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German Pages 520 [521] Year 1959
PHILOSOPHIE UND GESELLSCHAFT BEITRÄGE ZUM STUDIUM DER MARXISTISCHEN PHILOSOPHIE
PHILOSOPHIE UND GESELLSCHAFT B E I T R Ä G E ZUM STUDIUM DER M A R X I S T I S C H E N P H I L O S O P H I E HERAUSGEGEBEN
VON
W E R N E R PFOH UND HANS SCHULZE
A K A D E M I E - V E R L A G - B E R L I N 1958
Alle Rechte vorbehalten Copyright 1958 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH» Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Lizenz-Nr. 202 . 100/530/58 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer** Bad Langensalza Bestell« und Verlagsnuxnmer 5327 Printed in Germany
Vorwort In den vergangenen Jahren haben sich in der Deutschen Demokratischen Republik grundlegende sozial-ökonomische Veränderungen vollzogen, Unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hat die deutsche Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen werktätigen Schichten der Bevölkerung die Grundlagen des Sozialismus im wesentlichen errichtet. Die Erfolge, die dabei auf allen Gebieten des Lebens errungen wurden, haben das Ansehen unserer Bepublik im nationalen wie im internationalen Maßstab bedeutend gehoben. Das Tempo der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung hängt nunmehr vor allem von dem Fortschritt in der sozialistischen Bewußtseinsbildung unseres Volkes ab. Dazu sagte der Erste Sekretär des ZK der SED, Genosse Walter Ulbricht, auf einem Diskussionsabend des Deutschen Kulturbundes in Halle am 21. April 1958: „Wenn also der sozialistische Aufbau weitergeführt werden soll, und zwar mit Hilfe aller Kräfte der Arbeiterklasse, der Wissenschaftler, der Baiiern und anderer werktätiger Schichten, dann ist es notwendig, daß die Menschen bewußt an der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft teilnehmen, daß sie sich mit den allgemeinen Gesetzen der Entwicklung der Natur, der menschlichen Gesellschaft und des menschlichen Denkens vertraut machen." Die Lösung dieser Aufgabe ist aber auch von größter gesamtnationaler Bedeutung. Die imperialistischen Kräfte in Westdeutschland bemühen sich seit Jahr und Tag, die Bevölkerung auf die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Krieges zur gewaltsamen Angliederung der Deutschen Demokratischen Republik an Westdeutschland und zur militärischen Eroberung der polnischen Westgebiete ideologisch vorzubereiten. Wie ehemals Hitler lassen sie dabei kein Mittel ungenutzt. Terror und Demagogie werden gleichermaßen angewandt. Die gewaltigen Massendemonstrationen gegen die Pläne der Bonner Militaristen, die sogenannte Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten, zeugen aber davon, daß es ihnpn bislang bei weitem nicht gelungen ist, auf ideologischem Gebiet einen entscheidenden Erfolg zu erringen. Der Volkswiderstand gegen das Bonner Regime wird jedoch noch ganz andere Ausmaße annehmen, 5
wenn wir es verstehen, im Prozeß der sozialistischen Bewußtseinsbildung eine, wie Walter Ulbricht auf dem bereits genannten Diskussionsabend sagte, /.grundlegende Veränderung der moralisch-politischen Haltung der Bevölkerung auch in Westdeutschland zu erzielen". Der daraus resultierende Widerstand gegen die Bonner Imperialisten, die Einschränkung und Beseitigung ihrer Macht aber ist der einzig reale Weg zur Einheit Deutschlands! Jetzt kommt es also darauf an, das ganze Volk mit dem dialektischen und historischen Materialismus, der Philosophie der Arbeiterklasse, vertraut zu machen. Die Kenntnis der objektiven Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des Denkens wird den Werktätigen die Gewißheit geben, daß der Kampf um die Errichtung des Sozialismus und die Herstellung der Einheit Deutschlands den objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung entspricht, und sie ihre Anstrengungen zur Erreichung dieser großen Ziele verstärken lassen. Die entscheidende Bolle bei der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins wird die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands spielen. Der vorliegende Sammelband, der eine Auswahl von Aufsätzen über den dialektischen und historischen Materialismus enthält, mag für sein Teil zur Lösung dieser Aufgabe beitragen. Dief Artikel, die ausnahmslos der Feder sowjetischer Autoren entstammen, sind zum großen Teil bereits in deutschen Zeitschriften veröffentlicht worden. Einige wenige Artikel wurden neu übersetzt. Sämtliche "Übersetzungen wurden an Hand der sowjetischen Originalausgaben überprüft. Den Herausgebern bleibt die angenehme Pflicht, der Abteilung Wissenschaft und Propaganda des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Arbeitsgruppe Philosophiehistorische Texte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und dem Akademie-Verlag für ihre Anregungen, für sachkundige und wertvolle Hilfe zu danken. Die Herausgeber
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Inhalt Leitartikel: B. M. Kedrow: A. D. Alexandraw: D. Panow: P. Fedossejew: B. M. Kedrow: G. Kröber: M. M. Rosental: N. B. Bikkenin: 1. W. Nikolajew: M. P. Baskin: M. S. Selektor: F. Konstantinow:
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die E n t /wicklung der marxistischen Philosophie 9 Triumph des menschlichen Geistes 47 Dialektik und Wissenschaft 63 Wissenschaft und Sozialismus 85 Die revolutionäre Dialektik — die Seele des MarxismusLeninismus 105 Das Gesetz „Negation der Negation" 117 Über das Verhältnis der Gesetze des dialektischen Materialismus zu den Gesetzen der Einzelwissenschaften... Über die Bedeutung der „Philosophischen Hefte" W. I. Lenins Zum Problem der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen Die wesentlichen Entwicklungsetappen der Kategorie „Materie" Lenin über die sozialistische Ideologie in der Periode nach der Oktoberrevolution Das Prinzip der kommunistischen Parteilichkeit in der Ideologie Gegen den modernen Revisionismus
In der Einheit und Geschlossenheit der marxistischleninistischen Parteien liegt das Unterpfand der weiteren Siege des sozialistischen Weltsystems M. Di Kammari : Lenin über die Umwälzung in Basis und Überbau während der Periode der sozialistischen Revolution M. S. Selektor: Die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung und die bewußte Tätigkeit der Menschen im Sdzialismus B. S. Ukrainzew: Das Problem der rechtzeitigen Lösung von Widersprüchen in der sozialistischen Gesellschaft A. Leonidow: Die politische Rolle der Jesuiten im modernen Imperialismus E. D. Modrjinskaja: Verteidigung des Kapitalismus unter der Flagge des Sozialismus G. E. Glesermann: Das Allgemeine und Besondere in der historischen Entwicklung
141 157 179 205 223 239 263
Red. Artikel:
275 297 323 349 365 387 405
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W. P. Tugarinow:
Die Kategorien „gesellschaftliches Sein" und „gesellschaftliches Bewußtsein" 429
M J Kowaison-
Die Kategorien des historischen Materialismus
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' G. A. Gurew :
Hat es immer einen Glauben,an Gott gelgeben ?
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G. A. Kursanow:
Das reaktionäre Wesen der „natürlichen" Religion
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I. T. Frolow:
Determinismus und Teleologie
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Quellenverzeichnis
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Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die Entwicklung der marxistischen Philosophie Die Völker der Sowjetunion und die fortschrittliche Menschheit in aller Welt begingen den 40. Jahrestag der Sozialistischen Oktoberrevolution — den Tag, an dem die Befreiung der Arbeit vom Joch des Kapitals gefeiert wurde, als den Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der Gesellschaft. Die vierzigjährige Existenz des Sowjetstaates und die Erfolge, die in diesen Jahren bei der sozialistischen Umgestaltung der Wirtschaft, der Lebensweise, der Kultur, der Beziehungen zwischen den Klassen und Nationalitäten wie überhaupt aller Seiten des' gesellschaftlichen Lebens erzielt wurden, beweisen, daß der Sozialismus in unserem Zeitalter zu einer unüberwindlichen Kraft geworden ist, daß der Prozeß der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus eine bestätigte geschichtliche Gesetzmäßigkeit ist, an der keine Macht der Welt etwas ändern kann. Das tritt heute, wo sich nicht nur in unserem Lande, sondern in der ganzen Welt Veränderungen größten Ausmaßes vollzogen haben, besonders offen zutage. Heute haben außer der Sowjetunion noch eine Reihe anderer Länder den Weg des Sozialismus beschritten. Der Sozialismus ist aus einer Ordnung, die vorerst in einem einzelnen Lande gesiegt hatte, zum sozialistischen Weltsystem geworden.« Nur wer an hoffnungsloser Klassenblindheit leidet und den Blick vor den unwiderlegbaren Tatsachen der Gegenwart verschließt, kann heute noch leugnen, daß der Oktober 1917 der Wendepunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der ganzen Welt war. Bereits in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution schrieb W. I. Lenin: „Der Kommunismus ,wächst' buchstäblich aus allen Zweigen des gesellschaftlichen Lebens empor, seine Triebe sind absolut überall zu finden . . . Das Leben wird sich durchsetzen . . . Die Kommunisten müssen wissen, daß die Zukunft auf jeden Fall ihnen gehört.. ."1 Diese Worte Lenins wurden vom Leben selbst, vom gesamten Gang der Ereignisse der letzten Jahrzehnte bestätigt. Der Sozialismus hat ökono1 W. I. Lenin, Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus, Ausgewählte Werke Bd. II, Berlin 1955, S. 745.
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misch, politisch und ideologisch gesiegt und setzt seinen Siegeszug fort. Er siegt politisch, denn der sozialistische Staat, die neue Ordnung der sozialistischen Demokratie haben so unermeßliche Kräfte des Volkes frei gemacht und geweckt, wie sie in der Vergangenheit überhaupt nicht denkbar waren. Er siegt ökonomisch, denn die sozialistische Produktionsweise, die in unserem Lande bereits vorhanden ist und in anderen Ländern geschaffen wird, hat in historisch relativ kurzer Frist ihre unzweifelhafte Überlegenheit über die kapitalistische Produktionsweise bewiesen. Er siegt ideologisch, denn die gesamte Bewegung für die sozialistische Umgestaltung ist untrennbar mit der marxistischen Ideologie verknüpft, beruht auf der Lehre des Marzismus-Leninismus. Der Sieg des Sozialismus auf ökonomischem und politischem Gebiet ist nur deshalb möglich, weil der Sozialismus ideologisch siegt, weil die marxistische Weltanschauung in das Denken der breitesten Massen eindringt. Nicht umsonst suchen die heutigen Ideologen des Imperialismus so fieberhaft nach neuen Ideen, die sie den siegreichen Ideen des Kommunismus entgegenstellen und die wenigstens bis zu einem gewissen Grade von den Massen Besitz ergreifen könnten. Und nicht zufällig gibt man den bürgerlichen Theorien heute eine immer stärkere „sozialistische" Färbung; denn anders wäre es unmöglich, einen Weg zum Bewußtsein der Werktätigen zu finden und deren Unterstützung zu gewinnen. Aber das Leben, die Praxis, die geschichtliche Erfahrung der Menschen widerlegen die bürgerlichen Hirngespinste und verhelfen der marxistischen Ideologie zum Sieg. Seit dem Oktober 1917 haben der Marxismus und die marxistische Philosophie einen großen und schwierigen Weg zurückgelegt, dessen Ergebnisse geschichtlich hochbedeutsam sind. Eine, wenn auch allgemeine, gedrängte Analyse dieses Weges ist in jeder Beziehung lehrreich. Wichtig ist es vor allem, Klarheit über die Bedeutimg zu gewinnen, welche die schöpferische Entwicklung der marxistischen Philosophie für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft besitzt. 1. Die schöpferische Entwicklung des Marxismus und der marxistischen Philosophie — eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Errichtung des Sozialismus Der Zeitraum von 40 Jahren, der seit Errichtung der Sowjetmacht vergangen ist und in dem in der UdSSR der Sozialismus aufgebaut wurde, war eine Periode, in der die Richtigkeit des Marxismus und der marxistischen Philosophie allseitig geprüft und praktisch erprobt wurde. Wenn der Marxismus-Leninismus diese Prüfung ehrenvoll bestanden hat, dann deshalb, weil diese Lehre die objektiven Gesetze der Wirklichkeit richtig widerspiegelt. Der Marxismus ist, wie Lenin Bagte, deshalb allmächtig, weil er wahr ist. Der Marxismus faßt den Begriff der objektiven 10
Wahrheit und die Prüfung der Wahrheit jeder Theorie durch die Praxis dialektisch auf, d. h. als eine solche Widerspiegelung der Wirklichkeit, die der Veränderlichkeit der Wirklichkeit Rechnung trägt. Deshalb bleibt auch die Theorie selbst nicht starr; sie entwickelt und vervollkommnet sich ständig, indem sie neue historische Erfahrungen in sich aufnimmt und die Praxis unter neuen geschichtlichen Bedingungen verallgemeinert. Die Oktoberrevolution, die Errichtung des Sozialismus in der UdSSR haben den Marxismus als Ganzes und die marxistische Philosophie vor so viele neue schwierige Probleme gestellt, daß der Marxismus ohne eine schöpferische Weiterentwicklung nicht als theoretisches Werkzeug für die praktische Tätigkeit der Kommunistischen Partei hätte dienen können, die an der Spitze der Bewegung der Volksmassen für ein neues Leben steht. Um die große Lehre des Proletariats zu verleumden, behaupten unsere Feinde, daß der Marxismus im letzten halben Jahrhundert unfruchtbar geblieben sei und sich in einer Krise befinde. Wie üblich sekundieren den bürgerlichen Ideologen'die Revisionisten aller Schattierungen. Aus dem Lager der Feinde des Kommunismus hört man die Behauptung, die Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus sei dogmatisch; denn die Marxisten wollten die Prinzipien dieser Philosophie nicht revidieren. Besonders erbitterte Angriffe richten sich gegen das Prinzip der Parteilichkeit der marxistischen Philosophie. In Wirklichkeit ist aber die schöpferische Entwicklung des Marxismus die Bereicherung der marxistischen Methode, die Weiterentwicklung der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus und der marxistischen Soziologie, das heißt die Weiterentwicklung aller Gebiete unserer philosophischen Weltanschauung, ein integrierender Bestandteil des Prozesses, in dessen Verlauf eine neue, eine sozialistische Gesellschaft errichtet wird. Ohne sie wäre der Aufbau des Sozialismus undenkbar, wäre an eine Entwicklung der Wissenschaft der sozialistischen Gesellschaft nicht zu denken. Aber diese Entwicklung bedeutet nicht eine Revision der Grundlagen des Marxismus und seiner Methode, deren Richtigkeit durch den gesamten Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Wissenschaft geprüft und bestätigt worden ist, sondern eine Konkretisierung dieser Prinzipien, eine wahrhaft schöpferische Anwendung der marxistischen dialektischen Methode auf die Lösung der außerordentlich schwierigen Probleme der Gegenwart. Der Aufbau des Sozialismus vollzieht sich als ein Prozeß planmäßiger, bewußter Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dazu muß man die für den Aufbau des Sozialismus geltenden Gesetz kennen, dazu ist ein methodologisch richtiger Standpunkt erforderlich, um die vielen Probleme des wirtschaftlichen, staatlichen, nationalen und kulturellen
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Aufbaus zu bewältigen. Diesen Prozeß kann man nicht erfolgreich durchführen, ohne den Marxismus zu entwickeln, ohne das Instrument der marxistischen Dialektik ständig zu schleifen. Wird die gigantische Umgestaltung der Gesellschaft bewußt geleitet, so spiegelt sich jeder Fehler der Theorie sofort in der Praxis wider, schadet jeder derartige Fehler der Praxis. Daraus erklärt es sich, daß der Kampf auf dem Gebiet der Theorie vom Aufbau des Sozialismus so scharf geführt wird. Und wenn das Sowjetvolk es verstanden hat, seine Aufgabe erfolgreich zu lösen und das Gebäude des Sozialismus zu errichten, obwohl sich tagtäglich Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus in unserem Lande einstellten, und wenn das Sowjetvolk, das durch den Gang der Geschichte auf einen vorgeschobenen Posten im Kampf gegen die alte Welt und für eine neue Lebensordnung gestellt worden war, lange Jahre gegen eine feindliche Umwelt von kapitalistischen Staaten erfolgreich kämpfte, dann beweist dies, daß die Kommunistische Partei ihm den richtigen Weg gezeigt hat. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution wurde unter dem Banner des schöpferischen Marxismus vorbereitet und vollzogen. Sie fand unter geschichtlichen Bedingungen statt, die sich stark von der Situation unterschieden, in der die Begründer des Marxismus, Karl Marx und Friedrich Engels, lebten. Die Arbeiter, Bauern und Soldaten traten im Oktober 1917 zum Sturm gegen den Kapitalismus unter dem Banner der Leninschen Theorie der sozialistischen Revolution an, die den Marxismus den Bedingungen der Revolution, des neuen, höheren Stadiums des Kapitalismus — des Imperialismus — entsprechend schöpferisch konkretisiert hatte. Die proletarische Revolution in Rußland wurde im Kampf gegen den Dogmatismus der Menschewiki, gegen die metaphysische Erstarrung des Denkens derjenigen vorbereitet und vollzogen, die sich zwar als Marxisten bezeichneten, aber, wie sich Lenin ausdrückte, die lebendige Seele des Marxismus — seine Dialektik — ignorierten. Lenin hat darauf hingewiesen, daß unter den neuen Bedingungen, die sich aus der Ungleich mäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung des Kapitalismus ergaben, der Sieg des Sozialismus in einem einzelnen Land möglich, der gleichzeitige Sieg des Sozialismus in allen Ländern dagegen unmöglich ist. Ohne diese gewaltige Erkenntnis des schöpferischen marxistischen Denkens wäre es nicht nur unmöglich gewesen, die siegreiche Revolution zu vollziehen, es wäre auch unmöglich gewesen, den Sozialismus mit Überzeugung in einem einzelnen Lande zu errichten, das sich inmitten eines kapitalistischen Ozeans befand. Lenin hat die metaphysischen Dogmen der Menschewiki und anderer Quasi-Marxisten zerschlagen, die glaubten, eine sozialistische Revolution könne sich nur in einem wirtschaftlich hochentwickelten Lande voll-
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ziehen, in dem bereits „sämtliche" Voraussetzungen gegeben seien — ein hoh^r Stand der Produktivkräfte, der Kultur usw. In seinem hervorragenden Artikel „Über unsere Revolution" geißelte Lenin die Menschewiki und die übrigen „Helden" der II. Internationale gerade wegen ihrer dogmatischen, antidialektischen Einstellung zu den Fragen des Sozialismus; er schrieb: „Sie alle nennen sich Marxisten, fassen aber den Marxismus unerhört pedantisch auf. Das, was für den Marxismus entscheidend ist, haben sie absolut nicht begriffen: nämlich seine revolutionäre Dialektik."2 Lenin hat gezeigt, daß „Modifikationen der üblichen historischen Ordnung" in jedem Land, das eine Revolution vollzieht, unvermeidlich sind, daß eine aus den spezifischen Bedingungen des einzelnen Landes, aus konkreten internationalen Bedingungen resultierende Eigentümlichkeit nicht die „Gesamtlinie der Entwicklung der Welt" stört, sondern Ausdruck dieser Gesamtlinie ist. Warum, so fragte Lenin, kann Rußland nicht unter Ausnutzimg der günstigen Möglichkeiten der jetzt entstandenen revolutionären Situation zunächst die Gutsbesitzer und Kapitalisten aus dem Lande vertreiben, die Macht der Arbeiter und Bauern errichten und erst dann — gestützt auf diese Macht — alle notwendigen Voraussetzungen für die Vorwärtsbewegung zum Sozialismus schaffen ? „Hat sich denn dadurch die allgemeine Linie der Entwicklung der Weltgeschichte verändert ? Hat sich denn dadurch das grundlegende Wechselverhältnis der Hauptklassen in jedem Staate geändert, der in die allgemeine Bahn der Weltgeschichte hineinbezogen wurde und hineinbezogen wird?"3 Daß Lenin mit dieser Behandlung des Problems, die ein Beispiel für die schöpferische Auffassung des Marxismus ist und durch die Erfahrungen der Oktoberrevolution und die Errichtung des Sozialismus in der UdSSR voll bestätigt wurde, recht hatte, wird heute durch die historischen Erfahrungen, die die volksdemokratischen Länder Europas und Asiens auf dem Weg zum Sozialismus sammeln, erneut glänzend bestätigt. In jedem dieser Länder gibt es bei Gemeinsamkeit der grundlegenden Wege und Gesetze der sozialistischen Umgestaltung auch „Modifikationen der üblichen historischen Ordnung". In demselben, gegen die Dogmen der Reformisten und Opportunisten gerichteten Artikel schrieb Lenin prophetisch: „Unseren europäischen Spießbürgern fallt es nicht im Traume ein, daß die weiteren Revolutionen in den Ländern des Ostens, die unermeßlich reicher an Bevölkerung sind und sich durch die Mannigfaltigkeit der 2 W. I. Lenin, Über unsere Bevolution. Ausgewählte Werke, Bd. II, Berlin 1955, S. 996. s Ebenda, S. 998.
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sozialen Verhältnisse weit mehr unterscheiden, ihnen zweifellos noch mehr Eigentümlichkeiten präsentieren werden,' als die russische Revolution es getan hat." 4 Ein markantes Beispiel für diese Worte Lenins sind die sozialistische Revolution und der Aufbau des Sozialismus in der Volksrepublik China. Dort gibt es viel Ungewöhnliches in der Entwicklung der Revolution und beim Aufbau des Sozialismus; aber dieses „Ungewöhnliche" ist nichts anderes als eine schöpferische Anwendung der allgemeinen Prinzipien des Marxismus auf die eigenartigen sozialen Verhältnisse dieses Landes. Der XX. Parteitag der KPdSU hat durch seine Hinweise auf die Mannigfaltigkeit der Wege der sozialistischen Revolution den MarxismusLeninismus entsprechend der heutigen Situation schöpferisch weiterentwickelt. Die kommunistischen Bruderparteien bereichern den Marxismus-Leninismus durch seine Anwendung auf die konkreten Bedingungen der Befreiungsbewegung in ihren Ländern. In den Ländern des sozialistischen Lagers, aber auch in den Ländern der kapitalistischen Welt, ist jede kommunistische und Arbeiterpartei bemüht, die grundlegenden Aufgaben des Proletariats nicht schablonenhaft zu erfüllen, sondern die unvermeidlichen Veränderungen, Modifikationen zu berück-' sichtigen, denen die allgemeinen Gesetze des Kampfes für den Sozialismus unter den spezifischen Verhältnissen jedes einzelnen Landes unterliegen. Das aber bereichert den Marxismus unermeßlich, was die Revisionisten verschiedenster Art, die den Marxismus einfach ignorieren, natürlich nicht verstehen und daher irgendwelches ungereimtes Zeug darüber stammeln, daß es einen modernen Marxismus nicht gebe. Der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der UdSSR und in den Ländern der Volksdemokratie hat unserer Kommunistischen Partei, den Bruderparteien in anderen Ländern sowie den marxistischen Philosophen, Wirtschaftswissenschaftlern iisw. neue Probleme gestellt, die man nur dann lösen kann, wenn man sich auf einen schöpferischen, sich entwickelnden Marxismus stützt. Dazu gehört beispielsweise das Problem, welche Eigenart das Wirken der allgemeinen dialektischen Entwicklungsgesetze in der sozialistischen Gesellschaft aufweist. Es genügt heute nicht mehr, sich auf die Feststellung allgemeiner Wahrheiten über die Entwicklung durch Widersprüche, über den Übergang quantitativer Veränderungen in qualitative, über Sprünge in der Entwicklung usw. zu beschränken; heute kommt es darauf an, zu klären, worin die spezifische Eigenart des Wirkens dieser allgemeinen Gesetze unter den verschiedenartigen neuen Bedingungen besteht. Der Aufbau des Sozialismus verlangte die schöpferische Analyse und Untersuchung einiger besonders wichtiger soziologischer Probleme. Dazu 4
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Ebenda, S. 999.
gehörten u. a. das Problem der Bolle und der Stellung des sozialistischen Staates beim Aufbau der neuen Gesellschaft, das Problem der Klassen und des Klassenkampfes unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats, das Problem der Gesetzmäßigkeiten der Kulturrevolution und des Aufbaus der sozialistischen Kultur, der Herausbildung der sozialistischen Moral, die Frage nach Wegen zur Überwindung des Gegensatzes zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, zwischen Stadt und Land, der Kampf für die sozialistische Ideologie, der Kampf gegen das Alte im Bewußtsein der Menschen und vieles andere. Diese Fragen wurden vor allem in den genialen Werken W. I. Lenins, des großen Führers und Lehrers des Sowjetvolkes, in den Werken seiner Mitkämpfer und Schüler beantwortet. Sie wurden und werden auch heute noch beim Aufbau des Sozialismus durch den kollektiven Verstand der kommunistischen Parteien in den Beschlüssen dieser Parteien, in den Arbeiten ihrer Theoretiker — darunter auch ihrer Philosophen — gelöst. In dem Artikel „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" hat Lenin ein konkretes Programm für die Errichtung des Sozialismus entwickelt. Die schöpferische Entwicklung des Marxismus und die Lösung der neuen, im Verlauf des sozialistischen Aufbaus sich ergebenden Probleme erfolgen — wie die geschichtliche Erfahrung zeigt — in einem scharfen ideologischen Kampf. Die KPdSU hat erbittert gegen den Trotzkismus, den Rechtsopportunismus, den Nationalismus und andere dem Leninismus fremde Strömungen gekämpft und in diesem Kampf nicht nur den Leninismus yerteidigt, sondern auch die marxistisch-leninistische Lehre weiterentwickelt. Unter Führung der Partei kämpften die sowjetischen Philosophen gegen den menschewistischen Idealismus, der die überaus schädlichen Dogmen des Opportunismus aufgriff und die Philosophen von der gründlichen Bearbeitung der aktuellen Probleme des sozialistischen Aufbaus ablenkte, sowie gegen die Mechanisten, welche die Bogdanow-Bucharinsche Theorie des Gleichgewichts an die Stelle der marxistischen Dialektik setzten. Durch die gesamte Geschichte des Marxismus zieht sich der auch heute noch nicht abgeschlossene Kampf gegen den Revisionismus und gegen die dogmatische Verflachung des Marxismus und der marxistischen Dialektik durch die Opportunisten. Die Partei wandte sich gegen den Kult um die Person J . W. Stalins und gegen den mit diesem Kult zusammenhängenden Dogmatismus in der Theorie. Die Entlarvung der parteifeindlichen Gruppe Malenkow-Kaganowitsch-Molotow,' der sich Schepilow angeschlossen hatte, mit ihrem Dogmatismus, ihrem Sektierertum und ihrer Unfähigkeit, all das Neue zu sehen, das die heutige Situation kennzeichnet, ist eines der Glieder in dem beharrlichen, langwierigen geschichtlichen Kampf, den die KPdSU für die ideologische Reinheit des Marxismus und für dessen schöpferische Entwicklung führt. In diesem Kampf sind junge Marxisten heran15
gewachsen und gestählt worden, ist deren Fähigkeit gewachsen, schöp-f ferisch die neuen Probleme zu lösen, die das Leben gestellt hat. Betrachten wir kurz einige besonders wichtige Probleme der marxistischen Philosophie, die im Verlauf des sozialistischen Aufbaus in unserem Lande schöpferisch weiterentwickelt wurden. 2. Das Problem der Überwindung der Widersprüche in der bürgerlichen Gesellschaft und das Problem des neuen Typs der Widersprüche in der sozialistischen Gesellschaft Nach dem Siege der proletarischen Revolution sah sich die marxistische Philosophie vor die Fragen der Dialektik des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft gestellt, Lenin sagte, die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft sei nur ein Sonderfall der Dialektik im allgemeinen. Die sowjetischen Marxisten standen vor dem neuen Problem: Worin besteht das Spezifische der Dialektik des Werdens und der Entwicklung des Sozialismus ? Der Erfolg der praktischen Tätigkeit des Volkes und der Partei hing unmittelbar davon ab, daß dieses Problem und besonders die Präge der Widersprüche unserer Entwicklung auf dem Wege zum Sozialismus richtig gelöst wurden. Marx und Engels haben eine geniale Analyse der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise ausgearbeitet und den Weg gezeigt, auf dem diese Widersprüche zu lösen sind. Sie konnten jedoch im Hinblick auf den Weg und die Methoden zur Überwindung dieser Widersprüche nur allgemeine Hinweise geben. Nach der Sozialistischen Oktoberrevolution erwies es sich als notwendig, diese Fragen zu lösen und dabei das allgemeine Gesetz der dialektischen Entwicklung durch den Kampf der Gegensätze auf den konkreten Prozeß der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft anzuwenden. Von Beginn der Revolution an kämpfte Lenin gegen eine abstrakte Betrachtung der Widersprüche der Übergangsperiode. Er forderte, man müsse sich in jeder Etappe des sozialistischen Aufbaus fest auf den Boden einer konkreten Analyse der konkreten Widersprüche stellen und aus dem komplizierten Netz mannigfaltiger Widersprüche die Hauptwidersprüche auswählen, von deren Lösung die Entscheidung aller übrigen Fragen abhängt. Lenin lehrte, in der gesamten Periode des Übergangs zum Sozialismus bestehe der Hauptwiderspruch in dem Widerspruch zwischen Kapitalismus und Sozialismus, zwischen der neuen sozialistischen Formation und den kapitalistischen Elementen in der Ökonomik. Gleichzeitig geißelte Lenin aber auch mit aller Schärfe jene jämmerlichen Theoretiker, die sich „daran gewöhnt haben, abstrakt den Kapitalismus dem Sozialismus gegenüberzustellen", und es nicht verstanden, die konkrete Verflechtung der verschiedenen Formationen in der Ökonomik der Über-
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gangsperiode zu entwirren. Im Jahre 1918 übte Lenin beispielsweise eine scharfe Kritik an den sogenannten „linken Kommunisten". Diese hatten sich dagegen ausgesprochen, Elemente des Staatskapitalismus zuzulassen, weil sie nicht verstanden, daß diese unter der Diktatur des Proletariats den Übergang zum Sozialismus und die Überwindung der Anarchie des Marktes erleichterten. W. I. Lenin gelangte auf Grund einer Analyse der durch mehrere Wirtschaftsformen gekennzeichneten damaligen Ökonomik des Sowjetlandes zu der Feststellung, daß infolge des Vorhérrschens der kleinbürgerlichen Anarchie die Gefahr bestehe, daß diese Anarchie die staatliche Regelüng und Kontrolle vereitele. Er stellte damit die Frage nach den Widersprüchen der Ökonomik der Übergangsperiode auf einen konkreten Boden. Er wies auf eine Gefahr hin, die die „linken Kommunisten" — die Wortführer der Meinbürgerlichen Anarchie — nicht sahen: auf die Gefahr, daß der Privatkapitalismus und die kleinbürgerliche Anarchie damals zusammen sowohl gegen den „Staatskapitalismus" als auch gegen den Sozialismus kämpfen würden, „gegen jede staatliche Einmischung, Rechnungslegung und Kontrolle, mag sie nun eine staatskapitalistische oder staatssozialistische sein".6 Der Staatskapitalismus hat sich bekanntlich aus bestimmten Gründen in der Sowjetunion nioht entwickelt. In China werden die Formen des Staatskapitalismus dagegen weitgehend dazu benutzt, das Fundament der sozialistischen Wirtschaft zu errichten. Die KPdSU griff in jeder geschichtlichen Etappe des sozialistischen Aufbaus das Hauptkettenglied, den Hauptwiderspruch heraus, wies den Massen die Wege zu seiner Überwindung und löste damit den Hauptwiderspruch in der Übergangsperiode — den Widerspruch zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Ein wichtiges, in den Werken Lenins, in den Beschlüssen der Partei durchgearbeitetes philosophisch-methodologisches Problem war hierbei die Frage nach den Wegen zur Überwindung der in der Übergangsperiode bestehenden Widersprüche verschiedenen Typs. Im Kapitalismus ist der antagonistische Widerspruch zwischen den beiden Hauptklassen — der Bourgeoisie und dem Proletariat — der hauptsächliche Klassenwiderspruch. Diese Situation ändert sich aber nach der sozialistischen Revolution grundlegend. In der Periode des'Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus existieren neben dem antagonistischen Widerspruch zwischen'den Überresten der Ausbeuterklasse und den Klassen der Werktätigen auch nichtantagonistische Widersprüche, die jetzt besondere Bedeutung erlangen; dazu gehören zum Beispiel die Widersprüche zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft; Den Sozialismus kann man nur aufbauen, wenn sowohl die einen als auch die anderen Widersprüche 5
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W. I. Lenin, Sämtliche Werke, Bd. XXII, Zürich 1934, S. 589.
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gelöst werden. Aber diese Widersprüche sind ihrer Natur nach verschieden, und folglich sind auch die Methoden und Wege zu ihrer Lösung verschieden. Diese Methoden und Wege sind in den Werken Lenins, in den Beschlüssen unserer Partei dargelegt worden. Die Frage des Unterschiedes zwischen antagonistischen und nichtantagonistischen Widersprüchen und die verschiedenen Wege ihrer Entwicklung und Lösung wurden daher nach der Oktoberrevolution zu einem Hauptproblem der philosophischen Forschung. Über dieses Problem ist in der Sowjetunion eine umfangreiche philosophische Literatur vorhanden. Den Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage bildete die These Lenins, daß Antagonismus und Widerspruch nicht ein und dasselbe sind: Der erstere verschwindet im Sozialismus, der zweite bleibt bestehen. Lenin kritisierte die falsche, metaphysische Ansieht Bucharins, daß im Sozialismus alle Widersprüche verschwänden. Die von Bucharin propagierte Gleichgewichtstheorie simplifizierte und verschleierte die Widersprüche der Übergangsperiode, trug Verwirrung in die Frage der Widersprüche verschiedenen Typs und der Widersprüche als der Quelle von Bewegung und Entwicklung. Lenin hat durch seine Werke, in denen er die Widersprüche zwischen den Formationen und Klassen in der Übergangsperiode einer gründlichen Analyse unterzog, die materialistische Dialektik bereichert, die Lehre vom Kern der Dialektik — dem Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze — konkretisiert und weiterentwickelt, indem er den spezifischen Charakter des Wirkens dieses allgemeinen Gesetzes in der Übergangsperiode -vom Kapitalismus zum Sozialismus darlegte. Der Klassenkampf ist der konzentrierte Ausdruck aller ökonomischen und sozial-politischen Widersprüche der Klassengesellschaft. Auch nachdem die Diktatur des Proletariats errichtet ist, hört der Klassenkampf nicht auf. Aus den Erfahrungen, welche die UdSSR beim Aufbau des Sozialismus sammelte, hat Lenin durch Verallgemeinerung außerordentlich wichtige philosophisch-theoretische Schlüsse für die Gesetzmäßigkeiten des Klassenkampfes nach dem Sturz der Herrschaft der Bourgeosie gezogen. Lenin verdanken wir die allen Marxisten bekannte Analyse der fünf neuen Formen des Klassenkampfes in der Übergangsperiode. Die Formen des Klassenkampfes, in denen die Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuterklassen zum Ausdruck kommt, sind durch antagonistische Widersprüche hervorgerufen. Solche Formen des Klassenkampfes dagegen, wie die Erziehung zu einer neuen, sozialistischen Disziplin oder die Führung der Bauernschaft durch den Staat, sind der Ausdruck nichtantagonistischer Widersprüche, die sich in anderer Weise entwickeln und anders gelöst werden als die antagonistischen Widersprüche.
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Der Prozeß der Lösung der Widersprüche "wurde von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unter Berücksichtigung sowohl der Unterschiede zwischen den antagonistischen und den nichtantagonistischen Widersprüchen als auch der konkreten Bedingungen ihrer Entwicklung und Lösung geleitet. Auf den erbitterten Widerstand, den die Ausbeuterklassen innerhalb des Landes dem Sozialismus entgegensetzten, antwortete der von einer feindlichen kapitalistischen Umwelt eingekreiste Sowjetstaat mit schonungsloser Unterdrückung der Ausbeuter. Die Partei und der Staat kämpften aber dagegen, diese Methoden der Lösung antagonistischer Widersprüche auf die Bauernschaft, den Verbündeten der Arbeiterklasse, anzuwenden. Die Widersprüche zwischen der sozialistischen Industrie und der Einzelbauernwirtschaft wurden durch das Bündnis mit der Bauernschaft, durch Überzeugung, durch Umerziehung der Bauern und durch den allmählichen sozialistischen genossenschaftlichen Zusammenschluß der Landwirtschaft gelöst. Lenin deckte nicht nur die Widersprüche, sondern auch die Gemeinsamkeit der Interessen der Arbeiter und Bauern auf, eine Gemeinsamkeit, die die Grundlage ihres Klassenbündnisses im Kampf gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten und beim Aufbau des Sozialismus bildet. Lenin sagte, die Arbeiterklasse und die Einzelbauernschaft seien zwei verschiedene Klassen; ihre ökonomische Lage sei verschieden, ihre Ideologie und Mentalität ebenfalls. Ihre Bestrebungen gerieten oft in Widerspruch zueinander, aber in der sozialen Ordnung der Diktatur des Proletariats führten diese Widersprüche nicht zum Konflikt und zu sozialen Zusammenstößen, wie die Trotzkisten behaupteten. Als dialektischer Materialist wies Lenin die Partei aber gleichzeitig darauf hin, daß sich bei einer falschen Politik das Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft zur Spaltung entwickeln und der nichtantagonistische Widerspruch folglich zu einem Konflikt entwickeln könne. Durch die richtige Linie der Kommunistischen Partei wurden die nichtantagonistischen Widersprüche zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft bei uns richtig und rechtzeitig gelöst, wodurch das Bündnis der Arbeiter und Bauern gefestigt wurde. Infolge bestimmter objektiver Umstände, die einen scharfen Klassenkampf in unserem Lande bedingten, bestanden bei uns nicht die Voraussetzungen für eine friedliche Umwandlung antagonistischer Widersprüche in nichtantagonistische, abgesehen von solchen Tatsachen wie den Übergang eines Teils der alten, bürgerlichen Intelligenz von einer dem Sozialismus feindlichen Haltung zu den Positionen der Arbeiterklasse, was von den Erfolgen des sozialistischen Aufbaus und der Erziehungsarbeit von Partei und Staat bewirkt wurde. Daß unter bestimmten konkreten Bedingungen eine derartige Umwandlung nicht ausgeschlossen ist, zeigen die Erfahrungen Chinas, wo bekanntlich beacht2*
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liehe Schichten der bürgerlichen Klasse beim Aufbau der sozialistischen Wirtschaft mit der Arbeiterklasse zusammenarbeiten und allmählich umerzogen werden. Mao Tse-tung hat in seiner Rede „Über die richtige Lösung von Widersprüchen im Volke", die einen bedeutungsvollen Beitrag zur Lehre der marxistischen Dialektik von den Widersprüchen darstellt, darauf hingewiesen, daß die Widersprüche zwischen dem Proletariat und der nationalen Bourgeoisie Chinas zwar an und für sich antagonistisch sind, aber unter, den konkreten Verhältnissen dieses Landes, wenn sie richtig behandelt werden, „in nichtantagonistische umgewandelt und auf friedlichem Wege gelöst werden können". Nachdem das Sowjetvolk den Sozialismus im wesentlichen errichtet hat, kämpft es jetzt für die Vollendung des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft und für den allmählichen Übergang zur kommunistischen Gesellschaft. In der Sowjetgesellschaft sind die hauptsächlichen spezifischen Widersprüche der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus überwunden. Die antagonistischen Widersprüche sind für immer beseitigt. Aber das bedeutet natürlich nicht, daß die Widersprüche überhaupt verschwunden wären. Der allmähliche Übergang von einem niedrigeren Stadium zu einem höheren ist durch seine konkreten, der Weiterentwicklung unseres Landes innewohnenden Widersprüche gekennzeichnet. Die Sowjetwissenschaft hat bereits eine gewisse, wenn auch noch völlig unzureichende Arbeit geleistet, um das Wesen dieser Widersprüche und die Wege zu ihrer Lösung zu finden. Sehr wichtig sind dabei die Beschlüsse der Partei zu den grundsätzlichen Fragen des kommunistischen Aufhams, in denen die neuen geschichtlichen Erfahrungen, die bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft gesammelt werden, verallgemeinernd zusammengefaßt sind. In den letzten Jahren haben die sowjetischen Philosophen einige falsche Ansichten überwunden, die eine tiefgreifende wissenschaftliche Analyse der spezifischen Widersprüche der sozialistischen Gesellschaft behinderten. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang die Untersuchung der Widersprüche in der Entwicklung der sozialistischen Produktionsweise, der Widersprüche zwischen Produktivkräften einerseits und den Produktionsverhältnissen andererseits, die die Weiterentwicklung und Vervollkommnung der Produktionsverhältnisse erforderten. Ebenso wie die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus besitzt auch die Periode des allmählichen Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus ihre eigenen besonderen Widersprüche, deren Lösung ungeheure Mühe erfordert und sich über einen ganzen Entwicklungsabschnitt erstreckt. Einen der wichtigsten Widersprüche dieser Periode haben Marx in der „Kritik des Gothaer Programms" und Lenin in „Staat und Revolution" sowie in änderen Arbeiten analysiert. Dieser Widerspruch besteht darin, daß im Sozialismus erreicht ist, daß die
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Werktätigen im Hinblick auf das Eigentum an den Produktionsmitteln gleich sind. In der sozialistischen Gesellschaft herrscht die sozialistische Eigentumsform, wenn es auch innerhalb dieser Form noch weiterhin den wichtigen Unterschied zwischen Volkseigentum, Staatseigentum einerseits und kollektivwirtschaftlich-genossenschaftlichem Eigentum andererseits gibt und deshalb noch der Unterschied zwischen Arbeitern und Kollektivbauern als sozialen Gruppen fortbesteht. Im Sozialismus bleibt unvermeidlich noch die Ungleichheit in der Verteilung der Konsumgüter bestehen, weil die Menschen nicht nach ihren Bedürfnissen, sondern nach der Quantität und Qualität der geleisteten Arbeit die Konsumgüter erhalten. Der Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus wird auch diesen allgemeinen Widerspruch und verschiedene andere mit ihm zusammenhängende Widersprüche lösen, die sich aus den noch fortbestehenden wesentlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land, zwischen körperlicher und geistiger Arbeit ergeben. Bei der Lösung der spezifischen Widersprüche in der Vorwärtsbewegung zur vollentwickelten kommunistischen Gesellschaft kommt es entscheidend darauf an, daß die materielle Produktionsbasis des Kommunismus geschaffen wird, daß die Produktivkräfte auf der Grundlage der vorrangigen Entwicklung der Produktion von Produktionsmitteln einen neuen machtvollen Aufschwung nehmen. Diesem Zweck dient der Kampf der Partei für die Lösung der wichtigsten ökonomischen Aufgabe: die führenden kapitalistischen Länder in der Produktion pro Kopf der Bevölkerung einzuholen und zu überholen. Gerade das ist jetzt das nächste und wichtigste Kettenglied, das man ergreifen muß, um die Voraussetzungen für die Überwindung anderer Widersprüche zu schaffen, die sich beim Aufbau des Kommunismus ergaben. Es wäre natürlich falsch, anzunehmen, daß alle Probleme auf dem Gebiet der Widersprüche in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft und beim allmählichen Übergang der sozialistischen Gesellschaft zum Kommunismus bereits geklärt wären, daß es hier keine ungelösten Probleme mehr gäbe. Tatsächlich müssen die Philosophen noch sehr ernsthaft arbeiten, um zu dem heroischen und edlen Kampf für den Kommunismus beizutragen, den das Sowjetvolk unter Leitung der Kommunistischen Partei führt. Und was die Hauptsache ist, die philosophische Erforschung dieser Probleme muß sich auf eine Analyse konkreter Prozesse, auf die Kenntnis des Tatsachenmaterials stützen; denn unsere Arbeiten über dieses Thema enthalten noch allzu viele abstrakte Gedankengänge. Neben der Frage der inneren Widersprüche der Entwicklung im Sozialismus hat unter den neuen Bedingungen auch die Frage der äußeren Widersprüche zwischen der UdSSR und den kapitalistischen Staaten eine große theoretische und praktische Bedeutung erlangt. Heute geht
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es dabei um den Widerspruch zwischen den Ibeiden Weltsystemen —• dem sozialistischen und dem kapitalistischen. Dieser Widerspruch ist seiner Natur nach antagonistisch, und er wird in den Formen des Kampfes entwickelt und gelöst, die diesem Typ von Widersprüchen eigen sind. Aber auch in diesem Falle haben sich die Kommunistische Partei und ihr Führer und Lehrer Lenin nicht darauf beschränkt, das Problem des antagonistischen Charakters dieses Widerspruchs ganz allgemein zu betrachten. Lenin hat nachgewiesen, daß durch die eigenartige Dialektik der historischen Entwicklung der Gesellschaft zum Sozialismus ein lange andauerndes Nebeneinanderbestehen sozialistischer und kapitalistischer Staaten unvermeidlich ist. Die Partei und der Sowjetstaat lassen sich in ihrer Außenpolitik vom Leninschen Prinzip der friedlichen Koexistenz von Ländern mit unterschiedlicher Staats- und Gesellschaftsordnung leiten und kämpfen für einen friedlichen Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus, gegen die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Die Kommunisten sind die leidenschaftlichsten und unbeugsamsten Kämpfer für den Frieden. In ihrem Kampf für den Frieden, für den friedlichen Wettbewerb zwischen Kapitalismus und Sozialismus läßt sich die Kommunistische Partei von einer gründlichen philosophischen Erfassung der dialektischen Entwicklung der Widersprüche in der geschichtlichen Epoche des Zusammenbruchs des Kapitalismus und der Entstehung des Sozialismus leiten. Die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus haben dazu beigetragen, die Thesen der marxistischen Dialektik über die Sprünge, über die Formen des Überganges von einer alten Qualität zu einer neuen zu bereichern und zu vervollkommnen, die durch den Typ der den verschiedenen Entwicklungsprozessen in Natur und Gesellschaft eigenen Widersprüche bedingt sind. Im Gegensatz zu den antagonistischen Widersprüchen, die in den von Klassengegensätzen gekennzeichneten Gesellschaftsformationen bestehen und unvermeidlich zu gewaltsamen, elementaren Ausbrüchen, zu sozialen Konflikten von höchster Schärfe und zu Erschütterungen der gesamten Gesellschaft führen, werden die nichtantagonistischen Widersprüche im Sozialismus durch planmäßige, bewußte Tätigkeit des Volkes, der Partei, des Staates gelöst. Daraus ergeben sich insofern einige wichtige Besonderheiten der qualitativen Umgestaltungen im Sozialismus, da sich diese stets entsprechend der Vorbereitung und dem Heranreifen der notwendigen Voraussetzungen vollziehen. Das Leben hat neue Formen von Sprüngen, von qualitativen Veränderungen geschaffen. Der Widerstand der Ausbeuterklassen, die der Gesellschaft den Weg zum Sozialismus gewaltsam zu verlegen suchen, ruft unvermeidlich einen Ausbruch aller sozialen, klassenmäßigen Widersprüche und den Übergang zu etwas Neuem, einen Sprung hervor, der sich gewöhnlich auf einmal, mit einem 22
mächtigen, das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft grundlegend verändernden Vorstoß der revolutionären Kräfte vollzieht. Anders liegen die Dinge im Sozialismus, wo es keine Ausbeuterklassen mehr gibt, wo es sich um heranreifende qualitative Veränderungen in der sozialistischen Ökonomik selbst und um die Umerziehung der werktätigen Klassen handelt. Hier vollziehen sich die qualitativen Veränderungen, die Sprünge von einem alten zu einem neuen Zustand vorwiegend in Form eines stetigen Prozesses. Das resultiert aus der Natur dieser neuen Erscheinungen, aus dem nichtantagonistischen Charakter der Widersprüche. Lenin schenkte dieser Besonderheit der gesellschaftlichen Entwicklung unter der Diktatur des Proletariats und beim Aufbau des Sozialismus ganz besondere Aufmerksamkeit. Die wichtigste Seite des Leninschen Genossenschaftsplans war die kategorische Forderung, die Tatsache zu beachten, daß gegenüber der Bauernschaft keinerlei Gewalt geduldet werden darf, daß die Aufgabe der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft stetig in dem Maße gelöst werden kann, in dem die Bauernschaft diese Notwendigkeit erkennt, also auf der Grundlage des Prinzips des freiwilligen Eintritts in die Genossenschaften. Daß die qualitativen Umgestaltungen in einem stetigen Prozeß erfolgen müssen, hat Lenin auch in seinen Arbeiten über den Übergang von einem niedrigeren Stadium des1 Kommunismus zu einem höheren hervorgehoben. Er hat zum Beispiel daraufhingewiesen, daß sich die Menschen beim Übergang zum Kommunismus nach und nach daran gewöhjien werden, die „Regeln des Zusammenlebens einzuhalten, sie ohne Gewalt, ohne Z w a n g . . . einzuhalten". Er sagte, der für die Zeit nach der Errichtung des Kommtinismus von Engels gebrauchte Ausdruck „der Staat stirbt ab" sei „sehr treffend gewählt, denn er d e u t e t . . . auf die Stetigkeit des Prozesses . . . hin". 6 In den Beschlüssen der KPdSU wird dieses Moment der Stetigkeit des Überganges vom Sozialismus zum Kommunismus gleichfalls besonders betont. Für die Praxis des kommunistischen Aufbaus ist es ungeheuer wichtig, daß dieses neue Moment in der Dialektik der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft gründlich aufgedeckt wurde. ' Eine ebenso große Rolle spielt auch die Untersuchung von Kritik und Selbstkritik als der für die sozialistische Gesellschaft spezifischen Form des Kampfes zwischen dem Neuen und dem Alten, als der Form, in der die Widersprüche aufgedeckt und überwunden werden. Durch die Erforschung dieser Form der Dialektik des Sozialismus wurde eine der wichtigsten Triebkräfte der Entwicklung der Gesellschaft unter den neuen geschichtlichen Bedingungen aufgedeckt. * W. I. Lenin, Staat und Revolution, Ausgewählte Werke, Bd. II, Berlin 1955, S. 226.
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Somit hat die Verallgemeinerung der Erfahrungen, die im Kampf für die Lösung der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft und im Kampf für die Lösimg der spezifischen inneren Widersprüche der sozialistischen Gesellschaft, aber auch der äußeren Widersprüche zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen System, gesammelt wurden, die Lehre der marxistischen Dialektik von den Widersprüchen als der Quelle der Entwicklung konkretisiert, die Lehre vom Kern der Dialektik bereichert. 3. Das Problem des Staates und seiner Rolle beim, Aufbau des Sozialismus und Kommunismus Die Widersprüche der alten Gesellschaft erfolgreich zu lösen, nach dem Sturz der Ausbeuterklassen deren Widerstand zu unterdrücken, alle Werktätigen auf die Seite des Sozialismus zu ziehen und die Gesellschaft nach sozialistischen Grundsätzen umzugestalten, vermag die Arbeiterklasse nur mit Hilfe ihres eigenen Staates, mit Hilfe der Diktatur des Proletariats. Daraus ergibt sich klar, weshalb die Frage des Staates nach dem Sturz der politischen Macht der Bourgeoisie, das Schicksal des Staates im Prozeß der Errichtung des Sozialismus und des Kommunismus größte Bedeutimg gewinnt. Dies ist zweifellos eines der dringendsten und aktuellsten soziologischen Probleme der Gegenwart. Lenin hat daraufhingewiesen, daß von den bürgerlichen Philosophen, Soziologen und Politikern nichts so verworren behandelt worden ist, wie gerade das Problem des Staates. Und das ist auch erklärlich, wenn man in Betracht zieht, daß es dem Klasseninteresse der Bourgeoisie entspricht, das Klassenwesen des Staates, der bürgerlichen Demokratie, der Politik des Imperialismus zu verhüllen. Die Kernfrage des Staates besteht darin, welche Klasse die politische Macht besitzt, die Gesellschaft führt; es ist das Hauptproblem der Politik, und Politik ist — wie Lenin lehrt — der konzentrierte Ausdruck und die Verallgemeinerung der Ökonomie. Der Staat ist der wichtigste Teil des Überbaus der'Gesellschaft. Alle grundlegenden, mit dem Staat zusammenhängenden Fragen( wurden vom Marxismus, von der marxistischen Soziologie schon vor dem Oktober 1917 im Kampf gegen die bürgerliche Wissenschaft, gegen den Anarchismus und den Opportunismus wissenschaftlich gelöst. Aber der Kampf um diese Fragen entbrannte erneut mit besonderer Schärfe, als das Proletariat von der Geschichte praktisch an die Vernichtung des bürgerlichen Staates, d. h. der Diktatur der Bourgeoisie, und an die Schaffung eines eigenen, sozialistischen Staates herangeführt wurde. Die Periode des unmittelbaren Kampfes um die Eroberung der politischen Macht
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durch die Arbeiterklasse und für den Aufbau des Sozialistischen Staates wurde zu einer Periode, in der sich der revolutionäre Marxismus von den verschiedenen Spielarten des modernen Opportunismus und Sozial reformismus abgrenzen mußte. Die sozialistische Revolution und der Aufbau des Sozialismus in der UdSSR stellten alle mit dem Staat, mit seinen Aufgaben, seinen Funktionen, seiner Rolle in der Entwicklung der Gesellschaft zusammenhängenden Fragen auf neue Axt. Es traten viele neue konkrete Probleme auf, für welche die Begründer des Marxismus nur allgemeinste Hinweise gegeben oder die sie überhaupt nicht aufgeworfen haben, ja, zu ihrer Zeit nicht einmal aufwerfen konnten. Es ist daher kein Wunder, daß die Fragen des Staates,' der Diktatur des Proletariats, der sozialistischen Demokratie zu einem 'Zentralproblem der schöpferischen Weiterentwicklung des Marxismus und der marxistischen Philosophie in unserer Zeit geworden sind. Besonders große Bedeutung hatten und haben hier folgende Fragen: 1. die Frage dex^ Diktatur des Proletariats als des Wesens des sozialistischen; Staates und die Frage, welche Rolle der sozialistische Staat beim Aufbau des Sozialismus und des Kommunismus spielt; 2. die Frage des Verhältnisses zwischen der Diktatur des Proletariats und der Demokratie; 3. die Frage der Diktatur des Proletariats als der Form des Bündnisses der Arbeiterklasse und der Bauernschaft; 4. die Frage der Rolle der Kommunistische^ Partei im System der Diktatur des Proletariats, ihrer Rolle bei der Entwicklung des sozialistischen Staates; 5. die Frage der verschiedenen, aus den konkreten historischen Entwicklungsbedingungen jedes einzelnen Landes resultierenden Formen der Diktatur des Proletariats; 6. die Frage des Absterbend des sozialistischen Staates unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Sozialismus nicht sofort in allen Ländern, sondern zunächst nur in einzelnen Ländern siegt. Die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR haben absolut unwiderleglich bestätigt, was Marx voraussagte, daß nämlich zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft eine Periode der revolutionären Umwandlung der ersteren in die zweite liegt und daß der Staat in dieser Periode nichts anderes sein kann als die Diktatur des Proletariats. Heute ist klar, daß das Sowjetvolk ohne die Diktatur des Proletariats nicht imstande gewesen wäre, die Ausbeuterklasse zu liquidieren, die großartigen sozialistischen Umgestaltungen vorzunehmen und diese gegen die Anschläge der Feinde im Ausland zu schützen. In den Jahren des friedlichen sozialistischen Aufbaus und im Großen Vaterländischen Kriege hat sich die Macht der Diktatur des Proletariats, die Macht des sozialistischen Staates — des Hauptwerkzeugs in den Händen der Arbeiterklasse und ihrer Partei — erwiesen. Aber bis zum Siege des Sozialismus mußte die Partei diese Wahrheiten in erbittertem Kampf 25
gegen die bürgerliche Ideologie und gegen den Revisionismus verteidigen und begründen. In einer Reihe von Arbeiten, zum Beispiel in seinen Schriften „Staat und Revolution" und „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky", hat Lenin den Revisionisten und Opportunisten vom Schlage Kautskys aufs Haupt geschlagen, die behaupteten, der Begriff der Diktatur des Proletariats sei ein von Marx nur zufällig gebrauchtes Wort; der Weg zum Sozialismus führe nicht über die Diktatur des Proletariats, den Sozialismus könne man im Rahmen der bürgerlichen Demokratie aufbauen. Lenin hatte bereits vor der Oktoberrevolution genial vorausgesehen, daß — so unterschiedlich auch die konkreten Formen des sozialistischen Staates in den verschiedenen Ländern sein mögen — ihr Wesen nur in der Diktatur des Proletariats bestehen kann. Dabei hat Lenin schon damals auf gewisse Besonderheiten der Diktatur des Proletariats in Rußland hingewiesen, die durch die wirtschaftliche Rückständigkeit, durch den kleinbürgerlichen Charakter des Landes und durch die internationale Lage bedingt waren. Gleichzeitig betonte Lenin, daß diese Besonderheiten jedoch nicht das Wesen ausmachen können. Heute wird die Frage der Dialektik des Allgemeinen und des Besonderen beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in den verschiedenen Ländern dank der Erfahrungen der UdSSR und der volksdemokratischen Staaten konkreter und nicht nur unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Prognosen und Vermutungen behandelt. Das Leben hat dem Begriff der Diktatur des Proletariats einen konkreten Inhalt verliehen, hat diesen Begriff unter dem Gesichtspunkt der Aufgaben und Funktionen des sozialistischen Staates geklärt. Wie die Praxis des Kampfes für den Sozialismus in unserem Lande und in den Ländern der Volksdemokratie zeigt, bestehen die Aufgaben der Diktatur des Proletariats darin, den Widerstand der geschlagenen Ausbeuterklassen zu unterdrücken, die Verteidigung des Landes gegen einen Angriff von außen zu organisieren, die werktätigen Massen und in erster Linie die Bauernschaft zu führen und auf die Seite des Proletariats hinüberzuziehen sowie schließlich die sozialistische Umgestaltung des Landes zu verwirklichen und den Übergang zur vollentwickelten kommunistischen Gesellschaft vorzubereiten. In den verschiedenen Entwicklungsstadien des sozialistischen Staates treten verschiedene Funktionen des sozialistischen Staates in den Vordergrund. Die sowjetischen marxistischen Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und Rechtswissenschaftler haben in ihren Arbeiten das Wesen der Funktionen untersucht, die der erste sozialistische Staat in der Geschichte erfüllt — das Wesen seiner wirtschäftlich-organi26
satorischen Punktion, seiner kulturell-erzieherischen Punktion, seiner Verteidigungsfunktion und seiner anderen Funktionen. Besonders bedeutungsvoll war die Erkenntnis Lenins, daß die Diktatur des Proletariats eine besondere Form des Klassenbündnisses zwischen dem Proletariat und den starken Schichten der Werktätigen, vor allem der werktätigen Bauernschaft ist, ein Bündnis beim Aufbau des Sozialismus, in dem die Arbeiterklasse als führende Kraft auftritt. Beim Aufbau des Sozialismus und bei der Festigung des sozialistischen Staates lassen sich die kommunistischen Parteien der Sowjetunion und der volksdemokratischen Länder von dieser äußerst wichtigen These des Leninismus leiten. Die Feinde des Marxismus — von den offenen Ideologen des Imperialismus bis zu den Reformisten und Revisionisten — versuchen von jeher, die Diktatur des Proletariats dadurch zu verleumden, daß sie die Diktatur in einen Gegensatz zur Demokratie stellen und behaupten, Diktatur und Demokratie seien zwei einander ausschließende Begriffe. Sie stellen die Dinge so dar, als ob die bürgerliche Demokratie die „Demokratie im allgemeinen" wäre, als ob sie eine „reine" Demokratie, nicht eine klassengebundene Demokratie sei, und bemänteln damit die offenkundige Tatsache, daß die bürgerliche Demokratie ein Ausdruck der Diktatur der Bourgeoisie ist, daß sie eine Demokratie für die Minderheit, für die Ausbeuter ist. Die Diktatur des Proletariats schließt — wie die Erfahrungen mit der Diktatur des Proletariats in der UdSSR und in den volksdemokratischen Ländern zeigen — die Demokratie nicht aus, sondern stellt sogar die erste in der Geschichte der Menschheit existierende Form der staatlichen Organisation dar, die eine Demokratie für die überwältigende Mehrheit des Volkes, für die Werktätigen ist. Also geht „die Demokratie unter der Diktatur des Proletariats in eine völlig neue Phase über .. .".7 Diese neue Phase ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß die Diktatur des Proletariats den Werktätigen, in deren Händen ja die Macht liegt, Freiheit gibt, daß sie die Initiative und die Energie der Massen durch ihr Heranziehen zur Leitung des Staates anregt, daß sie mit allen dem sozialistischen Staat zu Gebote stehenden materiellen und kulturellen Mitteln die Rechte der Masse garantiert. Um ihre Behauptung über den angeblich antidemokratischen Charakter der Diktatur des Proletariats zu begründen, verfalschen die Philosophen der Bourgeoisie die marxistische Philosophie. Einer dieser Philosophen, ein gewisser Bochenski, hat in einer Monographie, die in Westdeutschland veröffentlicht wurde, den Nachweis zu erbringen versucht, 7 W. I. Lenin, Ökonomie und Politik in der Epoche der Diktatur des Proletariats, Ausgewählte Werke, Band II, Berlin 1955, S. 624.
