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German Pages 293 Year 2006
HENDRIK THIES
Pflichtangebot nach Umwandlungen
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Bonn Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 9
Pflichtangebot nach Umwandlungen Zum Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht
Von
Hendrik Thies
Duncker & Humblot . Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Wintersemester 200512006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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© 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 3-428-12162-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 § Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Die vorliegende Fassung befindet sich auf dem Stand vom 31. März 2006. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt LL.M., an dessen Lehrstuhl ich zwei sehr lehrreiche und schöne Jahre verbringen durfte und hervorragende Forschungsbedingungen vorfand. Herrn Prof. Dr. Peter Sester danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Wertvolle Anregungen verdanke ich meinen Freunden sowie meinen ehemaligen Kollegen vom Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Abteilung TI: Dr. Philipp Wiesenecker, Dr. Silvia Braun, Dr. Katrin Hancke, Dr. Jens Binder und Julien Köhrle. Meinen Eltern danke ich für die großzügige Finanzierung und Unterstützung meiner Studienjahre. Besonders danke ich meiner Ehefrau Andrea für ihre Unterstützung - ohne dich wäre alles weniger. Freiburg, im April 2006
Hendrik Thies
Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
I. Einführung in die Problematik.....................................................
21
n. Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1. Kapitel
Regelungsziele und Verfahren des Umwandlungsund des Übernahmerechts
23
I. Das Umwandlungsgesetz ..........................................................
24
1. Regelungsziele und Schutzmechanismen ........................................
24
a) Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) ......................... . . . . . . .
25
b) Ausscheiden gegen Barabfindung (§ 29 UmwG) .............................
25
c) Prüfung des Umtauschverhältnisses und des Abfindungsangebotes ...........
27
d) Anderweitige Veräußerung (§ 33 UmwG) ....................................
28
e) Informationsrechte der Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung.... . ....
28
f) Umwandlungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit ..........................
29
g) Rechtsschutz der Aktionäre .......... . .......................................
29
h) Schadensersatzanspruch ......................................................
30
2. Ablauf des Umwandlungsverfahrens ............................................
31
a) Planungsphase ............. . ................... . .................. . ..........
31
b) Vorbereitungsphase ..........................................................
31
c) Beschlussphase ..............................................................
32
d) Vollzugsphase ................................................................
33
n. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz ....................................
34
1. Regelungsziele und Schutzmechanismen ........................................
34
a) Einfaches Erwerbsangebot (§§ 10 ff., 2 Abs. 1 WpÜG) .......................
35
b) Übernahmeangebot gemäß § 29 Abs. 1 WpÜG ...............................
36
8
Inhaltsverzeichnis c) Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ....................................
37
aa) Regelungsziele des Pflichtangebotes .......................... . . . . . . . . . . .
38
bb) Drittschützende Wirkung und private Durchsetzung ......................
39
(1) Kein subjektiv öffentliches Recht....................................
40
(2) Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ...............................
42
(3) Gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit der Gegenleistung... . . . .
44
(4) Stirnmrechtsverlust (§ 59 WpÜG) ...................................
45
(5) Zinsanspruch (§ 38 WpÜG) .........................................
45
(6) Fazit ................................................................
45
cc) Hoheitliche Durchsetzung des Pflichtangebotes ..........................
46
2. Ablauf des Pflichtangebotsverfahrens ...........................................
47
a) Vorangebotsphase ............................................................
48
b) Angebotsphase ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
c) Annahmephase . .. . .. .. .. .. .. . .. . . .. .. . . . . .. . .. .. . .. . .. .. . . .. . .. . . . .. .. .. .. .. .
49
d) Nachannahmephase ..........................................................
50
2. Kapitel
Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
51
I. Problemstellung ...................................................................
51
1. Kontrollerwerb durch Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft .......
51
2. Kontrollerwerb durch Umwandlung unter Beteiligung der Zielgesellschaft ......
52
ll. Anwendbarkeit des Übemahrnerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft
56
1. Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2. Die Gesetzesbegründung ........................................................
57
3. Systematische Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
a) § 36 Nr. 3 WpÜG ............................................................
60
b) § 35 Abs. 3 WpÜG.... .... ... .... ........... ..... ......... ... ................
60
c) Vergleich von § 35 WpÜG und Art. 16 des Übernahmekodex ....... . .........
61
d) Zwischenergebnis............................................................
62
4. Wird das Regelungsziel des § 35 Abs. 2 WpÜG bereits durch das UmwG erreicht? ..........................................................................
62
a) Bedeutung der ratio legis im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen ...
62
aa) Kontrollprämien im Rahmen von Umwandlungen .......................
63
bb) Gefahr von Kursverlusten ...............................................
64
Inhaltsverzeichnis b) Werden die Aktionäre bereits ausreichend durch das UmwG geschützt?
9 66
aa) Umwandlungsbeschluss .................................................
67
bb) Umtauschverhältnis .....................................................
67
cc) Austrittsrecht gemäß § 29 UmwG .......................................
70
dd) Zwischenergebnis .......................................................
71
c) Gefahr der Umgehung der Norm durch die Praxis ............................
71
5. Rechtsvergleichung und Europäische Übernahmerichtlinie ......................
71
a) Großbritannien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
aa) Takeover ................................................................
73
bb) Vereinbarung eines Mergers gemäß Companies Act 1985 sec. 425-427A
74
b) Frankreich...................................................................
76
c) Österreich ........................ ~ ..... : .". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
d) USA .........................................................................
79
e) Europäische Übernahmerichtlinie vom 21. 04. 2004 ..........................
81
6. Zwischenergebnis ......... . .... . ............ . ....................... . ...........
81
ill. Lösung der drei Fallgruppen .......................................................
82
1. Generelle Anwendung oder differenzierende Lösung? ...........................
82
a) Fallgruppe 1: Verschmelzung einer kontrollierten auf eine nicht kontrollierte Aktiengesellschaft ...........................................................
82
b) Fallgruppe 2: Verschmelzung einer nicht kontrollierten auf eine kontrollierte Aktiengesellschaft ...........................................................
84
aa) Möglichkeit einer teleologischen extensiven Auslegung? ................
86
bb) Analoge Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG ............................
89
(1) Regelungslücke .....................................................
(2) Analogieverbot des Art. 103 GG und Gesetzesvorbehalt .............
89 93
cc) Keine analoge Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG ...............
95
dd) Ergebnis ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
c) Fallgruppe 3: Verschmelzung einer kontrollierten und einer nicht kontrollierten auf eine bestehende dritte Aktiengesellschaft .............................
95
2. Umfang des Pflichtangebotes ...................................................
97
a) Bloßes Teilangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
b) Dogmatische Begründung ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
aa) Teleologische Reduktion von § 35 Abs. 2 WpÜG bei der 1. und 3. Fallgruppe.... .... ........... ... ............................... .... ... .......
