Placebo-Effekte im Marketing: Zur Abhängigkeit des Produktnutzens von Marketing-Maßnahmen 3834920967, 9783834920966


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3834920967......Page 1
Marketing-Management......Page 3
Placebo-Effekte im Marketing......Page 4
Geleitwort......Page 6
Vorwort......Page 8
Inhaltsverzeichnis......Page 10
Abbildungsverzeichnis......Page 14
Tabellenverzeichnis......Page 16
Abkürzungsverzeichnis......Page 17
1 Einleitung......Page 18
1.1 Fragestellung und Ziel der Arbeit......Page 20
1.2 Gang der Arbeit......Page 21
2.1 Nutzenkonzepte im Marketing......Page 24
2.2 Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik......Page 47
2.3 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse des zweiten Kapitels......Page 60
3.1 Placebo-Forschung in der Medizin......Page 63
3.2 Zu den Begriffen Placebo und Placebo-Effekt......Page 65
3.3 Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes......Page 69
3.4 Konditionierungs-Erwartungstheorie-Debatte......Page 80
3.5 Zusammenfassung des dritten Kapitels......Page 83
4.1 Konzeptualisierung und Rahmenbedingungen......Page 85
4.2 Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess......Page 91
4.3 Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext......Page 112
4.4 Kurzzusammenfassung des vierten Kapitels und Überleitung zum nächstenKapitel......Page 124
5 Placebo-Effekt der Marke......Page 126
5.1 Untersuchungsgegenstand Marke......Page 127
5.2 Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge......Page 133
5.3 Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke......Page 142
6 Fazit und Ausblick......Page 173
Anhang......Page 178
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Placebo-Effekte im Marketing: Zur Abhängigkeit des Produktnutzens von Marketing-Maßnahmen
 3834920967, 9783834920966

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Anja Fell Placebo-Effekte im Marketing

GABLER RESEARCH Marketing-Management Herausgegeben von Professor Dr. Christian Belz, Universität St. Gallen Professor Dr. Alfred Kuß, Freie Universität Berlin Professor Dr. Thomas Rudolph, Universität St. Gallen Professor Dr. Torsten Tomczak, Universität St. Gallen

In der Reihe werden Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Teilgebieten des Marketing veröffentlicht, die einen deutlichen Anwendungsbezug haben. Die Arbeiten gelten Fragestellungen aus dem Bereich des operativen und strategischen Marketing und sind zum großen Teil durch die Einbeziehung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse sowie eine empirische Vorgehensweise geprägt.

Anja Fell

Placebo-Effekte im Marketing Zur Abhängigkeit des Produktnutzens von Marketing-Maßnahmen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Alfred Kuß

RESEARCH

Bibliograische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie; detaillierte bibliograische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Freie Universität Berlin, 2009 D 188

1. Aulage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Anita Wilke Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2096-6

Geleitwort

Auf den ersten Blick überrascht es etwas, dass der aus der Medizin bekannte Fachbegriff „Placebo-Effekt“ hier mit Fragestellungen aus Marketing und Konsumentenverhalten in Verbindung gebracht wird. Die bisher geringe Zahl von Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich lässt aber sowohl dessen theoretische Relevanz als auch sein Potenzial für praktische Anwendungen in einzelnen Branchen insbesondere des Dienstleistungssektors erkennen. Durch eine Veröffentlichung von Shiv u. a. im hochrangigen Journal of Marketing Research im Jahre 2005 ist in die Literatur zur Marketingforschung das Konzept eines Placebo-Effekts völlig neu eingeführt und empirisch bestätigt worden. Im Wesentlichen geht es bei PlaceboEffekten im Marketing darum, dass „extrinsische“ Produkteigenschaften (z. B. Preis oder Marke) Einfluss auf die Wirkung bzw. den Nutzen eines Produkts im engeren Sinne haben (z. B. Wirkung von Medikamenten oder Nahrungsmitteln). Dabei geht es also nicht um den seit längerer Zeit bekannten Effekt, dass derartige Produktmerkmale (nur) die entsprechenden Einschätzungen von Konsumenten oder deren Zufriedenheit beeinflussen. Die Dissertation von Frau Fell beinhaltet sowohl eine umfassende theoretische Diskussion des Problemkreises als auch die Ergebnisse eigener empirischer Untersuchungen, in denen die Ergebnisse von Shiv u. a. (2005) repliziert und erweitert werden. In den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in der VWL und der Marketingwissenschaft, hat der Begriff „Nutzen“ seit langer Zeit grundlegende Bedeutung. Den Hintergrund dafür bildet die Bedeutung des Nutzens bei Austauschprozessen, die ja wiederum der zentrale Gegenstand der Marketingwissenschaft sind. Frau Fell untersucht also das Nutzenkonzept in diesem Zusammenhang und reflektiert dieses kritisch. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass Placebo-Effekte, mit der Möglichkeit, dass der Preis den Nutzen beeinflusst, mit der theoretischen Sichtweise der in Teilen der Wirtschaftswissenschaften immer noch stark beachteten Neoklassik nicht vereinbar sind. Als Placebo-Effekt wird eine Wirkung eines Stoffes oder einer Behandlung (hier) bei Menschen bezeichnet, die nicht auf die Bestandteile dieses Stoffes oder dieser Behandlung zurückzuführen ist. Im Marketing-Kontext geht es in erster Linie um Produkteigenschaften, die Wirkung bzw. Nutzen eines Produkts eigentlich nicht beeinflussen können, weil sie mit dessen Funktion und Zusammensetzung nichts zu tun haben, und dennoch entsprechenden Einfluss haben. Bisher schon untersucht ist der Einfluss des Preises; durch die Untersuchung von Frau Fell sind jetzt auch Wirkungsmöglichkeiten von Marken auf den Produktnutzen bestätigt worden.

VI

Geleitwort

Über die schon angesprochene theoretische Relevanz des Themas hinaus zeichnen sich auch innovative Ansätze zur praktischen Nutzung eines solchen Placebo-Effekts ab. Hier sei nur auf die Möglichkeit der Verstärkung der Wirkungen von Behandlungen und Medikamenten im medizinischen Bereich durch starke Marken verwiesen. Anja Fell hat sich mit einem sehr aktuellen Forschungsthema aus dem Bereich Marketing / Konsumentenverhalten beschäftigt. In der Arbeit wird verdeutlicht, dass das auf den ersten Blick etwas „exotisch“ wirkende Thema der Placebo-Effekte im Marketing beachtliche theoretische Implikationen hat und auch – zumindest für manche Branchen – praktisch relevant ist. In der Arbeit verbindet sich eine gründliche Aufarbeitung des entsprechenden Wissensstandes mit theoretisch-konzeptionellen Beiträgen der Autorin und zwei von ihr durchgeführten empirischen Untersuchungen zum Thema. Sie leistet damit einen wertvollen Beitrag zur weiteren Entwicklung eines noch ganz jungen und perspektivenreichen Forschungsgebiets. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegenden Arbeit entsprechende Verbreitung und Beachtung in der Fachwelt zu wünschen.

Prof. Dr. Alfred Kuß Freie Universität Berlin

Vorwort

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Nutzen von Produkten und thematisiert in diesem Rahmen die Übertragung des medizinischen Phänomens des Placebo-Effektes in die Marketing-Wissenschaft. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Marketing-Department der Freien Universität Berlin und wurde im Sommersemester 2009 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft als Dissertation angenommen. Auf diesem Wege möchte ich mich bei zahlreichen Personen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld bedanken, die mich auf unterschiedlichste Art und Weise bei der Bewerkstelligung meiner Arbeit unterstützt und begleitet haben. Mein Dank gilt insbesondere meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Alfred Kuß, der – nicht zuletzt aufgrund meines bisherigen Lebenslaufs – die Anregung zu diesem Thema gab und mich bei der Fertigstellung der Arbeit auch sonst in vielfältiger Weise gefördert und motiviert hat. Seine stets konstruktiven und kritischen Ratschläge haben mein wissenschaftliches Arbeiten geprägt. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Martin Eisend für die vielen hilfreichen Diskussionen und Anregungen und für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Er unterstützte mich speziell beim Erarbeiten der Empirie durch konstruktive Anregungen und stete Gesprächsbereitschaft. Auch den übrigen Mitgliedern der Prüfungskommission Prof. Dr. Michael Kleinaltenkamp, Prof. Dr. Henning Kreis und Jana Möller sei hier ein Dank ausgesprochen. Ferner gilt ein großes Dankeschön meinen lieben Kolleginnen und Kollegen vom MarketingDepartment wie auch vom weiterbildenden Studiengang Executive Master of Business Marketing, die durch unzählige Diskussionen ihren Teil zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen haben. Danke, Stefan Chatrath, Ilka Griese, Franziska Küster und Markus Ungruhe. Vor allem aus den zahlreichen, manchmal beinahe quälenden Diskussionen, die ich mit meinen Kolleginnen Jana Möller und Eva Wendt führen durfte, sind wichtige Teile meiner Arbeit entstanden und verbessert worden. Danke dafür! Die Wörter Placebo-Effekt und Produktnutzen werden euch den Rest eures Lebens verfolgen! Das gilt wohl auch für meine beiden wichtigen „Stützen“ Kathrin Hahn und Silke Knoll. Meine Freundin und ehemalige Kollegin Kathrin Hahn war in dieser Zeit mein privater Kummerkasten für alle Lebens- und Dissertationskrisen. Auch meine Freundin Silke Knoll hat es immer wieder geschafft, sich in meine Ausführungen hineinzudenken, um sinnvolle Kommentare dazu abzugeben. Danke ihr beiden!

VIII

Vorwort

Ein herzliches Dankeschön geht an unsere Sekretärin Cornelia Brabant für die freundschaftliche Unterstützung und vor allem für die Korrekturhilfe. Auch haben unsere studentischen Hilfskräfte Thomas Eichentopf, Alexander Mafael und Anne Schenkel durch ihre unermüdlichen Gänge zur Bibliothek eine lobende Erwähnung verdient. Das Führen des „Doppellebens“, welches ich vor allem im letzten Jahr praktizierte – sprich: das Schreiben einer Dissertation als wissenschaftliche Mitarbeiterin und das Managen eines vierköpfigen Haushaltes (plus Hund!) als Mutter – hätte wohl ohne die (mehr oder weniger freiwillige) Unterstützung von vielen Personen aus meinem privaten Umfeld nicht funktioniert. Mein innigster Dank gilt meinem Mann Dr. Jan Fell und meinen beiden Jungs Julian und Jascha. Abgesehen davon, dass sie die vielen Höhen und Tiefen, die die Fertigstellung dieser Arbeit mit sich brachte, mitgetragen und ausgehalten haben, haben sie immer an mich geglaubt. Ich denke, wir sind in dieser Zeit alle ein Stück gewachsen. Ich bin stolz auf euch! Für die großartige Unterstützung vor allem in Bezug auf die uneingeschränkte und zu jeder Tages- und Nachtzeit mögliche Kinder- (und Hunde-) Betreuung will ich mich vor allem bei meiner Mutter Tuulikki Lindworsky und meiner Freundin Silke Lauer bedanken. Ihr seid klasse! Alles zu verdanken habe ich letztendlich meinen Eltern Georg und Tuulikki Lindworsky, die mich in allen meinen Lebensphasen uneingeschränkt unterstützt und an meiner persönlichen Entwicklung teilgenommen haben, auch wenn mein Vater den Abschluss meines Studiums und der Dissertation nicht mehr erleben durfte. Meinen Eltern ist diese Arbeit gewidmet.

Anja Fell

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis……………………………………………................XIII Tabellenverzeichnis…………………………………………………..............XV Abkürzungsverzeichnis……………………………………………........... . XVII 1 Einleitung ..........................................................................................................1 1.1

Fragestellung und Ziel der Arbeit............................................................3

1.2

Gang der Arbeit .......................................................................................4

2 Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen .........................................................................................7 2.1

Nutzenkonzepte im Marketing ................................................................7

2.1.1

Marketing und Austauschprozesse ....................................................7

2.1.2

Gegenstand des Austausches – Zum Produktbegriff.........................9

2.1.3

Bedürfnis, Bedarf und Nutzen .........................................................13

2.1.4

Nutzenschema nach Vershofen und weitere Betrachtungen des Nutzens.............................................................................................18

2.1.4.1

Nutzenschema nach Vershofen .................................................................... 18

2.1.4.2

Weitere Nutzenkonzepte .............................................................................. 21

2.1.5

2.2

Wahrnehmung des Nutzens oder Nutzen durch Wahrnehmung? ................................................................................23

2.1.5.1

Nutzengenerierung im (Nach-) Kaufprozess................................................ 24

2.1.5.2

Nutzenbeeinflussung durch Wahrnehmung ................................................. 27

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik ............................................30

2.2.1

Nutzenfunktion und Präferenzen in der neoklassischen Haushaltstheorie...............................................................................30

X

Inhaltsverzeichnis

2.2.2

Nutzenfunktion in der Neoklassik: Eine kritische Diskussion ........37

2.3 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse des zweiten Kapitels ......43 3 Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten ...............47 3.1

Placebo-Forschung in der Medizin........................................................47

3.2

Zu den Begriffen Placebo und Placebo-Effekt......................................49

3.3

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes ...............53

3.3.1

Placebo-Effekte durch klassische Konditionierung ........................53

3.3.1.1

Theoretische Einordnung der klassischen Konditionierung......................... 53

3.3.1.2

Konditionierung als Ursache des Placebo-Effektes ..................................... 54

3.3.2

Placebo-Effekte durch Erwartung ...................................................57

3.3.2.1

Erwartungen – Funktion und Parameter....................................................... 57

3.3.2.2

Theoretische Einordnung der „Erwartungstheorie“ ..................................... 59

3.3.2.3

Erwartungstheorie(n) und Placebo-Effekte.................................................. 61

3.4

Konditionierungs-Erwartungstheorie-Debatte ......................................64

3.5

Zusammenfassung des dritten Kapitels .................................................67

4 Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing ...............69 4.1

Konzeptualisierung und Rahmenbedingungen......................................69

4.1.1

Marketing-Maßnahmen und Produktwirkung .................................69

4.1.2

Übersicht und Rahmenbedingungen................................................72

4.2 Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess........75 4.2.1

Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozess................76

4.2.2

Wahrnehmungsprozesse und die Produktbeurteilung .....................80

4.2.3

Externe Reize und Produktbeurteilung............................................83

4.2.4

Allgemeine Annahmen (global beliefs) als Einfluss auf die Produktbeurteilung...........................................................................89

4.2.5

Weitere Einflussfaktoren .................................................................91

Inhaltsverzeichnis

XI

4.3 Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der PlaceboForschung im Marketing-Kontext..............................................................96 4.4 Kurzzusammenfassung des vierten Kapitels und Überleitung zum nächsten Kapitel .......................................................................................108 5 Placebo-Effekt der Marke ...........................................................................111 5.1

Untersuchungsgegenstand Marke........................................................112

5.1.1

Kennzeichnung des Begriffes Marke ............................................112

5.1.2

Funktionen der Marke aus Konsumentensicht ..............................116

5.2 Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge .........118 5.2.1

Struktur des Markenwissens als Basis...........................................118

5.2.2

Markenbekanntheit als mögliche Entstehungsursache von Placebo-Effekten............................................................................120

5.2.3

Qualitätserwartungen, Markenimage und Hypothesengenerierung .................................................................124

5.3

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke.................127

5.3.1

Marke als Placebo – Erste experimentelle Studie .........................127

5.3.1.1

Übersicht der ersten Untersuchung: Ziele und Methodik .......................... 127

5.3.1.2

Durchführung des ersten Experiments ....................................................... 127

5.3.1.2.1 Manipulation der unabhängigen Variable...................................................127 5.3.1.2.2 Erläuterung zur abhängigen Variable und Messung...................................129 5.3.1.2.3 Kontrollvariablen .......................................................................................130 5.3.1.3

Darstellung der Untersuchungsergebnisse ................................................. 133

5.3.1.4

Diskussion der Ergebnisse des ersten Experiments ................................... 138

5.3.2

Erwartete Qualität als Placebo – Zweite experimentelle Studie....143

5.3.2.1

Übersicht der zweiten Untersuchung: Ziele und Methodik ....................... 143

5.3.2.2

Durchführung des zweiten Experiments .................................................... 144

XII

Inhaltsverzeichnis

5.3.2.2.1 Manipulation der unabhängigen Variable...................................................144 5.3.2.2.2 Erläuterung zur abhängigen Variablen und Messung.................................146 5.3.2.2.3 Kontrollvariablen ....................................................................................... 147 5.3.2.3

Darstellung der Untersuchungsergebnisse ................................................. 149

5.3.2.3.1 Empirische Ergebnisse der Wirkung der wahrgenommenen Qualität einer Marke.................................................................................................149 5.3.2.3.2 Ergebnisse der Kontrollvariablen................................................................151 5.3.2.4

5.3.3

Diskussion der Ergebnisse des zweiten Experiments ................................ 152

Zusammenfassung der empirischen Studien und Limitationen.....155

5.3.3.1

Zusammenfassende Diskussion der empirischen Studien.......................... 155

5.3.3.2

Limitationen der Experimente.................................................................... 156

6 Fazit und Ausblick .......................................................................................159 Anhang ..............................................................................................................165 Literaturverzeichnis.........................................................................................187

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Aufbau der Arbeit .................................................................................................6 Abbildung 2: Die drei Produktdimensionen: Kernprodukt, reales Produkt und erweitertes Produkt ...............................................................................................................10 Abbildung 3: Klassifikation der Güter .....................................................................................12 Abbildung 4: Die Schrittfolge ökonomischen Verhaltens ........................................................14 Abbildung 5: Schlüsselbegriffe des Marketings .......................................................................15 Abbildung 6: Nutzendimensionen nach Kahneman .................................................................16 Abbildung 7: Nutzenleiter nach Vershofen...............................................................................19 Abbildung 8: Produktnutzen nach Bänsch ...............................................................................22 Abbildung 9: Komponenten des Produktnutzens......................................................................23 Abbildung 10: Nutzenentstehung im Kauf- und Nachkaufprozess...........................................25 Abbildung 11: Abbildung des Nutzens und des Grenznutzens/erstes Gossensches Gesetz .....32 Abbildung 12: Der Verlauf von Indifferenzkurven...................................................................34 Abbildung 13: Steigende Nachfrage bei Preissenkung .............................................................36 Abbildung 14: Abbildung des Nutzens und Grenznutzens mit Sättigungsgrenze ....................39 Abbildung 15: Prozess der klassischen Konditionierung..........................................................55 Abbildung 16: Schematische Darstellung zweier CS/UCS-Beziehungen ................................57 Abbildung 17: Verknüpfung der theoretischen Ansätze ...........................................................66 Abbildung 18: Konzeptualisierung der Placebo-Effekte im Marketing....................................71 Abbildung 19: Bezugsrahmen für die Entstehung von Placebo-Effekten.................................73 Abbildung 20: Der Wahrnehmungsprozess .............................................................................77 Abbildung 21: Das Multi-Speicher-Modell der menschlichen Informationsverarbeitung .......78 Abbildung 22: Einflussfaktoren auf die Produktbeurteilung ....................................................82

XIV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 23: Relevante (externe) Reize der Qualitätswahrnehmung eines Produktes ..........85 Abbildung 24: Modell des Zusammenhangs von mit Kosten verbundenen Werbeelementen und der Markenwahrnehmung ..........................................................................90 Abbildung 25: Weitere mögliche Determinanten im Bezugsrahmen zur Entstehung von Placebo-Effekten...............................................................................................91 Abbildung 26: Dynamische Beziehung zwischen objektiver und wahrgenommener Produktqualität..................................................................................................93 Abbildung 27: Ergebnisse Experiment 1 und 3 der Studie von Shiv et al. ...............................97 Abbildung 28: Placebo-Effekt der Motivation........................................................................100 Abbildung 29: Mittelwerte des Wissenstests .........................................................................101 Abbildung 30: Placebowirkung bei unterschiedlichen Preisen...............................................103 Abbildung 31: Wirkung der (Medikamenten-)Farbe ..............................................................105 Abbildung 32: Grundidee des identitätsorientierten Markenmanagements ............................115 Abbildung 33: Dimensionen des Markenwissens ...................................................................119 Abbildung 34: Markenbekanntheitspyramide.........................................................................121 Abbildung 35: Wirkung von Markenemotionen auf Markenbekanntheit...............................122 Abbildung 36: Der Preis als möglicher Mediator des Marken-Effekts...................................137 Abbildung 37: Verwendeter Stimulus zur Manipulation der Qualitätserwartung der Experimentalgruppe G ....................................................................................145

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Überarbeitete fundamentale Annahmen (foundational premises [FP]) der SDL.....26 Tabelle 2: Literaturübersicht Teil I (tabellarische Darstellung)..............................................106 Tabelle 3: Literaturübersicht Teil II (tabellarische Darstellung) ............................................107 Tabelle 4: Übersicht der Gruppenbezeichnungen ...................................................................129 Tabelle 5: Abhängige Variable (Endergebnis des Konzentrationstests) der Gruppen im Vergleich ................................................................................................................134 Tabelle 6: Signifikanzniveaus der T-Tests der Gruppen in der Übersicht..............................135 Tabelle 7: Übersicht der Gruppenbezeichnungen des zweiten Experiments ..........................145 Tabelle 8: Übersicht über die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche des Endergebnisses.......150 Tabelle 9: Übersicht über die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche des Endergebnisses mit gleich großer Stichprobe..................................................................................151

Abkürzungsverzeichnis ANOVA Anm. d. Verf. bspw. bzw. F2 ca. d.h. df et al. etc. F f. ff. Hervorh. i. O. Hrsg. insg. Jg. M Max. Min. n No. o. g. o. J. o. V. p r sic Sp. SPSS Std. t u. a. v. a. vgl. Vol. z. B. zit. n.

Analysis of Variance (Varianzanalyse) Anmerkung der Verfasserin beispielsweise beziehungsweise Chi-Quadrat-Wert circa das heißt degrees of freedom (Freiheitsgrade) et alii (und andere) et cetera F-Wert (Prüfwert) der Varianzanalyse/des F-Tests folgende fortfolgende Hervorhebung im Original Herausgeber insgesamt Jahrgang Mittelwert Maximum Minimum Anzahl der Stichprobenelemente Number (Nummer) oben genannte/s ohne Jahresangabe ohne Verfasser Fehlerwahrscheinlichkeit/Signifikanzniveau Korrelationskoeffizient so, wirklich so Spalte Statistical Products and Service Solutions Standardabweichung t-Wert (Prüfwert) des t-Tests unter anderem vor allem vergleiche Volume zum Beispiel zitiert nach

1

Einleitung „Der Mensch findet zuletzt in den Dingen nichts wieder, als was er selbst in sie hineingesteckt hat“ (Nietzsche 1977, S. 74)

Das Phänomen des Placebo-Effektes ist bereits seit der Antike bekannt. Die wissenschaftliche Forschung im Bereich der Medizin befasst sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Placebo-Effekt (Shapiro/Shapiro 1997, S. 74 ff.). Üblicherweise wird hier der gesundheitliche Fortschritt, also eine Besserung der Symptome durch eine wirkstofflose Tablette, Injektion, etc. (Placebo) Placebo-Effekt genannt. Die Wirkung der pharmakologisch wirkstofffreien Substanzen wird anhand stattfindender Lernprozesse der PatientInnen erklärt, bei welchen nicht zuletzt Erwartungen eine elementare Rolle spielen. Seit wenigen Jahren sind PlaceboEffekte auch als Forschungsgegenstand der Marketingwissenschaft entdeckt worden. Produkte werden von Konsumenten mit einer bestimmten Absicht bzw. zu bestimmten Zwecken gekauft und verwendet. Sie sollen in der Situation, in der sie zum Einsatz kommen, effektiv sein und damit ihren Zweck erfüllen bzw. einen Nutzen stiften. Der Fokus der Placebo-Forschung im Marketing liegt auf der Betrachtung der aktuellen Effektivität von Produkten, gleichsam dem Nutzen, der sich bei der Verwendung der Produkte für den Konsumenten ergibt. Im Zuge immer homogener werdender Produkte setzen viele Unternehmen auf den (kommunizierten) Zusatznutzen ihrer Produkte. Einige Mineralwasser sind mit Sauerstoff angereichert, andere wiederum versprechen Vitalität, Gesundheit und Entspannung. Es werden Biersorten und Haarwaschmittel mit Koffeinzusatz angeboten, aber auch Gesichtscremes mit Zusätzen wie Gold, Trüffel, Kaviar oder Perlen (Bauer et al. 2005). Die tatsächliche Wirkung der Zusatzstoffe ist in der Regel schwer nachzuweisen und wird häufig als fragwürdig eingestuft (z. B. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. 2003). Was aber, wenn bspw. die Aufschrift „Active O2 - Der Powerstoff mit Sauerstoff“ (Adelholzener Alpenquellen GmbH, o. J.) doch nutzenstiftende Verhaltensweisen und Effekte beim Konsumenten auslöst, obwohl eine Anreicherung von Wasser mit Sauerstoff keine nachweislichen Wirkungen hat (Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. 2003, S. 11)? Wenn weniger die Inhaltsstoffe des Produktes wirken, sondern eine gezielte Marken- und Kommunikationspolitik oder andere Marketing-Maßnahmen der Produkt-, Preis- oder Vertriebspolitik? Die Placebo-Forschung im Marketing-Kontext ist fokussiert auf (Verhaltens-)Effekte der Konsumenten, die von Produktattributen ausgelöst werden, die im Grunde keine Effekte auslösen, also keinen Produkt-

2

Einleitung

nutzen erzeugen können. Mit diesem Forschungsthema setzten sich bereits die amerikanischen Forscher Baba Shiv, Ziv Carmon und Dan Ariely (2005a) auseinander. Sie konnten zeigen, dass sowohl der Preis eines Produktes als auch die überzeugende Argumentation der Werbung für ein Produkt einen Einfluss auf den aktuellen Nutzen eines Produktes hat. Dass Erwartungen und der Glaube an ein Produkt die subjektive Beurteilung dieses Produktes beeinflussen können, gilt in der Marketing-Forschung seit längerem als bekannt (z. B. Allison/Uhl 1964). Shiv et al. (2005a) konnten in ihrer Studie darüber hinaus zeigen, dass v. a. der Preis eines Produktes messbare Verhaltenseffekte hervorrufen kann. Die vorliegende Arbeit erweitert die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Placebo-Forschung im Marketing, indem sie zeigt, dass auch die Marke die Wirkung eines Produktes determinieren kann. Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit kann als eine (konzeptuelle) Replikationsstudie (hierzu Mitchell/Jolley 1988, S. 228, 318) der Arbeit von Shiv et al. (2005a) angesehen werden. Replikationsstudien sind für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn von großer Bedeutung (z. B. Hunter 2001, Kuß 2009, S. 137 ff., Monroe 1992). Ergebnisse, die auf einzelnen Studien beruhen, können mit diversen Problemen, wie z. B Problemen der Genauigkeit behaftet sein (Eisend 2006, Hunter 2001, Mitchell/Jolley 1988, S. 225 ff.). Replikationsstudien im Allgemeinen, und im Speziellen auch diese Arbeit, leisten einen wichtigen Beitrag zum Erkenntnisgewinn der Wissenschaft. Diese Arbeit trägt dazu bei, das Ergebnis der (Einzel-) Studie zu verifizieren und bestimmte Aussagen hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu erweitern. In der vorliegenden Arbeit wird außerdem dargelegt, dass durch die Wahrnehmung von Marken Erwartungen hervorgerufen werden, die den Nutzen im Sinne der Zweckerfüllung (Wirkung) der Produkte beeinflussen können. Zudem befasst sich die Arbeit mit dem Produktnutzen als zentralem Analysekonzept der Wirtschaftswissenschaft. Ein weiterer theoretischer Beitrag dieser Arbeit ist in der Gegenüberstellung der Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext und der theoretischen Nutzenkonzepte der Wirtschaftswissenschaft zu sehen. Die grundsätzlichen Ziele der Konsumentenforschung liegen im Bereich des Verstehens und Erklärens des Verhaltens der Konsumenten (äquivalente Forschungsschritte: Entdeckungsund Begründungszusammenhang) sowie in den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die praktische Anwendung der Erkenntnisse (Forschungsschritt: Verwendungszusammenhang) mit dem Ziel der Verhaltensbeeinflussung (Kroeber-Riel et al. 2009). Die vorliegende Arbeit kann vor allem in die Bereiche des Entdeckungs- und Begründungszusammenhangs eingeordnet werden. Der Entdeckungszusammenhang kommt in der Generierung der Hypothesen aus bestehenden Theorien und der aktuellen Studie von Shiv et al. (2005a) zum Ausdruck. Der Begründungszusammenhang ergibt sich sowohl aus der Überprüfung der wissenschaftlichen Aussagen als auch aus der Überprüfung der Generalisierbarkeit der Hypothesen.

Fragestellung und Ziel der Arbeit

3

Diese Forschungsschritte tragen dazu bei, das Konsumentenverhalten besser erklären zu können. Ein Verwendungszweck im Sinne der Handlungsempfehlungen ist nur begrenzt möglich. Ein wesentlicher Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der Grundlagenforschung, die als Informationsbasis für weitere angewandte Forschung einzustufen ist.

1.1

Fragestellung und Ziel der Arbeit

Shiv et al. (2005a) konnten u. a. zeigen, dass der reduzierte Preis eines Energie-Getränkes die Produktwirkung herabsetzen kann. Die Idee der Placebo-Effekte im Marketing beruht auf unterschiedlichen Wirkungsweisen von Produkten, die nicht vom Produkt selbst ausgelöst werden (z. B. von ihren Inhaltsstoffen), sondern aus psychologischen Prozessen resultieren, die bei Konsumenten durch produktbezogene Marketing-Maßnahmen (z. B. der Preissetzung, der Festlegung des Markennamens, der Bestimmung der Verpackung) ausgelöst werden. Eine Zielsetzung der Arbeit ist es, die Ergebnisse von Shiv et al. (2005a) zu replizieren. Ein weiteres Ziel ist, die bisherigen Erkenntnisse zu erweitern. Dies geschieht, indem Charakteristika der Marke als Einflussfaktoren auf die aktuelle Effektivität von Produkten theoretisch herausgearbeitet und in zwei experimentellen Studien überprüft werden. Die Forschungsergebnisse von Shiv et al. (2005a) enthalten die Aussage, dass der Preis eines Produktes dessen Nutzen determinieren kann. Neben der Erweiterung der Erkenntnisse in der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext wird diese Aussage verschiedenen Nutzenkonstrukten der Wirtschaftswissenschaft gegenübergestellt. Es soll herausgearbeitet werden, ob sich sowohl die Nutzenbetrachtungen in der Betriebswirtschaftslehre als auch die Betrachtung des Nutzens in der Nutzenfunktion der Neoklassik (dies geschieht in einem Exkurs) mit den in der Realität beobachteten Erkenntnissen der Placebo-Forschung nach Shiv et al. (2005a) vereinen lassen. Folgende zentrale Fragestellungen können für diese Arbeit abgeleitet werden: x

x

x

Lassen sich die Erkenntnisse von Shiv et al. (2005a) replizieren? Inwiefern lässt sich die Beobachtung von Shiv et al. (2005a), dass der Preis eine Determinante des Produktnutzens ist, mit unterschiedlichen Nutzenbetrachtungen der Wirtschaftswissenschaft vereinen? Kann die Marke eines Produktes ein auslösender Faktor von Placebo-Effekten im Marketing sein und können so die Erkenntnisse auf diesem Forschungsgebiet erweitert werden?

4

1.2

Einleitung

Gang der Arbeit

Das zweite Kapitel betrachtet das Konzept des Nutzens, beziehungsweise das des Produktnutzens im Rahmen von Austauschprozessen. Neben der Relevanz des Produktnutzens für Austauschprozesse und der Festlegung des Produktbegriffes sowie der Begriffe Bedarf, Bedürfnis und Nutzen werden zunächst unterschiedliche Nutzenkonzepte des Marketings und anderer Bereiche der Betriebswirtschaftlehre erläutert. Weiter wird dargelegt – und mit den Ergebnissen der Studie von Shiv et al. (2005a) untermauert – dass die Verwendung des Produktes durch den Konsumenten im Sinne einer Koproduktion (co-creation) des Nutzens von Unternehmen und Konsumenten angesehen werden kann. Diese Betrachtungsweise erklärt zum einen, warum die Wahrnehmung des Konsumenten bei der Erfahrung mit dem Produkt eine zentrale Rolle für die Entstehung des Produktnutzens spielt. Zum anderen untermauert sie vor allem einen Aspekt der Service-Dominant-Logic (SDL) von Vargo/Lusch (2004/2007). Die SDL besagt u. a., dass ausnahmslos alle Produkte lediglich eine Art Service als Grundlage anbieten, Nutzen zu generieren. Der Nutzen eines Produktes ist nicht dem Produkt inhärent, sondern entsteht erst durch die Mitwirkung des Konsumenten. In einem Exkurs im zweiten Kapitel wird dargelegt, inwiefern die Annahmen der Nutzenbetrachtung eines Partialmodells der neoklassischen Haushaltstheorie bzw. der Preistheorie nicht mit dem Ergebnis der Studie von Shiv et al. (2005a) konform gehen. Hierfür werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Nutzenbetrachtungen der Neoklassik dargelegt und anschließend kritisch diskutiert. In einer zusammenfassenden Diskussion des zweiten Kapitels werden die bereits vorgestellten Nutzenbetrachtungen anhand der Ergebnisse der Studie von Shiv et al. (2005a) kritisch hinterfragt. Kapitel drei der Arbeit umfasst die theoretischen und begrifflichen Grundlagen des PlaceboEffekts. Nach einer Hinführung zum Thema über die Placebo-Forschung in der Medizin werden Definitionen der Begriffe Placebo und Placebo-Effekt festgelegt, um eine Übertragung des Phänomens aus dem medizinischen Bereich in den Bereich der Marketing-Forschung zu gewährleisten. Vorgestellt werden ebenso die beiden zentralen theoretischen Ansätze, die Erwartungstheorie und die klassische Konditionierung, die für die Entstehung der PlaceboEffekte herangezogen werden, sowie eine Zusammenführung dieser Ansätze. Das vierte Kapitel der Arbeit zeigt den Forschungsstand der Placebo-Effekte als Phänomen im Marketing auf. Unter Bezugnahme auf den hier relevanten theoretischen Entstehungsmechanismus (die Erwartungstheorie) wird ein inhaltlicher Rahmen geschaffen, der die wesentlichen Determinanten der Erwartungsbildung eines Konsumenten bezüglich der Wirkung von Produkten beinhaltet. Mit Hilfe der Darstellung eines Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesses werden im Anschluss die wesentlichen Parameter der Beeinflussung der

Gang der Arbeit

5

Wirkungserwartung spezifiziert. Anschließend folgt eine Literaturübersicht der bisherigen Studien im Forschungs-Kontext des Marketings. Das Kapitel fünf beinhaltet den empirischen Teil der Arbeit. Es umfasst sowohl die theoretischen Überlegungen und daraus resultierenden Hypothesen der Arbeit als auch die Beschreibung der beiden durchgeführten experimentellen Untersuchungen. Nach grundlegenden Erläuterungen zum Begriff und den wesentlichen Funktionen von Marken werden anhand unterschiedlicher Charakteristika des Markenwissens die Hypothesen für die beiden Experimente hergeleitet, die anschließend dargelegt werden. Das sechste Kapitel fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammen und greift dabei auch die theoretischen Nutzenbetrachtungen des zweiten Kapitels nochmals auf. Anschließend wird der Beitrag der Erkenntnisse sowohl für die wissenschaftliche Forschung als auch – soweit wie möglich – für die (unternehmerische) Praxis dargelegt und diskutiert. Nach einem Forschungsausblick endet die Arbeit mit einem abschließenden Fazit. Abbildung 1 gibt einen Überblick über den Aufbau der Arbeit.

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Einleitung

Kapitel 1 Ziel und Aufbau der Arbeit Kapitel 2 Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen 2. 1 Nutzenkonzepte im Marketing

2. 2 Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

2.3 Nutzenkonzepte und der Placebo-Effekt des Preises: Zusammenfassende Diskussion des zweiten Kapitels Kapitel 3 Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

Kapitel 4 Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Kapitel 5 Placebo-Effekt der Marke 5. 1/ 5. 2 Untersuchungsgegenstand Marke/ Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge 5. 3 Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke Kapitel 6 Fazit und Ausblick

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

2

2.1

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen Nutzenkonzepte im Marketing

Ein Ziel der Marketingwissenschaft ist die Weiterentwicklung des Wissens über das Konsumentenverhalten. Das Interesse liegt hier, wie auch in anderen Bereichen der Betriebswirtschaftslehre, vor allem beim Entscheidungsverhalten der Konsumenten, aber auch beim Konsumentenverhalten nach dem Kauf. Nutzenbetrachtungen spielen hierbei nicht selten eine dominierende Rolle. So kann der Erfolg eines Unternehmens entscheidend davon abhängen, ob die Wünsche der Kunden frühzeitig erkannt und befriedigt werden können. Aus einer theoretischen Perspektive wirft die Gegenüberstellung der Ergebnisse der Placebo-Forschung von Shiv et al. (2005a) mit etablierten Nutzenbetrachtungen der Wirtschaftswissenschaft Fragen auf, die in diesem Kapitel diskutiert werden. 2.1.1

Marketing und Austauschprozesse

Kotler/Bliemel (2001) definieren Marketing als einen “Prozeß im Wirtschafts- und Sozialgefüge, durch den Einzelpersonen und Gruppen ihre Bedürfnisse und Wünsche befriedigen, indem sie Produkte und andere Dinge von Wert erzeugen, anbieten und miteinander austauschen.“ (S. 12) Die American Marketing Association (AMA) überarbeitet in einem Komitee von führenden Wissenschaftlern in regelmäßigen Abständen die Definition des Marketingbegriffes. So definierte die AMA im Jahre 2004 den Marketingbegriff folgendermaßen: „Marketing is an organizational function and a set of processes for creating, communicating, and delivering value to customers and for managing customer relationships in ways that benefit the organization and its stakeholders.” Die derzeit neueste Definition von 2007 beschreibt Marketing als “the activity, set of institutions, and processes for creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers, clients, partners, and society at large.” (AMA 2007). Das Interesse soll hier nicht auf die Unterschiede der Definitionen, sondern vielmehr auf bestimmte Gemeinsamkeiten gelenkt werden. Alle Definitionen verdeutlichen, dass sowohl Austauschprozesse als auch Werte und Nutzen von zentraler Bedeutung für das Marketing sind. Unter Austausch soll hier, vereinfacht dargestellt, ein Prozess verstanden werden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass man ein ersehntes Produkt bekommt, indem man eine Gegenleistung dafür offeriert (Kotler/Keller 2006, S. 6 f.). Damit überhaupt ein Austausch zustande kommt, müssen bestimmte Konditionen gegeben sein. Alderson (1965, S. 83 f.) be-

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

schreibt diese folgendermaßen: Ausgetauscht werden Elemente, die sich jeweils im Besitz der tauschenden Personen befinden. Diese Elemente sind Teile einer Menge, die bspw. aus Gütern und Geld besteht. Eine Voraussetzung für einen Tausch ist, dass die auszutauschenden Elemente nicht identisch sind. Als eine weitere Voraussetzung für den Austausch gilt, dass der Wert des Vermögens (der Menge an Gütern und Geld) von den austauschenden Parteien nach dem Tausch höher wahrgenommen wird als vorher (Kotler/Keller 2006, S. 6 f.). Bei der Betrachtung von realen Austauschsituationen wird von Kuß (2006) der Gesichtspunkt hinzugefügt, „dass der für beide Seiten erzielbare Nutzenzuwachs jeweils eine gewisse (nicht allgemein bestimmbare) Größenordnung erreichen muss, damit der Austausch attraktiv wird“ (S. 46, Hervorh. i. O.). Bevor auf die genauere Betrachtung der auszutauschenden Gegenstände (des Produktbegriffes) und des (Produkt-) Nutzens eingegangen wird, soll noch kurz auf einen kritischen Beitrag zum Austauschprozess der oben genannten Definitionen des Marketings der AMA von Sheth/Uslay (2007) eingegangen werden, da darin ein für diese Arbeit interessanter Aspekt der Nutzengenerierung enthalten ist. Zwar steht der Austauschprozess auf Märkten nicht im Vordergrund dieser Arbeit, die zugrunde liegenden Nutzenbetrachtungen hingegen bilden ein zentrales Element. Wenn der (wahrgenommene, bzw. erwartete) Nutzen von Gütern ausschlaggebend für das Verhalten der Marktteilnehmer ist, liegt es nah, einen Zusammenhang zwischen den Nutzenbetrachtungen und dem (Kaufentscheidungs-) Verhalten zu diskutieren. Sheth und Uslay (2007) begrüßen in der Marketingdefinition der AMA des Jahres 2004 das Wegbewegen von der Betonung des Austausch-Paradigmas im „herkömmlichen Sinne“. Das soll heißen, dass sie durch den expliziten Wegfall des Wortes „exchange“ in der Definition, im Vergleich zu früheren Begriffsauffassungen des Marketing (s. u.), die Annäherung an die Auffassung sehen, dass die Basis des Marketing als gemeinsame Erzeugung (co-creation) von Werten von Nutzern und Produzenten angesehen werden könnte. Bezogen wird sich hier auf die Marketingdefinition der AMA aus dem Jahr 1985: „Marketing ist der Prozess der Planung und Durchführung der Entwicklung, Preisgestaltung, Verkaufsunterstützung und des Vertriebs von Ideen, Gütern und Dienstleistungen im Rahmen von Austauschbeziehungen, die individuellen und organisationalen Zielen gerecht werden.“ (zit. n. Kuß 2006, S. 10, Hervorh. durch d. Verf.) Der Aspekt der gemeinsamen Erzeugung von Werten steht im Gegensatz zu der eben erwähnten „herkömmlichen Ansicht“, dass den auszutauschenden Gegenständen ein Wert zugeschrieben wird, der den jeweiligen Kosten gegenübergestellt wird. Der Nutzen wird demnach nicht durch den bloßen Austausch von Geld gegen Gegenstände, sondern auch durch eine gemeinsame Erzeugung im (Austausch-)Prozess geschaffen. Zwar stehen die Ausführungen im Zusammenhang mit der Betrachtung der Nutzengenerierung beim Aufbau von Kundenbeziehungen, die Idee, die dahinter steckt, entspricht jedoch dem Grundgedanken dieser Arbeit. Sheth/Uslay (2007) unterscheiden klar zwischen verschie-

Nutzenkonzepte im Marketing

9

denen Rollen von KonsumentInnen, die ihrer Ansicht nach in den bisher betrachteten Austauschbeziehungen nicht genügend zur Geltung kamen. Die bisher dominierende Rolle des Konsumenten als Käufer und Aussuchender einer Anschaffung wird mit der Rolle des Nutzers oder der des Zahlers erweitert. Auch in der vorliegenden Arbeit wird diese Unterscheidung getroffen. Der Fokus liegt auch hier auf der Betrachtung der Nutzenentstehung durch tatsächliche Verwendung des Austauschgegenstandes, also auf dem Aspekt, dass der Konsument die Rolle des Nutzers annimmt. Nach der Begriffserläuterung zum Austauschgegenstand an sich und den Begriffsauffassungen von Bedarf, Bedürfnis und Nutzen sollen zunächst genau diese Nutzenbetrachtungen im Marketing-Kontext und als Exkurs die der neoklassischen Haushaltstheorie im Mittelpunkt stehen. Anschließend werden im Abschnitt 2.1.5 die Ergebnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext von Shiv et al. (2005a) dargelegt, die zeigen, dass durch MarketingMaßnahmen, hier der Festlegung des Preises eines Produktes, der objektive Nutzen eines Produktes im Sinne eines Placebo-Effektes beeinflusst werden kann. 2.1.2

Gegenstand des Austausches – Zum Produktbegriff

Die Abgrenzung des Produktbegriffes in vorliegender Arbeit ist in dreierlei Hinsicht notwendig. Zum einen muss zunächst grundsätzlich geklärt werden, wie weit der Begriff in Hinblick auf die Abgrenzung von Sach- und Dienstleistung verstanden werden soll. Darauf aufbauend muss, da die Beeinflussung des Nutzens eines Produkts ein Kernthema der Arbeit darstellt, dargelegt werden, welche Dimensionen der Begriff umfassen soll. Bezüglich der nachfolgenden Auseinandersetzung mit mikroökonomischen Theorien soll außerdem geklärt werden, wie der Produktbegriff mit dem in der Volkswirtschaftslehre betrachteten Begriff Güter in Bezug gebracht werden kann. Im Alltagsgebrauch könnte mit der Verwendung des Begriffes Produkt das materielle Gut mit seinen physischen und chemischen Eigenschaften im engeren Sinne verstanden werden (Kotler/Bliemel 2001, S. 14). In der Unternehmenspraxis wird dementgegen häufig der Produktbegriff für sämtliche angebotene Leistungen verwendet, welche Rechte, Sach- und Dienstleistungen sowie Kombinationen daraus umfassen können (Kuß 2006, S. 38). Homburg/Krohmer (2003, S. 459) und Levitt (1980) unterscheiden einen substantiellen, einen erweiterten und einen generischen Produktbegriff. Der substantielle Bereich umfasst das physische Kaufobjekt an sich. Somit wären Dienstleistungen, deren intangibler/immaterieller Anteil als eher hoch bezeichnet werden kann, prinzipiell ausgeschlossen. Der erweiterte Produktbegriff beinhaltet zudem alle mit dem Produkt zusammenhängenden Dienstleistungen, welche gerade im Zuge der zunehmenden Homogenisierung vieler Produkte in Käufermärkten ein Abheben von Konkurrenzprodukten ermöglichen. Nach der erweiterten Begriffsfas-

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

sung sind Dienstleistungen, die nicht an ein physisch greifbares Produkt gekoppelt sind, inhaltlich nicht erfasst. Der generische Produktbegriff umfasst letztendlich den vom Käufer erwarteten Nutzen eines Produkts. Das Produkt wird als Bündel von Eigenschaften verstanden, die in Hinblick auf eine erwartete Bedürfnisbefriedigung aus Sicht des Konsumenten Nutzen stiften (können). Diese Begriffsauffassung beinhaltet demnach sowohl (materielle) Sachleistungen, Rechte, sowie (immaterielle) Dienstleistungen und Kombinationen davon. Diese Auffassung eines Produktes entspricht der heutigen Marketingsichtweise. So definieren bspw. Nieschlag et al. (2002) ein Produkt als „Vermarktungsgegenstand eines Unternehmens, der sich als ein vom physischen Zustand unabhängiges Eigenschaftsbündel darstellt“ (S. 579 f.) oder Kotler et al. (2007) ein Produkt als „jedes Objekt, das auf einem Markt zur Beachtung oder Wahl, zum Kauf zur Benutzung oder zum Verbrauch oder Verzehr angeboten wird und geeignet ist, damit Wünsche oder Bedürfnisse zu befriedigen“ (S. 623). Eine darauf aufbauende Betrachtung legen Kotler et al. (2007, S. 623 ff.) im Zuge der Produktplanung dar. Hier werden drei Dimensionen eines Produktes definiert, welche ebenfalls auf den Gedanken der Bedürfnisbefriedigung des Konsumenten zurückzuführen sind. Abbildung 2 veranschaulicht diese:

Abbildung 2: Die drei Produktdimensionen: Kernprodukt, reales Produkt und erweitertes Produkt (Quelle: Kotler et al. 2007, S. 624)

Nutzenkonzepte im Marketing

11

Die Dimensionen werden aus dem Kernprodukt, dem realen Produkt und dem erweiterten Produkt gebildet. Das Kernprodukt wird nicht etwa vom physischen Produkt gebildet, sondern vom Kernnutzen des Produktes dargestellt, welcher beim Konsumenten befriedigt werden soll. Das Kernprodukt stellt somit die für den Konsumenten problemlösende (Dienst-) Leistung dar. Das reale Produkt umfasst nach den Autoren fünf Charakteristika: Die Qualität, die Funktionalität, das Design, die Marke und die Verpackung. Die Dimension des erweiterten Produktes schließt Zusatzleistungen in Form von produktbegleitenden Dienstleistungen mit ein (Kotler et al. 2007, S. 624). Hier schließt sich die Frage an, ob die Dimension des realen Produktes um Attribute erweitert werden muss, die wiederum Auswirkungen auf die soeben genannten Charakteristika haben und einem Produkt anhaftend sind, bzw. direkt einem Produkt zugeschrieben werden können. Gemeint sind Produkteigenschaften, welche zur Beurteilung der fünf Charakteristika dienen können, wie bspw. der Preis (z. B. Rao 2005) oder ein Qualitätssiegel eines Produktes (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 360). Auch Bagozzi (1986) definiert ein Produkt als ein Bündel von Eigenschaften, welches von einer Partei, dem Verkäufer, angeboten und der anderen Partei, dem Käufer, nachgefragt wird. Die dargelegten Produktdimensionen des „Bündels“ untergliedern sich in tangible (z. B. Verpackung, Gewicht, Farbe) und intangible (z. B. Markenname, produktbegleitender Service, Garantie) Eigenschaften (S. 137). Allerdings wird hier explizit deklariert, dass sich aus Sicht des Käufers weitere Eigenschaften des Produktes, wie bspw. der Preis oder die Werbung, die sich aus Maßnahmen des Marketing-Mix ergeben, bestimmend für die Wahrnehmung des Produktes sind (S. 138). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Marketing-Literatur der Produktbegriff aus dem Blickwinkel der Bedürfnisbefriedigung verstanden wird. Nicht alleine das physische, tangible Produkt, sondern das Produkt mitsamt den oben dargestellten Dimensionen soll demnach auch in dieser Arbeit den Begriff definieren. Der Produktbegriff umfasst demzufolge sowohl das tangible, physische Produkt, als auch die in Abbildung 2 dargestellten Produktattribute (Markenname, Qualität, Produktdesign, etc.). Einen vertiefenden Überblick zu den verschiedenen Produktdimensionen, bzw. Produktkonzepten bietet Brechan (2006). Da zum Aspekt der Qualität eines Produktes (nähere Ausführungen im Abschnitt 4.2.3 dieser Arbeit) der Preis eine Qualitätseigenschaft darstellt, hat der Preis zumindest den Charakter einer Produkteigenschaft (Erickson/Johansson 1985) und kann aus Marketing-Sicht dem realen Produkt zugerechnet werden. Da die Arbeit auch Theorien der Volkswirtschaftslehre aufgreift, muss geklärt werden, ob der dort vornehmlich verwendete Begriff Gut mit dem hier definierten Produktbegriff übereinstimmt. Das Gut der Volkswirtschaftslehre beinhaltet, genau wie die vorher festgelegte Ar-

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

beitsdefinition, die grundsätzliche Annahme, dass es sich hierbei um ein „Mittel zur Bedürfnisbefriedigung“ handelt (Baßeler et al. 2006, S. 14, Siebert/Lorz 2007, S. 18). Da mit dieser sehr weit gefassten Begriffsbestimmung bspw. auch das Sonnenlicht oder der Frieden als Gut zu bezeichnen ist, diese Auffassung jedoch nicht mehr mit o. g. Verständnis eines Produktes als Vermarktungsgegenstand einhergeht, soll kurz auf die Kategorisierung von Gütern und der daraus folgenden Einschränkung hinsichtlich der Verwendung des Begriffes Gut in den hier beinhalteten Theorien hingewiesen werden. Die Klassifizierung von Gütern kann in vielerlei Hinsicht geschehen. Eine elementare Klassifizierung ist die Einteilung nach der Verfügbarkeit von Gütern. Hierbei werden Güter in freie und knappe Güter unterschieden. Freie Güter stehen in einem ausreichenden Maß zur Verfügung und haben keinen Preis, sie müssen nicht produziert werden und sollen im Folgenden aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. Knappe Güter sind Basis des wirtschaftlichen Handelns und können auch als wirtschaftliche Güter bezeichnet werden. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf das Wirtschaftsgeschehen (den Markt, das Angebot und die Nachfrage) und beziehen sich auf den Bedarf an knappen Gütern (Abbildung 3). Dennoch wird ergänzend noch kurz auf die Klassifizierung nach der Ausschließbarkeit von Gütern eingegangen werden. Diese unterscheidet private und öffentliche Güter. Das Angebot öffentlicher Güter (bspw. ein Deich oder die öffentliche Sicherheit) wird durch politische Abstimmungsprozesse entschieden, nicht durch den Markt (Siebert/Lorz 2007, S. 19). Das Angebot privater Güter wird auf dem Markt und zwar über den Preis geregelt. Eine Nutzung von Anderen wird durch den Erwerb des Gutes, im Gegensatz zum öffentlichen Gut, ausgeschlossen (Böventer et al. 1997, S. 4 f.). Folgende Abbildung 3 veranschaulicht die beschriebenen Kategorisierungen:

Klassifikation der Güter

nach Knappheit freie Güter

knappe Güter

nach Ausschließbarkeit private Güter

Abbildung 3: Klassifikation der Güter (Quelle: Siebert/Lorz 2007, S. 19)

öffentliche Güter

Nutzenkonzepte im Marketing

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Sowohl aus verhaltenswissenschaftlicher „Marketing-Sicht“ als auch aus der Sicht der Volkswirtschaftslehre werden Produkte demnach mitsamt ihren bedürfnisbefriedigenden Dimensionen betrachtet. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Frage, inwiefern der Preis als nutzenstiftende Dimension, beziehungsweise als Produkteigenschaft miteinbezogen wird. Der Zusammenhang zwischen dem Preis und dem Nutzen eines Produktes wird anhand der Ausführungen zur Nutzenbetrachtung (Kapitel 2.1), als auch im Exkurs der neoklassischen Wirtschaftslehre (Kapitel 2.2) diskutiert werden. Die weiteren Ausführungen zum Nutzenkonzept im Marketing und zu der Nutzentheorie in der Neoklassik zeigen auf, aus welchem Grund hier die Ansicht vertreten wird, dass Attribute, die Auswirkungen auf die Beurteilung der Qualität und/oder Funktionalität eines Produktes haben und einem Produkt direkt zugeordnet werden können, nutzenstiftend sind. Wie gezeigt wird, steht diese Betrachtungsweise einigen Aspekten des Nutzenkonzeptes in der Betriebswirtschaftslehre, als auch Aspekten in der neoklassischen Nutzenlehre entgegen. Um sich mit dem Produktnutzen und darauf aufbauend mit der Beeinflussung desgleichen auseinandersetzen zu können, ist es notwendig, den Begriff Nutzen sowie die Zusammenhänge mit den Begriffen Bedarf und Bedürfnis in einer ökonomischen Dimension darzustellen. Anschließend wird dargelegt, zu welchem Zweck und unter welchen Prämissen der Begriff (Produkt-)Nutzen in ökonomischen Theorien verwendet wird. 2.1.3

Bedürfnis, Bedarf und Nutzen

Die Begriffe Bedürfnis, Bedarf und Nutzen sind eng mit der Betrachtung des ökonomisch handelnden Menschen verbunden. Sie „bilden, ergänzt durch die Nachfrage und den Verbrauch, eine gedankliche Schrittfolge ökonomischen Verhaltens“ (Balderjahn 1995, Sp. 180, Wiswede 1973, S. 103 ff.). Auch Kotler/Bliemel (2001, S. 14) bilden die gedanklichen, ökonomischen Schritte als Schlüsselbegriffe des Marketing ab. Bedürfnisse sind ein elementarer Aspekt des menschlichen Daseins. Das Bedürfnis wird als ein „mit dem Streben nach Beseitigung eines Mangels verbundene[s] Gefühl“ (Balderjahn 1995, Sp. 180) bezeichnet. Es existieren unterschiedliche Arten von Bedürfnissen, die sich nach unterschiedlichen Kriterien kategorisieren lassen. Sie können bspw. physiologischer Natur sein, wie das Bedürfnis des eben angesprochenen Hungergefühls. Auch können Bedürfnisse psychologischer Art sein, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Geborgenheit und Liebe (eine Übersicht bieten bspw. Kreft/Mielenz 2005, S. 948). Im Fokus der Betrachtungen stehen hier die physischen, ökonomischen Bedürfnisse. Gemeint sind (wirtschaftliche) Bedürfnisse, die durch Produkte befriedigt werden können, die nur durch Arbeit oder gegen Bezahlung erlangt werden können. (Hintze/Oestreich 1982, S. 259).

14

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Eine in der Literatur häufig verbreitete Klassifizierung von Bedürfnissen, auch Bedürfnispyramide genannt, geht auf Maslow (1943) zurück, die die Bedürfnisse nach dem Grad der Dringlichkeit, bzw. dem Wirksamwerden dieser klassifiziert. Das soll heißen, dass zuerst die Basisbedürfnisse (physiologischen Bedürfnisse) befriedigt werden müssen, bevor die darüber liegenden Bedürfnisse (z. B. Sicherheitsbedürfnisse oder Prestigebedürfnisse) befriedigt werden (Meffert et al. 2008, S. 118). Die Theorie von Maslow kann auch als Motivationstheorie bezeichnet werden, da die Motivation, die Bedürfnisse zu befriedigen die Antriebskraft für das Verhalten der Menschen darstellt (Felser 2001, S. 41 f.). Der Bedarf nach einem Wirtschaftsgut wird nach Balderjahn (1985) als das „konkretisierte Bedürfnis, verbunden mit dem Willen, dieses zu erwerben“ (Sp. 180) definiert. Diese Definition geht einher mit dem nach Hintze/Oestreich (1982) definierten wirtschaftlichen Bedürfnis. Die eingangs erwähnte „gedankliche Schrittfolge ökonomischen Verhaltens“ setzt sich nach den menschlichen Bedürfnissen über den entstandenen Bedarf weiter fort zu der erwarteten bzw. tatsächlich entstandenen Bedürfnisbefriedigung durch ein Produkt. Dieses Maß an Bedürfnisbefriedigung wird nach Nieschlag et al. (1994, S.7) als Nutzen eines Produkts definiert. Auch Balderjahn/Scholderer (2007, S. 23) definieren in diesem Sinne den Produktnutzen. Als wichtig wird hier die unterschiedliche Darstellung der „ökonomischen Schrittfolgen“ angesehen, die im Folgenden aufgezeigt wird. Wiswede (1973, siehe Abbildung 4) hält die oben beschriebene Reihenfolge ein und leitet aus einem Bedürfnis den Bedarf ab, welcher zur Nachfrage führt, welche wiederum die Befriedigung des Bedürfnisses ermöglicht, wobei hier kein Unterschied zwischen dem Käufer und dem Nutzer gemacht wird, sondern die Übereinstimmung der beiden Konsumentenrollen als gegeben vorausgesetzt wird. Wenn nun, wie oben definiert, die Bedürfnisbefriedigung den Nutzen darstellt, wird demnach der Nutzen des Produktes erst nach dem Austauschprozess generiert, wie hier auch deutlich als nachökonomisches Phänomen betitelt.

vorökonomisches

ökonomisches

marktliches

nachökonomisches

Phänomen

Phänomen

Phänomen

Phänomen

Nachfrage

Befriedigung

Bedürfnis

Bedarf

Abbildung 4: Die Schrittfolge ökonomischen Verhaltens (Quelle: Wiswede 1973, S. 104)

Nutzenkonzepte im Marketing

15

Zwar mit der gleichen Begriffswahl, jedoch in der Reihenfolge verändert, bilden Kotler/Bliemel (2001, siehe Abbildung 5) die gedankliche Kette ab. Hier werden bei bestehenden Bedürfnissen die Produkte nach der jeweils eingeschätzten Zufriedenstellung und des Nutzens bewertet, bevor der Austauschprozess stattfindet.