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daß der dialektische und historische Materialismus mit der Menschenwürde unvereinbar seien, weil sie Feinde der Freiheit und der Gleichheit seien, und daß deshalb auch die praktische Tätigkeit des sozialistischen Staates der Demokratie feindlich gegenüberstehe. Als Musterbeispiel „echter Demokratie" führt Bochenski — offenbar in der Absicht, daß homerische Gelächter aller vernünftigen Menschen hervorzurufen — in dieser Arbeit die Zustände in Westdeutschland an, wo faschistische Revanchisten den Ton angeben. Um seinen unsinnigen Exkursen zu der Frage „Marxistische Philosophie und Demokratie" einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, behauptet er vor allem, der Marxismus habe von Hegel dessen Lehre vom Staat, von der völligen Unterdrückung der menschlichen Persönlichkeit und von ihrem Unterordnen unter das Allgemeine, d. h. unter den Staat, entlehnt. In Wirklichkeit hat aber die marxistische Staatstheorie nichts gemein mit dem Hegeischen Kult um das Wesen der Ausbeuterstaaten, der von den reaktionären Ideologen des Imperialismus, insbesondere von den deutschen, übernommen wurde. Eine der ersten Äußerungen der neuen, marxistischen Weltanschauung war die vernichtende Kritik, die Marx an der Hegeischen Staatskonzeption geübt hat. Der Marxismus-Leninismus, die Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus sind ihrem ganzen Geist nach auf die wirkliche, reale Befreiimg des Menschen von jeglicher Unterdrückung — von sozialer, politischer, nationaler und geistiger Unterdrückung — ausgerichtet, und zwar im Gegensatz zur idealistischen Philosophie, welche die materielle, also die ausschlaggebende Grundlage der Freiheit und der Menschenwürde leugnet. Das Leben hat die demagogischen Losungen einer „reinen Demokratie", mit denen die Bourgeoisie ihre schmutzigen konterrevolutionären Vorhaben verschleiert, von jeher unerbittlich widerlegt. In einem Brief an Bebel aus dem Jahre 1884 entlarvte Engels das Wesen der sogenannten „reinen Demokratie" sehr treffend durch den Hinweis, daß die sogenannte „reine Demokratie als letzter Rettungsanker der ganzen bürgerlichen und selbst feudalen Wirtschaft" auftritt. „Im Moment der Revolution", schrieb Engels weiter, „in dem die Reaktion eine Niederlage erleidet, tritt die ganze reaktionäre Masse hinter die ,reine Demokratie' und verstärkt sie. Alles, was reaktionär ist, gebärdet sich dann demokratisch."8 Diese Worte sind — obwohl die Zeit, in der sie niedergeschrieben wurden, schon weit zurückliegt — auch heute noch so aktuell, daß man mit ihnen gut die Ereignisse kommentieren könnte, die sich vor einiger Zeit in Ungarn abgespielt haben, wo unter der Losung der „reinen Demokra8
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Marx-Engels, Ausgewählte Briefe, Berlin 1953, S. 453.
tie" eine konterrevolutionäre Meuterei vorbereitet und durchgeführt wurde. Das Leben bestätigt von jeher auf Schritt und Tritt den konkreten marxistisch-leninistischen Standpunkt zu dem Problem der Demokratie, daß es keine Demokratie „im allgemeinen" gibt, sondern nur eine Demokratie im Interesse der Bourgeoisie und eine Demokratie im Interesse des Volkes. Die sozialistische Demokratie ist die höchste und absolut konsequente Form des Demokratismus — des Demokratismus für die Volksmassen. Lenin hat nachgewiesen, daß Demokratie und Diktatur des Proletariats keineswegs einander ausschließende Begriffe sind. Im Gegenteil, ohne Diktatur des Proletariats gibt es keine echte Demokratie für das Volk und kann es sie nicht geben, weil nur eine unerschütterliche politische Macht, ein starker sozialistischer Staat die Freiheit und die Rechte des Volkes gewährleisten und schützen kann, solange es noch Kräfte gibt, die dem Sozialismus feindlich gegenüberstehen. Und umgekehrt: Im weitestgehenden Demokratismus der Massen kommt das tiefste Wesen der Diktatur des Proletariats zum Ausdruck,, denn ohne die Unterstützung der Millionen Werktätigen könnte sich die Diktatur des Proletariats auch nicht einen Monat behaupten, wären die sozialistischen Umgestaltungen undenkbar. Die vierzigjährigen Erfahrungen der Sozialistischen Oktoberrevolution ermöglichten es, die Lehre des Marxismus von der Rolle der Partei der Arbeiterklasse im System der Diktatur des Proletariats, zu entwickeln. Diese Erfahrungen zeigen, daß die Führungstätigkeit der Kommunistischen Partei jene Kraft ist, welche die Volksmassen im Kampf gegen den Kapitalismus, für den Sozialismus zusammenschließt und organisiert und sie für die Lösung der großen wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Aufgaben begeistert. Die Kommunistische Partei verkörpert in ihrer Tätigkeit die Einheit von Theorie und Praxis. Sie bearbeitet kollektiv die grundsätzlichen theoretischen Probleme des kommunistischen Auf baus und der gesamten derzeitigen Entwicklung und organisiert auch kollektiv die praktische Erfüllung der heranreifenden Aufgaben auf allen Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens. Gerade die Führung der Partei ist die Gewähr dafür, daß alle Aufgaben beim"Aufbau des Kommunismus erfolgreich bewältigt werden. Die Einheit der Partei ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß die Partei ihre führende Rolle verwirklichen kann. Sie gründet sich auf die genaue Einhaltung der Leninschen Normen des Parteilebens und auf die strikte Durchführung des von Lenin ausgearbeiteten Beschlusses des X. Parteitages „Über die Einheit der Partei". Getreu diesem Beschluß hat die Partei den Trotzkisten, Bucharin- und Sinowjew-Leuten und anderen dem Leninismus feindlichen Gruppierungen das Handwerk gelegt, hat sie jede irgendwann auftretende Fraktiopstätigkeit und Grup29
penbildung bekämpft und dadurch die Einheit der Partei gewährleistet. Von diesem Beschluß ließ sich die Partei auch leiten, als sie die parteifeindliche Gruppe Malenkow-Kaganowitsch-Molotow und Schepilow, der sich ihnen angeschlossen hatte, zerschlug und die gefährliche, gegen die Generallinie der Partei gerichtete Tätigkeit dieser Gruppe entlarvte. In dem Beschluß des Plenums des ZK der KPdSU über die parteifeindliche Gruppe Malenkow-Kaganowitsch-Molotow heißt es: „Die Leninsche Resolution verpflichtet das Zentralkomitee und alle Parteiorganisationen, unentwegt die Einheit der Partei zu festigen, jeglichen Erscheinungen der Fraktions- und Gruppenbildung entschieden entgegenzutreten und eine wirklich einmütige Arbeit zu gewährleisten, die die Einheit des Willens und Handelns der Avantgarde der Arbeiterklasse, der Kommunistischen Partei, verkörpert." Die vierzigjährigen Erfahrungen seit dem Bestehen des Sowjetstaates und das Entstehen der volksdemokratischen Staaten ermöglichen es in bezug auf die Formen der Diktatur des Proletariats konkretere Schlüsse zu ziehen und einen neuen Schritt vorwärts zu tun. Heute hat die Praxis erwiesen, daß sich die Diktatur des Proletariats in verschiedenen Ländern, die unter ungleichen inneren und internationalen Voraussetzungen dem Sozialismus entgegenschreiten und unterschiedliche historische Traditionen besitzen, in verschiedenen Formen verkörpert. Das Leben hat bereits so unterschiedliche Formen der Diktatur des Proletariats hervorgebracht wie die Sowjets und die Form der Volksdemokratie. Dabei hat sich aber der Hinweis Lenins, daß nur die Diktatur des Proletariats das Wesen aller Formen des sozialistischen Staates ausmachen kann, völlig bestätigt. Ein wichtiger Beitrag zur schöpferischen Entwicklung der marxistischen Soziologie wurde bezüglich des Problems vom Absterben des Staates geleistet. Die Klassiker des Marxismus haben darauf hingewiesen, daß der bürgerliche Staat vom Volk auf revolutionärem Wege zerschlagen werden muß, daß der gegen die Werktätigen gerichtete Apparat der Gewalt und Unterdrückung vernichtet werden muß. Der proletarische, sozialistische Staat muß seine Funktionen bis zum vollständigen Sieg des Kommunismus erfüllen; er wird erst dann völlig absterben können, wenn der Kommunismus errichtet ist. In dem Werk „Staat und Revolution", in dem Lenin die Anschauungen von Marx und Engels zu dieser Frage analysiert hat, heißt es: „Zum vollständigen Absterben des Staates bedarf es des vollständigen Kommunismus."9 „Der Staat wird dann völlig absterben können, wenn die Gesellschaft den Grundsatz: ,Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen' ver9 W. I. Lenin, Staat und Revolution, Ausgew. Werke, Bd. II, Berlin 1955, S. 231.
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wirklicht haben wird .. ."10 Der Staat kann also nicht sofort nach dem Sieg der Revolution absterben. Er muß als Hauptwerkzeug für die Errichtung der neuen Gesellschaft dienen, er muß das Prinzip verwirklichen: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung", er muß die Kontrolle über das Maß, das heißt über die Quantität und Qualität, der Leistung ausüben. Auf Grund der Erfahrungen der ersten Jahre der Sowjetmacht hat Lenin nachgewiesen, daß das Proletariat ohne eine starke Staatsgewalt weder den Sozialismus noch den Kommunismus und die Errungenschaften der sozialistischen Revolution verteidigen kann. Als Marx und Engels die allgemeinen Thesen begründeten, daß der Staat erst dann absterben könne, wenn der Kommunismus vollständig errichtet sei, stellten sie sich nicht die Aufgabe, die gesamte Tätigkeit des sozialistischen Staates darzulegen. Dafür fehlten damals noch die erforderlichen Erfahrungen. Marx und Engels konnten eine so wichtige Funktion des sozialistischen Staates wie die Verteidigung des Sozialismus gegen die kapitalistischen Staaten nicht kennen und nicht von ihr sprechen, weil sie von der Möglichkeit des- gleichzeitigen Sieges des Sozialismus in allen zivilisierten Ländern ausgingen. Die vierzigjährigen Erfahrungen der Sowjetmacht beweisen mit unwiderleglicher Klarheit, daß nicht ein Schwächerwerden, sondern eine Festigung, eine Vervollkommnung des sozialistischen Staates für die Errichtung des Sozialismus' und Kommunismus gesetzmäßig ist. Die Kommunistische Partei hat allen Versuchen, unter der Flagge abstrakten Theoretisierens über das Absterben des Staates die Diktatur des Proletariats zu schwächen, die Grundpfeiler des sozialistischen Staates zu unterminieren, eine Abfuhr erteilt. Ein großes Verdienst hat sich in dieser Beziehung J. W. Stalin Erworben, der in seinen Arbeiten die Leninschen Auffassungen über das Problem des Staates dargelegt und im Kampf gegen den Opportunismus verteidigt hat. Den Staat zu festigen und ständig zu vervollkommnen, um die Zeit bis zur völligen Beseitigung der Klassen zu verkürzen und damit also die Voraussetzungen für das Absterben des Staates zu schaffen, von diesem Leninschen Gedanken läßt sich unsere Partei in der Frage des Staates von jeher leiten. Diese Schlußfolgerung ist eine große Errungenschaft der marxistischen Theorie, die auf Grund der Erfahrungen beim Aufbau einer neuen Welt gezogen wurde. Der sozialistische Staat wird nach dem Leninschen Prinzip des demokratischen Zentralismus errichtet und vervollkommnet. Der Leninismus hat bewiesen, daß eine Großproduktion wie die sozialistische Produktion einer planmäßigen Führung von einer zentralen Stelle aus bedarf. Aber der Zentralismus des sozialistischen Staates ist ein demokratischer Zen10
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tralismus, der sich auf weitestgehende Initiative und Aktivität der Massen stützt und diese Aktivität mit allen Mitteln entwickelt. Der demokratische Zentralismus des sozialistischen Sowjetstaates ist das direkte Gegenteil, ist der Feind des bürokratischen Zentralismus des bürgerlichen Staates, der den Schöpfergeist der Werktätigen unterdrückt und den besitzenden Klassen, also den Kapitalisten, die Möglichkeit zu weitgehender Initiative und Aktivität einräumt. Lenin hat gezeigt, daß die Generallinie der Entwicklung vom Kapitalismus zum Kommunismus eine Linie immer stärkerer Demokratisierung der Gesellschaft ist; er schrieb: „In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird sie von selbst absterben."11 Von diesem Hinweis Lenins läßt sich die Partei in ihrem Bestreben leiten, den Staatsapparat der Sowjetmacht zu festigen und zu vervollkommnen. Die Partei hat die parteifeindliche Gruppe Malenkow-KaganowitschMolotow zerschlagen, welche die Entwicklung der sozialistischen Demokratie hemmte und sich der Erweiterung der Rechte der Unionsrepubliken, der Reorganisation der Leitung der Industrie im Geiste des demokratischen Zentralismus, der Nutzbarmachung der Initiative der örtlichen Funktionäre usw. widersetzte. Die Partei setzt auch weiterhin alle Kraft daran, die historischen Beschlüsse des XX. Parteitages zu verwirklichen und den sozialistischen Demokratismus weiterzuentwickeln. Auch das Absterben des sozialistischen Staates beim Sieg des Kranmunismus muß man in dem jeweiligen konkreten historischen Rahmest sehen. Wie J. W. Stalin richtig gezeigt hat, kann der Staat, wenn in einem einzelnen Lande der Kommunispius endgültig erreicht ist, nicht vollständig absterben, falls die kapitalistische Einkreisung fortbesteht, denn dann muß der Staat die Funktion der Verteidigung des Landes gegen einen möglichen Angriff von außen erfüllen. Schon bei einer flüchtigen Analyse zeigt sich also, wie die Staatstheorie vom Marxismus, von der marxistischen Philosophie und Soziologie nach der Oktoberrevolution bereichert wurde. Es ist heute unmöglich, sich den Marxismus ohne diesen Reichtum vorzustellen, der durch die praktische Verwirklichung der Ideale des Kommunismus entstanden ist. 11
W. I. Lenin, Staat und Revolution, Ausgewählte Werke, Bd. II, Berlin 1956, S. 226.
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4. Das Problem der Entwicklungsgesetze der sozialistischen Kultur Auf der Grundlage der neuen, sozialistischen Ökonomik, des neuen Staates, der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Menschen •wächst auch ein neuer Typ der Kultur — der Typ einer sozialistischen Kultur — heran. Die 40 Jahre der sozialistischen Revolution waren Jahre des Entstehens, der Herausbildung, des Aufblühens dieser neuen Kultur. Diese Kultur bringt die Interessen und Hoffnungen der Werktätigen zum Ausdruck, sie dient dem Volke und nicht den Ausbeuterklassen, und ihr hohes Ziel ist das Entstehen einer neuen, kommunistischen "Gesellschaft. Die sozialistische Kultur entwickelt sich auf dem ideologischen Fundament der marxistisch-leninistischen Weltanschauung. Als die sozialistische Kultur im Sowjetlande noch im Entstehen war und ihre ersten Schritte tat, übte W. I. Lenin, der an ihrer Wiege stand und sie fürsorglich aufzog, Kritik an den Verfechtern des „Proletkults", die versuchten, der sozialistischen Kultur Anschauungen aufzuzwingen, die dem Marxismus fremd sind. Lenin betonte, daß nur die Weltanschauung des Marxismus „der richtige Ausdruck der Interessen, des Standpunktes und der Kultur des revolutionären Proletariats ist". Nur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung aus kann man die Entwicklungswege und Entwickungsrichtungen der sozialistischen Kultur festlegen. Die Entwicklung, die die sozialistische Kultur in den vierzig Jahren des Bestehens der UdSSR durchgemacht hat, ist eine überreiche Schatzkammer von Erfahrungen, die für das Verständnis der Entwicklungsgesetze der sozialistischen Kultur unschätzbaren Wert besitzen. Die gewaltige Kulturrevolution, die sich in der UdSSR vollzogen hat und heute in den volksdemokratischen Ländern vor sich geht, ist eine gesetzmäßige Folge und der Ausdruck der politischen und ökonomischen Umwälzung, die der Sozialismus im Leben der Gesellschaft herbeigeführt hat. Die in der UdSSR und jetzt auch in den Ländern der Volksdemokratie gesammelten Erkenntnisse führen zu dem Schluß, daß die Kulturrevolution nicht eine Besonderheit eines einzelnen Landes ist, das früher in seiner kulturellen Entwicklung zurückgeblieben war, sondern ein notwendiger und integrierender Bestandteil des allgemeinen Prozesses der sozialistischen Umwälzung in jedem Lande. Zweifellos ist in den einzelnen Ländern, in denen sich eine proletarische Revolution vollzieht, das Kulturniveau der Massen unterschiedlich, aber ebenso unzweifelhaft steht auch fest, daß der Kapitalismus in jedem, auch im höchstentwickelten Lande, die kulturelle Entwicklung der werktätigen Menschen hemmt, daß nur auf der Grundlage der politischen Macht der Werktätigen selbst, nur auf der Grundlage sozialistischer Produktionsverhälts
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nisse die Massen wirklich und in vollem Umfang der Kultur teilhaftig werden und die früher gesammelten kulturellen Schätze in Besitz nehmen können, daß nur auf dieser Grundlage die Überwindung der Gegensätze zwischen körperlicher und geistiger Arbeit möglich ist. Diese gewaltigen historischen Aufgaben zu erfüllen, ist das Ziel der Kulturrevolution. Die These über die Kulturrevolution, die Lenin für unser Land aufstellte und ausarbeitete, besitzt allgemeine Bedeutung, deckt eine der wichtigsten Gesetzmäßigkeiten der Errichtung des Sozialismus in jedem Lande auf. Die Kulturrevolution, die kulturelle Veränderung besteht ihrem Wesen nach darin, alle Mitglieder der Gesellschaft zu kulturell hochstehenden und gebildeten Menschen zu erziehen, die imstande sind, an der Leitung des Staates, am aktiven politischen Leben teilzunehmen, die durch die Ausbeuterordnimg geschaffene Kluft, die früher die unterdrückten werktätigen Massen von der Kultur trennte, zu beseitigen und aus den Reihen der Arbeiter und Bauern eine Intelligenz zu schaffen, d. h. Funktionäre für den Staatsapparat, für die Wirtschaft, die Partei und die Gewerkschaften, militärische Führer und andere Funktionäre, Lehrer, Ärzte, Gelehrte, Schriftsteller, Künstler usw. heranzubilden. Ohne einen derartigen kulturellen Umschwung ist die Entwicklung der sozialistischen Kultur unmöglich. Vor der Revolution bestand die Bevölkerung vieler nationaler Randgebiete fast durchweg aus Analphabeten. Unter der Sowjetmacht wurde das Analphabetentum beseitigt und die allgemeine Grundschulpflicht eingeführt. Heute wird bereits allgemein die Zehnklassenschule eingeführt. Die Elementarschulen, Siebenklassenschulen und Oberschulen, die Lehranstalten des Systems der Arbeitsreserven und die Technika werden zur Zeit von über 35 Millionen Schülern besucht. An den Berufsmittelschulen und Technika werden heute 36,5mal und in vielen nationalen Republiken sogar einige hundertmal soviel Schüler ausgebildet wie vor der Revolution. Im Jahre 1957 studierten an den Hochschulen 1867000 Studenten, das sind 14,7mal soviel wie vor der Revolution. Die Zahl der Wissenschaftler ist gegenüber der Zeit vor der Revolution — im Vergleich zum Jahre 1913 — auf das 22,4fache angewachsen. Die russische Sowjetintelligenz hat den anderen Nationalitäten geholfen, sich eine eigene Intelligenz heranzubilden, und unterstützt sie dabei auch weiterhin. Im Vergleich zu der Zeit vor der Revolution ist die Zahl der Fachkräfte, die alljährlich ihre Berufsausbildung an den Hoch- und Fachschulen beenden, auf ein Vielfaches gestiegen; im fünften Planjahrfünft waren es jährlich 536000 Fachkräfte. Nach den Richtlinien des X X . Parteitages soll im sechsten Planjahrfünft die Gesamtzahl der Absolventen,
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die nach abgeschlossener Hoch- und Fachschulbildung als Fachkräfte zur Verfügung stehen, auf das Eineinhalbfache steigen. Die Erfahrungen des Sowjetstaates haben gezeigt, daß Sozialismus und Entwicklung der Wissenschaft nicht voneinander zu trennen sind, daß der Sozialismus Möglichkeiten zur Entwicklung der Naturwissenschaften und der Gesellschaftswissenschaften schafft, an die früher nicht zu denken war. Das Sowjetvolk ist mit Recht stolz auf seine Gelehrten, die auf verschiedenen Gebieten der modernen Wissenschaft an der Spitze des wissenschaftlichen und technischen Denkens der Welt stehen. Die neue, vom siegreichen Proletariat geschaffene sozialistische Kultur steht gegenwärtig vor einem äußerst wichtigen Problem, dessen richtige Lösung von grundsätzlicher Bedeutung ist — vor dem Problem des Verhältnisses zur Kultur der Vergangenheit. Das Neue ist zunächst zweifellos eine Negation des Alten, aber das Neue entsteht auch nicht in einem leeren Raum. Seine Voraussetzungen reifen im Schöße des Alten heran, und das Neue benutzt für seine Weiterentwicklung alles Wertvolle, das es im Alten gab. Dieses komplizierte dialektische Wechselverhältnis zwischen der neuen sozialistischen Kultur und der Kultur der Vergangenheit blieb bekanntlich in den ersten Jahren der Revolution manchen Leuten unverständlich, die sich als Fachleute für proletarische Kultur gebärdeten. Sie faßten den Prozeß der Bildung einer neuen Kultur als reine Negation, als reine Ablehnung alles Alten auf. Dabei wurden oft alle möglichen Faxen, wie sie beim bürgerlichen Modernismus anzutreffen sind, als das Neue ausgegeben. Auch heute noch gibt es verbreitete Ansichten dieser Art über die neue, nach der Revolution entstehende Kultur. Bekannt sind die Ausführungen einiger Literaturwissenschaftler, Kunstwissenschaftler, die beispielsweise erklären, die Malerei des 19. Jahrhunderts könne die heutigen Künstler nichts lehren, sie habe fast nur kolorierte Photographien geschaffen. Und das sagt man von einer Kunst, die der Menschheit Werke von unvergänglichem Wert geschenkt hat! Die Behauptungen, daß sich die neue sozialistische Kultur nicht die besten Leistungen der Vergangenheit zunutze machen könne, ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Kampf von den Positionen der Dekadenzkunst gegen diejenigen Seiten, diejenigen Züge, diejenigen Eigenschaften der Kunst, die sich im Gesamtverlauf der Geschichte der Kunst gesetzmäßig und notwendig herausgebildet und entwickelt haben und ohne die es überhaupt keine Kunst gibt. Es geht hier um das Wesen der Kunst, um solche Grundzüge und grundlegenden Eigenschaften der Kunst wie den Ideengehalt und den untrennbaren Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Bewegungen, wie die Wahrheit und den Realismus in der Darstellung der Wirklichkeit, wie die Volkstümlichkeit und den Humanismus und so weiter. 3*
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Diese wertvollen Eigenschaften, diese Traditionen der Kunst, die ihr Wesen ausmachen, über Bord zu werfen, heißt die neue, vom Sozialismus zu schaffende Kultur auf den Weg der modernen bürgerlichen Dekädenzkunst drängen, die diese wertvollen Eigenschaften und Traditionen ablehnt und sich gegen jeden Ideengehalt, gegen die Wahrhaftigkeit und gegen einen realistischen Charakter der Kunst wendet. In seinem „Entwurf einer Resolution über die proletarische Kultur" hat Lenin in einer hervorragend klaren und genial einfachen Formel eine der wichtigsten soziologischen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der sozialistischen Kultur zum Ausdruck gebracht; er schrieb dort: „Nicht Erfindung einer neuen Proletkultur, sondern Entwicklung der besten Vorbilder, Traditionen, Ergebnisse der bestehenden Kultur vom Standpunkt der Weltanschauung des Marxismus und der Bedingungen des Lebens und Kampfes des Proletariats in der Epoche seiner Diktatur"12 sei notwendig. Diese Formel bringt zum Ausdruck, worauf es bei der Entwicklung der sozialistischen Kultui in erster Linie ankommt: erstens darauf, das Beste und Fortschrittlichste, das es früher gegeben hat, fortzuführen, und zweitens darauf, dieses Beste vom Standpunkt des Proletariats aus auf neuer Grundlage — auf der Grundlage der sozialistischen Ideologie, der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft — zu verarbeiten und weiterzuentwickeln. In dieser Formel ist sowohl der Zusammenhang zwischen der neuen Kultur, die das Proletariat schafft, und den besten Traditionen der Kultur früherer Epochen als auch die dialektische Negation des Alten, d^r grundlegende Unterschied zwischen der neuen, sozialistischen Kultur und allen Kulturen früherer Epochen dargelegt. Als ein klarer Ausdruck dieser Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der Kultur kann die Methode des sozialistischen Realismus dienen — die Hauptmethode der sozialistischen Literatur und Kunst. Diese Methode verkörpert ebenfalls die Einheit, den Zusammenhang mit der früheren Entwicklung und die dialektische Negation des Alten, denn sie behält zwar aus der Vergangenheit alles Positive bei, ist aber trotzdem eine neue Etappe, ein neuer, im Prozeß der historischen Entwicklung der Menschheit erreichter Gipfel. Es ist kein Zufall, sondern eine objektive Gesetzmäßigkeit, daß zur Methode der neuen Literatur, der neuen Kunst der sozialistische Realismus wurde. Das bedeutet nicht, daß die sozialistische Kunst zum Beispiel an der Romantik, die in den Werken ihrer besten und fortschrittlichsten Vertreter eine positive Rolle gespielt hat, achtlos vorüberginge. Eines der wichtigsten Elemente der Kunst des sozialistischen Realismus ist bekanntlich die revolutionäre Romantik. Aber die Hauptmethode 12
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,Lenin über Kultur und Kunst', 1956, S. 300 (russ.).
unserer Kunst kann, nicht eine sozialistische Romantik sein. In der gesamten hinter uns Kegenden geschichtlichen Entwicklung war es gerade der Realismus, die realistische Richtung, die sich als fruchtbarste, dem Wesen der Kunst am meisten entsprechende Methode deir Widerspiegelung der Wirklichkeit entwickelt hat. Es ist nur natürlich, daß die sozialistische Kunst gerade diese besonders wertvolle Tradition fortsetzt und weiterführt. Der künstlerische Realismus, der sich in den besten Werken der Kunst als die Hauptlinie der Kunst bestätigt hat, erhebt sich in der sozialistischen Kunst auf eine neue, höhere Stufe, denn er wird durch die sozialistische Ideologie, durch die marxistische Weltanschauung, durch die gesamten Bedingungen des Kampfes des Proletariats für den Sozialismus befruchtet. Im sozialistischen Realismus vollzieht sich die Verschmelzung des Realismus mit einem hohen Ideengehalt, von der Marx und Engels sprachen. Die Vertreter der sozialistischen Kunst verbinden ihr Schaffen öffen mit der Politik der Kommunistischen Partei, weil diese Politik die humansten Ideale der Gegenwart in die Praxis umsetzt. Sie stehen offen auf dem Standpunkt der kommunistischen Parteilichkeit, auf dem Standpunkt der marxistischen Weltanschauung, weil diese Weltanschauung die Gesetze des Lebens richtig widerspiegelt und- es dem Künstler ermöglicht, das Leben in seiner ganzen Vielfalt, in seiner Entwicklung, in seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu, sehen, zu erfassen und darzustellen. Der Erste Sekretär des Z K der KPdSU, N. S. Chrustschow, hat über die Probleme der Literatur und der Kunst die marxistische, die Leninsche Auffassung von der hohen Bestimmung und von der großen Rolle der Kirnst in der sozialistischen Gesellschaft genau begründet und vor allem auf ihre untrennbare Verbindung mit dem Volk, mit der großen umgestaltenden Tätigkeit des Sowjetvolkes hingewiesen. Die überaus hohe gesellschaftliche Bestimmung der Literatur und der Kunst, sagte er, besteht darin, das Volk zum Kampf für neue Erfolge beim Aufbau des Kommunismus zu mobilisieren. In dieser Verbindung mit dem Volk, mit seinen großen Persönlichkeiten liegen die Voraussetzung und das Unterpfand für das Aufblühen der sozialistischen Literatur und Kunst. Wenn der Marxismus den Realismus und in der sozialistischen Kunst den sozialistischen Realismus als die grundlegende und fruchtbarste Methode des künstlerischen Schaffens ansieht, dann ist er doch weit davon entfernt, den Realismus als eine standardmäßig, immer gleichartig anzuwendende, den Künstler an irgendwelche starren Normen und Schaffensregeln bindende Methode aufzufassen. Die Methode des sozialistischen Realismus ist in ihren schöpferischen Möglichkeiten weit und vielgestaltig, und jeder Künstler kann sie in der praktischen künstlerischen Betätigung nach seiner eigenen Art auffassen und sich die Mittel und Verfahren
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auswählen, die seiner schöpferischen Individualität am nächsten liegen und die Wirklichkeit widerspiegeln. Die einen Zeitraum von vierzig Jahren umfassende Praxis der Entwicklung der Sowjetkunst, die besten Werke der Sowjetkunst, die in dieser Zeit geschaffen wurden, zeigen, wie reich und vielseitig die Kunst des sozialistischen Realismus ist. Aber das ist ja erst der Anfang der Kunst, wie überhaupt der ganzen Kultur der neuen historischen Ära! Zweifellos wird die freie sozialistische Menschheit Kunstwerke von einer Schönheit und einem Reiz schaffen, wie es sie noch nie gegeben hat. Dies ist ebenso sicher wie die Tatsache, daß auf die Nacht der Tag folgt, denn das von sozialer Unterdrückung befreite Volk kennt unbegrenzte schöpferische Möglichkeiten. Es ist hier nicht möglich, auch nur kurz auf die anderen Seiten der schöpferischen Entwicklung des Marxismus auf dem Gebiete der kulturellen Probleme einzugehen. Ungeheure philosophische Bedeutung hat zum Beispiel die Verallgemeinerung der Praxis der Entwicklung der nationalen Kulturen im Sozialismus. Die Erfahrungen der UdSSR und jetzt auch der volksdemokratischen Länder zeigen, daß der Weg zu einer internationalen Weltkultur über das Aufblühen von Kulturen führt, die ihrer Form nach national und ihrem Inhalt nach sozialistisch sind. Das Prinzip „der Form nach national, dem Inhalt nach sozialistisch" ist eine sehr wichtige Erkenntnis der marxistischen Wissenschaft; es enthüllt eine der hauptsächlichen Gesetzmäßigkeiten für die Entwicklung der Kultur nach der Vernichtung des Kapitalismus und nach dem Siege des Sozialismus und erleuchtet den Weg, auf dem sich die Entwicklung der Kultur vollzieht. Dieser Weg ist unvereinbar mit den kosmopolitischen Tendenzen der heutigen bürgerlichen Ideologie und Kultur. Der Kosmopolitismus ist eine Form und Art des Ignorierens und der Unterdrückung der nationalen Souveränität und der nationalen Eigenart der Kulturen der verschiedenen Völker. Dabei verträgt sich aber der bürgerliche Kosmopolitismus durchaus mit hemmungslosestem Chauvinismus und Rassenwahn. Der sozialistische Weg der Kulturentwicklung beruht auf der Berücksichtigung zweier objektiv gesetzmäßiger Entwicklungstendenzen der Gegenwart: auf der Berücksichtigung des Kampfes der Völker gegen den Imperialismus, für ihre nationale Unabhängigkeit, für das Recht, ihre Wirtschaft, ihre Eigenstaatlichkeit, ihre nationale Kultur zu entwickeln, sowie auf der Berücksichtigung der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft zu einer einheitlichen Weltwirtschaft und auf dieser Grundlage zu einer einheitlichen internationalen Kultur. Die sozialistische Ordnimg schafft alle Voraussetzungen, um die nationalen Kulturen voll zu entfalten. Hierdurch und dank des ganzen Charakters der Entwicklung im Sozialismus ergeben sich günstige Grundlagen dafür, daß in der 38
künftigen entwickelten kommunistischen Gesellschaft allmählich alle Kulturen zu einer sowohl ihrem Inhalt als auch ihrer Form nach einheitlichen internationalen Kultur verschmolzen werden. Zur Weiterentwicklung dieser Frage hat die marxistisch-leninistische Theorie ebenso wie zu den oben berührten Problemen der Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Kultur nach der Oktoberrevolution einen neuen bedeutenden Beitrag geleistet. In den vierzig Jahren, die seit der proletarischen Revolution vergangen sind, galt die Aufmerksamkeit der sowjetischen Philosophen nicht nur den unmittelbar mit der Praxis des sozialistischen Auf baus zusammenhängenden Fragen. Großen Raum nahmen auch philosophische Spezialprobleme ein — Probleme der Gnoseologie und der Logik, der Theorie des historischen Materialismus, der Geschichte der Philosophie sowie philosophische Probleme der Naturwissenschaft und andere Fragen. Eine Reihe von Arbeiten waren der Ethik und der Ästhetik gewidmet. Für die Forschungsarbeit in der Philosophie besaßen die Ideen und Hinweise, die in Lenins Werken „Materialismus und Empiriokritizismus", „Philosophische Hefte" und „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" enthalten sind, fundamentale Bedeutung. Die Arbeiten Lenins leiteten nicht nur eine neue, höhere Etappe der marxistischen Philosophie ein, sondern gaben auch unserer philosophischen Wissenschaft ein gründlich durchgearbeitetes Programm für ihre weitere Entwicklung. Lenin zeigte, wie überaus wichtig die dialektische Verallgemeinerung der gesamten Geschichte der Wissenschaft und Technik ist, wie wichtig eine von dieser Grundlage ausgehende allseitige Ausarbeitung der materialistischen Dialektik als philosophischer Wissenschaft, als Logik und Erkenntnistheorie und die Ausarbeitung eines marxistischen Systems der Kategorien des dialektischen Materialismus ist. Die sowjetischen Philosophen haben in dieser von Lenin gewiesenen Richtung eine gewisse Arbeit geleistet. Verschiedene Schriften sind der Klärung des Wesens der Einheit von Dialektik, Logik und Erkenntnistheorie gewidmet. Das Verhältnis zwischen formaler und dialektischer Logik wurde ausführlich behandelt und der falsche Standpunkt, den Bereich der Wissenschaft von der Logik auf die elementare, formale Logik zu beschränken und die dialektische Logik abzulehnen, scharf kritisiert. Die sowjetischen Philosophen haben zum Beispiel begonnen, die Kategorien der dialektischen Logik zu erforschen; es sind Schriften über die Dialektik und Logik des „Kapitals" erschienen. Große Aufmerksamkeit schenkten die sowjetischen Philosophen in ihren Arbeiten den Problemen der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus, besonders solchen Fragen, wie sie der dialektische Prozeß 39
der Erkenntnis der objektiven Wahrheit, das Verhältnis zwischen relativer und absoluter Wahrheit, die Rolle der Praxis im Erkenntnisprozeß, die Dialektik des Abstrakten und des Konkreten, des Logischen und des Historischen in der Erkenntnis darstellen. In zahlreichen Schriften haben sich die Philosophen mit der Erforschung der naturwissenschaftlichen, physiologischen Grundlage der Widerspiegelungstheorie des Marxismus-Leninismus befaßt. In den Jahren nach der Oktoberrevolution blühte die Lehre I. P. Pawlows über die höhere Nerventätigkeit der Tiere und des Menschen auf. W. I. Lenin maß der Pawlowschen Theorie große wissenschaftliche und philosophische Bedeutung bei, und dank seiner Bemühungen wurden günstige Voraussetzungen für die Tätigkeit des großen Gelehrten geschaffen. Die Lehre Pawlows von den bedingten Reflexen, von den Gesetzen und vom Mechanismus der reflektorischen Tätigkeit, von den zwei Signalsystemen hat die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus glänzend bestätigt. Darüber hinaus hat es den Philosophen ein reiches experimentelles Material geliefert, das zum Beispiel die Grundlage philosophischer Schlußfolgerungen in bezug auf das Wesen der Widerspiegelungstätigkeit im Gehirn des Menschen, auf die Rolle und die Bedeutung der Analyse und der Synthese im Rahmen dieser Tätigkeit, auf die Rolle der Sprache bei der Entwicklung des Denkens bildet. In seinem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" hat W. I. Lenin eine Hauptrichtung für die Arbeit der Marxisten auf dem Gebiete der Philosophie festgelegt: die Erforschung der philosophischen Probleme der Naturwissenschaft, die philosophische Verallgemeinerung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die auf diesen Erkenntnissen beruhende Entwicklung und Konkretisierung der marxistischen Dialektik, Logik und Gnoseologie. Lenin forderte, man müsse das Bündnis zwischen den dialektischen Materialisten und den Naturforschern festigen, müsse den Wissenschaftlern helfen, sich die materialistische Theorie und die dialektische Forschungsmethode zu eigen zu machen. Er betonte dabei, daß dieses Bündnis sowohl der Naturwissenschaft als auch der Philosophie Gewinn bringen werde. Lenins Werk „Materialismus und Empiriokritizismus" ist ein markantes Beispiel finden untrennbaren Zusammenhang zwischen dem dialektischen Materialismus und der Naturwissenschaft, ein Beispiel dafür, wie die Philosophie durch ihre Verallgemeinerungen der Naturwissenschaft helfen kann und muß, indem sie gegen idealistische Entstellungen der großen Errungenschaften der Wissenschaft kämpft. Einen starken Auftrieb erhielt die Arbeit der Philosophen auf diesem Gebiet durch das in unserem Lande erst unter der Sowjetmacht zum ersten Male veröffentlichte Werk „Dialektik der Natur" von Engels. 40
Von den Weisungen Lenins und Engels' ausgehend, haben die sowjetischen Philosophen in diesem Zusammenhang eine beträchtliche Arbeit geleistet.13 Da wir uns'hier nicht eingehend mit dieser Frage beschäftigen können, weisen wir nur darauf hin, daß sich in den vierzig Jahren des Bestehens der Sowjetmacht ein gewaltiger Umschwung in der Weltanschauung der Naturforscher vollzogen hat. Dies erklärt sich nicht nur daraus, daß sich in die Sowjetwissenschaft eine neue Generation von Wissenschaftlern eingereiht hat, die aus der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und aus der werktätigen Intelligenz hervorgegangen ist und in der sowjetischen Schule eine marxistische Weltanschauung empfangen hat. Diese Weltanschauung und die marxistische Methode haben sich auch die alten Naturwissenschaftler zu eigen gemacht, die von dem Standpunkt eines spontanen Materialismus und einer spontanen Dialektik aus zu der bewußten Anwendung des dialektischen Materialismus auf die Erforschung der Nätux übergegangen sind. Dieser Prozeß hat sich auch in den Ländern des Kapitalismus vollzogen und ist dort noch im Gange. Wir brauchen hier nicht die wohlbekannten Namen der bedeutenden Gelehrten zu nennen, die zu der Erkenntnis gelangt sind, daß die materialistische Dialektik die einzige Methode ist, die der modernen Naturwissenschaft gerecht wird- Die sowjetischen Naturforscher gehen in ihrer Mehrheit von der materialistischen Theorie des Marxismus aus und wenden den dialektischen Materialismus bewußt auf die Erforschung der Natur an. Durch ihren Kampf gegen die idealistische Auslegung verschiedener hervorragender Theorien der modernen Physik (der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik usw.), Biologie, Chemie, Physiologie, Kosmologie, Mathematik usw. und durch ihre dialektisch-materialistische Analyse so außerordentlich wichtiger Begriffe wie Materie, Masse, Energie, Raum und Zeit, Kausalität, chemisches Element sowie durch Popularisierung der Grundlagen des dialektischen Materialismus haben die sowjetischen Philosophen den Naturforschern geholfen, den richtigen Weg zur Lösung der speziellen Probleme der Wissenschaft — den Weg des dialektischen Materialismus — zu finden. Natürlich blieben hierbei auch Fehler der Philosophen nicht aus, aber diese Fehler waren nicht das Wichtigste an ihrer Arbeit. Eine bedeutungsvolle Arbeit haben die Philosophen in der Entwicklung verschiedener theoretischer Probleme des historischen Materialismus geleistet. Außer den oben bezeichneten grundlegenden Problemen der Theorie des sozialistischen Aufbaus, die den Hauptgegenstand der Forschung bilden, ist auch die Präzisierung und Konkretisierung verschie13 Zu diesem Problem ist in „Fragen der Philosophie", Heft 3, 1957 ein redaktioneller Artikel erschienen.
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dener wichtiger Kategorien des historischen Materialismus (Produktionsweise, Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, Basis und Überbau usw.) zu erwähnen. In den letzten Jahren hat man sich eingehend mit dem Problem der inneren Dialektik der Entwicklung der sozialistischen Produktionsweise befaßt. Im Zusammenhang mit der Kritik am Personenkult beschäftigten sich die Philosophen in verschiedenen Arbeiten damit, über die Rolle der Persönlichkeit und der Volksmassen in der Geschichte Klarheit zu schaffen. Sie gingen in diesen Arbeiten von dem von den Begründern des Marxismus entdeckten Gesetz der wachsenden Rolle der Volksmassen und der Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft aus. Die ethischen, moralischen Probleme der sozialistischen Gesellschaft nehmen zwar in den Arbeiten der sowjetischen Philosophen noch immer einen viel zu geringen Raum ein, aber trotzdem sind auch auf diesem Gebiet verschiedene Arbeiten vorhanden, in denen das Problem der sozialistischen Moral, das Problem des auf dem Boden der proletarischen Revolution erwachsenen Humanismus, die Fragen der Herausbildung und Entwicklung einer neuen Geisteshaltung des Menschen der sozialistischen Gesellschaft usw. untersucht wurden. In letzter Zeit begannen sich die Philosophen auch mit Fragen der Ästhetik häufiger zu besphäftigen; es sind verschiedene Sammelwerke, Monographien und Aufsätze erschienen, in denen der Versuch gemacht wird, die Grundprobleme der Ästhetik wissenschaftlich zu erfassen. Natürlich gibt es — und darauf ist schon wiederholt hingewiesen worden -— hier noch viele Lücken, und vor allem werden die Probleme der Ästhetik der Sowjetkunst noch immer unzulänglich und nicht gründlich genug untersucht. Man kann mit vollem Recht sagen, daß in den Jahren der Sowjetmacht in der Erforschung der Geschichte der Philosophie eine umfangreiche und fruchtbare Arbeit geleistet worden ist. Die sowjetischen Philosophen standen vor der Aufgabe, von den Hinweisen und Urteilen der Klassiker des Marxismus-Leninismus ausgehend, viele Probleme methodologischen Charakters, aber auch solche Fragen erneut zu durchdenken, die mit der richtigen, wissenschaftlichen Beurteilung der verschiedenen Systeme und der verschiedenen Denker der Vergangenheit zusammenhängen.' Diese Arbeit wurde im Kampf gegen idealistische bürgerliche und vulgärsoziologische Konzeptionen in der Geschichtswissenschaft und in der Philosophie durchgeführt. Von großer Bedeutung waren in dieser Beziehung die Hinweise des ZK der KPdSU für den dritten 'Band der „Geschichte der Philosophie", in dem der Zeitraum des Großen Vaterländischen Krieges behandelt wird. In diesem Band war bekanntlich nicht der Unterschied zwischen marxistischer und Hegelscher Dialektik aufgezeigt worden, und die deutsche Philosophie am Ausgang des 18. und 42
zu Beginn des 19. Jahrhunderts war weitgehend in einer den bekannten Urteilen von Marx, Engels und Lenin widersprechenden Weise behandelt worden. Die sowjetischen • Philosophen kämpften sowohl gegen die Gleichsetzung der marxistischen Dialektik mit der Hegeischen Dialektik als auch gegen die Unterschätzung des Erbes, das der große deutsche Denker auf diesem Gebiet hinterlassen hat. Besonders bedeutungsvoll war für die Bearbeitung der Geschichte der Philosophie vom marxistischen Standpunkt aus die Diskussion, die das Zentralkomitee der KPdSU im Jahre 1947 über das Buch „Geschichte der westeuropäischen Philosophie" von F. G. Alexandrow ins Leben rief. In dieser Diskussion wurden verschiedene grundlegende Fragen der marxistischen Philosophiegeschichte geklärt und die objektivistische Einstellung zu den philosophischen Systemen der Vergangenheit einer Kritik unterzogen. Die sowjetischen Philosophen haben begonnen, die für die bürgerlichen Philosophiehistoriker charakteristische Beschränktheit zu überwinden, die sich darin äußerte, daß man den wertvollen Beitrag außer acht ließ, den die Denker des alten Ostens — Indiens, Chinas, der arabischen Völker usw. — zur Entwicklung der Philosophie geleistet haben. Wenn man heute eine Geschichte der Philosophie schreibt, kann man sich nicht mehr — wie das noch bis in die jüngste Zeit hinein geschah — darauf beschränken, die Ideen der europäischen Denker zu behandeln. Darin zeigt sich der heilsame Einfluß der Oktoberrevolution, die schon ihrer Natur nach internationalistisch war und von vornherein die hohen Prinzipien der Achtung vor den großen wie vor den kleinen Nationen, vor deren Errungenschaften auf dem Gebiet der materiellen und geistigen Kultur proklamiert hat. Die sowjetischen Philosophen sind jetzt der Lösung der Aufgabe nahegekommen, eine wissenschaftliche Weltgeschichte der Philosophie zu schaffen. Ein unbestreitbarer und großer Erfolg der sowjetischen Philosophen ist die Arbeit, die auf dem Gebiete der Geschichte der russischen Philosophie und des philosophischen Denkens der Völker der UdSSR geleistet wurde. Die schändlichen und mit der objektiven Wahrheit völlig unvereinbaren „Konzeptionen" der Philosophiehistoriker des alten, von der Bourgeoisie und von den Gutsbesitzern beherrschten Rußlands, die über die eigenständigen und wertvollen philosophischen Theorien und Anschauungen der russischen Materialisten bewußt mit der Erklärung hinweggingen, Lomonossow, Radistschew, Belinski, Herzen, Tschernyschewski und andere große Russen seien nicht über ein Studium der westeuropäischen Philosophen hinausgekommen, sind entlarvt und zerschlagen worden. Ohne die notwendige und gesetzmäßige Verbindung zwischen der fortschrittlichen russischen Philosophie und der westeuropäischen Philosophie außer acht zu lassen, haben die sowjetischen Forschungen den
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ganzen Reichtum und die Eigenständigkeit des rassischen philosophischen Denkens dargelegt, das sich Vor allem auf der Grundlage derjenigen' gesellschaftlichen Erfordernisse entwickelte, die im Verlauf der revolutionären Befreiungsbewegung Rußlands auftraten. Der Leninismus, die größte Errungenschaft des menschlichen Denkens in der ganzen Welt, die höchste Stufe in der Entwicklung des Marxismus, war zugleich auch die direkte Fortsetzung der besten Züge und Eigenschaften des fortschrittlichen russischen Denkens im vorigen Jahrhundert. In den Jahren der Sowjetmacht sind viele Arbeiten über die Geschichte der Philosophie, viele den hervorragenden Denkern der Vergangenheit gewidmete Monographien erschienen. Hervorheben muß man hier die beiden schon vor dem Großen Vaterländischen Krieg erschienenen Bände der „Geschichte der Philosophie", den ersten Band des neuen großen Werks über die Geschichte der Philosophie und verschiedene Arbeiten zur Geschichte der Philosophie Rußlands. Wertvoll sind auch eine Reihe von Untersuchungen über die Entwicklung der philosophischen Ideen und Lehren in der .Ukraine, in Georgien, in Aserbaidshan, in Armenien, in Usbekistan und bei vielen anderen Völkern unseres Landes. Ganz allgemein ist als ein gewaltiger Erfolg die Tatsache zu erwähnen, daß sich in den nationalen Republiken Philosophen entwickelt haben, und die bedeutungsvolle Arbeit, die diese Philosophen zur Verallgemeinerung der von allen Völkern der UdSSR im Kampf für den Sozialismus gesammelten Erfahrungen geleistet haben. Viel ist auch auf dem Gebiete der Kritik an der heutigen bürgerlichen Ideologie geschehen, die nicht vor grober Verleumdung und Verfälschung zurückschreckt, sich als „volksfreundlich" tarnt und sich dabei oft den Anstrich der Wissenschaftlichkeit gibt. Dennoch aber verlangt man von uns Philosophen mehr Kampfgeist und größere Beweglichkeit bei der Bekämpfung der heutigen ideologischen Reaktion. Wenn von der Entwicklung der marxistischen Philosophie nach der Oktoberrevolution die Rede ist, darf man auch nicht die wahrhaft grandiose Arbeit, die zur Popularisierung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung geleistet worden ist, und die gewaltige Zahl von Büchern, Lehrbüchern und Lehrmitteln, Broschüren, Lektionen und Aufsätzen unerwähnt lassen, die zu diesem Zweck veröffentlicht worden sind. Die Ideen der marxistischen Philosophie sind fest in das Bewußtsein der starken Kader der sowjetischen Intelligenz, in das Bewußtsein der werktätigen Massen eingegangen und dienen dem hohen Ziel des praktischen Aufbaus einer neuen Welt. Wenn wir sowjetischen Philosophen die Ergebnisse der Entwicklung der marxistischen Philosophie in den letzten vierzig Jahren zusammen-
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fassen und unsere eigene Arbeit analysieren, sind wir uns völlig der Tatsache bewußt, daß wir bei weitem noch nicht genug getan haben, daß wir imstande und verpflichtet gewesen wären, mehr zu tun. Die Kritik, die auf dem XX. Parteitag der KPdSU an den Philosophen geübt wurde, war absolut berechtigt, und wir sehen, daß die sowjetischen Philosophen bei der Kommunistischen Partei, bei unserem heldenhaften Volk noch tief in der Schuld stehen. Sehr geschadet hat unserer Arbeit der mit dem Kult um die Person J. W. Stalins zusammenhängende Dogmatismus. Unter Führung der Kommunistischen Partei tritt das Sowjetvolk jetzt in das fünfte Jahrzehnt des sozialistischen Aufbaus ein. Die Partei organisiert die Sowjetmenschen zur Erfüllung der mitreißenden Aufgaben, die bei der weiteren Entwicklung zum Kommunismus zu lösen sind. Die Aufgaben, die der Aufbau des Kommunismus stellt, verlangen von allen auf ideologischem Gebiet tätigen Menschen und darunter auch von den Philosophen einen neuen Aufschwung der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit und der propagandistischen Arbeit, der schöpferischen Weiterentwicklung des Marxismus. Die Partei fordert die sowjetischen Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und sonstigen Gesellschaftswissenschaftler auf, das Sowjetvolk aktiver als bisher durch ihre theoretischen Verallgemeinerungen zu unterstützen und mutig die vom Leben aufgeworfenen neuen theoretischen Probleme, zu lösen. Es gibt keine größere Ehre für die marxistischen Philosophen, als unter Führung der Kommunistischen Partei der Sache zu dienen, der sich die Partei rückhaltlos widmet: der Aufgabe, ein glückliches, frohes Leben für das werktätige Volk zu schaffen. „Fragen der Philosophie", Heft'5, 1957 (Leitartikel). Übersetzung entnommen aus „Presse der Sowjetunion", Nr. 29, 1958.
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Triumph des menschlichen Geistes B. M. KEDROW In der unaufhörlich fortschreitenden Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis kann man den Erkenntniswert nach verschiedenen Stufen unterscheiden, die ein Zeugnis für die immer zunehmende Kraft des menschlichen Geistes ablegen. Zuerst erkennt der Mensch das, was ihn umgibt, das, was er sieht, womit er sich täglich praktisch auseinandersetzt. Ausgerüstet mit der Methode der wissenschaftlichen Forschung, entdeckt der Mensch die Gesetze der ihn umgebenden Natur und ihrer Erscheinungen. Auf diese Gesetze gestützt, entwickelt er die Technik, schafft er die industrielle Produktion. Die Entdeckung der Gesetze der Natur gestattet es ihm, die folgenden höheren Stufen der wissenschaftlichen Entwicklung zu erklimmen. Auf Grund der Erkenntnis und der Beherrschung der Gesetze der Außenwelt lernt der Mensch das vorhersehen, was in der Natur existiert, aber noch nicht erkannt, noch nicht entdeckt ist. Die Kraft der wissenschaftlichen Erkenntnis, die Macht des menschlichen Geistes wird deutlich, wenn der Mensch mit absoluter Genauigkeit vorauszusagen beginnt, wo und auf welche Weise noch unbekannte Erscheinungen oder Dinge entdeckt, gefunden, enthüllt werden müssen. Doch dabei bleibt das wissenschaftliche Erkennen in seiner Vorwärtsbewegung nicht stehen. E s erreicht seine höchste Stufe, wenn der Mensch nicht allein das voraussagt und als wirklich vorhanden entdeckt, was ihm früher nicht bekannt war, irgendwo aber bereits existierte, sondern wenn der Mensch selbst mit künstlichen Mitteln neue Dinge und Erscheinungen synthetisiert, d. h. künstlich hergestellt, sie ins lieben ruft. Der menschliche Geist offenbart in diesem Falle seine höchste Kraft und Macht. Der Mensch kennt und erklärt nicht nur die Erscheinungen der Welt, sieht nicht nur noch nicht aufgefundene, in seinem Wissensschatz noch fehlende Glieder vpraus, sondern er stellt sie selbst künstlich her, indem er sich auf die Gesamtheit seiner früheren Erkenntnisse stützt. Hierbei entwickelt sich die Wissenschaft auf jeder Stufe ihrer Vorwärtsbewegung, wie überhaupt jede menschliche Erkenntnis, unter der direkten Einwirkung der gesellschaftlich-historischen Produktionspraxis 47
der Menschheit. Diese Produktionspraxis tritt der Wissenschaft als ihr belebender Quell und ihre maßgebliche Entwicklungsgrundlage, als bewegender Stimulus, als Endziel der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse und als Kriterium entgegen, an Hand dessen die Wahrheit der erworbenen Kenntnisse nachgeprüft wird. Die Geschichte der Wissenschaft, die Geschichte der praktischen Tätigkeit des Menschen kennt viele Beispiele, die eine glänzende Illustration für das Gesagte abgeben. Jeder Tag bringt immer neue Betätigungen, in welchem Maße die Kraft des menschlichen Geistes, die dem Menschen hilft, sich in den Besitz immer neuer Geheimnisse der Natur zu setzen, sie für seine praktischen Zwecke auszunutzen, wächst und zunimmt. Als die Menschen einst im grauen Altertum die Bewegungen der für sie sichtbaren Himmelskörper studierten, lernten sie Fixsterne und Planeten unterscheiden. Es wurden siebefl Planeten entdeckt, ihre Bewegungen wurden mit der größten im Altertum erreichbaren Genauigkeit studiert. Selbstredend war viel Naives in den Vorstellungen der Menschen der damaligen Zeit, aber, wie das in der Geschichte der Wissenschaft oft vorkommt, diese ersten naiven Anschauungen enthielten ein Ahnen von den großen Gesetzen der Natur, von der Einheit des ganzen Weltalls. Diese Vermutungen äußerten sich anfänglich in der Annahme, daß zwischen den sieben Planeten und den sieben seit undenklichen Zeiten bekannten Metallen ein geheimnisvoller Zusammenhang bestehe. Sie hatten sogar gemeinsame Bezeichnungen, denn sie waren mit ein und denselben Namen nach Göttern der antiken Welt benannt. Der schnelle, bewegliche Planet Merkur trug den Namen des beweglichsten der Metalle, des Quecksilbers (das Quecksilber hieß ebenfalls Mercurius); der Planet Saturn hieß ebenso wie das Blei (auch Saturn) usw. Der Mond wurde als Silber, die Sonne als Gold bezeichnet. In den Schriften der Alchimisten war das alles mit phantastischem Beiwerk verquickt. ' Diese Parallele zwischen zwei anscheinend völlig verschiedenen Gebieten der Natur — chemischen Grundstoffen (Metalle) und Himmelskörpern (Planeten, Sonne und Mond) — verschwand nicht mit der Alchimie und Astrologie, sondern trat ganz unerwartet unter neuen historischen Bedingungen in Erscheinung, nämlich, als der menschliche Geist seinen Triumphzug in der Astronomie und der Chemie begann, d. h. auf dem Gebiete der Erkenntnis sowohl der Himmelskörper als auch der kleinsten Atome. Zuerst hatte die Astronomie eine höhere Stufe der Erkenntnis erreicht. Das ist kein Zufall, denn die Astronomie war, genau genommen, eine Himmelsmechanik, und die Mechanik stand im 17. und 18. Jahrhundert an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts. Sie war nicht nur der
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am meisten entwickelte Wissenszweig, sondern vorübergehend (wenn man von der Mathematik absieht) auch der einzige Zweig der Naturwissenschaft, der eine streng wissenschaftliche Form erreicht hatte. Sie stützte sich auf die Gesetze der mechanischen Bewegung und der gegenseitigen Einwirkung der Körper, die von Galilei und Kepler entdeckt worden waren und die Newton verallgemeinert hatte. Auf Grund der Kenntnis dieser Gesetze konnte man mit einer für die damalige Zeit unerhörten Genauigkeit Berechnungen anstellen und Bewegungen von Körpern, wie etwa die Plugbahn eines geworfenen Körpers, vorherbestimmen, was für die Artillerie (Ballistik) von großer Wichtigkeit war. Die Chemie hatte in jener Zeit erst das Licht der Welt erblickt und steckte noch in den Kinderschuhen. Die unwissenschaftliche Theorie vom Phlogiston (brennende „Materie") herrschte vor. Die Gesetze der Chemie waren noch nicht entdeckt, man war ihnen jedoch auf der Spur. Es ist zu natürlich, daß die Chemie damals hinter der Mechanik als der älteren Schwester in der Familie der Naturwissenschaften zurückstand. Im Jahre 1781 entdeckte der englische Astronom Herschel einen neuen Planeten, der weiter von der Sonne entfernt war als die bisher bekannten, und nannte ihn Uranus. Acht Jahre später entdeckte Klaproth in Deutschland ein neues Metall und nannte es, getreu der alten Tradition, welche die Metalle mit den Planeten verband, Uran (später stellte es sich heraus, daß er Uranoxyd entdeckt hatte). Die Beobachtung des neuen Planeten zeigte, daß er sich, verglichen mit allen anderen bisher bekannten Planeten, anormal bewegte, denn mit jedem Jahr wich der Uranus mehr von der Bahn ab, die er laut den Gesetzen der Newtonschen Mechanik durchlaufen mußte. Es sah aus, als ob der Uranus diese Gesetze nicht befolge, sondern gegen sie verstoße. Im Jahre 1846 fanden der französische Mathematiker Leverrier und gleichzeitig mit ihm der Student Adams in England die Erklärungen für diese deutlichen Abweichungen des Uranus von der ihm durch das Gravitationsgesetz vorgeschriebenen Bahn. Die Erklärung widersprach nicht nur nicht diesem Gesetz, im Gegenteil, sie lag völlig in diesem Gesetz begründet. Leverrier und Adams nahmen an, daß im Sonnensystem ein bisher noch unbekannter und von der Sonne noch entfernterer Planet existiere, der durch seine Anziehung auf den Uranus einwirke und ihn von der Bahn ablenke, auf welcher er sich bewegen würde, wenn es diesen Planeten nicht gäbe. Man berechnete die Bahn des vermuteten Planeten und bestimmte seine wahrscheinliche Masse. Dann gab Leverrier an, an welchem Punkt des Himmels und zu welcher Zeit man den Planeten suchen müsse. Der deutsche Astronom Galle entdeckte tatsächlich an dieser Stelle einen neuen, bisher völlig unbekannten Planeten, der den Namen Neptun erhielt. Diese Entdeckung war einer der größten Triumphe des 4
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menschlichen Geistes, ein Sieg dieses Geistes über die geheimen Kräfte der Natur. Ein Triumph, der nicht nur Leverrier und allen Astronomen, sondern auch der Wissenschaft überhaupt Ruhm einbrachte. Es gibt heute kein Lehrbuch der Astronomie, das nicht von diesem historischen Ereignis berichtet. Später wurde im Sonnensystem ein noch weiter entfernter Planet, der Pluto, entdeckt. ' Ein Viertelj ahrhundert nach der berühmten Entdeckung des Neptun hatte die Chemie, welche die chemischen Grundstoffe erforscht, die gleiche Entwicklungsstufe erreicht wie vor ihr die Astronomie. Im Jahre 1869 entdeckte Mendelejew das periodische Gesetz und stellte sein Periodensystem der Elemente auf, welches leere Stellen besonderer Art aufwies. Das Vorhandensein dieser Lücken in dem von ihm aufgestellten System brachte Mendelejew auf die höchst kühne Vermutung, daß an diesen Stellen noch nicht entdeckte Grundstoffe stehen müßten. Auf der Grundlage seines Systems bestimmte er mit großer Genauigkeit im Voraus die Eigenschaften von drei dieser vorausgesagten Grundstoffe, die er Ekabor, Ekaaluminium und Ekasilizium nannte, da sie in seinem System hinter Bor, Aluminium und Silizium folgten. Darüber hinaus sagte er voraus, auf welche Weise das künftige Ekaaluminium entdeckt werden würde. Da seine Verbindungen flüchtige Stoffe sein müßten, so müsse man am leichtesten und schnellsten auch die geringsten Mengen mit dem Spektroskop sichtbar machen können, und daher könne man, wie Mendelejew meinte, erwarten, daß die Entdeckung gerade auf diese Weise erfolgen werde. Das wurde im Jahre 1870 geschrieben, und im Jahre 1875 fand der französische Chemiker und Analytiker Lecoq de Boisbaudran mit Hilfe des Spektroskops die Linien eines bis dahin unbekannten Metalls, das sich als das von Mendelejew vorhergesagte Ekaaluminium erwies. Der neue Grundstoff wurde zu Ehren des Landes, in welchem er entdeckt worden war, Gallium genannt. Auf den ersten Blick gibt es zwischen der Entdeckung des Neptun und der Entdeckung des Galliums keinen sichtbaren Zusammenhang. Aber dieser Zusammenhang, und zwar ein tiefer, innerer Zusammenhang des Erkenntnischarakters, besteht. Beide Entdeckungen wurden methodologisch auf die gleiche Art und Weise gemacht. Auf Grund eines bekannten Naturgesetzes — im ersten Falle des Nöwtonschen Gesetzes, im zweiten Falle des Gesetzes von Mendelejew — wurden neue, bis dahin unbekannte und sogar nicht einmal vermutete Körper vorausgesagt, die später auch empirisch durch Beobachtung in dem betreffenden Gebiet der Natur entdeckt wurden: nämlich am Hamme) der Planet Neptun und auf der Erde unter den Mineralen das Gallium.