98
bb) Eingeschränkte Analogie bei der 2. Fallgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 c) Praktische Durchführung des Teilangebotes .............................. . ... 100
10
Inhaltsverzeichnis
IV. Einheitliches fallgruppenübergreifendes Lösungskonzept
100
V. Vorschlag de lege ferenda ......................................................... 101 VI. Pflichtangebot nach einer Spaltung ................................................ 102
3. Kapitel
Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
103
I. Verzicht auf ein Pflichtangebot durch Zustimmung der Aktionäre zum Umwandlungsbeschluss? ................................................................... 103 II. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG ................................................ 105 1. Zusammentreffen der Austrittsrechte des § 29 Abs. 1 UmwG und des § 35 Abs. 2
WpÜG .......................................................................... 107 a) Zumutbarkeit einer doppelten Angebotsverpflichtung? ....................... 109 b) Ausreichender Schutz der Aktionäre und der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte durch § 29 UmwG? ................................................... 110 aa) Kontrollerwerber und übernehmender Rechtsträger als Verpflichtete..... 111 bb) Grundsätzlich höherer Abfindungsbetrag im Rahmen von § 29 Abs. 1 UmwG .................................................................. 111 cc) Pflichtangebot in Form von liquiden Aktien ............................. 113 dd) Haftung für die Richtigkeit der Angebotsunterlage (§ 12 WpÜG) ........ 114 ee) Haftung einer Bank bei fehlerhafter Finanzierung des Angebotes (§ 13 Abs. 2 WpÜG) .......................................................... 114 ff) Befugnisse der BaFin und gerichtliche Durchsetzbarkeit der Barabfin-
dung .................................................................... 115
gg) Bewertung .............................................................. 116 c) Kein Zurücktreten des § 35 WpÜG gegenüber § 29 UmwG im Wege der normverdrängenden Konkurrenz ............................................. 117 aa) Keine Spezialität ........................................................ 117 bb) Keine erschöpfende Regelung ........................................... 118 cc) Alternative Konkurrenz.................................................. 118 dd) Ausdrückliche Regelung einer Spezialität de lege ferenda? ............... 119 d) Bedingte Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG ............................... 119 2. "Whitewash"-Beschluss der Hauptversammlung ................................ 122 3. Vorheriges freiwilliges Angebot des späteren Kontrollerwerbers ................. 125 4. Stabiler oder steigender Aktienkurs nach der Umwandlung...................... 128
Inhaltsverzeichnis
ill. Kumulation von Verfahrensvorschriften des WpÜG und UmwG
11
131
1. Veröffentlichung der Kontrollerlangung ......................................... 132 2. Mitteilung des Kontrollerwerbs gegenüber der Zielgesellschaft und dem Betriebsrat.... . ... ... ... .. ...... .. . ... .... ... .. ... ..... ... .. ..... . .. . . ... .... .... .. 133 3. Begründete Stellungnahme des Vorstandes und des Aufsichtsrates ............... 134 4. Angaben in der Angebotsunterlage .............................................. 134 5. Vorschlag de lege ferenda ....... . ............... . ............................... 135 IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen. . . . . . . .. 136 1. Börsenkurs der übernehmenden oder der übertragenden Gesellschaft ............ 136 2. Sind Verbundeffekte aus dem Börsenkurs herauszurechnen - unangemessene Preisbildung nach Umwandlungen? ............ ,................................ 138 3. Umwandlung der Zielgesellschaft als "Vorerwerb" LS.v. § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG? ......................................................................... 140 a) Restriktive Auslegung? ...................................................... 143 b) Teleologische Reduktion..................................................... 144 c) Vorschlag de lege ferenda .................................................... 145 4. Vorerwerb von Aktien der übertragenden Gesellschaft. . .. ... .... . . .. .. .. .... .... 145
4. Kapitel Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
148
I. Umwandlung einer konzernangehörigen mit einer außerlullb des Konzerns stehenden Gesellschaft................................................................... 148
1. Verschmelzung einer Muttergesellschaft mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft............................................................. 149 a) Entstehung von zwei Angebotsverpflichtungen ............................... 149 aa) Unmittelbare Kontrollerlangung ......................................... 150 bb) Mittelbare Kontrollerlangung ............................................ 150 (1) Kontrollbegriff des § 29 Abs. 2 WpÜG ..............................
151
(2) Abhängigkeitstatbestand des § 17 AktG ............................. 152 (3) Vermittelnde Lösung von Hommelhoff IWitt ........................ 153 (4) Stellungnahme ............................................... . . . .... 153 b) Keine Konkurrenz der beiden Austrittsrechte ............................ 155 c) WIrtschaftliche Folgen .................................................. 155
12
Inhaltsverzeichnis d) Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG . . .. . .. .. . ... ... .. . ... ... .. . . .. .. . ... .. .. 156 aa) Befreiung gemäß § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO .......................... 156 bb) Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 2. Alt. WpÜG ............................. 157 cc) Anhebung des Grenzwertes des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO de lege ferenda? ................................................................. 158 2. Verschmelzung einer Tochtergesellschaft mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft............................................................. 161 a) Entstehung von drei Angebotsverpflichtungen? .............................. 162 b) Wirtschaftliche Folgen ....................................................... 163 c) Keine doppelte Angebotsverpflichtung von Mutter und Tochter gegenüber den Aktionären der unteren Gesellschaft ..................................... 163 aa) FünfLösungsvarianten .................................................. 164 bb) Keine Absorption........................................................ 166 cc) Fehlende Regelungslücke aufgrund des Diskussionsentwurfs vom 29.06. 2000 .................................................................... 167 dd) Restriktive Auslegung des § 35 WpÜG .................................. 169 ee) Aufwand einer Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 5. Alt. WpÜG .. .. .. . ... .... 171 ff) Vorschlag de lege ferenda ............................................... 171
3. Ergebnis .......................................................... . ............. 172 IT. Umwandlungsvorgänge innerhalb eines Konzerns - § 36 Nr. 3 WpÜG ............. 172 1. Umstrukturierung innerhalb eines Konzerns i.S.v. § 36 Nr. 3 WpÜG ............. 173 a) Umstrukturierung ............................................................ 174 b) Konzern - Genügt die Abhängigkeit gemäß § 17 AktG? ...................... 174 c) Innerhalb eines Konzerns .................................................... 177 d) Keine Bedeutung der Norm bei Fehlen einer neuen Kontrollsituation ......... 178 2. Zeitpunkt der Antragstellung .................................................... 179 a) Wortlaut des § 36 Nr. 3 WpÜG ............................................... 179 b) Kein Umkehrschluss aus § 8 Satz 2 AngebotsVO ............................. 180 c) Zumutbarkeit der Antragstellung nach Kontrollerlangung? ................... 180 d) Keine Überlastung der BaFin ................................................. 182 e) Einhalten der Frist des § 35 Abs. 1 WpÜG? ........................ . ......... 183 aa) Suspensiveffekt des Antrags............................................. 183 bb) Einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO ........................... 184 cc) Vorläufige Gestattung ................................................... 184 dd) StellungnaIune .......................................................... 184 f) Ergebnis ..................................................................... 185
Inhaltsverzeichnis
13
III. Umwandlung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft (kaltes Delisting) ...................................................................... 185 1. Schutzbedürfnis der Aktionäre bei einem Delisting .............................. 188
2. Macrotron-Entscheidung des BGH zum regulären Delisting ..................... 190 a) Zustimmung der Hauptversammlung ......................................... 190 b) ,,Pflichtangebot" ............................................................. 191 aa) Pflichtangebot durch die Gesellschaft oder den Großaktionär ............ 193 bb) Höhe des Pflichtangebotes ......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 cc) Entsprechende Anwendung der Regelungen des Spruchverfahrens ....... 194 3. Einfachgesetzliche Anspruchsgrundlagen ....................................... 194 a) § 35 Abs. 2 WpÜG analog? .................................................. 196 b) § 29 Abs. 1 Satz 1 und § 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG analog? ................... 197 c) § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG analog ............................................ 200 aa) Analoge Anwendung .................................................... 200 bb) Anforderungen der Macrotron-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202 (1) Gesamtschuldnerische Haftung (§§ 421 ff. BGB) .................... 202