Bedürfnisse

Produkte

Nutzen, Kosten, Zufriedenheit

Austauschprozesse

...

Abbildung 5: Schlüsselbegriffe des Marketings (Quelle: Kotler/Bliemel 2001, S. 12)

Die Definition des Begriffes Produktnutzen ist somit nicht trennscharf, da, wie auch durch die oben angeschnittene Diskussion über die „co-creation“ des Nutzens dargestellt wurde, der Nutzen eines Produktes (auch) während der tatsächlichen Verwendung entstehen kann. Demnach stellt sich die Frage, ob der Produktnutzen in verschiedene Dimensionen untergliedert werden muss. In den objektivistischen ökonomischen Theorien wird zwischen dem Tauschwert und dem Verwendungswert (Gebrauchswert) unterschieden. Wirtschaftlichen Wert nehmen Güter nur an, wenn sie in der Lage sind, Bedürfnisse zu befriedigen. Der (objektive) Tauschwert stellt dabei das Austauschverhältnis dar, also den (Markt-)Preis eines Gutes bei Veräußerung desselben. Der (objektive) Gebrauchswert stellt den Nutzen dar, der durch den Gebrauch des Produktes entsteht. Weiter wurde in der klassischen Nationalökonomie davon ausgegangen, dass sich der Marktpreis eines Gutes hauptsächlich aus dessen Produktionskosten bestimmt. Wenn die Annahmen darauf reduziert werden, dass der Tauschwert durch den Preis dargestellt wird und dementsprechend der Gebrauchswert durch den Nutzen des Gutes (durch seine Tauglichkeit, Bedürfnisse zu befriedigen), so müsste man davon ausgehen, dass der Preis dem objektiven Nutzen eines Produktes entsprechen muss, wenn überhaupt ein Tausch zustande kommen soll. Schon die frühen Ökonomen, wie bspw. Adam Smith (1723-1790) (Biesecker/Kesting 2003, S. 53 ff.) kamen bei diesen Annahmen an eine Grenze für die theoretische Erklärung des Zustandekommens des Tauschwertes eines Gutes, die das klassische Wertparadoxon genannt wird. Dieses besagt, dass, sollte der Preis eines Produktes den tatsächlichen objektiven Nutzen widerspiegeln, es als Widerspruch angesehen werden kann, dass bspw. eine Maßeinheit Diamanten teurer ist als die gleiche Maßeinheit an Wasser. Ein Diamant hat (zumindest dieser Ansicht nach) einen niedrigen objektiven Nutzen, Wasser hingegen hat einen sehr hohen objektiven Nutzen. Die ökonomische Lösung des

16

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Problems stellt in der Neoklassik die Grenznutzentheorie von Gossen dar (van Suntum 2005, S. 35 ff.), auf die in Abschnitt 2.2 eingegangen werden soll. Trotz der Problematik der Trennung von Tausch- und Verwendungswert zeigt auch der Ansatz der objektivistischen ökonomischen Theorie, dass im Grunde eine Aufteilung des Nutzens erfolgte. Ist eine Trennung der Nutzendimensionen also notwendig? Hinsichtlich einer Kaufentscheidung scheint dies zunächst zuzutreffen. So muss eine (weitere) Dimension des Nutzens hinzugefügt werden. Und zwar, ob die Befriedigung eines Bedürfnisses für eine Kaufentscheidung nur vermutet, bzw. erwartet wird, oder tatsächlich eintritt. Demnach wird zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen, erfahrenen Produktnutzen unterschieden, also der Nutzenannahme über ein Produkt, dem eine Entscheidung folgt (decision utility), und dem Nutzen, der aus einer Erfahrung mit einem Produkt wahrgenommen wird (experienced utility, übersetzt mit Erfahrungsnutzen), wie Kahneman und Kollegen (1997) diesen unterscheiden (Read 2007). Der Erfahrungsnutzen kann wiederum in den Nutzen des Augenblickes (instant utility) und in den erinnerten Nutzen (remembered utility) unterteilt werden. Die Abbildung 6 zeigt eine Übersicht der zwei zentralen Bedeutungen des Nutzens nach Kahneman et al. (1997).

Utility

Experienced utility

Decision utility

Instant utility

Remembered utility

Abbildung 6: Nutzendimensionen nach Kahneman (Quelle: Kahneman et al. 1997)

Nicht immer stimmt der Beurteilungsnutzen (decision utility), der letztendlich eine Entscheidung herbeiführt mit dem tatsächlich erfahrenen Nutzen (experienced utilty) überein. Kahne-

Nutzenkonzepte im Marketing

17

man/Snell (1992) konnten bspw. in einer Studie zeigen, dass der gemessene erfahrene Nutzen und der ebenfalls gemessene prognostizierte Nutzen von Produkten nicht zusammenfielen. Die Versuchspersonen waren nicht in der Lage, die Veränderungen ihres Geschmackes (bei Musik und Joghurt) im Laufe der Zeit zu prognostizieren. Weitere Beispiele dazu sind u. a. bei Kahneman (1994) zu finden. Ein besonderes Augenmerk soll auf eine weitere Unterscheidung des Nutzens des Augenblicks (also losgelöst von der Betrachtung, ob eine Kaufentscheidung getroffen wird oder nicht) gerichtet werden, da so in dieser Weise im empirischen Teil in dieser Arbeit verwendet: Das Aufteilen des Nutzens des Augenblicks in den subjektiven und in den objektiven, bzw. tatsächlich objektiv messbaren Produktnutzen. Unter subjektivem Nutzen soll der Nutzen eines Produktes verstanden werden, der von KonsumentInnen bei der Nutzung als subjektiv erlebte Bedürfnisbefriedigung verstanden wird. Beispielsweise können nach einer Filmvorführung im Kino oder einer Weinverkostung die KonsumentInnen subjektiv einschätzen und angeben, wie sehr der Film oder der Wein ihnen gefallen oder geschmeckt hat. Die Einschätzungen hinsichtlich des erfahrenen Nutzens sind nicht objektiv messbar. Der objektive Produktnutzen soll folgend verstanden werden als objektiv messbarer oder beobachtbarer Produktnutzen, also eine objektiv messbare Veränderung des Zustandes des/der Benutzers/in eines Produktes im Hinblick der Bedürfnisbefriedigung. Im medizinischen Bereich lässt sich diese Trennung leicht erläutern. Ob und wie gut ein Medikament wirkt, kann bspw. nach der Einnahme eines Antidepressivums, das zu einer besseren Verfassung der PatientInnen führen soll, nur durch eine Befragung, also durch die subjektiven Angaben der behandelten Personen überprüft werden. Nach der Einnahme eines Schlafmittels kann dessen Wirkung durch das Beobachten des/der Patienten/in objektiv dokumentiert werden. Bisher wurde aufgezeigt, dass das Konstrukt des (Produkt-)Nutzens je nach Betrachtungshintergrund unterschiedliche Facetten aufweisen kann. Der Entscheidungsnutzen bildet dabei in der Wirtschaftswissenschaft einen Schwerpunkt als Forschungsgegenstand. Dagegen wird der Fokus der vorliegenden Arbeit auf den Nutzen des Augenblicks gelegt. Nachfolgend soll zunächst die Nutzenlehre von Wilhelm Vershofen (1878-1960), ein älteres Modell der Marketingtheorie, vorgestellt werden. Diese Klassifikation des Nutzens beinhaltet bereits die (in Abschnitt 2.1.2 beschriebenen) Produktdimensionen nach Kotler et al. (2007). Es zeigt, inwiefern unterschiedliche Bedürfnisbefriedigung durch Produkte erlangt werden können und demonstriert damit, „wie vielfältig die Dimensionen von Nutzenempfindungen“ (Feuerhake 1991, S. 49) bei der Nutzung eines Produktes sein können. Es handelt sich demnach um die Darstellung der deskriptiven Bedeutung von Vershofens Nutzenlehre.

18

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Der Aspekt der Klassifizierung von Motiven der Kaufentscheidungen (theoretische Bedeutung der Vershofen´schen Nutzenlehre) (Wiswede 1973, S 49 f.), welcher als Nürnberger Regel bekannt ist (Vershofen, 1959, S. 91 ff.), wird nur am Rande thematisiert, da die empirischen Studien dieser Arbeit nicht auf Kaufentscheidungssituationen abzielen, sondern zeigen, inwiefern der Produktnutzen nach dem Konsum des Produktes oder währenddessen beeinflusst wird. Die Nutzentheorie nach Vershofen gilt als Vorreiter der konsumtheoretischen und verhaltenswissenschaftlichen Prägung des Marketings (Herrmann et al. 2005). Sie enthält für die vorliegende Arbeit interessante Aspekte und soll aus diesem Grund vorgestellt werden. 2.1.4

Nutzenschema nach Vershofen und weitere Betrachtungen des Nutzens

2.1.4.1

Nutzenschema nach Vershofen

Aufbauend auf das Nutzenschema der Nürnberger Schule nach Wilhelm Vershofen (1950, S. 274 f., 1959, S. 86 ff.) werden Produkte nicht als Ganzes betrachtet, sondern entsprechen der Bewertung des Nutzens hinsichtlich einzelner Attribute, die der Bedürfnisbefriedigung dienen. Vershofen gilt als einer der ersten, der sich mit dem Bergriff des Nutzens in Bezug auf das Marketing auseinandersetzte (Balderjahn/Scholderer 2007, S. 24). Die auf ihn zurückgehende Einteilung des Produktnutzens (Nutzenleiter, Abbildung 7) differenziert den Nutzen in einen Grundnutzen und Zusatznutzen, der wiederum in den Erbauungsnutzen und Geltungsnutzen unterteilt ist (auch Bänsch 2002, S. 246 ff., Meffert et al. 2008, S. 399). Der Erbauungsnutzen unterteilt sich weiter in einen Nutzen aus Leistung und in einen Nutzen aus Wertung. Der Nutzen aus Wertung setzt sich wiederum aus einem ästhetischen und einem transzendenten Nutzen zusammen, wobei sich der zuletzt genannte Nutzen in einen ethischen und einen phantastischen Nutzen aufgliedert (S. 81 ff.) Vershofens Nutzentheorie, die als Abgrenzung zur neoklassischen Theorie und als Ansatz der Absatz- und Verbraucherforschung angesehen werden kann (Vershofen 1955), ist unter anderem anthropologisch begründet, da von den Erlebnissen der Menschen ausgegangen wird (Bierfelder 1979). Vershofens Nutzentheorie entwickelte sich aus der Kritik des seiner Ansicht nach zu eng gefassten Begriffs des oben dargelegten Gebrauchswerts der Neoklassik (Vershofen 1955), auf den in Abschnitt 2.2 nochmals eingegangen wird.

Nutzenkonzepte im Marketing

19

Ertrag (Nutzen)

stofflich-technischer A (Grundnutzen )

seelisch-geistiger B (Zusatznutzen)

a.d. sozialen Sphäre I (Geltungsnutzen )

aus Leistung 1 (Schaffungsfreude)

a.d. persönlichen Sphäre II (Erbauungsnutzen )

aus Wertung 2 (Zuversicht)

ästhetischer Art a (Harmonie)

ethischer Art a (Ordnung)

transzendenter Art b (Zurechtfindung ) phantastischer Art ß (Magie)

Abbildung 7: Nutzenleiter nach Vershofen (Quelle: Vershofen 1959, S. 89)

Der Grundnutzen bzw. die Bedürfnisbefriedigung eines Produktes ergibt sich nach Vershofen (1959) aus den technisch-funktionalen Basiseigenschaften. Darüber hinaus werden zwei weitere Dimensionen zur Beschreibung des Grundnutzens herangezogen, die an sich nicht mit dem stofflich-technischen Nutzen identisch sind. Diese sind zum einen „der Zweck oder Gebrauch, für den das Produkt vorgesehen ist“ und „die Rationalität des menschlichen Denkens“ (Feuerhake 1991, S. 44). Die darüber hinausgehenden Bedürfnisbefriedigungen aus den ästhetischen und sozialen Wirkungen des Produktes (Bänsch 2002, S. 246 ff., Meffert et al. 2008, S. 399), also der Zusatznutzen des Produktes, ergeben sich nach Vershofen aus der seelisch-geistigen Sphäre des/der Konsumenten/in, die das Gegenstück zu dem Nutzen des Produktes bildet, für welches das Produkt im eigentlichen Sinne vorgesehen war. Vershofens oft kritisierte (Feuerhake 1991, S. 47 ff., Scherhorn 1992a/b, Wiswede 1973, S. 51) Gegenüberstellung der stofflich-technischen und der seelisch-geistigen Eigenschaften birgt Schwierigkeiten in sich. Diese Differenzierung beinhaltet ursprünglich die Trennung zwischen materiellem (stofflich-technischem) und immateriellem (seelisch-geistigem) Nutzen und stellt somit eine Annäherung „des Subjekt-Objektverhältnisses zwischen Konsument und Produkt aus der produktspezifischen Richtung“ (Feuerhake 1991, S. 47) dar. Das bedeutet, dass diese Zuteilung des Nutzens den Produkteigenschaften (also dem Objekt) zugeschrieben wird und nicht aus der subjektiven Perspektive des Konsumentens/der Konsumentin gesehen wird. Aus der Perspektive des Konsumentens/der Konsumentin kann nicht davon ausgegangen werden, dass

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

solch eine Trennung der Erlebnisse der Bedürfnisbefriedigung vollzogen wird (Feuerhake 1991, S. 47, Moser 1963). Auch würden Dienstleistungen bzw. immaterielle Produkte, wie bspw. eine Radiosendung, nach Vershofen keinerlei Grundnutzen stiften (Wiswede 1973, S. 51), da kein (oder nur im begrenzten Maße) stofflich-technischer Nutzen vorhanden ist. Den Grundnutzen, so wie bei Vershofen „als Zweck oder Gebrauch, für den das Produkt vorgesehen ist“ mit der stofflich-technischen Ebene des Nutzens zu definieren, ist aus Konsumentensicht nicht trennscharf. Ein anderer Kritikpunkt an der Nutzenlehre Vershofens ist die Attribuierung des Grundnutzens mit der Rationalität sowie die des Zusatznutzens mit der Emotionalität. Soll der Grundnutzen nach Vershofen durch Kognition (Rationalität) gekennzeichnet sein, kann als Gegenstück der Zusatznutzen zur affektiven (geistigen) Ebene gezählt werden (Feuerhake 1991, S. 48, Moser 1963). Auch diese Gegenüberstellung ist mit Problemen behaftet. Betrachtet man die heute vor allem im Konsumgüterbereich anzutreffenden Käufermärkte, differenzieren sich die Produkte hinsichtlich ihrer stofflich-technischen, damit funktionalen Qualität immer weniger (Esch et al. 2005). Dementsprechend ist anzunehmen, dass gerade der so genannte Zusatznutzen eines Produktes entscheidungsrelevant und, wie hier gezeigt wird, auch nutzenrelevant ist. Der Zusatznutzen ist demnach ebenfalls über eine „rationale Überlegung“ zugänglich, so wie Vershofen (1979) es nur dem Grundnutzen zuschreibt. An der Kritik des Nutzenschemas soll deutlich gemacht werden, dass unterschiedliche Produktattribute diverse Dimensionen von Nutzenempfindungen stiften, diese jedoch aus Konsumentensicht nicht dem materiellen/immateriellen Teil des Produktes, aber auch nicht den rationalen/emotionalen Empfindungen der KonsumentInnen zugeschrieben werden können. Der Produktnutzen stellt, wie bereits die in Abschnitt 2.1.2 dargestellten Produktdimensionen nach Kotler et al. (2007) und die Definitionen des Produktnutzens nach Balderjahn/Scholderer (2007) (Abschnitt 2.1.3) deutlich machen, die erwartete und, wie in der vorliegenden empirischen Studie gezeigt werden kann, die tatsächliche Nutzenbefriedigung in einer bestimmten Situation dar. Diese ist durch die situationale oder gewünschte Problemlösung durch das Produkt aus Konsumentensicht geprägt. Abstrahiert man von den Zuordnungsschwierigkeiten der Nutzengewinnung zu Grund- und Zusatznutzen, be-inhaltet die Aufzählung der unterschiedlichen Nutzenbetrachtungen von Vershofen einen Aspekt, der hier aufgegriffen werden soll. Dabei handelt es sich um die Nutzengewinnung aus der Wertung der persönlichen Sphäre des Verbrauchers (Nr. 2 und b in Abbildung 7): Nach Vershofen (1959) haben Menschen das Bedürfnis, sich in der Welt zurechtzufinden. Dieses Zurechtfinden umfasst nach Vershofen auch das Begreifen und (Be-)Werten von Objekten und wird deshalb als Nutzen erlebt, also umfasst es den Ertrag/den Nutzen, den man aus einer (Be-)Wertung zieht (S. 88 f.). Eine solche Bewertung eines Objektes (Produktes) beinhaltet im Grunde die Erwartungen an ein Produkt, die sich aus dessen Beurteilung ergeben. Wie im empirischen Teil vorliegender Ar-

Nutzenkonzepte im Marketing

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beit gezeigt wird, kann aus der Erwartung an die Produktqualität, die nach Vershofen in der persönlichen Sphäre des Verbrauchers einzuordnen ist, durch den Markennamen des Produktes ein Nutzen erzeugt werden. Die Nutzenleiter beinhaltet somit den Grundgedanken dieser Arbeit, dass sich aus Erwartungen an Produkte ein Nutzen ergeben kann. Dennoch kann eine Trennung vom stofflich-technischen und dem seelisch-geistigen Nutzen eines Produktes, wie Vershofen sie zieht, nicht bestätigt werden. Im empirischen Teil vorliegender Arbeit kann weiter gezeigt werden, dass der aus den Erwartungen generierte Nutzen den Zweck und Gebrauch, für den das Produkt vorgesehen ist, und damit per definitionem den stofflichtechnischen Nutzen beeinflusst, obwohl dieser Nutzen nach Vershofen dem seelisch-geistigen Nutzen zugeordnet werden müsste. Auch weist Wiswede (1973) darauf hin, dass der Nutzen, der aus dem Konsum eines Produktes gezogen werden kann, vom erwarteten Nutzen, aus der sich die Motivation für eine Kaufentscheidung ergibt, nicht übereinstimmend ist, wie bereits im vorhergehendem Abschnitt diskutiert wurde. Demnach hat für ihn die Nutzenlehre Vershofens bestenfalls eine deskriptive Bedeutung, mit deren Hilfe „alle (oder die bedeutsamsten) Arten (Formen) von Nutzungen beschrieben werden, die beim Kauf [oder bei der Nutzung, Anm. d. Verf.] von Konsumgütern auftreten“ (S. 50). Angemerkt sei hier, dass die nutzenorientierte versus die produktorientierte Perspektive sich auch in der markt- bzw. marketingorientierten Unternehmensplanung widerspiegelt. Diese findet sich als zentrales Element des heutigen Marketings in der sogenannten BenefitMarktsegmentierung, also der Segmentierung des Marktes nach Nutzenerwartungen an das Produkt (Kotler et al. 2007, S. 473). Produkte werden nicht als materielle Güter, sondern als Lösung für bestimmte Probleme, oder besser Bedürfnisbefriedigungen, verkauft (S. 32 f.), woraus sich dementsprechend die Aufteilung der entsprechenden Kundensegmente ergibt. 2.1.4.2

Weitere Nutzenkonzepte

Eine Weiterführung des Gedankenganges von Vershofen stellt die Darstellung des Grundund Zusatznutzens nach Bänsch (2002, S. 229 ff.) dar (Abbildung 8). Als Grundnutzen wird die Bedürfnisbefriedigung, die aus den physikalisch-technischen Eigenschaften des Produktes resultiert, angesehen. Der Zusatznutzen eines Produktes ergibt sich nach Bänsch (2002) aus dem Erbauungsnutzen (Bedürfnisbefriedigung durch ästhetische Eigenschaften) und dem Geltungsnutzen (Bedürfnisbefriedigung aus sozialen Eigenschaften). Die Aufaddierung des Grund- und Zusatznutzens ergibt im Ergebnis den gesamten Produktnutzen. Abbildung 8 veranschaulicht die Nutzenbetrachtungen nach Bänsch (2002) und stellt dabei die Eigenschaften des Produktes den jeweiligen Nutzenkomponenten gegenüber.

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Abbildung 8: Produktnutzen nach Bänsch (Quelle: Bänsch 2002, in Anlehnung an Meffert et al. 2008, S. 399)

In Bereichen der Literatur zum Strategiemanagement spielt die Betrachtung des Nutzens ebenfalls eine fundamentale Rolle. Der Wert, der sich aus Sicht des Konsumentens/der Konsumentin für ein Produkt ergibt, wird in den Netto- und Bruttonutzen zerlegt, bzw. als Differenz zwischen dem Nutzen, den ein Produkt mit sich bringt und dem dafür gezahlten Preis betrachtet (z. B. Besanko et al. 2007, S. 384, Plinke 2000, Renker 2005). Der Nettonutzen fußt demzufolge auf dem von den KonsumentInnen wahrgenommenen Kosten-NutzenVerhältnis eines angebotenen Produktes im Vergleich zu alternativen Angeboten der Konkurrenz. Ob sich ein Produkt für KonsumentInnen als Nutzenzuwachs durch den Erwerb dieses Produktes darstellt, wird anhand der Nutzenkomponenten des Produktes abzüglich des monetären Aufwandes (und nicht-monetären Aufwandes, wie Transaktionskosten etc.) (vgl. auch Meffert et al. 2008, S. 16, Zeithaml 1988) beurteilt. Diese Zerlegung des Nutzens beinhaltet die Annahme, dass der Preis und der Nutzen eines Produktes unabhängig voneinander sind.

Nutzenkonzepte im Marketing

Nettonutzen

Monetärer Aufwand (Preis, Transaktionskosten, etc.), Andere Aufwandsformen (Zeitaufwand, etc.)

Bruttonutzen

Produktnutzen (Nutzen aus produktbegleitenden Dienstleistungen, durch Mitarbeiter, durch Image, etc.)

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Abbildung 9: Komponenten des Produktnutzens (in Anlehnung an Plinke 2000, S. 80, Backhaus/Schneider 2007, S. 30, Zeithaml 1988)

Das Konzept des Nutzens steht, wie verdeutlicht wurde, im Mittelpunkt von ökonomischen Prozessen. Die Marketingliteratur interpretiert das Nutzenkonzept jedoch auf unterschiedliche Weise (Vargo/Lusch 2004). Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt dabei nicht auf dem Entscheidungsverhalten der Nachfrager im Bezug auf deren wahrgenommen Nutzen von Produkten, sondern auf der Nutzenbeeinflussung durch Marketing-Maßnahmen im tatsächlichen Nutzungsprozess von Produkten. Nachfolgend soll darlegt werden, warum die Betrachtung, dass die eigentliche Nutzenentstehung eines Produktes erst im tatsächlichen Nutzungsprozess entsteht, hier als wesentlich angesehen wird. Weiter wird anhand der Placebo-Studie von Shiv et al. (2005a) verdeutlicht, inwiefern durch die subjektive Wahrnehmung von KonsumentInnen der Nutzen von Produkten beeinflusst sein kann. Durch die Erwartung an den Nutzen eines Produktes/einer Produkteigenschaft verändert sich der tatsächliche Nutzen eines Produktes. 2.1.5

Wahrnehmung des Nutzens oder Nutzen durch Wahrnehmung?

Im Folgenden wird die Nutzung eines Produktes im engeren Sinne betrachtet. Es wird aufgezeigt, in welcher Phase des Kauf- und Nachkaufprozesses die Erwartung an einzelne Produktattribute eines/r Konsumenten/in eine entscheidende Rolle für das Ergebnis (dem Nutzen) im Sinne der Bedürfnisbefriedigung durch den Gebrauch bzw. die Verwendung eines Produktes

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

haben kann. Hierfür wird zunächst dargestellt, welcher Phase eines Kaufprozesses die Nutzung (der Gebrauch) zugeordnet wird. Der tatsächliche Wert (Nutzen) von Produkten ergibt sich für den/die Konsumenten/in mit dem Gebrauch dieser und kann, wie erläutert werden wird, von Eigenschaften des Produktes und der subjektiven Einschätzung dieser Eigenschaften von Seiten der KonsumentInnen abhängig sein. Diese Betrachtungsweise korrespondiert mit einzelnen Aspekten der Service-Dominant-Logic von Vargo/Lusch (2004/2008), was nachfolgend dargestellt wird. Der Konsument wird hier als Ko-Produzent der entstandenen Werte angesehen (auch Prahalad 2004, Prahalad/Ramaswamy 2004). Wie bereits in Kapitel 2.1.1 erwähnt, basiert das Marketing so nicht auf dem Austausch von Produkten, denen ein Wert zugeschrieben wird, sondern auf den Werten, die gemeinsam von Unternehmen und KonsumentInnen geschaffen werden. 2.1.5.1

Nutzengenerierung im (Nach-) Kaufprozess

Es ist anzunehmen, dass, in der Sprache von Vershofen, ein Grund- oder Zusatznutzen bestimmter Güter die Wirksamkeit dieser Güter darstellt. So kann bspw. der Nutzen eines Energy-Drinks in dessen erwarteter, bzw. dessen tatsächlich leistungssteigernder Wirkung liegen, oder der Nutzen von Informationen in der erwarteten (tatsächlichen) Wirkung hinsichtlich des Wissenszuwachses oder der erwarteten (tatsächlichen) Verhaltensänderung nach Gebrauch der Informationen. So erwarten KonsumentInnen vermutlich vom Gebrauch eines Management-Lehrbuchs (vorausgesetzt, das Buch wird zum Zwecke der Wissensaneignung und nicht zu Dekorationszwecken verwendet!) einen Wissenszuwachs, mit dessen Hilfe sie bessere Entscheidungen im Management treffen können. Auch wird nach der Einnahme von Kopfschmerztabletten erwartet, dass die Schmerzen gelindert werden und die Tabletten damit wirken. Voraussetzung für die entstehende Wirkung der oben beispielhaft aufgeführten Produkte ist der Konsum dieser, sei es in Form von Konsum im engeren Sinne (z. B. in Form von Essen oder Trinken) oder in Form vom Gebrauch dieser Produkte (z. B. das Fahren eines Automobils, das Tragen eines Kleidungsstücks oder das Lesen eines Buches). Eine Einordnung der Nutzenentstehung in den Kaufprozess ist in Abbildung 10 dargestellt.

Nutzenkonzepte im Marketing

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Kaufprozesse

Kaufanlässe und Entstehung von Bedarf

Kaufentscheidungsprozesse

Nachkaufprozesse

Kaufabsichten und Einkaufsverhalten

Transport

Lagerung

Nutzung (im engeren Sinne)

Entsorgung

Abbildung 10: Nutzenentstehung im Kauf- und Nachkaufprozess (Kaufprozess in Anlehnung an Kuß/Tomczak 2007, S. 14)

In der Unterscheidung von Mengen (1993, S. 29 ff.) nach Sachleistungen und Auftragsleistungen bzw. Dienstleistungen findet man diesen Denkansatz bereits wieder. Er unterscheidet dabei beim Hersteller einer Sachleistung vier abgrenzbare Phasen: Zum einen die Potentialphase, in der das Gut einem Nachfrager bereits vor der Herstellung angeboten werden kann, die Prozessphase, damit die eigentliche Herstellung des Gutes, welche beim materiellen Sachgut ohne das Mitwirken des/der Konsumenten/in vonstatten geht, die Ergebnisphase, welche das Ergebnis als materiell, also tangibel darstellt und die Nutzungsphase. Hier betont Mengen (1993) bereits, dass „ein Sachleister immer ein immaterielles Gut, nämlich Nutzenstiftung“ produziert und dass das Ergebnis des Herstellungsprozesses, also das physische Produkt, „stets die Quelle der Nutzenstiftung für die Nachfrager darstellt“ (S. 29, Hervorh. i. O.). Aus der Perspektive, dass nicht der Erwerb des Produktes, sondern die Nutzung erst zum gewünschten Ergebnis führt, lässt sich der Konsument als Ko-Produzent des entstehenden Leistungsergebnisses betrachten. Der Konsument ist bei der Wirkungsentstehung, also bei der tatsächlichen Bedürfnisbefriedigung durch das Produkt maßgeblich beteiligt. Eine aktuelle weiterführende Betrachtungsweise ist in der Service-Dominant-Logic (SDL) von Vargo/Lusch (2004, 2008) wiederzufinden. Vargo/Lusch verzichten, wie auch in dieser Arbeit durch die dargestellte Definition des Produktes geschehen, auf die Trennung von Dienst- und Sachleistungen. Mit ihrem mittlerweile zahlreich zitierten Ansatz der SDL (2004) plädieren die Autoren für einen Paradigmenwechsel des gesamten Marketings. Sie entfernen sich in der SDL von der güterzentrierten Sichtweise hin zur servicezentrierten Sichtweise und stellen dabei 10 fundamentale Annahmen auf, die nachfolgend in Tabelle 1 dargestellt sind. Die SDL kann als einheitliche Denkweise der Zielsetzung und Natur von Organisationen, Märkten und der Gesellschaft angesehen werden. Nach Vargo/Lusch (2004) sind alle Unternehmen „Service-Unternehmen“, der Fokus aller Märkte liegt auf dem Austausch von „service“ und die Gesellschaft sowie die gesamte Wirtschaft basiert ebenfalls auf „service“. In nachfolgender Tabelle 1 sind aus Vollständigkeitsgründen alle überarbeiteten Annahmen der SDL nach Vargo/Lusch (2007) im Überblick aufgelistet. Die fettgedruckten Wörter signa-

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

lisieren, dass dort im Vergleich zu früheren Ausführungen zur SDL (Vargo/Lusch 2004) inhaltliche Veränderungen vorgenommen wurden. Vorliegend werden nur die Annahmen der SDL vorgestellt, die für den hier vorliegenden Kontext für besonderes relevant erachtet werden. Tabelle 1: Überarbeitete fundamentale Annahmen (foundational premises [FP]) der SDL (Vargo/Lusch 2007, S. 7, Hervorh. i. O.)

FP1

Service is the fundamental basis of exchange

FP2

Indirect exchange masks the fundamental basis of exchange

FP3

Goods are a distribution mechanism for service provision

FP4

Operant resources are the fundamental sources of competitive advantage

FP5

All economies are service economies

FP6

The customer is always the co-creator of value

FP7

The enterprises cannot deliver value, but only offer value propositions

FP8

A service-centered view is inherently customer orientated and relational

FP9

All social and economic actors are resource integrators

FP10

Value is always uniquely and phenomenologically determined by the beneficiary

Vargo/Lusch (2004) sehen die Basis des Austauschprozesses des Marktes im „service“ (FP1), den sie als „a process of doing something for another party“ (FP2) (Vargo/Lusch 2008, S. 255, Hervorh. i. O.) definieren. Den ausgetauschten Produkten kommt nach wie vor eine bedeutende Rolle zu, diese wird aber als (Teil-)Aufgabe für den Austausch angesehen, die Leistung zum/r Konsumenten/in zu transportieren (FP3). Sie unterscheiden operande von operanten Ressourcen. Operande Ressourcen können eher als die physischen, tangiblen Bestandteile des Produktes angesehen werden, die dem Produkt im Produktionsprozess zugeführt werden (Michel et al. 2008). Der Gebrauch von operanten Ressourcen, welche als Wissen und Fähigkeiten beschrieben werden, stellt nach Vargo/Lusch (2008) die eigentliche Quelle der Wettbewerbsvorteile der Unternehmen dar (FP5). Diese operanten Ressourcen befinden sich sowohl auf Anbieter- als auch auf Konsumentenseite, weshalb (auch) der Konsument immer ein Ko-Produzent des Nutzens ist (FP6). Vor allem der Aspekt des/r Konsumenten/in als Ko-Produzent/in des Nutzens wird hier übertragen. Wie bereits erläutert, soll die SDL nach Vargo/Lusch (2004, 2008) für alle Unterneh-

Nutzenkonzepte im Marketing

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men und Produkte gelten. Demnach ist ein Konsument auch bei der Nutzung von Verbrauchsgütern (wie bspw. Lebensmitteln) ein Ko-Produzent von Nutzen (Xie et al. 2008). Nach Prahalad (2004) stellt in diesem Fall das ko-produzierte Erlebnis den ko-produzierten Nutzen dar. Das physikalische Produkt selbst kann dabei als Artefakt angesehen werden, beziehungsweise als Mittel zum Zweck, das Erlebnis subjektiv zu erfahren. Das Erlebnis des Gebrauchs des Produktes ist dabei der ko-produzierte Nutzen. Im nächsten Abschnitt wird anhand der bereits erwähnten, im Jahr 2005 im Journal of Marketing Research veröffentlichten Studie von Shiv et al. (2005a) erläutert, wie die Wahrnehmung einer der Marketingmaßnahmen, nämlich die Preisgebung des Produktes (ein EnergieGetränk), die Effektivität, also den Nutzen für KonsumentInnen verändern kann. Die Betrachtung des hier entstandenen Nutzens entspricht den Vorstellungen der SDL. Das tangible Gut (das Energie-Getränk mitsamt seinen Produkteigenschaften) wird als Überbringermedium des „service“ (hier einer Leistungssteigerung) gesehen. Das Produkt als solches stiftet für die (Be-)Nutzer je nach Wahrnehmung bestimmter Eigenschaften einen individuellen Nutzen. Durch die Wahrnehmung der KonsumentInnen der Produkteigenschaften (auch Informationen über das Produkt) verändert sich das Verhalten und dementsprechend der Nutzen (die Effektivität) des Produktes, im Sinne der Wirkung. Die Wahrnehmung des/r Konsumenten/in als Ko-Produzent/in des Nutzens ist dementsprechend ausschlaggebend für den Nutzen des Produktes. 2.1.5.2

Nutzenbeeinflussung durch Wahrnehmung

Mit der tatsächlichen Wirkung, also der aktuellen Effektivität von Produkten nach deren Konsum, beschäftigen sich die amerikanischen Forscher Shiv, Carmon und Ariely (2005a). Diese Wirkung wird nachfolgend mit dem im Abschnitt 2.1.3 definierten objektiven, messbaren Produktnutzen gleichgesetzt. In ihrer Arbeit zeigen die Autoren, dass die tatsächliche Wirkung eines Produktes unter anderem durch die Erwartung an das Attribut Preis beeinflusst sein kann. Die Erwartungen an das Produkt waren derart an die Marketing-Entscheidung der Preisgebung gekoppelt, dass der sich daraus ergebende Nutzen (die Wirkung) des Produktes mit dem Preis variierte. Shiv et al. (2005a) konnten in ihrer Studie unter anderem darlegen, dass der für ein Getränk gezahlte Preis sich nicht nur auf den wahrgenommenen Produktnutzen der KonsumentInnen niederschlägt, sondern auch auf die tatsächlich messbare Wirkung des Produktes. Da dem Preis eines Produktes an und für sich keine leistungssteigernde Wirkung zugesprochen werden kann, dieser aber einen Effekt auf die Wirkung des Produktes hatte, vergleichen die Forscher den hier auftretenden (Verhaltens-)Effekt mit dem in der Medizin bekannten PlaceboEffekt, der im nachfolgenden Kapitel genauer erläutert wird.

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

In einem experimentellen Untersuchungsdesign sollten Versuchspersonen einen koffeinhaltigen Energy-Drink, der 92 % der TeilnehmerInnen bekannt war, bezahlen und sodann zu sich nehmen. Die Hälfte der ProbandInnen erhielt die Information, dass das Getränk zu einem Discountpreis von 0.89 $ eingekauft wurde und dass ihr Konto deshalb auch mit dieser Summe belastet werden würde, obwohl der Preis des Getränkes regulär 1.89 $ betrug. Dem anderen Teil der Gruppe wurde mitgeteilt, dass der normal übliche Preis (1.89 $) für das Getränk bezahlt werden müsse und dieser Betrag von ihrem Konto abgebucht werden würde. Anschließend wurden alle TeilnehmerInnen aufgefordert, spezielle Wort-Puzzles in einer bestimmten Zeit zu lösen. Auf diese Weise wurde die Wirkung des Energy-Drinks in Form von Veränderung der geistigen Leistungsfähigkeit messbar gemacht. Anhand der Anzahl der richtig gelösten Puzzles ergab sich im Ergebnis, dass der kommunizierte Discountpreis als Produktattribut in der einen Gruppe ein signifikant schlechteres Leistungsergebnis bewirkte, als in der anderen Gruppe, welcher der reguläre Preis kommuniziert wurde. Die Autoren konnten somit u. a. nachweisen, dass ein Produktattribut, in diesem Fall der Faktor Preis, die Wirkung und damit den Nutzen eines Produktes beeinflussen kann. Der Preis, hier das Placebo, hat in sich keine Fähigkeit, einen Effekt in Form von Veränderung der Leistungsfähigkeit zu bewirken, dennoch wurde eine signifikante Wirkung des Preises auf die Leistungsfähigkeit der ProbandInnen (hier als Placebo-Effekt bezeichnet) festgestellt. Die intersubjektive Wahrnehmung eines Produktattributs der ProbandInnen war demnach für die objektive Wirkung maßgebend. Dass bestimmte Faktoren, wie bspw. der Preis oder die Marke eines Produktes, die subjektive Qualitätswahrnehmung von KonsumentInnen bezüglich dieses Produktes beeinflussen, ist seit längerem bekannt (z. B. Allison/Uhl 1964, Brucks et al. 2000, Doughtery/Shanteau 1999, Jacoby et al. 1971, Levin/Gaeth 1988, McClure et al. 2004, Monroe/Krishnan 1985, Stokes 1985). So kamen Allison und Uhl bereits 1964 zu dem Ergebnis, dass Kenntnisse über Biermarken die Geschmacksbeurteilung der KonsumentInnen signifikant beeinflusst. Die regelmäßigen Nutzer einer bestimmen Biermarke bewerteten im Blindtest die „eigene“ Marke schlechter als bei der offenen Darlegung der Marke. Offensichtlich konnten die KonsumentInnen die Geschmäcker der Biere im Blindtest nicht voneinander unterscheiden. Als die Markenbezeichnungen hingegen offen dargelegt wurden, war die Differenzierung der Produkte durch die Empfänglichkeit von Marketingmaßnahmen entscheidender als das physische Produkt an sich (Allison/Uhl 1964). McClure et al. (2004) konnten in einer (Neuromarketing-) Studie zum einen zeigen, dass der Markenname Coca-Cola im Vergleich zu Pepsi-Cola zum einen mehr Gehirnaktivitäten auslöst, zum anderen (ähnlich wie bei Allison/Uhl 1964), dass sich der Markenname positiv auf den subjektiven Geschmack eines Getränkes im Blindtest auswirkt. Entsteht, wie in Abschnitt 2.1.5.1 erläutert, der Nutzen eines Produktes vor allem bei der Verwendung des Produktes, wie in der Studie von Shiv et al. (2005a) beobachtet, kann die

Nutzenkonzepte im Marketing

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Wahrnehmung der Produktattribute ausschlaggebend für den individuellen, subjektiven und objektiven Nutzen der KonsumentInnen sein, der hier durch die aktuelle Effektivität eines Produktes dargestellt ist. Die Wahrnehmung der Realität, hier des Preises eines Produktes, nahm Einfluss auf die Erwartung an das Produkt und konnte somit durch den Placebo-Effekt und die damit verbundene Veränderung in die psychologischen und/oder physischen Prozesse der Realität eingreifen. So wurde der Nutzen durch die Wahrnehmung des Preises als Qualitätsindikator beeinflusst. Die vorliegende Arbeit liefert eine erweiterte Replikation der Studie von Shiv und Kollegen (2005a) und zeigt auf, inwiefern die Wahrnehmung von KonsumentInnen weiterer Produktattribute einen Effekt auf die messbare Wirkung von Produkten im Sinne eines Placebo-Effekts haben kann. Sie liefert damit eine theoretische Erweiterung dafür, welche weiteren Marketing-Maßnahmen den Nutzen von Produkten beeinflussen können. Diese Interaktion der Wahrnehmung eines Individuums von Produkteigenschaften mit dem Nutzen von verwendeten Produkten spiegelt die Grundidee der Ko-Produktion des entstehenden Nutzens, im Sinne der Ko-Produktion von Erfahrung (Prahalad 2004) der SDL von Vargo/Lusch (2004, 2008) wider. Bevor auf die grundlegenden Erläuterungen zum Placebo-Effekt mitsamt dessen theoretischen Entstehungsmöglichkeiten eingegangen wird, soll zunächst ein Exkurs zum Nutzenkonzept der neoklassischen Haushaltstheorie erfolgen. Dies geschieht mit dem Ziel, zu zeigen, dass die restriktiven Annahmen (des noch immer an deutschen Universitäten gelehrten Modells Neumann 2002, Söllner 2001, S. 50) der neoklassischen Haushaltstheorie nicht mit den Erkenntnissen der Placebo-Forschung nach Shiv et al. (2005a), also einem in der Realität beobachteten Phänomen, übereinstimmen können: Das Ergebnis der Studie zeigt, dass der Preis den Nutzen eines Produktes beeinflussen kann. Die KonsumentInnen, die weniger für das Energie-Getränk bezahlten, erlangten einen geringeren Nutzen durch das Konsumieren des Produktes, als diejenigen, die das gleiche Produkt konsumierten, aber mehr dafür bezahlten. Der Nutzen des Produktes kann demgemäß intrasubjektiv variieren, je nachdem welcher Preis gezahlt wurde. In der neoklassischen Haushaltstheorie wird hingegen im Partialmodell vorausgesetzt, dass „der Preis eines Gutes die [...] marginale Zahlungsbereitschaft für eine zusätzliche Einheit dar[stellt], und zwar jener Personen, die das Gut nachfragen“ (Varian 2007, S. 317). Durch die theoretisch abgebildeten Zahlungsbereitschaften eines/r Konsumenten/in lässt sich in Form von Indifferenzkurven (auch Isonutzenkurven genannt) die individuelle Nachfragekurve bilden. Die Aufsummierung der individuellen Nachfragekurven (Aggregation) bildet die Gesamtnachfragekurve (Varain 2007, S. 315 ff.), welche zusammen mit der Angebotskurve unter Ceteris-Paribus-Annahmen den Marktpreis bestimmt (Feess-Dörr 1995, S. 68 ff.). Wie im folgenden Abschnitt noch genauer erläutert wird, implizieren diese Aussagen zum einen, dass der Nutzen eines Produktes den Preis determiniert, zum anderen, dass

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

der Nutzen von Gütern für eine/n Konsumenten/in immanent sein muss. Das heißt, dass eine intrasubjektive Nutzenwahrnehmung in der neoklassischen Theorie nicht abbildbar ist. In der zusammenfassenden Diskussion (Abschnitt 2.3) werden die zuvor dargelegten Nutzenkonzepte (Abschnitt 2.1.4) ebenfalls den Ergebnissen der Placebo-Forschung von Shiv et al. (2005a) gegenübergestellt und diskutiert. Nach der Darlegung der Grundlagen zu Placebo-Effekten dient das sich daran anschließende Kapitel dazu, einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand zu Placebo-Effekten im Marketing-Kontext zu geben. Darauf aufbauend werden in Kapitel 5 aus der Theorie die Hypothesen für den dann nachfolgenden empirischen Teil der Arbeit formuliert.

2.2

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

Eine Annahme der Konsumentenverhaltensforschung ist, dass Kaufentscheidungen nicht rational nach dem Maximierungsprinzip getroffen werden, sondern nach der subjektiven (häufig spontanen) Auswahl und Einschätzung der besten Alternative. Eine Entscheidung auf der Basis einer Nutzenmaximierung wird als unrealistisch angesehen. Nachfolgend soll als Exkurs dieser Arbeit das Nutzenkonzept der Neoklassik kurz beschrieben und kommentiert sowie vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Placebo-Effektes des Preises (Shiv et al. 2005a) diskutiert werden. 2.2.1

Nutzenfunktion und Präferenzen in der neoklassischen Haushaltstheorie

„In der Sprache der Volkswirtschaft bezieht sich das Konzept des Nutzens auf den numerischen Wert der von einem Konsumenten mit einem Warenkorb erzielten Befriedigung.“ (Pindyck/Rubinfeld 2005, S. 117, Hervorh. i. O.). Das soll heißen, dass der Nutzen in der neoklassischen, mikroökonomischen Betrachtung als Möglichkeit angesehen wird, Präferenzen von KonsumentInnen zu beschreiben (Varian 2007, S. 63). Der Nutzen wiederum ist durch Mengen bestimmt (Kaas 1987). Die Neoklassik, als ein Paradigma der Volkswirtschaftslehre, baut unter anderem auf die Konzepte des „methodologischen Individualismus“ und der Idee des Marktgleichgewichts auf. Die Kernidee des Konzepts des „methodologischen Individualismus“ ist, dass die Erklärung ökonomischer, aber auch sozialer und politischer Phänomene nur unter Rückbeziehung des individuellen Verhaltens von Individuen erfolgt (Berlemann 2005, S. 278, Biesecker/Kesting 2003, S. 88). Somit wird die Preisbildung auf Märkten ebenfalls auf die subjektive Einschätzung des Nutzens von Güterbündeln in Form von Präferenzen zurückgeführt, bzw. auf die „daraus folgende rationale Wahlhandlung“ (Büttner 2007), dies also mit der Voraussetzung des rationalen Handelns des Individuums. Das Nutzenkonzept stellt hier ein theoretisches Konstrukt dar und wurde in ein System von Verhaltensaxiomen integriert, um Prognosen über das Verhalten der Marktteilnehmer machen zu können (Balder-

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

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jahn/Scholderer 2007, S. 23). Eine grundlegende Annahme der neoklassischen Theorien ist das Agieren des Menschens als Homo oeconomicus. Der Homo oeconomicus handelt rational, nur nach eigenem Interesse, und ist bestrebt, seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Zudem verfügt er über vollständige Informationen der Märkte und der Güter. Er besitzt vollständige Markttransparenz, was ihm ermöglicht, seinen Nutzen zu maximieren (Biesecker/Kesting 2003, 125 ff.). Die ursprüngliche Idee, den Nutzen der Individuen bzw. der Haushalte messen zu wollen, entstammt dem Streben der Theoretiker Gossen (1810-1858), Jevons (1835-1882) sowie Menger (1840-1921) und Walras (1843-1910). Diese waren bemüht, den Nutzen messbar zu machen, um, analog zur Gewinnmaximierung der Theorie der Unternehmung, eine Nutzenmaximierung errechnen, bzw. analog zur Bestimmung des Gewinns, Nutzen messen zu können (Biesecker/Kesting 2003, S. 87 ff., Böventer et al. 1997, S. 12 f.). Die neoklassische Nutzenlehre geht größtenteils auf die Grenznutzenlehre Gossens von 1854 und seine entwickelten Gossenschen Gesetze zurück, die bis heute in der neoklassischen Haushaltsanalyse als Grundlage verwendet werden. Das erste Gossensche Gesetz, auch als „Sättigungsgesetz“ bezeichnet, formuliert das Prinzip des sinkenden Grenznutzens folgendermaßen: „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt.“ (Gossen 1967, Nachdruck von 1854, S. 4 f.) Es besagt also, dass der Genuss eines Gutes und damit der (marginale) Nutzen der zuletzt konsumierten Einheit bei fortwährendem Konsum desselben Gutes abnimmt (sinkender Grenznutzen). In Abbildung 11 ist links der Nutzen (U) des Gutes in Abhängigkeit der konsumierten Menge grafisch und mathematisch abgebildet (Nutzenfunktion). Es sei U = U(x) die mathematische Gleichung der Nutzenfunktion.

32

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Nutzen U

Grenznutzen U´

U



U´ = U´(x1 )

U = U(x1)

Menge von Gut x1

Menge von Gut x1

Abbildung 11: Abbildung des Nutzens und des Grenznutzens/erstes Gossensches Gesetz (Quelle: Büttner 2005, Biesecker/Kesting 2003, S. 90 f.)

Rechts im Bild ist analog der abnehmende Grenznutzen (U´ = U´(x)) grafisch abgebildet, also die erste Ableitung der Nutzenfunktion. Anders ausgedrückt, besagt das Gesetz, dass mit zunehmendem Konsum eines Gutes der Nutzenzuwachs pro Mengeneinheit immer geringer wird. Das zweite Gossensche Gesetz, auch „Genussausgleichsgesetz“ genannt, besagt, dass das ökonomisch handelnde Individuum beim Konsum mehrerer Güter diese so verteilt, dass sich die jeweiligen Grenznutzen ausgleichen. Anders ausgedrückt heißt das, dass für den rational handelnden Menschen der Nutzen einer bestimmten Güterkombination dann am größten ist, wenn der Nutzen einer zusätzlichen Einheit eines der Güter genauso groß ist, wie der Nutzen einer zusätzlichen Einheit des anderen Gutes (Biesecker/Kesting 2003, S. 91): „Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehren [sic] Genüssen freisteht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten, muß, wie verschieden auch die absolute Größe dieser Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor er auch nur den größten sich vollaus bereitet, sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältniß, daß die Größe eines Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt.“ (Gossen 1967, Nachdruck von 1854, S. 12, Hervorh. i. O.) In der älteren Nutzentheorie wurde zunächst nur die Veränderung des Ausmaßes der Bedürfnisbefriedigung, bzw. die Veränderung des Nutzens im Hinblick auf den Verzicht von einer

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

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Einheit von nur einem Gut betrachtet. Da mit absoluten Größen operiert wird, spricht man auch von einer kardinalen Nutzenfunktion. Daraus ließe sich ableiten, dass die Preise die unmittelbare Nützlichkeit von Gütern anzeigen. Die hier beinhaltete Aussage spiegelt das bereits in Abschnitt 2.1.3 erwähnte Wertparadoxon wider. Der daraus entstandenen Kritik schafft Pareto (1848-1923) Abhilfe, in dem er eine ordinale Nutzenstruktur einführt. Güter können demnach nur noch in eine (Nutzen-) Rangfolge gebracht werden, die Differenz des Nutzens kann nicht mehr berechnet werden (Biesecker/Kersting 2003, S. 91, Böventer et al. 1997, S. 13 f.). Der Nutzen, der den subjektiven Wert eines Gutes für den Menschen bestimmt, bildet demnach die Basis für die Nutzenmaximierung. Mit Hilfe der Gesetze von Gossen lassen sich auf Indifferenzkurven Präferenzen von Güterpaaren in Form von Gütermengen abbilden (Abbildung 12), die immer konstanten Nutzen stiften. Jeder Punkt auf einer Indifferenzkurve symbolisiert eine bestimmte Menge an Gut A und eine bestimmte Menge an Gut B, die zusammen einen bestimmten Nutzen für das Individuum haben. Jede beliebige Güterkombination (jeder beliebige Punkt) auf der Kurve hat für Nachfrager denselben Nutzen. Das bedeutet, dass das Individuum zwar Präferenzen für bestimmte Mengen des Güterbündels hat, die Präferenzen für die Mengen auf jeweils einer Kurve allerdings gleich sind. Auf der Isonutzenkurve wird also vorausgesetzt, dass alle Mengenkombinationen der Güter des ausgewählten Güterbündels den gleichen Nutzen stiften. Dass heißt, dass der Nutzen des/r Konsumenten/in gleich bleibt, auch wenn eine bestimmte Menge des Gutes A wegfällt und gegen eine in einem bestimmten Verhältnis getauschte Menge B ersetzt wird. Die unterschiedlichen Indifferenzkurven U1, U2 und U3 der Abbildung 12 symbolisieren, dass U3 für das Individuum einen höheren Nutzen als U2, bzw. U1 hat. Alle auf der Indifferenzkurve U3 vorhandenen Güterbündel werden im Mengenvergleich den Güterbündeln von U2 und U1 vorgezogen. Das vorhandene Einkommen restringiert die freie „Auswahl“ der auszusuchenden Nutzenkurven. Über die Funktionsweise der Präferenzrelationen werden üblicherweise Annahmen getätigt: Das Vollständigkeitsaxiom, das Reflexivitätsaxiom und das Transitivitätsaxiom (Varian 2007, S. 41 f.). Auch hier wird vom rational handelnden Menschen ausgegangen, der über vollständige Information über den Verlauf seiner Indifferenzkurven verfügt.

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Abbildung 12: Der Verlauf von Indifferenzkurven (Quelle: Biesecker/Kesting 2003, S. 97)

Das Vollständigkeitsaxiom besagt, dass jedes Güterbündel eindeutig bewertbar und vergleichbar sein muss (Biesecker/Kesting 2003, S. 101). Mit anderen Worten, es muss für den Menschen möglich sein, sämtliche Güterpaare miteinander vergleichen zu können. Das Reflexivitätsaxiom sagt aus, dass gleiche Güterbündel auch konstant gleich bewertet werden. Und das Transitivitätsaxiom drückt aus: Wenn ein Güterbündel A einem Güterbündel B, gleichzeitig Bündel B dem Bündel C vorgezogen wird, muss auch gelten, dass Bündel A dem Bündel C vorgezogen wird. Der handelnde Mensch muss also, um an sein Nutzenoptimum der Güter zu kommen, zwischen unterschiedlichen Gütern wählen. Dies geschieht unter der Nebenbedingung, dass ihm nur ein begrenztes Einkommen zur Verfügung steht. Im obigen Beispiel besteht die (Konsum-) Welt nur aus zwei Gütern, Gut A und B. Die grundsätzliche Frage, welches Güterbündel gewählt wird, fällt bei diesem Modell zunächst weg. Der Konsument entscheidet sich also anhand der gegebenen Güterpreise für eine nutzenmaximale Mengenkombination der beiden Güter. So wird im Optimum der jeweilige Grenznutzen, d. h. die marginale zusätzliche Mengeneinheit eines Gutes auf den Preis bezogen, was bedeutet, dass der Grenznutzen (GN) der letzten Einheit eines Gutes mit dem Kehrwert des Preises (P) desselben Gutes gewichtet wird, wobei der Preis hier als Datum gesehen wird (Stocker 1999). Die Preise dienen demnach als

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

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Informationsträger, welche den KonsumentInnen ermöglichen, ihr Einkommen zu maximieren (Fehl/Oberender 2002, S. 5). Gleichzeitig beinhaltet die Entscheidung den Vergleich mit dem gewichteten Grenznutzen des anderen Gutes, da das Budget begrenzt ist. Mathematisch lässt sich dies folgendermaßen darstellen:

GN A PA

=

GN B PB

Im Nutzenmaximum des/r Konsumenten/in, d.h. nach der entsprechenden Gütermengenauswahl, ist dieses Verhältnis (letztendlich für alle möglichen ausgewählten Güter (nicht nur für Gut A und Gut B) ausgeglichen (Stocker 1999, S. 40 ff., Read 2007). Hier findet sich auch das oben beschriebene, zweite Gossensche Gesetz des Genussausgleichs wieder. Es wird also davon ausgegangen, dass die Grenznutzen von Gut A und Gut B mit Gewichtung der relativen Preise im Optimum ausgeglichen sind. Dahinter verbirgt sich zusätzlich die Annahme, dass bei fallendem Preis eines Gutes die Nachfrage nach einem Gut steigt. Die nachfolgende Abbildung 13 veranschaulicht die theoretische Annahme. Sinkt der Preis eines Gutes B bei gleich bleibendem Preis des anderen Gutes A hat der Haushalt relativ gesehen mehr Einkommen. Eine relative Preissenkung wird grafisch mit einer Verschiebung (Abflachung) der Budgetgeraden sichtbar. Eingezeichnet ist die Budgetgerade B vor der Preisänderung sowie die Budgetgerade B´ nach der Änderung des Preises für Gut B (Varain 2007, S. 120 ff.).

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Gut A

B`

B

Ɣ Ɣ Preis-

UAB_neu

senkung

UAB Anstieg der nachgefragten Menge von Gut B

Gut B

Abbildung 13: Steigende Nachfrage bei Preissenkung (Quelle: Varian 2007, S. 121)

So kann sich das Individuum, da relativ gesehen mehr Budget zur Verfügung steht, auf einer Präferenzkurve, die einen höheren Nutzen hat, erneut für die Mengenzusammensetzung des Güterpaares entscheiden. Hier gilt annahmegemäß, dass sich der rationale Mensch bei normalen, gewöhnlichen Gütern (Varian 2007, S. 120) für eine Vergrößerung der Menge an Gut B entscheidet. In den mikroökonomischen Theorien werden außerdem Ausnahmen deklariert, wie bspw. die sogenannten Giffen-Güter (S. 122). Da die Erläuterungen zur Entstehung der „anormalen“ Preis-Konsumkurve der Giffen-Güter für die vorliegende Arbeit irrelevant sind, wird hier nicht weiter darauf eingegangen. Der Grenznutzen, also die marginale Änderung des Nutzens in Bezug auf die Menge eines Gutes steht demnach dem Preis gegenüber. Er kann allerdings nicht direkt über den Preis bewertet werden, da auch die Preise der anderen Güter miteinbezogen werden. An der im Modell geformten Annahme, dass der Konsument sich für ein bestimmtes Gut, auch wenn dieses hier über die nächste marginale Mengenentscheidung formuliert ist, nur entscheidet, wenn sein Nutzen, den er daraus zieht, optimal ist, ändert sich nichts. Die Nachfragefunktion eines/r

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

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Konsumenten/in ergibt sich demnach aus der Nutzenfunktion oder „den zugrunde liegenden Präferenzen“ (Varian 2007, S. 293). Die aggregierte Marktnachfrage ergibt sich dann aus der Summe der individuellen Nachfragen über sämtliche KonsumentInnen (S. 315). Aus dem Schnittpunkt der aggregierten Nachfragekurve und der Angebotskurve wird dann in der Preistheorie der Unternehmen der ausgleichende Marktpreis gefunden. 2.2.2

Nutzenfunktion in der Neoklassik: Eine kritische Diskussion

Wie die erläuterte Begriffsauffassung über Produkte, bzw. Güter in Kapitel 2.1.2 gezeigt hat, wird auch in der Volkswirtschaftslehre der Fokus auf die Betrachtung der subjektiven Bedürfnisbefriedigung gelegt. Sehr einfach ausgedrückt heißt dies, dass der (rationale) Mensch kauft und konsumiert, um, so in den Annahmen festgelegt, seine maximale Bedürfnisbefriedigung zu erlangen, also seinen Nutzen zu maximieren, was ihm im Modell der Haushaltstheorie auch gelingt. Die Mikroökonomie erhebt den Anspruch, durch die Nutzenmaxima der Haushalte (neoklassische Haushaltstheorie) und durch die Gewinnmaxima der Unternehmen (Theorie der Unternehmen) den Gleichgewichtspreis der Güter auf Märkten (Theorie der Preisbildung) erklären zu können (Söllner 2001, S. 53). Es wird dargestellt, dass der Marktpreis annahmegemäß durch den Nutzen der Güter determiniert ist. Dies widerspricht im Wesentlichen dem oben beschriebenen und beobachteten Placebo-Effekt des Preises. In der nun nachfolgenden Diskussion wird gezeigt, dass mit dem oben beschriebenen Phänomen des Preiseffektes der Gebrauchsnutzen des Gutes (value in use), der in der Realität aufzufinden war, nicht mit der in der Mikroökonomie angenommenen Nutzenmaximierung einhergeht. Es wurde dargelegt, dass die Verwendung des Begriffes des Nutzens in der neoklassischen Haushaltstheorie inhaltlich durch die Reduktion auf Gütermengen gekennzeichnet ist (vgl. auch Rolle 2005, S. 145, Voeth 2000, S. 9). Dies geht mit einer gewissen Inhaltslosigkeit des Begriffes Nutzen einher (Auinger 1995, S. 58, Rolle 2005, S. 143 f.). Obwohl durch die Definition des Produktbegriffes betont wird, dass die subjektiven Einschätzungen hinsichtlich der Erwartung der Bedürfnisbefriedigung eines Produktes miteinbezogen werden, wird der Nutzen der Produkte auf Mengen reduziert. Eine der zentralen mikroökonomischen Fragestellungen der Neoklassik ist es, das Verhalten der Marktteilnehmer und deren Entscheidungen zu erklären und zu analysieren (Auinger 1995, S. 49, Söllner 2001, S. 50, Varian 2007, S. 23 ff., 63 ff.). Der oben beschriebene, auf Gossen zurückgehende Ansatz der Grenznutzenlehre gilt dabei als „marginalistische Revolution“ und als Ergänzung der klassischen Ansätze (Read 2007, Söllner 2001, S. 50 f.); damit einhergehend findet sich die Lösung des bereits angesprochenen Wertparadoxons, bei welchem angenommen wird, dass der Preis eines Produktes dessen Nutzen angibt.