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Darüber hinaus wurden ähnlich wie die Eigenschaften und der Standort des Neptun auf Grund der sichtbaren Bewegungen des Uranus die Eigenschaften des Galliums und sein Platz im Mendelejewschen System auf Grund der bereits erforschten Elemente voraus bestimmt, die das Gallium im Periodensystem umgeben mußten. Friedrich Engels hat als erster diesen tiefen, die Erkenntnis betreffenden Zusammenhang zwischen den beiden Entdeckungen festgestellt und dadurch den allgemeinen Charakter der Gesetze der wissenschaftlichen Erkenntnis, die Einheit der Wege unterstrichen, die zur Entdeckung der Wahrheit auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Wissens, unabhängig vom Charakter und der spezifischen Eigenart des untersuchten Gegenstandes, führen. Engels, der die Bestätigung der von Mendelejew geäußerten Voraussagen über das künftige Gallium besonders hervorhob, schrieb in seiner „Dialektik der Natur", Mendelejew habe eine wissenschaftliche Tat vollbracht, die man ohne weiteres der Entdeckung von Leverrier, der die Bahn eines noch unbekannten Planeten, des Neptun, berechnete, an die Seite stellen könne. Wir müssen hervorheben, daß Mendelejew auf Grund des von ihm entdeckten Gesetzes nachwies, daß das wirkliche Atomgewicht des Urans doppelt so hoch sei wie das, das man diesem Grundstoff bis dahin zuschrieb. In der Folge stellte sich heraus, daß das Uran der schwerste Grundstoff von allen auf der Erde unter natürlichen Bedingungen vorkommenden Grundstoffen war. Daher kam es an die letzte Stelle im periodischen System der Elemente (1870), ebenso wie ein Vierteljahrhundert früher angenommen worden war, daß der Planet Uranus am weitesten von der Sonne entfernt sei und infolgedessen im Sonnensystem die letzte Stelle einnehme. Wenn in der Zeit Mendelejews die führende Rolle in der Entwicklung der Naturwissenschaft von der Mechanik auf die Biologie und Chemie überging, so wurde sie am Ende des vergangenen Jahrhunderts von der Physik übernommen und wird von dieser noch heute fest behauptet. Die neueste Revolution in der Naturwissenschaft, von welcher Wladimir Iljitsch Lenin in seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus" schrieb, stand vor allem in Verbindung mit den Entdeckungen, die auf dem Gebiet der Physik, hauptsächlich auf dem Gebiet der Struktur der Materie gemacht worden waren. Der folgende stürmische, wahrhaft revolutionäre Fortschritt der Physik gab die Möglichkeit, auf diesem Gebiet die höchste Stufe der Erkenntnis zu erreichen, eine Stufe, auf welcher nicht einfach das vorausgesagt wird, was noch nicht entdeckt ist, alper schon irgendwo in der Natur existiert, sondern wo man dieses Neue künstlich auf Grund der bereits erkannten Naturgesetze hervorbringt. Bis zum Jahre 1942 schloß das Periodensystem von Mendelejew mit dem Uran als dem schwersten Grundstoff ab, dessen Atomkern die höchste 4»
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Ladungszahl (Ordnungszahl) — 92 — besitzt. Und nun wurden bei der Lösung einer Aufgabe, bei der es sich um die praktische Verwertung der Atomenergie handelte, in den USA im Jahre 1942 zwei neue Elemente, die im Mendelejewschen System hinter dem Uran stehen, „entdeckt", künstlich hergestellt, synthetisiert. Und wieder erwachte im Bewußtsein der Wissenschaftler die alte Idee von irgendeiner Parallele zwischen den Planeten und den Elementen, der Gedanke, der bald erlosch und bald mit neuer Kraft wieder aufflammte und Bilder und Analogien wachrief, die längst vergessen schienen. Ähnlich wie der Planet Uranus lange Zeit als letzter in der Reihe der Planeten im Sonnensystem gegolten hatte und später der Neptun und der Pluto entdeckt worden waren, die weiter von der Sonne entfernt sind als der Uranus, so stand im periodischen System das Uran lange Zeit an letzter Stelle, bis schließlich, diesmal auf künstlichem Wege, zwei neue Transuranelemente mit den Atomladungszahlen 93 und 94 gefunden wurden. Der Gedanke, sie in Analogie zu den Entdeckungen der Astronomie Neptunium und Plutonium zu nennen, drängte sich von selbst auf. So wurden sie dann auch genannt. Bei oberflächlicher Betrachtung waltet hier einfach ein Spiel des Zufalls, eine Laune der Wissenschaftler, welche die beiden ersten Transuranelemente auf synthetischem Wege hergestellt hatten (seit jener Zeit ist die Zahl der künstlich hergestellten Transurane auf zehn gestiegen — eine eindrucksvolle Zahl, die fast den zehnten Teil der Gesamtzahl der bekannten Grundstoffe ausmacht). Wenn man sich in das Problem vertieft, so erkennt man, daß es sich hier nicht um ein zufälliges Zusammentreffen, nicht um die Laune eines Wissenschaftlers handelt, sondern um die Tatsache, daß auf allen Gebieten der wissenschaftlichen Erkenntnis das menschliche Denken in seinem unentwegten Streben nach Entdeckung der Wahrheit allgemeinen Gesetzen unterworfen ist und daher Stufen durchmißt, die einheitlich sind, unabhängig davon, ob menschliches Denken in die Geheimnisse des Himmels, des Makrokosmos, oder in die Geheimnisse der Welt der Atome, des Mikrokosmos, eindringen will. In diesem Prozeß erweitert und dehnt das menschliche Denken unaufhörlich die Grenzen des früher Erkannten aus und geht über das hinaus, was gestern noch als äußerste Grenze des Wissens galt. Wie dank der Entdekkung der neuen Planeten jenseits des Uranus die bekannten Grenzen des Sonnensystems vorgeschoben wurden, erwiesen sich auch die bekannten Grenzen des periodischen Systems dank der „Entdeckung" oder, besser, dank der Herstellung zweier neuer Transuranelemente als zu eng. Die Gemeinsamkeit der Bezeichnung unterstreicht den allgemeinen Charakter der zur Erkenntnis führenden Wege. Das ist kein mystischer, geheimnisvoller allgemeiner Zusammenhang, wie er den Weisen im Altertum erschien, die naiv die Sonne mit dem Gold und den Mond mit dem Silber in Verbindung brachten, sondern eine wissenschaftlich streng bedingte und 52
als Einheit der Wege zur Erkenntnis der Gesetze der Natur und zu ihrer Nutzung im Interesse des Menschen aufgefaßte Gemeinsamkeit. So ist der Vorrang in der Auffindung neuer Wege zum wissenschaftlichen Fortschritt in unserer Zeit von der Mechanik auf die Physik übergegangen, von der Lehre von der Bewegung der Himmelskörper auf die Lehre von der Bewegimg der Atomteilchen. Das bedeutet aber nicht, daß zwischen diesen Lehren eine Kluft entstanden ist oder daß jede von ihnen unabhängig von der anderen ihre eigenen Wege geht. Noch nie hat es in der Geschichte der Wissenschaft eine so enge Verflechtung und gegenseitige Durchdringung der verschiedenen Gebiete und Richtungen des menschlichen Wissens gegeben, wie wir das heute beobachten. In breiter geschlossener Front geht der Mensch zum Angriff gegen die Naturgeheimnisse vor — von den physischen „Elementar"-teilchen bis zum Eiweiß, dem stofflichen Träger des Lebens, vom KristaE bis zu der Metagalaxis, von der Zelle bis zum menschlichen Organismus. Bei dieser Offensive auf die Natur steht nun schon mehr als 60 Jahre die Physik in vorderster Front. "ähnlich wie vor 200 bis 300 Jahren die Mechanik allen übrigen Wissenschaften half, neue Erscheinungen zu entdecken (z. B. Harvey den Blutkreislauf, Pascal den atmosphärischen Druck oder Lomonossow und Dalton das Gesetz der chemischen Atomistik), spielt heute für alle Naturwissenschaften, für die Astronomie und Chemie, für die Biologie und Physiologie, die Physik diese Rolle. Sie ist in die Phase ihrer Entwicklung eingetreten, in der es möglich ist, auf künstlichem, auf synthetischem Wege das herzustellen, was in der Natur selbst nicht existiert, was aber existieren kann oder was wirklich schon einmal existiert hat. Wenn früher das Wort „Entdecken" in der Wissenschaft den Sinn besaß, in der Natur das zu finden, was in ihr bereits existiert, was wir aber noch nicht kennen, so wird heute in der Physik dieses Wort auch in einem höheren Sinne gebraucht, im Sinne von synthetisieren, d. h. etwas künstlich herstellen, was in der uns umgebenden Natur nicht existiert. Dies ist die höchste Errungenschaft der Macht des menschlichen Denkens. Wenn in der Natur dieser oder jener Stoff nicht existiert, dieser Stoff aber auf Grund der Naturgesetze existieren kann, warum soll er dann nicht „entdeckt", auf künstlichem Wege hergestellt werden ? Schon diese Fragestellung ist ein Zeugnis für die im Vergleich zu früher unermeßlich gewachsenen Macht des menschlichen Denkens und zugleich ein Zeugnis für die praktischen Möglichkeiten des Menschen, die Welt nicht nur zu erklären, sondern auch zu verändern. Diesen Weg geht nicht nur die moderne Physik, sondern ihn gehen auch viele andere Zweige der modernen Naturwissenschaft. Noch in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, vor hundert Jahren, war die organische Chemie nicht imstande, künstlich Farbstoffe, Arzneistoffe oder 53
Duftstoffe herzustellen, daher wurden diese hauptsächlich aus pflanzlichen Organismen gewonnen. Am Ende des vergangenen Jahrhunderts lernte die Chemie so komplizierte Farbstoffe wie Alizarin und Indigo und später auch synthetische Farbstoffe herzustellen, die-in der Natur überhaupt nicht existieren. Durch die Beeinflussung des Ablaufs der chemischen Reaktionen und durch die Kenntnis des Baus der entsprechenden Stoffe und der Gesetze, nach welchen sich die Eigenschaften dieser Stoffe durch die Veränderung'ihrer Struktur ändern, lernten die Chemiker die von ihnen benötigten Stoffe mit ihren im voraus festgelegten Eigenschaften gewinnen und übertrafen BO die Natur selbst. Dies kann man in unserer Zeit besonders anschaulich am Beispiel der synthetischen Herstellung einer Anzahl äußerst wichtiger Stoffe wie zum Beispiel Kautschuk, Kunstfaser und einer Reihe anderer sehen. Durch Veränderung des Aufbaus des Moleküls, durch die Einführung neuer Atomgruppen oder durch Änderung deren gegenseitiger Verbindungen verändern die Chemiker die Eigenschaften der gewonnenen Stoffe in der erwünschten Richtung (so erhält man z. B. kältefesten Gummi aus entsprechend hergestelltem Kautschuk), In der Biologie hat die von Gärtnern und Pflanzenzüchtern betriebene künstliche Auslese Darwin seinerzeit auf den Gedanken von der natürlichen Auslese gebracht, die sich in der N&tur selbst spontan, ohne Beteiligung des Menschen vollzieht. Während seiner Reise auf der „Beagle" entdeckte Darwin in Ländern, die der Mensch noch wenig erforscht hatte, viele neue Arten, die der Wissenschaft noch unbekannt waren. Diese Entdeckungen trugen zur Ausarbeitung der Evolutionslehre in der Biologie bei und wurden von Darwin in seinem Werk „Über den Ursprung der Arten" verallgemeinert. Diese Lehre war jedoch noch nicht die Hauptstufe in der Entwicklung der modernen Biologie. Die Hauptsache war, daß man lernte, die Entwicklung lebender Organismen im Interesse des Menschen auf Grund der Gesetze zu lenken, welchen sie unterworfen sind. Die Aufgabe, die Gesetze der lebenden Natur zu beherrschen, um die bestehenden, vom Menschen kultivierten Arten zu verbessern, insbesondere aber, um neue, noch vollkommenere Arten zu schaffen, die den praktischen Bedürfnissen des Menschen entsprechen, ist bis heute noch längst nicht gelöst, obwohl der ganze Entwicklungsgang, sowohl der der Biologie selbst als auch der der praktischen Landwirtschaft, dieses fordert. Von ausnehmend großer Bedeutung ist in dieser Beziehung bekanntlich die Lehre Mitschurins, der dazu aufgefordert hat, von der Natur keine Gnadengeschenke zu erwarten, sondern ihr diese zu entreißen. Mitschurin hat gezeigt, daß ipan auf der Grundlage der in der lebenden Natur herrschenden Gesetze die bestehenden Kulturpflanzensorten im Interesse des Menschen verändern und verbessern, daß man auf künstlichem Wege neue Sorten dieser Pflanzen schaffen muß, die früher noch nicht existier54
ten. Selbstverständlich muß man vor allem die wirklichen Lebensgesetze, die Gesetze der Artenbildung kennen und darf nicht Universalgesetze, die nicht existieren, an ihré Stelle setzen wollen. Um die wirklichen Gesetze der Lebenstätigkeit der Organismen, auch die Gesetze der erblich übertragbaren Veränderungen, wirklich zu entdecken und zu erkennen, muß man verstehen, die Lebenserscheinungen allseitig zu betrachten, auch vom Standpunkt der modernen Physik (natürlich ohne sie nur physikalisch zu erklären, wie dies die Mechanisten getan haben und auch heute noch tun). Die Physik erforscht die einfacheren Erscheinungen, welche die Grundlage der übrigen Vorgänge der Natur bilden, und kann behilflich sein, das Wesen des Lebens und seiner Erscheinungen, insbesondere der Vererbung, zu verstehen. Man muß die Wirkung physischer Faktoren, die Wirkung der ultravioletten Strahlen, auf die Geschlechtszellen und das ganze Soma erforschen, um den Einfluß dieser Faktoren auf die Vererbung zu klären. Forschungen dieser Art darf man nicht als Ausdruck des Weismannismus-Morganismus interpretieren und ablehnen. Das würde unserer Wissenschaft erheblichen Schaden zufügen. Die Beziehungen zwischen der Physik und der Chemie einerseits und der Astronomie andererseits waren stets wechselseitig. Die Physik und die Chemie halfen mit ihren Entdeckungen der Astronomie, die astronomischen Entdeckungen der Physik Und der Chemie. Als der Chemiker Bunsen und der Physiker Kirchhoff im Jahre 1859 die Spektralanalyse entdeckten, ermöglichte diese Entdeckung nicht nur die Feststellung der chemischen Zusammensetzung der Sterne, sondern gab auch Lockyer die Möglichkeit, im Jahre 1868 im Sonnenspektrum die Linie eines noch unbekannten Elements zu entdeckén, das den Namen Helium erhielt. Erst 27 Jahre später wurde Helium auf der Erde gefunden. Die Anregung zur Schaffung eines „planetarischen" Atommodells, das wie ein MiniaturSonnensystem aufgebaut war, erhielten Rutherford im Jahre Í911 und Bohr im Jahre 1913 durch Daten der Astronomie. Nach diesem Modell kreist um den zentralen Kern (wie um eine Sonne) ein Schwärm von Elektronen (Planeten). In Anlehnung an die Bewegung unserer Erde, die nicht nur einen Jahresumlauf um die Sonne, sondern auch eine tägliche Bewegung um die eigene Achse vollführt, wurde für das Elektron im Jahre 1926 der Gedanke des „Spin" aufgebracht, welcher der Vorstellung von der Bewegung eines Körpers um seine eigene Achse entspricht. Jedoch waren in dieser Beziehung Übertreibungen vorgekommen, weil man die Bewegungsgesetze der Mikroteilchen vollständig mit den Bewegungsgesetzen der Makrokörper, auch der Himmelskörper, identifizierte. Als aber diese Übertreibungen berichtigt und das Spezifische herauskristallisiert worden war, das den Gesetzen der Mikroprozesse innewohn^ 55
vollzog die Physik einen neuen großen Schritt vorwärts und schuf in den Jahren 1924 bis 1928 die Quantenmechanik. Dieser Schritt wäre kaum möglich gewesen, wenn die Astronomie in der vorhergehenden Etappe der wissenschaftlichen Entwicklung der Physik nicht behilflich gewesen wäre, die zentrale Idee herauszuarbeiten, die den ersten Elektronenmodellen des Atoms zugrunde lag. Eine besonders enge Verbindung aber besteht zwischen der modernen Physik und der Astrophysik. Wenn vor 200 oder 300 Jahren die Astronomie Himmelsmechanik und nichts weiter war, so kann man sie heute mit unvergleichlich größerem Recht als Himmelsphysik bezeichnen. Die Physik liefert den Schlüssel zur Aufdeckung der Gesetze der astronomischen Erscheinungen, sie hilft, in ihren Kern, in den eigentlichen „Mechanismus" ihres Ablaufs einzudringen. Lange Zeit war es für die Wissenschaftler ein Rätsel, worin eigentlich die Quelle der Sonnenenergie und der Sternenenergie überhaupt zu suchen sei. Die alten Hypothesen — die Wärmehypothese (die Sonne zieht sich bei der Abkühlung zusammen und erhitzt sich von neuem infolge der Zusammenziehung) und die chemische (die Sonne ist ein Stück glühendes Anthrazit) — erwiesen sich als unhaltbar. Im Jahre 1939 schlug Bethe seinen „Kohlenstoffzyklus" vor, nach welchem sich aus Wasserstoffkernen (Protonen) ein Heliumkern (AlphaTeilchen) bildet, wobei dieser Vorgang von der Ausscheidung einer Riesenmenge von Atomenergie (Kernenergie) begleitet ist. Der Bethe-Zyklus war nicht nur die theoretische Antwort auf die den Physikern und Astronomen gestellte Frage nach der Quelle der Sternenergie, sondern gab auch den Schlüssel zur praktischen Auswertung dieser Lösung. Durch Verwendung von Kernen des schweren Wassers (Deuterium) vermochte der Mensch auf der Erde die thermonukleare Reaktion der Bildung von Helium aus Wasserstoff herbeizuführen, die bisher nur bei höchsten Temperaturen (in der Ordnung von mehreren Millionen Grad) auf den Sternen ablaufen konnte. Wie bekannt, liegt diese Reaktion der Funktion der sogenannten Wasserstoffbombe zugrunde. Vor nicht allzu langer Zeit nahm man an, daß die astronomischen und zum Teil auch die geologischen Erscheinungen außerhalb der Einwirkungssphäre des Menschen liegen. Das bedeutete, daß der Mensch die genannten Erscheinungen wohl beobachten und erklären, nicht aber nach seinem Gutdünken, wenn auch nur in geringem Maße, ändern könne. Diese Behauptung bedeutete einen Zweifel an der Macht des menschlichen Geistes, eine Beschränkung seiner Möglichkeiten auf das, was bisher erreicht war, ohne Berücksichtigimg der Perspektiven für einen weiteren Fortschritt in dieser Richtung. Das Erreichte wurde als der Höhepunkt des Möglichen betrachtet. Am 4. Oktober wurde die ganze Welt Zeuge, wie treffend die Meinung widerlegt wurde, daß die Welt der Himmelskörper nur beobachtet und 56
erklärt, nicht aber verändert werden könne. An diesem Tage startete in der UdSSR der erste künstliche Erdsatellit. Einen Monat später wurde in der UdSSR der zweite, noch größere Satellit gestartet. Von dieser Tat berichten mit Begeisterung und Staunen die Zeitungen und Zeitschriften der ganzen Welt als größtem Ereignis der Wissenschaft in der, letzten Zeit. Der einstimmige Chor der begeisterten Äußerungen über das Erscheinen der neuen Satelliten unseres Planeten ist ein Ausdruck der Anerkennung der Tatsache, daß nun die Astronomie den höheren Weg der Erkenntnis beschritten hat, welchen vor ihr schon die Physik beschritt, den Weg, auf welchem die Entdeckung von etwas Neuem die Schaffung, Herstellung von etwas Neuem bedeutet, nicht aber bloß die Auffindung von etwas Existierendem, bisher aber noch nicht Bekanntem. Wenn vor über hundert Jahren die Astronomie in der Person von Leverrier, der auf Grund der Gesetze der JSTewtonschen Mechanik die Existenz eines unbekannten Körpers im Weltraum voraussagte, der Physik, der Chemie und der Biologie den Weg bahnte, so ist heute die Rolle eines Pioniers auf die Physik übergegangen. Diese hat nicht nur ein Beispiel für die künstliche Herstellung in der Natur nicht vorhandener Körper gegeben, sondern auch bei der praktischen Lösung einer Aufgabe geholfen, die in der ganzen Astronomie eine revolutionäre Umwälzung hervorrufen und die Durchführung von interplanetaren Reisen erleichtern wird. Der Weg der von Ziolkowski stammenden Idee des interplanetaren Raketenmotors bis zur Verwirklichung dieser Idee in den ersten künstlichen Erdsatelliten ist unendlich lang. Auf dieser langen Strecke gab es viel schöpferisches Suchen und eine schöpferische und angestrengte Arbeit vieler Gelehrter, Erfinder und Techniker. Nicht nur viele Erfolge und Errungenschaften waren zu verzeichnen, sondern auch die bei einem solchen Werk unvermeidlichen Mißerfolge, aus welchen die, sowjetischen Forscher, die Kämpfer für die Verwirklichung der Ideen von Ziolkowski, immer wieder gelernt haben. Der Start der künstlichen Satelliten ist nicht nur eine Errungenschaft des wissenschaftlichen Denkens sowjetischer Gelehrter, sondern auch ein augenscheinlicher Beweis für die gewachsene Macht der Technik und der ganzen Produktion in der UdSSR, welche die entscheidende Rolle gespielt haben. Zugleich ist diese überragende wissenschaftliche und technische Errungenschaft unserer Zeit möglich geworden auf der Grundlage vereinter Anstrengungen von Menschen, welche die moderne Wissenschaft und Technik in Vollendung beherrschen und mutig vorantreiben. Hier manifestiert sich das unaufhaltsame Wachstum unserer wissenschaftlichen und technischen Kader und die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus. Eine wichtige Rolle in der theoretischen Bearbeitung und praktischen Lösung der gestellten Präge hat die Physik gespielt. Ohne die Physik, 57
ohne ihren tagtäglichen Beistand, ohne Nutzbarmachung aller ihrer Entdeckungen und Erkenntnisse wäre diese Aufgabe nicht nur nicht gelöst, sondern nicht einmal gestellt worden. Ebenso wie die moderne Physik den Schlüssel zum Verständnis der im Makrokosmos, in der Welt des Himmels, herrschenden Gesetze gibt, so gibt sie dem Menschen auch den Schlüssel zur praktischen Beherrschung der Möglichkeiten, in diese Welt einzudringen. So entwickelt sich dialektisch, in Widersprüchen, der Siegeszug des menschlichen Geistes. Zuerst wurden jenseits des Uranus im Sonnensystem die Planeten Neptun und Pluto entdeckt, dann wurden die im periodischen System hinter dem Uran stehenden Elemente Neptunium und Plutonium auf synthetischem Wege künstlich hergestellt und schließlich wurde mit Hilfe der Errungenschaften der modernen Physik und Technik der neue Erdsatellit „synthetisiert", künstlich hervorgebracht. Die Plätze wechselnd, vollführen beide Zweige der Wissenschaft, die Wissenschaft von den Himmelskörpern und die Wissenschaft vom Stoff, gleichsam einen glänzenden Stafettenlauf und übernehmen einer vom anderen die brennende Fackel des Wissend, die der Menschheit den Weg zur Erkenntnis der Natur und zu ihrer Beherrschung erleuchtet. Aber wie verschieden vollzieht sich dieser Siegeszug des menschlichen Geistes in den verschiedenen Lagern der menschlichen Gesellschaft, zu welchen in ihrer sozialen Bedeutung direkt entgegengesetzten Ergebnissen führt er in den USA, der Hochburg des modernen Imperialismus, und in der UdSSR, die an der Spitze des Lagers des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus steht! Das praktische Ergebnis, das die Enthüllung des Geheimnisses der Atomenergie in den. USA brachte, war die Herstellung der Atombombe. In diesem Zusammenhang wurden damals auch die ersten zwei Transuranelemente auf synthetischem Wege hergestellt. Im August 1945 erbebte die ganze Welt vor Entsetzen und Schmerz, als die Amerikaner auf die schutzlose, friedliche Bevölkerung von Hiroshima und Nagasaki die ersten beiden Atombomben, eine Uranbombe und eine Plutoniumbombe, warfen. Seit jener Zeit sind diese beiden Bomben das Synonym für die kalte, unmenschliche Grausamkeit, mit welcher der Imperialismus bereit ist, Tausende und Millionen von Menschen auszurotten, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu zerstören und die Schätze ihrer jahrhundertealten Kultur zu vernichten. Auf Jahrhunderte hinaus, solange die Erinnerung in den Menschen lebendig ist, wird die Atommörder der Fluch und der Haß der Völker treffen. Im Gegensatz zu diesem Verbrechen steht der Bau und die Inbetriebnahme des ersten in der Welt mit Atomenergie betriebenen Kraftwerks in der UdSSR. Das sowjetische Atomkraftwerk, ist der Beweis, daß die Atomenergie zu friedlichen Zwecken ausgenutzt werden kann und ausgenutzt werden muß, daß sie den Völkern Lebensfreude und Arbeits58
erleichtung bringen kann und bringen muß, nicht aber die Schrecken des Todes und die Zerstörung der besten Schöpfungen ihrer Hände. Das Licht, das von diesem Kraftwerk ausgeht, ist das Lic^t des physisch spürbaren Humanismus, von ^Lessen Ideen die Erbauer des Kraftwerks sich haben leiten lassen. Die gleichen Ideen des Humanismus haben die Sowjetmenschen auch bei der Herstellung der ersten beiden künstlichen Erdsatelliten begeistert. Reisen in den interplanetaren Raum gehören zu den verlockendsten aller Traumbilder, die von der Wiege der Menschheit an vor dem Auge der Starken und Kühnen auftauchten, die um ihres Volkes und aller Menschen Willen zu großen Taten bereit waren. Der erste Beweis, daß eine Verwirklichung dieses Traums möglich ist, war die Schaffung der künstlichen Erdsatelliten. Zwei Ereignisse, von denen das eine im Jahre 1945 geschah, als die ersten beiden amerikanischen Atombomben abgeworfen wurden, und das zweite im Herbst 1957, als die ersten sowjetischen künstlichen Erdsatelliten gestartet wurden, symbolisieren den Gegensatz zweier verschiedener Ideologien und Entwicklungstendenzen, zweier verschiedener Welten oder Lager. Als am Himmel die todbringenden Explosionspilze der amerikanischen Bomben erschienen, bedeutete das, daß die Imperialisten die höchsten Errungenschaften menschlichen Geistes zum Schaden der Menschen selbst ausgenutzt hatten, und jede Erinnerung an dieses Ereignis, das noch stark im Gedächtnis der Völker lebt, ruft bei allen ehrlichen und einfachen Menschen in der ganzen Welt Zorn und Empörung hervor. Das Erscheinen der beiden neuen sowjetischen „Sterne" am Himmel lenkt hingegen die Blicke aller ehrlichen und einfachen Menschen auf sich und ruft die Hoffnung wach,, daß notwendig eine Zeit kommen wird, in welcher die Errungenschaften des menschlichen Denkens nur dem Wohl der Menschheit dienen werden, in der es nie gelingen wird, die Errungenschaften zum Schaden der Menschen zu mißbrauchen. Wenn man von der gesellschaftlichen Bedeutung der wissenschaftlichtechnischen Entdeckungen und Erfindungen in der heutigen Welt spricht, darf man eine weitere Seite dieser Frage nicht übergehen. Bedeutungsvoll ist die Tatsache, daß der Start der ersten künstlichen Satelliten in unserem Lande fast mit der Vierzigjahrfeier der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution zusammenfiel, die den Weg zur-Schaffung der neuen sozialistischen Gesellschaft bahnte. Ebenso, wie zwischen den Stufen der Naturerkenntnis, die in den verschiedenen Naturwissenschaften erreicht werden, ein tiefreichender Zusammenhang des Erkennens besteht, so besteht auch zwischen den großen Bereichen des menschlichen Wissens, deren Gegenstand in dem einen Fall die Natur und in dem anderen die Gesellschaft ist, ein^ untrennbare Einheit. Ungeachtet des ganzen Unterschieds zwischen der Natur, die außerhalb des Menschen und unabhängig 59
von ihm existiert, und der Gesellschaft, die aus den Menschen gebildet ist, die miteinander durch Tausende verschiedener Fäden verbunden sind, haben die Wege, die zur Erkenntnis der Gesetze der Natur und der Gesetze der Gesellschaft und zur Beherrschung dieser Gesetze führen, viel Gemeinsames. Vor Marx war die Gesellschaftswissenschaft keine echte Wissenschaft, welche die wirklichen Gesetze der geseUschaftlichen Entwicklung aufdeckte. Erst Marx hat die Gesellschaftswissenschaft in den Rang einer echten Wissenschaft erhoben, indem er die wirklichen Lebensgesetze der Gesellschaft entdeckte. Nach der von Marx begründeten materialistischen Geschichtsauffassung dienen als bestimmendes Moment in der gesellschaftlichen Entwicklung letzten Endes die Produktion von Existenzmitteln, die Art und Weise der materiellen Produktion. Diese Grandthese des historischen Materialismus hat durch Marx die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft seiner Zeit und der dieser Gesellschaft vorausgegangenen vorkapitalistischen^ antagonistischen sozialökonomischen Formationen bewiesen. Als das allgemeine Gesetz für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in allen ihren historischen Etappen entdeckt worden war, ergab sich aus diesem Gesetz erstens, daß allefrüheren,darunter auch die wenig erforschten und sogar die noch nicht erforschten Entwicklungsstufen der Gesellschaft, diesem Gesetz folgen müssen und daß zweitens die zukünftige Gesellschaft, die, wie Marx sagte, nach der Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft auf revolutionärem Wege entstehen werde, ebenfalls diesem allgemeinen Gesetz unterworfen sein wird. Folglich handelt es sich um die Bestätigung der Entdeckung von Marx sowohl hinsichtlich der schon früher vorhandenen ¡Stufen, welche die menschliche Gesellschaft durchmessen, die Wissenschaft aber noch nicht erkannt hatte, als auch hinsichtlich der Stufen, die es in der Geschichte noch nicht gegeben hatte und die nach der wissenschaftlichen Voraussage von Marx in der Zukunft ihre Verwirklichung finden sollten. Bestätigungen der ersten Art gab es noch zu Lebzeiten von Marx. Einen besonderen Platz nehmen unter ihnen die Forschungen des amerikanischen Soziologen L. H. Morgan ein, welche die frühe Gesellschaft in Amerika betreffen. In seiner Arbeit „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" zeigte Engels im Zusammenhang mit den Forschungen L.H.Morgans, daß dieser bereits auf seine Weise die seinerzeit von Marx entdeckte materialistische Geschichtsauffassung entdeckt und folglich auch bestätigt hat. Das große Verdienst Morgans bestand nach Engels darin, daß er in den Hauptzügen die vorgeschichtliche Grundlage unserer geschriebenen Geschichte wiederhergestellt und in den Gentilbeziehungen der nordamerikanischen Indianer den Schlüssel zur Erklärung äußerst wichtiger, bis dahin nicht gelöster Rätsel aus der alten 60
Geschichte Griechenlands, Roms und Deutschlands gefunden habe. Mithin hat Morgan die Lehre von Marx bestätigt, und zwar von der Seite her, die bereits realisierte, schon früher verwirklichte Etappen der Geschichte der Gesellschaft in der Früh zeit ihrer Entwicklung betraf. Schwieriger stand es mit der Prüfung der Richtigkeit der Lehre von Marx in demjenigen Teil, der die künftigen, noch nirgendwo verwirklichten Stadien der menschlichen Geschichte betraf. Die erste derartige Bestätigung noch zu Lebzeiten von Marx und Engels war die Pariser Kommtme von 187i. Sie bestand aber nur kurze Zeit und vermochte nicht, die neue, von Marx vorausgesagte Gesellschaft zu errichten. Eine entscheidende Bedeutimg in dieser Beziehung hatte die Sozialistisches Oktoberrevolution in Rußland von 1917, denn sie war die siegreiche proletarische Revolution, die eine neue historische Epoche, die Epoche des Sozialismus und Kommunismus, einleitete. Zum erstenmal in der ganzen jahrtausendealten Geschichte der menschlichen Gesellschaft erfolgte der Aufbau der neuen sozialökonomischen Ordnung nicht spontan, sondern bewußt durch Menschen, die sich durah die Lehre von Marx leiten ließen und die Welt planmäßig veränderten. Wenn Entdeckungen in der Art der Entdeckungen yon Morgan den Marxismus durch Tatsachen bestätigen, die in der Geschichte bereits beständen, so Handelte es sich jetzt um einen anderen, einen grundsätzlich neuen Weg zur Prüfung und Bestätigung der Theorie von Marxdurch den praktischen Aufbau einer Gesellschaft, die bisher noch nie und nirgends existiert hätte. Das bedeutete, daß von nun an in der Entwicklung der Gesellschaftswissenschaft wie auch der ganzen Gesellschaft völlig neue, früher unbekannte und undenkbare Bahnen beschritten werden, die es möglich machen, die von Marx den Philosophen gestellte Aufgabe zu verwirklichen, nämlich die Welt nicht nur zu erklären, wie das früher geschah, sondern sie auch entsprechend den ihr innewohnenden Gesetzen zu verändern. Die 40jährigen Erfahrungen des Aufbaus einer neuen sozialistischen Gesellschaft in unserem Lande, zu welchen heute die überreichen Erfahrungen hinzukommen, die beim Aufbau des Sozialismus in Volkschina, in den europäischen Ländern der Volksdemokratie und in anderen Ländern, die den Weg des Sozialismus beschritten haben, gesammelt wurden, sind ein glänzender Beweis, daß die marxistische Gesellschaftswissenschaft unweigerlich in ihr höchstes Entwicklungsstadium eingetreten ist, in welchem die Wahrheit wissenschaftlicher Theorien an der praktischen Verwirklichung von etwas Vorhergeschautem geprüft wird, und zwar betrifft diese Voraussicht nicht nur etwas, was schon existiert oder früher existierte, sondern auch das, was erstmalig in der Geschichte geschaffen wird. Daher besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen dem Start der ersten künstlichen Erdsatelliten und der denkwürdigen Jahresfeier der Oktober-
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revolution, denn sowohl das eine wie das andere dient unabhängig von seinem Unterschied als markantes Beispiel für den Triumph des menschlichen Geistes, für den Triumph des schöpferischen Wirkens eines Volkes, das den Weg zur Befreiung von den Ketten jeglicher Sklaverei, jeglicher Unterdrückung, jeglicher Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beschritten hat. • Fragen der Philosophie, Heft 6, 1957. Übersetzung entnommen aus „Die Presse der Sowjetunion", Nr. 29, 1958.
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Dialektik und Wissenschaft A. D. ALEXANDROW Zum Unterschied von jeder anderen Ideologie ist die marxistische eine konsequent wissenschaftliche Ideologie, die auf der objektiven wissenschaftlichen Erkenntnis der Natur, der Gesellschaft und des Denkens beruht. Die Entwicklung unserer Ideologie und der Kampf mit ihren Gegnern können darum nicht anders als auf der Grundlage der philiosophischen Verallgemeinerung der Ergebnisse der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Praxis erfolgen. Die allseitige Entwicklung der wissenschaftlichen Grundlagen der marxistischen Ideologie ist darum die wichtigste Aufgabe unserer Wissenschaftler. • Die Ausarbeitung der marxistischen Philosophie und insbesondere der philosophischen Probleme der Naturwissenschaften ging jedoch bei uns mehrere Jahre lang nicht genügend in die Tiefe; auch waren in ihr in nicht geringem Maße Dogmatismus und Fehler enthalten. In einigen Fällen wurde faktisch der Standpunkt vertreten, die neuen Ergebnisse der Wissenschaft trügen nichtp zur Entwicklung des dialektischen Materialismus bei, und ihre philosophische Auslegung könne nur auf die Anwendung bereits fertiger Thesen zurückzuführen sein. Die Kritik am Idealismus erfolgte häufig oberflächlich, ohne hinreichend gründliche wissenschaftliche Argumentation. Um aber auf die „Widerlegung" des Materialismus durch bedeutende Wissenschaftler wie etwa W. Heisenberg entgegnen zu können, muß man sich mit der wissenschaftlichen Analyse jener Probleme wappnen, auf deren Untersuchung sie ihre Schlüsse aufzubauen suchen. Lenin wies darauf hin, daß der philosophische Idealismus nur vom Standpunkt des groben, einfachen, metaphysischen Materialismus aus Unsinn ist, vom Standpunkt des dialektischen Materialismus aus aber ist der philosophische Idealismus eine einseitige, übertriebene Entwicklung eines der Züge, einer der Seiten, einer der Grenzen der Erkenntnis zu einem Absolutum, losgelöst von der Materie.1 Darum muß auch die Widerlegung mancher idealistischer Konstruktionen letzten Endes von 1
Siehe W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 288—289.
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der genauen Erklärung derjenigen Seiten der Erkenntnis und derjenigen Erscheinungen der Wissenschaft ausgehen, die vom Idealismus verzerrt gedeutet werden. Dadurch wird die erkenntnistheoretische Wurzel einer solchen idealistischen Konstruktion untergraben, und deren Kritik läuft nicht nur auf den einfachen Hinweis hinaus, daß das Idealismus sei. Im Zusammenhang mit gewissen Unzulänglichkeiten in der Ausarbeitting philosophischer Probleme der Naturwissenschaften hat sich die Gewohnheit herausgebildet, unseren Philosophen Scholastizismus und oberflächliches Verständnis, ja sogar Ignoranz in den Problemen der Naturwissenschaften vorzuwerfen, über die sie urteilten. Hinter der Schärfe der aus diesem Anlaß abgegebenen Urteile ist jedoch nicht immer ein ausreichend objektives und profundes Verständnis des Wesens der Sache zu erkennen. Tatsächlich eifern in einigen Fällen die Naturwissenschaftler gegen den Dogmatismus und die „Ignoranz" der Philosophen auf eben dem Niveau, das schon für die Philosophen charakteristisch war, die gegen die Naturwissenschaftler wegen philosophischer „Verzerrungen" eiferten. Ein solcher Austausch von „Liebenswürdigkeiten" trägt natürlich keineswegs zu einer positiven Lösung der wirklichen Aufgaben der Wissenschaft bei. In manchen Artikeln über philosophische Fragen der Physik und der Mathematik konnte man krasse Beispiele hierfür antreffen. So ließ z. B. N. W. Markow in seinem Artikel „Die Bedeutung der Geometrie Lobatschewskis für die-Entwicklung der Physik"2 einen elementaren Mangel an Verständnis für die grundlegenden Leitsätze der Geometrie Lobatschewskis erkennen und verstieg sich so wéit, die Basis der natürlichen Logarithmen (e = 2,78 . . . ) gleich Eins zu setzen! Derartige Dinge — und man könnte ihrer bei Durchsicht einiger anderer Artikel leider noch mehr nennen — gehören in das Gebiet jener betrüblichen Anekdoten, derentwegen man vor Scham erröten muß, denn solche Artikel kamen seinerzeit auch in den Veröffentlichungen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR vor. Sehen wir aber von solch krassen Fällen ab, so muß doch objektiv anerkannt werden, daß in den Fragen der Physik oder der Mathematik nicht nur die Philosophen irren bzw. ungenügend informiert sind. Einige Beispiele zum Beweis: Prof. J . P. Terlezki, ein Fachmann auf dem Gebiet der theoretischen Physik, veröffentlichte einen Artikel über die Grundlagen der Relativitätstheorie, in dem er als Gegengewicht zur verbreiteten Ableitung der Lorentz-Transformationen auf der Grundlage des Gesetzes von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in Verfolgung philosophischer Ziele eine Ableitung gab, die auf der Tatsache der Abhängig2 Philosophische Fragen der modernen Physik, Moskau 1952, S. 186—215 (russ.).
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keit der Masse von der Geschwindigkeit beruht.4 Indessen ist schon seit 40 Jahren bekannt, daß es bei den vom Autor angenommenen allgemeinen Voraussetzungen über den Charakter der Transformationen nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder die Galilei-Transformationen oder die Lorentz-Transformationen, und daß darum jede zusätzliche Bedingung, die die relativistische von der klassischen Physik unterscheidet, eben notwendig zu den Lorentz-Transformationen hinführen muß. Offensichtlich war dem Autor dieser Umstand jedoch nicht bekannt. Letztlich stellte es sich heraus, daß die vom Autor gegebene Ableitung nichts prinzipiell Neues enthält und daß die philosopische Analyse reichlich oberfächlich ist. Als weiteres Beispiel kann der grobe Fehler in der Frage der GruppenTransformationen dienen, der von dem berühmten Physiker W. Pauli in seinem klassischen Buch über die Relativitätstheorie begangen wurde.4 Man kann noch auf das Buch „Die Evolution der Physik" von A. Einstein und L. Infeld hinweisen, in dem der Streit, ob das ptolemäische oder das kopernikanische Weltbild das richtige sei, als gegenstandslos bezeichnet und die Aufgabe gestellt wird, „eine für alle Systeme geltende relativistische Physik" auszuarbeiten, eine Physik, „in der kein Raum mehr ist für absolute Bewegung, in der es nur noch relative Bewegungen gibt". 6 Diese Behauptungen beruhen jedoch auf Mißverständnissen. Nebenbei gesagt, liegt der verbreiteten Vorstellung vom allgemeinen Prinzip der Relativität aller Bewegungen und von der Verallgemeinerung des Prinzips der Relativität gleichförmiger Bewegungen u. a. ein mathematischer Fehler zugrunde. Seit langem schon ist nachgewiesen, daß es keine allgemeinere Relativität als diese „spezielle" geben kann und daß es sich einfach darum handelt, die physikalische Bedeutung dieses Theorems zu verstehen. Es wird jedoch kaum jemand so kühn sein, von einer „Unkenntnis" Einsteins oder Paulis zu sprechen. Denn wenn schon solche Physiker dieses Vergehens bezichtigt werden, wer wäre dann kein Unwissender ? Selbstverständlich wollen wir damit keineswegs sagen: „Wenn sich schon Einstein irrte, können wir uns ebenfalls irren", und philosophische Urteile erforderten kein Wissen über spezielle Fragen. Die angeführten Beispiele weisen u. a. vielmehr daraufhin, daß die Hauptwurzel der Mängelin der Behandlung philosophischer Probleme der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, nicht so sehr in fehlendem physikalischen Wissen zu suchen ist, sondern in Wirklichkeit philosophischer Art ist. Einige Autoren, die über philosophische Probleme der Naturwissenschaften schrieben und schreiben, brachten der Wissenschaft nicht die ihr gebührende Achtung entgegen und setzten sich über die Beweiskraft 3 4 5
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„Fragen der Philosophie", Heft 4, 1953, S. 207—212 (russ.). W. Pauli, Die Relativitätstheorie, Moskau-Leningrad 1947 (russ.). A. Einstein und L. Infeld, Die Evolution der Physik, Wien 1950, S. 251—252.
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ihrer objektiven Ergebnisse hinweg; faktisch ersetzten sie das objektive Kriterium des Experiments und der Praxis durch das subjektive Kriterium der Übereinstimmung mit ihren eigenen Ansichten. Nur mit einer Nichtachtung der Wissenschaft kann man erklären, daß in einer Reihe von Artikeln über die Relativitätstheorie diese „machistisch", „reaktionär" genannt wird. Über das Wesen der Theorie kann man streiten, und gegen ihre idealistische Auslegung muß man kämpfen, aber die Theorie selbst als „machistisch" zu verleumden, bedeutet, die größten Errungenschaften der Wissenschaft zu verwerfen. Wenn man den Schluß über die Relativität der Gleichzeitigkeit oder die bekannten Angaben über die materiellen Strukturen der Geschlechtszellen, die den Erbgang bestimmen, als „idealistisch" „entlarvte", so offenbarte man damit ebenfalls eine elementare Geringschätzung der wissenschaftlichen Daten. Wenn einige Autoren schrieben, daß man bei einer philosophischen Analyse des Artproblems in der Biologie von den Äußerungen der Klassiker der Wissenschaft, aber auch von den Erfahrungsdaten ausgehen muß, oder daß die Relativitätstheorie, obwohl sie durch das Experiment bestätigt wird, idealistisch sei, so stellten sie damit die Autorität der Meinung über die Autorität der Praxis, d. h., sie rückten nicht nur vom Marxismus ab, sondern auch von F. Bacon, der bereits vor Anbruch der modernen Wissenschaft gegen die mittelalterliche Servilität vor den Autoritäten und für das Kriterium des Experiments und der Praxis kämpfte. Das philosophische Wesen solcher Ansichten besteht in der Abkehr vom Kriterium der Praxis in der Erkenntnistheorie, in der Anerkennung des Primats des Subjektiven gegenüber dem Objektiven, d. h. in der Abkehr vom Materialisjnus. Ebenso schädlich wie die überhebliche Mißachtung einiger Philosophen gegenüber den „speziellen Wissenschaften" ist auch die Geringschätzung einiger Physiker und Mathematiker gegenüber der Philosophie, die sie als „unnütze allgemeine Gespräche" darstellen wollen. Es ist angebracht, sich daran zu erinnern, daß große Reformatoren der Wissenschaft wie N. I. Lobatschewski, L. Boltzmann, Ch. Darwin und viele andere immer von den „speziellen Wissenschaften" aus zu den Verallgemeinerungen von allgemein-philosophischer Bedeutung aufstiegen. Wenn hinter der Mißachtung dfer konkreten Daten der „speziellen Wissenschaften" und der Praxis philosophischer Dogmatismus und Scholastizismus drohen, so stehen hinter dem entgegengesetzten Extrem—der Mißachtung der philosophischen Verallgemeinerung und der philosophischen Analyse der wissenschaftlichen Probleme — der Pragmatismus und der Positivismus, die die Wissenschaft als einen systematischen Katalog nützlicher Kenntnisse und Rezepte ansehen. Diese Extreme trifft man in mehr oder weniger ausgeprägter Form immer bei uns an, es besteht kein Zweifel, daß gegen sie ein konsequenter Kampf an zwei Fronten nötig ist.
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In einer solchen Gegenüberstellung der „speziellen Wissenschaften" und der Philosophie äußert sich u. a. ein Unverständnis der Dialektik des Besonderen und des Allgemeinen. Hier stoßen wir auf die Hauptursache von Mängeln und Fehlern in der Behandlung philosophischer Probleme der Naturwissenschaften, ja sogar der Entwicklung unserer Philosophie überhaupt. Diese Ursache liegt im mangelnden Verstehen der marxistischen Dialektik und in der Unfähigkeit, diese auf der Grundlage der neuen Ergebnisse der Wissenschaft schöpferisch anzuwenden und weiterzuentwickeln. Schon W. I. Lenin sagte, die Physik sei „hauptsächlich gerade deswegen zum Idealismus abgeglitten, weil die Physiker die Dialektik nicht kannten".8 Genauso sind viele unserer Autoren zur Metaphysik „abgeglitten" und in manchen Fragen hauptsächlich deswegen nicht zur Klarheit vorgedrungen, weil sie die Dialektik nicht schöpferisch meistern konnten. Natürlich ist die Dialektik nicht irgendein apriorisches System, das man „an sich", von den anderen Wissenschaften und von der gesellschaftlichen Praxis getrennt, beherrschen kann. Ganz im Gegenteil entwickelte und soll sich die Dialektik entwickeln auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Umgestaltung der Natur, der Gesellschaft und des Denkens. Darum setzt die schöpferische Entwicklung der Dialektik und die Fähigkeit, sie anzuwenden, eine gründliche Kenntnis der Schlußfolgerungen der Wissenschaft voraus. Diese Kenntnis bleibt jedoch nur äußerlich und dringt nicht in die Tiefe der Verallgemeinerung vor, wenn sie nicht mit der dialektischen Analyse und Synthese verbunden wird. Kurz gesagt: Die allgemeine Dialektik und die konkreten Wissenschaften sind zwei notwendige Seiten der dialektischen Einheit, die allein zu einem echten verallgemeinerten Wissen führt. Darum wird auch unter der Ausarbeitung der allgemeinen Probleme jeglicher Wissenschaft die Verbindung des philosophischen dialektischen Denkens mit der Aneignung des konkreten Materials verstanden. Wenn wir schon von den Überspitzungen und Fehlern in der philosophischen Arbeit der vergangenen Periode sprechen, so dürfen wir darüber doch deren großes positives Ergebnis nicht vergessen. Wenn z. B. in der Diskussion über die Relativitätstheorie auch offensichtliche Ungereimtheiten vorgebracht wurden, so führte sie doch, im ganzen gesehen, ähnlich wie andere Diskussionen dieser Art zu einer Präzisierung der Fragen und zu einer klareren Einsicht, wie tief einige durch den Idealismus hereingebrachte Vorstellungen in die Auffassung von der Theorie eingedrungen sind. Die Grundlagen des dialektischen Materialismus wurden nicht nur zum Allgemeingut, sondern es entstanden auch Ar6
s
W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1954, S. 252.
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beiten — und unter diesen solche grundlegender Art —, in denen der dialektische Materialismus tatsächlich als Richtschnur für das Verständnis der wissenschaftlichen Probleme dient. Indem wir uns nur auf die exakten Wissenschaften beschränken, erinnern wir an den Artikel „Mathematik" von N. N. Kolmogorow, der bereits in der ersten Auflage der Großen Sowjet-Enzyklopädie erschien und in dem zum erstenmal eine ausführliche Erläuterung der Mathematik vom Standpunkt des dialektischen Materialismus aus gegeben wurde, oder an das Buch von W. A. Fock über die Theorie des Raumes, der Zeit und der Gravitation7, in dem eine konsequent materialistische Auslegung der Relativitätstheorie gegeben wurde. Bezüglich der Arbeiten von Philosophen erinnern wir beispielsweise an das Buch „Das Korrespondenz-Prinzip in der modernen Physik und seine philosophische Bedeutung"8 von I. W. Kusnezow, an das unlängst erschienene Buch von B. M. Kedrow über den ElementBegriff in der Chemie9 oder an das Buch von W. I. Swiderski über die philosophische Bedeutung der Raum-Zeit-Auffasungen iii der Physik.10 Der dialektische Materialismus breitet sich aus und beeinflußt außerhalb der Sowjetunion nicht nur Wissenschaftler in den volksdemokratischen Ländern. Es ist bezeichnend, daß Physiker wie M. v. Laue oder M. Born sich entschieden gegen jenen subjektiven Idealismus wenden, der verschiedentlich unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit in die Physik eindringt. So charakterisierte Born in seinem Vortrag auf dem Berner Kongreß, der anläßlich des 50. Jahrestages der Relativitätstheorie stattfand, die positivistischen Ansichten direkt als Absurditäten. Die Abhandlung J. W. Stalins „Über dialektischen und historischen Materialismus", in der ein klares und einfaches System der Grundzüge des dialektischen Materialismus dargeboten ist, war für die Verbreitung des Wissens über die Grundlagen des dialektischen Materialismus von großer Bedeutung. Der wesentliche Mangel der jüngsten Vergangenheit war jedoch, daß dieses System der Grundzüge der Dialektik dogmatisiert wurde. Die ganze Dialektik wurde auf dieses System reduziert, ihm angepaßt, obwohl Stalin selbst schrieb, daß die Dialektik durch diese Grundzüge wohl „charakterisiert", aber noch lange nicht erschöpfend behandelt werde. Ein ernstes Versäumnis war auch, daß den Schriften W. I. Lenins, die das Gebiet der Dialektik betreffen, nur ungenügende Aufmerksamkeit ge7 W. A. Fock, Die Theorie des Baumes, der Zeit und der Gravitation, Moskau 1955 (russ.). 8 I. W. Kusnezow, Das Korrespondenz-Prinzip in der modernen Physik und seine philosophische Bedeutung, Moskau-Leningrad 1948 (russ.). 9 B. M. Kedrow, Die Evolution des Element-Begriffs in der Chemie, Moskau 1956 (russ.). 10 W. I. Swiderski, Die philosophische Bedeutung der Raum-Zeit-Auffassungen in der Physik, Leningrad 1956 (russ.).
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schenkt wurde.11 Lenins geniale Ideen, die für den Weg der Entwicklung der Dialektik bestimmend sind, hat man sich nicht in gebührender Weise zu eigen gemacht. Bezeichnend war in dieser Hinsicht die Diskussion über die Logik, in der eine Reihe von Teilnehmern die Möglichkeit des Bestehens einer dialektischen Logik offen verneinte und sich bemühte, der Aufgabe der Entwicklung der Dialektik eben als Logik, d. h. als Wissenschaft von den Formen des Denkens, überhaupt aus dem Wege zu gehen und dieses Problem ganz der, zwar etwas verbesserten und ergänzten, formalen Logik zu überlassen. Indessen ist gerade diese logische Seite oder Funktion der Dialektik, die subjektive Dialektik als Widerspiegelung der objektiven Dialektik, von entscheidender methodologischer Bedeutung. W. I. Lenin schrieb: „Allseitige, universelle Elastizität der Begriffe, Elastizität, die bis zur Identität der Gegensätze geht — darin liegt das Wesentliche. Diese Elastizität, subjektiv angewendet = Eklektik und Sophistik. Wird diese Elastizität objektiv angewendet, d. h., widerspiegelt sie die Allseitigkeit des materiellen Prozesses und seine Einheit, dann ist sie Dialektik, ist sie die richtige Widerspiegelung der ewigen Entwicklung der Welt."12 „Dialektik ist die Lehre, wie die Gegensätze identisch sein können und zu sein pflegen (wie sie es werden) — unter welchen Bedingungen sie identisch sind, indem sie sich ineinander verwandeln—warum der menschliche Verstand diese Gegensätze nicht als tote, erstarrte, sondern als lebendige, bedingte, bewegliche, sich ineinander verwandelnde auffassen soll."18 „Wir können uns die Bewegung nicht vorstellen, wir können sie nicht ausdrücken, ausmessen, abbilden, ohne das Kontinuierliche zu unterbrechen, ohne zu versimpeln, zu vergröbern, zu zerstückeln, ohne das Lebendige zu töten. Die Abbildung der Bewegung durch das Denken ist immer eine Vergröberung, eine Ertötung, und zwar nicht nur durch das Denken, sondern auch durch die Empfindung, und nicht nur der Bewegung, sondern auch jedweden Begriffes. Auch darin liegt das Wesen der Dialektik. Gerade dieses Wesen wird auch durch die Formel ausgedrückt: Einheit, Identität der Gegensätze."14 „Die Dialektik kann, kurz als die Lehre von der Einheit der Gegensätze bestimmt werden. Damit wird der Kern der Dialektik erfaßt sein, aber das erfordert Erläuterungen und Entwicklung."15 11 Unserer Meinung nach wäre es nützlich, eine systematische Zusammenstellung der grundlegenden Äußerungen W. I. Lenins über die Dialektik zu veröffentlichen. Das würde nicht nur den breiten Massen der Leser die Aneignung der Gedanken Lenins erleichtern, sondern auch für die Philosophen ein Anlaß sein, dieses große. Leninsche Erbe noch einmal zu durchdenken. 12 W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 27. 13 Ebenda, S. 26. 14 Ebenda, S. 195. 15 Ebenda, S. 145.
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„Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner gegensätzlichen Bestandteile . . . ist das Wesen .. . der Dialektik."16 Die allseitige Elastizität des Denkens, die durch eine tiefgründige, konkrete Analyse die gegensätzlichen Seiten und Tendenzen des einen einheitlichen Gegenstandfes aufdeckt und durch die Synthese zum Verständnis der Einheit, der wechselseitigen Übergänge, der Identität dieser Gegensätze aufsteigt — das ist das Wesen der Dialektik als der allgemeinen Methode der Erkenntnis. Man kann sagen, daß in jedem großen Problem der Philosophie, der Wissenschaft und der Politik diese Einheit der Gegensätze zwangsläufig vor uns auftaucht: Materie und Bewußtsein in der Philosophie, Endliches und Unendliches in der Mathematik, Abr solutes und Relatives in der Relativitätstheorie, Möglichkeit und Wirklichkeit in der Quantenmechanik, die inneren Gesetzmäßigkeiten des Organismus und die Umwelt in der Biologie, das Kontinuierliche und das Unterbrochene, die qualitativen und die ¡quantitativen Umwandlungen in der Evolutionstheorie, Inhalt und Form, die Freiheit des Schaffens und die Parteilichkeit in der Kunst, die Gemeinsamkeit der Wege zum Aufbau des Sozialismus und die Eigenart dieser Wege in jedem Lande, der staatliche Plan und die örtliche Initiative usw. Das tiefe Verständnis jeder wissenschaftlichen Theorie, jedes Problems unseres Lebens und der Politik führt zur Dialektik der Gegensätze hin. Die Metaphysik sieht wohl diese Gegensätze, aber sie zerreißt sie, stellt sie einander gegenüber und verfällt entweder in eines der Extreme oder versucht, diese Gegensätze ohne innere Bindung eklektisch zu vereinigen. Im Gegensatz zur Metaphysik, analysiert die Dialektik konkret den notwendigen wechselseitigen Zusammenhang der Gegensätze, deren gegenseitige Bedingtheit und Übergänge, macht die grundlegende Seite des Widerspruches ausfindig und gelangt auf diese Weise zum völligen Verständnis des Gegenstandes in seiner widerstreitenden Einheit. Diese dialektische Elastizität des Denkens, die alle Seiten des Gegenstandes erfaßt, ist es auch, die, frei von jeder Schwankung, jedem subjektivistischen Extrem und jeder Eklektik, zur Klarheit des Schlusses und zur Festigkeit der Entscheidung führt. Sowohl das Verhältnis von' Materie und Bewußtsein als auch die Probleme der Dialektik selbst können nur gründlich untersucht werden, wenn man an diese Untersuchung dialektisch herangeht. In dem unlängst veröffentlichten Artikel von M. P. Lebedew „Materie und Bewußtsein"17 müht sich der Autor mit der Dialektik dieser Gegensätze ab und kann doch nicht mit ihr fertig werden; faktisch trennt er das Bewußtsein von der Materie, das Subjektive vom Objektiven. Er sagt, daß 18 17
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Ebenda, S. 285. „Fragen der Philosophie", Heft 5, 1956, S. 70—84 (russ.).
gerade „die Vulgärmaterialisten... das Subjektive als das Objektive erklären"18 und leugnet mit Entschiedenheit die objektive Existenz des Psychischen. Wenn der Autor jedoch an der Existenz des-Psychischen seiner Opponenten zweifelt, so zweifeln wir keinesfalls an seiner außerhalb und unabhängig von unserem Bewußtsein, d. h. objektiv, vorhandenen Psyche. Die Gegensätze werden hier identisch: Das Subjektive ist zugleich das Objektive; insbesondere ist das Subjektive von A für B objektiv, die subjektiven Ansichten des Philosophen erweisen sich als ein Moment des objektiven gesellschaftlichen Prozesses, das Bewußtsein ist eine Eigenschaft der Materie, das Ideelle ist eine Seite des materiellen Prozesses usw. Das Negieren der Objektivität des Psychischen hat ein Verwerfen der objektiven Methoden der Psychologie und ein Lossagen von der objektiven wissenschaftlichen Erkenntnis der Psyche zur Folge. Der Monismus des dialektischen Materialismus ist ein dialektischer Monismus, und an das Problem des Verhältnisses von Materie und Bewußtsein darf man nicht anders als dialektisch herangehen. Genau so wie z. B. die These der Dialektik über den allgemeinen Zusammenhang der Gegenstände und der Erscheinungen die Existenz dieser einzelnen Gegenstände und Erscheinungen meint und die These, daß sich alles bewegt, die Erhaltung des sich bewegenden Gegenstandes meint, so kann auch die Dialektik selbst nur dialektisch betrachtet werden. Das mangelhafte Verstehen der Dialektik führte in einigen Kardinalfragen der Philosophie der Naturwissenschaften zu Irrtümern. So wurde z. B. Darwin in weiten Kreisen eines „flachen Evolutionismus" beschuldigt, der angeblich die qualitativen Unterschiede in der belebten Natur, die qualitativen Grenzen zwischen den Arten negiere. Als philosophische Begründung hierfür diente die Auffasung, daß die qualitativen Veränderungen immer plötzlich, rasch eintreten und darum die Arten gerade auf diese Weise hervorgebracht werden müssen. Man darf jedoch nicht annehmen, daß Darwin, obwohl er den Menschen als das Produkt einer allmählichen Evolution auffaßte, derart naiv gewesen wäre, den qualitativen Unterschied zwischen einem Protisten und dem Menschen nicht zu sehen. Die qualitativen Veränderungen gehen in der Welt in verschiedenen Formen vor sich, entweder in der Form des Umschlags, der durch den voraufgehenden Prozeß quantitativer Veränderungen vorbereitet wird, oder in der Form einer allmählichen Anhäufung von Elementen einer neuen Qualität. Wenn man imbedingt die Isolierung des Moments des qualitativen Umschlags fordert,1 so trennt man dadurch den Prozeß der qualitativen Veränderung vom Prozeß der quantitativen Veränderung, d. h., man macht einen Schritt nach 18
Ebenda, S. 73.
