste Umsetzung des REPA erfolgt. Im Piano di studio della scuola dell’obbligo ticinese 12 (2016) werden die Pluralen Ansätze benannt, es ist ein Bereich für das mehrsprachige und in‐ terkulturelle Lernen vorhanden und die Beschreibungen in diesem Bereich haben einen expliziten Bezug zu den REPA-Deskriptoren. Dies wird am fol‐ genden Beispiel deutlich:

10

11 12

Die in Guide 2003/2007 empfohlene „éducation plurilingue“ beruht auf den Prinzipien, die den Pluralen Ansätzen zugrunde liegen (vgl. Beacco et al. 2003, 89-90 und 95-96), wobei nur Eveil aux langues explizit aufgeführt wird. 2010/2016 wird wiederholt auf den Begriff Plurale Ansätze und auf den REPA hingewiesen. Weitere Beispiele für curriculare Entwicklungen befinden sich auf der Webseite des Pro‐ jekts: http://carap.ecml.at/SeservirdeCARAP/tabid/3637/language/fr-FR/Default.aspx http://www.pianodistudio.ch

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Atteggiamenti: Gli allievi sono sensibili alle differenze linguistiche e culturali all’interno della propria classe REPA-Deskriptor: Sensibilität (oder Bewusstsein) für die sprachliche und kulturelle Viel‐ falt in der Klasse (A-2.5.2) Capacità: Gli allievi sanno percepire la prossimità o la distanza fra i vari suoni REPA-Deskriptor: Die Nähe und Distanz zwischen einfachen phonetischen Elementen (oder Lauten) wahrnehmen können (S-3.2.1) Conoscenze: Gli allievi sanno che esistono delle famiglie linguistiche, conoscono alcune lingue che appartengono ad esse REPA-Deskriptor: Wissen, dass es verwandte Sprachen gibt; Wissen, dass es Sprachfa‐ milien gibt (K-4.1) und Einige Sprachfamilien kennen und einige Sprachen, die zu einer Sprachfamilie gehören (K-4.1.1).

Einen interessanten Sonderfall bildet das finnische Curriculum, in dem die REPA-Deskriptoren in Kompetenzformulierungen einfließen, auf die das nati‐ onale Curriculum offiziell verweist. Verweise auf den Einsatz von Pluralen Ansätzen bzw. dem REPA sind eben‐ falls in Vorschlägen zur Erstellung mehrsprachiger Curricula zu finden, sei es im Hinblick auf die Nutzung der Deskriptoren (Coste 2013) oder von Unter‐ richtsmaterialien (Reich/Krumm 2013). Eine Gegenüberstellung der diesen In‐ strumenten, dem Gesamtsprachencurriculum (Hufeisen 2005) und dem REPA zugrunde liegenden Prinzipien wird von Candelier 2015 thematisiert. Im deutschen Kontext bietet der Thüringer Lehrplan ein Beispiel für die Im‐ plementierung sprachenübergreifenden Lehrens und Lernens auf Länderebene, wenn auch ohne expliziten Bezug auf den Begriff Plurale Ansätze oder den REPA. In diesem Lehrplan werden sprachenübergreifende Kompetenzen unter zwei Bezugsebenen aufgeführt und sprachbewusstheitsfördernde Verfahren vor allem in der Bezugsebene 2 präzisiert (Behr 2011): Bezugsebene 1: Sprachenübergreifende Kompetenzen als gemeinsame Zielsetzungen jeglichen Sprachunterrichts und Bezugsebene 2: Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren.

Die von der Kultusministerkonferenz 2012 verabschiedeten Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache bieten in ihrem Kompetenzmodell (KMK 2012, 6) Raum für eine sprachen- und kulturenübergreifende Dimension vor

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allem durch die transversalen Kompetenzbereiche Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz, die in den Standards wie folgt beschrieben werden: Sprachbewusstheit „Die Schülerinnen und Schüler können ihre Einsichten in Struktur und Gebrauch der Zielsprache und anderer Sprachen nutzen, um mündliche und schriftliche Kommu‐ nikationsprozesse sicher zu bewältigen“ (KMK 2012, 21).

Sprachlernkompetenz

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„Die Schülerinnen und Schüler können ihre sprachlichen Kompetenzen und ihre vor‐ handene Mehrsprachigkeit (Erstsprache, ggf. Zweitsprache, Fremdsprachen) selbst‐ ständig und reflektiert erweitern. Dabei nutzen sie zielgerichtet ein breites Repertoire von Strategien und Techniken des reflexiven Sprachenlernens“ (KMK 2012, 22).

Beide Bereiche sind miteinander verknüpft und können in Wissens-, Fertigkeitssowie in persönlichkeitsbezogene Komponenten zerlegt und operationalisiert werden. Sie bieten Raum für einen systematischen Einsatz interlingualer Ver‐ fahren zur Förderung sowohl von Reflexionsprozessen (vgl. Behr 2015, 11f) als auch vom kommunikativen Handeln. Ihre laterale Anordnung verdeutlicht, dass sie zwar nicht automatisch und integrativ in allen Aufgaben zu den zentralen Kompetenzen mit vor‐ kommen, dass sie jedoch mit allen anderen Kompetenzen verbunden und somit je‐ derzeit in entsprechenden Aufgaben an die zentralen Kompetenzen angebunden werden können (Tesch 2012, 17).

Hier könnte der REPA zur Unterstützung und weiteren Konkretisierung der Ressourcen herangezogen werden (Morkötter 2016b, 140-151). 5 Perspektiven

Im Rahmen der Präsentation der Pluralen Ansätze und des REPA wurde in diesem Beitrag wiederholt Bezug auf den deutschsprachigen Raum, insbeson‐ dere auf Entwicklungen in Deutschland genommen. Mit der Lehrerbildung und Forschung werden abschließend zwei Bereiche angesprochen, die für die Zu‐ kunft dieses didaktischen Konzepts von besonderer Bedeutung sind. In der Lehrerbildung finden mehrsprachigkeitsdidaktische Inhalte in Deutschland vermehrt ab der ersten Ausbildungsphase Beachtung. Auch für die zweite Ausbildungsphase existieren einige Vorschläge (Hildebrandt et al. 2012). Wünschenswert wäre es, auch das Konzept der Pluralen Ansätze und den REPA bereits in der ersten Ausbildungsphase zu integrieren. Gleichzeitig könnte der

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REPA unterstützend zur Formulierung und Präzisierung der Standards für die Lehrerbildung genutzt werden. In der Unterrichtspraxis durchgeführte Umfragen (Neveling 2013, Heyder/ Schädlich 2014, Jakisch 2015) bestätigen einen gehäuften, aber eher sporadi‐ schen, wenig systematischen, gar unsicheren Umgang mit mehrsprachigkeits‐ didaktischen Ansätzen. Diese Studien sind besonders wichtig, da „Widerstände, die im Verborgenen bleiben, eine Hauptbedrohung für die Bereitschaft zum Wandel darstellen“ (Hutchinson 1991, zitiert nach Tesch 2012, 81). Für den Bereich der Lehrerfort- und -weiterbildung (De Pietro et al. 2012) gibt es für Deutschland bislang auch nur vereinzelt Beispiele. So sind die Deskrip‐ toren beispielsweise bei der Erarbeitung eines Fortbildungsmoduls zum inter‐ kulturellen Lernen des Goethe-Instituts eingeflossen. Auch wurden sie im An‐ schluss an eine Lehrerfortbildung zur Entwicklung eines Portfolios für den Schüleraustausch sowie für sprachenübergreifende Unterrichtsmaterialien für die Jahrgangsstufe 5 und 6 an einem Gymnasium mit einem bilingualen Zweig Spanisch/Deutsch ab Klasse 513 eingesetzt. Diese Fortbildungsmaßnahmen finden häufig im Rahmen des Weiterbildungs- und Beratungsprogramms für Mitgliedsstaaten des EFSZ statt (vgl. Slivensky 2015, 10). Trotz einiger Bedenken und Widerstände im Hinblick auf wahrgenommene bzw. antizipierte Schwie‐ rigkeiten bestätigen die Ergebnisse einer Fragebogenumfrage, die im Anschluss an die Fortbildungen durchgeführt wurde, eine positive allgemeine Einstellung gegenüber den Pluralen Ansätzen und dem REPA sowie eine hohe Relevanz der REPA-Deskriptoren für die Unterrichtspraxis (vgl. Schröder-Sura 2015). Der REPA findet vermehrt Erwähnung in deutschsprachigen Fachartikeln (Meißner 2012, Schädlich 2013, Martinez 2016) und Handbüchern (Küster 2016, Krumm/Reich 2016, Marx 2016) sowie beispielsweise in Publikationen zum Spa‐ nischunterricht (Meißner/Tesch 2010, Bär/Franke 2016). In aktuellen Disserta‐ tions – und Habilitationsarbeiten wird der REPA aufgeführt bzw. beschrieben (Heyder 2015, Beckmann 2016, Deutsch 2016, Morkötter 2016a, Prokopowicz 2017). Arbeiten zum REPA und dem Konzept der Pluralen Ansätze bilden ein wei‐ teres Forschungsfeld. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept der Pluralen Ansätze und mit dem REPA, abgedeckt durch eine entsprechende Ver‐ knüpfung von Forschung und Lehre, könnte in der Zukunft zweifelsohne zur Weiterentwicklung, Verbreitung und Konsolidierung der Pluralen Ansätze und des REPA führen.

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Die Fortbildungsmaßnahmen haben am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth in den Schuljahren 2013/14 sowie 2014/15 stattgefunden.

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Seit knapp vier Jahrzehnten entstehen bedeutende Arbeiten zur Entwicklung und Erforschung der Mehrsprachigkeitsdidaktik (siehe z.B. Hufeisen / Lutje‐ harms 2005, Meißner 2011) – viele von ihnen sind entscheidend für die heutige fachdidaktische Situation. Nichtsdestotrotz zählen mehrsprachigkeitsdidakti‐ sche Entwicklungen in ihren vielfältigen Bereichen sowie im Hinblick auf die aktuellen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen wei‐ terhin zu Innovationen. Damit der Transfer und die Verbreitung in der Unter‐ richtspraxis gelingen kann, gilt es, sie in die „gewohnten Praktiken der An‐ wender einzubetten“ (Tesch 2012, 82). Die Zeitspanne bis zur Anwendung ist weder spezifisch für die Mehrsprachigkeitsdidaktik noch sollte sie als entmuti‐ gend interpretiert werden. Bildungspolitische Innovations- und Reformprozesse können sich bekannterweise über Jahrzehnte erstrecken. Jedoch sind mit den aktuellen Entwicklungen mehr als die Weichen gelegt. Literatur Andrade Ana Isabel / Martins, Filomena / Pinho, Ana Sofia. Avec la collaboration de Maddalena De Carlo et Mathilde Anquetil (2015). Référentiel de compétences en di‐ dactique de l’intercompréhension (REFDIC) Mutualisation et Innovation pour un Ré‐ seau de l'Intercompréhension à Distance (MIRIADI) [https://www.miriadi.net/] Bär, Marcus / Franke, Manuela (Hg.). 2016. Spanisch-Didaktik: Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Buch mit CD-ROM . Berlin: Cornelsen. Bailly, Sophie / Castillo, Désirée / Ciekanski, Maud. 2003. „Nouvelles perspectives pour l’enseignement/apprentissage du plurilinguisme en contexte scolaire“, LIDIL hors série, „Le plurilinguisme en construction dans le système éducatif“. Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael / Cavalli, Marisa / Coste, Daniel / Egli Cuenat, Mirjam / Goullier, Francis / Panthier, Joanna. 2010/2016. Guide pour le développement et la mise en œuvre de curriculums pour une éducation plurilingue et interculturelle. / Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and inter‐ cultural education. Straßburg : Europarat. http://www.coe.int/t/dg4/linguistic/ langeduc/le_platformintro_FR.asp? Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael. 2007. De la diversité linguistique à l’éducation plurilingue - Guide pour l’élaboration des politiques linguistiques éducatives en Europe / From linguistic diversity to plurilingual education: Guide for the development of language education policies in Europe. Straßburg : Europarat http://www.coe.int Beckmann, Christine. 2016. Lernziele im Fremdsprachenunterricht. Eine quantitative Ana‐ lyse der Einstellungen von Schülern und Studierenden. Tübingen: Narr. Beckers, Jacqueline. 2002. Développer et évaluer des compétences à l’école : vers plus d’ef‐ ficacité et d’égalité. Brüssel : Labor.

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Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien Einblicke in aktuelle Entwicklungen mit besonderem Fokus auf die Schweiz

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Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

1 Einleitung

Lehrwerke und Lernmaterialien spielen eine herausragende Rolle in der Schul‐ praxis. Lehrwerke prägen vielerorts Methoden, Progression, Themen und in‐ haltliches Vorgehen im Schulalltag (Fäcke 2016). Daher wird ihnen der Status als „heimlicher“ oder sogar als offener Lehrplan zuteil (Finkbeiner 2005, Thaler 2016). Curriculare Kohärenz im Sinne einer hohen Übereinstimmung zwischen Lehrplänen und Lehrwerken stellt somit eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung von innovativen pädagogischen oder bildungspolitischen Zielsetzungen dar (vgl. Beacco et al. 2016). In diesem Beitrag wird danach gefragt, inwiefern Plurale Ansätze in Lehrwerken sowie in lehrwerksunabhängigen oder -ergänzenden Materialien ihren Niederschlag finden und – mit besonderem Fokus auf die Schweiz – wie diese im Gesamtcurriculum eingebettet sind. Die Schweiz gehört zu den Ländern, in denen sich die meisten und curricular am stärksten verankerten didaktischen Materialien mit Pluralen Ansätzen finden (vgl. Candelier et al. 2015). In Anlehnung an Candelier et al. (2009) bezeichnen wir mit dem Begriff Plu‐ rale Ansätze Formate des Sprachenunterrichts, welche die Bezüge zwischen Sprachen und Kulturen im mehrsprachigen Repertoire der Lernenden in den Fokus stellen. Dazu zählen die integrierte Didaktik, die eine synergetische Ver‐ zahnung des Lernens mehrerer Sprachen vornimmt, die Förderung der sprach‐ lichen und kulturellen Bewusstheit durch Eveil aux langues und interkulturelles Lernen sowie die Interkomprehension, die das Verstehen von Sprachen oder Va‐ rietäten derselben Sprachfamilie anstrebt. Ziel der Pluralen Ansätze ist es, im schulischen Rahmen die Sprachlernökonomie durch das synergetische Zusam‐ menwirken und die Nutzung bereits vorhandener Ressourcen zu stärken. Auch

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sollen die Fähigkeit zum selbstständigen Erwerb von mehreren Sprachen erhöht und die Sprachlernmotivation, die Bewusstheit für Sprachen und Kulturen sowie die kulturelle Offenheit gefördert werden. Im vorliegenden Beitrag wird ein Augenmerk darauf gerichtet, dass der Kulturbegriff schwer zu fassen ist und sich die Zielsetzung, kulturelle Bewusstheit und Offenheit zu fördern, entspre‐ chend anspruchsvoll gestaltet. Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze (CARAP-REPA, Candelier et al. 2009) bietet als eines der ersten Referenzdoku‐ mente kompetenzorientierte, fassbare Zielsetzungen für die interlinguale und interkulturelle Dimension, strukturiert entlang den Bereichen savoir, savoir faire und savoir être, komplementär zu den sprachlich-kommunikativen Kompe‐ tenzen im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (Trim, North & Coste 2001). Die im CARAP-REPA beschriebenen Dimensionen sind generell für jedes Sprachenlernen relevant, besonders aber in Bildungskontexten mit hohem An‐ teil an Lernenden mit unterschiedlichen Herkunftssprachen oder beim gleich‐ zeitigen Erwerb mehrerer Fremdsprachen. Sie wurden europaweit in den letzten Jahren vermehrt in Curricula aufgenommen (z.B. in Deutschland, Österreich, Luxemburg, in den skandinavischen Ländern oder in der Schweiz). Der vorliegende Beitrag gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 bietet Einblicke in die Umsetzung pluraler Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien im euro‐ päischen Raum; Kapitel 3 fokussiert die Rezeption der Pluralen Ansätze bei der Konzeption von Lehrwerken und lehrwerksunabhängigen bzw. -ergänzenden Materialien im Schweizer Bildungskontext. Dabei wird erläutert, wie die Plu‐ ralen Ansätze in den Curricula der unterschiedlichen Bildungsregionen rezipiert und die Intention der Curricula in den Lehrwerken umgesetzt wurden. Unter Bezug auf den CARAP-REPA wird beispielhaft illustriert, welche Kompetenzen mit welchen Formaten unterstützt werden. Mit Blick auf das Gesamtcurriculum wird erörtert, welche Herausforderungen sich bei der Implementierung ergeben. Kapitel 4 rundet den Beitrag mit einem kurzen Ausblick ab. 2 Einblicke in internationale Entwicklungen

Die Förderung von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität wurde in vielen eu‐ ropäischen Ländern u.a. unter Einfluss der Arbeiten des Europarates und der Europäischen Union in die Curricula der öffentlichen Bildungssysteme integ‐ riert (vgl. Reissner 2015, Krumm 2016). Mit Verweis auf die Wichtigkeit von Mehrsprachigkeit im Zeitalter zunehmender Globalisierung und steigenden Mi‐ grationsraten finden sich in Lehrplänen und Bildungsstandards immer häufiger globale Zielsetzungen oder sogar konkrete Beschreibungen von Zielkompe‐ tenzen, welche Sprachbewusstheit, Sprachlernkompetenz oder interkulturelle

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Kompetenzen ins Zentrum stellen. Dies betrifft sowohl das Lernen der Schul‐ sprache als auch der Fremdsprachen, seltener auch der Herkunftssprachen. Zahlreiche lehrwerksunabhängige Materialien, welche die Förderung einer breiten Palette von mehrsprachigkeitsrelevanten und interkulturellen Kompe‐ tenzen abdecken, stehen mittlerweile interessierten Lehrkräften zur Verfügung (vgl. auch die Übersichtsdarstellungen in Schädlich 2013, Candelier et al. 2015 sowie Reimann 2015). Exemplarisch – „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ – zu nennen sind für den deutschen Sprachraum etwa Materialien zur Förderung von mehrsprachiger und interkultureller Bewusstheit in der Schulsprache wie der Sprachenfächer für Lernende ab dem 4. Schuljahr (Oomen-Welke 2007), die Materialserie KIESEL für Lernende der Primar- und Sekundastufe I (ÖSZ 2012), sprachverbindendes Material speziell für den Fremdsprachenunterricht wie Sprachen vergleichen – Sprachen entdecken für die Sekundarstufe I (Behr 2005) oder die Unterrichtsvorschläge zur Nutzung von Sprachvergleichen im Fremd‐ sprachenunterricht ab der 8. Klasse (Schöberle 2015). Für den französischen Sprachraum zu erwähnen ist die frankokanadische Plattform ELODIL (für Lern‐ ende ab dem Kindergarten bis zur Sekundarstufe I Armand, s.d.) und internati‐ onal die CARAP-REPA Datenbank mit einer Fülle von Übungsanlagen für alle Altersstufen, welche mit den CARAP-REPA Deskriptoren referenziert sind (vgl. den Beitrag von Schröder Sura in diesem Band). Auf der Grundlage einer Ana‐ lyse von einzelsprachlichen Lehrwerken wurden in Deutschland für den Bereich des simultanen oder sukzessiven Erwerbs zweier Fremdsprachen ab der 5. bzw. der 6. Klasse im Gymnasium die Mehrsprachigen Aufgabenplattformen (MAP) (Leitzke-Ungerer 2014) geschaffen. In Österreich wurde für die romanischen Sprachen eine Lehrwerkserie für das Tertiärsprachlernen ab der 9. Klasse (Dé‐ couvrons le français (Rückl et al. 2013) / Scopriamo l’italiano (Rückl et al. 2012) / Descubramos el español (Holzinger et al. 2012), mit einem konsequent sprach‐ verbindenden Ansatz erarbeitet, bei welchem Ansätze der Interkomprehension zur Anwendung kommen. Die Umsetzung curricularer Vorgaben in gängigen Lehrwerken in Schul- und Fremdsprachen geschieht erst ansatzweise. Marx (2014) kritisiert in ihrer Un‐ tersuchung einer Serie verbreiteter schulsprachlicher Lehrwerke in Deutsch‐ land, dass nur wenige mehrsprachige Übungsformate tatsächlich die sprachen‐ übergreifende Analyse anregen, im Sinne einer Unterstützung der Herkunftssprachen, der Bewusstmachung kultureller Diversität oder der Ent‐ wicklung des Sprachbewusstseins. Dies steht in scharfem Kontrast sowohl zu den nationalen Bildungsstandards der deutschen Kultusministerkonferenz als auch zu länderspezifischen Kernlehrplänen. Auch Thaler (2016) kommt in seiner Analyse einiger Lehrwerke für Englisch als erste Fremdsprache für die Sekun‐

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darstufe I mit starker Verbreitung in Deutschland zum Schluss, dass dort die in den Bildungsstandards gesetzten Ziele des mehrsprachigen Lernens für den mittleren Schulabschluss kaum zur Anwendung kommen (2 Lernaufgaben pro Band, jeweils auf der Ebene lexikalischer Vergleiche). Dies führt er, in Abstütz‐ ung auf Jakisch (2012), darauf zurück, dass Englisch eine gesicherte Stellung als schulisches Hauptfach mit hohem Prestige und außerschulischer Bedeutung habe und schulisches Fremdsprachenlernen in der Regel einzelsprachlich aus‐ gerichtet sei, u.a. mit der Befürchtung, es werde durch eine mehrsprachige Aus‐ richtung zu stark mit Aufgaben überfrachtet, die nicht zu den eigentlichen Kernzielen gehörten (ibid., 189). Haukås et al. (2016) verglichen schwedische und norwegische DaF-Lehrwerke und zeigten, dass nur wenige Übungen die Lernenden zur aktiven Auseinandersetzung und Reflexion über Sprachen an‐ regen; meistens handelt es sich dabei um relativ traditionelle Übersetzungsüb‐ ungen. 3 Einblicke in Entwicklungen in der Schweiz: Curricula, Lehrwerke und lehrwerksunabhängige oder -ergänzende Materialien 3.1 Bildungskontext Schweiz 3.1.1 Sprachensituation und curriculare Reformen im Sprachenbereich

Der Schweizer Bildungskontext ist geprägt durch die Präsenz der vier Landes‐ sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, eine hohe mi‐ grationsbedingte sprachliche und kulturelle Diversität sowie eine stark födera‐ listische Tradition im Bildungswesen. In den meisten Schweizer Kantonen wird, gemäß dem in der Bundesverfassung verankerten Territorialitätsprinzip, nur eine offizielle Amtssprache verwendet. Die Kantone sind jedoch verpflichtet, den Erwerb mindestens einer zweiten Landessprache zu fördern. Mit der ver‐ stärkten Globalisierung und der wachsenden Bedeutung von Englisch als Lingua franca führte dies zur Besonderheit, dass seit den 1970er Jahren nahezu alle Schweizer Schülerinnen und Schüler an der obligatorischen Schule zwei Fremd‐ sprachen erwerben, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo dies einer gymnasialen Elite vorbehalten bleibt (Marx 2016). Die Hauptverantwortung für die schulische Bildung liegt bei den Kantonen, jedoch verstärkten sich in den letzten Jahren die Bestrebungen zur Bildungskoordination, insbesondere mit der im Jahre 2004 verabschiedeten nationalen Strategie zur Weiterentwicklung des Sprachenunterrichts (EDK 2004). Diese sieht den Unterricht einer ersten Fremd‐ sprache spätestens ab dem dritten und einer weiteren Fremdsprache spätestens ab dem fünften Schuljahr vor, davon mindestens eine zweite Landessprache. Die

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Reihenfolge der Fremdsprachen ist darin nicht festgeschrieben und bleibt den Kantonen überlassen. Dadurch ergeben sich drei grosse Gebiete: Die franko‐ phone Westschweiz, die mit Deutsch vor Englisch beginnt; die sechs deutsch‐ sprachigen Kantone an der Sprachgrenze, die mit Französisch vor Englisch be‐ ginnen; und die restliche Deutschschweiz, die mit Englisch vor Französisch beginnt (vgl. Abb. 1).1

Abb. 1: Faktenblatt Fremdsprachenunterricht EDK 2015, reproduziert nach SAGW (2015)

Die nationale Sprachenstrategie entstand auf der Basis des in den 1990er Jahren im Auftrag der EDK erarbeiteten Gesamtsprachenkonzeptes (Lüdi et al. 1998), in enger Verbindung mit den Arbeiten des Europarates in Strassburg und Graz, insbesondere des Projektes Janua Linguarum JALING (vgl. Candelier et al. 2004, Perregaux 2005), und förderte stark die praktische Umsetzung eines Gesamt‐ sprachencurriculums. Im Zuge der Implementierung der Strategie wurden in allen Bildungsregionen Curricula und Lehrpläne für die obligatorische Schule neu entwickelt, welche allesamt die Integration pluraler Ansätze in den Unter‐ richt vorsehen, jedoch auf unterschiedliche Weise (vgl. Egli Cuenat et al. 2010). Dies ist insofern für diesen Beitrag relevant, als es sich auch direkt auf die Ge‐ staltung von Lehrwerken und weiteren Materialien auswirkte. 3.1.2 Variabler Einbezug pluraler Ansätze in die Schweizer Sprachencurricula

Ein konsequenter Einbezug pluraler Ansätze findet sich im Fremdsprachencur‐ riculum der sechs Deutschschweizer Grenzkantone zur französischsprachigen 1

Aus Platzgründen wird hier nicht auf die besondere Situation in den italienisch- und romanischsprachigen Landesteilen eingegangen.

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Westschweiz, welche gemeinsam beschlossen, ab dem Schuljahr 2011/12 mit Französisch als erster Fremdsprache in der dritten Klasse und Englisch in der fünften Klasse zu beginnen. Da Französisch davor ab der 5. Klasse und Englisch ab der 7. Klasse unterrichtet wurde, bedeutete dies eine komplette Erneuerung des Fremdsprachenunterrichtes. Die sechs Partnerkantone verpflichteten sich, entgegen allen föderalistischen Traditionen, im Rahmen des Projektes Passe‐ partout eng zusammenzuarbeiten, und u.a. einen gemeinsamen, sprachenver‐ bindenden Fremdsprachenlehrplan sowie Konzepte für die Aus- und Weiterbil‐ dung der Lehrpersonen zu entwickeln. Die Integration pluraler Ansätze und der Aufbau entsprechender Kompetenzen (im Bereich von savoir, savoir faire und savoir être) war dabei ein zentrales Element. Die neu entwickelten Instrumente wurden eng miteinander verknüpft und hinsichtlich der didaktischen Prinzipien aufeinander abgestimmt. Es wurden neue, auf den Lehrplan abgestimmte Lehr‐ werke geschaffen. Insbesondere die Französischlehrwerke Mille Feuilles und Clin d’oeil (s. Kapitel 3.2) versuchten, die Pluralen Ansätze im Sinne pädago‐ gisch-didaktischer Innovation stark umzusetzen. Gleichzeitig wurde im Projekt die Koordination mit dem ebenfalls neu entstehenden Englischlehrwerk New World angestrebt (vgl. Egli Cuenat 2012). Die Kantone der Ost- und Zentralschweiz wählten Englisch als erste Fremd‐ sprache und verschoben Englisch von der siebten in die dritte Klasse, Franzö‐ sisch wurde in der fünften Klasse beibehalten. Sie erarbeiteten neue stufen‐ übergreifende Lehrpläne für Englisch, in denen Language Awareness, Strategien und Lernerautonomie als Grundsätze integriert, jedoch nicht als zentrale auf‐ zubauende Kompetenzen formuliert wurden. Französisch wurde dabei nicht ex‐ plizit erwähnt. Obwohl Französisch durch die Reform zur Tertiärsprache mu‐ tierte, führte dies nicht zu einer Neukonzeption des Unterrichts. Das Französischlehrwerk envol wurde weiterhin mehrheitlich unverändert ver‐ wendet. Für den Englischunterricht wurden mehrere neue Lehrwerke einge‐ setzt, u.a. Explorers mit Pluralen Ansätzen und Young World. Nur Explorers stellte einige Synergien zum weiterhin verwendeten Lehrwerk envol her (vgl. Manno 2009). Zur verstärkten Schaffung von Synergien zwischen den Sprachen wurden nachträglich lehrwerksverbindende Elemente erarbeitet (vgl. Kap. 3.3). Von 2010 bis 2014 wurde für alle Deutschschweizer Kantone ein gemeinsamer Lehrplan entwickelt, in den der bereits 2010 erschienene Passepartout-Lehrplan integriert wurde und welcher die Ost- und Zentralschweizer Lehrpläne ablöste. Zurzeit sind Französischlehrwerke in Erarbeitung, welche dem Tertiärspra‐ chenstatus des Französischen bis zu einem gewissen Grad Rechnung tragen. In beiden Lehrplänen wurden zusätzlich zu den bisherigen Lernzielen im Bereich der kommunikativen Kompetenzen „Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen“

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neue Kompetenzbereiche geschaffen, wie „Bewusstheit für Sprachen und Kul‐ turen“ und „lernstrategische Kompetenzen“ (Lehrplan Passepartout), resp. „Sprachen im Fokus“ und „Kulturen im Fokus“ (Lehrplan 21). Beide Lehrpläne halten in der Einleitung fest: Bewusstes Erfassen und Vergleichen sprachlicher Phänomene erhöht die Einsicht ins Funktionieren von Sprache und verbessert die Sprachkompetenz. Sprachvergleiche liefern auch Informationen zur Kultur, die sich hinter der Sprache verbirgt bzw. die Sprache beeinflusst und prägt (vgl. Lehrplan Passepartout: 4).

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Die Effizienz des Sprachenlernens wird gesteigert, wenn die Schülerinnen und Schüler befähigt werden, das Transferpotenzial zwischen den Sprachen bewusst zu nutzen (vgl. Lehrplan 21: 4).

In den frankophonen Westschweizer Kantonen, welche traditionell eine stärkere Bildungskoordination betreiben, wurde bereits 2003 in einem Grundlagenpapier der Westschweizer Bildungsdirektorenkonferenz, der Déclaration de la CIIP re‐ lative à la politique de l’enseignement des langues en Suisse romande, die Not‐ wendigkeit eines integrierten Sprachencurriculums und der Vernetzung des Lernens von Lokal-, Fremd- und Herkunftssprachen hervorgehoben. Der 2010 fertiggestellte und ab 2011 eingeführte Plan d’Etudes Romand (PER) integriert die „Approches interlinguistiques“ als gemeinsame Achse sowohl im Curriculum für die Schulsprache Französisch als auch für die erste Fremdsprache Deutsch und die zweite Fremdsprache Englisch. Für die Umsetzung dieser Ziele werden im PER die eigens geschaffenen Lernmaterialien Education et ouverture aux langues à l'école empfohlen (EOLE, Perregaux et al. 2003, vgl. Kap. 3.2). Es wurden aber keine neuen, sprachenübergreifend vernetzenden Lehrwerke mit Pluralen Ansätzen für die Fremdsprachen entwickelt (vgl. Egli Cuenat et al. 2010). In den nachfolgenden Abschnitten werden einzelne Umsetzungsmöglich‐ keiten von Pluralen Ansätzen aus der Schweiz mit Bezug auf den CARAP-REPA gezeigt, welcher auch als Grundlage für die Erarbeitung der neuen Lehrpläne diente beziehungsweise zeitgleich und mit engem gemeinsamem Bezug zum Projekt JALING (Saudan et al. 2005) entwickelt wurde. Die Ausführungen be‐ ziehen sich jeweils auf den Aspekt der Sprache oder der Kultur und lassen sich den Bereichen savoir und savoir faire zuordnen. Der Bereich savoir être wird in einem eigenen Kapitel thematisiert (vgl. Kap. 3.6). Die Umsetzungsbeispiele stammen aus Lehrwerken oder aus lehrwerkunabhängigen bzw. -ergänzenden Materialien.

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3.2 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum

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Bereich Sprache

In den Französischlehrwerken Mille feuilles für die Primarstufe und Clin d’oeil für die Sekundarstufe I wird der Umsetzung pluraler Ansätze, dem Passepar‐ tout-Lehrplan entsprechend, großes Gewicht beigemessen. Beispielsweise weisen in Mille feuilles 3 für das erste Französischlernjahr von den insgesamt 55 Übungen 27 einen Pluralen Ansatz auf. Der Entwicklung der Fähigkeit, inter‐ linguale Ressourcen zu nutzen, wird viel Platz eingeräumt (vgl. Grossenbacher et al. 2012: 8-11). Dies geschieht unter anderen durch das Herstellen von Bezügen zwischen der Schulsprache Deutsch und der Fremdsprache Französisch sowie durch das Vergleichen mehrerer Sprachen miteinander. Solche Aktivitäten ent‐ sprechen u.a. dem Deskriptor K6 des CARAP-REPA: „Wissen, dass zwischen Sprachen / sprachlichen Varietäten Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen“ (Candelier et al. 2009: 48), welcher in mehreren Lehrplanzielen des Passepar‐ tout-Lehrplanes aufgenommen wird. Als Beispiel für die Umsetzung sei auf zwei activités aus Mille feuilles und Clin d’oeil verwiesen. In Mille feuilles 5.2 für das fünfte Schuljahr werden die Lernenden in ihrem dritten Lernjahr durch das Vergleichen verschiedener Sprachen an die Negation herangeführt. Beim Ver‐ gleichen der affirmativen und der negativen Form einer Aussage in verschie‐ denen Sprachen schulen die Lernenden ihre Fähigkeiten der Sprachanalyse.

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32

italiano

Unë

nuk

flas

na

shqip

Jau

Copyright (c) Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Parlo italiano. Non parlo italiano.

I speak English.

I don’t speak English. Der Satz beginnt mit Non.

Je ne parle pas français.

Ich spreche nicht Deutsch.

( I do not speak English.)

Je parle français.

analysez untersucht

discur

Ich spreche Deutsch.

 Regardez le tableau aux pages 32 à 33.  Analysez les négations dans 6 langues. Marquez les différences.  Comment est-ce qu’on forme la négation? Notez dans les cases.

parlo

Non

rumantsch

betg

Du untersuchst, wie man in verschiedenen Sprachen eine Aussage verneint.

Non parlo italiano – I don’t speak English

Activité F

(chinois)

 Continuez avec d’autres langues.

 Echangez vos notes.

Ik spreek geen nederlands.

Ik spreek nederlands.

wǒ bù huì shuō hànyǔ.

wǒ huì shuō hànyǔ.

(russe)

(norvégien)

Jeg snakker ikke norsk.

Jeg snakker norsk.

ja ni gawarju parusski

ja gawarju parusski

Activité F

Minä en puhu suomea.

Minä puhun suomea.

(finlandais)

Tôi không no’i tiê’ng Viêt.

Tôi no’i tiê’ng Viêt.

Watashi wa nihongo ga hanasemasen

Watashi wa nihongo ga hanasemasu

(japonais)

Jau na discur betg rumantsch.

Jau discur rumantsch.

(croate)

Geovorim Hrvatski. Ne geovorim Hrvatski.

No hablo español.

(albanais)

Unë flas shqip. Unë nuk flas shqip.

Hablo español.

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33

facultatif

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Abb. 2: Mille feuilles 5.2, MDR! Mort de rire (Grossenbacher et al. 2013: 32-33) BILD: THINKSTOCKPHOTOS.COM

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In dieser activité erkennen die zehn- bis elfjährigen Schülerinnen und Schüler Ähnlichkeiten und Unterschiede der Art und Weise, wie Sprachen die Negation bilden. So erleben sie sich als Sprachforschende. Diese Aufgabe erfolgt im Zu‐ sammenhang mit dem Lesen von Witzen, bei dem die Negation eine zentrale Rolle spielt: Viele Pointen sind nur verständlich, wenn die Negation erkannt wird. Insofern ist diese activité ein wichtiger Bestandteil der gesamten Lernein‐ heit. Im Lehrwerk Clin d’oeil 8.2 für das achte Schuljahr erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die Methode der Interkomprehension. Sie er‐ fahren, dass sie ihre bestehenden Sprachkenntnisse in einer Fremdsprache als Brücke zu weiteren Sprachen verwenden können, wie dies im CARAP-REPA mit dem Deskriptor S5 beschrieben ist: „Die in einer Sprache verfügbaren Kenntnisse und Kompetenzen für Handlungen des Sprachverstehens / der Sprachproduktion in einer anderen Sprache nutzen können“ (Candelier et al. 2009: 97). Die entsprechende didaktische Anlage sieht wie folgt aus:

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Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien

Abb. 3: Clin d’œil 8.2, Quelle histoire!, (Sauer et al. 2017: 28-29)

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Die Übung steht im Kontext von Reisegeschichten innerhalb der Schweiz, die von Zugspassagieren im Rahmen eines Wettbewerbs der Schweizerischen Bun‐ desbahnen verfasst worden sind. Darunter befinden sich deutsche, französische, italienische und rätoromanische Geschichten. In der Aufgabe hören und lesen die dreizehn- bis vierzehnjährigen Schülerinnen und Schüler zunächst einen Auszug aus einer dieser Reisegeschichten in den drei romanischen Landesspra‐ chen und anschliessend in drei weiteren romanischen Sprachen (Spanisch, Por‐ tugiesisch und Rumänisch). Dabei suchen sie nach Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Sprachen (z.B. in den Bereichen Lexik, Syntax, Morphologie) und tauschen sich darüber aus. Ziel der Aktivität ist es den Lernenden bewusst zu machen, dass ihnen die Kenntnisse einer romanischen Sprache für das Verstehen weiterer Sprachen derselben Sprachfamilie hilfreich sein können. Der Hinweis auf die EuroCom-Plattform erweitert den Einblick auf die Methode der Inter‐ komprehension. 3.3 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Sprache

Wie oben erwähnt, wurden in allen Regionen der Schweiz lehrwerksunabhän‐ gige Publikationen entwickelt, um Plurale Ansätze im Fremd- und Schulspra‐ chenunterricht zu stärken. Eine Vorreiterrolle nahmen dabei die Materialien von Education et ouverture aux langues à l’Ecole EOLE (Perregaux et al. 2003) ein. EOLE wurde in zwei Bänden für die französischsprachige Schweiz entwickelt, um als Ergänzung zu den dort eingesetzten Sprachlehrwerken eingesetzt zu werden (vgl. Kapitel 3.2.1). Von den insgesamt 35 Übungen für die Kindergar‐ tenstufe bis zur 6. Klasse sei hier ein Beispiel für die 3. Klasse vorgestellt.

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Abb. 4: EOLE Vol. II (Perregaux et al. 2003: 16)

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In diesem Memory suchen die acht- bis neunjährigen Schulkinder Tierpaare und vergleichen deren Bezeichnungen, die im Singular oder im Plural unter der Ab‐ bildung stehen. Dabei entdecken sie, wie unterschiedlich die verschiedenen Sprachen den Plural der Nomen markieren. Insofern lässt sich diese Aktivität dem Deskriptor K6.7.1 zuordnen: „Wissen, dass es verschiedene Möglichkeiten zur Kennzeichnung bestimmter Kategorien/ zum Ausdruck bestimmter Bezie‐ hungen gibt {Veränderlichkeit des Partizips / Bildung der Pluralform / Posses‐ sivpronomen…}“ (Candelier et al. 2009: 49). Die Materialien zu EOLET werden fortlaufend erweitert; den Lehrpersonen der Kindergärten bis zur Sekundarstufe steht eine elektronische EOLE Plattform zur Verfügung. Neuere Publikationen wie EOLE, textes et fonctionnement de la langue (Balsiger et al. 2013) gehen über die Wort- und Textebene hinaus und leiten die Lernenden an, ihr Wissen über Textsorten durch Plurale Ansätze zu erweitern (vgl. Bétrix Köhler et al. 2015). Für Lernende in deutschsprachigen Gebieten der Schweiz stehen sprachver‐ gleichende Aktivitäten beispielsweise in der ‘mini-grammaire’. Einblicke in die Grammatik der französischen Sprache (Lovey et al. 2015) zur Verfügung. Die Re‐ ferenzgrammatik wurde in Ergänzung zu den Lehrwerken Mille feuilles und Clin d’oeil entwickelt, kann aber auch unabhängig von diesen Lehrwerken eingesetzt werden. In der mini-grammaire finden sich sprachvergleichende Aktivitäten zu zwölf ausgewählten Grammatikthemen in der Rubrik „viele Sprachen – viele Möglichkeiten“. Als Umsetzungsmöglichkeit der Deskriptoren S3 („Sprach‐ liche / kulturelle Phänomene verschiedener Sprachen / Kulturen vergleichen können“, Candelier et al. 2009: 37) und K6.2 („Wissen, dass jede Sprache die Wirklichkeit ganz spezifisch erfasst / organisiert“, op.cit.: 48) sei hier auf das Kapitel zu den Zeiten verwiesen:

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54 Verb ’ Zeitstrahl

Viele Sprachen – viele Möglichkeiten: Zeiten In den verschiedenen Sprachen gliedert man die Zeiten in unterschiedlich viele Zeitformen.

Vergangenheit Passé Deutsch

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Französisch

English Englisch

Italiano Italienisch

Suomi Finnisch

Futur Ich werde sprechen.

Präsens I rede.

Futur I tue de rede.

Passé récent Je viens de parler. Passé composé J’ai parlé. Passé simple Je parlai. Imparfait Je parlais. Plus-que-parfait J’avais parlé.

Présent Je parle. Présent progressif Je suis en train de parler. Gérondif en parlant

Futur simple Je parlerai. Futur composé Je vais parler.

Present perfect I’ve spoken. Simple past I spoke. Past progressive I was speaking. Past perfect I had spoken.

Simple present I speak. Present progressive I am speaking. -ing-Form speaking

Will-future I will speak. Going-to-future I am going to speak.

Passato prossimo Ho parlato. Passato remoto Parlai. Imperfetto Parlavo. Trapassato prossimo Avevo parlato.

Presente Parlo. Perifrasi progressiva Sto parlando. Gerundio parlando

Futuro semplice Parlerò.

Perfekt Olen puhunut. Imperfekt Puhuin. Plusquamperfekt Olin puhunut.

Präsens Puhun. Instrumental Puhuen.

Presente Eu falo. Gerúndio falando falar. Pretérito perfeito composto Eu tenho falado. Pretérito perfeito simples Falei. Pretérito imperfeito Eu falava. Pretérito mais-que-perfeito composto Eu tinha falado. Pretérito mais-que-perfeito anterior Eu tivera falado.

Português Pretérito recente Acabei de Portugiesisch

Zukunft Futur

Präsens Ich spreche. Partizip Präsens sprechend

Perfekt Ich habe gesprochen. Präteritum Ich sprach. Plusquamperfekt Ich hatte gesprochen.

Schweizer- Perfekt I ha gredt. deutsch Français

Gegenwart Présent

Futuro simples Falarei. Futuro Eu vou falar.

Anzahl Zeitform en Wie erzählst du auf Schweizerdeutsch ein Ereigni s in der Vergangenheit? Wie erzählt man wo hl auf Finnisch ein Ereignis in der Zukunf t?

Abb. 5: mini-grammaire. Einblicke in die Grammatik der französischen Sprache. (Lovey et al. 2015:54)

Bei der Betrachtung dieser Seite können sich zwölf- bis vierzehnjährige Schü‐ lerinnen und Schüler nach ungefähr vier Jahren Französisch- oder Englischun‐ terricht Gedanken zur unterschiedlichen Strukturierung des Zeitstrahls in ver‐

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schiedenen Sprachen machen und darüber, wie sich je nach Sprache mit unterschiedlich vielen Zeitformen Aussagen zu einem Zeitabschnitt machen lassen. Dabei überlegen sie sich, inwiefern sich Sprache und Wirklichkeit ge‐ genseitig beeinflussen. Solche Übungen sollen den Schülerinnen und Schülern bewusst machen, dass die verschiedenen Sprachsysteme unterschiedlichen Lo‐ giken folgen können, die es zu entdecken und zu verstehen gilt. Das Vergleichen der verschiedenen Sprachsysteme soll zu einer höheren Bewusstheit aller be‐ teiligten Sprachen führen – der Fremdsprache(n), der Schulsprache und u.U. auch der Herkunftssprache(n) (vgl. Lovey et al. 2017). Wie in Kapitel 3.1.2 vorausgeschickt, wird in der Ostschweiz zurzeit mit dem Lehrwerk envol (Achermann et al. 2000) Französisch nach Englisch unterrichtet. Dieses Lehrwerk entstand noch vor der Vorverlegung des Englischunterrichts auf die 3. Klasse und ist dementsprechend nicht auf die Tertiärsprachendidaktik ausgerichtet. Den Lernenden und Lehrpersonen der Primar- und Sekundarstufe soll mit dem lehrwerksverbindenden Zusatzmaterial Brücken (z. B. Brücken zwischen envol und Young Worl (Klee et al. 2011) oder Brücken zwischen envol und Explorers (Klee et al. 2012) bewusst gemacht werden, so dass die Schüler‐ innen und Schüler in Französisch nicht nur von ihren Deutsch- sondern auch von ihren Englischkenntnissen profitieren können. Diese Idee findet sich im Deskriptor S 7.3.2 des CARAP-REPA „Das deklarative und prozedurale Vor‐ wissen und die Kompetenzen einer Sprache zum Erwerb einer anderen Sprache einsetzen können“ (Candelier et al. 2009: 99). In envol gibt es am Ende jeder Unité einen Text “Info Suisse romande”, der zwei Ziele verfolgt: einerseits ein landeskundliches, denn es soll ein impliziter Bezug zur französischsprachigen Schweiz geschaffen werden, andererseits sollen die Lernenden anspruchsvolle Texte mit Hilfe von expliziten Lesestrategien ver‐ stehen lernen. Brücken zeigt, dass der Text “La Brévine-La Sibérie de la Suisse” (envol 6, Achermann et al. 2000) ohne Eigennamen und Zahlen 30 englische Entsprechungen (rot eingefärbt) aufweist, was 28 % der insgesamt 107 Wörter entspricht (Manno 2009). Dazu kommt, dass einige dieser Wörter auch eine deutsche Entsprechung aufweisen.

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Abb. 6: Brücken zwischen Explorers und envol (Klee et al. 2012: 9)

envol gilt in der Schweiz als eines der ersten Fremdsprachenlehrwerke, bei dem die Lernenden angeregt wurden, mit Lesestrategien anspruchsvolle Texte zu entschlüsseln. So wurden bei den Texten „Info Suisse romande“ sukzessiv Lese‐ strategien, die so genannten „clés magiques“, eingeführt. Die Lernenden, welche neu bereits seit zwei Jahren mit dem Lehrwerk Explorers oder Young World Englisch lernen, wenn sie in der 5. Klasse mit Französisch beginnen, kennen bereits viele Lesestrategien. Brücken weist auf diese Tatsache hin und stellt mit einer Übungsanlage für Lernende der 5. und 6. Klasse einen Bezug zwischen den in envol eingeführten Lesestrategien, jenen des jeweiligen Englischlehrwerks sowie des europäischen Sprachenportfolios her (vgl. Klee et al. 2012: 23). Durch Gegenüberstellung und Vergleich zwischen Lesestrategien wird aufgezeigt, dass sprachübergreifender Unterricht auch bedeutet, sich bewusst zu werden, dass die gleichen Lesestrategien helfen, Texte in verschiedenen Sprachen zu ver‐ stehen. Die Lernenden müssen im Französischunterricht nur noch an die bereits bekannten Strategien erinnert werden, was ein effizienteres Fremdsprachen‐ lernen begünstigt.

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Das Französischlehrwerk envol wird in den kommenden Jahren durch das Lehrwerk Dis donc! und das begleitende Werk Dis voir! abgelöst (vgl. Kap. 3.4), welche in Anlehnung an den Lehrplan 21 ebenfalls Plurale Ansätze integrieren. 3.4 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum Bereich Kultur

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Die aktuellen Schweizer Lehrpläne geben vor, dass bei den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für Kulturen geschaffen wird. Der Lehrplan 21 for‐ muliert beispielsweise als Lernziel, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, dass Kenntnisse, die sie über die französischsprachigen Kulturen haben, häufig klischeehafte Aspekte beinhalten und dass in allen Kulturen vielfältige Lebensund Verhaltensweisen nebeneinander existieren (z.B. Wohnsituation, Essensgewohn‐ heiten, Grussverhalten) (D-EDK 2014: FS2F.6.A.1).

In Bezug auf die Kultur kann zwischen Oberflächenmerkmalen und Tiefen‐ strukturen unterschieden werden (z.B. Hall 1976: 3). Viele in den schweizer‐ ischen Lehrplänen aufgeführte Lernziele zur Kultur beziehen sich auf kulturelle Eigenschaften, die sichtbar und leicht identifizierbar sind, also auf Oberflächen‐ merkmale. Dementsprechend wird in manchen Lehrwerken der Auftrag der Lehrpläne, eine Bewusstheit für Kulturen zu schaffen, zunächst damit eingelöst, dass Beispiele abgebildet werden, die nach der Einschätzung des jeweiligen Au‐ torenteams für eine Kultur augenfällig und typisch sind. So wird zum Beispiel 'der Franzose' mit einem Baguette in der Hand und einem Béret auf dem Kopf dargestellt, die Italiener werden beim Espresso Trinken gezeigt und die indische Familie isst Reis. Das Französischlehrwerk Dis donc! (Keller et al. 2017) für die Primar- und Sekundarstufe I bildet auf seinem Titelblatt entsprechend so ge‐ nannt “typische” kulturelle Erzeugnisse aus Frankreich ab: croissant, Deux-che‐ vaux, Tour Eiffel, Camembert, baguette etc.

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Abb. 7: Titelblatt von “Dis donc! 5” (Keller et al. 2017)

Dieser Zugang zur Kultur greift Eigenheiten auf, die als Besonderheit einer an‐ deren Gemeinschaft charakterisiert werden können. Damit werden vor allem Unterschiede zwischen Kulturkreisen betont. Dem Deskriptor „Wissen, dass es °Ähnlichkeiten / Unterschiede° zwischen Kulturen geben kann“ (K 13.2) aus dem CARAP-REPA werden sie so nur bedingt gerecht. Eine weitere Problematik besteht darin, dass durch solche Darstellungen letztlich ein monolithischer Kulturbegriff zementiert wird, der der Diversität und dem stetigen Fluss alles Kulturellen sowie der Möglichkeiten von multiplen Kulturzugehörigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen nicht gerecht wird. Zu möglichen Gründen für einen Ausschluss von kulturellen Tiefenstrukturen kann also auch ein Kulturbegriff zählen, der direkt an eine Nationalität ge‐ bunden ist. Dazu äussert sich Egli Cuenat (2018) unter Bezugnahme auf Holliday (2011) wie folgt: In practice in secondary schools, where time pressure and the demands of daily class‐ room life are often major issues, simple examples are welcome. However, from a cri‐ tical standpoint, they bear the risk of containing the learners (and maybe also the teachers) in fixed value systems and stereotypical world views instead of relativizing and preventing them and even favour cultural ‘othering’ (Holliday 2011).

Ein Beispiel, wie weniger auf Stereotype und Unterschiede, sondern auf Ver‐ bindendes hingewiesen werden kann, findet sich in Mille feuilles 3.3:

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Abb. 8: Mille feuilles 3.3, C’est la classe! (Bertschy et al. 2011: 40-41)

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40

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Jouer à la marelle On la dessine sur le sol avec une craie. Puis on lance son palet et on saute à cloche-pied de la case Terre à la case Ciel.

Jouer au foot Pas de pelouse ni de cages? Ce n’est pas un problème pour ce petit Argentin.

Tout autour du monde, dans les cours d’école, on peut voir les enfants pratiquer ces jeux.

Du schaust Bilder von spielenden Kindern aus aller Welt an. Du liest eine Spielanleitung und probierst das Spiel mit andern zusammen aus.

Des jeux pour la récré

Activité H | Freiwillig



Activité H

Sauter à la corde Voici une championne vietnamienne de saut à la corde.

41

Les billes Dans l’Antiquité, les enfants grecs jouaient avec des olives et les petits Romains avec des noix. Aujourd’hui, les billes sont en terre ou en verre. Chaque semaine, 400 millions sont fabriquées dans le monde.

Jouer aux billes Ces Bangladais jouent à la poursuite. Il faut toucher la bille de l’adversaire avec la sienne.

Kennst du diese Spiele? Kinder auf der ganzen Welt spielen sie.

Celui qui a le plus de graines a gagné!

Jouer à l’awalé Dans ce jeu africain, chacun sème tour à tour des graines dans des trous représentant des greniers. Si la dernière graine semée porte le nombre de graines de la case d’arrivée à 2 ou 3, on ramasse son contenu et celui des précédentes.

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126 Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

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Die Lernenden erkennen in dieser Aktivität, dass ihnen vertraute Spiele rund um die Welt gespielt werden. Die Mittel zum Spielen können sich zwar je nach Kulturkreis unterscheiden, das Spiel an sich ist den Kindern aber meist bereits bekannt (Grossenbacher et al. 2012: 12). Um die Bewusstheit für Kulturen zu fördern, setzen Lehrwerke wie Mille feuilles oder Clin d’œil, aber auch envol (modules) (Begleithefte zum oben be‐ schriebenen Französischlehrwerk für die 5. bis 9. Klasse) und Explorers (Engli‐ schlehrwerk für die 4. bis 6. Klasse) auf authentische Materialien – seien es Bilder, Lieder, Gedichte oder andere Texte, die in frankophonen resp. anglo‐ phonen Gebieten für Jugendliche geschrieben wurden. Die Lehrwerkautorinnen und -autoren halten es für möglich, dass über die Begegnung mit authentischen kulturellen Erzeugnissen etwas von den Tiefenstrukturen der zielsprachlichen Kultur mitschwingt, wie beispielsweise andere Kommunikationsstile, Wertvor‐ stellungen oder Normen. Diese 'Begegnung' mit Kulturgut aus dem zielsprach‐ lichen Raum schafft zwar ein diffuseres 'Wissen über Kulturen' als gewisse (Stereo-)typen. Jedoch erhofft man sich, damit weniger Klischees zu transpor‐ tieren. Mit älteren Lernenden können Klischees von Sprachkulturen im Fremdspra‐ chenunterricht zum Thema gemacht werden. Einen solchen Zugang schafft das magazine Clin d’oeil 8.5, in dem Klischees aufgegriffen werden. Als Ausgangs‐ material dient eine Fernsehsendung, in der deutsch- und französischsprachige Schweizerinnen und Schweizer besondere Eigenheiten der jeweils anderen Sprachgruppe zuweisen.

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Abb. 9: Clin d’œil 8.5, Bon cinoche! (Ganguillet et al. 2015: 28-29)

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28

32 – 43

Nous sommes nettement plus ordrés.

Ils savourent plus la vie.

Ils ne sont pas aussi rigolos que nous, quoi.

Nous, on est plus exacts.

Très ponctuels.

svelte cosmopolite ponctuel/-le être cadré/-e rigide froid/-e savourer la vie nettement ordré/-e accueillant/-e

hier: drahtig weltoffen pünktlich eine klare Linie haben stur, starr gefühlskalt geniessen das Leben deutlich ordentlich gastfreundlich

On croit qu’ils sont froids mais en fait pas du tout.

J’ai l’impression qu’ils sont un peu moins compliqués.

C’est-à-dire, ils sont très sérieux.

Ils sont perfectionnistes mais ils sont très accueillants quand même.

Ils sont gentils.

Ils sont plus cadrés. Ils sont plus rigides.

Ils sont plus ouverts et plus intéressés à la culture, plus sveltes, plus cosmopolites.

» Lisez et écoutez les bulles.

Qu’est-ce que les Suisses alémaniques pensent des Romands et vice versa?

Avez-vous entendu parler du «Röstigraben» ou de la «barrière de rösti»? Cette barrière imaginaire marque la frontière entre les Suisses alémaniques et les Romands.

Tu te confrontes aux clichés sur la Suisse romande et la Suisse alémanique. Tu regardes deux émissions de télévision.

F2 | Au-delà du Röstigraben

Atelier F

C’est peut-être une idée des…

» Regardez les émissions et vérifiez vos hypothèses.

Atelier F

l’émission f die Sendung

En 2014, la présentatrice de l’émission «Schweiz aktuell» et le présentateur de l’émission «Couleurs locales» ont fait un échange. Pendant une semaine, la Bernoise Claudia Weber a présenté l’émission romande et le Genevois François Egger a présenté l’émission suisse allemande.

Claudia Weber et François Egger ont interviewé des Suisses alémaniques et des Romands.

A mon avis, c’est une citation des…

Qui dit quoi? » Attribuez les citations aux Suisses alémaniques (A) ou aux Romands (R). Discutez et écrivez A ou R dans les bulles.

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128 Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

Plurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien

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Die Konfrontation mit der klischeehaften Einschätzung, die Sprachnachbarn über die eigene Sprachgemeinschaft äußern, kann bei den Schülerinnen und Schülern ein Hinterfragen der eigenen Klischeebildungen hervorrufen. 3.5 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Kultur

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Auch in Zusätzen zu Lehrwerken oder in Materialien, die zwei Lehrwerke ver‐ binden, sind Aufgaben zur Förderung der kulturellen Bewusstheit auszumachen. Als Beispiel sei hier eine Anregung aus Brücken (s. oben, Kapitel 3.3) genannt. Ausgehend von einem beschreibenden Text eines Schulzimmers aus Bali aus dem Englischlehrwerk Young World wird der Bezug zum Französischlehrwerk envol hergestellt. Dies erfolgt mithilfe einer Abbildung eines Schulzimmers aus La Neuveville in der französischsprachigen Schweiz.

Abb. 10: Brücken zwischen envol und Young World, Anregung 1 (Klee et al.: 2011)

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Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

In dieser Aufgabe werden die Schülerinnen und Schüler unter anderem aufge‐ fordert, zu überlegen, ob die Sätze unter dem Bild des Schulzimmers aus Bali auch auf das Klassenzimmerbild aus La Neuveville zutreffen. Um die interkul‐ turelle Bewusstheit zu fördern, sollte von der Lehrperson eine weiterführende Diskussion angeleitet werden, bei der die Gemeinsamkeiten untermalt und die Unterschiede reflektiert werden. 3.6 Förderung von interkulturellem savoir être (persönlichkeitsbezogene

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Kompetenzen)

Zum Bereich savoir être zählen „Aufmerksamkeit, Sensibilität, Neugier (Inte‐ resse), Akzeptanz, Aufgeschlossenheit, Respekt, Achtung (vor der Vielfalt) von Sprachen und Kulturen“ (vgl. Candelier et al. 2009: 66). Damit wird eine Haltung angesprochen, die die Schülerinnen und Schüler entwickeln sollen. Es ist si‐ cherlich unbestritten, dass es eine wesentliche Aufgabe der Schule ist, die Ein‐ stellungen der Lernenden in diese Richtung zu fördern. Haltungen von außen zu beeinflussen, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen. Lehrwerke und -ma‐ terialien können zwar Aktivitäten anbieten, die dafür nutzbar gemacht werden können; ob sie damit allerdings den erwünschten Effekt erzielen, muss offen bleiben. Grundsätzlich können alle Aufgaben mit Pluralen Ansätzen für die För‐ derung des savoir être genutzt werden. Dies setzt jedoch voraus, dass bei den Lehrpersonen ein entsprechendes Bewusstsein vorhanden ist und sie ihre Schü‐ lerinnen und Schüler explizit darauf hinweisen, dass alle Sprachen und Kulturen gleichwertig sind. 3.7 Implementierung und Lehrpersonenbildung

Aus dem Vorangehenden wird deutlich, dass in der Schweiz zahlreiche Materi‐ alien mit Pluralen Ansätzen vorliegen. Deren Implementierung in den Schul‐ alltag stellt in allen Bildungsregionen eine große Herausforderung dar. In diesem Zusammenhang sei der Schlussbericht des Projektes JALING Suisse erwähnt (vgl. Saudan et al., 2005, s. oben Kapitel 3.1). Darin wird beschrieben, dass im Rahmen der Erprobung in 35 Klassen aus drei Landesteilen die sprachvergleich‐ enden und sprachreflexiven Aktivitäten sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrpersonen überzeugten. Der Schlussbericht schliesst mit ver‐ schiedenen Empfehlungen ab: Nebst dem Wunsch nach der Entwicklung wei‐ terer Unterrichtsmaterialien mit Pluralen Ansätzen wird darauf hingewiesen, dass die Unterrichtsansätze und -methoden zu „Eveil aux langues/ Language Awareness/Begegnung mit Sprachen“ nicht nur in den Lehrplänen, sondern auch in den Programmen der Aus- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer verankert werden müssten. Offenbar waren sich die Autorinnen und

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Autoren des Berichtes bewusst, dass Unterrichtsmaterialien zu Sprachverglei‐ chen und Reflexionen, so attraktiv sie auch sein mögen, die Unterrichtspraxis nur bedingt erreichen, wenn sie nicht curricular verortet und die Lehrpersonen nicht entsprechend ausgebildet werden. Darauf weist auch Perregaux (2006) im Zusammenhang mit der Implementierung der EOLE-Materialien (s. oben Kapitel 3.3) in der französischsprachigen Schweiz hin. Sie schlägt als Aus- und Weiter‐ bildungsmassnahme eine intensive Auseinandersetzung der (angehenden) Lehrpersonen mit der eigenen Sprachbiographie vor und erhofft sich davon eine Veränderung monolingual ausgerichteter Vorstellungen und Überzeugungen im Hinblick auf den Einbezug der Materialien im Sprachenunterricht. Im Projekt Passepartout (vgl. Kapitel 3.1) wurde auf eine enge Verflechtung von Lehrplan, Lehrwerken und Weiterbildung geachtet. Wie zentral das Anliegen in der Leh‐ rerbildung ist, zeigt der folgende Auszug aus den im Weiterbildungskonzept Passepartout formulierten Zielen: Die Lehrperson kennt die didaktischen Prinzipien und Ansätze der Didaktik der Mehrsprachigkeit (Metakognition, ELBE, Immersion, Austauschdidaktik, Interkom‐ prehension, Tertiärsprachendidaktik) und kann diese in ihrem Unterricht umsetzen (Ritz et al. 2009: 22).

Gemäß der Erkenntnis, dass die Weiterbildung und die Begleitung während der Einführung neuerer pädagogischer Konzepte und Lehrwerke eine der Grund‐ bedingungen für die erfolgreiche Implementierung darstellen (Le Pape Racine et al. 2012), dauerte die Weiterbildung zur Einführung der neuen Lehrmittel zwölf Tage und war für alle Fremdsprachenlehrpersonen auf der Primarstufe obligatorisch. Die Lehrwerke Mille feuilles, Clin d’Oeil und New World wurden in 30 Praxistestklassen erprobt. Von dieser Pilotphase liegen Erkenntnisse vor: Singh (2016) stellt in ihrer bilanzierenden Zusammenfassung der Evaluierung des Pilotprojektes fest, dass die Lehrpersonen im Schulalltag Sprachvergleiche, insbesondere in Bezug auf Wortschatz und Grammatik, in die Lektionen einbe‐ ziehen, sowie mit den sprachübergreifenden Lernstrategien arbeiten. Anderer‐ seits bemängelt sie, dass zu wenig konkrete Verknüpfungen zwischen dem Eng‐ lisch- und Französischlehrmittel hergestellt werden, wie dies eigentlich im Projektkonzept vorgesehen wäre. Dies scheint durch die Schulorganisation, d.h. durch den Stundenplan und dem Fachlehrersystem erschwert zu sein. Ihre Aus‐ führungen zeigen aber deutlich, dass Aufgaben mit Pluralen Ansätzen, welche in die Lehrwerke eingebunden sind, auch im Unterricht umgesetzt werden.

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In der Ostschweiz wird den Lehrpersonen im Rahmen der lehrwerksverbind‐ enden Publikation Brücken (vgl. Kapitel 3.3) folgendes Instrument zur Förderung der fächerübergreifenden Zusammenarbeit angeboten:

Abb. 11: Auszüge aus Brücken zwischen envol und Young World, Lehr- / Lehrjournal (Egli Cuenat et al. 2011: 5-6)

Der Auszug aus dem Lehr- / Lernjournal vermittelt einen Eindruck, wie Fran‐ zösischlehrpersonen mit Hilfe von Weiterbildung und Anregung zu Reflexion zur reflexiven Praxis und Zusammenarbeit mit Englischlehrpersonen animiert

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werden sollen. Damit der Unterricht in den beiden Fremdsprachen vermehrt aufeinander abgestimmt werden kann, sollten die Lehrpersonen die Zielsetzungen, Inhalt und Vorgehen des „anderen“ Lehrwerks kennen und sich regel‐ mässig austauschen. Zusätzlich wurde im Auftrag des Kantons St. Gallens ein Implementierungskonzept (Egli Cuenat et al. 2012) erstellt, welches Vorschläge hinsichtlich des erfolgreichen Zusammenwirkens der Brücken-Broschüre mit Arbeitsblättern, der beigefügten Selbstbeobachtungsmaterialien für Lehrper‐ sonen im Rahmen einer Weiterbildung macht. Wie dem Bericht des Kantons‐ rates St. Gallen zum Fremdsprachenunterricht (2016, 11) aber zu entnehmen ist, wurde bislang von entsprechenden Angeboten wenig Gebrauch gemacht.

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4 Ausblick

In der Schweiz wie auch in anderen europäischen Ländern wurden zahlreiche Lehr- und Lernmaterialien geschaffen, in denen Übungsanlagen mit Pluralen Ansätzen auszumachen sind. Diese zeigen Wege auf, wie sich das Sprachbe‐ wusstsein in den Bereichen savoir, savoir faire und savoir être fördern lässt und der mehrsprachlichen und -kulturellen Realität im Schulzimmer Rechnung ge‐ tragen werden kann. Auch interkulturelles savoir faire sowie Wissen über den Kulturkreis der vermittelten Zielsprachen kann durch den Einsatz entsprech‐ ender Materialien vermittelt werden, wobei bei der Vermittlung von Stereotypen und Charakteristika, welche an nationale Kulturen gebunden scheinen, Vorsicht geboten ist. Wie in der Literatur immer wieder festgestellt wird, reicht die projektgebun‐ dene Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien allein nicht zur erfolgreichen Im‐ plementierung der Pluralen Ansätze. Wichtig ist deren curriculare Verortung, die Aufnahme von entsprechenden Kompetenzbeschreibungen in die Lehr- oder Bildungspläne und wohl als eines der effizientesten Mittel die Schaffung von Lehrwerken, welche darauf abgestimmt sind und in welchen die Pluralen An‐ sätze solide verankert sind. Mit den lehrplankompatiblen Lehrwerken wird im Allgemeinen die höchste Verbindlichkeit erreicht. Zusätzlich spielt eine umfas‐ sende Grund- und Weiterbildung eine große Rolle, denn nur dank Lehrpersonen, die bereit sind, Zeit und Energie für die Entwicklung der Sprachbewusstheit und der interkulturellen Kompetenz ihrer Lernenden zu investieren, können Plurale Ansätze Eingang in den Schulalltag finden. Wünschenswert wäre eine tiefer‐ gehende Zusammenarbeit zwischen den Sprachlehrpersonen. Dafür müssten in den Schulen die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden (z.B. in‐ terne sprachenübergreifende Weiterbildung sowie festgelegte Zeitgefässe für Treffen der Sprachlehrpersonen, Erarbeitung eines Sprachenkonzeptes inner‐

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halb einer Schule, das Verwenden eines gemeinsamen Sprachenportfolios, das Formulieren von gemeinsamen Lernzielen in den Bereichen Bewusstheit für Sprachen und Kulturen und bei den lernstrategischen Kompetenzen). In der Schweiz machte sich in den letzten Jahren ein starker politischer Wille zur Implementierung eines mehrsprachigen und interkulturellen Ansatzes beim Sprachenlernen bemerkbar. Wie die in den Medien teilweise lautstark geäußerte Kritik an diesen Ansätzen und mehrere, einem monolingualen Habitus ver‐ pflichtete kantonale Volksabstimmungen zur Abschaffung der zweiten Fremd‐ sprache auf der Primarstufe belegen, verläuft diese Implementierung aber auch in diesem Kontext nicht reibungslos. Wie jeder curriculare Wandel braucht diese Innovation viel Zeit, um in der Praxis anzukommen. Literatur Achermann, Brigitte / Bawidammann, Michel / Tchang-George, Martine / Weinmann, Hanna. 2000. Envol 5, Französischlehrmittel für die Primarschule. Zürich : Lehrmittel‐ verlag des Kantons Zürich. Armand, Françoise. s.d. Eveil au langage et ouverture à la diversité linguistique. Université de Montréal (http://www.elodil.com, 25.05.2017). Arnet, Illya / Frank Schmid, Silvia / Ritter, Guido / Rüdiger-Harper, Jean. 2013. New World. Baar: Klett&Balmer-Verlag. Arnet, Illya / Bell, Nick / Bleuler-Lanz, Corinne / Ritter, Guido / Rüdiger-Harper, Jean / Stampfli-Vienny, Corinne / Wirrer, Michael. 2007. Young World. Baar: Klett&Balmer-Verlag Balsiger, Claudine / Bétrix Köhler Dominique / Panchout-Dubois 2013. EOLE, textes et FDL. (http://eole.irdp.ch/eole/eole_txts_fdl/index.html, 25.05.2017). Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael / Cavalli, Marisa / Coste, Daniel / Egli Cuenat Mirjam / Goullier, Francis / Panthier, Johanna. 2016. Guide pour l’élaboration des cur‐ riculums pour une éducation plurilingue et interculturelle – version révisée. Strasbourg: Conseil de l’Europe (http://www.coe.int/t/dg4/Linguistic/Source/Education%20plurili ngue%20et%20interculturelle.pdf, 25.05.2017). Behr, Ursula. 2005. Sprachen entdecken – Sprachen vergleichen. Kopiervorlagen zum spra‐ chenübergreifenden Lernen Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Latein. Berlin: Cor‐ nelsen. Bertschy, Ida / Egli Cuenat, Mirjam / Stotz, Daniel. 2015. Passepartout. Fremdsprachen an der Volksschule. Lehrplan Französisch und Englisch (www.passepartout-sprachen.ch/se rvices/downloads/, 25.05.2017). Bertschy, Ida / Grossenbacher, Barbara / Sauer, Esther. 2011. Mille feuilles 3. Bern: Schul‐ verlag plus AG.