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

Schon bei der in Abbildung 11 (links im Bild) gezeigten grafischen Darstellung der Nutzenfunktion wird eingeleitet, dass der Nutzen, den ein Konsument aus einem Produkt zieht, ausschließlich mit der von ihm konsumierten Menge in Verbindung gebracht wird. Die dargestellte Annahme, dass bei steigendem Konsum eines Gutes der Nutzen daran zwar nach wie vor wächst, dies aber immer langsamer, je mehr davon bereits konsumiert wurde, ist zunächst einleuchtend. Somit konnte erklärt werden, warum der Tauschwert des Diamanten, trotz der Zuschreibung eines geringen Gebrauchswertes, im Vergleich zum Wasser hoch ist. Die Erklärung erfolgt demnach über die Knappheit, bzw. über die bereits zur Verfügung stehende Menge des Gutes. Der Preis reflektiert den Grenznutzen, nicht den Gesamtnutzen eines Produktes. So reduziert sich die inhaltliche Bedeutung des Nutzenskonstruktes auf die Quantität. Wiswede (1973, S. 46) weist zudem an dieser Stelle darauf hin, dass die Neigung des abnehmenden Grenznutzens nicht bedingungslos für alle Güter gelten muss. So ist vorstellbar, dass das Bedürfnis nach geistig bedingter Befriedigung keine Sättigung, bzw. Grenze kennen muss. Auch wird bezweifelt, dass Gold und Diamanten (Wertparadoxon!) einen abnehmenden Grenznutzen aufweisen (Büttner 2005). Durch die Annahmen des ersten Gossenschen Gesetzes wird also jedem Gut ein positiver Nutzen zugeordnet, eine Sättigung des Nutzens durch ein Produkt gibt es in der neoklassischen Theorie nicht (Brodbeck 2007, S. 231, Pindyck/Rubinfeld 2005, S 106). Streng genommen würde die Nutzenkurve (links im Bild der Abbildung 14) nach dem erreichten Maximum, sprich der optimalen Sättigung, wieder fallen und so müsste die Grenznutzenkurve (rechts im Bild, Abbildung 14) in den negativen Bereich abfallen und damit der Grenznutzen in einen negativen Bereich fallen (Biesecker/Kesting 2003, S. 90 f.). An einem Beispiel lässt sich das mit dem Gut Bier erläutern. Das erste konsumierte Bier nach einer langen Wanderung stiftet einen großen Nutzen. Jede weitere konsumierte Einheit wird zunächst auch einen weiteren Nutzen stiften, dieser wird jedoch abnehmen, da der Durst durch die bereits konsumierte Menge bereits abgenommen hat. Trinkt man nun „über den Durst“, ist leicht vorzustellen, dass eine zusätzlich konsumierte Einheit des Bieres Übelkeit verursacht: Ein Sättigungspunkt wäre erreicht.

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

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Nutzen U

Grenznutzen U´

U

U´ U = U(x1) U´ = U´(x1 )

Menge von Gut x1

Menge von Gut x1

Abbildung 14: Abbildung des Nutzens und Grenznutzens mit Sättigungsgrenze (Quelle: Biesecker/Kesting 2003, S. 90 f.)

Da jedoch von einem rational handelnden Menschen ausgegangen wird, hört die Kurve im Maximum auf und der Punkt wird weiter „nur“ noch als Optimum, nicht als Maximum bezeichnet (Biesecker/Kesting 2003, S. 89 ff.). Das Axiom der Nicht-Sättigung setzt demnach voraus, dass es keine begrenzte Bedürfnisbefriedigung gibt und jedem Gut ein positiver Nutzen zugeordnet werden kann. Mathematisch stellt der Grenznutzen die erste Ableitung, also die Steigung des Nutzens in einem Punkt einer Funktion dar. Inhaltlich wird der Grenznutzen eines Gutes mit dem Nutzen des Konsums einer letzten (marginalen) Menge des Gutes beschrieben. Dieser „mathematische Kunstgriff“ wird in der Neoklassik fortan verwendet, um die Nützlichkeit der Güter darzustellen. So ist in Abbildung 14 (rechts im Bild) zunächst die Grenznutzenkurve zu sehen, aus der sich wiederum die Indifferenzkurven der KonsumentInnen herleiten lassen (Abbildung 12). Auf einer Indifferenzkurve eines/r Konsumenten/in werden Güterbündel in unterschiedlichen Mengenkombinationen dargestellt, die aber für den/die Konsumenten/in immer denselben Nutzen haben. Nach der getätigten Auswahl für ein Güterbündel bewegt sich der Konsument auf der Isonutzenkurve. Diese besagt, dass ein Gut in einem gewissen (subjektiven) Austauschverhältnis (was Grenzrate der Substitution genannt wird) zu einem anderen Gut steht und trotz der veränderten Mengen der beiden Güter den Nutzen des/r Konsumenten/in nicht verändert. Man stelle sich beispielshalber vor, dass das Gut A aus dem in Abbildung 12 gezeigten Beispiel der marginale Teil eines Apfels sei, das Gut B stelle den marginalen Teil eines Schnitzels dar. Es gibt nach der neoklassischen Theorie demnach ein

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

subjektives Austauschverhältnis, welches besagt, dass es den KonsumentInnen egal ist, da man sich auf der Isonutzenkurve befindet, ob sie eine bestimmte Anzahl Schnitzel gegen eine bestimmte Anzahl Apfel tauschen. Dasselbe kann man theoretisch auch mit den Gütern Apfel und CD-Recorder durchdenken! Als Gesetzmäßigkeit wird durch das Vollständigkeitsaxiom vorab angenommen, dass es den KonsumentInnen möglich ist, ausnahmslos sämtliche (!) Güterbündel miteinander vergleichen zu können und eine sofortige Entscheidung zu treffen, welche Güterzusammenstellung sie präferieren, bzw. ob sie zwischen zwei Güterbündeln indifferent sind. Ein bewertender Vergleich findet nach den Annahmen ausdrücklich losgelöst vom Preis des Produktes und losgelöst vom Einkommen statt (Baßeler et al. 2006, S. 116 f., Pindyck/Rubinfeld 2005, S. 106). Der gestiftete Nutzen der Güter wird so im Grunde den Gütern selbst zugeschrieben. So schreibt Stobbe (1991, S. 71, Hervorh. i. O.): „Nutzen abgeben zu können ist also eine gemeinsame Eigenschaft aller Konsumgüter, hinsichtlich derer sie der Haushalt miteinander vergleichen kann. Man kann den Nutzen auch als die subjektive Bewertung von Gütern durch den Konsumenten auffassen, die Bedürfnisbefriedigung selbst so bezeichnen oder sagen, die Nutzung von Gütern erhöhe die Wohlfahrt des Verbrauchers. Jedoch muss sorgfältig zwischen Konsumsachgütern und Dienstleistungen einerseits, die prinzipiell in physischen Einheiten messbar sind und meist Preise haben, und dem allenfalls unter besonderen Umständen messbaren Nutzen andererseits unterschieden werden, den Haushalte aus ihnen zu ziehen erwarten oder gezogen haben.“ Wenn ein Produkt einen Nutzen abgeben kann, muss dem Produkt der Nutzen immanent sein (Auinger 1995, S. 53). Da, wie bereits erwähnt, aber auch hier von den individuellen Nutzenvorstellungen ausgegangen wird und nicht vom objektiven Produktnutzen (der laut Stobbe scheinbar unter „besonderen Umständen“ doch messbar ist), revidiert Stobbe in gewisser Weise schon im nächsten Satz diese Aussage und beruft sich auf die subjektive Einschätzung der KonsumentInnen hinsichtlich der von ihm eingeschätzten Bedürfnisbefriedigung des Gutes. Dieses Problem der Nutzenmessung (und damit der fehlenden Möglichkeit, dem Nutzen einen bestimmbaren Wert zuzuordnen) löst die Mikroökonomie mit der Aussage, dass den einzelnen Indifferenzkurven kein numerischer, sondern nur ein ordinaler Wert gegeben werden kann. Wie bereits erläutert, gibt der grafische Abstand der Indifferenzkurven vom Nullpunkt an, dass das Nutzenniveau mit der Menge der Güter steigt. Diese Voraussetzung wurde bereits mit dem ersten Gossenschen Gesetz festgelegt. Der Nutzen des Gutes, oder auch des Güterbündels, ist also annahmegemäß auf einem höheren Nutzenniveau, sofern man mehr davon konsumiert. Umgangen wird lediglich die Schwierigkeit, den Nutzenniveaus und den Abständen zwischen den Nutzenniveaus eine bestimmbare Zahl zuzuordnen. So könnte dem Nutzen

Exkurs: Nutzenkonzept in der Neoklassik

41

U1 in Abbildung 12 bspw. die Zahl Eins, dem Nutzenniveau U2 die Zahl Fünf und dem Nutzenniveau U3 die Zahl Zwanzigtausend zugesprochen werden. Diese Festlegung suggeriert gleichzeitig, dass der Nutzen eines Gutes (Güterbündels) in einer bestimmten Weise, wie Stobbe (1991) ebenfalls festgestellt hat, vom Gut ausgehen muss, was wie folgt begründet wird: Betrachtet werden soll Abbildung 13. Da festgelegt ist, wenn auch nicht zahlenmäßig belegbar, dass der Konsument sich „gewissermaßen automatisch“ für das Nutzenmaximum entscheidet, da er den Punkt wählt, indem seine Budgetgerade seine Indifferenzkurve tangiert, ist auch festgelegt, dass er sein neues Maximum bei einer Preissenkung (respektive einer Veränderung seines Budgets) ebenfalls automatisch auf einer vermeintlich höheren Isonutzenkurve findet. Der Konsument hat demnach dem Güterbündel, bzw. dem Gut A und dem Gut B einen höheren Nutzen zugeordnet. Es wird ausgeschlossen, dass eine Neubewertung anhand der veränderten Preise vorgenommen wird. Die höhere Nutzenzuordnung war von der preislichen Bewertung nur insofern abhängig, als dass er durch die relativ gesehene Budgeterhöhung sein Einkommen (Budget) maximal genutzt hat, da er mehr Güter für weniger Geld bekommen hat. Die mikroökonomische Haushaltstheorie hat das vorgegebene Ziel, sich mit zentralen Präferenzen der KonsumentInnen zu befassen, vermeidet dabei jedoch die genauere Betrachtung der individuellen Bedürfnisbefriedigungen. Die Präferenzen werden unabhängig vom Preis definiert, da die Nutzenstiftung nur nach Gütermengen abgeleitet wird. Eine intrasubjektive Neubewertung durch eine Preisveränderung ist somit ausgeschlossen. Der Nutzen eines Gutes wird als immanent vorausgesetzt, denn auch in der marginalistischen Betrachtung des Nutzens bleibt ein gewisser Grad an kardinaler Messbarkeit des Güternutzen übrig (Büttner 2005, Read 2007). So kann die Aussage der vollständigen Substituierbarkeit der Güter auf der Isonutzenkurve nicht den Gebrauchswert der Güter widerspiegeln (man denke an das Beispiel des Nutzenausgleiches CD-Rekorder und Apfel), da diese nur hinsichtlich des Tauschwertes als sinnvoll erachtet werden kann (so auch Büttner 2005). Die „Nicht-Messbarkeit“ des objektiven Güternutzens führte hin zur Präferenzbetrachtung der KonsumentInnen, da die Präferenzen „nur“ noch ordinal messbar sein mussten. Dies wiederum würde dahin führen, dass ein Vergleich von Apfel und CD-Rekorder und auch zwischen allen anderen Produkten, also eine Präferenzordnung möglich sein soll. Es muss von einem vereinheitlichten Bedürfnis nach Befriedigung, welches durch jedes x-beliebige Gut gestillt werden kann, ausgegangen werden (Auinger 1995, S. 52). Wie kann nach subjektiven Maßstäben ein qualitativer Vergleich der Güterbündel sonst vonstattengehen? So nimmt Stobbe (1991) an, dass „Nutzen eine beim Verbrauch von Konsumgütern entstehende Variable sei, der der Haushalt [Konsument, Anm. d. Verf.] jeweils numerische Werte zuordnen könne.“ (S. 81). Der Konsument sieht das Produkt und ordnet ihm, unabhängig vom Preis, einen Wert zu. Der Nutzen muss dem Produkt

42

Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

immanent sein und ist annahmegemäß unabhängig vom Preis. Das Maximum der Befriedigung durch die Produkte ist für die KonsumentInnen dann erreicht, wenn das jeweilige Einkommen nach dem zweiten Gossenschen Gesetz verteilt ist (nutzenmaximale Mengenkombination). Die Preise der Güter messen dabei laut Varian (2007, S. 99 f.) das Austauschverhältnis zweier Güter und sind nicht als beliebige Zahl zu sehen, sondern stellen „die marginale Bewertung der Dinge durch den Menschen“ (S. 100) dar. Dass der Preis, so wie bei Shiv et al. (2005a) beschrieben, eine Rolle hinsichtlich der erwarteten Qualität eines Gutes, samt Auswirkung auf den individuellen Nutzen hat, wird in dem Partialmodell nicht beachtet. So wird angenommen, dass die (inverse) Nachfragefunktion den Preis angibt, den KonsumentInnen bereit sind für eine bestimmte Menge eines Gutes zu bezahlen (Varian 2007, S. 345). Es wird davon ausgegangen, dass durch die aggregierte Nachfragefunktion aller KonsumentInnen (und der Angebotsfunktion der Unternehmen) der Gleichgewichtspreis des Marktes bestimmt wird. Durch die annahmegemäße Bestimmung, wo sich der Konsumentennutzen maximiert, wird also der Gleichgewichtspreis festgelegt. Diese Festlegung des Entscheidungsverhaltens, die laut Definition aus den subjektiven Präferenzen und den subjektiv erwarteten Bedürfnisbefriedigungen der Güter bestimmt ist, legt demnach den Marktpreis fest. Der (erwartete) Nutzen determiniert somit den Preis der Güter. Anzumerken sei hier nochmals, dass der Nutzen, wie beschrieben, außerhalb der Preisform erklärt wird (Büttner 2005). Der Nutzenbegriff der Neoklassik, reduziert auf die Quantität der Güter, geht mit einer gewissen „Leere“ einher (Auinger 1995, S. 58, Büttner 2005) oder wird als tautologisch angesehen, da in der Mikroökonomie, wenn vom Nutzen gesprochen wird, dies „nicht wörtlich zu nehmen“ (Söllner 2001, S. 69) sei (!). Nutzenfunktionen werden lediglich als Beschreibung, nicht als Erklärung des Verhaltens verwendet, ohne den Nutzen definieren zu können (Söllner 2001, S. 69). Ansonsten müsste man den Konsens nach Robinson (1965) ziehen: „Der Nutzen ist ein metaphysischer Begriff von unüberwindbarer Zirkularität; Nutzen ist diejenige Eigenschaft der Güter, die den Individuen ihren Erwerb wünschenswert erscheinen läßt, und die Tatsache, daß die Individuen Güter zu kaufen wünschen zeigt wiederum, daß sie Nutzen haben“ (S. 60, Hervorh. i. O.). Um diesen Zirkulärschluss zu umgehen, unterstreichen Böventer et al. (1988) die Inhaltslosigkeit des Nutzenbegriffes, indem sie schreiben „Auch liegt es nahe, den Begriff des Nutzens mit Begriffen wie Wohlergehen, Glück, Zufriedenheit in Verbindung zu bringen […] Nichts von all dem ist gemeint, wenn in der ökonomischen Theorie von Nutzenmaximierung gesprochen wird; die Annahme der Nutzenmaximierung beinhaltet auch keine auch noch so vage formulierte Aussage darüber, aufgrund welcher Motive der Haushalt einen Konsumplan x gegenüber x´ vorzieht oder welche Ziele der Haushalt mit der Wahl eines bestimmten Konsumplans verfolgt.“ (S. 83, Hervorh. d. Verf.)

Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse des zweiten Kapitels

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Zuletzt sei noch eine Bemerkung zu den zugrundeliegenden Axiomen (das Vollständigkeitsaxiom, das Reflexivitätsaxiom und das Transitivitätsaxiom, siehe vorherigen Abschnitt) erlaubt, die notwendig sind, damit die Nutzenquantifikation der neoklassischen Haushaltstheorie zutrifft. In den Naturwissenschaften, wie bspw. in der Physik, sind derartige Axiome, denen Theorien zugrunde gelegt sind, zuverlässige Gesetzmäßigkeiten (Rapoport 1980, S. 35). Die in Abschnitt 2.2.1 kurz beschriebenen Axiome müssen eher als Bedingungen verstanden werden, die von den KonsumentInnen eingehalten werden müssen (v. a. die Rationalität), damit das Verhaltensmodell aufrecht erhalten werden kann (Rapoport 1980, S. 35). Kirchgässner (2000) schreibt: „Eine Theorie, die tatsächliches Verhalten erklären will, muss dazu auch in der Lage sein, wenn den Individuen nicht zuvor explizit erläutert worden ist, wie sie sich entsprechend dieser Theorie zu verhalten haben.“ (S. 204). Der erwähnte „mathematische Kunstgriff“ des Marginalismus des Nutzens und der Präferenzordnungen „läuft zwangsläufig darauf hinaus, alles nicht mathematisierte Verhalten aus dem Untersuchungshorizont auszuschließen.“ (Rolle 2005, S. 144) Was mit mathematischen Formeln nicht logisch darstellbar ist, gilt zwangsläufig als nicht-rational oder als oder anomales Verhalten. Aufgrund der zugrunde liegenden Annahmen der Neoklassik kann davon ausgegangen werden, dass der Fokus auf der Analyse von Verkäufermärkten liegt (Kortschak 2007), die jedoch in der Realität in den Industriegesellschaften nur noch partial vorzufinden sind. Im Käufermarkt spielen dementgegen die Heterogenität der KonsumentInnen und ihr daraus abgeleitetes individuelles Nachfrageverhalten unter der Berücksichtigung von unterschiedlicher Produkteigenschaften, die in der neoklassischen Haushaltstheorie, wie abgebildet, nicht berücksichtigt werden, eine zentrale Rolle.

2.3

Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse des zweiten Kapitels

Im zweiten Kapitel wurde dargelegt, dass der Begriff des Nutzens in ökonomischen Austauschprozessen und damit für das Marketing eine zentrale Rolle einnimmt. Produkte aller Art stellen dabei Elemente dar, die getauscht werden. Dargestellt wurde der inhaltliche Bezug der Begriffe Bedürfnis, Bedarf und Nutzen, als auch einer der ersten Ansätze der Auseinandersetzung mit dem Begriff Nutzen in der Marketingwissenschaft. Es wurde aufgezeigt, dass der Begriff des Nutzens in der Marketingliteratur unterschiedliche Bedeutungen und Interpretationen aufweist. Weiter wurde in diesem Kapitel der Fokus auf die Betrachtung gelenkt, dass der Konsument, indem er ein Produkt (be-)nutzt, als Ko-Produzent der Nutzengenerierung angesehen wird. Die Erwartungen, die ein Konsument an ein Produkt hinsichtlich seiner Wirkung, bzw. Effektivität hat, können, wie bspw. die Studie von Shiv et al. (2005a) mit der Preiserwartung an ein Produkt zeigt, den Nutzen (value-in-use) von Produkten beeinflussen. Damit wurde verdeutlicht, dass die subjektive Wahrnehmung von Produkteigenschaften wie

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Produktnutzen als zentrales Analysekonzept von Austauschprozessen

die Wahrnehmung des Preises den Nutzen der KonsumentInnen determiniert. Dies steht im Gegensatz zu den Annahmen der Mikroökonomie, insbesondere der neoklassischen Preisbildungstheorie. In einem Exkurs zum Nutzenkonzept der Neoklassik wird argumentiert, dass eine intersubjektive Preiserwartung in der Nutzenbetrachtung des Individuums ausgeblendet wird, indem dargestellt wird, dass sich die zugrunde liegende Präferenzbildung der KonsumentInnen in den volkswirtschaftlichen Modellen theoretisch außerhalb einer Preisform bilden und demnach davon ausgegangen wird, dass der Nutzen des/der Konsumenten/in, der aus einem Produkt hervorgeht, den Marktpreis determiniert. Außerdem wird dargelegt, warum der Begriff Nutzen in der Neoklassik mit der eigentlichen Bedeutung des Terminus nichts gemein hat und somit auch mit dem von Shiv et al. (2005a) in der Realität beobachteten Placebo-Effekt des Preises nicht einhergeht. Für das Marketing ist das zugrunde gelegte Modell der mikroökonomischen Haushaltstheorie unter anderem wegen diverser Einschränkungen als wenig geeignet eingeordnet worden (Riepe 1984, S. 11 ff., Voeth 2000, S. 7 ff.). Auch hier wurde verdeutlicht, dass in der Realität beobachtete Effekte zeigen, dass das Attribut Preis sich auf die Wirkung (aktuelle Effektivität) und damit auf den Nutzen des/der Konsumenten/in auswirken kann und dementsprechend weitergehende Auswirkungen auf den Nutzen hat, als in dem Partialmodell der Mikroökonomik dargestellt. Allerdings lassen sich auch in unterschiedlichen Nutzenbetrachtungen des Marketings und anderen Gebieten der Betriebswirtschaftslehre Ansätze finden, die nicht mit den empirischen Erkenntnissen von Shiv et al. (2005a) konform gehen: x

x

Bei den drei in Abschnitt 2.1.2 dargelegten Dimensionen des Produktes (Kernprodukt, reales Produkt und erweitertes Produkt) nach Kotler et al. (2007) ist der Fokus auf den Kundennutzen gelegt. Das Kernprodukt stellt den Nutzen des Produktes dar, und so das Objekt, welches KonsumentInnen als Hilfe zur Problemlösung ansehen. Die nächste Dimension des Produktes beschreibt fünf Charakteristika (Qualität, Produktfunktionalität, Design, Marke und Verpackung), die das reale Produkt ausmachen (Kotler et al. 2007, S. 624). Der Preis des Produktes ist nicht Bestandteil der Produktdimensionen. Da, wie Shiv et al. (2005a) nachweisen konnten, der Preis einen Einfluss auf den aktuellen Nutzen haben kann, sollte der Preis zu den Charakteristika des realen Produktes hinzugerechnet werden. Bei den Komponenten Grund- und Zusatznutzen des Produktnutzens nach Vershofen (1959) und Bänsch (2002) sind per definitionem die physikalisch-funktionelle Eigenschaften dem Grundnutzen und die ästhetischen und sozialen Eigenschaften des Produktes dem Zusatznutzen des Produktes zugeordnet. Diese Aufteilung geht in

Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse des zweiten Kapitels

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zweierlei Hinsicht nicht konform mit den Ergebnissen der Forschung von PlaceboEffekten im Marketing: Zum einen konnten Shiv et al. (2005a) zeigen, dass der Preis, welcher nicht als funktionell-physische Eigenschaft eines Produktes bezeichnet werden kann, den Grundnutzen eines Produktes beeinflussen kann. Der Preis des Produktes beeinflusste die Leistungsfähigkeit (die hier durchaus als Grundnutzen, also als primäre Bedürfnisbefriedigung eines Energie-Getränkes angesehen werden kann) der ProbandInnen. Demzufolge stimmt die so definierte Komponente des Grundnutzens nach Bänsch (2002) nicht mit den Forschungsergebnissen von Shiv et al. (2005a) überein.

x

Zum anderen wird im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit gezeigt, dass die Marke eines Produktes ebenfalls einen Einfluss auf den Grundnutzen eines Produktes haben kann. Nach der Definition von Bänsch (2002) muss die Marke eines Produktes dem Zusatznutzen zugerechnet werden, da dieser keine physikalisch-funktionelle Eigenschaft eines Produktes darstellt. So wird auch hier die Kategorisierung der Nutzenkomponenten empirisch widerlegt. Zu den Betrachtungen des Nettonutzens aus dem Bereich des Strategischen Managements: Diese Betrachtungsweise findet ihre Ursprünge in der Mikroökonomie (vgl. z. B. Varain 2007, S. 295 f. und Abbildung 9) und beinhaltet die Trennung zwischen dem Nutzen eines Produktes und dem Preis eines Produktes. Dieser Trennung wirken die Erkenntnisse von Shiv et al. (2005a) entgegen. Wie dargelegt, konnten die Autoren in ihren Studien demonstrieren, dass der Preis einen Einfluss auf den Nutzen (die aktuelle Effektivität) eines Gutes hat. Die Bezeichnung Nettonutzen basiert auf einer objektbezogenen Nutzenzuschreibung, die unabhängig vom Preis definiert ist, da als Ergebnis der Differenz des Bruttonutzens und der monetären Aufwendungen definiert. Auch dieser Ansicht wirken die empirischen Ergebnisse von Shiv et al. (2005a) entgegen.

Wert- und Nutzenzuwachs, transportiert durch Produkte und deren Nutzung, bilden die Basis von Austauschprozessen. Mit der Übertragung des Phänomens des Placebo-Effektes auf die Marketing-Forschung gelingt es Shiv et al. (2005a) zu zeigen, dass die Effektivität eines Produktes, also dessen Nutzen von dessen Preis, von einer Marketing-Maßnahme beeinflusst sein kann. In Kapitel vier werden weitere Faktoren herausgearbeitet, die in einem theoretischen Zusammenhang mit der Bildung von Placebo-Effekten im Marketing-Kontext stehen. Dazu wird in Kapitel drei zunächst in das Thema Placebo-Effekte eingeführt und eine theoretische Grundlage für dessen Entstehung erläutert.

3 3.1

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten Placebo-Forschung in der Medizin

Das Hauptforschungsfeld von Placebos und Placebo-Effekten liegt im medizinischen, pharmakologischen und auch psychologischen Bereich, zumeist in Bereichen der Schmerztherapie (z. B. Montgomery/Kirsch 1996) und im Bereich der Therapie von Depressionen (z. B. Kirsch et al. 2008). Eine Übersicht über aktuelle Einsatzgebiete von Placebos bietet Benedetti (2008). Seit der in den 50er Jahren veröffentlichten Arbeit „The Powerful Placebo“ von Beecher (1955) gilt es in der Arzneimittelforschung als Standard, die Wirksamkeit von Medikamenten bzw. Therapien in randomisierten Doppelblindstudien zu überprüfen (Brody/Brody 2002, S. 47 ff.). Als Arzt im Zweiten Weltkrieg ging Beecher das Morphin für die Schmerzbehandlungen der verwundeten Soldaten aus, welches er aus seiner Not mit einer eigentlich unwirksamen Kochsalzlösung ersetzte und damit Linderungen der Schmerzen bewirken konnte (Wolpert 1997, S. 100 f.). Dies bewog ihn dazu, als Vorreiter für quantitative Placebo-Forschung 15 Placebo-Studien mit insgesamt 1082 PatientInnen mit verschiedenen Krankheitsbildern zu analysieren. Als Resultat der Analyse dokumentierte er, dass bei durchschnittlich 35% der PatientInnen mit Placebobehandlung zufriedenstellende Therapieerfolge zu verzeichnen waren. Zwar wurden diese Ergebnisse des Öfteren hinterfragt (z. B. Hróbjartsson/Gøtzsche 2001, Kienle/Kiene 1997), dennoch gilt bis heute der Standard, mit Placebos die pharmakologische Wirkung eines neuen pharmazeutischen Medikamentes zu testen (Geers et al. 2005). Die Placebo-Forschung stand schon früh aufgrund ihrer (spektakulären) Ergebnisse auch außerhalb der Wissenschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit. So wurden von Cobb und Kollegen bspw. schon 1959 Scheinoperationen durchgeführt, um die Wirkung einer bis dato populären Operation für das Krankheitsbild Angina pectoris (zu Deutsch: Herz-/Brustenge, eine Erkrankung der Herzkranzgefäße) zu überprüfen. Bei dieser Operation wurde ein Blutgefäß in der Brust abgeklemmt, was in Folge die Schmerzen der PatientInnen lindern sollte. Cobb et al. (1959) führten – wohl aus Unglaube an die Operation – eine Studie mit 17 PatientInnen dieses Krankheitsbildes durch, unterteilten die PatientInnen aber in zwei Gruppen. In einer der Gruppen wurde unter der Narkose lediglich die Haut angeritzt, bei der sogenannten Verumgruppe die tatsächliche Operation durchgeführt. Das Ergebnis zeigte, dass in beiden Gruppen das subjektive Schmerzempfinden abnahm, die Placebo-Gruppe hingegen hinterher in besserer körperlicher Verfassung und belastbarer war. Die Operation wurde seitdem nicht mehr durchgeführt. Ähnliche Erkenntnisse gewannen Moseley et al. (2002) mit einer Scheinoperation am Kniegelenk. Eine andere Placebo-Studie, die auch in der Öffentlichkeit disku-

48

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

tiert wurde, war eine Placebo-Studie von Pariente und Kollegen (2005) mit teleskopartigen, also falschen Akupunkturnadeln, die gerade den häufig vermuteten Placebo-Effekt bei einer Akupunktur-Therapie (zumindest teilweise) ausräumen konnte. Dies geschah mit dem Sichtbarmachen von Gehirnaktivitäten mittels eines speziellen Verfahrens. Sowohl die echte Akupunkturtherapie als auch die Therapie mit den Teleskop-Nadeln aktivierten Areale im Gehirn, welche Belohnungszentrum genannt werden und auf die „körpereigene Schmerzmittelproduktion“ (sogenannte Endorphinproduktion) hinweisen, was ein Indiz dafür ist, dass die PlaceboNadeln wirken. Allerdings gelang es den Forschern zusätzlich aufzuzeigen, dass nur bei der tatsächlichen Akupunktur weitere Gehirnareale der Großhirnrinde aktiviert wurden, welche als Schaltstelle von spürbaren Empfindungen gilt. Aus ihrer Studie schlossen sie, dass durch die Erwartungen an die Akupunktur-Therapie im Allgemeinen eine physiologische Wirkung eintrat, was für einen ausgeprägten Placebo-Effekt der falschen Nadeln sprach. Des Weiteren gelang es ihnen jedoch, eine zusätzliche spezifische Reaktion der echten Nadeln nachzuweisen, was wiederum für einen therapeutischen Effekt der echten Nadeln spricht. Offensichtlich generieren bestimmte Elemente in medizinischen Behandlungen die erwünschten Wirkungsweisen, also den therapeutischen Nutzen für die PatientInnen. So wird mittels durchgeführter Placebostudien, wie bspw. der oben geschilderten Scheinoperation (Cobb et al. 1959) deutlich, dass nicht die tatsächliche Durchführung der Operation, sondern anscheinend andere Bestandteile, wie eventuell die Zuwendung des Klinikpersonals, die Narkose oder der Hautschnitt den schmerzlindernden Zustand brachte. Die bisherige Erklärung hierfür und die theoretische Erläuterung der Entstehung des Placebo-Effekts sind Bestandteil der nachfolgenden Abschnitte. Am besten wurde der Placebo-Mechanismus im Bereich der Schmerztherapie beschrieben und verstanden. In anderen, nicht-klinischen Bereichen und mit einer anderen Grundgesamtheit, also außerhalb des Therapiebereichs, wurde der Mechanismus bislang wenig beforscht (Price et al. 2008). Auch Marketing-Entscheidungen können den Nutzen bestimmter Produkte beeinflussen. Ähnlich wie in der Arzneimittelforschung wird aufgezeigt, dass bestimmte Produktattribute Effekte generieren können, die mit Placebo-Effekten vergleichbar sind. Um diesen Bezug von Placebos zum wirtschaftswissenschaftlichen Kontext herzustellen, ist es notwendig, Arbeitsdefinitionen der Begriffe Placebo und Placebo-Effekt festzulegen, da eine eng gefasste Begriffsbestimmung, welche ein Placebo als Zuckerpille und damit per se als pharmazeutisch wirkungsloses Medikament beschreiben würde, für vorliegende Forschungszwecke nicht geeignet ist.

Zu den Begriffen Placebo und Placebo-Effekt

3.2

49

Zu den Begriffen Placebo und Placebo-Effekt

Das Wort Placebo findet seinen Ursprung im Lateinischen (placere = gefallen, placebo = ich werde gefallen, I will please). Einen Placebo-Effekt zu definieren, beinhaltet Schwierigkeiten und wird in der medizinischen Fachliteratur immer noch diskutiert (Grünbaum 1981, Kienle 1995, S. 4, Price et al. 2008). Dies liegt unter anderem in dem Paradoxon, dass ein Placebo typischerweise als inaktiver Wirkstoff oder als inaktive Prozedur bezeichnet wird, welche/r darauf ausgerichtet ist, PatientInnen angenehm zu sein, also in bestimmter Weise zu wirken (Price et al. 2008). Diese Definition birgt in sich schon einen Widerspruch, da eine inaktive Substanz keine Wirkung haben kann, ohne Wirkung gäbe es jedoch keinen Placebo-Effekt. Ursprünglich wird das Wort mit dem Alten Testament, Psalm 116, Vers 9, in Verbindung gebracht, welcher mit dem hebräischen Wort ethalekh beginnt und im Lateinischen mit dem Wort placebo übersetzt wurde. Der gesamte lateinische Vers lautete “Placebo domino in regione vivorum“, die englische Übersetzung des Verses, bzw. des Wortes placebo lautete „I will walk before the Lord in the Land of the Living“ bzw. „I will please the Lord...“ („Ich werde wandeln vor dem Herrn im Land der Lebendigen“). Dadurch, dass die Passage im 13. Jahrhundert als Klagegesang bei Beerdigungen gesungen wurde, erlangte das Wort placebo so seine liturgische Bedeutung (Catholic Encyclopedia 1911, zit. n. Shapiro/Shapiro 1997, S. 28). Da im 14. Jahrhundert häufig bezahlte Trauernde zur Beerdigung am Grab sangen, wandelte sich die Bedeutung des Wortes insofern, als dass das „Singen eines Placebos“ als „Scheinsingen“ und damit das Wort placebo als verächtliche Redewendung für Heuchler, Schmeichler oder Lügner verwendet wurde (New English Dictionary 1933, zit. n. Shapiro/Shapiro 1997, S. 29). Erst im frühen 19. Jahrhundert bekam die Bezeichnung auch in der Medizin ihre heutige Bedeutung (Shapiro/Morris 1978, S. 371, Shapiro/Shapiro 1997, S. 29 ff.), wobei eine Verbindung der wörtlichen Bedeutung des „Scheinsingens“ zum „Scheinmedikament“ nicht zu übersehen ist. Um eine sinnvolle Definition für die vorliegende Arbeit zu entwickeln und in einen Marketing-Kontext zu übertragen, ist es notwendig, eine anfangs sehr eng abgegrenzte medizinische Definition darzustellen und sukzessive zu erweitern. Dies geschieht in Anlehnung an StewartWilliams und Podd (2004), da die Ausarbeitung ihrer Definitionen der Begriffe Placebo und Placebo-Effekt eine sinnvolle Grundlage für vorliegende Zwecke bietet. Beecher (1955) definiert Placebos in seiner Studie als eine „pharmalogically inert substance“ (S. 1602), welche nach der Einnahme einen tatsächlichen therapeutischen Effekt aufweisen. Zwar umfasst diese Definition zusätzlich zur Zuckerpille sämtliche Substanzen – was für die hier benötigte Definition unabdingbar ist – die einen therapeutischen Effekt auslösen (also auch Kapseln oder andere Substanzen), beseitigt jedoch immer noch nicht das Paradoxon, dass ein inaktiver/träger (inert) Wirkstoff dennoch wirken kann. Eine weiter gefasste Definiti-

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

on von Kirsch (1985a), in der Placebos als „ substances, given in the guise of active medication, but which in fact have no pharmacological effect on the condition being treated” (S. 238) beschrieben wurden, schließt bestimmte Umstände mit ein. Zum einen wird die Substanz in der Rolle einer aktiven Medikation gegeben, zum anderen hat sie keinen pharmakologischen Effekt in den eigentlichen Behandlungsumständen. Das heißt, Substanzen, die manche Zustände behandeln, werden für andere Gelegenheiten als Placebos verwendet. Diese so genannten aktiven Placebos müssen also nicht im absoluten Sinne inaktiv sein, sondern nur hinsichtlich eines bestimmten Effektes, der vom Empfänger oder Anbieter der Substanz erstrebt oder erwartet wird (Stewart-Williams/Podd 2004). Keine Substanz kann ohne dazugehörigen Kontext verabreicht werden und auch die Kontrollgruppen medizinischer Placebo-Studien werden solch einer Prozedur unterzogen. Erinnert sei hier an die Patientengruppe, welcher unter Narkose die Haut angeritzt wurde (Beecher 1955, Moseley et al. 2002) oder an die Kontrollgruppe, welche mit falschen Akupunkturnadeln behandelt wurde (Pariente et al. 2005). Wie bereits weiter oben angesprochen, blieb bspw. bei den durchgeführten Scheinoperationen der Behandlungserfolg, nämlich die Schmerzlinderung nicht aus. Demnach wirkte ein Bestandteil des Prozesses, aber offensichtlich nicht das Abklemmen der Arterie. Dementsprechend kann die Placebo-Operation nicht als unwirksam bezeichnet werden. Kirsch (1985a) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass die Verabreichung eines Medikaments oder Placebos, die einen psychologischen (Behandlungs-) Prozess beinhaltet, zwar pharmakologisch (im Beispiel eher physiologisch) inaktiv sein kann, aber keineswegs unwirksam in Hinblick auf einen psychologischen oder weiteren therapeutischen Effekt sein muss. Die Definition muss demzufolge in zweierlei Hinsicht erweitert werden. Einerseits muss es sich bei einem Placebo um eine Substanz oder Prozedur handeln (Shapiro/Morris 1978), andererseits muss immer noch das grundsätzliche Problem des inaktiven, aber wirkenden Placebos beseitigt werden. Würde man psychologische Effekte definitorisch nicht berücksichtigen, könnte man schlussfolgern, dass sämtliche psychologische Therapien, so sie psychologische Effekte nach sich ziehen, Placebos sind (Stewart-Williams/Podd 2004). Da man weiß, dass psychologische Behandlungen durchaus Erfolge mit sich bringen, wäre dieser Ausschluss nicht zielführend. StewartWilliams und Podd (2004) erweitern dementgegen ihre Definition, indem sie zusätzlich zur Substanz auch eine Prozedur als Placebo gelten lassen und schlagen vor, dass der Term `inaktiv´ (inert) nur in dem Sinne verstanden werden soll, dass Placebos keine inhärente Kraft haben, einen Effekt zu erzeugen: „Our solution is that placebos should be considered inert only in the sense that they have no inherent power to produce a given effect. Inherent powers are those that are „in“ a substance or procedure.“ (Stewart-Williams/Podd 2004, S. 325, Hervorh. i. O.) Zusammenfassend – und auch als Grundlage für diese Arbeit verwendet – definieren StewartWilliams und Podd (2004) ein Placebo folgendermaßen:

Zu den Begriffen Placebo und Placebo-Effekt

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„A placebo is a substance or procedure that has no inherent power to produce an effect that is sought or expected.” (Stewart-Williams/Podd 2004, S. 326, Hervorh. i. O.) Diese Definition ist derart weit gefasst, dass es nur wenige Einschränkungen in Hinblick auf die Substanz oder Prozedur gibt, die das Placebo bilden kann. So können auch (Konsum-) Produkte außerhalb des medizinischen Bereichs sowie Attribute dieser Produkte wie der Preis, die Marke, etc. als Placebos bezeichnet werden. Wie wird nun der Placebo-Effekt definiert? Auch hier ist sich die Wissenschaft uneins (einen Einblick in dieses Thema liefert Shapiro 1968) und es existiert eine Vielzahl an Definitionen (z. B. Kienle/Kiene 1996, Kirsch 1999b, Shapiro/Shapiro 1997). Im Grunde gibt eine Definition eines Placebos die Begriffsbestimmung eines PlaceboEffektes vor. Placebo-Effekte sind demnach Effekte, die durch die Verabreichung bzw. Verwendung eines Placebos entstehen. Zu betonen sei hier, dass die Kausalbeziehung von Placebo und Placebo-Effekten in wissenschaftlichen Untersuchungen stringent eingehalten werden müssen. Wenn bspw. ein Gespräch mit einem Psychologen nur wirkt, weil die zu behandelnde Person will, dass es wirkt, dieses Gespräch jedoch (theoretisch) keine Heilung nach sich ziehen würde, dann handelt es sich um ein psychotherapeutisches Placebo. Besteht theoretisch die Annahme, dass das Gespräch Besserung bringt, handelt es sich um eine aktive Therapie. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Auswirkung einer aktiven Therapie teilweise ihrer inhärenten Kraft, als auch einem psychologischen Placebo zugeschrieben werden könnte. (Stewart-Williams/Podd 2004). Nicht zu vergessen das Beispiel des „Sichtbarmachens“ von Gehirnaktivitäten der Akupunktur-Therapie. Auch hier konnten sowohl echte Effekte der Therapie, als auch Placebo-Effekte nachgewiesen werden (Pariente et al. 2005). Fasst man, in Anlehnung an Stewart-Williams/Podd (2004) die Begriffsbestimmung des Placebo-Effektes noch weiter, wie dies bereits auch schon bei der Definition eines Placebos geschehen ist, kann man sich ganz vom medizinischen, bzw. gesundheitlichen Bezug loslösen. Das bedeutet, dass jede Veränderung, die im Bezug auf verteilte, verabreichte oder „nur“ dargebotene (gezeigte) Placebos zurückzuführen ist, ebenfalls als Placebo-Effekt bezeichnet werden kann. Stewart-Williams/Podd (2004) erweitern ihre Definition für Placebo-Effekte, die hier als Grundlage dienen soll, auf die folgende: „A placebo effect is a genuine psychological or physiological effect, in a human or other animal, which is attributable to receiving a substance or undergoing a procedure, but is not due to the inherent powers of that substance or procedure.” (Stewart-Williams/Podd 2004, S. 326, Hervorh. i. O.)

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt dieser Definition ist, und deshalb dienlich für die vorliegende Arbeit, dass Placebo-Effekte nicht auf bestimmte Individuen beschränkt sind, was bedeutet, dass diese Definition auch losgelöst von klinischen Stichproben verwendet werden kann (Geers et al. 2005) und unabhängig von therapeutischen Behandlungen ist. Ebenfalls geklärt werden muss, inwiefern die hier als physiologisch und psychologisch definierten Placebo-Effekte auch eine psychomotorische Reaktion (also im weitesten Sinne eine Verhaltensreaktion) beinhalten. Als physiologische Lebensvorgänge im Körper des Menschen werden die Vorgänge bezeichnet, die sich auf normale Lebensvorgänge und Funktionen im Organismus beziehen (Pschyrembel 1982, S. 925). Wird z.B. ein koffeinhaltiges Getränk verzehrt, kann, je nach Menge des reinen Koffeingehalts, die physiologische Wirkung des Getränkes durch die Stimulation des zentralen Nervensystems beispelsweise anregend, leistungssteigernd oder blutdrucksteigernd sein. Psychologisch bedeutet, die Psychologie betreffend, welche definiert ist als die „Wissenschaft vom Erleben u. Verhalten des Menschen in Bezug auf Personen, Ereignisse und Objekte der Umwelt.“ (Pschyrembel 1982, S. 979). Eine psychologische Wirkung, die von einem Produkt, bzw. Produktattribut ausgelöst wird, kann demnach auch eine Verhaltensänderung nach Ge- oder Verbrauch eines Produktes sein. Auch Ross/Buckalew (1983) thematisieren in ihrem Übersichtsartikel die Problematik der Abgrenzung der - durch Placebos verursachten - Effekte. Die Autoren zeigen dabei in ihrer Übersichtsstudie, welche zum damaligen Zeitpunkt Placebo-Studien über rückwirkend 20 Jahre erfasst, ebenfalls auf, dass diverse Forschungsarbeiten existieren, die Verhaltensänderungen als Placebo-Antwort untersucht und signifikant nachgewiesen und damit eingeschlossen haben. Ergänzend sei anzumerken, dass in der Fachliteratur nicht erwünschte Effekte, die ein Placebo auslöst, häufig Nocebo-Effekte genannt werden (z. B. Hahn 1999). Personen, die im Zuge einer Studie Placebos erhalten haben, dieses jedoch nicht wussten, da im Doppelblindverfahren getestet wird, berichten nach der Einnahme der Substanz häufig von Beschwerden, die von ihnen als Nebenwirkungen gedeutet werden (Barsky et al. 2002, Rief et al. 2006). Die verabreichte Substanz bzw. Prozedur wird dann nicht mehr Placebo, sondern Nocebo genannt. Da sich die Unterscheidung ausschließlich auf die Namensgebung des Effektes bezieht, je nachdem ob dieser als erwünscht oder als unerwünscht gilt, soll im Folgenden auf diese Unterscheidung verzichtet werden, da sie für vorliegende Forschungszwecke nicht relevant ist. Nachdem nun die Begrifflichkeiten erläutert und Arbeitsdefinitionen festgelegt wurden, wird im Folgenden auf den Erklärungsansatz der Entstehung von Placebo-Effekten eingegangen. Dieser Schritt ist erforderlich, um die Parallelen im Marketing-Kontext nachvollziehen zu können.

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

3.3

53

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

Um zu erklären, wie es zu Placebo-Effekten kommen kann, wird im Wesentlichen auf zwei Theorien zurückgegriffen: Auf die klassische Konditionierung und auf die „Erwartungstheorie“ (Barrett et al. 2006, Koshi/Short 2007). Des Weiteren gibt es noch andere Konstrukte, die einen Beitrag zu der Erklärung von Placebo-Effekten liefern können, wie bspw. die Motivation (Geers et al. 2005, Irmak et al. 2005). Im Folgenden werden nur die beiden in der PlaceboForschung dominierenden Theorien behandelt. 3.3.1

Placebo-Effekte durch klassische Konditionierung

3.3.1.1

Theoretische Einordnung der klassischen Konditionierung

Zunächst soll einführend ein kurzer theoretischer Hintergrund zur Einordnung der klassischen Konditionierung gegeben werden, bevor näher auf den Entstehungsmechanismus des PlaceboEffekts durch Konditionierung eingegangen wird. Die klassische Konditionierung ist eine Form des Lernens, wobei hier das Lernen als ein auf Erfahrung oder Beobachtung basierender Prozess angesehen wird, der eine relativ beständige Verhaltensänderung zur Folge hat (Solomon 2007, S. 84 f., Zimbardo/Gerrig 2008, S. 191). Die Lerntheorie befasst sich hauptsächlich mit Verhalten und Verhaltensänderungen und dient im Wesentlichen dazu, Verhalten zu erklären und vorherzusagen (Lefrançois 2006, S. 20). In den psychologischen Lerntheorien lassen sich grob (neo-) behavioristische und kognitive Lerntheorien unterscheiden. Nach der behavioristischen Lerntheorie wird das Lernen der Menschen, was wiederum das Verhalten beeinflusst, als Reaktion auf äußere Reize angesehen und gilt somit als von außen steuerbar. Maßgebliche Vertreter des Behaviorismus waren unter anderen die amerikanischen Psychologen John Watson (1878-1958) und Burrhus Frederic Skinner (1904- 1990) (Zimbardo/Gerrig 2008, S. 193 f.). Begründet wird die behavioristische Lerntheorie mit dem sogenannten Stimulus-Response-Paradigma (S-R-Paradigma). Die Grundidee dieses Paradigmas beruht darauf, dass Individuen auf bestimmte externe Umweltreize immer mit einer bestimmten Reaktion antworten (Solomon 2007, S. 85 f.). Dabei beschränkt sich der Behaviorismus auf ausschließlich messbare Erscheinungen. Phänomene, die nicht direkt beobachtbar bzw. messbar sind, wie bspw. gedankliche Prozesse oder genetische Dispositionen, finden in dem Modell keine Berücksichtigung und werden als sogenannte „black box“ betrachtet (Lefrançois 1986, S. 12, Solomon 2007, S. 84 ff.). Es werden zwei Formen der behavioristischen Lerntheorie unterschieden. Dies ist zum einen die klassische Konditionierung und zum anderen die instrumentelle Konditionierung, auch operante Konditionierung genannt (Solomon 2007, S. 84 ff., 92 ff.). Die operante Konditionierung beruht auf dem Verstärkerprinzip. Tritt

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

bei einem Individuum ein gewünschtes Verhalten auf, so wird es belohnt. Somit wird der Belohnungsreiz (Verstärker) mit dem Verhalten assoziiert, wobei damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass durch entsprechenden (Belohnungs-)Reiz das Verhalten erneut ausgelöst werden kann. Die Belohnung dient somit als Instrument (Henton/Iversen 1978, S. 45 ff., Solomon 2007, S. 92 ff.). Da der Entstehungsmechanismus des Placebo-Effektes hauptsächlich mit der klassischen Konditionierung begründet ist, wird dieser etwas ausführlicher im folgenden Abschnitt dargestellt. 3.3.1.2

Konditionierung als Ursache des Placebo-Effektes

Die klassische Konditionierung geht auf den russischen Mediziner und Psychologen Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) zurück. Pawlow (1972, deutsche Übersetzung von 1927) entdeckte im Zuge seiner Forschung der Physiologie des Vedauungssystems des Hundes, dass der Speichelfluss des Tieres bereits beim Eintreten des Forschers in den Raum begann, nicht erst bei der Gabe des Futters. Er setzte mit dieser Entdeckung den Grundstein weiterer Experimente. Er wollte zeigen, dass das Assoziieren von zwei völlig unterschiedlichen Reizen durch Lernen dazu führt, dass sich die ursprüngliche Reaktion auf den einen Reiz auf den zweiten Reiz übertragen kann. Damit entwickelte er das Modell der klassischen Konditionierung, welches noch heute als Grundlage vieler theoretischer Formulierungen und als wesentlicher Bestandteil des Wissens in der Psychologie gilt (Lefrançois 2006, S. 22 ff., 32 f., Rescorla 1988). In seinem experimentellen Tierversuch kombinierte Pawlow (1972, S. 60 ff.) wiederholt die Futtergabe mit dem akustischen Reiz eines Glockentons. Die Futtergabe, hier als unkonditionierter Reiz (UCS = unconditioned stimulus) bezeichnet, löste beim Hund die Speichelproduktion aus, die unkonditionierte Reaktion (UCR = unconditioned reaction) bzw. unkonditionierter Reflex genannt wird. Die Futtergabe (UCS) und der Speichelfluss (UCR) „bilden zusammen eine ungelernte Reiz-Reaktions-Einheit“ (Lefrançois 2006, S. 33 ff.). Der Glockenton, der zunächst einen neutralen Reiz im Hinblick auf Speichelproduktion bildet, da er bei Hunden keine Reflexe auslöst, wird zeitgleich mit dem unkonditionierten Stimulus gekoppelt. Nach hinreichender Wiederholung des Koppelns der beiden Reize löste der Glockenton alleine, ohne Verabreichung des Futters, den Speichelfluss aus. Der Glockenton wurde zum konditionierten Reiz (CS = conditioned stimulus) und löste die konditionierte Reaktion (CR = conditioned reaction), also den Speichelfluss, aus (Pawlow 1972, S. 60 ff.). Der Hund lernte demnach, den konditionierten Reiz mit dem unkonditionierten zu verbinden, wobei eine gelernte Reiz-Reaktions-Einheit entstand. Abbildung 15 veranschaulicht den Konditionierungsprozess.

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

55

Unkonditionierte Reaktion (UCR)

Unkonditionierter Reiz (UCS)

Unkonditionierter Reiz (UCS)

+

Unkonditionierter Reiz (UCS)

=

Neutraler Reiz (NS)

Neutraler Reiz (NS)

Unkonditionierte Reaktion (UCR)

Konditionierte Reaktion (CR)

Abbildung 15: Prozess der klassischen Konditionierung (in Anlehnung an Lefrançois 2006, S. 35)

Diese grundlegende Form der klassischen Konditionierung nach Pawlow basiert hauptsächlich auf Reaktionen, die vom autonomen, bzw. vegetativen Nervensystem ausgehen, wie bspw. Durst, Hunger, (sexuelle) Erregungen (Solomon 2007, S. 86). Die konditionierte Reaktion, die einem konditionierten Reflex gleichgestellt wurde und als unbewusst eingestuft wurde, wird heute in einem weiteren Sinne verstanden. Es handelt sich hierbei um implizites Lernen, welches beiläufig und unbewusst geschieht. Mit der Verwendung des Begriffs der klassischen Konditionierung können heute auch andere „Arten von Reaktionen“ verstanden werden, die nicht den Reflexen zugerechnet werden (Spada et al. 2006). Diese lassen sich unter anderem mit erweiterten und veränderten Annahmen der Konditionierung begründen. Diese weiter gefasste Sicht der klassischen Konditionierung wird auch als Grundlage des Erklärungsmechanismus für Placebo-Effekte verstanden. Für Pawlow galt die klassische Annahme der Kontiguität der Reize (Kontiguitätsprinzip), also dem räumlichen und zeitlichen Aufeinandertreffen der Reize als fundamentale Voraussetzung (Vaitl/Hamm 1998, S. 66). Dies bedeutet, dass ein zeitliches und räumliches Zusammentreffen zweier Reize den Ausgangspunkt der konditionierten Reaktion bildet (Rescorla 1988). Der Entstehungsmechanismus des Placebo-Effektes kann demnach mit dem Prozess der klassischen Konditionierung folgendermaßen – hier an einem Beispiel erläutert – parallelisiert werden: Aktive Wirkstoffe stellen den unkonditionierten Reiz dar. Sie rufen im Körper des Menschen eine Reaktion (UR) hervor. Das „Medium“, in dem der Wirkstoff transportiert wird, also bspw. die Tablette oder eine Injektionsspritze, stellt den konditionierten Stimulus dar (CS) dar. Allgemeiner ausgedrückt, kann es sich bei

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

dem CS ebenfalls um Objekte, Schauplätze, Menschen oder Prozeduren handeln. Während der medizinischen Behandlung, die der Mensch im Laufe seines Lebens erfahren hat, konnte die zeitliche und räumliche Paarung des unkonditionierten Reizes und des konditionierten Reizes zum erlernten Reiz-Reaktionsmuster führen und so die therapeutische Wirkung eines eigentlich neutralen Reizes hervorrufen. In dieser Sichtweise ist ein Placebo der konditionierte Reiz und der Placebo-Effekt die konditionierte Reaktion (Montgomery/Kirsch 1997, Stewart-Williams/Podd 2004). Die meisten Studien, die sich auf der Basis der klassischen Konditionierung eine theoretische Erklärung des Placebo-Effektes heranziehen, kommen aus dem Bereich der Veterinärmedizin (wie bspw. Herrnstein 1962, Pawlow 1972), sind aber auch in der Humanmedizin vertreten (z. B. Ader 1988, 1993, 1997, Fields/Price 1997). Neuere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Konditionierung demonstrieren hingegen, dass die Kontiguität, also das räumliche und zeitliche Zusammenführen des CS und des UCS, für den Erfolg der Konditionierung weder hinreichend noch notwendig ist. Einerseits konnte gezeigt werden, dass unter bestimmten Umständen ein assoziatives Lernen bei der Paarung des CS und UCS nicht stattfand, andererseits wurde demonstriert, dass auch ohne die räumliche und zeitliche Paarung der Stimuli ein erlerntes Reiz-Reaktions-Muster auftrat (Rescorla 1968, 1988). Diese Erkenntnis ist vor allem in Bezug auf die Verknüpfung mit den unten dargestellten „Erwartungstheorien“ wichtig und soll deshalb erläutert werden: Unter Kontingenz der Reize versteht man eine Wahrscheinlichkeitsbeziehung im Sinne einer Wenn-DannBeziehung zwischen CS und UCS, d. h., inwieweit der konditionierte Stimulus einen Informationsgehalt über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens des unkonditionierten Reizes hat und umgekehrt. Rescorla (1988) verdeutlicht dies in einer Grafik (siehe Abbildung 16). Gezeigt werden hier in einer schematischen Darstellung zwei Reizbeziehungen zwischen dem CS und dem UCS. Die Kontiguität ist bei beiden Beziehungen gleich, sie unterscheiden sich aber hinsichtlich der Kontingenz. Im oberen Teil der Abbildung tritt der UCS auch in Abwesenheit des CS auf. Im unteren Beispiel werden die beiden Reize ausschließlich zusammen dargeboten. Obwohl in beiden Situationen das zeitliche Aufeinandertreffen der Reize gegeben ist (Kontiguität), besitzt der CS im oberen Fall keine Vorhersagenskraft für den UCS. Das Erzeugen einer Konditionierung ist hier unwahrscheinlich. Rescorla (1968) bestätigte die Vermutung in einem Versuch mit Ratten.