(2) Angebotspflicht der Gesellschaft und aufschiebend bedingte Angebotspflicht des Großaktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 (3) Angebotspflicht der Gesellschaft und Ablösungsrecht des Großaktionärs ................................................................. 203 (4) Stellungnahme ...................................................... 204 c) Ergebnis ..................................................................... 207 4. Kaltes Delisting und Kontrollsituation - Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG .......................................................................... 207 5. Sonderproblem: NewCo als Gestaltung der Praxis............................... 209
6. Fazit............................................. .......... ..................... 211 IV. Umwandlung einer nicht börsennotierten auf eine börsennotierte Gesellschaft...... 212
5. Kapitel
Verhältnis von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Abstimmungsbedarf
213
1. Verhältnis von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht ............................... 213 1. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 214
a) Regelungsziele ............................................................... 214 b) Struktur und Definition ...................................................... 214 c) Entwicklung ................................................................. 216
14
Inhaltsverzeichnis 2. Das Kapitalmarktrecht
216
a) Reglungsziele ................................................................ 216 b) Struktur und Definition ...................................................... 217 c) Entwicklung zu einem eigenständigen Rechtsgebiet .... . ..................... 219 3. Strukturelle Unterschiede ....................................................... 221 a) Hoheitliche Eingriffsbefugnisse versus Drittschutz und effektiverem Rechtsschutz........................................................................ 221 b) Verbote und Publizität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 224 c) Dispositives und zwingendes Recht - liberales und strenges Recht ........... 225 d) Aktionärs- und Anlegerschutz ................................................ 226 4. Keine trennscharfe Abgrenzung zwischen den bei den Rechtsgebieten ........... 228 a) Einordnung von § 29 Abs. 1 UmwG ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 b) § 35 Abs. 2 WpÜG als Norm des Kapitalmarkt- und des Gesellschaftsrechts .. 228 c) § 33 WpÜG .................................................................. 230 d) § 59 WpÜG ......... . ................................. . ...................... 230 e) § 20 Abs. 6 AktG ............................................................ 231 f) Fazit ......................................................................... 231
5. Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Kapitalmarktrecht und Entwicklung eines Börsengesellschaftsrechts ............................................ 232 a) Überlagerung des Gesellschaftsrechts ........................................ 232 b) Börsengesellschaftsrecht ............................................. . ....... 233 c) Abstimmungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Abstimmung von KonkurrenzfaIlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236 bb) Harmonisierung von Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen ..... 236 cc) Entlastung des Gesellschaftsrechts ....................................... 237 Ir. Abstimmung von Normkonkurrenzen .............................................. 240 1. Drei Abstimmungslösungen .................................. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 241 a) Kumulative Konkurrenz...................................................... 241 b) Alternative Konkurrenz...................................................... 242 c) Normverdrängende Konkurrenz .............................................. 244 aa) Ausdrückliche Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 bb) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 cc) Befreiungsverfahren ....................................... . ............. 247
Inhaltsverzeichnis
15
2. Erschwerung der Abstimmung durch strukturellen Unterschied der beiden Rechtsgebiete ................................................................... 248 a) Bedingte Befreiung als Abstimmungsmitte1 bei der Konkurrenz von § 29 Abs. 1 UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG ................. :..................... 249 b) § 21 Abs. 1 WpHG als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ................. 250 aa) Kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Aktionäre börsennotierter und nicht börsennotierter Gesellschaften .................... 251 bb) Systematische Auslegung von § 21 Abs. 1 WpHG ....................... 252 cc) Zugleich Staatshaftung gemäß §§ 839 BGB, Art. 34 GG? ................ 252 dd) Ergebnis................................................................. 253 c) Auslegung der Erforderlichkeit i.S.v. § 131 AktG ............................ 253 3. Praktische Probleme bei der Abstimmung von Konkurrenzfallen ................ 255 III. Regelung des De1istings im Gesellschafts- oder im Kapitalmarktrecht? ............ 255
1. Bedeutung eines strukturellen Unterschieds .. ; ........................ ,.......... 256. 2. Regelung der Abfmdung de lege ferenda im BörsenG ........................... 256 3. Rein kapitalmarktrechtliche Regelung oder Kombination gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Strukturelemente? ........................................... 258 IV. Spannungsverhältnis und Wechselwirkung ......................................... 260
Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................... 263
Literaturverzeichnis .................. , . . .. .. .. .. . . . . .. . .. .. . .. . .. . . . .. .. .. . .. . .. . . ... 268
Sachwomerzeichnis . .. . . . . .. . .. . .. . .. . .. .. . . .. .. . . .. . . .. . . . . . . .. .. .. .. .. .. . .. . . . . .. .. 289
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere(r) Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
Abl.EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz
a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
AG
Aktiengesellschaft I Die Aktiengesellschaft I Amtsgericht
AktG
Aktiengesetz
Alt.
Alternative
= WpÜG-Angebotsverordnung = Verordnung
AngebotVO
über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebotes
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BB
Betriebs-Berater
Bd.
Band
Begr. RegE
Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung
Beil.
Beilage
BGB
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BGBL
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BGH
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BGHZ
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BKR
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BörsG
Börsengesetz
BörsZulVO
Börsenzulassungsverordnung
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Drucksachen des Bundesrates
BT-Drucks.
Drucksachen des Bundestages
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
City Code
City Code on Takeovers and Mergers
CMF
Conseil des marches financiers
Abkürzungsverzeichnis DAV
Deutscher Anwaltverein
DB
Der Betrieb
DBW
Die Betriebswirtschaft
d.h.
das heißt
DiskE
Diskussionsentwurf
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DStR
Deutsches Steuerrecht
DVBI.
Deutsches Verwaltungsblan
DZWir
Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EG
Europäische Gemeinschaft(en)
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuZ
Zeitschrift für Europarecht
e.Y.
eingetragener Verein
EwiR
Entscheidungen zum Wmschaftsrecht
f.fff.
folgende Seite(n)
FinDAG
Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
gern.
gemäß
GesRZ
Der Gesellschafter (österreichische Zeitschrift)
GG GK GmbH GmbHG Harv.L.Rev.
Grundgesetz
HGB
Handelsgesetzbuch
Großkommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Harvard Law Review
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
HS.
Halbsatz
insb.
insbesondere
Int.L.J.
International Law Journal im Sinne von in Verbindung mit Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht f Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kömer Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kennziffer Landgericht linke Spalte
i.S.v. i.V.m. JuS JZ KG KGaA KK KontraG Kz. LG li. Sp. 2 Thies
17
18
AbkürLungsverzeichnis
lit. MittRhNotK MüKo MünchHdb AG m.w.Nw. n.F. NJW NVwZ NZG ÖBA OLG OPA RdW RegE re. Sp.
litera
RG
Reichsgericht
RlW
Recht der Internationalen Wirtschaft
Rn.
Randnummer
Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Münchener Kommentar Müchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, Aktiengesellschaft mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Österreichisches Bankarchiv Oberlandesgericht offre publique d'achat Österreichisches Recht der Wirtschaft Regierungsentwurf rechte Spalte
S.
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Securities Exchange Act 1934
sec.
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S.E.C.
Securities Exchange Commission
s. o.
siehe oben
sog.
sogenannte(r)
SpruchG
Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren
s. u.
siehe unten
SZW!RSDA
Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrechtl Revue suisse de droit des affaires
u. a.
und andere
ÜbG
Übernahmegesetz (Österreich)
ÜbV
Übernahmeverordnung (Österreich)
UmwG
Umwandlungsgesetz
VerkProspG
Verkaufsprospektgesetz
Verw
Die Verwaltung
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
WM
Wertpapier-Mitteilungen
WPg
Die Wirtschaftsprüfung
WpHG
Gesetz über den Wertpapierhandel
Abkürzungsverzeichnis WpÜG WuB z.B. ZBB ZfRV ZGR ZHR Ziff. ZIP
19
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bank- und Börsenrecht Zeitschrift rur Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Hande1s- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Einleitung I. Einführung in die Problematik § 35 Abs. 2 des am 1. 1. 2002 in Kraft getretenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) verpflichtet den Aktionär, der die Kontrolle über eine börsennotierte Aktiengesellschaft erlangt, den übrigen Aktionären ein Angebot zum Kauf ihrer Aktien zu unterbreiten. Ein Aktionär kontrolliert die Gesellschaft, wenn er mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft hält (§ 29 Abs. 2 WpÜG).