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Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

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Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitta Gubler, Gwendoline Lovey

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Begegnung mit Sprachen / Eveil aux langues

Jürgen Mertens

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1 Einleitung

Gemeinhin wird unter (Fremd-)Sprachenunterricht das Lehren und Lernen von Fremdsprachen isoliert voneinander verstanden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Abschottung der Sprachen beim Lehr- und Lernprozess, insbesondere das Prinzip der absoluten Einsprachigkeit beim Lernen fremder Sprachen, die Trennung der verschiedenen Sprachsysteme und der Ausschluss der Mutter‐ sprache aus dem Vermittlungs- und Lernprozess in verschiedenen Methoden‐ konzeptionen (z.B. in der Direkten Methode oder der Audiovisuellen Methode) zu einer Art Dogma erhoben. Candelier et al. (2003a, 21) bezeichnen eine Aus‐ einandersetzung, die allein auf einer Sprache fußt, als approche singulière: „[…] une approche singulière, sera une approche dans laquelle le seul objet est une langue ou une culture particulière, prise isolément.“ So spricht man im alltägli‐ chen Sprachgebrauch zum Beispiel von Französisch-, Englisch-, Spanisch- oder Deutschunterricht, unterscheidet die Lehrkräfte nach ihrer Lehrbefähigung in den einzelnen Sprachen und auch die Fremdsprachendidaktiken1 grenzen sich u.a. durch ihre Benennung voneinander ab. Von Konzepten, die allein auf eine Einzelsprache ausgerichtet sind, setzen sich die ab, die sich der Begegnung mit Sprache allgemein bzw. mit mehreren Sprachen zugleich widmen. So ist Begegnung mit Sprachen, in der französischen Terminologie mit Eveil aux langues (Candelier et al. 2003a) umschrieben, neben der integrativen Sprachdidaktik, der Interkomprehension unter verwandten Sprachen sowie dem interkulturellen Ansatz (vgl. Candelier/de Pietro 2011, 265) zu einem wichtigen Pfeiler dessen geworden, was als Pluraler Ansatz bezeichnet wird: « Nous appelons approche plurielle une démarche pédagogique dans la‐ quelle l’apprenant travaille simultanément sur plusieurs langues » (Candelier et al. 2003a, 19). Mit den anderen Pluralen Ansätzen verbindet Eveil aux langues, 1

So sprechen wir von Didaktik der französischen Sprache und ihrer Literatur, von Di‐ daktik der romanischen Sprachen, von Teaching English as a Foreign Language, etc.

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je nach Autor und Zielsetzung auch als Éveil au langage oder Ouverture aux langues à l’école (EOLE) benannt, diverse Gemeinsamkeiten, er unterscheidet sich von ihnen jedoch in Bezug auf das Lebensalter der Lerner. Eveil aux langues ist in dieser Hinsicht eher Teil der verschiedenen Konzepte, die sich im Bereich des Frühen Fremdsprachenunterrichts herausgebildet haben. In einem Überblicksartikel zum Thema ‚Früher Fremdsprachenunterricht‘ weist Schmid-Schönbein (2010: 76) darauf hin, dass es „inhaltlich wie zeitlich Vorläufer“ beim frühbeginnenden Fremdsprachenlernen gegeben habe, weshalb die flächendeckende Einführung desselben seit Beginn der 2000er Jahre keine „radikale Neuerung“ sei.2 Es ist erstaunlich – vielleicht auch einer englischdi‐ daktischen Perspektive geschuldet – , dass die Autorin (2010, 76) darin, wesent‐ liche Bereiche sprach- und kulturbezogener Aktivitäten mit jüngeren Lernen, wie sie in mehreren Projekten erarbeitet worden sind, außen vor lässt. Zwar wird beiläufig die „Einbettung in die Grundschulpädagogik“ als sach‐ logische Weiterentwicklung des Frühen Fremdsprachenlernens erwähnt und auf die „Intensivierung und Diversifizierung des Fremdsprachenerwerbs als notwendige[r] Weg zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt in Europa“ mit „Er‐ ziehung zur Mehrsprachigkeit“ als Konsequenz verwiesen, doch gerade die, die die erwähnten Zielsetzungen mit besonderem Nachdruck verfolgen, blieben ungenannt.3 Es handelt sich dabei vorrangig um auf Begegnung und Sprach‐ sensibilisierung fokussierende Konzeptionen, wie Eveil aux langues und andere. Wie sich dieser vornehmlich in Frankreich (in Kooperation mit diversen eu‐ ropäischen Partnern) entwickelte Ansatz im Rahmen von Fremdsprachenfrüh‐ beginn verorten lässt, soll im Folgenden aufgezeigt werden. 2 Eveil aux langues gegen Tradition und für Fortschritt

Der Ansatz Eveil aux langues hat mit dem Frühbeginnenden Fremdsprachen‐ lernen diverse Überschneidungspunkte, grenzt sich aber von diesem in wesent‐ lichen Punkten ab. Als gemeinsame Punkte kann man das Lernalter der jungen Schüler sowie Sprache als Lerngegenstand nennen; die beiden Konzepte unter‐ scheiden sich in der Anzahl der zum Gegenstand gemachten Sprachen wie auch in der Art des Umgangs mit diesen, und letztlich der Zielsetzung, die mit dem jeweiligen Ansatz verbunden ist. Im deutschsprachigen Raum wurden in den 80 und 90er Jahren zwei Projekte umgesetzt, die sich in Teilen den Grundpositionen des Eveil aux langues-An‐ 2 3

Eine ausführliche ideengeschichtliche Darstellung liefert Kubanek-German 2001. Auch in der zweiten Auflage des Bandes bleiben die Begegnungssprachenkonzeptionen unerwähnt (Schmid-Schönbein/Martin 22017, 94-99).

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Begegnung mit Sprachen / Eveil aux langues

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satzes ähneln, ähnliche Ziele verfolgten und dadurch, dass sie Neuland betraten, in ähnlicher Weise der fremdsprachendidaktischen Tradition Anlass zum Wi‐ derspruch gaben. 2.1 Der Fremdsprachenunterricht bewegt sich – von unten

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2.1.1 Linguistik oder Pädagogik?

Die Beschäftigung der deutschen Fremdsprachendidaktik mit dem Themenbe‐ reich Fremdsprachenlernen in der Grundschule setzte in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein.4 Nach diversen Schulversuchen (v.a. in Hessen, NRW und Baden-Württemberg) die sich den Möglichkeiten und Vorteilen eines bereits in der Grundschule einsetzenden Fremdsprachenlernens widmeten, orientierten sich einige Forscher ab den 80er Jahren um. Im Rückblick lässt sich hier das Gegensatzpaar Sprachorientierung und Pädagogisierung des Fremdsprachenfrüh‐ beginns ausmachen (vgl. Kubanek-German 2000, 11), welches zentrale Grund‐ positionen in diesem Themenbereich absteckt. Das dominante Ziel der Versuche der 60er und 70er Jahre [Grundschulfremdsprachen zu implementieren; JM] galt der Prüfung der Möglichkeit, durch die Nutzung der Fä‐ higkeiten des Kindesalters die Endleistungen fremdsprachlichen Könnens zu verbes‐ sern und zu steigern. Fachübergreifende Ziele wie Erziehung zu Toleranz und Völ‐ kerverständigung, Relativierung und Erweiterung des muttersprachlichen begrenzten Weltbildes galten auch, waren aber sekundär (Sauer 1993, 85).

Der von Sauer skizzierten Auffassung von Fremdsprachenlernen in der Grund‐ schule, bei dem die Sprache als Lerngegenstand und die Ausbildung kommuni‐ kativer Fertigkeiten im Vordergrund standen, steht ab den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Neuorientierung gegenüber, die sich im Kontext des sich einigenden Europas, im Zeichen zunehmender Migration, Flucht- oder Ar‐ beitsbewegungen, angesichts zunehmender Multikulturalität der Gesellschaften verbunden mit der Forderung nach Mehrsprachigkeit – individuell und kollektiv – abzeichnet und in daraus resultierenden Forschungs- und Entwicklungspro‐ jekten bzw. schulpolitischen Maßnahmen sichtbar wurde. Es handelt sich dabei um die regionalen Projekte Begegnung mit Sprache/n (Nordrhein-Westfalen) und Lerne die Sprache des Nachbarn / Apprendre la langue du voisin (Baden-Würt‐ temberg). Beide sollen in den folgenden Teilabschnitten dargestellt werden, ehe daran anschließend auf Eveil aux langues, einen europaweit auch heute noch

4

Man könnte in diesen Satz auch ein ‚wieder‘ einsetzen. Vgl. daher für eine genaue Dar‐ stellung der Rolle des frühen Fremdsprachenlernens Maier 1991 und Garajová 2001.

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wirksamen Ansatz, eingegangen wird und Verbindungslinien zwischen den An‐ sätzen gezogen werden. 2.1.2 ‘Lerne die Sprache des Nachbarn’ / ‘Apprendre la langue du voisin’

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2.1.2.1 Die Charakterisierung des Programms Eng verbunden mit dem Begegnungssprachenprojekt Lerne die Sprache des Nachbarn / Apprendre la langue du voisin ist der Name des ehemaligen Freiburger Französischdidaktikers Manfred Pelz. In einer 1989 erschienenen Publikation beschreibt er die Rahmenbedingungen, Zielsetzungen und didaktischen Kom‐ ponenten der als „grenzüberschreitende Fremdsprachenarbeit“ (Pelz 1989a, 13) bezeichneten Unterrichtsmaßnahme in badischen Grundschulen. 2.1.2.1.1 Die Rahmenbedingungen Durch die Einbindung verschiedener Verwaltungsebenen und Lehrerausbil‐ dungsinstitutionen auf deutscher und französischer Seite fand das Projekt so‐ wohl auf politischer Ebene wie auch innerhalb der Lehrerschaft große Unter‐ stützung. Als freiwilliges unterrichtliches Zusatzangebot wurde es von nahezu allen Grundschulkindern in der Rheinschiene angenommen. Die beteiligten Lehrkräfte waren, da die Auflage für das Projekt bestand, „dass die Französisch‐ arbeit in den Grundschulen von kompetenten Lehrkräften“ (Pelz 1989a, 14; kur‐ sive Hervorhebung JM) durchgeführt werden müsse, in der Regel Lehrkräfte mit Lehrbefähigung für die Sekundarstufe I sowie motivierte, sprachkompetente Lehrkräfte, die im Rahmen einer Nachqualifizierung für die Zielsetzungen des Programms geschult wurden (vgl. hierzu Pelz 1989a, 20f sowie 23, Fußnote 12). 2.1.2.1.2 Die Zielsetzungen Auf einen Nenner gebracht, kann man sagen: das Programm Lerne die Sprache des Nachbarn setzt sich – aus streng unterrichtspraktischem Blickwinkel – zu‐ sammen aus den Komponenten: a) schulisch initiierte Beschäftigung mit der Fremdsprache, hier der Nach‐ barsprache Französisch, im Rahmen von wöchentlich drei (später auf zwei reduzierten) Schulstunden verbunden mit b) mindestens einer bis mehreren direkten gegenseitigen Sprachbegeg‐ nungen mit einer Partnerschule bzw. Partnerklasse im Elsass. Den qualitativen Mehrwert des badischen Begegnungsprogramms sah Pelz darin, dass es die Zielkultur als Größe miteinbeziehe und damit imstande sei, dem Sprachenlernen in der Grundschule mehr Eigenständigkeit zu verleihen als es die traditionellen Fremdsprachenfrühbeginnkonzeptionen der 60er und 70er Jahre intendiert hatten. Er wandte sich mit der von ihm als Spracharbeit sui

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generis bezeichneten Konzeption gegen die bloße Übertragung von in der Se‐ kundarstufe erprobten Prinzipien auf die Grundschule wie es in diversen Vor‐ läuferprogrammen der Fall gewesen war. Dieser Spracharbeit maß er eine eigene Qualität und Existenzberechtigung bei.

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Durch die Einbeziehung des Begegnungs- und Austauschaspekts erscheint der Fran‐ zösischunterricht in einem ganz anderen Licht: Er ist – in diesem Falle – nicht mehr Fremdsprachenunterricht mit festen Progressionskriterien und abtestbaren sprachli‐ chen Kenntnissen. Das ist in der muttersprachlich geprägten Grundschule auch nicht möglich (Pelz 1989a, 20).

Grundschulische Spracharbeit wie in diesem Begegnungssprachenprogramm konzipiert und erprobt überwinde, so Pelz, die auf den Klassenraum bezogene Begrenzung des Fremdsprachenlernens. Dadurch eröffne sich den Lernern ein Erfahrungs- und Erprobungsraum, der den, wie er meinte, von ihm in traditio‐ nellen Konzeptionen vermissten „Aspekt einer sprachlichen Operationalisie‐ rung in der Zielkultur“ (Pelz 1989a; 20) miteinbezöge. Durch den Begegnungs‐ anteil erhielte das Erlernen der Nachbarsprache Französisch eine nachhaltige Begründung und liefere, so die Annahme, die Motivation und Berechtigung für deren Erwerb. Der Pelz’schen Konzeption lag das Sich-Hineinbegeben in die Nachbar‐ sprache bzw. die Nachbarkultur als zentrales Moment zugrunde. Sie griff auf die regionalen Gegebenheiten – z.B. Grenznähe, grenzüberschreitende Mobilität, Sprachverwandtschaft der Dialekte der Grenzregion – für die Ausformung einer am Grundschulkind orientierten Anbahnung von sprachlicher Bildung zurück. Diese beinhaltete u.a. Toleranz und Neugier für Fremdes, Erleben und Erkennen der Wirkung und des Versagens von Sprache, Erproben und Erfahren von non-verbalen Kommunikationsformen sowie als Grundvoraussetzung die An‐ bahnung einer positiven Grundeinstellung zu Fremdem, zu Sprache und zu Sprachen Lernen. Möglich ist […] der spielerische Umgang mit Elementen der Zielsprache, soweit diese den spontanen Antrieben, der Handlungsfreude, der natürlichen Neugier und den Interessen der Kinder entgegenkommen. In diesem Falle sind Grundschulkinder dann auch bereit, sich für längere Zeit in der fremden Sprache (und Kultur) aufzuhalten, sich ihr emotional zu öffnen und für sie gewinnen zu lassen (Pelz 1989a, 20).

Die Zielsetzungen dieses Programms waren zum einen dezidiert auf die Per‐ sönlichkeits- und Sprachbildung der Lerner ausgerichtet, zum anderen jedoch gleichermaßen sprachlich-kommunikativer Natur (vgl. für genauere Ausfüh‐ rungen Pelz 1989a, 65-67). Sarter (1997, 11) meint gar „der kommunikative As‐

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pekt [habe] einen herausragenden Stellenwert.“ Sicherlich stellte das Programm die Kinder in Form der Begegnung in kommunikative Settings, z.B. in Begrü‐ ßungs- und Verabschiedungsszenarien, im Spiel, bei Mahlzeiten. Der Anwen‐ dungsaspekt von Sprache, der Kommunikation relevant werden ließ, stand im Vordergrund. Auf den Sprachvermittlungsprozess bezogen war dies hingegen nicht in dem Maße der Fall. Die Zielsetzungen orientierten sich nicht an einem an einer linguistischen Progression ausgerichteten Curriculum wie es in der Sekundarstufe der Fall ist, sondern wurden abgeleitet von den Aktionsradien, die die konkreten Begegnungssituationen einforderten, und den darin sich ma‐ nifestierenden Bedürfnissen der Grundschulkinder. Einem so verstandenen, aus dem Pädagogischen – dem Grundschulkind – und dem Erfahrungsraum – der Begegnungssituation – her gedachter Fremdsprachenfrühbeginn, entsprachen die nachfolgend beschriebenen didaktisch-methodischen Komponenten. 2.1.2.1.3 Die didaktischen Komponenten Die auf Spracharbeit ausgerichtete Französischdidaktik ist in didaktisch-me‐ thodischer Hinsicht nach Pelz (1989a, 21; 63-65): •



persönlichkeits- und handlungsbezogen: in didaktischer Hinsicht leitend ist die konsequente Bezugnahme auf den Lerner, sein Lernalter sowie seine kognitive und emotionale Ansprechbarkeit. Die auf dieser Grundlage aus‐ gewählten Lerngegenstände werden idealerweise im Kontext erworben, meist unterrichtlich für eine Kontextualisierung in der Begegnungssituation erlernt und zeitversetzt in dieser erprobt, oder deren Notwendigkeit wird in der Begegnungssituation erfahren. Pelz geht bei Kindern im Grundschulalter von 6 bis 10 Jahren von einem „vorkonzeptuelle[n] Sprachenlernen“ (Pelz 1989a, 63) aus. Was die Unterrichtsmethodik angeht, so spiegelt sich die Be‐ rücksichtigung der Persönlichkeit der Lerner darin, dass auf die Notwen‐ digkeit kurzphasiger Unterrichtssequenzen, häufigen Sozialformwechsels und den Wechsel von Spannung und Entspannung hingewiesen wird. kommunikativ: Ziel ist neben dem Erleben, wie Sprache in begrenzten, dem kindlichen Umfeld und Erfahrungsbereich angepassten Situationen wirkt, vor allem die körperlich-räumlich-zeitliche Begegnung mit dem sprachlich Anderen. Pelz (1989a, 63) sieht darin die Chance „die Kinder emotional bereit zu machen, sich einer anderen Kultur und Sprache […] zu öffnen […].“ Spracharbeit ist in diesem Projekt auch die Sensibilisierung für Sprache, für Sprachenlernen, für die Wirkung von Sprache und die Erfahrung des eigenen Sprachhandelns im Kontext.

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punktuell: Die Entfaltung eines Sprachhandlungscurriculums ist an den in‐ dividuellen Bedingungen der Lern- und Begegnungspartner ausgerichtet. Pelz optiert aus diesem Grunde für die punktuelle Auswahl von die Begeg‐ nung stimulierenden und strukturierenden Lerninhalten, Themen oder Sprachmitteln. Er wendet sich gegen eine vom Prinzip her lineare oder kon‐ zentrisch vermittelnde Vorgehensweise, räumt jedoch ein: „Die punktuelle Charakteristik schließt jedoch weder hier5 noch in der restlichen Sprachar‐ beit Ansätze einer gewissen Sprachsystematik aus, vor allem wenn sich dies als wünschenswert und motivierend erweist“ (Pelz 1989a, 64). spielorientiert: Zentrales Konzept in der begegnungsbezogenen Spracharbeit ist das Spiel. Damit ist „eine Kette von spielerischen Handlungsformen“ (Pelz 1989a, 64) gemeint, die vom eigentlichen Spiel, über Lieder, Reime, Dialog‐ szenen bis zu Geschichten reicht. Pelz verweist dabei auf die Mittlerrolle des Spiels als wesentlichen Faktor, der den Schülern die Übernahme einer Fremd‐ perspektive erleichtere. Am Beispiel des Puppenspiels führt er aus, welches Potential kindgemäßes, spielerisches Tun an Identifikationschancen und Demonstrationspotential berge. Das Spiel ist innerhalb dieser Form von Be‐ gegnung mit Sprache somit einerseits eine die Unterrichtsaktivität leitende Einheit, andererseits verleiht sie in der Begegnungssituation den Kindern Sicherheit, Stabilität und Stütze, und wird somit zu einer psychologisch re‐ levanten Größe innerhalb des Konzepts. kreativ: die Verbindung mit musischen Arbeitsformen und Inhalten stellt einen weiteren Grundpfeiler der Pelz’schen Didaktikkonzeption dar. Er sieht den Vorteil vor allem darin, die Lerner „motorisch-körperlich, geistig-af‐ fektiv, intellektuell-pragmatisch“ (Pelz 1989a, 63) am Lerngeschehen betei‐ ligen zu können. Darüber hinaus erhofft er sich, für die Kinder aus dem selbst initiierten und schöpferischen Handeln in und mit Sprache einen motivato‐ rischen Zugewinn, vorrangig durch musische Elemente, da „[sie], z.B. Lieder, [den Lernern] […] ja jeweils einen längeren, geführten Aufenthalt in der Fremdsprache [erlauben]“ (Pelz 1989a, 63).

Fassen wir die aufgelisteten Gesichtspunkte zusammen, so kristallisiert sich das Spiel als zentrale Einheit im didaktischen Konzept von Lerne die Sprache des Nachbarn heraus und steht im Einklang mit Positionen wie sie die Grundschul‐ pädagogik formuliert:

5

Gemeint ist: in auf musische Elemente (Tanz, Lied, Reime, …) bezogenen Unterrichts‐ aktivitäten.

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Das Spiel ist ein wesentlicher Teil der kindlichen Lebenswelt zur Einübung lebens‐ notwendiger Körperfunktionen, symbolischer Ausdrucksmöglichkeiten und sozialer Kompetenzen. Als selbsttätiges und zweckfreies Handeln ist das Spiel eng mit dem Lernen verbunden, sodass es nicht vom Arbeiten der Erwachsenen unterschieden werden kann. Zur Realisierung einer kindorientierten Grundschule sollte Lernen und Spielen begrifflich nicht getrennt werden (Drews/Schneider/Wallrabenstein 2000, 29).

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Im Geiste eines solch verstandenen ‚Arbeitens‘ des Grundschulkindes hatte Pelz also schon Jahre zuvor seine ‚Spracharbeit sui generis‘ ausgeformt. Für ihn war das Spiel „etwas ganz Grundlegendes am Menschen“, das den jungen Lernern den Raum für lebensbezogenes Arbeiten eröffnet. Mertens (2001a, 280) deutete diesen Aspekt aus, indem er formulierte: Das Spiel ist somit essentiell in der Welt des Kindes verankert. Es ermöglicht ihm, motorische Fertigkeiten zu entwickeln und einzuüben, soziale Interaktionsmuster zu trainieren und affektiv reale und imaginäre Welt/en zu erleben. Von Spieltheoretikern wie Huizinga wird spielerisches Handeln gar als kulturstiftendes Moment gesehen (Vgl. Huizinga, Johan: Homo ludens. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1962; im Original als Fußnote, JM). Spielen in der Grundschule ist somit nicht nutzloses Tun, nein: „Spielen in der Grundschule ist Kulturarbeit“ (Drews/Schneider/Wallrabenstein 2000, 29).

Wenn das Programm Lerne die Sprache des Nachbarn sich auch streng genommen der Einzelsprache widmete, im Sinne des o.g. approche singulière, da die deut‐ schen Kinder sich dem Französischen zuwandten, die französischen dem Deut‐ schen, kann doch von Lernaktivitäten im Sinne der Mehrsprachigkeit gespro‐ chen werden. Im Gegensatz zu Immersionsprogrammen (vgl. z.B. Wode 1995 oder den Cursus bilingue paritaire in der Académie de Strasbourg) sind die Lerner mit mindestens zwei Sprachen, und wenn der jeweilige Regionaldialekt – das Badische bzw. das Elsässische – miteinbezogen wird, mit insgesamt 4 Sprachen/ Sprachvarianten konfrontiert worden. Begegnung ist in diesem grenzüberschreitenden Projekt daher a) zum einen zu verstehen als das konkrete Erfahren der Zielkultur, der Kontakt und das Handeln mit dieser Kultur angehörigen Menschen, b) zum anderen als das kontextualisierte Erfahren von Sprache/n, ihrer Wirkung oder ihres Scheiterns und das Erproben alternativer Kommu‐ nikationsformen, sei es non-verbal (z.B. Malen, Gesten) oder als Spra‐ chenmix.

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Manfred Pelz schreibt hierzu:

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Der neue Lernbereich Fremdsprache macht dem Grundschulkind die multikulturelle Realität transparent, bereitet auf sie vor und übt spielerisch rudimentäre Formen des diesbezüglichen sprachlichen und sozialen Handelns ein (Pelz 1992, 168).

2.1.2.2 Bilanz und Bezug zu Eveil aux langues Es sollte deutlich geworden sein, dass die Konzeption der personalen Begegnung – richtig verstanden – eine weitaus umfassendere Vorstellung von Fremdspra‐ chenfrühbeginn entwickelt hatte als sie in anderen Konzeptionen angedacht und intendiert war. Das übergeordnete Leitziel des Nachbarsprachenprogramms war „transnationale Kommunikationsfähigkeit“ (Pelz 1989a), die in personalen Be‐ gegnungen erprobt, grundgelegt und erworben werden sollte. Dieses Konzept blieb nicht unkritisiert.6 In einer teilweise sehr kontrovers geführten Diskussion um die Zielsetzungen des Fremdsprachenfrühbeginns lie‐ ferten sich Doyé und Sauer auf der einen Seite und Pelz auf der anderen in den Jahren 1991/1992 einen mittlerweile als Konzeptionenstreit bezeichneten Schlagabtausch, der sich schlagwortartig mit dem Gegensatzpaar Ergebnisori‐ entierung versus Erlebnisorientierung umreißen lässt. Während die sprachbe‐ zogene Seite sich auf die „Primärintentionen des Erlernens einer Fremdsprache“ (Sauer 1993, 92; vgl. auch Mindt/Schlüter 2007) konzentrieren wollte, favori‐ sierte die andere die Berücksichtigung der gesellschaftlichen multikulturellen Realität und verteidigte vehement einen eigenständigen Lernbereich Fremd‐ sprache mit kindgemäßer Methodik als Lernraum für die oben skizzierte Sprach‐ arbeit sui generis (vgl. Pelz 1991a, 88; 1992): Meiner Einschätzung nach ist die Einbindung der sprachlichen Lernziele in ein über‐ geordnetes Lernziel transnationale Kommunikationsfähigkeit [innerhalb des Pro‐ gramms Lerne die Sprache des Nachbarn; JM] zu wenig zur Kenntnis genommen worden und hat letztendlich zur Zuspitzung der Kontroverse beigetragen.

Vermittelnd in diesen Streit griff Konrad Schröder ein, indem er mahnte, dass der Streit ein von der Nichtfachwelt nicht nachvollziehbares Ausmaß ange‐ nommen habe. Sein Vorschlag zum Kompromiss war formelhaft: „Nicht A oder

6

Auf Auswüchse wie im nachfolgenden Zitat, die eine schädliche Wirkung auf das wei‐ tere Lernen von Kindern durch Spielen im Grundschulfremdsprachenunterricht be‐ fürchteten, sei nicht weiter eingegangen. „Spielerisch ist ein Fetisch gestriger Ideologie, der oft genug zur Bemäntelung von planlosem Vorgehen dient“ (Sambanis, Michaela/ Blank, Hugo. 2000. „Fremdsprachenfrühbeginn in der Grundschule“, in: http: www.lbb .bw.schule.de/~schumach/franzweb/franzgs/blank1.htm, S.4 (20. März 2000)); vgl. Mer‐ tens 2001a.

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B, sondern A plus B“ (Schröder 1993). Mertens (2000a, 73) nahm diese Diskussion später auf und stellte fest: In Abwandlung von Schröder plädierte Mertens für „A mit B“ (vgl. Mertens 2000a, 72-81). Anstelle eines additiven Nebeneinanders von Fremdspracherwerb auf der einen Seite und paralleler Sensibilisierung für die ‚weichen Faktoren‘ des Sprachenlernens, Haltung zu Sprache/n oder Motivation für Sprachenlernen zum Beispiel, implizierte seine Position folgendes: •

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die Integration der Konzeptionen, wie sie auch von Pelz als Erweiterung des „progressionsgebundene[n] frühen Fremdsprachenlernen[s]“ (Pelz 1989b, 75) angeregt worden war; die Verknüpfung von Kultur- und Sprachenlernen: aufbauend auf dem Richt‐ ziel der Primarstufe ‚der Orientierung in der Welt‘, so plädierte Mertens, könne die Fremdsprachendidaktik sich nicht allein der kommunikativen Kompetenz widmen, um – um mit Zydatiß zu sprechen – „interkulturelle Sensibilität und eine differenzierte Sprachkompetenz als Grundlage gegen‐ seitigen Verstehens“ (Zydatiß 1998, 171) anbahnen zu können; die personale Begegnung als Beitrag zu sozialer Bildung: anknüpfend an die Erziehungswissenschaftlerin Edeltraud Röbe plädierte er für die Konfronta‐ tion der eigenen durch die jeweilige Ausgangskultur geprägte Lebenswelt mit der Zielkultur, um ein von ihm als ‚Interkultur‘ bezeichnetes, dynamisch sich änderndes Stadium kulturellen Seins ausformen zu können. Röbe pos‐ tulierte: „Wenn Bildung stets auch Momente des mitmenschlichen Umgangs in kultivierten Formen des Geselligen, Musischen, Festlichen und Diskur‐ siven einschließt, dann sollten die Grundschulkinder das Fremde auch in seiner lebensweltgestaltenden Funktion erfahren“ (Röbe 1999, 4). Der direkte Kontakt mit gleichaltrigen Kindern der Zielkultur und -sprache und die Ge‐ legenheit zu konkreten Erfahrungen erlaube, so Mertens damals weiter, „das Wiedererkennen von Bekanntem und Vertrautem [und] die Auseinander‐ setzung mit Unbekanntem und Unvertrautem“ und führe letztlich zu einer Relativierung seiner eigenen Kultur.

Mit Beginn der flächendeckenden Einführung von Fremdsprachenlernen in der Grundschule (FliG) ab dem Jahr 2001 in Baden-Württemberg, kam das oben nachgezeichnete Nachbarsprachenprojekt zum Erliegen. Dem Projekt wurde vorgeworfen, dass es den Schülern und Schülerinnen in zu geringem Maße sprachliche Kompetenzen vermittle.7 Der Fokus lag in der Folge (ab 2001) auf Spracherwerb, vornehmlich auf dem Hör-/Seh-Verstehen. Ein solch verstan‐

7

Vgl. die Bilanz des Programms in Pelz 2000a, 2000b.

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dener Frühbeginn beruhte, den Arbeiten von Bleyhl (2000) folgend, auf einem teil-immersiven Ansatz, der die Verwendung der Muttersprache seitens der Lehrkräfte weitgehend ausschloss, den Begegnungsaspekt nicht weiter konse‐ quent verfolgte und, in den Anfangsjahren zumindest, auf Total Physical Res‐ ponse (siehe Asher 1969) als methodischem Basisrepertoire basierte (vgl. im De‐ tail Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2001). Ein auf anderen Grundsätzen beruhender Ansatz war ‚Begegnung mit Spra‐ chen‘, der in Nordrhein-Westfalen erprobt und umgesetzt wurde. Dieser Ansatz ist verbunden mit den Namen Hans Bebermeier und Eike Thürmann.

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2.1.3 Begegnung mit Sprachen

2.1.3.1 Die Charakterisierung des Programms Der Ansatz ‚Begegnung mit Sprachen‘ wurde in den späten 80er Jahren und den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Hans Bebermeier, ein leitender Schulverwaltungsfachmann, ehemaliger Schul‐ leiter und Englischlehrer, war einer der treibenden Kräfte dieses spezifisch für Grundschulen entwickelten Ansatzes. Die ihn kennzeichnenden Rahmenbedin‐ gungen, Zielsetzungen und didaktischen Grundpositionen seien nachfolgend resümiert und kommentiert. 2.1.3.1.1 Rahmenbedingungen für die ‚Begegnung mit Sprachen‘ Ausgangspunkt für diesen Ansatz ist die Grundschule als „Schulform mit ei‐ genem Auftrag und Ziel“ (Bebermeier 21992a, 35; vgl. auch Thürmann/Otten 1992) und eine gesellschaftliche Realität, die von einer durch eine multinationale Schülerschaft bedingten „Heterogenität hinsichtlich soziokultureller und sprachlicher Voraussetzungen“ (Bebermeier 21992a, 29) gekennzeichnet ist. Zentraler Begriff dieses Konzepts ist der der Begegnung, der einen Rahmen für die Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Lerngelegenheiten abgibt und das „Gegenübertreten des anderen (als Person oder Sache)“ (Bebermeier 1992c, 10) beinhaltet. Die multikulturelle Gesellschaft, der sich die nordrheinwestfäli‐ sche Schulrealität bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stellen wollte, war eines der Motive für diesen Ansatz, der mehr sein wollte, als in die Grundschule vorverlegter Fremdsprachenunterricht. Bebermeiers (21992a, 29) dezidiertes Bekenntnis zu einem „pädagogische[n] – eben gs-spezifische[n] Ansatz“ implizierte gleichermaßen einen Bruch mit Vorstellungen einer weitgehend von der Sekundarstufe geprägten Fremdspra‐ chendidaktik. Allein die Wortwahl – „erweiterte Spracharbeit in den GS“ (Be‐ bermeier 21992a, 30) – zeigt auf, dass Begegnung mit Sprachen kaum mehr einen Fremdsprachenunterricht in einer Einzelsprache bedeuten sollte. Es ging bei

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Begegnung mit Sprachen um das Aufgreifen allen Sprachlichen, mit dem die Kinder in ihrem Umfeld, schulisch oder außerschulisch, konfrontiert waren. „Immer dann, wenn die Kinder Kontakt mit der fremden Sprache haben oder dieser sich aus/in dem deutschsprachigen Unterricht ergibt, wird die Begegnung didaktisch genutzt“ (Bebermeier 1992c, 10). Diese Abkehr betraf die Organisa‐ tionsstruktur (z.B. Leitsprache; Lehrplan, Lehrgangsstruktur, Stundentafel; Fachlehrerprinzip; Weiterführung in Sek. I, etc.) sowie die in der Fremdspra‐ chendidaktik vorherrschenden didaktisch-methodischen Prinzipien und Leit‐ vorstellungen (z.B. Progression, Abschlussprofil, etc.). Der nordrhein-westfälische Begegnungssprachenansatz war schlagwortartig verkürzt a) grundschulspezifisch, b) erzieherischer Natur c) integrativ sowie d) offen. Grundschulspezifisch: Ausgehend von der Tatsache, dass die Lebenswirklich‐ keit der Grundschüler nicht mehr monolingual sondern mehrsprachig sei, da „mehrere Sprachen [ihnen] im außer- und innerschulischen Bereich be‐ gegne[te]n“, forderte Bebermeier (1992b, 122) die Erziehungs- und Bildungsar‐ beit der Grundschule auszuweiten und „die Begegnung mit anderen Sprachen zum Bestandteil der grundlegengen Bildung zu machen“ (Bebermeier 1992b, 122). Dreh- und Angelpunkt des Ansatzes war das Grundschulkind mit seinen Möglichkeiten, seinen Interessen und seinen diversen Bezügen zu dem Sprach‐ lichen, das ihn oder sie umgab. Nicht das vornehmlich durch Imitation oder Reproduktion getragene Lernen […] steht im Mittelpunkt, sondern Kommunikation wird als etwas Offenes erfahren. […] Es geht um die An-/Aufnahme der gesamten schulischen Wirklichkeit (innerhalb und außer‐ halb der Klassen, des Schulgebäudes), um ein Gestalten in der (neuen) Sprache, um neue Formen des Wahrnehmens, der Bedeutungsentwicklung (als Prozess der Be‐ griffsbildung durch Vergleich von Fremdem und Eigenem) (Bebermeier 1992c, 12).

Erzieherischer Natur: Ausgehend vom Bildungsauftrag der Grundschule, beein‐ flusst von Herbarts ‚Erziehendem Unterricht‘ und geleitet von einem Gespür für gesellschaftliche Tendenzen und Realitäten sieht Bebermeier den Nutzen, sich mit Sprache, Sprachen, Sprachverhalten in der Grundschule zu beschäf‐ tigen, darin, Schüler zur „Selbstgesetzgebung“ (Bebermeier 1992c, 123) anzu‐ leiten. Gemeint ist damit der Versuch über schulisch aufgegriffene Spracher‐ fahrung und Sprachbetrachtung Grundschulkinder für Gemeinsames und Verschiedenes zu sensibilisieren und sie für gesellschaftliches Miteinander – auch im System ‚Schule‘ – durch den Erwerb von Wissen umeinander zu befä‐ higen (vgl. Bebermeier 1992c, 123). Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass die Fokussierung auf eine einzige Grundschulfremdsprache aufgeben wurde. Dies

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bedeutete auch die Aufgabe einer impliziten Wertung der Sprachen, derer, die es Wert waren, gelehrt und gekonnt zu werden (die ‚Schulfremdsprachen‘), und derer, die in Randbereichen, zu Hause, in der ethnischen Enklave, Anwendung, aber keine Wertschätzung finden konnten. Integrativ: Begegnung mit Sprachen überwindet die Grenzen des einzelnen Faches und integriert Lernen an und mit Sprache – sei es eine einzelne oder mehrere – in die in der Grundschule vorhandenen Lernbereiche. Mit anderen Worten bedeutet integrativ die „Einbeziehung fremdsprachlicher Unterrichts‐ phasen in die vorgegebenen Lernbereiche/Fächer (Sachunterricht, Sprache, Musik, Sport)“ (Bebermeier 21992a, 34). Zur Veranschaulichung seien ein paar Beispiele angeführt: So kann im Sportunterricht bei Startübungen das Signal in verschiedenen Sprachen gegeben werden (z.B. ‚Ready – steady – go‘; ‚A vos marques – prêts – partez‘; ‚Pronti – attenti – e via‘), im Deutschunterricht können die Kinder für den deutschen Eulenspiegel eine vergleichbare Person aus dem türkischen Sprachraum kennenlernen oder Grußformeln aus verschie‐ denen Sprachen miteinander vergleichen (z.B. nl. ‚Goedendag‘, frz. ‚Bonjour‘, ital. ‚Buongiorno‘, sp. ‚Buenos días‘, etc.) und identische (oder auch divergie‐ rende) Grundstrukturen / Funktionen erkennen. Offen: Einer der Schlüsselbegriffe des Begegnungssprachenkonzepts von Nordrhein-Westfalen ist seine Offenheit. Offen wurde verstanden in Bezug auf a)

b)

c)

die Konzeption: so konnten Inhalte Teil des Unterrichts (z.B. ‚Wir spre‐ chen über Frühstück in verschiedenen Kulturen‘), des Schullebens (z.B. Gemeinsames Schulfrühstück am Montag: Frühstück wie bei Murat / am Dienstag: Frühstück wie bei José / am Mittwoch: Frühstück wie bei Anna / etc..) werden oder in den Lebensalltag integriert werden (z.B. ‚Die Zutaten seines häuslichen Frühstücks nach der Herkunft einordnen‘); die Themen und Inhalte: diese waren sozusagen lokal, orientiert an den örtlichen und personalen Gegebenheiten, ausgerichtet. Dieses Merkmal „läßt einen (fremd-)sprachlichen Lehrgang mit genau bestimmten In‐ halten, mit linguistischen Progressionsmerkmalen und linearen Ab‐ läufen nicht zu,“ so die Setzung von Bebermeier (1992c, 11); den Lernort: Die „Entwicklung eines schuleigenen Schulprogramms zu dem die ‚Begegnung mit Sprache(n)‘ gehört“, wie sie Bebermeier (21992a, 34) fordert, bedingt auch einen erweiterten Begriff von Lernort. Neben dem Klassenraum, dem Schulhof wird auch die außerschulische Umge‐ bung – das häusliche Umfeld, der Schulweg, der türkische Supermarkt, das Tanken im Nachbarland, etc. – als Lernort mit einbezogen. Der (vor allem außerschulische) Lernort ist Ausgangspunkt, d.h. didaktischer Im‐ pulsgeber, wie auch Ziel, d.h. Nutznießer der Begegnung mit Sprachen.

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2.1.3.1.2 Die Zielsetzungen des Ansatzes Der Begegnungssprachenansatz war eine radikale Abkehr von einem fachbe‐ zogenen Fremdsprachenunterricht, sei er auch in einer grundschulgemäßen Form didaktisch gedacht und methodisch entsprechend realisiert. Bebermeier (1992b, 123) verstand darunter „ein neues Sprach(en)lernen […], das mehr und anderes umfaßt als die Vermittlung fremdsprachlicher Redemittel in Verbindung mit landeskundlich dem GS-Alter angeglichenen Inhalten.“ Begegnung mit Sprachen war gesellschaftspolitisch motiviert und hatte als Richtziel das – auch heute noch gültige – friedliche und respektvolle Mitei‐ nander der Menschen in einer zunehmend multiethnischen und multikultu‐ rellen Gesellschaft. In der Begegnung mit Sprachen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sollten die Schüler „sprachgebundene kulturkundliche Wissens‐ elemente“ erwerben und durch die Beschäftigung mit ihnen „Lerneinstellungen und Haltungen“ entwickeln (Bebermeier 21992a, 35). Darunter waren im Einzelnen die folgenden Ziele gemeint:8 • • • • •

Wecken von Interesse an Sprache und Freude am Umgang mit ihnen; Bewusstmachung der Gleichwertigkeit der Sprachen und Kulturen, Erweiterung und Erprobung kommunikativer Handlungsmöglichkeiten in interkulturellen Zusammenhängen; Bewusstmachung von muttersprachlichen Erscheinungsformen und Er‐ lernen eines differenzierten Umgangs mit denselben; Ausbildung von gegenseitigem Verständnis und Überwindung ethnozentri‐ schen Denkens (vgl. auch Bebermeier 21992a, 31-34).

Wie innovativ und zugleich radikal der Ansatz war, lässt sich an folgendem Zitat ablesen: Es gibt keine enge Lernzielsteuerung, keine schulpädagogischen Zwänge (Veranke‐ rung in der Stundentafel, Lernkontrolleneinsatz), sondern es werden inner- und au‐ ßerschulische Lerngelegenheiten für eine fremdsprachliche Bereicherung auch und gerade durch die Pflege musisch-kreativer Umgangsweisen wahrgenommen (Beber‐ meier 1992b, 126).

Die Initiative für die Beschäftigung mit Sprachen war inhaltlich weitgehend initiiert von und motiviert durch die Lerner selbst; sie wurde schulisch aufge‐ nommen und die diesen Impulsen inhärenten Intentionen auf vielfache Weise unterrichtlich umgesetzt. In Abgrenzung von einem traditionellem (Sprach‑)Un‐

8

Die Zielsetzungen sind dem Erlass: Begegnung mit Sprachen in der Grundschule in NRW, KM Düsseldorf, 13. Februar ‚92 entnommen; vgl. Bebermeier 1992b, 123.

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terricht wurde festgelegt: „[Es werden] Intentionen/Ziele angestrebt, deren Re‐ alisierungsgrad sich weitgehend einer (empirisch erwünschten?) Meßbarkeit entzieht“ (Bebermeier 1992b, 126), eine Position, die zu vielfacher Kritik – siehe 2.1.3.2 – Anlass gab. 2.1.3.1.3 Die didaktischen Komponenten des Ansatzes Als ‚sprachpädagogischer Ansatz‘ (vgl. Bebermeier 1992b, 125) war Begegnung mit Sprachen dem durch das Lernalter bzw. durch die Schulstufe vorgegebenen Rahmen verpflichtet. Es fanden die gängigen grundschulspezifischen Prinzipien wie Erfahrungsorientierung und Situationsgebundenheit des Lernens (vgl. Be‐ bermeier 21992a, 33) Anwendung. Methodisch orientierte sich der Ansatz eben‐ falls an Primarstufen typischen Unterrichtsformen, die dem aktiven Handeln Raum schaffen: „Diese […] Offenheit beinhaltet ein Lernen, das mit Begriffen wie Handlungsorientierung, praktisches Lernen, erlebnisreiches, entdeckendes Lernen etc. relativ abstrakt beschrieben ist“ (Bebermeier 1992c, 12). Während das badische Projekt, wie wir zeigen konnten, die Grenzlage als Standortfaktor in seiner Konzeption berücksichtigte, war in Nordrhein-West‐ falen die durch Migration bedingte Sprachen- und Kulturvielfalt Ideengeber für die konzeptuelle Sonderstellung. Beiden Ansätzen gemein war hingegen der Akzent auf grundschulischem Lernen und der Vorrang des erzieherischen und damit gesellschaftsbildenden Elements vor dem quantifizierbaren und pragma‐ tisch verwertbaren Wissen. Es ging darum, durch die „personale[n] und me‐ diale[n] Begegnung mit der (den) anderen Sprache(n) Formen der unterrichtli‐ chen Pflege und Vertiefung (mit Reimen, Liedern, Zungenbrechern, Kurzdialogen) [zu] entwickeln und erproben – mit entsprechenden ‚Rück‐ blenden‘, ‚Rückwendungen‘ auf die Erst-/Muttersprache“ (Bebermeier 21992a, 34). Die im Zitat angesprochenen ‚Rückblenden‘ bzw. ‚Rückwendungen‘ auf das Deutsche sind ein entscheidender Hinweis darauf, dass es letztlich bei Begeg‐ nung mit Sprachen weniger um fremdsprachliche Kompetenz ging, sondern um eine differenzierte Kompetenz in der Umgebungssprache Deutsch als das ge‐ sellschaftsstabilisierende Instrumentarium. Die Konzeption räumte es den be‐ teiligten Experten vor Ort ein, welcher Art die Sprachbegegnung sein sollte: ob über eine Herkunftssprache (für die aus Migrantenfamilien stammenden Kinder) oder eine Begegnungssprache (für die Kinder deutscher Muttersprache), ob über die Nachbarsprache (Niederländisch oder Französisch) oder über die Verkehrssprache Englisch und vor allem ob anhand einer oder gar mehrerer Sprachen. Zusammenfassend bedeutet Begegnung mit Sprachen letztlich: „[die] Wei‐ terentwicklung des deutschsprachigen Unterrichts (als Mutter-, Erst-, Zweit‐

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sprache) durch Einbeziehung fremdsprachlicher Lerngelegenheiten zum Aufbau einer language awareness“ (Bebermeier 21992a, 36). 2.1.3.2 Bilanz und Bezug zu Eveil aux langues Kritische Einwände gegen das referierte Begegnungssprachenkonzept sollen nachfolgend resümiert werden:9 Ein entscheidender Umstand, der den nordrhein-westfälischen Schulversuch schnell mit diverser Kritik konfrontierte, war der, dass die Konzeption von großer Offenheit geprägt war, die Zielsetzungen komplex, fach- und diszipli‐ nenübergreifend angelegt und pädagogisch motiviert waren. Sauer gestand zwar einerseits zu: „Der Ansatz ist innovativ und ohne Vorbild“ (Sauer 1992, 130), mahnte aber zugleich an: „Im nordrhein-westfälischen Begegnungsspra‐ chen-Konzept wird versucht, sehr verschiedene Intentionen und Probleme zu‐ sammenzufassen, und in einem landesweiten Schulversuch, der die Grund‐ schulen verändern soll, zu erproben.“ (Sauer, 1992, 130). Sauer sah seine Kritik im Zusammenhang mit folgenden Punkten: • • •

Aufgaben und Ziele des Lernbereichs Umsetzung des Lernbereichs Begegnung mit Sprachen Rahmenbedingungen für das Projekt

Im Hinblick auf den Aspekt Aufgaben und Ziele wandte sich die Kritik gegen den Anspruch, über das Begegnungssprachen-Projekt die a) Gleichwertigkeit von Sprachen und Kulturen bewusstmachen zu können. Der ideologisch-ethisch motivierten Intention der Projektbetreiber, die vom Grundsatz her keine Hie‐ rarchie unter Sprachen annehmen wollten und über Sprachbildung auf identi‐ tätsbildende und -stärkende Wirkungen hoffen, setzte Sauer mit Blick auf die sprachliche Realität, die Stellung des Englischen als Verkehrssprache und Um‐ gebungssprache der Kinder sowie die Bedeutung des Englischen als Quell‐ sprache für das Deutsche und als Hauptmedium in bestimmten Fachsprachen oder sprachlichen Kontexten entgegen. Auch das Ziel, dass Schüler b) durch Sprachbegegnung, den Radius ihrer kommunikativen Möglichkeiten erweitern und erproben könnten, schätzte Sauer kritisch ein. „Die Grundschulen müssten […] vor allem die Herkunfts‐ sprachen der ausländischen Kinder als Begegnungssprachen anbieten“, hieß es und dann: „Die Chancen dieser Sprachen, für die interkulturelle Kommunika‐ tion genutzt zu werden, muß man aber sicher gering einschätzen“ (Sauer 1992, 9

Es wird hier aus Platzgründen nur die aus fremdsprachendidaktischer Richtung kom‐ mende Kritik resümiert. Für eine kritische Einschätzung des Konzepts aus der Perspek‐ tive von Deutsch als Zweitsprache sei auf Belke 1993 verwiesen.

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128-129). Die Kritik kam aus dem Blickwinkel der Fachdisziplin sowie von Seiten des Fachdidaktikers, bei dem die erzieherischen Ziele gegenüber dem pragma‐ tischen Nutzen des Sprachenlernens hintenanstanden. Seine Skepsis gegenüber dem Ziel, c) eine bewusstere Haltung und Verwendung der Muttersprache durch das Programm herauszubilden, wurde zum einen mit unterstellten geringeren „kognitiven Möglichkeiten der Bewußtmachung“ (Sauer 1992, 129) bei jüngeren Lernern begründet, zum anderen mit dem Hinweis auf die hohen Ansprüche an die Lehrkräfte, was mehrsprachiges Sprachwissen angehe. In Zweifel gezogen wurde auch d) das Ziel der interkulturellen Erziehung. Sauer stellte die Opera‐ tionalisierbarkeit derselben infrage und stand der Zielsetzung, dass „Sprachen‐ lernen […] eher als ein Mittel zur Erreichung allgemeiner Erziehungs- und Bil‐ dungsziele verstanden“ (Sauer 1992, 129) werde, sehr reserviert gegenüber. Die Umsetzung des Projekts wurde bezogen auf den a) Lehrgang ebenfalls kri‐ tisch gesehen. Sauer befürchtete, dass der „Gelegenheitsunterricht“ (Sauer 1992, 129) und die Berücksichtigung des Individualisierungs-Prinzips heterogene Leistungsstände provoziere. Er verwies auf „statistisch signifikante Ergebnisse“ (Sauer 1992, 129) früherer Studien, die auf progressionsorientiertem Unterricht beruhten. Was b) die Sprachenwahl angeht, so sah Sauer einen konzeptionellen Widerspruch: zum einen wäre es sinnvoll, die Herkunftssprache/n bzw. die im Klassenraum vorhandene/n Sprache/n vor dem Hintergrund der formulierten „idealistisch-pädagogische[n] Zielvorstellungen“ (Sauer 1992, 130) zum Begeg‐ nungsgegenstand zu machen, zum anderen stünde einer solchen Sprachenwahl bzw. einem solchen Sprachenangebot der Elternwille entgegen, die aus prag‐ matischen Gründen das Englische wählen würden. Sein letzter Einwand in Bezug auf die Umsetzung des Projekts betraf die – für Sauer – d) unklare For‐ mulierung der zu erreichenden Lernziele und die damit ungeklärte Weiterfüh‐ rung in der Sekundarstufe. Als integrativer Unterricht war Begegnung mit Sprachen kein eigenes Fach und es stand kein zusätzliches Zeitbudget zur Verfügung. Diese Rahmenbedin‐ gungen machten es notwendig, dass im Grunde jede Lehrkraft diesen Lernbe‐ reich abdecken könne, was – so Sauer (vgl. 1992, 130) – nicht überzeugend und in allen Ausbildungsbereichen durch Maßnahmen geklärt sei. Was die Verbindung zu den Pluralen Ansätzen, insbesondere zu Eveil aux langues betrifft, so können wir Parallelen ausmachen. Dem Begegnungsspra‐ chenansatz liegt ein sprachlernpropädeutisches Anliegen zugrunde. Diese Vor‐ bereitung auf das ‚echte‘ Sprachenlernen ist jedoch weitgehend fokussiert, man konnte auch kritisch sagen ‚beschränkt‘ auf die Schaffung einer positiven Hal‐ tung gegenüber Fremdsprachen. Aufgrund der sehr offenen, im Grunde unver‐ bindlichen Zielperspektiven was die Anzahl, Art und Auswahl der Sprachen

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sowie die an ihnen zu behandelnden Aspekte angeht, sind die Effekte des Be‐ gegnungssprachenprogramms in Nordrhein-Westfalen allerdings kaum greifbar und vor allem interpersonal vergleichbar gewesen. Das sprachliche Material, die Sprachanwendungskontexte, die Sprecher, die Sprachprodukte etc., denen die Konzeption Raum schafft und die vordergründig Lerngegen‐ stände des Unterrichts darstellen, sind letztlich nicht das eigentliche Ziel des Unterrichts sondern fungieren als Medium für pädagogische Ziele, sie sind „nicht Lernziel sondern Erziehungsziel“ (Felberbauer 1994, 120). 2.2 Eveil aux langues – Teil der europäischen Sprachenpolitik

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2.2.1 Ein kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte des Ansatzes

Ab den 90er Jahren sind vor allem in Frankreich und der Schweiz Forschungsund Entwicklungsaktivitäten in Gang gekommen, die den Lerngegenstand Sprache in der Primarstufe weiter fassen wollten als es traditionellerweise der Fall war. In der Regel verstand man unter Sprachenlernen den Ausbau der (vor allem schriftsprachlichen) Kompetenz im sogenannten ‚muttersprachlichen‘ Unterricht und den Erwerb einer frühbeginnenden Fremdsprache (oder – sel‐ tener – mehrerer). Zentrales Anliegen der neueren Ansätze und Forschungsak‐ tivitäten, die neben dem Namen Michel Candelier (Paris) auch mit solchen wie Louise Dabène (Grenoble), Ghislaine Haas (Dijon) oder Ingelore Oomen-Welke (Freiburg) oder auch mit der in 2.1.3 beschriebenen Begegnung mit Sprachen verbunden sind, war die Überwindung einer Fixierung auf die einzelne/n Sprache/n, die Abkehr von einem additiven Nebeneinander der Sprachen im schulischen Curriculum und die Zuwendung zu einem vergleichenden Blick auf sprachliche Phänomene und Verhaltensweisen. Anregung fanden diese Projekte im Language Awareness-Ansatz, der bereits in den 70er Jahren von Eric Hawkins in Großbritannien entwickelt wurde. Hawkins‘ Anliegen war es gewesen, auf drei Herausforderungen in Großbri‐ tannien zu reagieren, denen die Schule nicht gerecht wurde: • • •

Integration und Schulerfolg von Migrantenkindern, Erlernen einer Fremdsprache der britischen Schüler, Unterricht im Englischen (v.a. Schriftspracherwerb) bei allen Schülern.

Den Schlüssel zur Lösung des Problems sah Hawkins in der Einführung eines eigenständigen Faches Language Awareness, in dem das Einzelsprachenprinzip überwunden, Erst-, Zweit- und Fremdsprache didaktisch verbunden und über die Beschäftigung mit Sprachphänomenen im Sinne einer Sprachbetrachtung und Bewusstwerdung die jeweils einzelne Sprache gestützt werden sollte (vgl.

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Hawkins 1984). Language Awareness sollte die Brücke von der vorschulischen Mündlichkeit zur Schriftsprache und von der Erstsprache zur Fremdsprache sein sowie zur Anerkennung der Herkunftssprachen beitragen.10 Diese Grundge‐ danken und Vorarbeiten wurden in Europa und Kanada in Projekten wie Ev‐ lang, Janua Linguarum, EOLE, ELC oder ELODIL (siehe weiter unten) aufge‐ nommen und weitergeführt. Das Kürzel Evlang steht für Eveil aux langues à l‘école primaire. Dieses Projekt unter der Leitung von Michel Candelier wurde im Rahmen der europäischen Sprachförderlinie Sokrates Lingua in den Jahren 1997-2001 finanziert und wid‐ mete sich der Frage, wie Grundschulkinder durch geeignete Aktivitäten für Sprachen sensibilisiert werden könnten. Beteiligt waren an der Entwicklung dieser Fragestellung Partner aus insgesamt fünf europäischen Ländern. Diesem Projekt, Namensgeber für den hier beschriebenen Sprachbegeg‐ nungsansatz Eveil aux langues, folgte ein weiteres mit der Bezeichnung Janua Linguarum. Der Titel mit intendiertem Bezug zu Comenius‘ Janua linguarum reserata spielte damit, sowohl Tor zur Welt der Sprachen, aber auch das Tor, durch das man mit Sprachen zu anderen Horizonten und Einsichten gelangen könne (vgl. Candelier 2003b, 13), zu sein. Im ersten Projekt ging es darum nach‐ zuweisen, dass ein solcher Ansatz in den europäischen Schulsystemen um‐ setzbar ist. Durchgeführt wurde das Projekt als Handlungsforschung ge‐ meinsam mit mehr als 160 Klassen der beiden letzten Grundschuljahre aus 5 beteiligten Partnerländern (Frankreich, Italien, Österreich, frz. Schweiz, Spa‐ nien). Das Anschlussprojekt Janua Linguarum bedeutete eine Ausweitung in geographischer Hinsicht auf 16 Teilnehmerländer, darunter auch Deutschland, und die Ausweitung auf den Vorschulbereich wie auch die ersten Jahre der Se‐ kundarstufe (vgl. hierzu im Detail Candelier 2003a und 2003b, Candelier/ Kervran/Rémy-Thomas 2003, 59). Im Zentrum des Interesses stand dabei die Frage nach der Implementierung des Ansatzes in die Curricula der Länder.11 Parallel dazu beschäftigte sich Dominique Macaire in Education aux langues et cultures (ELC) mit demselben Themenfeld. In der Schweiz arbeiteten Forscher und Forscherinnen im Projekt EOLE (=Eveil au langage et ouverture aux langues) an vergleichbaren Fragestellungen (vgl. Perregaux et al. 2003). Zeitlich etwas später wurde der Ansatz unter dem Akronym ELODIL - Éveil au langage et ouverture à la diversité linguistique – in den kanadischen Provinzen British Columbia und Québec eingeführt (vgl. Armand/Dagenais 2005). 10 11

Was den sozialen Kontext angeht, in dem sich Hawkins‘ Ansatz herausbilden konnte, siehe Feunteun 2015, 148-151. Kervran (2010, 109) berichtet von der Aufnahme in die Bildungspläne des Eveil aux langues -Ansatzes in Katalonien und dem Aostatal.

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Im Vergleich zu den beiden zeitlich fast parallel durchgeführten Projekten ‚Lerne die Sprache des Nachbarn‘ und ‚Begegnung mit Sprachen‘ wird deutlich werden, dass der Fokus bei Eveil aux langues auf die Didaktik der Schulsprache, der Erst- und/oder Zweitsprache der Lerner gerichtet wird, und der Erwerb kommunikativer Kompetenzen in einer Fremdsprache nur indirekt intendiert war.12 2.2.2 Eveil aux langues

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2.2.2.1 Eine definitorische Annäherung Cuq definiert Éveil au langage mit folgenden Worten: L’éveil au langage est une démarche de mise en contact des élèves avec des langues diverses dans l’optique de favoriser chez eux une ouverture aux langues et à ceux qui les parlent, de construire ou de consolider des stratégies de passage interlinguistique et de mieux se préparer à apprendre à apprendre une langue étrangère (Cuq 2003, 92).

Eveil au langage ist zu verstehen als eine Sensibilisierung für Sprache in einer geplanten Lernumgebung („démarche“). Um ein Gespür für Sprache anzu‐ bahnen, werden die Lerner mit verschiedenen Sprachen konfrontiert. Die damit verbundenen Zielsetzungen sind dreierlei: erwartet wird die Ausbildung einer positiven Einstellung zu Sprachen und Sprechern, die Anbahnung und der Ausbau sprachenübergreifender Strategien und die Vorbereitung auf weiteres Sprachenlernen, im Sinne des Erlernens einer einzelnen Fremdsprache. Schwer‐ punkt ist nach der Definition von Cuq (2003, 92) somit eine Sprachlernprodä‐ deutik im Ansatz Éveil au langage (oder Eveil aux langues, wie er bei Candelier (2003a) genannt wird). Candelier führt den Aspekt dessen, was unter den verschiedenen Sprachen („langues diverses“, Cuq 2003, 92) gemeint sein soll, etwas genauer aus: Il y a Eveil aux langues lorsqu’une part des activités porte sur des langues que l’école n’a pas l’ambition d’enseigner (qui peuvent être ou non des langues maternelles de certains élèves). Cela ne signifie pas que seule la partie du travail qui porte sur ces langues mérite le nom d’Eveil aux langues. Une telle distinction n’aurait pas de sens, car il doit s’agir normalement d’un travail global – le plus souvent comparatif, qui

12

Im DELA-NOBA Projekt wurde von 2013-2016 der Eveil aux langues Ansatz im nor‐ disch-baltischen Bereich umgesetzt, um v.a. der Dominanz des Englischen entgegen zu wirken und „eine Mehrsprachigkeit in den baltischen Ländern zu fördern“ (2015, 39). Vgl. dafür: Daryai-Hansen /Meister/Tonello 2015. Weitere Beispiele für die Umsetzung des Ansatzes, siehe z.B. Colombel/Filliol 2012; Prax-Dubois 2012.

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porte à la fois sur ces langues, sur la langue ou les langues de l’école et sur l’éventuelle langue étrangère (ou autre) apprise (Candelier et al 2003b, 21).

Die Sprachen, die zum Gegenstand der Betrachtung werden können, sind – wie Candelier ausführt – ganz unterschiedlicher Natur: • •

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• •

die Herkunftssprache/n der Schüler und Schülerinnen, die Unterrichtssprache (als sog. Muttersprache für die einen und als Umge‐ bungssprache für andere), eine (Schul-)Fremdsprache oder Sprachen, mit denen die Lerner erst im Rahmen des Unterrichts konfrontiert werden.

Die Auseinandersetzung mit Sprachen in ihren unterschiedlichen Ausprägungs‐ formen, lautlich, morphologisch, semantisch, historisch, strukturell, graphisch, um nur einige zu nennen, ist die Basis von Eveil aux langues. Eine zentrale Stel‐ lung kommt dabei einer komparatistischen Herangehensweise zu. Dass die Zielsetzungen hingegen mehr als reine Sprachlernpropädeutik ausmachen, wie bei Cuq angedeutet, werden die weiteren Ausführungen zeigen. 2.2.2.1.1 Die Rahmenbedingungen Angesichts einer migrationsbedingten Heterogenität in den Schulklassen war und ist es in den westlichen Industrieländern zunehmend mehr von Bedeutung, dem Thema der Integration curricular zu begegnen (vgl. Kerschbaumer 1999). Aus Sicht der Schweiz formulierte De Pietro diese Notwendigkeit folgender‐ maßen: L’hypothèse […] est que ce n’est pas seulement par un discours explicite sur les bien‐ faits de l’intégration […] qu’on affronte le plus efficacement la diversité linguistique et culturelle des classes, mais en prenant cette diversité même comme un objet du travail effectué en classe et comme outil pour le développement des savoirs, des sa‐ voir-faire et des savoir-être des élèves (De Pietro 1999, 6).

Der Eveil aux langues-Ansatz entspricht einer dezidiert egalitären, politisch-so‐ zial-ethischen Grundposition. Sprachliche und kulturelle Diversität wird bei ihm nicht als Störfaktor oder als abzulehnender Umstand eingestuft; sie ist viel‐ mehr etwas Selbstverständliches und Normales (vgl. Candelier. et al 2003a, 24). Dadurch, dass Herkunftssprachen zum Gegenstand von Unterricht gemacht werden, sieht Candelier die Chance, bei den beteiligten Schülern und Schüler‐ innen eine positive Haltung und Wertschätzung füreinander wie auch Selbst‐ respekt und Selbstachtung sich selbst gegenüber anbahnen zu können (vgl. auch Candelier/Kervran/Rémy-Thomas 2003, 59-60). Letzteres ist vor allem im Hin‐

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blick auf die Lerner mit Migrationshintergrund zu sehen, deren Sprache durch ihre Berücksichtigung als Unterrichtsgegenstand aufgewertet wird: En faisant de langues habituellement dévalorisées des objets pédagogiques légitimes, on favorise la construction d’attitudes positives à leur égard et à l’égard de leurs lo‐ cuteurs et des cultures qu’elles reflètent et expriment. Et cela non seulement auprès des élèves qui ne les parlent pas, mais aussi auprès des élèves qui les parlent, et qui s’enferment trop souvent dans une auto-dévalorisation (Candelier et. al 2003b, 24).