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

57

CS UCS

CS UCS

Abbildung 16: Schematische Darstellung zweier CS/UCS-Beziehungen (Quelle: Rescorla 1988, S. 152)

Diese Forschungsergebnisse lieferten unter anderem eine kognitive Erklärung für die Konditionierung (Rescorla 1988) und deuten darauf hin, dass diese modifizierte Konzeption des Konditionierungsphänomens mit der „Erwartungstheorie“ konsistent ist (Kirsch, 1999a). Das bedeutet, dass offensichtlich auch hier eine Antizipation eines Ereignisses, also eine Informationsverarbeitung des jeweiligen Individuums stattfindet. Im nächsten Abschnitt wird zunächst theoretisch erläutert, inwiefern die „Erwartungstheorie“ die Entstehung eines Placebo-Effektes erklärt. In der Fachliteratur der Humanmedizin wird einerseits in experimentellen Studien bekräftigt, dass hauptsächlich die Konditionierung als die Erklärungsbasis gelten soll, andererseits konstatieren konkurrierende Studien wiederum, dass vorwiegend die „Erwartungstheorie“ den Effekt begründet (Stewart-Williams/Podd 2004). Kirsch (2004) spricht der Konditionierung, nicht zuletzt wegen derer eben angesprochenen Voraussetzungen, nur eine mediiernde Rolle hinsichtlich der Bildung eines PlaceboEffektes zu. Da für die Übertragung des Effektes in die Marketingwissenschaft zwar die Rolle der klassischen Konditionierung in Frage kommen kann, aber als wichtigeres erklärendes Konstrukt die Erwartung wahrscheinlich ist, wird im Anschluss an den nächsten Abschnitt, der die Generierung des Placebo-Effektes durch Erwartungen erläutert, kurz dargelegt, wie die Konditionierungstheorie als Mediator für Erwartungen zu verstehen ist. 3.3.2

Placebo-Effekte durch Erwartung

3.3.2.1

Erwartungen – Funktion und Parameter

In der Psychologie gibt es keine einheitliche Konzeptualisierung, die dem Begriff der Erwartung zu Grunde liegt, dennoch stellen Erwartungen ein zentrales Konstrukt in der Psychologie dar (Maddux 1999, Westhoff 1985, S. 10). Es wurden bereits breit gefächerte Definitionen

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

dieses Konstruktes vorgeschlagen (Oliver/Winer 1987). Roese/Sherman (2007) definieren Erwartungen als einen allgemeinen Ausdruck für Vorstellungen, die sich ein Individuum über die Zukunft, bzw. über zukünftige Ereignisse macht. Menschen denken über die Zukunft nach und verwenden solche Gedanken für ständige Beurteilungen, Schlussfolgerungen, Entscheidungen und ihr Verhalten. Erwartungen sind mentale Konstrukte, die das Verhalten regulieren und leiten (Roese/Sherman 2007). Erwartungen sind für einen großen Anteil der Kognition prägend und üblicherweise bei allen höher entwickelten Lebewesen vorhanden, beim Menschen aber in einzigartiger Form. Die meisten Gehirne höher entwickelter Lebewesen können überlebenswichtige Informationen (Futterplätze, Feindbilder) abstrahieren und speichern, welche dann zu gegebener Zeit ihre Verhaltenweisen beeinflussen. Das Einzigartige der Erwartungsbildung beim Menschen ist, dass es scheint, als wäre er als einziger dazu imstande, sich detaillierte Vorstellungen von zukünftigen Möglichkeiten zu bilden sowie sich Situationen in der Zukunft vorzustellen, die vorher nicht existierten (Roese/Sherman 2007). Die wichtigste Funktion von Erwartungen ist die der effektiven Verhaltenssteuerung und diese bildet ein elementares Instrument für die (menschliche) Existenz für das Überleben an sich. Effektiv heißt, dass die Erwartungen zunächst durch Erfahrungen generiert, dann jedoch schnell und zum richtigen Zeitpunkt abgerufen und eingesetzt werden müssen (Roese/Sherman 2007). Erwartungen basieren auf Erinnerungen, die im semantischen Gedächtnis gespeichert werden, welches als Speicherort für organisiertes Wissen verstanden werden kann (z. B. Kintsch 1982, S. 284). Roese und Sherman (2007) gehen davon aus, dass die meisten Erwartungen akkurat sind, also größtenteils genau, implizit und absolut unabdingbar für effektives Verhalten. Ein geringerer Anteil an Erwartungen basiert auf dem episodischen Gedächtnis, welches ein Teil des Langzeitgedächtnisses bildet, in dem Raum-Zeit-Beziehungen sowie persönliche Erfahrungen gespeichert werden (Kintsch 1982, S. 255). Diese Erwartungen sind laut Roese/Sherman (2007) öfter auch explizit und leichter beeinflussbar. Roese/Sherman (2007) nennen fünf Parameter, die das Konstrukt der Erwartungen in einem kontextneutralen Zusammenhang charakterisieren. Diese fünf Parameter können als moderierende Faktoren, also als eine Aktivierung bzw. Hemmung der Erwartung angesehen werden. x

Die subjektive Wahrscheinlichkeit des Auftretens: Wenn, wie oben beschrieben, eine Erwartung ein Gedanke über eine Vorstellung eines zukünftiges Ereignisses ist, dann spielt das subjektive Ermessen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ereignis eintreten wird, eine elementare Rolle.

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

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3.3.2.2

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Die Zuversicht/Vertrauen: Jedes Festhalten an einen Glauben an ein Ereignis variiert hinsichtlich des Grades der Zuversicht, die man dem Ereignis entgegenbringt. Inhaltlich ist das Zuversichtlich-Sein nicht völlig trennscharf von der subjektiv eingeschätzten Auftrittswahrscheinlichkeit abzugrenzen. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen dem „Darauf-Vertrauen“, dass ein Ereignis eintreten wird oder der subjektiven Einschätzung, ob ein Ereignis eintreten wird oder nicht. Die Abstraktheit: Je weiter die Vorstellungen über die Ereignisse in die Zukunft reichen, desto abstrakter werden die Inhalte. Die Zugänglichkeit: Sie reflektiert, wie leicht Erwartungen ins Bewusstsein gelangen. Bestimmt wird dies unter anderem durch die Häufigkeit und durch den zeitlichen Abstand der vorherigen Aktivierung der gleichen Erwartung. Die Explizitheit: Erwartungen können, wie bereits erwähnt, explizit sein und damit auch bewusst mitgeteilt werden, oder implizit, das heißt abrufbar, aber dennoch nicht bewusst vorhanden sein. Theoretische Einordnung der „Erwartungstheorie“

Vorweg muss gesagt werden, dass es im Grunde die Erwartungstheorie, welche den PlaceboEffekt erklärt, nicht gibt, auch wenn diese Bezeichnung in der deutschen wie auch in der angelsächsischen Literatur durchaus üblich scheint (Bootzin 1985, Kirsch 1999a, S. 171, Koshi/Short 2008, Shiv et al. 2005, Stewart-Williams/Podd 2004). Vielmehr handelt es sich um diverse Konstrukte und Modelle. Der Großteil der im Zuge dieser Arbeit gesichteten Literatur über Placebo-Effekte (im medizinischen und/oder psychologischen Kontext) bestand aus empirischen Studien, die sich zwar auf Erwartungstheorien stützten, diese jedoch eher selten konkret erklären. Bei fehlender einheitlicher Konzeptualisierung des Erwartungskonstruktes ist es kaum verwunderlich, dass auch die jeweiligen erklärenden Modelle und Konstrukte der Erwartungen der Placebo-Literatur keine gemeinsame Theorie aufweisen. Da die klassische Konditionierung eindeutig den Lerntheorien zugeordnet wird, kann wohl davon ausgegangen werden, dass die lerntheoretischen Betrachtungen auch im Hinblick auf die „Erwartungstheorie“ dominierend sind (vgl. auch Maddux 1999). Im Nachfolgenden sollen kurz beispielhaft frühe Ansätze der Lerntheorie vorgestellt werden, in welchen Erwartungen eine besondere Relevanz zugeschrieben wird. Durch das Stimulus-Organismus-Reaktions-Paradigma (S-O-R-Paradigma) im NeoBehaviorismus, dem die kognitive Lerntheorie zugrunde liegt, wird das S-R-Paradigma erweitert. Es wird davon ausgegangen, dass das Lernen durch vermittelnde, psychische Variablen im menschlichen Organismus zum aktiven Mechanismus wird. Das (veränderte) Verhalten durch das Lernen wird demnach beispielsweise durch Informationsaufnahme, -speicherung

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Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

und -verarbeitungsprozesse oder Emotionen, Einstellungen und Motive durch bestimmte Stimuli hervorgerufen (Solomon 2007, S. 95 ff.). Dabei handelt es sich bei den intervenierenden Variablen, da nicht direkt mess- oder beobachtbar, um theoretische Konstrukte (auch Balderjahn/Scholderer 2007, S. 6 ff., Kuß/Tomczak 2007, S. 2 f.). Nach der kognitiven Lerntheorie ist das Lernen auch ohne (sichtbare) Verhaltensänderung möglich, vielmehr ergeben sich aus stattfindenden Prozessen des Organismus Verhaltensoptionen. Als Hauptvertreter der kognitiven Lerntheorie gelten unter anderen die Psychologen Edward Chace Tolman (1886-1959) und Jean Piaget (1896-1980). Erwartungen sind ein bedeutendes Konstrukt in Lerntheorien (Kirsch 1985b). Befürworter der kognitiven Lerntheorien argumentieren, dass Lernprozesse mentale Prozesse sind, die sich unter anderem durch Informationswahrnehmung, -aufnahme und -verarbeitung auszeichnen. Lernprozesse sind demnach Kognitionen. Neisser (1979) definiert wiederum Kognitionen als „die Aktivität des Wissens: der Erwerb, die Organisation und der Gebrauch von Wissen; etwas, was Organismen tun, insbesondere etwas, was Menschen tun“ (S. 13), was nicht heißt, dass Tiere keine Erwartungen haben können. Lernen beinhaltet, Erfahrungen und Beobachtungen zu machen, woraus Verhaltensänderungen bzw. Veränderungen des Verhaltenspotentials resultieren können (Zimbardo/Gerrig 2008, S. 223 f.). Auch werden Erwartungen hinsichtlich dessen gebildet, dass auf ein bestimmtes Verhalten eine bestimmte Antwort der Umwelt folgt (Roese/Sherman 2007, Solomon 2007, S. 95 f.). Im Unterschied zu der Betrachtung, dass der menschliche Organismus wie im S-RParadigma als „black box“ angesehen wird, ist also die Annahme zugrunde gelegt, dass die Reaktion eines Individuums durch die kognitive Verarbeitung des auslösenden Reizes gesteuert wird. Dies geschieht unter anderem durch Lernvorgänge, die maßgeblich durch Erwartungen determiniert werden. Tolman (1932), einer der Begründer der kognitiven Lerntheorie, hebt bspw. in seinem Gesamtwerk die Rolle der Erwartungen hervor, sowie in diesem Zusammenhang die besondere Rolle vom Verhalten, das auf ein Ziel gerichtet ist. Er zeigte diesen Zusammenhang in diversen Versuchen mit Ratten (z. B. S. 39 ff.). Für die Folge des Verhaltens, also des Lernens, nimmt bei Tolman die explizite Verstärkung keine dominierende Rolle ein, wie es etwa bei der operanten Konditionierung postuliert wird. Vielmehr sieht er die Verstärkung als Bestätigung von Erwartungen (Spada et al. 2006). Tolman arbeitet vier Grundsätze heraus: Das Verhalten x

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ist zweckorientiert und wird von Erwartungen geleitet, ist kognitiv geleitet, was unter anderem beinhaltet, dass Lebewesen über ein bestimmtes Wissen über eine mögliche Belohnung verfügen,

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

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wird durch die Bestätigung und Etablierung von Erwartungen verstärkt und ist maßgeblich geprägt vom Zusammenspiel von Stimulus und Erwartung. (Lefrançois 2006, S. 169 f.).

Auch in dem späteren, aber ebenfalls wichtigen Lernmodell von Bolles (1972) wird unterstellt, dass das Lernen keine Antwort auf einen Stimulus sei, sondern vielmehr zwei Arten von Erwartungen reflektiert: Sogenannte S-S-Erwartungen (stimulus-stimulus; StimulusFolge-Kontingenzen) und R-S-Erwartungen (response-stimulus; Handlungs-Folge-Kontingenzen). Die S-S-Erwartungen sind Erwartungen dahingehend, dass bestimmte Gegebenheiten oder Reize mit bestimmten Folgen verbunden sind. R-S-Erwartungen sind Erwartungen dahingehend, dass das eigene Verhalten bestimmte Folgen hat. Er leitet die Bedeutung der Erwartungen des Lernprozesses aus den Analysen seiner Tierversuche ab, bei welchen Verstärkungen das Lernen bzw. das Ausbleiben des Lernens nicht erklären konnten. Sowohl bei Bolles (1972) als auch bei Tolman (1932) werden die Erwartungen von direkt erlernten Erfahrungen gesteuert. Betont sei hier, dass durch den Übergang der behavioristischen zu den (neo-behavioristischen und) kognitiven Lerntheorien die Informationsverarbeitungsprozesse von Menschen (und anderen Lebewesen) Berücksichtigung fanden. Diese wiederum sind die Basis der Entstehung von Erwartungen. Das Konstrukt der Erwartung und vielfältige Theorien der Erwartung und Erwartungs-WertTheorien gelten in der Psychologie als äußerst gründlich erforscht (Maddux 1999). Zu den eben dargelegten Theorien, die mit dem Konstrukt der Erwartung in direkten Zusammenhang gebracht werden können, zählen weitere Ansätze, wie bspw. die Soziale Lerntheorie von Rotter (1954, 1966), die Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungstheorie von Vroom (1964), die Sozialkognitive Lerntheorie von Bandura (1977) oder auch die Theorie des überlegten Handelns (Ajzen 1988, Fishbein/Ajzen 1975). Ein neuerer Ansatz der Erwartungstheorie, die response expectancy theory (ReaktionsErwartungs-Theorie), stammt von Kirsch (1985b, 1999b). Dieser theoretische Ansatz kann unmittelbar auf die Entstehung von Placebo-Effekten angewendet werden und ist auch für vorliegende Arbeit richtungsweisend. Neben den nachfolgenden Erläuterungen der ReaktionsErwartungs-Theorie von Kirsch (1985b, 1999b), wird auf andere konkrete Quellen verwiesen, die Ansätze einer Erwartungstheorie zur Erklärung von Placebo-Effekten be-inhalten. 3.3.2.3

Erwartungstheorie(n) und Placebo-Effekte

Die Autoren, die befürworten, dass Placebo-Effekte über Erwartungsmodelle erklärt werden (z. B. Bootzin 1985, Kirsch 1985b, 1999a), zeigen, dass Erwartungen auch ohne eine direkte persönliche Erfahrung entstehen können. So kann auch durch Beobachten anderer Menschen

62

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

eine Erwartung generiert werden (vgl. hierzu die Sozialkognitive Lerntheorie von Bandura aus dem Jahr 1977), aber auch durch verbale Informationen, Überzeugung oder andere symbolische Prozesse (Bootzin 1985). Kirsch (1985b) argumentiert in seiner Arbeit bspw., dass die Erwartungen von Personen an ein Medikament, die gegenteilig zur tatsächlichen pharmazeutischen Wirkung sind, den eigentlich gewollten Effekt der Behandlung aufheben können (Kirsch 1985b und die dort angegebene Literatur). Auch war es dabei keine notwendige Bedingung, dass Personen die Erfahrungen mit dem Wirkstoff selbst gemacht hatten. Um eine (Placebo-) Reaktion zu erzeugen, reichte es aus, Erwartungen an den Wirkstoff zu haben. Die klassische Konditionierung als Erklärungsmechanismus des Placebo-Effektes kann hier nicht in Frage kommen, da kein UCS vorhanden war. Barrett (2006) und Koshi/Short (2007) verweisen in Bezug auf die Wirkung von Placebos auf die „Erwartungstheorie“, die von Goldstein im Jahr 1962 entwickelt wurde. In diesem Modell können bewusste Nutzenerwartungen den Verlauf der Krankheit beeinflussen. Es postuliert, dass Erwartungen an die Verbesserung der Krankheitssymptome mit den Veränderungen, die tatsächlich stattfinden, verknüpft sind. Eine explizite Theorie der Erwartung ist in Goldsteins Artikel nicht zu erkennen. Kirsch (1999a, 1999b) erweckt wiederum mit der response expectancy theory große Aufmerksamkeit in der Placebo-Literatur. Im Rahmen seiner Arbeiten ist die Antwort auf die generierten Erwartungen eine (vom Probanden eigene) automatische Reaktion auf situationsbedingte und vehaltensbedingte Reize (Geers et al. 2005, Kirsch 1999a). Response expectancies (hier übersetzt mit dem Wort Reaktionserwartungen) sind nach Kirsch (1999b) Antizipationen von automatisch erfolgenden Reaktionen einer Person auf verschiedene Situationen und Verhaltensweisen, welche direkt zu den erwarteten Reaktionen führen und keine weitere Verstärkung durch externe Stimuli benötigen, wie etwa einen unkonditionierten Reiz (auch Kirsch/Lynn 1999). Beispielsweise erwartet eine Person, dass sie nach dem Trinken einer Tasse Kaffee munter wird oder sie erwartet, dass sie sich nach dem Trinken von alkoholischen Getränken berauscht fühlt. Die erwarteten Folgen dieser Art gehören zu den Dingen, die Menschen dazu bewegen, eine Handlung überhaupt in Erwägung zu ziehen (wie das Trinken der Tasse Kaffee oder das Trinken von Alkohol). Die response expectancies funktionieren ähnlich wie Erwartungen an einen Stimulus (in der Konditionierung), im großen Unterschied dazu sind sie jedoch direkt an die eigene Person gerichtet und selbstbestätigend, was heißt, dass die Personen die Reaktionen, die sie erwarten, selber erfahren (Maddux 1999, Kirsch 1985b). Kirsch (1999b) erläutert dies an einem Beispiel: Wenn Studierende erwarten, dass sie in einer Prüfung eine gute Note schreiben, werden diese Erwartungen eventuell beeinflussen, wie viel und gut sie lernen und damit indirekt auch die Note beeinflussen. In diesem Fall hat die Erwartung keinen direk-

Grundlegende Theorien zur Erklärung des Placebo-Effektes

63

ten Einfluss auf die Note gehabt. Im Gegensatz dazu können bspw. Personen, die die Erwartung an das Muntermachen eines Kaffees haben, die schwindende Müdigkeit nach dem Kaffeekonsum erleben. Dies jedoch auch, wenn sie sich nicht darüber bewusst sind, dass der Kaffee entkoffeiniert war (Kirsch/Weixel 1988). Der Effekt des „Muntermachens“ war hier demnach automatisch und direkt durch die Erwartungen ausgelöst. Die response expectancies sind nach Kirsch (1999b) aus Sicht der jeweiligen Person Erwartungen an eine nicht dem Willen unterliegende bzw. nicht unter der eigenen bewussten Kontrolle liegende Reaktion des Effektes (Verhalten). Ähnlich den Ausführungen von Rescorla (1988) zu den Erweiterungen der klassischen Konditionierung argumentiert Kirsch (1999a) auch bei der response expectancy theory. Da das Zusammenführen des CS und des UCS nicht unter allen Umständen zum assoziativen Lernen führt (wenn bspw. der UCS häufig ohne den CS auftritt), wird allgemein davon ausgegangen, dass unter diesen Umständen der Informationswert des CS den UCS auch blockieren kann (z. B. Mitchell/Lovibond 2002). Auch hier wird, wie bei der modifizierten KonditionierungsTheorie, davon ausgegangen, dass es sich um eine Art des Lernens von Zusammenhängen von Ereignissen handelt. Konditionierung führt also zu der Entstehung von Erwartungen davon, dass bestimmte Ereignisse nach anderen Ereignissen eintreten. Dabei ist die Ausprägung des Lernens abhängig von der Information, inwieweit der CS ein aussagefähiger und zuverlässiger Prädiktor für den UCS sein kann (Rescorla 1988, Kirsch 1999a). Wieder spielt die Kontiguität der Darbietung der Reize eine eher untergeordnete Rolle. Auch Damianopolous (1982) zeigt, dass die Kontingenz durch bestimmte Paarungen der Reize die Effektstärke des Placebos entscheidend mitbestimmt. Weiter sieht Kirsch (1999a) in der response expectancy theory die UCR als eine prädiktive Antwort, die den Organismus darauf vorbereitet, dass der UCS auftritt (!). Die Erwartungen hinsichtlich des Ansprechens des Reizes (response expectancies) sind demnach individuelle vorweggenommene, automatische Reaktionen auf einen situationalen Reiz oder auf einen Verhaltensreiz. Aus dieser Sicht ist ein Placebo-Effekt eine unmittelbare und unbeeinträchtigte Konsequenz der Erwartungen (Geers et al. 2005). Nach Kirsch (1999b) können die sog. Reaktionserwartungen an Placebos bspw. Veränderungen im Schmerzempfinden, der Ängstlichkeit, der Aufmerksamkeit und der Anspannung, der sexuellen Erregtheit, Veränderungen bei Depressionen, Warzen und Asthma auslösen. Damit ein Reiz überhaupt als Auslöser einer Reaktion in Betracht kommt, muss er zunächst wahrgenommen werden. Da ein pharmakologischer Wirkstoff jedoch nur anhand seiner Effekte wahrgenommen wird, folgert Kirsch (1999a) daraus, dass das Ansprechen des Wirkstoffes, vermittelt durch den Informationsgehalt der Wirkung, den unkonditionierten Reiz darstellt und nicht die unkonditionierte Reaktion. Durch den eintretenden Effekt des Wirkstoffes

64

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

können die Erwartungen an den Wirkstoff erst entstehen. Das soll heißen, dass das klassische Konditionieren hier ein Hilfsmittel ist, Erwartungen zu erzeugen (Kirsch 1999a). Auch existieren in der Literatur andere Modelle von Erwartungen, die die Entstehung von Placebo-Effekten erklären. Ross und Olson (1981) tragen bspw. mit ihrem (Übersichts-) Artikel „An Expectancy-Attribution Model of the Effects of Placebos” dazu bei, dass Erwartungen als etabliertes Konstrukt für die Entstehung von Placebo-Effekten angesehen werden können (Roese/Sherman 2007). Dieser Ansatz wird hier aus Gründen des fehlenden direkten Bezugs zur Gesamtarbeit nicht weiter erörtert. Es gilt jedoch zusammenfassend festzuhalten, dass Erwartungen nicht immer zum PlaceboEffekt führen und dass die Determinanten für den Mechanismus der Entstehung des PlaceboEffektes über die Erwartungen nicht eindeutig identifiziert sind (Geers et al. 2005). Auch Kirsch (1999a) erwähnt in diesem Zusammenhang, dass die Konditionierung zwar als Hilfsmittel, jedoch nicht als einziges anzusehen ist, um Erwartungen entstehen zu lassen. Erwartungen werden bspw. ebenso vom Lesen, Zuhören und Beobachten von anderen Menschen generiert. Zusammenfassend sollte verdeutlicht werden, dass die Erwartungstheorie zur Erklärung der Entstehung von Placebo-Effekten nicht existiert. Vielmehr bestehen diverse Modelle (Feather 1982) und modifizierte Theorien, die im Grunde eine gemeinsame, hier sehr simplifizierte, Aussage zu Placebo-Effekten machen: Sehr vereinfacht dargestellt, generiert eine Substanz oder eine Prozedur einen Effekt, da der Rezipient erwartet, aber auch glaubt und hofft, dass die Substanz oder Prozedur wirkt. (Steward-Williams/ Podd 2004).

3.4

Konditionierungs-Erwartungstheorie-Debatte

Offensichtlich können Placebo-Effekte sowohl durch die klassische Konditionierung als auch durch Erwartungen entstehen. Wie bereits an den herausgestellten Gemeinsamkeiten der modifizierten Konditionierungstheorie und der dargestellten Modelle der Erwartungstheorie zu erkennen sein müsste, ist die Zuordnung zu den theoretischen Erklärungen nicht immer eindeutig. Wie eingangs im Kapitel bereits erwähnt, liegt das Hauptforschungsfeld des PlaceboEffektes im Bereich der Schmerztherapie der Humanmedizin. Inwieweit welche theoretische Basis zum Entstehungsmechanismus des Effektes herangezogen wird, wird größtenteils anhand einer induktiven, also empirischen Beweisführung belegt. Vase et al. (2002) konnten bspw. in einer Metaanalyse mit Placebos und Schmerzbehandlungen zeigen, dass die Kopplung von der Manipulation der Erwartungsbildung und der Konditionierung die beste Place-

Konditionierungs-Erwartungstheorie-Debatte

65

bo-Antwort ergab, im Vergleich zur jeweiligen Manipulation der Erwartung oder der Konditionierung alleine. Allerdings sind beim Vergleich der Mechanismen die jeweils gewählten Definitionen der Begriffe Placebo und Placebo-Effekt und die gewählten experimentellen Designs entscheidend (Brody/Brody 2000, S. 79 ff., Harrington 1997, Kirsch 2004, Peck/Coleman 1991, Stewart-Williams/Podd 2004). Stewart-Williams und Podd (2004) argumentieren, dass die Problematik der theoretischen Zuordnung häufig daher resultiert, dass Placebo-Effekte existieren, die mit beiden theoretischen Ansätzen erklärt werden können. Der Anteil der Placebo-Effekte, die der Empirie nach ausschließlich über Konditionierung generiert wurden, scheint verschwindend gering zu sein (Kirsch 1999b, 2004, Stewart-Williams/Podd 2004). Auch für die vorliegende Arbeit ist die theoretische Erklärung des Placebo-Effektes über die gebildeten Erwartungen ausschlaggebend. Einer der Kernpunkte der „Konditionierungs-Erwartungs-Debatten“ ist die Frage, ob die Prozesse, die im Menschen ausgelöst werden, durch weniger bewusste Prozesse (durch Konditionierung) zustande kommen oder inwieweit diese Prozesse vom expliziten Lernen, also durch bewusste Erwartungen mediiert werden (Koshi/Short 2007, Price et al. 2007, StewartWilliams/Podd 2004). Stewart-Williams und Podd (2004) entwerfen bei ihrem Vorschlag, die Debatte zu lösen, ein Modell (Abbildung 17), das beide Ansätze miteinander verbindet. Sie belegen in ihrer Arbeit anschaulich, dass durch Konditionierung sowohl unbewusste, als auch bewusste Lernprozesse initiiert werden können. Das heißt, dass auch hier, ähnlich wie in den Ausführungen zu Kirsch (1999a), die Konditionierung zu Lernprozessen führen kann. Gleichzeitig kann das Lernen auch andere Ursprünge haben, was dann zum bewussten Lernen von Erwartungen führen kann, was sie hier als „conscious expectancy learning“ bezeichnen. Beide Wege des Lernens können zu subjektiven Placebo-Effekten als auch zu den hier sogenannten physiologischen Placebo-Effekten führen. Die Unterscheidung zwischen subjektiven und physiologischen Effekten geht einher mit der in Abschnitt 2.1.3 gemachten Trennung des subjektiven und objektiv messbaren Nutzens. Physiologische Placebo-Effekte, wie bspw. eine ersichtliche Verbesserung eventueller Krankheitssymptome, sind objektiv messbar (objektiv messbarer Nutzen für den/die Patienten/in). Angaben der PatientInnen, dass ein Schmerz gelindert wurde oder dass sich das allgemeine Wohlbefinden verbessert hat, sind subjektiv und nicht nachprüfbar (subjektiver Nutzen). Letztere werden im medizinischen/psychologischen Bereich dennoch als Placebo-Effekte bezeichnet. Die Placebo-Forschung im Marketing konzentriert sich hingegen auf objektiv messbare Effekte, was in Kapitel 4.1 noch genauer erläutert wird.

66

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

Input:

Mediation:

Output:

The source of learning

The form of learning

The outcome of learning

Classical conditioning procedures

Nonconscious learning

Physiological placebo effects

Other sources of learning (verbal information, vicarious?)

Conscious expectancy learning

Subjective placebo effects

Abbildung 17: Verknüpfung der theoretischen Ansätze (Quelle: Stewart-Williams/Podd 2004, S. 336)

Kirsch (2004) kommentiert und kritisiert den Ansatz von Stewart-Williams und Podd (2004) (Abbildung 17) dahingehend, dass für ihn Erwartungen in dem Moment, in dem sie das Verhalten beeinflussen, keineswegs bewusst sein müssen. Die bewusste Zugänglichkeit der Erwartung drückt sich eher darin aus, dass der Mensch in der Lage ist, sich später über seine Erwartungen zu äußern, wenn seine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird. So kann man, wenn man durstig ist, nach einem Glas Wasser greifen, ohne dass man das Bewusstsein dafür hat, was man tut bzw. welche Erwartungen wie erfüllt werden. Die Erwartung dahingehend, dass das Wasser den Durst löschen wird und zur Handlung führte, kann nach Kirsch (2004) durch Befragung bewusst gemacht werden und leicht verbalisiert werden. Benedetti et al. (2003) untersuchen in ihrer Studie ebenfalls die bewussten und unbewussten Prozesse bei der Entstehung eines Placebo-Effektes und ziehen ähnliche Schlüsse, wie sie Stewart-Williams und Podd (2004) in ihrem Modell (Abbildung 17) herleiten. Die Verbindung der beiden theoretischen Ansätze zeigt, dass die Konditionierung zu unbewussten Lernprozessen führen kann, als auch zu bewusstem Lernen von Erwartungen. Allerdings existieren auch weitere Mechanismen des Lernens, die zu Placebo-Effekten führen können, die nicht über konditionierende Mechanismen generiert sind. Weiter wurde dargelegt, dass in der Literatur nur wenige Studien existieren, die eine bloße Konditionierung als Entstehung von Placebo-Effekten theoretisch herleiten als auch empirisch zeigen konnten. Festhalten lässt sich, dass offensichtlich sowohl bei der Konditionierung als auch bei der Bildung

Zusammenfassung des dritten Kapitels

67

von Erwartungen kognitive Prozesse im Organismus des Menschen ablaufen. Rescorla (1968, 1988) konnte zeigen, dass nur bei Kontingenz (Vorhersagekraft) der Reize eine konditionierte Reaktion zu beobachten war. Auch hier fand demnach eine Antizipation von Ereignissen statt, also eine kognitive Verarbeitung. Diese „modernere“ Sichtweise der Konditionierungstheorie suggeriert, dass ohne das Bewusstsein eines Individuums keine Konditionierung stattfinden kann (Levey/Martin 1983, Shimp 1991). In der vorliegenden Arbeit wird nicht ausgeschlossen, dass die Konditionierung als Ursache für Placebo-Effekte angesehen werden kann, vielmehr soll betont werden, dass sich die Konditionierung und die Erwartungstheorie als Erklärung für den Entstehungsmechanismus der Placebo-Effekte nach neueren Erkenntnissen annähern und damit ergänzen.

3.5

Zusammenfassung des dritten Kapitels

Nach der Einführung in das Thema wurden Definitionen der Begriffe Placebo und PlaceboEffekt dargelegt, die zum einen eine Grundlage für die weiteren Ausführungen bieten und zum anderen für eine Übertragung in den Marketing-Kontext dienlich sind. Die Antwort auf ein Placebo ist eine komplexe psychische bzw. physiologische Reaktion, für deren Entstehung die beiden wichtigsten theoretischen Erklärungsansätze im Anschluss an die Begriffsfestlegung vorgestellt wurden: Zum einen die klassische Konditionierung, zum anderen diverse Ansätze und Modelle der Erwartungsbildung. Beide Theorien sind Lerntheorien. Wie die Ausführungen aufgezeigt haben, nähern sich die Ansätze der neueren Betrachtungsweise der klassischen Konditionierung (Rescorla 1988) den dargestellten Ansätzen der erwartungstheoretischen Betrachtungen an. So verwundert es nicht, dass Modelle gefunden werden, die eine Integration der beiden theoretischen Ansätze zulassen. Ging man in den frühen Betrachtungen der klassischen Konditionierung noch davon aus, dass das Kontiguitätsprinzip ausschlaggebend für das Assoziationslernen ist, geht die sog. modifizierte Sicht der Konditionierungstheorie davon aus, dass vielmehr die Kontingenz der Reize ausschlaggebend ist. Dieser Ansatz spiegelt sich in den vorgestellten Modellen und Ansätzen der Erwartungen wider. Der Hauptaspekt bei der Debatte darüber, welche Theorie herangezogen wird, liegt weitestgehend in der Betrachtung, inwieweit das Erlernen einer Reiz-Reaktions-Paarung bewusst oder unbewusst stattfindet (Benedetti et al. 2003, Kirsch 1985). Ergänzend sei noch hinzugefügt, dass Kirsch (1999a) betont, der Placebo-Effekt sei durch die Stärke der Erwartungen determiniert und nicht davon abhängig, auf welchem Wege diese entstanden sind. Da es nicht Ziel dieser Arbeit ist, einen Konsens zu Klärung der Debatte zu finden, sondern lediglich einen Überblick über die theoretischen Grundlagen zur Erklärung des PlaceboPhänomens zu liefern, wurde gezeigt, wie sich beide Ansätze verbinden lassen. Als Fazit wird festgehalten, dass Erwartungsbildungen für die Entstehung von Placebo-Effekten als Haupt-

68

Begriffliche und theoretische Grundlagen zu Placebo-Effekten

einflussfaktor betrachtet werden können (Kirsch 1999a). Sie werden für die nachfolgende Arbeit als Grundlage verwendet.

4

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

In diesem Kapitel wird zunächst, Bezug nehmend auf die theoretischen Entstehungsmechanismen des Placebo-Effektes, ein inhaltlicher Rahmen geschaffen, der die wesentlichen Determinanten der Erwartungsbildung eines/r Konsumenten/in bezüglich der Produktwirkung beinhaltet. Nach einer inhaltlichen Eingrenzung bzw. Spezifikation erfolgt die Erarbeitung der Determinanten anhand des von Shiv et al. (2005b) herausgearbeiteten Bezugsrahmens zur Entstehung von Placebo-Effekten. Da der Bezugsrahmen in vorliegender Arbeit als ein Abbild eines Produkt-Nutzungs-Prozesses angesehen wird, werden mit Hilfe der Darstellungen von Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozessen die in dem Bezugsrahmen herausgearbeiteten wesentlichen Einflussfaktoren spezifiziert. Zum einen handelt es sich hierbei um die detaillierte Darstellung der Determinante der allgemeinen Annahmen (global beliefs) der KonsumentInnen, zum anderen um wesentliche externe Reize (external cues) in Bezug auf relevante Vorstellungen von einem Produkt, welche die Erwartungen hinsichtlich der Produktwirkung beeinflussen können. Im Zuge der Darstellung der externen Reize wird ein Überblick verschafft, durch welche Marketing-Maßnahmen die Erwartungsbildungen von KonsumentInnen an die Qualität bzw. Effektivität eines Produktes hervorgerufen werden können. Im Anschluss wird ein Literaturüberblick über bestehende empirische Studien von PlaceboEffekten gegeben, die einen direkten Bezug zum Marketing aufweisen. Es werden hauptsächlich Studien beachtet, bei welchen ein objektiv messbarer, also kein rein subjektiver PlaceboEffekt auftrat. Die Auflistung stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, beinhaltet jedoch die speziell in der Marketing-Forschung veröffentlichten Ergebnisse. Die Literaturübersicht enthält des Weiteren Arbeiten aus anderen Fachbereichen, welche aber, sei es bspw. durch Kommunikationsmaßnahmen oder durch produktpolitische Entscheidungen, MarketingMaßnahmen beinhalten.

4.1 4.1.1

Konzeptualisierung und Rahmenbedingungen Marketing-Maßnahmen und Produktwirkung

Wie beschrieben, wird als theoretische Erklärung für Placebo-Effekte auch die Theorie der Konditionierung herangezogen. Wie die Ausführungen zur Konditionierungs- versus Erwartungstheorie-Debatte gezeigt haben, wird auch in der medizinischen und psychologischen Literatur der Hauptfokus zur theoretischen Erläuterung des Placebo-Effektes auf die Erwar-

70

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

tungstheorien gelegt. Auch in diesem Kapitel wird dieser Fokus beibehalten. Dass die klassische Konditionierung als Quelle des Lernens (siehe Abbildung 17) im Marketing in Betracht kommt, zeigen diverse Studien außerhalb des Forschungsbereiches der Placebo-Effekte (z. B. Allen/Janiszewski 1989, Shimp et al. 1991, Till/Priluck 2002). Dennoch liegt der Akzent der Studien der Literaturübersicht (Abschnitt 4.3) als auch der der Empirie (Kapitel 5) vorliegender Arbeit auf der Erwartungstheorie. Die Anlage des hier verwendeten experimentellen Designs beruht auf der Manipulation der Erwartungsbildung der Versuchspersonen. Wie jeweils aus den Erläuterungen hervorgehen wird, werden die beteiligten Versuchspersonen ausschließlich hinsichtlich ihrer Erwartungen an die Marke manipuliert. Die Manipulation über die unabhängigen Variablen zielt in den marketing-relevanten Studien demnach nicht darauf ab, die ProbandInnen mit Hilfe eines Stimulus zu konditionieren. Das Konstrukt der Erwartung wurde in Abschnitt 3.3.2.1 bereits in einem kontext-neutralen Bezugsrahmen dargestellt. Dieser allgemeine Kontext wird nun auf den Marketing-Kontext fokussiert und zwar insofern, als dass das Konstrukt der Erwartung auf das Konstrukt der Konsumentenerwartung hinsichtlich der Wirkung von Produkten spezifiziert wird. So kann die erwartete Wirkung von Produkten mit der soeben dargestellten Definition der Reaktionserwartung von Kirsch (1999a, 1999b) gleichgesetzt werden und wird folgend als Basis der Entstehung von Placebo-Effekten im Marketing-Kontext verwendet. Zunächst soll vorab spezifiziert werden, was vorliegend unter der Wirkung von Produkten verstanden wird. In diesem Zusammenhang wird erläutert, warum keine Einschränkungen hinsichtlich der Produktkategorie gemacht werden müssen: Der Nutzen aus einem Produkt (laut Festlegung in Abschnitt 2.1.5, Dienstleistungen mit inbegriffen) ist dem Produkt nicht inhärent, sondern entsteht durch den service (hierzu soll nochmals an die in Abschnitt 2.1.5 kurz erwähnte Service-Dominant-Logic erinnert werden), den ein Produkt bietet. Er entsteht erst bei der Verwendung des Produktes und ist mit dem Ergebnis der aktuellen Problemlösung bzw. Bedürfnisbefriedigung gleichzusetzen. Nicht nur tangible bzw. dem Körper zuführbare Produkte können wirken. So ist leicht vorstellbar, dass alles, was gegessen oder getrunken werden kann, biochemisch wirken kann, wie bspw. das Trinken eines koffeinhaltigen Getränkes oder die Einnahme eines Kopfschmerzmittels. Andererseits soll hier auch eine durch ein Produkt generierte Verhaltenswirkung miteinbezogen werden. So könnte die Wirkung eines Friseurbesuchs oder die Verwendung einer Augenfaltencreme zu subjektivem Wohlbefinden führen und ein selbstbewusstes Verhalten zur Folge haben, also auch verhaltenswirksam sein. Genauso kann das Lesen eines Buches die Wirkung haben, dass der/die Leser/in (objektiv) über mehr Wissen verfügt. Auch zieht die Benutzung (das Fahren) eines Automobils unzweifelhaft die (objektive) Wirkung der Fortbewegung nach sich. Der Begriff Produktnutzen kann als Synonym für positive Produktwirkung angesehen werden.

Konzeptualisierung und Rahmenbedingungen

71

Die Ansichtsweise, dass Produkte zur unmittelbaren (und mittelbaren) Problemlösung gekauft und verwendet werden und diese demnach eine Veränderung der Situation der jeweiligen KonsumentInnen herbeiführen, lässt zu, dass keine Einschränkungen in Bezug auf die Produktkategorien gemacht werden müssen. Zwar können (vermutlich) nicht alle Produkte biochemische Wirkungen hervorrufen, doch wird hier die Ansicht vertreten, dass Verhaltenswirkungen für keine Produktkategorie ausgeschlossen werden müssen. Weiter sollen auch negative erwartete Wirkungen an ein Produkt von der hier begrifflich festgelegten Produktwirkung nicht ausgeschlossen werden. Die Unterscheidung zwischen einer positiven und einer negativen Wirkung lässt sich an Beispielen veranschaulichen. Im medizinischen Bereich lassen sich die negativen Wirkungserwartungen größtenteils mit den kommunizierten Nebenwirkungen erfassen. Im Marketing-Kontext könnten bspw. Warnhinweise auf Produkten (z. B. auf Zigaretten oder Süßwaren) negative Erwartungen auslösen und zu negativen Wirkungen führen. Der Nutzen eines Produktes wäre dann negativ beeinflusst. Im Zentrum der Placebo-Forschung im Marketing stehen zum einen objektiv messbare Effekte und aktuelle (messbare) Wirkungsvariationen der Produkte in Bezug auf eine Befriedigung eines aktuellen Bedürfnisses. Zum anderen werden die extrinsischen Eigenschaften eines Produktes fokussiert (Abbildung 18). Das heißt, dass der Forschungsschwerpunkt nicht auf die veränderten Erwartungen an die physisch-funktionellen (intrinsischen) Eigenschaften konzentriert ist, sondern auf extrinsische Produkteigenschaften wie den Preis, der Marke usw., die durch Marketing-Maßnahmen beeinflusst werden können.

Abbildung 18: Konzeptualisierung der Placebo-Effekte im Marketing (Quelle: Fell et al. 2009)

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Welche Marketing-Maßnahmen sind ausschlaggebend für die Wirkungserwartung an Produkte, bzw. was wird vorliegend unter Marketing-Maßnahmen verstanden? Unter MarketingMaßnahmen werden hier die Planung des Marketing-Mix, also die Entscheidungen über den Preis (price), das Produkt (product) samt seiner in Abschnitt 2.1.2 genanten Dimensionen, die Kommunikation (promotion) und den Vertrieb (place) (4 P´s des Marketing) für einzelne Produkte verstanden (z. B. Kuß 2006, S. 171 ff.). Ganz allgemein gesprochen, können grundsätzlich alle Maßnahmen des Marketings die wahrgenommen werden und in der Lage sind Erwartungen an die Wirkung eines Produktes zu generieren, ausschlaggebend für Placebo-Effekte sein. 4.1.2

Übersicht und Rahmenbedingungen

Wie beschrieben, gilt die Erwartungstheorie als ein Erklärungsansatz für die Entstehung von Placebo-Effekten. Das Konstrukt der Erwartung wurde bereits in Abschnitt 3.3.2.1 als ein allgemeiner Ausdruck für Vorstellungen, die sich ein Individuum über die Zukunft macht, definiert und mitsamt allgemeingültigen, d.h. kontextunabhängigen Parametern dargestellt. In Verbindung mit dem Marketing soll nun der speziellere Fall der Konsumentenerwartungen an die Wirkung von Produkten mitsamt ihrer Determinanten erörtert werden, um das im medizinischen Bereich vorzufindende Phänomen der Placebo-Effekte auf den MarketingKontext übertragen zu können. Die allgemeine Funktion der Erwartungen als wichtiger Mechanismus zum Überleben (Abschnitt 3.3.2.1, Roese/Sherman 2007) wird nun hinsichtlich ihrer Funktion als Referenzgröße in Bewertungssituationen (Richter 2005, S. 23) in Bezug auf die Wirksamkeit von Produkten spezifiziert. Unter den Erwartungen an die Wirksamkeit der Produkte werden in Anlehnung an Shiv et al. (2005b) die unter Punkt 3.3.2.3 dieser Arbeit vorgestellten Reaktionserwartungen (response expectancies) (Kirsch 1999a, 1999b) verstanden, also als Antizipation der eigenen automatischen Reaktion auf verschiedene Situationen. „Response expectancies are anticipations of one´s own automatic reactions to various situations and behaviours” (Kirsch 1999b, S. 4). Abbildung 19 liefert einen grafischen Überblick über die von Shiv et al. (2005b) herausgearbeiteten Zusammenhänge, die erweitert und im Folgenden erläutert werden. Nach der dargelegten Übersicht dient der Bezugsrahmen als Anhaltspunkt, die Aspekte externe Reize (external cues) und allgemeinen Annahmen (global beliefs) sowie weitere Faktoren zu diskutieren, die einen Einfluss auf die Wirkungserwartung und demzufolge auf PlaceboEffekte im Marketing-Kontext haben können.

Konzeptualisierung und Rahmenbedingungen

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Abbildung 19: Bezugsrahmen für die Entstehung von Placebo-Effekten (in Anlehnung an Shiv et al. 2005b, S. 411)

Die Erwartungen hinsichtlich der Wirkung eines Produktes (response expectancies) werden sowohl durch intrinsische, also dem Produkt inhärente, als auch extrinsische (relevante) Vorstellungen über das Produkt sowie durch den Glauben an das Produkt (salient productspecific beliefs) selbst gebildet (Shiv et al. 2005a). Intrinsische, also mit dem Produkt selbst verbundene Vorstellungen (Überzeugungen) können bspw. die Überzeugung an die schmerzstillende Wirkung einer Kopfschmerztablette sein sowie der Glaube an die von diesem Produkt ausgehenden Nebenwirkungen. Ein weiteres Beispiel könnte die Überzeugung an ein diätetisches Backprodukt sein, keinen Zucker zu beinhalten und damit für bestimmte Zielgruppen gesundheitsförderlich (bzw. nicht gesundheitsschädlich) zu sein sowie der Glaube an die rechtlich vorgeschriebenen Vermerkungen der Nebenwirkungen auf den Produktverpackungen des Zuckerersatzstoffes (Glandorf et al. 1991, S. 46). Intrinsische Produkteigenschaften sind demnach dadurch charakterisiert, dass sie nicht verändert werden können, ohne das Produkt an sich zu ändern (Olson 1977, Olson/Jacoby 1972). Sie sind dicht verwoben mit den technischen, physischen und auch (bio)chemischen Eigenschaften eines Produktes (Acébron/Dopico 2000). Mit extrinsischen produktspezifischen Überzeugungen sind Produktattribute gemeint, die zwar mit dem Produkt in Verbindung gebracht werden, aber durch Marketing-Maßnahmen verändert werden können, wie bspw. die Verpackung und der Preis eines Produktes (auch Olson 1977, Steenkamp 1989, z. B. S. 60 ff. und die dort angegebene Literatur).

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Diese Aufteilung in intrinsische und extrinsische „Produkt-Überzeugungen“ liegt dicht an der Definition der in Abschnitt 2.1.2 dargestellten Produktdimensionen von Kotler et al. (2007). Aufgrund der inhaltlichen Nähe können die intrinsischen Überzeugungen des Produktes direkt auf die Dimension des Kernproduktes übertragen werden. Der intrinsische (unmittelbare) Glaube an die Wirkung eines Produktes stellt somit das Kernprodukt, also den Kernnutzen des Produktes für den/die Konsumenten/in dar. Der extrinsische Glaube an ein Produkt kann mit den Dimensionen des realen und des erweiterten Produktes gleichgesetzt werden, also mit den fünf Charakteristika des realen Produktes (Qualität, Funktionalität, Design, Marke, Verpackung) (Kotler et al. 2007, S. 624) einschließlich Zusatzleistungen in Form von produktbegleitenden Dienstleistungen. Nach einem Vorschlag von Borsook/Becerra (2005) trennen Shiv et al. (2005b) in einem Folgeartikel die Einflussfaktoren in externe Produkt-Reize und allgemeine Annahmen. Demnach können die relevanten Vorstellungen über ein Produkt, bzw. der Glaube an ein Produkt über einen direkten Weg von externen Reizen (external cues) beeinflusst bzw. verstärkt werden. Zusätzlich können externe Reize über einen indirekten Weg einen Einfluss auf relevante Vorstellungen eines Produktes haben, indem diese allgemeine Annahmen (global beliefs) in den Köpfen der KonsumentInnen aktivieren. Als Beispiele für externe Reize geben die Autoren verbale Suggestion und Werbestatements an. Allgemeine Annahmen sind nach den Autoren Vorstellungen, die auch unabhängig vom Produkt gelten können, wie bspw. die Ansicht, dass „Produkte, die billig sind, von schlechter Qualität sein müssen“ oder wie die Annahme, „the quality of national brands is better than that of private-label brands“ (Shiv et al. 2005b, S. 410, Hervorh. durch d. Verf.). Die Meinung und Beurteilung eines Produktes ist, wie beschrieben, determiniert durch externe Reize und allgemeine Annahmen der KonsumentInnen. Der Glaube an das Produkt, hier gleichbedeutend mit der Beurteilung der Produktwirkung, führt wiederum zur Bildung von (eigenen) Reaktionserwartungen (response expectancies). Diese Reaktionserwartungen können, wie in Kapitel 3.3.2.3 beschrieben, durch den Gebrauch (Usage) des Produktes PlaceboEffekte hervorrufen, welche sich als ein subjektives Resultat oder als eine beobachtbare oder messbare Verhaltensänderung zeigen kann (Shiv et al. 2005b). Weiter erwähnen die Autoren noch die Möglichkeit, dass auch andere Faktoren, wie bspw. der Glaube der KonsumentInnen an die eigene Selbstwirksamkeit einen Einfluss auf das von ihnen empfundene subjektive Ergebnis eines Prozesses oder auf ihr eigenes Verhalten haben kann. Diese anderen Faktoren können ebenfalls durch externe Reize beeinflusst werden (Shiv et al. 2005a, S. 389). Des Weiteren hat das Ergebnis des Gesamtprozesses rückkoppelnde Wirkungen auf die allgemeinen Annahmen sowie auf die relevanten Überzeugungen an ein Produkt und auf weitere Faktoren. In welcher Weise positive oder negative Erlebnisse (Ereignisse) einer Produktnut-

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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zung auf die einzelnen Elemente des Modells wirken, kann vom Attributionsstil der KonsumentInnen abhängig sein. So können typischerweise zwei Attributionsstile unterschieden werden (z. B. Peterson/Barrett 1987): Der optimistische Attributionsstil, welcher impliziert, dass positive Ereignisse eher internal, also sich selbst zugeschrieben werden (also eher eine rückkoppelnde Wirkung auf die Selbstwirksamkeit hätten) und negative Ereignisse eher externalen Ursachen zugeschrieben werden (entsprechend Auswirkungen auf allgemeine Annahmen oder produktspezifische Vorstellungen hätten). Dementgegen steht der pessimistische Attributionsstil, bei dem die Zuschreibung des Ergebnisses sich vice versa verhält. Diese Zusammenhänge in Bezug auf Placebo-Effekte im Marketing-Kontext zu untersuchen, wäre eine interessante Erweiterung des Forschungsgebietes (zur Attributionstheorie und Qualitätsbewertung vgl. auch Folkes 1984, Kardes 1988, Kroeber-Riel et al. 2009, S. 345 ff.). In seiner Gänze stellt der Bezugsrahmen von Shiv et al. (2005b) die Nutzung mit der vorangegangenen Wahrnehmung mitsamt ihrer Informationsverarbeitungsprozesse eines Produktes dar. Die von den KonsumentInnen wahrgenommenen Produktattribute und das von ihnen bereits vorhandene Wissen über das Produkt sowie andere allgemeine (Wert-) Vorstellungen, die hier ebenfalls als Elemente der Wahrnehmung betrachtet werden, führen zu den Wirkungserwartungen an ein Produkt. Diese können einen Placebo-Effekt hervorrufen, also das Ergebnis des eigentlichen Nutzungsprozesses beeinflussen. Die Antizipation der Wirkung (die Reaktionserwartung) eines Produktes wird demnach durch diverse (kognitive) Prozesse der Wahrnehmung determiniert, auf die nachfolgend eingegangen wird. Im dargestellten Bezugsrahmen (Abbildung 19) bilden die Aspekte external cues und global beliefs die relevanten Elemente der Produktwahrnehmung ab, auf die aus diesem Grund anschließend detaillierter eingegangen wird.

4.2

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

Um ein Produkt und dessen Qualität hinsichtlich seiner Wirkung beurteilen zu können, müssen Informationen zu diesem Produkt vom/von der Konsumenten/in wahrgenommen, zugeordnet und verstanden (entschlüsselt), also kognitiv verarbeitet werden. In welchem Maße Erwartungen an die Wirkung eines Produktes bestehen, wird vorliegend als untergeordnete Kategorie der Gesamt-Produktbeurteilung angesehen. Die Gesamt-Produktbeurteilung wird in Anlehnung an Kroeber-Riel et al. (2009, S. 327) als eine untergeordnete Ebene der Wahrnehmung betrachtet. Die Wahrnehmung soll hier nicht als bloße Entschlüsselung von aufgenommenen Reizen verstanden werden, sondern als umfassender Prozess, der sowohl die Enkodierung der Reize, als auch „ihre gedankliche Weiterverarbeitung bis zur Beurteilung des wahrgenommenen Gegenstandes“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 327) beinhaltet. Aus diesem Grund wird vor der Darstellung und Erläuterung des Bezugsrahmens zur Entstehung von Pla-

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

cebo-Effekten im Marketing-Kontext von Shiv et al. (2005b) ein Wahrnehmungsprozess beschrieben, der zu den Elementen der externen Reize und zu den allgemeinen Annahmen des Bezugsrahmens in Bezug gesetzt werden kann. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass der Erklärungsmechanismus der Placebo-Effekte auf der Erwartungstheorie basiert, welche wiederum aus den Lerntheorien abgeleitet wurde (Abschnitt 3.3.2.2). Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse, inklusive der Wissensspeicherung, bilden die Basis des Lernens (Neisser 1979, Kroeber-Riel et al. 2009, S. 364). Die Erläuterungen der menschlichen (Reiz- und) Informationsverarbeitungssysteme werden in diesem Abschnitt mit direktem Bezug zu dem von Shiv et al. (2005b) herausgearbeiteten Bezugsrahmen zur Entstehung von Placebo-Effekten (Abbildung 19) dargestellt. 4.2.1

Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozess

„Unter Wahrnehmung versteht man den psycho-physischen Prozeß der menschlichen Informationsaufnahme und Informationsinterpretation, dessen Endprodukt eine subjektiv gefärbte Abbildung der Realität darstellt“ (Böcker 1996, S. 54). Wesentliche Bedeutung für den Wahrnehmungsprozess haben nach Kroeber-Riel et al. (2009) die Subjektivität, die Aktivität und die Selektivität (S. 321 f.). Die Subjektivität des Prozesses ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder Konsument seine Umwelt individuell wahrnimmt, was unter anderem durch bereits gemachte Erfahrungen, bestehende Urteile und individuelle Fähigkeiten zur Reizverarbeitung geprägt ist (Kuß/Tomczak 2007, S. 30). Aktivität bedeutet, dass die zur Verfügung stehenden Informationen (Reize) vom/von der Konsumenten/in aktiv aufgenommen und verarbeitet werden müssen. Um die Menge der durch die Umwelt dargebotenen Informationen bewältigen zu können, wird nur eine Teilmenge vom Individuum verarbeitet, die wahrgenommenen Reize werden demnach selektiert (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 321). Nach Zimbardo/Gerrig (2008, S. 110) ist die Wahrnehmung ein Prozess, der in drei Hauptbestandteile gegliedert werden kann: Erstens in die sensorischen Prozesse (Aufnahme der Stimulation aus der Umgebung), zweitens in die perzeptuelle Organisation und drittens in den Prozess der Identifikation (Abbildung 20).

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

77

Top-down-Verarbeitung

Mentale Prozesse

Identifikation

Empfindung

Stimulation aus der Umgebung

Bottom-up-Verarbeitung

Perzeptuelle Organisation

Abbildung 20: Der Wahrnehmungsprozess (Quelle: Zimbardo/Gerrig 2008, S. 110)

Die Wahrnehmung ist ein Prozess des Übersetzens von neuronalen Reizen, die durch die Sinneswahrnehmungsorgane aufgenommen und somit zu elektronischen Daten umgeformt wurden, in Bewusstsein, Wissen und/oder Emotionen. Die Grenze des Prozesses der Wahrnehmung zum Prozess des Verständnisses ist nicht eindeutig (Lefrançois 1986, S. 112, Goldstein 2002, S. 6 ff.). Die Aufnahme der Umgebungsreize und der Organisation der Reize im Gehirn, das heißt der Wahrnehmungsprozess und der Informationsverarbeitungs- sowie Informationsspeicherungsprozess können nicht klar voneinander abgegrenzt werden (Kebeck 1994, S. 289, Lefrançois 1986, S. 112, 1994, S. 145, Zimbardo/Gerrig 2008, S. 110) und sollen hier als zumindest teilweise deckungsgleich betrachtet werden (Raab/Unger 2005, Weinberg 1981, S. 33, im Gegensatz dazu bspw. Trommsdorff 2004, S. 274 ff.). Auch stimmt der hier dargestellte Wahrnehmungsprozess in großen Teilen mit dem von Broadbent (1958) und Atkinson/Shiffrin (1968, Shiffrin/Atkinson 1969) entworfenen Drei-Speicher-Modell (auch Multi-Speicher-Modell genannt) überein, welches in der Konsumentenforschung als etablierter Ansatz zur Erklärung von Wissensentstehung gelten kann (Kuß/Tomczak 2007, S. 26) und nach wie vor auch in anderen wissenschaftlichen Forschungsgebieten als einflussreich gilt (Wessells 1994, S. 40). Das Drei-Speicher-Modell umfasst im Grunde dieselben Vorgänge, welche Zimbardo/Gerrig (2008, S. 110) dem Wahrnehmungsprozess zuschreiben, diese werden im Unterschied dazu bestimmten Formen des menschlichen Gedächtnisses, und zwar dem sensorischen Speicher

78

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

(auch Sensorisches Register oder Ultrakurzzeitgedächtnis genannt), dem Kurzzeitspeicher (gedächtnis) und dem Langzeitspeicher (-gedächtnis) zugeordnet (Wessells 1994, S. 41). Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass neuere Gedächtnismodelle (z. B. Craik/Lockhart 1972) und Erweiterungen (z. B. Shiffrin 2003) existieren, die bspw. im Unterschied zum Drei-Speicher-Modell von einer Trennung zwischen einem Kurzzeit- und einem Langzeitspeicher absehen. So besagt z. B. das Modell der Verarbeitungstiefe, welches hauptsächlich auf Craick/Lockhart (1972) zurückzuführen ist, dass nicht der Ort des Speicherns, sondern die Tiefe des Verarbeitens für die Gedächtnisleistung verantwortlich ist. Es besagt, dass je größer der Aufwand des Abspeicherns der Information, desto dauerhafter die Abspeicherung dieser ist. Ebenfalls determinierend ist dabei die Art der Information, welche vor allem zwischen phonemischen und semantischen Informationsdimensionen unterscheidet.

Lernumwelt

Vorliegend werden die zentralen Prozesse der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung samt relevanter Elemente des Abrufens von gespeicherter Information dargestellt. Um zu zeigen, welche Reize und Einflussfaktoren bei der Produktbeurteilung bedeutsam sind, erscheint es nicht notwendig auf feinere Unterscheidungen der alternativen Gedächtnismodelle einzugehen. Auch wenn, wie beschrieben, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Informationsverarbeitung und -speicherung bereits detaillierter erforscht sind, lässt sich mit Hilfe des Drei-Speicher-Modells (Multi-Speicher-Modells) der Sachverhalt zweckdienlich darstellen.