Der dingliche Erwerb von Aktien kann entweder rechtsgeschäftlich vonstatten gehen - ihm liegt dann ein an oder außerhalb der Börse geschlossener Kaufvertrag als Kausalgeschäft zugrunde - oder er kann kraft Gesetzes eintreten, wenn beispielsweise eine Aktiengesellschaft auf eine andere verschmolzen wird (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Erlangt ein Aktionär die Kontrolle über eine börsennotierte Aktiengesellschaft infolge einer Umwandlung dieser Gesellschaft, so stellt sich die vom Gesetzgeber nicht gelöste und in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob § 35 Abs. 2 WpÜG neben dem Umwandlungsgesetz (UmwG) Anwendung finden soll. Dies hätte insbesondere zur Folge, dass den Aktionären in gewissen Fällen neben dem von § 35 Abs. 2 WpÜG eingeräumten Austrittsrecht ein weiteres Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. 1 UmwG und mithin ein doppelter Schutz zustünde. Für diesen Sonderfall und auch darüber hinaus wird zu untersuchen sein, ob nicht das UmwG den Interessen der Beteiligten bereits abschließend Rechnung trägt. Die Konkurrenz von § 35 Abs. 2 WpÜG und dem UmwG ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen eine Abstimmung zwischen kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtlichen Normen zu erfolgen hat. Das Verhältnis von Kapitalmarktrecht als "neues, rasch wachsendes Rechtsgebiet [ ... ] mit neuen Regeln, neuen Aspekten und neuen Zielen" und Gesellschaftsrecht als "alt-gewachsenem Rechtsbereich") bedarf daher einer über den konkreten Beispielsfall hinaus weisenden Bestimmung. Dass das Kapitalmarktrecht größeren Veränderungen und Neuerungen unterworfen ist, zeigt sich derzeit an dem am 19.12.2005 vom Bundesfmanzministerium vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Übemahmerichtlinie; dieser Entwurf enthält eine Vielzahl von Änderungen für das WpÜG. Für die Regelungen über das Pflichtangebot gemäß §§ 35-39 WpÜG sieht der Entwurf allerdings keine Änderungen vor, obwohl ein gesetzgeberisches TatigwerI
Lutter; FS Zöllner, S. 363.
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Einleitung
den auch in diesem Bereich - wie nachfolgend zur Sprache kommen wird - wünschenswert wäre.
ll. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit wird zunächst einige Begriffe klären sowie die Regelungsziele und Schutzmechanismen des UmwG und des WpÜG darstellen (1. Kapitel), bevor die Frage beantwortet werden kann, ob nach Umwandlungen ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG abgegeben werden muss (2. Kapitel). Im 3. Kapitel werden Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich im Rahmen der Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen ergeben, und entsprechende Lösungsansätze entwickelt, um die beiden Regelungsmaterien des UmwG und des WpÜG im einzelnen aufeinander abzustimmen. Daraufhin behandelt das 4. Kapitel Fallkonstellationen, die von dem GrundfalI - bei dem zwei börsennotierte Aktiengesellschaften verschmolzen werden und in der verbleibenden Gesellschaft eine Kontrollsituation besteht - abweichen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere von Interesse sein, ob § 35 Abs. 2 WpÜG zur Anwendung gelangt, wenn eine börsennotierte auf eine nicht börsenotierte Gesellschaft umgewandelt wird (sog. ,,kaltes Delisting U
).
Nachdem in den ersten vier Kapiteln beantwortet wurde, ob und wie ein Pflichtangebot nach Umwandlungen zu gewähren ist, soll anschließend das dieser Problematik zugrunde liegende Verhältnis von Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht näher betrachtet werden (5. Kapitel). Insbesondere wird anhand dieses und weiterer Beispiele erläutert, auf welche Weise die notwendige Abstimmung der beiden Rechtsgebiete erfolgen kann.
1. Kapitel
Regelungsziele und Verfahren des Umwandlungsund des Übernahmerechts Zunächst werden die Regelungsziele und die Verfahren des Umwandlungs- und des Übernahmerechts dargestellt. Den Bezeichnungen der zwei Gesetze - Umwandlungsgesetz einerseits sowie Wertpapiererwerbs- und Übemahmegesetz andererseits - ist zu entnehmen, dass zwischen den zwei Begriffen "Umwandlung" und "Übernahme" zu unterscheiden ist: Gemäß der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 UmwG ist der Begriff der "Umwandlung" als Oberbegriff für die Verschmelzung, die Spaltung, die Vermögensübertragung und den Formwechsel anzusehen. Demgegenüber sind "Übernahmeangebote" in § 29 Abs. 1 WpÜG als Angebote definiert, die auf den Erwerb der Kontrolle, d. h. auf die Erlangung von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte (§ 29 Abs. 2 WpÜG), gerichtet sind. Ein solches Übernahmeaitgebot vollzieht sich in der Weise, dass ein Übernahmeinteressent den Aktionären ein öffentliches Angebot (§ 2 Abs. 1 WpÜG)! zum Kauf ihrer Aktien unterbreitet, um danach mit Hilfe der erworbenen Stimmrechte auf der Hauptversammlung Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft auszuüben. Demgegenüber bewirken die verschiedenen Umwandlungsarten eine Strukturänderung2 der Aktiengesellschaft, die - im Unterschied zu der soeben beschrieben Übernahme - der Zustimmung von mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedürfen (vgl. §§ 65 Abs. 1, 125 Satz 1 UmwG). Eine Umwandlung kann - ähnlich wie ein erfolgreiches Übernahmeangebot erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesellschaft haben, wenn zum Beispiel eine Gesellschaft auf eine andere im Mehrheitsbesitz eines Aktionärs stehende Gesellschaft verschmolzen wird. Die Umwandlung und das Übernahmeangebot sind also zwei 3 technisch unterschiedliche Rechtsvorgänge, die jeweils geI Der Erwerb kann auch über die Börse erfolgen, mit der Folge, dass es sich nicht um ein (öffentliches) Übemahmeangebot i.S.v. §§ 29 Abs. 1,2 Abs. 1 WpÜG, sondern um eine nicht öffentliche ..Übernahme" handelt.
Vgl. Schmidt. Gesellschaftsrecht. § 121.2. Neben der Herbeiftihrung eines Verschmelzungsbeschlusses in der Gesellschaft und dem Erwerb einer kontrollierenden Anteilsmehrheit im Wege eines Übernahmeangebotes (Share deal), kommt außerdem der Erwerb der einzelnen Wirtschaftsgüter (Asset Deal) als dritter Weg in Betracht, vgl. Weber-Rey/Schütz, AG 2001, 325, 328. Diese Möglichkeit wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher betrachtet werden. 2
3
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
eignet sein können, wenn eine Person das wirtschaftliche Ziel anstrebt, Einfluss auf eine Gesellschaft oder das von ihr getragene Unternehmen zu erhalten4 • Obwohl rechtlich streng zwischen den beiden Instituten zu trennen ist, können sie daher beide als "Übernahme" im wirtschaftlichen Sinne bezeichnet werdens. Dass diese wirtschaftliche Bedeutung der Umwandlung auch Eingang in die Terminologie des UmwG gefunden hat, zeigt sich beispielsweise daran, dass das Gesetz vom "übernehmenden Rechtsträger" spricht (vgl. §§ 2 Nr. 1,3,20 Abs. 1 UmwG).