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der Seite der metaphysischen Gegenüberstellung dieser Gegensätze hin. Die Gegensätze sind jedoch identisch. Unter bestimmten Bedingungen erweisen sich die quantitativen Veränderungen zugleich als qualitative Veränderungen. Die Kategorien der Qualität und der Quantität sind relativ; was in der einen Beziehung als qualitative Veränderung auftritt, kann in einer anderen Beziehung eine quantitative Veränderung sein. Eine Veränderung der Merkmale innerhalb einer bestimmten Art kann zugleich eine Entwicklung der Merkmale und dadurch das Entstehen einer neuen Art sein. Der einheitliche materielle Prozeß besitzt diese zwei Seiten, die gegensätzlich, aber untrennbar sind. Die Darwinsche Auffassung der Evolution ist dialektisch, weil sie die quantitativen Veränderungen tatsächlich als qualitative Veränderungen betrachtet, sie nicht ausschaltet, sondern organisch miteinander verbindet. Daher gibt es keinerlei philosophische Gründe, die genannte Auffassung unter diesem Gesichtspunkt zu verleumden. Die Frage, wie die neuen Arten in Wirklichkeit entstanden sind und entstehen können, kann nicht durch allgemeine philosophische Erwägungen beantwortet werden, sondern nur durch konkrete wissenschaftliche Forschung, die von der dialektischen Methode gelenkt wird, welche eben lehrt, daß die Wahrheit konkret ist. Kürzer gesagt, die Ursache jener geräuschvollen Wortgefechte und philosophischen Prätentionen, die mit dem unterschiedlichen Herangehen an das Problem der Artenbildung zusammenhängen, liegt unserer Meinimg nach darin, daß die Leninsche Auffassung von der Dialektik in Vergessenheit geraten ist. Recht scharf, wenn auch weniger geräuschvoll, entbrannte der Streit um die Grundlagen der Quantenmechanik, als die Idee vorgebracht wurde, daß sich die Quantenmechanik nicht auf individuelle Objekte, sondern nur auf deren Gesamtheiten, auf Ensembles beziehe. Die Verfechter dieser Ansicht beschuldigten die Andersdenkenden des Idealismus, als ob der Unterschied zwischen Materialismus und Idealismus nicht in der unterschiedlichen Auffassung des Verhältnisses von Materie und Bewußtsein, sondern darin bestünde, wozu man die Wellenfunktion rechnen muß. Der Hinweis auf den Idealismus wurde hier weniger als philosophisches Argument, sondern vielmehr als eine Faust gebraucht, die den Gegner knockout schlagen sollte. Dazu ist festzustellen, daß die philosophische Qualifikation einer Anschauimg, sei es in der Theorie des Gens oder in der Quantenmechanik, einer eingehenden Begründimg bedarf und nicht durch Schimpfen ersetzt werden kann. Diese Seite des Streites interessiert uns jedoch augenblicklich nicht. Die Frage geht in Wirklichkeit viel tiefer. D. I. Blochinzew, der den Gesichtspunkt der Ensembles entwickelte, rechnet in seinem Lehrbuch der Quantenmechanik die Wellenfunktion einem Ensemble von Teilchen zu, das Ensemble selbst aber bestimmt er als die Gesamtheit „der Teil-
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c h e n . . d i e sich unabhängig voneinander in demselben Zustand befinden ..."; Weiter sagt er, daß „der Zustand eines Teilchens... als Zugehörigkeit des Teilchens... zu einem bestimmten... Ensemble aufgefaßt werden muß".19 Der circulus vitiosus dieser Definition ist offensichtlich, denn das Ensemble wird durch den Zustand der Teilchen bestimmt, der Zustand des Teilchens aber wird durch seine Zugehörigkeit zum Ensemble bestimmt. Hinter diesem circulus vitiosus ist jedoch ein dialektischer Widerspruch verborgen, der bei mangelhafter Gründlichkeit der Analyse seinen Ausdruck eben durch die sich im Kreise drehende Definition fand. In seinem Artikel „Kritik der philosophischen Anschauungen der ,Kopenhagener Schule' in der Physik" berichtigte D. I. Blochinzew die von ihm aufgestellte Definition und unterstrich jene in der Quantenmechanik anerkannte These, daß ein Ensemble von Teilchen und dementsprechend auch der Zustand eines Teilchens (Wellenfunktion) bestimmt wird durch den Typus des Teilchens und durch die Bedingungen, in denen es sich befindet.20 Der Typus eines Teilchens (Elektron, Proton, Wasserstoffatom usw.) und die Bedingungen beziehen sich jedoch auf ein einziges Teilchen, und darum muß sich auch der durch sie bestimmte Zustand (Wellenfunktion) auf ein einziges Teilchen beziehen. Andererseits verbindet die allgemein anerkannte statistische Deutung der Wellenfunktion diese notwendig so oder so mit der Gesamtheit der Teilchen. Es ergibt sich ein Widerspruch. Dieser Widerspruch widerspiegelt jedoch die Natur der atomaren Prozesse, und seine Aufdeckung ist einer der tiefgehendsten, grundlegendsten Züge der Quantenmechanik. Den Zustand eines einzigen Teilchens charakterisiert die Wellenfunktion dadurch, daß sie die realen Möglichkeiten fixiert, wie sich das Teilchen unter den jeweils gegebenen Bedingungen (das Auftreffen auf eine bestimmte Stelle einer photographischen Platte usw.) verhält; realisiert werden diese Möglichkeiten aber in den unterschiedlichen Gesamtheiten der Experimente, die man nicht an einem einzigen Teilchen durchführen kann. Somit ist es in der Deutung der Quantenmechanik unmöglich, die Beschreibung eines Teilchens vollständig von der Betrachtung der Gesamtheit der Teilchen zu separieren und umgekehrt. Man kann die Theorie eines individuellen Objekts nicht von der Statistik trennen und die Statistik nicht von der Theorie, die das Verhalten eines individuellen Objekts behandelt, denn das Eine wird durch das Andere enthüllt. Insbesondere darum ist auch die Behauptung völlig falsch, daß sich die 19 D. I. Blochinzew, Die Grundlagen der Quantenmechanik, Moskau-Leningrad 1949, S. 54—55 (russ.). 20 Siehe Philosophische Fragen der modernen Physik, Moskau 1952, S. 358—395 (russ.), („das Ensemble im ganzen [Mikrosystem + Makromilieu] . . ."); deutsch: „Sowjetwissenschaft, Naturwiss. Abt.", Heft 4, 1953, S. 545—574.
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Quantenmechanik nur auf Ensembles beziehe. Sie ist jedoch auch keine Theorie der Bewegung eines individuellen Objekts in dem Sinne, wie es die klassische Mechanik ist. Augenscheinlich ist unter den sowjetischen Physikern die Anschauung anerkannt, daß diese grundlegende Besonderheit der Quantenmechanik ihre Begründung in den besonderen Formen der gegenseitigen Verbindung der Objekte auf atomarem Gebiet findet, einer gegenseitigen Verbindung, die es nicht gestattet, ein Objekt in dem gleichen Ausmaß zu isolieren, wie dies in der makroskopischen Sphäre möglich ist. Somit führt die Analyse der Grundlagen der Quantenmechanik zu einer Analyse der Gegensätze des einzelnen Objekts und seiner unlösbaren Verbindung mit den äußeren Bedingungen, des Verhaltens eines individuellen Objekts und der Statistik, der Zufälligkeit und. der Notwendigkeit, der Möglichkeit und der Wirklichkeit. Diese Gegensätze wurden im dialektischen Materialismus betrachtet, aber die Quantenmechanik bringt hier wesentlich Neues. Darum ist zu einem besseren Verständnis ihrers Wesens, d. h. des Wesens der atomaren Prozesse, auch eine gründlichere, nicht allein physikalische, sondern auch logisch-philosophische Analyse dieser Kategorien auf der Grundlage des neuen konkreten Materials erforderlich. Der Entstehung der Quantenmechanik ging eine andere große Errungenschaft der theoretischen Physik unseres Jahrhunderts voraus: die Begründung der Relativitätstheorie durch Einstein. Die Relativitätstheorie, die eine Theorie des Raumes, der Zeit und der Gravitation ist, gestaltete die früheren Vorstellungen auf dem betreffenden Gebiet so tiefgreifend um und beeinflußte die ganze Physik derart, daß man von einer relativistischen Physik im Gegensatz zur vorrelavistischen Physik sprechen kann. Zum Unterschied von der Quantenmechanik war die Relativitätstheorie jedoch gleichzeitig der Abschluß der klassischen Physik und bereitet darum für das Verständnis weniger Schwierigkeiten. Trotz des mehr als fünfzigjährigen Bestehens dieser Theorie erfolgt jedoch die Deutung ihrer Grundlagen noch keineswegs einmütig. Auf das Verständnis der Relativitätstheorie übten einige fehlerhafte und idealistische Ansichten einer Reihe bedeutender Physiker wesentlichen Einfluß aus. Dieser Einfluß betraf nicht nur die philosophische Deutung dieser Theorie, sondern auch die Auffassung ihres physikalischen Inhalts, des Inhalts ihrer grundlegenden Begriffe und Voraussetzungen. Wie es uns scheint, war dies auch der Hauptgrund für die Schwierigkeiten in der Auslegung der Relativitätstheorie. Bei den Versuchen, diese Einflüsse des Idealismus zu überwinden, wurden von einer Reihe Autoren bisweilen grobe Fehler begangen. Die tiefere Ursache der Irrtümer, sowohl der idealistischen als auch der vulgär-materialistischen 74
(oder einfach unwissenschaftlichen), war und ist vor allem, daß die Dialektik nicht verstanden wird. An der Diskussion über die Relativitätstheorie beteiligten sich auch solche Autoren wie I. W. Kusnezow, A. A. Maximow. R. J. Steinman und A. W. Schugailin, die den physikalischen Inhalt der Theorie mit seiner idealistischen Deutung vermengten, diesen physikalischen Inhalt selbst verwarfen und die Theorie als „machistisch", als „reaktionären Einsteinianismus" usw. schmähten. Diese Autoren einte nicht nur die Ablehnung der Relativitätstheorie, sondern auch die allgemeine philosophische Einstellung, die den dialektischen Materialismus durch den vulgären, den metaphysischen Materialismus ersetzt. Je lauter sie die Dialektik verkündeten, desto mehr rückten sie faktisch von ihr ab. Diese Irrtümer wurden bereits kritisiert, und man könnte sie der Vergangenheit anheimfallen lassen, wenn einige der genannten Autoren nicht auch weiterhin versuchten, ihre Linie, wenn auch in weniger plumper Form, durchzusetzen. So z. B. konnte R. J. Steinman in dem recht umfangreichen Artikel „Der Raum" in der Großen Sowjet-Enzyklopädie natürlich die Relativitätstheorie nicht beschimpfen, aber dafür widmete er ihr nur den einen Satz: „In der Relativitätstheorie . . . wurde festgestellt, daß die RaumGrößen und die Zeit-Größen miteinander in Beziehung stehen und sich mit der Änderung der Geschwindigkeit verändern und daß sich die Struktur des Raumes und der Zeit, oder die Raum-Zeit-Metrik, in Abhängigkeit von der Verteilung und der Bewegung der Massen verändert."21 Eine solche Erläuterung der Relativitätstheorie in dem Artikel der Grossen Sowjet-Enzyklopädie ist zumindest unsolide. Die Einheit von Raum und Zeit in der allgemeinen absoluten Form der Existenz von Materie — Raum — Zeit, die Relativität des Raumes u.a.m. — alles Fundamentale, was eben die spezielle Relativitätstheorie für das Verständnis des Raumproblems darbot, wurde durch eine unklare halbe Phrase über die Verbindung der Raum- und Zeit-Größen und über deren Abhängigkeit von der Geschwindigkeit ersetzt. Jeder, der den Artikel desselben Autors in dem bereits erwähnten Sammelband „Philosophische Fragen der modernen Physik'' gelesen hat, erkennt deutlich, was hinter dem genannten Artikel in der Großen Sowjet-Enzyklopädie und insbesondere hinter dem angeführten Zitat steht: Es ist in Wirklichkeit die Negierung der Relativitätstheorie und der Versuch, sie durch wirre Vorstellungen über die Wechselwirkung der Teilchen und des Feldes zu ersetzen, es ist eine rückläufige Bewegung von der Relativitätstheorie zu vorrelativistischen Auffassungen. Im wesentlichen die gleiche Position wird in deim Artikel „Die Relativitätstheorie" im „Philosophischen Wörterbuch" eingenommen; 21
„Große Sowjet-Enzyklopädie", 2. Auflage, Bd. 35, S. 106 (russ.).
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von diesem' Buch erscheint fast jedes Jahr eine neue Auflage mit dem genannten Artikel. I. W. Kusnezow, der erst unlängst Fragen der Relativitätstheorie behandelte, machte seinerseits große Anstrengungen, um andere Autoren zu kritisieren,22 erwähnte aber mit keinem Wort seine eigenen Ansichten, die in einem Artikel des Sammelbandes vom Jahre 1952 niedergelegt sind. Dieser Artikel ist sehr bezeichnend für den philosophischen Apriorismus, für das Nichtverstehen sowohl der Relativitätstheorie als auch, der Dialektik und dazu noch für einen Mangel an Bescheidenheit. Hier ist natürlich nicht der Ort, um diese bereits veraltete Abhandlung einigermaßen gründlich zu behandeln. Bezüglich des Apriorismus genügt es wohl, darauf hinzuweisen, wie I. W. Kusnezow an die Wesenszüge der Dialektik und des Materialismus heranzugehen versuchte, indem er von den apriorischen Forderungen des Monismus an jede Erscheinung von abstrakten Fragestellungen, „wie die Welt im Gänzen ist" u. a. m., ausging. Hier dürfte es von Nutzen sein, an die Kritik zu erinnern, die F. Engels dem Apriorismus Dührings mit seinen Erklärungen jener Art, daß die Welt eins und darum einheitlich sei, zuteil werden ließ. Was nun die Einstellung zur Relativitätstheorie betrifft, so schrieb I. W. Kusnezow in dem Sammelband vom Jahre 1952, daß „die materialistische . . . Deutung der Gesetzmäßigkeiten schneller Bewegungen in Wirklichkeit eine Äblcehr von der Relativitätstheorie Einsteins . .. ist" 23 und daß die bürgerlichen Wissenschaftler Einstein auf den Schild heben als den angeblichen „Begründer" der neuen „physikalischen Lehre von Raum und Zeit" 24 ; bezeichnend sind hierbei die ironischen Anführungszeichen, in die I. W. Kusnezow die Worte „Begründer" und „physikalische Lehre von Raum und Zeit" setzte. Daß aber die Begründung der 22 Siehe: I . W . Kusnezow, Über die Grundfragen der Relativitätstheorie, Sammelbd.: Philosophische Fragen der modernen Physik, Kiew 1956. In diesem Artikel verweist I. W. Kusnezow insbesondere auf die „Fehlerhaftigkeit" der Behauptung über den universellen Charakter der Lichtgeschwindigkeit (im Rahmen der klassischen Elektrodynamik). Wenn er aber den ganzen Band der Schriften von L. I. Mandelstam, dem er die von ihm kritisierten philosopischen Ansichten dieses Wissenschaftlers entnahm, durchgelesen hätte, so hätte er dort den Vortrag von M. A. Leontowitsch gefunden, in dem nachgewiesen wird, daß die Geschwindigkeit einer Wellenfront in jedem Medium immer ein und dieselbe ist. Gerade aber dasJFortschreiten der WeÜenfront ist bei der Feststellung des Zusammenhangs der Erscheinungen in der Zeit u. a. m. von Bedeutung. Aus dieser Bemerkung ergibt sich auch der Schluß, daß man die bedeutenden Wissenschaftler nicht nur kritisieren, sondern sie auch lesen und von ihnen lernen muß. Auch das ist Dialektik. Lenin hat darauf hingewiesen, daß die Dialektik als wesentliches Element die Negierung enthält, jedoch keine unbesonnene, leere Negierung, sondern eine Negierung unter Beibehaltung des Positiven. 23 Philosophische Fragen der modernen Physik, Moskau 1952, S. 72 (russ.). 24 Ebenda, S. 50.
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neuen physikalischen Lehre von Baum und Zeit durch Einstein eine objektive Tatsache und nicht eine Erfindung bürgerlicher Wissenschaftler ist, das ist sö allgemein bekannt, daß es gar keinen Sinn hätte, mit I. W. Kusnezow und den anderen obengenannten Autoren hierüber noch zu streiten. Wenn wir solche Extreme beiseite lassen und versuchen, die Wurzel der Fehler solcher Autoren aufzufinden, so werden wir, wie gesagt, erkennen, daß diese Wurzel im Nichtverstehen der Dialektik, insbesondere der Dialektik des Konkreten und des Abstrakten, des Absoluten und des Relativen, liegt. Am klarsten offenbarte sich die vulgäre Einstellung bei A. A. Maximow25, der bekanntlich nach der absoluten Trajektorie suchte und als Beispiel das Loch anführte, das von einem Meteoriten in die Erde geschlagen wurde. Er schlug vor, das Loch mit irgendeinem Stoff auszugießen und den Abguß, nachdem man ihn herausgenommen hat, vorzuzeigen, damit sich die absulute Trajektorie allen „wägbar, greifbar, sehbar" darbiete. Hier wurde die Abkehr von der wissenschaftlichen Abstraktion, die Abkehr von der Relativität in der Tat zu einem grob sichtbaren Extrem geführt. Völlig analog der „Widerlegung" des Prinzips der Relativität und der Gleichberechtigung der Inertialsysteme stützte sich Kusnezow in dem oben angeführten Artikel auf die Nichtgleichberechtigung der Systeme, die mit einem Meson und der Erde verbunden sind. Indessen hat niemand je behauptet, daß das Meson und die Erde völlig gleichberechtigt sind, weil jedem ihr Unterschied klar ist. Nach der Relativitätstheorie sind die Bezugssysteme nur in den Grenzen eines bestimmten Grades der Abstraktion gleichberechtigt. Vom philosophischen Standpunkt aus gibt es darin nichts Neues, denn auch die euklidische Geometrie behauptet die Gleichberechtigung aller rechtwinkligen Koordinatensysteme, aber ebenfalls nur in den Grenzen des der Geometrie eigenen Grades der Abstraktion. Warum dann nicht auch gleich gegen die Geometrie eifern ? Ahnlich verfuhr auch N. W. Markow in dem erwähnten Artikel über die Geometrie Lobatschewskis. Tatsächlich versuchte er, die Geometrie als Teil der Mathematik herunterzusetzen, wodurch er die tausendjährigen Errungenschaften der Wissenschaft anfocht. Insbesondere sagte er, daß man die „geometrischen Eigenschaften der Körper nicht isoliert von den nichtgeometrischen Eigenschaften (von den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Körper) betrachten darf".26 Unverkennbar empfahl er damit, in der Schule nicht die Dreiecke über26 Siehe A. A. Maximow, Der Kampf Lenins gegen den „physikalischen" Idealismus, Sammelbd.: Die gewaltige Kraft der Ideen des Leninismus, 1950, S. 187—222, besonders S. 205 (russ.). 26 Philosophische Fragen der modernen Physik, Moskau 1952, S. 194 (russ.).
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haupt, sondern unbedingt hölzerne oder eiserne Dreiecke zu behandeln. Wir brauchen kaum daraufhinzuweisen, daß F. Engels, als er das Wesen der Mathematik bestimmte, schrieb: „ . . . um diese Formen und Verhältnisse (d. h. die realen Raumformen und Quantitätsverhältnisse der Wirklichkeit. — A. A.) in ihrer Reinheit untersuchen zu können, muß man sie aber vollständig von ihrem Inhalt trennen, diesen als gleichgültig beiseite setzen.. ."27 Die Dialektik lehrt also die Notwendigkeit der Abstraktion, die Notwendigkeit, in der Mathematik die geometrischen Formen von ihrem Inhalt zu trennen. N. W. Markow aber behauptet, daß man das nicht tun darf. Auch das ist Metaphysik, die sich in den Gegensätzen des Abstrakten und des Konkreten verwirrt. Die Einheit dieser Gegensätze besteht nicht darin, daß man einen von ihnen beiseite läßt. W. I. Lenin führte aus, daß die wissenschaftlichen Abstraktionen die Natur tiefgründiger, zuverlässiger und vollständiger widerspiegeln und daß nur die unendliche Summe der abstrakten Begriffe das Konkrete in seiner Fülle ergibt. Eine Abkehr von der Abstraktion bedeutet eine Abkehr von der Wissenschaft, weil die wissenschaftliche Erkenntnis des Konkreten durch die Abstraktion geht, d. h. durch die „Negation" des Konkreten und die Rückkehr zu ihm auf einer höheren Stufe. Das Ersetzen aber der Abstraktion der Trajektorie durch ein Loch und der Abstraktion der Figur durch ein hölzernes Dreieck hat' weder zur Dialektik noch zu den Abc-Elementen der Wissenschaft eine Beziehung. Die Furcht vor der Abstraktion ist anscheinend durch die Furcht vor dem Idealismus bedingt. Tatsächlich steckt nach Lenin schon in der elementaren Abstraktion die Möglichkeit des Idealismus. Natürlich ist das so. Allerdings ist das nur erst die Möglichkeit, nicht aber bereits die Wirklichkeit des Idealismus. Es ist nicht notwendig, sich an die greifbare Materie zu halten in der Befürchtung, infolge der Abstraktion dem Idealismus zu verfallen. Das ist gar nicht nötig, wenn man sich nur von der marxistischen Dialektik und nicht von der Metaphysik leiten läßt. Die Fehler, die mit dem mangelhaften Verständnis eben dieses Verhältnisses des Konkreten und Abstrakten zusammenhängen, sind in der Behandlung des Begriffes der physikalischen Größe im Sinne des sogenannten Operationalismus enthalten. Von diesem Standpunkt aus besteht die Bestimmung einer physikalischen Größe darin, daß man einen bestimmten Gegenstand— einen Etalon — vorlegt, einen bestimmten Prozeß des Abmessens angibt und durch diesen Gegenstand und den Prozeß wird der begriff von der betreffenden Größe bestimmt.28 So bestimmt man z. B. eine Zeitspanne einfach als die Zahl der Schwingungen eines bestimmten 27 28
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F. Engels, Anti-Dühring, Berlin 1958, S. 45. Siehe L. I. Mandelstam, Sämtliche Werke, Bd. V, 1950, S. 177—180 (russ.).
Pendels.29 Dabei wird jedoch unter anderem nicht gebührend berücksichtigt, daß jeder wissenschaftliche Begriff eine bestimmte Abstraktion, eine gewisse Theorie erfordert, ohne die jede Vorweisung konkreter Gegenstände oder das Zählen von Pendelschwingungen nur äußere Wirkungen ohne wissenschaftlichen Inhalt bleiben. Eine konkrete Messung wird nur durch die Abstaktion, durch die Theorie bewußt erfaßt, und die Bestimmung einer physikalischen Größe erfordert die Verbindung des einen und des anderen. Eine extreme Gegenüberstellung dieser Gegensätze ist falsch. Mit dieser Konzeption ist auch die Auffasung verbunden, daß die wissenschaftlichen Definitionen den Charakter von Vereinbarungen trügen und als rein konventionell den Gesetzen der Physik gegenüberzustellen seien. Zwischen den Definitionen und den Gesetzen der Wissenschaft besteht jedoch eine dialektische Einheit. Wie die Formulierung eines Gesetzes die Definition der in ihm enthaltenen Begriffe erfordert, so erfordert auch die Definition ihre Rechtfertigung dadurch, daß der zu definierende Begriff den allgemeinen Wesenszügen der Wirklichkeit zur Genüge entspricht. Darum enthält eine wissenschaftliche Definition, insbesondere einer physikalischen Größe, in sich das Gesetz, das bestätigt, daß eine solche Größe für eine hinreichend große Gruppe von Erscheinungen wirklich existiert. Es stellt sich folglich heraus, daß die Gegensätze einer Definition und eines Gesetzes nicht nur eine Einheit bilden, sondern in gewissem Grade auch identisch sind. Besonders deutlich kann man die» am Beispiel der Geometrie sehen, deren Axiome bei ihrer heutigen abstrakten Auffassung auch ihre Gesetze und die Definition ihres Gegenstandes sind. In der Auffassung der Relativitätstheorie übertrieb selbst A. Einstein die Bedeutung der Relativität, worauf, nebenbei bemerkt, schon die Bezeichnung der Theorie hinweist. Es ist bekannt, daß H. Minkowski im Gegensatz hierzu als Wesenszug der Theorie die Auffassung vom absoluten Raum und von der absoluten Zeit hervorhob und direkt darauf hinwies, daß der Terminus „Postulat der Relativität" nicht dem tiefen Inhalt dieses Prinzips entspricht, sondern daß eher die Bezeichnung „Postulat der absoluten Welt" sein Wesen ausdrücken kann.30 Diese tiefere Auffassung des Wesens der Theorie wurde jedoch nicht in gebührender Weise wahrgenommen. Die Überbetonung der Züge der Relativität führte zu den falschen Behauptungen von der Relativität aller Bewegungen, von der Gleichberechtigung der verschiedensten Bezugssysteme üsw. Dies bereitete z. B. den Boden, auf dem einige Phy. 29 Siehe Lehrgang der Physik, unter der Redaktion von N. D. Papalexi, Bd. II, Moskau-Leningrad 1947, S. 539 (russ.). so H. A. Lorentz, A. Einstein, H. Minkowski, Das Relativitätsprinzip, 1923, S. 192.
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siker zu der unsinnigen Behauptung gelangten, daß „Galilei seine Ansichten vor der Inquisition umsonst verteidigte" und „ebensosehr im Unrecht war wie die ihn verurteilenden Inquisitoren".31 Solche Bemerkungen beruhen jedoch auf einem direkten Mißverstehen der Relativitätstheorie (von der offenen Mißachtung vor dem Andenken an den großen Märtyrer der Wissenschaft in diesem Fall gar nicht erst zu reden). Die falsche Auffassung vom Relativen führte zu dessen Vermischung mit dem Subjektiven, mit der Abhängigkeit vom „Standpunkt des Beobachters", kürzer gesagt: Sie bereitete den Boden für die idealistische Deutung der Grundlagen der Theorie, die man z. B. in der bekannten Abhandlung Eddingtons finden kann. Einige unserer Autoren, die von diesen idealistischen Ansichten abgestoßen wurden, verfielen ins Extreme. Sie leugneten die objektive Relativität ganz und gar, erklärten den Schluß von der Relativität der Gleichzeitigkeit für idealistisch und behaupteten, die Relativität der Masse, der Länge u. a. m. bedeute, daß die physikalischen Objekt» gemäß der Relativitätstheorie keinerlei bestimmte Eigenschaften usw. besitzen. Man braucht nicht erst von der Verwirrung zu sprechen, die diese Autoren unter den Begriffen der absoluten und der relativen Wahrheit einerseits und der absoluten und der relativen Bewegung, Länge usw. andererseits anrichteten, als ob die Erkenntnis gerade der Relativität .einiger Größen nicht eben die wichtige Gewinnimg eines neuen Teilchens der absoluten Wahrheit wäre. Es begann die Suche nach der absoluten Trajektorie, nach dem inertialsten Bezugssystem, nach der absoluten Bewegung eines Körpers in Beziehung zu allen Körpern des Weltalls usw. Alles das jedoch wurde hervorgerufen durch die Unfähigkeit, hier die Leninsche Dialektik anzuwenden. Die Dialektik leugnet keineswegs das objektiv Relative, jedoch fordert sie seine Behandlung als ein Moment, als eine Grenze des Absoluten, und zugleich lehrt sie auch, daß das Absolute in sich das Relative enthält, daß es existiert und unter verschiedenen relativen Aspekten enthüllt wird. Diese Gegensätze bilden eine Einheit, und eben das Absolute ist hier die Hauptseite des Widerspruchs. Darum ist sowohl eine Überbetonung der Wesenszüge der Relativität und das Vergessen des Absoluten als auch eine Negierung jeglicher objektiven Relativität gleichermaßen unrechtmäßig. Wen es überrascht, daß ein Körper viele relative Massen oder Längen hat, der kann mit demselben Grund auch überrascht sein, daß es zu einem Körper viele Projektionen gibt; so gut wie die Projektion eines Körpers auf jede beliebige Ebene durchaus real ist, ist auch die Masse 31 Eine derartige Behauptung kann man z. B. in dem Buch „Die Relativitätstheorie" von J. I. Frenkel finden. „Mysl", Petrograd 1923, S. 99 (russ.).
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eines Körpers völlig real und relativ. In beiden Fällen handelt es sich um die Äußerung der Eigenschaften eines Körpers, d. h. von etwas ihm Eigenen und Absoluten in bezug auf andere reale Dinge, im einen Fall auf die Projektionsebene, im anderen Fall auf das Bezugssystem. Natürlich erkennt die Relativitätstheorie an, daß es bei den Körpern absolute Eigenschaften gibt. Sie stellte jedoch fest, daß vieles von dem, was früher zu den absoluten Eigenschaften der Körper gerechnet wurde (z. B. die Länge oder die Masse), in Wirklichkeit nur relative Aspekte komplizierterer Eigenschaften sind. Das einfache Gegeilüberstellen der Eigenschaften und der Verhältnisse ist falsch, denn zwischen diesen Kategorien besteht eine dialektische Einheit. Diese Gegensätze könneit identisch sein. So bringt z. B. das Theorem, daß die Summe zweier Dreiecksseiten stets größer ist als die dritte, nicht nur die Eigenschaft des Dreiecks, sondern zugleich auch das Verhältnis zwischen seinen Seiten zum Ausdruck. Die Tatsache, daß sich der Kopf auf den Schultern befindet, bezieht sich sowohl auf das Verhältnis des Kopfes zum Rumpf wie auch auf den Bau, d. h. auf die Eigenschaft des menschlichen Körpers. Die Behauptung, daß ein Körper in einem gegebenen Bezugssystem eine bestimmte Geschwindigkeit, Länge oder Masse hat, dirückt nicht nur das Verhältnis des Körpers zum Bezugssystem aus, sondern auch die Eigenschaft des gemeinsamen Systems, das aus diesem Körper und aus den Körpern besteht, die dem Bezugssystem als Basis dienen. Kurz und gut, das Verhältnis der Teile eines Ganzen ist zugleich eine Eigenschaft dieses Ganzen, ebenso wie die Eigenschaften eines Ganzen von dem Verhältnis seiner Teil6 abhängig sind. In engster Beziehung hierzu steht das Problem der relativen und der absoluten Bewegung. Um die absolute Bewegung zu finden— wir meinen die einfache Ortsveränderung — ist es notwendig, alle Körper des Weltalls zu behandeln, das inertialste Bezugssystem zu suchen u. a. m. Man braucht nur dem Hinweis Lenins32 zu folgen: die gewöhnlichste milliardenfach vorkommende Erscheinung zu nehmen und in ihr die Dialektik des Absoluten und des Relativen aufzudecken. Bewegung eines einzelnen Körpers gibt es nicht, sie erfolgt immer in bezug auf andere Körper. Darum ist der einfachste mögliche Fall der, daß sich zwei Körper relativ zueinander bewegen. Wenn zwei Körper A und B sich einander nähern, so haben wir die Bewegung von A relativ zu B und, umgekehrt, die Bewegung von B relativ zu A. Die Tatsache, daß sich die Körper einander nähern, hat zugleich absoluten Charakter. Diese gemeinsame Bewegung eines Körperpaares relativ zueinander ist 32
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W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 286.
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absolut und keineswegs von einem Bezugssystem abhängig.3? Die Gegensätze erweisen sieh als identisch: Die Bewegung der Körper A und B relativ zueinander ist zugleich ihre absolute Annäherung, d. h. absolute Bewegung. Hier sind keinerlei Weltsysteme notwendig. Jede relative Bewegung ist zugleich eine absolute Bewegung und umgekehrt. In diesem Zusammenhang muß man erwähnen, daß die Dialektik keineswegs in der Komplizierung einfacher Dinge, in der Abkehr von der detaillierten Analyse besteht, die bis zu den Elementen einer Erscheinung vordringt. Ganz im Gregenteil verlangt sie die Klarheit und Detailliertheit der Analyse, aber ebenso verlangt sie auch die entsprechende Synthese. Auch hier gibt es die Einheit der Gegensätze. An diesen Wesenszug der Dialektik muß man erinnern, weiL die ernsthafte Analyse bisweilen durch allgemeines Gerede ersetzt wurde, und zwar nicht nur bei der Erörterung der Relativitätstheorie. Bei der Behandlung von Problemen der Biologie ersetzten einige Autoren, die vorgaben, Dialektiker zu sein, noch weitgehend die konkrete, detaillierte Analyse des Mechanismus der Erscheinungen durch allgemeine Betrachtungen über die Wechselwirkung von Organismus und Umwelt, über die gegenseitige Assimilation der Geschlechtszellen usw. An die Stelle mühsamer, wiederholt kontrollierter experimenteller Untersuchungen, die zu den elementaren Erscheinungen führen, traten bisweilen oberflächlich durchgeführte Beobachtungen, aus denen übereilte Schlußfolgerungen gezogen wurden. Diese Erscheinimg ist leider noch nicht endgültig überwunden. Deshalb darf man sie auch vorläufig nicht stillschweigend übergehen. Die Dialektik lehrt, daß die Erkenntnis des Ganzen nur durch seine allerfeinste Analyse möglich ist. Als Beispiel hierfür kann das „Kapital" von Marx dienen, wo die bis zur einfachsten Erscheinung der bürgerlichen (Waren-) Gesellschaft — dem Warenaustausch — durchgeführte Analyse eben auch die Grundlage für das volle Verständnis der Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung dieser Gesellschaft im ganzen ist. Das Urteil über das philosophische. Wesen einer wissenschaftlichen Theorie macht ebenfalls eine entsprechende Analyse erforderlich. Insbesondere muß man den objektiven Inhalt einer Theorie von ihren subjektiven Deutungen unterscheiden können. Die objektiven Daten der Wissenschaft und der Inhalt der wissenschaftlichen Theorien werden von den Menschen immer in den ideologischen Formen aufgefaßt, die von den historischen gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt werden. Hier haben wir wiederum die Einheit und den Kampf der Gegensätze. Das Wesen der philosophischen Krise der modernen Naturwissenschaften 33 Der Unterschied zwischen der Relativitätstheorie und der gewöhnlichen Kinematik besteht hier nur in der Formel, die die Geschwindigkeit der Annäherung durch die Geschwindigkeit der Körper A und B relativ zu irgendeinem Bezugssystem ausdrückt.
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besteht gerade in derp Widerspruch zwischen den neuen Daten der Wissenschaft und der klassenmäßig bedingten Borniertheit der bürgerlichen Ideologie. Andererseits wird der Gegensatz zwischen den objektiven Daten der Wissenschaft und ihrer philosophischen Auslegung im dialektischen Materialismus gerade deswegen zur Identität, weil der dialektische Materialismus eine konsequent wissenschaftliche Philosophie ist, deren Entwicklung mit der Entwicklung der Wissenschaft übereinstimmt. Dieses Zusammenfallen der objektiven Daten und ihrer philosophischen Auffassung erfolgt jedoch nicht von selbst. Der Widerspruch wird hier nicht beseitigt, aber er verliert den antagonistischen Charakter, der dem Widerspruch von Wissenschaft und Idealismus eigen ist; er stellt sich bei jeder grundlegenden Entdeckung stets von neuem ein und findet seine Lösung durch die richtige Deutung dieser Entdeckung und durch die entsprechende Entwicklung der Philosophie selbst. Gerade die Diskussion um die Relativitätstheorie ist ein Beispiel für diesen Kampf der Gegensätze. Der Fehler sölcher Autoren wie I. W. Kusnezow oder R. J. Steinman besteht insbesondere darin, daß sie es nicht vermochten, die idealistischen Deutungen der Theorie von ihrem Inhalt zu trennen und ein diesem Inhalt adäquates Herangehen an den dialektischen Materialismus zu finden. Darum eben verleumden sie die Relativitätstheorie selbst als „reaktionären Einsteinianismus". Die philosophische Auslegung der Theorie läuft nicht nur auf die Deutung der bereits klar formulierten Thesen der Theorie hinaus, sondern sie kann weitergehen, indem sie eine Vertiefung der Grundlagen der Theorie erfordert. Daß dies für die Relativitätstheorie möglich ist, kann ich z. B. an Hand meines eigenen Artikels „Über das Wesen der Relativitätstheorie"34 nachweisen. Wenn ich in der Arbeit auch keine Fehler sehe, so bin ich doch heute der Ansicht, daß die dort gegebene Analyse nicht gründlich genug ist. Der fundamentalste Wesenszug der Relativitätstheorie, die Entdeckung der Einheit der kausalen und der raumzeitlichen Struktur der Welt wurde dort noch nicht dargelegt.35 Ich glaube, daß dieser Wesenszug der Theorie als ihre tiefgehendste Begründung aufzufassen ist und daß gerade in dieser Richtung eine weitere Analyse der Grundlagen der Theorie bevorsteht, um so mehr, als sie in dieser Richtung offensichtlich mit den ungelösten Problemen der Quantenphysik in Berührung kommt. In unserem Artikel versuchten wir, die fundamentale Bedeutung der Dialektik für die Lösung der grundlegendsten und tiefgründigsten Fragen 34
Siehe „Mitteilungsblatt der Leningrader Universität", 8, 1953, S. 103—128 (russ.). 35 Siehe z. B. das Resümee meines Vortrags in den Veröffentlichungen der 1955 in Bern stattgefundenen Konferenz über die Relativitätstheorie. „Fünfzig Jahre Relativitätstheorie", Basel 1956.
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der Wissenschaft aufzuzeigen. Besonders wollten wir die Bedeutung der logischen Seite der Dialektik, ihres Grundzugs — der Lehre von der Einheit der Gegensätze —, und die außerordentliche Bedeutung der Ideen Lenins auf dem Gebiet der Dialektik hervorheben. Es ist kaum notwendig zu erklären, daß wir, wenn wir nur von der Einheit der Gegensätze sprachen, keineswegs daran dachten, hiermit die Dialektik erschöpfend behandelt zu haben. Unterstreichen wollten wir jedoch, wie richtig der Gedanke Lenins war, daß gerade hier der Kern, das Wesen der Dialektik zu finden ist. Wir wollten auch noch einmal die Aufmerksamkeit darauf lenken, daß die konkreten wissenschaftlichen Kenntnisse und die allgemeine dialektische Methode untrennbar sind. Die schöpferische Weiterentwicklung der Dialektik in den Richtungen, die Lenin aufzeigte, in den Richtungen, die durch die neuen Ergebnisse der Wissenschaft bestimmt werden, und zwar auf der Grundlage der Verallgemeinerung aller dieser Ergebnisse sowie auch der Fakten der Politik und der gesellschaftlichen Praxis, die umfassende Anwendung der Dialektik bei der Lösung wissenschaftlicher Probleme — das ist die Aufgabe, die vor den sowjetischen Wissenschaftlern aller Wissensgebiete steht. ,.Mitteilungsblatt der Akademie der Wissenschaften der UdSSR", Heft 6, 1957. Übersetzung entnommen aus „Sowjetwissenschaft, Naturwissenschaftliche Beiträge", Heft 1, 1958.
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Wissenschaft und Sozialismus D. PANOW f In letzter Zeit begegnet man in den Zeitungen und Zeitschriften aller Welt ständig der Frage, welche Errungenschaften die Sowjetwissenschaft aufzuweisen hat. Vor noch nicht allzu langer Zeit erschienen in der bürgerlichen Presse häufig Artikel, in denen sich die Verfasser darüber lustig machten, daß die Sowjetmenschen die ausländische Wissenschaft nicht nur einholen, sondern auch überholen wollen. Diese Autoren belächelten nachsichtig die sowjetischen Wissenschaftler, gaben zu, daß es in der UdSSR passable Mathematiker und Physiker gibt, die „nicht schlechter als die Wissenschaftler im Westen sind", und wiesen darauf hin, daß die sowjetischen Ingenieure „im Westen lediglich als gute Techniker angesehen werden". Der Start der künstlichen Erdsatelliten wirkte auf die Menschen, die ständig einen solchen Standpunkt vertreten hatten, sehr niederschmetternd. Auch die Bemühungen der reaktionären Presse in den USA, die Bedeutung dieses Starts herabzusetzen — jeder könne doch so etwas fertigbringen, wenn er den Wunsch danach habe —, waren vergeblich. Sie erinnern nur allzusehr an die bekannte Krylowsche Fabel vom Fuchs und den Weintrauben, in welcher der ',Fuchs nicht an die Trauben gelangte und daraufhin sagte, er wolle sie gar nicht, denn sie seien zu sauer. Besonders lächerlich wirkten solche Argumente nach dem skandalösen Mißerfolg der USA-Marine beim Start der Rakete vom Typ „Vanguard". Heute haben alle erkannt, daß die sowjetischen Wissenschaftler und Ingenieure Ergebnisse erzielt haben, die im gegenwärtigen Zeitpunkt sogar die Kräfte der entwickeltsten kapitalistischen Länder übersteigen. Jene, die an die Überlegenheit des Westens glauben, interessiert die Frage brennend, worin der Grund dafür liegt. Wie konnte es geschehen, daß das Sowjetland, das noch vor kurzem mit mehr oder minder großer Berechtigung auf vielen Gebieten der modernen Wissenschaft und Technik als rückständig galt, solche erstaunlichen Erfolge zu erzielen vermochte ? Für die Sowjetmenschen ist das nicht erstaunlich. Der kanadische Dichter Wilson MacDonald erklärte nach seiner Rückkehr aus der 85
Sowjetunion, daß der Sputnik in Rußland als etwas Selbstverständliches aufgefaßt wurde, einfach als eine der Errungenschaften, deren es auf allen Gebieten des Geisteslebens immer mehr gibt. Die gesamte Entwicklung der Sowjetunion nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, die ganze Politik der Kommunistischen Partei und des Sowjetstaates haben diesen Triumph der Sowjetwissenschaft ebenso wie andere ihrer Erfolge sorgsam vorbereitet. Obgleich die Bürger des Sowjetlandes dies klar erkennen, lohnt es sich, jene Seiten des Leberis und der gemeinsamen Arbeit eingehender zu betrachten, die zu so hervorragenden Errungenschaften der sowjetischen Wissenschaft und Technik geführt haben. Die letzten großen Errungenschaften der Sowjetwissenschaft spiegeln die Überlegenheit der sozialistischen Ordnung, der sozialistischen Wirtschaft, der Kultur und der marxistisch-leninistischen Ideologie gegenüber der kapitalistischen Ordnimg, ihrer Wirtschaft, Kultur und Ideologie wider. Schon ihrem Wesen nach kann sich die sozialistische Gesellschaft nicht ohne die Wissenschaft entwickeln. Sie ist im Ergebnis des revolutionären Kampfes des von der Arbeiterklasse geführten Volkes gegen den Kapitalismus entstanden. Der Kampf dep Volkes wurde von der Kommunistischen Partei geführt, die mit der fortschrittlichsten, wissenschaftlichen Theorie, dem Marxismus-Leninismus, ausgerüstet ist. Die Verwirklichung der Ideen dieser fortschrittlichsten, wissenschaftlichen Theorie war die wichtigste Voraussetzung für den Sieg der proletarischen Revolution und für die Errichtung der sozialistischen Geisellschaft in der Sowjetunion; von dieser fortschrittlichsten, wissenschaftlichen Theorie des Marxismus-Leninismus läßt sich die sowjetische Gesellschaft in ihrer weiteren Entwicklung leiten. Indem sie auf die Fragen, die sich aus dem Aufbau des Kommunismus ergeben, antwortet, entwickelt sich die Gesellschaftswissenschaft weiter. Die sowjetischen Wissenschaftler studieren und verallgemeinern die neuen Lebenserscheinungen und erarbeiten dabei Probleme der marxistisch-leninistischen Philosophie, der Politökonomie, der Geschichte u. a. In diesem Artikel werden jedoch zur Illustration lediglich Tatsachen aus dem Gebiet der Naturwissenschaften und der technischen Wissenschaften verwandt. Die sozialistische Produktion in der Stadt und auf dem Lande beruht auf den neuesten Errungenschaften der Wissenschaft Und Technik. Diese Produktion ist darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung des Landes, nicht aber irgendeines auserwählten Teiles der Gesellschaft, einer „Elite", zu befriedigen. Sie muß in großen Maßstäben und nach der vollkommensten Technologie organisiert werden, denn nur 86
auf diesem Wege lassen sich die großen Aufgaben lösen, vor denen die Industrie in der sozialistischen Gesellschaft steht. Karl Marx sagte: „Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird."1 Für die Epoche des Sozialismus ist die maximale Automatisierung charakteristisch. In dieser Richtung entwickelt sich die Industrie des Sowjetlandes entsprechend den Richtlinien des XX. Parteitages der KPdSU. Nach dem Siege des Sozialismus, wenn alle Produktionsmittel gesellschaftliches Eigentum sind, ist die Automatisierung der Produktion ein machtvolles Instrument, um die Arbeitsproduktivität in erheblichem Maße weiter zu erhöhen und um den Menschen die schwere körperliche Arbeit zu erleichtern. Die Automatisierung der Produktion ermöglicht es dem Menschen, seine Kräfte besser zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft zu nutzen, in welcher es durch die Automatisierung keine Arbeitslosigkeit gibt und geben kann, sondern welche die Arbeitsbedingungen des Menschen verbessert, seine Arbeit selbst schöpferischer, leiohter und angenehmer werden läßt. Die Automatisierung der Produktion gestattet es, die Bedürfnisse des Volkes vollauf zu befriedigen. In der Sowjetunion arbeiten bereits viele automatische Fertigungsstraßen und automatische Werkabteilungen. Zu den Arbeiten, die im Jahre 1957 mit dem Leninpreis ausgezeichnet wurden, gehörte beispielsweise eine Arbeit zur Schaffung einer komplexen automatischen Abteilung für die Massenproduktion von Lagern. Vor einigen Jahren begann man in der UdSSR in großem Maßstabe mit der Prodüktion von Uhren. Jeder benötigt eine gute Uhr. Uhren sind kein Luxusgegenstand und müssen für alle erschwinglich sein. Dementsprechend wurde auch die Produktion organisiert. Viele Arbeitsprozesse, einschließlich der sehr komplizierten Prüfung und Kontrolle der Uhrenmechanismen, wurden automatisiert und Fertigungsstraßen eingeführt usw. Zur Zeit stellt die sowjetische Uhrenindustrie viele erstklassige Uhren her, die qualitativ nicht hinter den Uhren der besten ausländischen Firmen zurückstehen. Sie hat bereits Weltgeltung erlangt. Das Niveau der Automatisierung der Industrie erhöht sich ständig. Heute steht die Errichtung vollautomatisierter Betriebe im Mittelpunkt. Eine solche Arbeit läßt sich nur auf entsprechender wissenschaftlicher Grundlage durchführen; die Entwicklung der sozialistischen Produktion ist ohne eine Entwicklung der Wissenschaft unmöglich. 1
K. Marx, Das Kapital, Bapd I, Berlin, 1955, S. 188.
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Auch in der kapitalistischen Gesellschaft widmet man der Automatisierung große Aufmerksamkeit. In den kapitalistischen Ländern bringt die Einführung neuer und vervollkommneter Produktionsmethoden ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit mit sich. Die Ausnutzung der neuesten Errungenschaften von Wissenschaft und Technik im Produktionsprozeß entspricht nicht immer den Interessen der Kapitalisten, und wir können zahlreiche Beispiele dafür anführen, wie in der kapitalistischen Gesellschaft bis zum heutigen Tage die veraltete Technik aus dem vorigen Jahrhundert beibehalten wurde. In New York gibt es auch heute noch eine Drehbrücke über den Fluß Harlem, die von einer auf der Brücke aufgestellten Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird. In London brennen auch heute noch in vielen Straßen Gaslaternen, und die Gaslaternenanzünder mit ihren langen Stangen gehen oder fahren durch ihre Viertel und zünden die Laternen gerade wie zu der Zeit an, in der Charles Dickens lebte. Solche Erscheinungen sind kein Zufall. Die Gesellschaften, welchen die Einnahmen irgendeines Betriebes zufließen, sind häufig nicht daran interessiert, den Betrieb zu modernisieren. Schon Marx hat darauf hingewiesen, daß in der kapitalistischen Gesellschaft „die Kosten, womit überhaupt ein auf neuen Erfindungen beruhendes Etablissement betrieben wird, viel größer sind, verglichen mit dem späteren, auf seinen Ruinen aufsteigenden Etablissement... Dies geht so weit, daß die ersten Unternehmer meist Bankrott machen und erst die späteren, in deren Hand Gebäude, Maschinerie usw. wohlfeiler kommen, florieren. Es ist daher meist die wertloseste und miserabelste Sorte von Geldkapitalisten, die aus allen neuen Entwicklungen der allgemeinen Arbeit des menschlichen Geistes und ihrer gesellschaftlichen Anwendung durch kombinierte Arbeit den größten Profit ziehen."2 In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Stellung der Wissenschaft eine völlig andere als. im Sozialismus. Selbstverständlich entwickelt sich auch in der Welt des Kapitals die Wissenschaft, machen die Wissenschaftler Entdeckungen und lösen neue Probleme, schaffen die Erfinder neue Maschinen, Vorrichtungen und technologische Prozesse. Doch geht man in der kapitalistischen Gesellschaft an eine Theorie nicht von dem Standpunkt heran, ob sie richtig ist oder nicht, sondern, ob sie für das Kapital nützlich oder schädlich ist. Häufig halten miteinander konkurrierende Firmen, die von ihren eigenen Interessen ausgehen, für lange Jahre die Realisierung irgendeiner Entdeckung oder Erfindimg zurück. Unter solchen Voraussetzungen ist es schwer, einen Fortschritt in der Wissenschaft zu erzielen, und immer mehr fortschrittliche Wissenschaftler in den 2
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K. Marx, Das Kapital, Band III, Berlin 1956, S. 126.