Sensorischer Speicher

KurzzeitSpeicher

LangzeitSpeicher

Mustererkennung

Abbildung 21: Das Multi-Speicher-Modell der menschlichen Informationsverarbeitung (in Anlehnung an Wessells 1994, S. 41, Zimbardo/Gerrig 2008, S. 236)

Stimuli aus der Umwelt (bspw. Produktinformationen wie der Preis und alle weiteren Bestandteile des realen Produktes, definiert nach Kotler et al. 2007) können nach Zimbardo/Gerrig (2008, S. 152) als empirische Realität angesehen werden, welche in Abbildung 20 mit Stimulation aus der Umgebung benannt sind. Der Stimulus, der als distaler Reiz (fern

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

79

vom Betrachter) bezeichnet werden kann, muss durch die gesamte Sensorik des Individuums aufgenommen werden. Er gelangt somit in das Sensorische Register der Gedächtnisstruktur des Individuums. Durch die Sinnesrezeptoren werden neuronale Reize an das Gehirn weitergeleitet, was in der Abbildung 20 mit Empfindung umschrieben ist und nach Zimbardo/Gerrig (2008, S. 108 ff.) als proximaler (dem Betrachter nahen) Reiz bezeichnet wird. Die so definierten Empfindungen sind demnach die Weiterleitung der neuronalen Reize an andere Gehirnareale, die bspw. dem Bewusstsein samt den empfundenen Emotionen zugeschrieben werden (Grossberg 1999, Myers 2008, S. 88). Daran anschließend werden die Sinneseindrücke in einem ersten – meist sehr schnell ablaufenden und meist unbewussten – Prozess zusammengefügt, die Wahrnehmung wird somit organisiert (perzeptuelle Organisation) (Zimbardo/Gerrig 2008, S. 108). Die durch die Sinnesorgane wahrgenommenen Reize (in Abbildung 21 Lernumwelt genannt) gelangen zunächst in den Sensorischen Speicher. Durch die Begrenzung der menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten (Wessells 1994, S. 89, Trommsdorff 204, S. 258 ff.), gelangen nur Teile der Reize in das Kurzzeitgedächtnis. Die durch den Sensorischen Speicher aufgenommenen Informationen werden, wenn sie nicht in das Kurzzeitgedächtnis gelangen, schnell wieder vergessen. Eine Mustererkennung ist jedoch auch ohne die Zwischenspeicherung im Kurzzeitgedächtnis möglich (Wessells 1994, S. 40 f.). Informationen können vom Kurzzeitgedächtnis, welche diese aufgrund des begrenzten Fassungsvermögens nur ca. 15 Sekunden speichert, auch in das vom Fassungsvermögen nahezu unbegrenzte Langzeitgedächtnis transferiert werden (Wessells 1994, S. 41). Um das wahrgenommene Objekt identifizieren und einordnen, das heißt, dem Objekt eine Bedeutung zuordnen zu können (Identifikation), sind weitere kognitive bzw. mentale Prozesse notwendig. Laut Zimbardo/Gerrig (2008, S. 109) und Neisser (1979, S. 21) können den empfangenen, nun organisierten neuronalen Reizen nur Bedeutungen zugeordnet werden, wenn diese mit bestehenden Wissensstrukturen verglichen werden können. Diese höheren kognitiven Prozesse „umfassen [...] Theorien, Erinnerungen, Wertesysteme, Glaubenssätze und Haltungen im Hinblick auf das Objekt.“ (Zimabrado/Gerrig, S. 109). Es findet demnach ein Abgleich mit bereits erlernten „Mustern“ statt. Diese angeeigneten „Muster“ werden aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen. Der Prozess von der Stimulation bis zur Identifikation der Reize wird auch die Bottom-upVerarbeitung oder datengeleitete Verarbeitung genannt. Der Abruf des Vorwissens in den Identifikations- und Organisationsprozess der Daten wird als Top-down-Verarbeitung und konzeptgesteuert bezeichnet (Grossberg 1999, Bless/Schwarz 2002, Zimbardo/Gerrig 2008, S. 152).

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Die Top-down-Verarbeitung ist wiederum vom jeweiligen Vorwissen der Individuen, deren Motivationen, als auch deren bereits bestehenden Erwartungen sowie weiteren Gesichtspunkten höherer kognitiver Leistungen geprägt (Zimbardo/Gerrig 2008, S. 110). 4.2.2

Wahrnehmungsprozesse und die Produktbeurteilung

In diesem Teilabschnitt wird erläutert, in welchem Bezug die Elemente der externen Reize (external cues) und die allgemeinen Annahmen (global beliefs) in dem von Shiv et al. (2005b) herausgearbeiteten Bezugsrahmen zur Entstehung von Placebo-Effekten zum soeben erläuterten Wahrnehmungsprozess stehen. Anschließend werden im nächsten Abschnitt die allgemeinen Annahmen in Bezug auf ihre theoretischen Determinanten betrachtet und näher erläutert. Weiter werden relevante Aspekte zu den externen Reizen in Form von Schlüsselinformationen und ihre Rolle in Bezug auf Placebo-Effekte im Marketing-Kontext herausgearbeitet. Mit der Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses wurde verdeutlicht, dass Reize zum einen mit den Sinnesorganen registriert, zum anderen, wenn vorhanden, mit bereits bestehenden Elementen des Gedächtnisses, also durch mentale Prozesse identifiziert, eingeordnet und beurteilt werden. Wie bereits erläutert, stellt das in Abbildung 19 dargestellte Modell im Grunde einen Prozess der Wahrnehmung (inbegriffen Informationsverarbeitung) und der Nutzung, also des Gebzw. Verbrauchs eines Produktes mitsamt dessen Wirkung dar. Ein/e Konsument/in sieht und verwendet ein Produkt und kann es dabei gegebenenfalls anfassen, hören, riechen, schmecken etc. Es werden dabei empirische Stimuli aus der Umwelt aufgenommen (siehe Abbildung 20), Beginn der Bottom-Up-Verarbeitung). Würden zu dem Objekt keinerlei frühere Erfahrungen existieren (dazu Fiske/Pavelchak 1986), auf die zurückgegriffen werden könnte, so würde sich der/die Konsument/in, im Sinne der datenbasierten Informationsverarbeitung anhand der isoliert betrachteten Attribute einen Gesamteindruck des Objektes machen. Bei diesem Typ der Informationsverarbeitung wäre es charakteristisch für die KonsumentInnen, jedes einzelne Produktattribut (z. B. die Verpackung, Größe, Gewicht) gesondert zu bewerten und durch eine Art Integrationsprozess zusammenzufügen, um zu einer Gesamtbeurteilung des Produktes zu gelangen. Die Produkte werden als aus diskreten Produkteigenschaften bestehende Objekte wahrgenommen, welchen jeweils ein bestimmter Wert zugeordnet und dieser dann addiert bzw. abgewogen werden kann (Fiske 1982, Sujan 1985). Im dargestellten Modell von Shiv et al. (2005b, Abbildung 19) stellen die externen Reize die Produktattribute dar, welche vom/von der Konsumenten/in isoliert betrachtet und später durch den Integrationsprozess zu einer Gesamtbeurteilung des Produktes hinsichtlich der Wirkung führen können. Zudem wird der relevante Glaube an das Produkt – sofern bereits vorhanden – (in Bezug auf die aktuelle Problemlösung) durch die wahrgenommenen externen Reize beein-

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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flusst. Wie bereits erläutert, spiegeln externe Reize die Produktdimension des Kernproduktes wider. Das heißt, dass im Grunde sämtliche Informationen, die der Konsument aufnimmt (einschließlich aller situativen Faktoren) zu einer Beurteilung (auch hinsichtlich der Wirkung) eines Produktes führen können. Dieser Prozess ist mit dem Prozess der Einstellungsbildung zu einem Produkt zu vergleichen (z. B. Kroeber-Riel et al. 2009, S. 226 ff.). Die vom/von der Konsumenten/in zur Produktbeurteilung bevorzugt herangezogenen Informationen (Produktattribute) werden Schlüsselinformationen genannt. Kroeber-Riel et al. (2009) definieren diese folgendermaßen: „Schlüsselinformationen (information chunks) sind Informationen, die für die Produktbeurteilung besonders wichtig sind und mehrere andere Informationen substituieren oder bündeln.“ (S. 332). Jacoby et al. (1977) sehen Schlüsselinformationen ebenfalls als Informationen, die dem/der Konsumenten/in ermöglichen, bestimmtes Wissen über ein Objekt auf einer höheren Ebene des Gedächtnisses leichter (und komprimiert) zu speichern und abzurufen. Einen Überblick über relevante Schlüsselinformationen bietet der Abschnitt 4.2.3. In dem dargestellten Modell nach Shiv et al. (2005b, Abbildung 19) wird davon ausgegangen, dass bereits relevante Überzeugungen von einem Produkt bestehen, also eine Top-downVerarbeitung der Reize stattfinden kann. Es kann somit zum Abgleich der sensorischen (empirischen) Reize und vorhandenem Wissen kommen, also zu einem Top-down geleiteten Wahrnehmungs- bzw. Informationsverarbeitungsprozess, der sich auf die Erwartungen hinsichtlich der Wirkung eines Produktes auswirken kann. Eine Alternative zu der eben dargestellten, zunächst isolierten Bewertung der einzelnen Produkteigenschaften, die anschließend für die Gesamtbeurteilung eines Produktes wieder zusammengefügt werden, stellt der beschriebene konzeptgesteuerte Ansatz dar (z. B. Mervis/Rosch 1981, Sujan 1985). Die Basisannahme dieses Ansatzes ist es, dass Menschen naturgemäß die Objekte ihrer Umwelt in Kategorien (Konzepte) einteilen, was ihnen ermöglicht, diese zu verstehen und zu verarbeiten (Sujan 1985) und damit zu beurteilen. Es wird davon ausgegangen, dass der Konsument die einzelnen Produktattribute nicht isoliert verarbeitet, sondern ganzheitlich, und seine Beurteilung des Produktes von seinem bereits vorhandenen Wissen ableitet. Fiske/Pavelchak (1986) konstatieren, dass in diesem ganzheitlichen, also nicht auf isolierten Attribut-Beurteilungen basierenden Verarbeitungsprozess einige relevante Informationen dominieren. Es kann zunächst festgehalten werden, dass die Produktbeurteilung, inklusive der Qualitätsbeurteilung eines Produktes hinsichtlich ihrer Wirkung von unterschiedlichen Einflussfaktoren determiniert ist. Zum einen von aktuellen, wahrgenommenen Produkt- und Umfeldinformationen, wie bspw. den physikalisch-technischen Eigenschaften, zum anderen von sonstigen wahrgenommenen Produkteigenschaften, die mit dem Produkt in Verbindung gebracht wer-

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

den, wie bspw. dem Preis oder zusätzlichen Garantieleistungen. Zusätzlich können aktuelle situative Umfeldinformationen (z. B. Werbung, Geschäftsausstattung) einen Einfluss auf die Beurteilung des Produktes haben. Ist bereits produktspezifisches Wissen vorhanden, können die produkt- und umfeldbezogenen Informationen zusätzlich aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 327 ff. und Abbildung 22). Die jeweils stattfindende Informationsverarbeitung kann unterschiedlich ablaufen. Typischerweise haben KonsumentInnen Vorwissen zu einem Produkt oder zumindest zu einer Produktkategorie. So kann angenommen werden, dass sich die Top-down-Verarbeitung der Informationen (der aufgenommenen Reize) und die Bottom-up-Verarbeitung, also der Abgleich mit dem bereits vorhandenen Produktwissen ergänzen.

Produktinformationen

Umfeldinformationen

Produktinformationen

aktuelle Information

Umfeldinformationen

gespeicherte Information

Produktbeurteilung

Programme zur Informationsverarbeitung

einfache Programme: Denkschablonen

komplexe Programme: „kognitive Algebra“

Abbildung 22: Einflussfaktoren auf die Produktbeurteilung (Quelle: Kroeber-Riel et al. 2009, S. 328)

Kroeber-Riel et al. (2009, S. 343 ff.) unterscheiden einfache und komplexe kognitive Programme der Informationsverarbeitung bei der Produktbeurteilung (Abbildung 22), räumen jedoch gleichzeitig ein, dass auch diverse nicht-kognitive Einflüsse wirksam werden (S. 280). Ein einfaches Informationsverarbeitungsprogramm wird mit einer schematischen Produktbeurteilung gleichgesetzt. Dabei kann entweder von einem einzelnen Eindruck (einer Produktinformation) auf einen anderen Eindruck oder auch von einem einzelnen Eindruck auf die gesamte Produktqualität geschlossen werden. Ebenso ist es möglich, dass sich der entstandene Eindruck der gesamten Produktqualität auf einzelne Eigenschaften (Informationen) auswirken kann (S. 349 ff.). Es handelt sich also um gespeicherte Wissensstrukturen, die in

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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Form von Heuristiken abgerufen werden können (z. B. Raaijmakers/Shiffrin 1981). Abgespeicherte Wissensstrukturen können entsprechend als Schemata bezeichnet werden (Bless/ Schwarz 2002), die Beurteilungen lenken können (Fiske 1982). So definiert Crocker (1984) ein Schema als „an abstract or generic knowledge structure, stored in memory, that specifies the defining features and relevant attributes of some stimulus domain, and the interrelations among those attributes” (S. 472). Mandler/Parker (1976) definieren ein Schema in diesem Kontext ähnlich. Für sie ist ein Schema „ an internal structure developed through experience which organizes incoming information relative to previous experience” (S. 39). Die komplexen Informationsverarbeitungsprogramme, von Kroeber-Riel et al. (2009, S. 355 ff. und Abbildung 22) als „kognitive Algebra“ bezeichnet, können mit der oben beschriebenen isolierten Informationsverarbeitung einzelner Produkteigenschaften gleichgesetzt werden. Isolierte Teilbewertungen eines Produktes werden von KonsumentInnen additiv verknüpft, um zu einem Gesamturteil des Produktes zu kommen. Dieser Ansatz lässt sich als auch als „rational“ und systematisch beschreiben (S. 310). Da eine Vielzahl von Produkteigenschaften beachtet und bewertet wird, demnach vom/von der Konsumenten/in ein hoher kognitiver Aufwand betrieben werden muss, kann diese Art der rationalen Informationsverarbeitung eher High-Involvement-Produkten zugeschrieben werden. Das (eher unbewusste, automatische) Abrufen von Konzepten, was mit weniger kognitivem Aufwand in Verbindung gebracht wird, kann dagegen bei typischen Low-Involvement-Produkten zum Tragen kommen (zum Involvement-Konzept vgl. Antil 1984, Zaichkowsky 1985). Einzelne Produkteigenschaften stellen im Bezugsrahmen von Shiv et al. (2005b, Abbildung 19) die externen Reize dar und werden nachfolgend genauer beschrieben. Auch können die allgemeinen Annahmen, die im Punkt 4.2.4 genauer darstellt werden, als Denkschablone abgespeichert und zur Produktbeurteilung herangezogen werden. 4.2.3

Externe Reize und Produktbeurteilung

Im dargestellten Bezugsrahmen von Shiv et al. (2005b, Abbildung 19) stellen die externen Reize die Produktattribute dar, welche vom/von der Konsumenten/in zum einen isoliert betrachtet und später durch den Integrationsprozess zu einer Gesamtbeurteilung des Produktes führen können. Zum anderen können sie als Schlüsselinformation dienen, um evtl. vorhandene Denkschemata abzurufen. Die Produktbeurteilung und somit die Suche nach Qualitätssignalen eines Produktes wurde in der Literatur zum Konsumentenverhalten vor allem unter dem Aspekt des wahrgenommenen Risikos bei Entscheidungssituationen untersucht (dazu schon Cox im Jahr 1967). Um Unsicherheiten beim Kauf eines Produktes zu reduzieren (z. B. Jacoby et al. 1971), suchen und, wie eben dargelegt, verarbeiten KonsumentInnen Informationen und versuchen dadurch, einen möglichst genauen Gesamteindruck von diesem Produkt zu

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

erlangen. Eine Dimension dieses Gesamteindrucks stellt die Produktqualität dar (Jacoby et al. 1971). Die Produktqualität soll an dieser Stelle aus Konsumentensicht als die wahrgenommene, erwartete Produktqualität betrachtet werden, die sich insbesondere auf die erwartete Wirkung des Produktes bezieht. Damit muss in einer Definition inhaltlich erfasst werden, dass der Konsument hinsichtlich einer bestimmten Problemlösung bei der Nutzung eines Produktes eine bestimmte Qualität (Wirkung) desselben erwartet. Obwohl eine Vielzahl von Definitionen und Auffassungen von der wahrgenommenen Produktqualität existieren (z. B. Monroe/Krishnan 1985, Steenkamp 1989, Steenkamp 1990, Trommsdorff 2004, S. 178 ff.), basieren viele davon auf der Kernaussage, dass die wahrgenommene Produktqualität als „fitness for use, given the needs for the consumer“ angesehen wird (Steenkamp 1990, S. 312). Durch diese Basisaussage über Produktqualität werden die Nutzenbetrachtungen aus dem 2. Kapitel aufgegriffen: Der dort dargestellte Produktnutzen wurde als erwartete bzw. tatsächlich eingetretene Bedürfnisbefriedigung durch ein Produkt definiert. Auch diese Aussage beinhaltet den hier als wichtig angesehenen Aspekt, dass der Prozess, also das Benutzen eines Produktes in die Definition miteinbezogen wird. Die Produktqualität wird hier (in Anlehnung an Steenkamp 1990) als Werturteil von KonsumentInnen definiert, hinsichtlich der Eignung zum Konsum des Produktes, welches auf unbewusster und/oder bewusster Verarbeitung von Informationen (intrinsischen und extrinsischen Qualitätsmerkmalen) beruht. Nach Steenkamp (1989) ist die Qualitätswahrnehmung abhängig von Entscheidungsrisiken, vom allgemeinen Qualitätsbewusstsein, vom Zweck der Anwendung, von bisher gemachten Erfahrungen sowie von situativen Variablen und Persönlichkeitsmerkmalen der KonsumentInnen: „Perceived quality is an idiosyncratic value judgement with respect to the fitness for consumption which is based upon the conscious and/or unconscious processing of quality cues in relation to relevant quality attributes within the context of significant personal and situational variables.” (S. 317). Weitere Ursachen – außer der Unsicherheitsreduktion, – Qualitätsinformationen zu beachten und diese über Schemata abzurufen, sind nach Dawar/Parker (1994) eine mögliche fehlende Expertise und Fähigkeit des/r Konsumenten/in, die Qualität des Produktes selbst einschätzen zu können (Rao/Monroe 1988), geringes Involvement der KonsumentInnen (Celsi/Olson 1988) sowie hohe Komplexität der Qualität oder grundsätzliche Verhaltensmuster des/r Konsumenten/in, keine Zeit zur Produktbeurteilung aufzuwenden (z. B. Allison/Uhl 1964, Hoch/Ha 1986), als auch eine grundsätzliche Tendenz des/r Konsumenten/in Informationen verarbeiten zu wollen (z. B. Nelson 1970). Da hier vorausgesetzt wird, dass die Wirkungserwartung an ein Produkt eine Unterebene der erwarteten Produktqualität darstellt, kann der Schluss gezogen werden, dass eine positive Be-

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urteilung der Gesamtqualität, bzw. eine positive Beurteilung einer Teilqualität eines Produktes eine positive Auswirkung auf die erwartete Produktwirkung hat (was bspw. Shiv et al. 2005a in ihren experimentellen Studien zeigen konnten). Zunächst werden in einer Übersicht mögliche externe Reize aufgezählt, die bei der Beurteilung der gesamten Produktqualität von Relevanz sein können. Anschließend werden die Informationen herausgegriffen, welchen in der Marketing-Literatur als Qualitätsindikatoren besonderes Interesse gilt. Die folgende Abbildung 23 beinhaltet Reize, die nach Jacoby et al. (1971), Teas/Agarwal (2000) sowie Kroeber-Riel et al. (2009, S. 332) als relevant für die Qualitätsbeurteilung eines Produktes angesehen werden. Einen Auszug empirischer Untersuchungen hierzu bieten Kirmani/Rao (2000). Diese Reize können mit den von Shiv et al. (2005a/b) dargestellten externen Reizen gleichgesetzt werden. Dennoch sei hier betont, dass die Effekte der Qualitätswahrnehmung in den folgenden aufgeführten Studien subjektive Einschätzungen der Versuchspersonen waren, was im Gegensatz zu den von bspw. Shiv et al. (2005a) oder Irmak et al. (2005) aufgezeigten objektiven (Placebo-)Effekten steht.

Preis

Herkunftsland und Vertrieb im Allgemeinen

Charakteristika des Produktes, z. B. Geschmack, Farbe, Geruch, Größe, Stil

Marke, Herstellerinformationen, Image der Einkaufsstätte

Relevante Reize der Qualitätswahrnehmung

Qualitätssiegel, Garantie

Mund-zu-MundPropaganda Verpackung

Abbildung 23: Relevante (externe) Reize der Qualitätswahrnehmung eines Produktes (in Anlehnung an Jacoby et al. 1971, Teas/Agarwal 2000 und Kroeber-Riel et al. 2009, S. 332)

Eine herausragende Rolle spielen dabei die bereits erwähnten Schlüsselinformationen. Kroeber-Riel et al. (2009, S. 332) betrachten als Schlüsselinformationen den Preis (vorausgesetzt, es werden vom/von der Konsumenten/in Rückschlüsse vom Preis auf die Qualität gezogen), ein eventuell vorhandenes Testurteil (der Stiftung Warentest) und den Markennamen des Produktes. Auch für Jacoby et al. (1977) stellt die Marke eine Schlüsselinformation im

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Sinne von komprimierten Informationen mitsamt der mit ihr verbundenen Vorstellungen dar. Trommsdorff (2004, S. 91) fügt zu den relevanten bereits erwähnten Schlüsselinformationen noch das Logo, die Bekanntheit der Werbung und die geografische Herkunft des Produktes hinzu. KonsumentInnen bevorzugen Schlüsselinformationen aufgrund der Neigung zur Vereinfachung von Entscheidungen vor allem dann, wenn eine große Anzahl von Informationen zu einem Objekt zur Verfügung steht (z. B. Jacoby et al. 1981, Weinberg 1981, S. 62). Schlüsselinformationen sind demnach Merkmale, die eine Bündelung von Informationen beinhalten (z. B. der Schluss vom bekannten Markennamen auf das Qualitätsurteil) und damit die Informationsaufnahme und -verarbeitung erleichtern (Bleicker 1983, S. 18). Bleicker (1983, S. 16) erarbeitet in diesem Zusammenhang eine Übersicht über diverse empirische Studien, die veranschaulicht, wie viele Informationen von Produktmerkmalen bei bestimmten zur Verfügung stehenden Informationen genutzt werden. Bleickers Ergebnis besagt, dass im Durchschnitt bei den 14 von ihr betrachteten Studien nur ca. 50% der zur Verfügung stehenden Informationen genutzt wurde (die Anzahl der verfügbaren Informationen lag zwischen 5 und 30 Merkmalen). Aufgrund der Vielzahl von existierenden Arbeiten zum Zusammenhang zwischen externen Reizen (externen Produkteigenschaften) und der (subjektiven) Qualitätswahrnehmung können nur einzelne Arbeiten herausgegriffen werden. Ungeachtet dessen ist das Forschungsziel dieser Studien zum einen auf die subjektive Wahrnehmung der Produktqualität gerichtet, und nicht, wie vorliegend aufgezeigt wird, auf die objektiv messbare Effektivität der tatsächlichen Nutzung der Produkte. Zum anderen haben diese Arbeiten meist (zumindest mittelbar) das Ziel, das Kaufverhalten von KonsumentInnen in Entscheidungssituationen besser zu verstehen, hingegen werden in vorliegender Arbeit Nachkaufprozesse beachtet. Dennoch geben die dargestellten nachfolgenden Studien einen Überblick über relevante Determinanten der subjektiven Produktbeurteilung, die wiederum zu einem Placebo-Effekt führen könnten. Die in der Marketing-Literatur am häufigsten betrachteten Informationen in Bezug auf die Qualitätswahrnehmung eines Produktes sind der Preis und der Markenname (Dawar/Parker 1994, z. B. Dodds et al. 1991, Jacoby et al. 1971, Rao 2005, Rao/Monroe 1988, Rao/Monroe 1989, Völckner/Hofmann 2007, Zeithaml 1988). Rao/Monroe (1989) kamen bspw. in ihrer Metaanalyse, die u. a. die Effekte des Markennamens und des Preises auf die wahrgenommene Produktqualität untersuchte, zu dem Ergebnis, dass beide Informationen einen signifikant positiven Zusammenhang mit der Qualitätswahrnehmung von Produkten aufwiesen. Die Ergebnisse weisen allerdings darauf hin, dass zwar ein positiver, jedoch schwacher Zusammenhang zwischen dem Preis und der wahrgenommenen Qualität besteht. (Die Metaanalyse berücksichtigte ausschließlich schnelllebige Konsumgüter aus dem Niedrigpreissektor.)

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Im Folgenden wird mit ausgewählten empirischen Beispielen belegt, inwiefern Zusammenhänge der (subjektiven) Qualitätswahrnehmung und der extrinsischen Eigenschaften (reales Produkt) von Produkten bestehen. Dies geschieht, um einen Überblick zu geben, welche möglichen, von Marketing-Maßnahmen beeinflussbaren externen Reize (external cues) in der Literatur als Qualitätsindikator aufgezeigt wurden. Da die Wirkungserwartungen an ein Produkt unmittelbar von den externen Reizen beeinflusst werden, könnte dieser Überblick Anlass zu weiteren Forschungsarbeiten zu Placebo-Effekten im Marketing-Kontext liefern. Auf die Produkteigenschaft und gleichzeitig Schlüsselinformation des Markennamens wird aufgrund des direkten Bezugs zu den empirischen Untersuchungen dieser Arbeit im nachfolgenden Kapitel 5 noch genauer eingegangen. Vorab zeigen auch hier Arbeiten, dass die subjektiv wahrgenommene Qualität von Produkten auch von Markennamen/-artikeln beeinflusst sein kann (z. B. Dodds/Monroe 1985, Gardner 1971, Lichtenstein et al. 1993, Robinson et al. 2007). So zeigt eine Studie von Robinson et al. (2007), dass der Markenname die subjektiven Geschmacksurteile beeinflusst. Vorschulkindern schmeckte sämtliches angebotene Essen (u. a. auch Gemüse) besser, wenn es in einer Verpackung von McDonald´s angeboten wurde. Die 63 Versuchspersonen mit einem Durchschnittsalter von 4,6 Jahren, allesamt aus Familien mit niedrigem Einkommen, wurden aufgefordert, verschiedene Nahrungsmittel zu beurteilen. Eine Gruppe bekam die Nahrungsmittel in der Verpackung von McDonald´s, die andere Gruppe in einer ähnlichen, aber mit unbekanntem Markennamen versehenen Verpackung zu essen, um sie anschließend zu bewerten. Im Ergebnis wurden die scheinbaren Markenprodukte geschmacklich signifikant besser bewertet als die Produkte, die in unbekannten Verpackungen gereicht wurden. Bekannt ist, dass der Preis eine duale Rolle für die KonsumentInnen spielt. Zum einen stellt er einen monetären Aufwand, also einen negativ behafteten finanziellen Aufwand dar, zum anderen wird er als Qualitätsindikator verwendet. Ein höherer Preis eines Produktes signalisiert dem/der Konsumenten/in (meist) eine höhere Qualität (z. B. Erickson/Johansson 1985, Yoo et al. 2000, eine Übersicht bietet Müller 2006). Brucks et al. (2000) diffenrenzierten in ihrer Studie u. a. die Wirkung des Preises hinsichtlich der Qualitätsbeurteilung in unterschiedlichen Dimensionen, wie bspw. hinsichtlich der Dimensionen Bedienerfreundlichkeit (ease of use) und Prestige. So spielte der Preis bei der Beurteilung des Prestiges eines Produktes (hier ein Automobil) eine größere Rolle als bei der Beurteilung der Bedienerfreundlichkeit. Stokes (1985) zeigt in einem Experiment, dass die Verpackung einen Einfluss auf die wahrgenommene Produktqualität hat. Als unabhängige Variablen wurden dort zusätzlich zum Verpackungsdesign auch die Informationen Preis, Markenvertrautheit sowie die Vertrautheit zu den das Produkt umgebenden Artikeln manipuliert. Im Ergebnis ließ sich festhalten, dass das Design der Verpackung in ähnlich starkem Ausmaß wie der Preis als Qualitätsindikator gilt, wenn die dargebotene Marke in einer unvertrauten (fremden) Umgebung in Bezug auf andere

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Produkte steht. Eine Interaktion des Preis- und Verpackungseffektes konnte nicht festgestellt werden. Die Studie von Schoormans/Robben (1997) weist bei dem Testprodukt Kaffee ebenfalls den Zusammenhang zwischen der Verpackung und der Qualitätsbeurteilung des Produktes auf. Auch Bonner/Nelson (1985) zeigen einen Zusammenhang zwischen der Verpackung und der von den KonsumentInnen wahrgenommenen Produktqualität auf. Die Ergebnisse diverser Studien deuten darauf hin, dass die Bezeichnung eines Herkunftslandes (country of origin) einen direkten und/oder einen moderierenden Effekt auf die Qualitätswahrnehmung eines Produktes aufweist. Einen Überblick bieten u. a. Bilkey/Nes (1982), Han (1989) und Teas/Argawal (2000). Chiou (2003) fand bspw. in einer experimentellen Studie heraus, dass die Erwartungen von ProbandInnen an die Produktqualität von Digitalkameras bei Produkten aus Japan (als „high-quality-image country“, siehe auch Chou 1993) höher waren als die Erwartungen an taiwanesische Kameras (Taiwan als „low-quality-imagecountry“). Chiou (2003) ließ die ProbandInnen (separiert in Experten und Laien hinsichtlich des Produktwissens) zunächst die Kameras anhand der gegebenen Produktinformationen bewerten und anschließend zeigte er vermeintliche Fotografien der Kameras. So differenzierte er explizit zwischen den Qualitätserwartungen vor dem Betrachten des Resultats des Gebrauchsprozesses (hier das Simulieren des Gebrauchs einer Digitalkamera) und der (kognitiven) Einstellung nach dem Betrachten des Resultats. Ein Einfluss der Erwartung auf die gemessene Einstellung konnte nur bei der Gruppe der Laien festgestellt werden. Ein ähnliches Resultat ergab sich bei Kleidungsstücken, wobei dort die italienischen Produkte besser als die taiwanesischen abschnitten. Mundpropaganda wurde in der Marketing-Literatur sowohl als Determinante von Kaufentscheidungen (z. B. Bone 1995) als auch als Resultat von Kaufprozessen (z. B. Augusto de Matos/Rossi 2008) untersucht (Bone 1995). Es existieren diverse Studien, die zeigen konnten, dass positive (negative) Mundpropaganda die Produktbeurteilung positiv (negativ) beeinflussen kann (z. B. Burnkrant/Cousineau 1975, Bone 1995). Bone (1995) untersuchte in einer ihrer experimentellen Studien bspw. die (unmittelbaren und zeitverzögerten) Effekte von Mundpropaganda auf die Beurteilung eines Schokoladenkekses. In einem 2x2x2 Design wurde neben der Mundpropaganda (positiv/negativ) und der Qualität der Information (positiv/negativ) auch die objektive Produktqualität manipuliert. Das Ergebnis zeigt unter anderem, dass auch hier die subjektive Bewertung eines Produktes hinsichtlich der Qualität von Mundpropaganda beeinflusst sein kann, obwohl diese Einschätzung nicht ausschließlich auf Kommunikation, sondern auf tatsächlicher Erfahrung (Essen des Kekses) beruhte. Dass unterschiedliche Werbeanzeigen (Kommunikation) einen Einfluss auf die wahrgenommene Produktqualität haben können, zeigen bspw. Studien von Kirmani (1979), Milgrom/Roberts (1986) und Rotfeld/Rotzoll (1976). Kirmani (1979) konnte zum Beispiel

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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zeigen, dass die wahrgenommene Produktqualität u. a. davon abhängig ist, ob eine Werbeanzeige in Farbe (hier war die wahrgenommene Produktqualität besser) oder Schwarz-Weiß gestaltet ist. Shiv et al. (2005a) zeigen in einem ihrer Experimente in ihrer Studie, dass die Auswirkung einer gezielten Werbebotschaft (S. 390) die Wirkungserwartung an Produkte verstärken kann. Auch existieren Studien, die zeigen konnten, dass die Garantie eines Produktes in einem positiven Zusammenhang mit der erwarteten Produktqualität steht (z. B. Bearden/Shimp 1988, Shimp/Bearden 1982). Zusammenfassend sei nochmals betont, dass es sich bei den Effekten der aufgelisteten und empirisch untermauerten Determinanten der Produktqualität um die vom/von der Konsumenten/in subjektiv wahrgenommene Produktqualität (Messungen der abhängigen Variablen durch Befragung der KonsumentInnen) handelte. Dennoch wurde so verdeutlicht, dass diverse Quellen der Information als mögliche Auslöser für die wahrgenommene Qualitätseinschätzung gelten können, die wiederum theoretisch zu einer Wirkungserwartung eines Produktes und damit zu einem Verhaltens- (Placebo-) Effekt führen können. 4.2.4

Allgemeine Annahmen (global beliefs) als Einfluss auf die Produktbeurteilung

Allgemeine Vorstellungen von Produktbeurteilungskriterien sollen hier als generalisierbares Konstrukt von positiven bzw. negativen Assoziationen angesehen werden, welche unabhängig von Situationen und Produktkategorien gelten. Dies geschieht in Anlehnung an Lichtenstein et al. (1993), die aufgrund verschiedener Studien (sie nennen hier Lichtenstein/Burton 1989 und Peterson/Wilson 1985), welche zeigen, dass manche KonsumentInnen den Preis als Indikator für gute Qualität heranziehen, eine Definition von einem Preis-Qualitäts-Schema festlegen. Sie definieren dieses als „the generalized belief across product categories that the level of the price cue is related positively to the quality level of the product” (Lichtenstein et al. 1993, S. 236). Dieses Preis-Qualitäts-Schema kann mit der Auffassung des von Shiv et al. (2005b) beschriebenen global belief des Preises verglichen werden, welches sie mit der Aussage „lower price reflects lower quality“ (S. 410) darstellen. Weitere Beispiele für eben diese allgemeinen Vorstellungen sind Aussagen wie „the quality of national brands is better than that of private-label brands“ (Shiv et al. 2005b, S. 410). Allgemeine Vorstellungen könnten bspw. durch die Medien entstehen. So mutmaßen Oftedal et al. (2007) und Stovner et al. (2008), die Untersuchungen zu Kopfschmerzen vornahmen, welche durch Handystrahlung verursacht sein sollten, dass die Ursache für die Symptome der Versuchspersonen auf die u. a. durch Medien kommunizierten Gesundheitswarnungen zustande kamen. In ihren Untersuchungen wurden die Personen einer Experimentalgruppe tatsächlichen Handystrahlungen ausgesetzt, den Personen der zweiten Gruppe wurde lediglich

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

vorgetäuscht, echter Strahlung ausgesetzt zu sein. In ihren Ergebnissen konnten sie keine signifikanten Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen und ihrer subjektiv angegebenen (Stovner et al. 2008) oder ihrer objektiv messbaren (Oftedal et al. 2007) Symptome feststellen. So vermuten Stovner et al. (2008), dass die Erwartungen an die gesundheitsschädlichen Nebeneffekte, kommuniziert durch die Massenmedien, eben diese erzeugen könnte, die sie hier als Nocebo-Effekte (also unerwünschte Placebo-Effekte) bezeichnen. Die Studien von Kirmani (1990) und Kirmani/Wright (1989) deuten ebenfalls darauf hin, dass Medien, in diesem Fall in direkt über die von den KonsumentInnen wahrgenommenen Werbeausgaben, in der Lage sind, allgemeine Annahmen und damit den Glauben an ein(e) Produkt(-wirkung) hervorzurufen. In beiden Arbeiten konnte ein Zusammenhang zwischen den von KonsumentInnen wahrgenommenen Werbeausgaben und der wahrgenommenen Produktqualität (Markenwahrnehmung) aufgezeigt werden. So zeigt Kirmani (1990) unter anderem, dass die Wahrnehmung einer (hier fiktiven Sportschuh-) Marke bis zu einem gewissen Grad in einem positiven Zusammenhang mit den vom/von der Konsumenten/in wahrgenommenen Werbekosten steht. Diese sind bspw. durch die Quantität des Werbeaufkommens (z. B. die Anzeigengröße, und so in dieser Studie auch manipuliert) oder das Design im weitesten Sinne (z. B. das Vorkommen eines Testimonials) determiniert. Ein vom/von der Konsumenten/in wahrgenommener (höherer) Aufwand wirkt sich, beeinflusst vom Involvement des/der Konsumenten/in, von der Aussagekraft der Werbung sowie von der wahrgenommenen allgemeinen Qualität der Werbung positiv(er) auf die wahrgenommene Produktqualität aus (siehe auch Abbildung 24).

Involvement und Aussagekraft der Werbung

Elemente der Werbung

Wahrgenommene Kosten

Wahrgenommene Qualität der Werbung

Wahrgenommener Aufwand

Wahrnehmung der Marke

Abbildung 24: Modell des Zusammenhangs von mit Kosten verbundenen Werbeelementen und der Markenwahrnehmung (Quelle: Kirmani 1990, S. 161)

Die allgemeinen Annahmen des Bezugsrahmens von Placebo-Effekten (Abbildung 19) gelten in vorliegender Arbeit als allgemeine Vorstellungen, die in den Köpfen der KonsumentInnen

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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über die unterschiedlichsten Produktkategorien, unabhängig vom einzelnen Produkt, bestehen. So zeigt Kirmani (1990), dass die Aussage „Ein extensiv beworbenes Produkt signalisiert eine hohe Qualität.“ als allgemeine Annahme gelten kann. 4.2.5

Weitere Einflussfaktoren

Folgend werden weitere Faktoren (in Abbildung 25, grau unterlegt) aufgezeigt, die einen Einfluss auf die Entstehung von Placebo-Effekten haben können. Die in Abbildung 25 durch Pfeile angezeigten Beziehungen stellen aus der Literatur entnommene mögliche Beziehungen dar, es wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass weitere Beziehungen und Einflussfaktoren bestehen.

Persönlichkeitsmerkmale Situationen Erfahrungen (Wissen) Kulturelle Einflüsse... Einstellung Motivation Involvement ...

Allgemeine Annahmen

Externe Reize

Nutzung

Relevant ProduktÜberzeugungen

Wirkungserwartungen

Objektiv messbare Verhaltensänderung/ Aktueller Produktnutzen (Placebo-) Effekte

Andere Faktoren

Abbildung 25: Weitere mögliche Determinanten im Bezugsrahmen zur Entstehung von Placebo-Effekten (in Anlehnung an Shiv et al. 2005b, S. 411)

Zunächst soll auf einen wesentlichen Unterschied des hier dargestellten spezifizierten Bezugsrahmens zu vorherigem (Abbildung 19) in Bezug auf die Reaktion des Individuums hingewiesen werden: Der Schwerpunkt der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext liegt auf den objektiv messbaren (Verhaltens-)Reaktionen. Noch enger gefasst bezieht sich der PlaceboEffekt im Marketing auf die (aktuelle) Leistung eines Produktes (aktueller Produktnutzen).

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

In der medizinischen Fachliteratur zu Placebo-Effekten wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass keine Persönlichkeitsvariablen existieren, die eine zuverlässige Prognose darüber erlauben, bei welchen Personen Placebo-Effekte hervorgerufen (sog. Placebo-Responder) werden können (Harrington 1999, Kaptschuk et al. 2008, Oeltjenbruns/Schäfer 2008, Shapiro/Morris 1978, Whalley et al. 2008). Wickramasekera (1985) kommt nach einer LiteraturÜbersicht zu folgenden (fast schon banalen) Erkenntnissen: Bei einem Teil der PatientInnen wird in jeder Studie eine signifikante Placebo-Antwort nachgewiesen, es ist jedoch nicht möglich, ex ante zu bestimmen, welcher Teil das sein wird. Weiter konstatiert er, dass jede Prozedur unter den richtigen Bedingungen Placebo-Effekte generieren kann, wobei die richtigen Bedingungen nicht bekannt sind (Koshi/Short 2007). In der Psychologie existieren Arbeiten, die eine vage Vermutung nahe legen könnten, dass der Locus of Control eines Individuums ausschlaggebend für Placebo-Effekte sein könnte (z. B. Cox et al. 1975, Schwartz et al. 1979). Nach der Sozialen Lerntheorie von Rotter (1954) ist das Verhalten eines Individuums in bestimmten Situationen von seinen Erwartungen an den Erfolg abhängig. Die generalisierten Erwartungen sind nach Rotter (1966) ein Persönlichkeitskonstrukt, welches Individuen auf einem Kontinuum verteilt. Dieses Kontinuum reicht von internalen Persönlichkeiten (interner Locus of Control), die glauben, dass sie die Ereignisse und das Verhalten in ihrem Leben selbst kontrollieren, bis hin zu externalen Persönlichkeiten (externer Locus of Control), die wiederum glauben, dass ihr Schicksal und ihr Verhalten von externen Quellen und vom Schicksal abhängig ist (hierzu auch Jakoby/Jacob 1999, ähnlich auch Krampen 1991). Eine mehrheitliche Bestätigung des Zusammenhangs zwischen Placebo-Effekten und dem Persönlichkeitskonstrukt Locus of Control existiert nicht. Dieselben externen Reize können bei unterschiedlichen KonsumentInnen unterschiedliche Erwartungen hervorrufen (Shiv et al. 2005b). So sind die relevanten produktspezifischen Überzeugungen von einem Produkt vom/von der Konsumenten/in mitbestimmt, also aus Konsumentensicht subjektiv. So können situationsbezogene Faktoren entscheidend für die Erwartung an eine produktspezifische Eigenschaft sein (Zeithaml et al. 1983, Richter 2005, S. 57). Vorstellbar wären bspw. zwei unterschiedliche Situationen als ein weiterer externer Reiz für den Konsum einer Coca-Cola: Würde sich der Konsument in einer für ihn sehr wichtigen Prüfungssituation befinden, könnte die Erwartung an das Getränk, die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sehr viel höher ausfallen, als in der Situation, das Getränk an einer Bar zu sich zu nehmen. Auch können eigens (oder durch andere) gemachte (und dann weitergegebene/beobachtete) Erfahrungen und das daraus resultierende Wissen, die bisher mit einem Produkt gemacht wurden, Auswirkungen auf die Erwartungen (Mitra/Golder 2006, Rao/Monroe 1988, Richter 2005, S. 57) und damit auf die Vorstellungen der produktspezifischen Überzeugungen haben. Mitra/Golder (2006) untersuchten in ihrer Längsschnittuntersuchung, die eine unfangreiche

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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(Sekundär-)Datensammlung beinhaltet, 241 Produkte aus 46 unterschiedlichen Kategorien (von sowohl Ge- als auch Verbrauchsgütern, ein Auszug ist auf S. 242 zu finden) und dieses über einen Zeitraum von 12 Jahren. Die Datensammlung umfasste die unabhängigen Variablen objektive Produktqualität (bspw. Expertenurteile und „harte Fakten“ wie Prozessorgeschwindigkeit bei Computern etc.), Preis, Werbung (im Sinne von Werbeausgaben und Marken-Reputation) und Marktanteil sowie als abhängige Variable die wahrgenommene Produktqualität (in ähnlicher Weise definiert wie in vorliegender Arbeit). Gemessen wurden die Kurzzeit- und Langzeiteffekte der objektiven auf die subjektiv wahrgenommene Produktqualität. Das dahinterliegende konzeptuelle Modell beruht auf der Annahme, dass sich die wahrgenommene Produktqualität aus der objektiven Produktqualität und aus früheren Erwartungen an das Produkt, damit u. a. aus früheren Erfahrungen, zusammensetzt (z. B. Boulding et al. 1993). Abbildung 26 veranschaulicht die Zusammenhänge. Ein für vorliegende Arbeit relevantes Ergebnis der Studie ist zum einen die Kernaussage, dass die objektive Qualität der Produkte in einem signifikanten dynamischen Zusammenhang mit der wahrgenommenen Produktqualität steht. Es wird gezeigt, dass das Ergebnis eines Nutzungsprozesses rückkoppelnde Wirkung auf zukünftige Wahrnehmungsprozesse und damit auf die wahrgenommene Produktqualität hat und dass die objektive Qualität dabei eine entscheidende Rolle spielt. Zum anderen zeigt das Ergebnis, dass renommierte Marken (high-reputation brands) trotz einer objektiven Qualitätsabnahme stabiler bewertet werden als nicht renommierte Marken.

Frühere Erwartungen

Frühere Erwartungen

Objektive Qualität

Wahrgenommene Qualität

Frühere Erwartungen

Objektive Qualität

Wahrgenommene Qualität

Zeit

Abbildung 26: Dynamische Beziehung zwischen objektiver und wahrgenommener Produktqualität (Quelle: Mitra/Golder 2006, S. 233)

Rao/Monroe (1988) untersuchten einen Zusammenhang hinsichtlich des Wissens bzw. der Vertrautheit mit einem Produkt und den herangezogenen Beurteilungskriterien der Produktqualität. Sie untersuchten, wie KonsumentInnen mit unterschiedlichem Produktwissen (unter-

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

schiedlicher Vertrautheit mit dem Produkt, abgestuft in sehr hoch, mittel und sehr niedrig) den externen Reiz Preis und intrinsische Produktinformationen (wie Produktzusammensetzung) zur Qualitätsbeurteilung eines Produktes in Betracht zogen. Sie kamen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass KonsumentInnen, die mit dem Produkt sehr gut oder gar nicht vertraut waren, eher den Preis als Qualitätsindikator heranzogen als KonsumentInnen mit einem mittleren Produktwissen. Weiter konnten sie feststellen, dass KonsumentInnen, die über mittelmäßiges bis hohes Wissen verfügten, sich stärker an positiven intrinsischen Produktinformationen orientierten als KonsumentInnen mit geringem Produktwissen. Eine weitere Determinante für die Bildung von relevanten Überzeugungen bezüglich eines Produktes ist die Einstellung. Die Einstellung gegenüber einem Produkt und frühere Erfahrung damit, stehen im direkten Zusammenhang (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 215 f.). Die Einstellung kann verstanden werden als eine „learned predisposition to respond in a consistently favorable or unfavorable manner with respect to a given object“ (Fishbein/Ajzen 1975, S. 6). Es handelt sich nach dieser Definition also um eine gelernte Haltung (Neigung), die aus früheren Erfahrungen resultiert. Der Einstellung eines/r Konsumenten/in zu einem Produkt wird, wie bereits erwähnt, ein intervenierender Einfluss auf den Wahrnehmungs-, bzw. Informationsverarbeitungsprozess zugesprochen, und diese hat demnach auch einen Einfluss auf Produktbeurteilung und Wirkungserwartung. Eine Einstellung gegenüber einem Produkt führt bspw. zu einem relativ konsistenten Abrufen der Informationen im Informationsverarbeitungs- bzw. Wahrnehmungsprozess (Fazio 1989). Der Begriff Einstellung kann, wie in der kommerziellen Marktforschung durchaus üblich, mit dem Begriff des Images gleichgesetzt werden (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 210 f.) und nach Balderjahn/Scholderer (2007, S. 74) kann die Einstellung in dem Einstellungsmodell von Fishbein/Ajzen (1975) als individuell erwarteter Nutzen eines Objektes verstanden werden. Nach der Drei-Komponenten-Theorie umfasst die Einstellung eine kognitive, eine affektive und eine konative Komponente (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 217 ff., Kuß 2006, S. 85). Eagly/Chaiken (2007) definieren Einstellung als eine „psychological tendency that is expressed by evaluating a particular entity with some degree of favour or disfavour” (S. 598, Hervorh. i. O.) und betonen dabei in ihrem Artikel, dass das Gefallen oder Nicht-Gefallen eines Objektes mehr oder weniger bewusst und unterschiedlich tief im Bewusstsein verankert sein kann. Sie unterscheiden dabei zwischen impliziten und expliziten Einstellungen. Weiter betonen sie ebenfalls die drei (oben genannten) Komponenten der Einstellung, weisen aber ausdrücklich auf den emotionalen Anteil hin. Auch Kroeber-Riel et al. (2009, S. 214 f.) sehen Einstellungen hauptsächlich von den affektiven, also positiven wie negativen emotionalen Komponenten geprägt. Bei der DreiKomponenten-Theorie wird davon ausgegangen, dass aus den affektiven und kognitiven Komponenten die Verhaltensabsicht und indirekt das Verhalten beeinflusst wird. KroeberRiel et al. (2009, S. 218) konstatieren, dass auch der umgekehrte Weg denkbar ist, dass also

Einflussfaktoren der Erwartungsbildung im Wahrnehmungsprozess

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nach dem Verhalten eine reaktive Meinungsbildung, d. h. ein psychischer Prozess einsetzen kann. Weiter weisen sie darauf hin, dass implizite Einstellungen nicht durch direkte verbale Aussagen zum beforschten Objekt, also nur indirekt zu erfassen sind (S. 253). Es ist wenig überraschend, dass die individuelle Wahrnehmung und das Verhalten und damit auch die Qualitätswahrnehmung von Produkten auch kulturell geprägt sind (z. B. KroeberRiel et al. 2009, S. 578 ff., Ruge 2005, Solomon 2007, Section 5). Zhou et al. (2002) konnten bspw. in ihrer Studie zeigen, dass (v. a. aufgrund der wahrgenommenen und tatsächlichen Ineffizienz chinesischer Märkte) chinesische KonsumentInnen ein schwächeres PreisLeistungs-Schema (-Denken) als amerikanische KonsumentInnen aufweisen. Zudem konnte auch in medizinischen Studien gezeigt werden, dass kulturelle Einflüsse den Placebo-Effekt moderieren können (z. B. Moermann 2000). Dass Motivation die Wirkungserwartung beeinflussen kann, zeigen Irmak et al. (2005) in direkter Verbindung zur Placebo-Forschung im Marketing-Kontext, worauf im folgenden Kapitel kurz eingegangen wird. Unter Motivation verstehen die Autoren den Wunsch bzw. das Verlangen der KonsumentInnen, die Wirkung des Produktes zu erfahren. Wie bereits in Abbildung 24 angedeutet, hat das Involvement, also „die wahrgenommene Wichtigkeit [...] bzw. das entsprechende Interesse“ (Kuß 2006, S. 81) an einem Produkt und/oder am Kauf des Produktes, einen Einfluss auf die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale eines Produktes (zu den unterschiedlichen Arten von Involvement vgl. z. B. Phelps/Thorson 1991). Das Involvement wird als elementare Determinante dafür betrachtet, wie KonsumentInnen Informationen verarbeiten (Petty/Cacioppo 1979, Zaichkowsky 1985). Eine Informationsaufnahme mit geringem (hohem) Involvement erfolgt mit geringer (hoher) Verarbeitungstiefe und eher auf dem affektiven (kognitiven) Weg (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 386 f.). Bei niedrigem Produkt-Involvement haben bspw. Werbeanzeigen mit prominenten Persönlichkeiten einen größeren Einfluss auf die Einstellung zu einem Produkt als überzeugende Argumente im Werbetext, bei hohem Involvement stellt sich das Ergebnis vice versa dar (Petty et al. 1983). Xue (2008) konnte zeigen, dass KonsumentInnen mit einem niedrigen ProduktInvolvement beim Auswählen eines Produktes in einer Entscheidungssituation auf spezielle situationsbedingte Informationen aus Werbe-Anzeigen zurückgreifen, hoch involvierte KonsumentInnen dagegen eher auf Informationen der Einkaufssituation und auf ihr eigenes Selbstbild. Das Beleuchten der weiteren Einflussmöglichkeiten auf die Erwartungsbildung an die Produktqualität zeigt auf, dass auch hier noch viel Forschungsspielraum zur Placebo-Forschung im Marketing-Kontext bleibt. Der nächste Abschnitt hingegen legt den aktuellen Forschungsstand dar.

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4.3

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der PlaceboForschung im Marketing-Kontext

Dieser Abschnitt liefert eine Übersicht zu marketing-relevanten Studien in dem Feld der Placebo-Effekte, welche in den Tabellen 2 und 3 am Ende des Abschnitts noch einmal in tabellarischer Form dargestellt ist. Nach einer kurzen Beschreibung der jeweils durchgeführten Untersuchungen werden die zentralen Ergebnisse dargelegt. Die in der Marketing-Literatur veröffentlichten Studien in diesem Forschungsfeld der Placebo-Effekte (nach der in dieser Arbeit festgelegten Definition) beschränken sich auf einige wenige. Hinzugefügt wurden Arbeiten aus anderen Forschungsgebieten. Aufgrund der Quantität der Artikel im Bereich der medizinischen Forschung (alleine mehr als 115.000 Artikel bei der Eingabe des Suchwortes „placebo“ in der Datenbank PubMed, Benedetti 2008, Klosterhalfen/Enck 2007) ist anzunehmen, dass noch weitere Arbeiten existieren, die Placebo-Effekte in Folge von MarketingMaßnahmen behandeln. Die hier aufgeführten Artikel sind dementsprechend stellvertretend als Auswahl zu verstehen. Die Studie von Shiv et al. (2005a) wurde bereits teilweise in Abschnitt 2.1.5 beschrieben. Im Folgenden sollen noch kurz die elementaren Ergebnisse der anderen dort gewonnen Erkenntnisse dargelegt werden, da die Arbeit aus insgesamt drei aufeinander aufbauenden experimentellen Untersuchungen beruht, welche richtungsweisend für die nachfolgend beschriebene Arbeit von Irmak und Kollegen (2005) und auch für die in dieser Arbeit durchgeführten experimentellen Untersuchungen war. Um der Frage nachzugehen, inwieweit Aktivitäten des Marketings die subjektiv empfundenen und wichtiger, die tatsächlich messbaren Wirkungen eines Produktes (Effektivität des Produktes) bei KonsumentInnen beeinflussen, führten Shiv et al. (2005a) eine erste einführende Studie durch. Dazu wurden einer Gruppe (n = 38) von Mitgliedern eines Fitness-Clubs EnergyDrinks mit Angaben zu Inhaltsstoffen und Wirkungen mit unterschiedlich kommunizierten Preisangaben (2.89 $/0.89 $) verteilt. Nach dem Konsum und dem Training wurden die Personen nach dem Empfinden der eigenen Trainingsleistung befragt, wobei sich die Antworten der verschiedenen Gruppen signifikant voneinander unterschieden. Das Ergebnis zeigte, dass der Preis anscheinend einen Einfluss auf die wahrgenommene Trainingsleistung hatte. Eine anschließende Frage an die TeilnehmerInnen, ob sie glaubten, dass der Preis eine Rolle für die Trainingsleistung gespielt habe, wurde von allen TeilnehmerInnen verneint. Die Studie lieferte für Shiv und Kollegen Anhaltspunkte für ihre Vermutung eines Placebo-Effektes. Da bei dieser Feld-Studie jedoch sowohl viele Variablen unkontrolliert waren, als auch die abhängige Variable (die Trainingsleistung) lediglich als subjektive Größe gemessen wurde, führten die Autoren im Anschluss Labor-Experimente durch.

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

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Wort-Puzzles

Anzahl richtig gelöster

Im Unterschied zur Vorstudie mussten die ProbandInnen in der Hauptstudie, bestehend aus drei Experimenten, das Getränk tatsächlich bezahlen. Weiter wurde, wie bereits beschrieben, als abhängige Variable das objektiv messbare Ergebnis eines Wortpuzzles verwendet, außerdem wurde eine Kontrollgruppe, die kein Getränk zu sich nahm, eingesetzt. In ihrem ersten Experiment manipulierten Shiv et al. (2005a) die Stärke der Erwartungen (durch Frage nach spezifischen Erwartungen verstärkt vs. nicht verstärkt), als auch den Preis des Energy-Drinks (regulär vs. reduziert). Das Ergebnis zeigte einen (im Grunde unerwünschten) Placebo-Effekt vom Discount-Preis. Das bedeutet, die Wirkung des Getränkes, also der Nutzen, den die ProbandInnen aus dem Getränk zogen, war für diejenigen geringer, die weniger für das Produkt bezahlten. Das Ergebnis des ersten Experiments ist in Abbildung 27 (links) grafisch dargestellt. Auf der Ordinate ist die Anzahl der richtig gelösten Wortpuzzles eingetragen.