I. Das Umwandlungsgesetz Das UmwG wurde durch das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28. 10. 19946 geschaffen, trat am 1. 1. 1995 in Kraft und fasst die bisher auf fünf verschiedene Gesetze zersplitterten Regelungen zusammen7 • 1. Regelungsziele und Schutzmechanismen
Die Vorschriften des UmwG dienen unterschiedlichen Zwecken8 : So sollen Umwandlungsvorgänge vereinfacht9 und unwirksame Umstrukturierungen aus Gründen der Rechtssicherheit vermieden werden lO • Außerdem wollen verschiedene Vor4 SemlerIStengel-Semler/Stengel. Einleitung A zum UmwG Rn. 79; Weber-Rey/Schütz. AG 2001,325,328; vgl. dazu auch Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 31. 5 Kleindiek. ZGR 2002,546,566 f.; näher dazu auch unten 2. Kapitelll.3.b). Soweit daher im Zusammenhang mit einer Verschmelzung von einer "Übernahme" gesprochen wird, so ist damit nicht der technische Rechtsbegriff des "Übernahmeangebotes" i.S.v. § 29 Abs. 1 WpÜG gemeint. Vielmehr wird damit lediglich in wirtschaftlich Hinsicht ausgedrückt, dass das Unternehmen einer Gesellschaft unter den Einfluss einer anderen Gesellschaft - und gegebenenfalls zugleich unter den Einfluss dessen Mehrheitsaktionärs - gerät. 6 BGBl. 1994 I, S. 3210 ff. 7 Die Umwandlungsmöglichkeiten waren geregelt im Umwandlungsgesetz 1969, Aktiengesetz, Kapitalerhöhungsgesetz, Genossenschaftsgesetz und Versicherungsaufsichtsgesetz, vgl. dazu Goutier 1Knopf 1Tulloch-Bennel. Einführung zum UmwG Rn. 32; Semler 1StengelSemler / Stengel. Einleitung A zum UmwG, Rn. 20. 8 Vgl. dazu und zum folgenden Begr. RegE. BR-Drucks. 75194, S. 71; Ganske. S. 11; Raiser; § 46 Rn. 13; SemlerIStengel-Semler/Stengel. Einleitung A zum UmwG, Rn. 23 ff. 9 Begr. RegE. BR-Drucks. 75194, S. 71; Ganske. S. 11; Goutier/KnopflTulloch-Bennel. Einführung zum UmwG Rn. 42; Raiser; § 46 Rn. 11 f. Es werden geeignete Verfahren für die verschiedenen Arten der Verschmelzung (vgl. § 2 UmwG) und der Spaltung (vgl. § 123 UmwG) angeboten. Eine Verschmelzung wäre zwar auch nach dem allgemeinen Zivil- und Gesellschaftsrecht möglich, indem die Gesellschafter eine neue Gesellschaft gründen, das Vermögen der alten auf diese übertragen und die alte sodann liquidieren. Die in § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG vorgesehene Universalsukzession ist jedoch weniger kompliziert und weniger kostspielig, näher dazu Raiser; § 46 Rn. 11 f. 10 Aus Gründen der Rechtssicherheit werden Umwandlungsvorgänge erst mit der Registereintragung wirksam (vgl. §§ 20, 131 UmwG) und nicht bereits durch den bloßen Umwand-
1. Das Umwandlungsgesetz
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schriften die Gläubiger ll und die Arbeitnehmer l2 vor Nachteilen bewahren, die von Umwandlungsakten verursacht werden können. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Schutz der Aktionäre der an einer Umwandlung beteiligten Aktiengesellschaft. Da dieser Vorgang einen erheblichen Eingriff in ihre Mitgliedschaftsrechte darstellt, werden sie in mehrfacher Hinsicht geschützt: a) Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG)
Im Rahmen einer Umwandlung ist im Umwandlungsvertrag festzusetzen, in welchem Umfang die Anteilsinhaber des umwandelnden Rechtsträgers am neuen Rechtsträger beteiligt sein werden (Umtauschverhältnis) und gegebenenfalls in welcher Höhe eine bare Zuzahlung erfolgen wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Das UmwG schreibt zwar nicht vor, mit welchen Bewertungsverfahren das Umtauschverhältnis der Aktien zu ermitteln ist; im Ergebnis muss aber jeder Aktionär eine Beteiligung am neuen Rechtsträger erhalten, die einen. ausreichenden Gegenwert für die Beteiligung am umwandelnden Rechtsträgers darstellt (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 UmwG). b) Ausscheiden gegen Barabfindung (§ 29 UmwG)
Außerdem wird den Aktionären gemäß § 29 Abs. 1 UmwG im Fall der Verschmelzung ein Austrittsrecht gegen eine angemessene Barabfindung eingeräumt, wenn entweder die Umwandlung in eine andere Rechtsform - z. B. einer GmbH in eine Aktiengesellschaft oder einer Aktiengesellschaft in eine GmbH 13 - erfolgt (Mischverschmelzung, § 29 Abs. 1 S. 1 UmwG) oder wenn die Anteile an dem lungsbeschluss. Dem Zweck der Rechtssicherheit dienen auch die Vorschriften des § 20 Abs. 2 und des § 131 Abs. 2 UmwG, wonach mit der Eintragung etwaige Mängel der Umwandlung - z. B. des Umwandlungsbeschluss - geheilt werden, so dass die Umwandlungswirkungen nicht rückgängig zu machen sind, vgl. dazu Goutier I Knopf I Tulloch-Bennel, § 20 UmwG Rn. 60; Lutter-Grunewald, § 20 UmwG Rn. 69 ff.; Kallmeyer-Marsch-Bamer § 20 UmwG Rn. 33; Raiser, § 46 Rn. 11 ff.; Sagasser/Bula/Brünger, Rn. C 1; SernlerlStengelKühler, § 20 UmwG Rn. 85 f.; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 12 m 1., § 13 I 1. 11 Die Gläubiger sollen davor geschützt werden, dass durch Umwandlungsvorgänge "Verbindlichkeiten abgeschüttelt" werden: §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG sehen vor, dass die Verbindlichkeiten auch den Ziel-Rechtsträger treffen. Ferner steht den Gläubigem gemäß §§ 22, 125, 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG ein Anspruch auf Sicherheitsleistung zu, wenn der Anspruch gegen einen der an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger gefährdet ist. Vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 12 ill l.d); Raiser; § 46 Rn. 13; Sagasser/Bula/Brünger, Rn. C 30 ff. 12 Die Arbeitnehmer werden insbesondere geschützt durch § 323 UmwG, § 324 UmwG i.Y.m. § 613a Abs. 1 BGB und § 325 UmwG. 13 Sofern die Aktiengesellschaft börsennotiert ist, handelt es sich bei diesem Vorgang um ein sog. ,,kaltes Delisting", da die Börsennotierung der Gesellschaft ohne besonderes Verfahren beendet wird. Zu den Besonderheiten, die dann gelten, ausführlich 4. Kapitel ill.