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Die Überlegungen im Zusammenhang mit Eveil aux langues berühren Grund‐ gedanken einer emanzipatorischen Pädagogik wie sie von Annedore Prengel im selben Zeitraum als „Pädagogik der Vielfalt“ (1995) entwickelt wurde. Sie ver‐ steht darunter eine Pädagogik […] der intersubjektiven Anerkennung zwischen gleichberechtigten Verschiedenen. Indem sie Mißachtung im Bildungswesen zu vermeiden sucht, fördert sie persönliche Bildungsprozesse, sowie Qualifikations- und Sozialisationsprozesse und wirkt den schädlichen Folgen des im Bildungssystem vorherrschenden Selektionsprinzips ent‐ gegen! (Prengel 1995: 62)

Prengel argumentiert aus einer sozial-ethischen Perspektive und deutet die Pä‐ dagogik der Vielfalt aus als Bekenntnis zur Selbstachtung und Anerkennung des Anderen. Gemeint ist damit das Eintreten für die Achtung jeder Persönlichkeit und das Zugeständnis auf Lebensglück. Unterricht soll, so Prengel, Schüler und Schülerinnen zu Selbstachtung verhelfen, dadurch dass sie sich sanktionsfrei und schuldfrei in institutionell initiierten Lehr- und Lernprozessen selbstwahr‐ nehmen können. Zentraler Gedanke einer Pädagogik der Vielfalt ist die Abkehr vom Leitbild einer eingeschränkten Gleichheit (Prengel 1995: 47), wie sie in Schulsystemen an diversen Stellen auftritt. Prengel stellt sich gegen Gleichheitsvorstellungen, die Ausgrenzungen nach sich ziehen. In unserem Kontext wäre dies die einge‐ schränkte Auswahl an Schulfremdsprachen bei gleichzeitigem Ignorieren mit‐ gebrachter Sprachkenntnisse aus familien- und herkunftssprachlichen Kon‐ texten. Prengel plädiert für eine „Egalitäre Differenz“ (Prengel 1995: 181), oder, in anderen Worten für eine „Gleichheit als Gleichwertigkeit des Differierenden“ (Prengel 1995: 47). In diesem Zusammenhang erscheint das Konzept der invisibilité sociale (2009) des an der Universität Paris Est Créteil lehrenden Sozialphilosophen Guillaume Le Blanc interessant, der damit das Ausgeschlossensein bzw. die Zugehörigkeit zum öffentlichen Raum, letztlich zur Gesellschaft thematisiert. Le Blanc bezieht diese gesellschaftliche Nicht-Sichtbarkeit beispielsweise auf das Ausge‐

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grenzt-Sein als Arbeitsloser, auf das Leben als Wohnungsloser am Rande der Gesellschaft oder auf die Existenz von Adoptiv-Kindern, deren Wunsch nach dem Kennenlernen ihrer leiblichen Eltern häufig nicht erfüllt werden kann. Seine These lautet, dass die Fähigkeit eines Individuums im öffentlichen Raum präsent zu sein, wahrgenommen zu werden oder eine Rolle zu spielen, nicht allein von einer erbrachten Leistung abhängt, sondern davon, durch welche so‐ zialen Regeln menschliche Existenz wie bewertet wird: aufwertend, abwertend oder ignorierend/negierend. Eveil aux langues arbeitet im Grunde gleichermaßen an der Herbeiführung einer solchen Sichtbarkeit, die erst schulisch, und letztlich gesellschaftlich prä‐ sent wird: .„C’est sans doute une de ses forces que de placer les langues socia‐ lement dévalorisées dans le paradigme général des langues observées, à « égalité » avec toutes les autres langues“ (Candelier et al 2003a, 24). Der Fokus des An‐ satzes liegt auf allen Sprachen ohne Unterschied. Kervran (2010, 111) resümiert: „Il [=L’Eveil aux langues; JM] œuvre pour la visibilité et la légitimité de toutes les langues […]“. Am Beispiel dieses Lernbereichs rückt die Gleichwertigkeit des Verschiedenen in den Mittelpunkt. Ein solcher Ansatz, so die Intention, ermög‐ licht das Sichtbarwerden von Verborgenem und stellt sich in den Dienst einer Pädagogik der Vielfalt. Zugleich führt Eveil aux langues die in der Regel disparat vorhandenen sprachlichen Lerninhalte zusammen: „[L’Eveil aux langues] donne du sens et de la cohérence à des apprentissages en langues qui restent trop souvent isolés et compartimentés“ (Kervran 2010, 111). In welcher Absicht dies geschieht, soll im nächsten Abschnitt aufgezeigt werden. 2.2.2.1.2 Die Zielsetzungen des Ansatzes Die Zielsetzungen dessen, was wir heute unter Eveil aux langues fassen, wurde über mehrere Jahre hinweg in verschiedenen Projekten erprobt. Das zentrale Anliegen von Programmen wie Evlang, Janua Linguarum – Das Tor der Sprachen oder anderen war die Vorbereitung auf ein Leben in multikulturellen und mul‐ tisprachlichen Kontexten. Ziel dieser Projekte war es, junge Lerner durch die Begegnung mit zahlreichen Sprachen, die nicht notwendigerweise als künftige Fremdsprachen angesehen wurden, in einem ganz weiten Sinne zu Mehrspra‐ chigkeit zu führen (siehe hierzu Candelier et al. 2003a; vgl. auch Moore 2006, 222-227). Damit fügen sich diese Entwicklungsprojekte nahtlos in die europäische Sprachenpolitik ein, die mit der Veröffentlichung des Gemeinsamen Europä‐ ischen Referenzrahmens für Sprachen / GER (Europarat 2001) fassbar geworden ist. Evlang und sein Folgeprojekt nahmen im Hinblick auf die im GER zugrunde gelegten Positionen die dort formulierte „perspective d’une sorte d’éducation

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langagière générale (Europarat 2001, 130, zit. nach Candelier et al. 2003a, 21) auf und sahen ihr Anliegen darin, schon junge Lerner auf das Sprachenlernen vor‐ zubereiten. Die in den Projekten erarbeiteten Dokumente und Handlungsan‐ weisungen (v.a. Evlang) sowie die Überlegungen zur Verknüpfung mit bildungs‐ politischen Vorgaben in Form von Lehr- bzw. Bildungsplänen oder Rahmenrichtlinien (v.a. Janua Linguarum) waren Hilfsmittel dafür, die Lerner sprachlich ganzheitlich zu bilden, um das Ziel eines mehrsprachig gebildeten, auch in mehreren Sprachen kommunikativ kompetenten Bürgers vorzubereiten oder das Erlernen sprachlich-kommunikativer Kompetenzen in Erst-/Zweitund/oder Fremdsprache/n begleitend zu unterstützen. Der Fokus bei Eveil aux langues liegt auf der Anbahnung von metakognitiven, metakommunikativen und metasprachlichen Kompetenzen durch den Vergleich einer großen Anzahl verschiedener Sprachen (vgl. Candelier 2005, 319; Kervran 2010, 97). Die kommunikative Zielsetzung ist erst in zweiter Linie von Bedeu‐ tung. Die Arbeit an und mit mehreren Sprachen im Unterricht soll die Ausbil‐ dung von Kompetenzen unterstützen, die ganz allgemein dem Sprachenlernen dienen (vgl. Candelier et al. 2003a, 21). Die Lerner sollen bei diesem Ansatz sich der Unterschiede und vor allem der Ähnlichkeiten der Sprachsysteme gewahr werden, indem sie sprachliche Rea‐ litäten aus einer anderen Perspektive wahrnehmen. Cuq/Gruca sprechen von einem „décentrement linguistique et culturel“, im Sinne von „une prise de cons‐ cience des différences et des ressemblances entre les systèmes comparés“ (Cuq/ Gruca 2005, 357). Ein solcher Perspektivenwechsel soll den Lernern •



die Arbitrarität von Sprachen und Kulturen bewusst machen und zu einem besseren Verständnis sprachlicher Phänomene der gesprochenen und ge‐ schriebenen (Erst-, Zweit-, Fremd-)Sprache beitragen; den Zugang zu Mehrsprachigkeit eröffnen, indem durch die Begegnung mit unterschiedlichen Sprachen • sie eine positive Einstellung zu Sprachen im Allgemeinen und zum Spra‐ chenlernen im Besonderen gewinnen, • vorhandene mehrsprachige Kompetenzen aufgewertet • und in der Folge mehrsprachige Kompetenzen aufgebaut werden sollen.

Dabène hatte schon 1991 Vorschläge und Hypothesen zu einer ‚éducation au langage‘ formuliert, die eine Bündelung sprachbezogener, zu erwerbender und auszubauender Kompetenzen zum Ziel hatte. Dieses sprachliche Bildungsgut – in Form von Wissen, Haltungen und Kompetenzen – sollte nach Dabène nicht nur zeitversetzt auf den Fremdsprachenerwerb sich auswirken („préparer le ter‐

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rain pour l’apprentissage des langues étrangères“, Dabène 1991, 61), sondern auch – unter Rückgriff auf eine reiche Palette verschiedener Sprachen („prise de conscience de l’univers du langage dans ses caractéristiques et sa diversité“, Dabène 1991, 61) – auf die Sprachbeherrschung in der Muttersprache („maîtrise de la langue maternelle“, Dabène 1991, 62). Die Bereiche, denen die intendierten Zielsetzungen bei Dabène angehören, sind die des Kognitiven, indem der Lerner sich die Welt der Sprache reflektierend aneignet, und des Affektiven, indem er sich dem Anderen, dem Fremden nähert (vgl. Dabène 1991, 62). Mutatis mutandis finden sich in den verschiedenen Projekten Zielsetzungen, die sich in diese grobe Kategorisierung einteilen lassen, z.B. •

Affektiver Bereich: • Interesse und Neugier für Sprachen und Kulturen wecken • Vertrauen in die eigenen Sprachlernkompetenzen wecken



Kognitiver Bereich: • Ausbildung von Kompetenzen, Sprachen beobachten und analysieren zu können • Sprachliche Phänomene in verschiedenen Sprachen aufgrund von Wissen vergleichen können bzw. Wissen übertragen können.

Die Schweizer Variante EOLE – Eveil au langage / Ouverture aux langues – ori‐ entiert sich ebenfalls an den bereits genannten britischen Vorarbeiten wie auch an den Ausführungen von Dabène (1991).13 Mit den in EOLE erarbeiteten und erprobten Unterrichtvorschlägen14 soll auf die im Klassenraum vorhandene sprachliche und kulturelle Heterogenität reagiert werden und Sprachen verbin‐ dend didaktisch-methodisch gearbeitet werden; damit einher gehen folgende Ziele (vgl. Dolz/Wirthner 2003, 116-117):

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Bereits in den 80er Jahren hatte Eddy Roulet einen theoretischen Rahmen für eine in‐ tegrierte Sprachdidaktik vorgelegt. Intendiert war damit die Annäherung von Mutter‐ sprachendidaktik und Fremdsprachendidaktik, um den Lernern die Funktionsweise von Sprache vor dem Hintergrund einer Sprachenvielfalt nahe zu bringen. Vgl. Roulet 1980. Eine beindruckende Materialsammlung hierzu mit detaillierten Unterrichtsvorschlägen und -plänen findet sich in http://eole.irdp.ch/eole/ (05.09.2017).

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Entwicklung von Einstellungen und Haltungen gegenüber Sprachen, Aufbau von Hörverstehen15 und Befähigung, Sprachen zu beobachten / zu untersuchen, Aufbau von Wissen über Sprache, z.B. • Sprachgeschichte, Sprachfamilien, Sprachkontakt,16 • Funktionieren von Kommunikation, • Schriftsysteme, • Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, • Bilingualismus.17

Eveil aux langues ist von seinen Anspruch her mehr als nur ein „palier très ef‐ ficace dans l’enseignement des langues vivantes, et en particulier du français langue étrangère ou seconde“, wie Cuq/Gruca (2005, 358) meinen. Der in den verschiedenen Projekten eingeschlagene Weg zur mehrsprachigen Gesellschaft führt, wie die Ausführungen zeigten, über die Wahrnehmung vor‐ handener Mehrsprachigkeit, in gesellschaftlicher, curricular-bildungspoliti‐ scher und persönlich-affektiver Hinsicht, auf der Basis eines weiten Sprachbe‐ griffs zu erwarteten Effekten bei den Lernern: • •

in pädagogischer Hinsicht zur Ausbildung von Toleranz und Offenheit für Fremdes in einer mehrsprachigen und mehrkulturellen Gesellschaft, in sprachenpolitischer Hinsicht zum Aufbau von – im Grunde abstraktem – sprachbezogenem Wissen, von Haltungen und Handlungskompetenzen als propädeutische Maßnahme für sprachliches Lernen der Erst-/Umgebungs‐ sprache und einer oder mehrerer Fremdsprachen.

Es ist naheliegend, dass aufgrund des Lernalters der Schüler und Schülerinnen die sprachbezogenen Inhalte an konkreten Fragestellungen erarbeitet werden sollen. Die Frage, wie der ‚espace-temps didactique‘ (Dolz/Wirthner 2003, 117) aussieht, in dem Lerner für Sprachenvielfalt sensibilisiert werden, wird im fol‐ genden Abschnitt dargestellt. Welche Prinzipien leiten einen solchen Begeg‐

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Es ist damit nicht ein Hörverstehen im kommunikativen Sinne gemeint, sondern viel‐ mehr die Befähigung beim Hören z.B. eine Sprache zu identifizieren, eine Stimmung zu erfassen, an der Stimme das Alter einer Person zu erkennen oder metaphonologische Operationen durchführen zu können, wie Reime nennen, Anzahl von Silben erklat‐ schen, etc.. Vgl. hierzu exemplarisch Armand/Abadou/Maraillet 2005. Vgl. hierzu Macaire 1999a/1999b, De Pietro 1999. Vgl. hierzu ein Beispiel in Armand/Dagenais 2005, 48.

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nungsansatz? Welches didaktisch-methodische Repertoire wird den Lehrkräften empfohlen? 2.2.2.1.3 Die didaktischen Komponenten Im Projekt Evlang war, wie oben ausgeführt, mit Kindern der Grundschule, spe‐ ziell mit denen der letzten beiden Klassen gearbeitet worden. Es handelte sich in der Regel um Kinder im Alter von ca. 8 bis 11 Jahren. Die Beschäftigung mit sprachlichen Zeugnissen soll/te die Lerner dazu befähigen, Bürger und Bürger‐ innen in einer mehrsprachigen Gesellschaft zu werden. Armand/Dagenais/Nicollin (2008) komprimieren aus der kanadischen Per‐ spektive heraus (ELODIL) die didaktische Grundposition eines emanzipato‐ risch-politischen Ansatzes auf zwei Punkte. Lizenziert für HU Berlin am 13.06.2019 um 19:19 Uhr

a)

b)

„approche critique“ Unter Bezugnahme auf verschiedene Stimmen einer kritischen Erziehungs‐ wissenschaft (Freire 1970, Bourdieu 1977, Apple 1979, Giroux 1983), sehen sie mit Fairclough (1992), dem Namensgeber einer critical language aware‐ ness, die Rolle der Schule u.a. darin, „à attirer l’attention des élèves sur les inégalités sociales ainsi que sur les représentations stéréotypées des di‐ verses langues et des locuteurs de celles-ci, avec l’objectif d’amener les jeunes à valoriser la justice sociale et à devenir des citoyens engagés dans la lutte pour l’égalité“ (Armand/Dagenais/Nicollin 2008, 53). In didaktischer Hinsicht wird deutlich, dass die Lerngegenstände – hier die Sprachzeug‐ nisse in ihrer ganzen Bandbreite – eine zentrale Größe des Unterrichtsge‐ schehens sind. Sie sind aber in erster Linie Mittel zum Zweck, sich den eigentlichen Lerngegenstand, die Fähigkeit zu Interaktion und Kooperation in einem multikulturellen Kontext, anzueignen. Hierfür sind diverse Kom‐ petenzen einzuüben und zu entwickeln: „Une analyse critique en éducation à la citoyenneté comprend des aptitudes à la recherche, à l’interprétation, à la présentation et à la réflexion“ (Armand/Dagenais/Nicollin 2008, 52). Solche Kompetenzen sind Ziel der zweiten Grundposition, der pédagogie active. „pédagogie active“ Der zweite Aspekt, den Armand/Dagenais/Nicollin (2008) anführen, ist der einer ‚aktiven‘ Pädagogik. Sie stehen hier in der Tradition einer auf Inter‐ aktion und Selbstorganisation beruhenden Pädagogik, die sinnvolle und sinnstiftende Lernprozesse favorisiert (vgl. Armand/Dagenais/Nicollin 2008, 53-55): „C’est en collaborant à un projet commun que des individus marginalisés, situés au départ en périphérie du groupe, ont l’occasion de contribuer à la construction collective des connaissances“ (Armand/Dage‐

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nais/Nicollin 2008, 53). Die Auseinandersetzung mit Sprache und Sprachen ist gleichsam ein Projekt innerhalb der Klassengemeinschaft, bei dem am Beispiel der Sprache/n für die Demokratie relevante Verhaltensweisen – v.a. Versachlichung und Distanzierung – praktiziert und erlernt werden. En effet, la formation de futurs citoyens aptes à prendre leur place dans une société démocratique sous-entend des capacités d’analyse et de compréhension des réalités sociales actuelles sur la question des langues et des représentations sur les langues et leurs locuteurs (Armand/Dagenais 2005, 49).

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In (unterrichts-)methodischer Hinsicht stellt sich der Eveil aux langues-Ansatz folgendermaßen dar: a)

Transversalität Ein erstes Prinzip, das in den genannten Projekten Anwendung fand, war das der Transversalität. Sprachliches Lernen wurde in einem umfassenden Sinn gesehen, insofern als es die Abgrenzung zwischen dem sogenannten muttersprachlichen Unterricht und dem Fremdsprachenunterricht aufhob. Die sprachenverknüpfende Vorgehensweise wird bei Cuq/Gruca folgen‐ dermaßen beschrieben: Le principe fondamental de l’éveil au langage est la priorité accordée au curri‐ culum langagier sur les syllabus des langues particulières, c’est-à-dire un décloi‐ sonnement des enseignements de la langue maternelle et des langues étrangères (Cuq/Gruca 2005, 357).

b)

Fächerübergreifendes Lernen durch Verknüpfen der Schulsprache, der Fa‐ miliensprachen und der schulisch erlernten Fremdsprache(n) wird in der Regel so organisiert, dass die Schüler und Schülerinnen in der Konfronta‐ tion mit sprachlichen Phänomenen (Lieder, Namen, Reime, Schriftzeichen, sprachliche Umgebungen, Sprechanwendungssituationen, …) damit zu‐ sammenhängende Aspekte und Strukturen entdecken („apprenti linguiste“, Candelier/Kervran/Rémy-Thomas 2003, 61). Entdeckendes Lernen Entdeckendes Lernen (Bruner 1961, Ausubel 1968) ist somit ein weiteres Prinzip, das Eveil aux langues kennzeichnet. Im Einzelnen agieren die Lerner dabei, dass sie z.B. • sprachliche Phänomene wahrnehmen, • sie beschreiben, • sie analysieren und interpretieren • Hypothesen bilden und prüfen, und ggfls. verwerfen,

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• • c)

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d)

e)

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(Vor-)Wissen reaktivieren und anwenden, Alternativen erkennen und annehmen (siehe auch Cuq 2003, 93).

Kooperation Die Lerner arbeiten dabei im Austausch mit ihren Mitschülern und Mit‐ schülerinnen. Sie erleben in der Kooperation die anderen als Lernpartner, als Wissensvermittler sowie vor allem als Repräsentanten für Sprache – als Sprecher mit Akzent, als bilingualen Sprecher, als Dialektsprecher, als Stan‐ dardsprachensprecher, als Sprecher mit einem Sprach‘fehler‘, usw. Handlungsorientierung In einem grundschulkonformen methodischen Ansatz ist die Handlungs‐ orientierung nicht wegzudenken. Daher erfolgt die Auseinandersetzung der jungen Lerner im (Sprach-)Handeln an konkreten Aufgaben. Im Sinne des o.g. ‚apprenti linguiste‘ manipulieren sie die Sprachobjekte, um eine selbst gestellte oder vorgegebene Aufgabenstellung zu lösen.18 Distanzierung und Perspektivenwechsel Ein zentrales und für den Ansatz kennzeichnendes Prinzip ist das des Per‐ spektivenwechsels. Hierfür wird im Schweizer Kontext der Begriff der ‚di‐ dactique du détour‘ verwendet. Darunter ist Folgendes zu verstehen: Le détour par d’autres langues constitue un mécanisme clé qui permet aux élèves d’aborder des phénomènes qu’ils ne peuvent « voir » en français […]. Le détour permet ainsi aux élèves, tout à la fois, de sortir de leur langue maternelle, de la relativiser à travers la comparaison, puis d’y revenir (De Pietro 2003, 168; zitiert nach Kervran 2010, 106; siehe auch De Pietro 2005, 478 und Bétrix Köhler/ Panchout-Dubois 2015, 31).

Mit ‘Umweg’ (frz. détour) ist die Beschäftigung mit unbekannten Sprach‐ phänomenen, die nicht Teil der eigenen Erst- oder Zweitsprache/n sind, gemeint. Dieser erlaube einen distanzierten und damit unverstellten Blick auf die zu beobachtenden Phänomene („mise à distance“, Kervran 2010, 107). Moore schreibt: „La capacité de décentration est essentielle pour déplacer l’attention du contenu du message aux propriétés du langage mises en œuvre pour la production du message“ (Moore 2006, 228, kursiv im Ori‐ ginal). Der distanzierte Blick auf Sprache ist somit einer, der nicht dem Transparenten, sondern dem Opaken, nicht dem Bekannten, sondern dem Fremden, nicht dem Inhalt, sondern der Form gilt. Es wird angenommen,

18

Kinder würden beispielsweise anhand der Wochentage in verschiedenen Sprachen he‐ rausfinden können, dass immer ein Element identisch ist und ‚Tag‘ bedeutet. Siehe Candelier/Kervran/Rémy-Thomas 2003, 61.

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f)

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dass auf diese Weise die durch die ‚Mutter’sprache vorgegebene Sichtweise umgangen, die durch sie vorhandene Prägung relativiert wird und die Lerner auf diese Weise insgesamt dem Lernen von Sprachen offener und reflektierter begegnen können (vgl. Perregaux et al. 2003). Reflexivität Mit dem Perspektivenwechsel einher geht als weiteres Prinzip eine kogni‐ tive Komponente, die der Sprachreflexion. Diese ist der gemeinsame Nenner und das notwendige Bindeglied in den verschiedenen Unterrichtsphasen oder -stunden, in denen über Sprache nachgedacht und Verknüpfungen, so die Annahme, zwischen sprachlichen Lerninhalten hergestellt werden. Beim Trainieren (bzw. späteren Einsatz) der Fähigkeit, über Sprache nach‐ zudenken, hat Sprache eine Doppelfunktion: sie ist Objekt der Betrachtung und Werkzeug zugleich: „La langue devient l’objet de la pensée, tout en restant l’outil qui va servir à exprimer cette pensée“ (Moore 2006, 228). Unterrichtssprache als Arbeitssprache Der Austausch über die Lerninhalte erfolgt in der alle Schüler einenden Umgebungssprache, die in der Regel die Unterrichtssprache ist: in Frank‐ reich und der französischen Schweiz Französisch, in Deutschland, Öster‐ reich und der Deutschschweiz das Deutsche, etc. Candelier/Kervran/ Rémy-Thomas (2003, 60) sehen sie als verbindendes Element im Begeg‐ nungssprachenansatz: „[I]l est important de pouvoir s’appuyer sur la lange scolaire, qui demeure la langue véhiculaire, pivot dans cette approche.“ Indem wir das o.g. Zitat von Moore (2006, 228) weiterführen, können wir sagen: die Unterrichtssprache wird als Verkehrs- und Arbeitssprache einge‐ setzt, ist also im Rahmen von Eveil aux langues nicht primär Lerngegen‐ stand, sondern Werkzeug im Dienste der Sprachreflexion.

Inwiefern ein nach den genannten Prinzipien durchgeführter, für Sprache sen‐ sibilisierender Unterricht, durch den die Lerner neben Haltungen und Einstel‐ lungen auch (universelles) Wissen über Sprache erwerben sollen, dazu beiträgt, das Lernen von Einzelsprachen zu unterstützen, ist eine berechtigte Frage in Zeiten, in denen er sich auf dem Marktplatz der Bildung19 zu beweisen hat.

19

Vgl. Brigitte Pick: „Auf dem Marktplatz der Bildung“, in: AUSWEGE – Perspektiven für den Erziehungsalltag, Online-Magazin für Bildung, Beratung, Erziehung und Unterricht www.magazin-auswege.de, 04.10.2012

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2.2.2.2 Forschungen zu Eveil aux langues – eine Auswahl In diesem Abschnitt sollen knapp die Hauptforschungslinien im Zusammen‐ hang mit Eveil aux langues skizziert und einige ausgewählte Forschungsergeb‐ nisse präsentiert werden (siehe auch Candelier et al. 2003b, 127-187 bzgl. der Ergebnisse für Janua Linguarum). Die in diesem Forschungsfeld arbeitenden Teams machen für die Ausformung ihres theoretischen Fundaments Anleihen bei der Sprachwissenschaft, insbe‐ sondere der Soziolinguistik, wie auch der Ethnographie, der Psycholinguistik und der kognitiven Psychologie. Ein zentrales Konzept, das in diesem Zusam‐ menhang untersucht wird, ist das der Einstellung. Es wird der Frage nachge‐ gangen, inwieweit die Einstellungen zu Sprache bei Schülern und Schülerinnen, aber auch Lehrkräften durch auf Eveil aux langues aufbauende Aktivitäten ent‐ wickelt bzw. verändert werden können. Richtungsweisend für dieses For‐ schungsinteresse sind die sprachenpolitischen Initiativen, die seit den 90er Jahren in der Europäischen Union vorangetrieben werden (vgl. hierzu Feuteun 2015, 14-57). Unter Einstellungen ist nach Moscovici, der diesen Begriff 1961 einführte, folgendes zu verstehen: un système de valeurs, de notions et de pratiques relatives à des objets, des aspects ou des dimensions du milieu social, qui permet non seulement la stabilisation du cadre de vie des individus et des groupes, mais qui constitue également un instrument d’orientation de la perception des situations et d’élaboration des réponses (Moscovici 1961, zit. nach Fischer 1996, 125).

Enggeführt auf Einstellungen zu Sprachen können diese mit Lory so definiert werden: Les représentations sur les langues ont comme objet de réflexion/ d’échange la ou les langues, elles relèvent des images, du rapport aux langues que se sont construits un ou plusieurs individus dans l’interaction (coconstruction) et sur la base de leurs con‐ naissances préalables (pré-construction). Ces connaissances préalables sont marquées par un référent collectif et leur construction dans l’interactivité leur donne une valeur dynamique. Par ailleurs, les représentations sur les langues transparaissent dans le discours des participants. (Lory 2015, 80).

Vereinfacht gesagt handelt es sich um die Gesamtheit der Vorstellungen, die ein Individuum sich von Sprachen macht. Die Forschung zu Eveil aux langues widmete sich in unterschiedlichen Kon‐ texten der Frage, welchen Einfluss, und ob überhaupt, ein auf Sprachreflexion im Sinne von Eveil aux langues beruhender Unterricht auf die Einstellungen der

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Kinder hatte und inwieweit diese Maßnahme zur Identitätsbildung ihren Beitrag leistete. Auf der Grundlage des Poststrukturalismus wird Identität als ein viel‐ schichtiger und veränderbarer Zustand verstanden. Damit im Zusammenhang steht die Bedeutung der sozialen Stellung für den Status eines Individuums in‐ nerhalb einer Gruppe. Je nachdem ob ihm negative oder positiven Einstellungen, was seine Person – seine Identität – angeht, zugeschrieben werden, wird dieses Individuum den gruppenrelevanten Netzwerken angehören oder von ihnen ausgeschlossen bleiben. Die genaue Betrachtung von Machtverhältnissen in‐ nerhalb sozialer Gruppierungen, hier der Schulklasse oder der Lerngruppe, ist somit eine der Fragen, die es im Zusammenspiel von sprachlichem Lernen, sprachlicher Heterogenität und Identitätsbildung zu erforschen galt. Der zweite zentrale Aspekt in diesem Forschungsfeld betrifft die zu entwi‐ ckelnden metasprachlichen Kompetenzen und die Fähigkeit zur Sprachrefle‐ xion. Die knappe Definition „capacités de manipulation intentionnelle de la structure linguistique (i.e. ces capacités métalinguistiques)“ (Gombert/Gaux/ Demont 1994, 61) umreißt das Konzept der metasprachlichen Kompetenz als den bewussten Umgang mit sprachlichen Strukturen. Darunter ist einerseits der zielgerichtete Gebrauch sprachlicher Strukturen zu verstehen, der auf Sprach‐ wissen und der Befähigung zur Reflexion sowie zur Analyse von Sprache beruht, andererseits die Fähigkeit zur Planung und Kontrolle der Sprachverarbeitung (vgl. auch Gombert 1992). In Bezug auf das Sprachwissen unterscheidet Gombert (1996, 43-44) folgendermaßen: En fait, trois sous-domaines principaux des connaissances métalinguistiques doivent être distingués: (1) les connaissances méta-phonologiques (connaissances de la struc‐ ture phonologique des items linguistiques); (2) les connaissances méta-sémantiques (connaissances des rapports signifiants/signifiés); (3) les connaissances méta-synta‐ xiques (connaissances des règles formelles qui déterminent la grammaticalité).

Über den Sprachsensibilisierungsansatz Eveil aux langues wurden die Schüler und Schülerinnen durch Hören und Sehen von Sprache, durch das Erleben von Sprache in die Rolle eines Beobachters versetzt, in der Absicht, dass sich dadurch ein metasprachliches Repertoire entwickelt (vgl. zu diesem Abschnitt Armand/ Dagenais 2005, 47-48). Armand/Dagenais (2005, 49) resümieren erste Ergebnisse ihres Projekts. Es geht dabei vor allem um eine vorläufige Einschätzung, wie und ob die beteiligten Lerner das mehrsprachige Lernangebot annehmen. Ihrem Bericht zufolge trage Eveil aux langues dazu bei, dass •

Schüler und Schülerinnen sich an Diskussionen, über die unterschiedliche Bewertung von Sprachen und ihren Sprechern kritisch beteiligen,

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• •



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sie ihre Rolle als Experten für Sprache allgemein und ihre Sprache im Be‐ sonderen beim Austausch innerhalb der Klasse wahrnehmen, sie ihr Sprachwissen (Erstsprache, Fremdsprache Englisch, Herkunfts‐ sprache) für die Betrachtung und Einordnung ihnen unbekannter Sprachen einsetzen, die Sprachenvielfalt im Rahmen der vorhandenen Sprachenlandschaft und ihrer eigenen sprachlichen Kontakte interpretiert wird, durch die Teilnahme an den sprachbezogenen Aktivitäten die Ausbildung ihrer Kompetenz über Sprachen nachzudenken angeregt wird.

Ein Beitrag neueren Datums widmet sich den Einstellungen zu Sprache bei Ler‐ nern in einem Eveil aux langues-Kontext. Lory/Armand (2016) zeigen anhand von Fallbeispielen, wie sich die Einstellungen von mehrsprachigen Lernern im Rahmen des kanadischen Projekts ELODIL geändert haben. Die Autorinnen ar‐ beiten heraus, dass •



• •

die Vorstellungen über Sprachen im Laufe des zweijährigen Projekts diffe‐ renzierter werden („la majorité des éléves exprime des représentations plus individualisées en fin de projet“, Lory/Armand 2016, 36), das Gefühl des Unbehagens in Bezug auf eine der von den Lernern gespro‐ chenen Sprachen abnimmt („le sentiment d’insécurité linguistique […] s’es‐ tompe au fil du temps“, Lory/Armand 2016, 36), die Schüler Strategien anwenden, um ihre Sprachen auch gemischt einzu‐ setzen („dans leur forme composite“, Lory/Armand 2016, 36), sie je nach Kontext und Sprachpartner ihr Sprachverhalten der Situation anpassen, indem sie auf verfügbare Sprachen zurückgreifen oder nicht („s’a‐ juster aux situations de communication en fonction des interlocuteurs et des contextes, en mettant par exemple de l’avant ou non certains langues de leur répertoire“, Lory/Armand 2016, 36).20

Ein drittes Beispiel betrifft die Wirkungen des sprachsensibilisierenden Unter‐ richts auf den Kompetenzaufbau im sog. ‚mutter’sprachlichen Unterricht; dieser wird im Französischen als langue de scolarisation bezeichnet. Das Schweizer Projekt der Forscherinnen Balsiger/Bétrix Köhler/Panchout-Dubois (2012) the‐ matisiert den Aufbau sprachenbezogenen Wissens in einem mehrsprachigen Vermittlungskontext. Es geht ihnen u.a. darum zu sehen, inwieweit metatextu‐ elles, metalexikalisches und metasyntaktisches Wissen bei Grundschulkindern

20

Für einen detaillierten Forschungsbericht zur Spracheinstellungsforschung, siehe Lory 2015.

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im Alter von 7 bis 9 Jahren aufgebaut werden kann.21 Insgesamt nahmen am Projekt 185 Kinder teil, die je ungefähr zur Hälfte in eine Experimental- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt waren (vgl. genauer zur Methodik, Balsiger/Bétrix Köhler/Panchout-Dubois 2012, 199-200). Die Evaluation bezog sich im Hinblick auf a)

b)

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c)

die metatextuelle Perspektive darauf, ob die Lerner unterschiedliche Text‐ sorten, die in verschiedenen Sprachen geschrieben waren, erkennen und klassifizieren können; die metalexikalische Perspektive darauf, ob sie Wörter aus verschiedenen Sprachen in Morpheme aufteilen, das Grundwort finden und Ableitungen erkennen können; die metasyntaktische Perspektive darauf, ob das Merkmal Plural innerhalb einer Nominalphrase bzw. in der Verbindung Nominalphrase und der Ver‐ bgruppe über den Weg des mehrsprachigen Zugangs erlernbar ist.

Wie sind die Ergebnisse der Versuchsklassen im Vergleich zu den Kontroll‐ klassen? Was die metatextuellen Kompetenzen angeht, so galt es für die beteiligten Kinder, neun, in neun verschiedenen Sprachen geschriebene Texte spontan zu sortieren. Bei den Texten handelte es sich um die Textsorten Kochrezept, Ge‐ dicht, Märchen. Daran anschließend wurden die Schüler und Schülerinnen ge‐ beten, ihre Vorgehensweise zu beschreiben und zu begründen. Die Ergebnisse zeigen eine Überlegenheit der Versuchsgruppen bei der Klas‐ sifizierung nach verschiedenen Textsorten. Beim pre-Test war sowohl bei der Versuchsgruppe als auch der Kontrollgruppe die Klassifizierung nach der Schrift bzw. der Sprache das am meisten verwendete Kriterium gewesen. Im post-Test hingegen zeigte sich ein deutlicher Unterschied, insofern als die Versuchsgruppe überwiegend die Texte nach dem Kriterium Textsorte klassifizierte, wohingegen die Kontrollgruppe weiterhin nach Sprachen einteilte. Die Autorinnen sehen dieses Ergebnis mit der gebotenen Vorsicht (Lehrerfaktor, fehlender Einblick in den Unterricht der Kontrollgruppe) als Nachweis dafür, dass ein mehrsprachig angelegter, auf Reflexion ausgerichteter Unterricht Lernern zu metasprachli‐ chen Kompetenzen, hier im Hinblick auf den Umgang mit Texten, verhelfen kann (vgl. Balsiger/Bétrix Köhler/Panchaud-Dubois 2012, 201-207). Was die Anbahnung metalexikalischer Kompetenzen angeht, so bezog sich die Untersuchung darauf zu erforschen, welche Strategien die Kinder anwenden, 21

Aus Platzgründen werden die Ergebnisse, die sich auf die Metaphonographik und die Metaphonologie beziehen, nicht referiert. Siehe hierzu aber Balsiger/Bétrix Köhler/ Panchout-Dubois 2012, 216-221.

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wie sie Wörter segmentieren und den Wortschatz ordnen. Bei der Versuchs‐ klasse fand nach einem pre-Test ein Unterricht statt, mit der Intention, ihnen über die Beschäftigung mit verschiedensprachigen Bezeichnungen der Wo‐ chentage das Konzept des Morphems zu vermitteln. Im post-Test galt es an 4 französischen Substantiven zu prüfen, ob die Lerner das Konzept Morphem durch den vorangegangenen Unterricht erworben hatten und dieses anwenden konnten. Der post-Test ergab keinen Unterschied der Versuchsgruppe zur Kon‐ trollgruppe, so dass die Hypothese nicht bestätigt wurde. Was den dritten Aspekt angeht, die metasyntaktischen Kompetenzen, so wurde untersucht, inwiefern ein auf mehreren Sprachen beruhender Unterricht dazu beiträgt, das Konzept Plural in der Nominalgruppe anzubahnen. Die un‐ terrichtliche Arbeit fokussierte diesen Aspekt anhand einer Bilderbuchge‐ schichte (Die kleine Raupe Nimmersatt; Carle, 2003; The Giant Turnip, Barkow, 2001), woran z.B. deutlich wurde, dass die Pluralmarkierung in bestimmten Sprachen hörbar und in anderen, auch der Umgebungssprache Französisch, da‐ gegen nicht. Die Hypothese, dass dieser Unterricht zu besseren Resultaten beim Kennzeichnen des Plurals im Französischen führe, wurde nicht bestätigt, da die Forscherinnen keine Fortschritte der Versuchsgruppe gegenüber der Kontroll‐ gruppe feststellen konnten (vgl. Balsiger/Bétrix Köhler/Panchaud-Dubois 2012, 208-210). Die Schlussfolgerung der drei Schweizer Forscherinnen geht dahin zu sagen, dass die Effekte auf metasprachliche Kompetenzen durch einen sprachver‐ gleichenden Unterricht sehr differenziert gesehen werden müssen. Ihre For‐ schungsergebnisse deuten insgesamt auf einen relativ schwachen Einfluss der sprachsensibilisierenden Aktivitäten auf die Entwicklung der ‚Schul’sprache (sprich: Mutter-/oder Zweitsprache der Lerner) hin; sie sehen hingegen eine gewisse Wirksamkeit der Maßnahmen bei den metatextuellen wie auch meta‐ graphophonologischen Kompetenzen. Ein mehrsprachiger Zugang zu Laut‐ strukturen scheint vor allem bei jüngeren Lernen für das Erkennen von Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenzen im ‚mutter’sprachlichen Unterricht einen Vorteil zu schaffen (vgl. Balsiger/Bétrix Köhler/Panchaud-Dubois 2012, 222-223). Wenngleich an den untersuchten Bereichen der Nachweis für eine direkte Wirkung auf Lernprozesse im muttersprachlichen Französischunterricht in der Mehrheit nicht geführt werden konnte, und solche Wirkungen sich – so die Annahme – nur an „lieux privilégies, des objets plus propices“, d.h. ganz we‐ nigen, geeigneten Phänomenen, sich zeigen können, oder aber die Effekte vor‐ handen sind, aber noch nicht transferierbar sind, so zielt der Unterricht mögli‐ cherweise im Hinblick auf eher ‚weiche‘ Faktoren, wie den Aufbau kultureller

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Referenzen und eines gemeinsamen kulturellen Erbes, wenn eine Mitschülerin beispielsweise eine Geschichte in ihrer Heimatsprache Albanisch vorliest (vgl. Balsiger/Bétrix Köhler/Panchaud-Dubois 2012, 210). Die identitätsstabilisie‐ rende Wirkung durch Sichtbarwerden im Unterricht wird vermutlich nicht zu unterschätzen sein.22 [L’]Eveil aux langues semble donc être une approche intéressante pour favoriser la mise en place d’un espace de « complicité linguistique », où les langues des élèves, les langues de l’école et les langues du monde deviennent un objet de partage, de savoir, mais aussi de fierté. (Lory/Armand 2016, 36).

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Nicht immer werden innovative Maßnahmen von außen ebenso positiv be‐ wertet wie von Beteiligten. Welcher Art die Einwände sind, soll abschließend nachgezeichnet werden. 2.2.3 Kritische Einwände

Eveil aux langues steht, wie wir zeigen konnten, im Dienst zweier Zielsetzungen: einer ideologisch-politischen und einer sprachdidaktischen. Bezogen auf den erst genannten Aspekt geht es darum, über das Konzept Sprache/n für eine europäische Identität zu sensibilisieren und den gesellschaft‐ lichen Zusammenhalt herbeizuführen. Soziale Kohäsion soll über eine in diesem Sinne gedachte Sprachenpolitik via die diversen Schulsysteme in Europa auf den verschiedenen Ebenen angestrebt werden: lokal, regional, national und in eu‐ ropäischer Perspektive (vgl. Europarat 2006, 48). Im Hinblick auf die sprachdidaktische Komponente arbeitet der Ansatz Eveil aux langues in erster Linie der langue de scolarisation, der Schulsprache zu; erst in zweiter Linie Fremdsprachen, die ein Lerner im Laufe seines Lebens, sei es in der Schule oder danach, auf dem Weg zum mehrsprachigen Europabürger er‐ werben soll. Cuq/Gruca (2005, 358) verweisen in diesem Zusammenhang auf kritische Stimmen, die einer alternativen Herangehensweise an Sprachenlernen wie bei Eveil aux langues reserviert begegnen: „[Cela] retarde le début du véri‐ table apprentissage d’une langue particulière“. Eine ähnliche Kritik hatten wir bereits in der Auseinandersetzung mit Lerne die Sprache des Nachbarn und Be‐ gegnung mit Sprachen ausmachen können. Auch dort war die Kritik mehr aus

22

Ulma/Desgrouas (2010) zeichnen ein positives Bild ihrer Interventionsstudie („résultats encourageants“, 2010, 175). Sie konnten bei den Lernern Strategien im Umgang mit mehrsprachigen Unterrichtsangeboten identifizieren, wie Hypothesenbildung, Analo‐ giebildung, Anwendung von Vorwissen, etc. Siehe auch den Erfahrungsbericht von Grappe (2017) zur Arbeit mit geflüchteten syrischen Kindern in Libyen.

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Gründen der Tradition, denn aus sachlogischen Gründen heraus geäußert worden. Bruno Maurer (2011, 2015) setzt mit seiner Kritik an der Verankerung der Pluralen Ansätze in der europäischen Sprachenpolitik an.23 Seiner Meinung nach sei es problematisch, wenn Sprachen im Rahmen der europäischen Sprachen‐ politik Teil eines politischen Projekts und somit Teil einer Ideologie werden, die den Europabürger, ausgestattet mit einer positiven und offenen Haltung zu Sprachen, zum Ziel habe. Dass der Mehrsprachigkeit dabei eine zentrale Funk‐ tion zukommen solle, sieht er kritisch: „[L]e plurilinguisme se voit contraint d’endosser le rôle de ciment entre les peuples, à la fois facilitateur des échanges et porteur de valeurs positives […].“ (Maurer 2011, 150). Maurer bezweifelt, dass durch Geistesbildung, letztlich über pädagogische Maßnahmen initiiert, ein sol‐ ches Ziel erreicht werden könne. Er wendet sich gegen die Instrumentalisierung des Sprachunterrichts für politische Zwecke und sieht Handlungsbedarf bei den politischen Gremien in Form entsprechender gesetzlicher Regelungen für ein einvernehmliches Zusammenleben: „Nous avons eu l’occasion de montrer toute la part d’ideálisme – et d’idéologie – qu’il y avait que la seule éducation des esprits pouvait faire être naître un Homme nouveau, profondément européen et ouvert à autrui, si au préalable n’étaient pas modifiés les rapports entre les hommes, traduits par les institutions européennes et organisés par des lois so‐ ciales“ (Maurer 2011, 150). Einer seiner weiteren Einwände ist, dass die Erziehung zur Mehrsprachigkeit eine schwer umzusetzende Idee sei, was sich daran ablesen lasse, dass für viele Fragen weiterhin Antworten ausstünden (vgl. Maurer 2015, 164-165). Sein Haupteinwand betrifft die Befürchtung, dass das Sprachenlernen selbst, die Be‐ fähigung zum kompetenten Sprachgebrauch innerhalb des Paradigmas der Mehrsprachigkeit zur Nebensache werde. Le changement est si profond que l’étude de la partie linguistique de l’enseignement des langues devient totalement secondaire dans les parcours proposés aux élèves. Du reste, le rôle de l’école n’est plus de leur apprendre ces langues, mais de les préparer à faire ces apprentissages en autonomie, tout au long de la vie, dans des contextes non scolaires (Maurer 2011, 150; vgl. auch Maurer 2011, 26-31).

23

Maurer setzt dabei Mehrsprachigkeitsdidaktik mit Pluralen Ansätzen gleich: „Appelée également „éducation plurilingue et interculturelle“ (voir Maurer 2011) ou „approches plurielles“ (Troncy, 2014), la didactique du plurilinguisme s’est développée à la suite du CECR.“ (Maurer 2015, 162). Die genauen Belegstellen der Zitate im Zitat sind Maurer 2011, 17 und Troncy 2014, 27.

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Während die o.g. Kritik sich vor allem am übergeordneten Konzept der Pluralen Ansätze im Dienste der Erziehung zum mehrsprachigen europäischen Bürger festmacht, fällt die Bewertung von Eveil aux langues weniger ablehnend aus. Dieser Ansatz habe, so Maurer, seine Rolle als Vorbereitung oder Begleitung des echten Sprachunterrichts: „Quant à l’Eveil aux langues […] il devrait se can‐ tonner au rôle préliminaire (ou d’accompagnement) de réels enseignements qu’il ne saurait remplacer“ (Maurer 2015, 170); eine Ausweitung und Integration des Ansatzes in den Einzelsprachenunterricht und damit in Lehr- und Lernkontexte auch jenseits der Primarstufe lehnt er ab (vgl. Maurer 2015, 170).24 Soll man einer Unterscheidung von „réels enseignements“ und ‚unechtem‘ Unterricht, was auch immer man genau darunter verstehen wollte, folgen? Ist der Eveil aux langues-Ansatz nur als indirekter Weg zum Sprachenlernen zu sehen, wie Candelier mit „On peut considérer qu‘il s’agit là d’un chemin indirect“ (2003b, 24) vorschlägt? Keines von beiden trifft meiner Meinung nach zu. Eveil aux langues bringt eine Komponente mit ein, die eine ökonomischere Heran‐ gehensweise an Sprachenlernen in Aussicht stellt. Durch die mehrperspektivi‐ sche Betrachtung von Phänomenen erscheint mir die Chance zur abstrahier‐ enden Begriffsbildung gegeben, was im Idealfall zu einer Lernerleichterung beim Sprachenlernen führen könnte. Dafür ist in diesem Bereich noch die eine oder andere Forschungslücke zu schließen: Welches sind die „lieux privilegiés“ (Bal‐ siger/Bétrix Köhler/Panchaud-Dubois 2012, 210), an denen Sprachbetrachtung erfolgversprechend praktiziert werden kann? Wie formulieren junge Lerner ihre erlernten Konzepte? Welche Konzepte werden in die Schulsprache oder Fremdsprache/n transferiert und wirken sich lernfördernd aus? Welche Rolle spielt der Faktor Zeit für die Auswirkungen des Ansatzes?, etc. Nicht unterschlagen sollte auch die Frage nach der Ausbildung derer, die einen sprachsensibilisierenden Unterricht im Sinne von Eveil aux langues durch‐ führen sollen, der letztlich mehr als nur ein In-Kontakt-Bringen sein will. Nicht folgen kann man der Auffassung von Cuq/Gruca, die suggerieren als gehörten sprachbezogene, auf Sprachvergleich ausgerichtete Kenntnisse zum Alltags‐ wissen oder seien für einen sprachenbetrachtenden Unterricht nur in geringem Maße vonnöten. De plus, contrairement aux connaissances importantes qui sont demandées aux en‐ seignants dans le cas de l’apprentissage précoce d’une langue étrangère, l’apprentis‐

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Siehe Ackermann (2009) zur Integration von Eveil aux langues in das frühe Französischund Englischlernen in der Primarstufe. Wie ein Weg zu einer globalen Spracherziehung aussehen könnte, beschreibt De Pietro 2009.

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sage de ces techniques ne demande pas une formation trop longue des enseignants (Cuq/Gruca 2005, 358).

Die Fortbildungsangebote, die im Rahmen der diversen Projekte angeboten wurden, zeigen, welche Bandbreite an Fragestellungen, Inhalten und methodi‐ schen Herangehensweisen Eveil aux langues ausmacht (siehe Candelier 2003a und 2003b). Entsprechende Inhalte sind deshalb auch in die universitären Cur‐ ricula einzuplanen, um fundiertes Lehrerhandeln frühzeitig anbahnen zu können (siehe Forlot 2012).25 Selbst dann werden die Lehrkräfte noch weiteren Informationsbedarf haben. Interessant sind daher in diesem Zusammenhang Erfahrungen mit dem Einbezug von Eltern und deren Sprachwissen in die Un‐ terrichtsarbeit (siehe Young/Hélot 2006, 2008; Perregaux 2009), wodurch sich eine weitere unterrichtliche Dynamik ergeben kann. Ein knappes Resümee soll die Darstellung des Begegnungssprachenansatzes Eveil aux langues, dem nach Maurer der Löwenanteil unter den Pluralen An‐ sätzen zukomme (vgl. Maurer 2015, 163), abschließen. 3 Zusammenfassung und Ausblick

Die drei in diesem Kapitel vorgestellten Begegnungssprachenkonzepte – Lerne die Sprache des Nachbarn, Begegnung mit Sprachen und Eveil aux langues – sind alle in einer Zeit entstanden, als sich die Fixierung auf die Nationalsprache und damit auf die im Grundschulunterricht vermittelte Schulsprache durch migra‐ tionsbedingte Sprachenvielfalt in der Gesellschaft, in der Familie, in der Schule abschwächte und der monolinguale Habitus der multilingualen Schule (Gogolin 1994) entlarvt wurde. Das Moment der Begegnung ist dabei in allen drei Konzepten ein zentrales gewesen: Bei Lerne die Sprache des Nachbarn bildet die Grenzsituation zu Frankreich die Voraussetzung für die personale Begegnung der Lerner miteinander wie auch für die Begegnung mit Sprache (d.h. den von den Kindern verwendeten Sprachen) in der konkreten Situation. Begegnung mit Sprachen rekurriert auf die lokale Sprachenvielfalt wie auch auf weitere Sprachen, darunter auch die spätere Fremdsprache Englisch. Be‐ gegnung bedeutet in diesem Konzept das Erfahren unterschiedlichster Sprachen durch eklektische unterrichtliche Vermittlung, das Zusammentreffen mit deren

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Eine Fundgrube für sprachenübergreifendes und sprachenverbindendes Lernen bildet Graci / Rispail/Totozani 2017.

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Sprechern oder Sprecherinnen, das Erleben deren Funktionsweisen und das Er‐ proben ausgewählter Sprachmittel. Bei Eveil aux langues liegt die Begegnung ähnlich wie beim vorher genannten Konzept im Kontakt mit Sprachzeugnissen verschiedener Sprachen im Rahmen des Unterrichts. Bei allen drei Konzepten ist neben sprachbezogenen Zielsetzungen vor allem eine erzieherische Komponente erkennbar. Unter Rückbezug auf die vorhan‐ dene Mehrsprachigkeit wird diese als Anlass genommen, über den Lerngegen‐ stand Sprache Kinder zu Offenheit, Neugier und Toleranz zu führen. Die Verknüpfung mit dem ‚echten‘ Fremdsprachenlernen ist am geringsten bei Begegnung mit Sprachen ausgeprägt. Lerne die Sprache des Nachbarn war der Erwerb mündlicher, fremdsprachlicher Kompetenzen, aber vor allem deren Er‐ probung in situ ein zentrales Anliegen. Aufgrund des Mehrsprachigkeitsan‐ satzes spielt die kommunikative Komponente bei Eveil aux langues keine Rolle; bei Begegnung mit Sprachen ist sie allenfalls ein Nebenaspekt, sollte sich ein Teil des Unterrichts Englisch gewidmet haben. Ein weiterer Aspekt ist die Anbindung an das weiterführende Fremdspra‐ chenlernen. Diese ist bei Lerne die Sprache des Nachbarn nicht intendiert. Der Begegnung mit dem Französischen bzw. dem Deutschen kommt bar jeden Rechtfertigungsdrucks die Rolle eines Angebots sui generis zu. Die beiden an‐ deren Konzeptionen, Begegnung mit Sprachen und Eveil aux langues, verfolgen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, einen sprachlernpropädeutischen Ansatz. Sie arbeiten daher auf indirekte Weise (siehe Candelier 2003b, 24) dem später einsetzenden (oder gglfs. parallel erteilten) Fremdsprachenunterricht zu (siehe hierzu Mertens 2000b, 2001b). Ein Punkt, bei dem sich die drei Ansätze deutlich unterscheiden, ist die Po‐ sitionierung zur Mutter-/Umgebungs-/Schulsprache. Bei Lerne die Sprache des Nachbarn ist diese für die Lerner nicht Gegenstand des unterrichtlichen Inter‐ esses. Sie ist spontan eingesetztes Mittel zur Kommunikation mit den Lehr‐ kräften, mit den eigenen Schulkameraden, aber auch als Strategie zur Kommu‐ nikation mit den französischen Partnerkindern. Es ist jedoch nicht Teil der Zielsetzungen, die Lehr- und Lernprozesse so zu gestalten, dass die Mutter-/ Umgebungs-/Schulsprache davon in der Folge profitiert. Dieser Aspekt steht hingegen bei Begegnung mit Sprachen und vor allem Eveil aux langues im Vor‐ dergrund. Der Weg über die Mehrsprachigkeit zielt vor allem auf positive Wir‐ kungen für den sog. muttersprachlichen Unterricht, insbesondere im Hinblick auf die Integration und schulische Förderung von Kindern aus anderssprachigen Familienkontexten.

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Alle drei Konzepte haben zum Ziel, die Spracherfahrungen der Schüler und Schülerinnen zu erweitern. Begegnung mit Sprachen und Eveil aux langues gehen gegenüber Lerne die Sprache des Nachbarn einen Schritt weiter und binden Kinder mit weiteren Mutter-, Familien-, Zweitsprachen in besonderer Weise mit ein, indem sie deren mitgebrachtem Wissen und Kompetenzrepertoire Wert und Anerkennung zugestehen und in der Konsequenz sie selbst als Person aner‐ kennen. Schulisches Lernen stellt sich somit ein wenig der zunehmend spür‐ baren Ökonomisierung des Bildungswesens entgegen und besinnt sich ihres gemeinschaftsstiftenden, letztlich politischen Auftrags: des steten Bemühens um die Gestaltung und den Erhalt der ‚polis‘. Mit Blick auf Eveil aux langues sei abschließend mit den Worten von Kervran zusammengefasst, was genauso gut auch für Begegnung mit Sprachen oder Lerne die Sprache des Nachbarn gelten könnte: [L]’Eveil aux langues exprime une reconnaissance par l’école de tous les élèves, ba‐ nalise les situations de diglossie et développe la curiosité des enfants pour les langues (Kervran 2010, 111).

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Rezeptive Interkomprehension Entwicklung und Perspektiven

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Christian Ollivier / Margareta Strasser

1 Zur Geschichte eines Begriffs

Die Bezeichnung Interkomprehension geht auf den französischen Linguisten Jules Ronjat (1913) zurück, der in seinem Werk „Essai de syntaxe des parlers provençaux modernes“ damit eine Kommunikationsform bezeichnet, die es Spre‐ cher/inne/n verschiedener Varietäten erlaubt, sich gegenseitig zu verständigen. Diese Form der Verständigung zwischen Sprecher/inne/n naher Sprachen bzw. Varietäten hat in vielen Regionen der Welt eine lange Tradition, die sich im europäischen Raum von der Antike bis zum Beginn der frühen Neuzeit ver‐ folgen lässt. Bis in die frühe Neuzeit beruhte die Verständigung vor allem auf (gesprochenen) Varietäten. Die Kommunikationspartner/innen mussten daher in der Interaktion in hohem Maße flexibel auf verschiedene sprachliche Varie‐ täten reagieren – dies galt insbesondere für Personen, die berufsbedingt in in‐ tensivem Austausch mit anderen (Handels-)Partner/inne/n standen. Durch die Herausbildung von Nationalsprachen wurde diese Form der Kommunikation weitgehend zurückgedrängt. Sie lässt sich aber noch in vielen Grenzregionen bzw. zwischen Sprachen/Varietäten beobachten, die ein hohes Maß an Inter‐ komprehensibilität aufweisen, z.B. im arabisch-, türkisch- und chinesischspra‐ chigen Raum. In Europa ist die Interkomprehension im skandinavischen Raum – dort auch als Semikommunikation (Haugen 1966; Braunmüller / Zeevaert 2001; Braunmüller 2002) bezeichnet – gelebte Praxis (Braunmüller 2013, 215sq.; Klein 2004, 15; Meißner 2016). Die gegenseitige Verständlichkeit von Sprachen/Varietäten geht in der Regel auf eine gemeinsame historische Entwicklung zurück, die dazu geführt hat, dass genetisch verwandte Sprachen Gemeinsamkeiten auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems aufweisen. Diese Gemeinsamkeiten können unterschiedlich aus‐ geprägt sein: Während insbesondere die slawischen Sprachen als besonders in‐

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Christian Ollivier / Margareta Strasser

terkomprehensibel gelten, bestehen zum Beispiel innerhalb der germanischen Sprachgruppe große Unterschiede zwischen den skandinavischen (Dänisch, Norwegisch, Schwedisch) und den südlichen germanischen Sprachen, was die spontane Interkomprehension (Ollivier / Strasser 2013, 39) erschwert (Dahmen 2006; Möller 2007, 27sq.). Die Verständlichkeit kann auch asymmetrisch ausge‐ prägt sein. So ist das gesprochene Schwedisch z.B. für Dänischsprachige leichter verständlich als umgekehrt, was vor allem auf phonetische Eigenschaften des Schwedischen zurückzuführen sein dürfte (Gooskens 2007, 463). Das Englische wiederum weist gerade im Bereich der Lexik, historisch bedingt, viele Gemein‐ samkeiten mit dem romanischen Wortschatz auf, weswegen das Englische auch als Einstieg bzw. als sogenannte Brückensprache oder Transferbasis für die ro‐ manische Interkomprehension genutzt werden kann (Hemming et al. 2011; Klein / Reissner 2006). Gleichwohl ist die systematische Auseinandersetzung mit der Interkompre‐ hension vergleichsweise jung: Die Praxis der Interkomprehension im skandi‐ navischen Raum diente ab den 1990er Jahren als Vorbild für die Entwicklung erster didaktischer Ansätze, die die strukturelle Ähnlichkeit und Verständlich‐ keit zwischen nahen bzw. genetisch verwandten Sprachen systematisch nutzen, um das Leseverstehen in diesen Sprachen zu fördern. Als Pilotprojekte für die germanischen Sprachen seien hier die Hagener interkulturellen Lesekurse, IGLO und Lernen für Europa genannt sowie die Projekte Intercommunicabilité ro‐ mane, EuRom4, Galatea und EuroComRom für die romanischen Sprachen (Klein 2002, 35sqq.; Ollivier / Strasser 2013, 14sqq.; Schmitt Jensen 1997; Tost Planet 2005). Die Ursachen für diese Bemühungen um die Entwicklung einer spezifischen Didaktik der Interkomprehension sind in einer Reihe von Entwicklungen in der Fremdsprachendidaktik und der europäischen Sprachenpolitik zu suchen. Zum einen fand das Konzept einer komplexen mehrsprachigen Kompetenz, wie sie von Coste et al. in ihrem Werk Compétence plurilingue et pluriculturelle (1997)1 beschrieben wurde, zunehmend Verbreitung. Im Gemeinsamen europä‐ ischen Referenzrahmen für Sprachen (2001) wird schließlich eine plurilinguale und plurikulturelle Kompetenz als Ziel des Sprachunterrichts übernommen. Damit einher ging die Abkehr von vielfach unrealistischen Ansätzen zum Spra‐ chenlernen mit dem Ziel einer muttersprachlichen Kompetenz, in denen alle Fertigkeiten gleichermaßen ausgebildet werden sollen. Den Bedürfnissen der 1

An dieser Stelle sei auch auf andere Modelle verwiesen, mit denen übergreifende Kom‐ petenzen bei Mehrsprachigen beschrieben werden, z.B. Cummins’ (1991) Konzept einer common underlying proficiency oder Herdinas /Jessners (2002) dynamisches Modell der mehrsprachigen Kompetenz.

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Rezeptive Interkomprehension

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Lernenden komme es häufig auch mehr entgegen, auf den Erwerb partieller Kompetenzen – insbesondere rezeptiver Kompetenzen – zu setzen, so die Er‐ gebnisse eines 1997 durchgeführten Expert/inn/enseminars der Europäischen Union (Slodzian / Souillot 2002). Zum anderen hat die Förderung einer mehrsprachigen Praxis auch eine po‐ litische Dimension: Jeder Bürger/Jede Bürgerin solle, so das Ziel der EU-Spra‐ chenpolitik, zusätzlich zur Erstsprache zwei weitere Sprachen lernen. Diese Forderung wurde bereits 1995 im Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bil‐ dung formuliert und in weiteren Dokumenten wie der Neuen Rahmenstrategie zur Mehrsprachigkeit (Europäisches Parlament 2006) oder im Dokument Mehr‐ sprachigkeit, Trumpfkarte Europas (Europäisches Parlament 2009) bekräftigt. Stand im Weißbuch noch die Förderung der Gemeinschaftssprachen im Vor‐ dergrund, so gelten spätestens seit 2006 alle Sprachen (Gemeinschaftssprachen, regionale und Minderheitensprachen, Migrant/inn/ensprachen) als gleichbe‐ rechtigt. Diese Strategie wurde vor kurzem noch erweitert: Kompetenzen in zwei Sprachen würden nicht ausreichen: „[c]ommunicative abilities in two mo‐ dern languages in the four core competencies must be expanded to ‚plus recep‐ tive competencies in further languages’”(Meißner 2005, 127). 2 Interne und externe Abgrenzungen

Die Bezeichnung Interkomprehension wurde bzw. wird in der Literatur keines‐ wegs einheitlich verwendet, sondern steht wahlweise für eine Kompetenz, eine spezifische Didaktik oder eine spezifische Praxis. Am häufigsten ist dabei eine praxeologische Auffassung von Interkomprehension (Ollivier/Strasser 2013, 29sqq.). Aber auch hier lassen sich Unterschiede in der Auffassung ausmachen: Ver‐ mutlich aus der Tradition der ersten Interkomprehensionsprojekte resultierend, wird Interkomprehension im deutschsprachigen Raum häufig ausschließlich mit der Rezeption – insbesondere mit dem Leseverstehen – in Verbindung gebracht (Bär 2009, 24; Berthele / Vanhove 2014, 32; Marx 2011, 468; Meißner 2016, 234; Mörkötter 2010, 237sq.; Vetter 2012, 348; Zeevaert / Möller 2011, 147). Die Produktion/Interaktion wird in der Interkomprehensionsdidaktik aber keinesfalls ausgeschlossen. Vielmehr wird in der Fachliteratur Interkompre‐ hension überwiegend als spezifische Form der mehrsprachigen Kommunikation gesehen (Ollivier / Strasser 2013, 29sqq.). Stellvertretend dafür sei hier die De‐ finition von Peter Doyé (2005a, 7) aus der Referenzstudie für den Europarat angeführt: „a form of communication in which each person uses his/her own

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Christian Ollivier / Margareta Strasser

language and understands that of the other(s).” Diese Definition umfasse, so Doyé weiter, sowohl mündliche als auch schriftliche Kommunikation. Da – je nach sprachlicher Aktivität – unterschiedliche Kompetenzen aktiviert werden, ist es allerdings sinnvoll, zwischen Rezeption und Interaktion bzw. Produktion zu unterscheiden. Mit rezeptiver Interkomprehension bezeichnen wir im Folgenden Rezeption (Lese- oder Hörverstehen) in fremden Sprachen, wenn diese hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) unter Verwendung von interlingualem Wissenstransfer stattfindet. Vorkenntnisse in diversen Sprachen meistens der gleichen Sprachfamilie werden genutzt, um andere Sprachen zu verstehen (Ollivier/Strasser 2013, 43sq.).

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Unter interaktionaler Interkomprehension verstehen wir eine Kommunikationsform, bei der sich mindestens zwei Kommunikationspartner/ innen unter Verwendung unterschiedlicher Produktionssprachen verständigen. Jede/ Jeder spricht/schreibt in einer Sprache, die er/sie in ausreichendem Ausmaß be‐ herrscht, und versteht den/die Kommunikationspartner/in, der/die sich in einer an‐ deren Sprache (oft innerhalb einer Sprachgruppe) ausdrückt (Ollivier/Strasser 2013, 44).

Synonym zur Bezeichnung Interkomprehension wird in der Literatur häufig re‐ zeptive Mehrsprachigkeit verwendet. Rezeptive Mehrsprachigkeit wird definiert als mode of multilingual communication in which interactants employ a language and/or a language variety different from their partner’s and still understand each other without the help of any additional lingua franca. Their mutual understanding is es‐ tablished while both recipients use their ‚passive’ knowledge of the language and/or variety of their interlocutor(s) (Rehbein et al. 2011, 248).

Weitere häufig synonym bzw. teilweise synonym verwendete Bezeichnungen sind Semikommunikation oder Lingua Receptiva. Der Ausdruck Semikommuni‐ kation geht auf Haugen (1966, 153) zurück, der damit die Praxis der mündlichen Interaktion zwischen den skandinavischen Sprachen bezeichnete. Er wird häufig für die mündliche interaktionale Interkomprehension zwischen nah ver‐ wandten Sprachen verwendet, bei der die Sprecher/innen ihre Erstsprachen verwenden (Zeevaert 2007, 205sq.). Die Bezeichnung Lingua Receptiva (LaRa) wiederum betont die rezeptive Komponente in der Interaktion. Diese Form der mündlichen interaktionalen Interkomprehension ist nicht auf die Erstsprachen der Sprecher/innen und nicht auf nah verwandte Sprachen/Varietäten be‐ schränkt (Ten Thije 2013, 137sq.).

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Rezeptive Interkomprehension

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3 Erste Ansätze und Umsetzung in verschiedenen Projekten

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3.1 Interkomprehension als Pluraler Ansatz

Mit der Entwicklung nationaler und europäischer Projekte, die auf das gleich‐ zeitige rezeptive Lernen mehrerer genetisch verwandter Sprachen abzielen, geht der Begriff Interkomprehension in den Bereich der Sprachendidaktik über. Da diese Projekte vorwiegend auf den Erwerb einer mehrsprachigen Lesekompe‐ tenz abzielen, wird Interkomprehension mit (schriftlicher) Rezeption und mit entsprechenden didaktischen Grundprinzipien assoziiert. Infolgedessen wird die Bezeichnung Interkomprehension immer wieder für einen didaktischen An‐ satz verwendet (Jamet / Spita 2010; Ollivier 2010). Interkomprehension wird zum Beispiel im Carap/REPA (Candelier et al. 2007, 2009, 2012) neben dem interkul‐ turellen Lernen, der Sensibilisierung für sprachliche und kulturelle Diversität (Eveil aux langues) und der integrierten Fremdsprachendidaktik als Pluraler Ansatz zu Sprachen und Kulturen aufgelistet. Als solcher hat die Interkompre‐ hensionsdidaktik die Entwicklung einer mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz (compétence plurilingue et pluriculturelle) (Coste et al. 1997, 2009) zum Ziel. Sie zählt außerdem zu den „sprachenübergreifende[n] Lehr- und Lernverfahren, die mehrere Sprachen bzw. sprachliche Varietäten und/oder Kulturen sowie einen übergreifenden Kompetenzbegriff einbeziehen“ (Cande‐ lier et al. 2009, 5). In den Hagener interkulturellen Lesekursen (1995-1998) ging es zum Beispiel darum, Studierende der Sozialwissenschaften in das Lesen fach‐ wissenschaftlicher Texte in mehreren germanischen Sprachen einzuführen. Im Bereich der romanischen Sprachen war das Projekt Intercommunicabilité romane (1992) darauf gerichtet, auf der Basis von Kenntnissen in der französischen Sprache den Erwerb rezeptiver Kompetenzen in anderen romanischen Sprachen zu ermöglichen (Klein 2002, 35sqq.; Schmitt Jensen 1997). 3.2 Frühe Ansätze

Der Gedanke, linguistische Nähe und Kenntnisse in einer Sprache nutzbar zu machen, um weitere Sprachen aus derselben Sprachgruppe zu lernen, ist nicht mit der Interkomprehensionsdidaktik entstanden. Meißner (2012) sieht in mehr‐ sprachigen Glossaren sowie in Grammatikbüchern aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, die zum Teil dem Erlernen von Sprachen gewidmet waren, frühe interkomprehensive Ansätze. Er erwähnt unter anderem das Mitte des 16. Jahr‐ hunderts erschienene Buch von Meurier (1558) mit dem vielsagenden Titel: Coniugaisons, regles et instructions mout propres et necessairement requises pour ceux qui desirent apprendre François, Italien, Espagnol & Flamand, dont la plus part est mise par manière d’interrogations responses. Anfang des 20. Jahrhunderts

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schlug von Glauning (1903) für den Englischunterricht vor: „Wenn der Schüler einen verhältnismäßig reichen Wortschatz in der deutschen, lateinischen und fran‐ zösischen Sprache erlangt hat, wird ihm dies unschätzbare Dienste für die Auffas‐ sung vieler englischer Wortformen leisten“ (Glauning, 1903, zitiert nach Rhein‐ felder 1926, 6). Der Salzburger Linguist Wandruszka sprach sich in den 1980er Jahren für die Einführung eines fächerübergreifenden Schwerpunktprogramms Europäische Sprach- und Kulturgemeinschaft in den höheren Schulen aus. Es sollte unter an‐ derem das Bewusstsein für die „griechisch-lateinischen Grundlagen“ der euro‐ päischen Sprachen und Kulturen gestärkt werden. Der Erwerb neuer Sprachen sollte auf dieser Grundlage sowie auf den Kenntnissen in bereits bekannten Sprachen (Deutsch, Englisch und Französisch) aufbauen. Wandruszka (1981) erkannte außerdem die Möglichkeit, romanische Sprachen zu verstehen, wenn man bereits eine gelernt hat. Diese Ansätze richten sich – wie die ersten Inter‐ komprehensionsprojekte – an ein akademisches Zielpublikum und sind lingu‐ istisch orientiert. 4 Grundprinzipien der rezeptiven Interkomprehensionsdidaktik

Eine spezifische Interkomprehensionsdidaktik entstand im Rahmen zahlreicher Projekte, in denen Materialien zum Erwerb einer mehrsprachigen Lesekompe‐ tenz und damit explizit oder implizit didaktische „Methoden“ entwickelt wurden. Das im Rahmen der EuroCom-Projekte entstandene Buch Die Sieben Siebe 2 (Klein / Stegmann 2000) ist einer der ersten systematischen Ansätze einer spezifischen Interkomprehensionsdidaktik. Diese stellt nach Ansicht der Autor/ inn/en einen leichten Zugang zum Sprachenlernen dar, da Vorkenntnisse akti‐ viert werden: das, was Lernende „schon wissen – allerdings nicht wußten, daß sie es wissen“ (Klein / Stegmann 2000, 12). Dadurch werden psychologische Barrieren zum Sprachenlernen gesenkt. Die aktivierten Vorkenntnisse sind in erster Linie linguistischer Natur. Die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Sprachen werden systematisch genutzt, um rezeptive Kompetenzen in einer

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Die EuroCom-Methode fördert die Nutzung des internationalen und des panromani‐ schen Wortschatzes sowie der syntaktischen und morphosyntaktischen Nähe zwischen den verschiedenen Sprachen. Sie unterstützt das Erkennen von Lautentsprechungen und das Lernen „eine[r] kleine[n], überschaubare[n] Zahl lateinischer und griechischer Prä- und Suffixe" sowie der für jede Sprache typischen „orthographischen“ Lösungen, die „das Erkennen von Wort- und Sinnverwandtschaft“ behindern können (Klein/Steg‐ mann 2000, 15).