kapitalistischen Ländern erkennen, daß der Kapitalismus der Entwicklung der Wissenschaft Fesseln anlegt. Im Gegensatz zum Kapitalismus ist der Sozialismus schon seinem Wesen nach eine Gesellschaftsordnung, die bisher in der Geschichte ungekannte Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Fortschritt in sich birgt. Im Sozialismus ist die Entwicklung der Wissenschaft eine Angelegenheit des ganzen Volkes. Jede neue Errungenschaft von Wissenschaft und Technik wird zum Wohle des Volkes genutzt, und1 Jeder Bürger der Sowjetunion betrachtet jeden Erfolg der Wissenschaft als seinen persönlichen Erfolg. Gleichzeitig hat der Sozialismus, indem er die Arbeit frei machte, die Perspektiven eröffnet, unter denen sich alle Begabungen, alle schöpferischen Möglichkeiten des Volkes entfalten können. Dafür bietet das Sowjetland ein besonders anschauliches Beispiel. Das russische Volk ist sehr begabt, und es hat solche genialen Mechaniker und Autodidakten wie Kulibin und Polsunow hervorgebracht. In der Zeit des Zarismus war an eine massenhafte Entdeckung der im Volke schlummernden Talente natürlich nicht zu denken.- Wie bitter klingen in der bekannten Erzählung von Leskow „Der Linkshänder" die Worte des Atamans Platow, die er an Kaiser Alexander richtet: „Auch die Unsrigen könnten das'alles ausführen, was immer sie ins Auge faßten, nur fehlt ihnen die nützliche Unterweisung zuvor",3 oder auch die Worte des Linkshänders selbst, der den englischen Meistern erläutert, was er gelernt hat: „Unsere Wissenschaft, die ist einfach: wir kennen den Psalter und den Traumbehalter, was aber die Arithmetik ist, die kennen wir kein klein bißchen. "4. Heute hat sich in der Sowjetunion die Grundlage, auf der sich die Wissenschaft entwickelt und entfaltet, unendlich erweitert. Millionen von Neuerern der Produktion, von Erfindern und Rationalisatoren leisten ihren Beitrag zum Fortschritt auf dem Gebiet der technischen Wissenschaften. Davon künden zahlreiche Beispiele. Von dem Aufbau einer Uhrenindustrie in der UdSSR war bereits die Rede. Kürzlich wurde in einer Uhrenfabrik die Aufgabe gelöst, ein Spezial-Präzisionswerkzeug für die Anfertigung von Unruhen für Armbanduhren herzustellen. Die Produktionszeit für dieses Werkzeug wurde wesentlich verkürzt. Unter den Leninpreisträgern des Jahres 1957 finden wir den Namen des Genossen Pilipenko, des Brigadiers einer Streckenvortriebs-Brigade. Er hat an einer preisgekrönten Arbeit über die Vervollkommnung der Methoden für das Schachtabteufen mitgearbeitet. Gleich stark entfaltete sich die schöpferische Initiative der Werktätigen auch in der Landwirtschaft. Die Bauern der Kollektivwirtschaften entwickeln im Bündnis mit den 3 4
N. Leskow, Der Linkshänder, Berlin 1949, S. 23. Ebenda, S. 75/76.
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Wissenschaftlern die neue, sozialistische Landwirtschaft. Jeder Tag bringt eine Neuerung, die das Ergebnis der schöpferischen Einstellung der Kollektivbauern, der Mitarbeiter der MTS und der Sowjetgüter zu ihrer Arbeit ist. Auch das kulturelle und technische Niveau der Arbeiter und Kollektivbauern ist rasch gestiegen. Immer häufiger beginnen die jungen Menschen nach der Absolvierung der Mittelschule, in Werken und Fabriken, in Kollektivwirtschaften und auf Sowjetgütern zu arbeiten. In der Sowjetunion ist es eine Ehre, Arbeiter oder Kollektivbauer zu sein. Die Jugend weiß, daß sie, "wenn sie an der Drehbank oder auf dem Felde arbeitet, die (größten Erfolge erzielen kann. Diese Erfolge werden vom Volk hoch geschätzt. Unter der Führung der Kommunistischen Partei entwickelte sich in der UdSSR eine neue, echte Volksintelligenz, deren Reihen unaufhörlich wachsen. Die sowjetischen Wissenschaftler sind Menschen, welche die materialistische Weltanschauung beherrschen und über gründliche Fachkenntnisse verfügen. Sie sind Patrioten, die ihr Heimatland über alles lieben,.und echte Internationalisten und Humanisten, die das Wohl des Volkes über alles stellen. Die wissenschaftliche Arbeit wird ^«gesamtstaatlichen Maßstab und auf längere Zeit geplant, wobei von den Entwicklungsperspektiven des Landes ausgegangen wird. Die überwiegende Mehrheit der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten wird aus dem Staatshaushalt finanziert. So schafft der Sozialismus auch in dieser Hinsicht' die besten Voraussetzungen für eine Entwicklung der Wissenschaft. Der Umfang der Finanzierung hängt davon ab, wie wichtig die Aufgabe für die Volkswirtschaft und die Landesverteidigung ist; doch auch rein theoretische Forschungen, von welchen für die nächste Zukunft keinerlei direkte Vorteile zu erwarten sind, werden auf Grund des allgemeinen Entwicklungsplanes für die Wissenschaft finanziert. Die Mittel für wissenschaftliche Zwecke aus dem Staatshaushalt des Landes werden ständig größer. Im Jahre 1957 waren für diese Zwecke 11,7 Milliarden Rubel vorgesehen, während für 1958 15 Milliarden Rubel eingeplant sind. Die sowjetischen Wissenschaftler sind manchmal mit den geplanten Zuweisungen für die einen oder anderen wissenschaftlichen Forschungen nicht zufrieden. Sie wenden sich dann an die entsprechenden leitenden Organe "mit dem Antrag, diese Zuweisungen zu erhöhen. Die Sowjetregierung prüft solche Anträge stets mit größer Aufmerksamkeit, weil sie der wissenschaftlichen Entwicklung große Bedeutung beimißt. Der Sowjetstaat unterstützt die Wissenschaft, wobei er ihre Entwicklungsperspektiven berücksichtigt. Anders läuft die Entwicklung in der kapitalistischen Gesellschaft. So wird beispielsweise in den USA ein großer Teil der wissenschaftlichen Forschungen von der Industrie, von kapitalistischen Privatfirmen, finan-
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ziert, die sielbstverständlich in erster Linie solche Forschungen fördert, die ihr Vorteile versprechen. Viele dieser Forschungen haben mit einer echten Wissenschaft nur sehr wenig gemein. Es gibt darunter Arbeiten über die Herstellung verschiedener Ersatzstoffe, die in der Qualität schlechter, dafür aber in der Herstellung billiger sind, Arbeiten über die Bekämpfung von Konkurrenten, Arbeiten darüber, wie man die Patentrechte dieser oder jener Firmen umgehen kann, usw. Natürlich stehen bei einer solchen Finanzierungsmethode nicht immer Forschungen auf dem Gebiet der wichtigsten und grundlegendsten wissenschaftlichen Probleme im Vordergrund. Die amerikanische Presse erhebt offensichtlich nicht ohne Anlaß ein Gezeter darüber, daß die USA eben auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Grundlagenforschung hinter der UdSSR* zurückbleiben. Jeder Wissenschaftler weiß genau, wie wichtig es für eine erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit ist, sich nicht finanziell einschränken zu müssen, nicht den Druck materieller Schwierigkeiten zu spüren. Die Lösungen wissenschaftlich-technischer Aufgaben, wie die Schaffung leistungsfähiger Raketen und der Start künstlicher Erdsatelliten, erfordern große Ausgaben. Der sozialistische Staat stellt diese Mittel zur Verfügung. Die Sorge für die Wissenschaft, die Sorge, die Voraussetzungen für ihre Entwicklung zu schaffen, ist eine Tradition des Sowjetstaates. Bereits im Jahre 1922, als das Land durch den Krieg verarmt war, schrieb Lenin an die Mitglieder des Politbüros des ZK der Partei: „Ich beantrage, einen Beschluß darüber zu fassen, für die Einrichtung des Radiolaboratoriums in NishniNowgorod über die veranschlagten Beträge hinaus als Sonderzuweisung 100 000 Goldrubel aus dem Goldfonds zur Verfügung zu stellen . . ." s Besonders wichtige Arbeiten werden in der Sowjetunion praktisch unbeschränkt finanziert, weil das Land jetzt ökonomisch stark genug ist, um Arbeiten in größtem Maßstabe durchführen zu können. Für die großzügige Finanzierung wichtiger wissenschaftlicher Forschungen und die Ausgaben für die Ausbildung der Kader können wir viele Beispiele anführen. Allein für die Ausstattung der Laboratorien für allgemeine Fächer (Physik, Rundfunktechnik usw.) des Moskauer PhysikalischTechnischen Instituts, das Ingenieur- und Physikerkader ausbildet, wurden in einigen Jahren 20 Millionen Rubel aufgewandt. In der Sowjetunion existiert kein System, in dem sich der Wissenschaftler in sklavischer Abhängigkeit von einer finanzierenden Organisation befindet, jenes System, das der amerikanische Schriftsteller Michel Wilson in seinem bekannten Roman „Mein Bruder, mein Feind" so eindrucksvoll geschildert hat. 5
W. I. Lenin, Werke, Band 33, S. 324 (russ.).
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In der UdSSR wird die Entwicklung von Wissenschaft und Technik geplant, und die Wissenschaftler haben seit langem erkannt, daß die Planung ihnen hilft, die Arbeit am wirksamsten zu organisieren. Die wissenschaftlichen Forschungen werden von den Wissenschaftlern selbst geplant, und so kann der Plan ihre Vorhaben in keiner Weise einengen. Gleichzeitig gestatten es die Pläne auch, die Arbeit mit den mitarbeitenden Organisationen besser zu organisieren und sie zu koordinieren. Die Wissenschaftler der UdSSR genießen volle schöpferische Freiheit, wenn nur das Endziel ihrer Bemühungen eine weitere fortschrittliche Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft und das Wohl des Volkes sind. Die Lösung der modernen, großen wissenschaftlich-technischen Aufgaben ist nur durch große Kollektive wissenschaftlicher Arbeiter möglich. Jene Zeit, in der ein einzelner Gelehrter in der Stille seines Arbeitszimmers eine individuelle, „persönliche" wissenschaftliche Arbeit durchführte, gehört der Vergangenheit an. In der modernen Wissenschaft, z. B. auf dem Gebiet der Aerodynamik, erfordert die wissenschaftliche Arbeit Versuche in aerodynamischen Kanälen, deren Motoren eine, Leistung von Zehntausenden von Pferdestärken aufweisen und deren Bedienungspersonal an Ingenieuren und Technikern Hunderte von Menschen zählt. Die Arbeit auf dem Gebiet der Physik energiereicher Teilchen erfordert experimentelle Forschungen in Zyklotronen, welche die hervorragendsten aller Maschinen, die je von Menschenhand geschaffen wurden, darstellen. Unter diesen Bedingungen hat die wissenschaftliche Arbeit im Kollektiv eine große Bedeutung. Die Rolle des einzelnen Wissenschaftlers wird nicht etwa negiert, sondern sie verstärkt sich noch. Jeder Teilnehmer einer Kollektivarbeit ist in der Lage, Forschungen durchzuführen und Aufgaben zu lösen, die seine Kräfte übersteigen würden, wenn er allein arbeitete. Nur in der kollektiven Arbeit können die Fähigkeiten und schöpferischen Möglichkeiten jedes einzelnen Wissenschaftlers in vollem Maße eingesetzt werden. Das Prinzip der kollektiven Arbeit erwies sich für die moderne Wissenschaft und Technik als überaus vorteilhaft. Der Sozialismus schafft seiner Natur nach die besten Voraussetzungen für die Entwicklung der Wissenschaft; das beginnen auch einige Vertreter der kapitalistischen Welt zu verstehen. Die guten Voraussetzungen für die Tätigkeit der Wissenschaftler in unserem Lande vermehren nicht nur die Errungenschaften der Sowjetwissenschaft. Die wissenschaftliche Arbeit ist etwas Schöpferisches, ein Prozeß, in welchem Aufgaben von gewaltigem Maßstab und auf weite Sicht gelöst werden. Der Wissenschaftler erhält in der Sowjetunion die Möglichkeit, alle seine Ideen zu realisieren. Er ist von seiner Arbeit derartig begeistert, daß er sie mit hoher Intensität, in beschleunigtem Tempo und häufig vorfristig durchführt. Bei den Möglichkeiten, wie sie
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in den Ländern des Sozialismus geschaffen wurden, ist dies nicht erstaunlich. Noch, ein weiterer Wesenszug ist für die Einstellung der Kommunistischen Partei und der Sowjetregierung zu wissenschaftlichen Eragen charakteristisch. Die Berücksichtigung solcher Fragen wie die allseitige Unterstützung bei der Organisierung wissenschaftlicher Forschungen, die Sorge für die Schaffung der besten Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Arbeit geht ebenfalls auf Lenin zurück. Die Grundlinie in der Leitung der Wissenschaft duroh die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung besteht darin, die günstigsten Voraussetzungen für die Entwicklung der schöpferischen Initiative der wissenschaftlichen Mitarbeiter zu schaffen. Heute ist die sowjetische Wissenschaft vom Leben erfüllt und erlebt einen großen Aufschwung. Nirgends auf der Welt existiert eine so große Vereinigung von Wissenschaftlern wie die Akademie der Wissenschaften der UdSSR mit ihren Filialen und zahlreichen wissenschaftlichen Instituten und den Akademien der Wissenschaften in den Unionsrepubliken. Die Akademie der Wissenschaften der UdSSR verfügt über weitgehende Möglichkeiten, wissenschaftliche Forschungen zu organisieren. Sie wird dabei von den Wissenschaftlern selbst verwaltet. In der UdSSR schreitet die Wissenschaft mit großen Schritten voran. Sie geht ihren Weg sicher und ohne zu schwanken, weil sie auf festem Boden, auf einem sicheren Fundament steht. Dieses Fundament der wissenschaftlichen Forschung ist die marxistisch-leninistische Ideologie, die Methode der dialektischen Erkenntnis. Der dialektische und historische Materialismus betrachtet die Natur und die Gesellschaft objektiv, in ihrer ständigen Veränderung und Entwicklung. Er verleiht den Wissenschaftlern die Gewißheit, daß es in der Welt nichts gibt, wa's sich nicht erkennen ließe. Der wissenschaftlichen Erkenntnis sind keine Grenzen gesetzt. Die marxistisch-leninistische Methodologie ermöglicht es, aus neuen, bei wissenschaftlichen Versuchen gewonnenen Werten die objektiv richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Viele wissenschaftliche Probleme lassen sich nicht lösen, wenn man nicht vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus aus an sie herangeht. So wurden in letzter Zeit in der bürgerlichen wissenschaftlichen Literatur Versuche „einer mathematischen Untersuchung der gesellschaftlichen Erscheinungen" modern.' Es werden verschiedene Schemata vorgeschlagen, die eine bestimmte wirtschaftliche Erscheinung oder ein System als eine Art Analogie einer mechanischen Erscheinung oder eines Systems betrachten. Es werden Begriffe eingeführt wie „umgekehrte Kausalität", „Regulierung" usw. So schreibt beispielsweise der englische Wissenschaftler A. Tastin, man müsse und könne die Gesellschaft vom gleichen Standpunkt aus betrachten wie den Steuermechanismus eines automati-
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sehen Piloten, eines automatischen Regulators usw. Die Wirtschaftler hätten längst erkannt, daß das Studium des komplizierten Zusammenwirkens verschiedener ökonomischer Größen wie der Einnahmen und der Investitionen den Schlüssel zum Verständnis vieler Erscheinungen des Wirtschaftslebens bildet. Die Ingenieure arbeiten in dem gleichen Zeitabschnitt aktiv komplizierte Steuerungssysteme aus, so den automatischen Piloten in der Luftfahrt oder automatisierte chemische Werke, und seien dabei auf völlig analoge Probleme gestoßen, die mit der Definition dessen zusammenhingen, wie sich die Systeme aufeinander wirkender Größen verhalten müssen. Gewöhnlich läßt sich der Zweck solcher Forschungsphilosophien leicht erkennen: Der einö Verfasser versucht, mathematisch zu „beweisen", man könnte bei entsprechender „Regulierung" des Kapitalismus Krisen vermeiden; ein anderer möchte im Rahmen des Kapitalismus ein solches „gesellschaftliches System" finden, in dem es keine Arbeitslosigkeit gibt usw. Beherrscht man den Marxismus-Leninismus, so kann man leicht erkennen, wie imbegründet solche „wissenschaftlichen Forschungen" sind. Auch hier wieder bewahrheiten sich die Worte Lenins: „Es genügt, sich an die überwiegende Mehrheit der in den europäischen Ländern so häufig aufkommenden Moderichtungen zu erinnern . . ., um sich vorzustellen, welcher Zusammenhang besteht zwischen den Klasseninteressen, dem Klassenstandpunkt der Bourgeoisie, der Unterstützung, die sie jeder Form von Religion angedöihen läßt, und dem Ideengehalt der philosophischen Moderichtungen."® Zum Unterschied von den bürgerlichen philosophischen Richtungen, welche die Wissenschaft in eine Sackgasse führen, ist die marxistisch-leninistische Philosophie wirklich wissenschaftlich, da sie in ihren Kategorien die Gesetze der objektiven Welt widerspiegelt; sie drückt in Verallgemeinerter Form die grundlegenden Interessen des Volkes, die wichtigsten Bedürfnisse einer fortschrittlichen Entwicklung der Gesellschaft aus. Dank dessen fördert die marxistischleninistische Philosophie die Entwicklung der Wissenschaft. Daß die Forschungen der sowjetischen Wissenschaftler und Ingenieure auf einem hohen theoretischen Niveau stehen, wird in allen Ländern der Welt anerkannt. Das ist nicht erstaunlich, denn theoretische Forschungen sind eine Tradition der russischen Wissenschaft. Es genügt, einige Namen zu nennen, auf die das Sowjetland stolz ist. Lomonossow, der geniale Erforscher der Naturgesetze, war seiner Zeit um Jahrhunderte voraus. Lobatschewski schuf die nichteuklidische Geometrie und gelangte als erster zu der Vorstellung von der Krümmimg des Raumes, einer Idee, die in der modernen theoretischen Physik Anwendung findet. 6
W. I. Lenin, Ausgewählte Werke in 12 Bänden, Band XI, Moskau 1938, S. 72
(russ.). 94
Mendelejew hat das periodische System der Elemente in der Chemie ausgearbeitet, auf dem die modernen Anschauungen über den Aufbau der Stoffe beruhen. Shukowski entdeckte die Natur der Auftriebskraft beim Fluge und legte damit die Fundamente für die moderne Aeromechanik. Sie sind die unmittelbaren Vorgänger und Lehrer der nachfolgenden Generationen russischer und sowjetischer Wissenschaftler. Das hohe theoretische .Niveau der Sowjetwissenschaft erklärt sich natürlich nicht allein aus dieser Tradition.' In der sozialistischen Gesellschaft hat sich auch die Praxis selbst, die die theoretischen Forschungen vorantreibt und als Kriterium für'die Richtigkeit ihrer Schlüsse dient, qualitativ verändert. Die Praxis im Kampf für den Aufbau des Kommunismus, für die Schaffung seiner materiellen Produktionsbasis und für die höhere Entwicklung der Kultur bestimmen die Aufgaben der Wissenschaft. Die sowjetische Wissenschaft, insbesondere die technische, entwickelt sich auf der Grundlage einer Verallgemeinerung der Praxis, an der sich weite Kreise der Bevölkerung beteiligen, und sie stützt sich auf die reichen Erfahrungen der Neuerer der Produktion. Gleichzeitig schaffen die Werktätigen durch ihre Produktionstätigkeit die Voraussetzungen und Mittel für die wissenschaftliche Entwicklung. Die moderne Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Mathematik, Astronomie usw. sind undenkbar ohne komplizierte Geräte und ohne technische Ausrüstung, die nur eine moderne Industrie herstellen kann. Die sowjetischen Wissenschaftler verfügen über Versuchsanlagen und Ausrüstungen, die es ihnen gestatten, ihre Hypothesen zu überprüfen und die weiteren theoretischen Forschungen auf der Grundlage der Versuchsergebnisse, durch die Verallgemeinerung der Praxis fortzuführen. Einige der Versuchsanlagen sind bereits heute die bestentwickeltsten der Welt. Zweifellos wird sich die Anzahl der Ausrüstungen in der UdSSR, die wissenschaftlichen Versuchen dienen, rasch vergrößern. Bei der Lösung schwieriger Probleme der Wissenschaft ,und Technik widmen die sowjetischen Wissenschaftler einer gründlichen theoretischen Forschung allergrößte Beachtung, wobei sie alle von der modernen Mathematik, Physik und Mechanik zur Verfügung gestellten Mittel einsetzen. Sie verzichten natürlich auch picht auf das Experiment. Der Bau moderner Raketen für den Start von künstlichen Erdsatelliten ist eine große organisatorische, konstruktive und wissenschaftliche Errungenschaft, die nur auf Grund theoretischer und experimenteller Forschtingen erreicht werden konnte. Doch hält man es in der Sowjetunion für falsch, eine solche Arbeit tastend, auf rein empirischem Wege durchzuführen. Einer der größten sowjetischen Mechaniker, Akademiemitglied N. I. Muschelischwili, schreibt, daß in unserer Zeit kein wirklich großer Fortschritt auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik ohne weitreichende 95
theoretische Forschungen erzielt werden könne, die in der Sowjetunion auf einem sehr hohen Niveau stehen. Er glaube, daß der Mißerfolg, der die amerikanischen Kollegen beim Start des künstlichen Erdsatelliten betroffen habe, sich teilweise durch eine gewisse Vernachlässigung der theoretischen Forschungen und eine übertriebene Vorstellung von der Bedeutung empirischer, rein praktischer Methoden erklären lasse. Im Zusammenhang mit diesen Fragen ist es interessant, die Angaben über den Mitarbeiterstab einiger wissenschaftlicher Forschungsinstitute in den USA und in der UdSSR einander gegenüberzustellen. In der folgenden Tabelle sind Angaben über die Zahl der Mitarbeiter enthalten, die in den wissenschaftlichen Forschungslaboratorien und in den Forschungsabteilungen einiger großer amerikanischer Firmen tätig sind und in verschiedenen Zweigen der neuen Technik arbeiten; so in der Düsentechnik, der Radartechnik, der Rechenmaschinentechnik usw. Dabei ist im einzelnen angegeben, welche Zahl von Mathematikern und von Physikern zu diesen Mitarbeitern gehört. Bezeichnung der Firma Bendix Aviation Hews Aircraft . . . Bell Telephone Righton Manufacturing International Busines Machines .
Insgesamt Mathematiker
3446 3345 5335 2374 2631
38 32 50 36 41
(1,1%) (1,0%) (0,9%) (1,5%) (1,8%)
Physiker
64 190 475 80 91
(1,9%) (5,7%) (8,9%) (3,4%) (3,5%)
Aus dieser Tabelle wir deutlich, daß sogar in Industriefirmen, die auf dem Gebiet der neuen Technik arbeiten und eine weitgehende Forschungsarbeit leisten, der Prozentsatz der Wissenschaftler—der Physiker und der Mathematiker — sehr gering ist. So erreicht beispielsweise die Zahl der Mathematiker in den Forschungsabteilungen der genannten Firmen nicht einmal zwei Prozent. In der UdSSR ist dieser Prozentsatz wesentlich höher. So erreicht in einem der sowjetischen Forschungsinstitute, das sich mit Fragen der Rechenmaschinentechnik befaßt, die Zahl der Wissenschaftler, die Mathematiker sind, 10,6 Prozent der Gesamtzahl der wissenschaftlichen und technischen Mitarbeiter. In vielen Forschungsinstituten der UdSSR arbeiten wissenschaftliche Mitarbeiter mit einer Ausbildung in Physik und Mathematik, die sich später auf irgendein Gebiet der ingenieurwissenschaftlichen Forschung spezialisieren (Luftfahrt, Düsentechnik, Kernenergie usw.). Die Erfahrungen haben gezeigt, daß diese Kader eine sehr wirksame Arbeit leisten und bei der Entwicklung der neuen Technik eine große Rolle spielen. Auf Gebieten wie dem Bau von leistungsfähigen Raketenantrieben, Beschleunigungsanlagen zur Übermittlung hoher Energien an schwere Elementarteilchen usw. kann man nur auf der 96
Grundlage ernsthafter physikalisch-mathematischer Forschungen arbeiten. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik wird auch durch die Ausbildung neuer wissenschaftlicher und technischer Kader bestimmt. Wie bekannt steht die Sowjetunion in bezug auf die Ausbildung von wissenschaftlichen und technischen Kadern an erster Stelle in der Welt. In der UdSSR gibt es heute 767 Hochschulen, an welchen über 2 Millionen Menschen studieren. 2 Millionen besuchen technische Fachschulen und andere Fachschulen mit mittlerer Qualifikation. In der Sowjetunion werden zweieinhalbmal mehr Ingenieure ausgebildet als in den USA. Dabei wächst die Zahl der Schüler und Absolventen der Fach- und Hochschulen ständig, In einem Artikel von N. Mar und W. Schalamow „Aus der Moskauer Statistik" 7 sind die entsprechenden statistischen Angaben über Moskau veröffentlicht. Obgleich sich diese Zahlen nur auf eine einzige Stadt beziehen, sind sie außerordentlich aufschlußreich; Allein in dem Zeitabschnitt von 1950 bis J.955 ist die Zahl der Schüler und Absolventen der Lehranstalten in Moskau um mehr als das Eineinhalbfache gestiegen. Damit die Studenten die schwierigen theoretischen Vorlesungen meistern und bei dem sehr beschleunigten Ausbildungstempo nicht zurückbleiben, müssen sie bereits gute Vorkenntnisse besitzen, wenn sie ihr Studium aufnehmen. In der Sowjetunion ist dieses Problem im wesentlichen gelöst. Es wurde die siebenjährige Schulpflicht eingeführt. Heute erfolgt der Übergang zur allgemeinen zehnjährigen Schulbildung. Heute lernen an den Oberschulen über 30 Millionen Schüler. Die Lehrpläne der sowjetischen Oberschulen sehen eine gründliche Ausbildung in Mathematik, Physik und Chemie vor, so daß sich unter den Absolventen, die eine Hochschule besuchen wollen, erfolgreich eine Auswahl treffen läßt. Die Besten der Besten, die ausgezeichnete Kenntnisse in Physik und Mathematik aufweisen, werden ausgewählt. Aus diesem Grunde werden bei den Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen Anzahl der Schüler der Fachschulen und Hochschulen Moskaus (Zu Beginn des Schuljahrs; in 1000 Personen) 1940/41 in technischen Fachschulen und sonstigen Fachschulen (einschließlich Fernstudenten) 39,9 in Hochschulen (einschließlich Fernstudenten) . 141,9 7
7
1950/51
1955/56
1956/57
94,9
161,8
178,4
234,1
363,3
408,4
Siehe „Moskwa", Heft 10,1957.
97
Anzahl der Absolventen der Hochschulen nach den Fachgruppen der Moskauer Lehranstalten (einschließlich Fernstudenten; in 1000 Personen)
Anzahl der Absolventen darunter Fernstudenten '. von der Gesamtzahl der Absolventen entfallen auf die Gruppen der Lehranstalten: der Industrie und des Bauwesens . . . . des Transport- u. Verkehrswesens . . . der Landwirtschaft der Ökonomik und der Rechtswissenschaft der Volksbildung des Gesundheitswesens, der Körperkultur und des Sports •. . der Kunst
1945
1950
1955
1956
7,7 0,8
25,3 5,0
39,7 10,7
42,2 14,3
2,4 0,4 0,4
9,1 1,3 1,3
15,9 2,4 1,7
16,5 2,3 1,6
0,7 2,3
5,9 6,2
8,6 8,5
11,0 8,1
1,2 0,3
0,7 0,8
1,8 0,8
2,0 0,7
Im Original werden an dieser Stelle die Lehrpläne eines sowjetischen und eines amerikanischen technologischen Instituts im einzelnen verglichen. Infolge des Platzmangels wurde auf die Wiedergabe verzichtet. Die Herausgeber
Aufgaben gestellt, die einerseits gute Kenntnisse des an den Oberschule durchgenommenen Stoffes und andererseits die Fähigkeil verlangen, selbständig zu denken, die Aufgabe zu analysieren und den besten Weg zu ihrer Lösung zu finden. Bei den Aufnahmeprüfungen an dem Moskauer Physikalisch-Technischen Institut werden zum Beispiel häufig Mathematikaufgaben gestellt, die nicht sehr schwierig sind, doch verschiedene,Arten der Lösung zulassen. Wenn ein qualifizierter Prüfer feststellt, welchen Weg der Prüfling gewählt hat, kann er sich eine Vorstellung über die Art der Ausbildung und die Fähigkeiten des Abiturienten macfeen. I n diesem Institut werden auch Aufgaben in Physik gestellt, zu deren Lösung der Abiturient den Stoff des physikalischen Schulunterrichts gut kennen und verstehen muß, ihn anzuwenden. Natürlich können bei weitem nicht alle Absolventen der Zehnklassenschule solche Aufgaben leicht lösen. Doch arbeiten die Hochschullehrer zusammen mit den Lehrern der Oberschule besonders daran, diejenigen festzustellen, die Neigung und Fähigkeiten für Mathematik und Physik haben, und helfen ihnen, sich dieses Fach besser anzueignen. An den sowjetischen Schulen arbeiten Schulzirkel für Mathematik und Physik. Alljährlich werden sogenannte mathematische und physikalische Olympiaden veranstaltet. Es werden Vorlesungen für Schüler gehalten. 1956 fand in Moskau die X I X . mathematische Schulolympiade statt, an der
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sich 1120 Schüler der oberen Klassen (der siebenten bis zehnten) der Moskauer Oberschulen beteiligten. Die Schulzirkel, die Olympiaden und andere ähnliche Maßnahmen gestatten, nicht nur die für die Hochschule Befähigsten rechtzeitig auszuwählen. Sie sind auch ein wichtiges Mittel, um die Qualität der Ausbildung in dem entsprechenden Fach an der Oberschule zu verbessern. Doch ist das Auswählen befähigter und in Mathematik gut ausgebildeter Jungen und Mädchen nur eine Seite. Man muß ihnen auch die Möglichkeit geben zu studieren, um sich zu ernstzunehmenden wissenschaftlichen Arbeitern zu entwickeln. Sehr interessant ist ein Vergleich zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Hochschule. In dem Jahrbuch des Technologischen Instituts Massachusetts lesen wir: „Vor Eintritt in das Institut muß jeder Student seine Ausgaben genau berechnen:" Weiter werden folgende Mindestausgaben eines Studenten im Studienjahr (37 Wochen) genannt: Studiengelder — 1100 Dollar, Verpflegung — 525, Unterkunft im Wohnheim — 330, Bücher und Lehrmaterial — 95, Versicherung — 22 Dollar. Insgesamt 2072 Dollar. Hervorgehoben wird, daß Ausgaben für Verkehrsmittel, Kleidung, Wäsche und Vergnügungen darin nicht enthalten sind. Also sollte man, falls man nicht etwas mehr als 2000 Dollar besitzt, gar nicht erst den Versuch unternehmen, das Technologische Institut Massachusetts zu besuchen. Nur Kinder sehr wohlhabender Eltern können studieren. Für das Hochschulstudium in der UdSSR werden keinerlei Studiengelder erhoben. Alle bedürftigen Studenten erhalten ein staatliches Stipendium ki Höhe von 400 Rubel monatlich; die Unterkunft im Wohnheim kostet 15 Rubel im Monat, die Verpflegung in der Mensa 7 bis 8 Rubel pro Tag. Die medizinische Betreuimg und die Benutzung der wissenschaftlichen Bibliothek sind kostenlos . Im Ergebnis erhält man folgende Tabelle, wobei berücksichtigt ist, daß in der UdSSR das Studienjahr etwa 42 Wochen dauert: Technologisches Moskauer PhysiInstitut Massachusetts kaiisch-Technisches (1 Dollar = 4 Rubel) Institut (in Rubel) Studiengelder Verpflegung . Unterkunft im Wohnheim Bücher Versicherung Insgesamt Stipendium (für 12 Monate) . . 7*
4400 2100 1320 380 88 8288
2205 170 2375 4800
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Diese Tabelle ist «ehr aufschlußreich. Sie beweist, daß in der UdSSR jeder befähigte junge Mensch, der Kenntnisse hat, die Hochschule besuchen kann, ohne vorher seine Ausgaben zusammenzurechnen. Es ist also in der UdSSR möglich, alle fähigen und gut vorbereiteten jungen Menschen auszubilden, auszuwählen und zum Hochschulbesuch zu bewegen. Die Pforten der sowjetischen Hochschulen stehen allen weit offen. Die Reserven für die Ausbildung junger Kade;r von Wissenschaftlern und Ingenieuren sind in der UdSSR unerschöpflich. Viele Wissenschaftler aus dem westlichen Ausland, die besuchsweise in der UdSSR weilten, und die sich für die Wissenschaft interessierenden Journalisten schreiben voller Staunen, welche Stellung in der UdSSR die Wissenschaftler einnehmen, über die Achtung, die der Wissenschaft entgegengebracht wird. In seiner Aussprache auf der Sitzung der Unterkommission des USA-Senats für militärische Ausbildung berichtete der bekannte amerikanische Wissenschaftler E. Teller, daß in der Sowjetunion die Wissenschaftler hohe Achtung und große Vergünstigungen genießen. In der Sowjetunion möchten die Kinder Wissenschaftler werden, wie iü Amerika die Mädchen davon träumen, ein Hollywoodstar zu werden. In der Tat, in der kapitalistischen Welt kann es jene Fürsorge und Achtung nicht geben, die man in der UdSSft den Wissenschaftlern erweist. Bereits Karl Marx schrieb, als er die Anschauungen von Thomas Hobbes über die wirtschaftliche Rolle der Wissenschaft darlegte, „das Produkt der geistigen Arbeit — die Wissenschaft — steht immer tief unter ihrem Wert, weil die Arbeitszeit, die nötig ist, um sie zu reproduzieren, in gar keinem Verhältnis steht zu der Arbeitszeit, die zu ihrer Originalproduktion, erforderlich ist. Zum Beispiel den binomischen Lehrsatz kann ein Schüler in einer Stunde lernen."8 In der kapitalistischen Gesellschaft wird die Arbeit des Wissenschaftlers sehr gering geschätzt. Dem entspricht auch die Einstellung zu den Wissenschaftlern. In einem Leitartikel über den mißlungenen Start des amerikanischen künstlichen Satelliten erklärt die italienische fortschrittliche Zeitschrift „Paese" diesen Mißerfolg durch die „Nichtachtung, die man in den Vereinigten Staaten den Wissenschaftlern entgegenbringt, welche nur für eine Minderheit arbeiten und ein Werkzeug der Ungerechtigkeit in den Händen jener sind, die eine bevorzugte Stellung einnehmen". In der sozialistischen Gesellschaft wird die Arbeit der Wissenschaftler ihrem Wert entsprechend eingeschätzt. In der UdSSR und in allen volksdemokratischen Rändern genießen die Wissenschaftler die Achtung aller 8
K. Marx, Theorien über den Mehrwert (IV. Band des „Kapitals"), 1. Teil, Berlin 1956, S. 317.
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Menschen. Die Regierung der Sowjetunion zeichnet Wissenschaftler, die sich besonders verdient gemacht haben, großzügig mit Orden und Prämien aus und verleiht ihnen Ehrentitel. Achtung vor der Wissenschaft und Fürsorge für die Wissenschaftler sind eine Tradition des Sowjetstaates, die bis auf die ersten Jahre seines Bestehens zurückgeht. Am 24. Januar 1921 wurde der berühmte Beschluß des Rats der Volkskommissare „Über Voraussetzungen zur Sicherung der wissenschaftlichen Arbeit von Akademiemitglied I. P. Pawlow und seiner Mitarbeiter" veröffentlicht, der von Lenin unterzeichnet war. Trotz der großen Schwierigkeiten, mit welchen in jener Zeit die junge Sowjetrepublik zu kämpfen hatte, erstreckte sich die Fürsorge der Regierung nicht nur auf Wissenschaftler, deren Namen in der ganzen Welt bekannt waren, wie Akademiemitglied I. P. Pawlow. Im Jahre 1920 schrieb W. I. Lenin an das Präsidium des Petrograder Sowjets der Deputierten: „Verehrte Genossen! Meiner Meinung nach sollte man in Piter (der in bezug auf Wohnungen so überaus reichen Stadt) überflüssige Zimmer den Wissenschaftlern als Arbeitszimmer und Laboratorien zur Verfügung stellen, das wäre sicherlich keine Sünde. Ihr solltet sogar selbst dabei die Initiative ergreifen."9 Die sowjetischen Wissenschaftler erinnern sich jener Vielzahl von Maßnahmen sehr gut, mit denen die Sowjetregierung sie in der schwersten Zeit, die der junge sozialistische Staat durchlebte, unterstützt hat, sie erinnern sich an die Zentralkommission für die Verbesserung des Lebens der Wissenschaftler, an die Lebensmittelzuteilungen für Akademiemitglieder usw. Es ist unmöglich, sich die Entwicklung der Sowjetwissenschaft ohne die geistige Entwicklung der Bevölkerung, ohne ihren Aufstieg auf dem Gebiet der Produktion und der Kultur vorzustellen, auf die sich die sowjetische Wissenschaft stützt. Bis zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution war die Mehrzahl der Bevölkerung der UdSSR Analphabeten. In den vergangenen vierzig Jahren hat sich die Sowjetunion zu einem Land entwickelt, in dem es kein Analphabetentum mehr gibt, zu einem Lande, das erfüllt ist von der Leidenschaft, sich Kenntnisse anzueignen und zu lernen, von der Leidenschaft zur Wissenschaft — d. h. zu dem, was das Volk während des Zarismus entbehren mußte. Ausländer, welche die UdSSR besuchen, sind erstaunt, wieviel die Sowjetmei^schen lesen; denn es wird überall gelesen: in der Metro, auf den Plätzen der Städte, in den Eisenbahnzügen, in den Parks, ja sogar im Gehen, es wird keine „Schundliteratur" in schreiend bunten Umschlägen wie im Westen gelesen. Die Sowjetmenschen lesen ernste und gute Bücher. Wieviel gelesen wird, kann indirekt nach der Anzahl der Bücher» W. I. Lenin, Werke, Bd. 35, S. 394 (russ.).
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eien und nach der Anzahl der erscheinenden Bücher beurteilt werden. I n Moskau gibt es heute z. iß. 2282 technische und Fachbüchereien mit einem Bücher- und Zeitschriftenbestand von 111,2 Millionen Exemplaren und 965 Volksbüchereien mit einem Buchbestand von 20,1 Millionen Exemplaren. I n der folgenden Tabelle sind Angaben über das Erscheinen von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften in den Nachkriegsjahren allein in Moskau enthalten. 1945
1950
1955
1956
Bücher Anzahl der erschienenen Bücher (Druckeinheiten) in 1000 9 Auflage in Millionen Exemplaren . 206
20 592
27 733
28 800
Zeitschriften Anzahl der Titel (einschließlich der periodisch erscheinenden Mitteilungsblätter und Sammelbände). . . 347 Auflage aller Ausgaben in Millionen Exemplaren . . . 61
533 142
795 277
1007 325
Zeitungen Anzahl der Titel (zentrale, Gebiets-, Stadt- und Lokalzeitungen). . . 117 Tagesauflage in Millionen Exemplaren . . . . . . . 4
156 10
159 16
168 18
Die Leidenschaft, gute Bücher zu lesen, der Wissensdurst erwachen in den Völkern aller Länder, die den Weg des sozialistischen Auf baus beschritten haben. Der Sozialismus weckt den Wissensdurst und lehrt das Volk, die Wissenschaft zu lieben und zu,achten. Auf einem solchen Boden erlebt die Wissenschaft rasch ihre Blüte. Die Worte Lenins gehen in Erfüllung: „Nur der Sozialismus wird die Wissenschaft von ihren bürgerlichen Fesseln, von ihrer Unterjochung durch das Kapitel, von ihrer Versklavung durch die Interessen der ungeheuerlichen kapitalistischen Gewinnsucht befreien. Nur der Sozialismus wird die Möglichkeit geben, die gesellschaftliche Produktion und Verteilung der Produkte gewaltig zu erweitern und sie wissenschaftlichen Erwägungen wirklich unterzuordnen." 10 Die Wissenschaft der sozialistischen Welt beginnt, die Wissenschaft der kapitalistischen Gesellschaft zu überholen, und weil dieser . Prozeß gesetzmäßig ist, wird er nicht aufgehalten oder gehemmt. Die kapitalistische Welt wird unvermeidlich im friedlichen Wettstreit mit der sozialistischen Welt sowohl in der Entwicklung der Produktivkräfte als auch in der wissenschaftlichen Entwicklung zurückbleiben. Das bedeutet natürlich nicht, daß uns die westeuropäischen Wissenschaftler nicht noch in 10
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W. I. Lenin, Sämtliche Werke, Band XXIII, Moskau 1940, S. 52.
vielen Fragen voraus wären oder daß im Westen nicht eventuell große wissenschaftliehe Entdeckungen eher gemacht werden als in der Sowjetunion. Der Westen besitzt erstklassige Wissenschaftler, und wir glauben keinesfalls, daß die Sowjetunion ein Monopol auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Errungenschaften besitzt oder besitzen wird. Jedoch sind wir davon überzeugt, daß das allgemeine Niveau der Wissenschaft in der sozialistischen Welt in Kürze höher als in der kapitalistischen Welt sein wird, besonders dann, wenn die sinnlose Militarisierung sich nahezu die gesamte kapitalistische Wissenschaft unterordnet. Der sowjetischen Wissenschaft eröffnen sich jedoch so einzigartige Perspektiven, von denen man noch vor kurzer Zeit nur zu träumen wagte. Die Wissenschaft der Sowjetunion ist der Lösung von Aufgaben größten Maßstabes gewachsen, von Aufgaben, durch welche die Beziehungen zwischen Mensch und Natur grundlegend verändert werden. Das beweist der Vorstoß in den Weltraum. Die sowjetischen Wissenschaftler wiederholen die bedeutsamen und prophetischen Worte des großen Lenin: „Alle Wunder der Technik, alle Errungenschaften der Kultur werden zum Gemeingut des ganzen Volkes, und von nun an wird der menschliche Verstand und Genius niemals mehr als Mittel der Gewalt, als Mittel der Ausbeutung dienen. Das wissen wir — und lohnt es denn nicht, im Namen dieser größten historischen Aufgaben zu arbeiten, lohnt es nicht, dafür alle seine Kräfte einzusetzen ?" Kommunist, Heft 1, 1958. Übersetzung entnommen aus „Presse der Sowjetunion", Nr. 29, 1958.
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Die revolutionäre D i a l e k t i k , — die Seele des Marxismus-Leninismus P. FEDOSSEJEW
In der heutigen Welt entwickelt sich verstärkt der unversöhnliche Kampf zweier entgegengesetzter Weltanschauungen — der bürgerlichen undfder sozialistischen. Die theoretische Grundlage der sozialistischen Weltanschauung ist der dialektische Materialismus, der die allgemeinen Gesetze der Entwicklung der Natur, Gesellschaft und des menschlichen Denkens richtig widerspiegelt. In der historischen Erklärung, die auf der Beratung der Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder erarbeitet wurde, heißt es: „Die Anwendung des dialektischen Materialismus in der praktischen Arbeit, die Erziehung der Punktionärkader und der breiten Massen im Geiste des Marxismus-Leninismus gehört zu den aktuellen Aufgaben der kommunistischen und Arbeiterparteien." Die Erklärung selbst, die sich auf die Theorie des Marxismus-Leninismus stützt, wendet schöpferisch die materialistische Dialektik auf die Analyse der heutigen Weltlage, auf die Politik und Taktik der kommunistischen Parteien an. Die wissenschaftliche Weltanschauung der kommunistischen Parteien Die marxistisch-leninistische Philosophie, der dialektische Materialismus, gibt den Menschen eine geschlossene Weltanschauung, ein System von Anschauungen der Entwicklungsprozesse der äußeren Welt und des menschlichen Denkens. Diese Weltanschauung ist auf den Errungenschaften der Wissenschaft und der jahrhundertelangen Praxis begründet. Sie ist unvereinbar mit jeglichem Aberglauben, Vorurteilen und reaktionären Anschauungen. Die Anwendung des dialektischen Materialismus auf die Erkenntnis des gesellschaftlichen Lebens ermöglichte die Gesetze der historischen Entwicklung aufzudecken, die grundlegenden Triebkräfte dieser Entwicklung zu zeigen, die Vergangenheit und die Gegenwart richtig zu verstehen, die Entwicklung der Zukunft vorauszusehen.
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Die Ideologen der Bourgoisie und die sie unterstützenden Revisionisten versuchen fortwährend die philosophischen Grundlagen des MarxismusLeninismus zu untergraben. Die unaufhörlichen gegnerischen Angriffe sind ein anschaulicher Beweis der revolutionierenden Kräfte unserer Weltanschauung, ihrer Unvereinbarkeit mit den Interessen der Ausbeuter und ihrer Lakaien: Der Kern unserer Philosophie ist die Lehre von der unaufhörlichen Entwicklung der Erscheinungen durch den Kampf der widersprüchlichen Kräfte und Tendenzen, den Kampf des Neuen gegen das Alte. Die grundlegende Schlußfolgerung der Dialektik besteht in der These, daß das Neue, das Heranwachsende und Progressive unüberwindlich ist, daß das Neue letztlich den Sieg über das Alte und Überlebte davonträgt. Die heutige Epoche bestätigt anschaulich die Wahrheit und Lebenskraft der marxistisch-leninistischen Dialektik. Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution leitete eine grundlegende Wende in der historischen Entwicklung der Menschheit von der alten kapitalistischen Welt zur neuen sozialistischen Lebensweise ein. Nach den Völkern- der Sowjetunion beschritten das große chinesische Volk, die Völker einer Reihe anderer Länder Europas und Asiens den Weg des Aufbaus des Sozialismus. Die Verwandlung des Sozialismus in ein Weltsystem ist ein großer Schritt vorwärts in der Entwicklung der gesamten Menschheit vom Alten zum Neuen, vom Niederen zum Höheren. Die Kräfte des Sozialismus wachsen unaufhörlich. Die Reihen ihrer aktiven Anhänger und Verbündeten vervielfachen sich. Die Kräfte des Imperialismus aber werden schwächer, seine Einflußsphären stark eingeschränkt. Über einen großen Teil der Menschheit hat der Imperialismus seine frühere Herrschaft verloren. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung der Erde hat den Weg des sozialistischen Auf baus gewählt, indem sie mit der Sowjetunion an der Spitze als Avantgarde der historischen Bewegung der Menschheit vom Kapitalismus.zumKommunismus vorwärtsschreitet. Die Länder, die sich aus dem Joch des Kolonialismus befreit haben, verteidigen die erkämpfte Unabhängigkeit gegen die Anschläge der imperialistischen Kolonialherren. In jedem kapitalistischen Land vollzieht sich der gesetzmäßige Prozeß der Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Fortschrittlichen und zuungunsten des Reaktionären. Der Kampf der Gegensätze in den kapitalistischen Ländern besteht im unversöhnlichen Kampf zwischen den Klassen der Ausgebeuteten und der Ausbeuter. Der Klassenkampf ist das Lebensgesetz der kapitalistischen Gesellschaft. Die Revisionisten bestreiten die Anwendbarkeit des dialektischen Gesetzes vom Kampf der Gegensätze auf den modernen Kapitalismus. Sie verneinen den Klassenkampf und propagieren die bürgerlichreformistische Theorie des „Klassenfriedens". Entgegen diesen Beteue-
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rangen klingt der Klassenkampf in den kapitalistischen Ländern nicht ab, sondern verschärft sich. In verschiedenen kapitalistischen Ländern entwickelt sich der Klassenkampf ungleichmäßig und nicht in den gleichen Formen. Ein deutlicher Ausdruck der Entwicklung des politischen Kampfes in Frankreich und Italien z. B. ist jener Umstand, daß die Mehrheit des Proletariats bei den Wahlen in diesen Ländern für die kommunistischen Parteien stimmt. In den USA sind die Klassengegensätze an der politischen Front bis heute bedeutend schwächer ausgeprägt. Hier stößt die Wirkung des allgemeinen Gesetzes des Klassenkampfes auf den größten Widerstand der mächtigsten kapitalistischen Monopole, die über riesige Mittel des ökonomischen, politischen und geistigen Drucks auf das Proletariat verfügen und für ihre Ziele die Gewerkschaftsbürokratie und die oberen, besser gestellten Schichten der Arbeiter ausnutzen. Dieses Gesetz bricht sich jedoch auch in den USA seine Bahn. Wenn es der amerikanischen Bourgeoisie bisher auch gelang, den politischen Kampf des Proletariats zu unterdrücken, sein politisches Bewußtsein zu verdunkeln, so ist sie jedoch nicht imstande, den „ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse zu ersticken, das sich entwickelnde Bewußtsein vom Gegensatz der Interessen der Arbeit und des Kapitals auszulöschen. Davon zeugt das enorme Ausmaß der Streikbewegung, die periodisch ganze Industriezweige und sogar eine Reihe von Industriezweigen im Landesmaßstab erfaßt. Der historische Materialismus lehrt, daß die entscheidende Bedeutung in der Geschichte nicht den flüchtigen Ereignissen, nicht der Haltung einzelner Menschengruppen, sondern den grundlegenden sozialen Triebkräften zukommt. Eine solche Haupttriebkraft der Gegenwart ist das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern als Grundlage des Zusammenschlusses aller Volksmassen. Diese Kraft siegte schon in den Ländern des Sozialismus und kommt immer stärker im Weltmaßstab zum Ausdruck. In den Ländern, die den Kampf für die nationale Unabhängigkeit, gegen die koloniale Aggression und das feudale Joch führen, wird eine einheitliche antiimperialistische, antifeudale Front der Arbeiter, der Bauern, der städtischen Kleinbourgeoisie und der nationalen Bourgeoisie und anderer patriotischer und demokratischer Elemente geschaffen. Die gewaltige Kraft des Bündnisses der Arbeiter und Bauern, des Bündnisses 'des Proletariats mit den breiten Massen der Bevölkerung wächst auch in den imperialistischen Ländern, in welchen sich immer mehr die Widersprüche nicht nur zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse, sondern auch zwischen den Monopolen und allen Schichten des Volkes verschärfen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen wurde die Frage Krieg oder friedliche Koexistenz, die Frage der Erhaltving des Friedens zum grundlegenden Problem der Weltpolitik. Die Kommuhisten lassen sich in
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dieser Frage konsequent von den grundlegenden Leninschen Hinweisen leiten, die auf der meisterhaften Anwendung der Dialektik, auf der Analyse der heutigen Epoche begründet sind. Die Imperialisten verbreiten die verleumderische Behauptimg, daß die Politik der kommunistischen Parteien mit der Politik des Friedens unvereinbar sei. Sie fälschen die Aussage der Klassiker des MarxismusLeninismus und stellen die Parteidokumente zu verleumderischen Zwecken in falschem Lichte dar. W. I. Lenin hat seinerzeit sarkastisch die „linken" Kommunisten verspottet, welche die Friedenspolitik und die revolutionäre Taktik metaphysisch einander entgegenstellten und meinten, daß die Interessen der internationalen Revolution einen Frieden in irgendeiner Art mit den Kapitalisten nicht erlauben. Dem Geist des Leninismus ist der Gedanke an den Krieg als Mittel zur Ausbreitimg des Kommunismus auf andere Länder fremd. W. I. Lenin widerlegte entschieden die antimarxistischen Behauptungen, daß die Interessen der internationalen Revolution nur auf dem Wege des Krieges vertreten werden können. „Eine solche .Theorie'", erklärte Lenin, „wäre ein völliger Bruch mit dem Marxismus, der stets ein ,Vorantreiben' der Revolution abgelehnt hat, die sich in dem Maße entwickelt, wie die die Revolution erzeugenden Klassengegensätze sich verschärfen. Eine solche Theorie käme der Auffassung gleich, der bewaffnete Aufstand sei eine stets und unter allen Umständen obligatorische Kampfform."1 Die Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU zu den Fragen der heutigen Entwicklung der Welt und die Erklärung der Beratung der Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder gehen von den Leninschen Weisungen über die Wechselbeziehung der Friedenspolitik und der revolutionären Taktik aus, wobei sie diese Weisungen der neuen Lage entsprechend konkretisieren. In den Beschlüssen des Parteitages und in der Erklärung wird die reale Möglichkeit der Verhinderung eines Krieges in der heutigen Zeit und die Notwendigkeit der konsequenten Verwirklichung des Leninschen Prinzips der friedlichen Koexistenz zweier Systeme unterstrichen. Die Erklärung und das Friedens-Manifest beweisen, daß es keine entschiedeneren Gegner des Krieges, keine standhafteren Verteidiger des Friedens als die Kommunisten gibt. Der Kommunismus wird nicht durch Gewalt und Krieg verbreitet. Die sozialistische Revolution entwickelt sich im Ergebnis des Klassenkampfes innerhalb eines jeden Landes. In jedem einzelnen Land wird die Möglichkeit der friedlichen oder gewaltsamen Art und Weise des Übergangs zum Sozialismus durch die konkreten historischen Bedingungen bestimmt. 1 W. I. Lenin, Seltsames und Ungeheuerliches, Ausgewählte Wirke, Bd. II, Berlin 1955, S. 317—318.
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Die Dialektik lehrt, daß die Erfolge im Kampf des Neuen gegen das Alte nicht von selbst kommen. Eine solche Auffassung von der Entwicklung verpflichtet die Werktätigen, aktiv für den Sieg des Neuen über das Alte, des Fortschrittlichen über das Rückständige, des Heranwachsenden über das Überlebte einzutreten. Die aktive Kraft der Dialektik Im Untersclned zu allen anderen philosophischen Systemen, die ihre Rolle auf diese oder jene Erklärung der Welt begrenzen, sieht die marxistisch-leninistische Philosophie ihre Bestimmung in der praktischen Umgestaltung der Wplt im Interesse der Menschheit. Zur Kampfdevise der materialistischen Weltanschauung wurde der berühmte Ausspruch von Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern". Die Aufgabe der Marxisten ist nicht, die Gesetze und Forderungen der Dialektik auswendig zu lernen und zu wiederholen, sondern sie auf die Erkenntnis der Erscheinungen der Natur und Gesellschaft und in der praktischen Tätigkeit anzuwenden. Die Geschichte der sozialistischen Bewegung kennt nicht wenig Menschen, welche die marxistische Dialektik studierten und andere lehrten, sich aber in der Praxis als verknöcherte Metaphysiker erwiesen, die nicht fähig waren, die Veränderung der Lage, die neuen Aufgaben und die Notwendigkeit, neue Formen und Methoden im revolutionären Kampf anzuwenden, zu verstehen. Wenn sich in der Welt alles entwickelt, alles verändert, so kann die Politik und Taktik der kommunistischen Parteien nicht unveränderlich bleiben. Als Lenin die Besonderheiten des dialektischen Herangehens an das Leben erklärte, sagte er, daß in der konkreten Analyse der konkreten Situation das Wesen, die lebendige Seele des Marxismus besteht. Für Lenin war die revolutionäre marxistische Dialektik die Seele des Marxismus. Die unschätzbare Bedeutimg der Dialektik für die Strategie und Taktik des Kommunismus besteht in der Tatsache, daß sie lehrt, die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Revolution tief zu verstehen und sie auf die besondere Lage dieser oder jener historischen Periode, auf die konkreten Bedingungen des gegebenen Landes anzuwenden. Das Nichtbeachten der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus führt unumgänglich zum Revisionismus, der unter den gegenwärtigen Bedingungen die Hauptgefahr in -den Reihen der internationalen kommunistischen Bewegung ist. Auf der anderen Seite ist die Ignorierung der neuen historischen Lage und der konkreten Bedingungen der eigenen Länder mit Dogmatismus und Sektierertum verbunden, die dem schöpferischen Geist des Marxismus fremd 109
sind. Die große Kraft der Dialektik tritt besonders an Wendepunkten der Geschichte hervor. In der Periode schroffer Übergänge und Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens, der Belebung der Reaktion und der Verstärkung ihrer Angriffe auf den Kommunismus verstärken sich unter den schwankenden Elementen ih der kommunistischen Bewegung die Tendenzen zum Verzicht auf die grundlegenden Leitsätze des Marxismus-Leninismus unter dem Vorwand der „Berücksichtigung der neuen Lage". Das führt zum Abgleiten auf die Positionen der bürgerlichen Ideologie. Unter diesen Bedingungen ist die Fähigkeit, an der marxistisch-leninistischen Politik festzuhalten, die allgemeine Linie der Weltentwicklung richtig zu erkennen und zu verstehen und die allgemeine Wahrheit des Marxismus-Leninismus mit der konkreten Praxis der Revolutionrichtig zu verbinden, wichtiger als zu irgendeiner anderen Zeit. Die ideologische Einheit der internationalen kommunistischen Bewegung blieb unter schwierigsten und kompliziertesten Bedingungen deshalb unerschüttert, weil sie auf der Anerkennung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution begründet war, die trotz aller Vielfalt der historisch sich entwickelten nationalen Besonderheiten und Traditionen überall zum Ausdruck kam. Die schöpferische Anwendimg der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Revolution durch die kommunistischen Parteien unter Berücksichtigung der mannigfaltigen Formen und Methoden des Übergangs zum Sozialismus in den verschiedenen Ländern ist die lebendige Verkörperung der Prinzipien der revolutionären Dialektik. Der Marxismus-Leninismus wendet die Dialektik konsequent auf die Entwicklung der kommunistischen Gesellschaft, auf das Verstehen ihrer Gegenwart und Zukunft an. Der Sozialismus, der in der UdSSR aufgebaut ist und in den Ländern der Volksdemokratie aufgebaut wird, verkörpert den größten historischen Fortschritt. Diesen Weg werden auch die Völker der anderen Länder gehen. Aber der Sozialismus ist nur die erste Phase des Kommunismus, die Ausgangsbasis für den weiteren enormen Fortschritt auf allen Gebieten des materiellen und geistigen Lebens. Die sowjetische Gesellschaft entwickelt sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Dialektik vom Niederen zum Höheren, vom Sozialismus, der ersten Phase des Kommunismus, zur zweiten, seiner höheren Phase. Die historischen Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU und der gesamte folgende Kampf "der Partei für ihre Verwirklichung sind glänzende Beispiele der lebendigen Dialektik, der Fähigkeit, die neuen Aufgaben und neuen Formen der Arbeit in Übereinstimmung mit den neuen Bedingungen und den Besonderheiten der Entwicklung schöpferisch zu lösen. Die Maßnahmen der Partei zum weiteren Aufschwung der sozialistischen Wirtschaft und zur Erhöhung des Lebensniveaus der Werktätigen, zur Erweiterung der Rechte der Unionsrepubliken und zur Entwicklung der sowjetischen Demokratie, zur Veränderung der Leitung der
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Industrie beschleunigten den Aufschwung der sozialistischen Gesellschaft auf eine neue, höhere Stufe. Die fortschreitende Bewegung der sowjetischen Gesellschaft ist der sichtbare Ausdruck und die Bestätigung des Gesetzes der unaufhörlichen Veränderung und Entwicklung. Auch im Sozialismus vollzieht sich der Kampf des Neuen, Fortschrittlichen, der vom Niederen zum Höheren führt, gegen das Alte, Überlebte, Rückständige, das zurück drängt. Auf dem Gebiet der materiellen Produktion, in der Entwicklung der Wissenschaft und Technik bahnen die Neuerer im Kampf gegen die Träger überlebter Anschauungen und Gewohnheiten den Weg nach vorn. I m Kampf für die Entwicklung der Kultur und der sozialistischen Bewußtseinsbildung treten die Kommunisten gegen schädliche Tendenzen, gegen die ideologischen Überreste des Kapitalismus, gegen den bürgerlichen Einfluß auf. Nur Metaphysiker können das Vorhandensein von Widersprüchen im Sozialismus nicht bemerken oder verneinen. Auch im Sozialismus entsteht und siegt das Neue im Kampf gegen das Alte. Nur Dogmatiker und Konservative, die hinter dem Alten stehen, können Widersprüche und Schwierigkeiten in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft fürchten. Aber das sind hauptsächlich Widersprüche und Schwierigkeiten des Wachstums, die mit der schnellen Entwicklung aller Seiten des Lebens der sozialistischen Gesellschaft verbunden sind. I m Sozialismus gibt es den Widerspruch zwischen dem unaufhörlichen Wachstum der Bedürfnisse und dem erreichten Stand der Produktion. Widersprüche werden nicht ausgedacht. I m komplizierten Leben muß ihre Entwicklung aufgedeckt werden, um die besten Methoden ihrer Lösung zu finden. Nur so können sie rechtzeitig überwunden werden. Vor einiger Zeit gab. es bei uns eine Verbreitung der sogenannten Theorie der Konfliktlosigkeit. Diese falsche Theorie ging von einer Leugnung der Widersprüche in der sozialistischen Gesellschaft aus. Die „Theorie der Konfliktlosigkeit" wurde zu Recht kritisiert und verworfen, aber bei einzelnen Wissenschaftlern, Literatur- und Kunstschaffenden entstand eine schablonenhafte, metaphysische Auffassung des Konfliktes als Antagonismus der sozialen Hauptkräfte analog der bürgerlichen Gesellschaft. Menschen, die gegen die mechanische Übertragung der ihrer Natur nach antagonistischen Konflikte der alten Gesellschaft auf die neue, sozialistische Gesellschaft aufgetreten sind, wurden von ihnen als „Schönfärber" bezeichnet. Ein wahrhaft marxistischer Dialektiker wird nicht vergessen, daß seit der Liquidierung der Ausbeuterklasse und der Herstellung der moralischpolitischen Einheit des Volkes eine grundlegende qualitative Veränderung des Charakters der Widersprüche in der Gesellschaft nicht nur im Vergleich mit dem Kapitalismus, sondern auch im Vergleich zur Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus vor sich gegangen ist.
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In den ersten Etappen des sozialistischen Auf baus, wenn noch Reste von Ausbeuterklassen existieren, die einen, bestimmten Einfluß auf die kleinbürgerlichen Schichten der Bevölkerung und die Unterstützung der äußeren konterrevolutionären Kräfte besitzen, können die Widersprüche antagonistischen Charakter annehmen und ist die Verschärfung des Klassenkampfes möglich. Im Sozialismus gibt es keine soziale Basis für die Entwicklung antagonistischer Widersprüche. Wenn in der Übergangsperiode durch das Vorhandensein verschiedener sozialökonomischer Elemente die Widersprüche noch in der Hauptsache in den Beziehungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Klassen und Gruppen zum Ausdruck kommen, so entstehen mit dem Sieg des Sozialismus solche Widersprüche, an deren Lösung alle Schichten der Bevölkerung interessiert sind. Das Hauptproblem der sozialistischen Gesellschaft ist die effektivste Ausnutzung der Vorzüge des sozialistischen Wirtschaftssystems und aller Reserven im Interesse der schnelleren Entwicklung der Produktivkräfte, des Wachstums der Produktivität der Arbeit, des unentwegten Aufschwungs des Wohlstandes des Volkes. Bei der Lösung dieses Problems kann es keinerlei Antagonismus zwischen verschiedenen sozialen Gruppen der Sowjetgesellschaft, zwischen den Arbeitern, Kollektivbauern, Angestellten geben, aber es können entstehen und entstehen ständig Widersprüche zwischen neuen Aufgaben, neuen Forderungen und alten Formen und Methoden der Arbeit. In diesem Prozeß können Neuerer und einzelne Konservative unter den verschiedensten Gruppen der Bevölkerung hervortreten. So ist es wirklich. Das Neue besteht darin, daß die Konflikte in der sozialistischen Gesellschaft Teilkonflikte, vorübergehende Konflikte sind. Sie sind nicht mit irgendeinem allgemeinen sozialen Antagonismus verbunden. Diese Tatsache nicht zu verstehen, bedeutet den Teil, das Einzelne, für das Allgemeine auszugeben; was auch einige Schriftsteller vom Schlage Dudinzews getan haben. Die in der sozialistischen Gesellschaft vorhandenen Konflikte zwischen einzelnen Gruppen von Menschen, zwischen der Gesellschaft im ganzen und einigen ihrer Mitglieder sind, die Widerspiegelung des allgemeinen Widerspruchs zwischen Neuem und Altem, Fortschrittlichem und Rückständigem, Heranwachsendem und Absterbendem. Das Wesentliche ist, daß unter den Bedingungen des Sozialismus dieser Widerspruch im Ganzen kein antagonistischer ist, deshalb wachsen einzelne Konflikte in den Beziehungen zwischen den Menschen nicht zu einem allgemeinen Konflikt der grundlegenden sozialen Kräfte, das heißt zwischen gesellschaftlichen Klassen und Gruppen an. Die bürgerlichen Kritiker des Marxismus sehen diese Eigenart des Wirkens der Prinzipien der Dialektik im Sozialismus nicht oder wollen
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sie nicht sehen. Der französische Philosoph Merleau-Ponty meint, daß es ohne Opposition keine Dialektik gibt. Diese Art „Freunde" der Dialektik können nicht verstehen, daß der „Kampf" der Gegensätze im Sozialismus nicht im Zusammenstoß der Klassen und ihrer Parteien zum Ausdruck kommt, sondern im schöpferischen Wettbewerb des Fortschrittlichen, Heranwachsenden, Lebendigen, Aufkeimenden gegen alles, was überlebt ist und das Gestrige verkörpert. Fortschrittliche
Theorie und schöpferische
Arbeit
Die bürgerlichen Ideologen bemühen sich krampfhaft, die Vereinigung aller fortschrittlichen Kräfte der Menschheit unter dem Banner der marxistisch-leninistischen Weltanschauung zu verhindern, die Intelligenz der kommunistischen Bewegung entgegenzustellen, die fortschrittlichen Wissenschaftler und Kulturschaffenden von der materialistischen Philosophie fernzuhalten und sie dem ideologischen Einfluß ihrer modernen idealistischen Theorien auszuliefern. Einer der Taschenspielertricks der Widersacher des Kommunismus ist die Verbreitung der Behauptimg, daß die Parteilichkeit der materialistischen Philosophie der objektiven Erkenntnis der lebendigen Erscheinungen, ihrer objektiven Widerspiegelung in der Wissenschaft, Literatm: und Kunst entgegensteht. Der Jesuit Gustav Wetter behauptete noch bis vor kurzem, daß die Parteilichkeit der sowjetischen Philosophie „früher oder später zu katastrophalen Resultaten für die Wissenschaft führen muß." Während die Revisionisten Spekulationen der gleichen Art anstellten, jammerten sie, daß die parteilicheJFührung die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens und der kulturellen Werte „fesseln würde". Die großen Errungenschaften der sozialistischen Gesellschaft auf dem Gebiet des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und in der Entwicklung der Kultur beweisen jedoch, daß eben die Verbindung der Wissenschaft, Literatur und Kunst mit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung der Schlüssel für die rasche Entwicklung des wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens zum Wohle des Volkes ist. Die Ideologen der Bourgeoisie versuchen jedoch, die Wissenschaftler nicht nur durch die direkte Propagierung des Idealismus und die grobe Verleumdung des Materialismus zu verwirren. Sie verbreiten vor allem den philosophischen Idealismus des sogenannten Positivismus. Sie propagieren, „sich nur an Fakten zu halten", und verneinen das tiefe philosophische Durchdenken der Wirklichkeit, um sich „über" den Materialismus und Idealismus zu erheben. In Wahrheit ist der Positivismus unter den heutigen Bedingungen eine getarnte Form des Versuchs der Verbreitung idealistischer Anschauungen und des Kampfes gegen den Materialismus. 8
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Die idealistischen Philosophen nutzen bewußt die Tatsache aus, daß eine große »Anzahl von Gelehrten in den kapitalistischen Staaten, deren Horizont infolge des bürgerlichen Milieus notwendig begrenzt ist, nicht jdne materialistischen Schlußfolgerungen ziehen können, welche die Entwicklung der modernen Wissenschaft immer mehr fordert. Aus diesem Tatbestand ergibt sich die verpflichtende Aufgabe der materialistischen Wissenschaftler, die philosophischen Ergebnisse und Schlußfolgerungen der Naturwissenschaft hervorzuheben und einen unerschrockenen Kampf gegen die idealistischen Verfälschungen der neuesten Ergebnisse der Wissenschaft zu führen. Die gtesamte Erfahrung des ideologischen Kampfes lehrt, daß jede Herabminderung der Rolle der wissenschaftlichen materialistischen Weltanschauung Hintertüren für die Verbreitung der reaktionären Anschauungen und Einflüsse öffnet. Die Wissenschaft kann im Kampf der fortschrittlichen Weltanschauung gegen das Überlebte, im, Kampf zwischen Materialismus und Idealismus wicht neutral sein. Per Fortschritt der Wissenschaft enthüllt immer tiefer die in der Welt vor sich gehenden materiellen Prozesse, widerlegt immer anschaulicher die Vorurteile des Idealismüs und bestätigt die Wahrheit des Materialismus. In der letzten Zeit denken Persönlichkeiten der bürgerlichen Welt immer häufiger über die Frage nach, ob denn die enormen Erfolge der sowjetischen Wissenschaft nicht doch mit dem Marxismus-Leninismus verbunden sind. Den Wissenschaftlern der Sowjetunion ist die große Bolle des Marxismus-Leninismus für die Geschichte der Wissenschaft bekannt. Dank der schöpferischen Anwendung des Maxismus-Leninismus im Leben wurde die neue sozialistische Gesellschaft errichtet, welche der Wissenschaft und schöpferischen Arbeit nie dagewesene Möglichkeiten ihrer Entwicklung schenkte. Die marxistisch-leninistische Weltanschauung beireit den Blick der Gelehrten von jener ideologischen Verschwommenheit, die den Horizont der bürgerlichen Wissenschaftler begrenzt. Die Methode der materialistischen Dialektik hilft, die komplizierten philosophischen Fragen der Wissenschaft zu entwirren und die lebendigen Widersprüche der lebendigen Erkenntnis zu lösen. Der Start der künstlichen Erdsatelliten durch das sowjetische Volk widerlegt alle Behauptungen der bürgerlichen Ideologen, daß der Sozialismus die Freiheit der schöpferischen Arbeit fesseln würde. Auf dem Gebiet der Ästhetik konzentrieren die bürgerlichen Ideologen und Revisionisten in der letzten Zeit ihre Angriffe auf die Methode des sozialistischen Realismus. Die Negierimg des sozialistischen Realismus als Methode des künstlerischen Schaffens ist gleichfalls eine Art Positivismus, eine Propagierung der Prinzipienlosigkeit und Ideenlosigkeit auf dem Gebiet des künstlerischen Schaffens.