26
1. Kap.: Regelungsziele und VeIfahren
übernehmenden Rechtsträger Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind (§ 29 Abs. 1 S. 2 UmwG). Letzteres ist bei einer Aktiengesellschaft beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Übertragung der Aktien gemäß § 68 Abs. 2 S. 1 AktG durch eine Regelung in der Satzung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist (Vinkulierung)14. Ein solches Austrittsrecht gibt es auch bei Spaltungen (§ 125 S. 1 UmwG)15. Die Barabfindung muss "angemessen" sein i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 1,30 UmwG. Der Begriff der "Angemessenheit" wird normübergreifend, etwa auch für § 305 AktG, dahingehend interpretiert, dass der "volle Wert" der Beteiligung zu kompensieren ist: Im Wege einer Unternehmensbewertung ist daher zunächst der Gesamtwert des Unternehmens zu ermitteln, um dann den Anteil einer Aktie an diesem Wert bestimmen zu können 16. Diese Bewertung erfolgt in der Regel nach dem Ertragswertverfahren, das im IDW-Standard SI "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" des Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.v. näher geregelt ist 17 . Gemäß Ziffer 7.1. des IDW-Standard ist neben dieser Methode auch das Discounted Cash-Flow-Verfahren zulässig l8 . 14 Näheres bei Goutier/KnopflTulloch-Bennel, § 29 UmwG Rn. 11; Lutter-Grunewald, § 29 UmwG Rn. 4; Kallmeyer-Marsch-Bamer, § 29 UmwG Rn. 5; Schmitt/Hörtnagell Stralz-Stratz, § 29 UmwG Rn. 8 f.; Widmann/Mayer-Vollrath, § 29 UmwG Rn. 18. 15 Ein Austrittsrecht wird auch bei der Vermögensübertragung (§ 176 Abs. 2 S. 4 UmwG) und dem Formwechsel (§ 207 UmwG) vorgesehen. Diese beiden Fälle werden jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden, da sie - im Unterschied zur Verschmelzung und Spaltung - nicht eine Umwandlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine andere börsennotierte Aktiengesellschaft bewirken können. Zu der Bedeutung dieser beiden Umwandlungsarten im Rahmen des kalten Delistings siehe unten 4. Kapitel ill. 16 BVeIfGE 14,263,284 =NJW 1962, 1667, 16691i. Sp. (zu § 12 UmwG a.F.); AG 2003, 624,625 li. Sp. (zu §§ 339 ff. AktG a.F.); BGHZ 71, 40, 51 =NJW 1978, 1316, 1318 f. (zu § 255 Abs. 2 Salz 1 AktG); BayObLG, AG 1996, 176, 177 (zu § 305 AktG); OLG Hamburg, AG 1980, 163 f. (zu § 305 AktG); Goutier/KnopflTulloch-Bennel, § 30 UmwG Rn. 4; Lutter-Grunewald, § 30 UmwG Rn. 2; Hü!fer, § 305 AktG Rn. 18 m.w.Nw.; Kallmeyer-Müller, § 30 UmwG Rn. 5; Semler I Stengel-Zeidler, § 30 UmwG Rn. 4 ff. 17 Der IDW-Standard ist abgedruckt in WPg 2000, 825 ff. Bei der Ertragswertmethode wird errechnet, welche Überschüsse den Unternehmenseignern zukünftig zufließen werden, wobei der Liquidationswert des Unternehmens die Untergrenze darstellt. Die finanziellen Überschüsse werden dann mit dem Kapitalisierungszinssalz auf den Bewertungsstichttag abgezinst (Diskontierung der finanziellen Überschüsse), vgl. Siepe, in: Wirtschaftsprüferhandbuch, A Rn. 4, 246 ff. Näher zum IDW-Standard Feldhoff, DB 2000, 1237 ff.; Siepe/Dörschell/Schulte, WPg 2000, 946 ff.; vgl. dazu auch Kallmeyer-Marsch-Bamer, § 8 UmwG Rn. 13; SemlerIStengel-Gehling, § 8 UmwG Rn. 24; Lutter-Lutter, § 8 UmwG Rn. 21. 18 Während bislang in Deutschland das EriragswertveIfahren dominierte, wird bei grenzüberschreitenden Transaktionen überwiegend das Discounted Cash Flow-Verfahren (DCF) angewandt. Dieses VeIfahren berücksichtigt wie das ErtragswertveIfahren die Zahlungen, die die Kapitalgeber erwarten dürlen. Es bestehen verschiedene DCF-VeIfahren, die sich hinsichtlich ihrer Rechentechnik unterscheiden. Im Unterschied zum Ertragswertverfahren stellen die DCF-VeIfahren weniger auf die Sicht eines objektiven, neutralen Gutachters ab, sondern berücksichtigten eher auch subjektive Entscheidungswerte. Bei gleichen Bewertungs-
1. Das Umwandlungsgesetz
27
Das BVerfG hat in der Sache "DAT I Altana,,19 entschieden, dass der Börsenkurs der Aktien aufgrund von Art. 14 Abs. 1 GG bei der Bestimmung der Abfindung nicht außer Betracht bleiben darf. Diese Entscheidung hat die Rechtsprechung in der Weise umgesetzt, dass zwar eine Unternehmensbewertung durchzuführen ist, um die Abfindungshöhe zu bestimmen, der Börsenkurs der letzten drei Monate jedoch die Untergrenze für die Abfindung bildet2o . Gemäß § 30 Abs. 1 UmwG muss die Barabfindung "die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung berücksichtigen"; daher ist der Wert des Unternehmens an diesem Stichtag zu ermitteln. Der Wert des übertragenden Rechtsträgers muss ohnehin ermittelt werden, um das Umtausch verhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) festlegen zu können. Im Unterschied zur Barabfindung, bei der gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG ein Bewertungsstichtag gesetzlich festgelegt ist, fehlt es an einer vergleichbaren Regelung im Hinblick auf das Umtauschverhältnis, so dass der Bewertungsstichtag von den Parteien frei gewählt werden kann21 . Weicht dieser von dem für die Barabfindung maßgeblichen Stichtag ab, so muss keine zweite Unternehmensbewertung durchgeführt werden, sondern der für das Umtauschverhältnis ermittelte Wert kann auf den Tag der Beschlussfassung i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG fortgeschrieben werden 22 .
c) Prüfung des Umtauschverhältnisses und des Abjindungsangebotes Der Umwandlungsvertrag, insbesondere das Umtauschverhältnis und ein etwaiges Barabfindungsangebot gemäß § 29 UmwG, sind zum Schutz der Aktionäre einer umfangreichen Prüfung durch einen oder mehrere unabhängige Prüfer zu unterziehen (§§ 12 Abs. 2, 30 Abs. 2 Satz 2 UmwGl3 . annahmen kommen Ertragswert- und DCF-Verfahren zu gleichen Unternehmenswerten, vgl. Siepe. in: Wirtschaftsprüferhandbuch, A Rn. 6, 304 ff.; SiepeIDörschel/Schulte. WPg 2000. 946, 953 ff. Die Praxis in Deutschland wendet das DCF-Verfahren offenbar zunehmend an, vgl. Adolffl1ieves. BB 2003. 797, 804. 19 BVerfGE 100,289,305 f. =NJW 1999, 3769, 3771 f. =AG 1999,566,568 f. 20 BGHZ 147,108,117 f. NJW 2001, 2080, 2081 ZIP 2001, 734, 736 f. ( ..DATI Altana"); OLG Düsseldorf, AG 2003, 329, 332 li. Sp.; MüKo-Bilda. § 305 AktG Rn. 66; Hü!fer; § 305 AktG Rn. 24c; Hüttemann. ZGR 2001, 454, 458; Lutter-Lutter; § 5 UmwG Rn. 23a; so im Ergebnis wohl auch OLG Stuttgart NZG 2000, 744, 745 li. Sp. A.A., wonach der Börsenkurs nicht die Untergrenze, sondern im Normalfall die Abfindungshöhe selbst bestimmt, vgl. Aha. AG 1997, 26, 27 f.; Emmerich/Habersack-Emmerich, § 305 AktG Rn. 46d f.; Krieger; in: MünchHdb AG § 70 Rn. 106, Luttermann. ZIP 1999,45,47. 21 Vgl. Goutier/Knopf/Tulloch-Bermel/Hannappel. § 5 UmwG Rn. 25; Lutter-Lutter; § 5 UmwG Rn. 21. 22 Lutter-Grundewald. § 30 UmwG Rn. 2; Kallmeyer-Müller; § 30 UmwG Rn. 9; Schmittl Hörtnagel/Stratz-Stratz. § 29 UmwG Rn. 9; SemlerIStengel-Zeidler; § 30 UmwG Rn. 19. 23 Näher dazu Lutter-Grunewald. § 30 UmwG Rn. 5 ff.; Lutter-Lutter; § 12 UmwG Rn. 6 ff.; Semler I Stengel-Zeidler; § 12 UmwG Rn. 15 ff.