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Rezeptive Interkomprehension

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oder mehreren verwandten Sprachen aufzubauen. Eine sogenannte Brücken‐ sprache dient dabei als Transferbasis. In den EuRom-Projekten wurden ebenfalls didaktische Grundprinzipien de‐ finiert und spezifische Strategien in den Vordergrund gestellt (Bonvino et al. 2011, 74sqq.). Das Recht zur Ungenauigkeit und zur Unvollständigkeit („droit à l’approximation“) ist das erste Grundprinzip beim globalen Lesen. Dabei wird der Text nach der Methode des lauten Denkens (think aloud) zuerst global in die L1 übertragen („transposition du texte en L1“). Eine gelesene Version kann he‐ rangezogen werden: Der gelesene Text soll unter anderem die Erkennung der syntaktischen Einheiten und symmetrischer Elemente (z.B. einerseits ..., ande‐ rerseits ...), aber auch das reine Entziffern und die durch opake graphische Formen schwierige Erkennung von Ähnlichkeiten erleichtern. Erwähnt werden soll auch das für die EuRom-Methode typische „mot fantôme“ (Bonvino et al. 2011, 76). Dies sind Wörter, die beim ersten globalen Lesen nicht verstanden werden konnten. Es wird empfohlen, diese Wörter in der L1-Version durch „leere“ Wörter zu ersetzen wie „machin/machiner“ (etwa Dingsbums und tun). Der Sinn des Wortes soll dann aus dem Ko(n)text erschlossen werden. Die EuRom-Methode legt auch Wert auf die Identifizierung der Satzstruktur und die Wortsegmentierung. Dieser interlinguistische Ansatz führt dazu, dass immer wieder die Rede von Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen (siehe z.B. Janin 2006) und nicht zwischen Sprecher/inne/n verwandter Sprachen ist. Definitionen von In‐ terkomprehension, die die Sprache in den Vordergrund stellen, zeugen ebenfalls von dieser Tendenz: „Ce qu’on appelle généralement intercompréhension est la situation dans laquelle des locuteurs peuvent comprendre la langue des autres, sans que ce soit pour autant la leur“ (Blanche-Benveniste 2001, 455). Zwar erweist sich die sprachliche Dimension für die rezeptive Interkompre‐ hension in der Regel nur dann als möglich, wenn ein gewisser Grad an linguis‐ tischer Nähe besteht (Castagne 2004; Doyé 2007; Meißner 2011b, 39). Dennoch wurde die daraus resultierende Fokussierung auf sprachliche Strategien (haupt‐ sächlich Transfer und Inferieren) immer wieder kritisiert. So betont z.B. Peter Doyé (2005b, 4sqq.) die Relevanz der Aktivierung nichtsprachlicher Wissens‐ bestände (allgemeinen, kulturellen und situativen Wissens sowie von Verhal‐ tenswissen (nonverbalem Wissen)). Byram (2010) wiederum weist auf die Rolle der interkulturellen Komponente in der Interkomprehension hin, die in bishe‐ rigen Ansätzen lediglich sehr vage ausgeführt worden sei. Projekte, die sich mit Interkomprehension über die Sprachgruppen hinweg befassen, haben in dieser Richtung neue Perspektiven eröffnet: So stellt das Projekt European Awareness and Intercomprehension „extra-linguistic interpre‐

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tative strategies that underlie all human communicative activity“ (Projekt EU&I / Capucho et al. 2007) in den Mittelpunkt. Aktivitäten, die über die sprach‐ liche Nähe hinausgehen, können für den Aufbau einer übergreifenden mehr‐ sprachigen Rezeptionskompetenz besonders nachhaltig wirken, da sie insbe‐ sondere zum Ausbau der Lernfähigkeit (Savoir-apprendre) beitragen (Meißner 2011a, 276sq.). Wie wir gezeigt haben (Greil et al. 2011; Ollivier 2012) widerspiegeln sich diese Orientierungen in den Lernaufgaben. EuRom4 und EuRom5 sowie Eu‐ roCom Online bieten vorwiegend Aufgaben, die laut GERS als „kommunikative didaktische Übungen“ zu bezeichnen sind. Sie stehen „nur in indirektem Zu‐ sammenhang mit realen Aufgaben und Lernendenbedürfnissen und zielen auf die Entwicklung einer kommunikativen Kompetenz auf der Basis von An‐ nahmen und Kenntnissen über Lernprozesse im Allgemeinen und Spracherwerb im Besonderen“ (Europarat 2001, 153). Texte werden nicht um deren Inhalte willen angeboten, sondern um Lesefertigkeiten zu entwickeln. Auch wenn an‐ dere Strategien erwähnt werden, liegt der Schwerpunkt auf dem interlingualen Transfer und dem Erwerb einer entsprechenden Kompetenz. Weniger verbreitet sind „realitätsbezogene[n] ‚Ziel-‘ oder ‚Probeaufgaben‘“. Diese rücken die soziale Dimension und Bedeutung des Lesens stärker in den Vordergrund (Europarat 2001, 153). Sie entsprechen Aufgaben, die im Leben (außerhalb der Lehr-/Lernsituation) zu bewältigen sind. So werden z.B. im Pro‐ jekt European Awareness and Intercomprehension die Lernenden vor die Aufgabe gestellt, ein Hotelzimmer mittels eines Online-Formulars, das in elf Sprachen verfügbar ist, zu reservieren.3 Ein anderes Beispiel stellt das Projekt Intercom 4 dar, das sich in fünf Hauptaufgaben gliedert: Kleidung einkaufen, ein typisches Landesgericht zubereiten, eine Unterkunft finden, eine Reise vorbereiten, den richtigen Weg finden. 5 Rezeptive Interkomprehensionskompetenz

Früh sprachen sich Interkomprehensionsspezialist/inn/en für eine theoretische und wissenschaftlich belegte Fundierung der didaktischen Ansätze und deren Umsetzung aus (Doyé 2006; Pencheva / Shopov 2003). Diese Forderung nach einer theoretischen Fundierung für die rezeptive bzw. interaktionale Interkom‐ prehension wurde erst in den letzten Jahren wieder systematisch aufgegriffen – zugleich mit der Forderung nach einer Entwicklung eines differenzierten

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http://www.eu-intercomprehension.eu/activities.html (09.06.2017). http://www.intercomprehension.eu/ (09.06.2017).

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Kompetenzmodells mit Deskriptoren für die einzelnen Niveaus – und nicht zu‐ letzt auch nach einem Zertifizierungs- und Evaluationsverfahren (siehe z.B. Jamet 2016, 19). Dies würde auch die Entwicklung von didaktischen Ansätzen und differenzierten Kursmodellen für die Interkomprehension ermöglichen. Im Bereich der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz haben die Autor/inn/en des REPA/Carap grundlegende Vorarbeit geleistet und eine Reihe von Kompetenzen definiert. Für die der Interkomprehension wurden im Rahmen des Projekts Miriadi Deskriptoren für drei Niveaus entwickelt: sensi‐ bilisation, entraînement, perfectionnement (Projet Miriadi o. J.). Diese Arbeit, die die Miriadi-Autor/inn/en als nicht abgeschlossen und „véritable laboratoire en évolution continue“ (Projet Miriadi o. J.) verstehen, wurde von den Autor/inn/en dieses Beitrags in Form einer empirischen Analyse von Dimensi‐ onen der Interkomprehensionskompetenz weitergeführt (Ollivier/Strasser 2016). Diese erste Analyse ergab, dass die große Mehrheit der Spezialist/inn/en die interlinguistische Dimension als wichtigste Basis der rezeptiven Interkom‐ prehension betrachtet. Mit deutlichem Abstand folgen die kognitive Kompetenz, persönlichkeitsbezogene Einstellungen (Savoir-être) sowie die interkulturelle und die diskursive Kompetenz (Ollivier / Strasser 2016). Im Rahmen des Projekts EVAL-IC 5 wird diese Arbeit fortgeführt. Auf Basis grundlegender Fachliteratur und bestehender Kompetenzmodelle für die plurilinguale Kommunikation werden ein spezifisches Kompetenzmodell mit sechs Niveaustufen und ein Eva‐ luierungsmodell für die Interkomprehension erarbeitet. 6 Offene Fragen und Perspektiven

In diesem letzten Teil widmen wir uns offenen Fragen im Bereich der rezeptiven Interkomprehension und weisen auf ausgewählte Perspektiven und Handlungs‐ richtungen sowohl für die grundlegende Interkomprehensionsforschung als auch für die Didaktik hin. Die Frage der Entwicklung der didaktischen Modelle erscheint uns immer noch aktuell, vor allem die Integration der stark linguistisch geprägten Modelle in mehr kommunikative bzw. handlungsorientierte Ansätze, ebenso die Verbin‐ dung der verschiedenen sprachlichen Aktivitäten. Die linguistische bzw. inter‐ linguistische Orientierung lässt sich leicht erklären, da diese linguistische Nähe zwischen den Sprachen bereits von Ronjat (1913) und von den Didaktiker/innen als Grundlage der Interkomprehension verstanden wird. Es erschiene uns aber interessant, Interkomprehension als eine mehrsprachige Modalität der allge‐

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http://www.evalic.eu (09.06.2017).

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meinen Kommunikationskompetenz zu betrachten und eine globale interkom‐ prehensive Kommunikationskompetenz zu entwickeln. Je nach Intentionen und Bedürfnissen der Sprachverwendenden können die entsprechenden sprachlichen Aktivitäten trainiert werden: Rezeptive Interkom‐ prehensionskompetenzen können insbesondere im mehrsprachigen akademi‐ schen Kontext von Interesse sein, wenn es beispielsweise darum geht, Texte eines Fachgebiets in verschiedenen Sprachen zu lesen bzw. zu hören. In anderen Situationen (z.B. wenn man sich an ein Publikum wendet, das die Zielsprache nicht beherrscht, oder in der mehrsprachigen Interaktion) stößt man aber schnell an Grenzen, wenn man „nur“ in der rezeptiven Interkomprehension ge‐ schult ist. Für eine nachhaltige Verankerung von Interkomprehension als gelebte Praxis scheint es uns daher von besonderer Bedeutung, ein integriertes Ausbildungs‐ modell zu erarbeiten, das sowohl die rezeptive Interkomprehension als auch die interaktionale Interkomprehension (siehe den Beitrag von Melo-Pfeiffer in diesem Band) umfasst und miteinander verbindet. Dabei kann die rezeptive In‐ terkomprehension – wie dies bereits häufig praktiziert wird – als Einstieg dienen. In weiterer Folge können spezifische Kompetenzen für die interaktio‐ nale Interkomprehension vermittelt werden (Bonvino et al. 2011, 66). Eine wei‐ tere Basis für die interaktionale Interkomprehension und eine globale inter‐ komprehensive Kommunikationskompetenz stellt die Interproduktion dar. So bezeichnen wir die sprachliche Produktion in einer Sprache, die potenziell von den Adressat/inn/en verstanden werden kann, weil sie z.B. mit einer der von den Adressat/inn/en gelernten Sprachen genetisch verwandt ist, wobei das Schreiben bzw. das Sprechen so gestaltet wird, dass das Verstehen erleichtert wird (Balboni 2007, 2009; Hédiard 2009; Ollivier 2017). Interproduktionskom‐ petenz wird zum Beispiel benötigt, wenn man einen Text auf Französisch für italienische Sprecher/innen verfasst oder vor einem aus Sprecher/inne/n ver‐ schiedener romanischen Sprachen bestehenenden Publikum einen Vortrag halten soll (für Strategien der Interproduktion / interaktionalen Interkompre‐ hension vgl. auch Strasser 2008). Ein integratives Modell, das rezeptive Inter‐ komprehension, Interproduktion und interaktionale Interkomprehension ver‐ bindet, würde somit vollständige Kommunikation auf interkomprehensiver Basis ermöglichen – Balboni (2007, 2009) benutzt dafür die Bezeichnung inter‐ communicazione. Lernende könnten in einer nicht produktiv beherrschten Sprache schriftliche und mündliche Diskurse verstehen, sie können in einer von ihnen beherrschten und von den Adressaten potenziell verständlichen Sprache Texte verfassen bzw. Vorträge halten und sie könnten sich mit Sprecher/inne/n der nicht produktiv gelernten Sprache unterhalten.

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Insbesondere für die rezeptive Interkomprehension würde das auch bedeuten, Prinzipien wie Handlungs- und Lernendenorientierung in den Vordergrund zu stellen, anstatt hauptsächlich die linguistischen und kognitiven Dimensionen zu betonen. Die Lernenden müssten auf Situationen vorbereitet werden, in denen Interkomprehension im Leben praktikabel und nützlich ist. Bei der re‐ zeptiven Interkomprehension würde es z.B. dazu führen, dass Texte nicht zum ausschließlichen Erlernen des interkomprehensiven Verstehens gelesen bzw. gehört werden, sondern um Lese- bzw. Hörintentionen zu befriedigen. Weiteren Forschungs- bzw. Entwicklungsbedarf sehen wir insbesondere im Bereich der mündlichen rezeptiven Interkomprehension. In den bisher entwi‐ ckelten Materialien ging es vor allem darum, die schriftliche Rezeption bzw. die schriftliche Interaktion zu trainieren. Die Entwicklung von Materialien für die mündliche rezeptive Interkomprehension bleibt auf wenige Projekte (u.a. Cinco, ICE, Intermar) beschränkt – wohl auch deswegen, weil die schriftliche Rezeption bzw. Interaktion als leichter gilt als die mündliche. Als Ausnahmen und Beispiele für Studien zur romanischen mündlichen In‐ terkomprehension seien hier einige Arbeiten von Jamet (2005, 2007, 2009, 2016), Cortés Velásquez (2015, 2016) und Murillo (Gauchola / Murillo 2011; Murillo 2007; Murillo Puyal 2011) genannt. Im Bereich der germanischen Sprachgruppe wurden Untersuchungen zur gegenseitigen Verständlichkeit/Interkomprehen‐ sibilität von Sprachen durchgeführt (Golubovi / Gooskens 2015; Gooskens 2007; Gooskens / van Heuven 2017; ten Thije / Zeevaert 2007; Zeevaert / Möller 2011). Hier bedarf es aber noch weiterer Forschungsarbeit. Schließlich möchten wir auf die bereits angesprochene Frage der Evaluierung der Interkomprehensionskompetenzen zurückkommen. Mit Ausnahme von Projekten, in denen Portfolios für die Interkomprehension angeboten werden (z.B. Intermar), hat sich vor dem Start des Projekts EVAL-IC noch kein interna‐ tionales Team dieser Frage angenommen. Da sich Evaluation auf einer fun‐ dierten Kenntnis der zu evaluierenden Kompetenzen stützen sollte, sehen wir ebenfalls eine Priorität in der wissenschaftlichen Beschreibung der spezifischen Interkomprehensionskompetenzen und der Entwicklung eines entsprechenden Kompetenzmodells. Dies könnte, glauben wir, zur Verankerung der Interkom‐ prehensionsdidaktik in den Lehrplänen beitragen.

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Christian Ollivier / Margareta Strasser

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Rezeptive Interkomprehension

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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Interaktionelle Merkmale, didaktische Nutzung und Kritiken im Rahmen der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen

Sílvia Melo-Pfeifer

1 Einleitung

Die Soziolinguistik und die Didaktik brachten zahlreiche Begriffe im Zusam‐ menhang mit der Funktionsweise von Kommunikationssituationen, in denen auf mehr als eine Sprache zurückgegriffen wird, hervor. Ohne sie in ihrer Gänze darzustellen und ohne den Versuch, eine Hierarchie zwischen ihnen zu bilden, lassen sich folgende Begriffe nennen: „polyglott dialog” (Posner 1991), „Lingua Receptiva“ (Thije 2014), „codemeshing“ (Canagarajah 2011), „crossing“ (Rampton 1995), „code-switching“ (Auer 1998), „polylanguaging“ (JØrgensen 2008), „translanguaging“ (García & Wei 2014), „translingual practices” (Cana‐ garajah 2013), „Interproduktion” (Capucho 2011) und „Interkomprehension“ (Capucho 2008; Doyé 2005). In Bezug auf Interaktionen, in denen auf Sprachen derselben Sprachfamilie zurückgegriffen wird, rückte in den vergangenen Jahren das Konzept der Interkomprehension in den Mittelpunkt – nicht zuletzt aufgrund verschiedener europäischer Projekte, in denen dieser Begriff ver‐ wendet wurde. Aus einer interaktionellen Perspektive bezeichnet Interkompre‐ hension die Kommunikation zwischen Individuen, die Sprachen derselben Sprachfamilie sprechen, bei der jeder seine Sprache spricht und die Sprache(n) seines Gegenübers versteht. Diese Art der Interaktion basiert auf dem Prinzip, dass die „interlinguale Transparenz“ das gegenseitige Verständnis zwischen den Gesprächspartnern ermöglicht, ohne dass sie auf eine gemeinsame Drittsprache ausweichen müssen. Damit diese Transparenz eine Interkomprehension er‐ möglicht, ist es erforderlich, dass sich die Individuen einerseits darum bemühen, das Gesagte zu verstehen und andererseits ihren eigenen Beitrag anzupassen.

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Sílvia Melo-Pfeifer

Zweiteres erfolgt durch die Wahl eines „Outputs“, das dem Individuum als po‐ tenziell verständlich erscheint sowie durch den Rückgriff auf semiotische Kom‐ ponenten, die das Verständnis vereinfachen können. Diese dialektischen Bemü‐ hungen zur Anpassung des eigenen Beitrags und der Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den Beitrag des Gegenübers – die grundlegend für die Ver‐ handlung und die Ko-Konstruktion sind –, werden auch als „Interproduktion“ (Capucho 2011) bezeichnet. Aus dieser interaktionellen Perspektive fördert die Interkomprehension somit eine authentischere Kommunikation, eine stärkere Symmetrie zwischen den Kompetenzen der Gesprächspartner (da jeder ein Experte in seiner eigenen Sprache ist) sowie eine ausgewogenere Aufteilung der Stimmanteile, der Bühne und der interaktionellen Rollen (ohne jedoch die Ungleichheiten zu beseitigen, die naturgemäß einer jeden Kommunikationssituation innewohnen). Anders gesagt: Die sprachliche Vielfalt und die pluralistischen Identitäten der Ge‐ sprächsteilnehmer werden nicht als Verständnishürden begriffen, die es (vor oder während der Kommunikation) zu neutralisieren oder künstlich auszu‐ räumen gilt, sondern vielmehr als „Zutaten“ für den Kontext, die der Kommu‐ nikationssituation ihre Form verleihen und zu ihrer Entwicklung beitragen. Im Verlauf dieses Beitrags soll eine Synthese der herausragendsten diskur‐ siven und thematischen Merkmale der mehrsprachigen Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen (RS) dargestellt werden. Dies erfolgt durch einen notwendigerweise verkürzten Überblick über die verfügbare Literatur zu diesem Thema. Wann immer erforderlich, werden illustrative Beispiele für diese Merkmale vorgestellt, um die diskursive Funktionsweise der Interkomprehen‐ sion in mehrsprachigen Chats – dem hier im Mittelpunkt stehenden interakti‐ onellen Objekt – hervorzuheben. 2 Grundlagen und interaktionelle Merkmale

Dieser Abschnitt veranschaulicht einige theoretische Grandlagen der Interkom‐ prehension, ausgehend von einem interaktionellen Blickwinkel1. Diese Grund‐ lagen sind naturgemäß miteinander verknüpft und tragen zu einem Verständnis der Interkomprehension aus einer soziokonstruktivistischen Perspektive bei, die den kontextualisierten, multimodalen und multiliteralen Charakter der mehr‐ sprachigen Interkomprehension unterstreicht (Melo-Pfeifer 2011a).

1

Für ein Verständnis der Interkomprehension aus einer rezeptiven Perspektive (im Schriftlichen und/oder im Mündlichen), siehe die Kapitel von Ollivier & Strasser in ebendiesem Werk.

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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2.1 Verhandlung und Ko-Konstruktion

Während der Interaktion – ganz gleich welches Format sie hat und welche Sprache(n) dort zum Einsatz kommt/kommen – greifen die Individuen auf fort‐ laufende Verhandlungs- und Ko-Konstruktionsprozesse zurück. Verhandlung wird hier als diskursive Aktivität zwischen zwei oder mehreren Gesprächsteil‐ nehmern verstanden, die versuchen, zwischen den verschiedenen Möglich‐ keiten eine gemeinsame „Verständnisplattform“ auszumachen, auf deren Bühne sich die Interaktion oder das interaktionelle Projekt entwickeln kann (Aushand‐ lung der Sprache, des Kommunikationsthemas, des nächsten Treffens etc.). Die Verhandlungsprozesse sind mit den Ko-Konstruktionsmaßnahmen (Ko-Kon‐ struktion des Sinns, der Form, der Kommunikation) verknüpft, und zwar inso‐ fern als sie von einer Artikulation von Wissen und Fähigkeiten sowie von Ein‐ stellungen und Motivationen der verschiedenen Gesprächsteilnehmer abhängen. Diese Verhandlungs- und Ko-Konstruktionsprozesse verdeutlichen den intersubjektiven und kollaborativen Charakter der Interkomprehension sowie ihre permanente Kontextualisierung und Rekontextualisierung. Dabei sind die verschiedenen Komponenten des Kommunikationskontextes dynamisch und werden im Verlauf der Interaktion immer wieder einer Umge‐ staltung unterzogen. Zwischen den verschiedenen Komponenten des Kontextes, die gemeinsam ausgehandelt werden, lassen sich die Kommunikationssprachen sowie der eigentliche Kommunikationsvertrag hervorheben. Diese sind keines‐ wegs starr und unveränderbar und die Gesprächsteilnehmer können sie auf ex‐ plizite oder implizite Weise immer wieder neu verhandeln. Im Falle der mehr‐ sprachigen Interaktionen in RS, können die Individuen zum Beispiel Sprachen einführen, die im Kommunikationsvertrag ursprünglich nicht vorgesehen waren (zum Beispiel germanische Sprachen) und es kann vorkommen, dass sie sich nicht strikt an das Modell „jeder spricht seine eigene(n) Sprache(n) und versteht die des anderen“ halten, indem sie Beiträge in der/den Sprache(n) des Gegenübers leisten, selbst wenn sie anerkennen, dass sie (ihres Erachtens) noch nicht über ausreichende Kompetenzen verfügen, um sie entsprechend des zuvor festgelegten Vertrags zu benutzen. Solcherlei „Brüche“ des Kommunikationsvertrags, insbesondere wenn die Gesprächsteilnehmer auf das Englische zurückgreifen, bilden den Ursprung der diskursiven Einstellungen und Verhaltensweisen des „language policing“ (Melo-Pfeifer 2014). Im Zusammenhang mit der Kommunikation in RS, wird „language policing” nach Blommaert et al. (2009) als jedwede sprachliche Ver‐ haltensweise zur Festlegung von sprachlichen Regeln oder Verhaltenskodizes bzw. zur Erinnerung an diese verstanden.

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Sílvia Melo-Pfeifer

Originalbeispiel2:

Deutsche Übersetzung:

[colombia] hier wird nicht deutsch gesprochen [CristinaV] oye oye, no más alemán , please¡¡¡¡¡ [AlejandroG] :-) [colombia] y tampoco inglés ;) [CristinaV] jajajjaja [romautos] Please? Isso também é ro‐ mano??? [CristinaV] vale, de acuerdo [AlejandroG] Bueno, vale, entoncers sólo románicas...

[colombia] hier wird nicht deutsch gesprochen [CristinaV] hey, hey, kein Deutsch mehr, bitte¡¡¡¡¡ [AlejandroG] :-) [colombia] und auch kein Englisch ;) [CristinaV] hahahaha [romautos] Bitte? Ist das auch roma‐ nisch??? [CristinaV] ok, einverstanden [AlejandroG] Gut, alles klar, dann nur romanische...

Dieses „policing“ erfolgt durch die Gesprächsteilnehmer selbst, um sicherzu‐ stellen, dass der Sprachvertrag eingehalten wird. Aufgrund seiner offensiven und einschüchternden Wirkung, geht „language policing“ in mehrsprachigen Chats in RS oftmals mit humorvollen Bemerkungen und anderen diskursiven Strategien einher, um das Gesicht des Gesprächsteilnehmers zu wahren, der gegen die Regeln verstoßen hat. Die Regel, das Englische zu vermeiden – die Sprache, die am häufigsten das gemeinsame mehrsprachige Repertoire der Spre‐ cher ausmacht – ist so explizit, dass ihre Nichteinhaltung oftmals zu einer dis‐ kursiven Erinnerung an die Interkomprehensionsregeln in RS führt. Es sei hin‐ zuzufügen, dass andere Vertragsbrüche in der Regel unbemerkt bleiben, wie beispielsweise die Bitte um die Einbeziehung von nicht vorgesehenen Sprachen oder Äußerungen eines Individuums in einer RS, die es kaum beherrscht. Diese Verhaltensweisen haben in der Regel kein „language policing“ zur Folge. Diese beiden Verletzungen des Kommunikationsvertrags („romanophone“ und rezeptive Klauseln) rufen eine unvorhergesehene und kreative Ad-hoc-Ver‐ handlung der sprachlichen Repertoires der Gesprächsteilnehmer aus. Dies er‐ folgt auf der Grundlage der Darstellung ihrer eigenen Kompetenzen sowie der Kompetenzen ihrer Gesprächspartner, der Kommunikationssituation und des Lernpotenzials. Wie in einer anderen Situation beobachtet (Bono & Melo-Pfeifer 2012), mobilisieren, teilen und ko-konstruieren die Individuen ihre mehrspra‐ chigen Repertoires, die sie gezielt und mit unterschiedlicher Absichten ein‐ setzen: um zu lernen, zur Äußerung von Humor, zur Identitätsbildung usw. Ein weiterer relevanter Aspekt dieser Interaktionen ist die Verhandlung und die Ko-Konstruktion der Sprachkenntnisse, entweder in Bezug auf die Form

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Alle Beispiele werden so dargestellt, wie sie im Original geschrieben wurden.

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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(wenn ein Gesprächsteilnehmer Zweifel zeigt in Bezug auf die Syntax oder die Orthografie der Sprache, die er gerade verwendet) oder in Bezug auf den Inhalt (insbesondere zur Einführung unbekannter lexikalischer Einheiten durch an‐ dere Gesprächsteilnehmer). In diesem letzten Fall – wenn ein unbekannter Be‐ griff in die Interaktion eingeführt wird – kommen unterschiedliche diskursive Strategien zur Lösung des Kommunikationsproblems zum Einsatz: Paraphrasen, Synonyme, Übersetzungen in andere Sprachen (die entweder Bestandteil des Kommunikationsvertrags sind oder nicht) und, im Fall von Interaktionen im Chat, die Kombination mit für diesen Kommunikationskanal typischen nonver‐ balen und paraverbalen Elementen (z. B. Smileys, Großbuchstaben). Da die In‐ teraktion im Chat mehrere Gesprächsteilnehmer umfassen kann, lassen sich oftmals eine Vielzahl von Interventionen zur Lösung sprachlicher Probleme sowie eine Überlagerung dieser Strategien durch die Gesprächsteilnehmer be‐ obachten, was in der Regel eine spontane Erstellung eines mehrsprachigen Ad-hoc-Wörterbuchs sowie ein potenzielles „just-in-time learning” zum Er‐ gebnis hat. Der Prozess zur Lösung dieser Probleme ähnelt den Strategien, die in anderen exolingualen Interaktionsformen zum Einsatz kommen und durch‐ läuft in der Regel prototypische diskursive Phasen (Araújo e Sá & Melo 2007), wenngleich nicht immer alle Phasen zu beobachten sind: 1) Auftauchen des Problems, 2) Signalisierung des Kommunikationsproblems, 3) Lösung des Prob‐ lems und 4) Kennzeichnung des Problems als gelöst. Folgendes Beispiel zeigt eine solche prototypische Struktur, in der Phase 4 (Kennzeichnung des Problems als gelöst) nicht zu beobachten ist: Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[CleliaDC] Basta parlare di cibo.. è quasi ora di merenda!!! ;-)

[CleliaDC] Lass uns aufhören von cibo (Essen) zu sprechen.. es ist fast Zeit für einen Snack!!! ;-) [SilviaM] Heißt cibo Essen?????? [CleliaDC] ja, Essen [Isadora] cibo heißt essen

[SilviaM] Cibo es comida?????? [CleliaDC] si,comida [Isadora] cibo è comer

Diese gemeinsame Lösung sprachlicher Probleme hat in Chats in RS das Poten‐ zial einer Erwerbssituation, sprich eines Kommunikationskontextes, in dem Spracherwerb möglich ist. In diesem Fall lässt sich schlussfolgern, dass der Aus‐ tausch mehrsprachiger Repertoires Situationen der Ko-Konstruktion des Sinns hervorruft und somit Möglichkeiten für kooperatives und mehrsprachiges Lernen schafft.

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Sílvia Melo-Pfeifer

Dank dieser permanenten Verhandlungs- und Ko-Konstruktionsprozesse, bildet Interkomprehension gleichzeitig einen Prozess und ein Produkt der mehr‐ sprachigen Interaktion (Melo 2006): Ein Prozess, da sie nicht von Verträgen und Bedingungen abhängt, die vor der Kommunikationssituation vereinbart wurden, sondern vielmehr von der sprachlichen, emotionalen und kognitiven Vermittlung durch alle Gesprächsteilnehmer; und ein interaktionelles Produkt, da sie das Er‐ gebnis der Dynamik der Zusammenarbeit zwischen den Individuen ist.

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2.2 Soziale Repräsentationen von Sprachen und Völkern

Da die mehrsprachige Interaktion von dem direkten Kontakt zwischen ver‐ schiedenen Sprachen und Gesprächsteilnehmern lebt, verwundert es nicht, dass diese im Verlauf der Interaktion in die Aufmerksamkeit der Individuen rücken, beobachtet und thematisiert werden, insbesondere wenn ein neuer Gesprächs‐ teilnehmer oder eine neue Sprache das Szenario unterbrechen. Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[Annalisa] ciao a tutti! [Annalisa] hallo zusammen! [SilviaM] Olá Annalisa! [SilviaM] Hallo Annalisa! [mokab] Olá Annalisa! De onde vens? [mokab] Hallo Annalisa! Wo kommst Du her? [Annalisa] de belgica! [Annalisa] aus Belgien! [Annalisa] y tu? [Annalisa] und Du? [SilviaM] Oh eu adora a Bélgica!!!!!! [SilviaM] Oh, ich liebe Belgien!!!!!! [SilviaM] Sou de Aveiro! [SilviaM] Ich bin aus Aveiro! [mokab] J'adore ce pays! On peut [mokab] Ich liebe dieses Land! Wir parler en français! können Französisch reden! [Annalisa] bien sur! [Annalisa] klar! [SilviaM] De que parte da Bélgica es? [SilviaM] Aus welchem Teil von Bel‐ gien kommst Du denn? [Annalisa] de flandre, c'est le nord [Annalisa] aus Flandern, das ist im Norden [SilviaM] Alors, tu parle le fla‐ [SilviaM] Dann sprichst Du also Flä‐ mand????? misch???? [Annalisa] oui [Annalisa] Ja [SilviaM] Escreve algo em Flamand.... [SilviaM] Schreib mal was auf Flä‐ misch... [mokab] ecrit un petit peu en fla‐ [mokab] schreib ein bisschen was auf mand! PLEASE!!! Flämisch! BITTE!!! Die Thematisierung der Sprachen und der Sprecher erfolgt, in der Regel, mittels einer sozialen Repräsentation der anwesenden Gesprächsteilnehmer. Im Rahmen dieses Beitrags wird soziale Repräsentation als Synonym für Image verstanden, und bezieht

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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sich auf kollektive und soziale Produkte, die im Verlauf des Diskurses sichtbar werden und durch die verschiedenen diskursiven Aktivitäten veränderbar und formbar sind. Sie verdeutlichen die Fähigkeit der Individuen, die sozialen Phänomene zu verallge‐ meinern und sie in kognitive Schemata umzuwandeln (Jodelet 1989; Moscovici 1981). In diesem Sinne werden die sozialen Repräsentationen der Sprachen und der Ge‐ sprächsteilnehmer im Rahmen mehrsprachiger Interaktionen mobilisiert und über‐ nehmen kognitive, kommunikative und emotionale Funktionen. Die während der Interaktion am häufigsten zum Einsatz kommenden Kate‐ gorien zur Bezugnahme auf die Sprachen und die Gesprächsteilnehmer werden in Tabelle 1 dargestellt (Melo 2006). Image

Kategorien

Beispiele

der Sprachen

Objekte der Aneignung / des Lernens

einfache Sprachen vs. schwierige Sprachen

emotionale Objekte

hässliche Sprachen vs. schöne Sprachen

Machtobjekte

Sprachen mit wirtschaft‐ lichem Wert vs. Sprachen ohne wirtschaftlichen Wert

Instrument zum Aufbau und zur unsere Sprache vs. die Spra‐ Bestätigung von individuellen chen von denen und kollektiven Identitäten Instrument zum Aufbau von Be‐ Sprachen mit kommunika‐ ziehungen zwischen Individuen/ tivem Wert vs. tote Spra‐ Gruppen chen der Gesprächs‐ teilnehmer

körperliche Eigenschaften

groß, blond, südländisch, nordisch

psychische und moralische Ei‐ genschaften

romantisch, distanziert

Kompetenten und Inkompe‐ tenzen

(un)organisiert, streng

sozioökonomische Eigen‐ schaften

reich, arm

sprachlich-kommunikatives Profil

gesprächig, gestikulieren

Tab. 1: Image der Sprachen und der Gesprächsteilnehmer (Melo 2006)

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Sílvia Melo-Pfeifer

Diese sozialen Repräsentationen werden während der Interaktion von den Ge‐ sprächsteilnehmern eingeführt, bewertet und ausgehandelt. Dies erfolgt anhand dynamischer Prozesse, die von einer sofortigen Annahme, über Hinterfragungs‐ prozesse bis hin zu einer Ablehnung (in selteneren Fällen) reichen. Folgendes Beispiel zeigt einen allgemeinen Konsens in Bezug auf die körperlichen Eigen‐ schaften von Italienisch- und Portugiesischsprechern sowie ihrer diskursiven Gestaltung auf der Grundlage des Konsens – trotz anfänglicher Auslassungs‐ punkte:

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Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[Isadora] Insomma, tornando ai tratti [Isadora] Also um auf die körperli‐ somatici, certo che siamo proprio di‐ chen Merkmale zurückzukommen versi da quelli dell'europa del nord! kann man schon sagen, dass wir an‐ ders sind als die aus Nordeuropa! [ElenaT] davvero ? che diversità ab‐ [ElenaT] echt? wo liegt der Unter‐ biamo ? schied? [Isadora] Li trovo tutti un pò più alti, [Isadora] Ich finde sie alle ein biss‐ e con la carnagione molto chiara...io chen größer, und ihre Hautfarbe ist sono scura!! sehr hell... ich bin dunkel!! [ElenaT] Io sono italiana ma sono bi‐ [ElenaT] Ich bin Italienerin, aber ich onda e misuro 1m e 73 bin blond und 1,73 m groß [EliP] elena e l'esezione [EliP] Elena ist eine Ausnahme [ElenaT] difficile categorizzare fisica‐ [ElenaT] schwierig die Nationalitäten mente le nazionalità körperlich zu kategorisieren [SilviaM] Si, eres una italiana germa‐ [SilviaM] ja, Du bist eine germanische nica.... Italienerin.... [Isadora] Accipicchia! [Isadora] Verdammt! [Isadora] Come sono i tuoi occhi? [Isadora] Wie sind Deine Augen? [ElenaT] muj teutonica ....valchiria! [ElenaT] sehr teutonisch ....Walküre! [SilviaM] Acho que é uma discussão [SilviaM] Ich glaube es ist sinnlos die histéril definir fisicamente as nacio‐ Nationalitäten körperlich zu be‐ nalidades.... schreiben.... [SilviaM] Nem saberia o que dizer dos [SilviaM] Ich wüsste nicht mal, was portugueses.... ich über die Portugiesen sagen sollte.... [romautos] qu'ils sont petits... [romautos] dass sie klein sind... bronzés... braungebrannt... [SilviaM] O que diriam sobre os por‐ [SilviaM] Was würdet Ihr über die tugueses????? Portugiesen sagen????? [SilviaM] Boa romautos!!!! E [SilviaM] Super, romautos!!!! Und mais????? was noch????? [EliP] je crois que chaqe nation ou [EliP] Ich glaube, dass jede Nation zone a des differents traits oder Region bestimmte Züge hat [romautos] les yeux noirs [romautos] schwarze Augen

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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[ElenaT] la cosa più importante è che [ElenaT] am wichtigsten ist, dass wir anche se diversi siamo tutti simpati‐ aus den romanissprachigen Ländern cissimi noi dei paesi latini ;-) zwar alle unterschiedlich sind, aber alle super sympathisch ;-) [romautos] ou chatain [romautos] oder braun [ElenaT] mais aussi blonds [ElenaT] aber auch blond [romautos] les cheveux noirs [romautos] schwarze Haare Diese Verhandlung des Images der Sprachen und der Gesprächsteilnehmer ist wesentlich für die Ko-Konstruktion der Interkomprehension sowie für den guten Verlauf der mehrsprachigen Kommunikation, nicht nur weil dadurch ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Wertegemeinschaft und Systeme zur Auslegung der gemeinsamen Welt geschaffen werden, sondern da zugleich ein Austausch der Erfahrungen mit mehrsprachigen und interkulturellen Kontakten gefördert wird. 2.3 Entwicklung der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenz

Die mehrsprachige und interkulturelle Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit zur Mobilisierung von Sprach- und Kulturkenntnissen, die der soziale Akteur im Verlauf seiner sprachlichen Biographie im Rahmen von authentischen Kommu‐ nikationssituationen erworben hat (Coste, Moore & Zarate 2009). Diese Kennt‐ nisse können nur einen Teilbereich verschiedener Sprachen betreffen und un‐ gleich sein (abhängig von den vorhergehenden Erfahrungen der Sprecher), was bedeutet, dass die Individuen beispielsweise rezeptive Fähigkeiten in verschie‐ denen Sprachen oder produktive Fähigkeiten in nur bestimmten Bereichen ent‐ wickeln und mobilisieren können. Blommaert (2010) bezeichnet diese Kennt‐ nisse als „bits of languages” (die hier auf „bits of cultures” ausgeweitet werden) bestehend aus „mobile resources”, die es den Individuen ermöglichen, in sprach‐ lich und kulturell komplexen Situationen zu agieren (oder zu ko-agieren). Laut Andrade & Araújo e Sá et al. (2003) setzt sich diese Kompetenz aus vier zusammenhängenden Dimensionen zusammen: i) die sozio-emotionale Dimen‐ sion, ii) die kognitive und verbale Dimension, iii) die sprachliche und kommu‐ nikative Dimension sowie iv) die Dimension des Interaktionsmanagements. In einer Studie, in der die Funktionsweise der Interkomprehension zwischen RS in Anbetracht dieser verschiedenen Dimensionen beleuchtet wurden, schlussfol‐ gerten Araújo e Sá, de Carlo & Melo-Pfeifer (2011), dass bei einer Teilnahme an mehrsprachigen Chats all diese Dimensionen mobilisiert werden und somit zur Entwicklung der mehrsprachigen Kompetenz der Teilnehmer beitragen, da der Chat die Möglichkeit bietet, „die Sprachen zu sprechen“ und „über die Sprachen zu sprechen“. Anders gesagt: Die Teilnahme an mehrsprachigen Kommunika‐

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Sílvia Melo-Pfeifer

tionssituationen fördert die Entwicklung von „savoirs“, „savoirs-être“ und „sa‐ voirs-faire“, die eine Ko-Konstruktion von glücklichen Episoden der mehrspra‐ chigen und interkulturellen Kommunikation ermöglichen, insbesondere durch die Entwicklung von Kompetenzen des Typs „meta“ (metasprachlich, metakom‐ munikativ, metakognitiv) sowie einer „multilingual awareness” (Melo-Pfeifer 2011b; Pinho & Andrade 2009). Im Folgenden werden die wichtigsten Dyna‐ miken der sozio-emotionalen, der kognitiven und verbalen sowie der sprachli‐ chen und kommunikativen Dimensionen dargelegt.

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2.3.1 Die sozio-emotionale Dimension

Die positiven Images der Sprachen und der Sprecher (siehe Abschnitt 1.2) dienen als erstes diskursives Objekt zur Annäherung zwischen den Gesprächsteilnehmern sowie als „Schmierstoff“ für die Interaktion, und sind Zeichen der Offenheit und Neugierde für das Gegenüber und seine Sprache(n) (Araújo e Sá, De Carlo & Melo-Pfeifer 2010): Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[EliP] somos catalanes [SilviaM] Catalá... Pueden hablar ca‐ talá comigo? es que ya sé español....

[EliP] wir sind Katalanen [SilviaM] Katalanisch... Könnt Ihr Ka‐ talanisch mit mir reden? Spanisch kann ich schon.... [EliP] d'acord, et parlem en catala [EliP] Alles klar, dann sprechen wir doncs also Katalanisch [EliP] cap problema [EliP] kein Problem [SilviaM] Bueno! Yuppiiiiiiiii [SilviaM] Super! Jippiiiiiiiiie [MireiaL] no ho entendras [MireiaL] Du wirst es nicht verstehen [EliP] tots som catalano parlants aqui [EliP] wir alle sprechen Katalanisch hier [SilviaM] Muy bien! Comprendo mu‐ [SilviaM] Sehr gut! Ich versteh super chisimas cosas... Has dito que todos viel... Du hast gesagt, hier sprechen hablan catalan ahí.... alle Katalanisch.... [SilviaM] Se comprende muy bien... [SilviaM] Kann man sehr gut ver‐ stehen... [SilviaM] Es encantador... [SilviaM] das ist zauberhaft... Zudem tragen diese Images, zu denen meist ähnliche Meinungen herrschen, zur Schaffung einer diskursiven Gemeinschaft bei, die zusammenhält. In Chats mit Rückgriff auf RS, lassen sich einerseits eine positive Einstellung und eine gewisse Neigung zur mehrsprachigen Kommunikation sowie zur Nut‐ zung neuer Kommunikationsformate – wie beispielsweise der gleichzeitige Rückgriff auf mehrere Sprachen – sowie andererseits Interventionen zur Aner‐ kennung der Funktionsweise dieser neuen Formate beobachten.

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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2.3.2 Die kognitive und verbale Dimension

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Die Individuen mobilisieren und teilen ihre sprachlichen Repertoires und nehmen gleichzeitig die Position von Experten (indem sie ihre Sprache spre‐ chen) und von Lernenden (indem sie Strategien zum Verständnis der Sprachen der anderen Gesprächsteilnehmer mobilisieren) ein. Die Mobilisierung dieses strategischen Vorwissens – auch wenn diese auf trunkierte Weise erfolgt (um den Begriff von Blommaert 2010 zu verwenden) –, um die Probleme gemeinsam zu lösen bzw. um diese (semantischen, syntaktischen, lexikalischen und ortho‐ grafischen) Kenntnisse zu prüfen oder zu erweitern, trägt hic et nunc zu einer Erweiterung des sprachlichen Wissens sowie zur Entwicklung reflexiver „Meta“-Kompetenzen bei, die immer wieder erneut abgerufen werden können: Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[Laura] pena significa mi dispiace? [Laura] bedeutet „pena“ tut mir leid? [SilviaM] Pena = lastima!!!! Que pena! [SilviaM] Schade = Bedauern!!!! wie = Que lastima! schade! = wie bedauerlich! 2.3.3 Die sprachliche und kommunikative Dimension

Die Individuen wählen und handeln die Kommunikationssprachen aus und halten sich dabei an die vorangehenden Kommunikationsmuster sowie an die interaktionelle Dynamik (zum Beispiel, wenn ein neuer Gesprächspartner hin‐ zukommt). Im Rahmen der Interkomprehension zwischen RS im Chat lässt sich beobachten, dass die Individuen zu Beginn jedes Treffens: i) die Sprachen fest‐ legen, die Bestandteil ihres Repertoires sind, und ii) Informationen zu den Lernund Nutzungsbedingungen, zur Bewertung ihrer Kompetenzen in diesen Spra‐ chen und zu ihren Sprachprojekten ergänzen. Originalbeispiel:

Deutsche Übersetzung:

[pjporto] Sabrina olá donde és

[pjporto] Sabrina hallo, wo kommst Du her? [Sabrina] soy de lyon, en francia y tu? [Sabrina] ich bin aus Lyon, in Frank‐ reich und Du? [sweetangel] et pourquoi parle-tu es‐ [sweetangel] und warum sprichst Du pagnol? Spanisch? [pjporto] Sabrina yo so de Portugal [pjporto] Sabrina, ich bin aus Portugal [Sabrina] parce que je suis étudiante [Sabrina] weil ich Spanisch lerne! en espagnol! [Sabrina] et aussi d'origine...portu‐ [Sabrina] und auch portugiesische... guesa! Wurzeln habe!

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Sílvia Melo-Pfeifer

[AntonioR] Tu sabes mucho Sabrina [sweetangel] il faut que tu pales aussi portugais non? [Sabrina] le problme c'est que je le parle, le lis mais ne l'écris qu'avec des fautes horribles!!!

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[lusitana] heureusement ke tu ne ns vais pas ecrire en francais alors Sab‐ rina

[AntonioR] Du weißt viel, Sabrina [sweetangel] dann solltest du auch Portugiesisch sprechen oder? [Sabrina] das Problem ist, dass ich es spreche und lese, aber nur mit schrecklichen Fehlern schreiben kann!!! [lusitana] Na wie gut, dass Du uns nicht auf Französisch schreiben wirst, Sabrina

In diesem Sinne ist die sprachliche Biographie der Individuen fast immer Ge‐ sprächsthema, da sie ermöglicht, die möglichen Konturen der Interkomprehen‐ sion auszumachen, wie beispielsweise um den Gesprächsteilnehmern dabei zu helfen, eine Wahl zwischen den verschiedenen verfügbaren Repertoires zu treffen. Die Repertoires werden den restlichen Gesprächsteilnehmern dadurch transparenter, was das Verständnis erleichtert. Es sei hervorzuheben, dass selbst wenn vorab ein sprachlicher und kommu‐ nikativer Vertrag vereinbart wurde, die Gesprächsteilnehmer diesen nicht immer strikt einhalten, seine „Autorität“ herausfordern und seine Klauseln „es werden nur RS gesprochen“ und „die produktiven und rezeptiven Kompetenzen werden dissoziiert“ neu bewerten (siehe auch Melo-Pfeifer 2014). Da die Indi‐ viduen nicht immer den vereinbarten kommunikativen Vertrag einhalten (siehe Abschnitt 1.1), lässt sich beobachten, dass die Unterteilung der Sprachen und sprachlichen Repertoires in romanische und nicht-romanische Sprachen oder die Dissoziierung der produktiven und rezeptiven Kompetenzen von den Ge‐ sprächsteilnehmern als künstliche Auflage interpretiert wird, die das mehr‐ sprachige, kommunikative und Erwerbspotenzial der Situation einschränkt. Somit verletzen die Individuen den mehrsprachigen und monoglossischen Ver‐ trag und weiten ihn zu einem mehrsprachigen und heteroglossischen Vertrag aus, in dem „translanguaging“ als erweiterte Kommunikations- und Lernstra‐ tegie erlaubt ist (García & Li Wei 2014). 3 Didaktische Nutzung

Die Einbeziehung der mehrsprachigen Kommunikation in den Kontext des for‐ malen Lernens von Fremdsprachen kann dazu beitragen, dass sich die Lern‐ enden mit kommunikativen Situationen vertraut machen, die immer komplexer und anspruchsvoller werden und sich nicht durch einsprachige und monoglos‐ sische Anleitungen steuern lassen. Wie Canagarajah treffend formuliert:

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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We have to consider what pedagogies can open up to the classroom as a space for social negotiations, ecological affordances, and practice-based learning. Rather than asking what we can offer “deficient” multilingual students, we have to ask how we can let students bring into the classroom the dispositions and competencies they have already developed richly outside the classroom. This involves turning the classroom into a site for translingual socialization. Teacher have to permit, as much as they can, the conditions, resources, and affordances students find outside the classroom for the development of their performative competence (2014, 99).

In diesem Sinne ließe sich durch die Einbeziehung der Grundlagen der Inter‐ komprehension in den Fremdsprachenunterricht ein dreifacher Vorteil errei‐ chen: Lizenziert für HU Berlin am 13.06.2019 um 19:19 Uhr



Erweiterung der Kenntnisse der Schüler über den Reichtum der mensch‐ lichen Kommunikation und ihrer Möglichkeiten, die aufgrund der Nach‐ ahmung einsprachiger und muttersprachlicher Muster bislang im Klas‐ senraum noch nicht ausgeschöpft oder sichtbar gemacht wurden; – Entwicklung eines Bewusstseins der Schüler für die Funktionsweise von Kommunikation, und zwar nicht nur in einsprachigen Kontexten, son‐ dern auch in hyperkomplexen sprachlichen Situationen, in dem das Wissen gemeinschaftlich entwickelt und mit den anderen geteilt wird (was im Prinzip – wenngleich weniger offensichtlich – in jeder kommu‐ nikativen Situation geschieht); – Entwicklung der für die Kommunikation in einer Fremdsprache oder die Kommunikation in Situationen, in denen die Individuen nicht die gleichen sprachlichen Ressourcen teilen bzw. nur teilweise teilen, erforderlichen strategischen Kompetenzen.

Dies würde den Schülern dabei helfen, den Charakter aller kommunikativen Konventionen sowie die Auswirkungen dieser Auflagen auf unsere kommuni‐ kativen Leistungen sowie auf die Einstellungen und das Verhalten unserer Ge‐ sprächspartner zu verstehen, mit besonderem Augenmerk auf das soziale und schulische „language policing“ im Zusammenhang mit der Verwendung mut‐ tersprachlicher Normen und eines reinen sprachlichen Codes aller zwischen‐ sprachlichen Interventionen. Aus der Perspektive des Lehrens/Lernens von Sprachen, stellt die Funktionsweise der Interkomprehension zwischen RS die Begriffe „sprachliche Norm“ und „kommunikative Norm“ infrage und entmys‐ tifiziert einige kommunikative Grundsätze, die als am besten geeignet interna‐ lisiert wurden (insbesondere die Nutzung nur einer einzigen Kommunikations‐ sprache). Kramsch (2014) nennt einige dieser Überzeugungen, die durch die Analyse und die Teilnahme an der mehrsprachigen Interaktion (insbesondere

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Sílvia Melo-Pfeifer

wenn einhergehend mit der Einbindung der anderen pluralistischen Ansätze in den Lehrplan) dekonstruiert und rekonstruiert werden können:

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– die Vorstellung der Existenz standardisierter Sprachen mit stabiler Gram‐ matik und Lexik; – die Vorstellung von einer klaren Grenze zwischen Mutter- und Fremd‐ sprache sowie zwischen Fremdsprachen untereinander; – die Annahme, dass die kodifizierten Normen für die korrekte Nutzung der Sprachen und des Ausdrucks strikt einzuhalten sind, um Missvers‐ tändnisse oder die Ablehnung durch Muttersprachler zu vermeiden. Im Rahmen von Kommunikationssituationen, in denen auf die Interkompre‐ hension zurückgegriffen wird, haben Lehrer und Schüler die Möglichkeit, Themen wie Macht, Gesicht, Verständnis, Fehler, muttersprachliche Norm und einsprachige Norm zu thematisieren und erörtern. Wie Kramsch bemerkt, stellen diese neuen Praktiken im Zeitalter der Globalisierung ernsthaft die Vor‐ stellung des Fremden im Fremdsprachenunterricht infrage (2014, 297). Au‐ ßerdem werden bewährte Konzepte wie „Muttersprachler“ oder die monoglos‐ sische Perzeption der mehrsprachigen Kompetenz einen Dekonstruktionsprozess auslösen. Kramsch verweist zudem darauf, dass die mehrsprachige Kommunikation – insbesondere im Zusammenspiel mit Inter‐ komprehension – unter bestimmten Umständen Eingang in den Klassenraum finden könnte und zwar als Beispiel für authentische Kommunikation sowie für die Anpassungsfähigkeit der Gesprächsteilnehmer im Rahmen authentischerer Situationen außerhalb des Unterrichts. Die Einbeziehung der Interkomprehension in den Fremdsprachenunterricht ermögliche: i) die Entwicklung eines metalinguistischen, metapragmatischen, metakognitiven und metakommunikativen Bewusstseins; ii) die Entwicklung einer strategischen Kompetenz, die sich an die mehrsprachigen und interkul‐ turellen Kommunikationssituationen anpasst; iii) die Entwicklung metaphori‐ scher und symbolischer Kompetenzen während des Lern- und Lehrprozesses; iv) die Multiplizierung der Möglichkeiten zur Ko-Konstruktion und Ko-Inter‐ pretation des Sinns durch die Erweiterung des semiotischen Horizonts der Schüler. So radikal oder radikal anders diese Einbeziehung der Interkomprehension auch scheinen mag, stimmen wir mit Kramsch darin überein, dass: The purpose is not to abandon all standard pedagogic norms of language use as the goal of instruction. It is, rather, to strive to make our students into multilingual indi‐ viduals, sensitive to linguistic, cultural, and above all, semiotic diversity, and willing

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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to engage with difference, that is, to grapple with differences in social, cultural, poli‐ tical, and religious worldviews (2014, 305).

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4 Kritische Betrachtungen

Interkomprehension als Konzept, das die einsprachigen Routinen und Ideolo‐ gien der Kommunikation und des Lehrens/Lernens infrage stellt, lässt sich als „fluid language practice” (García & Leiva 2014, 200) bezeichnen und eröffnet transformierende Kommunikationsmöglichkeiten. Dieses Konzept entstand aus einer linguistischen Ideologie, die es zum Ziel hatte, die hegemoniale Stellung des Englischen als lingua franca bei interkulturellen und mehrsprachigen Treffen zu bekämpfen und aufzuzeigen, dass es möglich ist, in solchen Situati‐ onen auch auf andere Kommunikationsformate zurückzugreifen, die auf den rezeptiven kommunikativen Fähigkeiten der Individuen basieren. Diese beiden Bestrebungen (die Bekämpfung der hegemonialen Stellung des Englischen und die Wertschätzung der rezeptiven Fähigkeiten in verwandten Sprachen) hatten einen sichtbaren Einfluss auf die Konzeptualisierung der Interkomprehension, auf ihre Erforschung sowie auf die für ihren Erwerb und ihre Vermittlung ent‐ wickelten Lehrmaterialien und Plattformen. Aus diesem Grund werden diese ideologischen Bestrebungen, wie bereits in Abschnitt 1 erwähnt, zum Teil als Auflagen empfunden und bilden den Ursprung für den Widerstand der Chat-Teilnehmer, die: –

auf das Englische – die lingua franca mehrsprachiger Treffen – zurück‐ greifen, insbesondere um Kommunikationsprobleme zu lösen; – auf andere Sprachen aus ihrem Repertoire zurückgreifen, selbst wenn diese nicht zur Familie der romanischen Sprachen zählen; – dem rezeptiven Vertrag trotzen und auch Beiträge in den „Zielsprachen“ leisten.

Wie bereits verdeutlicht wurde, ist die Art und Weise, wie das Thema Inter‐ komprehension im Rahmen unterschiedlicher internationaler Projekte darge‐ legt und behandelt wird bislang noch durch ein monoglossisches Verständnis von Sprachen und Kommunikation geprägt (oder wird dadurch eingeschränkt). Diese Auffassungen basieren auf der Vorstellung, dass Sprachen einzelne Ein‐ heiten darstellen, die durch klar definierte Grenzen voneinander getrennt sind und sich leicht mittels eines Etiketts bestimmen lassen (Französisch, Deutsch, Portugiesisch,...). Mit diesen hermetischen sprachlichen Realitäten müsste eine stabile sprachliche Biographie der Individuen einhergehen (Muttersprache, Fremdsprache, Herkunftssprache etc.). Wenngleich mit der Interkomprehension

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Sílvia Melo-Pfeifer

zwischen RS, so wie sie bislang behandelt wurde, eine monolinguale Orientie‐ rung der Kommunikation überwunden werden konnte, so werden mit ihr den‐ noch monoglossische Orientierungen eingeführt und durchgesetzt: Ausschluss des Englischen, nebeneinandergestellter und exklusiver Rückgriff auf RS und Dissoziierung von Kompetenzen. Diese Klauseln des Kommunikationsvertrags basieren auf Grenzen und Dichotomien: Romanische und nicht-romanische Sprachen, RS 1 und RS 2 und schließlich rezeptive und produktive Kompetenzen. Die Individuen empfinden diese Grenzen und Dichotomien nicht immer als starr und unantastbar, auch wenn sie sich darüber im Klaren sind, dass die Kontrolle strikt ist und sie einem permanenten „policing“ unterliegen. In Anbetracht des hier Dargelegten, werden mit der Interkomprehension, wenn man sie aus einem interaktionellen Blickwinkel mit den Merkmalen „jeder spricht seine eigene(n) Sprache(n) und versteht die des anderen“ betrachtet, zwei monoglossische Instanzen eingeführt: die Trennung der Sprachen und die Tren‐ nung von Kompetenzen. Was die Trennung der Sprachen anbelangt, könnte es sich als produktiver erweisen, zu einem heteroglossischeren Verständnis von Interkomprehension überzugehen und alle sprachlichen Repertoires sowie sämtliche semiotische Ressourcen der Gesprächsteilnehmer in die Definition einzubeziehen. Eine er‐ weiterte bzw. gar „tolerantere“ Definition, in der alle Repertoires berücksichtigt werden, stünde besser im Einklang mit der weiter oben dargestellten Definition von mehrsprachiger und interkultureller Kompetenz, ohne Hierarchisierung der Komponenten und ohne ausschließliche Bewertung der sprachlichen Arbeit. In Bezug auf die Trennung von Kompetenzen lässt sich feststellen, dass das Postulat der einsprachigen Äußerung („die eigene Sprache sprechen“, egal ob es sich um die Muttersprache handelt oder um eine Referenz-RS) und der mehr‐ sprachige Rezeption („die Sprache/Sprachen des anderen verstehen“) einspra‐ chige Ideologien – wenngleich unfreiwillig – fördert. Aus der Perspektive der produktiven Einsprachigkeit verstärkt die Interkomprehension die Ideologie, die ihren Schwerpunkt auf den produktiven Fähigkeiten des Muttersprachlers (oder Fast-Muttersprachlers) hat sowie die Ideologie der „Muttersprachlichkeit“, in der die Normen des muttersprachlichen Sprechers überschätzt (oder überbe‐ wertet) werden. Oder anders gesagt: Sie erhebt den muttersprachlichen Sprecher (oder einen Sprecher, der eine „Sprache beherrscht“) an die einzige würdige Position der sprachlichen Produktivität, er handelt entsprechend der sprachli‐ chen Normen, ohne dabei Fehler zu machen, so als würde eine Entfernung von diesen Normen per se Verständnisschwierigkeiten beim Hörer/Leser verursa‐ chen.

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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In Anbetracht dessen trägt die Standarddefinition von Interkomprehension unbeabsichtigterweise zu Folgendem bei:

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– der Überschätzung des Muttersprachlers oder Experten einer bestimmten Sprache, der die Erlaubnis erhält, diese Sprache bei seiner Äußerung zu benutzen, da seine Äußerungen den anerkannten Normen entsprechen; – einer Überbewertung der linguistischen Dimension der Funktionsweise der Interkomprehension, bei geringer Berücksichtigung anderer semio‐ tischer Repertoires sowie anderer Bestandteile des Kontextes. Zudem werden unseres Erachtens die Kompetenzen unabsichtlich in eine Rang‐ folge gebracht, da die Sprachproduktion in einer Sprache als „perfekt“ und die Rezeption in den restlichen Sprachen als „parziell“ betrachtet wird. Durch eine heteroglossischere Betrachtungsweise der Interkomprehension ließen sich alle semiotischen Ressourcen expliziter als „meaning-containers” und „meaning-makers” und alle Kompetenzen als hierarchisch äquivalent an‐ erkennen. Dadurch würde die Interkomprehension nicht lediglich vor dem Hin‐ tergrund der Ko-Existenz einer Vielzahl von sprachlichen Ressourcen be‐ trachtet, sondern bezöge sich vor allem auf die Komplexität der Geometrien des Gebrauchs dieser Ressourcen und der Kombination mit anderen Elementen in komplexen und dynamischen Kommunikationssituationen. Das Verständnis von Interkomprehension würde von der Vorstellung einer nebeneinanderge‐ stellten Verwendung der Kommunikationssprachen abrücken und stattdessen übergehen zu einer Vorstellung einer „cross-fertilisation” und einer kohärenten Integration aller verfügbaren kommunikativen Ressourcen. Sprich, es ist un‐ seres Erachtens erforderlich, in Bezug auf Interkomprehension eine heteroglos‐ sischere Sichtweise einzunehmen, da diese dazu beiträgt i) die Komplexität der „multilayered” Verwendung sämtlicher semiotischer Ressourcen sowie ihrer Kreuzung zu verstehen; ii) eine Wahrnehmung von Interkomprehension als al‐ ternierende und nebeneinandergestellte Verwendung von Sprachen der glei‐ chen Sprachfamilie zu vermeiden; und iii) eine bestimmte noch immer offen‐ sichtliche Wahrnehmung von Einsprachigkeit und Muttersprachlern als einzige Quellen der Normativität auf der Ebene der Sprachproduktion zu überwinden. Im Rahmen der bislang von uns analysierten Interaktionen in mehrspra‐ chigen Chats stellt die Ko-Konstruktion der Interkomprehension die Gültigkeit der sprachlichen Grenzen zwischen RS (sei es untereinander oder zwischen RS und nicht-RS) sowie die Unterscheidung zwischen „Referenzsprache“ und „Ziel‐ sprache“ und zwischen den produktiven (einsprachigen) und rezeptiven (mehr‐ sprachigen) Fähigkeiten infrage.

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Sílvia Melo-Pfeifer

5 Zukünftige Forschungsmöglichkeiten

In Bezug auf die Analyse der Funktionsweise der mehrsprachigen Interaktion unter Rückgriff auf Sprachen der gleichen Familie besteht zweifelsohne noch großer Forschungsbedarf. Als künftige Forschungsagenda in dem Bereich werden folgende Aspekte als notwendig erachtet:

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Erweiterung des Korpus und der Analysekontexte unter Einbeziehung von authentischeren Kommunikationssituationen (es sei daran erinnert, dass die untersuchten Interaktionen im Rahmen von internationalen Pro‐ jekten in einem universitärem Umfeld, mit Schwerpunkt auf dem Konzept der Interkomprehension und basierend auf spezifischen Kommunikati‐ onsverträgen verliefen). Dazu könnten zählen: die Analyse schriftlicher Interaktionen in verschiedenen Plattformen (wie YouTube oder What‐ sApp) oder sozialen Netzwerken sowie die Analyse mehrsprachiger mündlicher Interaktionen, die in unterschiedlichen Medien (z. B. Skype) und in verschiedenen beruflichen Kontexten stattfinden. Durch diese Ausweitung ließe sich eine größere Anzahl von Strategien und Mustern der Ko-Konstruktion des Sinns ermitteln, die sich anschließend mögli‐ cherweise in Bildungsmaßnahmen berücksichtigen ließen; – Untersuchung der Darstellung mehrsprachiger Interaktionen durch die Individuen, insbesondere durch eine Analyse ihrer Erzählungen über ihre Beteiligung an diesen Interaktionen, um den Einfluss der Darstellungen und früherer Erfahrungen der Individuen auf die Bewertung mehrspra‐ chiger Interaktionen zu verstehen; – Kreuzung der diskursiven Praktiken der Individuen in der mehrspra‐ chigen Interaktion mit der Wahrnehmung der Gültigkeit, Nützlichkeit und Akzeptabilität dieser Praktiken sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext durch die Individuen; – Untersuchung des Lernpotenzials einer Teilnahme an mehrsprachigen Interaktionen, insbesondere durch die Analyse der Entwicklung der le‐ xikalischen, syntaktischen, pragmatischen und interkulturellen Kompe‐ tenzen der Teilnehmer.

Diese Forschungsagenda ist angesichts wachsender Komplexität und Diversifi‐ zierung der sozialen Interaktion, in der sich permanent neue Kommunikations‐ mittel und -formate mit ihren jeweils eigenen Regeln, „meaning-makers” und „sense containers” herausbilden, lediglich als provisorisch und unvollständig zu betrachten.

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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Sílvia Melo-Pfeifer

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Interkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion

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Gesamtsprachencurricula und andere Ansätze und Konzepte sprachen-, fächer- und jahrgangsübergreifender Art

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Britta Hufeisen

Ein Gesamtsprachencurriculum muss den planerischen Rahmen schaffen, in dem die VertreterInnen der jeweiligen Sprachen untereinander und die VertreterInnen der Sprach- und Sachfächer miteinander arbeiten können (Hufeisen 2005, 13).

1 Zur Einführung: Ziele eines Gesamtsprachencurriculums

Gesamtsprachencurricula und andere Ansätze und Konzepte suchen verschie‐ dene Ziele zu erreichen, und sie beziehen sich einerseits auf die Institution Schule und andererseits auf das Individuum: In Bezug auf die Institution Schule soll der Unterricht in Fremdsprachen stärker miteinander verzahnt werden, um Synergien zu schaffen und auszu‐ schöpfen; der Unterricht in den Fremdsprachen soll mit dem Unterricht im Fach Deutsch verbunden werden, ebenfalls um Synergien zu erzeugen und zu nutzen. Fächergrenzen sollen überwunden werden, indem der Unterricht in den soge‐ nannten Sachfächern mit dem Unterricht in den Sprachenfächern verbunden bzw. verzahnt wird. So kann aus jedem Unterricht inhaltsbezogener und spra‐ chenbezogener Unterricht gemacht bzw. die Grundlage für sprach(en)sensiblen Fachunterricht gelegt werden. Durch die konsequente Verbindung von inhalts‐ bezogenem mit sprachenbezogenem Unterricht, beispielsweise in Form von systematisch integrierten bilingualem bzw. mehr- oder besser vielsprachigem Sachfachunterricht bzw. content and languages integrated learning, können Stunden in der Stundentafel freigeräumt werden, die ihrerseits wieder Mög‐ lichkeiten für das Lernen weiterer Sprachen und weiterer Fächer sowie ihrer Kombinationen eröffnen. Dass sich eine solche konsequente sprachen- und fä‐ cherübergreifende Schularbeit eigentlich auch in der Lehramtsausbildung nie‐ derschlagen sollte und müsste, ist logisch. Angefangen bei der Frage, ob sich

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Britta Hufeisen

nicht viel mehr Lehramtsstudierende mit Fächerkombinationen aus Sprache und Sachfach auf eine solche Lehrkarriere vorbereiten sollten, über die Synergien, die sich aus einem gemeinsamen Interesse an der Sache ergeben (d.h. alle an‐ gehenden Sprachenlehrkräfte könnten gemeinsam Lehrveranstaltungen zu Themen wie Spracherwerb und Sprachenlernen besuchen), bis hin zu Überle‐ gungen zu Veranstaltungen für alle Lehramtsstudierenden zur sprachlichen He‐ terogenität und Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler, hätte eine ge‐ samtsprachencurricular ausgerichtete Lehramtsausbildung einige neue Aspekte zu integrieren und andere zu verändern. Für das Individuum soll ein Gesamtsprachencurriculum leisten, dass der Schüler / die Schülerin im Laufe des Schullebens mehr und länger mit Sprachen und in verschiedenen Sprachen gearbeitet hat. Das bedeutet nicht nur, dass der Schüler / die Schülerin insgesamt mehr bzw. intensiver und vielleicht auch länger in einzelnen Fremdsprachen hat sprachhandeln können, sondern dass er / sie die Möglichkeit hat, auch weitere und andere als die üblichen Sprachen zu lernen. Dazu gehören auch die Herkunftssprachen, die in gesamtsprachen‐ curricularen Konzepten ein ebenso wichtiger wie konstitutiver Bestandteil des Angebots sind, wobei die Herkunftssprachen selbstverständlich auch den Status der allgemeinen Fremdsprachen einnehmen können und sollen. Für jede ein‐ zelne Person entsteht so ein individuelles Sprachenrepertoire mit ganz spezifi‐ schen Sprachen, in denen unterschiedliche Domänen eine Rolle spielen und die in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. Aronin stellt diesem Kon‐ zept das der dominant language constellation (= DLC) entgegen: As opposed to that, later in this chapter we will see that Dominant Language Con‐ stellation differs from the language repertoire, in that the DLC includes not all, but only those languages or skills selected for their prime importance (Aronin 2016, 144).

Später führt sie das Konzept in Bezug auf das Individuum weiter aus: Dominant Language Constellation, that is, the constellation of one's dominant lang‐ uages, is a group of one's most important (vehicle) languages, functioning as an entire unit, and enabling an individual to meet all needs in a multilingual environment […]. The Dominant Language Constellation includes only the most expedient languages for a person, rather than all the languages known to them, as would be the case in language repertoire. Unlike a language repertoire, a DLC comprises the languages which, together, perform the most vital functions of language (Aronin 2016, 146sq.).