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Es ist bekannt, daß die Ästhetik des Realismus unlöslich mit der Geschichte des Materialismus verbunden ist. Die ästhetischen Anschauungen Belinskis und Tschernyschewskis beruhen auf der bewußten Anwendung des Materialismus im künstlerischen Schaffen. Um so notwendiger ist die Verbindung der ästhetischen Prinzipien des sozialistischen Realismus mit der Weltanschauung des dialektischen Materialismus. Die Verneinung oder Herabsetzung der Methode des sozialistischen Realismus durch einzelne Kulturschaffende ist mit der Unterschätzung der führenden Rolle der Partei verbunden. Sie versuchen, die Freiheit des Schaffens als „Freiheit" von der Fuhrung der Partei zu interpretieren. Wahre Freiheit des schöpferischen Schaffens, das bedeutet, imstande zu sein, die fortschrittliche Weltanschauung in den künstlerischen Arbeiten anzuwenden, offen den Werktätigen, der großen Sache des Kommunismus zu dienen. Bei uns wurde allgemein der Leitsatz anerkannt, daß die Schriftsteller Ingenieure der menschlichen Seele sind. Dieser. Leitsatz charakterisiert treffend und kurz die erzieherische Rolle der fortschrittlichen Literatur. Aber man darf nicht vergessen, daß die Führung der Bewußtseinsbildung der Massen und der kommunistische Aufbau durch die Partei verwirklicht wird. In den letzten Jahren kritisierte die KPdSU scharf die Mängel auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften. Die Revisionisten haben in diesem Zusammenhang Lärm über die „Krise" des Marxismus und seiner philosophischen Grundlagen geschlagen. Unsere Selbstkritik auf dem Gebiet der Theorie wurde nicht durch die Schwäche der Positionen des Marxismus, sondern durch das Bemühen hervorgerufen, das Niveau der wissenschaftlichen Arbeit verstärkt zu erhöhen, die weitere Entwicklung des schöpferischen Denkens zu sichern und die Verbindung der theoretischen Forschung mit der Praxis des kommunistischen Aufbaus zu festigen. Die KPdSU löst in enger Zusammenarbeit mit den brüderlichen kommunistischen und Arbeiterparteien schöpferisch die neuen programmatischen Fragen des Kommunismus und bereichert die marxistisch-leninistische Theorie. Die gesamte Erfahrung der historischen Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens und des gesellschaftlichen Denkens beweist, daß die neuen, fortschrittlichen Ideen, die auf die herangereiften Bedürfnisse der fortschrittlichen Menschheit Antwort geben, die Massen ergreifen und zur materiellen Gewalt werden, welche die Wirklichkeit umgestaltet. Der Triumphzug der marxistisch-leninistischen Ideen verkörpert sich heute im sozialistischen Weltsystem und bahnt sich seinen Weg in allen Teilen der Erde. „Prawda", Nr. 17/1958, 17. Januar 1968. 8*
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Das Gesetz „Negation der Negation" B. KEDROW W. I. Lenin charakterisierte die materialistische Dialektik als die inhaltsreichste und tiefste, von Einseitigkeiten und Verzerrungen freieste Entwicklungslehre. Eines der Grundgesetze der Dialektik, das heißt der allgemeinsten Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des Denkens, ist das Gesetz der „Negation der Negation". Für die Metaphysik, die die dialektische Auffassung der Entwicklung ablehnt, bedeutet Negation nur völlige Verwerfung, Vernichtung und Auslöschung: im Bereich der leblosen Natur die Zerstörung des Negierten, in der lebenden Natur, das Lebende zu töten, ihm die Entwicklungsmöglichkeit zu rauben, und auf dem Gebiet des Denkens die völlige Aufgabe einer vorher aufgestellten These, ohne einen gedanklichen Übergang von ihr zu einer andern, inhaltsreicheren These zu gestatten. Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um wissentlich falsche Thesen, die tatsächlich restlos zu negieren, restlos abzulehnen sind, weil sie auch nicht ein Körnchen Wahrheit enthalten. Die Metaphysik dagegen verabsolutiert diese Art der Negation und kennt dementsprechend nur eine solche Negation, die das Aufhören der Entwicklung bedeutet. Diese Art der Negation (die es natürlich gibt), nennt Engels schlecht und unfruchtbar, denn sie schließt die Entwicklung aus. Ihr stellt Engels die wahre, dialektische Negation gegenüber, die ein sehr wichtiges Moment jeglicher Entwicklung darstellt. Wie die Dialektik nachweist, setzt die Negation den Gegensatz des Neuen zum Alten, des Positiven zum Negativen voraus. Sie erfolgt in der Weise, daß sie die aufeinanderfolgenden Etappen der Entwicklung verbindet. Infolgedessen ist eine ständige Aufeinanderfolge im Entwicklungsprozeß vorhanden, und der ganze Prozeß erhält den Charakter unaufhörlicher Bewegung und Erneuerung. Außerordentlich eindrucksvoll hat Lenin den dialektischen Charakter der Negation dargestellt. Er schreibt: „Nicht die nackte Verneinung, nicht die leichtfertig-Tinbesonnene Verneinimg, nicht das skeptische Verneinen, Schwanken, Zweifeln ist charakteristisch und wesentlich in der Dialektik — die unzweifelhaft das Element der Verneinung, und
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zwar als ihr wichtigstes Element in sich enthält—, nein, sondern die Verneinung als Moment des Zusammenhangs, als Moment der Entwicklung, unter Beibehaltung des Positiven, d. h. ohne alle Schwankungen, ohne jeden Eklektizismus."1 Die dialektische Negation schließt ihre eigene Negation ein. Wenn auf einer bestimmten Etappe Altes durch Neues negiert worden ist, dann veraltet dieses Neue und wird seinerseits durch etwas noch Neueres, noch Vollkommeneres negiert — und so geht es endlos weiter, solange eine Entwicklung stattfindet. Die dialektische Auffassung der Negation, die die Möglichkeit und Notwendigkeit ihrer eigenen Negation im Verlauf der weiteren Entwicklung einschließt, wird durch den Begriff „Negation der Negation" ausgedrückt. Ihr Wesen besteht darin, daß durch die im Verlauf der Entwicklung auftretende Negation die Entwicklung selbst nicht unterbrochen, nicht beendet wird, sondern weitergeht und gesetzmäßig zu einer neuen Negation führt. Auf die erste Negation folgt somit immer und überall eine zweite, mit der ersten innerlich zusammenhängende Negation. Die nachfolgende Negation annulliert sozusagen bis zu einem gewissen Grade die ihr vorhergehende (hebt sie auf). Hieraus ergibt sich eine sehr wichtige Besonderheit des gesamten Entwicklungsprozesses. Während die erste Negation einen Gegenstand oder eine These negiert, stellt die zweite einige wesentliche Züge oder Merkmale dieses vorher negierten Gegenstandes teilweise wieder her. Im Verlauf jeder Entwicklung wird also auf einer höheren Stufe der Entwicklungsprozeß der niederen wiederholt, jedoch nicht buchstäblich, nicht genau, sondern nur soweit, wie die nachfolgende Negation einige Züge und Besonderheiten des ursprünglichen Zustandes eines Dinges wiederhergestellt hat. In seinem Aufsatz „Karl Marx" schrieb Lenin: „Eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe (.Negation der Negation')."8 Im „Philosophischen Nachlaß" vermerkte er bei der Aufzählung der Elemente der Dialektik „die Wiederholling gewisser Züge, Eigenschaften etc. des niederen Stadiums im höheren und die scheinbare Rückkehr zum Alten (Negation dgr Negation)".8 Das Gesetz der „Negation der Negation" wurde, wie auch andere Gesetze der Dialektik, zum ersten Mal von Hegel formuliert. Hegel ging jedoch von einer idealistischen Grundlage aus. Er leitete die Gesetze der Dialektik nicht aus der Natur und aus der menschlichen Geschichte ab, sondern er oktroyierte sie der Natur und der Gesellschaft als Gesetze 1 2 3
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W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 150. W. I. Lenin, „Karl Marx", Berlin 1950, S. 13. W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 145.
des reinen Denkens auf. Da der-Terminus „Negation der Negation" von Hegel geprägt wurde, setzen ihn die Klassiker des Marxismus-Leninismus gewöhnlich in Anführungszeichen. Marx und Engels haben die Hegeische Dialektik völlig umgearbeitet und eine von ihr qualitativ verschiedene, materialistische Dialektik geschaffen, deren Gesetze die allgemeinsten Gesetze jeder Entwicklung sind. Engels hat die Wirkung des Gesetzes der „Negation der Negation" an Hand vieler Beispiele aus allen Gebieten der Natur, der Gesellschaft und des Denkens demonstriert. Eine Fülle neuer Beispiele können als Beweise für den universellen Charakter dieses Gesetzes angeführt werden. Zuvor wollen wir jedoch das Spezifische des Gehetzes der „Negation der Negation", seinen Unterschied zu den anderen Grundgesetzen der Dialektik und sein Wechselverhältnis zu ihnen — mit anderen Worten, seine Stellung unter den Grundgesetzen der marxistischen Dialektik — zu klären versuchen. Wie alle allgemeinen Gesetze und Züge der materialistischen Dialektik hängt das Gesetz'der „Negation der Negation" aufs engste mit dem Gesetz von der Einheit und dem Kampf der Geigensätze zusammen, in dem Lenin den Kern der Dialektik sah. Dieser Kern ist nicht nur für die „Negation der Negation", sondern auch für das Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative bestimmend; denn die Einheit und der Kampf der Gegensätze bilden den inneren Gehalt des' ganzen Entwicklungsprozesses mit allen seinen Zügen und Besonderheiten. Engels hat in dem allgemeinen Plan seiner „Dialektik der Natur" eines der Hauptgesetze der Dialektik dahingehend formuliert, daß sich die Entwicklung durch den Widerspruch oder die Negation der Negation vollzieht. Bei der Aufzählung der Hauptgesetze der Dialektik stellt Engels zwei von ihnen unmittelbar nebeneinander: ,,.. . Gegenseitiges Durchdringen der polaren Gegensätze und Ineinander-Umschlagen, wenn auf die Spitze getrieben — Entwicklung durch den Widerspruch oder Negation der Negation . . . " 4 Nach Engels schließt also die Erkenntnis der Widersprüchlichkeit der Entwicklung die Erkenntnis ein, daß im Verlaufe des Entwicklungsprozesses eine „Negation der Negation" stattfindet. Tatsächlich schlagen im Verlauf der Entwicklung die Gegensätze ineinander um,, wenn sie auf die Spitze getrieben werden oder ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht haben. Wenn im Anfang des Prozesses einer von zwei Gegensätzen in den anderen umgeschlagen ist, schlägt in der Folge früher oder später dieser letzte in einen neuen Gegensatz um. Selbstverständlich kann sich der neue Gegensatz niemals völlig mit dem ursprünglichen 1
Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 3.
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decken, weil sich die Entwicklungsbedingungen ändern und eine neue, höhere Stufe der Entwicklung erreicht wird. Trotzdem müssen, da die eine Seite in ihren Gegensatz umschlägt und dieser dann ebenfalls in seinen Gegensatz umschlägt, der Ausgangsform und der neuen Form, die nach dem wiederholten Umschlagen eines Dinges in seinen Gegensatz entstanden ist, irgendwelche Züge oder Eigenschaften gemeinsam sein. Dies bildet den Inhalt der „Negation der Negation". Dementsprechend trägt ein Fragment bei Engels die Überschrift „Negation der Negation und Widerspruch".5 Wenn Engels den Zusammenhang der „Negation der Negation" mit dem Widerspruch als der Quelle jeglicher Entwicklung aufdeckt*, dann enthüllt er dadurch den tiefsten Inhalt sowohl dieses Gesetzes als auch des Entwicklungsprozesses selbst, der sich auf der Grundlage des Widerspruchs vollzieht. Er schreibt: „Die wahre, natürliche, historische und dialektische Negation ist ja eben das Treibende (formell genommen) aller Entwicklung — die Spaltung in Gegensätze, deren Kämpf und Lösung, wobei (in der Geschichte teilweise, im Denken ganz) auf Grund der gewonnenen Erfahrung der ursprüngliche Ausgangspunkt, aber auf höherer Stufe wieder erreicht wird."6 Somit führt der widerspruchsvolle Charakter der Entwicklung zur „Negatioil der Negation" und offenbart sich in dieser. Daher die Bückkehr zu den Ausgangspunkten, die Lenin als eine Folge und eine Erscheinungsform des Kerns der Dialektik und daher als notwendiges Merkmal der dialektischen Entwicklung betrachtete. Er schreibt: „Bewegung und Werden können, allgemein gesprochen, auch ohne Wiederholung sein, ohne Rückkehr zum Ausgangspunkt, und dann wäre eine solche Bewegung keine ,Identität der Gegensätze'." „Aber", fährt Lenin fort, „auch die astronomische und die mechanische (auf der Erde) Bewegung und das Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menschen — alles das hat der Menschheit nicht nur die Idee der Bewegung, sondern auch namentlich der Bewegung mit Rückkehr zu den Ausgangspunkten, d. h, der dialektischen Bewegung, in die Köpfe eingehämmert."7 Der innere Zusammenhang des Gesetzes der „Negation der Negation" mit dem Kern der Dialektik ermöglicht es, die äußerst wichtige Besonderheit der Entwicklung als eines dialektischen, innerlich widerspruchsvollen Prozesses zu klären. Die marxistische Dialektik charakterisiert die Entwicklung als Bewegung in aufsteigender Linie; dies hat nichts zu tun mit der vulgär-evolutionistischen Auffassung der Entwicklung als Kreisbewegung, als einfache Wiederholung des Durchlaufenen. Um den 5 Friedrich, Herrn Engels Eugen Dührings Umwälzung der Wissensehaft, Berlin 1958, S. 433. « Ebenda, S. 431—432. 7 W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 271.
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Vergleich anschaulicher zu machen, werden hier aus der Geometrie oder aus dem Gebiet der einfachsten Vorstellungen über die mechanische Bewegung entnommene Bilder verwendet, wie „Bewegung in aufsteigender Linie" und „Kreisbewegung". Im Interesse der Anschaulichkeit verwenden die Klassiker des Marxismus-Leninismus dieselbe Analogie und vergleichen das Gesetz der „Negation der Negation" mit der Entwicklung in Form einer Spirale. In der Tat vermittelt die Spirale eine anschauliche Vorstellung von jener komplizierten und widerspruchsvollen Entwicklung, in der zwei Arten der Bewegung — die fortschreitende und die scheinbar rückläufige — miteinander verbunden sind. Wenn im Verlauf der Entwicklung scheinbar eine „Rückkehr" zu dem bereits durchlaufenen Stadium stattfindet, dann handelt es sich nicht um eine einfache Wiederholung des Alten früherer Stadien, sonder^ nur um die Wiederholung einiger Züge, Besonderheiten, Merkmale unter anderen geschichtlichen oder natürlichen Bedingungen, aiif einer völlig anderen Basis, auf einer neuen, höheren Grundlage, insofern die fortschreitende Bewegung das Bestimmende bleibt. In diesem Zusammenhang nennt Engels als eine Seite des Gesetzes der „Negation der Negation" die „Spirale Form der Entwicklung".8 Lenin spricht in seinem Aufsatz „Karl Marx" von einer „Entwicklung, die nicht gradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht".9 Die gleiche These hat Lenin mehrfach in seinem „Philosophischen Nachlaß" unterstrichen, wo er zum Beispiel bemerkt: „Die Erkenntnis des Menschen ist nicht (resp. beschreibt nicht) eine geräde Linie, sondern eine Kurve, die sich einer Reihe von Kreisen, einer Spirale unendlich nähert."10 Der Prozeß der „Negation der Negation", das heißt der zweifachen sich folgerichtig nacheinander vollziehenden Negation, setzt die spiralenartige Forip der Entwicklung voraus. D. I. Mendelejew hat einmal gesagt, daß die ganze Verteilung der Elemente im periodischen System im Grunde eine Kontinuität darstellt und am ehesten einer Spirale entspricht. Dies erklärt sich eben dadurch, daß in dem periodischen Gesetz die „Negation der Negation" in Erscheinung tritt. Das Gesetz der „Negation der Negation" grenzt also die dialektische Auffassung der Entwicklung von zwei simplifizierten, einseitigen und im Grunde mechanistischen Anschauungen ab, nach denen sich die Entwicklung entweder im Kreise, unter einfacher Wiederholung des durchlaufenen Stadiums, oder in aufsteigender gerader Linie, ohne irgendwelche Widersprüche, ohne jede „Rückläufigkeit" vollzieht. Das Gesetz der „Negation der Negation", besitzt einen völlig selbstständigen Charakter und deckt sich mit keinem anderen Gesetz der Dia8 9 10
Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Berlin 1952, S. 3. W. I. Lenin, „Karl Marx", Berlin 1950, S. 13. W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 289.
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lektik. Unter Hinweis darauf, daß dieses Gesetz nur den Fortschritt der Entwicklung zum Ausdruck bringe, versuchte man früher, es in den dritten Grundzug der marxistischen dialektischen Methode einzubeziehen. Es läßt sich leicht nachweisen, daß dabei das Spezifische des Gesetzes der „Negation der Negation" verwischt wird, das im Unterschied zu dem Gesetz des Umschlagens quantitativer Veränderungen in qualitative nicht nur die fortschreitende Entwicklung, sondern auch die Tatsache ausdrückt, daß diese Vorwärtsentwicklung mit einer Beibehaltung des Vorhergehenden verbunden ist, daß die Entwicklung in Widersprüchen und daher nicht in einer geraden, sondern gewissermaßen in einer gekrümmten Linie erfolgt. Nichts davon enthält der dritte Grundzug der Dialektik, in den manche Philosophen das Gesetz der „Negation der Negation" vergeblich hineinzupressen versuchen, obwohl es sich dort offensichtlich nicht unterbringen läßt. Natürlich könnte man versuchen, es in den Kern der Dialektik einzubeziehen, in den überhaupt alle Zuge und Elemente der Dialektik einbezogen werden können, da sie letztlich alle durch ihn bestimmt werden. Besonders leicht ließe sich das vielleicht mit dem Gesetz der „Negation der Negation" bewerkstelligen, insofern 6s ja gerade feststellt, daß die Entwicklung durch Widersprüche erfolgt. Dann würde aber das Spezifische dieses Gesetzes ausgelöscht und verwischt werden. Wir wollen nun versuchen, das Spezifische des Gesetzes der „Negation der Negation" durch einen Vergleich mit den anderen Grundgesetzen der marxistischen Dialektik eingehender darzustellen. Zu diesem Zweck betrachten wir zuerst den Charakter der Wirkung jedes dieser Gesetze. Das Gesetz von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze als Quelle, als Bewegungsantrieb jeglicher Entwicklung wirkt in jedem Augenblick, in jedem Punkt der Entwicklung. Das kann nicht anders Qin. Wenn nämlich dieses Gesetz nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit, in jedem Ding und in jeder Erscheinung wirksam wäre, so würde dies bedeuten, daß die Entwicklung ihrer Quelle beraubt würde und daher aufhören müßte. Eben deshalb kann man im Hinblick darauf, daß das Gesetz von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze überall und ständig, in jedem beliebigen Moment, an jedem, auch dem kleinsten Abschnitt der Entwicklung wirkt, sagen, daß dieses Gesetz „Differentialcharakter" besitzt. Darum tritt insbesondere sein universeller Charakter so deutlich zutage; denn in jedem Gegenstand und in jeder Erscheinung, im Wesen aller Gegenstände und Erscheinungen liegt ein Widerspruch, der immer und überall, in jedem Augenblick ihres Daseins wirkt. Aber schon bei der Wirkung des Gesetzes vom Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative liegen die Dinge etwas anders. Dieses Gesetz tritt nicht in jedem Punkt der Entwicklung in Erscheinimg, sondern nur dann, wenn quantitative Veränderungen, nachdem sie die
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jeweilige Grenze erreicht haben, den Übergang eines Dinges in einen neuen qualitativen Zustand nach sich ziehen und bedingen. Mit anderen Worten, dieses Gesetz tritt nur im Moment eines Sprunges in Erscheinung, im Augenblick der Lösung der Widersprüche, wenn ein bestimmter Abschnitt, eine bestimmte Periode der Entwicklung zu Ende geht. Solange dagegen der Sprung durch die allmähliche Anhäufung von verborgenen, unmerklichen quantitativen Veränderungen vorbereitet wird, offenbart dieses Gesetz seine Wirkung noch nicht. „Differentialcharakter" besitzt jeweils die Einheit der quantitativen und der qualitativen Seite eines Dinges .und einer Erscheinung, die wechselseitige Bedingtheit dieser beiden Seiten; denn in dieser ihrer Einheit und wechselseitigen Durchdringung konkretisiert sich die Einheit der Gegensätze, der Kern der Dialektik. Noch anders liegen die Dinge bei dem Gesetz der „Negation der Negation". Es besitzt noch weniger „Differentialcharakter" als das Gesetz des Umschlagens quantitativer Veränderungen in qualitative. Zum Verständnis seiner Wirkung genügt es nicht, einen einzelnen Abschnitt, geschweige denn einen einzelnen Moment der Entwicklung ins Auge zu fassen. Um seine Wirkung zu erkennen, muß man den Gesamtverlauf der Entwicklung betrachten und ihre einzelnen Etappen miteinander vergleichen; denn das Gesetz der „Negation der Negation" setzt seinem Wesen nach wiederholte Negationen voraus, die sich erst in den folgenden, höheren Stadien der Entwicklung und nicht in dem Moment offenbaren, in dem die erste Negation erfolgt. Mit anderen Worten, sie treten nach mehr oder weniger langer Zeit zutage, und zwar nicht dann, wenn an die Stelle einer historischen Periode eine andere tritt, sondern erst dann, wenn an die Stelle dieser anderen Periode die folgende oder sogar mehrere folgende treten. Dementsprechend kann man im Hinblick darauf, daß das Gesetz der „Negation der Negation" gleichsam summierend, zusammenfassend wirkt, sagen, daß dieses Gesetz „Integralcharakter" trägt. „Differentialcharakter" dagegen besitzt jede Negation, insofern sie einen notwendigen Moment jeglicher Entwicklung darstellt. In jedem Moment der Entwicklung nämlich wird immer etwas negiert, überwunden, während etwas anderes sich durchsetzt und an die Stelle dessen tritt, was negiert und überwunden wird. Aus dem Integralcharakter des Gesetzes der „Negation der Negation" wird es erklärt, daß seine Wirkung im Unterschied zu der des Gesetzes von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze nicht überall, sondern nur dort in Erscheinung tritt, wo die Entwicklung, nachdem sie einen bestimmten Zyklus .vollendet hat, in einem höheren Stadium gewisse Züge und Merkmale der vorher durchlaufenen Stadien wiederholt. Diese besondere Eigenart der Wirkung des Gesetzes der „Negation der Negation" veranlaßt häufig Zweifel an seiner Allgemein-
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gültigkeit. In Wirklichkeit aber ist dieses Gesetz ebenso allgemeingültig (in dem Sinne, daß es auf allen Gebieten der Natur, der Gesellschaft .und dés Denkens wirkt) wie das Gesetz von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze; aber infolge seines „integralen" Charakters tritt es nicht so häufig in Erscheinung wie der Kern der Dialektik. Dazu bemerkt Engels, daß durch die „Negation der Negation" der Ausgangspunkt im Denken ganz, in der Geschichte dagegen nur teilweise erreicht wird. Stellt man alle drei Grundgesetze der marxistischen Dialektik nebeneinander und vergleicht dann den ganzen Entwicklungsprozeß mit der Kette der nacheinander entstehenden Glieder (Ereignisse), so kann man sagen, daß das Gesetz von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze seine Wirkung an jedem Punkt der ganzen Kette, an jedem ihrer einzelnen Glieder offenbart, während das Gesetz des Umschlagens quantitativer Veränderungen in qualitative in jedem einzelnen Gliede beim Übergang zum folgenden Gliede und das Gesetz der „Negation der Negation" in der Kette als Ganzem wirken. Das ist ein kurzer und natürlich nur bildlicher Ausdruck für das Spezifische und den Wirkungsbereich der Hauptgesetze der Dialektik in ihrem wechselseitigen Zusammenhang. Um die Besonderheit und Selbständigkeit des Gesetzes der „Negation der Negation" noch deutlicher zu machen, wollen wir versuchen, die Grundgesetze der Dialektik unter Verwendimg der obigen Analogie zu charakterisieren. Der Kern der Dialektik — die Einheit und der Kampf der Gegensätze — weist auf die Quelle der Entwicklung, auf ihren inneren Impuls, auf ihre Selbstbewegung hin und kann deshalb als die Triebfeder der Entwicklung bezeichnet werden. Das Umschlagen quantitativer Veränderungen in qualitative enthüllt den Charakter der Lösung der der Entwicklung zugrunde liegenden Widersprüche und ist daher gleichsam der innere Mechanismus des Entwicklungsprozesses. Die „Negation der Negation" mit ihrem „integralen" Charakter deutet schließlich darauf hin, welchen Weg die Entwicklung genommen hat, die sich auf der Grundlage von Widersprüchen und zugleich fortschreitend vollzieht, das heißt, sie läßt auf das Ergebnis der gesamten Vorwärtsbewegung schließen, die unter der Wirkung des jeweiligen treibenden Widerspruchs vor sich gegangen ist. Deshalb kann man sie bildlich als die Kurve der Entwicklung bezeichnen. Wie alle Kurven wird natürlich auch die Kurve, die der dialektische Entwicklungsprozeß beschreibt, durch den Charakter der Quelle der Entwicklung, durch die Impulse der Entwicklung sowie durch den Mechanismus ihrer Wirkung, das heißt durch den Charakter der dabei auftretenden Sprünge bestimmt. Der Inhalt des Begriffs Weg oder Kurve der Entwicklung erschöpft sich jedoch nicht hierin, sondern hat seine besondere Bedeutung. Es wird hierbei berücksichtigt, was der ganzé Entwicklungsprozeß insgesamt hervorgebracht, ergeben hat, wenn man die bereits früher durchlaufenen
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Etappen mit den gegenwärtigen, das heißt die alten Etappen mit den neuen, die niederen mit den höheren vergleicht. Alle diese Etappen stehen in einem notwendigen inneren Zusammenhang. Sie hängen eben deshalb gesetzmäßig miteinander zusammen, weil sie im Verlauf eines einheitlichen Prozesses entstanden sind, der durch die allgemeine Quelle der Entwicklung bedingt ist — durch den*Widerspruch, der auf dem jeweiligen Gebiet der objektiven Welt oder seiner Widerspiegelung in unserem Bewußtsein wirkt. In Lenins „Philosophischem Nachlaß" gibt es eine bemerkenswerte Stelle, die die „Rrummlinigkeit" des Erkenntnisprozesses und jeglicher Entwicklung, wenn (oder, besser gesagt, insofern) sie sich auf der Grundlage von Widersprüchen vollzieht, vortrefflich erläutert. Lenin schreibt: „Die Bewegung der Erkenntnis zum Objekt kann stets nur dialektisch vor sich gehen: zurückgehen, um sicherer zu treffen — reculer pour mieux sauter .. ." u Hier wird der widerspruchsvolle Charakter der Entwicklung nicht nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet, daß der Widerspruch die Quelle der Bewegung ist, sondern daß auch durch die Wirkung der Widersprüche Bewegungen entstehen können, die auf den ersten Bück rückläufig erscheinen, in Wirklichkeit aber „Umgehungsbewegungen" sind, bei denen das Ziel nicht geradlinig, sondern durch ein scheinbares Zurückweichen erreicht wird. Das Zurückweichen ist in diesem Sinne eine völlig gesetzmäßige und für das Vordringen, für die weitere fortschreitende Entwicklung unerläßliche Vorbereitung. In der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis erscheint die erste Negation manchmal als Verzicht auf die ursprüngliche Vorstellung, als ein Abweichen oder gar eine Abkehr von der scheinbar bereits gewonnenen Wahrheit. Aber erst bei der wiederholten Negation (das heißt bei der „Negation der Negation") zeigt es sich, daß dieses scheinbare Abweichen, dieser scheinbare Verzicht in Wirklichkeit kein Verzicht, kein Abweichen von der ursprünglich gewonnenen Erkenntnis, sondern ein Weg zur vollständigeren und tieferen Enthüllung der Wahrheit gewesen ist. Derartige „Umgehungsbewegungen" gibt es nicht nur im Erkenntnisprozeß, sondern auch in der gesellschaftlich-geschichtlichen Praxis, insbesondere in der Politik, wo der widerspruchsvolle Charakter der Entwicklung manchmal erfordert, das Ziel nicht auf geradem Wege, sondern durch zeitweilige Rückzüge, verwickelte Manöver und partielle Kompromisse zu erstreben. Äußerst interessant ist Lenins Begründung für den Übergang unserer Partei zur Neuen ökonomischen Politik im Jahre 1921. Lenin wies nach, daß der Kriegskommunismus der Epoche des Bürgerkrieges eine erzwungene Maßnahme war. Um die Offensive gegen die dem Kapitalis11
Ebenda, S. 216.
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mus in unserem Lande noch verbliebenen Positionen vorzubereiten, mußten wir zunächst zurückweichen, aber nur so weit, wie es für die Errichtung des Sozialismus notwendig war. Lenin verglich diesen Bückzug damals mit einer Episode aus dem russisch-japanischen Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Um die Festung Port Arthur zu nehmen, führte das japanische Oberkommando ein großangelegtes Umgehungsmanöver durch. Es verzichtete auf den Versuch, die Festung im Sturm zu nehmen (nachdem mehrere direkte Angriffe gescheitert waren), und ging zu einer langwierigen Belagerung über. Als ein Manöver zur Vorbereitung des späteren entscheidenden Angriffs ist der Rückzug in der Politik und in der Wirtschaftspolitik ein konkretes Beispiel für die Spiralform der Entwicklung, die durch Widersprüche oder die „Negation der Negation" bedingt wird. Die obigen Ausführungen bedürfen der Bestätigung durch konkretes Material aus der Entwicklungsgeschichte der Welt und ihrer Widerspiegelung im menschlichen Denken. Lenin hat den Mißbrauch des Wortes „dialektische Negation" kritisiert und mehrfach daraufhingewiesen, daß mah es nicht verwenden darf, ohne zunächst genaue Tatsachenbeweise beizubringen. Deshalb empfiehlt es sich, eine Reihe von Beispielen für die Wirkung des Gesetzes der „Negation der Negation", vor allem im Zusammenhang mit dem Kern der Dialektik, zu betrachten. Das Fragment „Zur Frage der Dialektik" beginnt Lenin mit einer Charakteristik der Widersprüchlichkeit der Entwicklung des Objekts (des „Einheitlichen") und ihrer Widerspiegelung durch das menschliche Bewußtsein. „Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner gegensätzlichen Bestandteile . . . ist das Wesen (eine der .Wesenheiten', eines der grundlegenden, wenn nicht das grundlegende Merkmal oder der grundlegende Zug) der Dialektik... Die Richtigkeit dieser Seite des Inhalts der Dialektik muß an Hand der Geschichte der Wissenschaft geprüft werden."12 Was ergibt eine solche Prüfung ? Wir wollen uns auf zwei Beispiele aus der Geschichte der Naturwissenschaft beschränken. Die moderne Physik hat bewiesen, daß die einfachsten der heute bekannten Mikroobjekte — die „Elementarteilchen" der physikalischen Arten der Materie (des Stoffes und des Lichtes)—dialektische Gebilde darstellen, die innerlich gegensätzliche Eigenschaften und eine innerlich gegensätzliche Struktur besitzen. Jedes dieser Gebilde stellt eine Art Einheit von Gegensätzen dar — die Einheit von Wellen und Korpuskeln, von Kontinuität und Diskontinuität. Dieser widerspruchsvolle Charakter des untersuchten physikalischen Objekts, zum Beispiel des Lichtes, ist in der Geschichte der wissenschaftlichen Erkenntnis in widerspruchsvoller Weise aufge12
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Ebenda, S. 285.
deckt worden. Ursprünglich entstanden zwei gegensätzliche, einander negierende Aiiffassimgen der Iichterscheiniirigen: die Korpuskulartheorie, nach der das Licht ein Strom von in Bewegung befindlichen Lichtteilchen (Korpuskeln) ist, und die Wellentheorie, nach der das Licht die wellenförmige Bewegung eines materiellen Trägers (des „Äthers") isf. Anfanglich (im 18. Jahrhundert) setzte sich in der Physik die erste Auffassung durch. Sie wurde mit der Atomtheorie in Einklang gebracht, nach der der Stoff aus einzelnen, sehr kleinen Teilchen (Atomen) besteht. Dann kam die erste Negation. Unter dem Einfluß physikalischer Entdeckungen wie derjenigen der Lichtbrechung und der Lichtinterferenz setzte sich (im 19. Jahrhundert) die Wellentheorie durch. So herrschten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Physik abwechselnd zwei gegensätzliche Theorien, die bald die eine, bald die andere der beiden gegensätzlichen Seiten der lichterscheihungen leugneten. Erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann die Enthüllung der widerspruchsvollen Natur des Lichts (Entwicklung der Quantentheorie in den Jahren 1900 bis 1905) und dann des Stoffes und des Lichts (Entstehung der Quantenmechanik in den Jahren 1924 bis 1927). Es war dies eine regelrechte „Negation der Negation", bei der sich den widerspruchsvolle Charakter offenbarte, der die geschichtliche Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis von der Natur der Lichterscheinungen wie des Stoffes kennzeichnet. Als nämlich die Physik die wirkliche, dialektische Widersprüchlichkeit des Lichtes als einer Einheit von Gegensätzen enthüllte, lehnte sie die alte Wellentheorie des Lichtes nicht einfach ab, sondern vertiefte sie und entwickelte sie weiter. Dadurch wurden einige der ursprünglichen Anschauungen über die Natur des Lichtes, die die Wellentheorie abgelehnt hatte, wiederhergestellt. Aber dies war keine einfache Rückkehr zu den Anschauungen des 18. Jahrhunderts; es wurden nur einige ihrer Gedanken wieder angenommen, und zwar auf höherer Grundlage, auf der Grundlage der Einheit der gegensätzlichen Seiten des Lichtes. Der gleiche Zusammenhang zwischen „Negation der Negation" und Widerspruch tritt auch auf anderen Gebieten der Naturwissenschaft, zum Beispiel in der Geschichte der Biologie, zutage. Dabei braucht man nicht weit zurückzugehen. Wir beschränken uns auf das 19. Jahrhundert. Im Jahre 1809 erschien in Frankreich Lamarcks Werk „Philosophie der Zoologie", in dem evolutionäre Anschauungen über die Entwicklung der lebenden Natur vertreten wurden. Diesen Anschauungen lag jedoch infolge bestimmter geschichtlicher Bedingungen die einseitige Konzeption eines rein quantitativen Wachstums zugrunde; dies war ein flacher Evolutionismus, der die Sprünge, die radikalen, qualitativen Veränderungen, leugnete. Gleich danach erschien in Frankreich Cuviers Werk „Abhandlung über die Revolutionen auf der Erdoberfläche", in dem die Idee der
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Entwicklung restlos abgelehnt und die Theorie der plötzliehen Katastrophen oder der sogenannten „Revolutionen" verkündet wurde. Mit anderen Worten, jede dieser beiden Theorien •widerspiegelte nur eine der beiden gegensätzlichen Seiten in der Entwicklung der lebenden Natur, entweder nur ihre rein quantitative Kontinuität (Lamarcks Evolution) oder nur die angeblich durch nichts vorbereiteten und durch nichts bedingten sprunghaften qualitativen Veränderungen (Cuviers Katastrophen). Daher negierten diebeiden Theorien einander völlig. In Wirklichkeit stellt die Entwicklung der lebenden Natur, wie überhaupt jede Entwicklung, eine Einheit der qantitativen und der qualitativen Veränderungen, der evolutionären Kontinuität und der Sprunghafbigkeit dar. Sobald dieser innerlich widerspruchsvolle, dialektische Charakter der Entwicklung der lebenden Natur enthüllt wurde, kam es in der Geschichte der Biologie'zu einer „Negation der Negation". Die evolutionären Grundgedanken Lamarcks wurden wiederhergestellt und weiterentwickelt, aber bereits auf einer neuen, höheren Grundlage, die die quantitativen Veränderungen in ihrer Einheit mit den qualitativen, die Kontinuität in ihrer Einheit mit den Sprüngen berücksichtigte. Dies geschah, wenn auch nicht völlig konsequent, in den Werken Darwins und später in den Werken Mitschurins, der die marxistische Dialektik bewußt anwandte. Man könnte noch viele solche Beispiele anführen. Sie alle beweisen, daß tatsächlich ein unlöslicher Zusammenhang zwischen Widerspruch und „Negation der Negation" besteht. Die „Negation der Negation" ist in der Geschichte der Naturwissenschaft nichts anderes als das Ergebnis der Enthüllung des dem Forschungsobjekt anhaftenden inneren Widerspruchs; sie besagt, daß die Wissenschaft zur Enthüllung dieses Widerspruchs durch den gegenseitigen Kampf sich ausschließender, einseitiger Theorien gelangt, die nur eine der gegensätzlichen Seiten des betreffenden Objekts widerspiegeln. Wenn wir nun zum Beweis der Allgemeingültigkeit des Gesetzes der „Negation der Negation" übergehen, so sei vorausgeschickt, daß ein solcher Beweis eine Analyse aller Gebiete der wirklichen Welt, der unbelebten und der lebenden Natur, der Geschichte der Gesellschaft sowie des menschlichen Denkens erfordert. Wir werden darum nicht zufällige Beispiele speziellen Charakters, die nur zur Erläuterung des genannten Gesetzes geeignet sind, sondern allgemeine, hinlänglich umfassende Gesetze analysieren, die auf dem ganzen jeweiligen Gebiet der wirklichen Welt oder ihrer Erkenntnis wirken, das heißt Gesetze allgemein-biolo» gischen (in der Naturwissenschaft) oder allgemein-soziologischen (in der Geschichte) Typs. Zunächst betrachten wir Mendelejews periodisches Gesetz der chemischen Elemente, das Grundgesetz der Entwicklung des Stoffs in der
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unbelebten Natur. Die Periodizität der Veränderung der Eigenschaften der Elemente selbst ist im Grunde nichts anderes als eine „Negation der Negation", die im Verlauf der Komplizierung der Zusammensetzung des Atomkerns und des Aufbaus der Atomhülle erfolgt. Wenn wir die chemischen Elemente nach der Größe der positiven Ladung ihrer Atomkerne ordnen — von eins beim Wasserstoff bis hunderteins beim Mendelevium (zur Zeit Mendelejews wurden sie nach der Größe des Atomgewichts geordnet) —, so erhalten wir einzelne Reihen oder Perioden von Elementen. Am Anfang einer jeden solchen Periode steht ein Element mit besonders starken metallischen Eigenschaften (Alkalimetall). Gehen wir in Mendelejews Tabelle von links nach rechts, so kommen wir zu Elementen, deren metallische Eigenschaften sich allmählich verringern, während die nichtmetallischen ebenso allmählich anwachsen. Am Ende der Periode gelangen wir zu einem Element mit besonders starken nichtmetallischen Eigenschaften (Halogene). Bei dieser Bewegung nach dem periodischen System ist also eine aufeinanderfolgende Negation der ursprünglichen metallischen Eigenschaften bei den Elementen und ihre Verdrängung durch entgegengesetzte, nichtmetallische Eigenschaften zu beobachten. Danach erfolgt gewissermaßen eine Rückkehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt der Entwicklung, das heißt zum Alkalimetall. Mit anderen Worten, die nichtmetallischen Eigenschaften werden ihrerseits durch metallische Eigenschaften negiert. Daher kann man mit vollem Recht sagen, daß hier eine „Negation der Negation" vor sich geht. Es handelt sich dabei aber nicht um eine einfache vollständige Rückkehr zu der bereits durchlaufenen Stufe; die Eigenschaften wiederholen sich auf einer neuen, höheren Grundlage. Wenn wir die Betrachtung des periodischen Systems mit dem Lithium begonnen haben und im Verlaufe der Negation der metallischen Eigenschaften bis zum Fluor gelangt sind, kommen wir sodann auf dem Wege der „Negation der Negation" zum Natrium, das dem Lithium ähnelt, aber nicht mit ihm identisch ist. Die Wiederholung der durchlaufenen Stufen offenbart sich nicht nur darin, daß die periodische Rückkehr zu früheren Eigenschaften nicht vollständig, sondern mit wesentlichen Veränderungen erfolgt, sondern auch darin, daß die Perioden der Elemente selbst immer größer werden; die Anzahl der ihnen zugehörigen Elemente wächst allmählich. Dabei ist eine partielle Rückkehr zu einigen Eigenschaften auch in der Mitte jeder großen Periode zu beobachten. Die periodische Wiederholung der Eigenschaften darf also nicht absolut verstanden werden, sondern so, daß die Entwicklung die bereits durchlaufenen Stufen zwar gewissermaßen wiederholt, aber in anderer Weise, auf höherer Grundlage. Es wäre falsch anzunehmen, daß die „Negation der Negation" immer drei Glieder besitzen muß: Ausgangspunkt, erste Negation desselben und 9
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sodann eine zweite Negation als mehr oder weniger vollständige Rückkehr zum Ausgangspunkt. In der Wirklichkeit sind manchmal komplizierte Fälle zu beobachten, bei denen die sogenannte Rückkehr nicht in der Form einer Triade, das heißt eines dreigliedrigen Prozesses, sondern durch eine größere Zahl von Negationen erfolgt. Wenn wir zum Beispiel im modernen periodischen System zum Chlor gelangt sind, so erfolgt danach noch eine Negation, ehe wir die Wiederholung der Eigenschaften des Alkalimetalls feststellen. Auf das Chlor folgt nämlich das Argon. Das Argon gehört zu den trägen Gasen, denen die chemische Aktivität fehlt. Bs werden also zunächst die metallischen Eigenschaften negiert, bis wir zum Chlor gelangen; dann wird jede chemische Aktivität überhaupt negiert, und wir kommen zum Argon; schließlich wird die chemische Trägheit negiert, und wir kommen wieder zu den chemisch aktiven Elementen, zu einem Alkalimetall, zurück. An diesem Schlußpunkt erfolgt schließlich eine „Negation der Negation", und zwar eine doppelte: von den nichtmetallischen Eigenschaften sind wir zu den metallischen und von den trägen Elementen zu den chemisch aktiven zurückgekehrt. In der Entwicklung der lebenden Natur tritt die „Negation der Negation" zum Beispiel in dem sogenannten biogenetischen Grundgesetz in Erscheinimg, das von den deutschen Biologen Ernst Haeckel und F. Müller entdeckt wurde. Zahlreiche Entdeckungen, die von einer Reihe von • Gelehrten, darunter von den Brüdern A. 0 . und W. 0 . Kowalewski, auf dem Gebiet der Embryologie und der Paläontologie gemacht wurden, erbrachten die experimentelle Bestätigung dieses Gesetzes. Das biogenetische Grundgesetz besagt, daß die lebenden Organismen im Verlauf ihrer individuellen, vor allem ihrer embryonalen Entwicklung die wichtigsten Entwicklungsetappen einer ganzen Reihe ihrer Vorfahren, von der einfachsten, einzelligen Form angefangen, wiederholen. Selbstverständlich ist die Wiederholung auch hier nicht absolut genau; der sich entwickelnde Keim durchläuft in abgekürzter Form die ganze vorangegangene Geschiehte der betreffenden Art oder Gattung, wobei diese Wiederholung ebenfalls auf der höchsten Grundlage vor sich geht, die die Entwicklung der organischen Welt bei der betreffenden Gattung und bei ihren einzelnen Vertretern erreicht hat. Für diese Wiederholung der früher durchlaufenen Stufen der organischen Evolution hat die Biologie die Formel geprägt: Die Ontogenie (die Entwicklung des Einzelwesens) wiederholt die Phylogenie (die Entwicklung der Gattung). Trotz seiner nur annähernden Richtigkeit hat das biogenetische Grundgesetz eine große Rolle bei der Durchsetzung des Darwinismus gespielt. Engels bemerkt hierzu: „Es findet sich nämlich eine eigentümliche Übereinstimmimg zwischen der stufenweisen Entwicklung der organischen Keime zu reifen Organismen und der Reihenfolge der nacheinander in der Geschichte der Erde auftretenden Pflanzen und Tiere. Und grade
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diese Übereinstimmung ist es, die der Entwicklungstheorie die sicherste Grundlage gegeben hat,"13 Was bedeutet aber diese Erscheinung vom philosophischen Gesichtspunkt aus ? Nichts anderes als eine „Negation der Negation". Im Verlauf der organischen Evolution werden die Formen der Lebewesen durch andere, entwickeltere und vollkommenere Formen abgelöst, „negiert", die auf der Stufenleiter der Entwicklung der lebenden Natur höhere Stufen einnehmen. Jede dieser „Negationen" aber fixiert und wiederholt sich dann in einem bestimmten Stadium der Keimentwicklung. Deshalb erfolgt in der Keimentwicklung gleichsam eine Rückkehr zu früher durchlaufenen Etappen und damit eine „Negation der Negation", insofern sich bestimmte Merkmale und Eigenschaften (hauptsächlich morphologische) der niederen Stadien in einem höheren Stadium wiederholen. Wir betonen, daß die obenbetrachteten Naturgesetze hier keineswegs als zufällig gewählte Beispiele angeführt sind. Ihr wesentlicher Inhalt und sogar ihre Formulierung („periodisches Gesetz", „die Ontogenie vnederhoU die Phylogenie") sind der naturwissenschaftliche Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes der Dialektik, des Gesetzes der „Negation der Negation". Dieses Gesetz ist hier sowohl ein Gesetz der objektiven Welt als auch ein Gesetz der Erkenntnis. Wenden wir uns nun der menschlichen Gesellschaft zu. Wenn wir eine beliebige Seite ihrer Entwicklung betrachten, stellen wir als ein allgemeines und sehr wesentliches Merkmal die sogenannte „Negation der Negation" fest. Dieses Gesetz der Dialektik offenbart sich zum Beispiel in dem allgemein-soziologischen ökonomischen Gesetz vcp. der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter und dem Entwicklungsniveau der Produktivkräfte. Jede neue sozialökonomische Formation gewährt bekanntlich dem Wachstum der Produktivkräfte im Vergleich zu den voraufgegangenen Formationen einen größeren Spielraum. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß die entstandenen neuen Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte übereinstimmen, so daß die ersten eine Form (ein Stimulus) der Entwicklung für die zweiten sind. Dann beginnet die Produktionsverhältnisse zu veralten, hinter dem Stande der Produktivkräfte zurückzubleiben, ihre Entwicklung zu hemmen, in Fesseln derselben umzuschlagen. Hier erfolgt also eine erste Negation. Die ursprüngliche Übereinstimmung wird verletzt, wird „negiert", die Produktionsverhältnisse stimmen nicht mehr mit dem Charakter der 13 Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Berlin 1958,. S. 88.
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jeweiligen Produktivkräfte überein und geraten in einen offenen Widerspruch zu ihnen. In antagonistischen Formationen nimmt der entstandene Widersprach den Charakter eines Antagonismus an und läßt sich im Rahmen der bestehenden Formation nicht lösen. Seine Lösung erfolgt durch eine soziale Revolution, und diese ist jeweils die zweite Negation, die im Laufe der Entwicklung der Gesellschaft Stattfindet und zur Ablösung einer sozialökonomischen Formation durch eine andere, höhere führt. Die vorher entstandene Nichtübereinstimmung wird liquidiert, wird „negiert", und auf einer höheren Grundlage wird die Übereinstimmung zwischen den neuen Produktionsverhältnissen und dem Charakter der Produktivkräfte wiederhergestellt, das heißt, es erfolgt eine „Negation der Negation". So geht es weiter, bis an die Stelle der antagonistischen Gesellschaft die sozialistische Gesellschaft tritt. ,Dann ändern sich die Mittel und Wege zur Überwindung, zur Lösung der im Verlauf der Entwicklung entstehenden Widersprüche zwischen den Produktivkräften und den hinter ihrem Stande zurückbleibenden Produktionsverhältnissen radikal. In der sozialistischen Gesellschaft können sich bei einer richtigen Politik der Partei und des Staates die Widersprüche zwischen den wachsenden Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen nicht bis zu einem Antagonismus verschärfen. Trotzdem ist auch im Sozialismus die Dialektik der Entwicklung der Art, daß die Produktivkräfte den Produktionsverhältnissen voraneilen und letztere erst nach einiger Zeit dem erreichten Niveau der Produktivkräfte entsprechend umgestaltet werden. Die „Negation der Negation" offenbart sich im ökonomischen Leben der Gesellschaft in der Weis^, daß die anfangs entstandene Übereinstimmung „negiert" wird, in eine Nichtübereinstimmung umschlägt und dann auf neuer Grundlage wiederhergestellt wird. Dabei ändert sich die Funktion der Produktionsverhältnisse periodisch entsprechend der Entwicklung der Produktivkräfte. Sie veralten, werden dann erneuert, veralten abermals und werden wieder erneuert. Wenn die Produktionsverhältnisse veralten und zu Fesseln der Produktivkräfte werden, wird ihre vorhergehende Funktion als Form (Stimulus) der Entwicklung der Produktivkräfte „negiert". Wenn sie dann abermals als Form (Stimulus) der Entwicklung der Produktivkräfte fungieren, wird dadurch die Funktion der ihnen vorausgegangenen Produktionsverhältnisse als Fessel oder Hemmschuh „negiert". Es erfolgt hier also eine „Negation der Negation" durch die die Produktionsverhältnisse wieder zu einer Form (einem Stimulus) der Entwicklung der Produktivkräfte werden. Diese Dialektik des wechselseitigen Zusammenhangs der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse hat* Karl Marx entdeckt. In seinem, klassischen Werk „Zur Kritik der politischen Ökonomie" schreibt er: „Aus Ent132
Wicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse (die Produktionsverhältnisse B. K.) in Fesseln derselben um." 14 Man muß beachten, daß die Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte, also auch die Art, wie sie ihre Funktion als Form (Stimulus) der Entwicklung der Produktivkräfte erfüllen, im Feudalismus qualitativ anders ist als in der Sklavenhalterordnung', im Kapitalismus qualitativ anders als im Feudalismus und daß sie im Sozialismus bereits wesentlich anders ist als im Kapitalismus und in allen antagonistischen Formationen überhaupt. Auf verschiedenen Entwicklungsstufen ist also diese Übereinstimmung und die Funktion der Produktionsverhältnisse als Form (Stimulus) der Entwicklung der Produktivkräfte verschieden. Auf höheren Stufen der sozialökonomischen Entwicklung üben die Produktionsverhältnisse ihre Funktion in anderer Weise aus als auf niederen. In unserem Beispiel offenbart sich die „Negation der Negation" in allgemeinster Form, insofern es hier nur darum geht, daß eine bestimmte Übereinstimmung zunächst verletzt und dann auf neuer Grundlage in anderer Form wiederhergestellt wird. Eine genauere Untersuchung der Entwicklung der Produktionsverhältnisse selbst ermöglicht konkretere Feststellungen darüber, welche Merkmale der früher bereits durchlaufenen Entwicklungsstufen auf den höheren und späteren Stufen der Entwicklung zum Teil wiederhergestellt werden. Dies kann man an der Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Eigentums- und Ausbeutungsformen verfolgen. Der Übergang von der Ordnung der Urgemeinschaft zu antagonistischen Formationen vollzog sich gewissermaßen in der Form einer ersten Negation, nämlich im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, was es in der klassenlosen Urgesellschaft nicht gegeben hatte. Der Übergang zur kommunistischen Gesellschaft setzt die Liquidierung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen voraus. Auf dieser höchsten Entwicklungsstufe offenbart sich also die Wirkung des Gesetzes der „Negation der Negation" in konkreter Form, insofern auf einer qualitativ neuen Grundlage gewisse Merkmale der früheren klassenlosen Gesellschaft abermals entstehen. Wie in den anderen betrachteten Fällen ist auch in diesem Falle das von uns angeführte allgemein-soziologische Gesetz nicht einfach ein Beispiel, das die Wirkung eines bestimmten Gesetzes der Dialektik erläutert. Im Gegenteil, das Gesetz der „Negation d^r Negation" erscheint hier als die innere Dialektik des obenangeführten allgemein-soziologischen Gesetzes. 14
Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1951, S. 13.
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Nicht geringere, sondern vielleicht noch größere Bedeutung hat das Gesetz der „Negation der Negation" für das menschliche Denken. Der allgemeine Verlauf der menschlichen Erkenntnis vollzieht sich in Übereinstimmung mit diesem Gesetz wie mit den anderen Gesetzen der Dialektik. Im „Anti-Dühring" hat Engels anschaulich dargestellt, wie die Entwicklung der Erkenntnis verläuft. Anfangs sehen wir ein allgemeines Bild des zu erforschenden Gegenstandes, dessen Einzelheiten mehr oder weniger verwischt sind. Dann beginnt die Zergliederung, die Analyse des betreffenden Bildes bzw. des Erkenntnisgegenstandes zum Zweck der Erforschung der Einzelheiten. Diese Zergliederung bedeutet die Negation der ursprünglich summarischen, undifferenzierten Anschauung von dem Gegenstand; die anfängliche Ganzheit des Gegenstandes wird verletzt. Nachdem die Einzelheiten durch die Analyse genügend erforscht sind, beginnt das nächste Stadium der Erkenntnis, in dem auf der Grundlage der erkannten Einzelheiten eine allgemeine synthetische Anschauung über den Forschungsgegenstand erarbeitet wird. Jetzt aber erscheint der Gegenstand nicht mehr in Teile aufgegliedert, sondern in seiner Ganzheit. Dies ist die „Negation der Negation"; auf einer neuen, höheren Grundlage erfolgt gewissermaßen eine Rückkehr zum Ausgangspunkt, der aber jetzt durch die Entwicklung der gesamten Wissenschaft, der gesamten Erkenntnis bereichert ist; Es ist ganz klar, daß die Analyse eine Negation, ein Verzicht auf die ursprünglich summarische Behandlung, die Synthese aber das Gegenteil der Analyse ist, das heißt eine „Negation" besonderer Art, eine Überwindung der einseitigen Analyse. In der Geschichte der Erkenntnis aber vollzieht sich die Dialektik so, daß diese einander negierenden Methoden einander vorbereiten, eine der anderen vorangehen und in einem inneren Zusammenhang miteinander, in einer Einheit fungieren. Wie Engels schreibt, „besteht das Denken ebensosehr in der Zerlegung von Bewußtseinsgegenständen in ihre Elemente, wie in der Vereinigung zusammengehöriger Elemente zu einer Einheit. Ohne Analyse keine Synthese."15 Den gleichen Gedanken finden wir bei Lenin. Als eines der Elemente der Dialektik konstatiert er „die Vereinigung von Analyse und Synthese — Zerlegung der einzelnen Teile und die Gesamtheit, die Summierung dieser Teile zusammen".16 So verläuft in groben Zügen die Entwicklung der individuellen Erkenntnis im Kopf des Menschen, und so ist auch die Entwicklung der gesamten menschlichen Erkenntnis im. Verlauf der Geschichte der Gesellschaft verlaufen. 16 Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Berlin 1958, S. 49. 16 W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 144/145.
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Dies bestätigt auch Karl Marx in seiner Darstellung der Methode der politischen Ökonomie. Wenn wir bei unserer Forschung mit dem Konkreten beginnen, bildet sich bei uns eine chaotische Vorstellung des Ganzen. Wir müssen dann durch die Aussonderung mit Hilfe von Abstraktion, wobei wir vom Konkreten zum Abstrakten fortschreiten, zu immer inhaltsärmeren Bestimmungen kommen, bis wir bei den einfachsten anlangen. Dabei werden wir offenbar den Weg der „Negation" des Konkreten in seiner ursprünglichen Konkretheit betreten und die ursprüngliche Vorstellung von ihm durch immer dünnere Abstraktionen ersetzen. Nachdem wir jedoch zu solchen abstrakten Bestimmungen gelangt sind, erhalten wir die Möglichkeit, uns nunmehr in umgekehrter Eichtling zu bewegen. Dies ist der Weg der „Negation der Negation". Wenn wir jetzt vom Abstrakten zum Konkreten gehen würden, würden wir schließlich beim Ausgangspunkt der Forschung anlangen, bei dem konkreten Ganzen in seiner ursprünglichen Ganzheit und Konkretheit, diesmal nicht bei einer chaotischen Vorstellung des Ganzen, wie sie anfänglich unvermeidlich entstanden wäre, sondern bei einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen, die in dem vorhergehenden (analytischen) Stadium der Untersuchimg entdeckt worden sind. So erfolgt auf neuer, höherer Grundlage gewissermaßen eine Rückkehr zum Ausgangspunkt, der schon gleich zu Anfang der Untersuchung durchlaufen worden ist. Marx bemerkt in diesem Zusammenhang: „Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es . . . der Ausgangspunkt der Anschauimg und der Vorstellung ist."17 Wenn wir vom Konkreten zum Abstrakten fortschreiten, verflüchtigt sich die volle Vorstellung des Konkreten bis zu einer abstrakten Bestimmung; mit anderen Worten, es erfolgt gewissermaßen eine erste Negation. Wenn wir dann vom Abstrakten zum Konkreten fortzuschreiten beginnen, erfolgt eine zweite Negation, die uns zum Ausgangspunkt zurückbringt; denn die abstrakten Bestimmungen führen zur gedanklichen Reproduktion des Konkreten. Dies alles bestätigt abermals die Richtigkeit-des Schlusses, zu dem Engels gelangt ist: „Was ist also die Negation der Negation ? Ein äußerst allgemeines und eben deswegen äußerst weitwirkendes und wichtiges Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des Denkens."18 Gleichzeitig zeigt dies alles, daß die Behandlung des Gesetzes der „Negation der Negation" in der marxistischen Dialektik nichts zu tun hat mit 17
Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1951, S. 257. Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Berlin 1958, S. 172—173. 18
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der willkürlichen Einzwängung des realen historischen Prozesses in das dreigliedrige Schema „These — Antithese — Synthese". Allgemein bekannt ist die Kritik von Marx, Engels und Lenin an denen, die die Dialektik durch künstliche „Trichotomien" (Triaden) ersetzen wollten. Lenin hat darauf hingewiesen, daß die Gegner des Marxismus sich in ihrem Kampf gegen das Wesen der marxistischen Dialektik an die Ausdrucksweise bei Marx klammerten und dadurch das Wesen des dialektischen Materialismus zu eliminieren gedachten. Lenin wies den üblichen Vorwurf gegen den Marxismus, er halte sich an die Hegeische Dialektik, unter Bezugnahme auf Engels'Bemerkung zurück, daß Marxniemals daran gedacht habe, irgend etwas durch die Hegeischen Triaden zu beweisen, sondern den wirklichen Prozeß erforscht habe. „Habe sich dabei nun zuweilen ergeben, daß die Entwicklung irgendeiner sozialen Erscheinimg unter das Hegeische Schema fiel: These — Negation — Negation der Negation, so sei das nicht weiter verwunderlich, da dies in der Natur überhaupt keine Seltenheit sei."19 Weiter sagt Lenin: „Das Schwergewicht der Engelsschen Beweisführung liegt darin, daß es die Aufgabe der Materialisten ist, den wirklichen historischen Prozeß richtig und exakt darzustellen, daß ein Bestehen auf Dialektik, ein Auswählen von Beispielen, die die Richtigkeit der Triade bestätigen sollen, nichts anderes sind als Überbleibsel jenes Hegelianertums, aus dem der wissenschaftliche Sozialismus hervorgewachsen ist. Überbleibsel seiner Ausdruckweise."20 In seinem Artikel „Karl Marx" bezieht Lenin sich auf einen Brief von Marx an Engels vom 8. Januar 1868. Aus diesem Brief spricht der Spott über die künstlichen Triaden, die man unainnigerweise mit der materialistischen Dialektik verwechselt. Marx schrieb über Dühring: „Das drolligste aber, daß er mich mit Stein zusammenstellt, weil ich Dialektik treibe und Stein in hölzernen Trichotomien, mit einigen Hegeischen Kategorieumschlägen, dasAllertrivialste gedankenlos zusammenreiht."21 Die erwähnten Bemerkungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus wenden sich dagegen, daß das Gesetz der „Negation der Negation" in idealistischer Weise der Natur und der Gesellschaft als apriorisches Schema aufgezwungen wird. Dieses Gesetz muß materialistisch behandelt und aus der Geschichte der wirklichen Welt abgeleitet werden. Schon Hegel kritisiert heftig diejenigen, die sich an die Triaden wie an ein Schema klammerten, in das sich die wirkliche Geschichte hineinzwängen lasse. Lenin hebt besonders Hegels Charakteristik hervor, wonach die Triplizität der dialektischen Methode „nur die oberfläch19 W. I. Lenin, Was' sind Volksfreunde, Ausgewählte Werke, Bd. I, Berlin 1955, S. 115. 20 Ebenda, S-116. 21 Karl Marx/Friedrich Engels, Briefwechsel, Bd. IV, Berlin 1950, S. 8.