12,0

12,0

10,0

10,0

8,0

8,0

6,0

6,0

4,0

4,0

2,0

2,0

0,0

reduzierter Preis regulärer Preis

0,0 niedrige Erwartungen

hohe Erwartungen

niedrige Erwartungen

hohe Erwartungen

Abbildung 27: Ergebnisse Experiment 1 und 3 der Studie von Shiv et al. (Quelle: Shiv et al. 2005a, S. 387)

In einem zweiten Experiment gingen Shiv et al. (2005a) den Fragen nach, warum im ersten Experiment ein unerwünschter Placebo-Effekt auftrat, ob der Effekt unbewusst ist und ob das Manipulieren des Preis-Leistungs-Bewusstseins einen Einfluss auf den Effekt hat. Im Ergebnis (hier nicht grafisch abgebildet) konnte festgestellt werden, dass, wenn die Aufmerksamkeit der ProbandInnen auf den Preis gelenkt wird, der zuvor beobachtete Placebo-Effekt eliminiert ist. Dieses Ergebnis spricht den Autoren zufolge dafür, dass der aufgetretene PlaceboEffekt ihres ersten Experiments unbewusste Prozesse beinhaltet. Die Aktivierung von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis (Top-down-Verarbeitung) läuft häufig unbewusst ab (z. B. Simonson 2005, Strack et al. 1993). Wenn allerdings die Aufmerksamkeit auf den Anlass für das Erinnern gelenkt wird, wird der Effekt, den diese abgerufene Information ausgelöst hätte, abgeschwächt (Strack et al. 1993). Das Aufmerksam-Machen auf das Preis-

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Leistungs-Verhältnis und der nachfolgend abgeschwächte bzw. eliminierte Placebo-Effekt ließe sich so erklären (Shiv et al. 2005a). In einem dritten Experiment der Studie wurden die produktspezifischen Erwartungen an die Qualität des Produktes bei einer Gruppe der ProbandInnen durch einen Werbetext weiter erhöht. Dies mit dem Ergebnis (dargestellt in Abbildung 27, rechts im Bild), dass die Verstärkung der Erwartungen an das Produkt, im Gegensatz zu den ersten beiden Experimenten, zwar weiterhin durch den niedrigen/hohen Preis beeinflusst war, aber zusätzlich die Intensität der Werbung einen Einfluss auf die Entstehung eines (erwünschten) Placebo-Effektes hatte. Kurz soll noch die von Shiv et al. (2005a) durchgeführte Vorreiter-Studie für weitere Forschung erwähnt werden, welche von einem Preiseffekt (Placebo-Effekt) von Medikamenten berichtet. 29 Studierende wurden gebeten, Tagebuch über ihre eventuell auftretenden Erkältungskrankheiten während des Semesters zu führen, wenn sie ein verschreibungsfreies Erkältungs-Medikament zu sich genommen hatten. Später wurden sie befragt, inwiefern sie den Eindruck hatten, dass das eingenommene Medikament ihre Symptome lindern konnte (abhängige Variable). Auch sollten die Studierenden angeben, ob sie das Medikament zu einem reduzierten oder zu einem regulären Preis gekauft hatten. Auch hier konnte im Ergebnis ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden. Studierende, die verbilligte Medikamente einnahmen, schätzten die Effizienz der Medikation signifikant schlechter ein, als diejenigen, die reguläre Preise für die Medikamente bezahlten. Kritisch sei an dieser Stelle angemerkt, dass die abhängige Variable hier nur als subjektive Größe (Frage nach subjektiver Wirkung) gemessen werden konnte. Shiv, Carmon und Ariely (2005a) konnten mit ihren drei durchgeführten Experimenten demonstrieren, dass sowohl das (offensichtlich unbewusst) wahrgenommene Preis-LeistungsVerhältnis als auch die Intensität der Werbemaßnahme die Erwartungen an ein Produkt derart beeinflussen können, dass aus der Nutzung eines Produktes nicht nur subjektive, sondern auch objektiv messbare Veränderungen resultieren. Irmak et al. (2005) erweitern die Studie von Shiv et al. (2005a) indem sie zeigten, dass die Motivation einer Person ebenfalls einen bedeutenden Einfluss auf Placebo-Effekte im Marketing hat. Unter Motivation verstehen die Autoren „a person´s desire to experience the product´s purported benefits” (Irmak et al. 2005, S. 406). Diese Definition der Motivation geht im Grunde einher mit dem von Roese/Sherman (2007) dargelegten allgemeinen Parameter der Zuversicht/des Vertrauens des Erwartungskonstruktes (Abschnitt 3.3.2.1). Die so definierte Motivation stellt demnach eine Einflussgröße der Erwartungsbildung dar. Ihre experimentelle Studie mit insgesamt 106 Studierenden führten Irmak et al. (2005) mit zwei Versuchs- und einer Kontrollgruppe durch. Der einen Gruppe wurden echte Energy-Drinks gereicht, der zweiten Gruppe ein ähnlich schmeckendes und aussehendes diätetisches Getränk, die Kon-

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

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trollgruppe bekam Wasser. Den TeilnehmerInnen wurde kommuniziert, dass sie an einer Studie zur Beurteilung eines Energie-Getränkes teilnahmen und dass sie den Energy-Drink trinken. Nach dem Konsumieren des (jeweiligen) Getränkes wurde die oben definierte Motivation der TeilnehmerInnen mit drei Fragen auf einer fünfstufigen Likert-Skala gemessen. Diese Messung diente im Nachhinein zur Aufteilung (Median-Split) der jeweiligen Gruppen in eine motivierte Gruppe (will, dass das Getränk wirkt) und eine nicht motivierte Gruppe (will nicht, dass das Getränk wirkt). Als abhängige Variablen wurden der Blutdruck (systolischer und diastolischer Wert), die mentale Erregung, physische Reflexe und die mentale Aufmerksamkeit gemessen. Abschließend wurden die TeilnehmerInnen nach ihrem subjektiv gefühlten Erregungszustand befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Motivation der ProbandInnen eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Placebo-Effekten spielte. Das Placebo-Getränk war ebenso wie das tatsächliche Energie-Getränk in der Lage, die abhängigen Variablen zu beeinflussen, dies aber nur bei den ProbandInnen, deren Motivation als hoch eingestuft werden konnte. Abbildung 28 zeigt die Ergebnisse für die abhängige Variable diastolischer Blutdruck, die (auch) in der Studie von Irmak et al. (2005) stellvertretend (da vergleichbar mit den Ergebnissen der anderen Variablen) für alle abhängigen Variablen diskutiert wurde. Kritisch anzumerken ist an der Durchführung der Studie, dass die Autoren zwar den Geschmack des Placebo-Getränkes, nicht aber eine eventuelle tatsächliche Wirkung des ausgewählten DiätGetränkes in einem Pretest überprüft hatten. Es ist nicht auszuschließen, dass bspw. Zuckerersatzstoffe eine Wirkung auf die abhängigen Variablen haben können (z. B. Rebhahn 2002). Dies könnte eventuell zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben. Weiter sei angemerkt, dass die Autoren bei der Darstellung ihrer Ergebnistabelle (S. 407) teilweise mit Signifikanzniveaus von p < 0,10 operieren, was sonst eher unüblich ist.

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Veränderung des diastolischen Blutdruckwertes

Energy Drink

Placebo

Kontrollgruppe

0,12 0,1 0,08 0,06 0,04 0,02 0

Niedrige Motivation Hohe Motivation Kontrollgruppe

-0,02 -0,04 -0,06 -0,08 -0,1

Abbildung 28: Placebo-Effekt der Motivation (Quelle: Irmak et al. 2005, S. 408)

Crum/Langer (2007) zeigten, dass durch körperliche Bewegung die Gesundheit über die bloße Kommunikation (Placebo) positiv beeinflusst wurde (Placebo-Effekt). Für ihre Untersuchung wurden 84 Zimmermädchen aus sieben unterschiedlichen Hotels in zwei Gruppen aufgeteilt. Allen Teilnehmerinnen wurde kommuniziert, dass sie an einer Studie über Frauen am Arbeitsplatz im Hotel teilnahmen. Eine Gruppe (Experimentalgruppe) bekam zusätzlich verbale und schriftliche Informationen darüber, dass ihr Arbeitsplatz mit gesunder körperlicher Bewegung verbunden sei und dass ihre Tätigkeit von ihrer Gesundheitsbehörde für eine aktive Lebensgestaltung als gut empfohlen wurde, die andere Gruppe erhielt keine weiteren Informationen (Kontrollgruppe). Sowohl vor, als auch vier Wochen nach der Untersuchung wurden an allen Probandinnen Körper-Messungen vorgenommen (Gewicht, Body-Mass-Index, Körperfettanteil, Verhältnis Hüft-Bauch-Umfang und Blutdruck). Außerdem wurde nach der wahrgenommenen körperlichen Bewegung sowie nach diversen Kontrollvariablen gefragt. Die Ergebnisse der wiederholten Messungen zeigten, dass sich die Experimentalgruppe in allen Werten signifikant zum gesundheitlich Positiven verbesserte. Interpretiert wurde dies dahingehend, dass nicht die körperliche Bewegung die gesundheitliche Verbesserung brachte, die zwischen den Gruppen als vergleichbar einzuschätzen war, sondern die geistige Haltung der Teilnehmerinnen, die sich durch die Informationsgabe (Placebo) beeinflussen ließ. Die Autorinnen nennen den Effekt, den sie durch die (im weitesten Sinne) Kommunikationsmaßnahmen erhielten, einen Placebo-Effekt. Weniger eindeutig ist die theoretische Basis erläutert.

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

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Die Theorie der Reaktionserwartung (response expectancy theory) nach Kirsch (1985b, 1999b) könnte dieser Untersuchung nicht zweifelsfrei zu Grunde gelegt werden. Nach ihr führen die Antizipationen automatischer Reaktionen direkt zur Reaktion. Die Erwartungen, die die Versuchspersonen aufgrund der Stimuli generierten, könnten auch indirekt auf das Verhalten gewirkt haben (vgl. Kirsch 1999b, S. 4). Das bedeutet, dass die Erwartungen an die Tätigkeit (ausgelöst durch die Kommunikationsmaßnahmen) in der Experimentalgruppe zwar das Verhalten im Sinne eines Placebo-Effektes veränderten, dieser aber nicht mit der response expectancy theory nach Kirsch (1985b, 1999b) zu erklären ist.

Durchschnittliches Testergebnis

In einem Experiment konnten Fries et al. (2006) zeigen, dass die Erwartungen an ein spezielles Lernmaterial, ein computerbasiertes Training, so manipuliert werden konnten, dass das Lernergebnis, bzw. das Lernverhalten von Studierenden beeinflusst wurde. 62 Studierende zwischen 18 und 24 Jahren wurden angewiesen, mit einem computerbasierten Programm zu lernen, um es im Nachhinein hinsichtlich der darin enthaltenen Lernanweisungen zu beurteilen. Eine Experimentalgruppe erhielt die Information, dass es sich bei dem Lernprogramm um eine Testversion handele, der anderen Gruppe wurde kommuniziert, dass es sich um ein ausgereiftes und als gut bewertetes Programm handele (High-End-Version), in der dritten Gruppe, die als Kontrollgruppe diente, wurde die Erwartung an das Produkt nicht manipuliert.

8 7 6

Test-Version

5 4

Kontrollgruppe

3

High-EndProdukt

2 1 0 WISSENSTEST

Abbildung 29: Mittelwerte des Wissenstests (Quelle: Fries et al. 2006)

Nachdem die ProbandInnen das einstündige Lernprogramm bearbeitet hatten, wurde ein Wissenstest mit sieben Wissensfragen durchgeführt. Die Gruppe, die das vermeintliche HighEnd-Produkt bearbeitete, war signifikant besser als die Kontrollgruppe und die „TestversionGruppe“. Das Ergebnis zeigte, dass die Studierenden, welchen kommuniziert wurde, dass sie eine Testversion bearbeiteten, im Wissenstest am schlechtesten abschnitten. Bei dem Ergebnis

102

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

dieser Untersuchung, das von den Autoren nicht als Placebo-Effekt, sondern als PygmalionEffekt (hierzu z. B. Rosenthal/Jacobson 1968) bezeichnet wird, beeinflussen die Qualitätserwartungen der ProbandInnen (manipuliert durch die Bezeichnung des Tests) die Resultate des Lernprogramms. Der Pygmalion-Effekt wird in Verbindung mit der Leistungsbeurteilung bei Schülern gebracht und kann als eine Art „self-fulfilling prophecy" (der Begriff wurde von Merton 1948 geprägt) gelten. Der Placebo-Effekt stellt in dieser Hinsicht eine weitere Variante der sich selbsterfüllenden Prophezeiung dar, dies jedoch im medizinisch-psychologischen Bereich. Wiederum nicht ganz eindeutig ist, ähnlich wie bei der Untersuchung von Crum/Langer (2007) angemerkt, ob sich die response expectancy theory anwenden lässt. Auch hier ist fraglich, ob die Erwartungen als eine Antizipation eigener, automatischer Reaktionen direkt zu einem Effekt führen. Waber et al. (2008) zeigten mit Hilfe einer etablierten Methode, Schmerz zu erforschen (Berns et al. 2006), dass teure Placebos besser wirken als billige Placebos. An ihrer Studie nahmen 82 gesunde (mit 30 $ vergütete, über eine Internet-Anzeige rekrutierte) Versuchspersonen teil, welchen kommuniziert wurde, dass sie ein neues opioides Analgetikum (ein starkes Schmerzmittel) testen würden, welches als vergleichbar zu herkömmlichen Analgetika, aber als schneller wirkend beschrieben wurde. Die ProbandInnen wurden randomisiert in zwei Gruppen aufgeteilt, wobei eine Gruppe darüber informiert wurde, dass die Tablette regulär 2.50 $ kostete, der anderen Gruppe wurde (ohne weitere Begründung) mitgeteilt, dass die Tablette zum Discount-Preis von 0.10 $ zu haben war. Da im Doppel-Blind-Verfahren getestet wurde, wussten weder die Forscher, noch die ProbandInnen, dass allen TeilnehmerInnen lediglich eine Placebo-Tablette verabreicht wurde. Zunächst wurden die individuellen Schmerztoleranzgrenzen der ProbandInnen mittels Verabreichung von Elektroschocks ermittelt. Im Anschluss wurden den TeilnehmerInnen vor und nach der Einnahme der Placebo-Medikation Stromstöße von 0 Volt bis zu ihrer kalibrierten Toleranzgrenze in gleichmäßigen Abständen verabreicht, wobei sie ihre dabei empfundenen Schmerzen auf einer 100-Punkte-Skala einschätzen sollten. Als abhängige Variable wurde der Mittelwert der Veränderung der Schmerzempfindung bei gleichem Stromstoß vor und nach der Medikation errechnet. Im Ergebnis waren die Placebos mit dem regulären Preis geeigneter, den Schmerz zu unterdrücken, als die Placebos, die zum Discount-Preis angeboten wurden.

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

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Preis des Placebos Ɣ regulärer Preis

Mittelwerte der Schmerzdifferenzen

ż niedriger Preis

Stärke der Elektroschocks in Volt

Abbildung 30: Placebowirkung bei unterschiedlichen Preisen (Quelle: Waber et al. 2008, S. 1017)

Die Abbildung 30 zeigt die mittleren Differenzen des Schmerzempfindens der teilnehmenden Personen vor und nach der Einnahme des Placebos, jeweils bei gleicher Stärke des Elektroschocks. Die Unterschiede zwischen der Gruppe, die den regulären Preis und der Gruppe, die den reduzierten Preis kommuniziert bekam, waren für nahezu alle Schockintensitäten signifikant voneinander verschieden. Das billige Placebo wirkte demnach schlechter als das teure. Es sei hier angemerkt, dass im Gegensatz zur einleitenden Ankündigung, es würden hauptsächlich Studien mit objektiv überprüf- bzw. messbaren Placebo-Effekten in die Literaturübersicht aufgenommen, es sich hier um eine Messung des subjektiven Schmerzempfindens der ProbandInnen handelt, welche lediglich durch die Visualisierung den Charakter der Objektivität erfahren. Hierzu ist weiter anzumerken, dass die Grenze zwischen subjektivem und objektivem Erleben nicht zweifelsfrei gezogen werden kann, wie Studien aus der Neurophysiologie (z. B. Wager et al. 2004) wie auch aus dem Neuromarketing (z. B. Plassmann et al. 2008, McClure et al. 2004, Nitschke et al. 2006) zeigen können. Plassmann et al. (2008) konnten bspw. mittels einer speziellen bildgebenden medizinischen Methode (MRT, Magnetresonanztomographie) zeigen, dass die Areale im Gehirn eines Menschen, die bei erlebtem Wohlbefinden aktiviert sind, bei der Verkostung eines Weines mit höherem Preis mehr Aktivität zeigen, als bei der Verkostung desselben, aber im Preis niedrigeren Weines, was sie auf die Erwartungen an den Geschmack des Getränkes (manipuliert durch den Preis) zurückfüh-

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Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

ren. Somit könnte eine zunächst rein subjektive Äußerung einer Versuchsperson objektiv messbar gemacht werden. Durch die neurophysiologischen Studien kann durch die bildgebenden Verfahren (eine Übersicht zu den Verfahren bieten Kenning et al. 2005) gezeigt werden, dass bestimmte Areale des Gehirns bspw. für bestimmte Gefühle oder Geschmäcker zuständig sind (z. B. De Araujo 2003). Auch können Hirnregionen, die für die Schmerzempfindungen zuständig sind, bestimmt werden (Wager et al. 2004), da dort in diesen bestimmten Situationen die Aktivität der Gehirnzellen erhöht ist (Berns 2005). Was die ProbandInnen aber genau denken und empfinden, kann nicht aus den Bildern abgelesen werden (vgl. Esch/Möll 2005 und hierzu auch Stoll et al. 2008). Die Art der Gabe von Wirkstoffen (ob bspw. Spritze, Kapsel oder Tablette) muss nicht zwingendermaßen eine medizinische Indikation haben. Vorstellbar wären durchaus auch ökonomische Überlegungen, die wiederum als marketingrelevante Entscheidungen angesehen werden könnten. Dass die Form der Verabreichung der Medikamente (Kapsel versus Tablette) die erwartete Wirkung dieser beeinflussen kann, zeigen Buckalew/Coffield (1982). Kapseln wird eine bessere Wirkung zugeschrieben als Tabletten. Große Tabletten wirken hingegen besser als kleine (Buckalew/Coffield 1982). Es ist ebenso verständlich, dass die Entscheidung über die Farbe einer Tablette (Kapsel) als produktpolitische Entscheidung und damit den Marketing-Maßnahmen zugerechnet werden kann. Gewissermaßen stellvertretend für andere medizinischen Studien (eine Übersicht bietet z. B. De Craen et al. 1996) soll die klinische Pharmakologie-Studie von Lucchelli und Kollegen (1978) dienen. Die Forscher untersuchten u. a. die Wirkung von der Art der medizinischen Anweisung als auch die Wirkung der Farbe von Schlaftabletten versus PlaceboKapseln. An der Studie nahmen 96 an Schlaflosigkeit leidende PatientInnen teil. Als die (für diese Arbeit) bedeutsamsten abhängigen Variablen wurden die Zeit bis zum Einschlafen als auch die Anzahl der geschlafenen Stunden, also die Schlafdauer in einer Nacht, notiert. Im Ergebnis zeigte sich, dass insgesamt der tatsächliche Wirkstoff signifikant besser wirkte als das Placebo. Darüber hinaus konnte (mit einem Signifikanzniveau von p < 0,05) gezeigt werden, dass die Wirkung von blauen Kapseln besser als die der orangefarbigen Kapseln war. Obwohl bislang keine eindeutigen Nachweise vorliegen, dass das Geschlecht PlaceboResponder voraussagen kann, ergab das Ergebnis der Studie, dass bei den weiblichen Teilnehmern nur bei den orangefarbigen Kapseln die tatsächliche Medizin ein signifikant besseres Resultat brachte als das Placebo-Medikament. In Bezug auf die Objektivität der Messung der abhängigen Variablen muss kritisch hinzugefügt werden, dass die Angaben auf einer Selbstauskunft der PatientInnen beruhte, was, wie die Autoren selber anmerken, zu Verzerrungen führen kann.

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

105

400 350

Zeit in Minuten

300 250

Kapselfarbe blau

200

Kapselfarbe orange 150 100 50 0

Zeit bis zum Einschlafen

Schlafdauer

Abbildung 31: Wirkung der (Medikamenten-)Farbe (Quelle: Lucchelli 1978, S. 154)

Die Anzahl der hier beschriebenen und in den Tabellen 2 und 3 (sortiert nach Forschungsdisziplinen) noch einmal aufgelisteten empirischen Studien lässt erkennen, dass das Forschungsfeld der Placebo-Effekte in der Marketing-Forschung noch klein ist. Die Tatsache, dass bisher nur ein Bruchteil der in Abschnitt 4.2.3 herausgearbeiteten Qualitätssignale sowie weiterer Einflussfaktoren (Abschnitt 4.2.5) empirisch erforscht wurde, lässt weiteren Forschungsarbeiten Spielraum.

106

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Tabelle 2: Literaturübersicht Teil I (tabellarische Darstellung)

Literaturübersicht – Bisherige empirische Erkenntnisse der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext

Tabelle 3: Literaturübersicht Teil II (tabellarische Darstellung)

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108

Forschungsstand: Placebo-Effekt als Phänomen im Marketing

Die empirische Untersuchung vorliegender Arbeit kann als erweiterte Replikation von den von Shiv et al. (2005a) durchgeführten Studien betrachtet werden. Warum ist es wichtig, bereits existierende Studien zu replizieren? Die Studie von Shiv et al. (2005a) ist eine PionierStudie auf dem Gebiet der Placebo-Effekte im Marketing-Kontext. Eine Replikationsstudie bietet die Möglichkeit, mehr Erkenntnis über die Generalisierbarkeit des Phänomens des Placebo-Effektes durch Marketing-Maßnahmen zu erlangen. Sie hilft dabei, die Vielfalt und die Grenzen des Phänomens kennenzulernen. Unter diesem Gesichtspunkt unterstützen Replikationsstudien, die bspw. andere Stimuli, weitere Stichproben oder andere analytische Methoden verwenden, die Weiterentwicklung des Wissens über das Konsumentenverhalten (Macdonald/Sharp 2000, Rosenthal 1991). (Für einen weiteren Einblick der Notwendigkeit von Replikationsstudien vgl. Hunter (2001) mit seinem Artikel „The Desperate Need for Replications“). Die Prozedur der im fünften Kapitel beschriebenen Untersuchungen ist mit der der Studien von Shiv et al. (2005a) zu vergleichen. Es wurde im ersten Experiment dieselbe, im zweiten eine ähnliche Produktkategorie ausgewählt. Der externe Stimulus, also die unabhängige Variable hingegen unterscheidet sich, da nicht der Preis, sondern die Marke (Dimensionen des Markenwissens) als unabhängige Variable dient. Des Weiteren unterscheiden sich beide Experimente in der Methodik der Messung der abhängigen Variablen. Auch sind die Ergebnisse deshalb wertvoll, da sie das Phänomen des Placebo-Effektes im Marketing-Kontext in einem anderen Land außer der USA zeigen konnten, also auch hier zur Generalisierbarkeit der Ergebnisse beitragen.

4.4

Kurzzusammenfassung des vierten Kapitels und Überleitung zum nächsten Kapitel

Nach der inhaltlichen Spezifikation des Begriffes der Wirkungserwartung fand eine inhaltliche Festlegung des Begriffes Placebo-Effekt für die Marketing-Forschung statt. Eine Konzeptualisierung erfolgte dahingehend, dass Placebo-Effekte im Marketing-Kontext sich als objektiv messbare Produktwirkungen ausdrücken und von extrinsischen Produkteigenschaften hervorgerufen werden. Weiter wurde ein Rahmen geschaffen, der die Entstehung eines PlaceboEffekts im Marketing-Kontext veranschaulicht. Hierzu wurde unter anderem in Bezug auf Abschnitt 2.1.5, der sich mit der Frage „wahrgenommener Nutzen oder Nutzen durch Wahrnehmung“ beschäftigt, der Entstehungsprozess eines Placebo-Effekts im Kontext eines Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesses dargestellt. Da die Wirkungserwartung in einem Zusammenhang mit der wahrgenommenen Qualität eines Produktes steht, wurden anschließend externe Reize aufgezeigt, welchen in der Marketing-Literatur als Qualitätsindikatoren eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird. Weiter wurde näher beleuchtet und darge-

Kurzzusammenfassung des vierten Kapitels und Überleitung zum nächsten Kapitel

109

stellt, was im Bezugsrahmen unter Allgemeinen Annahmen zu verstehen ist, bevor weitere Faktoren erläutert wurden, die einen möglichen Einfluss auf die Entstehung von Qualitätswahrnehmung und Wirkungserwartungen haben (könnten). Der nun folgende Abschnitt hat den Placebo-Effekt der Marke als Thema. Zunächst werden für diese Arbeit relevante Grundlagen zum Untersuchungsgegenstand Marke dargelegt. Im Folgenden wird aufbauend auf die theoretischen Ausführungen des Kapitels 3.3 der Bezug vom Markenwissen zur Entstehung von Placebo-Effekten hergeleitet, um daraufhin die Hypothesen abzuleiten. Kapitel 5.3 beinhaltet die empirische Überprüfung dieser Hypothesen.

5

Placebo-Effekt der Marke

Shiv et al. (2005a) zeigen in ihren Experimenten bereits, dass sowohl der Preis als auch verstärkte Kommunikationsmaßnahmen eines Produktes als Placebo wirken können. Aufgrund der wissenschaftlichen Bedeutung der Marke als Qualitätsindikator wird in vorliegender Arbeit die Marke eines Produktes als auslösender Faktor, also als Placebo untersucht. Die nachfolgenden empirischen Studien dieser Arbeit haben ihren Schwerpunkt demnach auf die Marke als Placebo gesetzt. Wie bereits erwähnt, kann die Markierung, bzw. der Markenname eines Produktes zu den „information chunks“, also zu den Schlüsselinformationen für KonsumentInnen gezählt werden (z. B. Jacoby et al. 1977). Der Markenname eines Produktes kann mit einer Vielzahl von gespeicherten Informationen verknüpft sein und verschiedene Assoziationen (z. B. Jacoby et al. 1977) sowie Gefühle im/in der Konsumenten/in (Möll 2007, Abschnitt 5.2) auslösen. Wie auch in der Fachliteratur zu erkennen war, liegt der ForschungsFokus auf den Qualitätsinformationen Preis und Marke, was für die Bedeutung der beiden Schlüsselinformationen spricht. Ferner ist nicht alleine der Preis ausschlaggebend für die Qualitätseinschätzungen der KonsumentInnen (Gardner 1971). Wie bereits erläutert, gibt es diverse Forschungsarbeiten über die (subjektive) Wirkung der Marke in Bezug auf die Qualitätswahrnehmung, so zum Beispiel der Einfluss des Markennamens (z. B. Allison/Uhl 1964, De Chernatony/McDonald 2003, S. 14 f.) oder des Markenimages (z. B. Dodds/Monroe 1985, Lichtenstein et al. 1993, Obermiller 1988). Auch wird der Einfluss der Marke als wichtig erachtet, da zum einen ein in der Realität betrachtetes Produkt nie alleine mit dem Preis als Eigenschaft (was auch die Kritik an den sogenannten Single-Cue-Studien – mit dem Preis als alleinigem externen Stimulus – zum wahrgenommen Preis-Qualitäts-Zusammenhang beinhaltet, Obermiller 1988), sondern immer auch durch andere Produkteigenschaften, meist wenigstens einem Namen gekennzeichnet ist. Zum anderen ist es möglich, dass ein Markenname länger im Gedächtnis bleiben könnte als der Preis. So zeigen Mitra/Golder (2006) bereits, dass unterschiedliche Qualitätsindikatoren unterschiedlich (positiv) nachhaltig sein können. Verma/Gupta (2004) konnten zudem zeigen, dass bei kurzlebigen Verbrauchsgütern im Vergleich zu langlebigen Gebrauchsgütern der Preis einen geringeren Einfluss auf die wahrgenommene Qualität eines Produktes hatte als Komponenten des Markenimages. Um die Marke als Placebo zu erforschen, wird zunächst Grundlegendes zum Untersuchungsgegenstand Marke dargelegt. Weiter werden knapp die für diese Arbeit relevanten Funktionen der Marke im Bezug zum Thema erörtert, da sie die Grundlage bilden, um die Marke als Ursache für die Entstehung von Placebo-Effekten zu sehen.

112

5.1 5.1.1

Placebo-Effekt der Marke

Untersuchungsgegenstand Marke Kennzeichnung des Begriffes Marke

Der Begriff der Marke wird in der Wissenschaft wie auch in der Praxis aus unterschiedlichen Blickwinkeln, d. h. mit unterschiedlichem Verständnis betrachtet (z. B. Esch 2008, S. 17 ff., Baumgarth 2008, S. 1 ff., eine Einblick verschaffende Übersicht über unterschiedliche Definitionen des Begriffes Marke bieten Burmann et al. 2005, S. 5 f.). Esch (2008, S. 17 ff.) unterscheidet im Groben ein merkmalsbezogenes sowie ein wirkungsbezogenes Verständnis des Begriffes der Marke (Baumgarth 2008, S. 1 ff. differenziert ähnlich, jedoch etwas detaillierter). Das merkmalsbezogene Verständnis wurde stark von Mellerowicz (1963, S. 39) geprägt, der einen „Kriterien-Katalog“ vorschlug, wann ein Produkt (in der damaligen Definition begrenzt auf „Fertigartikel“, was per definitionem bspw. Dienstleistungen, Produktionsgüter, Personen und Regionen ausschließt, siehe Baumgarth 2008, S. 3) als Markenartikel aufzufassen sei. So stellt bei Mellerowicz die Marke an sich „lediglich ein physisches Kennzeichen für die Herkunft eines Markenartikels“ (Esch 2008, S. 17) dar. In der Literatur häufig genannte kennzeichnende Merkmale von Marken bzw. Markenartikeln sind nach Kuß (2006, S. 207 ff.) folgende: die Markierung, die konstante Qualität, die breite Verfügbarkeit, die Kommunikationsanstrengungen und ein angemessenes, einigermaßen konstantes Preisniveau. Das merkmalsbezogene Verständnis der Marke orientiert sich stark an der Vorstellung, dass sich ein Markenartikel anhand der eben aufgezählten Merkmale von einem markenlosen Artikel unterscheiden lässt und betont dabei eine objektbezogene Sichtweise (Baumgarth 2008, S. 3). Allerdings lassen sich Merkmale finden, die für bestimmte Marken nicht zwingendermaßen zutreffen müssen, dennoch werden sie den Markenartikeln zugerechnet. So betreibt Google im engeren Sinne keine Kommunikationsanstrengungen und kann dennoch als Marke angesehen werden. Auch kennzeichnen sich bestimmte Marken, wie bspw. die spanische Schuhmarke Camper oder diverse Luxusmarken gerade durch eine selektive Distribution (Möll 2007, S. 13). In der rechtlichen Definition werden Marken nach dem deutschen Markengesetz (§3, Abs. 1, MarkenG) folgendermaßen abgegrenzt: „Als Marke können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ Diese Formulierung geht durch die beinhalteten Erweiterungen über das klassische, merkmalsorientierte Verständnis (Mellerowicz 1963) hinaus. Dennoch

Untersuchungsgegenstand Marke

113

beinhaltet diese Definition in keiner Weise die Wirkung von Marken, die in den Köpfen der KonsumentInnen ausgelöst werden können, auch fehlen Aspekte zur Entstehung von Marken (Baumgarth 2008, S. 3). Da hier gezeigt werden soll, dass Marken über Erwartungen Wirkungen erzeugen können, ist auch für vorliegende Arbeit ein Verständnis von Marken durch die bloße physikalische Markierung nicht ausreichend. Bei dem wirkungsbezogenen Verständnis der Marke steht der Konsument im Betrachtungsmittelpunkt. Da auch in vorliegender Arbeit die Wirkung der Marke aus Konsumentensicht im Vordergrund steht, wird diese Sichtweise des Markenbegriffs als zentral betrachtet. Esch (2008) definiert in diesem Zusammenhang Marken als „Vorstellungsbilder in den Köpfen der Anspruchsgruppen, die eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion übernehmen und das Wahlverhalten prägen“ (S. 22). Auch bei der Betrachtung der wesentlichen Funktionen der Marke wird nachfolgend der Fokus auf die Konsumentensicht gelegt. Das Umschreiben der Vorstellungsbilder von Marken in den Köpfen der KonsumentInnen setzt beim Markenwissen an, welches typischerweise, wie bereits angesprochen, in Wissensschemata angelegt ist und „Gefühle, Bilder, Vorstellungen, Sachinhalte, Eigenschaften, Verwendungszusammenhänge und andere Inhalte zur Marke“ (Esch et al. 2005, S. 11) umfassen kann. Diese hier als Markenwissen zusammengefassten Elemente können beim Kauf (bei der Kaufentscheidung), aber auch beim bloßen Aufeinandertreffen mit dem Produkt (einschließlich des Konsums), also beim Wahrnehmen des Produktes, abgerufen und zur Beurteilung und Erwartungsbildung an das Produkt herangezogen werden. In diesem Zusammenhang weist Esch (2008, S. 24) auf die Arbeit von Kenning und KollegInnen (2005) aus dem Bereich des Neuromarketings hin. Trotz der bereits kritischen Anmerkungen zu der Aussagekraft von bildgebenden Verfahren von Hirnaktivitäten in der Konsumentenverhaltensforschung (Abschnitt 4.3) soll an dieser Stelle ebenfalls auf diese Arbeiten hingewiesen werden, da die Ergebnisse in einem indirekten inhaltlichen Bezug zur vorliegenden Arbeit stehen. In der Studie von Kenning et al. (2005) konnte gezeigt werden, dass Marken, für die KonsumentInnen bereits eine Vorliebe entwickelt hatten, im Vergleich zu Marken, für die dies nicht zutrifft, unterschiedliche Gehirnaktivitäten hervorrufen. Ziel dieser Untersuchung war es, mit einer neurowissenschaftlichen Methode den Einfluss einer Marke auf die Kaufentscheidung besser zu verstehen. Sie zeichneten dafür mittels einer funktionellen Magnetresonanztomografie die Gehirnaktivitäten von Versuchspersonen auf, während sie ihnen diverse Kaffeemarken präsentierten. Im Anschluss daran sollten sich die Personen für eine Marke entscheiden. Das Ergebnis zeigte, dass bei Personen mit einer starken Beziehung zu einer Marke bei der Präsentation derselben die Hirnaktivität im vorderen Kortex (der Teil des Gehirns, der bei rationalen Entscheidungen aktiviert ist) abnahm. Weiter konnten sie feststellen, dass unter den gleichen Bedingungen die Areale des Gehirns mehr durchblutet waren, welchen eher ein emotionaler Charakter zugeschrieben wird, was sie als Effekt der kortikalen Entlastung bezeichnen. Das

114

Placebo-Effekt der Marke

heißt: Bei der Entscheidung für eine Marke, für die der Konsument bereits eine Vorliebe hat, werden eher Hirnregionen aktiviert, die beim Empfinden von Emotionen aktiv sind. Die Hirnregionen, die eher bei rationalen Entscheidungen aktiviert werden, werden in dieser Situation entlastet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass „starke“ Marken eng mit emotionalen Empfindungen verknüpft sein können. Burmann et al. (2003) gehen bei ihren Ausführungen zum identitätsorientierten Markenmanagement die Definition vom Terminus Marke zwar auch aus Konsumentensicht an, erweitern diese jedoch um die Unternehmensperspektive. Dies geschieht insofern, als dass aus Unternehmenssicht eine nach innen gerichtete Markenidentität das Wesen einer Marke prägt (als Selbstbild der Marke), welche sich dann als Markenimage in den Köpfen der KonsumentInnen verankern soll (als Fremdbild der Marke). So definieren sie die Marke als Kundennutzen zwischen Anbieter und Konsument und zwar als „ein Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen (in Form von Kommunikation, Kundendienst, Verpackungsgestaltung, technischen Innovationen, etc.), die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel gegenüber anderen Nutzenbündeln, welche dieselben Basisbedürfnisse erfüllen, aus Sicht relevanter Zielgruppen nachhaltig differenzieren.“ (S. 3, Hervorh. i. O.) Dabei unterscheiden sie die physischfunktionalen und die symbolischen Nutzenkomponenten. Die symbolische Nutzenkomponente ist zum einen durch die auch in der rechtlich-formalen Definition geschützten Zeichen und zum anderen durch das Wesen und den Auftritt einer Marke charakterisiert. Dieses Verständnis des Begriffes einer Marke ist laut Autoren in dem Verständnis der Marke als Vorstellungsbild in den Köpfen der KonsumentInnen (Esch 2008) nicht enthalten (Burmann et al. 2005).

Untersuchungsgegenstand Marke

115

Physisch-funktionale Nutzenkomponente

Markenimage

Marke: Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen, die eine nachhaltige Differenzierung bewirken.

Prozess der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung

Symbolische Nutzenkomponenten

Aktionsebene

Reaktionsebene

Abbildung 32: Grundidee des identitätsorientierten Markenmanagements (Quelle: Burmann et al. 2005, S. 8)

Diese Idee des (identitätsorientierten) Verständnisses der Marke (siehe auch Abbildung 32) greift zwar die Nutzenüberlegungen des 2.1.5. Kapitels auf, beinhaltet jedoch weitestgehend nur die vom/von der Konsumenten/in wahrgenommenen, also die erwarteten Nutzenkomponenten des/r Konsumenten/in. Der durch die Wahrnehmung entstandene Nutzen beim Gebrauch des Produktes ist nicht berücksichtigt. Insofern ist der identitätsorientierte Ansatz hier als Erweiterung zur Definition nach Esch (2008) zu sehen, soll jedoch auch für den hier relevanten Nachkaufprozess verstanden werden. Das in vorliegender Arbeit verwendete Markenverständnis soll demnach sowohl die Markenidentität der internen Unternehmensanstrengungen mitsamt Wesen und Auftritt der Marke umfassen, als auch die daraus entstandenen Vorstellungsbilder in den Köpfen der KonsumentInnen, welche eine nachhaltige Wirkung auslösen können. Unter diesem Aspekt wird nun dargestellt, welche Funktionen eine Marke für KonsumentInnen erfüllen kann. Weiter wird in den Dimensionen des Markenwissens bzw. im „customerbased brand equity“ dargestellt, warum und welche hypothetischen Zusammenhänge zwischen der Erwartungen an die Qualität und damit an die Wirkungserwartung eines Produktes vermutet werden.

116

Placebo-Effekt der Marke

5.1.2

Funktionen der Marke aus Konsumentensicht

Aus Konsumentensicht erfüllt eine Marke (nicht nur für Kaufentscheidungen) wesentliche Funktionen. Diese Funktionen können in drei Kategorien unterteilt werden (in Anlehnung an Walser 2004, ähnlich auch Burmann et al. 2005, Keller/Lehmann 2006): x

x

x

Die Marke als Identifikations- und Differenzierungshilfsmittel Die Marke zur Risikoreduktion und als Vertrauensfunktion Die Marke als symbolisches Zeichen

Schon in der Definition von Esch (2008) wird explizit auf die Funktionen einer Marke als Identifikations- und Differenzierungsinstrument hingewiesen. Auch spiegelt sie sich bereits in der klassischen Markendefinition von Mellerowicz (1962) wider. Durch die Kennzeichnung eines Produktes wird es dem/der Konsumenten/in ermöglicht, ein Produkt (wieder)zufinden, also zu identifizieren und von Konkurrenzprodukten zu unterscheiden. Diese Funktion der Marke bezieht sich vor allem auf das Entscheidungsverhalten in Kaufsituationen. Die Entscheidungsfindung wird durch eine schnellere Bewertungsmöglichkeit Dank des Abrufen-Könnens eines Denkschemas erleichtert. Der als Reiz wahrgenommene Markenname kann in Form eines gedanklichen Netzwerks diverse, mit ihm verbundene Assoziationen aufrufen (z. B. Keller 1993). Eine Markenbekanntheit als Teil des Markenwissens ist für das Abrufen eines Denkschemas eine notwendige Bedingung. Damit eine Marke die Erwartungen an die Wirkung eines Produktes beeinflussen und als Placebo zu einem (Verhaltens-)Effekt führen kann, muss demnach die Voraussetzung der Markenbekanntheit erfüllt sein. Auf das Konstrukt der Markenbekanntheit als Teil des Markenwissens wird im nächsten Kapitel noch genauer eingegangen. Gilt eine Marke in den Köpfen der KonsumentInnen als bekannt und ist sie in ihrer Identität, also ihrem gesamten Wesen und Auftreten und ihrer damit verbundenen Kompetenz verankert, kann sie die Funktion der Risikoreduktion, beziehungsweise der Vertrauensfunktion für den/die Konsumenten/in übernehmen (Esch et al. 2005, S. 12). Die Informationsökonomie unterstellt einen Zusammenhang von Informationsasymmetrien zwischen Anbieter und Nachfrager und Verhaltensunsicherheiten der Parteien. Diese Unsicherheiten sind aus Sicht des Kunden von der Möglichkeit der Bewertung hinsichtlich der Qualität eines Produktes bestimmt (siehe auch Kaas 1995, Kaas/Busch 1996). Aus diesen unterschiedlichen Bewertungsmöglichkeiten resultiert die Gütertypologie nach Nelson (1970) und Darby/Karni (1973), bei der (Eigenschaften von) Produkte(n) in Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgüter (bzw. -eigenschaften, hierzu auch Kaas/Busch 1996) eingeteilt werden können. Bei Produkten mit überwiegenden Sucheigenschaften lässt sich die Qualität vor dem Kauf beurteilen, Erfahrungsgüter bestimmen sich durch einen hohen Anteil an Eigenschaften, die sich erst nach dem

Untersuchungsgegenstand Marke

117

Kauf beurteilen lassen und bei Vertrauensgütern überwiegt der Anteil der Eigenschaften, die sich sowohl vor als auch nach dem Kauf nicht oder nur mit enormen Kosten für den/die Konsumenten/in beurteilen lassen. Die Marke übernimmt hier die (Signal-)Rolle einer Informationseigenschaft. Diese Rolle kann ihr in Bezug auf die Wirkungserwartung von Produkten, die eher den Erfahrungs- und vor allem den Vertrauenseigenschaften zugerechnet werden muss, auch nach dem Kauf, also bei der Nutzung des Produktes, zugeschrieben werden. Diese Signale können durch die gedanklichen Verknüpfungen auch Vermittler von Emotionen sein und so eine Vertrauensbasis schaffen (Esch et al. 2005, S. 12, Möll 2007). In Anlehnung an Roselius (1971) und Keller (2008, S. 8) ist der/die Konsument/in beim Kauf eines Produktes funktionalen, finanziellen, zeitlichen, psychologischen und physiologischen sowie sozialen Risiken ausgesetzt. Das funktionale Risiko soll hierbei herausgegriffen werden: Es steht für das Risiko der KonsumentInnen, dass ein Produkt die von ihnen erwarteten Funktionen hinsichtlich seiner Bedürfnisbefriedigung nicht erfüllt. Diese Art des Risikos beinhaltet den Nutzungs-/Gebrauchsprozess (auch Keller 2008, S. 8) eines Produktes und damit die in dieser Arbeit vorgestellten Überlegungen zum Produktnutzen (Kapitel 2.1.3). Marken können in der Lage sein, diese genannten Risiken zu minimieren, indem sie (für KonsumentInnen) relevante Qualitätsassoziationen signalisieren, bzw. vom/von der Konsumenten/in mit diesen in Verbindung gebracht werden (Walser 2004, S. 14, Keller 2008, S. 8). Als symbolische Funktion können Marken KonsumentInnen in zweierlei Hinsicht dienen (Walser 2004, S. 14 ff.). Zum einen können sie bei bestimmten Produktgruppen (Kleidungsstücke, Autos, etc.) soziale Anerkennung repräsentieren. Zum anderen kann die symbolische Funktion darin bestehen, dass das Wesen und der Auftritt der Marke – gesehen als Markenpersönlichkeit (vgl. Lasslop 2005) – als Mittel zur Bestätigung des Selbstkonzepts, bzw. als Quelle zur Selbstverwirklichung dienen kann (Burmann et al. 2005, Lasslop 2005, Walser 2004, S. 16 f.). Zusammenfassend betrachtet, können Marken demnach diverse Funktionen für den/die Konsumenten/in übernehmen. Eine der Funktionen steht in unmittelbarer Verbindung mit der Funktion, dass Marken eine Qualitätssicherungsfunktion übernehmen können, die die Wirkung, also den Nutzen im Gebrauch des Produktes miteinbeziehen. Ob eine Marke diese und die anderen Funktionen für eine/n Konsumenten/in erfüllen kann und zur Kaufentscheidung und/oder zum Gebrauch der Marke führt, hängt im Wesentlichen vom Charakter und der Identität der Marke ab (Keller 1993). Anders ausgedrückt ist die Wertbildung, die sich als Vorstellungsbildern in den Köpfen der KonsumentInnen gebildet hat (customer-based equity, Keller 1993), ausschlaggebend für eine Reaktion des/der Konsumenten/in auf die Marke und soll deshalb im folgenden Abschnitt genauer erläutert werden.

118

5.2 5.2.1

Placebo-Effekt der Marke

Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge Struktur des Markenwissens als Basis

Was sind die grundlegenden Eigenschaften einer Marke, die dazu im Stande sind, (Qualitäts-) Assoziationen (als Markenwissen) bei KonsumentInnen hervorzurufen und Reaktionen bei den KonsumentInnen auszulösen? Und wie ist dieses Wissen aufgebaut? Der Markenwert aus Konsumentensicht (customer-based equity) wird von Keller (1993) als „the differential effect of brand knowledge on consumer response to the marketing of the brand” (S. 1, Hervorh. durch d. Verf.) definiert. Danach hat eine Marke für ein Individuum einen positiven (negativen) Wert, wenn die Reaktionen des Individuums auf ein Element des Marketing-Mix positiver (negativer) ausfällt als auf dasselbe Element des Marketing-Mix, wenn dieses Element im Zusammenhang mit dergleichen Version dieses Produktes, aber mit einem fiktiven oder unbenannten Markennamen benannt, präsentiert wird (Keller 1993). Mit anderen Worten, aus Sicht der KonsumentInnen kommt dann ein positiver Markenwert zustande, wenn ihnen eine Marke bekannt ist, sie vertraut mit dieser Marke sind und positive Assoziationen mit der Marke verknüpft werden. Wenn diese Assoziationen stark sind, nur mit dieser Marke verknüpft werden und sie beim „Zusammentreffen“ mit der Marke (aus dem Langzeitgedächtnis) abgerufen werden, kann dies als Markenwissen bezeichnet werden (Keller 1993). Es existieren unterschiedliche Ansätze, die das Markenwissen konzeptualisieren (z. B. Feldwick 1996). Pappu et al. (2005) unterscheiden bspw. vier Dimensionen des Markenwissens: Markenbekanntheit, Markenassoziationen, wahrgenommene Qualität, Markenloyalität. Nach dem am weitesten verbreiteten (Esch et al. 2005) und in der Literatur vorherrschenden Ansatz nach Keller (1993) und Aaker (1996) (Pappu et al. 2005) setzt sich dieses abgerufene Markenwissen aus den Konstrukten der Markenbekanntheit (brand awareness) und dem Markenimage (brand image) zusammen (hierzu auch Argawal/Rao 1996, Pappu et al. 2005). Abbildung 33 zeigt eine detaillierte Darstellung der Dimensionen des Markenwissens nach Keller (1993).

Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge

119

Brand Recall

Price

Brand Recognition

Packaging Brand Awareness

Non-ProductRelated Attributes

Brand Knowledge

Types of Brand Association

ProductRelated

User Imagery Usage Imagery

Functional Benefits Experiental

Brand Image

Favorability of Brand Association

Attitudes Symbolic

Strengh of Brand Association

Uniqueness of Brand Association

Abbildung 33: Dimensionen des Markenwissens (in Anlehnung an Keller 1993, S. 7)

Sie stellt eine Zusammenfassung der von Keller (1993) herausgearbeiteten Dimensionen des Markenwissens dar. Die Verbindungslinien stellen nicht unbedingt Kausalzusammenhänge dar, sondern visualisieren unterschiedliche Facetten des Markenwissens, die vorliegend vereinzelt herausgegriffen werden. So ist bspw. die Markenbekanntheit, auf die im folgenden Abschnitt genauer eingegangen wird, die Voraussetzung für die Stärke des vom/von der Konsumenten/in gebildeten Images einer Marke (symbolisiert durch einen Pfeil in der Abbildung). Das Markenwissen bestimmt demnach die Top-down-Verarbeitung des Wahrnehmungsprozesses eines Produktes. Marken-Assoziationen beziehen sich nach Keller (2003) konkret auf bestimmte (extrinsische und intrinsische) Eigenschaften der Marke, auf den persönlichen Nutzen und die individuelle Bedeutung für den/der Konsumenten/in, auf visuelle Vorstellungen, auf kognitive Reaktionen, auf Gefühle, Einstellungen und Erfahrungen. Welche Qualitätsassoziationen abgerufen werden können, die wiederum die Wirkungsassoziationen zur Folge haben und damit einen Placebo-Effekt hervorrufen können, ist demnach abhängig vom gespeicherten Wissen in den Köpfen der KonsumentInnen. Ebenfalls ist die Wirkungserwartung hinsichtlich des Nutzens eines Markenproduktes (grau hinterlegte Felder) in der dargestellten Abbildung 33 visualisiert. So können die Wirkungserwartungen an ein Produkt mit den hier abgebildeten Markenassoziationen in Bezug auf ihre funktionellen und erfahrbaren Leistungen gleichgesetzt werden.

120

5.2.2

Placebo-Effekt der Marke

Markenbekanntheit als mögliche Entstehungsursache von Placebo-Effekten

Die Markenbekanntheit bildet bei dem Zustandekommen des Markenwerts aus Konsumentensicht eine notwendige Voraussetzung (Aaker 1996, S. 10 ff., Keller 1993). Nach Esch/Geus (2005) kann in Produktkategorien, die keine Marken mit ausgeprägten Images beinhalten, die alleinige Markenbekanntheit für ein Zustandekommen eines ausgebildeten Markenwertes des/der Konsumenten/in ausreichen. Dahingegen ist in Produktkategorien, welche Marken mit starken Images beinhalten, die Markenbekanntheit keine hinreichende, sondern notwendige Bedingung zum Ausbau des Markenwerts. (Kritisch anzumerken ist zu dieser Aussage, dass bei Esch/Geus (2005) keine (empirischen) Belege beigefügt sind, die die Aussage untermauern könnten.) Markenbekanntheit lässt sich demnach in aktive Bekanntheit, das Wiedererkennen der Marke (brand recall), und in die passive Bekanntheit, die Markenerinnerung (brand recognition), zerlegen (Keller 1993). Aaker (1991, S. 62, Abbildung 34) ergänzt in Bezug auf die aktive Markenwiedererkennung zwei weitere Kategorien: Zum einen in die intensive, zum anderen in die dominante Bekanntheit. Intensive Markenbekanntheit umfasst die Wichtigkeit der Reihenfolge, in der die Marken vom/von der Konsumenten/in genannt werden (Top-of-Mind). Der erste Markenname, der von einem/r Konsumenten/in bei der Vorgabe einer Produktkategorie genannt wird (auch ungestützte Erinnerung genannt), hätte somit eine „Top-of-Mind“, also eine sehr spezielle Position in der Markenbekanntheitspyramide. Eine dominante, exklusive Erinnerung liegt vor, wenn außer der vom/von der Konsumenten/in genannten Marke keine weiteren Nennungen anderer Marken erfolgen (Aaker 1991, S. 62).

Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge

121

Exklusive Erinnerung/ Dominierende Marke

Top of Mind/ Intensive Markenbekanntheit Erinnerung/ Aktive Markenbekanntheit Erinnerung/ Passive Markenbekanntheit

Unbekannte Marke

Abbildung 34: Markenbekanntheitspyramide (in Anlehnung an Aaker 1991, S. 62)

In diesem Rahmen sei noch einmal kurzer Exkurs zu den neurowissenschaftlichen Studien von Kenning et al. (2005) und Möll (2007) erlaubt, welche mögliche Ursachen der Entstehung der Markenbekanntheit, insbesondere der dominanten Bekanntheit herstellen. Die Ergebnisse von Kenning et al. (2005) zeigten, dass die anregende Wirkung der „emotionalen Gehirnareale“ bei Markenpräferenz nur für eine Marke aktiviert werden konnte. Die Aktivierung der danach gezeigten Marken zeigte keine signifikanten Unterschiede. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Markenbekanntheit und den inneren Vorstellungsbildern von Marken stellt Möll (2007) her. Die Zugriffsfähigkeit auf innere Vorstellungsbilder von Marken, d.h. wie leicht ein Individuum das innere Bild abrufen kann (Ellen/Bone 1991), ist abhängig von der Deutlichkeit und Klarheit des gespeicherten Bildes, was wiederum positiv von Emotionen beeinflusst ist (Ruge 1988, S. 98 ff., Möll 2007, S. 29, 164). So konnte Möll (2007) in seiner Arbeit (deren Schwerpunkt ebenfalls auf Erkenntnissen im Bereich des Neuromarketings beruht) zeigen, dass bei emotionalen Marken sowohl die passive, als auch die aktive Markenerinnerung und die zuerst genannten Marken (Top-of-Mind) sich in allen Dimensionen signifikant von unbekannten, neutralen Marken unterschieden (siehe Abbildung 35).

122

Placebo-Effekt der Marke

Wirkung der Markenemotionen auf Markenbekanntheit 120,0 100,0 Erinnerung in %

100,0

94,6 83,0

80,0 60,0

45,2

38,7

40,0 20,0 3,4 0,0 passive Erinnerung insg.

Top of Mind

emotionale Marke

aktive Erinnerung

neutrale Marke

Abbildung 35: Wirkung von Markenemotionen auf Markenbekanntheit (Quelle: Möll 2007, S. 156)

So zeigen die Ergebnisse, dass offensichtlich ein emotionaler Faktor als Ursache für das „Abrufen-Können“ eines Markennamens, also der Markenbekanntheit vorhanden ist. Wie gut die genannten Marken die Funktionen, damit auch die Qualitätsassoziationen eines/r Konsumenten/in hinsichtlich der Wirkung eines Produktes erfüllen, ist zunächst von der Markenbekanntheit abhängig. Die Markenbekanntheit steht nach Keller (1993, S. 3) im Zusammenhang mit der Markenerinnerung, d. h. der Wahrscheinlichkeit, „that a brand name will come to mind and the ease with which it does so“, also wie leicht eine Marke erinnert wird und ins Bewusstsein gerufen werden kann. Die aktive Markenerinnerung (brand recall) ist vor allem in (Entscheidungs-) Situationen relevant, in welchen keine Markennamen präsent sind (Keller 1993, Percy/Rossiter 1992), sondern für die eventuelle Problemlösung in Produktkategorien gedacht wird. Wird ein Konsument in einer (Problemlösungs-) Situation mit einer Produktkategorie konfrontiert, ist eine aktive Markenerinnerung ausschlaggebend für die Reaktion, insbesondere für eine Kaufentscheidung (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 407). Die passive Markenbekanntheit (brand recognition), also das Wiedererkennen einer Marke, spielt vor allem am Point-of-Sale eine entscheidende Rolle. So kann hier das Erkennen einer Marke dazu führen, dass der Bedarf einer bestimmten Produktkategorie überhaupt vorhanden ist (Percy/Rossiter 1992).

Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge

123

Die Markenbekanntheit übernimmt demnach eine Schlüsselrolle im Wahrnehmungsprozess und Informationsverarbeitungsprozess des/der Konsumenten/in, welche u. a. für Kaufentscheidungen relevant sein können. Es lassen sich folgende Aussagen zur Markenbekanntheit festhalten: x

x

x

Sie muss vorhanden sein, damit eine bestimmte Marke aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann, wenn an die jeweilige Produktkategorie gedacht wird. Sie bildet hierbei die notwendige Voraussetzung, dass ein gedankliches Schema (Assoziationen) aufgerufen werden kann (können) (Keller 1993, Keller 2008, S. 54, Aaker 1991, S. 63 f.). Mit anderen Worten ausgedrückt: Je häufiger KonsumentInnen Kontakt mit einer Marke haben (z. B. in Form von Markennamen, Logos, Slogans, SponsoringAktivitäten), desto wahrscheinlicher ist es, dass die Marke fest im Gedächtnis, also im Markenwissen, verankert wird (Keller 2008, S. 55). Die Markenbekanntheit beeinflusst neben der Bildung der Assoziationen auch die Stärke und den Umfang (Keller 2008, S. 638) der Assoziationen, die mit einem Markennamen in Verbindung gebracht werden, sowie die Leichtigkeit der Abrufbarkeit dieser (Keller 2008, S. 54). Sie ist also eine Voraussetzung dafür, dass sich KonsumentInnen die Eigenschaften eines Produktes überhaupt einprägen können (Aaker 1991, S. 64). Eine Steigerung der Markenbekanntheit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt für einen Kauf in Erwägung gezogen wird (Macdonald/Sharp 2000, Nedungadi 1990), tatsächlich mehr gekauft wird, (Silverman et al. 1999) und kann in LowInvolvement-Situationen die Kaufentscheidung beeinflussen (Bettman/Park 1980, Hoyer/Brown 1990). Zudem konnten Macdonald/Sharp (2000) zeigen, dass bei Kaufentscheidungen der Effekt der Markenbekanntheit vom Preis des Produktes moderiert wird, dieser Preiseffekt jedoch weniger stark als der Markenbekanntheits-Effekt war.

Darüber hinaus sollen noch kurz der Mere-Exposure-Effekt (Zajonc 1968) und das Processing-Fluency-Modell (z. B. Jacoby/Dallas 1981, Janiszewski/Meyvis 2001, Lee/Labroo 2004) angesprochen werden. Der Mere-Exposure-Effekt beschreibt, dass allein durch das bloße, häufige Darbieten von bestimmten Reizen eine positive Einstellung zum Dargebotenen die Folge sein kann. Wird eine Person nun durch unterschiedliche Maßnahmen der MarketingKommunikation häufig mit einer Marke konfrontiert, kann sich dadurch eine positive Einstellung zur Marke ergeben, die ebenso zu einer (gewünschten) Reaktion führen kann (Baker 1999). Dieser Effekt ist, im Vergleich zu den oben genannten kognitiven Reaktionen auf einen Markennamen, ein automatischer Effekt im Sinne einer unbewussten Gewöhnung an ein Objekt (Bild/Marke etc.) (Baker 2003). Der Mere-Exposure-Effekt kann demnach eine positive Einstellung zu einer Marke bewirken, ohne dass die kognitiven Reaktionen der Top-down-

124

Placebo-Effekt der Marke

Verarbeitung des Wahrnehmungsprozesses stattfinden. Das Processing-Fluency-Konzept bietet dagegen einen neueren Erklärungsansatz für das Zustandekommen des Mere-ExposureEffekts. Das Processing-Fluency-Modell besagt, dass ein Kontakt mit einem Reiz die Leichtigkeit/Geläufigkeit (fluency) des Wahrnehmens, des Verschlüsselns und des Verarbeitens bei wiederholtem Kontakt mit dem gleichen oder einem ähnlichen Reiz zu einem späteren Zeitpunkt erhöht (Janiszewski/Meyvis 2001). Diese erhöhte Wahrnehmungs- und Verarbeitungsleichtigkeit führt wiederum zu einer zu positiveren Einstellungen gegenüber dem Reiz (z. B. einer Marke, Lee/Labroo 2004). Dass der Reiz, bspw. eine Marke dem/der Konsumenten/in gefällt, liegt demnach nicht an der bloßen Darbietung des Reizes, sondern an der leichteren Verarbeitung/Wahrnehmung des Reizes, was zu einer Fehlattribuierung beim/bei der Konsumenten/in führt. Das Gefallen der leichteren Verarbeitung des Reizes (die erhöhte Geläufigkeit (fluency)) wird auf den Reiz (hier das Objekt/die Marke) übertragen (Janiszewski/Meyvis 2001). Da, wie erläutert, vermutet wird, dass auch eine positive Einstellung zu einem Produkt ein bestimmender Faktor eines Placebo-Effektes sein kann, sollten der Mere-Exposure-Effekt und das Processing-Fluency-Modell nicht unerwähnt bleiben. Da die Markenbekanntheit als Grundvoraussetzung für die Bildung und die Stärke von Assoziationen angesehen wird, wird vorliegend vermutet, dass alleine die Markenbekanntheit eines Produktes ein Auslöser für einen Placebo-Effekt sein kann: Eine bei KonsumentInnen bekannte Marke erfüllt im Vergleich zu einer unbekannten Marke die Grundvoraussetzung, dass Qualitätserwartungen an das Produkt assoziiert werden können. 5.2.3

Qualitätserwartungen, Markenimage und Hypothesengenerierung

Die zweite Basis-Dimension des Markenwissens bildet nach Aaker (1991) und Keller (1993) das Markenimage (siehe auch Abbildung 33). Keller (1993) definiert das Markenimage als „perceptions about a brand reflected by the brand associations held in consumers' memory.” (S. 3). Die Marken-Assoziationen, die sich in den Gedächtnisstrukturen der KonsumentInnen befinden, werden von Keller (2008) nicht nach der Entstehungsquelle oder der Art der Entstehung unterschieden, sondern nach den Charakteristika Stärke, Einzigartigkeit und der Vorteilhaftigkeit der Assoziationen. Ergänzend muss hinzugefügt werden, dass auch andere Kategorisierungen des Markenimages existieren (z. B. Esch/Geus 2005, Krishnan 1996, dazu auch Baumgarth 2008, S. 49 ff.), die als Erweiterungen und Modifikationen des Ansatzes von Keller (1993) angesehen werden können. Je mehr eine Person über Produktinformationen nachdenkt und diese einer bestimmten Marke zuordnet, desto stärker sind die daraus resultierenden Markenassoziationen. Nach Keller (2008, S. 56 ff.) sind es vor allem zwei Faktoren, die die Stärke der Markenassoziationen

Markenwissen und Placebo-Effekte: Vermutete Zusammenhänge

125

ausmachen: Die persönliche Relevanz der Assoziationen und die Konsistenz, mit der eine Marke über die Zeit präsentiert wird. Als Beispiele für Unternehmen, die durch wiederholte und konsistente Repräsentation ein starkes Image aufgebaut haben, nennt Keller (2008, S. 58) in diesem Zusammenhang Starbucks, Google, Red Bull und Amazon. Die Einzigartigkeit beschreibt die Unterscheidbarkeit der Assoziationen in Bezug auf andere Marken derselben Produktgruppe. Diese können sowohl auf intrinsische als auch auf extrinsische Produktmerkmale bezogen sein (siehe auch Abbildung 33). So schaffte es bspw. Marlboro sich mit seinem Western-Cowboy-Image (als extrinsisches Produktmerkmal) ein einzigartiges, sich von Konkurrenzprodukten abhebendes Image aufzubauen (Keller 2008, S. 58). Im gleichen Zusammenhang nennt Esch (2008) die Marke Red Bull als ein weiteres Beispiel für die Schaffung eines starken, einzigartigen Markenimages durch ein extrinsisches Produktmerkmal und zwar mit dem Werbeslogan „Red Bull verleiht Flüüüüüügel“ (S. 21) Die Vorteilhaftigkeit der Assoziationen, die ein Konsument mit einer Marke verbindet, ergebt sich zum einen aus der Attraktivität und Erwünschtheit der Assoziationen aus Konsumentensicht und zum anderen aus der erfolgreichen Übermittlung dieser Assoziationen durch das anbietende Unternehmen. Positive, attraktive Assoziationen mit einer Marke können zum Beispiel die Verlässlichkeit, die Bequemlichkeit, die Effektivität und Effizienz oder der Abwechslungsreichtum eines Markenproduktes sein (Keller 1993, Keller 2008, S. 58). Für die vorliegende Arbeit sollen nun die aus der Theorie gewonnenen Erkenntnisse genutzt und darauf aufbauend die Hypothesen abgeleitet werden. Die Assoziationen von Qualitätserwartungen, genauer von Wirkungserwartungen an ein Produkt können, gemäß den theoretischen Erläuterungen, einen Placebo-Effekt auslösen. Das Placebo stellt in diesem Fall die Marke dar. Der Marke eines Produktes kann keine inhärente Kraft zugeschrieben werden, positiv oder negativ die Wirkung eines Produktes zu beeinflussen. Als Effekt wird hier die Wirksamkeit eines Produktes im Sinne der nutzenrelevanten Eigenschaften für den/die Konsumenten/in verstanden, also der aktuellen Leistung des Produktes in der Nutzungssituation für den/die Konsumenten/in. Als Voraussetzung, dass starke, einzigartige und vorteilhafte Qualitätsassoziationen abgerufen werden können, gilt die Markenbekanntheit. Die hier aufgestellte Hypothese H1 lautet demnach:

H1: Die Wirkung eines Produktes im Sinne eines Placebo-Effektes steht in einem positiven Zusammenhang mit der Bekanntheit der Marke eines Produktes.