Mit beiden Konzepten wird allerdings der Tatsache Rechnung getragen, dass vermutlich keine zwei Sprachenrepertoires oder DLCs einander gleich sind, sondern selbst bei dem Verfügen über die gleichen zwei, drei oder mehr Spra‐

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Gesamtsprachencurricula

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chen die jeweilige Verwendung einzelner Sprachen für jedes Individuum un‐ vergleichlich und eigentümlich ist. Für Seiteneinsteiger und neu Hinzugekommene integriert sich das Fach Deutsch als Zweitsprache nach einer Intensivphase in eigenen Sprachengruppen, z.B. in Intensivklassen, Seiteneinsteigerklassen bzw. internationale Vorberei‐ tungsklassen, ebenfalls in den individuellen Stundenplan und wird sukzessive gemäß der Sprachhandlungskompetenz zurück gefahren, wenn die Schülerin zunehmend in ihrer Stammklasse agieren kann. Hier wie auch in allen anderen Sprachenfächern und Nichtsprachenfächern wird auf Sprachen hingewiesen, und Synergien werden deutlich gemacht. Geschieht dies nicht, werden wertvolle vorhandene Ressourcen nicht benutzt: Allerdings werden jene Kompetenzen kaum von den Lehrenden in der Schule in Deutschland wahrgenommen. Meistens wird nicht bedacht, dass LernerInnen, wenn sie keine Deutschkenntnisse haben, andere schulische und sprachliche Kompetenzen haben, die sie im Lernen in der Herkunftsschule erworben haben. Werden die Fähig‐ keiten der SchülerInnen unterschätzt, finden sie keine Berücksichtigung im schuli‐ schen Lernen. Potenziale zum Lernen und Sprachenlernen, an die man anknüpfen könnte, liegen brach (Budde 2015, 138sq., so auch Jessner/Allgäuer-Hackl 2015, 213sq.).

Wichtiger Grundgedanke aller im Folgenden diskutierten Ansätze und Modelle ist der Abschied vom Ziel, C2 in allen Sprachen, allen Fertigkeiten und allen Do‐ mänen anzustreben. Damit widerspiegelt sich die lebensweltliche Realität, in der selbst erstsprachliche Personen nicht unbedingt fertigkeitenübergreifend und in allen Domänen auf der Niveaustufe C2 anzusiedeln sind, in der wir tagtäglich sowohl mit radebrechenden als auch sehr eloquenten, zweit-, dritt-, viertspra‐ chigen Menschen sprachhandeln müssen und auch können. D.h. der beständige Vergleich zu den vermeintlich ihre L1 perfekt beherrschenden L1-Sprechenden ist ebenso realitätsfern wie falsch (cf. hierzu auch Jessner/Allgäuer-Hackl 2015, 211). Dem herkömmlichen prototypischen C2-Ziel des regulären Fremdspra‐ chenunterrichts wird so die frustrierende Komponente genommen, nach dem Fremdsprachenlernende sich eigentlich höhere Kompetenzen anzueignen hätten, als viele L1-Sprechende sie haben, ohne dass man diesen den L1-Status absprechen würde. Akzente und fertigkeiten- oder domänenbezogene Schwer‐ punktsetzungen sind lebensweltliche Tatsachen, die das Lernen von Fremd‐ sprachen nicht durch unrealistische Zielsetzungen unnötig belasten sollten. Damit ist in keinem der Ansätze gemeint, dass beispielsweise Fehler nicht mehr korrigiert oder durch korrektere Formen ersetzt werden sollten, oder dass for‐ male Korrektheit keine Rolle mehr spielte, sondern dass alle Ansätze für einen

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Britta Hufeisen

entspannteren Umgang mit allem, was (noch) nicht normgerecht ist, plädieren, ebenso wie alle Ansätze die Sprachhandlungskompetenz vor Regelwissen stellen:

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Das Ziel ist funktionale Mehrsprachigkeit. Das heisst auf den Mythos der ,perfekten‘ Sprachkenntnisse verzichten zugunsten einer ständigen, dynamischen Erweiterung einer breit abgestützten kommunikativen Kompetenz (Lüdi 1998, 12).

Bildungspolitisch sind alle Konzepte insofern nicht nur bedeutsam, weil sie Raum für – mehr – Sprachen schaffen wollen, und zwar für alle Arten von Sprachen, sondern weil sie auch – wenigstens aus der Perspektive der so genannten zweiten Fremdsprachen – Wege finden wollen, neben der in der Regel obliga‐ torischen Sprache Englisch weitere (Fremd)Sprachen zu erhalten und zu fördern (cf. Erin/Patscheider 2015). Dass es unter vielerlei Punkten interessant wäre, Englisch nicht als erste Fremdsprache einzuführen, sondern erst als zweite oder dritte, wird an dieser Stelle zwar nicht weiter debattiert, aber deswegen trotzdem als hochrelevant eingeschätzt; dass auch für den bilingualen Sachfachunterricht andere Sprachen in Frage kommen als ausschließlich stets Englisch, zeigt der interessante Bericht zu der Kombination aus Sport und Französisch von Kessler 2015. 2 Gesamtsprachencurriculare Konzepte und Ansätze: Begriffe und Definitionen

Konzepte, die Sprachen einerseits und Fächer andererseits miteinander zu ver‐ binden suchen, sind insbesondere seit Anfang der 2000er Jahre mit zunehm‐ enden Migrationsbewegungen und bildungspolitischen und ‑gesellschaftlichen Notwendigkeiten, darauf zu reagieren, entwickelt worden. Sie werden seitdem in Schulen ausprobiert und gelebt, kontinuierlich der schulischen, politischen, akademischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt und teilweise auch wis‐ senschaftlich begleitet und evaluiert. Sie werden hier weitgehend chronologisch debattiert, weil dadurch auch die allgemeinen Entwicklungslinien erkennbar werden. 2.1 Integrative/integrierte Sprachendidaktik und Gesamtsprachenkonzept (seit 1998) in der Schweiz

„Integrative/integrierte Sprachendidaktik“ ist ein in der Schweiz geprägter Be‐ griff, der sich im Gegensatz zu den anderen in diesem Beitrag vorgestellten Ter‐ mini auf die Gesamtbetrachtung der (Fremd)Sprachenfächer konzentriert und die Integration der Nichtsprachenfächer nicht in dem Maße in den Vordergrund

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Gesamtsprachencurricula

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rückt wie die anderen Konzepte, die weiter unten besprochen werden. Wichtig sind allerdings auch hier die Synergien, die sich durch die übergreifende plane‐ rische Behandlung der Erstsprache(n) und der Fremdsprachen ergeben (cf. The‐ menheft Babylonia 2009). Bereits 1998 wurde im Rahmen eines Themenheftes von Babylonia das „Gesamtsprachenkonzept“ für die Schweizer Schulen vorge‐ stellt und debattiert, unter dem Lüdi 1998, 11 mindestens die Erstsprache(n), die Landessprachen der Schweiz und weitere moderne Sprachen (nicht nur einer Fremdsprache) als Ganzes fasste, die jeweils in einem individuellen mehrspra‐ chigen Repertoire münden: „Dabei werden die Erstsprachen der Schüler/innen, die Landessprachen und weitere moderne Sprachen als Ganzes gesehen. Daher auch der Name ,Gesamtsprachenkonzept‘“ (Lüdi 1998, 11). In der traditionell mehr- und vielsprachigen Schweiz wurde so bereits früh damit begonnen, di‐ daktisch-methodisch neue Wege zu gehen, um die schulisch angebotenen Spra‐ chen einerseits und die individuell vorhandenen Sprachen andererseits zu the‐ matisieren und in den Unterrichtsalltag zu integrieren, um zu verhindern, „dass mangelnde Transparenz und Kohärenz beim Sprachenlernen zu enormen Rei‐ bungsverlusten führen“ (Lüdi 1998, 11). 2.2 Integrierter Ansatz (seit 2002) von Wode

Wode stellt 2002 seinen „Integrierten Ansatz“ vor, mit dem er einerseits die strukturierten und organisierten Übergänge zwischen den Schulstufen meint, andererseits aber – ebenso wie ich das für das Gesamtsprachencurriculum 2005 vorschlage – auch die systematische Verbindung von Sprachen- und Sachfä‐ chern durch bilinguale und auch immersive Formen des Lernens und Unter‐ richtens, und zwar immersiv für die erste, bereits in der KiTa gelernte/erwor‐ bene, (Fremd)Sprache L2 und bilingual für die zweite, neu in der Sekundarstufe hinzukommende zweite Fremdsprache L3: Die L2 wird im Alter von drei Jahren in bilinguale Kitas eingeführt, und zwar entweder als erste Fremdsprache oder als regionale Minderheitensprache, und anschließend in der Grundschule kontinuierlich nach der Immersionsmethode weitergefördert. Am Ende der Primarstufe wäre zu überlegen, ob diese Sprache ganz aus dem Angebot heraus genommen wird oder mit geringem Stundensoll und immersivem Sachunter‐ richt in ausgewählten Fächern in den Sekundarbereich hinein weiter gefördert wird (Wode 2002, 3).

Dadurch können auch seinem Konzept nach Lehrplanstunden in den bilingual und immersiv unterrichteten und gelernten Fremdsprachen gespart werden, um sie weiteren Sprachen zur Verfügung zu stellen (ibid.).

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Britta Hufeisen

2.3 Von der additiven Mehrsprachigkeit (bis 2005) über die curriculare Mehrsprachigkeit (seit 2005) von Krumm bis hin zum Curriculum Mehrsprachigkeit (seit 2013) von Reich und Krumm

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Krumm debattiert 2005 die Notwendigkeit, die bis dato an den schulischen In‐ stitutionen gelebte „additive Mehrsprachigkeit“ durch eine „curriculare Mehr‐ sprachigkeit“ abzulösen. Damit meint er, dass die traditionellen und schulischen Fremdsprachen systematisch durch die vorhandenen Minderheiten-, Nachbarund Migrantensprachen zu ergänzen seien und dass das damit verbundene Po‐ tenzial der individuellen Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler kon‐ struktiv im Lernalltag zu nutzen sei: Dabei kommen auch die Sprachen zur Geltung, die nicht zum Kanon der Schulspra‐ chen gehören, aber für viele Schülerinnen und Schüler biographisch bedeutsam sind und darum als Ressourcen der Persönlichkeitsentwicklung wie als Lernhilfen wichtig sein können (Reich/Krumm 2013, 11).

Die planerische und prinzipielle Erweiterung auf das gesamte Fächerspektrum hinaus erfuhr sein Ansatz durch die Entwicklung eines konkreten „Curriculums Mehrsprachigkeit“ (Reich/Krumm 2013), welches sich auf die schulischen Bil‐ dungsgänge Österreichs (ibid. S. 21-77) bezieht, aber auch auf andere Länder und Bildungsregionen übertragbar ist. Reich und Krumm schlagen einen ei‐ genen Mehrsprachigkeitsunterricht vor (2013, 17sq.), wie er auch beispielsweise seit Jahren an einer Höheren Lehranstalt für Wirtschaftliche Berufe in Vorarl‐ berg (als Frei- bzw. Wahlfach) existiert (cf. Allgäuer-Hackl et al. 2015, 39-41) und gute Erfolge erzielt. Wie ein für alle gültiger und verpflichtender Mehrsprachigkeitsunterricht lernplantechnisch organisiert und umgesetzt wird, wird in Reich/Krumm 2013 noch nicht weiter ausgeführt und muss durch einschlägige Forschung zunächst auch untersucht werden (cf. z.B. Allgäuer-Hackl/Jessner 2013). 2.4 Gesamtsprachencurriculum (seit 2005) von Hufeisen

Das von mir vorgeschlagene prototypische „Gesamtsprachencurriculum“ (cf. u.a. Hufeisen 2005, 2011a und 2011b) sieht im Gegensatz zu Reich/Krumm 2013 keinen eigenen Unterricht zu Mehrsprachigkeit vor, sondern ich schlage vor, dass sowohl sprachenspezifische und sprachenlernstrategische Aspekte syste‐ matisch in jeden Unterricht aller Fächer (sprach(en)sensibel) aufgenommen werden, nicht zuletzt weil die jeweiligen Konstellationen von Schule zu Schule so unterschiedlich sein können, dass planerische Festschreibungen eines Faches „Mehrsprachigkeitsunterricht“ an den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort und den vorhandenen Sprachen scheitern könnten. Aronins Konzept der gesell‐

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Gesamtsprachencurricula

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schaftlichen Mehrsprachigkeit kann hier die Forderung nach größtmöglicher Flexibilität untermauern: The concept of Dominant Language Constellation is relevant not only for individuals, but also for communities. Groups characterized by a common DLC may share terri‐ torial, social, ethnic and/or business characteristics. In Malta, regular use of English and Maltese is often associated with families pertaining to a higher socioeconomic class […]; these two languages characterize this particular segment of population. The educational system supports the use of English and Maltese and, the most popular choice in additional languages at school is Italian, and multiple TV channels provide the input of Italian in addition to the historical tradition of its use in this country, […]. One can assume that a DLC of English/ Maltese/ Italian is shared by a section of citizens in Malta. An assortment of DLCs can co-exist in the same physical space. It is common under the new linguistic dispensation […] to have a number of DLCs in a country, for example, in Germany, Polish/ German; Polish/ German/ English; Turkish/ German; Russian/ German/ English. In Switzerland, in the canton of Ticino, there are people for whom English/ German/ French or Italian/ French/ German are crucial. In a Ro‐ mansh Valley there is a small population of quadrilinguals with Romansh/ German/ Italian/ French. And these are only some of many DLCs deployed in Switzerland (Aronin 2016, 150sq.).

Das Gesamtsprachencurriculum bietet in konzentrierter Form konzeptionelle Eckpfeiler und Rahmungen, die von Institution zu Institution angepasst werden müssen, d.h. die an der betreffenden Schule vorhandenen Sprachen zählen an dieser Schule alle zum Curriculum, in Anlehnung bzw. in Erweiterung des DLC-Konzeptes von Aronin bezeichne ich dies als eine institutional dominant language constellation als ein jeweils schuleigenes „set of selected languages and skills“ (Aronin im Druck, 6). Wichtig ist hier auch der spezifische Hinweis Sur‐ monts et al. 2015 zu der Auswahl von Sprachen: It is very tempting for governments to use only the major international languages for communication as target languages in multilingual education. The importance of these international languages of communication is undeniable, but multilingualism might lose its value when everybody speaks the same combination of languages. Re‐ gional languages and lesser known languages should also have a place in CLIL schools, preferably even ahead of these international languages for communication (Surmont et al. 2015, 38sq.).

Zu den weiteren Eckpfeilern eines Gesamtsprachencurriculums gehören orga‐ nisatorische, inhaltliche und sprachliche Aspekte in Form von sprachenüber‐

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greifendem Arbeiten, fächerübergreifendem Arbeiten, jahrgangsübergreifendem Arbeiten, projektorientiertem Arbeiten, bei dem immer Inhalte und Sprache(n) miteinander vernetzt werden. Im Idealfall werden nach jeweils kurzer Einar‐ beitung alle Fächer in verschiedenen (Fremd)Sprachen behandelt, durchaus in‐ dividuell unterschiedlich, sodass z.B. ein Schüler Kunsterziehung mittels der Sprache Französisch lernt, eine andere Schülerin mittels der Sprache Nieder‐ ländisch. Die damit einhergehende vermeintliche und befürchtete Marginali‐ sierung der Sprachenfächer wird durch eine übergreifende Einheit Kulturstudien abgelöst (cf. Hufeisen 2011a, 272 und Hufeisen 2011b), die ihrerseits mehr- bzw. vielsprachig ausgestaltet werden kann und muss und idealerweise projektartig unter Einbezug möglichst vieler Fächer organisiert ist. Zu dieser Mehr- und Vielsprachigkeit zählen neben den mitgebrachten Sprachen auch die jewei‐ lige(n) Umgebungssprache(n), die konventionellen Fremdsprachen und auch die sog. Klassischen Sprachen (cf. Hufeisen 2015a). Dass die jeweiligen Umgebungs‐ sprache(n) als Sprachhandlungswerkzeuge im Alltag, im Beruf und für die ge‐ sellschafts- und bildungspolitische Partizipation unabdingbar sind und entspre‐ chend gefördert werden, setze ich als selbstverständlich und nicht verhandelbar voraus. Deswegen muss bilingualer Sachfachunterricht auch tatsächlich min‐ destens bilingual sein und nicht ausschließlich die Fremdsprache fokussieren, um die Konzeptualisierung in der bzw. den Umgebungssprache(n) zu gewähr‐ leisten. Auf die mitgebrachten Sprachen ist besonders im Bereich der Fertigkeit Schreiben Verlass, indem Textkompetenzen in der L1 eine gute Grundlage für die Ausbildung von Textkompetenzen in den Fremdsprachen und der Umge‐ bungssprache darstellen. Diese vorhandenen Textkompetenzen werden aber vielfach nicht genügend abgerufen bzw. in den Unterricht der Umgebungs‐ sprache und der anderen Fremdsprachen nicht einbezogen; wieder liegt eine Ressource brach (cf. Ezhova-Heer 2011, 113; Jessner/Allgäuer-Hackl 2015, 224), nicht zuletzt weil die aufnehmenden Lehrkräfte nichts über vorherige Kennt‐ nisse wissen wollen oder sie notorisch unterschätzen: Bei Befragungen von Lehrern an deutschen Schulen über die Schreibmotivation der Aussiedlerkinder zeigte sich, dass viele Lehrer die Auffassung vertreten, Abneigung gegen Textproduktion und mangelnde Schreibkompetenz seien für Aussiedlerkinder typisch […]. Gleichzeitig konnte ich aber feststellen, dass die Lehrkräfte gar keine Kenntnis darüber besitzen, welches sprachliche Potenzial und welche bereits erwor‐ bene Schreibkompetenz die Aussiedlerkinder und -jugendlichen mitbringen. Das be‐ deutet, dass diesem Potenzial die Anerkennung aus Unkenntnis versagt wird und dass dadurch der positive Transfer der mitgebrachten Schreibfähigkeiten auf das zweit‐

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sprachliche Schreiben nicht berücksichtigt und nicht gefördert werden kann (Ez‐ hova-Heer 2011, 114). 2.4.1 Sprachmitteln als weiteres notwendiges Element eines GSC

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Ein Aspekt, den ich bisher im Rahmen der Gesamtsprachencurriculumsdebatte nicht weiter expliziert und ausgeführt habe, der in den anderen Konzepten ebenfalls meist ausschließlich en passant genannt wird, aber in jedem Gesamt‐ sprachencurriculum durchaus und unbedingt seinen Platz hat, ist das Sprach‐ mitteln (cf. hierzu besonders Königs 2013 und 2015), welches Königs folgender‐ maßen definiert: Mit Sprachmittlung wird die Übertragung von Inhalten von einer Sprache in eine andere bezeichnet, wobei es ausschließlich um Inhalts- und nicht um Form- oder Funktionskonstanz eines zu mittelnden Textes geht. Damit unterscheidet sich das Sprachmitteln deutlich vom Übersetzen, das in aller Regel die Inhalts- und Formkon‐ stanz mit einschließt und überdies auf der Schriftlichkeit des Vorgangs beruht. Dem‐ gegenüber kann Sprachmittlung sowohl mündlich als auch schriftlich realisiert werden (Königs 2015, 36).

Königs bezieht seine Definition auf den Fremdsprachenunterricht, in dem jede Lehre eine Art Sprachmittlung ist, insbesondere wenn er mehrsprachigkeitsdi‐ daktisch angelegt ist (cf. Königs 2013, 16 und Königs 2015, 37). Ich übernehme seine Definition, erweitere sie aber um einige Sprachhandlungsbereiche: Sprachmitteln ist m.E. im lebensweltlichen Alltag und keineswegs nur in pro‐ fessionellen Zusammenhängen ganz üblich und wird bei einem gesamtspra‐ chencurricular organisierten Schulalltag ebenfalls eine größere Rolle ein‐ nehmen und spielen, wenn nämlich im Rahmen von Projekten in Sprachen kommuniziert wird, die nicht allen beteiligten Diskursteilnehmenden gleicher‐ maßen geläufig sind. Die Lösung ist hier nicht der jederzeitige und dauerhafte systematische Rückzug auf eine gemeinsame Sprache – weder auf die Umge‐ bungssprache(n) noch auf Englisch – und auch nicht die traditionell gedachte Übersetzung oder gar Dolmetschung, sondern eben die Sprachmittlung, die ja selbst innerhalb einer Sprache (z.B. „So habe ich das nicht gemeint!“) gang und gäbe ist. Wie bei der Debatte des idealtypischen Ziels C2, das sich in den we‐ nigsten L1-Sprechenden oder fremdsprachigen Personen findet, wird auch hier die lebensweltliche Realität (in der Sprachmitteln ganz selbstverständlicher Teil der Sprachaushandlung ist, s.o.) in das Curriculum integriert, im Sinne der klas‐ sischen sprachlichen Aushandlung von Inhalten, Kommunikation und Sprech‐ akten.

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2.4.2 Zwei- und vielsprachiges Sprachhandeln im Rahmen eines GSC

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Der „polyglotte Dialog“, wie Posner ihn 1990 sprachwissenschaftlich konzepti‐ oniert und 1991 an einem fiktiven, aber konkreten Beispiel eines Diskurses zwi‐ schen den „Posthumous Fellows“ Hutten, Melanchthon und Erasmus gezeigt hat, stellt einen weiteren Pfeiler der vielsprachigen Kommunikation im Rahmen eines GSC dar: Hutten: Ich schlage vor, wir verfahren wie in alten Zeiten: Jeder redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und benutzt seine eigene Muttersprache. […] Hutten: Ich werde nie vergessen, wie unlängst auf einem Kongreß in Südamerika jeder seine ro‐ manische Muttersprache sprach: die Brasilianer Portugiesisch, die Peruaner Spanisch, manche Argentinier gar Italienisch – und wie alle direkt und ohne Dolmetscher auf‐ einander reagierten. Das wäre mein Modell für Europa. Melanchthon: So etwas nenne ich einen polyglotten Dialog. In ihm erfolgt beim Wechsel des Sprechers jedesmal auch ein Übergang von einer Sprache zu andern. Jeder redet in dem Idiom, das ihm am geläufigsten ist, und niemand braucht sich dafür zu entschuldigen. Hutten: ‚Polygl‐ otter Dialog‘: genau – damit hast Du’s auf den Punkt gebracht! (Posner 1991, 6 und 8).

Ich erweitere diese Idee: Alle sprechen jeweils eine ihrer Sprachen; die Kom‐ munikationspartnerInnen nehmen im Rahmen rezeptiver Mehrsprachigkeit (cf. hierzu die Beiträge in ten Thije/Zeevaert 2007) an der Kommunikation teil und reagieren wiederum in einer ihrer eigenen Sprachen; Clyne 2003 nennt diese Art der Kommunikation plurilingual discourse. So sind Sprachmischungen im Diskurs des auch als translanguaging bezeichneten sprachlichen Aushandelns nicht pathologisch, sondern oftmals Teil von kreativen Lösungen, um sich verständ‐ lich zu machen, die Kommunikation erfolgreich aufrecht zu erhalten oder sich als Teil einer Gruppe darzustellen. Diese kreativen und interessanten Verwendungen von Sprache, die auch Sprachvarianten innerhalb einer Einzelsprache inkludieren, sind in internationalen Kommunikationssituationen üblich, spielen jedoch im Sprachenun‐ terricht eine untergeordnete Rolle bzw. werden als fehlerhaft angesehen (Jessner/ Allgäuer-Hackl 2015, 213).

In diesen Fällen wird dann erneut vorhandenes und wertvolles Potenzial ver‐ schenkt. 2.5 Ein weiterer Ansatz: systematischer CLIL-Unterricht (2015) von Surmont et al.

Surmont et al. 2015 haben einen ersten Entwurf für einen konzeptuellen Rahmen für die Integration von Sach- und Fachunterricht diskutiert, aber noch keine konkreten oder curricularen Anwendungsoptionen vorgelegt. Es bleibt abzu‐

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warten, wie die von ihnen als relevant identifizierten Eckpfeiler standardisation (ibid. 33sq.), perceived language threat (ibid. 34sq.), language dominance (ibid. 35sq.), language legislation (ibid. 36) konkret umgesetzt werden können. Im‐ merhin weisen sie bereits im ersten Entwurf auf die Relevanz der Sprachenwahl hin bzw. darauf, dass es keineswegs allein um Englisch geht:

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In Spain, the majority of CLIL schools use English as a target language. The aim of multilingual education, however, is not that everybody speaks English, but that every‐ body speaks multiple languages. English can be one of them, but if it is the only ob‐ jective, the outcome will not be a multilingual Europe. It is therefore important that the framework for a large-scale implementation of multilingual education included a guideline for choosing target language (Surmont et al. 2015, 38).

Inwiefern sich Vorgaben zur Standardisierung an einzelnen Schulorten um‐ setzen lassen, müssten Schulversuche zeigen. 3 Zur Begründung der Sinnhaftigkeit bzw. der Notwendigkeit des systematischen Einbezugs nichtsprachlicher Fächer

Gelegentlich werden die sprachlichen und die nichtsprachlichen Fächer gegen‐ einander gestellt, Mathematikasse meinen, kommunikativ und sprachlich keine Entwicklung zu benötigen oder sowieso kein Sprachentalent zu haben, oder sprachlich Orientierte meinen, mit ihren unzureichenden Mathematikkennt‐ nissen, die schon während der Schulzeit legendär gewesen seien, kokettieren zu dürfen. Dieses Dichotomisieren ist nicht hilfreich und auch lebensweltlich nicht korrekt. Auch die naturwissenschaftlich Interessierten haben in der Regel ihre L1 so passabel gelernt, dass sie in ihr sprachhandeln können, und auch die künstlerisch-musisch oder eher sprachlich Interessierten brauchen immer wieder Logik, Systematik und Struktur, um ihre Argumentationsketten ver‐ ständlich und vor allem überzeugend zu kommunizieren. Bei faktischer Betrachtung sind auch nichtsprachliche Fächer sprachlich ge‐ fasst. Selbst Formeln, Grafiken und Zeichnungen als Ausdrücke naturwissen‐ schaftlicher und technischer Fächer oder Bilder, Zeichnungen und Noten künst‐ lerisch-musischer Fächer werden versprachlicht, und über sie wird kommuniziert, und zwar mittels Sprache. Alle diese Fächer haben ihre je eigenen spezifischen Termini, fachsprachliche Syntax und meist auch eigene Textsorten (cf. z.B. hierzu auch Drumm 2016). Aber alles kann fast ausschließlich mittels Sprache beschrieben und diskutiert werden. Vor dieser schlichten Tatsache sind alle Argumente wie das, Chemie bestehe aus Formeln und bedürfe ansonsten keiner Anbindung an Sprache, schlichtweg abwegig; allein jede Erklärung oder

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alle Gegenargumente sind in der Regel versprachlicht. Im Gegenteil, allein die Betrachtung, was in den verschiedenen Fächern unter „Theorie“ verstanden wird (nämlich vieles Verschiedenes), zeigt, wie vielsprachig die (vermeintlich) nichtsprachlichen Fächer sind und wie lohnend es sein kann, auch sie aus sprachlicher Perspektive mit zu betrachten (cf. hierzu auch das Kapitel „Ausge‐ wählte Lehrpläne nichtsprachlicher Fächer“ in Reich/Krumm 2013, 172-175). Hinzu kommen mittlerweile viel diskutierte Lernprobleme in den nichtsprach‐ lichen Fächern, von denen etliche eben doch auf sprachliche und nicht etwa auf fachliche Ursachen zurückzuführen sind, cf. hierzu z.B. Prediger 2013 oder Drumm 2016. Reich und Krumm erweitern die Debatte noch um einen weiteren Aspekt: Mit den steigenden Anforderungen an das Bildungssystem ist in neuer Dringlichkeit bewusst geworden, dass jeder Unterricht […] sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten voraussetzt und zugleich zu deren Weiterentwicklung beiträgt (Reich/Krumm 2013, 11).

Eben in dem Wechselspiel zwischen fachlichen Inhalten und ihrer versprach‐ lichten Debatte profitieren beide Seiten dieser Medaille: Durch die Versprach‐ lichung wird der Inhalt externalisiert und weiter bearbeitet; das wachsende Verständnis für die Inhalte erfordert eine komplexer werdende Versprachli‐ chung. 4 Zur spracherwerbstheoretischen Rahmung und Begründung

Sowohl spracherwerbstheoretisch als auch sprachenlehrlerntheoretisch lassen sich gesamtsprachencurriculare Ansätze aus verschiedenen Perspektiven recht‐ fertigen, begründen und unterstützen. Das Faktorenmodell (cf. Hufeisen 2010) sowie das Dynamische Mehrspachigkeitsmodell (cf. Jessner 2004) sehen mit den fremdsprachenspezifischen Faktoren bzw. dem Mehrsprachigkeitsfaktor das sy‐ nergetische Wesen des Vorhandenseins verschiedener Sprachen im individu‐ ellen Sprachenrepertoire, der individual dominant language constellation (Aronin im Druck), welches mehr als die Summe seiner Einzelteile bzw. der Einzelsprachen ist. Diese fremdsprachenspezifischen Faktoren erleichtern Lern‐ enden u.a. den interlingualen Vergleich, den zwischensprachlichen Transfer und die Entwicklung des metalinguistischen Bewusstseins: Im DMM […] wird angenommen, dass mehrsprachige Menschen über einen erwei‐ terten mehrsprachigen Monitor sowie ein erhöhtes multilinguales Bewusstsein (MLA) verfügen. Die aus dem Kontakt der Sprachsysteme im mehrsprachigen Menschen entstehenden emergenten Eigenschaften und Fähigkeiten […] werden im Multingu‐

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alismus-Faktor (M-Faktor) zusammengefasst. Dieser bezeichnet Fähigkeiten, welche nicht von Anfang an vorhanden sind, sondern sich in dem Maße entwickeln, in dem Sprachsysteme miteinander agieren. Durch diese Interaktionen wird eine qualitative Veränderung des Gesamtsystems hervorgerufen (Jessner/Allgäuer-Hackl 2015, 220).

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Im Rahmen dieses synergetischen Zusammenspiels aller vorhandenen Sprachen in einem individuellen Sprachenrepertoire können mit Bezug auf metalinguis‐ tisches Bewusstsein insbesondere aber auch die klassischen Sprachen eine wich‐ tige Rolle spielen: „Latein sollte also offensiv als Säule einer Mehrsprachigkeits‐ didaktik vermittelt werden“ (Müller-Lancé 2009, 66, cf. auch Ortner 2011). Außerdem lassen sich diese Synergien auch besonders gut anhand der Fer‐ tigkeit Schreiben nachweisen: Die Text- bzw. Schreibkompetenz ist die Fähigkeit, die die konzeptionelle Basis für alle komplexen Lernprozesse in der Schule darstellt. Sie kann von der Erst- in die Zweitsprache transferiert werden. Das Schreiben ist eine anspruchsvolle kognitive Fähigkeit, die mehr Konzentration vom Schüler erfordert als das Sprechen und zur Ausbildung spezifischer Lernprozesse beiträgt. Schreiben ist eine bewusste Anstren‐ gung, bei der mit sprachlichen Strukturen operiert wird, und führt daher zu einem hohen Grad an metalinguistischem Bewusstsein (Ezhova-Heer 2011, 114sq.).

Dieses synergetische Zusammenspiel aller vorhandenen Sprachen ergibt sich allerdings erst durch das Vorhandensein von mehr als zwei Sprachen. Diese Annahme basiert auf der Erkenntnis, dass das Lernen einer zweiten Sprache sich nicht nur quantitativ, sondern besonders qualitativ vom Lernen einer dritten Sprache unterscheidet: Sprachlernerfahrungen sind vorhanden, eventuell ein expliziertes und anwendbares Wissen darüber, wie an den neuen Sprachlernprozess erfolgversprechend herange‐ gangen werden kann, eine vermutlich größere Gelassenheit gegenüber dem (wieder einmal) Neuen und Fremden. Das (Fremd‑)Sprachenlernen an sich ist nichts Neues oder gar Bedrohliches mehr. Diese Erfahrungen habe ich Fremdsprachenlernspezifi‐ sche Faktoren genannt, die sich erst ab einer L2 einstellen und entwickeln, aber mit dem Lernen einer L3 wirksam werden können und so eben den wesentlichen Unter‐ schied zwischen dem Lernen einer L2 und dem Lernen einer L3 ausmachen (Hufeisen 2010, 202).

Sprachenlernen im Rahmen von gesamtsprachencurricularen Ansätzen voll‐ zieht sich in dem schriftlichen und mündlichen Sprachhandeln, ebenso wie dem Aushandeln, beeinflusst durch die Qualität und Quantität des sprachlichen In‐ puts, d.h. in der Regel in der Interaktion mit den Sachverhalten einerseits und in der Interaktion mit anderen Kommunikationsteilnehmenden andererseits.

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Interaktionistisch orientierte spracherwerbstheoretische Ansätze können daher ebenfalls als Grundlagen für die Beschreibung von Sprachenlernprozessen im Rahmen von gesamtsprachencurricularen Ansätzen dienen, wobei sowohl in‐ teraktionistisch-kognitivistische Modelle als Informationsverarbeitungspro‐ zesse mit den Input-, Output-, Interaktions- und Aufmerksamkeits-Hypothesen als auch interaktionistisch-soziokulturelle Modelle mit den Annahmen zu Me‐ diation, Zone(n) der nächsten Entwicklung und Scaffolding als Erklärungen für Spracherwerbs- und Sprachenlernprozesse dienen können. Hierbei sind Stich‐ worte konturierend für die Beschreibung der Spracherwerbs- und -lernverläufe relevant, wie beispielsweise

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verständlicher Input sowie Input i+1 – also Input, der leicht über dem erreichten Sprachstand liegen muss, aber nicht zu hoch liegen darf –, – lernerseitige Verarbeitung des Input zu Intake, – die aufmerksame und bewusste Verarbeitung des Intake als Grundlage für den Output (kreative und selbstgesteuerte schriftliche und mündliche Sprachproduktion), der seinerseits Grundlage für die sprachlichen Aus‐ handlungsprozesse bzw. Mediation (oben als Sprachmitteln eingeführt) aller Art ist, – Scaffolding als zielgerichtete und gestaffelte, nicht jedoch explizite oder bewusstmachende Unterstützungsmaßnahmen.

Bei dieser Liste (die ich hauptsächlich aus Seifert 2016, 118-140 übernommen und kondensiert habe) gehe ich eklektizistisch davon aus, dass die beiden in‐ teraktionistischen Hauptperspektiven für die Abbildung der Prozesse im Rahmen von Gesamtsprachencurricula komplementär ergänzend und synerge‐ tisch genutzt und zugrunde gelegt werden können. 5 Forschung

Insgesamt ist die – insbesondere empirische bzw. Daten geleitete – Forschung zu gesamtsprachencurricularen Ansätzen bisher eher überschaubar. Das hat zum einen damit zu tun, dass praktisch alle Ansätze – von den Schweizer Initi‐ ativen abgesehen – idealtypischer Natur sind und meist so weit von den gän‐ gigen und etablierten Lehrplänen und Curricula entfernt sind, dass sie bisher kaum flächendeckend eingesetzt, evaluiert und beforscht werden konnten. Die vorhandene bzw. die laufende Forschung bezieht sich meist auf Einzelinitiativen bzw. Einzelprojekte, die im Rahmen von Pilotierungsphasen oder Großprojekten stattfinden und daher in der Regel eher Versuchscharakter haben. Änderungen

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in Curricula und Lehrplänen, die gesamtsprachencurricular organisiert sind, sind von derart substantieller Art, dass es einige Jahre bzw. Jahrzehnte dauern wird, bis sie sich im schulischen Alltag regelmäßig wiederfinden würden und werden. Das hat auch damit zu tun, dass Lehrkräfte, die entlang gesamtspra‐ chencurricularer Praxis lehren, entsprechend aufgeschlossen sein müssen, ide‐ alerweise in der Ausbildung oder der Fort- und Weiterbildung darauf vorbereitet sind und an einer Institution arbeiten müssen, in der Gesamtsprachencurricula Bestandteil der Schulentwicklung sind (cf. Hufeisen 2015b). Im Folgenden möchte ich auf drei ganz unterschiedlich geartete Schulprojekte eingehen, in deren Rahmen verschiedene Aspekte der gesamtsprachencurricu‐ laren Praxis erforscht werden. Es handelt sich um begleitbeforschte Teilprojekte des Gesamtprojektes PlurCur® (2015) am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz, welches von 2012 bis 2015 an 18 Schulen in Europa stattfand. Henning 2015 begleitet eine jahrgangs- und fächerübergreifende AG zu viel‐ sprachigem Theaterspielen in einer Längsschnittstudie; sie untersucht die Ein‐ stellungen der Schülerinnen und Schüler zu ihrer eigenen Mehrsprachigkeit und die Veränderungen dieser Einstellungen unter dem Eindruck der Arbeit in der Theater-AG über ein Schuljahr hinweg. Fasse 2015a und b beobachtet (an der gleichen Schule wie Henning) in ihrer Studie – ebenfalls über ein Schuljahr hinweg – die Entstehung eines vielspra‐ chigen Theaterstücks, welches von den SchülerInnen von der ersten Idee bis zur Aufführung eigeninitiativ geschrieben und vorbereitet wird. Während also Henning die Perspektive der SchülerInnen in den Fokus rückt, betrachtet Fasse die sprachliche Seite der Arbeit in der AG. Kordt 2015a und 2015b hat im Rahmen des Projektes PlurCur® in mehreren Durchläufen den Interkomprehensionsansatz von EuroComGerm evaluiert und kommt zu dem Schluss, dass gezieltes mehrsprachigkeitsbezogenes Lernen Af‐ fordanzpotenziale freilegt, die folgendes (Sprachen)Lernen erleichtern, effek‐ tiver und effizienter machen – und den SchülerInnen darüber hinaus Freude zu bereiten scheinen, d.h. sie motivieren. Als Affordanz bezeichnet sie „eine Hand‐ lungsmöglichkeit, die sich für das Individuum aus dem Zusammenspiel seiner Eigenschaften mit denen der Umwelt ergibt“ (Kordt 2015a, 87). Dabei nimmt sie an, dass Affordanzen sich aus diesem Zusammenspiel Individuum und Umwelt ermergent verhalten, d.h. zusammen mehr Potenzial ergeben als die bloße Summe aus beiden. Weitere Forschung ist notwendig, insbesondere in Form von Begleitfor‐ schung zu den zahlreichen Projekten, wie sie in Allgäuer-Hackl et al. 2015 vor‐ gestellt werden. Hier geht es insbesondere um Forschungsfragen zur Machbar‐ keit, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Gesamtsprachencurricula; des

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Weiteren um Fragen zu Notwendigkeiten und Bedarfen in Bezug auf Strukturen (cf. hier besonders Erin/Patscheider 2015), Ausbildung entsprechender Lehr‐ kräfte und Finanzierung, aber auch ganz wesentlich um Rückschlüsse auf die Validität von Mehrsprachigkeitsmodellen und Modellen zum multiplen Spra‐ chenlernen.

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6 Abschließende Überlegungen

Alle an PlurCur® beteiligten Schulen und KollegInnen verbuchen Erfolge und Probleme, aber es sind sich alle einig, dass ein solchermaßen fächer- und spra‐ chenübergreifendes Lernen und Lehren großes Potenzial hat und in der Regel bei Lernenden, Lehrenden, Eltern und Direktionen gut ankommt. Erste For‐ schungsergebnisse weisen in die gleiche Richtung und zeigen, dass gesamtspra‐ chencurriculares Arbeiten wirkt. Ähnliche Stimmen gibt es zu den anderen An‐ sätzen. Dass gesamtsprachencurriculares Arbeiten dann am erfolgreichsten ist, wenn es von Einzelinitiativen vor Ort getragen und gelebt und von übergeord‐ neten Instanzen organisatorisch und auch personell unterstützt, wenigstens aber nicht boykottiert wird, haben alle Projekte deutlich gezeigt. Veränderungen der Größe eines solchen Ansatzes sind aber nicht innerhalb einer Wahlperiode oder gar eines Schuljahres zu bewerkstelligen, sodass alle Beteiligten, die ge‐ samtsprachencurricular arbeiten möchten, Ausdauer und Durchhaltevermögen benötigen. Anmerkung

Ich danke meinem Kollegen Ingo Thonhauser für die Literaturhinweise zum Schweizer Gesamtsprachenkonzept und meinem Mitarbeiter Lennart Bartel‐ heimer für das formale Einrichten des Manuskripts. Literatur Allgäuer-Hackl, Elisabeth / Brogan, Kristin / Henning, Ute / Hufeisen, Britta / Schlabach, Joachim (ed.). 2015. MehrSprachen? – PlurCur! Berichte aus Forschung und Praxis zu Gesamtsprachencurricula. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren (Mehrsprachig‐ keit und multiples Sprachenlernen Bd. 11). Allgäuer-Hackl, Elisabeth / Jessner, Ulrike. 2013. „Mehrsprachigkeitsunterricht aus mehr‐ sprachiger Sicht. Zur Förderung des metalinguistischen Bewusstseins“, in: Eva Vetter (ed.): Professionalisierung für Vielfalt. Die Ausbildung von Sprachenlehrer/innen. Balt‐ mannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 111-147.

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Britta Hufeisen

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Inter- und transkulturelle kommunikative Kompetenz

Daniel Reimann

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1 Historische und theoretische Hintergründe: Fremdsprachendidaktik – Bildungswissenschaften – Kultur- und Kommunikationstheorie

Interkulturelle kommunikative Kompetenz ist vielleicht der wichtigste Beitrag des Fremdsprachenunterrichts zum übergeordneten Erziehungs- und Bildungs‐ auftrag unserer Schulen. Doch was ist darunter genau zu verstehen, wie hat sich inter- oder transkulturelle Kompetenz als Gegenstand des Fremdsprachenun‐ terrichts entwickelt? 1.1 Geschichte und Gegenwart der Beschäftigung mit (zielsprachigen) Kulturen im Fremdsprachenunterricht

In der jüngeren Geschichte des Fremdsprachenunterrichts seit dem 19. Jahr‐ hundert lässt sich eine Auseinandersetzung mit der fremdsprachlichen Kultur jenseits der Literatur erstmals in der neusprachlichen Reformbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts feststellen. Sie manifestiert sich in einer so genannten Realienkunde, in der es darum geht, einzelne Gegenstände und Fakten über das zielsprachige Land kennenzulernen und zu sammeln, um so zu einer Kenntnis der Zielkultur zu gelangen. Die Realienkunde ist im Kontext des Positivismus und innerhalb der Philologien auch im Kontext der altertumswis‐ senschaftlichen Realienkunde zu sehen (cf. die monumentale Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 1837fsqq.). Auf die Realienkunde folgt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die sog. Kulturkunde, in der ein vertiefteres Verstehen der anderen Kultur intendiert wird. Dabei versucht man, von einer Einheit von Kultur und Nation ausgehend, den Nationalcharakter fremder Völker zu eruieren und zu vermitteln. Hier kann eine Parallele in der etwa gleichzeitig etablierten idealistischen Sprachwissenschaft (z.B. Vossler) gesehen werden. Der hermeneutisch begründete kulturkundliche Ansatz - ab 1925 in den preußischen Rahmenrichtlinien fassbar - sah die Kenntnis fremder Kulturen v.a. mit dem Ziel vor, die eigene Kultur besser zu verstehen (cf. Rein‐

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fried 2013, 38). Aus verschiedenen Quellen kann Marcus Reinfried folgende zeitgenössische Stereotypisierungen „der Spanier“ feststellen:

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Spanier wurden […] öfter als sensitiv, „impressionistisch“, im großen Ganzen aber noch logisch denkend beschrieben; als spezifische Eigenschaften wurden ihnen - in etwas geringerem Maße während der zwanziger Jahre, stärker ausgeprägt im Dritten Reich - Tapferkeit, „Ritterlichtkeit“ und Mut, Stolz, „glühende Vaterlandsliebe und der unerschütterliche Glaube an etwas Höheres auf der Welt“ attribuiert (Reinfried 2013, 38sq., mit weiterführender Bibliographie).

Erkenntnisse der Kulturkunde konnten folglich in der nationalsozialistischen Ideologie missbraucht werden; in dieser Zeit wurde unter den Vorzeichen der Wesenskunde versucht, ideologisch überformte Erkenntnisse zum Volkscha‐ rakter anderer Nationen zu vermitteln. Während beispielsweise Italien bereits mit dem ersten Weltkrieg Sympathien verloren hatte (Hausmann 2008, 466sq.), hatte die Beliebtheit der spanischen Sprache in der Folge der Neutralität der hispanophonen Staaten in den Kriegshandlungen bereits seit den 1920er Jahren zugenommen (Reinfried 2013, 32). Mit der nationalsozialistischen Reform des Unterrichtswesens der Jahre 1935/1936sqq. wurde Englisch für alle Schulen ver‐ pflichtend und das Französische zum Wahlpflichtfach abgewertet (z.B. Haus‐ mann 2008, 62, 64, Reinfried 2013, 29sqq.). Zugleich wurden das Spanische und das Italienische als Sprachen wichtiger politischer Partner grundsätzlich mit dem Französischen (wohlgemerkt mit Wahl(pflicht)fachstatus, d.h., maximal je‐ weils drei Wochenstunden in drei Schuljahren) gleichgestellt (Hausmann 2008, 65, cf. auch Reinfried 2013, 31 sowie die sehr kurzen Richtlinien in Christ/Rang 1985, 165sq.). Insbesondere das Spanische, das man aufgrund damals noch en‐ gerer Beziehungen der hispanoamerikanischen Staaten mit Spanien als wirt‐ schaftlich, aber - gerade nach dem Kriegseintritt der USA - auch politisch be‐ deutsame Sprache erachtete, erlebte einen Aufschwung (cf. z.B. Hausmann 2008, 495sqq.). Aus verschiedenen Diskussionsbeiträgen der fraglichen Zeit leitet Frank-Rutger Hausmann folgende inhaltliche Motivationsfaktoren für das Spa‐ nische in der fraglichen Zeit ab: Einem Erfahrungsbericht zufolge begeisterten sich auch seit Beginn des Bürgerkriegs 1936 mehr deutsche Oberschüler für das Spanische als für das Französische. Dafür sorgten offenbar die Berichte über die ´Legion Condor´ oder die ´Kadetten von Toledo ´ […]. Der Spanischunterricht informierte, so ein anderer Spezialist, über „das Werden und Wachsen des autoritären Staates jenseits der Pyrenäen“ und vermöge die Schüler mehr zu begeistern als das Französische, die „Sprache und Kultur eines ´abgetanen´ Volkes“ (Hausmann 2008, 500, mit weiterführender Bibliographie).

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Darüber hinaus galt für den Unterricht in den (romanischen) Fremdsprachen, dass deutschkundliche Lernziele (cf. Reinfried 2013, 35), mithin Themen wie „der Führermythos, die Kriegsverherrlichung, der Kolonialismus, der Rassenkult und der Blut- und Bodenmythos“ zu berücksichtigen waren (Hausmann 2008, 74). Folglich

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wurde die Beschäftigung mit fremden Kulturen nicht mehr als eigenständiges Lernziel begriffen, das zum besseren Verständnis fremder Perspektiven führen sollte, wie das noch bei der Realienkunde während der neusprachlichen Reformbewegung der Fall gewesen war (Reinfried 2013, 38).

Aus dem Missbrauch kultureller Inhalte in der Zeit des Nationalsozialismus er‐ klärt sich, dass in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg eine explizite Auseinandersetzung mit den zielsprachigen Kulturen im Fremdsprachenunter‐ richt nicht angestrebt war; vielmehr konzentrierte man sich auf sprachliche und literarische Inhalte. Erst mit der zunehmenden Politisierung und Soziologisie‐ rung der Gesellschaft nach 1968 kann eine so genannte landeskundliche Wende des Fremdsprachenunterrichts verzeichnet werden. Nunmehr wird die - gerade auch gegenwärtige, gesellschaftliche und politische - Realität der Ziel‐ kultur wieder interessant, auf diese Zeit gehen Textsammlungen für die Ober‐ stufe zurück, die überwiegend aus thematisch angeordneten Zeitungsartikeln bestehen usw. Zu den Inhalten landeskundlichen Unterrichts zählt auch die Auseinandersetzung mit Stereotypen (s.u.), Ziel ist nunmehr ganz dezidiert die Völkerverständigung in einem zusammenwachsenden Europa und einer globa‐ lisierten Welt. Das Ziel einer „transnationalen Kommunikationsfähigkeit“ wird in den sog. Stuttgarter Thesen zur Landeskunde im Französischunterricht des Jahres 1982 unterstrichen (Robert Bosch Stiftung/Deutsch-französisches Institut 1982). Mit dem Ziel der Völkerverständigung ist bereits der Grundstein für eine Weiterentwicklung des Landeskundeunterrichts gelegt: denn um zu einer sol‐ chen zu gelangen, reicht deklaratives Wissen über den kulturellen Hintergrund des Kommunikationspartners nicht aus, sondern man muss auch auf diesen eingehen können, indem man sich in seine Perspektive hineinversetzt, seine Argumentationen verstehen kann usw. Dies fokussiert der Ansatz des inter‐ kulturellen Lernens, der in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik aufs engste mit dem Konzept des Fremdverstehens verknüpft ist, der, zu‐ sammen mit dem romanistischen Fachdidaktiker Herbert Christ (1929-2011) , insbesondere von dem Anglisten Lothar Bredella (1936-2012) geprägt und in dem bisher einzigen fremdsprachendidaktischen DFG-Graduiertenkolleg „Di‐ daktik des Fremdverstehens“ (1991-2003) vor allem in den 1990er Jahren an der Universität Gießen elaboriert wurde. Diese immanente Entwicklung der Fremd‐

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sprachendidaktik ist vor dem Hintergrund des erziehungs- und bildungswis‐ senschaftlichen Diskurses zu verstehen: Das Konzept des interkulturellen Lernens war in der Pädagogik bereits in den 1980er Jahren als Fortschreibung einer sog. Ausländerpädagogik entwickelt worden, welche seit den 1970er Jahren, ausgehend von einer Defizit-Hypothese („kompensatorische Päda‐ gogik“, cf. Hauenschild 2010, 151), Einwandererkindern die Integration in die deutsche Gesellschaft erleichtern sollte („Assimilationspädagogik“ bzw. „Über‐ gangs-Assimilation“ im Hinblick auf eine spätere Re-Migration, ibid.), wobei ein Schwerpunkt im Bereich der Sprachförderung bestand (cf. z.B. den „Förderun‐ terricht“ für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an der Uni‐ versität Duisburg-Essen seit 1974). Zielgruppe solcher Programme waren sei‐ nerzeit auch die Kinder der zahlreichen etwa italienischen und spanischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die auch einen bedeutenden Anteil an den frühen Schülerkontingenten des curricularen Italienisch- und Spanischunter‐ richts (als „Fremdsprache“) hatten. Ab den 1980er Jahren wurde im Kontext der interkulturellen Pädagogik der Blick von den Defiziten einzelner Gruppen auf die Differenzen zwischen Kulturen verlagert (Hauenschild 2010, 152), wobei [d]ie Betonung kultureller Verschiedenheit […] Gefahr [läuft], die Diskriminierung von Minderheiten ungewollt zu verstärken und somit einer weltweiten Tendenz zur Re-Ethnisierung Vorschub zu leisten: Durch die Thematisierung von Differenzen (re-) produzieren sie sich selbst […] (Hauenschild 2010, 152).

Die Fremdsprachendidaktik, wie auch die Pädagogik selbst, erkannten sodann in den 1990er Jahren das Potential des interkulturellen Lernens für alle Schü‐ lerinnen und Schüler, also auch für diejenigen ohne Migrationshintergrund. Die KMK erhob interkulturelle Bildung und Erziehung mit entsprechenden Emp‐ fehlungen im Jahr 1996 zu einer Querschnittsaufgabe für alle Bildungseinrich‐ tungen (KMK 1996, aktualisiert 2013). In dieser Zeit stehen begegnungspäda‐ gogische und konfliktpädagogische Ansätze im Zentrum des Interesses (Hauenschild 2010, 153). Georg Auernheimer (zuletzt 2012) führt als grundle‐ gende Prinzipien Interkultureller Pädagogik: – –

Gleichheit und Anerkennung.

Als ihre Ziele nennt er: – –

Verstehen Dialogfähigkeit.

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Leitmotive Interkultureller Pädagogik seien folglich: – – – –

das Eintreten für die Gleichheit aller ungeachtet der Herkunft, die Haltung des Respekts für Andersheit, die Befähigung zum interkulturellen Verstehen, die Befähigung zum interkulturellen Dialog (Auernheimer 2012, 20sq.).

Wolfgang Nieke 2008 benennt seinerseits zehn Ziele Interkultureller Pädagogik:

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– – – – – – – – – – –

Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus, Umgehen mit der Befremdung, Grundlegen von Toleranz, Akzeptieren von Ethnizität, Rücksichtnehmen auf die Sprachen der Mi‐ noritäten, Thematisieren von Rassismus, das Gemeinsame betonen, gegen die Gefahr des Ethnizismus, Ermuntern zur Solidarität, Berücksichtigen der asymmetrischen Situation zwischen Mehrheit und Minoritäten, Einüben in Formen vernünftiger Konfliktbewältigung Umgehen mit Kulturkonflikt und Kulturrelativismus, Aufmerksamwerden auf Möglichkeiten gegenseitiger kultureller Berei‐ cherung, Thematisieren der Wir-Identität: Aufheben der Wir-Grenze in globaler Verantwortung oder Affirmation universaler Humanität? (Nieke 2008, 75sq.).

Auernheimer beschließt einen historischen Abriß über die Entwicklungslinien der interkulturellen Pädagogik mit einem Ausblick auf den Diversity-Ansatz, den er als „pädagogische Meta-Perspektive“ (art. cit., 45) erachtet, in welcher sich entsprechend dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 die Kategorien Ethnie, Geschlecht, Religion, Behinderung und sexuelle Orien‐ tierung – ähnlich wie in einem weit gefassten Inklusionsbegriff (cf. z.B. Reich 2014) – integrieren lassen, ohne dass dabei die einzelnen diesen Kategorien ge‐ widmeten Disziplinen überflüssig würden (Auernheimer 2012, 44sq.). Katrin Hauenschild stellt fest, „dass es bei allen Zielformulierungen um den angemes‐ senen Umgang mit dem ,Andersartigen‘, mit dem ,Fremden‘, mit ,anderen Kul‐ turen‘, um Verschiedenheiten geht – und somit nach wie vor die Differenz-Figur als theoretische Implikation im Zentrum steht“ (Hauenschild 2010, 154), wäh‐ rend „Differenzen im Sinne innerer Fremdheitsanteile […] sowie die Möglich‐ keiten zu Transformationsprozessen […] im Rahmen der Identitätsbildung“ ebenso wie „die Idee der subjektiven Integration verschiedener kultureller An‐

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teile im Sinne einer „hybriden Identität“ […], wie sie im Konstrukt Transkultu‐ ralität vorausgesetzt wird, in der pädagogischen Diskussion nicht selten unbe‐ achtet“ bliebe (art. cit., 155). Tatsächlich verstärken sich punktuell ab den 1990er Jahren, u.a. vor dem Hintergrund des konstruktivistischen Paradigmas, Reflexionen um „Diver‐ sity-Pädagogik“ und um die Integration von Universalismus und Kulturrelati‐ vismus, die eine Weiterentwicklung der interkulturellen zu einer transkultu‐ rellen Pädagogik andeuten (cf. z.B. Göhlich et al. 2006b, 21, cf. Schöfthaler 1984, Datta 2005, 2010, Gippert/Götte/Kleinau 2008, Darowska/Lüttenberg/ Machold 2010). Sie basieren u.a. auf dem kulturphilosophischen Ansatz von Wolfgang Welsch (einführend z.B. Welsch 2010, s.u.). Einer der ersten Beiträge in den deutschsprachigen Erziehungswissenschaften, in denen der Begriff ein‐ geführt wird, ist Schöfthaler 1984. Er ist im Kontext der Debatte um die Wei‐ terentwicklung der Ausländerpädagogik der siebziger Jahre und der interkul‐ turellen Pädagogik der achtziger Jahre zu verorten. Man sieht, zunächst in migrationspädagogischem Kontext, in transkultureller Erziehung, anders als im interkulturellen Lernen und in „multikultureller Erziehung“, welche auf eine Integration von Minderheiten in bestehende Gesellschaftsstrukturen zielen, eine Erziehung, die „Kinder von Mehrheiten und Minderheiten“ betrifft (Schöf‐ thaler 1984, 16). Aus pädagogischer – und in der Folge fremdsprachendidakti‐ scher – Sicht bedeutend ist die Evidenz von Transkulturalität auf der Mikro‐ ebene des Individuums. Hier kann man – letztlich in Anlehnung an Welsch – davon ausgehen, „dass die individuelle Entwicklung durch mehrere kulturelle Herkünfte und Verbindungen in Richtung auf eine interne Pluralität beeinflusst ist“ (Hauenschild 2010, 157). Daraus lässt sich folgender Ausgangspunkt trans‐ kultureller Lernprozesse ableiten: Aufgabe des Subjekts ist es dann, seine Identität auszuhandeln, Kultur subjektiv zu konstruieren. Es kann kulturelle Identifikationsangebote selektiv verwenden, um‐ deuten oder verwerfen. […] Transkulturelle Identität ist in diesem Sinne auf das Ge‐ lingen, auf die erfolgreiche Integration unterschiedlicher kultureller Anteile ausge‐ richtet, die das Individuum dazu befähigt, über den Rekurs auf eine einzige Partialkultur hinaus – und auch über eine Existenz ,zwischen‘ Kulturen hinaus – durch verschiedene Kulturen hindurch zu leben […]. (Hauenschild 2010, 157)

Es gibt inzwischen auch erste empirische Belege, die dafür sprechen, dass „Transkulturalität“ heute als generelle Lernvoraussetzung, nicht nur bei Lern‐ enden mit so genanntem „Migrationshintergrund“, gelten darf (Hauenschild 2010, 157sq. mit weiterführender Bibliographie).

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Zwei weitere für die Weiterentwicklung des inter- und transkulturellen Lernens relevante, jüngere Konzepte sind „Transmigration“ und „Transdiffe‐ renz“. Ingrid Gogolin hebt hervor, dass das Phänomen der Transmigration „und das Entstehen transnationaler sozialer Räume“ (Gogolin 2006, 31, 36) an Bedeutung zunimmt, als „spezifischer Internationalisierungstyp“ anerkannt werden muss (36) und als Modell für die Entwicklung individueller Transkul‐ turalität gesehen werden kann (cf. auch Sievers 2010). Gogolin 2006 definiert das Phänomen der Transmigration wie folgt: [Transmigration] zeichnet sich dadurch aus, dass der Wechsel zwischen verschie‐ denen Lebensorten in unterschiedlichen Ländern kein singulärer Vorgang ist, sondern quasi zu einem Normalzustand wird. Dabei geht es nicht immer um einen tatsächlich physisch vollzogenen Wanderungsprozess; vielmehr geht es auch um die Pflege in‐ tensiver und dauerhafter virtueller Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen, die stets mit der Option auf einen Ortswechsel verbunden sind. Das Verhältnis zwi‐ schen Herkunfts- und Ankunftsregion wird hier durch die Herausbildung der auf Dauer angelegten transnationalen Sozialräume gestaltet. (Gogolin 2006, 35)

Im Bezug auf die Verortung des Individuums führt Ingrid Gogolin zu den von ihr sogenannten „sowohl-als-auch-Identitäten“ (36) weiter aus: Diese Daseinsform fixiert sich nicht auf einen Platz. Aber sie ist gleichzeitig nicht ortslos, sondern pluri-lokal. Als aktive soziale Akteure bilden Transmigranten neue kulturelle Muster und Formen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung he‐ raus. Transmigranten schwanken nicht zwischen Integration in die Aufnahmegesell‐ schaft oder Rückkehr, sondern positionieren sich in beiden – oder vielleicht sogar: mehreren Regionen und Plätzen gleichzeitig. […]. In Bezug auf die subjektiven Selbst-Verortungen wird in ihrem Fall von neuen, sowohl-als-auch-Identitäten‘ der Migranten gesprochen. (Gogolin 2006, 36)

In Studien zur Transmigration finden u.a. Phänomene der mehrsprachigen Le‐ bensgestaltung Beachtung: Die beim Migrationstypus ,Emigration/Immigration‘ bestehende Wahrscheinlichkeit eines Sprachwechsels im Sinne von Verzicht auf die mitgebrachte Sprache der Her‐ kunft nach einigen Generationen wurde weithin – und wird häufig immer noch – als ,Normalfall‘ der Sprachentwicklung angenommen. Die Beobachtung in Migrati‐ onskontexten der jüngeren Zeit zeigt aber, dass es zunehmend zu einer mehrspra‐ chigen Lebenspraxis kommt und bei einer solchen bleibt […]. (Gogolin 2006, 37)

Die verschiedenen dem Einzelnen zur Verfügung stehenden Sprachen werden dabei „als einander komplementäre Kommunikationssysteme konzeptualisiert“

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(Gogolin 2006, 38). Diese empirisch belegten Befunde sowie die Annahme, dass Transmigration zunehmend zu einem Regelfall menschlicher Existenz wird, vermögen aus sprachdidaktischer Sicht eine weitere Begründung für einen na‐ türlichen, zumindest gegenüber traditionellen Einsprachigkeits-Postulaten ent‐ spannten, mitunter spielerischen Umgang mit Zwei- und Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht zu bieten (cf. z.B. Butzkamm 1973, 2004, 2009, Wein‐ rich 1983, Reimann 2002). Das Konzept der Transdifferenz wurde erstmals von Jörg Roche aus fremd‐ sprachendidaktischer Perspektive reflektiert (Roche 2013, 257sqq). Vereinfacht gesprochen geht es im Ansatz der Transdifferenz darum, binäres Differenz‐ denken zu überwinden und Differenzen nicht leugnen oder nivellieren zu wollen, sondern sie zu akzeptieren und produktiv mit ihnen umzugehen. Das Konzept wurde insbesondere um das DFG-geförderte Graduiertenkolleg „Kul‐ turhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz“ an der Univer‐ sität Erlangen-Nürnberg (2001-2010) ausgehend von Ansätzen des Anglisten Klaus Lösch entwickelt (einführend cf. z.B. Lösch 2005 im Band Allolio-Näcke/ Kalscheuer/Manzeschke 2005, dort weiterhin bes. Kalscheuer 2005 und Al‐ lolio-Näcke/Kalscheuer 2005). Die Abgrenzung des Konzepts zu Denkfiguren wie Kreolisierung, Hybridisierung, Transkulturation, Transkulturalität oder mestizaje stellt sich nach Lösch wie folgt dar: Das Transdifferenzkonzept teilt [deren] Annahmen, unterscheidet sich jedoch von Konzepten der Entdifferenzierung im Sinne von kreolisierender Mischung einerseits und Differenzen dekonstruierender Hybridität andererseits durch das gleichzeitige Fortbestehen der (eingeschriebenen) Differenzen und von Konzepten eines Dritten jenseits dichotomer Differenzmarkierungen durch heterotope Offenheit, Transitorik und die Unhintergehbarkeit kognitiver Dissonanz. [...] Es trägt einen starken tempo‐ ralen Index, da es sich auf Momente bezieht, in denen Differenz vorübergehend in‐ stabil wird, ohne sich jedoch aufzulösen. Dies ist weit entfernt von verschiedenen Formen kultureller Synthese einerseits, auf die sich Begriffe wie mestizaje, Transkul‐ turation, Transkulturalität und Kreolisierung beziehen, und von einer fortlaufenden Dekonstruktion von Differenzen andererseits, die das Konzept der Hybridisierung in seiner starken Variante impliziert. (Lösch 2005, 43)

Differenzen, die um die Denkfigur der Transdifferenz ergänzt werden, sind mithin vorübergehende Erscheinungen, die instabil werden. Sie haben eine orientierungs‐ stiftende Funktion, sollen in dieser Funktion erhalten bleiben und durch eine Kom‐ ponente Transdifferenz ergänzt werden […] Insgesamt erfolgt […] eine „Umstellung auf ein dynamisches Identitätskonzept, in dessen Zentrum die Frage danach steht,

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´wer ich werde´“ (Allolio-Näcke/Kalscheuer 2005:18), und nicht, ´wer ich bin´. Die kontinuierlichen Austausch- und Änderungsprozesse von Kulturen führen damit zu einer Komplexitätssteigerung postnationaler Identitäten […]. (Roche 2013, 258sq.)

Insofern scheint die Denkfigur der Transdifferenz ebenso wie das Konzept der Transmigration geeignet, bestehende Ansätze der inter- und transkulturellen kommunikativen Kompetenz im fremdsprachendidaktischen Bereich weiter zu entwickeln. 1.2 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz I: Kultur

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Kulturbegriff Für die Konzeption von interkultureller (kommunikativer) Kompetenz scheint es sinnvoll, etwa in Anlehnung an Erll/Gymnich 2010, von einem anthropologischen Kulturbegriff auszugehen, wie ihn Gerhard Maletzke 1996 vorgeschlagen hat: […] Kultur [ist] im wesentlichen zu verstehen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen und Wertorientierungen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. Ganz vereinfacht kann man sagen: Kultur ist die Art und Weise, wie die Menschen leben und was sie aus sich selbst und ihrer Welt machen (Ma‐ letzke 1996, 16, zit. bei Erll/Gymnich 2011, 20).