=
=
28
I. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
d) Anderweitige Veräußerung (§ 33 UmwG) Sind die beiden Tatbestandsalternativen des § 29 Abs. 1 UmwG nicht erfüllt und besteht daher kein Austrittsrecht, so kann der Aktionär seine Aktien zumindest an Dritte veräußern. Etwaige Verfügungsbeschränkungen werden von § 33 UmwG beseitigt24. Im Unterschied zum Austrittsrecht des § 29 UmwG, bei dem eine gerichtliche Überprüfung der Abfindung möglich ist (§ 34 UmwG)25, erhält er dabei den auf dem Markt erzielbaren Preis, ohne dass dieser einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich wäre.
e) Infonnationsrechte der Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung Der Vorstand der Aktiengesellschaft ist verpflichtet, den Aktionären weitreichende Informationen zugänglich zu machen, um ihnen im Vorfeld der Hauptversammlung, welche die Umwandlung beschließen soll, eine objektive Entscheidung über die angestrebte Unternehmensumwandlung zu ermöglichen 26 : So muss der Umwandlungsvertrag beispielsweise das Umtauschverhältnis der Anteile und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) und jeden besonderen Vorteil, der einem Mitglied eines Vertretungsorgans gewährt wird (§§ 5 Abs. 1 Nr. 8, 126 Abs. 1 Nr. 8 UmwG), enthalten. Der Umwandlungsvertrag oder sein Entwurf sind vor der Einberufung der Hauptversammlung, die über die Zustimmung zum Vertrag beschließen soll, in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen (§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 125 S. 1 UmwG). Dasselbe gilt für die Jahresabschlüsse und die Lageberichte der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger für die letzten drei Geschäftsjahre (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Außerdem muss der Vorstand der Aktiengesellschaft einen Umwandlungsbericht anfertigen, in dem ausführlich insbesondere auch das Umtauschverhältnis und die Höhe einer etwaigen Barabfindung zu erläutern sind (§§ 8, 127 UmwG). Schließlich sind im Rahmen der Hauptversammlung auf Verlangen eines Aktionärs das Umwandlungsvorhaben und dessen Folgen auch mündlich zu erläutern (§§ 64 Abs. 2, 125 S. 1 UmwG).
24 Die Vorschrift des § 33 UmwG regelt zugunsten der Aktionäre. dass sie in dem Zeitraum nach der Fassung des Verschmelzungsbeschlusses bis zum Ablauf von zwei Monaten nach der Eintragung der Verschmelzung keinerlei Verfugungsbeschränkungen unterworfen sind; d. h. zunächst entfallen etwaige Verfügungsbeschränkung in der umwandelnden Aktiengesellschaft und nach der Eintragung (vgl. § 20 Nr. 3 UmwG) solche der übernehmenden Aktiengesellschaft. Näher dazu Lutter-Grunewald. § 33 UmwG Rn. 2. 25 Siehe dazu unten unter l.g). 26 Raiser, § 46 Rn. 13; Sagasser/Bula/Brünger, Rn. C 13.
I. Das Umwandlungsgesetz
29
f) Umwandlungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit
Der Umwandlungsbeschluss der Hauptversammlung der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft bedarf einer Mehrheit von mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (vgl. §§ 65 Abs. 1, 125 S. 1 UmwG)27. Das Gesetz stuft die Entscheidung über die Umwandlung damit sowohl für die übertragende als auch für die aufnehmende Gesellschaft als Grundlagenentscheidung ein, indem dieselben Mehrheitserfordernisse wie etwa bei satzungsändernden Beschlüssen (§ 179 Abs. 2 S. 1 AktG) und beim Ausschluss des Bezugsrechts (§ 186 Abs. 3 S. 2 AktG) verlangt werden. Dies ist deshalb berechtigt, da durch die Umwandlung die übertragende Gesellschaft erlischt und sich die Beteiligungsquoten der Aktionäre in der übernehmenden Gesellschaft verschieben28 . g) Rechtsschutz der Aktionäre Die Aktionäre können die Wirksamkeit des Umwandlungsbeschlusses beseitigen, indem sie Anfechtungsklage gemäß §§ 243, 246 AktG erheben. Eine solche Anfechtung kann nach ganz überwiegender Auffassung nur wegen Verstößen gegen das Gesetz oder die Satzung, nicht hingegen zum Zwecke einer "materiellen Beschlusskontrolle" erfolgen29 . Das Gericht prüft also nicht, ob der vom Umwandlungsbeschluss ausgehende Eingriff in die Mitgliedschaft sachlich gerechtfertigt ist, d. h. den Anforderungen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit genügt30. Zum Schutz der Aktionäre haben die Vertretungsorgane bei der Anmeldung der Umwandlung gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 UmwG einerseits zu erklären, dass eine Anfechtungsklage gegen die Wirksamkeit eines Verschme1zungsbeschlusses nicht oder nicht fristgemäß erhoben oder eine solche Klage rechtskräftig abgewiesen 27 Bestehen mehrere Gattungen von Aktien LS.v. § 11 S. 2 AktG - z. B. frei veräußerliche Aktien und gemäß § 68 AktG nur mit Zustimmung der Gesellschaft übertragbare Aktien - so bedarf es eines Sonderbeschlusses der Aktionäre jeder Gattung mit der genannten qualifizierten Mehrheit (§ 65 Abs. 2 UmwG). 28 Lutter-Grunewald, § 65 UmwG Rn. 2. 29 Goutierl Knopfl Tulloch-Bennel, § 13 UmwG Rn. 24; SernlerIStengel-Gehling, § 13 UmwG Rn. 36; Hüffer, § 243 AktG Rn. 27; Lutter-Lutter, § 13 UmwG Rn. 34 ff., 37; Kallmeyer-Zimmermann, § 13 UmwG Rn. 12. A.A. Hommelhoff, ZGR 1993,452,458 f., der eine "materielle Beschlusskontrolle" befürwortet. Für die h.M spricht, dass die Rechte der Aktionäre beispielsweise durch das Erfordernis einer 3/4-Mehrheit (§ 65 Abs. 1 UmwG), die gerichtliche Kontrolle des Umtauschverhältnisses im Spruchverfahren (vgl. § 15 Abs. 1 UmwG i.Y.m. den Vorschriften des SpruchG) und das Abfmdungsangebot gemäß § 29 UmwG bereits ausreichend geschützt werden, vgl. Goutier/KnopflTulloch-Bennel, § 13 UmwG Rn. 24; Sernler 1 Stengel-Gehling, § 13 UmwG Rn. 36; Lutter-Lutter, § 13 UmwG Rn. 36. 30 Hüffer, § 243 AktG Rn. 24; näher zur materiellen Beschlusskontrolle Hommelhoff, ZGR 1993,452,459.
30
1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
oder zurückgenommen worden ist. Solange ein Anfechtungsverfahren rechtshängig ist, kann daher eine Eintragung einer Verschmelzung nicht stattfinden (Registersperre) und diese folglich auch keine Wirksamkeit erlangen (§ 20 Abs. 1 UmwG). Ansonsten bestünde die Gefahr, dass mit der Durchführung der Umwandlung endgültige Tatsachen geschaffen würden und der Minderheitenschutz praktisch entleert wäre 31 . Andererseits wird dieser Schutz wiederum eingeschränkt, indem das Prozessgericht die Eintragung auf Antrag der Aktiengesellschaft zulassen (§ 16 Abs. 3 UmwG) und damit die Durchführung der Umwandlung ermöglichen kann, sofern eine Anfechtungsklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (Freigabeverfahren). Diese Regelung verfolgt den Zweck, unsachgemäße Blockaden zum Schutze der Gesellschaft zu verhindern und den Anreiz, sich den "Lästigkeitswert" einer Anfechtungsklage abkaufen zu lassen, zu vermindern 32 . Demselben Ziel dienen die Vorschriften des § 14 Abs. 2 und des § 32 UmwG, indem sie gewisse Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich der Anfechtungsklage ausnehmen: Danach kann sie nicht darauf gestützt werden, dass das Umtauschverhältnis der Anteile (§§ 14 Abs. 2, 125 S. 1 UmwG) oder das Barabfindungsangebot gemäß § 29 UmwG zu niedrig bemessen ist (§ 32 UmwG). Um gerichtlich überprüfen zu lassen, ob das Umtauschverhältnis oder die Abfindung "angemessen" sind, kann der einzelne Aktionär (nur) die Durchführung des Spruchverfahrens beantragen (§§ 15 Abs. 1 S. 2, 34 S. 1 UmwG i.Y.m. § 1 Nr.4 SpruchG). Zweck dieses Verfahrens ist es, Rechtsschutz zu gewährleisten, ohne dass die Durchführung der Umwandlung blockiert wird 33 . Dieses Verfahren findet auch Anwendung, wenn eine Abfindung im Verschmelzungsvertrag überhaupt nicht angeboten wird (§ 34 Satz 2 UmwG), d. h. der Aktionär kann die Abgabe eines Barabfindungsangebotes gerichtlich durchsetzen34 . h) Schadensersatzanspruch
Schließlich wird den Aktionären - wie auch den Gläubigern - ein Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand und den Aufsichtsrat eingeräumt, wenn ihnen infolge der Umwandlung ein Schaden entsteht (§§ 25 Abs. 1, 125 S. 1 UmwG)35.