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lieh, äußerliche Seite der Weise des Erkennens" ist.22 Lenin zitiert folgende Bemerkimg Hegels: „Der Formalismus hat sich zwar der Triplizität gleichfalls bemächtigt und sich an das leere Schema derselben gehalten; der seichte Unfug und das Kahle des modernen philosophischen sogenannten Konstruierens, das in nichts besteht, als jenes formelle Schema ohne Begriff und immanente (im Sinne der Enthüllung seines inneren Gehalts — B. K.) Bestimmung überall anzuhängen und zu einem äußerlichen Ordnen zu gebrauchen, hat jene Form langweilig und übel berüchtigt gemacht. Durch die Schalheit dieses Gebrauchs aber kann sie an ihrem inneren Werte nicht verlieren.. .' das Urteil „die Bewegung ist kontinuierlich und diskontinuierlich" sowohl seinem Inhalt als auch seiner Form nach richtig. Andernfalls wird unter dem Vorwand daß die Form nicht widersprüchlich sein kann, auch die Widersprüchlichkeit des Inhalts, das heißt der realen Bewegung, vereint. Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen der dialektischen Logik und der formalen Logik besteht gerade darin, daß die formale Logik von der inneren Widersprüchlichkeit der Bewegung und ihrer Widerspiegelung in den Begriffen, Urteilen und Schlußfolgerungen absieht, während die dialektische Logik ihre hauptsächliche Aufgabe im Studium dessen sieht, wie im Denken und in seinen vielseitigen Formen die dialektische Bewegung und Entwicklung auszudrücken ist. Lenin definiert in den „Philosophischen Heften" die dialektische Natur der Begriffe: „Allseitige, universelle Elastizität der Begriffe, Elastizität, die bis zur Identität der Gegensätze geht — darin liegt das Wesentliche."14 Dieser und andere Sätze Lenins zeigen die große Bedeutung, welche die 13
Ebenda, S. 271. " Ebenda, S. 27.
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Ausarbeitung der Theorie der Dialektik für die Wissenschaft und die praktische Tätigkeit hat. In der Zeit, als Lenin an den „Philosophischen Heften" arbeitete, mußte er, wie er sich ausdrückte, gegen die „toten Abstraktionen" seiner Gegner kämpfen, welche die komplizierten politischen Fragen vom Standpunkt der formalen Logik lösen wollten; so in dem 1916 geschriebenen Artikel „Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den .imperialistischen Ökonomismus'". Darin kritisiert Lenin P. Kiewski (Pjatakow), weil dieser den dialektischen Begriffen und Urteilen, die objektive Widersprüche widerspiegeln, tote und unbewegliche Abstraktionen unterschob. P. Kiewski sah einen „Dualismus" in der Leninschen Forderung, daß die Arbeiter der unterdrückten Nation bis zur Abtrennung kämpfen müssen, da sie sich sonst im Fahrwasser des Großmachtnationalismus befinden, während die Arbeiter der unterdrückten Nation für die Einheit mit der Arbeiterklasse der Unterdrückernation kämpfen müssen, da sie sonst auf die Position des bürgerlichen Chauvinismus abgleiten. P. Kiewski sprach vom „Monismus", der sich in der Identität der Propaganda und Aktionen der Arbeiter und Sozialisten der Unterdrückernationen und der unterdrückten Nationen auszudrücken habe. Lenin zeigt, daß ein „Monismus" solcher Art eine tote Abstraktion ist. Im Leben selbst ist die Lage der Arbeiter der verschiedenen Nationen ungleich und widersprüchlich. Das muß sich auch in unseren Begriffen, Urteilen und Aktionen widerspiegeln. Das nicht zu verstehen, sagt Lenin, „ . . . ist gleichbedeutend damit, nicht zu verstehen, warum für ,eine monistische Aktion' gegen die zaristische Armee, sagen wir vor Moskau, der revolutionäre Soldat vom Osten nach dem Westen und der aus Smölensk nach, dem Osten marschieren müßte".15 Es ist in diesem Aufsatz nicht möglich, eine ganze Reihe anderer Aspekte über den Begriff, das Urteil und andere Probleme, die Lenin in der dialektischen Logik ausgearbeitet hat, zu behandeln: zum Beispiel die Aspekte über den Zusammenhang und die gegenseitige Abhängigkeit der Begriffe, über das Übergehen der Begriffe ineinander usw.16 Der Gedankenreichtum Lenins ist unerschöpflich. Die weitere Arbeit an der dialektischen Logik muß vordringlich darauf gerichtet sein, diese Aspekte zu erforschen. Einen außerordentlich wertvollen Beitrag zur Entwicklung der marxistischen Dialektik leistete Lenin damit, daß er in den „Philosophischen Heften" den dialektischen Prozeß der Erkenntnis der objektiven WahrW. I. Lenin, Werke, Bd. 23, S. 45 (russ.). Die Bedeutung der „Philosophischen Hefte" für die Erforschung der dialektischen Logik speziell ist behandelt in meinem Artikel „W. I. Lenin über die Aufgaben und die Prinzipien der Ausarbeitung der dialektischen Logik" (siehe „Fragen der Philosophie", Heft 2, (russ.) Jahrgang 1955. 16
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heit ausarbeitete. Hier entwickelte Lenin seine berühmte Formel des Erkenntnisprozesses, die für uns schon zum Axiom wurde und die gestattet, die ganze Kompliziertheit und Tiefe des Erkenntnisprozesses zu verstehen: „Vom lebendigen Anschauen zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis — das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der objektiven Realität."17 In dieser Formel wird gezeigt, daß die Entwicklung der Erkenntnis bestimmte Stufen, Stadien durchläuft. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Gedanke Lenins vom dialektischen Charakter des Übergangs von der sinnlichen zur abstrakten, rationalen Erkenntnis, von der Empfindung zum Gedanken. Bedeutend für das weitere Erforschen und Entwickeln der marxistischen Gnoseologie sind die Gedanken Lenins darüber, auf welcher Stufe der sinnlichen Erkenntnis der Sprung von der Empfindung zum Gedanken vorbereitet wird und worin sich dieser Sprung ausdrückt. Besonders hebt Lenin die Bedeutung der wissenschaftlichen Abstraktionen für die Erkenntnis hervor. In der Bildung abstrakter Begriffe sieht er das Bewußtwerden des gesetzmäßigen Zusammenhangs der Welt. Lenins Gedanken über die Bedeutung und die Rolle der Abstraktionen helfen uns, gegen den in der modernen bürgerlichen Philosophie verbreiteten subjektividealistischen Empirismus, gegen das Herabsetzen der abstrahierenden Denktätigkeit und gegen das Verwandeln allgemeiner Begriffe inZeichen undNamen ohne konkreten Inhalt zu kämpfen. Die moderne Wissenschaft, der Gang und die Logik ihrer Entwicklung bieten eine Menge Beweise dafür, daß das menschliche Denken den objektiven, gesetzmäßigen Zusammenhang der Welt um so tiefer erfaßt, je weiter und tiefer die Verallgemeinerungen sind. Als Beispiel dafür kann die Entdeckung der gegenseitigen Verwandelbarkeit der Elementarteilchen der Materie dienen. Als in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts festgestellt wurde, daß sich Elektronen und Positronen in Photonen und umgekehrt verwandeln, konnte man schlußfolgern, daß es in der Welt der Elementarteilchen nichts gibt, das nicht quantitativen Veränderungen unterliegen würde. In der Folgezeit wurde diese Verallgemeinerung auch auf andere Elementarteilchen ausgedehnt. Durch das Experiment wurde bewiesen, daß die Neutronen, Mesonen und andere einfachste Formen der Materie nicht unveränderlich sind, sondern sich ineinander und in andere Elementarteilchen verwandeln. Aber bis vor einiger Zeit konnte man die Verallgemeinerung noch nicht so weit führen, um behaupten zu können, daß die gegenseitige Verwandelbarkeit ein allgemeines Gesetz ist. Die letzten Entdeckungen (die Entdeckung des Antiprotons) berechtigen schon zu dieser Verallgemeinerung (siehe die Ausführungen von J. P. Terlezki „Über die gegenseitige Verwandelbar17
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W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß Berlin 1954, 8, 89.
keit der Elementarteilchen" in „Fragen der Philosophie", Jahrgang 1956, Heft 2, russ.). Die fortschreitenden wissenschaftlichen Verallgemeinerungen gestatten folglich, immer tiefer in das Wesen der Natur einzudringen. Je umfassender und tiefer die Verallgemeinerungen sind, um so klarer wird das Weltbild. Die „Philosophischen Hefte" stellen den Marxisten die Aufgabe, die Dialektik und Logik der Erkenntnis sowie den dialektischen Prozeß der Erkenntnis der Wahrheit weiter auszuarbeiten. Lenin unterstreicht die besondere Bedeutung der Praxis sowohl als Grundlage des gesamten Erkenntnisprozesses wie auch als Kriterium der Wahrhaftigkeit unserer Begriffe, als „Knotenpunkt" der menschlichen Erkenntnistätigkeit. Die Krone der Arbeiten Lenins über die Dialektik in den „Philosophischen Heften" ist das Fragment „Zur Frage der Dialektik." Ohne zu übertreiben, kann man sagen, daß in diesem Fragment auf wenigen Seiten alles Wichtige ausgedrückt ist, was die Leninsche Etappe in der Entwicklung der marxistischen Dialektik charakterisiert. Insgesamt werden die „Philosophischen Hefte" noch lange als Quelle für das schöpferische Verständnis der Dialektik und als wahre Schatzkammer dialektischer Weisheit dienen. Philosophische Fragen der
Naturwissenschaft
Das Herangehen an die Dialektik und an die dialektische Logik, das Lenin in den „Philosophischen Heften" demonstriert, besitzt unschätzbaren Wert für alle Wissenschaften, darunter auch für die Naturwissenschaft. Lenin war fest davon überzeugt, daß die moderne Naturwissenschaft nicht ohne die materialistische Dialektik auskommen kann, da diese der Wissenschaft die Methode für das richtige philosophische Verallgemeinern ihrer neuesten Erkenntnisse gibt. Im März 1922, das heißt vor 35 Jahren, schrieb Lenin seinen berühmten Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus". In diesem Artikel weist Lenin auf die große Rolle hin, welche die Dialektik in der Entwicklung der Naturwissenschaft spielen muß. Lenin erinnert daran, daß gerade durch den schroffen Umschwung, den die moderne Naturwissenschaft erlebt, die reaktionären philosophischen Schulen und Strömungen geboren werden und daß die Naturwissenschaftler ohne die materialistische Dialektik hilflos in ihren philosophischen Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen sind. In der Dialektik, sagte Lenin, finden die Naturwissenschaftler wenn sie es verstehen, danach zu suchen, und wir es lernen, ihnen dabei zu helfen., ."18, die Antworten auf die philosophischen Fragen, welche die Revolution in der Naturwissenschaft stellt. 18
W. I. Lenin, Marx, Engels, Marxismus, Berlin 1957, S. 411.
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Daraus zieht Lenin für die marxistischen Philosophen die Schlußfolgerung, die Dialektik „. . .nach allen Seiten h i n . . . "19 auszuarbeiten. Die „Philosophischen Hefte'' sind für die philosophischen Probleme der Naturwissenschaft dadurch von Wert, daß sie die Dialektik eben „nach allen Seiten hin" behandeln und ausarbeiten. Bevor jedoch kurz darauf eingegangen wird, ist es notwendig, die wertvollen Hinweise Lenins über das Verhältnis zwischen Philosophie und Naturwissenschaft im allgemeinen zu vermerken. Dieses Problem hat heute aus folgenden zwei Ursachen prinzipielle und aktuelle Bedeutung: erstens, weil die bürgerliche Philosophie samt und sonders die positivistische Vernachlässigung der Philosophie und der philosophischen Verallgemeinerungen predigt, um den Idealismus zu verteidigen; zweitens, weil sich auch Stimmen einzelner sowjetischen Gelehrter vernehmen lassen, die vom Unverständnis der Bolle der Philosophie für die Naturwissenschaften zeugen. In diesem Sinne sind Lenins Randbemerkungen zum Buche A. Reys „Die moderne Philosophie" von großem Interesse. Rey ist ein typischer Positivist. Er erklärte, die Ansichten der beiden entgegengesetzten philosophischen Richtungen, des Materialismus und des Idealismus, seien gleichermaßen unannehmbar, und seine Position stehe über diesen metaphysischen Wertskalen. So tritt auch die Mehrheit der bürgerlichen Philosophen der Gegenwart auf. Rey bewies angeblich, daß der Kampf zwischen Materialismus und Idealismus „nichts zu tun habe mit dem leidenschaftlösen Suchen nach der Wahrheit". Er kam zu dem Schluß, daß die Philosophie mit der Wissenschaft zusammenfließen, daß sie „nur eine notwendige Ergänzung der Wissenschaft" werden muß. Seine Meinung war, daß sich die Philosophie nicht durch ihren Gegenstand von der übrigen Wissenschaft unterscheiden darf, sondern die „Theorie der Gesamtheit der Fakten" sein muß. Der Wissenschaftler braucht keine Philosophie, „denn der Positivismus selbst ist Philosophie" — das ist die Hauptthese von Rey. Lenins Randbemerkungen zu diesen und ähnlichen Sätzen sind wenig schmeichelhaft. Er zeigt, daß der Kampf für den „Positivismus" nichts anderes ist als eine „Verteidigung gegen den Materialismus"20 zugunsten des Idealismus. Der „Positivismus" Reys wie auch der bürgerlichen Positivisten der Gegenwart läßt sich zurückführen auf die These, daß es der Naturwissenschaftler mit der Erfahrung „als Summe der Empfindungen"21 zu tun hat. Der Sinn der kritischen Bemerkungen Lenins gegen Rey besteht darin, die unsinnige und reaktionäre Idee vom Aufgehen der Philosophie in 19 20 21
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Ebenda, S. 410. 1V. I. Lenin, Philosophische Hefte, S. 398 (russ.). Ebenda, S. 399.
der Wissenschaft zu entlarven. Die Philosophie hat ihren Gegenstand, der sich von den Gegenständen anderer Wissenschaften unterscheidet. Sie rüstet die Naturwissenschaftler mit der richtigen Weltanschauung und Methode aus, die es ihnen ermöglicht, die Ergebnisse der Wissenschaft philosophisch zu verallgemeinern. Von diesem Standpunkt sind die „Philosophischen Hefte" wie auch „Materialismus und Empiriokritizismus" außerordentlich bedeutend für die Naturwissenschaft. Ohne zu berücksichtigen, wie Lenin viele methodologische Fragen behandelt und beleuchtet, ist es schwer, richtig an die Lösung einer ganzen Reihe von philosophischen Problemen der modernen Physik, Physiologie und anderer Wissenschaften heranzugehen. So sind zum Beispiel die Sätze Lenins über die Widersprüche als einem Gesetz der Erkenntnis sehr wichtig zumVerständnis der gesetzmäßigen Entwicklung der Wissenschaft und ihrer Begriffe, die immer tiefer und genauer "die Widersprüche der Naturerscheinungen und Prozesse aufdecken und widerspiegeln. In der modernen Physik zum Beispiel ist es unmöglich, solche Begriffe wie Masse und Energie, Stoff und Licht, Korpuskel und Welle, Kontinuität und Diskontinuität außerhalb ihrer dialektischen, widersprüchlichen Einheit zu betrachten. In der Wissenschaft geht der Kampf zu einem wesentlichen Teil darum, ob die widersprüchliche Natur der Dinge und ihrer Widerspiegelung in wissenschaftlichen Begriffen und Konzeptionen anerkannt oder verneint wird. Die Hinweise Lenins, daß das Gesetz von der Einheit und dem Kampf der Widersprüche ein Gesetz der Erkenntnis ist, helfen, komplizierte Probleme der modernen Wissenschaft richtig zu lösen. Die Metaphysik der sogenannten „Unschärferelation" Bohrs, Heisenbergs und anderer besteht ja gerade darin, daß die Möglichkeit des gegenseitigen Durchdringens der Widersprüche in den Mikroobjekten geleugnet wird und die Widersprüche (Kontinuität und Diskontinuität, Korpuskel und Welle) isoliert voneinander, als „unbestimmte" Charakteristiken betrachtet werden. Bohr schrieb: „Mein Hauptziel bestand darin, zu beweisen, daß die Unschärferelation grundlegende Bedeutung für die widerspruchslose Auslegung der Quantentheorie hat." Aber das ist nicht zu beweisen, denn die Natur und ihre Objekte sind voll innerer Widersprüche, wie die Dialektik lehrt und wie es jeder neue Schritt in der Entwicklung der Naturwissenschaften erhärtet. Die widersprüchliche Einheit von Kontinuität und Diskontinuität, Welle und Korpuskel, ist kein „logischer" Widerspruch, kein Widerspruch des Gedankens, den man vermeiden sollte, sondern ein Widerspruch, der den Objekten selbst eigen ist und durch die physikalischen Begriffe widerspiegelt wird. Mögen einige Physiker auch nicht wollen, die Begriffe müssen in Einklang gebracht werden mit dem von Lenin formulierten dialektischen Prinzip: Elastizität der Begriffe,Elastizität, die bis 173
zur Identität der Widersprüche geht. Bestätigt etwa die Entdeckung der Antiprotonen und Antineutronen nicht erneut die dialektische Lehre von der widersprüchlichen Natur der Erscheinungen der materiellen Welt ? Wie recht Lenin hatte, als er davon sprach, daß es schwer ist, ohne die Dialektik die richtigen philosophischen Verallgemeinerungen aus der modernen Wissenschaft zu treffen, zeigen die folgenden Tatsachen. Bei den Naturwissenschaftlern in den bürgerlichen Ländern ist die Idee weit verbreitet, daß die neuesten Errungenschaften der Physik die Manier des wissenschaftlichen Denkens selbst verändern. Wenn die Forscher sich früher bemühten, das Subjekt und das Objekt bei der Naturbeschreibung nicht zu identifizieren und die physikalischen Begriffe als Widerspiegelung der objektiven Welt aufzufassen, so dürfe man heute Objekt und Subjekt nicht mehr trennen, da das eine ohne das andere nicht existiere. Diese Schlußfolgerung wird unter anderem damit begründet, daß die physikalischen Theorien und Begriffe, wie Heisenberg bemerkt, „immer abstrakter und weniger anschaulich" werden. Heisenberg stellt richtig fest, „daß die Naturwissenschaft gleichzeitig damit, daß sie immer abstrakter wird, neue Kraft gewinnt. Sie befindet sich dadurch in der Lage, den inneren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Erscheinungen aufzudecken und sie auf eine allgemeine Quelle zurückzuführen". In dem Bemühen, diese Tatsache philosophisch zu verallgemeinern, kommt Heisenberg nun zu einem Schluß, der, wollte man ihn akzeptieren, die Wissenschaft zerstören und das exakte Wissen beseitigen würde. Die wachsende wissenschaftliche Abstraktheit betrachtet er als fortschreitende Abhängigkeit der objektiven Welt vom Subjekt, als Tatsache, die davon zeugt, daß die physikalischen Theorien aufgehört haben, eine Kopie der objektiven Welt zu sein. „Diese objektive Welt", erklärte Heisenberg, „wird also doch gewissermaßen erst durch unseren tätigen Eingriff, durch die verfeinerte Technik des Beobachtens hervorgebracht, und insofern stoßen wir auch hier an die unüberschreitbaren Grenzen der menschlichen Erkenntnis."22 Zu dieser Schlußfolgerung kann man nur kommen, wenn man die gnoseologische Natur der wissenschaftlichen Abstraktionen völlig mißversteht und die Dialektik des Abstrakten und Konkreten ignoriert. Lenin zeigt in den „Philosophischen Heften", daß die Bewegung des Gedankens vom Konkreten, das heißt von der sinnlich wahrnehmbaren Vielfalt der Welt, zum Abstrakten keine Abkehr von der objektiven Welt ist, wie Heisenberg und andere denken, sondern daß diese Bewegung im Gegenteil ein Annähern an ein immer objektiveres und genaueres Weltbild ist, denn die Abstraktion der Materie, des Naturgesetzes 22 „Werner Heisenberger, Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft, Stuttgart 1949, S. 64.
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widerspiegelt die Wirklichkeit umfassender, tiefer, richtiger, vollständiger als es die lebendige Anschauimg allein könnte. Die Dialektik der Erkenntnis besteht darin, daß die •wissenschaftliche Abstraktion den konkreten Inhalt der Welt erläutert, unserem Wissen hilft, immer konkreter zu werden. „Die Bewegung der Erkenntnis zum Objekt", lesen wir in den „Philosophischen Heften", „kann stets nur dialektisch vor sich gehen: zurückgehen, um sicherer zu treffen.. .'i23 Die Abstraktion ist eine „Abkehr" von der Welt der Wahrnehmungen, aber eine solche, die besser in das Wesen der objektiven Welt einzudringen gestattet. Das Ignorieren der Dialektik des Abstrakten und Konkreten führt auf diese Weise zum Idealismus und Agnostizismus. Die Gegner des dialektischen Materialismus, die sich bemühen, den Einfluß der marxistischen Dialektik auf die Naturwissenschaft abzuschwächen, erklären, daß mit Hilfe der Dialektik noch keine einzige wissenschaftliche Entdeckung gemacht tfurde. Es ist hier nicht der Ort, gegen diese Behauptung zu polemisieren. Nur eine Tatsache sei angeführt, die jeden ehrlichen und denkenden Gelehrten zum Überlegen zwingen wird. Dank den großen Entdeckungen der Wissenschaft ist jetzt sicher nachgewiesen, daß es keine Elementarteilchen gibt, die nicht die Fähigkeit besitzen, sich in andere Elementarteilchen zu verwandeln. Darauf hinweisend, schreibt Heisenberg: „Das Merkmal der Unzerstörbarkeit trifft für die Elementarteilchen sicher im alten Sinne nicht zu."84 Aber lange bevor diese Worte niedergeschrieben wurden, nämlich schon 1908, erklärte Lenin, der kein Physiker war, mit aller Entschiedenheit: „Die Zerstörbarkeit des Atoms, seine Unerschöpflichkeit, die Veränderlichkeit aller Formen der Materie und ihrer Bewegung bildeten immer die Stütze des dialektischen Materialismus."26 So erhellte die Philosophie den Weg für die naturwissenschaftliche Theorie über die Materie. Darin zeigt sich die Kraft der materialistischen Dialektik als der Entwicklungslehre. Man kann eine gewisse Zeit diese Kraft ignorieren, jedoch die Logik der wissenschaftlichen Entwicklung zwingt die großen Naturwissenschaftler, auf die Position des dialektischen Materialismus überzugehen. Fragen der Geschichte der Philosophie in den „Philosophischen Heften" In den „Philosophischen Heften" sind Lenins Konspekte zu einer ganzen Reihe Arbeiten über die Geschichte der Philosophie aufgenommen. Lenin machte ausführliche Konspekte zu Hegels Buch „Vorle23
W. I. Lenin, Aus dem philosopischen Nachlaß, Berlin 1954 S. 216. Werner Heisenberg, Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft, Stuttgart 1949, S. 96. 26 W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, Berlin 1957, S. 271. 21
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Bungen über die Geschichte der Philosophie", zu Lassalles Buch über die Philosophie Heraklits, zur „Metaphysik" des Aristoteles, zum Buch Feuerbachs über Leibniz und andere. Natürlich interessierte sich Lenin bei diesen Arbeiten vor allem für die Dialektik. Jedoch machte er in seinen Konspekten, sozusagen nebenbei, außerordentlich wichtige Bemerkungen philosophiegeschichtlichen Charakters, die sehr interessant sind. Wenn man diese Bemerkungen verallgemeinert, kann man eine Reihe wichtiger Prinzipien für das Herangehen Lenins an die Geschichte der Philosophie, für seine Analyse der alten philosophischen Systeme feststellen. Kurz zusammengefaßt, sind diese Prinzipien folgende. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Bemerkungen und Gedanken Lenins über dieses oder jenes philosophische System der Unterschied zwischen den zwei entgegengesetzten Lagern in der Philosophie — dem Materialismus und dem Idealismus. Aufmerksam sondert Lenin das Lebendige vom Toten, das Fortschrittliche vom Reaktionären und unterstreicht all das Wertvolle und Bedeutende, das von philosophischen Systemen der Vergangenheit hervorgebracht und zum Bestandteil der wissenschaftlichen Philosophie wurde. Lenin zeigt, daß die Geschichte der Philosophie kein glatter und schmerzloser, sondern ein komplizierter und widerspruchsvoller Prozeß des Kampfes zwischen Altem und Neuem, Absterbendem und sich Entwickelndem in der Philosophie ist. Lenin war parteilich im tiefsten Sinne des Wortes. Er weist nach, wie Hegel bewußt alle Schwankungen des Aristoteles zwischen Materialismus und Idealismus beschönigt und Aristoteles zu einem reinen Idealisten stempeln möchte. Scharf kritisiert Lenin Hegel, weil dieser die idealistischen Erwägungen des Aritoteles über die Seele und andere herausgreift und diese Erwägungen mit rein materialistischen Sätzen des griechischen Philosophen, wie dem, daß die objektive Welt außerhalb des menschlichen Bewußtseins existiert, auf eine Stufe stellt. Lenin verurteilt die Idealisten und die Philosophiehistoriker, die den Idealismus in den Vordergrund stellen, und hebt hervor, welch große Rolle die Materialisten in der Geschichte der Philosophie und Wissenschaft spielen; er äußert sich sehr anerkennend über die alten griechischen Materialisten und die neueren Vertreter des philosophischen Materialismus. Aus Lenins Bemerkungen geht klar hervor, daß die Geschichte der Philosophie für ihn nichts anderes ist als die Geschichte des Kampfes zwischen Materialismus und Idealismus, die Geschichte der Entwicklung des Materialismus, der Vertiefung der wissenschaftlichen Linie, der wissenschaftlichen Tendenz in der Entwicklung des philosophischen Gedankens. Dafür ist folgende Bemerkung Lenins charakteristisch. Als Lenin feststellte, daß sich bei den Pythgoräern einige mit der Phantasie und der Religion verknüpfte Vermutungen über die reale Wirklichkeit finden, 176
schrieb er: „. . .Verknüpfung von Ansätzen wissenschaftlichen Denkens mit Phantasie ä la Religion, Mythologie. Und jetzt! Ebenfalls, dieselbe Verknüpfung, nur daß die Proportion zwischen Wissenschaft und Mythologie eine andere ist."26 Lenin betrachtet so die gesamte Geschichte der Philosophie und der Wissenschaft als die Geschichte des Kampfes zwischen dem wissenschaftlichen und dem phantastischen, religiösen, idealistischen Herangehen an die Wirklichkeit, wobei sich im Prozeß dieses Kampfes der Materialismus und die Wissenschaft immer mehr der objektiven Wahrheit nähern und alles Phantastische verdrängen. So wie Lenin von der einzig richtigen, der marxistischen Position an die Entwicklungsgeschichte der philosophischen Gedanken heranging, müssen die marxistischen Philosophiehistöriker von der marxistischen Position aus, wollen sie nicht leidenschaftslos und objektivistisch sein, die Schulen und Tendenzen der Vergangenheit beschreiben. Nachdrücklich unterstreicht Lenin den Zusammenhang des Materialismus mit der Naturwissenschaft. Er zeigt, daß der Idealismus von der Naturwissenschaft losgelöst existiert, daß gerade darin seine Fehlerhaftigkeit, seine Phantasterei und Schwäche begründet liegt. Gleichzeitig helfen die „Philosophischen Hefte" aber auch, gegen ein vulgäres Herangehen an die idealistischen Systeme der Vergangenheit zu kämpfen. Lenin analysiert tiefgründig die gnoseologischen und Klassenwurzeln des philosophischen Idealismus. Er tritt gegen den vulgären Materialismus auf, der den Idealismus zum bloßen Unsinn erklärt. Der Idealismus, sagt Lenin, ist nur vom Standpunkt des groben, metaphysischen Materialismus aus Unsinn. Für den dialektischen Materialismus aber hat der Idealismus bestimmte Wurzeln, sowohl erkenntnistheoretischer als auch klassenmäßiger Art. Die gnoseologischen Wurzeln des Idealismus sind nach Lenins Ansicht die Übertreibung, die Aufblähung einer der Grenzen, einer der Züge der menschlichen Erkenntnis, der Empfindung oder des Begriffs, sowie deren Losgelöstheit von der objektiven Realität, deren Widerspiegelung sie sind. Lenin schreibt, daß der Idealismus nicht fähig ist, die wirklichen Korrelationen zwischen Konkretem und Allgemeinem, zwischen Empfindung und Begriff zu verstehen. Daher auch der wunderlich phantastische Schluß der Idealisten, daß die Begriffe schon vor und unabhängig von der äußeren Welt bestanden, daß die Begriffe die Welt schaffen usw. Das richtige Verstehen der erkenntnistheoretischen Wurzeln des Idealismus und die Abkehr vom vulgären Herangehen an den Idealismus ermöglichen auch zu begreifen, daß die philosophischen Systeme der Vergangenheit wertvolle Ideen enthalten können und auch wirk28
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W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 185—186.
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lieh enthalten, die man nicht verwerfen darf, sondern auf wissenschaftlicher materialistischer Grundlage neu bearbeiten muß. Das beste Beispiel dafür ist wohl das Verhältnis des Marxismus zu^Hegels idealistischer Dialektik. Der Marxismus kämpft konsequent gegen den Idealismus, aber er ignorierte niemals die Körnchen der Wahrheit, die der Idealismus trotz seiner Wissenschaftsfeindlichkeit in sich birgt. Bekanntlich kann man mit den erkenntnistheoretischen Wurzeln aUein die Existenz des Idealismus nicht erklären. Der philosophische Idealismus hat auch eine Klassenursache, die Interessiertheit der Ausbeuterklasse am Idealismus. Der Idealismus verdunkelt das Bewußtsein der Menschen durch seine Lehre vom Primat der Idee über die Materie, von der Idee als dem Schöpfer der Welt und lenkt sie damit von den realen Gesetzen der Wirklichkeit ab. Die Ausbeuterklassen benutzen den philosophischen Idealismus als Waffe im Kampf gegen die Arbeiterklasse, gegen die werktätigen Massen, gegen den Materialismus und die Wissenschaft. Der philosophische Materialismus hat völlig andere Klassenwurzeln. Er war. immer eine Waffe der vornehmlich progressiven Klassen. Die höchste Form des Materialismus, der marxistische Materialismus, ist die Ideologie der revolutionärsten Klasse, des Proletariats, das die Ausbeutergesellschaft vernichtet und eine neue Ordnung, die des Sozialismus, Kommunismus errichtet. In den „Philosophischen Heften" ist das Wesen der Ansichten vieler Philosophen aus der Vergangenheit treffend und gründlich charakterisiert. Diese Charakteristiken wurden fester Besitz der marxistischen Wissenschaft über die Geschichte der Philosophie. Es genügt darauf hinzuweisen, wie Lenin Aristoteles, Kant, Hegel und andere bewertet. So geben die „Philosophischen Hefte" auch den Philosophiehistorikern viele wertvolle Hinweise. Sie geben das Beispiel, wie man an die Entwicklung der Philosophie in der Vergangenheit herangehen muß, und sind das Vorbild des Kampfes für die materialistische Weltanschauung. „Fragen der Philosophie", Heft 2,1957. Übersetzung entnommen aus „Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge", Heft 12, 1957.
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Zum Problem der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen N. B. BTKKENIN
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution eröffnete eine neue Ära in der Menschheitsgeschichte. Die vierzigjährige Existenz des ersten sozialistischen Landes erhärtet die These Lenins von der internationalen Bedeutung des Oktobers und die Leninsche Lehre von den allgemeinen Entwicklungsgesetzen der sozialistischen Revolution. Die ganze Formenvielfalt in der Entwicklung der Revolution drückt nur den einen sozialökonomischen und klassenmäßigen Inhalt aus — die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, die in Hassischer Weise in unserem Land verwirklicht worden ist. „Europa gelangt nicht so zur Revolution, wie wir zur Revolution gelangten", schrieb W. I. Lenin, „aber Europa macht im wesentlichen dasselbe durch."1 Die auf den prinzipiellen Anschauungen von Marx, Engels und Lenin fußende Erläuterung der Wechselbeziehungen zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen stellt eines der grundlegenden Probleme des dialektischen Materialismus dar. Es ist insofern von großem theoretischen Interesse, als die gnoseologische Ursache vieler positivistischer Fehler, die in letzter Zeit von einigen Philosophen im Hinblick auf Gegenstand und Aufgaben der marxistischen Philosophie und auf die Beziehungen zu ihrem Objekt begangen worden sind, in einem falschen Verständnis des Wechselverhältnisses von allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen zu suchen ist. Die Notwendigkeit einer tiefgründigen und allseitigen Untersuchimg dieses Problems ergibt sich auch aus den aktuellen politischen Aufgaben, die mit der Anwendung der allgemeinen Theorie von der sozialistischen Revolution auf den Aufbau des Sozialismus in den einzelnen Ländern verbunden sind, ferner aus der Verteidigung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus, die in den historischen Beschlüssen des X X . Par1
12»
W. I. Lenin, Werke, Band 30, S. 396 (russ.), (Hervorhebung vom Verfasser).
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teitags der KPdSU enthalten sind, sowie aus dem Kampf gegen Dogmatismus und Revisionismus. Leider ist das Problem der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen noch ungenügend ausgearbeitet. Es gibt allerdings eine große Zahl verschiedenster interessanter Abhandlungen, doch sind einige zu wenig überzeugend, als daß man sich an sie halten könnte, und gegen andere wären unserer Meinung nach ernste Einwände zu erheben. So wird in einer Reihe von Arbeiten unserer Philosophen vorbehaltlos unterstrichen, daß die vom dialektischen Materialismus untersuchten allgemeinen Gesetze das Wesen der Gesetze der konkreten Wissenschaften darstellen, daß die spezifischen Gesetze nur als Modifikationen der allgemeinen Gesetze zu betrachten sind, während das allgemeine Gesetz selbst Summe der spezifischen Gesetze ist. Diesen Standpunkt findet man auch in dem Lehrbuch „Der dialektische Materialismus" unter der Redaktion von G. F. Alexandrow vertreten, wo es heißt: „Die spezifischen Gesetze (z. B. die Gesetze der mechanischen Bewegung der Materie, die Gesetze des Eiweißstoffwechsels usw.) sind eine spezifische Äußerung der allgemeinen Gesetze von der Bewegung, Veränderung und Entwicklung der Materie. Die Gesetze des gesellschaftlichen Lebens beispielsweise unterscheiden sich qualitativ von den Naturgesetzen. Jedoch stellen die einen wie die anderen spezifische Formen dar, in denen ein und dieselben allgemeinen objektiven dialektischen Gesetzmäßigkeiten zutage treten."2 Ein anderer in verschiedener Form in unserer Literatur anzutreffender Standpunkt wurde am klarsten in den Thesen Kotschetkows formuliert: „ . . . Die Dialektik gibt nicht die allumfassenden Gesetze der Wirklichkeit, die nur in den verschiedenen Sphären auftreten, sie gibt die Charakteristik eines jeden Gesetzes, d. h. sie enthüllt die Wesensmerkmale der Gesetze."3 Dieser Standpunkt verneint eine selbständige Bedeutung der allgemeinen Gesetze und ist in gewissem Grade eine Gegenreaktion auf den ersten. Beide weisen nach unserer Ansicht ernste Mängel auf. Gehen wir nun auf den ersten Standpunkt ein, der in dem Buch „Der dialektische Materialismus" dargelegt ist. Aus dem angeführten Zitat ist leicht zu ersehen, daß die Formulierung der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen den Anforderungen der formalen Logik nicht genügt und eine Tautologie ist. Die spezifischen 2 Der dialektische Materialismus, unter der Redaktion von G. F. Alexandrow, Staatlicher Verlag für politische Literatur 1954, S. 7 (russ.). 3 Zitiert nach dem Artikel von W. S. Molodzow „Über Fehler in der Auffassung vom Gegenstand der Philosophie", „Fragen der Philosophie", Heft 1, 1956, S. 190 (russ.).
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Gesetze werden als spezifische Äußerung allgemeiner Gesetze bestimmt. Eine solche Behauptung erklärt nichts. . Noch unbefriedigender ist diese Formulierung ihrem Inhalt nach. Sie läuft darauf hinaus, daß die Wechselwirkung von allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen mit der Korrelation Wesen—Erscheinung gleichgesetzt wird. Das allgemeine Gesetz tritt als Wesen des spezifischen auf und das spezifische als äußere „Schale" des allgemeinen. Die Erforschung eines Problems geht im wesentlichen immer mit einer kritischen Analyse schon existierender Theorien Hand in Hand. Das geschieht nicht aus historischen, sondern aus theoretischen Gründen, um die Problematik der Frage so vollkommen wie möglich zu erkennen und fehlerhafte Lösungen des Problems, die es in der Geschichte der Philosophie schon gegeben hat, zu vermeiden. Hegel ging bekanntlich davon aus, daß der allgemeine Gegenstand durch das Denken hervorgebracht wird, daß das Objektive oder Allgemeine etwas Verständesmäßiges, d. h. der Begriff ist. Da er Allgemeines und Notwendiges als nur dem Begriff eigene Merkmale betrachtete, kam er zu dem idealistischen Schluß, das Wesen des Gesetzes läge nicht in wirklichen, objektiven und notwendigen, inneren Zusammenhängen, sondern im Begriff. „ . . . Wenn aber das Gesetz nicht in dem Begriffe seine Wahrheit hat, so ist es etwas Zufalliges, nicht eine Notwendigkeit, oder in der Tat nicht ein Gesetz. Aber daß es wesentlich als Begriff ist, widerstreitet nicht nur dem nicht, daß es für die Beobachtung vorhanden ist, sondern hat darum vielmehr notwendiges Dasein und ist für die Beobachtung."4 Hegel hat hier die wirklichen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Der Natur sind deshalb Gesetze eigen, weil sie ein Anderssein des Geistes darstellt. Die materielle Welt als solche hat keine Substanz und ist nur Erscheinung. Die Natur als unvollständige Verkörperung des Geistes, als Aggregat der endlichen Dinge offenbart in sich keine Spur des Allgemeinen. Wenn man von empirischen Vorstellungen über die Natur ausgeht, darf man nicht zu dem Resultat kommen, daß den endlichen Gegenständen der Natur etwas Allgemeines eigen sei. Die empirische Welt wird von Hegel als nichtige, unwahre, d. h. als an sich nichts Allgemeines enthaltende Welt betrachtet. Daraus folgt, daß die Gesetze der Naturwissenschaft das Wesen der von ihr erforschten Erscheinungen nicht enthüllen, da dieses Wesen in den allgemeinen Gesetzen begründet liegt, die von der Philosophie erforscht werden. Den Naturgesetzen steht bei Hegel der reine Begriff des Gesetzes gegenüber, der nur durch die Philosophie erfaßt werden kann Und allein das wahre Sein der Dinge ausdrückt. .
4
Hegel, Phänomenologie des Geistes, Leipzig 1949, S. 189.
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„Insofern dieser reine Begriff, als das Wesen, oder als das wahre Innere betrachtet wird, gehört die Bestimmtheit des bestimmten Gesetzes (d. h. des Naturgesetzes —der Verfasser) selbst noch der Erscheinung oder vielmehr dem sinnlichen Sein an."8 Hegel leugnete nicht, daß das Bewußtsein das Sein des spezifischen Gesetzes in der Erfahrung, in der Natur findet. Aber das spezifische Gesetz ist deshalb wahr, weil es eine Modifikation des allgemeinen Gesetzes darstellt, das bei Hegel mit dem reinen Begriff gleichgesetzt wird Es gilt darum als Gesetz", schreibt Hegel, „weil es in der Erscheinung sich darstellt und zugleich an sich selbst Begriff ist."6 Hegel ging irrtümlicherweise vom Primat der allgemeinen Gesetze vor den spezifischen aus, weil er glaubte, daß erstere „aus dem Konkreten und der Mannigfaltigkeit des Daseins"7 hervorgebracht werden und die spezifischen Gesetze keine selbständige Existenz besitzen, sondern nur eine eigentümliche Modifikation der allgemeinen Gesetze sind. Eine solche Behandlung der Wechselbeziehungen von allgemeinen und spezifischen Gesetzen verstümmelte die Natur des allgemeinen Gesetzes, das zu einer inhaltlosen Abstraktion wurde, aus der, wie man dem Forscher empfahl, alles Konkrete und Mannigfaltige des Daseins herausgesondert werden sollte. Jetzt ist leicht zu erkennen, daß wir, wenn wir uns konsequent auf den im Buch „Der dialektische Materialismus" vertretenen Standpunkt von der Wechselbeziehung zwischen den allgemeinen und spezifischen Gesetzen stellen, unabhängig von unseren subjektiven Absichten — hat doch die wissenschaftliche Forschung ihre eigene Logik — zur Wiedergeburt einer naturphilosophischen Betrachtungsweise der Wechselbeziehung von Philosophie und Naturwissenschaft kommen und die Philosophie als die Wissenschaft der Wissenschaften auffassen. Wenn wir die Wechselwirkung der allgemeinen Gesetze auf die Korrelation Wesen—Erscheinung zurückführen, so müssen wir tatsächlich gleich Hegel anerkennen, daß die Naturwissenschaft, daß die speziellen Wissenschaften im Gegensatz zur Philosophie nur das Endliche, die Welt der Erscheinungen, und nicht das Wesen studieren, ja das W e s e n nicht aufdecken, den Gegenstand nicht restlos erkennen können. Im Grunde genommen teilt Prof. W. P. Tugarinow diese Ansicht: „Die objektiv existierenden allgemeinen Gesetze wirken nicht in reiner Form, d. h. losgelöst von den Einzelgesetzen. Deshalb kann das Einzelgesetz nur dann gänzlich erkannt, erforscht und genau verstanden 6
Ebenda, S. 116. « Ebenda, S. 191. 7 Ebenda, S. 30.
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werden, wenn man um seine Grundlage — um das allgemeine Gesetz — weiß"6 So ergibt sich folgendes Schema: Die allgemeinen Gesetze sind Gegenstand der Philosophie (das ist zweifellos richtig); Gegenstand der konkreten Wissenschaften sind die spezifischen Gesetze, die als Modifikationen der ersten angesehen werden. Folglich ist die Naturwissenschaft nicht in der Lage, das Wesen der von ihr untersuchten Prozesse zu erkennen, da sich dies Wesen nicht in den spezifischen Gesetzen der Physik oder Biologie offenbart, sondern in den allgemeinen Gesetzen, mit denen sich die Philosophie befaßt. Uns erscheint eine solche Auffassung von der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen unannehmbar, denn sie setzt die spezielle Forschung herab und orientiert sie auf die bloße Illustration allgemeiner Sätze. Da sie die allgemeinen Gesetze gewissermaßen als ursprüngliche, objektivierte Wesenheiten faßt, die die ganze Vielfalt der spezifischen Gesetze in der objektiven Welt hervorbringen, verschließt sie auch der Bereicherung der Philosophie selbst den Weg. Einen analogen Standpunkt zur Frage des Wechselverhältnisses zwischen der Philosophie und den Wissenschaften von Nattir und Gesellschaft entwickelte Immanuel Kant. Er betrachtete die Philosophie als höheres Wissen, das von der naturwissenschaftlichen Forschung unabhängig ist. Kant, der von der Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand ausging, stellte das sich in der Philosophie darbietende Rationale dem Empirischen in den Naturwissenschaften gegenüber. Das Empirische ist als Endliches Gegenstand der Naturwissenschaft, das rationale Theoretische, das Apriorische aber Gegenstand der Philosophie. Kant engte die Naturwissenschaften ein und sprach ihnen die Fähigkeit ab, das Wesen der von ihnen untersuchten Erscheinungen entdecken zu können. Er schrieb: „Die strenge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induktion keine andere als komparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete Brauchbarkeit bekommen können."9 In den naturwissenschaftlichen Gesetzen sieht Kant nur einzelne Bestimmungen höherer Gesetze, unter denen die höchsten, die sich alle übrigen unterordnen, a priori gegeben werden. „Es ist um nichts befremdlicher, wie die Gesetze der Erscheinungen in der Natur mit dem Verstände und seiner Form a priori, d. i. seinem Vermögen, das Mannigfaltige überhaupt zu verbinden, als wie die Erschein 8 W. P. Tugarinow, Die marxistische Dialektik als Logik und Erkenntnistheorie, Vorlesung in der Gesellschaft zur Verbreitung 'wissenschaftlicher und politischer Kenntnisse, Leningrad 1952, S. 5 (russ.), (Hervorhebung vom Verfasser). 8 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Riga 1787, Kants Schriften Band III, S. 109/110.
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nungen selbst mit der Form der sinnlichen Anschauung übereinstimmen müssen. Denn Gesetze existieren ebenso wenig in den Erscheinungen, sondern nur relativ auf das Subjekt, dem die Erscheinungen inhärieren, sofern es Verstand hat, als Erscheinungen nicht an sich existieren, sondern nur relativ auf dasselbe Wesen, sofern es Sinn hat."10 Der Begründer des Positivismus, Auguste Comte, sah die Aufgabe der Wissenschaft nicht in der Aufdeckung der objektiven spezifischen Gesetze der qualitativ vielfältigen Bewegungsformen der Materie, sondern in der Klassifizierung der Erscheinungen nach den unveränderlichen Prinzipien von Folgerichtigkeit und Ähnlichkeit, wobei er ein allgemeines Faktum zum Ausgangspunkt nahm.11 Comte formulierte die positivistische Anschauung von dem Wechselverhältnis zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen folgendermaßen: „ . . .Die Vollkommenheit, zu der das positive System stetig, wenn auch vielleicht erfolglos, strebt, bestünde in der Möglichkeit, alle einzelnen, der Beobachtung unterliegenden Erscheinungen als Einzelfälle eines allgemeinen Faktums darzustellen, z. B. der Gravitation."18 Comte wiederholend, entwickelten die Mechanisten, die bei uns in den zwanziger Jahren mit der Leugnung der marxistischen Philosophie als einer Wissenschaft und der Revision grundlegender Sätze des dialektischen und historischen Materialismus auftraten, positivistische Ansichten über die gegenseitigen Beziehungen allgemeiner und spezifischer Entwicklungsgesetze. „Die Einzelgesetze", so schrieb Warjasch, „sind... vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet Einzelfälle eines allgemeinen Gesetzes."13 „Welcherart die auf der Grundlage der Erfahrung entstandenen allgemeinen Gesetze auch sein mögen, die übrigen Einzelgesetze müssen aus diesen allgemeinen Gesetzen ableitbar sein."14 Ziehen wir das Resultat aus diesem kurzen philosophiehistorischen Überblick: Die Behauptung, die Einzelgesetze seien nur Einzelfälle oder nur spezifische Äußerungen eines allgemeinen Gesetzes, denen kein selbständiges Wesen zukommt, führt zur Negation der Notwendigkeit einer speziellen Forschung und verleitet zur Konstruktion apriorischer Schemata, zur Ableitung einer konkreten Wahrheit aus allgemeinen' Gesetzen auf deduktivem Wege. 10
Ebenda, S. 134. Das Gesetz von den positivistischen Systemen tritt nicht als ein bestimjnter, notwendiger Zusammenhang der Erscheinungen auf, sondern nur als ein gewisser „allgemeiner Fakt". 12 Auguste Comte, Kurs der positiven Philosophie, St. Petersburg 1900, Band 1, S. 4—5 (russ.). 13 Warjasch, Geschichte der Philosophie und marxistische Philosophiegeschichte, „Mitteilungsblatt der Kommunistischen Akademie", Heft 9, 1924, S. 271—272 (russ.). 14 Ebenda, S. 273 (russ.). 11
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Ein solches Verfahren widerspricht prinzipiell der Methode des Leninismus, dessen Wesen in der konkreten Analyse einer konkreten Situation besteht. Dem Marxismus ist es überhaupt fremd, Gesetze von Gesetzen herzuleiten. Gesetze sind vielmehr das Ergebnis spezieller Untersuchungen. Der in der Praxis der wissenschaftlichen Forschung (wie es in einigen Arbeiten über Biologie geschehen ist) dargelegte Standpunkt bedeutet ein Spiel mit Termini. Ein nachträgliches Aufkleben philosophischer Etiketts auf die Produktion der konkreten Wissenschaften kommt dem Versuch gleich, spezifische Gesetze deduktiv aus den Gesetzen des dialektischen Materialismus abzuleiten. Die Gegenstände mit ihren spezifischen Gesetzen „werden zu ihren bloßen Namen, so daß nur der Schein eines wirklichen Erkennens vorhanden ist".15 Dabei verwandeln sich die Kategorien aus Hauptmomenten unseres Bewußtseins in Punkte der Unkenntnis des konkreten Materials. In seiner Kritik derartiger Versuche schrieb W. I. Lenin: „Die ganze Originalität der gegenwärtigen Lage besteht vom Standpunkt vieler, die als Sozialisten gelten möchten, darin, daß die Leute sich an die abstrakte Gegenüberstellung von Kapitalismus und Sozialismus gewöhnt haben.und daß sie nur zwischen beide in tiefsinniger Weise das Wort .Sprung' setzten (manche, die sich an Stellen in Engels' Schriften erinnerten, fügten noch tiefsinniger hinzu: ,Der Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit')."16 Zur Erhärtimg unserer kritischen Erwägungen wollen wir eine Reihe von Beispielen für eine solche philosophische Verallgemeinerung naturwissenschaftlicher Daten anführen. So werden aus der modernen kinetischen Theorie vom flüssigen Zustand der Stoffe, welche die Gesetzmäßigkeiten der Wärmebewegung in einer Flüssigkeit erhellt, folgende Schlußfolgerungen gezogen: „ . . .Die qualitative Umwandlung des Wassers aus der Verdampfung und Kondensation sowie der umgekehrte Prozeß vollzieht sich in der Natur in völliger Übereinstimmung mit dem Grundzug der materialistischen Dialektik, demzufolge sich der dialektische Übergang vom undialektischen ,durch den Sprung', ,durch den Widerspruch, durch die Unterbrechung der Allmählichkeit, durch die Einheit (die Identität) von Sein und Nichtsein', (W. I. Lenin, Aus dem philosophischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 221) unterscheidet. Die moderne theoretische und experimentelle Vertiefung unserer Erkenntnis des objektiven Prozesses der Verdampfung und Konden16
Marx, Engels, Werke, Band 1, Berlin 1956, S. 211. W. I. Lenin, Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht, Ausgewählte Werke, Band II, Berlin 1955, S. 389. le
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satiön des Wassers bestätigt voll und ganz, daß sich dieser Prozeß nach den Gesetzen der objektiven Dialektik vollzieht. Selbst das Wasser in der Natur ist seinem Wesen nach Einheit und unablässiger Kampf eines ganzen Komplexes innerer Widersprüche, unter denen der Hauptwiderspruch unter normalen Bedingungen der von Kondensation und Verdampfung ist usw."17 Erstens ist es unrichtig, wenn das Wahrheitskriterium für die spezifischen Gesetze nicht die Praxis ist, sondern ihre Übereinstimmung mit diesem oder jenem allgemeinen Gesetz. Zweitens kommen wir, wenn wir sagen, daß das Wasser Einheit und Kampf der Gegensätze u. ä. ist, im wissenschaftlichen Verstehen dieser Erscheinimg keinen Schritt voran. Zu seiner Zeit bemerkte Hegel richtig, daß gerade das Verfahren der alten Metaphysik darin bestand, daß sie einfach Prädikate eines Gegenstandes registrierte, die sie erst erforschen sollte. Drittens wird bei einer solchen Auffassung die Aufgabe der philosophischen Verallgemeinerung der Naturwissenschaft sehr eng, einfach als Sammlung von Illustrationen aus den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft verstanden, die von der Wahrheit der Gesetze des dialektischen Materialismus Zeugnis ablegen sollen. Aber gerade eihe solche „illustrative" Verallgemeinerung naturwissenschaftlicher Fakten hat mit dem dialektischen Materialismus nichts gemein, sie stellt einen charakteristischen Zug des Vulgärmaterialismus dar. Das Wesen des Vulgärmaterialismus besteht nicht nur darin, daß er das psychische Bewußtsein mit dem Physiologischen identifiziert — das ist nur eine seiner historischen Spielarten. Den grundlegenden Gehalt des Vulgärmaterialismus sah Engels darin, daß „alle seitdem gemachten Portschritte... ihnen (d. h. den Vulgärmaterialisten — der Verfasser) nur als neue Beweisgründe gegen die Existenz des Weltschöpfers" dienten; „und in der Tat lag es ganz außerhalb ihres Geschäfts, die Theorie weiterzuentwickeln".13 Es ist unschwer zu erkennen, daß unter den heutigen Bedingungen eine solche illustrative Verallgemeinerung die Gefahr des Vulgärmaterialismus, des Dogmatismus in sich birgt. Jedoch sind wir auf analoge Erscheinungen nicht nur bei philosophischen Verallgemeinerungen naturwissenschaftlicher Fakten gestoßen. So beschränken sich z. B. bei der Kritik der modernen bürgerlichen Philosophie einige Autoren darauf, daß sie, anstatt die im wesentlichen antiwissenschaftlichen Anschauungen der bürgerlichen Philosophen bloßzustellen, davon sprechen, daß diese dem dialektischen Materialismus nicht entsprächen. 17 N. S. Smirnow, Ein Beispiel des Übergangs von quantitativen Veränderungen in qualitative, „Fragen der Philosophie", Heft 6, 1956, S. 212 (russ.). 18 Fr. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der Massischen deutschen Philosophie, Berlin 1952, S. 25—26.
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Aber die bürgerlichen Philosophen legen es doch gar nicht darauf an, daß ihre Ansichten mit den Sätzen des dialektischen Materialismus in Einklang stehen. In einzelnen Gemälden und literarischen Werken fanden wir keine künstlerische Aneignung der Welt mit den der Kunst eigenen Mitteln, sondern nur eine Sammlung von Illustrationen zu einigen allgemeinen Thesen. Dadurch verarmte ihr Ideengehalt, wobei jeglicher Erkenntniswert verloren ging. Auf Grund dieser einzelnen Unzulänglichkeiten versuchen unsere Feinde, die marxistische Weltanschauung zu verunglimpfen. Aber die begangenen Entstellungen bedeuten ein Abweichen vom dialektischen Materialismus und haben nichts mit seiner Natur gemeinsam. W. I. Lenin nannte das Bestreben, nach Antworten auf konkrete Fragen in der einfachen logischen Entwicklung der allgemeinen Wahrheit zu suchen, eine Verflachung cjes Marxismus, eine Verhöhnimg des dialektischen Materialismus.19 Ein solches lebensfremdes Herangehen an die marxistisch-leninistische Wissenschaft führt dazu, daß man sie der Praxis entgegensetzt, daß man die revolutionäre Theorie von ihrer Praxisgebundenheit löst. Das Juni-Plenum des ZK der KPdSU, das die parteifeindliche Gruppe Malenkow, Kaganowitsch, Molotow und Schepilow, der sich ihnen angeschlossen hatte, entlarvte und ihre Plattform zerstörte, zeigte, daß sich die Anhänger dieser Gruppe vom Leben der Partei und des Volkes gelöst hatten, indem sie in der Theorie des Marxismus-Leninismus eine Sammlung ein für allemal festgelegter Dogmen und Kanons sahen und nicht eine Anleitung zum praktischen Handeln; sie verteidigten veraltete Formeln und Thesen, die nicht mit den neuen historischen Bedingungen übereinstimmten. Eine andere nicht weniger fehlerhafte Auffassung von dem Wechselverhältnis zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen läuft auf die Leugnimg der realen Existenz allgemeiner Gesetze hinaus. Die allgemeinen Gesetze, die von der Philosophie untersucht werden, finden wir analog in den verschiedenen spezifischen Gesetzen. Die Verfasser dieser positivistischen Konzeption beziehen sich auf die Rezension von Kaufmann, die Marx gut geheißen und in seinem Nachwort zur zweiten Auflage des Kapitals angeführt hat. In dieser Rezension heißt es bekanntlich: „Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren sdlche abstrakte Gesetze nicht.. ."20 Doch die Hinweise auf Marx kann man keineswegs als begründet erachten. Marx 19 20
Siehe W. I. Lenin, Werte, Band 3, S. 10 (russ.). Marx, Kapital, Band 1, Berlin 1955, S. 16 .
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tritt hier gegen den Antihistorismus der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie auf. Die Klassiker der bürgerlichen Ökonomie hielten die spezifischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise wie z. B. das kapitalistische Bevölkerungsgesetz für allen gesellschaftlich-ökonomischen Formationen eigen. „.. .Der Fehler nur", meint Marx in diesem Zusammenhang, „daß das materielle Gesetz einer bestimmten historischen Gesellschaftsstufe als abstraktes, alle Gesellschaftsformen gleichmäßig beherrschendes Gesetz aufgefaßt wird."21 Marx leugnet also nicht die Existenz allgemeiner Entwicklungsgesetze der Gesellschaft, sondern lehnt den Versuch der bürgerlichen Ökonomen ab, den spezifischen Gesetzen des Kapitalismus einen überhistorischen Charakter zu verleihen und somit die bürgerliche Gesellschaft zu verewigen. Die Leugnung der objektiven Existenz allgemeiner Gesetze ist ein charakteristischer Zug des Neopositivismus. Das Programm des Neopositivismus ist die Umbildung der Philosophie auf „wissenschaftlichen" Grundlagen. Diese „Umbildung" schließt die Verneinung eines selbständigen Gegenstandes der Philosophie ein. Victor Kraft, eines der Mitglieder des Wiener Kreises, schrieh: „Die Philosophie" untersucht „nicht ein eigenes Gebiet der Wirklichkeit... Soweit es sich um die empirische Wirklichkeit handelt, ist diese unter die Fachwissenschaft aufgeteilt; und eine nicht-empirische, eine transzendente Wirklichkeit kann kein Gegenstand der Erkenntnis sein."22 Die Philosphie als Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen wird zur Metaphysik erklärt. Die Neopositivisten meinen, daß die Philosophie keine eigenen Sätze aufstellt, sondern nur die Fakten der Naturwissenschaften analysiert. „Die Philosophie ist nicht ein System von Wahrheiten und darum bildet sie nicht eine eigene Wissenschaft, sondern diejenige Tätigkeit, durch welche der Sinn der Aussagen festgestellt oder aufgedeckt wird."23 Carnap unterscheidet zwei verschiedene Gebiete — die Gegenstände, ihre Qualitäten und Verhältnisse, sowie die Vorstellungen von den Gegenständen. Das Gebiet der Gegenstände, ihre Qualitäten und Verhältnisse, bildet die Forschungssphäre der speziellen Wissenschaften. Das Gebiet der philosophischen Untersuchung sind die Vorstellungen von den Gegenständen, die Begriffe, Sätze und Theorien der speziellen Wissenschaften. 21 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert (Vierter Band des Kapitals), 1. Teil, Berlin 1956, S. 10. 22 V. Kraft, Der Wiener Kreis (Der Ursprung des Neopositivismus), Wien 1950, S. 171—172. 23 Ebenda, S. 172.