Es versteht sich von selbst, dass man Kulturen heute nicht mehr als statische, in sich geschlossene Systeme betrachtet, sondern als Zusammenspiel dyna‐ mischer und hybrider Komponenten. Hier setzt etwa das Modell der Trans‐ kulturalität nach Welsch (s.o.) an. Die Tatsache, dass trotz überwundener homogener Kulturmodelle einerseits und anerkannter Hybridisierungen an‐ dererseits „trotz der hochgradigen Differenziertheit […] doch eine Einheit in der Vielfalt […], ein offensichtlicher Zusammenhalt von Kulturen [zu be‐ obachten ist]“ (Erll/Gymnich 2010, 29), versucht Stefanie Rathje in ihrem Modell der Kohäsion von Kulturen (Rathje 2006), in denen das kollektive Gedächtnis (einführend Erll 2011, für den Unterricht der romanischen Spra‐ chen exemplarisch Reimann 2014c) eine zentrale Rolle spielt, zu fassen. Dimensionen von Kultur nach Erll/Gymnich Astrid Erll und Marion Gymnich schlagen ein Modell der Dimensionen von Kultur vor, das die drei Bereiche „soziale Dimension“ (z.B. soziale Interak‐ tion), „materiale Dimension“ (jegliche kulturelle Artefakte) und „mentale Dimension“ (z.B. kulturgebundene Standardisierungen) umfasst, wobei sie die ersten beiden Bereiche als beobachtbar, den Bereich der mentalen Di‐

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mension für überwiegend unbeobachtbar halten (Erll/Gymnich 2011, 23), worin eine besondere Herausforderung für die Schulung interkultureller Kompetenz begründet ist. Graphisch veranschaulichen sie ihr Modell wie folgt (ibid.):

Abb. 1: Dimensionen der Kultur nach Erll/Gymnich (2010, 23)



Kultur und Individuum: Multikollektivität und Transkulturalität Auch gilt es, sich bewusst zu machen, dass jedes Individuum selbstverständ‐ lich an mehreren kulturellen Formationen teilhat. Der Kulturtheoretiker Klaus P. Hansen prägte dafür die Begriffe der „Mehrfach-Mitgliedschaft“ respektive der „Multikollektivität“ (zuletzt Hansen 2011, 15sqq., cf. Erll/ Gymnich 2010, 28). Welsch ordnet dieses Phänomen einer Mikroebene der Transkulturalität zu und spricht von der Patchwork-Identität heutiger Indi‐ viduen (Welsch 2010, 43, 46, cf. Reimann 2014b, 30): […] Wir sind kulturelle Mischlinge. Die kulturelle Identität der heutigen Indivi‐ duen ist eine patchwork-Identität. Da heutige Heranwachsende schon alltäglich mit einer weitaus größeren Anzahl kultureller Muster bekannt werden als dies in der Elterngeneration der Fall war – […] können sie bei ihrer Identitätsbildung eine Vielzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft aufgreifen und verbinden. Das betrifft nicht etwa nur Migranten und Migrantinnen, sondern alle Heran‐ wachsenden. […] Heutige Menschen werden zunehmend in sich transkulturell. (Welsch 2010, 46)

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Insofern ist inter- bzw. transkulturelle Kompetenz auch gefragt, wenn man „mit Vertretern anderer Generationen, Regionen, Geschlechter und sozialer Klassen oder rivalisierender Subkulturen“ (Erll/Gymnich 2010, 31) usw. in‐ teragiert. Kultur und Gesellschaft: Multi-/ Inter-/ Transkulturalität Weiterhin kann es sinnvoll sein, auf der Makroebene der Gesellschaften (so Welsch 2010, 43) die Konzepte Multi-, Inter- und Transkulturalität vonei‐ nander abzugrenzen. Nach Wolfgang Welsch halten die beiden erstge‐ nannten „am Kugelmodell fest“ (Welsch 2010, 49). Während Multikultura‐ lismus die Koexistenz in sich geschlossen gedachter Kulturen innerhalb einer Gesellschaft bezeichnet und „dadurch tendenziell Ghettoisierung [beför‐ dert]“ (ibid.), zielt Interkulturalität auf das „gegenseitig[e] Verstehen zwi‐ schen den im Ansatz als hochgradig verschieden, ja inkommensurabel an‐ gesehenen Kulturen“ ab (ibid.). Daneben stellt Welsch das Konzept der Transkulturalität, in dem sich Kulturen gegenseitig durchdringen und wech‐ selseitig bedingen (s.o., cf. Reimann 2014b, 29sq.). Differenzen zwischen Kulturen • Strukturmerkmale (Maletzke) In den Kulturwissenschaften gibt es zahlreiche Ansätze, um Eigenheiten von Kulturen zu beschreiben. Ein sehr allgemeiner Ansatz ist der von Gerhard Maletzke, der verschiedene Strukturmerkmale von Kulturen be‐ nennt: Wahrnehmung, Zeiterleben, Raumerleben, Denken, Sprache, non‐ verbale Kommunikation, Wertorientierungen, Verhaltensmuster, soziale Beziehungen (Maletzke 1996, 42sqq.). Das Bewusstsein darüber, dass sich Kulturen in diesen Bereichen voneinander unterscheiden können, kann für die Planung von Fremdsprachenunterricht und für die Interaktion mit Angehörigen einer anderen Kultur hilfreich sein; es ist Teil der kogni‐ tiven oder wissensbasierten interkulturellen Teilkompetenz nach Erll/ Gymnich 2010 bzw. Rössler 2010 (s.u.), und hier Teil einer „kulturüber‐ greifenden Kompetenz“ (Erll/Gymnich 2010, 43) bzw. eines „kulturtheo‐ retische[n] Wissen[s] (op. cit., 12) oder eines „allgemeine[n] Wissen[s] über Kultur und Kommunikation (Rössler 2010, 143). • Kulturdimensionen (Hofstedte) Fakten über einzelne Kulturen, bezogen auf Nationen, lassen sich der bereits an der Wende zu den 1970er Jahren unter 100000 Probanden von IBM durchgeführten Studie von Geert Hofstede entlehnen (Hofstede 1980, Hofstede/Hofstede 2011; einführend z.B. Erll/Gymnich 2010, 44-49, Heringer 2010, 148-152, Heringer 2012, 28sq.). Er setzte folgende Dimen‐ sionen von Kultur an:

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Machtdistanz (Akzeptanz von Hierarchien) Amibiguitätstoleranz (Umgang mit unbekannten Gegebenheiten) Individualismus (Bedeutung des Einzelnen und der Gemeinschaft) Maskulinität (Bedeutung von Leistungsdenken („männlich“) bzw. Fürsorge („weiblich“)) – Langzeit- vs. Kurzzeitorientierung (Ausrichtung eher an langfris‐ tiger Verantwortung bzw. an der aktuellen Leistung, Vergangen‐ heit und Gegenwart bzw. Zukunft). Unter anderem wird nach der Studie Hofstedes Machtdistanz in Spanien eher akzeptiert (und erwartet) als in Deutschland (Hofstede/Hofstede 2011, 55), Individualismus in Deutschland höher geschätzt als in Spanien (op. cit., 101), die deutsche Gesellschaft zeichnet sich durch einen hö‐ heren Maskulinitätsindex aus (op.cit., 158), Ambiguitätstoleranz sei in Deutschland ausgeprägter als in Spanien (op. cit., 221sq.). Wiewohl die Kategorien im Sinne eines allgemeinen Wissens über Kulturen den Blick auf kulturelle und attitudinale Besonderheiten von Gesprächspartnern lenken können, sind einzelne Daten Hofstedes mit Vorsicht zu genießen (u.a. ist das Alter der Studie zur berücksichtigen). Kulturstandards (Thomas) Ein weiteres Kategoriensystem, das vor allem aus wirtschaftspsycholo‐ gischer Perspektive vorgeschlagen wurde, ist das der sog. Kulturstan‐ dards nach Alexander Thomas (1993sqq.) (einführend z.B. Erll/Gymnich 2010, 50-52, Heringer 2010, 182). Thomas und seine Mitarbeiter defi‐ nieren Kulturstandards wie folgt: Kulturstandards sind Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Han‐ delns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beur‐ teilt und reguliert (Thomas 2005, 45, zit. nach Erll/Gymnich 2010, 50).

Kulturstandards seien also so etwas wie das kulturelle „Koordinaten‐ system“ einer bestimmten Gemeinschaft. Problematisch ist, dass der Re‐ gensburger Sozial- und Organisationspsychologe Thomas in der Vielzahl seiner gerade auch in der Wirtschaft weit rezipierten Veröffentlichungen nirgends wirklich offen legt, wie er die – aus der Alltagswahrnehmung vielfach durchaus plausibel erscheinenden –- Standards für einzelne Kul‐ turen genau bestimmt hat (cf. zu Recht besonders kritisch Heringer 2010, 182, 193sqq.).

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1.3 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz II:

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Kommunikation

Bezüglich des zentralen Aspekts der Kommunikation werden in Handbüchern zur interkulturellen Kommunikation im Allgemeinen verschiedene Kommuni‐ kations- und Diskursmodelle vorgestellt (z.B. Bolten 2003, 11-38, Heringer 2010, 9-129). Darauf kann an dieser Stelle unter Verweis auf die Darstellung der funk‐ tionalen kommunikativen Kompetenzen in Abschnitt 2.2.1 verzichtet werden. Allerdings soll kurz auf die Beziehung von Kommunikation und Kultur einge‐ gangen werden. Els Oksaar hat 1979 ein integrierendes Modell entwickelt, das die verschie‐ denen verbalen, nonverbalen, extraverbalen und parasprachlichen Manifestati‐ onen kultureller Eigenheiten in kommunikativen Situationen zu beschreiben hilft: die Kulturemtheorie. Kultureme sind eine „soziokulturelle Kategorie“ (Ok‐ saar 1988, 27): Kultureme sind abstrakte Einheiten: Sie können in verschiedenen kommunikativen Akten unterschiedlich realisiert werden, bedingt u.a. durch generations-, geschlechtsund beziehungsspezifische Aspekte. Ihre Realisierung geschieht durch Behavioreme, die verbal, parasprachlich, nonverbal und extraverbal sein können und in erster Linie eine Antwort auf die Frage wie? durch welche Mittel? ermöglichen (Oksaar 1988, 27).

Abb. 2: Kultureme nach Oksaar (Oksaar 1988, 28)

Erll/Gymnich 2010 (103-139) verweisen auf folgende Problemfelder der inter‐ kulturellen Kommunikation, denen bei der Gestaltung eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts besondere Bedeutung zugemessen werden sollte:

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sprachliche Kompetenz Inhaltsebene Beziehungsebene nonverbale Kommunikation critical incidents.

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2 Theorien und Konzepte interkultureller Fremdsprachendidaktik

Interkulturelle kommunikative Kompetenz ist möglicherweise der distinktive und größte Beitrag des Fremdsprachenunterrichts zum allgemeinen Erziehungsund Bildungsauftrag der Schule. Daher sollen im Folgenden zunächst Modelle interkultureller kommunikativer Kompetenz vorgestellt und im Anschluss aus‐ gewählte Konzepte der interkulturellen Fremdsprachendidaktik betrachtet werden. 2.1 Definitionen und Modelle interkultureller kommunikativer Kompetenz

Astrid Erll und Marion Gymnich legen ein Modell der interkulturellen Kompe‐ tenz vor, das die drei Komponenten – affektive Kompetenz – kognitive Kompetenz – pragmatisch-kommunikative Kompetenz umfasst, welche sie graphisch als einander teilweise überlagernde Bereiche dar‐ stellen (Erll/Gymnich 2010, 11, Abb. 3 ibid.):

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Abb. 3: Komponenten interkultureller Kompetenz nach Erll/Gymnich 2010

Die einzelnen Kompetenzen bzw. Kompetenzbereiche umschreiben sie dabei wie folgt: Affektive Teilkompetenz: – – –

Interesse und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen Empathie und Fähigkeit des Fremdverstehens Ambiguitätstoleranz

Kognitive Teilkompetenz: – –

Wissen über andere Kulturen (kultur- bzw. länderspezifisches Wissen) kulturtheoretisches Wissen (Wissen über die Funktionsweisen von Kul‐ turen, kulturelle Unterschiede und deren Implikationen) – Selbstreflexivität

Pragmatisch-kommunikative Teilkompetenz: – Einsatz geeigneter kommunikativer Muster – Einsatz wirkungsvoller Konfliktlösungsstrategien (op. cit., 12-14). Speziell für den Fremdsprachenunterricht haben Daniela Caspari und Andrea Schinschke ein entsprechendes Modell entwickelt, das die drei Bereiche „Wissen“, „Können / Verhalten“ und „Einstellungen“ umfasst (Caspari/ Schinschke 2007, 2009). Dieses Modell weiterentwickelnd hebt Andrea Rössler hebt drei Dimensionen bzw. Komponenten interkultureller Kompetenz vor, die

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letztlich pointierter als das viel rezipierte Modell Byrams (s.u.) den Kern dessen, was interkulturelle (kommunikative) Kompetenz ist, erfassen (Rössler 2010, 141sqq.). Dies sind je eine – – –

affektive und attitudinale Komponente wissensbezogene und analytische Komponente handlungsorientierte Komponente.

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Im affektiv-attitudinalen Bereich manifestiert sich interkulturelle Kompetenz entsprechend den Forderungen der interkulturellen Pädagogik und der Didaktik des Fremdverstehens etwa in Haltungen wie Neugierde und Offenheit, Empa‐ thie und Flexibilität, Relativierung der eigenen Standpunkte und Ambiguitäts‐ toleranz usw. (cf. art. cit., 142sq.). Die wissensbezogen-analytische Komponente konstituiert sich über die drei Bereiche: – – –

allgemeines Wissen über Kultur und Kommunikation Wissen über die Beziehung zwischen Sprache und Kultur soziokulturelles Wissen über Zielländer (art. cit., 143sq.).

Im Bereich des „Wissens über die Beziehung zwischen Sprache und Kultur“ sind etwa das Wissen über hotwords, frames und scripts sowie über para- und non‐ verbale Aspekte der Kommunikation verortet (art. cit., 144). Den Bereich der handlungsorientierten Komponente unterteilt Rössler wie‐ derum in die beiden Bereiche – interkulturell relevantes rezeptives und produktives Können und – interkulturell relevante Kommunikationsstrategien (art. cit. 145), wobei hier die Übergänge fließender scheinen. Grundsätzlich zielt der erste Be‐ reich eher auf interkulturelle Kompetenz im Allgemeinen (z.B. Erkennen kul‐ turell bedingter Textsortenspezifika), der zweite Bereich eher auf interkulturelle kommunikative Kompetenz (z.B. Verfügen über turn-talking-Kompetenz in der Fremdsprache). Der Plan curricular del Instituto Cervantes spiegelt diese drei Bereiche in den Abschnitten „Referentes culturales“,„Saberes y comportamientos sociocultu‐ rales“ und „Habilidades y actitudes interculturales“ wider (Instituto Cervantes 2006). Im Plan curricular werden diese Kategorien in Bezug auf Spanien und die Hispanophonie auch mit ausführlichen inhaltlichen Anregungen gefüllt (A1/A2, 363-469, B1/B2, 513-619, C1/C2, 535-641).

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2.2 Konzepte der interkulturellen kommunikativer Kompetenz

Im Folgenden werden einzelne Konzepte, die in den letzten Jahrzehnten im Kontext des Interkulturalitäts-Diskurses geprägt wurden und die eine Operati‐ onalisierung von Lernzielen für den Fremdsprachenunterricht terminologisch erleichtern können, kurz vorgestellt. Der rhizomartigen Struktur (cf. Deleuze/ Guattari 1976) des inter- und transkulturellen Diskurses Rechnung tragend, werden verschiedene Konzepte reihend referiert.

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Soziokulturelles Orientierungswissen Der Begriff „soziokulturelles Orientierungswissen“ tritt in den Bildungs‐ standards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2003, 8) auf, wo er zu‐ sammen mit „verständnisvolle[m] Umgang mit kultureller Differenz“ und „praktische[r] Bewältigung interkultureller Begegnungssituationen“ den Bereich des interkulturellen Lernens beschreibt. Es handelt sich um den am leichtesten operationalisierbaren und messbaren Teilbereich interkultureller kommunikativer Kompetenz. Im Wesentlichen ist Faktenwissen über die Zielkultur im Sinne der traditionellen Landeskunde gemeint; da dieses Kon‐ zept aber inzwischen als historisch gelten darf, ist dem Begriff „soziokultu‐ relles Orientierungswissen“ der Vorzug zu geben, u.a. um zu verdeutlichen, dass es sich nur um einen Teilbereich interkultureller kommunikativer Kom‐ petenz handelt. Stereotype Stereotypie war für die Theorie und Praxis eines interkulturellen Fremd‐ sprachenunterrichts lange Zeit ein zentrales Konzept. Der Begriff „Stere‐ otyp“, eine anschauliche Metapher, wurde 1922 von dem US-amerikanischen Publizisten und Medientheoretiker Walter Lippmann geprägt und ent‐ stammt ursprünglich der Sprache der Drucker und Setzer: dort bezeichnete er feste Wortverbindungen bzw. zu setzende Einheiten (τύπος - Schlag, Ein‐ druck, Form, cf. „die Type“ im drucktechnischen Sinn), die immer wieder kehrten (στερεός - starr, fest) und die daher nicht immer wieder aufs Neue in Blei gegossen werden mussten. Man kann Stereotypen daher definieren als: […] relativ überdauernde und starre, festgelegte Sichtweisen bzw. ihnen zugrunde liegende Überzeugungen in bezug auf Klassen von Individuen, bestimmte Gruppen oder Dinge, die von vornherein festgelegt sind und nicht einer aktuellen Bewertung entstammen. Man kann sie auch als komplexe Form des Vorurteils bezeichnen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Vorurteile meist als

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Einstellungen klassifiziert, Stereotypen jedoch als Überzeugungen eingestuft werden. (Fröhlich 2014, s.v. Stereotyp).

Aus sozialpsychologischer Sicht verhält sich ein Stereotyp wie im druck‐ technischen Bereich: in der Begegnung mit anderen Gruppen werden, sowie ein Merkmal erkannt wird, etablierte Attribuierungen aktiviert (z.B. Warten auf eine Spanierin/einen Spanier zu einer vereinbarten Uhrzeit -> „Verspä‐ tung“ (aus deutscher Perspektive) -> „Nun ja, die Spanier (ggf. sogar: die Südländer) kommen halt immer zu spät.“). Stereotypen haben u.a. die psy‐ chologische Funktion, die Eigengruppe aufzuwerten, bei häufiger Über‐ schätzung der Homogenität der Fremdgruppe. Durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann zudem das eigene Selbstwertgefühl gesteigert werden. Aus Sicht der interkulturellen Kommunikation formulieren Erll/Gymnich 2010: Solche Abgrenzungsmechanismen, die durch mangelndes Verstehen der fremden Kultur oder auch durch das Gefühl, für den eigenen Identitätsentwurf keine An‐ erkennung zu finden, hervorgerufen oder verstärkt werden können, stellen ein erhebliches Hindernis für erfolgreiches interkulturelles Handeln dar. […] Stereo‐ type sind reduktionistische Ordnungsraster, die sich oft in formelhaften Wen‐ dungen und Gemeinplätzen äußern („der fleißige Deutsche“ [usw.]). Sie gehören zum Bereich des „erstarrten Denkens“, d.h., es sind festgefahrene Schemata, derer wir uns häufig gar nicht bewusst sind (Erll/Gymnich 2010, 72sq.)

Wichtig ist, dass sich die Schülerinnen und Schüler in der Auseinanderset‐ zung mit Stereotypen bewusst werden, dass – Stereotypen im Sinne einer Organisation der wahrgenommenen Wirklichkeit etwas Menschliches sind und der Wirklichkeitsbewälti‐ gung dienen, – sie mithin praktisch unvermeidlich sind, – wir auch grundlegende Stereotypen über uns selbst haben, derer wir uns bewusst werden sollten. Die Sozialpsychologie spricht von Heterostereotypen (über andere) und Au‐ tostereotypen (über sich selbst), wobei teilweise eine weitere Ebene einge‐ führt wird, nämlich die Bezeichnung der jeweiligen Perspektive: so kann das, von dem man glaubt, dass andere von einem denken, durchaus abweichen von dem, was andere tatsächlich über einen denken (ist aber auch nicht mit dem Autostereotyp identisch). Daher spricht man im ersten Fall auch vom eigenen Heterostereotyp (oder Auto-Heterostereotyp), im zweiten vom fremden Heterostereotyp (Hetero-Heterostereotyp).

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In einem inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterricht wird die Aus‐ einandersetzung mit Stereotypen - insbesondere in der Oberstufe auch auf einer Metaebene über ihre sozialpsychologische Funktion reflektierend, zwar nicht fehlen, er darf den Komplex des „interkulturellen Lernens“ aber keinesfalls auf eine Thematisierung von Stereotypen beschränken. Critical incidents Das Konzept des Critical Incident Technique (CIT) wurde in der unmittelbaren zweiten Nachkriegszeit von dem US-Amerikaner John C. Flanagan entwi‐ ckelt; es zielte darauf, das Verhalten von Menschen im Umgang mit Ma‐ schinen in bestimmten Situationen zu beobachten, um daraus Regelmäßig‐ keiten abzuleiten (Flanagan 1954). In der Folgezeit wurde das Verfahren auf jegliche menschliche Interaktion, auch auf interkulturelle Begegnungen, übertragen (Fiedler/Mitchel/Triandis 1971, cf. Heringer 2010, 218-220). Im Kontext der interkulturellen Kommunikation sind Critical incidents (sp. incidentes críticos) Situationen, in denen zwei oder mehrere Kulturen aufei‐ nandertreffen und interkulturelle Kompetenz erforderlich ist, um die Situa‐ tion erfolgreich zu bewältigen. Häufig geht es darum, dass bestimmte scripts in den beteiligten Kulturen divergieren (cf. Erll/Gymnich 2010, 120). Erll/ Gymnich 2010 sehen Potential für critical incidents insbesondere in fol‐ genden Bereichen Gesprächsorganisation, Begrüßungen, Anredeformen sowie Einladungen und Aufforderungen (Erll/Gymnich 2010, 120sqq.). Bei‐ spielsweise ist im Hinblick auf die Gesprächsorganisation (turns) hinlänglich bekannt - doch Schülerinnen und Schüler müssten vor einer ersten Aus‐ tauschbegegnung ggf. darauf hingewiesen werden -, dass in Spanien und Hispanoamerika Unterbrechungen des Gesprächspartners bzw. synchrones Sprechen und Überlappungen keineswegs unhöflich sind, sondern eher die aktive Anteilnahme am Gespräch und das Interesse am Gesprächspartner signalisieren (z.B. Rehbein/Thomas/Steinhuber 2009, 160). Der Einsatz von critical incidents ist in der Führungskräftefortbildung v.a. der Wirtschaft seit den 1960er Jahren etabliert; damals wurden sie im Rahmen des Culture As‐ similator Program entwickelt (Fiedler/Mitchell/Triandis 1971). Dabei werden in der Regel Situationen als Lesetexte vorgegeben, die von den Teilnehme‐ rinnen und Teilnehmern anhand von Multiple-Choice-Aufgaben oder Ra‐ ting-Skalen reflektiert werden, bevor darauf eine Rückmeldung gegeben wird (einführend z.B. Heringer 2010, 222sqq., bezogen auf Spanien cf. Reh‐ bein/Thomas/Steinhuber 2009). Möglichkeiten und Grenzen von critical in‐ cidents stellt das Übungsbuch von Heringer anschaulich dar (Heringer 2012, 75-90). In Form von in der Situationsvorgabe auf kulturelle Unterschiede Bezug nehmenden Rollenspielen können critical incidents auch für den heu‐

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tigen Fremdsprachenunterricht Anlässe bieten, um interkulturelle kommu‐ nikative Kompetenz im Fremdsprachenunterricht zu trainieren. Kulturstandards Das Konzept der Kulturstandards wurde von dem Sozial- und Organisati‐ onspsychologen Alexander Thomas entwickelt. Es handelt sich bei Kultur‐ standards um kulturelle Rahmen und Wertesysteme, welche die Kommuni‐ kation in einem Sprach- und Kulturraum prägen. Für Spanien etwa haben Alexander Thomas und seine Mitarbeiter folgende Kategorien als „Kultur‐ standards“ festgestellt, wobei empirische Belege nicht geliefert werden (cf. Rehbein/Thomas/Steinhuber 2009, 25sqq.): – Familienorientierung – interpersonale Distanzminimierung – soziale Beziehungspflege – Kommunikationsgestaltung – Indirektheit – Statusorientierung – Regelrelativismus. So sehr man der ein oder anderen Kategorie als wichtiger Bestandteil sozialer und kommunikativer Interaktion in Spanien beipflichten mag und so vor‐ teilhaft solche Wertesysteme für eine erste Orientierung in einem anderen Sprach- und Kulturraum sind, weshalb sie gerade auch in interkulturellen Trainings für die Wirtschaft, für die sie ursprünglich auch entwickelt wurden, eingesetzt werden, so sehr laufen sie doch Gefahr, bestehende Ste‐ reotypen zu verstetigen bzw. neue zu schaffen. Sie sind letztlich nicht weit von den oben genannten Stereotypen des kulturkundlichen Paradigmas ent‐ fernt, welche dann im Nationalsozialismus instrumentalisiert wurden. Daher sind sie für den Bereich der schulischen fremdsprachlichen Bildung zwar von der Lehrkraft zur Kenntnis zu nehmen, aber doch mit Vorsicht und al‐ lenfalls wohl dosiert bzw. solche Kategorisierungen und Trainings kritisch reflektierend im Unterricht einzusetzen. Schemata und Scripts Als „Schemata“ bezeichnet man in der Psychologie „[mentale] Wissens‐ strukturen, die bestimmte Aspekte der Realität in abstrakter und general‐ isierter Form repräsentieren“ (Erll/Gymnich 2010, 56). Solche Schemata sind kulturspezifisch geprägt und können sich im Laufe eines Lebens einerseits verfestigen, andererseits aber auch ausdifferenzieren, je zahlreicher die (in‐ terkulturellen) Erfahrungen eines Individuums sind (op. cit., 57sqq.). Auf der konkreten Handlungs- und Sprachebene manifestieren sich kulturspezifi‐

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sche Schemata in so genannten „scripts“ (Schank/Abelson 1977). Darunter versteht man

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komplexe, kulturspezifische Schemata für typische Handlungs- und Ereignisab‐ folgen in bestimmten Situationen […]. Sie werden im Prozess der Enkulturation internalisiert, in der Regel ohne dabei zum Gegenstand bewusster Reflexion zu werden (Erll/Gymnich 2010, 119sq.)



Beispiele für Scripts wären Begrüßungsrituale oder die ´klassischen´, für den anglophonen Bereich untersuchten „Visiting-a-restaurant“ und „Atten‐ ding-a-lecture“-Scripts (Bower 1979). Mithin wäre eine Vertrautheit mit Scripts für Fremdsprachenlernende wünschenswert. Zwar gibt es nur we‐ nige empirisch fundierte Scripts für die an deutschen Schulen gelehrten Fremdsprachen, dennoch ist es sinnvoll, dass Lehrkräfte für die Existenz solcher (auch kommunikativer) Ablaufschemata sensibilisiert sind, um Schülerinnen und Schüler ggf. darauf hinzuweisen. Ansatzweise enthält der Plan curricular Scripts in den Bereichen „Sprachfunktionen“ sowie in den oben erwähnten auf das interkulturelle Lernen bezogenen Abschnitten. Kommunikationsstile Um grundlegende Ausrichtungen der Konversation in Sprach- und Kultur‐ räumen zu bezeichnen, hat sich der Begriff des Kommunikationsstils etab‐ liert, der sich in der Dichotomie „direkter vs. indirekter Kommunikationsstil“ entfaltet und eng mit den Konzepten „low-context-culture“ vs. „high-con‐ text-culture“ nach E. T. Hall verbunden ist (Hall 1959, 1976). In „High-con‐ text-cultures“ können Sprecherinnen und Sprecher aufgrund einer langen gemeinsamen Kulturtradition, beispielsweise des jahrhundertealten franzö‐ sischen Zentralismus auch im Bildungswesen, auf ein großes gemeinsames Wissens- und Strategierepertoire zurückgreifen. Des Weiteren spielt der nonverbale Kontext eine bedeutende Rolle, weshalb die verbale Kommuni‐ kation tendenziell auch indirekt etwa durch Auslassungen oder in Anspie‐ lungen funktionieren kann. Sprach- und Kulturgemeinschaften, die auf einer derartigen gemeinsamen Basis nicht aufbauen können, etwa im bildungsfö‐ deralistischen Deutschland, müssen direkter kommunizieren, d.h., Ge‐ meintes explizit benennen usw. Während Deutschland also eher zu den „low-context“-Kulturen gehört, finden sich in Spanien und Hispanoamerika Tendenzen zu „high-context“-Kulturen, wenn auch weniger stark ausge‐ prägt als etwa in Frankreich. Mit den Polen direkter vs. indirekter Kommu‐ nikationsstil werden weiterhin folgende Eigenheiten der Kommunikation verbunden (cf. z.B. Barmeyer 2000):

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indirekter Kommunikationsstil: indirekt, implizit, synthetisch, polychron, dynamisch, spielerisch, narrativ direkter Kommunikationsstil: direkt, explizit, analytisch, monochron, statisch, informativ, deskriptiv.

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Im Spannungsfeld zwischen direkter und indirekter Kommunikation bewegt sich auch die von der linguistischen Pragmatik untersuchte und für die Fremdsprachenvermittlung relevante Kategorie der (verbalen) Höflichkeit. Kathrin Siebold kann für „das vergleichsweise wenig erforschte Sprachen‐ paar Spanisch-Deutsch“ (Siebold 2013, 368) folgende Grundtendenzen der verbalen Höflichkeit im Spanischen und im Deutschen feststellen: unter Rückgriff auf das Modell von Brown und Levinson aus dem Jahr 1978 (cf. Brown/Levinson 1987), das zwischen einem nach „gesellschaftliche[r] Be‐ stätigung und Anerkennung suchende[n]“ positiven und einem „nach Frei‐ heit und Unabhängigkeit strebende[n]“ negativen face unterscheidet (Siebold 2013, 368), kommt sie zu folgendem Ergebnis: In den spanischen Gesprächen fällt eine deutliche Ausrichtung an der positiven Höflichkeit auf. Diese äußert sich zum einen in der starken Berücksichtigung des positiven face des Gesprächspartners, wie der vergleichsweise natürliche Umgang mit Komplimenten sowie die häufige Bekundung von Zuneigung und Aufmerk‐ samkeit durch Koseformen (z.B. niña), interpersonelle Marker (z.B. anda) oder andere Aufmerksamkeitssignale (z.B. mire) belegt. Zum anderen zeichnet sich das spanische Interaktionsverhalten auch durch den Schutz des eigenen positiven Image aus, wie beispielsweise die indirekte bzw. nicht explizite Realisierung von Sprechakten wie Entschuldigungen, Dank oder Annahmen von Beschwerden, die das positive Selbstimage bedrohen, zeigt. Der deutsche Höflichkeitsstil entspricht dagegen stärker den Konventionen der negativen Höflichkeit. […] Der Schutz der Handlungsfreiheit und der Privatsphäre der Gesprächspartner steht im Mittel‐ punkt, während die positive Imagepflege eher vernachlässigt wird. (Siebold 2013, 373 und 369)



Rich points / Hotspots Unter Rich Points (Agar 1994, 100sqq.) bzw. Hotspots (Heringer 2010, 161-173, Heringer 2012, 41-56) versteht man kommunikative Situationen und Sprechakte, in bzw. bei denen es zu kulturell bedingten Schwierigkeiten kommen kann (z.B. Begrüßung, Komplimente, Geschenke, turn taking). Rich Points sind nach Heringer deshalb hilfreich, weil sie Einsichten in Kulturen verschaffen,

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weil sie uns eigene Erwartungen überprüfen lehren, weil man sie kommunikativ bearbeiten kann. […] Charakteristisch für Rich Points ist, dass die Schwierigkeiten nicht nur im Kontakt mit anderen Kulturen auftreten können, sondern auch in unterschiedli‐ chen Meinungen und unterschiedlichen Erklärungen und Definitionen der Mut‐ tersprachler (Heringer 2010, 162sq.)

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Ein Beispiel etwa im Spanischen für die Perspektive deutschsprachiger Lern‐ ender wäre der tuteo, d.h. das häufigere Duzen im Spanischen auch gegen‐ über älteren, unbekannten Personen. Hotwords Hotwords sind einzelne Lexeme, in denen sich kulturelle Unterschiede ma‐ nifestieren, sozusagen Kristallisationspunkte von Hotspots. Mitunter sind es Wörter, deren Bedeutung selbst für Muttersprachler nur schwer auf den Punkt zu bringen ist und die für Nicht-Muttersprachler nur mit erheblicher interkultureller Erfahrung greifbar werden (cf. Heringer 2010, 174sq., He‐ ringer 2012, 57-74). Ein Beispiel im Deutschen wäre das Wort „Heimat“, wie‐ derum für das Beispiel des Spanischen etwa der Menschentyp des pícaro. Verstehen und Verständigung Eigenes und Fremdes, Verstehen und Verständigung, sind Kategorien, die auch von der Philosophie, insbesondere wenn sie interkulturell ausgerichtet ist, thematisiert werden. Auch die Philosophie sieht sich in der Aporie, wenn es um das Verstehen des Fremden (hier zunächst anderer philosophoscher Traditionen) geht (z.B. Wimmer 2004, 151). Dennoch können hier grundle‐ gende Ansätze zur Annäherung an das Dilemma der interkulturellen kom‐ munikativen Kompetenz im Fremdsprachenunterricht gefunden werden. Heinz Kimmerle etwa konstatiert, dass der Unterschied zwischen Fremdem und Eigenem beim interkulturellen Verstehen noch andere Formen an[nimmt], als es bei Ver‐ stehensprozessen innerhalb der eigenen Kultur der Fall ist. In diesem Punkt würde ich die gesteigerte Fremdheit beim interkulturellen Verstehen radikaler sehen und die Grenzen des Verstehens enger ziehen, sodass auch zeitweise oder auf Dauer Unverstandenes übrig bleibt (Kimmerle 2002, 14).

Darin bestehen die Herausforderung beim interkulturellen Lernen und der besondere Beitrag des Fremdsprachenunterrichts zum Bildungsauftrag der Schule. Doch gibt es auch in der Philosophie Ansätze, die den Blick von den Möglichkeiten des Verstehens auf das Ziel der Verständigung richten und

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dabei erkennen, dass die Mitwirkung des Kommunikationspartners unab‐ dinglich ist:

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Eine Hermeneutik des Fremden muß sich am Prinzip der Beteiligung der Fremden am Prozeß des eigenen Verstehens orientieren, weil nur ein Mitwirken des Fremden am eigenen Verstehen verhindern kann, daß wir das je eigene zum Maß‐ stab erheben und die eigene Erfahrung der Fremden schon für das Verstehen des Fremden halten (Fornet-Betancourt 2002, 55, cf. Wimmer 2004, 151).

Hierin liegt ein wesentlicher Schritt von dem, was in der Fremdsprachendi‐ daktik als Fremdverstehen konzipiert wurde, zu tatsächlicher inter- oder ggf. treffender transkultureller Verständigung. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass Reflexionen über Begriffspaar „Ver‐ stehen“ und „Verständigung“ über eine lange Tradition in der Fremdspra‐ chendidaktik verfügen. So erörtert etwa Heinrich Dietz in seiner Abhand‐ lung Neusprachlicher Unterricht in europäischer Sicht bereits 1968 die Unterscheidung zwischen „Verstehen“ und „Verständigung“ und zitiert dazu auch entsprechende Abschnitte aus Richtlinien der Bundesländer, wobei er „Verständigung“ durchaus in einer pragmatisch-politischen Dimension als über „Verstehen“ hinausgehende „Völkerverständigung“ konzipiert, zugleich aber dem „Verstehen“ als dem geistigen Akt des Individuums offensichtlich einen höheren (Bildungs-) Wert beimisst: Verständigung ist eine Folge gegenseitigen Verstehens. Verstehen aber kann weit über sprachliche (oder politische) Verständigung hinaus menschlich bedeutsam werden. Verständigung mag ein Vorgang sein, der ein menschliches Verstehen gar nicht voraussetzt und nur einen praktischen Kompromiss herbeiführt unter Preis‐ gabe einseitiger Positionen. (Dietz 1968, 54).

Wenn aus heutiger Sicht im Hinblick auf eine Operationalisierung der interoder transkulturellen kommunikativen Kompetenz eine taxonomische Un‐ terscheidung zwischen Verstehen und Verständigung im oben genannten Sinn angezeigt scheint, so sollte doch vor dem Hintergrund der Kompetenz‐ orientierung nicht in Vergessenheit geraten, welches Bildungspotential im Verstehen liegt - was in der Folge von Lothar Bredella noch deutlicher he‐ rausgearbeitet worden ist als seinerzeit von Dietz.

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3 Modelle interkultureller Lernprozesse in der Fremdsprachenforschung 3.1 Stufenmodelle des interkulturellen Lernens

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Modelle, die Stufen des interkulturellen Lernens ansetzen, können ggf. Anre‐ gungen geben, (inter-/trans-) kulturelle Lernprozesse zu operationalisieren und eine Taxonomie aufzustellen. Interkulturelle Trainings in der Wirtschaft orien‐ tieren sich mitunter an solchen Stufenmodellen. Aus der Vielfalt der Ansätze zeigt sich jedoch, dass bisher keine Beschreibung gefunden werden konnte, die der Komplexität solcher Lernprozesse in befriedigender Form Rechnung trägt. Das Kulturschock-Modell von Oberg und Bolten (1960/2003) Der Anthropologe Kalvero Oberg hat bereits 1960 ein Modell des „Kultur‐ schocks“ entwickelt, das der deutsche Kulturwissenschaftler Jürgen Bolten überarbeitet hat (cf. Erll/Gymnich 2010, 67sq.). Zwar handelt es nicht um ein Modell des interkulturellen Lernens, doch als Modell der Begegnung mit einer anderen Kultur soll es an dieser Stelle – auch als Folie für die später zu refer‐ ierenden linearen Modelle, etwa Bennetts – gewürdigt werden. Oberg und Bolten gehen von folgenden Phasen aus (Bolten 2003, 155): 1. Euphorie (honeymoon stage)

Wahrnehmung nur des Positiven in der unbekannten Kultur; überschwängliche Reaktionen

2. Missverständnisse

In Unkenntnis der kulturellen Konventi‐ onen der unbekannten Kultur schafft man Missverständnisse, sucht die Schuld bei sich selbst.

3. Kollisionen (crisis)

Angesichts nicht erkannter Ursachen der Missverständnisse Schuldzuweisung an andere Kultur, Aufwertung der eigenen Kultur

4. Akzeptanz der Unterschiede (recovery)

Die Ambiguitätstoleranz steigt. Man ver‐ sucht, die andere Kultur zu verstehen.

5. Akkulturation (adjustment)

Unterschiede werden verstanden; Ten‐ denz zur Übernahme fremdkultureller Verhaltensweisen.

Tab. 1: Stufen im Kulturschock-Modell nach Bolten 2003

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Daniel Reimann

Der Akkulturations-Prozess – d.h., das Hineinwachsen in eine andere Kultur – wurde von Berry 1990 (und in Anlehnung an ihn z.B. von Thomas 2005, 80sq. und Erll/Gymnich 2010, 68-71) – nuancierter beschrieben, indem dort vier Formen der Akkulturation unterschieden werden, und zwar:

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– Marginalität: sozusagen der ´worst case´: man verliert die eigene Identität und nimmt zugleich die fremde Kultur nicht an. – Separation: man hält an der eigenen Kultur fest und lehnt die fremde/neue Kultur ab – Assimilation: man gibt die eigene kulturelle Identität auf und identifiziert sich vollkommen mit der neuen Kultur – Integration: man behält zugleich die eigene Identität und entwickelt eine positive Haltung zur Kultur der neuen Umgebung. Das Modell von Bennett (1993) Der Psychologe Milton Bennett hat 1993 ein sechsstufiges Modell vorgelegt („Towards ethorelativism. A developmental model of intercultural sensitivity“), das in einem ersten Schritt „ethnozentrische“ und ein „ethnorelative“ Phasen unterscheidet. Ethnocentrism

1. Denial 2. Defense 3. Minimization

Ethnorelativism

4. Acceptance 5. Adaptation 6. Integration

Tab. 2: Stufen interkultureller Lernprozesse nach Bennett 1993

Auf eine erste Stufe, auf der ein (lernendes) Subjekt Differenzen noch gar nicht wahrnehmen kann und daher leugnet („denial“) folgt, nach einer ersten (inter-) kulturellen Sensibilisierung, - anders als im „Kulturschock-Modell“ - eine Ab‐ lehnung der anderen Kultur („defense“), bevor es, um eine Annäherung an den Anderen bemüht, Unterschiede „klein redet“ („minimization“) und Gemeinsam‐ keiten hervorkehrt. Erst in der Folge tritt das zweite, „ethnorelative“ Stadium und mit ihm das interkulturelle Lernen im eigentlichen Sinn ein. Nunmehr kann der Lernende mit den Unterschieden umgehen, d.h., er muss sie weder ablehnen (Stufe 2) noch negieren (Stufe 3), sondern kann sie akzeptieren, und dabei auch

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das Werte- und Normensystem der eigenen Kultur relativieren („acceptance“). Schließlich kann sich das Subjekt auf der fünften Stufe der Adaption („adapta‐ tion“) bei Bedarf auch in einem anderen kulturellen Wertesystem, das ausrei‐ chend internalisiert wurde, bewegen. Unter Integration versteht Bennet ein Stadium, in dem sich das Subjekt bewusst für ein kulturelles Bezugssystem ent‐ scheidet („integration“). Es handelt sich um ein explizit lineares Modell, d.h., die Stufen müssen in dieser Reihenfolge durchlaufen werden, wobei Rückfälle in vorausgegangene Stufen möglich sind (Bennett 1993, 26). Angesichts der Komplexität interkultu‐ reller Lernprozesse versteht sich von selbst, dass hierin, wie auch in der man‐ gelnden empirischen Fundierung, ein zentraler Kritikpunkt dieses Modells liegt, wenn es auch seinerseits Anregungen bieten kann, einzelne der komplexen kognitiven Prozesse, die beim interkulturellen Lernen ablaufen, zu befördern und ggf. Unterricht zu strukturieren. Auch wurde in der DESI-Studie versucht, interkulturelle Kompetenz mit Hilfe des Modells von Bennett zu testen (cf. Fäcke 2012, 11). Das Modell von Denis (2000) Der Ansatz von Denis (2000) („Déveloper des aptitudes interculturelles en classe de langue“) ist insofern für die Gestaltung schulischer Lehr- / Lernsettings in‐ teressant, als er versucht, ein Phasenmodell des interkulturellen Kompetenzer‐ werbs vorzulegen, das auch auf die Ebene der Ausgestaltung einzelner Unter‐ richtssequenzen übertragen werden kann. Myriam Denis setzt folgende Phasen an, die mit den jeweiligen Zielen der Übersichtlichkeit halber an dieser Stelle in eine Tabelle zusammengefasst werden sollen (cf. Denis 2000, 62-68, Leupold 2012, 269sq.): Phase

Ziele

Sensibilisierung



Kennenlernen anderer Ordnungs- und Klassifizie‐ rungsschemata – Vorstellungen über die eigene, die fremde und wei‐ tere Kulturen zum Ausdruck bringen

Bewusstmachung

– Erkenntnis, dass die eigene Kultur nicht zu verall‐ gemeinern ist

Einordnung

– kognitive Einordnung des Wissens über die fremde und die eigene Kultur – Erkennen von Organisationsprinzipien der fremden Kultur – Verbindungen zwischen Elementen der eigenen und der fremden Kultur herstellen

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Relativierung

– In-Bezug-Setzung unterschiedlicher Leitprinzipien der eigenen und der fremden Kultur – Erkennen kultureller Phänomene in ihrem Kontext

Teilhabe/ Interiori‐ sation

– aktive Teilnahme am Prozess des Entdeckens der fremden Kultur – Aufbau eines metakulturellen Bezugssystems aus‐ gehend von dem Einblick in verschiedene Kulturen

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Tab. 3: Stufen interkulturellen Kompetenzerwerbs nach Denis 2000

Das Modell von Auernheimer (2012) Auernheimer legt ein bewusst auf pädagogische Lernprozesse ausgerichtetes Stufenmodell vor, das versucht, auch „der Problematik von Machtassymetrien und Stereotypen“ Rechnung zu tragen (Auernheimer 2012, 125): Stufe

Stadium interkultureller Kompetenz

1

Offenheit […], Anerkennung des / der Anderen

2

Erkennen von Stereotypisierungstendenzen, Reflexion eig[e]ner Vorurteile […]

3

Einsicht in die Kulturgebundenheit menschlichen Verhaltens gene‐ rell, Dezentrierung […]

4

Fähigkeit interkulturellen Verstehens und Kommunizierens im Be‐ wusstsein um Machtassymetrien

5

Befähigung zum Dialog

Tab. 4: Stadien interkultureller Kompetenz nach Auernheimer 2012

Das Modell Auernheimers erkennt im Unterschied zu dem Bennetts jedoch an, „dass beim interkulturellen Lernen kein lineares Fortschreiten zu erwarten ist“ (ibid.). Insofern kann auch sein Modell vor allem auf wichtige Bausteine für die Entwicklung interkultureller Kompetenz hinweisen, aber nicht den Anspruch erheben, eine umfassende Beschreibung interkultureller Kompetenz zu ermög‐ lichen.

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3.2 Ein hermeneutischer, subjektzentrierter Ansatz: Didaktik des

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Fremdverstehens

Das Modell von Bredella/Christ (1991sqq.) Das in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik v.a. der 1990er und 2000er Jahre wirkungsmächtigste Konzept des interkulturellen Lernens ist wohl das in dem gleichnamigen Gießener Graduiertenkolleg (1991-2003) geprägte einer „Di‐ daktik des Fremdverstehens“ (erste umfassende Veröffentlichung: Bredella/ Christ 1995). Es handelt sich um ein hermeneutisch begründetes Konzept, in dem „das Wechselverhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden“ (Fäcke 2011, 178) im Zentrum steht. Fremdverstehen wird gerade auch als durch Lite‐ raturunterricht initiierbar angesehen. Die zentrale Figur in dem hermeneuti‐ schen Konzept ist das verstehende Subjekt, mithin der Lernende, der in der Folge interpretatorischer Prozesse seine eigene Sichtweise reflektieren und relati‐ vieren soll. Durch interkulturelles Lernen sollen mithin Fähigkeiten wie Per‐ spektivwechsel, Empathie und Relativierung ethnographischer Perspektiven entwickelt und Einstellungen wie Offenheit und Neugier befördert werden (cf. z.B. Bredella 1999, Hu 2010, 76). Insofern ist das Konzept sicherlich pädagogisch wertvoll, indem aber das Verstehen und das (lernende) Subjekt im Vordergrund stehen, bleiben das eigentliche Ziel und der Adressat des Fremdsprachenunter‐ richts bzw. der Kommunikation, die Verständigung und der Gesprächspartner, noch zu wenig berücksichtigt (cf. Reimann 2013, 2014b). Christiane Fäcke resümiert weiterhin treffend: „[Das Konzept] basiert auf dem Postulat einer homogenen Lerngruppe und eines in sich kulturell kohä‐ renten Subjekts“ (Fäcke 2011, 178). Angesichts der Tatsache, dass es als unum‐ stritten gilt, dass unsere Lerngruppen heute heterogen zusammengesetzt sind und dass auch jedes Subjekt über verschiedene kulturelle Identifikationsmög‐ lichkeiten verfügt, wird deutlich, dass dieses Konzept für den gegenwärtigen Fremdsprachenunterricht nicht mehr uneingeschränkt gültig sein kann. Auch steht hier das Verstehen im Vordergrund, während das eigentliche Ziel des Fremdsprachenunterrichts ja die Verständigung sein muss. Andrea Rössler er‐ kennt ihrerseits ebenfalls diese Problematik an, wird dem Ansatz Bredellas aber insofern gerecht, als sie ergänzend argumentiert, dass ein Subjekt sich letztlich immer durch die Abgrenzung von einem Nicht-Ich definiert: In der Tat ist nicht allein die mediale Globalisierung für die zunehmende Vermischung von Fremdem und Eigenem verantwortlich, sondern auch der Umstand, dass immer mehr Menschen in multilingualen und multikulturellen Gesellschaften aufwachsen und das Eigene mehr denn je als Ergebnis einer Kultur- und Sprachmischung zu ver‐ stehen ist. Zudem erschließt sich auch uns selbst das Eigene nie ganz. Dennoch sind

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das Eigene und das Fremde Kategorien, die sich als konstitutiv erwiesen haben für den Prozess der Subjektwerdung und Weltaneignung des Individuums. Aus herme‐ neutischer und sozialpsychologischer Perspektive ist letztlich jedes Verstehen Fremd‐ verstehen; der Sozialisationsprozess kann beschrieben werden als Auseinanderset‐ zung mit dem Anderen, zu dem ich mich in irgendeiner Weise verhalten muss: es mir erklären und vertraut machen, es (in Teilen) ablehnen, es mir (in Teilen) aneignen (Rössler 2010, 140).

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Insofern kann nahe gelegt werden, Fremdverstehen als eine Komponente inter- und transkultureller Lernprozesse zu verstehen, nicht aber – wie in der deutschspra‐ chigen Fremdsprachendidaktik lange Zeit geschehen – es mit diesen beinahe gleich zu setzen. Das hermeneutische Konzept des Fremdverstehens sollte heute durch ein konstruktivistisches Konzept wie das der Transkulturalität ergänzt werden: Was dem Transkulturalitätskonzept zufolge durch die reale Entwicklung befördert wird, soll dem Interkulturalitätskonzept zufolge durch hermeneutische Bemühungen geleistet werden. In Wahrheit ist aber die heutige Hermeneutik dafür denkbar unge‐ eignet, denn ihr zufolge sind Verstehensmöglichkeiten prinzipiell auf die eigene Her‐ kunft beschränkt, während jenseits derselben nur noch ein Missverstehen (ein Um‐ modeln des Anderen ins Eigene) möglich sein soll […]. Angesichts der langen Misserfolgsgeschichte interkulturellen Dialogs könnte man zwar den Eindruck ge‐ winnen, dass die Hermeneutik im Recht ist, es könnte aber auch die genau umgekehrte Erklärung zutreffen: Weil die Interkulturalisten die Kulturen von Grund auf wie Ku‐ geln konzeptualisieren, kaprizieren sie sich auf das Verstehen eines ,Anderen‘, von dem sie zugleich annehmen, dass es ob seiner Inkommensurabilität eigentlich nicht verstanden werden könne […]. Das Interkulturalitätskonzept verfügt durch seinen ersten Zug – die Unterstellung einer ganz anderen, eigenartigen und homogenen Verfasstheit der anderen Kulturen – die Erfolgsunmöglichkeit all seiner weiteren, auf den interkulturellen Dialog zielenden Schritte. Die antiquierte Fiktion inkommensu‐ rabler Kulturen ruft den Wunsch nach interkulturellem Dialog hervor und verurteilt ihn zugleich zum Scheitern […] (Welsch 2010, 49sq., cf. Reimann 2014b, 29sq.). 3.3 Mehrdimensionale Ansätze: interkulturelle kommunikative Kompetenz (Byram) und Lernspirale (Deardorff)

Das Modell von Byram (1997) Tatsächlich steht in anderen Modellen die Verständigung zumindest implizit deutli‐ cher im Fokus. Ein inzwischen vielfach rezipiertes Modell der interkulturellen kom‐ munikativen Kompetenz wurde 1997 von Michael Byram vorgeschlagen: es sieht eine ausdrückliche Ergänzung interkultureller Kompetenz, die Byram als aus unterei‐

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nander vernetzte (Teil-) Kompetenzen auf kognitiver, affektiver, volitionaler und ethischer Ebene annimmt („savoir“, „savoir comprendre“, „savoir apprendre“, „savoir faire“, „savoir être“ (cf. Europarat 2001, 22-24) und - distinktiv für den Bereich der interkulturellen Kompetenz: „savoir s´engager“), um fremdsprachliche kommunika‐ tive, soziolinguistische und diskursive Kompetenzen vor (Byram 1997, 70sqq.). Letzt‐ genannte Teilbereiche spiegeln sich auch im Kompetenzmodell des GeR (cf. Euro‐ parat 2001, 24sq.), der ja - obwohl er gerade in diesem Bereich keine Kriterien und/ oder Deskriptoren liefert - einem interkulturellen Ansatz verschreibt (Europarat 2001, 14 u.ö.). In der Wahl des Begriffs„interkulturelle kommunikative Kompetenz“ nehmen letztlich auch die Bildungsstandards für das Abitur aus dem Jahr 2012 (s. Abb. 5) auf das Modell Byrams Bezug.

Abb. 4: Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz nach Byram

Aus dem Modell Byrams lassen sich für das inter- bzw. transkulturelle Lernen folgende Aspekte ableiten: eine zentrale Zieldimension des interkulturellen Lernens ist die Kompetenz zum verantwortlichen Handeln („savoir s´engager“). Weiterhin beachtenswert ist, dass Byram auch denkbare Lernorte („locations of

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learning“) in sein Modell integriert: Neben dem Klassenzimmer und dem selb‐ ständigen Arbeiten auch „fieldwork“ erwähnt - damit wird, vollkommen zu Recht, darauf verwiesen, dass „außerschulischen Lernorten“ des Fremdspra‐ chenunterrichts (cf. Gehring/Stinshoff 2010) gerade im Hinblick auf die Ent‐ wicklung inter- und transkultureller Kompetenz besondere Bedeutung zu‐ kommt. Aus dem Ansatz Byrams lässt sich ferner die terminologisch und konzeptionell bedeutende Unterscheidung zwischen interkultureller Kompe‐ tenz und interkultureller kommunikativer Kompetenz herleiten: Während in‐ terkulturelle Kompetenz in Grundzügen durch entsprechendes Training auch ohne Sprachkenntnisse erzielt werden kann (z.B. interkulturelles Training für Verhandlungen mit Chinesen in englischer Sprache für Manager ohne Chine‐ sischkenntnisse), ist interkulturelle kommunikative Kompetenz immer an einen adäquaten Gebrauch der Zielsprache gebunden (cf. Byram 1997, 70sqq.). Das Modell von Deardorff (2004) Das Modell von Deardorff (2004ff.) ist insofern besonders interessant, als es, ähnlich wie das Modell von Reimann (s.u.), versucht, die beiden Aspekte Ver‐ stehen und Verständigung, Wirkung interkultureller Lernprozesse auf das lern‐ ende Subjekt einerseits und Wirkung in der Interaktion mit dem Gesprächs‐ partner / im perlokutionären Akt andererseits, zu vereinen. Ihr Ansatz versucht, diese Bereiche zu integrieren, indem sie in einer „Lernspirale der interkultu‐ rellen Kompetenz“ „Interne Wirkung“ und „Externe Wirkung“ interkultureller Lernprozesse einander gegenüberstellt, denen wiederum auf der Kompetenz‐ ebene, d.h., auf Seiten des Lernzugewinns seitens der Lernenden, „Haltungen und Einstellungen“ bzw. „Handlungskompetenz“ entsprechen. Dies kann, für die vier Teilbereiche die Terminologie aus Deardorff 2006, 7 aufgreifend, tabel‐ larisch wie folgt dargestellt werden: Wirkung

Kompetenzbereich

Interne Wirkung:

Haltungen und Einstellungen:

– Relativierung von Referenzrahmen – Empathiefähigkeit

– Wertschätzung von Vielfalt – Ambiguitätstoleranz

Externe Wirkung:

Handlungskompetenz

– Vermeidung von Regelverlet‐ zungen – Zielerreichung

– umfassendes kulturelles Wissen – Kommunikationsfähigkeiten – Konfliktlösungsfähigkeit

Tab. 5: Dimensionen der interkulturellen Kompetenz nach Deardoff

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In These 13 des Modells der Bertelsmann-Stiftung werden dann tatsächlich die Grenzen traditioneller Modelle der interkulturellen Kompetenz angesprochen, wenn es heißt: Das hier dargestellte Modell interkultureller Kompetenz hat Grenzen. Es bleibt zu fragen, ob Interkulturelle Kompetenz, die auf das Nebeneinander von relativen Ge‐ gebenheiten abzielt, ausreicht, um menschliche Koexistenz auf globaler Ebene zu ge‐ währleisten. Das Defizit von Interkultureller Kompetenz im hier umschriebenen Sinne ist darin zu sehen, dass sie die kulturellen Unterschiede nicht aufhebt, sondern sie aufrecht erhält und zum Teil verstärkt. Indem das Modell die Relativierung von Re‐ ferenzrahmen fordert, wird kein zwischen den Akteuren gültiges und damit verbin‐ dendes Werteset ausgehandelt und entwickelt. […] Wir stellen zur Diskussion, inwie‐ weit unsere Weltgesellschaft eine Einigung auf ein Set verbindlicher Werte benötigt, die als Basis für das Miteinander in der einen Welt vorausgesetzt werden müssen, und wie diese Werte gegebenenfalls das Modell im Sinne einer „Global Cultural Compe‐ tence“ beeinflussen würden. (Bertelsmann-Stiftung 2006, 11).

Damit werden Fragen aufgeworfen, die das im Folgenden beschriebene Modell der transkulturellen kommunikativen Kompetenz zu beantworten versucht. 3.4 Ein integriertes Modell inter- und transkultureller Kompetenz: Stufen und Dimensionen (Reimann 2011ff.)

Auch dieses Modell (z.B. Reimann 2011, 2013, 2014b) kann weder als umfassend noch als die Operationalisierung inter- bzw. transkultureller Kompetenz ab‐ schließend angesehen werden. Allerdings stellt es den Versuch dar, eine Ope‐ rationalisierung von Lernprozessen erleichternde Stufung mit der Beschreibung verschiedener Dimensionen kultureller Lernprozesse zu integrieren. Es handelt sich um ein integrierendes, gestuftes Modell, das das Kontinuum von Landes‐ kunde, Inter- und Transkulturalität die Progression des individuellen Lernproz‐ esses widerspiegelt: „Landeskunde“, inter- und transkulturelle Kompetenz wi‐ dersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich insofern, als soziokulturelles Orientierungswissen Grundlage für den Aufbau interkultureller Kompetenz sein kann. Diese wiederum, d.h. die (Er-) Kenntnis des Selbst und des Anderen, die Erkenntnis der im Sinne der Transdifferenz nicht zu leugnenden Differenzen und das (Fremd-) Verstehen sind unabdingbare Voraussetzungen zum (tenden‐ ziell) späteren Erreichen einer tatsächlichen transkulturellen kommunikativen Kompetenz im Sinne einer Kompetenz zur Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Es handelt sich, wie im Folgenden graphisch angedeutet, um einander überlagernde Sphären oder Schwerpunktsetzungen, nicht um klar trennbare Abfolgen: inter- und sogar transkulturelles Lernen kann gleichzeitig

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zum oder sogar vor dem landeskundlichen Lernen einsetzen usw.; dennoch ist eine substantielle Erweiterung inter- bzw. transkultureller (kommunikativer) Kompetenz nur auf der Grundlage eines vertieften soziokulturellen Orientie‐ rungswissens bzw. interkultureller Kompetenz möglich, d.h., der Lernprozess wird in seinen Schwerpunkten durchaus der genannten Reihenfolge Landes‐ kunde – interkulturelles Lernen – transkulturelles Lernen entsprechen. Dabei integriert das Modell die drei Dimensionen inter- (und trans-) kultureller Kom‐ petenz nach Erll/Gymnich 2010, die Wirkungsrichtungen im Sinne Deardorffs (Bertelsmann-Stiftung 2006) und die von mir bereits an anderer Stelle vorge‐ schlagene taxonomische Stufung in inter- (Verstehen) und transkulturelle Kom‐ petenz (Verständigung) (cf. Reimann 2011sqq.). Dadurch wird verdeutlicht, dass das soziokulturelle Orientierungswissen v.a. die kognitive Dimension inter- und transkultureller Kompetenzen betrifft und letztgenannte weiterhin jeweils über eine emotional-affektive und eine handlungsbezogen-konative Komponente verfügen. Dabei führt die affektive Komponente tendenziell eher zu einer in‐ ternen Wirkung im Sinne der (Persönlichkeits-) Bildung, welche sich v.a. über das (Fremd-) Verstehen entwickelt, während die konative Dimension v.a. als die externe Wirkung zu verstehen ist, die zur Verständigung in der Interaktion mit einem Kommunikationspartner führt.

Abb. 5: Integrierendes Modell von soziokulturellem Orientierungswissen, inter- und transkultureller kommunikativer Kompetenz im Fremdsprachenunterricht

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Die grundlegende Rolle des sprachlichen Lernfortschritts wird dabei durch die vertikale und die horizontale Achse am Rand der Graphik verdeutlicht: die ver‐ tikale Dimension repräsentiert dabei die Dauer und – im Regelfall damit ver‐ bunden – die Progression des Sprachenlernens. Die horizontale Achse bzw. die horizontale Dimension der drei Kreise deutet dagegen den Grad der Vertiefung an, der in den einzelnen Teilbereichen erreicht werden kann. Somit wird deut‐ lich, dass auch interkulturelles und transkulturelles Lernen auf einem wenig entwickelten sprachlichen Kenntnisstand möglich ist, eine reflektierte Vertie‐ fung in der Fremdsprache realistischer Weise aber erst bei fortgeschrittenen Sprachkenntnissen. Da aber die kognitiven Fähigkeiten mit fortgeschrittenem Alter, gerade im Fall der so genannten spät beginnenden Fremdsprache – eine Position in schulischen Sprachlernbiographien, die immer wieder gerade auch dem Italienischen und dem Spanischen zukommt –, auch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Sprachkenntnisse wenig entwickelt sind, durchaus inter- und trans‐ kulturelle Reflexionen erlauben, impliziert die Forderung nach transkulturellem Lernen auf der Ebene der Sprache auch Offenheit für ungezwungene Sprach‐ mischung, wie sie echt mehrsprachige Individuen an den Tag legen, insbeson‐ dere auch in Bezug auf die Interaktion im fremdsprachlichen Klassenzimmer (cf. z.B. Weinrich 1983, Butzkamm u.a. 1973, 2009). In jüngerer Zeit bevorzugte Formen der freieren Sprachmittlung (z.B. informelles Dolmetschen) sind inso‐ fern transkulturelle kommunikative Aufgaben par excellence (cf. z.B. Leitzke-Un‐ gerer 2008, Rössler 2008). 3.5 Interkulturelle kommunikative Kompetenz in den Bildungsstandards für das Abitur (2012)

In den Bildungsstandards für das Abitur steht „interkulturelle kommunikative Kompetenz“ graphisch über den zwei weiteren bedeutenden Kompetenzberei‐ chen „Funktionale kommunikative Kompetenz“ und „Text- und Medienkompe‐ tenz“ (KMK 2012, 11). Dadurch wird sie – anders als noch in den Bildungsstan‐ dards für den Mittleren Schulabschluss, in denen sie nur als „interkulturelle Kompetenz“ figuriert (cf. KMK 2003, 8) – zu einem übergeordneten Bildungsziel für die Ebene des Abiturs erhoben. Durch diese Akzentverschiebung wird der auch im Modell 3.4 angesprochenen Progression auf kognitiver und sprachlicher Ebene Rechnung getragen. Die Bildungsstandards greifen zwar wesentliche As‐ pekte verschiedener oben referierter Definitionen und Modelle des interkultu‐ rellen Lernens auf, integrieren es aber zu einem eigenen, neuen, wenngleich wenig ausdifferenzierten Modell: Interkulturelle Kompetenz stellt ein wesentliches Element des fremdsprachlichen Bil‐ dungskonzepts der gymnasialen Oberstufe dar. Sie manifestiert sich in fremdsprach‐

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lichem Verstehen und Handeln. Aus diesem Grund wird sie als interkulturelle kom‐ munikative Kompetenz bezeichnet. Ihre Dimensionen sind Wissen, Einstellungen und Bewusstheit. (KMK 2012, 13, cf. auch 20-22).

Graphisch wird dies wie folgt versetzt gedruckt veranschaulicht:

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Abb. 6: Interkulturelle kommunikative Kompetenz in den Bildungsstandards für das Abitur (KMK 2012, 11)

Übergeordnet sind also die Prozesse des Verstehens und des Handelns (das auch als „Verständigung“ hätte bezeichnet werden können), welche in den Bildungs‐ standards auf Wissen, Einstellungen und Bewusstheit basieren. Dabei ist fest‐ zuhalten, dass z.B. die oben referierten Dimensionen kognitiv, affektiv und ko‐ nativ treffender zu sein scheinen. Das Modell der Bildungsstandards darf – wie für dieses Dokument legitimierbar – auch in diesem Bereich als ein zwischen den Ländervertretern ausgehandelter Minimalkonsens gelten. Für Lehrkräfte ist zur Ausgestaltung eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts daher die Kenntnis der oben vorgestellten Modelle ergänzend wünschenswert. 4 Unterrichtspraktische Konsequenzen: Konzepte und Methoden des inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts 4.1 Der Fremdsprachenunterricht als „third place“ / hybrider Raum

Für die Organisation interkultureller Lernprozesse im Fremdsprachenunterricht kann die Konzeption des Fremdsprachenunterrichts als „third place“ nach Claire Kramsch, wie sie in jüngerer Zeit etwa für das Englische von Wolfgang Hallet oder für die Spanischdidaktik von Eva Leitzke-Ungerer 2011 rezipiert wurde, eine Orientierung bieten. Kramsch definiert den Fremdsprachenunterricht wie folgt: [The] third place […] grows in the interstice between the cultures the learner grew up with and the new cultures he or she is being introduced to (Kramsch 1993, 236).

Hier wird deutlich, dass von heterogenen Lerngruppen ausgegangen wird und eine mehrkulturelle Sensibilisierung angestrebt wird. Wolfgang Hallet entwi‐

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ckelt, aufbauend auf dem Konzept von Kramsch (Hallet 2002, 36-38) und unter weiterführender Berufung auf die kulturtheoretischen Konzeptionen Homi Bhabhas (z.B. Bhabha 1995, op. cit., 39sq.), ein Modell von Fremdsprachenun‐ terricht als hybridem Raum. Dabei unterscheidet er drei Diskurssphären, die im Fremdsprachenunterricht interagieren und diesen als „hybriden Raum“ konsti‐ tuieren (cf. Hallet 2002, 48): – Die eigenkulturelle Diskurssphäre (I). […] alle Texte und Dokumente, die aus der Lebens- und Erfahrungswelt der Lernenden und der Lehrkraft als Lerneroder Lehrertexte in den Unterricht eingeführt werden oder evoziert werden. Es gehören außerdem fremdsprachige und muttersprachliche Texte, Bilder und sonstige mediale Repräsentationen aller Art dazu, die die Eigenkultur im Un‐ terricht thematisieren. Ferner müssen dieser Diskurssphäre alle diejenigen Texte (Bilder etc.) zugerechnet werden, die die Lerner aus anderen Kulturen – auch über den Fremdsprachenunterricht […] – bereits in die eigene Identität adaptiert haben. –

Die zielkulturelle Diskurssphäre (II). […] alle Texte und Diskurse der Gegen‐ wart und der Vergangenheit […], die aus Kulturen und Ländern des Zielspra‐ chengebiets stammen und/oder deren Themen, Probleme und Sachverhalte in der Zielsprache […] verhandeln. […] Sie sind in einer oder mehreren Kulturen des Zielsprachengebiets lokalisierbar und werden von zielsprachlichen Spre‐ chergemeinschaften getragen.



Die transkulturelle Diskurssphäre (III). In ihr werden in transkulturellen und globalen Diskursen Fragen und Themen von kulturübergreifender Ausdeh‐ nung, Bedeutung und Wirkung verhandelt. Diese sind aber nicht in einer der Zielkulturen lokalisierbar und nur begrenzt einzelkulturell determiniert; sie werden von internationalen oder kulturübergreifenden Sprechergemein‐ schaften getragen (intercommunities), die auch temporär oder virtuell existieren können (Hallet 2002, 46sq.).

4.2 Inter- und transkulturelle Kompetenzziele für den Fremdsprachenunterricht

Die drei Diskurssphären Hallets bieten eine gute Orientierung zur Verortung eines inter- bzw. transkulturellen Inhalts im Fremdsprachenunterricht. Wei‐ terhin bieten die taxonomisch gestuften Kompetenzziele „Verstehen“ und „Ver‐ ständigung“ Anhaltspunkte, Teilziele zu operationalisieren und Unterrichtsein‐ heiten zu planen - ebenso wie die Dimensionen inter- und transkultureller Kompetenz Wissen, Können / Verhalten und Einstellungen nach Caspari/

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Schinschke 2008 bzw. die affektive, die kognitive und die kommunikativ-prag‐ matische bzw. konative Dimension nach Rössler 2010 und Erll/Gymnich 2010 bzw. nach Göbel/Buchwald 2009. Ähnliches gilt für die Stufenmodelle des in‐ terkulturellen Lernens bei der Planung größerer Lernzusammenhänge (Unter‐ richtssequenz, Schuljahr). Auf der Inhaltsebene kann man sich an den o.g. Kon‐ zepten des interkulturellen Lernens orientieren. 4.3 Handlungsfelder eines inter- und transkulturellen Fremdsprachen-

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unterrichts

Inhaltliche Handlungsfelder eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts be‐ treffen z.B. die nonverbale Kommunikation (cf. z.B. Reimann 2008, 2012, 2016), Er‐ innerungsorte im Fremdsprachenunterricht (cf. z.B. Reimann 2014c), oder auch der Schüleraustausch einschließlich seiner medial gestützten Varianten (für das Spani‐ sche beispielsweise besonders eindrucksvoll z.B. Vences 2009; allgemein zur Aus‐ tauschdidaktik Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 87, 2007; empirische Studien zur Wirkung von Austauschprogrammen werden z.B. in Hörl 2012 refe‐ riert). Zunehmend findet auch das interkulturelle Potential des Sehverstehens Be‐ achtung (z.B. Leitzke-Ungerer 2009, Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 46, 2014, Michler/Reimann 2016). Im Sinne einer weiter gefassten Mehrsprachigkeits‐ didaktik sollte zunehmend auch wieder eine Didaktik der Mehrkulturalität in den Fokus genommen werden, in die einerseits der kulturelle Hintergrund von Schü‐ lerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte einfließen kann, andererseits das Vorwissen aus anderen erlernten Zielsprachen eingebracht werden könnte (z.B. Höflichkeitskonventionen, Frühstücksgewohnheiten usw.). 4.4 Inhalte eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts

Distinktive Inhalte, durch die sich der etwa der Englisch-, Französisch- und Spanisch‐ unterricht von einem nur auf dem europäischen Mutterkontinent als Mehrheits‐ sprache gesprochenen Idiom wie dem Italienischen unterscheidet, ist die weltweite Verbreitung der jeweiligen Sprache, durch die sich zahlreiche Horizonte auf histori‐ sche und gegenwärtige Kulturen eröffnen. In der Behandlung der historischen indi‐ genen Kulturen Lateinamerikas etwa eröffnet sich gerade im Spanischunterricht die Möglichkeit einer „doppelten Alteritätserfahrung“ (synchron und diachron), die an‐ sonsten vor allem im altsprachlichen Unterricht wahrgenommen wird. Auch überge‐ ordnete Themen eines allgemeinbildenden Erziehungsauftrags wie etwa das Thema „Wasser“ (cf. Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 21, 2008) oder Migration (am Beispiel Mexiko - USA wie auch am Beispiel Spaniens) lassen den Spanischunterricht substantielle Beiträge zum Bildungsauftrag unserer Schulen leisten. Nicht zuletzt bietet die lange Geschichte der „convivencia“ von Mauren, Juden und Christen im

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mittelalterlichen Spanien Anlässe für eine Fundierung aktueller Fragen von größter weltpolitischer und humanitärer Bedeutung. 4.5 Methoden eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts

In einer Überblicksdarstellung (mit weiterführender Bibliographie) erstellen Grau/Würffel 2007 folgende Typologie von Übungen und Aktivitäten zum in‐ terkulturellen Lernen im Fremdsprachenunterricht: 1. Wahrnehmungsschulung, z.B.