126

Placebo-Effekt der Marke

Die assoziierte Qualität, die in Verbindung mit Wirkungsassoziationen gebracht werden kann, bezieht sich in erster Linie auf die in Abbildung 33 (grau unterlegte) Dimension des Markenwissens. Der vom/von der Konsumenten/in assoziierte Nutzen der Marke wird von Keller (1993) definiert als „the personal value consumers attach to the product or service attributes – that is what consumers think the product or service can do for them.” (S. 4). Eine Marke, die mit starken Qualitätsassoziationen verknüpft ist, sich durch ihre Positionierungsmaßnahmen (sämtliche Marketingaktivitäten) von Konkurrenten der gleichen Produktkategorie abhebt (einzigartig ist) (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 346) und dadurch zu attraktiven und erwünschten Assoziationen führt, besitzt ein starkes Markenimage. Die Vermutung, die sich daraus ergibt ist, dass eine als qualitativ hoch bewertete Marke im Gegensatz zu einer qualitativ niedrig bewerteten Marke bei KonsumentInnen zu hohen Wirkungserwartungen hinsichtlich der funktionellen Eigenschaften führt. Die hohen Wirkungserwartungen an die Markenqualität können einen Placebo-Effekt in Bezug auf die Wirkung, also die Effizienz des Produktes auslösen. Das Markenimage, repräsentiert durch Qualitätsassoziationen, dem an sich keine inhärenten Wirkungseffekte zugerechnet werden können, stellt das Placebo dar. Der vermutete Placebo-Effekt (Wirkungseffekt) wird wiederum als eine objektiv messbare Größe in Bezug auf die Effizienz bei der Nutzung eines Produktes verstanden. Die hier aufgestellte Hypothese H2 lautet folglich:

H2: Marken, die als qualitativ hochwertiger eingeschätzt werden, können im Vergleich zu qualitativ niedriger eingeschätzten Marken die Effektivität eines Produktes im Sinne eines Placebo-Effektes positiv beeinflussen.

Im nachfolgenden Kapitel 5.3 werden zwei Experimente vorgestellt, die diese Hypothesen testen. Im ersten Experiment wird die Markenbekanntheit eines Produktes (Energie-Getränk) manipuliert. So wird getestet, ob ein (positiver) Placebo-Effekt durch ein Produkt mit einem bekannten Markennamen im Vergleich zu einem gleichen Produkt mit unbekanntem Markennamen ausgelöst werden kann. Das zweite Experiment manipuliert die Qualität eines Produktes (Energie-Riegel) als einen Einflussfaktor für starke, einzigartige und vorteilhafte Markenassoziationen. Unter Konstanthaltung der Markenbekanntheit des Produktes wird getestet, ob Markenprodukte, die als qualitativ höherwertig beurteilt werden, im Vergleich zu Markenprodukten, die als qualitativ niedriger angesehen werden, einen Placebo-Effekt auslösen können.

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

5.3

127

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

5.3.1

Marke als Placebo – Erste experimentelle Studie

5.3.1.1

Übersicht der ersten Untersuchung: Ziele und Methodik

Ziel der Untersuchung ist es, zu zeigen, dass ein Placebo-Effekt durch die Bekanntheit der Marke eines Produktes verursacht werden kann. Wie bereits im Abschnitt 5.2.3 hergeleitet, soll hier die Hypothese H1 überprüft werden. Gleichzeitig wird untersucht, ob ein möglicher Effekt der Markenbekanntheit unabhängig von einem Preiseffekt auftreten kann, um so die Studie von Shiv et al. (2005a) zu ergänzen. Der Preis eines Produktes bietet eine konkurrierende Erklärungsmöglichkeit für Placebo-Effekte der Marke, da die Möglichkeit besteht, dass eine bekannte Marke im Preis höher eingeschätzt werden könnte als eine unbekannte Marke (siehe hierzu Kirmani 1990, Kirmani/Wright 1989). Da es sich hier wie im zweiten Experiment um Überprüfungen von Kausalbeziehungen handelt, bietet sich die Vorgehensweise eines experimentellen Untersuchungsdesigns an. Zur Durchführung der Studien wurde ein univariates einfaktorielles between-subject-Design gewählt. Zur rechnerischen Durchführung der Analysen wurde die Software SPSS verwendet. Als unabhängige Variable wird der Name eines Energy-Drinks variiert. Als unterschiedliche Ausprägungen werden ein bekannter Markenname (Red Bull), ein unbekannter Markenname (Rhino´s) und ein fehlender Markenname gewählt. Die abhängige Variable bildet die mentale Leistungsfähigkeit der Probanden und geht aus der Messung eines Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests hervor. Um zu gewährleisten, dass alle TeilnehmerInnen vor der Studie an diesem Tag vergleichbaren kognitiven Belastungen ausgesetzt waren, wurden 46 Studierende des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin ausgewählt, welche an derselben ganztägigen Veranstaltung teilnahmen. Die Studie wurde nach dem ersten Veranstaltungsblock am frühen Nachmittag gegen 14.30 Uhr durchgeführt. Die TeilnehmerInnen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt (M = 23,14, Std. = 2,32), mit 17 Männern und 27 Frauen. 5.3.1.2 5.3.1.2.1

Durchführung des ersten Experiments Manipulation der unabhängigen Variable

Um sicherzustellen, dass es sich bei den ausgewählten Markennamen um je eine bekannte und eine unbekannte Marke handelt, wurde zunächst ein Pretest durchgeführt, an dem 41 Studierende der Freien Universität im Rahmen einer Veranstaltung des Studienbereichs „Allgemeine Berufsvorbereitung “ des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft teilnahmen. Die TeilnehmerInnen waren zwischen 19 und 28 Jahre alt (M = 21,90, Std. = 1,85), 70, 7 % davon waren weiblich. Die TeilnehmerInnen sollten auf einem Fragebogen, auf dem vier unterschiedliche

128

Placebo-Effekt der Marke

Energy-Drink-Marken aufgelistet waren, markieren, ob ihnen die jeweilige Marke bekannt war. Der in der Hauptstudie verwendete, später als Stimulus für eine bekannte Marke gewählte Markenname war 40 Studierenden bekannt, ein Student machte keine Angaben. Drei von 41 Studierenden gaben an, den später als unbekannten Markennamen bezeichneten EnergyDrink zu kennen, bei einem Teilnehmer fehlten die Angaben. Somit kannten 90,2 % diese Marke nicht. Der Chi-Quadrat-Test zeigt, dass sich die beiden Gruppen hinsichtlich der Angaben zur Bekanntheit der unbekannten Marke nicht signifikant voneinander unterscheiden (F df = 1, p = 0,278).

Für das Hauptexperiment wurden die ProbandInnen vor der Aufteilung in die drei Experimentalgruppen gebeten, an einem Produkttest teilzunehmen. Sie bekamen die Information, dass die Effektivität eines Produktes getestet werden soll. Im Anschluss wurden drei etwa gleich starke Gruppen gebildet (n 1 = 15, n 2 = 15, n 3 = 16), welche in vergleichbare Räume geführt wurden. Der Ablauf des Experimentes war in allen drei Gruppen identisch, die gegebenen Informationen unterschieden sich lediglich in dem jeweils kommunizierten Markennamen (unabhängige Variable). Zunächst wurde ein Fragebogen verteilt, auf dem die TeilnehmerInnen auf einer 7-PunktRatingskala (1= positiv bis 7= negativ) unterschiedliche Marken beurteilen sollten. Die Abfrage schloss unterschiedlichste Marken und Produktkategorien ein und beinhaltete auch die beiden Marken des Experiments. Diese Erhebung erfolgte vor der Bekanntmachung, dass ein Getränk getestet werden sollte, um zu gewährleisten, dass die Einstellungsabfrage zu den jeweiligen Marken unbeeinflusst ist. Gleichzeitig gab es jeweils die Option zu kennzeichnen, dass die Marke nicht bekannt ist (Manipulation Check). Anschließend wurde den ProbandInnen erläutert, dass bei diesem Produkttest die Wirksamkeit des jeweiligen Energie-Getränkes getestet werden sollte. Alle ProbandInnen erhielten das vorher in neutrale Plastikflaschen gefüllte, identische Getränk (bekannte Marke), wurden jedoch je nach Gruppenaufteilung unterschiedlich über den Markennamen informiert (unabhängige Variable). Lediglich einer Gruppe wurde die tatsächlich konsumierte Marke genannt, bei der es sich um die bekannte Marke handelte (im Folgenden als Gruppe A bezeichnet). Bei der bekannten Marke handelte es sich um eine etablierte europäische Marke und gleichzeitig um die gängigste Marke von EnergyDrinks in Deutschland. Auch der zweiten Gruppe wurde kommuniziert, dass sie einen Energy-Drink testen würde. Dieser Gruppe wurde ein Markenname genannt, welcher nach dem durchgeführten Pretest unter den Probanden als weitestgehend unbekannt gelten kann (im Folgenden als Gruppe B bezeichnet), was anhand der Ergebnisse auf der ersten Seite des ausgeteilten Fragebogens noch einmal überprüft wurde. Der dritten Gruppe wurde kein expliziter Markenname genannt und nur von einem Energy-Drink gesprochen (Kontrollgruppe). Eine Übersicht über die Gruppenbezeichnungen stellt Tabelle 4 dar.

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

129

Tabelle 4: Übersicht der Gruppenbezeichnungen

Gruppenbezeichnung

Manipulation

Gruppe A

Bekannter Markenname kommuniziert (Red Bull)

Gruppe B

Unbekannter Markenname kommuniziert (Rhino´s)

Kontrollgruppe

Kein Markenname kommuniziert

Allen TeilnehmerInnen wurde nun ein 0,2 l-Becher mit dem Getränk gereicht, mit der Aufforderung dieses auszutrinken. Gleichzeitig wurden schriftliche Informationen über die Inhaltsstoffe und ein identischer Werbetext über die Wirksamkeit des Getränkes ausgeteilt. Bei allen Gruppen waren zusätzlich die Getränkedosen mit dem jeweiligen Original-Logo abgedruckt, wobei der zuletzt beschriebenen Gruppe eine Getränkedose mit der Aufschrift „Energy-Drink“ gezeigt wurde. Die Abbildungen der Dosen waren in ihrer Größe und Form identisch, das heißt, der Stimulus wurde, bis auf den Markennamen, konstant gehalten. Zusätzlich wurde vom jeweiligen Testleiter darauf hingewiesen, dass das Getränk Koffein, Taurin und Zucker enthalte. Zum einen sollte dies die Aufmerksamkeit auf die Inhaltsstoffe lenken, um die Erwartungen an diese zu verstärken, zum anderen sollte auf eventuelle gesundheitliche Risiken hingewiesen werden. Je eine Testperson der Gruppe A und B brach darauf hin aus gesundheitlichen Gründen den Test ab. Um den Eindruck zu steigern, dass das Getränk die Konzentrationsfähigkeit beeinflussen könne, wurde den TeilnehmerInnen mitgeteilt, dass sie nach dem Konsum einen ca. 15-minütigen Dokumentarfilm sehen würden, um zu gewährleisten, dass die Inhaltsstoffe ihre Wirkung entfalten könnten. Auch wurde der weitere Ablauf der Studie erläutert. Nachdem alle teilnehmenden ProbandInnen ausgetrunken hatten, wurde in allen Gruppen derselbe vertonte Tier-/ Naturdokumentationsfilm gezeigt. Bei dem Film handelte es sich um einen Ausschnitt aus einer Dokumentationsreihe, die als neutral zur durchgeführten Studie steht und in keinerlei inhaltlichen Bezug gebracht werden konnte. Alle Experimentalgruppen sahen denselben Ausschnitt des Films. Anschließend wurden die Anweisungen zum Konzentrationstest, der Test selbst und ein Fragebogen verteilt. Die ProbandInnen wurden angewiesen, jeweils nach einer Aufforderung umzublättern und mit dem Test zu beginnen. Vorher sollten die Anweisungen genauestens gelesen und gegebenenfalls Fragen zum Ablauf und zur Verständlichkeit gestellt werden. 5.3.1.2.2

Erläuterung zur abhängigen Variable und Messung

Als abhängige Variable wurde das Ergebnis eines Konzentrationstests gewählt. Das Ziel der Untersuchung war es zu zeigen, dass durch eine Marke die Qualitätserwartung an ein Produkt derart beeinflusst werden kann, dass eine objektive psychologische oder physiologische Ver-

130

Placebo-Effekt der Marke

änderung bzw. eine Verhaltensänderung im Sinne eines Placebo-Effekts hervorgerufen wird. Es musste eine messbare Variable gefunden werden, die diesen Anforderungen entspricht. Ähnlich wie bei Shiv et al. (2005a) wurde ein (mentaler) Leistungstest gewählt, hier in Form eines Konzentrationstests. Konzentration wird von Westhoff (1995) bezeichnet als „ein neuronal begründetes System, mit dem ein Individuum Aktionsmuster bewußt und absichtsvoll koordiniert. Dazu wählt es bereitliegende Aktionsmuster aus und versorgt sie mit Energie und kontrolliert ihren Ablauf über die Wahrnehmung“ (Westhoff 1995, S. 389). Unter den unterschiedlichen Möglichkeiten, Konzentration zu messen (eine Übersicht liefert Scholz 2006, S. 16 ff.), ist aus Gründen der leichten Durchführbarkeit ein Papier und Bleistifttest ausgewählt worden. Der im Folgenden beschriebene Test wurde als Auszug aus einem Aufnahmetest für medizinische Studiengänge entnommen (Institut für Test- und Begabungsforschung 1995, S. 49 ff.). Es handelt sich hierbei um eine abgewandelte Form des Tests d 2 (Aufmerksamkeits- und Belastungstest) von Brickenkamp (2002). Die Validität und Reliabilität solcher Tests entsprechen den wissenschaftlichen Anforderungen. Eine Übersichtstabelle zur Reliabilität und Ausführungen zur Validität können bei Brickenkamp (2002, S. 28 ff.) eingesehen werden. Im weiteren Studienverlauf begannen alle TeilnehmerInnen zeitgleich einen 4-minütigen Konzentrationstest. Auf einem Blatt sind hierbei 34 Zeilen à 34 sich sehr ähnelnder Zeichen zu sehen. Aufgabe ist es, möglichst fehlerfrei und schnell ein vorgegebenes Zeichen, in diesem Fall Buchstaben, mit bestimmter Markierung zu finden und zu kennzeichnen. Das Ergebnis des Tests, später als Gesamtpunktzahl bezeichnet, berechnet sich im Anschluss aus der Anzahl der richtig markierten Zeichen, abzüglich der falschen und der fälschlicherweise nicht markierten Zeichen. Eine individuelle Verbesserung der Gesamtpunktzahl wäre durch mehrmalige Übung möglich, sofern immer die gleichen Zeichen erkannt und markiert werden müssten. Dieser Test bestand aus den Zeichen b, p und q, welche ober- und/oder unterhalb mit einem bis vier Querstrichen gekennzeichnet waren. Die Aufgabe bestand darin, alle Buchstaben b mit zwei Querstrichen zu kennzeichnen, unabhängig davon, wo diese sich befinden. Ein von den Testleiterinnen gegebenes Zeichen startete für alle Versuchspersonen den Test zur gleichen Zeit und beendete diesen nach genau vier Minuten. 5.3.1.2.3

Kontrollvariablen

Mit der bereits erläuterten Abfrage der Einstellung zur Marke vor dem Konsum des Getränkes wurde kontrolliert, ob ein Zusammenhang zwischen der Einstellung zur Marke und der abhängigen Variablen besteht. Wie in Abschnitt 3.3.2 dargestellt, bildet die Erwartungstheorie einen Erklärungsansatz für Placebo-Effekte. Nach dem Einstellungsmodell von Fishbein/ Ajzen (1975, S. 240 f.) kann die Einstellung als individuell erwarteter Nutzen eines Objektes

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

131

verstanden werden (Balderjahn/Scholderer 2007, S. 74) und könnte damit einen intervenierenden Einfluss bei der Entstehung eines Placebo-Effektes in diesem Kontext bilden. Die Einstellungsmessung erfolgte über eine eindimensionale 7-stufige Skala (positiv/negativ). Einschränkend muss bei dieser Art von Einstellungsmessung hinzugefügt werden, dass auf diese Weise nicht die impliziten Komponenten der Einstellung erfasst werden können (siehe hierzu Abschnitt 4.2.5). Nach dem Konzentrationstest wurden weitere Kontrollvariablen abgefragt. Die TeilnehmerInnen sollten zunächst anhand einer 7-stufigen Skala das Getränk anhand der Attribute gut/schlecht, wertvoll/wertlos, angenehm/unangenehm und positiv/negativ beurteilen. Es sollte überprüft werden, ob die Beurteilung des Getränks einen Einfluss auf die abhängige Variable hat. Diese Gesamtbeurteilung des Getränkes muss auch als solche verstanden werden. So kann nicht bestimmt werden, welche Produktmerkmale hier beurteilt worden sind. Neben bspw. Geschmack, Farbe oder Geruch des Getränkes ist es wahrscheinlich, dass auch der kommunizierte Markenname als Schlüsselinformation auf die Beurteilung des Getränkes wirkt. Wie in Abschnitt 4.2.3 erläutert, kann auch der Geschmack (bzw. alle angesprochenen Sinneswahrnehmungen durch das Probieren des Getränkes) als Produktcharakteristikum und damit als relevanter Reiz zur Qualitätswahrnehmung dienen. Demnach sollte mit der Frage festgestellt werden, ob ein Zusammenhang zwischen der abhängigen Variablen und der Beurteilung des Getränkes besteht. (Kritisch und im Nachhinein angemerkt, ist die Erhebung dieser Variable verbesserungsfähig.) Der Fragebogen beinhaltete weiter die Frage nach der Konsumhäufigkeit solcher EnergieGetränke (von nie bis mehr als einmal am Tag, abgestuft in acht Antworten) sowie die Frage, ob genau dieses Getränk vor dem Produkttest schon einmal getrunken wurde. Lediglich die ProbandInnen der Kontrollgruppe wurden gefragt, ob sie annahmen, das Getränk bereits gekannt zu haben. Bei der Bejahung dieser Frage wurden sie gebeten, den Namen des vermuteten Getränkes zu notieren. Wie bereits erläutert, sollte kontrolliert werden, ob die Einstellung zum Getränk einen Einfluss auf die abhängige Variable hatte. Wenn Einstellung als eine „learned predisposition to respond in a consistently favorable or unfavorable manner with respect to a given object“ (Fishbein/Ajzen 1975, S. 6) verstanden wird, beinhaltet die Definition unter anderem, dass ein Lernvorgang stattgefunden haben muss. Die Frage nach der bisherigen Konsumhäufigkeit des Getränkes soll demnach kontrollieren, ob ein derartiger Lernvorgang stattgefunden haben kann, der eventuell die Einstellung zum Getränk beziehungsweise zur Marke beeinflusst und damit den Haupteffekt verändern könnte. Alle TeilnehmerInnen sollten, ebenfalls auf einer 7-stufigen Skala (stimme voll zu/ stimme überhaupt nicht zu) die wahrgenommene Konzentrationsfähigkeit durch das Getränk angeben. Mit dieser Frage sollte geprüft werden, inwieweit die ProbandInnen ihre Leistung bei der

132

Placebo-Effekt der Marke

Durchführung des Konzentrationstests nach dem Konsum des Getränkes wahrgenommen hatten. Eine so gestellte Frage könnte Aufschluss darüber geben, ob Gruppenunterschiede in der wahrgenommen Leistung existieren. Laut Irrgang et al. (2005) sind das Erleben (also Wahrnehmen) der eigenen Konzentrationsleistung und die Konzentrationsleistung jedoch zwei unterschiedliche Konstrukte. Die Wahrnehmung der eigenen Konzentrationsleistung kann demnach vermutlich nur über das Bekanntgeben der Ergebnisse des Tests erfolgen. Wäre (genau) dieser Konzentrationstest den ProbandInnen vorher bekannt gewesen und bereits mehrmals trainiert worden, bestünde die Möglichkeit, dass das Ergebnis bis zu 70% verbessert werden könne (Fay/Freitag 1989). Deshalb müssen durch eine entsprechende Filterfrage die Ergebnisse der Versuchspersonen aus dem Datensatz entfernt werden, die den Konzentrationstest kannten und hätten üben können, um eine Verzerrung des Testergebnisses zu vermeiden. Es wurde deshalb explizit gefragt, ob der Konzentrationstest bekannt war oder ob in den letzten vier Wochen an solch einem Test teilgenommen wurde. Ein kurzfristiger Schlafentzug kann sich negativ auf mentale Leistungen auswirken (Pilcher/Huffcutt 1996), so wurde zusätzlich in einer Frage mit offener Antwortmöglichkeit abgefragt, wie viele Stunden die TeilnehmerInnen die Nacht zuvor geschlafen hatten, um zu kontrollieren, ob die Ergebnisse des Konzentrationstests von der Anzahl der nachts geschlafenen Stunden beeinflusst waren. Weiter sollte auf einer 7-Punkt-Likert-Skala eine Selbsteinschätzung der derzeitigen eigenen Konzentrationsfähigkeit abgegeben werden (von sehr schlecht =1 bis sehr gut =7). Die Frage nach der Selbsteinschätzung beruht auf dem Hintergrund, dass das Verhalten/Handeln einer Person vom Persönlichkeitskonstrukt der eigenen Kompetenzüberzeugung (self-efficacy) beeinflusst sein kann (siehe hierzu auch Krampen 1991 und Abschnitt 4.1.2 sowie Abbildung 19). Auch hier sollte kontrolliert werden, ob ein Zusammenhang mit dem Endergebnis vorliegt. Die Messung erfolgte bewusst nach dem Konsum und der Leistungserhebung, um diese nicht vorweg zu beeinflussen. Des Weiteren wurde abgefragt, wie viel Tassen/Gläser koffeinhaltige Getränke bereits am Tag der Studie vor dem Test konsumiert wurden, da ein Zusammenhang zwischen der Leistungsfähigkeit und der konsumierten Menge an Koffein besteht. (Lieberman et al. 1987). Bevor die TeilnehmerInnen auch zu ihrem Alter und Geschlecht Angaben machen sollten, wurden sie gebeten, den Supermarkt-Preis einer 0,25 l- Dose des gerade konsumierten Getränkes zu schätzen. Nach Shiv et al. (2005a) dient unter anderem der Preis als Qualitätsindikator und generiert den Placebo-Effekt. Um einen (reinen) Preiseffekt auszuschließen, beziehungsweise einen (mediierenden) Preiseffekt sichtbar zu machen, wurde abgefragt, wie die ProbandInnen die Preise der jeweiligen Getränke einschätzten. Obwohl der Preis der Produkte nicht explizit angegeben war, ist es ist denkbar, dass bei so genannten Me-too-Produkten

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

133

(unbekannte Marke) der Preis im Vergleich zu dem bekannten Markenprodukt als deutlich niedriger eingeschätzt wird. Dies könnte dazu führen, dass ein Placebo-Effekt einer Marke von der Preiseinschätzung der ProbandInnen mediiert wird. Die Frage diente demnach zur Überprüfung, ob ein reiner Marken-Effekt existiert oder dieser über einen Preiseffekt (als Preiseinschätzung) zum Placebo-Effekt führt. 5.3.1.3

Darstellung der Untersuchungsergebnisse

Im Folgenden werden zunächst die Untersuchungsergebnisse der Hauptuntersuchung dargestellt. Anschließend folgt die Darlegung der Ergebnisse der Kontrollvariablen. Eine Analyse und Diskussion der dargelegten Ergebnisse erfolgen im nächsten Abschnitt.

Ergebnisse der Hauptuntersuchung Wie auch bei Ergebnissen des Pretests war die eine Marke, nachher als bekannte Marke bezeichnet, zu 100 % unter allen TeilnehmerInnen bekannt. Die später als unbekannt bezeichnete Marke kannten 77,2 % der befragten Personen nicht. Da die TeilnehmerInnen, die angaben, die weniger bekannte Marke dennoch zu kennen, nahezu gleich auf die Gruppen verteilt waren (Ȥ2 = 2.87, df = 2, p = .24), beeinträchtigte dies das Ergebnis nicht. Die durchschnittlich erreichte Gesamtpunktzahl des Konzentrationstests (abhängige Variable), also die Anzahl der richtig gekennzeichneten Zeichen abzüglich der sowohl falsch angestrichenen als auch der fälschlich nicht angestrichenen Zeichen, über alle 44 TeilnehmerInnen betrug 112,70 Punkte, mit einem Minimum von 60 Punkten und einem Maximum von 158,00 Punkten (Std. = 21,70). Das im Durchschnitt erreichte Ergebnis der ProbandInnen der Kontrollgruppe betrug 114,94 Punkte, das der Gruppe A (bekannte Marke) erreichte im arithmetischen Mittel einen Wert von 120,64 Punkten, die Gruppe B (unbekannte Marke) einen Wert von 112,70 Punkten. Die einfaktorielle univariate Varianzanalyse (ANOVA) zwischen den Gruppen ergab folgendes Ergebnis: F-Wert (F) = 2,89, mit p = 0,07. Die jeweiligen Standardabweichungen und Spannweiten der Ergebnisse des Konzentrationstests können der Tabelle 5 entnommen werden.

134

Placebo-Effekt der Marke

Tabelle 5: Abhängige Variable (Endergebnis des Konzentrationstests) der Gruppen im Vergleich

Marke Kontrollgruppe

Gruppe A (bekannte

n 16

14

Marke) Gruppe B (unbekannte Marke)

14

Minimum

Maximum

Mittelwert

Standardabweichung

71

147

114,93

22,42

96

158

120,64

19,33

60

129

102,21

20,26

Um den Mittelwert zwischen zwei Gruppen vergleichen zu können, wurde ein zweiseitiger tTest für unabhängige Stichproben angewandt. Der Vergleich der Mittelwerte zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe A ergab keinen signifikanten Unterschied der Mittelwerte (t = 0,74, p = 0,47). Auch das Ergebnis des t-Test zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe B kann mit einem t-Wert von t = -1,62 und einer Fehlerwahrscheinlichkeit p = 0,12 als nicht signifikant eingestuft werden. Der Mittelwertvergleich der Gruppen A und B ergab einen signifikanten Unterschied mit einem t –Wert von t = 2,46 (p = 0,02). Bei der Beantwortung der Frage der Kontrollgruppe, welche Marke die ProbandInnen bei dem konsumierten Getränk vermuten würden, gaben sieben ProbandInnen den Namen der bekannten Marke an, von den restlichen neun Personen hatten sieben das Getränk einer anderen Marke oder gar nicht zugeordnet. Zwei der Personen gaben an, die unbekannte Marke erkannt zu haben. Die Daten der Kontrollgruppe wurden daraufhin in zwei Gruppen aufgeteilt und zwar in diejenigen, die die Marke richtig erkannten (im Folgenden Gruppe C) und diejenigen, die andere Marken hinter dem Getränk vermuteten (im Folgenden Gruppe D). Der Mittelwert der abhängigen Variable der Gruppe C betrug 130,29, die Gruppe D erreichte im Mittel den Wert von 103,00. Ein Mittelwertvergleich, ebenfalls mit einem zweiseitigen t-Test errechnet, ergab einen signifikanten Gruppenunterschied der abhängigen Variable mit einem t-Wert von - 2,98 (p = 0,01). Ebenso unterschieden sich die Mittelwerte der Gruppe B (unbekannte Marke) und der Gruppe C (bekannte Marke erraten) signifikant voneinander (t = 3,32, p < 0,05). Einen Überblick über die Mittelwertvergleiche aller vier Gruppen bietet nachfolgende Tabelle 6. Ein signifikanter Mittelwertunterschied ergab sich zusätzlich zwischen der Gruppe B (unbekannte Marke) und C (bekannte Marke erraten).

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

135

Tabelle 6: Signifikanzniveaus der T-Tests der Gruppen in der Übersicht

t-Wert (p-Wert)

Gruppe

n

Mittelwert/ Endergebnis (Std.)

Gruppe

A

B

C

D

(bekannte

(unbekannte

(bekannte

(bekannte

Marke)

Marke)

Marke

Marke

erraten)

nicht erraten)

A (bekannte

120,64

B

X

X

X

X

X

X

X

X

2,64

102,21 B

14

(0,02)

(20,26)

Marke) C (bekannte

X (19,33)

Marke)

(unbekannte

A

14

130,29 (13,07)

Marke erraten)

-1,18

3,32

(0,25)

(0,01)

2,06

-0,90

-2,98

(0,05)

(0,93)

(0,01)

C

7

D (bekannte

103,00

Marke nicht

X

D

9 (21,17)

erraten)

Des Weiteren ergab sich im Mittelwertvergleich ein marginal signifikanter Unterschied zwischen der Gruppe A (bekannte Marke) und der Gruppe D (bekannte Marke nicht erraten) mit einem t-Wert von 2,06 (p = 0,05). Die angestrebte statistische Signifikanzschwelle von 5% wurde hier nur marginal verfehlt, was möglicherweise auf die geringen Stichprobengrößen zurückzuführen ist. Die einfaktorielle univariate Varianzanalyse (ANOVA) zwischen den in vier Gruppen aufgeteilten Daten ergab folgendes Ergebnis: F-Wert (F) = 4,89, mit p = 0,01. Innerhalb der Gruppe C, also den ProbandInnen, welchen die unbekannte Marke kommuniziert wurde, gab es keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Konzentrationsleistung zwischen den zehn TeilnehmerInnen, welchen die Marke bekannt war und den vier TeilnehmerInnen, die die Marke nicht kannten (t = 0,68, p = 0,51). Die Kontrollvariablen Um weiter zu untersuchen, ob die erhobenen Kontrollvariablen einen Einfluss auf das Testergebnis hatten, wurden zunächst die linearen Korrelationen mit der abhängigen Variablen (intervallskaliert) berechnet. Da die Kontrollvariable Getränk schon mal getrunken (ja/nein) und die Kontrollvariable Geschlecht (weiblich/männlich) natürlich dichotome Variablen darstel-

136

Placebo-Effekt der Marke

len, müsste hier die punktbiseriale Korrelation berechnet werden. Da jedoch die ProduktMoment-Korrelation (Pearson-Korrelation) sowie der t-Test und der punkt-biseriale Korrelationskoeffizient hinsichtlich der Hypothesenentscheidung trotz unterschiedlicher Berechnung zum gleichen Ergebnis kommen (Wirtz/Nachtigall 2006, S. 166 f., Bortz 2005, S. 224 ff.), wurde für alle Variablen der Pearson`sche Korrelationskoeffizient verwendet. Die gemessenen Voreinstellungen zu den jeweiligen Marken korrelierten nicht mit dem Endergebnis des Konzentrationstests (Gruppe A: r = - 0,49, p = 0,87, Gruppe B: r = 679, p = 0,32). Bei der Kontrollgruppe wurde sowohl die Einstellung zur bekannten (r = 0,03, p = 0,90), wie auch zur unbekannten Marke (r = 0,58, p = 0,31) mit dem Ergebnis des Konzentrationstests korreliert. Auch hier ließen sich keine signifikanten linearen Zusammenhänge aufdecken. Die Skala zur Beurteilung des Getränks, welche vier Items beinhaltete, ist mit einem Cronbachs Alpha von 0,95 als reliabel anzusehen. Der berechnete Mittelwert der Items, welcher hier die Gesamtbeurteilung des Getränkes abbildet, weist keinen linearen Zusammenhang mit der abhängigen Variable, dem Endergebnis des Konzentrationstests, auf (r = - ,05, p = 0,75). Auch die Ergebnisse der Frage nach der allgemeinen Konsumhäufigkeit von Energy-Drinks (r = - 0,16, p = 0,30), der Frage nach der Anzahl der geschlafenen Stunden in der Nacht zuvor (r = 0,10, p = 0,53) sowie der Frage nach der Selbsteinschätzung der momentanen Konzentrationsfähigkeit (r = 0,25, p = 0,38) und der Frage nach dem Koffeinkonsum vor der Studie (r = 0,11, p = 0,47) ergaben keinen signifikanten linearen Zusammenhang mit dem Testergebnis. Keine der Versuchspersonen kannte den Konzentrationstest, somit mussten aus diesem Grund keine Daten ausgeschlossen werden. Auch die Ergebnisse der Abfrage nach der Vermutung, ob das Getränk die Konzentrationsleistung steigere, standen in keinem signifikanten linearen Zusammenhang mit dem Testergebnis (r = 0,01, p = 0,94). Auch das Alter (r = 0,05, p = 0,73) und das Geschlecht (r = - 0,21, p = 0,18) der TeilnehmerInnen standen im Hinblick auf das Testergebnis in keinem signifikanten linearen Zusammenhang. Der Zusammenhang des Testergebnisses mit der Einschätzung des Preises des Energy-Drinks sowie mit den Ergebnissen der Frage, ob das Getränk vor der Studie bereits konsumiert wurde, muss gruppenweise betrachtet werden, da sie sich unmittelbar auf die kommunizierte Marke beziehen. Zunächst wurden die Gruppen A und B betrachtet, da diese sich hinsichtlich des Testergebnisses signifikant unterschieden. In der Gruppe A wurde die Frage, ob das Getränk vor der Studie bereits getrunken wurde, von zwei der 14 TeilnehmerInnen verneint. Keine/r der TeilnehmerInnen der Gruppe B gab an, das Getränk vorher bereits zu sich genommen zu haben. Ein erneuter Mittelwertvergleich des Testergebnisses der Gruppen A und B ohne die beiden ProbandInnen, welche das Getränk noch nie konsumiert hatten, erhöhte den

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

137

Signifikanzwert des t-Tests in Bezug auf das Testergebnis der Konzentration von p = 0,02 (tWert = 2,64) auf p = 0,02 (t-Wert = 2,58). Die Einschätzung des Preises einer Dose des jeweils kommunizierten Getränkes in den Gruppen A und B zeigt mit einem Korrelationskoeffizienten nach Pearson von r = 0,38 (p < 0,05) einen signifikanten Zusammenhang mit der abhängigen Variable. Der Gruppenvergleich anhand eines t-Tests zeigt mit den Werten p = 0,06 und t = 1,98 eine deutliche Tendenz: Die Gruppe A, welcher ein bekannter Markenname kommuniziert wurde, schätzte den Preis tendenziell höher ein, als die Gruppe B, welche mit dem unbekannten Markennamen konfrontiert wurde. So könnte vermutet werden, dass der geschätzte Preis einen indirekten Einfluss über die jeweilige Gruppe auf die abhängige Variable hat. Die sich aufdrängende Hypothese lautet demnach: Die Einschätzung des Preises ist in Abhängigkeit der Gruppe signifikant unterschiedlich und hat demnach einen mediierenden Effekt auf das Testergebnis. Um dies zu überprüfen, wurde ein Sobel-Test gerechnet (Sobel 1982). Die im Folgenden durchgeführte Version des Sobel-Tests bezieht sich auf die Berechnungen nach Baron/Kenny (1986, auch Iacobucci et al. 2007), welche wiederum auf der Version von Aroian (1944/1947) beruht.

M Mediator (Einschätzung Preis)

b

a

X Unabhängige Variable (Markenname)

c

Y Abhängige Variable (Endergebnis)

Abbildung 36: Der Preis als möglicher Mediator des Marken-Effekts (in Anlehnung an Baron/Kenny 1986, S. 1176)

Um einen, in Abbildung 36 dargestellten, indirekten Effekt der unabhängigen Variable X (Markenname) auf die abhängige Variable Y (Endergebnis des Konzentrationstests) über einen eventuellen Mediator M (Einschätzung des Preises) zu überprüfen, müssen nach Baron und Kenny (1986) signifikante Regressionen a, b und c zwischen den Variablen bestehen. Der

138

Placebo-Effekt der Marke

Sobel-Test prüft die statistische Signifikanz für einen indirekten Effekt der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable über einen Mediator. Eine partielle Mediation liegt vor, wenn der Mediator den Einfluss von X auf Y (c) reduziert. Eine totale (vollständige) Mediation liegt vor, wenn unter Kontrolle der Variablen M der Einfluss von X auf Y nicht mehr nachgewiesen werden kann. Der Testwert z des indirekten Effekts des Mediators M auf die Abhängigkeit von der unabhängigen Variablen X auf die abhängige Variable Y wird hier mit folgender Formel berechnet: z

a *b

b 2 * SE a  a 2 * SE b  SE b * SE a 2

2

2

2

Legende: a = Regressionskoeffizient von X auf M

b = Regressionskoeffizient von M auf Y

SEb = Standardfehler von b

SEa = Standardfehler von a

z = Testwert

Die Regressionsanalyse der Beziehung X zu M ergab mit einem nicht standardisierten Regressionskoeffizienten von a = - 0,46 (SEa = 0,23) marginale Signifikanz (p = 0,06). Bereits hier sind die Bedingungen für den Test nicht erfüllt. Das geringfügige Verfehlen der Signifikanzschwelle ist möglicherweise auf die kleinen Fallzahlen (n = 14, bzw. n = 16) zurückzuführen, liefert aber dennoch einen Hinweis auf eine mögliche Beziehung, daher wird der Sobel-Test dennoch berechnet. Der nicht standardisierte Regressionskoeffizient der Beziehung von M auf Y wurde mit b = 12,48 (SEb = 6,06, p = 0,05), der Beziehung X auf Y mit einem Regressionskoeffizienten c = -18,43 (SEc = 7,48, p = 0,02) berechnet. Der Sobel-Test ergab mit z = 1,35 und einem Signifikanzniveau p = 0,18 kein signifikantes Ergebnis. 5.3.1.4

Diskussion der Ergebnisse des ersten Experiments

Die Ergebnisse des Experiments zeigen zunächst in Hinblick auf die Hypothese H1, dass diese bestätigt werden konnte, obwohl sich erst nach genauerer Analyse der Ergebnisse zwischen allen experimentellen Gruppen ein übereinstimmendes Bild ergab. Bestätigt wurde die Hypothese beim Vergleich der Gruppen A (bekannte Marke) und B (unbekannte Marke). Der bekannte Markenname des Energie-Getränkes führte im Vergleich zur Darbietung einer unbekannten Marke zu einem Placebo-Effekt. Wie vermutet, fielen die Ergebnisse des Konzentrationstests der TeilnehmerInnen der Gruppe A signifikant besser aus als die der Gruppe B. Durch die Darbietung einer bekannten Marke können im Vergleich zu der Darbietung einer unbekannten Marke offensichtlich (Reaktions-)Erwartungen an das Getränk generiert werden,

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

139

die die aktuelle Effektivität eines Produktes steigert. Die Hypothese H1 kann demnach bestätigt werden: Die Wirkung im Sinne eines Placebo-Effektes eines Produktes einer bekannten Marke ist im Vergleich zu dem gleichen Produkt einer unbekannten Marke positiv beeinflusst. Die Kontrollgruppe, die mit dem Energie-Getränk ohne Markenbezeichnung konfrontiert wurde, unterschied sich in Bezug auf die abhängige Variable weder von der Gruppe A noch von der Gruppe B. Ein Grund für das Ausbleiben des Placebo-Effekts ist vermutlich darin zu sehen, dass nahezu die Hälfte der Personen der Kontrollgruppe vermutete, das Getränk der bekannten Marke getrunken zu haben, wie aus dem Ergebnis und der Analyse der Befragung ersichtlich war. Somit konnten diese Versuchspersonen der Kontrollgruppe, obwohl keine Marke kommuniziert wurde, dennoch das Markenbild der bekannten Marke in ihren Köpfen aufbauen und mit dem Getränk in Verbindung bringen. Aus diesem Grund wurde die Kontrollgruppe nachträglich aufgeteilt betrachtet, je nachdem, ob die TeilnehmerInnen meinten, die bekannte Marke konsumiert zu haben (Getränk erraten = Gruppe C) oder nicht (Gruppe D). Der fehlende signifikante Unterschied der Gruppe A zur Gruppe C und der (marginal)signifikante Unterschied zur Gruppe D (Tabelle 6) deuten darauf hin, dass die Vermutung bestätigt werden kann. Auch das nicht signifikante Ergebnis des Gruppenvergleichs der Gruppen B und D würde diese Annahme unterstützen, da unabhängig davon, ob ein unbekannter Markenname oder ein fehlender Markenname, der mit keiner oder anderen unbekannten Marken assoziiert wurde, im Ergebnis keinen Mittelwertunterschied der Gruppen hervorbringt, die Assoziation mit einer (der) bekannten Marke hingegen schon. Eine hohe Markenbekanntheit führt offensichtlich dazu, dass Erwartungen an die funktionalen Eigenschaften des Getränkes abgerufen werden können, welche wiederum den Placebo-Effekt auslösen können. Offensichtlich reicht selbst die bloße Vorstellung, die (bekannte) Marke konsumiert zu haben aus, (also auch ohne die direkte Kommunikation eines Markennamens und -logos), um einen Placebo-Effekt aufgrund einer Marke zu erzeugen. Auch das Ergebnis des t-Tests der aufgeteilten Kontrollgruppe spricht für diese Erkenntnis. Der signifikante Unterschied einer Gruppe zeigt, trotz der geringen Teilnehmerzahl, dass auch hier die TeilnehmerInnen, welche auf das bekannte Markengetränk tippten, ein besseres Endergebnis im Konzentrationstest hervorbrachten als diejenigen, die unbekannte Marken hinter dem Getränk vermuteten. Die Mittelwerte der beiden Gruppen unterscheiden sich signifikant voneinander (t = -2,98, p = 0,01). Damit bestätigte sich auch innerhalb der Kontrollgruppe die Hypothese H1, dies jedoch nicht durch die Kommunikation der Marke, sondern durch die alleinige Vorstellungskraft der ProbandInnen von einer Marke. Wie anfangs erläutert, handelte es sich bei der bekannten Marke um ein (in Werbung und Sponsoring etc.) vom Unternehmen stark kommuniziertes Produkt. Somit kann davon ausgegangen werden, dass klare und deutli-

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Placebo-Effekt der Marke

che Bilder mit der Marke in Verbindung stehen können. Die Zugriffsfähigkeit auf das innere Bild der Marke, also hier das Abrufen des Markenwissens, wird durch diese Eigenschaften beeinflusst (Raab/Unger 2005, S. 133 ff., Ruge 1988, S. 98 ff.). Dies spräche dafür, dass die ProbandInnen, die den Markennamen mit dem Produkt in Verbindung brachten, klare Vorstellungsbilder in ihren Köpfen abrufen können und damit klare Vorstellungen von der Produktqualität haben, was den hier aufgezeigten Placebo-Effekt erklären könnte. Der Grund dafür, dass ungefähr die Hälfte der Versuchspersonen die bekannte Marke nannten, könnte darin liegen, dass zu Anfang der Studie die Einstellung zu dieser Marke abgefragt wurde und dies möglicherweise als Hinweis diente. Da jedoch auch die Einstellung zur in dieser Studie verwendeten unbekannten Marke gemessen wurde sowie die Einstellung zu mindestens einer weiteren ebenfalls unbekannten Marke, erscheint diese Erklärung eher unwahrscheinlich. Ein weiterer Grund, dass von circa der Hälfte der Versuchspersonen der Markenname des bekannten Getränkes genannt wurde, könnte auch sein, dass der Name des Produktes als Synonym für derartige Getränke steht. Dies in etwa so wie der Name Tempo für Papiertaschentücher oder der Name Tesa für Klebestreifen steht. Wenn der (bekannte) Markenname des Energie-Getränkes bei den ProbandInnen als Synonym stünde, wäre es möglich, dass keine Qualitätsassoziationen mit dem Produkt hervorgerufen werden. Gegen diese Annahme spricht zum einen das signifikante Ergebnis, zum anderen, dass nur die Hälfte der Personen den Namen nannte. Vielmehr könnte der Grund für die positiven Assoziationen und für das Nennen des (bekannten) Markennamens auf den hohen Grad der Emotionalität der Marke (zur Emotionsmessung der Marke Red Bull siehe Möll 2007, z. B. S. 120, 122, 137) zurückzuführen sein. Bei stark emotionalen Marken ist nach den Erkenntnissen der (Neuro-)Marketing-Studie von Möll (2007) das innere Markenbild ausgeprägter als bei (unbekannten) gering emotionalen Marken. Die Stärke der Assoziationen ist wiederum ein Einflussfaktor auf die Stärke der Qualitätserwartung (siehe auch Kapitel 4.4.2.1 und Abbildung 33), damit der Reaktionserwartungen. Aus den Ergebnissen der Kontrollvariablen wird ersichtlich, dass kein Zusammenhang zwischen der Voreinstellung zur jeweiligen Marke und der abhängigen Variablen besteht. Obwohl ein Zusammenhang zwischen einer positiven Einstellung zu einer Marke und einer positiven Qualitätserwartung naheliegt, konnte das Ergebnis der Einstellungsmessung der abhängigen Variablen keinen signifikanten Zusammenhang erkennen lassen. Eine mögliche Erklärung hierfür kann in der eindimensionalen (einfachen) Art der Einstellungsmessung begründet sein. Diese eindimensionale Messung bezieht sich auf eine wertende (affektive) Einstellungskomponente, welche sich in Form von Zustimmung oder Ablehnung der Marke gegenüber äußert (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 237 ff.). Eine eher ablehnende Haltung gegen-

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

141

über einer Marke führt vermutlich nicht unbedingt zu einer niedrigen Reaktionserwartung an ein Produkt. Weiter steht sowohl die subjektive Bewertung des Getränkes als auch die eigene Einschätzung der Versuchspersonen, ob das Getränk die Konzentrationsfähigkeit beeinflusst habe – beides nach dem Konsum des Getränkes abgefragt – in keiner nennenswerten Beziehung zur abhängigen Variablen. Da keine Versuchsperson angab, den Konzentrationstest zu kennen, kann ausgeschlossen werden, dass die abhängige Variable durch vorherige Übung des Tests beeinflusst wurde. Dass bereits gemachte Erfahrungen mit dem Getränk die Erwartungen an dieses beeinflussen können und damit das Ergebnis beeinträchtigen könnten, wurde bereits erläutert. Die Erhöhung des Signifikanzwerts (beim Vergleich der Gruppen A und B) bei der Entfernung der Ergebnisse der beiden Versuchspersonen, die das Getränk vorher nie tranken, könnte Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Erwartungen der KonsumentInnen an das Getränk höher sind, wenn bereits Erfahrungen damit gemacht wurden. Wie oft Energie-Getränke im Allgemeinen konsumiert werden, wie viele koffeinhaltige Getränke vor der Studie getrunken wurden und wie viele Stunden in der Nacht zuvor geschlafen wurde, hat keinen signifikanten Einfluss auf die gemessene Konzentrationsleistung und kann hier daher als Einflussfaktor des Placebo-Effekts ausgeschlossen werden. Der durchgeführte Sobel-Test zeigt zunächst, dass zwischen allen drei Variablen (Markenname, Einschätzung des Preises und Ergebnis des Konzentrationstests) der Gruppen A und B (teils marginale) signifikante Beziehungen bestehen. Zum einen zeigen die Ergebnisse, dass der Markenname einen Einfluss darauf hat, wie hoch der Preis des Getränkes geschätzt wird. Der reelle Verkaufspreis einer Dose des Energie-Getränkes der unbekannten Marke ist durchschnittlich 20% billiger als eine äquivalente Getränkedose der bekannten Marke. Anzumerken sei hier, dass der Preis des Getränkes nicht, wie bei Shiv et al. (2005a), angegeben war, sondern lediglich hinterher von den Versuchspersonen geschätzt werden sollte. Die hier eingefügte Variable des Preises ist demnach nicht kontrolliert vorgegeben worden. In Anbetracht der Ergebnisse der Studien von Shiv et al. (2005a) ist es nicht überraschend, dass der von den Versuchspersonen (geschätzte) Preis in einem signifikanten linearen Zusammenhang mit dem Ergebnis des Leistungstests steht (r = 0,38, p < 0,05). Um eine vermutete mediierende Rolle des Preises zu kontrollieren, wurde ein Sobel-Test gerechnet. Das nicht signifikante Ergebnis zeigt, dass die Variable Einschätzung des Preises keine Mediatorrolle übernimmt. Es besteht folglich ein direkter Einfluss des Markennamens auf das Ergebnis des Konzentrationstests. Somit wurde gezeigt, dass der Markenname den Placebo-Effekt hervorrufen kann, also die Erwartung an die Marke gekoppelt ist. Die bekannte Marke führt im Vergleich zur unbekannten Marke zu höheren Preiseinschätzungen. Die höheren Preisvorstellungen hätten wiederum

142

Placebo-Effekt der Marke

einen Placebo-Effekt erzeugen können. Durch den Sobel-Test konnte jedoch gezeigt werden, dass die Marke einen direkten Einfluss auf die abhängige Variable hat, der nicht über den Preis mediiert ist. Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, dass eine bekannte Marke einen Placebo-Effekt auslösen kann, was mit den Resultaten eines Leistungstests nachgewiesen wurde. Interessanterweise konnte das Ergebnis mit dem Teil der Kontrollgruppe repliziert werden, in welchem die Versuchspersonen in dem konsumierten Produkt die bekannte Marke vermuteten. Auch mit der Überprüfung von diversen Kontrollvariablen blieben die Daten stabil. Ferner zeigte die Überprüfung mit einem Mediator-Test, dass es sich bei dem gezeigten Placebo-Effekt der Markenbekanntheit um einen direkten Effekt handelt, d.h. dass dieser Effekt nicht durch den von den Versuchspersonen und von den jeweiligen Marken abhängigen geschätzten Preis mediiert war. Die Ergebnisse dieser erweiteten Replikationsstudie unterstützen die Placebo-Studie von Shiv et al. (2005a), indem sie zeigen, dass neben dem Preis Marken ebenfalls zu Placebo-Effekten führen können. Einhergehend mit dem von Shiv et al. (2005a) vorgelegten und getesteten Bezugsrahmen zur Reaktionserwartung geben die Ergebnisse der Kontrollgruppe des Experimentes weitere Unterstützung für die Annahme, dass die Erwartungen an eine Marke PlaceboEffekte hervorrufen können. Kritisch anzumerken ist, dass keine direkte Abfrage oder Manipulation der Erwartung an die Marke erfolgte, sondern vorausgesetzt wurde, dass bekannte Marken höhere Reaktionserwartungen erzeugen als weniger bekannte Marken. Das Fragen nach den Erwartungen an eine Marke hätte diese andererseits beeinflusst (Shiv et al. 2005a, Fillmore/Vogel-Sprott 1992), was hier vermieden werden sollte. Wie in Kapitel vier dargelegt, können sowohl externe Reize (Preis, Markenname etc.) als auch allgemeine Annahmen (z. B. „ein hoher Preis spricht für eine hohe Qualität eines Produktes“) zu Placebo-Effekten im Marketing-Kontext führen (Borsook/Becerra 2005, Shiv et al. 2005b). Die Markenbekanntheit führt über den externen Reiz des Markennamens zu den produktspezifischen Erwartungen (wie bspw. der Glaube, dass eine bestimmte Marke auch bestimmte Eigenschaften hat). Die Erwartungen an eine Marke bzw. die mit einem Markennamen verbundenen Assoziationen können, wie in Abschnitt 5.2 dargestellt, vielfältig sein. Genauso wird vermutet, dass Markenassoziationen den Charakter von allgemeinen Annahmen beinhalten können. Genauer heißt das, dass Markenassoziationen, die in Verbindung mit der Produktqualität stehen (und durch Test-Resultate angezeigt werden) zu bestimmten allgemeinen Annahmen führen können (z. B. „eine gutes Test-Resultat steht für eine qualitativ hochwertige Marke“), die einen Placebo-Effekt verursachen können. So sollte in einem zweiten Experiment unter Konstanthaltung der Markenbekanntheit gezeigt werden, dass die Erwartung an die

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

143

Qualität einer bestimmten Marke ebenfalls einen Placebo-Effekt auslösen kann, um somit die Hypothese H2 zu überprüfen. 5.3.2

Erwartete Qualität als Placebo – Zweite experimentelle Studie

5.3.2.1

Übersicht der zweiten Untersuchung: Ziele und Methodik

Ziel der zweiten Studie ist es, zu untersuchen, ob Markenassoziationen, die durch wahrgenommene Produktqualität ausgelöst sind, Placebo-Effekte verursachen können, um damit die im Abschnitt 5.2.3 aufgestellte Hypothese H2 zu überprüfen. Wie auch zuvor wird ein Experiment als Untersuchungsdesign gewählt, da eine Kausalbeziehung überprüft wird. Die Untersuchung beruht auf einem univariaten einfaktoriellen between-subject-Design. Als Versuchsobjekt wird ein koffein- und dextrosehaltiger Energie-Riegel gewählt, da davon ausgegangen werden kann, dass den Versuchspersonen die Inhaltsstoffe bekannt sind, und Erwartungen an die Wirkung dieser vorausgesetzt werden können. Dies erschien wichtig, um die kommunizierte Glaubwürdigkeit der Studie nicht zu gefährden, da den Versuchspersonen auch hier (wie im ersten Experiment) erzählt wurde, dass sie die Effektivität eines Produktes testen sollten. Bei dem verwendeten Versuchsprodukt handelte es sich um eine zum Zeitpunkt der Studie neu auf dem Markt eingeführte Produktvariation der Marke PowerBar. Die Neuheit des Produktes, welches zum Zeitpunkt der Untersuchung seit circa zehn Tagen in Fachgeschäften erhältlich war, hat zur Folge, dass bei nahezu allen TeilnehmerInnen der Riegel als gleich (un)bekannt gelten kann, was notwendig war, um eventuelle Effekte des Markennamens (z. B. Rao/Monroe 1989) konstant zu halten bzw. auszuschließen. Allen ProbandInnen wurde demnach dasselbe Produkt derselben Marke präsentiert, um zu vermeiden, dass Effekte der Markenbekanntheit, so wie im ersten Experiment gezeigt, die Ergebnisse nicht beeinträchtigen. Als unabhängige Variable wird die Qualität der Riegel dahingehend beeinflusst, dass die Hälfte der ProbandInnen ein Gütesiegel der Stiftung Warentest mit der Note sehr gut, der anderen Hälfte kein Gütesiegel präsentiert wurde. Die abhängige Variable stellt auch in diesem Experiment das Ergebnis eines Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest dar. Durch das nahezu unbekannte Produkt wird angenommen, dass die Gütesiegel als Orientierungshilfe hinsichtlich der Qualität des Produktes gelten können. An der Hauptstudie nahmen 59 Studierende der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) teil. Die Studie wurde gegen 16.00 Uhr innerhalb der Veranstaltung Marktforschung durchgeführt. Das Durchschnittsalter betrug 23,4 Jahre (Std. = 2,10), 64,4 % der TeilnehmerInnen waren weiblich.