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„Danach ist Philosophie nicht eine Wissenschaft mit eigenem Gebiet, sondern ein Verfahren, das in den Einzelwissenschaften überall einsetzt, wo Unklarheiten bestehen."24 Bei einer solchen Verwendung muß die Natur- und Geschichtsphilosophie in eine logische Analyse von Biologie, Physiologie, Physik und der Geschichtswissenschaften umgewandelt werden. Wie man aus den angeführten Zitaten ersehen kann, besteht die grundlegende These des Neopositivismus in der Leugnung der Philosophie als Wissenschaft mit einem selbständigen Gegenstand. Man argumentiert damit, daß die ganze Wirklichkeit von den speziellen Wissenschaften umfaßt wird, und die eigentlich philosophischen, allgemeinen Probleme werden als transzendent und der Erkenntnis unzugänglich hingestellt. „Die herkömmlichen Gegenstände der Metaphysik, ein absolutes Sein, aber auch absolute Werte und Normen, können kein eigenes Wissensgebiet geben."25 Vom Standpunkt des dialektischen Materialismus aus erforscht jede spezielle Wissenschaft eine bestimmte Bewegungsform der Materie. So untersucht z. B. die Biologie den Eiweißstoffwechsel (eine besondere Bewegungsform der Materie); die Biologie selbst gliedert sich in Zoologie und Botanik, letztere in Mikroanatomie, Physiologie usw. Jede dieser Wissenschaften grenzt ihren Forschungsgegenstand ab, d. h. löst ihn aus der Ganzheit der Zusammenhänge heraus, nimmt ihn als einen besonderen Teil des Ganzen. Jede Wissenschaft isoliert ihren Forschungsgegenstand. Daraus folgert der Positivismus, daß das Ganze objektiv nicht existiert und daß es eine inhaltslose Abstraktion ist, mit der nur die Metaphysik operieren kann. Der dialektische Materialismus betrachtet das Ganze als objektive Realität, als Einheit vielfältiger Seiten, deren jede Forschungsobjekt eines einzelnen, bestimmten Wissenschaftszweiges ist. Die Entwicklungsgesetze der objektiven Welt als eines Ganzen bilden den Gegenstand der marxistisch-leninistischen Philosophie. Also sind die allgemeinen Gesetze, die den Gegenstand der Philosophie darstellen, keine Gebiete einer Analogie zwischen den verschiedenen spezifischen Gesetzen, sondern eine besondere, objektive Form der Beziehungen zwischen den Erscheinungen, die ebenso wie die anderen Gesetze der objektiven Welt studiert werden muß. So eröffnet uns z. B. das Gesetz der Übereinstimmung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen den objektiven Zusammenhang im Pro24 25
Ebenda, S. 172. Ebenda, S. 172.
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zeß der historischen Entwicklung. Weder eines der spezifischen Gesetze im Einzelnen noch die Summe dieser Gesetze schöpft das Wesen des allgemeinen Gesetzes — in unserem Beispiel des Gesetzes der Übereinstimmung von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften — aus. Von der selbständigen Wirkung dieses Gesetzes spricht auch folgende Tatsache: Es ist bekannt, daß in der Periode des aufsteigenden Kapitalismus die spezifischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise (das Gesetz vom Mehrwert, der Konkurrenz u. a.) die Forderungen des Gesetzes der Übereinstimmung von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften verwirklichen halfen. I n der Epoche des Imperialismus widerspricht die Wirkung des Grundgesetzes des monopolistischen Kapitalismus und anderer spezifischer Gesetze der Wirkung des Gesetzes der Übereinstimmung, das niemals in der Form der spezifischen Gesetze auftreten und realisiert werden kann. Das ist nicht der einzige Fall eines Widerspruchs in der Wirkung der einen und der anderen Gesetze. So steht z. B. das Gesetz des Sinkens der Durchschnitts. Profitrate im Widerspruch zur Wirkung des Mehrwertgesetzes. Würde sich die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft nur den spezifischen Gesetzen des Kapitalismus unterordnen, dann wäre der Übergang zu einer neuen sozialökonomischen Formation unmöglich. Aber da der Kapitalismus in seiner Entwicklung nicht nur der Wirkung der spezifischen, sondern auch der soziologischen Gesetze unterworfen ist, ist der Übergang zum Kommunismus unumgänglich. Dieser Übergang wird durch das Gesetz von der Übereinstimmimg der Produktionsverhältnisse und der Produktivkräfte bestimmt, das die objektive Grundlage der sozialistischen Revolution darstellt. Manche können dagegen Einspruch erheben, wenn sie sich auf die bekannte These W. I. Lenins berufen, Marx leite die Notwendigkeitfdes Untergangs des Kapitalismus aus der Analyse der ihm immanent eigenen Gesetze her; daher sei es unrichtig zu behaupten, der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus vollziehe sich auf Grund der Wirkung des Gesetzes der unbedingten Übereinstimmung. Hierüber müssen wir uns Klarheit verschaffen: Die Wirkung der spezifischen Gesetze im Kapitalismus — der Anarchie und Konkurrenz, des Mehrwerts u. a.'— verschärft die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft und schafft die objektiven und subjektiven Voraussetzungen zur Realisierung der Forderungen des Gesetzes der Übereinstimmung von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften. Die spezifischen Gesetze der sozialistischen Gesellschaft (das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus, das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft) entstehen nicht'auf der Basis der spezifischen Gesetze des Kapitalismus, sondern auf der Grundlage ihrer Beseitigung im Ergebnis der sozialistischen Revolution, deren objektive Grundlage das
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Gesetz der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte darstellt. Also haben die allgemeinen Gesetze objektive, selbständige Existenz und bilden daher den Forschungfegegenstand einer selbständigen Wissenschaft — des dialektischen und historischen Materialismus. Die marxistische Philosophie erklärt die weltanschauliche Bedeutung der allgemeinen Gesetze und ihre methodologische Rolle in unserer Erkenntnis. Aus der bestehenden Einheit von allgemeinen und spezifischen Gesetzen zu folgern, daß „die allgemeinen Gesetze nur in ihnen (gemeint sind die spezifischen Gesetze — der Verfasser) ihre Wirkung offenbaren und niemals und nirgends außerhalb dieser besonderen Formen ihres Erscheinens auftreten",26 wäre unrichtig. Wie man aus tausend Mäusen keinen Elefanten machen kann, so kann auch die Gesamtheit der spezifischen Gesetze kein allgemeines Gesetz geben, denn das Ganze ist keine mechanische Kompilation seiner Bestandteile. Eine Reduzierung der spezifischen Gesetze lediglich auf Erscheinungsformen der allgemeinen Gesetze würde die Auflösung der allgemeinen Gesetze der marxistischen Philosophie in den spezifischen der konkreten Wissenschaften sowie die Verneinung ihrer selbständigen Existenz bedeuten. Die Geschichte der Philosophie und der politischen Ökonomie zeigt, daß eine Leugnung der allgemeinen Gesetze nicht originell ist. So traten z. B. die Anhänger der sogenannten historischen Schule der vulgären politischen Ökonomie (Rnies u. a.) mit der Leugnung der allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Entwicklung auf, die allen in das Stadium des Kapitalismus eingetretenen Ländern eigen sind. Knies behauptete, daß für eine Wirkung allgemeiner Gesetze in der kapitalistischen Entwicklung kein Platz sein kann, da jedes Land seine besonderen Wege der ökonomischen Entwicklung gehe.27 In Wirklichkeit ist eine Deutung der nationalen Besonderheiten in der Entwicklung des Kapitalismus iii den einzelnen Ländern nur auf der Grundlage der allgemeinen Theorie von der kapitalistischen Produktion möglich. Deshalb waren die Klassiker der bürgerlichen politischen Ökonomie im Recht, die, von den Vertretern der historischen Schule der vulgären politischen Ökonomie unbegründet des Kosmopolitismus beschuldigt wurden, als sie beim Versuch, die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktion zu erklären, von den nationalen Besonderheiten abstrahierten. 28 G. E. Gleserman, J. W. Stalin über den objektiven Charakter der gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze und ihre bewußte Ausnutzung durch die Menschen, 1952, S. 22 (russ.). 27 Sielte K. Knies, Die politische Ökonomie vom Standpunkt der geschichtlichen Methode, Braunschweig 1883, S. 391—392.
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Heute, wo der Hauptgesichtspunkt der Strategie des internationalen Imperialismus das Streben nach Entzweiung der sozialistischen Länder ist,, führt die Leugnung der Entwicklungsgesetze der sozialistischen Revolution zu der antimarxistischen Theorie vom „Nationalkommunismus". 1 Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unterstrich in seinen Beschlüssen die Unerschütterlichkeit der Leninschen These, daß das Wesen des proletarischen Internationalismus auf der Anerkennung solcher allgemeiner Gesetzmäßigkeiten des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus beruht wie der Errichtung der Diktatur des Proletariats, der größtmöglichen Festigung des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft sowie anderen Schichten der werktätigen Bevölkerung unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Avantgarde, der Liquidierung des kapitalistischen Privateigentums an Industriebetrieben und Banken, im Transport- und Fernmeldewesen, des gesellschaftlichen Eigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln und der daraus resultierenden Wirtschaftsplanung, des sozialistischen genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Landwirtschaft und der entschlossenen Verteidigung der Errungenschaften der sozialistichen Revolution gegen die Anschläge der früheren herrschenden Klasse und des internationalen Imperialismus. Diese allgemeinen Gesetze müssen auf den Aufbau des Sozialismus in den einzelnen Ländern angewendet werden, wobei die Eigenart ihrer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse unbedingt zu berücksichtigen ist. Für die Marxisten-Leninisten ist das spezifisch Nationale nicht Selbstzweck; sie nutzen es zur Lösung der allgemeinen internationalen Aufgaben. Jeder, der für das Spezifische und nationale Besondere eintritt, dabei aber die allgemeinen Gesetze des sozialistischen Aufbaus ignoriert, sagt sich von den Prinzipien des proletarischen Internationalismus los und geht auf die Positionen des Nationalkommunismus über. Der Kommunismus ist seinem Wesen nach eine internationale Erscheinung. Ungeachtet der Vielfalt in den Übergangsformen der einzelnen Länder vom Kapitalismus zum Sozialismus bleibt der objektive sozialökonomische und politische Inhalt dieses revolutionären Prozesses für alle Länder der gleiche. Die Frage des Inhalts des Kampfes durch die Frage der Form des Kampfes zu ersetzen, hieße, so sagte Lenin, auf den Standpunkt eines Sophisten herabsinken.28 Die materialistische Dialektik grenzt das Wesen einer Erscheinimg, ihren Klasseninhalt sowie ihre grundlegenden Tendenzen sorgsam von der Erscheinungsform ab. „.. .denn die Form 28 Siehe W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Ausgewählte Werke, Band I, Berlin 1955, S. 828.
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des Kampfes kann wechseln und wechselt beständig aus verschiedenen, verhältnismäßig beschränkten und zeitlich bestimmten Gründen, aber das Wesen des Kampfes, sein Klasseninhalt, kann sich durchaus nickt ändern, solange es Klassen gibt."29 Deshalb bedeutet eine Leugnung der allgemeinen Gesetze des sozialistischen Auf baus, die für das ganze sozialistische Lager die gleichen sind, in der Theorie ein Vertauschen der marxistischen Dialektik gegen eine sophistische und in der Politik des proletarischen Internationalismus die Übernahme des berüchtigten ,,Nationalkommunismus''. Ehe wir uns einige Wechselwirkungen zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen ansehen (der Artikel will nicht das ganze vielfältige Bild dieser Beziehungen vermitteln), müssen wir bestimmen, was allgemeine und spezifische Gesetze sind, warum Gesetze existieren, die verschiedene Grade des Allgemeinen verkörpern. Natürlich muß man in Betracht ziehen, daß der allgemeine wie der spezifische Begriff relativ ist, und ihre Gegenüberstellung hat nur in bestimmten Grenzen Sinn, wenn von der Wechselwirkung verschiedener Wissensgebiete die Rede ist. So treten z. B. die Gesetze des historischen Materialismus bezüglich der Gesetze des dialektischen Materialismus als spezifische, hinsichtlich der Gesetze der politischen Ökonomie oder der Sprachwissenschaft als allgemeine auf. Außerhalb dieses Verhältnisses ist jedes Gesetz auch insofern ein allgemeines, als es in seinen Wirkungsbereich alle Erscheinungen der betreffenden Gruppe einbezieht, und ein spezifisches, als es sich auf der Basis bestimmter, nur ihm eigener Wirkungsbedingungen realisiert. Die materielle Welt ist kein amorphes, undifferenziertes Ganzes. Sie ist differenziert, vielfarbig und vielfältig in ihren Strukturformen wie auch in ihren sich mit diesen gegenseitig bedingenden Bewegungsformen. Innerhalb der Grenzen eines qualitativ Bestimmten gibt es eine endlose Reihe untergeordneter qualitativer Übergänge. Zum Beispiel haben wir innerhalb der Grenzen der organischen Welt die Tier- und Pflanzenwelt, und in den Grenzen jeder dieser beiden gibt es Klassen, Familien, Zweige und Arten. Jede höherstruktierte Form der Materie und die ihr entsprechende Bewegungsform verwirklichen sich auf der Grundlage niedriger stehender Formen, so daß eine komplizierte Form eine ganze Hierarchie untergeordneter Formen darstellt. Zum Beispiel geht die Nerventätigkeit des Gehirns mit Hilfe der biochemischen und biophysischen Prozesse vor sich. Somit ist also die Vielfalt der Erscheinungen in der äußeren Welt darauf gegründet, daß jeder Erscheinungskreis, jede Einzelerscheinimg 29
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Ebenda, S. 827.
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ein Bestimmtes ist, ein Maß, in dessen Grenzen quantitative Veränderungen nicht zu qualitativen führen: Das Maß bildet auch die konkrete Einheit von Quantität und Qualität. In der endlosen Vielfalt der qualitativ bestimmten Formen der Materie und der Bewegung besteht die Vielfalt der Gesetze der objektiven Welt, die Unmöglichkeit, eines auf das andere zurückzuführen, ihr unterschiedlicher Grad des Allgemeinseins und ihr unterschiedlicher Wirkungsbereich. Wenn wir als Kriterium des Allgemeinen nur die Wirkungssphäre nehmen, dann treten uns die Gesetze der elementarsten Bewegungsformen der Materie im Hinblick auf die Gesetze komplizierterer Bewegungsformen der Materie als allgemeine entgegen. So ist die mechanische Bewegung mit den ihr eigenen Gesetzen allgegenwärtig, aber das besagt nicht; daß die Gesetze der Mechanik als methodologisches Prinzip zur speziellen Forschung in der Biologie, Physiologie usw. dienen können. Einige heben diesen Umstand völlig richtig hervor, legen ihn aber falsch aus: Nach ihrer Meinung haben die Gesetze der Mechanik deshalb keinen allgemeinen Charakter, weil sie trotz ihres Vorhandenseins in den klomplizierteren Bewegungsformen der Materie nicht den Fluß beispielsweise der biologischen Prozesse bestimmen und nicht ihre qualitative Bestimmtheit ausdrücken. Natürlich erhebt sich aber bei einer, solehen Argumentation die Frage: Bestimmen etwa die Gesetze der Dialektik den Fluß der biologischen, physiologischen Prozesse ? Wenn man behauptet, daß die Gesetze des dialektischen Materialismus im Unterschied zu den Gesetzen der Mechanik deshalb allgemeinen Charakter tragen, weil sie nicht nur überall vorhanden sind, sondern auch die Entwicklung der konkreten Bewegungsformen der Materie bestimmen, dann fragt es sich, ob überhaupt eine spezielle Forschung nötig ist. Offensichtlich muß das Kriterium für das Allgemeine nicht nur quantitativ dem Wirkungsbereich nach, sondern auch qualitativ sein. Die qualitative Bestimmtheit des Objekts kommt in der Erkenntnis durch die spezifischen Gesetze der Erscheinungen zum Ausdruck; diese Gesetze drücken in ihrer organischen Einheit oder in der Form des Grundgesetzes das Wesen der Erscheinungen aus. Das Maß des Gegenstandes tritt als spezifisches Gesetz hervor. Folglich sind die spezifischen Gesetze objektive, notwendige und wesentliche Zusammenhänge, die die qualitative Bestimmtheit konkreter Erscheinungen und konkreter Entwicklungsstufen charakterisieren. Sie erklären, wie sich die betreffende Form der Materie entwickelt,. wie der betreffende soziale Organismus funktioniert. Gäbe es aber nur für jede Bewegungsform der Materie spezifische Gesetze, dann stünde die Natur als Summe untereinander zusammenhangloser vereinzelter Glieder vor uns. Die spezifischen Gesetze, die das Wesen der einzelnen Bewegungsformen der Materie zeigen, können nicht die Ein194
heit der Welt im Ganzen ausdrücken, nicht den Zusammenhang ihrer einzelnen Formen mit der Bedingung des Überganges von einer Bewegungsform der Materie zur anderen, von einem sozialen Organismus zum andere^ aufdecken. So drücken z. B. die spezifischen Gesetze des Kapitalismus Wesen und Entwicklungstendenz der betreffenden sozialökonomischen Formation aus, wohingegen die notwendigen Bedingungen des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in den Forderungen des Gesetzes von der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse und der Produktivkräfte festgelegt sind. Nach Marx, der den Inhalt des Gesetzes der Übereinstimmung aufdeckte, bestehen diese notwendigen Bedingungen darin, daß eine Gesellschaftsformation nie untergeht, „bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind."30 Wenn also die spezifischen Gesetze die qualitative Bestimmtheit des Gegenstandes, sein Maß (das spezifische Gesetz oder Maß stellt die konkrete Einheit von Quantität und Qualität dar) zum Ausdruck bringt, dann drücken die allgemeinen Gesetze erstens die materielle Einheit der Welt aus und zweitens die Bedingungen, unter denen der Übergang von einem qualitativen Zustand des Gegenstandes in einen anderen vonstatten geht. Hierin liegt die weltanschauliche Bedeutung der allgemeinen Gesetze. Diese allgemeinen Gesetze sind Objekt der marxistischleninistischen Philosophie, die die Welt in ihrer Ganzheit untersucht. Im Unterschied zu den früheren naturphilosophischen Systemen stellt sie sich nicht die Aufgabe, die spezielle Forschung zu ersetzen, die die spezifischen Gesetze der chemischen, ökonomischen und anderen Prozesse untersucht. Der dialektische Materialismus erforscht hur eine Seite der objektiven Welt — die allgemeinen Gesetze, d. h. die Gesetze des Ganzen, das sich nicht aus der mechanischen Summe seiner Teile zusammensetzt. Einer anderen Seite der objektiven Welt widmen sich die konkreten Wissenschaften. Sehen wir uns die methodologische Bedeutung der allgemeinen Gesetze an. Wie schon bemerkt, können die allgemeinen Gesetze das Wesen der konkreten spezifischen Erscheinungen nicht ausdrücken. Wenn das so wäre, dann würde sich die spezielle Forschung erübrigen, da die Aufgabe eines beliebigen Wissenszweiges in der Darlegung der spezifischen Gesetzmäßigkeiten der Bewegungsform der Materie besteht, die Forschungsgegenstand eben jenes Gebietes ist. Wie Hegel richtig bemerkte, muß 30
Karl Marx, Zur Kritik der politischer! Ökonomie, Erstes Heft, Berlin 1961, S. 14.
is»
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die Wissenschaft diesen Gegenstand entsprechend seiner eigenen inneren Natur studieren. Die methodologische Grundlage der falschen Auffassung von dem Wechselverhältnis zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen ist aber in der mechanischen Vorstellung vom Ganzen, Komplizierten als der einfachen Summe des Einzelnen, Elementaren zu suchen. Das allgemeine Gesetz bildet nicht einmal in elementaren Fällen die Summe der einzelnen. So wurden die Gesetze von Boyle-Mariotte und Gay-Lussac durch Mendelejew und Klaiperon zu einem einheitlichen Gesetz vereinigt, das den Zustand der Gase sowohl bei der Veränderung von Druck und Volumen als auch bei der Veränderung der Temperatur charakterisiert (p F0 = RT, wobei R die Gaskonstante verkörpert, die gleich 8,31 • 107 erg/grad. Grammoleküle ist, F„ ist das Volumen eines Gasgrammoleküls). Jedoch traf das Mendelejew-Klaiperonsche Gesetz nicht genau für die realen Gase zu. Die Molekulartheorie zeigte die Gründe für diese Ungenauigkeit. Es erwies sich, daß das MendelejewKlaiperonsche Gesetz das Volumen der Moleküle selbst sowie die inneren Kräfte der Gase nicht berücksichtigt und daher nur auf ein engeres Gebiet anwendbar ist als das Gesetz van der Waals'. (P + ywyV0-b)
=
RT,
2
wobei a gleich a' N ist; a' bedeutet die von der Art des Moleküls abhängige Konstante, N die Avogadrosche Zahl und b das Eigenvolumen des Moleküls. Das Gesetz von van der Waals vereinigt das Mendelejew-Klaiperonsche Gesetz mit dem Gay-Lussacschen und dem Boyle-Mariotteschen, jedoch stellt es nicht die mechanische Summe dieser Gesetze dar, weil im Gesetz von van der Waals das Volumen der Moleküle sowie der inneren Kräfte der Gase berücksichtigt wird, wodurch die Erscheinung ein neues qualitatives Charakteristikum erhält. Gleichzeitig behalten die Gesetze von Boyle-Mariottes und Gay-Lussacs trotz des existierenden vereinigten Gesetzes von van der Waals weiterhin ihre selbständige Bedeutung und spielen unter bestimmten Bedingungen eine eigene Rolle. Aus der Geschichte der ökonomischen Lehren ist bekannt, daß eine mechanische Auffassung von der Natur der allgemeinen Gesetze die Forscher zu Mißerfolgen führte. So gingen z. B. Smith und Ricardo in ihren Untersuchungen gerade von dieser Anschauung aus (das Allgemeine, Ganze ist die Summe des Einzelnen, Elementaren), sie versuchten, die unentwickelten, konkreten Beziehungen und die durch sie zum Ausdruck gebrachten spezifischen Gesetze unmittelbar aus dem Wertgesetz herzuleiten.31 Sie glaubten, daß alle spezifischen Gesetze 31
Das Wertgesetz erscheint als ein allgemeines hinsichtlich der spezifischen Gesetze der kapitalistischen Gesellschaft.
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der bürgerlichen Gesellschaft nur vielfältige Erscheinungsformen des Wertgesetzes seien. Nachdem sie bei der Erklärung der Gesetze des Mehrwerts, des Profits und der Rente eine Niederlage erlitten hatten, gerieten sie mit ihren Ausgangspositionen, mit der Theorie des Arbeitswerts in Widerspruch. Smith behauptete, das allgemeine Wertgesetz sei auf die Analyse der entwickelten kapitalistischen Verhältnisse nicht anwendbar und wirke nur unter den Bedingungen der einfachen Warenproduktion. Der Versuch, das spezifische Gesetz nur als Teil des Ganzen zu betrachten, führt zur Entstellung der Natur sowohl des Spezifischen als auch des Allgemeinen. Wenn sich Smith bemüht, den Mehrwert unmittelbar aus dem Wertgesetz abzuleiten, so zerstört er es, da man sich hernach von der Bestimmung des Wertes als einer gesellschaftlich notwendigen Arbeit lossagen muß, und ihn aus dem Profit, aus der Rente und dem Arbeitslohn herauslöst. Ein solches Resultat war unumgänglich, da die Widersprüche zwischen dem Wertgesetz und den entwickelten kapitalistischen Verhältnissen mit den ihnen eigenen spezifischen Gesetzen auf einer falschen methodologischen Grundlage nicht mit Hilfe des Suchens nach vermittelnden Gliedern gelöst "wurden, sondern durch eine unmittelbare und direkte Anpassung des Konkreten an das Abstrakte, des spezifischen Gesetzes an das allgemeine. Durch eine solche Methode verwandelt sich das alU gemeine Gesetz selbst in eine formale Abstraktion, und die spezielle Forschung bedeutet groben Empirismus, der in verlogene Metaphysik umschlägt, indem er versucht, die spezifischen Gesetze unmittelbar durch formale Abstraktion aus dem allgemeinen Gesetz abzuleiten.32 Es muß erklärt werden, warum die Versuche der Klassiker der bürgerlichen politischen Ökonomie, die spezifischen Gesetze unmittelbar aus dem allgemeinen Gesetz zu erklären, Schiffbruch erlitten, oder, wenn man diese Frage in ihrer positiven Formulierung nimmt, worin die wirkliche Bedeutung der allgemeinen Gesetze besteht und welche Rolle ihnen bei der Erforschung des konkreten Materials zukommt. Die Darlegung der erkenntnistheoretischen Bedeutung der allgemeinen Gesetze verhilft zu einem tieferen Verständnis ihres Verhältnisses zu den spezifischen Gesetzen. Offensichtlich ist ein solches Verfahren auch methodologisch gerechtfertigt. Bekanntlich bemerkte Engels, daß in der Tat nicht diejenigen Chemiker den Sauerstoff entdeckt haben, die als erste unklar seine Existenz errieten, sondern die, die es verstanden haben, seine Bedeutung zu begreifen. Analog dazu könnte man sagen, daß es nicht darauf ankommt, eine Definition zu geben, was ein allge82 s. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, (Vierter Band des Kapitals) Teil 1, Staatlicher Verlag für politische Literatur 1954, S. 67 (russ.).
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meines Gesetz ist (obwohl eine solche Definition notwendig ist), sondern seinen Inhalt, seine Bedeutung, d. h. seine weltanschauliche und erkenntnistheoretische Rolle zu offenbaren. Anhand einer Analyse des Wertgesetzes und der spezifischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise wollen wir diesen Punkt näher erörtern. Das Wertgesetz reguliert die Verteilung der Arbeit unter den Verhältnissen der auf dem Privateigentum beruhenden Warenproduktion. Dieses Gesetz wirkte im wesentlichen in allen sozialökonomischen Formatonen, obwohl Umfang und Bedeutung der Warenproduktion in den verschiedenen Formationen nicht die gleichen waren. Infolgedessen erscheint das Wertgesetz im Hinblick auf das Gesetz des Mehrwerts, der Anarchie und der Konkurrenz sowie auf die anderen spezifischen Gesetze des Kapitalismus als allgemeines. Kann man der Ansicht sein, daß das Mehrwertgesetz als spezifisches nur die besondere Erscheinungsform des Wertgesetzes oder sogar des allgemeineren Gesetzes der unbedingten Übereinstimmung ist? Nach unserer Meinung ist es das nicht. Vor allem verallgemeinert das Wertgesetz nichts spezifisch Kapitalistisches. Es reguliert mit Hilfe des Mechanismus der Konkurrenz die Verteilung der Arbeit in den verschiedenen kapitalistischen Produktionssphären; das Mehrwertgesetz bringt die bestehenden antagonistischen Beziehungen zwischen der Klasse der Bourgeoisie und der Klasse des Proletariats zum Ausdruck, d. h. diese beiden Gesetze repräsentieren, wie aus ihrem Inhalt ersichtlich ist, zwei verschiedene, wenn auch miteinander in Zusammenhang stehende Verhältnisreihen und wirken selbständig. Das Wertgesetz existiert ohne das Mehrwertgesetz und kann auch ohne dieses auskommen, das letzte aber ist ohne das erste nicht denkbar. Wir haben hier eine interessante Erscheinung vor uns: Das Wertgesetz enthält nichts spezifisch kapitalistisches und verallgemeinert aber gleichzeitig den Kapitalismus, da er die höchste Stufe der Warenproduktion darstellt. Dieser Umstand ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Heben wir den ersten Teil hervor — das Wertgesetz spiegelt nichts spezifisch Kapitalistisches wider —, verweisen wir auf die Unzulänglichkeit einer direkten Ableitung der spezifischen Gesetze aus den allgemeinen (das Mehrwertgesetz kann man nicht auf deduktivem Wege unmittelbar auö dem Wertgesetz bestimmen), was die Klassiker der bürgerlichen Ökonomie getan haben; richten wir unser Augenmerk auf den zweiten Umstand — das allgemeine Wertgesetz ist eine Verallgemeinerung des Kapitalismus als der höchsten Form der Warenproduktion —, unterstreichen wir den Inhaltsreichtum und die methodische Bedeutsamkeit der allgemeinen Gesetze. Obwohl das Wertgesetz nicht ausschließlich
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Besonderheit der kapitalistischen Produktionsweise ist, tritt es doch in diesem Sinne gleichzeitig als1 abstraktestes und allgemeinstes Verhältnis auf, das die kapitalistische Produktionsweise charakterisiert. Also ist das allgemeine Gesetz, das das Wesen der spezifischen Gesetze nicht zum Ausdruck bringt, doch ihre Verallgemeinerung und daher auf die Erforschung des konkreten Materials, auf die Erkenntnis der spezifischen Gesetze anwendbar. Man könnte folgende Analogie anführen : In dem philosophischen Begriff der Bewegung liegt nichts Spezifisches, eine biologische Bewegungsform der Materie Charakterisierendes, und es wäre unmöglich, diese aus dem allgemeinen Begriff der Bewegung unter Auslassung der speziellen Forschung abzuleiten, obwohl auch im philosophischen Begriff der Bewegung die ganze Mannigfaltigkeit der Bewegungsformen der Materie verallgemeinert ist. Versuchen wir, wenn auch in allgemeinster Form, zu erklären, welche methodologische Rolle die allgemeinen Gesetze in Marx' Analyse der Besonderheiten in der Entwicklung der kapitalistischen sozialökonomischen Formation spielten. Die Erkenntnis eines jeden Gesetzes beginnt in der Wissenschaft mit der Unterscheidung der wesentlichen und unwesentlichen Zusammenhänge, des Zufälligen und Notwendigen, des für die betreffende Erscheinung Charakteristischen und des Uncharakteristischen. Mit anderen Worten, der Forscher muß das Objekt in seiner reinen Form betrachten, d. h. von allen Zusammenhängen und Beziehungen abstrahieren, die sich nicht aus der inneren Natur des betreffenden Gegenstandes ergeben, die nicht seine Qualität bestimmen, sondern nur auf seine Erscheinungsform Einfluß ausüben. In den Naturwissenschaften gebraucht man für diese Abstraktion das Experiment. So bedient man sich bei der Analyse chemischer Erscheinungen zur Beseitigung von Nebeneinflüssen der Reagenzien und bei der Analyse physikalischer Erscheinungen des Mikroskops. Kurz gesagt, man setzt das Experiment sö an, daß man den Gegenstand von allen zweitrangigen Zusammenhängen künstlich isoliert und die Erscheinung in reiner, von keinen äußeren Umständen beschatteter Form erhält. Das klassische Beispiel für ein solches Experimentieren ist die Pawlowsche Untersuchungsmethode der bedingten Reflexe. Ein anderes Bild bietet das gesellschaftliche Leben. Die Produktionsverhältnisse, der Wert, das Kapital usw. enthalten kein Atom Stoffliches und können nicht gefühlsmäßig wahrgenommen werden. Man kann die Farbe, die Fasson der vom Warenproduzenten hergestellten Stiefel sehen, aber wie sehr man seine Augen auch anstrengen würde, man kann nicht den in ihnen enthaltenen Wert erfassen. Deshalb können solche Kategorien wie Kapital, Mehrwert und Produktionsverhältnisse nicht als unmittelbare Analogien zu den sinnlich wahrnehmbaren Dingen 199
dargelegt werden. Das würde uns in die Sackgasse der Klassiker der bürgerlichen Ökonomie führen. Außerdem verflechten sich in der kapitalistischen Gesellschaft die Methoden der kapitalistischen Ausbeutung mit den Formen der feudalen und sogar der Sklavenhalterabhängigkeit. Hier erreicht man mit Experimenten des „reinen" Kapitalismus oder des Imperialismus nichts. Dem Forscher kommt die Kenntnis von den allgemeinen Gesetzen, die Kraft der wissenschaftlichen Abstraktion zu Hilfe, die bei einer Analyse von ihrer Kompliziertheit und Mannigfaltigkeit in Erstaunen setzenden gesellschaftlichen Erscheinungen gestattet, das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Wichtige vom Zweitrangigen zu unterscheiden. So untersucht Marx die Ware, indem er von den Einflüssen der feudalen Verhältnisse auf sie abstrahiert. Das ist nicht durch die apriorische Fähigkeit unseres Verstandes zu erklären, wie Immanuel Kant meinte, sondern dadurch, daß in den allgemeinen Gesetzen Zusammenhänge und Beziehungen fixiert werden, die der Produktion naturgemäß und von deren sozialökonomischer Form unabhängig sind. Die Kenntnis von den allgemeinen Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung gibt uns also das allgemein wissenschaftliche Kriterium der Wiederholbarkeit, durch das man von der Beschreibung und Sammlung von Erscheinungen zur strengen wissenschaftlichen Analyse, zur Herausarbeitung des Besonderen, Spezifischen übergehen kann. In der „Kritik der politischen Ökonomie" hob Marx hervor, daß die allgemeinen Gesetze, die für die Produktion überhaupt gelten, gerade deshalb herausgestellt werden müssen, damit man über der Einheit nicht den wesentlichen Unterschied vergißt. Das allgemeine Gesetz formuliert die Bedingungen, man könnte sagen den Ausgangspunkt, von dem die Eigenentwicklung des Gegenstandes, die aus seiner inneren Natur entspringt und seine spezifischen Gesetze formt, ihren Anfang nimmt. Die bürgerliche Philosophie und Soziologie, die sah, daß eine Anwendung der naturwissenschaftlichen Mittel (Experiment usw.) auf die Analyse des gesellschaftlichen Lebens unmöglich ist, und die glaubte, daß es in der Wirklichkeit nur Einheitliches, Einmaliges, Individuelles gäbe, kam zu dem Schluß, daß im gesellschaftlichen Leben das allgemein wissenschaftliche Prinzip der Wiederholbarkeit, die objektive Methode der Forschung nicht brauchbar sei. Die Freiburger neokantianische Schule (Rickert, Windelband) trat mit der auch für die bürgerliche Philosophie der Gegenwart charakteristische Leugnung der objektiven Existenz allgemeiner Gesetze hervor. So kommt nach Rickert dem Allgemeinen keine wirkliche Existenz zu, „nur das Einzelne entsteht wirklich" „wir leben inmitten des Individuellen" und ähnliches. Die Anerkennung der 200
objektiven Existenz allgemeiner Gesetze wurde zum Piatonismus erklärt. Auf der Grundlage dieser falschen Ansichten Rickerts stellte Windelband die Gesellschaftswissenschaften den Naturwissenschaften gegenüber. Die Naturwissenschaften werden ihrer Meinung nach als nomothetische, d. h. gesetzbestimmende Methode gebraucht, während die Wissenschaften vom gesellschaftlichen Leben (nach ihrer Terminologie die Kultur) als ideografische, d. h. beschreibende Methode Verwendung finden, da die Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens unwiederholbar und individuell sind. Dadurch wurde die Aufgabe der Gesellschaftswissenschaften auf das Sammeln und die Beschreibung historischer Fakten reduziert. Die Summe der Fakten jedoch — so groß sie auch sein mag — hat für sich keinen größeren wissenschaftlichen Wert als eine Briefmarkensammlung. Die modernen Semaritiker (Korshibski) reduzieren die Aufgabe von Soziologie und Geschichte auf die Beschreibung dessen, „was sich zugetragen hat", was von der unmittelbaren Gefühlsbetrachtung erfaßt wird. Nach Korshibski kommt es so heraus, daß sich der Historiker vom Philatelisten nicht unterscheiden soll. Die Methodologie der Freiburger Schule ist auch mit der Naturwissenschaft unvereinbar, mit derem reichen Inhalt die bürgerlichen Philosophen ihre Schemata zu füllen bestrebt sind. Die Verneinung der objektiven Existenz allgemeiner Gesetze führte Rickert nicht nur zur Leugnung der gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze, sondern auch der Gesetze der Naturwissenschaften. Wenn sich im Inhalt der naturwissenschaftlichen Begriffe, wie Rickert schreibt, nichts Individuelles findet, dann heißt das, daß in ihnen nichts Wirkliches ist. Wenn die Naturwissenschaft, die die Gesetze der Erscheinungen untersucht, das Allgemeine enthüllt, dann kann sie uns der Wirklichkeit nicht näher bringen. Ziehen wir das Fazit. Das Problem der allgemeinen und spezifischen Gesetze erhebt sich als ein Problem des Wechselverhältnisses zwischen den konkreten Wissenschaften und der Philosophie. Der Versuch, die spezifischen Gesetze auf die äußere Erscheinung der allgemeinen Gesetze zu reduzieren, führt in der konkreten wissenschaftlichen Forschung zur Vergewaltigung der Fakten, zu Subjektivismus und Schematismus. Die allgemeinen Gesetze drücken nicht das Wesen der spezifischen aus. So erklärt das Gesetz der Übereinstimmimg, daß die notwendigen Bedingungen für den Übergang von einer sozialökonomischen Formation zu einer anderen, progressiveren bildet, z . B . durchaus nicht die Besonderheiten des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Das Wertgesetz offenbart uns nicht die Geheimnisse der kapitalistischen Pro201
duktion, aber es ist die für die Deutung ihrer spezifischen Bewegungskräfte eine notwendige Bedingung, denn das allgemeine Gesetz tritt als abstrakter, einseitiger Ausdruck des einheitlichen Ganzen auf. Das Wertgesetz ist die notwendige Bedingung dafür, daß das die Besonderheit der kapitalistischen Produktion charakterisierende Mehrwertgesetz funktioniört. Jedoch bedarf das Gesagte der Präzisierung. Beispielweise ist die Sonne auch eine notwendige Bedingung für das Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wertgesetz bildet also nicht nur die notwendige und wesentliche Bedingung, sondern auch gleichermaßen die hinsichtlich der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus besondere. Deshalb wird gerade die Ware und so auch das Wertgesetz zum Ausgangspunkt für die Untersuchung der spezifischen Gesetze der kapitalistischen Produktion gemacht. Dieses Problem ist für die konkrete Forschung von großer Bedeutung. Warum, so fragt man, nimmt man nicht das allen Formationen eigene allgemeine Gesetz, das Gesetz der proportionalen Verteilung der Arbeit in den verschiedenen sozialökonomischen Formationen zum Ausgangspunkt? Es ist aber so, daß das allgemeine Gesetz von der Verteilung der Arbeit in den verschiedenen Formationen in einer Gesellschaft, in der es ein Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, die Form des Wertgesetzes annimmt und als Bindeglied zwischen dem allgemeinen Gesetz der Verteilung der Arbeit und den konkreten kapitalistischen Verhältnissen auftritt. Also ist das Wertgesetz ein Ausdruck der spezifischen wesentlichen Zusammenhänge und der Beziehungen zwischen' dem Warenproduzenten, wenn es ein Privateigentum sowie eine Anarchie der Produktion gibt und jeder nach seinem eigenen Ermessen produziert, ohne auf die Bedürfnisse der Gesellschaft im Ganzen zu achten, d. h. wenn die Verteilung des gesamten gesellschaftlichen Produktes nur auf Grund der Wirkung des spontanen Mechanismus im Austausch der Waren vorgenommen wird. Das heißt, daß sich die spezifischen Gesetze, wie es aus angeführtem Beispiel zu ersehen ist, als Erscheinungsform der allgemeinen offenbaren können, jedoch haben sie auch in diesem Falle ihre qualitative Bestimmtheit, und das allgemeine Gesetz kann nicht als Wesen des spezifischen betrachtet werden. Für den dialektischen Materialismus bedeutet die Abgrenzung der allgemeinen von den spezifischen Gesetzen nicht ihre Entgegensetzung, sondern die Aufdeckung ihres wechselseitigen Zusammenhangs. Die allgemeinen Entwicklungsgesetze können in der Form von spezifischen hervortreten. So ist das Gesetz von Einheit und Kampf der Gegensätze ein allgemeines Entwicklungsgesetz der Wirklichkeit. Der Allgemeinheit und Abstraktheit des Gesetzes von Einheit und Kampf der Gegensätze entspringt die marxistische These von der Ewigkeit dieses Gesetzes der materialistichen Dialektik. Aber da das allgemeine Gesetz von der Ein202
heit und des Kampfes der Gegensätze durch das Einzelne zum Ausdruck kommt, das Einzelne aber endlich ist, so ist dieses Gesetz in seinen spezifischen Erscheinungsformen historisch. Man könnte noch eine Reihe analoger Beispiele anführen. Das Gesetz der Verteilung der Arbeit in den verschiedenen sozialökonomischen Formationen stellt sich uns im Kapitalismus in der Form des Wertgesetzes und im Sozialismus in der Form des Gesetzes von der planmäßigen und proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft dar. Daraus folgt, daß sich die allgemeinen Gesetze auch in den spezifischen offenbaren können. Das ist unbestreitbar. Aber ihren Inhalt darf man nicht allein auf die Äußerung der allgemeinen Gesetze reduzieren. Dies läßt siclLan Hand des folgenden, aus dem Alltag genommenen Beispiels erklären. Derjenige, der jegliche Möglichkeit eines Erscheinens von allgemeinen Gesetzen in der Form der spezifischen leugnete, gliche einem Menschen, der Obst verlangt, dann aber Birnen, Kirschen, Äpfel usw. mit der Begründung ablehnt, daß es sich hier zwar um Birnen und Kirschen, aber nicht um Obst handelt. Und der, der glaubte, Äpfel, Birnen usw. seien einfache Modi von „Frucht", der wäre Gärtner nur in seiner eigenen Vorstellung und könnte mit Erfolg Seidelbast anstelle von Weintrauben ziehen. Somit haben die allgemeinen Gesetze eine selbständige objektive Existenz. Sie realisieren sich in den konkreten Prozessen," die den spezifischen Gesetzen untergeordnet sind. Die Wechselwirkung zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzen kann nicht auf die Korrelation von Wesen und Erscheinung zurückgeführt werden. Die wirklichen Beziehungen zwischen ihnen sind, wie W. I. Lenin hervorgehoben hat, reicher und vielfältiger. Diese Mannigfaltigkeit zu enthüllen, ist eine dankbare Aufgabe für die wissenschaftliche Forschung. „Mitteilungen der Moskauer Universität, Reihe Ökonomie, Philosophie und Recht", Heft 3, 1958.
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Die wesentlichen Entwicklungsetappen der Kategorie „Materie" I. W. NIKOLAJEW Der dialektische Materialismus fordert ein historisches Herangehen an die zu untersuchenden Gegensätze. Diese Forderung ist auch auf die Kategorien anzuwenden. Ist diese oder jene Kategorie Gegenstand der Forschung, so muß man ihre Entwicklungsgeschichte verfolgen. Man muß zeigen, wie diese Kategorie entstanden ist, wie sie sich entwickelt und mit dem heutigen Inhalt gefüllt hat. Die Untersuchung der Kategorien in ihrem historischen Zusammenhang, in ihrem Werden und in ihrer Entwicklung gibt uns die Möglichkeit, ihren heutigen Gehalt besser zu verstehen, und verhilft zu ihrer richtigeren Ausnutzung in der Praxis des Denkens. Die Entwicklungsgeschichte der Kategorie „Materie" müssen wir von der Entwicklungsgeschichte der objektiv existierenden Materie selbst unterscheiden. So wie zwischen Begriff und Gegenstand ein Unterschied besteht, fällt auch die Geschichte der Kategorien nicht mit der materiellen Welt zusammen. Die Kategorie „Materie" als besondere Art des theoretischen Wissens ist eine Kategorie der Philosophie: Deshalb können wir uns bei der Untersuchung der wichtigsten Entwicklungsetappen der Kategorie „Materie" auf die Analyse einer Wissenschaft, der Geschichte der Philosophie beschränken. Das heißt natürlich nicht, daß sich die zu betrachtende Kategorie von allen anderen Wissenschaften losgelöst entwickelt hat. Wir wissen, daß sich die Philosophie immer an den konkreten Wissenschaften bereicherte. Aber trotz allem dürfen wir nicht vergessen, daß die Kategorie „Materie" Ergebnis des philosophischen Denkens ist. Deshalb werden wir auch die Geschichte der Kategorie „Materie" nicht im Denken schlechthin, sondern vor allem im philosophischen Denken, in der Geschichte der Philosophie zu suchen haben. Die Geschichte der Philosophie hat einen langen und komplizierten Weg zurückgelegt. Hier gab es Irrwege, Abweichungen, Irrtümer und Rückschläge. Müssen wir bei der Analyse der Geschichte der Kategorie „Materie" die ganzen verschlungenen Wege der Philosophiegeschichte 205
verfolgen ? Dazu liegt wohl keine Notwendigkeit vor. Wir werden uns bemühen, hier nur die wichtigsten Etappen in der Geschichte der Kategorie „Materie" zu umreißen, und deshalb nicht bei den kleinen Besonderheiten in der Behandlung dieser Kategorie verweilen. Das heißt, daß die Anschauungen einiger Philosophen, die keinen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Kategorie „Materie" geliefert oder die sich sogar rückläufig bewegt haben, überhaupt aus unserem Gesichtskreis herausfallen werden. Im folgenden werden wir uns um die Darlegung dessen bemühen, wie die Kategorie „Materie" entstanden und begriffen worden ist und wie sie sich mit einem dialektischen Inhalt gefüllt hat. I Es ist allgemein bekannt, daß die Kategorie „Materie" die allgemeinste Kategorie der Philosophie ist, weshalb wir ihr auch in den frühesten Entwicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft noch nicht begegnen. In den Arbeiten Backofens, Mac Lennans, Morgans, Miklucho-Maclays, Levy-Bruhls und anderer Ethnographen wird gezeigt, daß es in den frühesten Entwicklungsstufen des Denkens noch keinen Platz für besondere allgemeine Begriffe vom Typ „Zahl", „Pflanze", „Mineral" u. a. gab. Umso mehr trifft das auf den Begriff „Materie" Zu. Um zu dieser höheren Form der Verallgemeinerung zu gelangen, mußt« erst die Fähigkeit zu verallgemeinern, genügend entwickelt werden. Und das wiederum war nur auf der Basis eines genügend hohen Standes der menschlichen Produktionstätigkeit möglich. Die ersten Verallgemeinerungen, die den ganzen Reichtum der den Menschen umgebenden Welt zu erfassen suchten, tauchten bereits im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung auf. So ist zum Beispiel in einem der ältesten chinesischen Literaturdenkmäler, dem „Schidsching" (dem „Buch der historischen Überlieferungen") von fünf ursprünglichen Elementen die Rede, aus denen die Welt besteht. Es sind dies Feuer, Wasser, Holz, Metall und Erde, das heißt die Dinge, mit denen die Menschen im täglichen Leben am häufigsten in Berührung kommen. Die Auswahl dieser Grundstoffe war nicht zufallig, sie unterstreicht vielmehr den bereits erwähnten Gedanken, daß die Verallgemeinerungen ihre Wurzeln-im täglichen Leben, vor allem in der Produktionstätigkeit des Menschen haben. Es ist bezeichnend, daß auch die ersten philosophischen Schulen in Indien ähnliche Stoffe für die Grundlagen alles Seienden hielten. Die Philosophie der Tscharwaken-lehrte, daß nur eine Welt existiert, und daß diese aus vier Elementen besteht: aus Luft, Feuer, Wasser und Erde. Eine Verbindung dieser Elemente in verschiedenen Proportionen ergibt die verschiedenen Dinge, darunter auch den Menschen mit seinen besonderen Eigenschaften des Fühlens und Denkens. 206
Den nächsten Schritt auf dem Wege zur Herausbildung der Kategorie „Materie" taten die Begründer der altgriechischen Philosophie. Die Philosophen des alten Griechenlands errichteten ihre Lehre von der materiellen Welt auf der Grundlage eben der Elemente, die für die indische Philosophie der Tscharwaken charakteristisch war, doch sie gingen noch einen Schritt weiter. Sie bemühten sich, die ganze Vielfalt der objektiven Welt auf einen dieser Urstoffe zurückzuführen: auf das Wasser (Thaies), auf die Luft (Anaximenes), auf das Feuer (Heraklit), auf ein unbestimmtes Element — das Apeiron (Anaximander). Sie konnten sich noch nicht von einer konkreten, dinglichen Vorstellung der Materie lösen, doch sie unternahmen hartnäckige Anstrengungen, diese konkrete Vorstellung zu überwinden. Man begegnet in der altgriechischen Philosophie auch Versuchen einer Wiederhinwendung zu den vier ursprünglichen Elementen (zum Beispiel in der Philosophie des Empedokles), doch ungeachtet dieses Zurückgehens bahnt sich die Grundtendenz der Erforschung alles Existierenden zu eben diesem Einen, Unbestimmten den Weg. Unter den altgriechischen materialistischen Philosophen gebührt Demokrit eine besondere Beachtung. Die Lehre Demokrits ist uns fast vollständig erhalten, und in ihr kommt-am deutlichsten die Tendenz zunl Ausdruck, die Vielfältigkeit alles Seienden auf einen allgemeinen Stoff zurückzuführen. Er lehrte, daß es auf der Welt nichts gebe außer Atomen und dem leeren Baum. Gefühlseinwirkungen erklärte Demokrit als Unterschied in Ordnung, Form und Lage der auf den empfindenden Körper einwirkenden Atome. Über das Denken sagte er, wie Theophrast bezeugt, nur das eine, daß es nämlich „bei einem harmonischen Zustand der Seele von dem sie bildenden Gemisch abhängt. Auf diese Weise wird erklärt," so schließt Theophrast, „daß er das Denken von dem Gemisch abhängig macht, das den Körper bildet, und daß es infolgedessen vielleicht auch die Seele durch den Körper hervorbringt."1 Die Seele ist, vom Standpunkt Demokrits aus gesehen, „ein Feuer und ein Warmes. Von den unzähligen Gestalten und Atomen galten ihm die kugelförmigen (Atome) als das Feuer und als die Seele . . . " 2 Demokrit erkennt sehr klar die Grundlinie, die Grundaufgabe des Materialismus, die darin besteht, bei einer Erklärung der Welt des 3ewußtseins von einer Analyse der materiellen Welt auszugehen. Das Verdienst der Lehre Demokrits sowie auch des ganzen altgriechischen Materialismus besteht darin, daß sie versuchten, die ganze Vielfältigkeit der Welt auf eine einzige materielle Grundlage zurückzuführen. Doch aus den angeführten Zitaten ist nicht nur die Stärke, sondern auch die Schwäche des altgriechischen Materialismus ersichtlich. Zunächst einmal muß die 1 2
Die Materialisten des alten Griechenlands, 1955, S. 80 (russ.). Aristoteles, Drei Bücher über die Seele, Leipzig 1871, S. 14/15.
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Vorstellung von der Welt als Ganzem der Vorstellung von irgend einem Teilchen dieser Welt (in diesem Fall der Vorstellung von dem Atom) weichen. Zum anderen ließ dieser Materialismus im Grunde genommen Ideelles im Materiellen, Elemente des Bewußtseins in Elementen des Seins. Das führte dazu, daß das jreal existierende Problem der Wechselbeziehung von Materie und Geist, von Sein und Denken letzten Endes dn die allgemeine Lehre vom Sein einging. Wenn alles Seiende nur auf das Wasser oder nur auf das Feuer oder nur auf Atome und den leeren Raum zurückgeführt wird, so bleibt kein Platz mehr für die Wechselbeziehungen zwischen den Gegenständen und ihren Abbildern, zwischen dem Sein und dem Denken. „Die antike Philosophie", so schreibt Engels, „war ursprünglicher, naturwüchsiger Materialismus. Als solcher war sie unfähig, mit dem, Verhältnis des Denkens zur Materie ins reine zu kommen. Die Notwendigkeit aber, hierüber klarzuwerden, führte zur Lehre von einer vom Körper trennbaren Seele, dann zu der Behauptung der Unsterblichkeit dieser Seele, endlich zum Monotheismus. Der alte Materialismus wurde also negiert durch den Idealismus." 3 Auf die Schwächen dieses spontanen Materialismus spekulierend, entstanden im alten Griechenland verschiedene idealistische Schulen. Der größte Vertreter dieser Reaktion auf den Materialismus war Plato, der behauptete, daß die Ideen wirklich existierten und prinzipiell von den Dingen unterschiedlich seien; wenn der Mensch etwas schafft, so hat er bereits die Ideen als Grundlage der werdenden Dinge im Kopf. Plato behauptete, daß man das Seiende nicht nur auf materielle Dinge zurückführen könne, wie die griechischen Materalisten das taten. So entstand ein ernstes Hemmnis auf dem Weg zur Bildung eines einheitlichen, allumfassenden Begriffs der „Materie". Zu Ehren der altgriechisehen Philosophie muß man noch sagen, daß bereits Aristoteles dem Idealismus ernsthaft entgegentrat. Genauer gesagt, trat er einen großen Schritt nach vorn hinsichtlich der Widerlegung einer offensichtlichen Teilung der Welt in die Welt der Ideen und die Welt der Dinge. Worin bestand dieser Schritt ? Aristoteles stellt die Frage nach den Ideen im Rahmen der Erkenntnistheorie. Er zeigte und unterstrich, daß die Ideen Bilder der Wirklichkeit, des Seins sind. „Aus den Ideen . . . erhält man nicht das übrige Sein . . ." 4 Im Sein existiert keinerlei Idee, das Sein kann man nicht in zwei Teile teilen. Was aber existiert dann im Sein ? Welche Voraussetzungen enthält das Sein für die Geburt der Idee ? Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, unterscheidet Aristoteles zwei Seiten des Seins: die Ma3 Friedrich Engels, Anti-Dühring, Berlin 1958, S. 169—170 (vom Verfasser hervorgehoben). 4 Aristoteles, Methaphysik, 1934, S. 35 (russ.).
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terie und die Form. Die Materie ist das, was immer erhalten bleibt, das ursprüngliche, objektive Baumaterial der Dinge. „Ich nenne das erste, zugrunde liegende eines jeden Dinges Materie, das, aus dem irgend ein Ding entsteht", sagt Aristoteles.5 Die Form dagegen ist das, was sich in den Dingen verändert, was durch die menschliche „Seele" aufgenommen werden kann. In diesem Sinne ist auch der Ausspruch Aristoteles' über die Erkenntnis zu verstehen. „Allgemein von jedem Sinne gilt, daß der Sinn die wahrnehmbaren Formen ohne den Stoff erfaßt, wie das Wachs das Zeichen des Siegelringes ohne das Eisen oder Gold aufnimmt; es empfangt das goldene oder eherne Zeichen, aber nicht so weit es Erz oder Gold ist."* Das große Verdienst Aristoteles' besteht darin, daß. er als erster in der Geschichte der Philosophie die Kategorie „Materie" in ihrer abstraktlogischen Form gebrauchte. Aristoteles war in vielem rückschrittlicher als Demokrit, dosh mit seiner Herausarbeitung der Kategorie „Materie" ging er weiter als dieser. Aus den angeführten Zitaten ist klar ersichtlich, daß Aristoteles seine Vorstellung von der objektiven Realität weder auf das Wasser noch auf das Feuer noch auf das Atom noch auf eine andere konkrete Form des Stofflichen bezieht; er spricht von der „Materie" überhaupt. Es gab also zunächst eine Zeit, in der die Menschen die objektive Existenz der Dinge nur in Form einzelner abgegrenzter Gegenstände begriffen. Damals existierte noch keine Wissenschaft und auch keine Philosophie. Dann begannen die Menschen, aus den sie umgebenden Gegenständen eine Reihe besonderer in der Eigenschaft als Verkörperung der gesamten objektiven Welt herauszutrennen. Das war der Beginn eines wissenschaftlichen Erfassens der Wirklichkeit, die Stufe des Besonderen. Schließlich erhob sich — in der Gestalt des Aristoteles — die Menschheit auf die Stufe des Allgemeinen. Von die'sem Zeitpunkt an beginnen die Philosophen von der „Materie" überhaupt zu sprechen, ohne diesen Begriff mit irgend einer bestimmten Form der „Materie" in Zusammenhang zu bringen. Die alten Vorstellungen von den Elementen, von den Atomen und anderen konkreten Formen des Stofflichen verschwanden natürlich nicht spurlos ; sie wurden in einer Reihe konkreter Wissenschaften erhalten, vervollkommnet und weiterentwickelt. So wurde zum Beispiel nachgewiesen, daß das Wasser aus zwei Elementen besteht, die Luft aus fünf und daß es neben den Atomen noch andere kleinste Teilchen gibt und anderes mehr. Ja, im Verlauf der Entwicklung der Wissenschaften tauchten auch neue Vorstellungen von den besonderen Formen der „Materie" auf. Doch neben diesen existiert noch der Begriff „Materie" überhaupt, der eine spezifische Errungenschaft der Philosophie darstellt. 5 6
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Aristoteles, Physik, 1, 9, 192 a (russ.). Aristoteles, „Drei Bücher über die Seele", Leipzig 1871, S. 122.
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Aristoteles arbeitete einen allgemeinen Begriff für die Bezeichnung der Einheit der uns umgebenden Welt heraus. Den Ursprung sah er in der objektiven Realität. Er führte den Gebrauch der Kategorie „Materie" ein. Doch damit war das Problem der Kategorie „Materie" noch nicht ausgeschöpft; denn diese Kategorie, die ein Ausdruck der Einheit und Gesamtheit aller Dinge ist, ist, für sich selbst genommen, nichts anderes als ein allgemeiner Begriff, die sogenannte Universalität. Es genügt nicht, die Kategorie „Materie" zu schaffen, man muß sie vor allem auch erklären. Aristoteles berührte das Problem des Ursprungs des Allgemeinen schon sehr dicht. Es mußte nur noch aufgezeigt werden, wie sich das Allgemeine im Bewußtsein widerspiegelt, wie sich der allgemeine Begriff (die Universalität) der „Materie" bildet. Eine endgültige Antwort auf diese Fragen konnte Aris toteles nicht geben. Er verwirrte sich in dem Problem des Allgemeinen und des Einzelnen. Er war fest davon überzeugt, daß die „sinnlich-erkennbaren (Gegenstände) einzeln" seien7, daß man mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung nicht das Allgemeine erkennen könne.8 Wie wäre es in diesem Falle möglich gewesen, die Bildung der Kategorie „Materie" zu verstehen, wenn die „Materie" das Allgemeine ist, das uns in unseren Gefühlen und Wahrnehmungen nicht gegeben ist ? Das läuft darauf hinaus, daß die „Materie" „an und für sich unerkennbar" ist9, daß nur die einzelnen, besonderen Dinge erkennbar sind. W. I. Lenin schrieb in seinem Konspekt zur „Metaphysik" des Aristoteles bekanntlich die These heraus, daß „die Materie an und für sich unerkennbar" sei, daß sie nur intelligibel sei, „wenn sie sich im sinnlich Wahrnehmbaren befindet, aber nicht, sofern es sinnlich wahrnehmbar i s t . . ."10 Und weiter unterstrich Lenin, daß sich „der Mann (gemeint ist Aristoteles)... gerade in der Dialektik des Allgemeinen und des Besonderen, des Begriffes und der Empfindung etc., des Wesens und der Erscheinung etc." verwickelt.11 Aus diesem Widerspruch zwischen Allgemeinen und Besonderem, zwischen Begriff und Empfindung vermochte sich Aristoteles nicht herauszufinden. Mehr noch, auch nach Aristoteles konnten die Philosophen noch lange Zeit nicht diese Widersprüche lösen und das Problem der Universalität klären. Mit Aristoteles endet im Grunde genommen die erste Etappe der Philosophiegeschichte und gleichzeitig auch die erste Entwicklungsetappe der Kategorie „Materie". Die Vorgeschichte hört auf; es beginnt ihre philosophische Geschichte. Das Problem der Kategorie „Materie" 7 8 8 10 11
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Aristoteles, Drei Bücher über die Seele, vgl. S. 88. Siehe Aristoteles, Analytik, 1952, S. 242 (russ.). Aristoteles, Metaphysik, S. 128 (russ.). W. I. Lenin, Aus dem philosopischen Nachlaß, Berlin 1954, S. 293. Ebenda, S. 296.
war gestellt worden; jetzt mußte eine Erklärung gefunden werden. Die Kategorie „Materie" konnte sich nicht weiterentwickeln, bevor nicht ihr Verhältnis zur wirklich existierenden Materie aufgezeigt worden war.
n Wie wurde nun die Frage über den Ursprung der allgemeinen Begriffe, darunter auch des allgemeinen Begriffes, als der der Begriff „Materie" erscheint, geklärt ? Aus Platzmangel verziohten wir hier auf eine Charakteristik des Meinungsstreites, den die Philosophen des Mittelalters um diese Frage geführt haben« Der Schlüssel zur Lösung dieser Frage lag nicht in den philosophischen Streitgesprächen, sondern in der Entwicklung der Industrie und der experimentellen Wissenschaften. Die Entwicklung der Industrie verlangte Kenntnisse, besonders Allgemeinkenntnisse, die man auf weiter Ebene anwenden konnte. Die Entwicklung der experimentellen Wissenschaften erlaubte es, vom scholastischen Traktat über die allgemeinen Begriffe zur konkreten Forschung überzugehen, zur Erforschung dessen, wie diese allgemeinen Begriffe sich im Prozeß des Studierens und der wissenschaftlichen Untersuchungen bei den einzelnen Individuen herausbilden. Zu Beginn des 16, Jahrhunderts bahnte sich besonders in England eine neue Blütezeit des Materialismus an. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde dieser Materialismus unter anderen von F. Bacon, Th. Hobbes und J. Locke vertreten. Der englische Materialismus überhaupt tat eineti. gewaltigen Schritt nach vorn in Bezug auf den Materialismus des alten Griechenlands; in der Frage über den Ursprung allgemeiner Begriffe jedoch sehen wir hier ein hartnäckiges Suchen nach der Lösung dieses Problems. Nach Locke erhält das Individuum allgemeine und komplizierte Begriffe als Resultat einer Verarbeitimg besonderer, einfacher Begriffe im Gehirn."... Die Seele", so schreibt er, „verallgemeinert die besonderen Ideen, die sie von den einzelnen Objekten empfangen hat."12 Das bedeutet, daß das Allgemeine aus dem Einzelnen in der Sphäre des Denkens geschaffen wird. Locke kam auch selbst zu diesem Schluß: „ . . . Das Allgemeine und Universelle", so heißt es bei ihm, „gehört nicht zur wirklichen Existenz der Dinge, sondern es wird durch den Verstand für den eigenen Gebrauch erfunden und geschaffen . . .'