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„Freie Assoziationen zu Bildern, detaillierte Beschreibung von Bildern oder Filmsequenzen, um den Lernenden für die eigene Seh-, Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse zu sensibilisieren […] – Bildbeschreibungen in dem bewussten Dreischritt „wahrnehmen/beschreiben, Hypothesen bilden, persönliche Eindrücke formulieren“, um den Automa‐ tismus aufzubrechen, der den Betrachter meist –ohne dass es ihm auffiele – von der Wahrnehmung direkt zur kulturabhängigen Wertung führt […] – Die gleiche Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen lassen […] – Wahrnehmungsreduktion, Übungen zu Sinnestäuschungen, um sich einzelner Sinne bewusster zu werden […]“ 2. Sprachreflexion über Begriffsbildung und Begriffserschließung, z.B. – „Untersuchungen eines Wort- […] oder erweiterten Begriffsfeldes […], um seine konnotativen Bedeutungen, seine Verknüpfungen mit anderen Wörtern […] zu erfassen. […] – Aus Assoziogrammen von Muttersprachlern zu einem Begriff Mehrfachnen‐ nungen herausziehen, [… - sc. z.B.beim Schüleraustausch]“ 3. Einblicke in fremde Welten und Kulturvergleich z.B. – „Literarische Texte als Zugang zu einer fremden Welt (Bredella […]) – Analyse von kulturspezifischen Werten in Werbung (z.B. Produktwerbungen, die länderspezifisch unterschiedlich sind) […] – Kulturvergleich von Zeit- und Raumkonzepten, Aspekten des Alltagslebens (Wohnen, Einkaufen etc.) durch Mini-Befragungen von Angehörigen der Ziel‐ kultur mit vorher gemeinsam ausgearbeiteten Fragebögen […] – Untersuchung von situationsabhängigen Verhaltensweisen in Filmen oder li‐ terarischen Texten, z.B. Begrüßungsszenen in soap operas […]“

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4. Entwicklung kommunikativer Kompetenz in interkulturellen Kontaktsituationen z.B. „Dramapädagogische Übungen und Rollenspiele […]. Sie sprechen insbeson‐ dere die Gefühlswelt der Lernenden an und erleichtern das ganzheitliche Hi‐ neinversetzen in eine andere Rolle und den damit verbundenen Perspektiven‐ wechsel. Außerdem kann der fremdkulturelle Umgang mit non-verbalen Kommunikationsmitteln entdeckt und ausprobiert werden […] – Planspiele und Simulationen, die ein vollständiges Eintauchen der Lernenden in einen fremden Kontext ermöglichen, z.B. eine internationale Verhandlungs‐ situation […] – Klassenkorrespondenzen zu unterschiedlichen Themen oder literarischen Texten über verschiedene Medien […]“ (Grau/Würffel 2007, 312-314). Lizenziert für HU Berlin am 13.06.2019 um 19:19 Uhr



4.6 Evaluation interkultureller Kompetenzen

Inter- (und folglich auch trans-) kulturelle kommunikative Kompetenz gilt der‐ zeit als schwer messbar (cf. z.B. Hu/Leupold 2008, 66-70, Rössler 2010, 146). Folglich bieten weder der GeR befriedigende Kriterien und Deskriptoren, noch wird die Kompetenz in den Bildungsstandards, die interkulturelle kommunika‐ tive Kompetenz für das fremdsprachliche Abitur als übergeordnetes Lernziel ausweisen, ausreichend operationalisiert oder in den ersten Implementierungs‐ studien zu den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss getestet. Auch Byrams Standardwerk des Jahres 1997 widmet sich ausgiebiger der The‐ oriebildung des Teaching denn dem Assessing interkultureller kommunikativer Kompetenz (zu letzterem wiederum eher theoretisch 87-111). Daniela Caspari und Andrea Schinschke haben aus einem ihnen vorliegenden Korpus von Un‐ tersuchungen zum interkulturellen Lernen eine Typologie von Aufgaben zur Feststellung interkultureller Kompetenzen erstellt, wobei sie bewusst nicht „for‐ melle Testung“, sondern „informelle Feststellung/Überprüfung“ in schriftlicher Form anvisieren (Caspari/Schinschke 2009, 275, 282). Ausgehend von ihrem oben erwähnten Modell interkultureller Kompetenz erkennen sie folgende Kri‐ terien in den Bereichen Wissen, Können/Verhalten und Einstellungen (Caspari/ Schinschke 2009, 286sq.): •



Wissen – fremdkulturell – fremdsprachlich (bes. kulturspezifisch fremdsprachliches Wissen – strategisch Können / Verhalten – fremdkulturell (außer sprachliches Handeln)

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– fremdsprachlich – kulturell angemessenes fremdsprachliches Handeln – strategisch Einstellungen / Bereitschaft in Bezug auf – Fremdkultur – Gebrauch der Fremdsprache – Strategiegebrauch – persönlich-psychologisches „Einlassen“

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Weiterhin konnten Caspari/Schinschke (ibid.) u.a. folgende Typen von Auf‐ gaben feststellen: • • • • • •



• • •

• •

Aufgaben zur Wiedergabe von Wissen Aufgaben zur Feststellung von Einstellungen, z.B. gegenüber anderen Lebens‐ weisen Aufgaben, die gezielt einen Umgang mit Nicht-Verstehen und Nicht-Können ver‐ langen (z.B. freies Sprechen, Hörverstehen von Originaltexten) schriftliche Aufgaben zum reflektierten Vergleich kultureller Phänomene Imitationsaufgaben in Bezug auf sprachliches Verhalten und kulturelle Gebräuche (z.B. „Faites comme des Français“) (schriftliche) Aufgaben mit Schwerpunkt „Anwendung von Wissen“, z.B. zur In‐ terpretation literarischer Texte oder zur Deutung von Stereotypen / Vorurteilen / critical incidents Aufgaben zur Relativierung der eigenen Wahrnehmung (z.B. Bilder oder Filmse‐ quenzen beschreiben und unter Zuhilfenahmen von Einsichten in die Fremdkultur und in Wahrnehmungsmechanismen interpretieren) schriftliche Aufgaben mit Schwerpunkt „Perspektivenübernahme“, z.B. im Um‐ gang mit literarischen Texten oder Sachtexten schriftliche Aufgaben zur Auseinandersetzung mit fremdem und eigenem Stand‐ punkt („Perspektivenkoordination“) Simulationen, z.B. – inszenierte Diskussionen zu Themen mit hohem interkulturellen Konflikt‐ potential – Rollenspiele zur mündlichen Sprachmittlung – Rollenspiele mit critical incidents-Situationen medial vermittelte Begegnungssituationen mit Zielsprachensprechern (z.B. Klas‐ senkorrespondenz, E-Mail-Kontakte, Chat) reale Begegnungssituationen mit Zielsprachensprechern, u.U. mit Aufgaben zur Reflexion der Situationen (Caspari/Schinschke 2009, 286sq.)

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Aus heutiger Perspektive müssten solche Aufgaben, wie auch von Caspari/ Schinschke 2009 angedeutet, zunehmend auch mündlich gestellt und realisiert werden. Die genannte Typologie kann ein Ansatzpunkt sein, um valide Lernund Testaufgaben zu erstellen. Bisherige Versuche, interkulturelle kommuni‐ kative Kompetenz zu operationalisieren, sind indes weitgehend gescheitert. So vermag etwa auch die umfangreiche Studie Eberhardt 2013, trotz vielversprech‐ ender Ansätze (z.B. Eberhardt 2008) kaum Antworten zu liefern. Auch der Re‐ ferenzrahmen für Plurale Ansätze (REPA) (Candelier 2009) liefert letztlich keine abschließende Operationalisierung. Dies mag angesichts des Ausmaßes der oben referierten theoretischen Ansätze zur interkulturellen Kompetenz ver‐ wundern, nicht aber, wenn man deren Komplexität betrachtet, die oben, meines Wissens an dieser Stelle erstmalig, aus wissenschaftstheoretischer Sicht als „rhizomartig“ bezeichnet werden mussten. Unter den drei Teilbereichen der interkulturellen kommunikativen Kompe‐ tenz nach Rössler 2010 - affektive und attitudinale Komponente, wissensba‐ siert-analytische Komponente und handlungsorientiere Komponente - scheint einzig der kognitive Bereich im Sinne soziokulturellen Orientierungswissens objektivierbar, valide und reliabel messbar zu sein (cf. bereits Byram 1997, 94sqq). Es spricht wohl nichts dagegen, im Sinne einer Rückbesinnung auf an‐ spruchsvolle und daher motivierende Inhalte im Fremdsprachenunterricht, so‐ ziokulturelles Orientierungswissen zu testen. Allerdings muss man sich dabei bewusst sein, dass der so bedeutenden und den Fremdsprachenunterricht be‐ reichernden interkulturellen kommunikativen Kompetenz als solcher damit nicht beigekommen werden kann. Für den affektiven und attitudinalen Bereich bieten sich eher Formen der (begleiteten) Autoevaluation an wie etwa Portfolios, Lern- oder Austauschta‐ gebücher (auch hierzu bereits Byram 1997, 91sqq., zu einem Praxisbeispiel cf. Fellmann 2006). Byram hat mit der Autobiography of Intercultural Encounters ein entsprechendes Instrument erarbeitet (Europarat 2009, dazu z.B. Rössler 2010, 146). Die Ebene des interkulturellen Handelns kann letztlich in mündlichen Prüf‐ ungen etwa in Rollenspielform zwar simuliert, aber nicht wirklich diagnostiziert und evaluiert werden - sie wird sich, so sehr diese Formulierung einem Offen‐ barungseid der Testtheorie gleicht, erst in der realen Interaktion mit einem his‐ panophonen Gesprächspartner erweisen (und stetig entwickeln). Das Dilemma der Operationalisierung und Diagnostik interkultureller (kom‐ munikativer) Kompetenz ist wiederholt thematisiert worden. Als einführender Forschungsbericht kann Fäcke 2012 erwähnt werden. Auch Andrea Rössler hat einige Zweifel an der Überprüfbarkeit interkultureller kommunikativer Kom‐

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petenz auf den Punkt gebracht - und dabei auch darauf hingewiesen, dass beim Versuch, interkulturelle kommunikative Kompetenz zu testen, dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit (aber wäre dieses nicht auch ein Spiegel zumindest ansatzweise erreichter Lernziele?) letztlich auch die Sprachenbarriere eine Rolle spielen kann: Und selbst wenn man überzeugende Aufgabenformate fände, mit denen sich Hal‐ tungen und Einstellungen gegenüber Fremden nachweisen und messen lassen, bliebe doch stets die Frage, wie real und nachhaltig diese sind. Spielt der Schüler nur eine Rolle, weil er weiß oder erahnt, welche Einstellungen der Lehrer ´belohnen´ und sanktionieren wird? […] Und: In welchem Verhältnis steht der Grad der Empathiefä‐ higkeit eines Schülers zu seiner fremdsprachlichen kommunikativen Kompetenz? So ist es etwa denkbar, dass ein Schüler sich sehr gut in seinen spanischen Austausch‐ partner einfühlen, dies aber nicht durch angemessene verbale Interaktionen in der Fremdsprache zum Ausdruck bringen kann. […]. (Rössler 2010, 146).

Auch wenn oder gerade weil die Frage nach der Evaluation interkultureller kommunikativer Kompetenz (noch) weitgehend negativ beantwortet werden musste, kann abschließend festgestellt werden, dass es schlussendlich wohl eine der bedeutendsten Aufgaben des gegenwärtigen Fremdsprachenunterrichts ist, jenseits einer denkbaren Evaluation v.a. die intrinsische Motivation zur inter(und transkulturellen) Kommunikation zu befördern. Literatur Agar, Michael. 1994. Language Shock. Understanding the Culture of Conversation. New York: Harper. Allolio-Näcke, Lars / Kalscheuer, Britta / Manzeschke, Arne (edd.). 2005. Differenzen an‐ ders denken. Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdifferenz. Frankfurt am Main: Campus. Allolio-Näcke, Lars / Kalscheuer, Britta. 2005. „Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdifferenz – Resümee und Ausblick“, in: Allolio-Näcke / Kalscheuer / Manzeschke 2005, 443-453. Auernheimer, Georg. 72012. Einführung in die Interkulturelle Pädagogik. Darmstadt: Wis‐ senschaftliche Buchgesellschaft. Barmeyer, Christoph I. 2000. „´En un clin d´œil´. Kommunikativer Stil und Informati‐ onsverhalten in deutscher und französischer Werbung der Prinzmedien“, in: Franzö‐ sisch heute 4, 480-494. Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Krumm, Hans-Jürgen (edd.). 52007 (11989). Hand‐ buch Fremdsprachenunterricht. Tübingen / Basel: Francke.

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Daniel Reimann

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Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) – ein Werkzeug zur Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts?!

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Überlegungen am Beispiel des deutsch-französisch bilingualen Geographieunterrichts in Deutschland

Maik Böing

1 Einführung

Bisher wurde der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kul‐ turen (REPA) noch nicht explizit zur Weiterentwicklung des bilingualen Sach‐ fachunterrichts in Deutschland genutzt. Dies ist aus zwei Gründen verwunder‐ lich: Zum einen stellt der bilinguale Sachfachunterricht (CLIL) in seiner Idealform eines wirklich zweisprachigen Fachunterrichts – „Lernen in zwei Sprachen mit Blick auf zwei Kulturen“ (Christ 2006, 16, vgl. auch Eurydice 2006, 61) – ein modellhaftes Beispiel der Integrierten Didaktik im Sinne der Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen dar. In diesem Sinne sind Zielsprache (L2) und Un‐ terrichtssprache des Landes (L1) bei der Planung und Durchführung von CLIL-Unterricht zu berücksichtigen (für Frankreich vgl. auch Duverger 2005)1. Zum anderen sind es die bilingualen Sachfächer der Gesellschaftswissen‐ schaften, in denen kulturelles Lernen in besonderer Weise stattfinden kann, nicht von ungefähr fiel innerhalb des deutsch-französischen Bildungsgangs die Wahl auf diese bei der Auswahl der Fächer. So werden im REPA explizit als einzige Fachdisziplinen die Geschichte und die Geographie im Kontext des 1

Mäsch (2007, 25) bringt die aus Sicht der Schulaufsicht auch juristische (!) Notwendig‐ keit der Nutzung der L1 Deutsch im bilingualen Bildungsgang wie folgt auf den Punkt: „Der Bilinguale – zweisprachige! – Bildungsgang fördert im Gegensatz zu den Immer‐ sion-Programmen nicht nur die Zielsprache, sondern explizit auch die Erstsprache. Der Bilinguale Bildungsgang muss und will zum vollwertigen deutschen Abitur führen; dazu ist die Förderung der erstsprachlichen Fachsprache unerlässlich.“

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Maik Böing

(inter-/trans-)kulturellen Lernens genannt „Savoir que l’histoire / la géographie permettent souvent de comprendre / d’expliquer certaines pratiques / valeurs cul‐ turelles (K 11.1.3)“ (Candelier 2012, 34)2. Warum sollte man also nicht den REPA für die Didaktisierung von kulturellem Lernen in den Sachfächern nutzen? Kann – und wenn ja inwiefern – der REPA gar die Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts inhaltlich und methodisch-didaktisch unter‐ stützend begleiten? Vorliegender Beitrag möchte dies am Beispiel des Faches Geographie bilingual deutsch-französisch für den Unterricht in der Sekundar‐ stufe II beleuchten und einige Anregungen zur Diskussion stellen.

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2 Die Situation in Schule und Unterricht – jüngere Entwicklungen in puncto Zweisprachigkeit

In ihrer Veröffentlichung „Bilingual heißt zweisprachig! Überlegungen zur Ver‐ wendung beider Sprachen im bilingual deutsch-französischen Geographieun‐ terricht“ unterstreichen Böing/Palmen (2012), dass trotz aller wissenschaftli‐ chen Diskurse um eine „doppelte Sachfachliteralität“ (Vollmer 2002) die unterrichtliche Realität in den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen oftmals anders aussehe. Diese scheine durch einen weitgehend monolingualen Sach‐ fachunterricht in der Zielsprache geprägt, die L1 Deutsch werde insbesondere in den deutsch-englisch bilingualen Zügen bei der Didaktisierung bilingualen Sachfachunterrichts insgesamt noch zu wenig bewusst reflektiert eingesetzt. In den letzten fünf Jahren zwischen 2012 bis 2017 hat sich die Situation nach Ein‐ schätzung des Autors nur wenig verändert. Einerseits existieren zwar Bemühungen im Rahmen von Fortbildungsver‐ anstaltungen, den didaktisch-fachlichen Mehrwert eines wirklich zweispra‐ chigen CLIL-Unterrichts herauszustellen3, andererseits bilden insbesondere die für den deutsch-englisch bilingualen Markt in Deutschland produzierten mo‐

2

3

Da bisher die deutsche Endfassung des REPA noch nicht veröffentlicht ist, wird in diesem Beitrag auf die französische Version des CARAP (Cadre de Référence pour les Approches Plurielles des Langues et Cultures) zurückgegriffen, die auf der Website des Europäischen Fremdsprachenzentrums Graz eingestellt ist. Vgl. http://carap.ecml.at/ Vgl. z.B. Fortbildungsveranstaltung der LIBINGUA-Arbeitsgemeinschaft der Gymn‐ asien mit zweisprachig deutsch-französischem Zug in Deutschland “Das Thema „Nach‐ haltigkeit“ im bilingualen Sachfachunterricht unter besonderer Berücksichtigung der Zweisprachigkeit” vom 21.03. bis 23.03.2012 in der Europäischen Akademie Otzen‐ hausen (Saarland) oder den Workshop „Bilingualen Sachfachunterricht in zwei Spra‐ chen gewinnbringend gestalten“ auf der Tagung der Koordinatorinnen und Koordina‐ toren der Arbeitsgemeinschaft der Schulen mit deutsch-englischem Zweisprachenzug in NRW am 05.10.2017.

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nolingual zielsprachigen Lehrwerke (z.B. Latz 2015) als bloße Übersetzungen der deutschen Lehrbücher den inhaltlichen Mehrwert einer (auch punktuellen) zweisprachigen und transkulturellen Herangehensweise nicht ab4. Insbesondere in der gymnasialen Oberstufe besteht aufgrund der fortge‐ schrittenen sprachlichen und intellektuellen Fertigkeiten der Lernenden jedoch die Chance, dass dem CLIL-Unterricht innewohnende, gerade durch die Zwei‐ sprachigkeit gegebene fachliche Potenzial zu entfalten und geeignete Unter‐ richtsgegenstände im Sinne einer wirklich bilingualen und bikulturellen He‐ rangehensweise aufzubereiten.

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3 Auf dem Weg zu einem wirklich mehrsprachigen und mehrkulturellen bilingualen Sachfachunterricht

Möchte CLIL-Unterricht sein Potenzial voll ausschöpfen, so gilt es, in Schulauf‐ sicht und Fachdidaktik bilingualen Unterricht (BU) konsequenter und vor allem konkret unterrichtsbezogener als bisher mehrsprachig und mehrkulturell zu denken. Diehr bemerkt zutreffend: „Lernende im BU sollen nicht nur die Fach‐ begriffe in beiden Sprachen, sondern auch die strukturellen Besonderheiten und kulturell geprägten Merkmale des Fachdiskurses in beiden Sprachen erwerben, so dass sie sich in altersgemäßer Weise an diesen Fachdiskursen beteiligen können. Weitgehend ungeklärt sind die organisatorischen und methodischen Umsetzungsmöglichkeiten, mit denen dieses hochgesteckte Ziel des BU erreicht werden kann. Eine systematische und empirisch fundierte Methodik des BU, die den Einbezug beider Sprachen erläutert und konkretisiert, bleibt ein Desiderat (Diehr 2012, 29).“ Gerade der gezielte, kriteriengeleitete und fachlich gewinnbringende Ein‐ bezug der L1 (Deutsch) scheint mit fortschreitendem bilingualem Unterricht für die unterrichtenden Lehrkräfte eine große Herausforderung zu sein. Vor allem in der Sekundarstufe II, wo sprachliche Hürden in der L2 (Französisch) nicht mehr groß ins Gewicht fallen und dementsprechend kaum noch auf die deutsche Sprache zur Verständnissicherung zurückgegriffen werden muss, erfolgt bilin‐ gualer Unterricht weitgehend monolingual in der Zielsprache. Die gegenwär‐ tigen Prüfungsformate im Abitur, die ausschließlich auf eine monolingual ziel‐

4

Der Verlag wirbt auf seiner Website wie folgt: „Die Übersetzung der Diercke Praxis Einführungsphase bringt die neue Unterrichtskultur nun auch in den fremdsprachigen Fachunterricht.“https://verlage.westermanngruppe.de/westermann/artikel/978-3-14-1 14958-6/Diercke-Praxis-SII-Arbeits-und-Lernbuch-Aktuelle-Ausgabe-Activity-Book-1 Der Begriff „fremdsprachiger Fachunterricht“ verkennt eindeutig die Notwendigkeit des Einsatzes der L1.

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sprachliche Textproduktion (schriftlich oder mündlich) abzielen, unterstützen diese Tendenz ihrerseits5, zumal die Schülerinnen und Schüler aufgrund dessen einen höheren Wert in einer reinen Fremdsprachlichkeit sehen. Um den Lehrkräften eine Orientierung zu bieten, wie das Zusammenspiel von L2 und L1 im Grundsatz koordiniert werden kann, legen Böing und Palmen (2012) unter Rückgriff auf das „Allgemeine Modell fachlicher Kompetenz und der Erwerbsbedingungen im Kontext bilingualen Lehrens und Lernens“ nach Breidbach (2006) für das Fach Geographie bilingual deutsch-französisch eine erste unterrichtsbezogene Ausschärfung vor (vgl. Tab. 1:)

5

So werden z.B. im Fach Geographie bilingual deutsch-französisch im nordrhein-west‐ fälischen Zentralabitur im Rahmen von eigens erstellten Abiturklausuren in der Regel den Schülerinnen und Schülern auch ein bis zwei Materialien in der L1 zur Bearbeitung zusätzlich zu Originalmaterialien aus dem Zielsprachenland vorgelegt. Das Verfassen des Schülertextes erfolgt gänzlich in der L2. Somit ist zumindest auf der Ebene der Textrezeption und Informationsverarbeitung eine Zweisprachigkeit gegeben. Im Fach Geographie bilingual deutsch-englisch werden in NRW lediglich die deutschen Abitu‐ raufgaben inkl. sämtlicher Materialien ins Englische übersetzt. Hier fehlt eine bilin‐ guale, gar bikulturelle Ausrichtung der Abituraufgaben gänzlich.

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Interaktionale Dimension Soziale Gesprächs- und Kooperationsfähigkeit zur Bedeutungsaushandlung Konzeptuale Dimension

Methodische Dimension

Zentrale fachliche Begriffe und Konzepte

Fachliche Me‐ Sprachliche Umgangs‐ thoden, Dokumen‐ formen und Diskurse des tations- und Dar‐ Faches stellungsweisen

z. B. Agenda 21, Altlasten, Anerbenrecht, Blockentker‐ nung, Bodenhorizonte, Cluster, fairer Handel, Flur‐ bereinigung, Föhn, Füh‐ lungsvorteile, Funktions‐ schwächesanierung, Gründerzeit, Grundlastver‐ sorgung, historisch-geneti‐ sche Stadtentwicklung, Nasse Hütte, Pull-/ Push-Faktoren, Schatten‐ wirtschaft, Schwellenland, harte/weiche Standortfak‐ toren, Thünensche Ringe, sanfter Tourismus

z. B. Raumanalyse, Syndromansatz, Szenariotechnik, Dilemmamethode

z. B. Themenformulie‐ rungen und Aufgaben‐ stellungen eher mit exemplarisch-allgemeingeographischem Zugriff aus dem Zentralabitur NRW Erdkunde bilingual Französisch (z. B.: Le tourisme interna‐ tional – moteur du déve‐ loppement économique d’un PED ? – L’exemple du Népal)

z. B. aménagement du terri‐ toire, Arc méditerranéen, dé‐ senclavement, façade mari‐ time, Europe rhénane, héliotropisme, interface, Japon de l’endroit/de l’envers, multimodalité, pays émer‐ gent, plate-forme multimo‐ dale, technopôle/technopole, terre-plein, vol d’oies sau‐ vages

z. B. croquis, étude d’un ensemble do‐ cumentaire, com‐ position

z.B. Themenformulie‐ rungen und Aufgaben‐ stellungen häufig mit re‐ gionalgeographischem Zugriff (z. B.: L’Europe rhénane, cœur économique de l’Eu‐ rope ; La façade atlantique de l’Amérique du Nord)

Diskursive Dimension

Reflexive Dimension Strategien zum Umgang mit fachkulturellen und sozialen Differenzerfahrungen Tab. 1 : Konzeptuale, methodische und diskursive Spezifika der deutschen und französi‐ schen Geographie (Auswahl) (modifiziert und umfangreich ergänzt nach Breidbach 2006, 13) (aus: Böing/Palmen 2012, 82)

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Maik Böing

In Ergänzung zu dem entsprechenden Kernlehrplan des Faches kann die Zu‐ sammenstellung der Lehrkraft helfen, bestimmte Bereiche zu identifizieren, in denen sich eine bilinguale sowie bi- bzw. transkulturelle Herangehensweise im Unterricht der Sekundarstufe II besonders lohnt. Zwar beschäftigt sich die Ge‐ ographie in weiten Teilen exemplarisch mit allgemeingeographischen Phäno‐ menen und Prozessen (vgl. Buske 2004), die ihrerseits in der Regel durch Fach‐ begriffe und -konzepte beschrieben und erschlossen werden können, die im Bereich von Internationalismen sowie übertragbaren Fachkonzepten und -mo‐ dellen anzuordnen sind. All diese Sachgegenstände können im fortgeschrittenen Sachfachunterricht somit durchaus ohne großen Semantisierungsaufwand re‐ lativ einfach in weiten Teilen in der L2 behandelt werden. Darüber hinaus macht es aber Sinn, sich punktuell auch auf spezifische As‐ pekte zu konzentrieren, die im Sinne kultureller Skripte (vgl. Albrecht/Böing 2010, Böing 2011a) gerade für die deutsche bzw. französische Geographie maß‐ geblich sind und die letztlich nur in einem wirklich bilingual-transkulturell an‐ gelegten Geographieunterricht zum Tragen kommen. Diese kulturellen Skripte – eingeteilt in konzeptuale, methodische und diskursive Spezifika – stehen als zentrale fachliche Säulen im Mittelpunkt des Modells. Die drei Dimensionen sind für die Gestaltung jeglichen (bilingualen) Fachunterrichts maßgeblich, da vor allem sie die im vorliegenden Fall spezifische deutsch-französische Prägung des bi-lingualen Unterrichts gewährleisten.6 Im Bereich der konzeptualen Dimension sind zentrale fachliche Begriffe und Konzepte aufgeführt, die oftmals nationalspezifische geographische Denk‐ muster Deutschlands oder Frankreichs widerspiegeln und zumeist nicht oder nur schwer übersetzbar sind. Im Sinne eines bilingualen Geographieunterrichts können die deutschen Begriffe und Konzepte zunächst in Form von deutschen „Sprachinseln“ (Böing/Palmen 2012) behandelt werden, um nachher in franzö‐ sischsprachigen Sachkontexten eingebunden zu werden. Im Rahmen der kon‐ zeptualen Dimension sollten neben Fachbegriffen und sprachlichen Repräsen‐ tationen auch symbolsprachliche, ikonographische und kartographische Repräsentationsformen eingebunden werden – z.B. „landestypische“ Piktogr‐ amme und Markierungen der deutschen bzw. französischen (Schul-) Geographie (vgl. Albrecht/Böing 2012). In methodischer Hinsicht gilt es zu überlegen, welche Fachmethoden und Darstellungsweisen spezifisch für den Geographieunterricht in Deutschland 6

Im Grundsatz kann mit anderen Zielsprachen ähnlich verfahren werden, z. B. im spa‐ nisch-französischsprachigem CLIL-Unterricht in Frankreich. Hier gilt es, spezifische sprachliche und kulturelle spanische und französische Fachbegriffe, -konzepte, -me‐ thoden und -diskurse zu identifizieren.

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bzw. in Frankreich sind. So tauchen in Deutschland verbreitete Verfahren wie z. B. der Syndromansatz7 in französischen Schulbüchern des Faches Geographie gar nicht auf, umgekehrt stellt der croquis, eine zu erstellende Kartenskizze in‐ klusive einer légende explicative, eine typisch französische geographische He‐ rangehensweise dar. Die diskursive Dimension schließlich beleuchtet sprachliche Umgangs‐ formen und Diskurse des Faches – etwa in Titel- und Themenformulierungen, Autorentexten sowie Aufgabenstellungen in Schulbüchern. So entspricht der in Frankreich nach wie vor oft verwendete geopolitisch-machtbezogene Duktus (z.B. „L’Allemagne, une puissance au coeur de l’Europe“) nicht dem in Deutschland weit verbreiteten Mensch-Umwelt-Paradigma, welches hier häufig bei Raum‐ betrachtungen zugrunde gelegt wird (vgl. Albrecht/Böing 2012). Die Interaktionale Dimension wie auch die Reflexive Dimension, von Breid‐ bach (2006) im „ursprünglichen“ Modell noch parallel als vertikale Säulen an‐ geordnet, flankieren in der Modifizierung von Böing/Palmen (2012) als hori‐ zontale Säulen die durch die Lernenden realisierte unterrichtliche Bedeutungskonstruktion im Dialog (vgl. Bonnet 2004). Die wenigen Beispiele aus dem Fach Geographie bilingual deutsch-franzö‐ sisch mögen verdeutlichen, wie sehr sich eine wirklich zweisprachige und transkulturelle Herangehensweise im Sinne der Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen fachlich lohnt und welchen fachlichen (Erkenntnis-)Mehrwert sie liefern kann. Auch wird deutlich, dass die im Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Spra‐ chen und Kulturen (REPA) aufgeführten Deskriptoren, Ressourcen und Kom‐ petenzen eine Konkretisierung der vorgenannten Dimensionen – konzeptual, methodisch, diskursiv – ermöglichen. Zum einen ist die im REPA zugrunde ge‐ legte Einteilung anschlussfähig an die vorgenannten Dimensionen des adap‐ tierten Modells, d. h. bei der konzeptualen Dimension ist vorwiegend der Bereich les savoirs betroffen, bei der methodischen Dimension der Bereich les sa‐

7

Bei diesem Ansatz werden Symptomen – ähnlich wie bei Krankheiten – bestimmte Schädigungs-, Wirkungs- und Interaktionsmuster aus unterschiedlichen Sphären un‐ tersucht (Biosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre, Bevölkerung, Pedosphäre, Wirtschaft, Psychosoziale Späre, Gesellschaftliche Organisation, Wissenschaft/Technik) und dann als Gesamterklärungszusammenhang miteinander vernetzt. So existieren z. B. das Mas‐ sentourismus-Syndrom, das Sahel-Syndrom, das Landflucht-Syndrom (vgl. Schindler 2005).

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Maik Böing

voir-faire, bei der diskursiven Dimension der Bereich les savoir-être 8, da hier sehr stark die Ebene des Sprachbewusstseins sowie der Sprachbewusstheit tangiert wird. Zum anderen ermöglichen die Konkretisierungen der Kompetenzen und Ressourcen im REPA einen geschärften Blick für die Anlage von bilingualem Sachfachunterricht, der mehr als bisher Lerngelegenheiten schaffen sollte, in denen diese Kompetenzen trainiert und gefördert werden können.

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4 Der REPA als Impulsrahmen für die Ausgestaltung von fachlichen Aufgaben im bilingualen Sachfachunterricht

Aus der Vielzahl der im REPA aufgeführten Ressourcen und Kompetenzen gilt es nun, exemplarisch diejenigen herauszusuchen, die im Sinne des dargelegten adaptierten „Allgemeinen Modells fachlicher Kompetenz und der Erwerbsbe‐ dingungen im Kontext bilingualen Lehrens und Lernens“ (vgl. Abb. 1) eine di‐ daktisch gewinnbringende Konkretisierung der Kompetenzbeschreibungen im bilingualen Sachfachunterricht mit skizzierter bilingual-transkultureller Prä‐ gung ermöglichen9. Bei der Auswahl sollte in quantitativer Hinsicht darauf ge‐ achtet werden, dass die Anzahl überschaubar ist, in qualitativer Hinsicht sollten sie an die Kompetenzbereiche der verbreiteten gesellschaftlichen Sachfächer Geographie, Geschichte, Politik / Sozialwissenschaften andockbar sein. In Nord‐ rhein-Westfalen z. B. sind die Kompetenzbereiche der vorgenannten gesell‐ schaftswissenschaftlichen Fächer einheitlich die Bereiche „Sachkompetenz“, „Methodenkompetenz“, „Urteilskompetenz“, „Handlungskompetenz“. Im Folgenden werden zunächst – in der formalen Tabellenstruktur unmit‐ telbar an den REPA angeleht – Ressourcen und Kompetenzen aufgeführt, die sich für eine bilingual-transkulturelle Unterrichtsplanung eignen und diese so‐ dann exemplarisch auf das bilinguale Sachfach Geographie ausgeschärft.

8

9

Diese Zuordnung wird an dieser Stelle aus Gründen der Operationalisierbarkeit vor‐ genommen. In der komplexen Fachrealität verschwimmen die Grenzen oftmals und unterrichtliche Erschließungen beziehen sich nicht in Reinform nur auf eine Dimen‐ sion, sondern die jeweils anderen Dimensionen werden auch berührt. Eine solche Verfahrensweise entspricht von der Verfahrensweise her im Grundsatz der im REPA in Kapitel 4.2.3 exemplarisch vorgenommenen Ausschärfung für die compé‐ tence d’adaptation (vgl. Candelier et al. 2012, 84-91).

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4.1 Konzeptuale Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoirs

Im Bereich der konzeptualen Dimension stehen vor allem Ressourcen und Kom‐ petenzen aus der Kategorie les savoirs im Fokus. Diese können als Grundlage für die Didaktisierung fachlicher Lerngegenstände dienen:

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Section XI. Evolution des cultures

K 11.1

Savoir que les °pratiques / valeurs° culturelles se constituent et évo‐ luent sous l’influence de différents facteurs (/ l’histoire / l’environ‐ nement / l’action des membres de la communauté / …)

K 11.1.1

Savoir que les membres d’une communauté culturelle °jouent / peu‐ vent jouer° un rôle important dans l’évolution de leur culture

K 11.1.2

Savoir que l’environnement permet souvent °de comprendre / d‘ex‐ pliquer° certaines °pratiques / valeurs° culturelles

K 11.1.2.1

Connaitre le rôle des institutions et de la politique dans l’évolution des cultures

K 11.1.3

Savoir que °l’histoire / la géographie° permettent souvent °de com‐ prendre / d’expliquer° certaines °pratiques / valeurs° culturelles

K 11.1.3.1

Connaitre quelques faits °historiques (liés aux relations entre °les peuples / les gens°, aux déplacements…) / géographiques° qui °ont influencé / influencent° la constitution ou l’évolution de certaines cultures

Explizit wird im Rahmen dieser Kompetenzbeschreibungen auf die Rolle der Geschichte und der Geographie bei der Entstehung und Entwicklung be‐ stimmter Kulturen hingewiesen. Im Kontext der bilingual deutsch-französi‐ schen Schulgeographie ist hier der Erwerb von Kenntnissen über den französi‐ schen Zentralismus sowie den deutschen Föderalismus notwendig für ein vertieftes Verständnis der aktuellen geographischen Merkmale und Strukturen in beiden Ländern – verbunden mit der Analyse von jeweiligen politisch-admi‐ nistrativen Maßnahmen zur Raumentwicklung (etwa der Politik der Dezentra‐ lisierung Frankreichs durch die Schaffung der Regionen ab 1956 oder der aktu‐ ellen territoriale Neuordnung Frankreichs auf der Ebene der Regionen im Jahr 2016). Nur vor diesem Hintergrund ist z. B. ein Verständnis der politiques d’a‐ ménagement du territoire in Frankreich gegeben. Für Deutschland und Frankreich raumspezifische kulturelle Praxen und Werte lassen sich letztlich in allen Teilbereichen der Geographie finden (z. B. in

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der Energiegeographie das programme électronucléaire français oder die „Ener‐ giewende“ in Deutschland, in der Stadtgeographie la Haussmannisation, les grands ensembles, les villes nouvelles als Phänomene der französischen Geogra‐ phie, „Mietskaserne“, „Speckgürtel“, „Schrebergärten“ als Begriffe und Konzepte der deutschen Geographie). Hier gilt es, unterrichtlich bedeutsame, da curricular legitimierte Sachgegen‐ stände und Themen dahingehend zu durchforsten, welche kulturellen Skripte (vgl. Albrecht/Böing 2010) für den bilingual deutsch-französischen Geographie‐ unterricht im Sinne der Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen besonders ergiebig sind. Die Umstellung der Lehrpläne von der Inhalts- auf eine Kompe‐ tenzorientierung und damit verbunden der oftmals einhergehende Verlust von inhaltlicher Präzision machen eine derartige Analyse zwar nicht einfacher. Auf der anderen Seite bietet diese inhaltliche Offenheit bzw. Freiheit aber gerade die Chance, sich in konzertierter und reflektierter Weise Gedanken über eine ge‐ winnbringende inhaltliche Füllung im Sinne der skizzierten bilingual-transkul‐ turellen Herangehensweise zu machen. K 11.2

Savoir que certaines cultures sont liées entre elles par des relations historiques particulières (origine commune, contacts anciens, etc.)

K 11.2.1

Connaitre quelques grandes aires culturelles (liées à l’histoire, à la religion, à la langue, etc.)

Hier bietet ein bilingual deutsch-französischer Unterrichtskontext aufgrund der Verbreitung der Frankophonie die Chance, geographische Sachgegenstände, Begriffe und Konzepte zu thematisieren, die weder im deutschen Sprachge‐ brauch, noch im Schulfach Geographie in Deutschland üblich sind, z. B. Spezifika der französischen territoires ultramarins (de l’Union Européenne). K 11.3

Savoir que les cultures échangent sans cesse des éléments entre elles

K 11.3.1

Savoir que les cultures peuvent s’influencer les unes les autres

K 11.3.2

Connaitre quelques éléments culturels que sa propre culture a em‐ pruntés à d’autres, ainsi que l’histoire de ces éléments

K 11.3.3

Connaitre quelques éléments que sa propre culture a fournis à d’autres

K 11.4

Savoir que les différences culturelles ont tendance à s’amenuiser sous l’emprise de la mondialisation

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Gerade in einem Fach wie Geographie, welches exemplarisch arbeitet und auf einen allgemeingeographisch-nomothetischen Erkenntnisgewinn abzielt, ist es wichtig – nicht zuletzt im Kontext der Globalisierung –, auch den Austausch und die Übernahme geographischer Praxen gezielt zu beleuchten und als solche zu benennen. Letzteres erfolgt oftmals nur bedingt. Der bilinguale Unterricht bietet die Chance, dies sprachlich und räumlich kontrastiv zu gestalten. Ein Beispiel aus der Wirtschaftsgeographie sind hier die geographischen Fachbe‐ griffe/-konzepte sidérurgie sur eau und „nasse Hütte“, die als Phänomene welt‐ weit Verbreitung finden, ganz gleich ob in Dunkerque, Wilhelmshaven oder in der Bucht von Tokyo.

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Section XII. La diversité des cultures

K 12.5.3.1

Savoir que la représentation graphique du monde change selon les cartes utilisées

Diese Kompetenz ist im bilingual deutsch-französischen Geographieunterricht vortrefflich zu fördern, da kartographische Darstellungen, Repräsentationen und Traditionen in der deutschen und französischen Schulgeographie in hohem Maße differieren. In französischen Schulbüchern wird oftmals auf stereotypi‐ sierende Karten mit nationalstaatlicher Fixierung und entsprechend großräum‐ lichen Maßstabsebenen zurückgegriffen. Sie basieren in der Regel auf geopoli‐ tischen und wirtschaftsgeographischen Raumkonzepten, die stark hierarchisierend wirken und in Verbindung mit systematisch integrierten punk‐ tuellen, linienhaften und flächenhaften Markierungen (sogenannten figurés ponctuels, linéaires, de surface) eine zentralistische Sicht auf die Welt zum Aus‐ druck bringen. Hinzu kommen oftmals in den Karten gebrauchte weitere sprach‐ liche und ikonographische kulturelle Skripte (z. B. Begriffe wie interface (médi‐ terranéenne) oder blockartige, mit Pfeilen versehene Linien, die an militärische Karten erinnern). Karten in deutschen Atlanten und Geographiebüchern be‐ rücksichtigen in deutlich ausgewogenerem Verhältnis verschiedene Maßstab‐ sebenen (Makro-, Mikro- und Mesoebene), sie sind in der Regel deutlich diffe‐ renzierter und weniger wertend-hierarchisierend angelegt (vgl. Albrecht/Böing 2012)10.

10

Ausführliche Beispiele und Abbildungen hierzu finden sich in Albrecht / Böing 2012.

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Section XIII. Ressemblances et différences entre cultures

K 13.2

Savoir qu’il peut y avoir ºdes ressemblances / différencesº entre cultures

K 13.2.1

Connaitre certaines °ressemblances / différences° entre sa propre culture et celle des autres

K 13.2.2

Connaitre quelques ºressemblances / différencesº entre ºpratiques sociales / coutumes / valeurs / modalités d’expressionº de différentes cultures

K 13.2.3

Connaitre certaines °ressemblances / différences° entre les cultures de différents groupes °sociaux / générationnels / régionaux°

K 13.2.3.1

Connaitre certaines °ressemblances / différences° entre les cultures de différents groupes (°sociaux / générationnels / régionaux°) de l’environnement proche

Im Fach Geographie erfolgt die Erarbeitung von Sachgegenständen in der Mehr‐ zahl der Unterrichtsstunden mit einem allgemeingeographisch-nomothetischen Zugriff. Dies ist legitim, da Phänomene und Prozesse – mit leichten Nuancen – oftmals weltweit weitgehend ähnlich auftreten. Im Zuge des Transfers ist es hier leicht möglich, im Sinne des REPA Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu re‐ flektieren. So findet sich z. B. das wirtschaftsgeographische Konzept der Frei‐ handelszonen (zones franches) – gewissermaßen auch eine kulturelle Praxis – mittlerweile in einer Vielzahl von Ländern. Das Grundmuster ist dabei jeweils ähnlich, im Detail gibt es jedoch Ausdifferenzierungen, die mit spezifischen po‐ litischen Bedingungen eines Landes bzw. mit wirtschafts- oder sozialpolitischen Erwägungen zusammenhängen. Ausdrücklich muss im bilingualen Geographieunterricht über den deutsch-französischen Bezugsrahmen hinweg gearbeitet werden, und geogra‐ phische Phänomene, Prozesse sowie – im REPA-Duktus gesprochen – Praxen müssen dem Prinzip der Streuung der Raumbeispiele folgend aus allen Teilen der Welt thematisiert werden.

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4.2 Methodische Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-faire11

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Section I. Savoir observer / savoir analyser

S1

Savoir °observer / analyser° °des éléments linguistiques / des phéno‐ mènes culturels° dans des °langues / cultures° plus ou moins familières

S 1.1

°Savoir utiliser / maitriser° des démarches °d’observation / d’analyse (/ segmenter en éléments / les classer / les mettre en relation /)°

S 1.1.1

Maitriser une démarche inductive appliquée à l’analyse de phénomènes °linguistiques / culturels°

S 1.1.2

Savoir formuler des hypothèses en vue d’une analyse de phénomènes °linguistiques / culturels°

S 1.1.3

Savoir prendre appui sur une °langue / culture° connue pour élaborer des démarches d’analyse dans une autre °langue / culture°

S 1.1.4

Savoir s’appuyer sur l’observation simultanée de diverses °langues / cultures° pour formuler des hypothèses en vue d’une analyse de phé‐ nomènes dans une °langue / culture° particulière

Im Bereich des savoir-faire gilt es im Wesentlichen, Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer methodischen Fertigkeiten zu schulen. In der französischen und deutschen Schulgeographie haben sich auch auf methodischer Ebene ähn‐ liche, aber ebenso unterschiedliche Verfahren der Raumbetrachtung durchge‐ setzt. So werden in den französischen Schulbüchern der neuesten Generation für das Lycée die Schülerinnen und Schüler in das Instrument der grilles de lecture eingeführt. Mittels vier verschiedener Sichtweisen (grille de lecture géo-écono‐ mique, géo-environnementale, géo-politique, géo-culturelle) (vgl. Jalta et al. 2014) beleuchten sie in differenzierter Weise raumstrukturelle Phänomene. In Deutschland wird nach wie vor sehr häufig auf das Paradigma der Nachhaltig‐ keit (Ökonomie, Ökologie, Soziales) zurückgegriffen.

11

Die Anordnung der Unterkapitel erfolgt hier – anders als im REPA – in der Schrittigkeit savoir, savoir-faire, savoir-être. Die veränderte Reihenfolge bietet sich an, da es sinnvoll ist, im bilingualen Sachfachunterricht zunächst die Bereiche savoir und savoir-faire zu betrachten, die unmittelbar fachliches und fachmethodisches Lernen generieren und anschließend dort erfolgte Erkenntnisse im Bereich Einstellungen und Haltungen zu reflektieren.

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Section III. Savoir comparer

S3

Savoir comparer les phénomènes °linguistiques / culturels° de °langues / cultures° différentes [Savoir °percevoir / établir° la proximité et la distance °linguistiques / culturelles°]

S 3.1

Maitriser des démarches de comparaison

S 3.1.1

Savoir établir des mises en relation de ressemblance et de différence entre °les langues / les cultures° à partir de °l’observation / l’analyse / l’identification / le repérage° de certains de leurs éléments

S 3.1.2

Savoir émettre des hypothèses concernant °la proximité / la distance° linguistique ou culturelle

S 3.1.3

Savoir utiliser un éventail de critères pour établir °la proximité / la distance° linguistique ou culturelle

S 3.9

Savoir comparer les cultures communicatives

S 3.9.1

Savoir comparer les genres discursifs entre langues différentes

S 3.9.1.1

Savoir comparer les genres discursifs dont on dispose dans sa langue avec les genres discursifs utilisés dans une autre langue

S 3.9.2

Savoir comparer les répertoires communicatifs mis en oeuvre dans diverses langues et cultures

S 3.9.2.1

Savoir comparer ses °répertoires / comportements° langagiers à ceux de locuteurs d’autres langues

S 3.9.2.2

Savoir comparer les pratiques de communication non verbales autres avec ses propres pratiques

Im Fach Geographie – aber auch im Fach Geschichte – werden oft Karten zur Erkenntnisgewinnung eingesetzt. Je nach kartographischer Landestradition gibt es in diesem Bereich eine Vielzahl von spezifischen symbolsprachlichen und ikonographischen kommunikativen Kulturen zu entdecken (vgl. obige Ausfüh‐ rungen zu K 12.5.3.1). Darüber hinaus besteht bezogen auf die hier genannten Kompetenzen des savoir comparer eine Schnittstelle zu der erwähnten diskur‐ siven Dimension im BU, wenn es darum geht, Themenformulierungen, Auto‐ rentexte, die Auswahl und Inhalte der Quellen und Abbildungen sowie die Auf‐ gabenformulierungen kontrastiv in den Blick zu nehmen. Techniken aus dem Bereich Mehrperspektivität / Interkulturelle Kompetenz (vgl. Böing 2011b) können hier dienlich sein.

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In diesem Bereich ist auch interessant zu beleuchten, wie über bestimmte Räume gesprochen wird bzw. wie diese in Diskursen „gemacht“ werden. Im Rahmen des Denkmodells der geographischen Raumkonzepte – der Raum als Container, als System von Lagebeziehungen, als Wahrnehmungsraum, in seiner medialen Konstruierheit (vgl. Wardenga 2002) – sind derartige Erkenntnisse auch aus fachlich geographischer Sicht relevant. Als Beispiel seien hier Art, Umfang und Inhalt der Kommunikation über die sogenannten DROM-COM (départements et régions d'outre-mer et collectivités d'outre-mer) in französischen Schulbüchern genannt. In deutschen Geographiebüchern tauchen diese in der Regel nie als Raumbeispiele auf. S 3.10

Savoir °comparer des phénomènes culturels [percevoir la proximité / distance culturelle]°

S 3.10.1

Savoir utiliser un éventail de critères pour repérer °la proximité / la distance° culturelle

S 3.10.2

Savoir percevoir quelques différences et similitudes concernant divers domaines de la vie sociale {conditions de vie, vie professionnelle, vie associative, respect de l’environnement…}

S 3.10.3

Savoir comparer les °signifiés / connotations° correspondant à des faits culturels {comparer les conceptions du temps, …}

S 3.10.4

Savoir comparer diverses pratiques culturelles

S 3.10.5

Savoir relier des °documents / événements° d’une autre culture à des °documents / événements° de sa propre culture

Auch Jahrzehnte nach Einführung des bilingualen Geographieunterrichts finden sich kaum Beispiele für eine Kriterien geleitete, fachliche komparative Erarbeitung eines Sachgegenstands mittels zweier Schulbücher aus zwei Län‐ dern. Dies ist überaus verwunderlich, mag aber daran liegen, dass der wissen‐ schaftliche Diskurs über BU in weiten Teilen von Fremdsprachendidaktikern geführt wird. Dabei ist eine solche komparative Erarbeitung im Grunde das Herzstück des BU. Nur durch die phasenweise Erschließung von Sachgegen‐ ständen mit Schulbuchseiten aus beiden Ländern treten landestypische Heran‐ gehensweisen, Schwerpunktsetzungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Leerstellen in der jeweiligen Darstellung zutage. Richter / Conrad (2017) legen für eine Erarbeitung zum Sachgegenstand „Schutz des Tropischen Regenwaldes“ einen Unterrichtsvorschlag für den deutschsprachigen Fachunterricht vor. Dieser bietet nicht nur Anregungen für

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den BU, sondern zeigt zudem, dass auch im deutschsprachigen Fachunterricht komparativ angelegte Erarbeitungen einen fachlichen Mehrwert besitzen. Als konkretes inhaltliches Beispiel für eine derartige komparative Analyse sei hier die Gegenüberstellung des Konzeptes der parc naturels régionaux in Frankreich und der „Naturparke“ in Deutschland vorgebracht. In Frankreich wird innerhalb des Schutzkonzeptes auf das patrimoine naturel et culturel ver‐ wiesen, in Deutschland steht der gebietsbezogene Naturschutz im Fokus.

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Section IV. Savoir parler des langues et des cultures

S4

Savoir °parler de / expliquer à d’autres° certains aspects de °sa langue / de sa culture / d’autres langues / d’autres cultures°

S 4.1

Savoir construire des explications °adaptées à un interlocuteur étranger sur un fait de sa propre culture / adaptées à un interlocuteur de sa propre culture sur un fait d’une autre culture°

S 4.1.1

Savoir parler des préjugés culturels

S 4.2

Savoir expliciter des malentendus

S 4.3

Savoir exprimer ses connaissances sur les langues

S 4.4

Savoir argumenter à propos de la diversité culturelle {avantages, in‐ convénients, difficultés…} et construire sa propre opinion à ce sujet

Section VI. Savoir interagir

S 6.4

Savoir communiquer «entre les langues»

S 6.4.1

Savoir rendre compte dans une langue d’informations traitées dans une ou plusieurs autres

S 6.4.1.1

Savoir présenter dans une langue un °commentaire / exposé° à partir d’un ensemble plurilingue de documents

S 6.5

Savoir mobiliser le parler bi/plurilingue lorsque la situation de com‐ munication s’y prête

S 6.5.1

Savoir °varier / alterner° °les langues / les codes / les modes de com‐ munication°

S 6.5.2

Savoir produire un texte en alternant les registres / variétés / langues de façon fonctionnelle (lorsque la situation s’y prête)

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Vorgenannte Kompetenzen stehen an der Schnittstelle zur im GeR für den Fremdsprachenunterricht ausgewiesenen Kompetenz der Sprachmittlung. Bis‐ lang wurden für den bilingualen Sachfachunterricht hingegen kaum Überle‐ gungen zu spezifischen fach(sprach)lichen Sprachmittlungssituationen ange‐ stellt. Zumeist erfolgt ein Sprechen über bestimmte in der L1 verfasste Materialien auf Französisch, da dies die vorrangige Unterrichtssprache ist, um‐ gekehrt erfolgt eine Auswertung von in der L2 verfassten Materialien auf Deutsch eigentlich nie (vgl. Böing/Palmen 2012). Diesem Desiderat gilt es zu begegnen und geeignete und authentische Lernsituationen für fachliches Sprachmitteln herzustellen. Section V. Savoir utiliser ce que l’on sait dans une langue pour comprendre une autre Lizenziert für HU Berlin am 13.06.2019 um 19:19 Uhr

langue ou produire dans une autre langue

S5

Savoir utiliser les connaissances et compétences dont on dispose dans une langue pour des activités °de compréhension / de production° dans une autre langue

S 5.1

Savoir construire °un ensemble d’hypothèses / une «grammaire d’hy‐ pothèses»° concernant les correspondances ou noncorrespondances entre les langues

S 5.2

Savoir identifier des *bases de transfert*

S 5.2.1

Savoir comparer des bases de transfert de la langue-cible avec celles des langues mentalement *activées*

S 5.3

Savoir effectuer des transferts inter-langues (/ transferts d’identifica‐ tion / trans‐ ferts de production /) d’une langue connue vers une langue non familière

S 5.3.1

Savoir °effectuer des transferts de forme [déclencher le transfert]° selon les °caractéristiques / régularités et irrégularités° interphonologiques et intergraphématiques

S 5.3.2

Savoir effectuer des *transferts de contenu (sémantique)*

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Schließlich kann sich auch der bilingual deutsch-französische Geographieun‐ terricht der romanischen Mehrsprachigkeit gegenüber öffnen (vgl. Böing 2004, Meißner 2007). So können beispielsweise spanischsprachige kontinuierliche und nicht kontinuierliche Texte fachlich gewinnbringend zur Erarbeitung eines geographischen Sachverhalts anhand eines hispanophonen Raumbeispiels ein‐ gesetzt werden, über die in der L2 (Französisch) gesprochen wird. Oftmals finden sich etwa zu Raumbeispielen aus Lateinamerika deutlich differenziertere und aktuellere Materialien in spanischer Sprache als in französischer bzw. deutscher Sprache, etwa zur industria extractiva in Chile. Warum nicht in diesem Sinne punktuell den deutsch-französisch bilingualen Geographieunterricht öffnen? Auf diese Weise können die Lernenden für ein (Fach-)Studium vorbereitet werden, in dem auch fachbezogene Texte in weiteren nahverwandten Sprachen zugrunde gelegt werden. 4.3 Diskursive Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-être

Bisher sind die Aufgaben im (bilingualen) Fachunterricht der Gesellschaftswis‐ senschaften in der Regel auf den Erwerb von Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenz ausgerichtet. Findet Metareflexion statt, so bezieht diese sich vorwiegend auf den Einsatz der Methode, mitunter auf den sachlichen Er‐ kenntnisgewinn, so gut wie nie jedoch auf die Ebene der Einstellungen und Haltungen. Möchte man hier die Früchte des bilingual-transkulturellen Unter‐ richtskontextes zum Tragen bringen, ist es sinnvoll, bei der Unterrichtsplanung auch auf den Bereich les savoir-être zu schauen. Folgende Kompetenzen und Ressourcen scheinen sich für eine Berücksichtigung im bilingualen Sachfach‐ unterricht zu eignen: Section I. °Attention / Sensibilité / Curiosité [intérêt] / Acceptation positive / Ouverture / Respect / Valorisation° relatives aux langues, aux cultures et à la diversité des langues et des cultures

A 3.3

Intérêt à découvrir d’autres perspectives d’interprétation à propos de phénomènes °familiers / non familiers° à la fois dans sa propre culture (langue) et dans d’autres °cultures (langues) / pratiques culturelles (langagières)°

A 4.3

Accepter qu’une autre °langue / culture° peut comporter des éléments différents de sa propre °langue / culture°

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A 4.3.2

Accepter qu’il existe des signes et typographies qui diffèrent de ceux de sa propre langue {guillemets, accents, «ß» en allemand, etc.}

A 4.3.3

Accepter qu’il existe des éléments culturels différents de ceux de sa propre culture {institutions (système scolaire, système juridique…), traditions (repas, fêtes…), artefacts (vêtements, outils, aliments, jeux, habitat…)}

A 4.4

Accepter qu’il existe °d’autres modes d’interprétation du réel / d’autres systèmes de valeurs° (implicites langagiers, signification des compor‐ tements, etc.)

A 6.3

Avoir de l’estime pour le [accorder de la valeur au] bilinguisme

Section II. °Disponibilité / Motivation / Volonté / Désir° pour s’engager dans l’action par rapport aux angues / cultures et à la diversité des langues et cultures

A 7.5

Motivation pour °étudier / comparer° le fonctionnement des différentes °langues {structures, vocabulaire, systèmes d’écriture…} / cultures°

Section III. Attitudes / postures de : questionnement – distanciation – décentration – relativisation

A 9.3

Volonté de questionner les valeurs et présuppositions des produits et pratiques culturels °de l’environnement propre / d’autres contextes culturels°

A 9.3.1

Capacité à prendre une distance critique avec les informations et les opinions °des médias / du sens commun / d’interlocuteurs° °sur leur propre communauté / sur sa propre communauté°

A 12.3

Disponibilité à dépasser les évidences qui sont forgées en relation avec la °langue / culture° maternelles pour appréhender les °langues / cul‐ tures° quelles qu’elles soient {mieux comprendre leur fonctionnement}

Anders als bei den Kompetenzen und Ressourcen der Bereiche savoirs und sa‐ voir-faire ist es im Bereich savoir-être schwieriger, inhaltsbezogene Konkreti‐ sierungen vorzunehmen. Diesbezügliche Reflexionen sollten dann vorge‐ nommen werden, wenn sich ausgehend von bestimmten Sachgegenständen eine

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Anbahnung und ein Training dieser Kompetenz anbietet. Denn damit der BU von den Schülerinnen und Schülern auch idealerweise als inhaltlicher und per‐ sönlicher Mehrwert wahrgenommen wird, kann es gar nicht wichtig genug sein, die Ebene der Haltungen und Einstellungen punktuell zu thematisieren. Darüber hinaus kommt der Sensibilisierung für Unterschiede zwischen Fachund Allgemeinsprache ein besonderes Gewicht zu. Hier kann ein Sprach- und Inhaltslernen unter Zuhilfenahme einer L2 durchaus positive Effekte für das das Sprachbewusstsein und für die fachsprachlich-allgemeinsprachliche Sprachbe‐ wusstheit in der L1 besitzen. Gleichwohl ist bei der Anbahnung der Kompetenzen und Ressourcen des Be‐ reichs savoir-être stets zu berücksichtigen, dass im BU das Primat der Fachlich‐ keit gilt. Das heißt, dass Unterrichtszeit nur dann zur Verfügung gestellt werden kann, wenn auch Erkenntnisgewinne für das Fach(lernen) zu erwarten sind. Reine Erkenntnisse im Bereich der fremdsprachlichen oder interkulturellen Kompetenzen legitimieren keine Beschäftigung mit Lernzielen und Kompe‐ tenzen des Bereichs savoir-être im Fachunterricht. 5 Fazit

Die hier skizzierten Überlegungen beziehen sich vor allem auf einen bilingualen Sachfachunterricht der Sekundarstufe II innerhalb eines bilingualen Bildungs‐ gangs. Gleichwohl bieten die Ressourcen und Kompetenzen des REPA die Mög‐ lichkeit, exemplarisch auch nur wenige ausgewählte Kompetenzen für die Di‐ daktisierung eines zeitlich begrenzten bilingualen Unterrichtsvorhabens, d. h. eines bilingualen Moduls zugrunde zu legen. Im vorliegendem Beitrag ist rein formal von den REPA-Kompetenzen und Ressourcen ausgegangen und sodann der Brückenschlag in Richtung Fachlernen geschlagen worden. Dies ist aus Sicht des Autors zu legitimieren, da es zunächst einmal darum ging, die Anschlussfähigkeit des REPA in den Bereich der bilin‐ gualen Sachfächer aufzuzeigen. In einem Folgeschritt wäre nun bei weiteren Überlegungen der Weg stärker von den fachlichen Kompetenzbereichen zu gehen, denen die entsprechenden REPA-Kompetenzen zuzuordnen wären. Die Ausführungen und die Bandbreite der beispielhaften Füllungen zeigen in jedem Fall Folgendes: Die Kompetenzen des REPA können sehr gut mit Fach‐ inhalten und dem fachlichen Kompetenzerwerb im bilingualen Sachfach Geo‐ graphie verknüpft werden. Dies ist eine wichtige Feststellung, um eine Nutzung des REPA bei der Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts zu legitimieren. Denn bei allen guten Intentionen um die Förderung von Mehrpra‐ chigkeit und Pluralen Ansätzen kommt es im CLIL-Unterricht zunächst einmal

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auf einen genuin fachlichen Mehrwert an! Die Ausführungen mögen zudem gezeigt haben, dass gerade dieser fachliche Mehrwert erst durch die Hinzu‐ nahme beider Sprachen möglich wird und durch eine ausschließliche Behand‐ lung der Lerngegenstände in nur einer Sprache (L1 oder L2) bestimmte Er‐ kenntnisse gar nicht getätigt werden können. Im Bereich des deutsch-englisch bilingualen Geographieunterrichts sieht der Verfasser gleichwohl eher eine eingeschränkte Motivation in der Schulpraxis, (durch den REPA) den Unterricht gezielt in Richtung der Nutzung beider Spra‐ chen zu entwickeln. Zu sehr dominiert hier nach Einschätzung des Verfassers noch ein Denken in Kategorien von „Englisch als lingua franca“ (vgl. auch Mäsch 2007, 25), von Englisch als internationaler Wissenschaftssprache, und zu sehr ist der Markt in den deutschen Schulen hier dominiert durch den Einsatz über‐ setzter deutscher Geographie-Lehrwerke. Da es sich für den wesentlich kleineren bilingual deutsch-französischen Markt12 für Verlage nicht lohnt, eigens übersetzte Lehrwerke herzustellen, kann vielleicht der REPA – entstanden im Kreis romanisch- und deutschsprachiger Fremdsprachendidaktiker – gerade den bilingual deutsch-französischen Sach‐ fachunterricht dorthin (zurück)führen und gezielt konzeptionell weiterentwi‐ ckeln, wo er um das Jahr 1970 herum von seiner Intention her gestartet ist (vgl. Mäsch 2007): als veritabler bilingualer und bikultureller Unterricht. Wie er‐ wähnt, fiel die Wahl der bilingualen Sachfächer im deutsch-französischen Be‐ reich nicht von ungefähr auf die gesellschaftswissenschaftlichen Sachfächer, da hier kulturelle Wissensbestände transportiert werden. Dass ein solches explizit bilinguales und bikulturelles Verständnis von CLIL-Unterricht durchweg an moderne Konzepte inter- und transkulturellen Lernens angelehnt ist (vgl. Böing 2013, Reimann 2017), mögen die im Beitrag genannten Beispiele und das dort geschilderte fachliche und fachsprachliche va-et-vient zwischen den Kulturen nachdrücklich unterstreichen!13

12

13

Auch wenn die Zahl der deutsch-französischen Züge deutlich unter derjenigen der deutsch-englischen Züge liegt, reden wir deutschlandweit dennoch von knapp einhun‐ dert Schulen mit zweisprachig deutsch-französischem Bildungsgang bzw. Abibac-Zug in allen Bundesländern. Für zwei unterrichtspraktische Beispiele vgl. Anhang 1. (unterrichtsmethodische Or‐ ganisation von Zweisprachigkeit) Anhang 2: konzeptuelle, produktbezogene Inwert‐ setzung von Zweisprachigkeit.

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Literatur Albrecht, Volker und Böing, Maik (2010): Wider die gängige monolinguale Praxis?! – Mehrperspektivität und kulturelle Skripte als Wegbereiter der Zweisprachigkeit im bilingualen Geographieunterricht. In: Doff, Sabine (Hrsg.): Bilingualer Unterricht in der Sekundarstufe – eine Einführung. Tübingen: Narr-Francke-Attempto. 58-71. Albrecht, Volker und Böing, Maik (2012): Der Einsatz von Karten im bilingualen Sach‐ fachunterricht zur Förderung einer transkulturellen Kartenkompetenz. In: Hütter‐ mann, Armin / Kirchner, Peter / Schuler, Stephan / Drieling, Kerstin (Hrsg.): Didakti‐ sche Impulse - Räumliche Orientierung. Räumliche Orientierung, Karten und Geoinformation im Unterricht. Braunschweig: Westermann. 242-251 und 381 (Lite‐ ratur). Böing, Maik 2004. Interkomprehension und Mehrsprachigkeit. Ein Erfahrungsbericht aus dem zweisprachig-deutsch-französischen Bildungsgang. In: französisch heute. 34, 18-31. Böing, Maik 2011a. Comment aborder l’enseignement bilingue ? Bilinguale Unterrichts‐ vorhaben planen und durchführen. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch. Heft 110. 2-8. Böing, Maik 2011b. Methoden : Mehrperspektivität und interkulturelle Kompetenz. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch. Heft 110. 24-25. Böing, Maik und Palmen, Paul 2012. Bilingual heißt zweisprachig! Überlegungen zur Verwendung beider Sprachen im bilingual deutsch-französischen Geographieunter‐ richt. In: Diehr, Bärbel/ Schmelter, Lars (Hrsg.): Bilingualen Unterricht weiterdenken. Programme, Positionen, Perspektiven. Frankfurt am Main: Peter Lang. 73-90. Böing, Maik 2013. Transkulturelle Kompetenz im Englisch- und Französischunterricht fördern: Strategien, Möglichkeiten, Methoden. In: Landesschulamt und Lehrkräfteaka‐ demie Hessen (Hrsg.): Neue Lern- und Aufgabenkultur in Englisch und Französisch. Frankfurt am Main: Selbstverlag. 50-67. Bonnet, Andreas 2004. Kompetenz durch Bedeutungsaushandlung – Ein integratives Modell für Bildung und sachfachliches Lernen im bilingualen Unterricht. In: Bonnet, Andreas/ Breidbach, Stephan (Hg.): Didaktiken im Dialog. Konzepte des Lehrens und Wege des Lernens im bilingualen Sachfachunterricht. Frankfurt am Main: Lang, 115-126. Buske, Heinz Günter 2004. Methoden zur Strukturierung des geographischen Unter‐ richts. In: Geographie und Schule. 149, 9-17. Candelier, Michel (Coord.) 2012. Le CARAP. Un Cadre de Référence pour les Approches Plurielles des Langues et des Cultures. Graz: Europäisches Fremdsprachenzentrum. Christ, Herbert 2006. Lernen in zwei Sprachen mit Blick auf zwei Kulturen. In: Praxis Fremdsprachenunterricht. Heft 6. 16-19.

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Der REPA – ein Werkzeug zur Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts?!

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Diehr, Bärbel 2012. What’s in a name? Terminologische, typologische und programma‐ tische Überlegungen zum Verhältnis der Sprachen im Bilingualen Unterricht. In: Diehr, Bärbel / Schmelter, Lars (Hrsg.): Bilingualen Unterricht weiterdenken. Pro‐ gramme, Positionen, Perspektiven. Frankfurt am Main: Peter Lang. 17-36. Eurydice (Hrsg.) 2006. Content and language integrated learning (CLIL) at school in Eu‐ rope. Brüssel: Eurydice. Jalta, Jacqueline (Coord.) 2014. Mondialisation et dynamiques géographiques des territoires. Géographie Terminales ES-L. Paris: Magnard. Latz, Wolfgang (Hrsg.) 2015. Diercke Praxis SII - Arbeits- und Lernbuch. Activity Book 1 – advanced level (2015). Braunschweig: Westermann. Mäsch, Nando (2007): Historische Entwicklung des bilingualen Lehrens und Lernens: Bilingualer deutsch-französischer Bildungsgang an Gymnasien. In: Mentz, Olivier / Nix, Sebastian / Palmen, Paul (Hrsg.): Bilingualer Unterricht in der Zielsprache Fran‐ zösisch. Entwicklung und Perspektiven. Tübingen: Narr. 23.40. Meißner, Franz-Jospeph (2007): Interkomprehensionsdidaktik – eine Möglichkeit zur Er‐ weiterung Bilingualer Bildungsgänge. In: Mentz, Olivier / Nix, Sebastian / Palmen, Paul (Hrsg.): Bilingualer Unterricht in der Zielsprache Französisch. Entwicklung und Perspektiven. Tübingen: Narr. 115-134. Reimann, Daniel (2017): Interkulturelle Kompetenz. Tübingen: Narr Richter, Julia und Conrad, Dominik (2017): Rettung des Tropischen Regenwaldes im Amazonasgebiet. Perspektivenwechsel einüben. In: Praxis Geographie. Heft 5. 22-25. Schindler, Joachim (2005), Syndromansatz. Ein praktisches Instrument für die Geographie‐ didaktik. Münster: LIT. Vollmer, Helmut (2002): Förderung des Spracherwerbs im bilingualen Sachfachunter‐ richt. In: Bach, Gerhard/ Niemeier Susanne (Hrsg.) (22002): Bilingualer Unterricht. Grundlagen, Methoden, Praxis, Perspektiven. Frankfurt am Main: Peter Lang. 139-158. Wardenga, Ute 2002. Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht. In: Geographie heute. Heft 200. 8-11.