144

5.3.2.2 5.3.2.2.1

Placebo-Effekt der Marke

Durchführung des zweiten Experiments Manipulation der unabhängigen Variablen

Nach einer kurzen Einführung und der Erläuterung, dass Produkte getestet werden sollten, wurden die Studierenden über eine Randomisierung auf zwei ähnlich starke Experimentalgruppen (n1 = 21, n2 = 38) verteilt und in vergleichbare Räume geführt. Allen TeilnehmerInnen wurde zunächst ein Blatt gereicht, auf welchem sie nach ihrer Einstellung zu unterschiedlichen Marken befragt wurden. Es bestand die Möglichkeit anzugeben, dass die Marke unbekannt sei. Da bis zu diesem Zeitpunkt keine/r der Studierenden wusste, welches Produkt getestet werden sollte, war die Einstellungsmessung unbeeinflusst. Die Messung erfolgte eindimensional über eine 7-Punkt-Ratingskala (positiv/negativ). Anschließend wurde ein Bogen verteilt, auf welchem das Produkt, für alle Gruppen identisch, in Originalfarben abgebildet war. Die TeilnehmerInnen wurden aufgefordert, die ausgegebenen Produktbeschreibungen gründlich zu lesen. Um die Erwartungen an die Wirkung des Riegels zu steigern, wurde dort auf die Eigenschaften des Energie-Riegels hingewiesen, die besagten, dass durch die besondere Kohlenhydratmischung eine erhöhte Energieaufnahme gegeben sei sowie der geringe Fettanteil die Verträglichkeit fördere. Auch wurde sowohl auf dem ausgegebenen Bogen, wie auch mündlich darauf hingewiesen, dass der hohe Koffeingehalt die Konzentration fördere und wissenschaftliche Studien eine Leistungssteigerung belegten. Ebenfalls schriftlich waren die Zutaten des Riegels aufgelistet. Die Manipulation der Qualitätsassoziationen, also der unabhängigen Variablen erfolgte über die Darstellung eines Gütesiegels der Stiftung Warentest, die nur eine von beiden Gruppen erhielt. Der Gruppe G (n1 = 21) wurde unter der Abbildung des Riegels das Gütesiegel präsentiert, auf dem stand, dass der Riegel unter 14 getesteten Riegeln die Note sehr gut (1,1) erhalten hatte und als Testsieger hervorging. Das Gütesiegel, dargestellt in Abbildung 37, enthielt weiter die Information, dass es sich um einen Test aus dem Monat Februar 2008 handele. Als Manipulations-Check wurde vor dem Experiment ein Pretest durchgeführt, an dem 45 Studierende des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin teilnahmen. Die StudentInnen wurden hierfür in zwei Gruppen aufgeteilt (n1 = 22, n2 = 23). Beiden Gruppen wurde das Produkt auf einem Blatt abgebildet. Die eine Gruppe bekam zusätzlich die Information, dass die Stiftung Warentest das Produkt mit der Note sehr gut beurteilt hatte. Hierzu wurde den ProbandInnen dieser Gruppe das Gütesiegel zusätzlich dargestellt. Die Studierenden wurden anhand einer 7-Punkt-Likert Skala gebeten, die Qualität des Produktes einzuschätzen (sehr gut = 7/ sehr schlecht = 1). Die TeilnehmerInnen, welche das Produkt mit dem Gütesiegel „sehr gut“ zu sehen bekamen, beurteilten die Qualität signifikant höher (M = 5, 09, Std. = 1,20) als diejenigen, welche das Produkt ohne Qualitätssiegel beurteilten (M = 3,41, Std. = 1,05) Der t-Wert lag bei t = 4,97 (p < 0,001). Da die Erwartungen an

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

145

ein Produkt in einem Experiment durch vorherige Abfrage manipulierbar sind (Fillmore/Vogel-Sprott 1992, Shiv et al. 2005a) wurde, um die Ergebnisse im Hauptexperiment nicht zu beeinflussen, dort kein Manipulations-Test durchgeführt.

Abbildung 37: Verwendeter Stimulus zur Manipulation der Qualitätserwartung der Experimentalgruppe G

Die zweite Experimentalgruppe (n2 = 38), welche weiter als Gruppe K bezeichnet wird, bekam die dieselben Informationen, jedoch ohne Gütesiegel präsentiert. Eine Übersicht über die Gruppenbezeichnungen liefert die aufgestellte Tabelle 7.

Tabelle 7: Übersicht der Gruppenbezeichnungen des zweiten Experiments

Gruppenbezeichnung

Manipulation der Markenqualität

Gruppe G

Hohe Qualitätserwartungen an die Marke

Gruppe K

Qualitätserwartungen an die Marke nicht manipuliert

Weiter enthielt das Blatt Informationen über den weiteren Ablauf der Studie. Die TeilnehmerInnen wurden darüber informiert, dass die Inhaltsstoffe des Produktes circa 15-20 Minuten bräuchten, um ihre volle Wirkung zu erlangen und aus diesem Grund in der Zwischenzeit ein Film gezeigt werde. Auch wurde den Studierenden mitgeteilt, dass sie im Anschluss an den Film einen Konzentrations- und Aufmerksamkeitstest bearbeiten sollten. Während die Versuchspersonen die Erläuterungen zu dem Produkt und der Studie lasen, wurde ihnen je ein halber Energie-Riegel in Originalverpackung ausgeteilt, mit der Aufforderung, das ausgegebene Stück komplett aufzuessen. Zusätzlich wurden zur Ansicht verpackte, ganze Riegel auf den Tischen verteilt. Die Befürchtung, dass bei Ausgabe eines kompletten Riegels

146

Placebo-Effekt der Marke

dieser aufgrund seines sehr süßen Geschmacks und der weichen Konsistenz in Folge der hohen Raumtemperaturen nur teilweise oder zu unterschiedlichen Anteilen gegessen werde, was eine Vergleichbarkeit unter den TeilnehmerInnen erschwert hätte, gab Anlass dazu, nur Hälften des Produktes essen zu lassen. Die Glaubhaftigkeit der Wirkung war angesichts der hohen Konzentration von Koffein und Glukose trotzdem nicht beeinflusst, was von allen drei Testleiterinnen zusätzlich mündlich bekräftigt wurde. Um Unterschiede in der Konsistenz der Riegel beim Austeilen dieser zu vermeiden, wurden diese in Kühlboxen mit einer Temperatur von 15 °C in die Experimentalräume gebracht. Eine Teilnehmerin der Gruppe G konnte aus gesundheitlichen Gründen den Energie-Riegel nicht essen und brach darauf hin den Test ab. Nachdem alle anderen Versuchspersonen das ausgegebene Stück des Energie-Riegels verzehrt hatten, wurde in allen Experimentalräumen ein identischer Naturfilm gezeigt. Der vertonte Film, eine Tier-Natur-Dokumentation, welche über eine Großleinwand gezeigt wurde, dauerte exakt 13,20 Minuten und stand inhaltlich in keinem Bezug zur durchgeführten Studie. Mit dem anschließenden Austeilen des Untersuchungshefts wurden alle TeilnehmerInnen instruiert, sämtliche darin enthaltene Fragen zu beantworten und nur auf Aufforderung weiterzublättern. Die erste Seite des Heftes beinhaltete die Anweisungen zum nachfolgenden Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests. Nachdem allen Studierenden 2 Minuten Zeit gegeben wurde, die Anweisungen zu lesen, wurde, um Fehler bei der Bearbeitung zu vermeiden, zusätzlich mit Hilfe eines Powerpoint-Charts der Test nochmals von den Testleiterinnen erläutert. Anschließend wurden Verständnisfragen beantwortet. 5.3.2.2.2

Erläuterung zur abhängigen Variablen und Messung

Das Ziel der Untersuchung war es, einen Placebo-Effekt durch unterschiedliche Qualitätswahrnehmung eines Markenproduktes zu erhalten. Äquivalent zum vorhergehenden Experiment wurde der Effekt in Form einer mentalen Leistungsvariation erwartet. Aufgrund der ausreichenden Varianz der Ergebnisse des Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest der vorhergehenden Studie (n insg. = 44, Max. = 158, Min. = 60, Std. = 21,70), wurde dieser Test in ähnlicher Form abermals verwendet. Wie auch zuvor sollten die Versuchspersonen innerhalb einer 4-minütigen Zeitspanne besonders markierte Buchstaben möglichst schnell und fehlerfrei markieren. Die Studierenden sahen auf dem zweiten Blatt des Versuchshefts, welches sie alle gleichzeitig aufblätterten, 20 Zeilen à 34 Zeichen mit den Buchstaben b, p und q, welche entweder mit einem, zwei, drei oder vier Querstrichen versehen waren. Die Aufgabe bestand wieder darin, alle Buchstaben b zu kennzeichnen, welche mit zwei Querstrichen versehen waren. Bei dem Test handelte es sich ebenfalls um eine Variation des Tests d 2 (Aufmerksamkeits- und Belastungstest) von Brickenkamp (2002) und um einen Ausschnitt aus dem Aufnahmetest für medizinische Studiengänge (Institut für Test- und Begabungsforschung 1995, S. 49 ff.). Da bei dem Experiment der ersten Studie keiner der Studierenden mit der Markierung der richtigen Zeichen über die Zeile 12 hinaus gelangte, wurden hier lediglich 20

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

147

Zeilen der Zeichen abgebildet. Die Versuchspersonen wurden von den Testleiterinnen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass während des Tests Ruhe im Raum herrschen müsse, was in allen drei Räumen befolgt wurde. Störungen jeglicher Art hätten die Testergebnisse verzerren können (Brickenkamp 2002, S. 15). 5.3.2.2.3

Kontrollvariablen

Um vermutete Einflüsse auf die abhängige Variable oder Beziehungen zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variablen aufzudecken, wurden im sich anschließenden Teil des Untersuchungsheftes diverse Kontrollvariablen erhoben, die nachfolgenden erläutert werden. Zunächst sollten die Studierenden angeben, ob sie den soeben getesteten Energie-Riegel kannten. Die Frage kontrolliert, ob die Produktbekanntheit unter den TeilnehmerInnen durch die Marktneuheit des Energie-Riegels als konstant angesehen werden konnte. Nachfolgend sollte der Riegel anhand der Attribute gut/schlecht, wetvoll/wertlos, angenehm/unangenehm und positiv/negativ auf einer 7-Punkt-Ratingskala beurteilt werden. Mit der so gemessenen Beurteilung des Riegels könnte ein eventueller Zusammenhang mit der abhängigen Variablen aufgezeigt werden. Es könnte vermutet werden, dass ein Gütesiegel als Qualitätsindikator die (Geschmacks-)Beurteilung beeinflussen kann. Da bspw. der Geschmack, die Farbe oder der Geruch als Schlüsselinformation zur gesamten Qualitätswahrnehmung herangezogen werden könnte (siehe Kapitel 4.1.2), kontrolliert diese Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der Beurteilung und der abhängigen Variablen existiert. Wenn das Konstrukt der Einstellung als erlernte, subjektive Neigung, in Bezug auf ein Objekt zu reagieren verstanden wird (Fishbein/Ajzen 1975, S. 6), beinhaltet das Konstrukt unter Umständen die Erwartungen hinsichtlich der Wirkungs-Qualität einer Marke. Aus diesem Grund könnte ein Zusammenhang zwischen der Einstellung zur Marke und dem anschließend erbrachten Ergebnis im Leistungstest bestehen. Deshalb sollten die Versuchspersonen die Marke PowerBar mit den Attributen positiv/negativ auf einer 7-stufigen Skala bewerten. Wie erläutert, sind Erwartungen von Erfahrungen beeinflusst. Wenn bereits (positive) Erfahrungen mit Energie-Riegeln vorhanden sind, besteht die Möglichkeit, dass bei diesen Versuchspersonen das Ergebnis beeinflusst ist. Dieser Erfahrungsprozess kann jedoch nur stattgefunden haben, wenn das Produkt oder ähnliche Produkte in der Vergangenheit (regelmäßig) konsumiert wurden. Aus diesem Grund wird mit der sich anschließenden Frage nach der Konsumhäufigkeit von Energie-Riegeln ermittelt, ob ein Zusammenhang zwischen dem Testergebnis und der Häufigkeit des Verzehrs solcher Riegel besteht. Die Abfrage erfolgte in acht Stufen über die Antworten nie, weniger als einmal im Monat, 1- bis 3-mal im Monat, 1-mal

148

Placebo-Effekt der Marke

pro Woche, 2- bis 3-mal pro Woche, 4- bis 6-mal pro Woche, einmal am Tag oder öfters am Tag. Die Studierenden sollten, falls sie im Allgemeinen Energie-Riegel essen, angeben, bei welchen Gelegenheiten sie dies tun. Die Antwortmöglichkeiten waren: bei sportlichen Aktivitäten, bei Prüfungen, bei allgemeiner Müdigkeit. Eine weitere Option war es, eine sonstige Möglichkeit einzutragen. Diese Frage sollte Aufschluss darüber geben, ob Studierende überhaupt in Erwägung ziehen, diese Art von Energie-Zufuhr außerhalb von sportlichen Aktivitäten (eigentliche Zielgruppe des Produktes sind v. a. Sportler), also bei Prüfungsleistungen oder bei „müden Momenten“ zu nutzen. So wurde kontrolliert, ob unter den Versuchspersonen TeilnehmerInnen waren, die regelmäßig derartige Energie-Riegel in vergleichbaren Situationen (Prüfungssituationen) zu sich nahmen, was die abhängige Variable aufgrund der ähnlichen situationalen Gegebenheit hätte beeinflussen können (siehe Kapitel 4.2.5). Da die Möglichkeit besteht, durch vorherige Übung des Konzentrationstests das Ergebnis bis zu 70% zu verbessern (Fay/Freitag 1989), müssen durch eine entsprechende Filterfrage die Versuchspersonen aus dem Datensatz entfernt werden, die den Konzentrationstest kannten und üben konnten, um eine Verzerrung des Testergebnisses zu vermeiden. Die Versuchspersonen sollten demnach ankreuzen, ob ihnen der Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest bekannt war und bei Bejahung dieser Frage angeben, ob sie den Test in den letzten vier Wochen bearbeitet hatten. Im Anschluss sollten die Versuchspersonen auf zwei 7-stufigen Rating-Skalen (sehr gut bis sehr schlecht) angeben, wie sie ihre Konzentrationsfähigkeit vor sowie nach dem Konsum des Energie-Riegels einschätzen. Durch die Differenz der beiden Werte kann ein Wert berechnet werden, welcher darstellt, wie die Versuchspersonen (in den verschiedenen Experimentalgruppen) die Wirkung des Riegels einschätzten (subjektiv wahrnahmen), um eventuelle Unterschiede in den Gruppen feststellen zu können. Kritisch anzumerken ist hier, dass nicht direkt nach der vermuteten Wirkung gefragt wurde. Es soll betont werden, dass mit dieser Frage nicht die Erwartung bzw. die Reaktionserwartung an das Getränk erfasst werden kann, da die Frage nach dem Konsum des Riegels gestellt wurde und somit von diversen Faktoren beeinflusst sein könnte (z. B. der Geschmack oder der Geruch des Riegels). Da Ermüdungszustände durch zu wenig Schlaf (< als fünf Stunden) sich negativ auf mentale Leistungen auswirken können (Samkoff/Jaques 1991), wurde, wie im ersten Experiment auch hier durch die offen gestellte Frage nach der in der Nacht zuvor geschlafenen Stunden kontrolliert, ob eine Verzerrung des Testergebnisses durch akuten Schlafmangel vorliegen könnte. Bei größeren konsumierten Mengen an Koffein können die Konzentrationsleistungen wieder nachlassen (Lieberman et al. 1987). Da auch hier ein Wirkstoff des Riegels Koffein darstellte, sollten die ProbandInnen mit einer offen gestellten Frage, äquivalent zur ersten Studie, ange-

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

149

ben wie viel koffeinhaltige Getränke (Anzahl der konsumierten Tassen/Gläser) sie vor dem Produkttest zu sich genommen hatten, um eine eventuelle Interaktion der Variablen mit dem Testergebnis zu kontrollieren. Im ersten Experiment dieser Arbeit konnte nicht nachgewiesen werden, dass der geschätzte Preis des Produktes den Placebo-Effekt der Marke mediiert, obgleich die bekannte Marke im Preis höher eingeschätzt wurde als der Preis der unbekannten Marke. Da KonsumentInnen den Preis eines Produktes, welches mit einem Qualitätssiegel, bzw. einem unabhängigen Testergebnis präsentiert wird, nicht unbedingt höher einschätzen als ein Produkt ohne Qualitätssiegel (Gerstner 1985, Völckner 2006), wird nicht davon ausgegangen, dass in diesem Experiment eine Beziehung zwischen der Qualität der Marke und dem Preis besteht. Da aber der Preis der Produkte bei Shiv et al. (2005a) ausschlaggebend für einen Placebo-Effekt war, wurde auch hier die Kontrollfrage nach der Einschätzung des Preises eines Riegels gestellt. Zwar wurden in der Literatur keine Anhaltspunkte gefunden, dass der Konzentrationstest, der aus dem Test für medizinische Studiengänge entnommen wurde, signifikante Unterschiede der Testergebnisse im Hinblick auf demographische Eigenschaften der Testpersonen aufweist; um dies dennoch zu kontrollieren, mussten die Versuchspersonen am Ende der Studie Angaben zu ihrem Alter und Geschlecht machen. 5.3.2.3

Darstellung der Untersuchungsergebnisse

In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Ergebnisse der Wirkung der Qualitätsmanipulation auf die Testleistung der ProbandInnen dargestellt. Im Anschluss folgen die Ergebnisse hinsichtlich der kontrollierenden Variablen, um abschließend die Ergebnisse des Experiments zu diskutieren. Ziel der Untersuchungen war es, unter Konstanthaltung der Marken-, beziehungsweise Produktbekanntheit die Qualitätserwartung einer Marke durch ein Gütesiegel zu manipulieren, um feststellen zu können, ob diese einen Placebo-Effekt auslösen kann. Die Bekanntheit der Marke PowerBar war in allen Gruppen hinlänglich konstant. 21,6 % der Versuchspersonen der Gruppe K und 15 % der Gruppe G kannten die Marke. Ein ChiQuadrat-Test zwischen den Gruppen hinsichtlich der Markenbekanntheit ergab, dass kein Unterschied zwischen den Gruppen bestand (F df = 2, p = 0,68). Die Frage danach, ob das Testprodukt bekannt ist, beantworteten drei Personen der Gruppe K und eine Person der Gruppe G mit ja. 5.3.2.3.1

Empirische Ergebnisse der Wirkung der wahrgenommenen Qualität einer Marke

Der durchgeführte Pretest zeigte, dass die Manipulation der Qualitätserwartung erfolgreich ist. Die Studierenden, die das Qualitätssiegel mit der Note sehr gut mitsamt dem Produkt abgebildet bekommen hatten, beurteilten die Qualität des Produktes signifikant besser (M =

150

Placebo-Effekt der Marke

5,09, Std. = 1,20), als die Gruppe, die die Produktqualität ohne das Gütesiegel beurteilen sollten (M = 3,41, Std. = 1,05). Der T-Test für unabhängige Stichproben ergab einen t-Wert von t = - 4,97 mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von p < 0,001. In der Hauptstudie wurde kein erneuter Manipulations-Check durchgeführt, um die Aufmerksamkeit auf die restlichen Informationen nicht zu gefährden. Die Manipulation durch die Darstellung eines Gütesiegels mit der Note sehr gut und das Weglassen des Gütesiegels führte zwischen der Gruppe G und der Gruppe K zu einem marginal signifikanten Unterschied des Endergebnisses (siehe Tabelle 8). Berechnet wurden die Ergebnisse anhand eines t-Tests für unabhängige Stichproben. Das durchschnittlich erreichte Endergebnis, das heißt richtig markierter abzüglich falsch markierter Zeichen sowie abzüglich fälschlicherweise markierter Zeichen der Gruppe G, lag bei einem Mittelwert von M = 143,15 (Std. = 28,68) und unterschied sich marginal signifikant vom Endergebnis der Gruppe K (tWert = - 1,96, p = 0,06), die im Mittel einen Wert von M = 127,87 (Std. = 28,07) erreichten. Die knappe Verfehlung der Signifikanzhürde von 5 % kann möglicherweise auf die geringe TeilnehmerInnenzahl zurückgeführt werden. Das Ergebnis der univariaten Varianzanalyse ergab einen Testwert F = 3,83 (p = 0,06).

Tabelle 8: Übersicht über die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche des Endergebnisses

Endergebnis

t-Wert (p-Wert)

StanGruppe

n

Mittel-

dardab-

wert/

wei-

Gruppe

chung

G

K

(Testsiegel

(kein Test-

Note sehr

siegel)

gut)

G (Testsiegel Note

20

143,15

22,68

G

38

127,87

28,07

K

X

X

sehr gut)

K (kein Testsiegel)

-1,96 (0,06)

X

Da die Anzahl der Versuchspersonen in den Gruppen nicht gleich groß war, wurde eine Zufallsauswahl (mit Hilfe der Software SPSS) von 20 TeilnehmerInnen der Gruppe K gezogen.

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

151

Ein erneuter Mittelwertsvergleich der beiden jetzt identisch großen Gruppen brachte folgendes Ergebnis (siehe Tabelle 9): Der durchschnittlich erreichte Wert der abhängigen Variablen der Gruppe K wurde mit 20 zufällig ausgewählten TeilnehmerInnen mit M = 121, 20 berechnet. Ein erneuter T-Test berechnete das Ergebnis nun als signifikant (t = - 2,35, p = 0,02). Das Ergebnis der univariaten ANOVA ergab die Prüfgröße F = 5,51 (p = 0,02).

Tabelle 9: Übersicht über die Ergebnisse der Mittelwertvergleiche des Endergebnisses mit gleich großer Stichprobe

Endergebnis

t-Wert (p-Wert)

Gruppe

n

Stan-

G

K

Mittel-

dardab-

(Testsiegel

(kein Test-

wert/

wei-

Note sehr

siegel)

Gruppe

chung

gut)

G (Testsiegel Note

20

143,15

22,68

G

20

121, 20

30,44

K

X

X

sehr gut)

- 2,35

K

5.3.2.3.2

X (0,02)

(kein Testsiegel)

Ergebnisse der Kontrollvariablen

Vier der TeilnehmerInnen gaben an, den Riegel bereits vor der Studie gekannt zu haben. Ein Weglassen dieser Datensätze veränderte das Ergebnis (der gleich großen Stichproben) nur marginal (t = -2,17, p = 0,04) und blieb dennoch signifikant. Die vor dem Experiment gemessene Einstellung zur Marke (positiv = 7/negativ = 1), welche nur bei denjenigen abgefragt werden konnte, denen die Marke bekannt war (n = 11), stand in keinem linearen Zusammenhang mit dem Endergebnis (r = - 0,11, p = 0,76). Die Kontrollvariable Beurteilung des Riegels, gemessen durch vier Items (Cronbachs Į = 0,92), stand in keinem linearen Zusammenhang mit dem Endergebnis (r = 0,15, p = 0,19), genauso wenig die Bewertung der Marke (r = 0,24, p = 0,07) nach dem Experiment und die Konsumhäufigkeit (r = 0,04, p = 0,79). Von den 40 ProbandInnen, die angaben, überhaupt Energie-Riegel zu konsumieren, gaben 50% an, dies hauptsächlich zu Prüfungen oder bei

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Placebo-Effekt der Marke

Müdigkeitszuständen zu tun. Sowohl das Weglassen der Datensätze der TeilnehmerInnen als auch das alleinige Ergebnis derjenigen, die hauptsächlich in Prüfungssituationen EnergieRiegel konsumierten, konfundierte das Gesamtergebnis nicht. Die Einschätzung der eigenen Konzentrationsfähigkeit vor (r = - 0,04, p = 0,75) und nach dem Konsum (r = 0,08, p = 0,57) sowie die daraus errechnete eingeschätzte Wirkung (r = - 0,14, p = 0,29) des Energie-Riegels stand in keinem Zusammenhang mit dem Endergebnis. Keine der Testpersonen kannte den Konzentrationstest vor der Durchführung des Experiments. Auch hier, wie im ersten Experiment, konnte kein Zusammenhang zwischen dem Endergebnis und den in der Nacht zuvor geschlafenen Stunden (r = - 0,22, p = 0,17) sowie der Menge an den bereits vorher zu sich genommenen koffeinhaltigen Getränken (r = 0,24, p = 0,15) festgestellt werden. Die Antwort auf die Frage nach dem geschätzten Preis ergab in diesem Experiment einen marginal signifikanten Gruppenunterschied zwischen der Gruppe G und der Gruppe K. Den TeilnehmerInnen, welchen das Gütesiegel mit dem Produkt präsentiert wurde, schätzten den Preis des Produktes marginal signifikant niedriger ein (M = 1,34, Std. = 0,49), als die Gruppe, die kein Gütesiegel dargeboten bekam (M = 1,70, Std. = 0,73). Der Gruppenvergleich ergab einen t-Wert von - 1,97 (p = 0,05). Allerdings bestand zwischen den unterschiedlichen Preiseinschätzungen und dem Endergebnis, der abhängigen Variablen, kein linearer Zusammenhang (r = 0,08, p = 0,57). Ein erneutes Berechnen des Mittelwertvergleichs der Preisschätzung mit den gleich großen Stichproben erbrachte keinen signifikanten Gruppenunterschied mehr (t = - 1,52, p = 0,14). Das Alter der ProbandInnen beeinflusste das Endergebnis nicht (r = 0,18, p = 0,27, wohingegen in diesem Experiment die Konzentrationsleistung der Männer besser war als die der Frauen (t = - 3,21, p < 0,01). Dennoch verzerrte der Einfluss des Geschlechts das Endergebnis nicht, da ein gleich großer Anteil an Männern und Frauen in den unterschiedlichen Gruppen war (ausgehend von den gleich großen Stichproben): Gruppe G 40 %, Gruppe K 35 % Männer, F df = 1, p = 0,74. 5.3.2.4

Diskussion der Ergebnisse des zweiten Experiments

Der Manipulations-Check in Form des Pretests bestätigte, dass Personen, die zu einer Marke ein Qualitätssiegel präsentiert bekamen, die Qualität der Marke als signifikant höher einschätzten als Personen, die dieselbe Marke, jedoch ohne ein Testurteil zu sehen bekamen. Das Ergebnis der Hauptstudie mit allen 58 TeilnehmerInnen zeigt, dass Personen, die eine hohe Qualitätserwartung an eine Marke haben, im Vergleich zu Personen, die normale Erwartungen an die Markenqualität haben, eine marginal signifikant bessere kognitive Leistung nach der Nutzung eines Produktes zeigen. Nachdem die Stichproben durch eine Zufallsaus-

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

153

wahl der Personen eine identische Größe erlangten (n1/2 = 20), erreichte das Ergebnis statistische Signifikanz. Es zeigte sich demnach, dass ein Placebo-Effekt, hier in Form der aktuellen Effizienzsteigerung eines Markenproduktes durch die (durch ein Testurteil manipulierte) Qualitätserwartungen an ein Produkt ausgelöst werden kann. Auch die Berücksichtigung der Kontrollvariablen beeinflusste das Ergebnis nicht. Vier der TeilnehmerInnen gaben an, das Produkt bereits gekannt zu haben. Aufgrund der Tatsache, dass der reguläre Vertrieb des Riegels erst zehn Tage vor dem Experiment eingesetzt hatte, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei den Angaben auch um eine Verwechslung handelte, zumal zum einen zwei dieser Studierenden angaben, weniger als einmal pro Monat, die anderen beiden angaben, nie Energie-Riegel zu konsumieren. Zum anderen unterscheiden sich die Energie-Riegel-Sorten des Unternehmens optisch nur gering voneinander. Dennoch wurden die Datensätze zu Kontrollzwecken entfernt, was das Ergebnis nur marginal beeinflusste und dennoch stabil blieben ließ. Auch hier, wie im Experiment zuvor, gab es keinen signifikanten (linearen) Zusammenhang mit der Einstellung zur Marke und dem Endergebnis. Abgesehen von der geringen Bekanntheit der Marke, die bewirkte, dass nur 20 % der Versuchspersonen überhaupt eine Einstellung zu der Marke dokumentieren konnten, zeigte sich auch hier, dass die eindimensional gemessene Einstellung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Reaktionserwartung an ein Produkt steht. Da möglich wäre, dass Personen, die in ähnlichen (Prüfungs-)Situationen regelmäßig derartige Produkte zu sich nahmen, eventuell höhere Reaktionserwartungen an das Produkt haben könnten als die anderen Personen, und dies das Ergebnis beeinflusst hätte, wurde das mit einer entsprechenden Frage nach den Konsumgewohnheiten von Energie-Riegeln kontrolliert. Obwohl der Anteil der ProbandInnen vergleichsweise hoch war, die angaben, diese Art von Energie-Zufuhr in Prüfungssituationen zu nutzen, konnte kein Unterschied der Ergebnisse zwischen diesen und den anderen ProbandInnen festgestellt werden. Die Messungen der Beurteilung und der Konsumhäufigkeit des Riegels sowie die Bewertung der Marke nach dem Experiment standen in keinem Zusammenhang mit dem Endergebnis. Ebenso wenig die Anzahl der in der Nacht zuvor geschlafenen Stunden sowie die Anzahl der vor dem Experiment getrunkenen koffeinhaltigen Getränke. Die Wirkung des Getränkes wurde durch die erhobenen Kontrollvariablen demnach nicht beeinflusst. Diese stellten somit auch keine Störgrößen in Bezug auf den beobachteten Placebo-Effekt dar. Das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen der Einschätzung der eigenen Konzentrationsfähigkeit (und damit der aus der Differenz errechneten eingeschätzten Wirkung des Produktes) und dem tatsächlich erreichten Endergebnis ist vermutlich darin zu begründen, dass es sich beim Erleben von Konzentration und der Konzentrationsleistung um zwei unterschiedliche

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Placebo-Effekt der Marke

Konstrukte handelt (Irrgang et al. 2005). Die erbrachte Leistung der ProbandInnen des d2Aufmerksamkeits- und Belastungstests (Geschwindigkeit, Vollständigkeit und das fehlerfreie Markieren) wird nicht wahrgenommen. Der aus dem Produkt gezogene Nutzen kann von den Testpersonen nur durch das Veröffentlichen der Endergebnisse wahrgenommen werden. Da keine der Testpersonen den Konzentrationstest vor der Durchführung des Experiments kannte, mussten keine Datensätze entfernt werden. Obwohl kein theoretischer Zusammenhang zwischen der hier manipulierten Markenqualität und der Höhe des geschätzten Preises hergeleitet werden konnte, zeigte das Ergebnis, dass die Versuchspersonen das Markenprodukt, welches zusammen mit dem Testsiegel präsentiert wurde, signifikant niedriger im Preis einschätzten als die Personen, die kein Testurteil zu sehen bekamen. Die Versuchspersonen, die den Preis des Riegels niedriger als die anderen einschätzten, unterschieden sich hingegen im Ergebnis des Konzentrationstests nicht signifikant von den Personen, die das Produkt höher im Preis schätzten, was damit den hier beobachteten Placebo-Effekt nicht beeinflusste. Im ersten Experiment konnte, parallel zu den Erkenntnissen von Shiv et al. (2005a), gezeigt werden, dass der Preis des Produktes die Leistungsfähigkeit desselben im Sinne eines Placebo-Effektes beeinflusst. Dieser Preis-Leistungs-Zusammenhang konnte hier nicht festgestellt werden. So stellt sich hier die Frage, aus welchem Grund in diesem Experiment kein Preiseffekt beobachtet werden konnte. Wie in Abschnitt 5.3.2.1 bereits erläutert, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass KonsumentInnen Produkte mit einem Testsiegel im Preis höher einschätzten als ohne Testsiegel, was sich hier auch bestätigte. Eine Betrachtung und Interpretation des isolierten Preiseffektes wird in diesem Fall als nicht sinnvoll erachtet. Zusammenfassend wurde in diesem Experiment gezeigt, dass durch Unterschiede in der erwarteten Produktqualität eine Verhaltensänderung im Sinne eines Placebo-Effektes entstehen kann. Zunächst wurde für dieses Experiment der Einfluss des Markennamens und der Marken-, und der Produktbekanntheit konstant gehalten, womit gewährleistet wurde, dass die Erwartungen der ProbandInnen der Gruppen an die Marke gleich hoch waren. Der beobachtete Effekt war demnach unabhängig von der Markenbekanntheit. Weiter konnte gezeigt werden, dass auch zwischen dem (von den TeilnehmerInnen eingeschätzten) Preis und der abhängigen Variablen kein Zusammenhang bestand. Die Ergebnisse blieben auch bei der Miteinbeziehung von diversen Kontrollvariablen stabil. Diese Ergebnisse unterstützen und erweitern den von Shiv et al. (2005a) beobachteten Placebo-Effekt im Marketing-Kontext. Damit konnte die Hypothese H2 bestätigt werden: Marken, die als qualitativ hoch eingeschätzt werden, können im Vergleich zu qualitativ niedrig eingeschätzten Marken die Effektivität eines Produktes im Sinne eines PlaceboEffektes positiv beeinflussen.

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

5.3.3

Zusammenfassung der empirischen Studien und Limitationen

5.3.3.1

Zusammenfassende Diskussion der empirischen Studien

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Die empirischen Studien vorliegender Arbeit replizieren die Studie von Shiv et al. (2005a), indem sie zeigen, dass Marketing-Maßnahmen die aktuelle Effektivität von Produkten im Sinne von Placebo-Effekten beeinflussen können. Shiv et al. (2005a) konnten in Ihrer Studie zeigen, dass ein reduzierter Preis eines Energie-Getränkes die mentale Leistungsfähigkeit bei der Bearbeitung von Wort-Puzzle-Aufgaben herabsetzten konnte. Weiter demonstrierten die Autoren, dass durch einen höheren Preis und verstärkte Kommunikationsmaßnahmen die Erwartungen an das Getränk die aktuelle Effektivität des Getränkes im Sinne eines positiven Placebo-Effektes (Steigerung der mentalen Fähigkeiten) beeinflussen konnte. In vorliegender Arbeit konnte in Form einer Erweiterung der Untersuchungen von Shiv et al. (2005a) in zwei Experimenten gezeigt werden, dass sowohl die Markenbekanntheit als auch die wahrgenommene Qualität einer Marke zu identischen Effekten führen kann. Die Ergebnisse von Shiv et al. (2005a) konnten demnach in einer veränderten Form repliziert werden. Ein EnergieGetränk einer bekannten Marke bzw. ein Energie-Riegel, dem eine hohe Qualität zugeschrieben wird, erhöht die Leistung von KonsumentInnen bei der Bearbeitung eines Konzentrationstests. Auch bei der Miteinbeziehung von möglichen beeinflussenden Variablen und alternativen Erklärungsmöglichkeiten blieb das Ergebnis stabil. Diese erweiterte Replikation liefert einen Beitrag zur Placebo-Forschung im MarketingKontext, indem sie zeigt, dass neben dem Preis auch andere externe Produktattribute zu Placebo-Effekten führen können. Weiter trägt diese Studie Erkenntnisse zur Marken-Forschung bei. Die Marken-Forschung beschäftigt sich unter anderem mit der Markenwirkung hinsichtlich der Wahrnehmung, der Einstellung und des Entscheidungsverhaltens von KonsumentInnen (z. B. Aaker 1996, Baumgarth 2008, Esch 2005). Ähnlich wie der Preis bei den Studien von Shiv et al. (2005a) deuten die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit darauf hin, dass Marken(-produkte) eine Art sich selbsterfüllende Prophezeiung von Erwartungen inhärent haben, die zu Placebo-Effekten führen kann. Nach dem Vorschlag von Borsook/Becerra (2005) trennen Shiv et al. (2005b) die Einflussfaktoren, die zu dem placebo-generierenden spezifischen Produktglauben führt, in externe Produkt-Reize (erläutert in Abschnitt 4.2.3) und allgemeine Annahmen (erläutert in Abschnitt 4.2.4). Externe Reize stellen die Produktattribute eines Produktes dar, welche vom/von der Konsumenten/in isoliert betrachtet werden und später durch den Integrationsprozess zu einer Gesamtbeurteilung des Produktes hinsichtlich der Wirkung führen können. So kann der Glaube an die Vorteile eines bestimmten Produktes an einen Markennamen gekoppelt sein. (Beispielsweise könnte der Markenname Aspirin den produktspezifischen Glauben an die Wir-

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Placebo-Effekt der Marke

kung der Kopfschmerztablette auslösen.) Die Bekanntheit eines Markennamens kann hier als externer Reiz angesehen werden, der zu einem produktspezifischen Glauben führte. Allgemeine Vorstellungen von Produktbeurteilungen werden hier als generalisierbares Konstrukt von positiven (negativen) Assoziationen angesehen. Qualitätsbezogene Produktassoziationen können sich aus Erwartungen ergeben, die den allgemeinen Annahmen zugerechnet werden können. So kann bspw. die allgemeine Annahme vorherrschen, dass positive Qualitätsurteile für eine hohe (funktionelle) Produktqualität stehen. Damit zeigt die vorliegende Studie, dass beide Arten von Einflussfaktoren (externe Reize und allgemeine Annahmen) Erwartungen erzeugen, die Placebo-Effekte hervorrufen können. Diese beiden Effekte müssen nicht notwendigerweise in die gleiche Richtung wirken. Vorstellbar wäre auch, dass sie in eine gegenläufige Richtung weisen und damit gegenteilige Erwartungen auslösen: KonsumentInnen erwarten von gut bekannten Marken, dass sie besser funktionieren oder mehr leisten (Rao/Monroe 1989), obwohl (unabhängige) Testurteile nicht unbedingt die etablierteste (bekannteste) Marke als Testsieger darstellen. Es bedarf weiterer Forschungsarbeiten, um diese beiden Effekte gleichzeitig zu berücksichtigen, um ihre Interaktionseffekte im Hinblick auf die Entstehung von Placebo-Effekten zu analysieren. 5.3.3.2

Limitationen der Experimente

Die empirischen Studien dieser Arbeit haben, wie alle Experimente, methodische Grenzen, die zu Einschränkungen der Ergebnisse führen. Die Grenzen beziehen sich zum einen auf die externe Validität, zum anderen auf die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Als Versuchspersonen wurden ausschließlich Studierende herangezogen, die kein Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen (Soley/Reid 1983). Nichtsdestotrotz wird es durchaus als gängige bewährte Methode angesehen, in wissenschaftlichen Arbeiten Studentenstichproben zu verwenden. Die Ergebnisse und Schlüsse, die aus Experimenten mit Studenten gezogen werden, sollten aber hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit überprüft werden (Peterson 2001, Wells/Mithun 2003). Für die Studenten-Stichprobe spricht allerdings, dass sie in ihren soziodemographischen Merkmalen durchaus der Zielgruppe der getesteten Produkte entspricht (z. B. Sherrington 2003, S. 18). Weiter konnte das durchgeführte Experiment nicht unter strengen Laborbedingungen durchgeführt werden. Zwar wurden die jeweiligen Bedingungen (Auswahl der Studierenden, Räume, Raumtemperatur, Lärmpegel etc.) soweit wie möglich konstant gehalten, dennoch sind intervenierende Faktoren nicht vollständig ausgeschlossen. Ein weiterer möglicher Grund, der gegen die Generalisierbarkeit der Resultate sprechen könnte, ist, dass es sich bei den verwendeten Produkten, wie in der Studie von Shiv et al. (2005a), ausschließlich um schnelllebige Verbrauchsgüter (Fast Moving Consumer Goods), genauer

Empirische Untersuchung zum Placebo-Effekt der Marke

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um Lebensmittel handelte. Da die Experimente vorliegender Arbeit eine erweiterte Replikation der Untersuchung von Shiv et al. (2005a) darstellen, war es notwendig, die gleiche Produktkategorie zu wählen. Trotz der Einschränkung ist nicht auszuschließen, dass auch in anderen Produktkategorien ähnliche Effekte auftreten können. Wie in Abschnitt 2.1.5.1 dargelegt, entsteht der Nutzen (die aktuelle Effektivität) des Produktes durch eine Mitwirkung vom/von der Konsumenten/in, hier der Erfahrung, die der Konsument/die Konsumentin mit dem Produkt macht. Dieser Nutzen ergibt sich in den beschriebenen Experimenten aus der jeweiligen Verhaltenswirkung der KonsumentInnen in den Leistungstests. Shiv et al. (2005a) erwägen in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dass auch beim Gebrauch eines Automobils eine derartige Verhaltensänderung denkbar wäre. Sie konstatieren, dass es bei einem Szenario, bei dem ein Konsument ein im Preis reduziertes Auto, ein anderer ein Auto zum regulärem Preis kauft, vorstellbar wäre, dass der Konsument mit dem billigen Fahrzeug in seinem Fahrverhalten zu Unfällen neigen könnte. So wäre es vorstellbar, dass KonsumentInnen, die ein Automobil einer Qualitätsmarke fahren, durch hohe Qualitätserwartungen an die Sicherheit ein verändertes Fahrverhalten zeigen. Auch zeigen die Untersuchungen von Fries et al. (2006), dass eine Verhaltensänderung im Sinne eines Placebo-Effektes auch in anderen Produktkategorien möglich ist. In dieser Studie hatte die Namensgebung eines computergesteuerten Wissenstests direkte Auswirkungen auf das Verhalten im Test. Auch die Studie von Crum/Langer (2007) zeigte, dass Kommunikationsmaßnahmen einen direkten Einfluss auf das Verhalten hatten, der außerhalb des Bereiches von Fast Moving Consumer Goods stattfand. Eine weitere Einschränkung in Bezug auf die externe Validität der Experimente ist darin zu sehen, dass der Preis sowie weitere Faktoren des Marketing-Mix, wie bspw. die Einkaufsstätte (als Element der Vertriebspolitik) der Produkte nicht als unabhängige Variable miteinbezogen wurden. Zumindest bei selbst gekauften Produkten wird sich der Konsument an den Preis erinnern können. Damit ist eine einwirkende Beeinflussung auf die Beurteilung der Qualität des Produktes möglich (Warlop et al. 2005). Allerdings liegt der Vorteil eines Laborexperiments genau darin, weitere Einflüsse zu eliminieren, um Aussagen über einen konkreten Kausalzusammenhang machen zu können.

6

Fazit und Ausblick

Nachdem die Diskussion der empirischen Ergebnisse bereits im Anschluss an die jeweiligen Untersuchungen und zusammengefasst im vorhergehenden Abschnitt erfolgte, werden in diesem abschließenden Teil der Arbeit neben einem zusammenfassenden Fazit mögliche Implikationen als auch Konsequenzen für die unternehmerische Praxis sowie ein Forschungsausblick gegeben. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass der Nutzen von Produkten beim Gebrauch dieser, also im Nachkaufprozess, maßgeblich von Wahrnehmungsprozessen, insbesondere von den Erwartungen der KonsumentInnen an einzelne Produktattribute beeinflusst ist. Sie verdeutlicht – unter Zuhilfenahme einzelner Aspekte der Service-Dominant-Logic von Vargo/Lusch (2004/2006) – die Ansicht, dass der Nutzen im Verwendungsprozess durch das Produkt als „Transporteur der Leistung“ des Unternehmens und dem Mitwirken des/der Konsumenten/in in einer Koproduktion entsteht. Demnach ist der Nutzen eines Produktes nicht dem Produkt inhärent, sondern entsteht erst durch die Mitwirkung des/der Konsumenten/in. Unter diesem Aspekt wurden die Erkenntnisse der Pionier-Studie im Forschungsfeld der Placebo-Effekte im Marketing beschrieben. Shiv, Carmon und Ariely (2005a) konnten in diesen Untersuchungen zeigen, dass das Produktattribut Preis aufgrund intersubjektiver Erwartungen an die Höhe eines Preises einen Verhaltenseffekt auslöst, was den Nutzen eines Produktes (ein Energie-Getränk) unabhängig von dessen Inhaltsstoffen maßgeblich beeinflussen kann. Dieses beobachtete Phänomen – der Placebo-Effekt des Preises – wurde unterschiedlichen Nutzenbetrachtungen im Gebiet der Wirtschaftwissenschaft gegenüber gestellt. Es wurde herausgearbeitet, dass sowohl in Bereichen des Marketings als auch im Bereich des strategischen Managements Nutzenbetrachtungen existieren, die nicht mit dem in der Realität beobachteten Phänomen des Placebo-Effektes des Preises (Shiv et al. 2005a) einhergehen. Ebenso wurde in einem Exkurs in die Neoklassik gezeigt, dass auch hier die restringierenden Annahmen der Nutzenfunktion nicht mit dem Placebo-Effekt des Preises konform gehen können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Preis ein nutzenstiftendes Produktattribut darstellt. Auch ist der Preis aus der Sicht der Produktdimensionen nach Kotler et al. (2007) nicht von der Dimension des realen Produktes trennbar, da diese den Kernnutzen eines Produktes beschreibt. Da das Produktattribut Preis nach Bänsch (2002, auch Vershofen 1959) per definitionem keine funktionell-physische Eigenschaft darstellt, lassen sich auch hier die Erkenntnisse von Shiv et al. (2005a) nicht mit den theoretischen Ausführungen von Bänsch (2002) bzw. Vershofen (1959) vereinbaren. Auch eine der Basisannahmen der Nutzenbetrachtungen in der Neoklassik steht im Widerspruch zu den von Shiv et al. (2005a) beobachteten Ergebnissen.

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Fazit und Ausblick

Die Grundannahme, dass der Marktpreis durch den Nutzen der Güter determiniert ist, dreht sich hier ins Gegenteil: Der Preis der Güter determiniert den Nutzen. Nach einer Hinführung zum Thema über die Placebo-Forschung im medizinischen Bereich wurden die Termini Placebo und Placebo-Effekt festgelegt, um die Übertragung des medizinischen Phänomens in den Bereich der Marketing-Forschung verständlich zu machen. Weiter wurden die beiden – in der Literatur als wesentlich geltenden – theoretischen Entstehungsmechanismen des Placebo-Effektes dargelegt: Die Entstehung des Placebo-Effektes durch die Konditionierung und durch die Erwartungen. Auch wurde in diesem Abschnitt gezeigt, dass die beiden Theorien – nicht zuletzt durch die modernere Konditionierungsforschung (z. B. Rescorla 1988) – durchaus als ergänzende, nicht unbedingt als konkurrierende Entstehungsmechanismen des Placebo-Effektes verstanden werden können. Das Forschungsgebiet des Placebo-Effektes im medizinischen Bereich ist nach der veröffentlichten Studie „The Powerful Placebo“ von Beecher im Jahr 1955 immens gewachsen. Die Effekte, die in diesem Bereich mit Placebos (unterschiedlichster Form und Sorte) hervorgerufen werden, können zum einen subjektiver Art sein (Krankheitssymptome, z. B. das Schmerzempfinden, nehmen aus Sicht der PatientInnen ab, Benedetti 2008). Ebenso sind objektiv messbare Besserungen der Symptome als Ergebnis von Placebo-Verabreichungen dokumentiert (z. B. bei der Parkinson´schen Krankheit, Benedetti 2008). Das Forschungsgebiet der Placebo-Effekte im Marketing ist noch jung. Der Fokus der Forschung bezieht sich hier auf objektiv messbare Effekte. Als Auslöser (Placebos) dieser Effekte gelten extrinsische Produkteigenschaften, die durch Marketing-Maßnahmen beeinflussbar sind (bspw. der Preis, der Markenname eines Produktes). Die objektiv messbare Wirkung der extrinsischen Produkteigenschaften zeigt sich in der Wirkung der Produkte bei der Verwendung durch den/die Konsumenten/in. Mit den bisherigen Ergebnissen und den Ergebnissen der empirischen Forschung vorliegender Arbeit kann mit der Placebo-Forschung im Marketing-Kontext deutlich gemacht werden, dass Marketing-Maßnahmen einen bedeutsamen Einfluss auf das Konsumentenverhalten haben können. Der Preis, die Kommunikation in Form von Werbeaussagen und verschiedene Dimensionen der Marke können zusätzlich zur subjektiven Wahrnehmung eines Produktes die tatsächliche Wirkung eines Produktes determinieren. Die Forschungsarbeiten helfen dabei, besser zu verstehen, wie sich Marketing-Maßnahmen auf das Konsumentenverhalten im Nachkaufprozess auswirken. Wie mit den Ergebnissen des empirischen Teils der Arbeit verdeutlicht wurde, haben Markennamen einen signifikanten Einfluss auf die Wirkung von Produkten. Die Wahrnehmung des Markennamens und die Wahrnehmung der Qualität der Marke bestimmen offensichtlich die (oder einen Teil der) Realität. Es scheint demnach aus Unternehmenssicht ein Grund mehr

Fazit und Ausblick

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vorzuliegen, (starke) Marken aufzubauen und die Bekanntheit von Marken zu steigern. Dies gilt auch im Bereich der Hersteller von Me-too-Produkten. Möglicherweise liegt das Potential beim Aufbau des Markenimages im Bereich der Kommunikation des funktionalen Nutzens eines Markenproduktes. Der Einfluss (vielleicht sogar als Macht bezeichenbar) des Marketings bzw. der Marke kann Auswirkungen haben, die vorteilhaft für die unternehmerische Praxis genutzt werden können, aber auch kritisch betrachtet werden müssen. Denkbar ist, den Placebo-Effekt der Marke in der unternehmerischen Praxis vorteilhaft zu nutzen. Vor allem im Gastronomie-Bereich scheint es offenbar sinnvoll, bei gegebener Verwendung von Markenartikel zur Herstellung von Speisen dies entsprechend zu kommunizieren, als eine Art des Ingredient Branding. Weiß ein Konsument (z. B. ein Restaurant-Besucher oder ein Besucher einer Cocktail-Bar), dass zur Herstellung der Speisen bzw. zum Mixen eines Cocktails kein No-Name-Produkt, sondern ein Markenprodukt verwendet wurde, kann eventuell das Konsumerlebnis beeinflusst werden. Vorstellbar wäre bspw., dass nach dem Konsum von Alkohol-Mix-Getränken aus Markenprodukten die Kopfschmerzen als Folge ausbleiben könnten. Ebenfalls denkbar wäre, dass bestimmte Speisen besser vertragen werden, da der Konsument/die Konsumentin von den verwendeten Markenprodukten eine höhere Qualitätserwartung hat. Ein relativ aktuelles Beispiel, den Placebo-Effekt der Marke kritisch zu sehen, ist die Autidem-Regelung (die gesetzliche Grundlage hierfür ist § 129, SGB V)1, bzw. die möglichen Folgen dieser Regelung. Aut idem kommt aus dem Lateinischen und bedeutet eigentlich soviel wie oder das Gleiche und steht für eine Option, die auf Rezepten von einem Arzt/einer Ärztin bei der Verschreibung eines Medikaments angekreuzt werden kann. Die Regelung dient dazu, die Kosten des Gesundheitssystems zu senken. Setzen Ärzte dieses Kreuz, gilt paradoxerweise das Gegenteil (Günther 2002). Sie kennzeichnen damit, dass Apotheker exakt das genannte Medikament liefern müssen, welches von ihnen verschrieben wurde (also genau dasselbe, nicht das gleiche!). Wird das Kreuz nicht gesetzt (so bei durchschnittlich 84,5% der Rezepte, o. V. 2008), ist der/die liefernde ApothekerIn verpflichtet zu überprüfen, ob die Krankenkasse der PatientInnen einen Rabattvertrag mit Pharmaherstellern bzw. Generikaherstellern abgeschlossen hat. Existiert ein solcher Vertrag (was bei den meisten Krankenkassen der Fall ist, Wahl/Eversmann 2008), müssen die Apotheker zu einem preisgünstigeren Generikum greifen. Dieses muss zwar denselben Wirkstoff enthalten und in derselben Packungsgröße ausgegeben werden, der Name und der Preis des Produktes differieren hingegen

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Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477), zuletzt geändert durch Artikel 6 Nr. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2940)

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Fazit und Ausblick

im Vergleich zum ursprünglichen Markenprodukt. Folgt man den Ergebnissen des PlaceboEffektes der Marke (und dem des Preises), könnte das unerwünschte Folgen in der Wirkung der Medikamente haben. Die Möglichkeit, dass der Name des Medikaments keine Qualitätsassoziationen auslöst und damit schlechter wirkt als das ursprüngliche Markenprodukt ist zumindest denkbar. Die geplante (und bislang erfolgreiche) Strategie der Kostensenkung durch die Gesetzgebung könnte sich demnach negativ auf den Genesungsprozess der PatientInnen auswirken. Eine forcierte Kommunikationspolitik und ein Aufbau starker Marken (was wiederum mit hohen Kosten verbunden ist) im Sektor der Generika könnte einen eventuellen Effekt möglicherweise abmildern. Als Beispiel für den Aufbau einer „starken“ Marke sei hier der Generika-Hersteller Ratiopharm genannt. Dennoch sind im medizinisch-pharmakologischen Bereich Generika, und außerhalb dieses Bereiches bspw. Handelsmarken und Me-too-Produkte, meist billiger. Ein weiteres interessantes Thema in der Placebo-Forschung wäre das Untersuchen möglicher Interaktionseffekte vom Preis und der Marke eines Produktes. Denn selbst beim Aufbau eines starken Markenimages der Generika oder Handelsmarken stellt sich die Frage, ob dies einen eventuellen Placebo-Effekt des Preises eliminieren könnte. Bei Medikamenten ist es relativ leicht nachvollziehbar, dass der Placebo-Effekt im Sinne einer Symptomverbesserung, also einem Nutzen für KonsumentInnen (PatientInnen), auch wahrnehmbar ist. Anders sieht es bei der Zuschreibung einer Wirkungsveränderung außerhalb des medizinischen Bereiches aus. Wie im empirischen Teil dieser Arbeit erläutert, konnten die ProbandInnen offensichtlich ihre eigene tatsächliche Leistung nach dem Konsum des Energy-Drinks zunächst nicht einschätzen. Mit der Einsichtnahme in die (im Anschluss an die Studie) veröffentlichten Ergebnisse des Konzentrationstests wurde die Leistung erst sichtbar. Wie bereits angedeutet, gibt es an dieser Stelle weiteren Forschungsbedarf. Ob positive oder negative Erlebnisse einer Produktnutzung auch dem Produkt zugeschrieben werden, kann vom Attributionsstil der KonsumentInnen abhängig sein. Typischerweise werden positive Ereignisse eher internal, also sich selber und negative Ereignisse eher externalen Ursachen zugeschrieben. Es besteht also die Möglichkeit, dass ein gutes Abschneiden in einem Leistungstest eher dem eigenen Können als dem Produkt zugeschrieben wird (siehe auch Abschnitt 4.1.2). Diese Zusammenhänge in Bezug auf Placebo-Effekte im Marketing-Kontext zu untersuchen, wäre eine sinnvolle Erweiterung des Forschungsgebietes. Ist bekannt, dass ein Markenname einen Placebo-Effekt auslösen kann, also durch gesteigerte Erwartungen an das Produkt den Nutzen für den/die Konsumenten/in erhöht, könnte man diesen möglicherweise durch einen Markentransfer auf ein weiteres Produkt übertragen. Diese Vermutung lässt ebenfalls Spielraum für weitere Forschungsarbeiten.

Fazit und Ausblick

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Des Weiteren ist es unabdingbar für die Generalisierbarkeit der Aussagen, den Placebo-Effekt auch in anderen Produktkategorien nachzuweisen. Wie bereits am Beispiel des Autofahrens erläutert, besteht die Möglichkeit, je nach Erwartungen an Qualitätsdimensionen einzelner Marken (z. B. an das Bremsverhalten, Beschleunigungsverhalten) eine Veränderung des Konsumentenverhaltens im Sinne eines Placebo-Effektes zu generieren. Vorstellbar wären auch Forschungen im Bereich von Textilien (z. B. Nutzungshäufigkeit und -dauer eines Markenproduktes oder verändertes Auftreten einer Person mit Markenbekleidung) oder Forschungsarbeiten im Hochschulbereich. So zeigen bereits die Untersuchungen von Fries et al. (2006, Abschnitt 4.3), dass der Name eines Wissenstests einen Einfluss auf das Ergebnis dieses Tests haben kann. Auch im Bereich der Erziehungswissenschaft bzw. im Hochschulbereich wären weitere Forschungsarbeiten zu Placebo-Effekten interessant. So haben möglicherweise Bezeichnungen unterschiedlicher Fächer oder Kurse Auswirkungen auf die Erwartungen an die Kurse und damit Auswirkungen auf die mentalen Fähigkeiten der SchülerInnen oder StudentInnen. Diverse mögliche Marketing-Maßnahmen sind denkbar, die eventuell die Wirkung von Produkten beeinflussen können. Neben dem Preis, der Kommunikation und der Marke lässt der Bereich der Vertriebspolitik, als auch weitere Bereiche der Produktpolitik, wie bspw. die Verpackung oder die Farbe von Produkten weitere Forschungsmöglichkeiten im Bereich der Placebo-Forschung offen. Auch sind weitere Replikationen notwendig, um die Generalisierbarkeit der Aussagen zu gewährleisten.

Anhang Anhang 1: Kommentar zum Fragebogen des ersten Experiments und Fragebogen Der Fragebogen des ersten Experiments beinhaltet die Skala zur Messung der Kompetenzund Kontrollüberzeugung (FKK) von Krampen (1991), welche als eine Weiterentwicklung des Persönlichkeitskonstruktes Locus of Control nach Rotter (1966) angesehen werden kann (Krampen 1991). Wie in Kapitel 4.2.5 dargelegt, wurde die Möglichkeit eines Zusammenhangs dieses Persönlichkeitskonstruktes und der Entstehung eines Placebo-Effektes diskutiert. Aus diesem Grund wurde die Messung in das Experiment miteinbezogen. Aufgrund der fehlenden Bestätigung des Zusammenhangs wurde von einer Diskussion der Ergebnisse im empirischen Teil dieser Arbeit abgesehen. Um den Fragebogen im Originalzusammenhang einsehen zu können, wurde dieser Teil im Fragebogen belassen.

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Fragebogen des ersten Experiments (Gruppe A, bekannte Marke)

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Anhang 2: Kommentar zum Fragebogen des zweiten Experiments und Fragebogen Auch der zweite Fragebogen enthält Teile, die im Hauptteil der Arbeit nicht erwähnt wurden. Es handelt sich dabei zum einen um eine verkürzte Version des Fragebogens zur Kompetenzund Kontrollüberzeugung (Krampen 1991, siehe Kommentar Anhang 1) nach Bornmann/ Daniel (2000). Da auch hier kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitskonstrukt und der Entstehung eines Placebo-Effektes festgestellt werden konnte, wurden die Ergebnisse in der Hauptstudie nicht erwähnt. Weiter enthält er eine Skala zur Messung des Persönlichkeitsmerkmals nach dem Bedürfnis nach Bewertung (need to evaluate) nach Jarvis/Petty (1996) in einer deutschen Übersetzung von Collani (2002). Da die Erwartung an das Produkt auf einer Bewertung in Bezug auf dessen funktionale Qualität beruht, wurde ein Zusammenhang zwischen diesem Persönlichkeitsmerkmal und dem Placebo-Effekt vermutet. Da auch die Auswertung dieser Ergebnisse zu keinem signifikanten Ergebnis führte, wurden diese in der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert. Weiter wurde versucht, eine andere Art der Messung der abhängigen Variablen vorzunehmen (in Form eines Gedächtnistests, aus Institut für Test- und Begabungsforschung 1995, S. 74 f.). Bei der Analyse der Ergebnisse des Gedächtnistests zeigte sich kein Placebo-Effekt. Offensichtlich ist eine Gedächtnisleistung nicht durch Erwartungen an ein Produkt manipulierbar. Aus Gründen der Vollständigkeit wurden diese Elemente des Fragebogens nicht entfernt.

Anhang

Fragebogen des zweiten Experiments (Gruppe G, hohe Erwartungen an die Qualität)

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Anhang

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