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Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen aus der Perspektive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen

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Sílvia Melo-Pfeifer

1 Einleitung

Trotz der wachsenden theoretischen und empirischen Argumentationen, die die Lehr- und Lernvorteile der Pluralen Ansätze (PA) begründen, dokumentieren und belegen, bleiben diese vom schulischen Kontext entfernt (vgl. z.B. Bär 2009 und 2011, Candelier 2003, 2007 und 2009, Doyé / Meissner 2010, Leitzke-Un‐ gerer / Blell / Vences 2012, Neveling 2013, Pinho 2014, Pinho / Andrade 2008 und 2009, Troncy 2014): There is still a great discrepancy between the principles of plurilingual and intercul‐ tural education which the Council of Europe tries to promote and the reality of ever‐ yday language teaching and learning in schools. As these principles are key elements of language educational policies aiming at offering a Human Rights-based response to the challenges of diversity, it is crucial that attempts are made to overcome this discrepancy so that we can experience in concrete terms ways of living together in our complex societies (Candelier / Daryai-Hansen / Schröder-Sura 2012, 252).

Die Argumente, die die PA ablehnen und der „Professionalisierung für sprach‐ liche Vielfalt“ (Vetter 2013) entgegentreten, sind u.a. der schulische Wert der Bewertung und Einstufung von Schülern und Schülerinnen in einer bestimmten Sprache. Auf diese vorherrschende Bewertung der monolingualen Evaluierung und Beurteilung in Bezug auf die erwünschte Entwicklung von mehrsprachigen Kompetenzen und Strategien wird auch von Candelier aufmerksam gemacht: Obwohl diese Stelle [Definition von mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz] im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (künftig: GER) unserer Meinung nach das richtige zukunftsträchtige „Herz“ dieses Standardwerkes darstellt, wird sie in den meisten „Anwendungen“ des GER übersehen, zugunsten der für die

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Sílvia Melo-Pfeifer

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Evaluierung der Kompetenzen vorgeschlagenen Skalen. Die Sorge um die Messung der Kompetenz erweist sich als stärker als die um deren Aufbau (2009, 101 f.).

Es scheint allerdings deutlich zu sein, dass – wie bereits in Bezug auf die Inter‐ komprehension in anderen Veröffentlichungen erwähnt (und auf andere PA übertragbar) – ein Spannungsfeld zwischen Forschungs- und Praxis-Orientie‐ rung in der Fremdsprachdidaktik die PA von den schulischen Kontexten dis‐ tanziert (vgl. Araújo e Sá / Melo-Pfeifer 2009). In diesem Zusammenhang scheint uns die Erstausbildung von Fremdprachenlehrern ein privilegierter und sehr geeigneter Kontext, um diesen Widerstand besser zu verstehen und zu erfor‐ schen. Ziel dieses Beitrag ist weniger die Nennung und Analyse der schulischen und curricularen Antagonisten, sondern vielmehr die Erforschung von Repräsenta‐ tionen und Einstellungen der zukünftigen Lehrer hinsichtlich der PA, vor allem um negative Argumente abzubauen1 (vgl. Schöpp 2013) und positive Meinungen und Haltungen zu entwickeln, sodass die PA als legitime pädagogische Strate‐ gien der didaktischen Repertoires gesehen werden können. Von zentraler Be‐ deutung ist hierfür die Erstausbildung von Fremdsprachenlehrern, die sich als potentialer transformativer Ort für Konzeptionen und Stereotypen (z.B. über Sprachen, Lehren und Lernen und die Rollen der Sprachen und der Sprachen‐ lehrkräften) darstellt. Pinho fast diese Position wie folgt zusammen: becoming a more interculturally sensitive teacher seems to be dependent on oppor‐ tunities to engage in critical and praxiological reflexivity. Teacher education should be a space for reconstruction and reflexivity, underpinned by knowledge about the present aims of language education (2014, 15).

2 Erstausbildung von Fremdsprachenlehrern und das transformative Potenzial der Pluralen Ansätze

Zukünftige Fremdsprachenlehrer bringen bestimmte Voraussetzungen und Ein‐ stellungen gegenüber dem Fremdsprachenlernen- und lehren mit, die sie in ihren Erfahrungen als Lernende entwickelt und gesammelt haben (Purkarthofer 2013, Stenberg et al 2014). Solche Erlebnisse tragen dazu bei, subjektive Theorien zu kreieren, die einen Rahmen bzw. einen Vorstellungshorizont für professio‐ nelle Aktionen und professionelles Denken anbieten. Laut Stenberg et al, 1

Schöpp (2013) ermittelt vier Problemgruppen, die die Lehramtsstudierende auf die Frage „Welche allgemeinen Probleme sehen Sie derzeit bezüglich der Integration des spra‐ chenübergreifenden Arbeitens in unseren Schulen?“ antworten: die Unterrichtszeit, die Unterrichtenden, die Zusatzbelastung und die Unterrichtsmaterialien.

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Die Perspektive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen

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when student teachers begin their teacher education, their developing teacher iden‐ tities include a large number of beliefs about the work of teaching. (…) At the beginning of their teacher education, student teachers follow a strong pupil-oriented approach to teaching; the personal development of pupils and their participation in classroom activities are high priorities (Stenberg et al 2014, 204).

Während ihrer Erstausbildung werden die Anfangstheorien und -konzeptionen der zukünftigen Lehrer mit neuen didaktischen Theorien konfrontiert:

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Ces théories sont alors confrontées à de nouveaux états des lieux des savoirs didacti‐ ques et constituent des filtres durant la formation, ralentissant ou incitant l’adhésion des sujets aux contenus didactiques abordés (Araújo e Sá / Melo-Pfeifer 2015, 82).

Im Rahmen der Pluralen Ansätze und deren Nutzung im universitären Curri‐ culum werden die Grundlagen der PA und ihre theoretischen Fundamente re‐ gelmäßig diskutiert (idem). Grund dafür ist die Tatsache, dass Studenten mo‐ nolinguale und monoglossische Sprachmodelle als Sprachlernende erlebt haben, sowohl in der Schule als auch auch in der Universität. Als Konsequenz bilden sich kognitive Konflikte, wenn die PA als Modelle für eine innovative Sprach‐ bildung vorgestellt werden, die dem monolingualen Habitus an der Schule und im Schulsystem (Gogolin 2008) und den monoglossischen Unterrichtsdurch‐ führungen (konstante Sprachtrennung, einsprachige Interaktion als Mittel und Ziel des Fremdsprachunterrichts, Imitation der muttersprachlichen Kompe‐ tenzen) gegenüberstehen. Solche Konflikte bilden signifikante Herausforde‐ rungen und Problemkonstellationen im Rahmen der Anwendung von PA im Fremdsprachenunterricht. Eine systematische Diskussion dieser Herausforde‐ rungen und Problemkonstellationen bietet demnach die Möglichkeit, Lehrer‐ ausbildung als transformativen Prozess zu erleben (Koller 2012; Kohonen 2007). Bildungsprozesse werden durch Krisenerfahrungen ausgelöst, in denen Men‐ schen auf Probleme oder Fremdes stoßen, die sie nicht einordnen können, da die bereits vorhanden „Figuren ihres Welt- und Selbstverhältnisses“ für eine Einreihung nicht ausreichen. Eine solche Krise kann dabei lediglich eine Situa‐ tion sein, in der die „relative Stabilität eines etablierten Welt- und Selbsverhält‐ nisses in Frage gestellt wird“ (Koller 2012, 71), wie im Falle von Krisenerfah‐ rungen im Kontext interkultureller oder mehrsprachiger Begegnungen. Diese Krise ist, laut Koller (2012), dann überwältigt, wenn eine Neustrukturierung bisheriger Schemata durch einen Reflexionsprozess erfolgt ist. Eine solche Krisen- oder Diskrepanzerfahrung tritt innerhalb einer Interaktion dann ein, wenn die anderen Teilnehmer nicht so agieren oder reagieren, wie eigentlich erwartet. Derartige Erlebnisse, die aus Focaults Perspektive auch als Erfah‐

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Sílvia Melo-Pfeifer

rungen bezeichnet werden können, verursachen große persönliche Verände‐ rungen (Koller 2012). Aus Kollers Perspektive zur transformatorischen Bildungstheorie (2012), sind, unserer Meinung nach, PA zu Sprachen und Kulturen in der Lage, be‐ stimmte Einstellungen zur Sprachbildung zu verändern, wie zum Beispiel: a) bekannte Sprachen sind die, die man in der Schule lernt; b) Sprachen lernt man getrennt voneinander und nacheinander; c) eine Sprache zu lernen bedeutet, alle Kompetenzen gleichzeitig zu fokussieren; d) erfolgreiche Kommunikation ver‐ läuft einsprachig; e) Sprachunterricht soll sich auf eine einzige Sprache be‐ schränken und alle möglichen Interferenzquellen bzw. andere Sprachen ver‐ meiden; f) Lehrer sollen selber polyglott sein, um PA einzusetzen; g) mehrsprachige und interkulturelle Bildung sind Themen, die nur für Sprach‐ lehrer von Bedeutung sind. Diese veralteten Dogmen (Melo-Pfeifer, Araújo e Sá & Santos 2011) stellen den monolingualen Habitus des Fremdsprachenunter‐ richts in Frage und bilden die Grundlagen für eine transformatorische und nachhaltige Sprach- und Didaktikbildung (vgl. Koller 2012). Aus unserer Per‐ spektive sind PA Werkzeuge, die durch eine zielgerechte Verarbeitung und Ver‐ wendung im Unterricht oder in Bildungskontexten das gesamte Verhältnis zwi‐ schen den Lernenden oder den Lehrern und der mehrsprachigen Welt, den Sprachenlernprozessen, den anderen und sich selbst als mehrsprachige und von verschiedenen Kulturen geprägten Personen verändern (sowie Kohonen 2007). Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Sprachen und Kulturen und im Zusammenhang mit Humboldts Bildungstheorie, bestehen die PA in der „Er‐ weiterung und Umgestaltung der bisherigen „Weltansicht“ eines Individuums“ (Koller 2011, 14). Im Rahmen dieses Beitrags können wir diese Aussage noch konkreter weiterführen: die PA könnten dazu beitragen, die curricularen und fachlichen Weltansichten der Lehrkräfte zu erweitern und umzugestalten. In Anlehnung an Pinhos These zur mehrsprachigen Lehrererstausbildung kann behauptet werden, dass jedes Bildungs- oder Berufsbildungsumfeld dafür verantwortlich ist, Krisenerfahrung anzuregen und die passenden Reflexion‐ sprozesse zu vermitteln: Teacher education institutions need to foster opportunities for teachers’ professional learning in the area of plurilingual and intercultural education. Teachers need to res‐ pond to linguistically and culturally diverse students at the same time as expanding their learners’ communicative repertoires in both plurilingual and intercultural areas. (…) Teacher education needs to ‘raise language teachers’ awareness of plurality and grasp of otherness at several levels – individual, societal and interpersonal – and seek to sensitive and motivate language teachers to engage with language/diversity, and to transform such commitment into pedagogical actions (2014, 1).

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3 Die empirische Studie

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3.1 Der Kontext: ein spanisches fachdidaktisches Seminar

Unsere empirische Studie, die Fallstudie genannt werden kann, fand im Rahmen des spanischen fachdidaktischen Seminars „Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen“ an der Universität Hamburg im Wintersemester 2014/2015 statt. Dieses Seminar wurde von 38 Studenten besucht und erfolgte in 14 Sitzungen, mit jeweils drei Unterrichtsstunden. Alle Sitzungen wurden auf Deutsch einge‐ leitet und moderiert. Jede erste Stunde des Seminars wurde von der Dozentin mit theoretischem Input und Reflexionsstoffen eingeleitet (vgl. Araújo e Sá & Melo-Pfeifer 2015 für eine ähnliche Studie in Leipzig). Die zwei folgenden Stunden wurden von Studentengruppen moderiert und hatten einen empirischen Schwerpunk bzw. eine praxisorientierte Zielsetzung (vgl. Tabelle 1). Ähnlich wie in einem Expe‐ riment von M. Vald, war das Hauptziel dieses Programms die Didaktisierung oder das Ausprobieren von didaktisierten Materialien der vier PA, „afin de voir dans quelle mesure leur transfert vers le terrain des pratiques de classe permet de développer la réflexivité des enseignants en formation“ (Vlad 2014, 377). Themen2

Presentación3

Présentation / Tutorium / Distribution des thèmes

S. Melo-Pfeifer

Questionnaire sur le profil personnel et découverte du thème (Einführung)

S. Melo-Pfeifer

Qu’est-ce que les approches plurielles / approcci plurali?

S. Melo-Pfeifer

Intercomprensión en lenguas románicas (LR): un rêve? Un Studenten tabou? La intercomprensió en llengües romàniques / Intercom‐ prehensiune în limbi romanice: créons et expérimentons nos activités pour la classe! (Workshop)

Studenten

L’approche interculturelle: un plus ou un déjà-là?

Studenten

2 3

Die Themen werden in verschiedenen Sprachen vorgestellt, um den Studenten eine erste Erfahrung zur Mehrsprachigkeit im Rahmen des Seminars zu ermöglichen. Um die Privatsphäre der Studenten zu schützen, präsentieren wir nur die Anfangs‐ buchstaben der Studenten.

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Sílvia Melo-Pfeifer

A abordagem intercultural na aula de francês e de italiano Studenten (Workshop) Language awakening / Despertar para as línguas? Princí‐ Studenten pios e objetivos & atividades

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“Language awakening” e educazione al plurilinguismo: ac‐ Studenten tivités en classe Didactique intégrée / didattica integrata: qu’est-ce que c’est?

Studenten

Atividades de “didattica integrata” na aula de espanhol (Workshop)

Studenten

L'integrazione curriculare degli approcci plurali: quale ruolo nelle classi di spagnolo ?

Studenten

La question de l’évaluation des approches plurielles

Studenten

Approches plurielles: atouts, limites et problèmes (syn‐ thèse et questionnaire sur les approches plurielles)

S. Melo-Pfeifer

Bilan (individuel et collectif) et présentation des données du questionnaire

S. Melo-Pfeifer

Tab. 1: Die Sitzungen

In der vorletzten Sitzung beantworteten die Studenten einen Fragebogen, dessen Ergebnisse in der letzten Sitzung präsentiert und diskutiert wurden. Ihre Ant‐ worten stellen die Grundlagen dieses Artikels dar. 3.2 Forschungsfragen und der Fragebogen

Unser Seminar war so konzipiert, dass es durch die Studentenarbeiten und ‑mo‐ derationen möglich wäre, über die Potenziale und Hindernisse der PA aus der Studentenperspektive zu reflektieren. Insbesondere hatten wir vor, die Reprä‐ sentationen von Studenten über die PA, ihren didaktischen Wert und ihre schu‐ lische Verwendbarkeit zu untersuchen. Zuzüglich wollten wir noch verstehen, ob dieselben Pro- oder Contra Argumente bezüglich der vier verschiedenen PA mobilisiert wurden. Im Rahmen dieser Fallstudie haben wir die folgende Forschungsfragen for‐ muliert: •

Welche subjektiven Theorien (oder Repräsentationen) haben die Studenten durch die theoretische und empirische Arbeit über die vier PA entwickelt?

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Inwiefern ähneln oder entfernen sich diese Repräsentationen hinsichtlich des jeweiligen Pluralen Ansatzes?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir einen Fragebogen entwickelt, der aus fünf Sektionenbesteht: •

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• •

Was ist ein Pluraler Ansatz? – Hier sollten die Studenten eine allgemeine und kurze Definition der PA eingeben; Ziel ist zu überprüfen, ob die Studenten die Gemeinsamkeiten zwischen den vier PA anerkennen. Welchen Pluralen Ansatz magst du am liebsten / findest du am wertvollsten / kann man am einfachsten in den FSU integrieren? Warum? – Die Studier‐ enden geben für jede Frage einen Pluralen Ansatz ein und erklären ihre Meinungen. Das Beste / Das Schlimmste an den Pluralen Ansätze ist… - Hier sollten die Probanden die zwei Sätze mit Vorteile und Nachteile der PA vervollstän‐ digen; Gib deine Meinung an… – Die Studenten sollten mit einem X ihre Haltung zu 9 vorformulierten Aussagen benennen. Sonstiges – Freiraum für andere Meinungen und Äußerungen.

Alle Fragen, außer „Gib deine Meinung an…“, die tabellarisch dargestellt war und den Studenten bereits eine Einverständnisskala anbot (von ++ bis --), waren offener Natur. Generell kann man behaupten, dass es uns durch den Fragebogen möglich war, die didaktischen Kenntnisse der Studenten während des Semesters zu be‐ werten, ihre subjektiven Theorien kennenzulernen und ihre Bereitschaft, die PA in ihren zukünftigen Lehraktivitäten einzusetzen, festzustellen. 3.3 Die Teilnehmer: Merkmale des Sprachprofils der Studenten

Die Gruppe bestand aus 34 Studentinnen und 4 Studenten des Masterstudien‐ ganges. Durch einen ersten Fragebogen, der in zwei Sitzungen von 30 Studenten beantwortet wurde, ist festgestellt worden, dass 14 Studenten einen Migrati‐ onshintergrund (Albanien, Serbien, Polen, Russland, Uruguay, u.a.) haben. Die meisten kombinieren zwei sprachliche Fächer: neben Spanisch studieren die Teilnehmer Englisch (6), Deutsch (6) oder Französisch (2). Ebenfalls relevant für die Charakterisierung dieser Gruppe sind die selbstbe‐ werteten Sprachkompetenzen: 15 Studenten haben Sprachkenntnisse in vier Sprachen deklariert, 11 haben Sprachkenntnisse in fünf Sprachen genannt, 3 haben Kenntnisse in drei Sprachen angegeben und 1 Teilnehmer reduziert sein Sprachprofil auf zwei Sprachen.

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Sílvia Melo-Pfeifer

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Die meisten bekannten Sprachen haben einen curricularen Platz in dem schu‐ lischen System (Abb. 1).

Abb. 1: Bekannte Sprachen

Neben diesen Sprachen ergänzen andere sprachliche Ressourcen die Sprach‐ profile unserer Gruppe: Holländisch (3), Italienisch (3), Türkisch (3), Albanisch, Dari, Gebärdensprache, Hebräisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Serbisch, Tschechisch und Ungarisch. Auf diese mehrsprachigen Profile üben die Her‐ kunftssprachen einen großen Einfluss aus. Diese plurilingualen Profile können einerseits, die Wahrnehmungen und Einstellungen der Studenten gegenüber den PA beleuchten und problematisieren und andererseits erläutern, wie der mehrsprachige Paradigmenwechsel in der Fremdsprachendidaktik von Stu‐ denten wahrgenommen wird. 4 Ergebnisse

Die erste Frage unseres Fragenbogens lautet „Was ist ein Pluraler Ansatz?“. Eine Analyse der semantischen und lexikalischen Elemente der Definitionen zeigt, dass die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer die PA als pädagogische Heran‐ gehensweise verstehen, um Synergien zwischen Sprachen und Kulturen zu ent‐ wickeln, um wiederum die Voraussetzungen und Gelegenheiten für das Lehren und Lernen zu maximieren (siehe Beispiel 1). Unsere Probanden erkennen die kognitiven Vorteile der PA (siehe Beispiele 2 und 3), aber ihre affektiven und schulischen Vorteile werden in dieser Phase nicht genannt.

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Beispiele

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Studenten-Definitionen

1

„Ansatz, der bereits ein kulturelles und sprachliches Wissen akti‐ viert, es zum Lernen von Sprachen nutzt bzw. Strategien vermittelt, wie dieses Wissen sinnvoll eingebunden werden kann“.

2

„Vergleichen, Bewusstmachen, Wahrnehmen“.

3

„Ein PA soll die Begegnung mit verschiedenen Sprachen und Kul‐ turen vereinfachen, indem diese hilfreich miteinander verknüpft und Transferwissen genutzt wird“.

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Tab. 2: Definitionen von PA

Die Teilnehmer verstehen auch, dass die Akzeptanz von PA und ihre Integration im schulischen System von einer neuen und offeneren Konzeption von Sprache abhängig sind. Laut einer Studentin, sind PA „ein Ansatz, der Sprachen und Kul‐ turen als offene Systeme versteht und diese Offenheit didaktisch integriert“. Dieses neue Verständnis beeinflusst und stellt Konzepte wie Norm und „Native Speaker” in Frage. PA bieten insbesondere eine Alternative zu monoglossischen und monolingualen Habitus an, die mit strikt separatistischen Sprachenideolo‐ gien verankert sind. PA formulieren einen innovativen didaktischen „Sa‐ voir-faire“ (Förderung von sprachlichen und kulturellen Synergien), basierend auf neuen „Savoirs“ (Sprachen und Kulturen als dynamische und vernetzte so‐ ziale Konstrukte). Die folgenden Fragen des Fragebogens fokussieren die Präferenzen von Stu‐ denten zu PA und die subjektiven Theorien zum Wert und zur curricularen In‐ tegration dieser alternativen Ansätze. Drei Fragen wurden gestellt: 1) Welchen PA magst Du am liebsten?; 2) Welchen PA findest Du wertvollsten?; und 3) Welchen PA kann man am einfachsten in den FSU integrieren? Abbildung 2 illustriert die deutlich überwiegende Vorliebe der Studenten für interkulturelles Lernen und die Bedeutungslosigkeit des „Eveil aux langues“ aus studentischer Sicht.

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Abb. 2: Vergleichende Präsentation der Ergebnisse

Diese Ergebnisse beweisen, dass die Studenten sich mit dem interkulturellen Lernen viel mehr vertraut gemacht haben als mit den anderen PA. Aus der Stu‐ dentenperspektive ist interkulturelles Lernen der Lieblingsansatz und auch der Ansatz, den sie am wertvollsten finden und dessen Integration im Unterricht sie sich am einfachsten vorstellen. Im Gegensatz dazu ist „Eveil aux langues“ trotz einer gewissen Vorliebe von keinem Teilnehmer als am wertvollsten oder als einfach integrierbar eingeschätzt worden. Diese Ergebnisse können eventuell mit den beruflichen Profilen der Studenten zusammenhängen: da sie nicht in der Vor- und Grundschule unterrichten, sehen sie in der spielerischen und pro‐ pädeutischen Herangehensweise des „Eveil aux langues“ kein Potenzial und keine Vorteile. Die angegebenen Argumente zur Fundierung der Antworten scheinen jedoch mit verschiedenen Motivationsbereichen verbunden zu sein, wie zum Beispiel mit affektiven, kognitiven, pädagogischen und organisatorischen Vorteilen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die vier Hauptkategorien der Argu‐ mente. Kategorien

Definition

Bildungsvorteile

Argumente über humanistische und demokratische Bildungswege, staatsbürgerliche Erziehung und über Bereitschaft zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt.

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Soziale und affektive Vorteile

Argumente über die Entwicklung von positiven Ein‐ stellungen/ Haltungen gegenüber Fremdsprachen‐ lehren und -lernen und über Schülermotivation.

Pädagogische und or‐ ganisatorische Vorteile

Argumente über den schulischen Kontext, die schu‐ lische Kultur und die schulische Arbeitskultur (Lehrer-Kooperation, Curriculum-Management und Verfügbarkeit von Lernmethoden und didakti‐ schen Materialien).

Erwerbsvorteile

Argumente über die kognitive Ökonomie und Wirk‐ samkeit im Fremdsprachenerwerb, die Vereinfa‐ chungsrolle des Vorwissenstransfers und die Ent‐ wicklung von Lernstrategien.

Tab. 3: Die Kategorien der Argumente (Araújo e Sá / Melo-Pfeifer 2015)

Wie die Formulierung der Forschungsfrage „Hinsichtlich jedes PA, inwiefern ähneln oder entfernen sich diese Repräsentationen?“ schon erahnen lässt, hatten wir im Vorfeld bereits erwartet, dass die Pro- und Contra-Argumentationen ge‐ genüber jeden PA sehr unterschiedlich sein könnten. Dieser Verdacht hat sich bestätigt. Tatsächlich sind die Argumentationsketten sehr unterschiedlich und eher PA-gebunden. Tabelle 4 zeigt die kategorische Verteilung von 62 Argu‐ menten und verfeinert die Ergebnisse der Abbildung 2. Welche PA...

PA

Vorteile

Zwi‐ schensumme

Gesamt

24

Bild.

Soz.Päd.affekt. org.

Er‐ werbs.

10

2

1

1

14

-

-

-

3

3

-

3

1

-

3

Eveil aux langues

2

-

2

4

-

1

1

10

magst Interk. Du am Lernen liebsten? Integra‐ tive FSD Inter‐ komp.

findest Interk. Du wert‐ Lernen vollsten im FSU?

8

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22

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kann man am ein‐ fachsten in der FSU integrieren?

Gesamt

Sílvia Melo-Pfeifer

Integra‐ tive FSD

-

1

-

5

6

Inter‐ komp.

-

-

-

6

6

Eveil aux langues

-

-

-

0

Interk. Lernen

3

-

5

2

8

Integra‐ tive FSD

-

-

3

1

4

Inter‐ kopm.

-

-

1

3

4

Eveil aux langues

-

-

-

0

8

12

24

62

21

16

62

Tab. 4: Vergleichung von Pro-Argumenten zwischen den vier PA

Diese Tabelle zeigt, dass die meisten genannten Argumente sich auf die Bil‐ dungs- und Erwerbsvorteile beziehen, um sich im Rahmen der PA zu positio‐ nieren. Zu bemerken ist noch, dass soziale und affektive Argumente nicht ge‐ geben werden, um die Integration von PA zu begründen und dass Erwerbsvorteile am meisten benutzt werden, um die anspruchsvolle Natur der PA zu beweisen. Deutlich wird auch, dass die Studenten in der Regel mehr Ar‐ gumente benutzen, um ihre Vorliebe zu demonstrieren (24 insgesamt), als ihre Bereitwilligkeit, PA eventuell im FSU einzufügen, zu begründen (16 insgesamt). Was die Bildungsvorteile betrifft, scheint nur das interkulturelle Lernen diese Argumentenkategorie zu mobilisieren. Laut einer Studentin, ist interkulturelles Lernen wichtig, „weil es für die heutige Zeit besonders nötig ist, Werte wie Toleranz, Verständnis und Empathie für fremde Kulturen zu vermitteln, insbesondere bei aktuellen politischen/religiösen Debatten“. Die Studenten sind sich in Bezug auf die vorteilige Auswirkung des interkulturellen Lernens auf SuS Toleranz, staats‐ bürgerliche Erziehung und Öffnung für sprachliche und kulturelle Vielfalt einig. Hinsichtlich der Erwerbsvorteilekategorie, wird sie fast nur benutzt, um die Präferenz für die integrative Sprachdidaktik und die Interkomprehension zu begründen. Eine Studentin erklärt, dass integrierte Sprachdidaktik „konkret auf schon Gelerntes zurückgreift und somit das laut Lehrplan bereits gelehrte Wissen

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nutzbar macht“. Verschiedene Studentinnen verstehen Interkomprehension als Transferstrategien, die den Lernprozess erleichtern: „weil die romanische Spra‐ chen so viele Berührungspunkte haben, die sie leichter erlernbar machen“ oder „Viele SuS haben andere Muttersprachen als Deutsch und können dieses „Potential zur Erschließung“ neuer Sprachen gut einbringen“. Die Erwerbsvorteile sehen die Studenten als Möglichkeit, die „Lernprozesse durch Synergien zu effektiveren“ (Neveling 2013, 98), um sich eine gesamte „Mobilisierungskompetenz“ (Mar‐ tinez / Schröder-Sura 2011, 69) zu basteln, da die Lernenden mit Hilfe von Transfer, von verschiedenen Brückensprachen und sprachübergreifenden Lern‐ strategien in der Lage sein können, die neue Fremdsprache zu verstehen und letztlich diese Strategien auch produktiv zu benutzen. Aus der pädagogischen und organisatorischen Perspektive ist hervorzu‐ heben, dass die meisten Argumente im Rahmen des interkulturellen Lernens eingesetzt worden sind. Die Begründungen sind eindeutig und beziehen sich fast immer auf die verfügbaren Materialien: „da es hier viel Material gibt“ oder „da es in den meisten Lehrbüchern schon (fest) integriert ist“. Aus diesen Aussagen lässt sich ableiten, dass es nötig wäre, (mehr) Lehrmaterialien als Transferhilfen von Theorie zu Praxis für die anderen PA zur Verfügung zu stellen (z.B. Schöpp 2013). Die sozialen und affektiven Vorteile im Rahmen des Fremdsprachenlernens werden selten und ohne klare Tendenzen genannt. Von einer Studentin wurde Folgendes behauptet: „Schüler werden dadurch motiviert, dass sie eigentlich mehr wissen als ihnen bewusst ist“. Insgesamt können wir die unten zitierte optimistische Beobachtungsergeb‐ nisse von M. Vlad – trotz des unterschiedenen Teilnehmer-Profils in beiden Studien – bestätigen: Ces quelques extraits montrent surtout l’effort fait par les enseignants stagiaires de connaître leur public du point de vue du répertoire linguistique et de l’ouverture vers l’interculturel. Démarche banale en apparence qui leur permet néanmoins d’asseoir leur [future] activité didactique sur un terrain complexe, dans lequel le parcours lin‐ guistique des apprenants, leur compétence plurilingue en construction sont valorisés et dans lequel, surtout, l’enseignement/ apprentissage des langues acquiert du sens par rapport à un avant et à un après linguistique global (Vlad 2014, 382).

Um unsere Ergebnisse auf den Punkt zu bringen, fassen wir zusammen: a) Bil‐ dungsvorteile werden am meisten genutzt, um, vor dem Hintergrund des inter‐ kulturellen Lernens, persönliche Präferenzen zu begründen; b) Pädagogische und organisatorische Vorteile werden am meisten genannt, um die Bereitschaft zu begründen, die PA im FSU zu integrieren (in Bezug auf die pragmatische

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Anwendbarkeit aus der Lehrerperspektive); c) Erwerbsvorteile werden benutzt, um den Wert verschiedener PA im Fremdsprachenunterricht zu belegen (im Hinblick auf Ökonomie und Effizienz des Lernprozess aus der Lernerperspek‐ tive); d) Soziale und affektive PA-Vorteile für den FSU scheinen dementspre‐ chend nicht als bedeutsam eingeschätzt zu werden. Die Ergebnisse der folgenden Tabelle ergänzen die eben formulierten Schlüsse und ermöglichen uns ein genaueres Verständnis zu möglichen Spann‐ kräften im Rahmen der Studenten-Repräsentationen gegenüber PA: ++

+

±

Plurale Ansätze zu S & K sind innovative Methoden im FSU.

10

6

1

Plurale Ansätze zu S & K sind motivierende Methoden im FSU.

10

4

3

Plurale Ansätze zu S & K machen FS Erwerb einfacher.

7

10

Plurale Ansätze zu S & K machen FS Erwerb schneller.

3

7

8

Plurale Ansätze zu S & K machen FS Erwerb lustiger.

3

8

6

1

Plurale Ansätze zu S & K brechen Curricu‐ lare Routinen (z. B. Beziehung Mutter‐ sprache-Fremdsprache).

9

3

2

5

1

4

5

7

5

7

Plurale Ansätze zu S & K stellen die Kom‐ petenz des Lehrers in Frage. Plurale Ansätze zu S & K reduzieren die Nutzung der „Zielsprache“ im Unterricht.

2

1

2

Ich würde in der Zukunft Plurale Ansätze im FSU benutzen.

12

4

1

-

--

Tab. 5: Gruppenposition über 9 vorformulierte Aussagen

In Gegenteil zur vorhergehenden Frage sind alle PA in allen Formulierungen verallgemeinert worden („Plurale Ansätze sind“…). Trotz dieser Verallgemeine‐ rung kann eine eher positive Positionierung der Teilnehmer beobachtet werden. Nennenswert dabei ist, dass die Studenten sich immer Gedanken über die in‐ novative und motivierende Natur der PA machen. Im Hinblick auf die Nütz‐

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lichkeit der PA im FSU sind sich die Studenten, die selbst über ein beträchtliches Sprachrepertoire verfügen, über den Einfluss dieser Ansätze auf einen einfa‐ cheren, schnelleren und lustigeren Fremdspracherwerb nicht einig: die kogni‐ tiven, affektiven und motivierenden Vorteile der PA bleiben weiterhin sehr be‐ denklich und lassen sich teilweise sogar in Frage stellen. Weitere Zweifel haben die Teilnehmer im Rahmen der Veränderungen des Fremdsprachunterrichts, da die Einschätzungen in diesen Bereich sehr weit gestreut sind. Trotz der exis‐ tierenden Zweifel, zeigen sich die erfassten Meinungen zur Anwendung der Muttersprache im FSU und zur gleichbleibenden Rolle der Fremdsprache als Arbeitssprache im Unterricht eher positiv. Außerdem haben wir festgestellt, dass die Durchlässigkeit von „unbekannten Sprachen“ im fremdsprachenunter‐ richtlichen Alltag bei den meisten Studenten keinen Druck auf sie in ihrer Rolle als Fremdsprachexperten ausübt. 5 Zusammenfassung

Die Reflexion über die PA hat den Studenten Überlegungen zu sozialen und schulischen Kontexten, bzw. zu den schulischen Akteuren (Lehrkräfte, Schüler, Eltern, Schulleitung u.a.), ihren Sprachrepertoires und individuellen Migrati‐ onsgeschichten ermöglicht. In Bezug auf die professionelle Entwicklung im Rahmen der Didaktik der Mehrsprachigkeit ist nennenswert, dass die Wert‐ schätzung von Mehrsprachigkeit und interkultureller Vielfalt als pädagogische Mittel und Ziele des Fremdsprachunterrichts abhängig vom Selbstbewusstsein und der Wertschätzung des eigenen Sprach- und Kulturprofils zu sein scheint: „the development of more interculturally sensitive teachers is dependent on learning opportunities in which both student and in-service teachers may dis‐ cover their plurilinguality and culturality“ (Pinho 2014, 15). Folglich wäre es aus dieser Perspektive sinnvoll, mit den Lehrern eine biographische Arbeit zu sprachlichen und kulturellen Erfahrungen zu entwickeln, um die Reflexivität und die positive Wertschätzung von mehrsprachigen Repertoires unserer Pro‐ banden zu fördern. Der Kontakt mit sprachübergreifenden didaktischen Theorien und didakti‐ sierten Materialien sowie die Didaktisierung authentischer Materialien haben bei den Studenten ein stärkeres Bewusstsein des Kontexts, der Lernsituation und der Lehrstrategien aktiviert und ausgebaut. Besonders die Beschäftigung mit mehrsprachigen Materialien hat die Studenten auf die Pluralität von Lerner‐ profilen und Lernermotivationen aufmerksam gemacht und ihre Reflexivität nicht nur gefordert, sondern auch gefördert. Des Weiteren hat die Konfrontation mit PA und den entsprechenden Materialien sie darauf aufmerksam gemacht,

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Sílvia Melo-Pfeifer

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wie wichtig es ist, die Lernprozesse und die Bewertung transparenter zu ge‐ stalten. Diesbezüglich waren sich die Studenten über die Notwendigkeit, Be‐ wertungsstrategien zu entwickeln und zu testen4 (z.B. Almeida, Simões & Araújo e Sá 2012, für interkulturelles Lernen) einig. Unser Fazit bekräftigt PA in der Lehrerausbildung als hohe transformative und rekonstruktive Potenziale, als „Erfahrungsfelder mit Bildungspotenzial“, weil sie die subjektiven Theorien und die monolingualen und monoglossichen Lehren-Lernen Schemata in Frage stellen. Wie bereits von M. Vlad bemerkt, le fait de proposer aux enseignants débutants de réfléchir à la mise en place d’une activité didactique fondée sur les approches plurielles incite ceux-ci à questionner des paramètres de la situation didactique qui, dans le cas de la didactique d’une (seule) langue, pourraient sembler implicites ou non problématiques (2014, 380, sowie Pinho 2014).

Unsere Ergebnisse stehen in klarem Bezug zu den folgend zitierten Behaup‐ tungen Candeliers und betonen sein Plädoyer für eine Didaktik der Mehrspra‐ chigkeit in der Lehrererstausbildung (auch Pinho 2014), welches die vier PA als Anknüpfungspunkte versteht: Die Tatsache, dass es mehrere Plurale Ansätze gibt, zwingt den Didaktiker dazu, sich die Frage ihrer Synergie innerhalb eines konkreten Curriculums zu stellen. In ihrer Entstehungsphase konnten sich wohl diese Ansätze parallel und ziemlich unabhängig voneinander entwickeln. Sobald aber die konkrete curriculare Einführung auf die Ta‐ gesordnung kommt, ist es notwendig, einen breiteren Blick zu wählen, der sowohl die Beziehungen innerhalb des ganzen Feldes der Pluralen Ansätze einschließt wie auch die Brücken zum Sprachunterricht in den verschiedenen gelehrten Sprachen – und zu andern Fächern überhaupt (Candelier 2009, 108).

Literatur Almeida, Joana / Simões, Ana Raquel / Costa, Nilza. 2012. „Bridging the gap between conceptualization & assessment of intercultural competence“, in: Procedia - Social and Behavioral Sciences, 69, 695-704. (http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1 877042812054493, 17.12.2015).

4

Wichtig in diesem Bereich, sind Dokumente wie REPA (Referenzrahmen für Plurale An‐ sätze zu Sprachen und Kulturen, Candelier et al 2007), REFIC (Référentiel de compétences de communication plurilingue en intercompréhension) oder REFDIC Référentiel de com‐ pétences en didactique de l’intercompréhension), die beiden im Rahmen des Miriadi-Pro‐ jekts entwickelt (https://www.miriadi.net/).

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Sílvia Melo-Pfeifer

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Nachwort: Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen als fächerübergreifender Begegnungsort im Curriculum – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext

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Michel Candelier

1 Zu diesem Handbuch

Es ist mir eine große Freude, das Nachwort zu diesem Handbuch schreiben zu dürfen. Als Germanist, Förderer mehrerer Projekte rund um den Referenz‐ rahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA - cf. Schröder-Sura in diesem Handbuch) am Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats in Graz ist mir ganz besonders daran gelegen, dass die entsprechenden Grund‐ gedanken in Deutschland eine ihrem Potential entsprechende Verbreitung er‐ fahren. Wenn man aber die Situation im deutschen Kontext mit Entwicklungen ver‐ gleicht, die in Ländern wie beispielsweise der Schweiz, Österreich, Frankreich oder Portugal zu beobachten sind, muss man leider feststellen, dass das Er‐ reichte, trotz Erwähnung durch einige Autoren (cf. Schröder-Sura in diesem Handbuch, S. 102) hinter den Erwartungen zurückbleibt. Repräsentativ dafür ist das 2015 erschienene Heft zum Thema „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ der Zeit‐ schrift Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL): von insgesamt zehn Artikeln verweisen nur zwei auf den Begriff „Plurale Ansätze“ (Christ 2015, Martinez 2015, dazu auch Candelier, 2019). Das insgesamt verhältnismäßig schwache Interesse der deutschen Sprachen‐ didaktik für den Begriff „Plurale Ansätze“ und den REPA betrifft die Fremd‐ sprachendidaktik stärker als die Deutschdidaktik (siehe unten) und zeigt sich stellenweise auch in dem vorliegenden Handbuch. Damit kein Missverständnis entsteht, muss hervorgehoben werden, dass es bei diesem geringfügigen Interesse um die Verwendung des Begriffs geht, nicht um die Pluralen Ansätze an sich. Denn die Ansätze, die als „plural“ bezeichnet werden können (cf. die bei Schröder-Sura in diesem Handbuch angeführte De‐

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Michel Candelier

finition, S. 84) sind sehr wohl in der deutschen Sprachendidaktik anzutreffen, als Erscheinungsformen der Mehrsprachigkeitsdidaktik.1 Jedoch werden sie meistens nicht als „Plurale Ansätze“ bezeichnet, und der entsprechende Begriff wird ignoriert. Dass die mehrsprachigkeitsdidaktische Forschung seit Ende des vorigen Jahr‐ hunderts auch in Deutschland einen Aufschwung erfahren hat, wird allgemein bestätigt (cf. z.B. Jakisch 2015b, 3) und mehrere Autoren verzeichnen die in den letzten zehn Jahren erfolgte Aufnahme von mehrsprachigkeitsdidaktischen Prinzipien in die Texte der Kultusministerkonferenz sowie in die Lehrpläne zahlreicher Bundesländer (cf. Carrasco/Melo-Pfeifer 2018, Oomen-Welke 2017, 618, Schöpp 2015, 51). Zugleich wird aber die Distanz betont, die solche pro‐ grammatischen Vorschläge und Richtlinien von der alltäglichen unterrichtli‐ chen Praxis trennt (Schädlich 2013, 37, Göbel/Schmelter 2016, 274). Man darf wohl annehmen, dass es sich dabei um eine für die meisten eher top down ausgerichteten Neuerungen typische Verzögerungserscheinung han‐ delt, die die Notwendigkeit von Lehrerausbildung und adäquaten Lehrmateria‐ lien vor Augen führt. So wäre das eigentliche Ziel der Bemühungen um die Einführung der Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik in Deutschland in Sicht. Es stellt sich dann nur noch die Frage, ob man dazu wirklich die Bezeichnung und den Begriff „Plurale Ansätze“ braucht sowie den darauf beruhenden REPA. 2 Der Begriff Plurale Ansätze und der REPA: ein Weg, die Zersplitterung der mehrsprachigkeitsdidaktischen Bemühungen zu überwinden

In der schon erwähnten Einführung zu dem Heft zum Thema „Mehrsprachig‐ keitsdidaktik“ (FLuL 2015) stellt Jakisch mit Recht Folgendes fest (2015, 3): Nach wie vor offen ist allerdings, wie der Beitrag der einzelnen Fächer zur Mehrspra‐ chigkeitsentwicklung konkret aussehen kann und welche Elemente eine Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik beinhalten sollte. Angesichts der vielfältigen Anforderungen und Wünsche, denen diese gerecht werden müsste, verwundert es jedoch kaum, dass viele 1

Laut Candelier/Castellotti 2013 sind Mehrsprachigkeitsdidaktik und Plurale Ansätze deckungsgleich, obwohl sich ihre jeweilige Definition auf zwei unterschiedlichen Ebenen befinden: In der Mehrsprachigkeitsdidaktik auf der Ebene der Lernprozesse, die es zu fördern gilt (Einbezug der Lernenden und ihres bereits verfügbaren mehrspra‐ chigen Potentials); bei Pluralen Ansätze auf der Ebene der Sprachen, die beim Lehren/ Lernen einbezogen werden (Einbezug von mindestens zwei Sprachen bzw. Sprachva‐ rietäten). Siehe auch Schröder-Sura in diesem Handbuch, Seite 87.

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Ansätze zur Anbahnung von Mehrsprachigkeit derzeit noch eher unverbunden ne‐ beneinander stehen bzw. sich auf Einzelmaßnahmen beschränken.2

Obwohl der Begriff „Plurale Ansätze“ und der REPA mehr als zehn Jahre vor dieser Diagnose konzipiert wurden, können sie als Antwort auf den damit offen gelegten Mangel betrachtet werden. Die didaktischen Verfahren, aus denen sich die Pluralen Ansätze zusammensetzen, stehen keineswegs „unverbunden ne‐ beneinander“. Was sie verbindet, ist der einheitliche Begriff „Plurale Ansätze“. Die REPA-Deskriptoren stellen einen Versuch dar, auf der für die didaktisch strategisch entscheidenden Ebene der Lernziele zu beschreiben, „welche Ele‐ mente eine Mehrsprachigkeitsdidaktik beinhalten sollte“. Auf der Grundlage eines allgemeinen didaktischen Konzepts – das der Pluralen Ansätze – und einer organisierten Gesamtübersicht ihrer gemeinsamen Ziele im REPA kann eine Verteilung der gemeinsamen Aufgaben unter den beteiligten Fächern statt‐ finden, ganz im Sinne des Grundprinzips der vom Europarat geförderten „mehr‐ sprachigen und interkulturellen Bildung“, das sprachenübergreifendes Vor‐ gehen begünstigt und den Aufbau von Konvergenzen voraussetzt3. Darauf komme ich im letzten Teil etwas ausführlicher zurück. Diese Verteilung könnte zur Überwindung der jetzigen der Lerneffizienz abträglichen Zersplitterung der Bemühungen um die Einführung der Mehrsprachigkeitsdidaktik beitragen (zu der Argumentation siehe auch Candelier 2019). Dies bedarf gleichzeitig einer möglichst klaren Vorstellung der Lernbereiche, für die der Einsatz mehrsprachigkeitsdidaktischer Verfahren angebracht ist. Im Folgenden wird ein Darstellungsmodell vorgeschlagen, das beabsichtigt, den Gesamtbereich zu bestimmen und gleichzeitig zu strukturieren. Als Grundlage werden drei Kriterien gewählt, die die unterrichtete Sprache jeweils aus einer anderen Perspektive betrachten: (1) der Bezug zum Lernenden; (2) der Bezug zur Umwelt des Lernenden; (3) das Ziel des Unterrichts (Sprache / Fach). Genauer formuliert, geht es bei diesen Kriterien um folgende Alternativen: (1)

Die / Eine Erstsprache des Lernenden ist eine / keine Varietät der unter‐ richteten Sprache.

2

Im Vergleich sieht die Situation in Frankreich besser aus. Dem entspricht die große Bedeutung, die die ADEB (Association pour le développement de l’enseignement bi-plurilingue - http://www.adeb-asso.org/) auf die Entwicklung der mehrsprachig‐ keitsdidaktischen Ideen ausübt. Diesem Verband gehören Vertreter aller hier im Ab‐ schnitt 3 aufgezählten Lernbereiche an. Siehe Beacco et al. 2015, 35: « Créer des convergences, favoriser la transversalité entre toutes les langues enseignées à l’école ».

3

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(2)

(3)

Michel Candelier

Die unterrichtete Sprache ist eine / keine alltägliche Sprache der sozialen / erzieherischen Interaktion der Umwelt in der sich der Lernende befindet und in die er sich zu integrieren hat. Die unterrichtete Sprache wird als Fach erteilt oder als Vektor eines an‐ deren Faches.

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Eine dem Lernenden das Primat gewährende Kombination ergibt folgende Übersicht:

Abb. 1: Lernbereiche, für die der Einsatz mehrsprachigkeitsdidaktischer Verfahren an‐ gebracht ist

Die kurze Formulierung der Kriterien in der Abbildung verweist auf die ge‐ nauere Formulierung im Text. Das ausschließliche Auftreten der Kategorie „Sprache der Umwelt“ auf der rechten Seite erklärt sich dadurch, dass eine Erst‐ sprache des / der Lernenden üblicherweise eine Alltagssprache der sozialen / erzieherischen Interaktion seiner / ihrer Umwelt ist. Diese Übersicht versteht sich als eine erste Annäherung, die der Mannigfal‐ tigkeit und Komplexität der konkreten Situationen nicht Rechnung zu tragen vermag. So können in Deutschland die beiden Kategorien links sowohl dem Deutschunterricht entsprechen als auch dem herkunftssprachlichen Unterricht in Kursen für Kinder, die zu Hause eine Herkunftssprache verwenden. Die Übersicht ist natürlich statisch und spiegelt nicht die möglichen Veränderungen der Biographien wider.

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Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext

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Sie erfüllt jedoch insoweit ihre Aufgabe, als sie den Bereich der für den Einsatz mehrsprachigkeitsdidaktischer Verfahren relevanten Lernsituationen expliziert und in dessen Grundzügen strukturiert. Die herkömmlichen Kategorien – hier in Klammern angeführt – werden dadurch genauer definiert. Ihr Vorteil ist auch, dass sie das dreimalige Auftreten der Kategorie „als Vektor“ klar erscheinen lässt, für die gegenwärtig zwei Begriffe verwendet werden: einerseits CLIL (auf Französisch: EMILE) im Bereich des Fremdspra‐ chenunterrichts (auf der rechten Seite), und andererseits „sprachsensibler Fach‐ unterricht“ für die beiden anderen Instanzen. Welchen Nutzen Plurale Ansätze und REPA dem CLIL-Unterricht bringen können, wird von Böing im vorliegenden Handbuch deutlich dargestellt. Dass ein derartiger Nutzen auch für den sprachsensiblen Fachunterricht be‐ steht, muss jetzt gezeigt werden. Laut Leisen (2011, 17) ist sprachsensibler Fachunterricht „durch zwei Merk‐ male gekennzeichnet: – Sprachsensibler Fachunterricht pflegt einen bewussten Umgang mit der Sprache. Er versteht diese als Medium, das dazu dient, fachliches Lernen nicht durch (vermeidbare) sprachliche Schwierigkeiten zu verstellen. In diesem Sinne geht es um sprachbezogenes Fachlernen. – Sprachsensibler Fachunterricht erkennt, dass Sprache im Fachunterricht ein Thema ist und dass Sprachlernen im Fach untrennbar mit dem Fachlernen ver‐ bunden ist. In diesem Sinne geht es um fachbezogenes Sprachlernen.“

Tatsächlich wird sprachsensibler Fachunterricht gewöhnlich als relevant für die Bereiche „Deutsch als Muttersprache“ und „Deutsch als Zweitsprache“ ange‐ sehen. So z.B. in Maronde-Heyl/Rüchel (2012, 3): Der Bildungserfolg unserer Schülerinnen und Schüler hängt unmittelbar von der Ausprägung ihrer bildungssprachlichen Kompetenz ab. Dies betrifft gleichermaßen einsprachige und mehrsprachige Kinder. Deshalb plädiert dieser Praxisbaustein für einen sprachsensiblen Unterricht für alle.4

Die sprachliche Arbeit in Sachfächern gehört durchaus zu den Lernbereichen, die von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen – und damit von den Pluralen Ansätzen – profitieren können. Dies lässt sich unter Einbezug von mindestens zwei Perspektiven zeigen:

4

Ähnlich in Leisen (2011, 16). Leisen stellt eine Reihe von Texten und Materialien zum sprachsensiblen Fachunterricht auf einer Webseite zur Verfügung: http://www. Sprach‐ sensiblerfachunterricht.de. Zu dieser Frage, siehe auch Thürmann/Vollmer/Pieper 2010.

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Michel Candelier

Zum einen bedeutet die Überwindung der sprachlichen Schwierigkeiten durch den Erwerb einer bildungssprachlichen Kompetenz nichts anderes als der Ausbau einer Facette der individuellen Mehrsprachigkeit – der „inneren Mehr‐ sprachigkeit“, die den Varietäten innerhalb einer Sprache entspricht (cf. z.B. Tajmel / Hägi-Mead 2017, 12-13). So erklären auch Beacco et al. (2015, 47), dass der Kontakt der Lernenden mit einer Vielzahl von Diskursformen – der ja cha‐ rakteristisch ist für den sprachsensiblen Fachunterricht – von grundlegender Bedeutung ist für eine mehrsprachige und interkulturelle Bildung.5 Zum anderen unterstützen die anlässlich der Entwicklung der „äußeren Mehrsprachigkeit“ (der verschiedene Sprachen betreffenden Mehrsprachigkeit) aufgebauten Kompetenzen die Arbeit zur Förderung der inneren. Dieser Aspekt wird auch von Beacco et al. 2015 betont, wenn geschrieben wird, dass mehr‐ sprachige Kompetenzen […] immer mehr als Ressourcen zur Aneignung von Bildungssprache genutzt werden (61).6 Im REPA beziehen sich nur einzelne Deskriptoren auf die innere Mehrspra‐ chigkeit, wie K 3.2 Kenntnisse über das eigene kommunikative Repertoire haben (z.B. Sprachen und Varietäten, Diskurstypen, Kommunikationsformen usw. ) oder A 2.2.2 Sensibilität für (lokale, regionale, soziale oder generationsbedingte) Vari‐ anten einer Sprache (eines Dialekts usw.) oder einer Kultur. Offensichtlich lässt sich aber eine Vielzahl der hauptsächlich für die äußere Mehrsprachigkeit kon‐ zipierten Deskriptoren leicht und sinnvoll auf die innere Mehrsprachigkeit um‐ interpretieren. Man denke hier nur an Deskriptoren der Kategorie Wissen im Bereich Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Sprachen, oder an Deskriptoren der Kategorie Fertigkeiten wie S 3.7.1 Satzstrukturen verschiedener Sprachen ver‐ gleichen können, in denen sich „Sprachen“ unschwer durch „Sprachvarianten“ ersetzen lässt. 3 Mehrsprachigkeitsdidaktik im Deutschunterricht

Da das vorliegende Handbuch der Fremdsprachendidaktik gewidmet ist, be‐ schäftigt sich kein Beitrag speziell mit den Entwicklungen der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik im Deutschunterricht in Deutschland. 5 6

„Pour une l’éducation plurilingue et interculturelle, l’exposition des apprenants, dans des séquences pédagogiques clairement identifiées, à une pluralité de formes de discours est fondamentale“ (Beacco et al. 2015, 47 ; siehe auch Seite 27). „Les compétences plurilingues sont de plus en plus considérées comme une ressource pour l’acquisition de la littératie académique“. Im selben Dokument wird Seite 65 der‐ selbe Gedanke mit Verweis auf das deutsche Förmig-Projekt (https:// www.foermig.uni-hamburg.de/bildungssprache/durchgaengige-sprachbildung.html) geäuβert.

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Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext

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Über den sprachsensiblen Unterricht hinaus schlage ich mit der Absicht, den Weg zu einer Zusammenarbeit zu erleichtern, in den folgenden Zeilen eine Ori‐ entierungshilfe für diesen Bereich vor. Diese bietet sich umso mehr an, als die mehrsprachigkeitsdidaktischen Ent‐ wicklungen im Fach Deutsch manchmal einen Schritt weiter gegangen sind als in den fremdsprachlichen Fächern. Letzteres betrifft vor allem den Eveil aux langues- bzw. Begegnung mit Sprachen-Ansatz (siehe die Beiträge von Schröder-Sura und Mertens in diesem Band). Dies lässt sich auch dadurch er‐ klären, dass der Deutschunterricht – ob als Regelunterricht oder Deutsch als Zweitsprache – mehr als die Fremdsprachen von der Präsenz von Migrationsund anderen Minderheitensprachen berührt wird. Diese Sprachen sind in der Regel keine Sprachen des Curriculums, so dass die mehrsprachigkeitsdidakti‐ schen Verfahren, die hier Anwendung finden, zum Eveil aux langues-Ansatz gehören (siehe die Definition des Eveil aux langues in dem Zitat aus Candelier et al. 2003 in dem Beitrag von Mertens, Seite 158f.) Schon Anfang der neunziger Jahre hat Luchtenberg (1992) für den Deutsch‐ unterricht, einschließlich DaF und DaZ, auf die Vorteile des Language Awareness bzw. Awareness of languages Ansatzes aufmerksam gemacht, aus dem der Eveil aux langues-Ansatz entstanden ist (Mertens in diesem Handbuch, § 2.2.1). Der Autor bezog sich dabei auf die Arbeiten von Eric Hawkins (z. B. Hawkins 1984), wie auch damals in Frankreich das europäische Projekt EVLANG (siehe auch Mertens). Etwas später erschienen Beiträge und konkrete Unterrichtsvorschläge von Oomen-Welke (1997) und Budde (2000, 2003). Von bzw. unter der Leitung von Oomen-Welke sind zahlreiche Unterrichtsmaterialien entstanden, beson‐ ders in der Reihe der Sprachenfächer 7, die zum Teil aus dem europäischen Projekt Janua Linguarum hervorgegangen sind, einem Folgeprojekt von EVLANG (zu diesen Projekten siehe auch Mertens in diesem Handbuch). Von ihrer persönli‐ chen Erfahrung mit der Language Awareness und Mehrsprachigkeitsdidaktik berichtet Oomen-Welke in einem neulich erschienenen Beitrag (Oomen-Welke 2016). Dadurch bekommt man einen Einblick in die Beweggründe, die eine Di‐ daktikerin des Faches Deutsch dazu bringen können, sich für Eveil aux langues zu interessieren.

7

Oomen-Welke und Arbeitsgruppe 2006/2007, neu veröffentlicht von Cornelsen 2010/2011.

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Wie von Rösch (2016, 292) betont, geht es für den Bereich DAZ darum, das Unterrichten von Deutsch und „den konstruktiven Umgang mit lebensweltli‐ cher Mehrsprachigkeit“ als komplementär anzusehen.8 Ähnlich erklärt Gürsoy, die innerhalb des Projekts ProDaZ tätig ist (Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern, Universität Duisburg-Essen):9

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Entscheidend ist aber, dass [bei dem] LA-Ansatz […] alle Schüler neben der Wert‐ schätzung von Sprachenvielfalt und Migrantensprachen angeregt werden sollen, über Sprache und Sprachen nachzudenken, Sprachreflexionen im mehrsprachigen Kontext (nicht nur im Deutschunterricht) zu initiieren und Aspekte der deutschen Sprache mit Fremd- und Migrantensprachen zu vergleichen. (Gürsoy 2010, 4).

Das Interesse für Eveil aux langues unter den Fachdidaktikern für Deutsch an deutschen Schulen steht im Kontrast zu der schwachen Resonanz, die dieser Ansatz bei den Didaktikern des Fremdsprachenunterrichts gefunden hat. Die frühen auf Schriften von Hawkins basierenden Vorschläge von Gnutzmann/ Köpcke 1988 und Hermann-Brennecke 1993 blieben weitgehend unbeachtet (zu dem verwandten Ansatz Begegnung mit Sprachen in Nordrhein-Westfalen, siehe Mertens in diesem Handbuch). Heute scheint für die meisten Fremdsprachen‐ didaktiker der Ausdruck „Language Awareness“ nur noch als metasprachliches Bewusstsein verstanden zu werden. Dass er auch für ein spezifisches didakti‐ sches Konzept stehen kann, bleibt unerwähnt. Das trifft für Autoren in Fachle‐ xika zu (siehe den entsprechenden Eintrag im Metzler Lexikon. Suhrkamp 2010), aber auch für Forscher, die sich intensiv mit Mehrsprachigkeitsdidaktik befassen wie z.B. Jakisch in Jakisch 2015b. In einem Artikel über die Möglichkeit, den Englischunterricht für mehrsprachigkeitsdidaktische Ziele zu benutzen, ver‐ wendet die Autorin die Bezeichnung „Language Awareness“ ausschließlich im Sinne von metasprachlichem Bewusstsein, obwohl das von ihr behandelte Thema zu denjenigen gehört, die Hawkins unter dieser Bezeichnung ausgear‐ beitet hatte (2015a).10 Aber auch im Bereich Deutsch ist Mehrsprachigkeitsdidaktik keine Selbst‐ verständlichkeit. Trotz des oben angeführten Zitats von Gürsoy folgen nur we‐ nige ProDaZ-Materialien dieser Orientierung. Die meisten verbinden Deutsch

8 9 10

Zu Language awareness in dem Bereich Deutsch als Fremdsprache, siehe Demming 2016. Zu Language Awareness in den verschiedenen Sprachfächern in Deutschland siehe auch Luchtenberg 2017. Webseite: https://www.uni-due.de/prodaz/ Dementsprechend wird in der Darstellung, die Meissner 2013 von den Pluralen An‐ sätzen vorschlägt, „Eveil aux langues“ durch „Sprachenbewusstheit“ ersetzt (mehr dazu in Candelier 2019).

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mit einem Sachfach, und nicht mit einer anderen Sprache. Eine interessante Ausnahme stellen die Materialien dar, die in Kooperation zwischen ProDaZ und Hispanisten entwickelt worden sind.11 Allerdings muss man mit Rösch (2016, 298) feststellen, dass dabei der Hauptlerngewinn der Fremdsprache zufällt und nicht der Sprache Deutsch als Zweitsprache oder der Herkunftssprache. Ein weiterer Hinweis darauf, dass trotz allem Interesse von Seiten der For‐ schung die Frage nach einem mehrsprachigen Zugang zu Deutsch als Zweit‐ sprache auf der Ebene der Unterrichtspraxis noch nicht wirklich an der Tages‐ ordnung ist, ergibt sich aus der Übersicht, die Kuhs 2017 über entsprechende Lehrwerke und Lehrmaterialien zu verschaffen versucht. Der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik verpflichtete Zusatzmaterialien wie der Sprachenfächer werden einer Kategorie „Materialien zum interkulturellen Sprachunterricht“ zuge‐ rechnet und das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein von Beziehungen zwischen Deutsch und anderen Sprachen gehört nicht zu den Merkmalen, die bei der Analyse der Lehrwerke angewandt werden. Und doch sind in einigen Lehrwerken mehrsprachigkeitsdidaktische Züge zu finden, wenn auch in geringem Maβe und mit einer offensichtlichen Zurück‐ haltung, was die Wahl der Sprachen angeht: Englisch erscheint häufiger als die Herkunftssprachen (mehr dazu in Schröder-Sura/Candelier/Melo-Pfeifer 2018). Eine anerkennenswerte Ausnahme bildet das vor zehn Jahren für Jugendliche erschienene Lehrwerk Deutsch.Com, das sowohl für den Gebrauch im Ausland oder in Deutschland vorgesehen ist und sich der Mehrsprachigkeitsdidaktik ex‐ plizit verschreibt (Neuner et al. 2008). Im Lehrerhandbuch werden Lehrende regelmäßig aufgefordert, Deutsch mit Englisch und den Herkunftssprachen vergleichen zu lassen. 4 Perspektiven: Auf dem Weg zu einer konkreten Zusammenarbeit

In diesem Beitrag wurden drei Ziele verfolgt: es ging zunächst darum, den Mehrwert des Begriffs „Plurale Ansätze“ im Hinblick auf die Entwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik in Deutschland aufzuzeigen. Darüber hinaus er‐ schien es nützlich, einen Überblick über die Lernbereiche zu verschaffen, in denen die Mehrsprachigkeitsdidaktik – und daher auch die Pluralen Ansätze – eine Rolle einnehmen sollten. Zuletzt wurde kurz über den Stand mehrspra‐ chigkeitsdidaktischer Bemühungen in den Fächern Deutsch in Deutschland be‐

11

Siehe https://www.uni-due.de/prodaz/unterrichtsentwuerfe_sek_1_2_bk.php. Siehe auch die Materialien, auf die Reimann im Abschnitt 5.4 seines Beitrags „Mehsprachig‐ keitsdidaktik“ im vorliegenden Handbuch verweist.

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richtet, als Zusatz zu den Informationen, die in einem der Fremdsprachendi‐ daktik gewidmeten Handbuch zu finden sind. Insgesamt zeigt dieses Handbuch, dass in allen relevanten Lernbereichen schon vieles unternommen worden ist, damit die Lernenden aus den Entwick‐ lungen der Mehrsprachigkeitsdidaktik einen Nutzen ziehen können, aber auch dass dieser Nutzen noch ausgebaut werden kann. Die hier vertretene Auffassung ist, dass dies hauptsächlich durch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Lehrenden verschiedener Fächer zu erreichen ist. Dazu sollen abschließend einige Gedanken kurz skizziert werden: Um den Gewinn, den man sich aus dieser Zusammenarbeit erhofft, zu optimieren, scheint auch ein Paradigmenwechsel innerhalb der Mehrsprachigkeitsdidaktik wünschenswert.12 Es geht darum, über das Stadium der reinen opportunisti‐ schen Nutzung von vorliegenden Synergiemöglichkeiten hinauszugehen und diese Möglichkeiten zu organisieren, sowohl im Sinne von „planen“ als auch im Sinne von „verschaffen“, eine Bedeutung, die dem französischen Verb „orga‐ niser“ fremd ist.13 Auch dieser Wechsel ist im Gange, und wird von Didaktikern, die den Ge‐ danken von integrierten Mehrsprachigkeitscurricula befürworten, ganz beson‐ ders gefördert (Hufeisen 2005, Krumm/Reich 2011). Auf der Grundlage der Auffassung der „mehrsprachiger und interkultureller Kompetenz“, die vom Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (Europarat 2001) getragen wird und mit den Pluralen Ansätze in enger Verbindung stehen (Candelier 2008, 69), sind die mehrsprachigen bzw. mehrkulturellen Kompe‐ tenzen, ob generell oder mit einer bestimmten Sprache verbunden, auch curri‐ cular als Ganzes zu betrachten (siehe Hufeisen 2005, 9 sowie in diesem Hand‐ buch). Ohne die Notwendigkeit von Wiederholungen zu verkennen, besonders wenn sie mit einem Perspektivenwechsel verbunden sind, und unter Berück‐ sichtigung, dass lernökonomische Erwägungen nur ein Faktor einer Lernpro‐ gression darstellen können, lassen sich Synergien erst durch eine Aufteilung dieses Ganzen unter den verschiedenen Fächern verwirklichen. Es fehlt nicht an Beschreibungen dessen, was zu verteilen ist, insbesondere für sprachen- und kulturenübergreifende Aspekte. Der REPA kann als eine solche Beschreibung betrachtet werden, aber auch die nach Schulstufen orga‐ 12 13

Bei allen Unterschieden für das Schicksal der Menschheit lässt sich dieser Paradigmen‐ wechsel mit dem Übergang vom Jäger- und Sammlerdasein zu einer Bauerngesellschaft vergleichen. Dafür heißt es auf Französisch « cultiver des possibilités de synergie », was den Ver‐ gleich mit einer „société d’agriculteurs“ expliziter macht.

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nisierten „Ziele und Lehrstoffe“ des Curriculum Mehrsprachigkeit (Krumm/Reich 2011) (siehe auch Oomen-Welke 2011-2013, 67). Und einige wenige curriculare Realisierungen können auch als erste Schritte zu einer Aufteilung dienen (Bert‐ schy/Egli Cuenat/ Stotz 2015; Behr 2016). Was immer noch Not tut, sind konkrete Darstellungen, die für die gemein‐ same Arbeit an einem spezifischen Stoff die Rolle der verschiedenen Fächer in einer zeitlichen Abfolge expliziert, wie Rothstein (2011-2013, 19) das am Beispiel des imparfait und conditionnel im Konditionalsatz vorschlägt (hier verkürzt): Französischunterricht – Einführung von imparfait und conditionnel im Konditio‐ nalsatz / Deutschunterricht – Wiederholung der Phänomene (Beispiel-/Signalgram‐ matik) / Suche nach funktionsäquivalenten deutschen Konstruktionen / … / Sprach‐ integrative Phase – Deutsch: Modi ↔ Französisch: Tempora … / Übertragung auf weitere schulische Fremdsprachen – Englisch: sequence of tense / Zweitsprachen / Rückkopplung an Französischunterricht.

Interessant an diesem Beispiel ist, dass die Schulsprache Deutsch keine Dienst‐ leisterrolle zugunsten anderer Sprachen innehat. Umgekehrt wird die Art, wie Deutsch funktioniert, durch den Bezug zu Französisch ans Licht gebracht. Dies ist auch Lehrenden gegenüber zu betonen: Die Zusammenarbeit im Sinne der Mehrsprachigkeitsdidaktik kommt allen Sprachen zugute.14 Literatur Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael / Cavalli, Marisa / Coste, Daniel / Egli Cuenat, Mirjam / Goullier, Francis / Panthier, Johanna. 2015. Guide pour le développement et la mise en œuvre de curriculums pour une éducation plurilingue et interculturelle. Stras‐ bourg: Council of Europe (https://www.coe.int/fr/web/platform-plurilingual-inter‐ cultural-language-education/curricula-and-evaluation, 12.02.2018). Behr, Ursula. 2016. „Sprachenübergreifende Kompetenzen in den Thüringer Lehrplänen und deren unterrichtliche Umsetzung“, in: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdspra‐ chenunterricht 21: 2, 76-84. (http://tujournals.ulb.tudarmstadt.de/index.php/zif/, 10.02.2018). Bertschy, Ida / Egli Cuenat, Mirjam / Stotz, Daniel. 2015. Passepartout – Lehrplan Fran‐ zösisch und Englisch. https://www.passepartout-sprachen.ch/services/downloads/do wnload/533/get (18.02.2018).

14

Das war auch der Sinn des Artikels, den ich für Französichlehrende in Frankreich an‐ lässlich der Einführung von mehrsprachigkeitsdidaktischen Prinzipien in die neuen Lehrpläne geschrieben habe (Candelier 2016).

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Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung

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Mit dem Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen im Fremdsprachenunterricht (REPA) liegt ein Instrument vor, das für die Unterrichtskonzeption und Unterrichtsplanung wichtige Hilfestellungen bietet. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wurde der REPA in Deutschland bisher eher zögerlich rezipiert – dem versucht die vorliegende Veröffentlichung entgegenzuwirken, indem sie in zentrale Konzepte der „Pluralen Ansätze“ für den Fremdsprachenunterricht einführt und die Instrumente und Datenbanken des REPA vorstellt und untersucht.

ISBN 978-3-8233-8189-1

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