Lutter-Bork, § 16 UmwG Rn. 9; Schmidt. Gesellschaftsrecht, § 12 m 2. Lutter-Bork, § 16 UmwG Rn. 14; Goutier/Knopf/Tulloch-Bennel. § 16 UmwG Rn. 35 ff.; Schmidt. Gesellschaftsrecht, § 12 m 1. f. 33 SemlerIStengel-Gehling. § 32 UmwG Rn. 1; Sagasser/Bula/Brünger; Rn. C 24; Schrnittl Hörtnagell Stratz-Stratz. § 32 UmwG Rn. 4. 34 Näher dazu Lutter-Grunewald. § 34 UmwG Rn. 5. 35 Näheres bei Goutier I Knopf I Tulloch-Bennel. § 25 UmwG Rn. 10 f.; Lutter-Grunewald. § 25 UmwG Rn. 14 f. 31
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I. Das Umwandlungsgesetz
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2. Ablauf des Umwandlungsverfahrens
Ein Umwandlungsverfahren durchläuft mehrere Stadien: die Planungs-, die Vorbereitungs-, die Beschluss- und die Vollzugsphase 36 . Beispielhaft wird der Ablauf einer Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) geschildert, die - nachdem die Planung abgeschlossen ist - im Wesentlichen die folgenden Schritte umfasst: a) Planungsphase
Nachdem sich die Verwaltungsorgane der beteiligten Rechtsträger entschlossen haben, eine Verschmelzung durchzuführen, wird ein Zeitplan für den Verschmelzungsablauf entworfen. Dieser darf aufgrund von § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG höchstens acht Monate umfassen 37 . b) Vorbereitungsphase In diesem Stadium wird die Verschmelzung mit folgenden Maßnahmen vorbereitet: (1) Die Schlussbilanzen der beteiligten Rechtsträger werden erstellt und gegebenenfalls geprüft (§ 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG).
(2) Es erfolgt eine Unternehmensbewertung der beteiligten Rechtsträger, welche insbesondere dazu dient, das Umtauschverhältnis der Aktien festzulegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). (3) Entweder wird der Verschmelzungsvertrag von den Vorständen der beiden Aktiengesellschaften bereits abgeschlossen oder zunächst nur entworfen. Der Vertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§ 6 UmwG) und muss - sofern die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 UmwG vorliegen -ein Abfindungsangebot enthalten. (4) Der Verschmelzungsbericht wird vom Vorstand erstellt (§ 8 UmwG). 36 Vgl. dazu und zum folgenden die Darstellungen bei Goutier I Knopf I Tulloch-Bermel § 2 UmwG Rn. 27 ff.; Gerold, MittRhNotK 1997, 205, 212 ff.; Widmann/Mayer-Schwarz, Einführung zum UmwG Rn. 11.1 ff.; Impelmann, DStR 1995.769,770 ff.; Kallmeyer, ZIP 1994, 1746,1754 ff. und 1758 f.; Lutter-Lutter, Einleitung zum UmwG Rn. 46 ff. und § 2 UmwG Rn. 24 ff.; Priester, DNotZ 1995,427,431 uns 437 ff.; Sagasser/Bula/Brünger, Rn. J 9 ff. (mit Übersichtsskizze); SemlerIStengel-Stengel, § 2 UmwG Rn. 55 ff. Die wesentlichen Schritte eines kombinierten Umwandlungs- und Übernahmeverfahrens für den Fall, dass die Umwandlung ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG nach sich zieht, werden dargestellt von Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,471 ff. 37 Lutter-Lutter, § 2 UmwG Rn. 25; Sagasser/Bula/Brünger, Rn. J 9.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
(5) Die Verschmelzung wird von den gerichtlich bestellten unabhängigen Verschmelzungsprüfern geprüft (§§ 9-12, 60 UmwG). (6) Gegebenenfalls wird die Verschmelzung bei den Kartellbehörden angemeldet. (7) Eine Ad-hoc-Mitteilung der geplanten Verschmelzung wird abgegeben (§ 15 WpHG). (8) Der Verschmelzungsvertrag wird den Betriebsräten zugeleitet (§ 5 Abs. 3 UmwG). (9) Gegebenfalls wird der Verschmelzungsvertrag oder sein Entwurf aufgrund der Prüfungsergebnisse korrigiert. (10) Der Verschme1zungsvertrag oder sein Entwurf wird den Handelsregistern der beteiligten Gesellschaften zugleitet und in den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht (§ 61 UmwG). (11) Sofern eine Kapitalerhöhung in der aufnehmenden Gesellschaft erforderlich ist, um die Verschmelzung durchzuführen, muss sie parallel vorbereitet werden, da sie vor der Verschmelzung ins Handelsregister eingetragen werden muss (§§ 66, 69UmwG). (12) Die Aktionäre werden zur Hauptversammlung unter Angabe des Tagesordnungspunktes "Verschmelzung" eingeladen (§§ 121,123, 124 AktG). (13) Der Verschmelzungsvertrag und weitere Unterlagen werden in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ausgelegt (§ 63 UmwG). c) Beschlussphase
Daraufhin sind von den Hauptversammlungen der beiden beteiligten Gesellschaften die erforderlichen Beschlüsse zu fassen: (14) Die Verschmelzungsunterlagen sind auch während der Hauptversammlungen auszulegen; der Verschmelzungsvertrag wird vom Vorstand erläutert (§ 64 Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwG). (15) In der aufnehmenden Aktiengesellschaft wird ein Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst (§ 69 UmwG). (16) Die Hauptversammlungen der beteiligten Gesellschaften stimmen der Verschmelzung zu, wobei der Beschluss jeweils mindestens einer 3/4 -Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedarf (§§ 13, 65 Abs. 1 UmwG). (17) Die Verschme1zungsbeschlüsse (§ 13 Abs. 3 UmwG) und der Kapitalerhöhungsbeschluss werden notariell beurkundet (§ 130 Abs. 1 AktG).
I. Das Umwandlungsgesetz
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d) Vollzugsphase
Um die Verschmelzung durchzuführen und letztlich abzuschließen, müssen schließlich noch die folgenden Schritte durchlaufen werden: (18) Von dem übertragenden Rechtsträger wird ein Treuhänder bestellt, welcher zunächst die zu gewährenden Aktien und baren Zuzahlungen entgegennimmt (§ 71 UmwG). (19) Die Verschmelzung (§§ 16 f. UmwG) und - gegebenenfalls - die Kapitalerhöhung werden vom Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet (§§ 184 Abs. 1, 188 Abs. 1 AktG). (20) Die Kapitalerhöhung muss im Handelsregister eingetragen werden (§ 189 AktG), bevor die Verschmelzung eingetragen werden darf (§ 66 UmwG). (21) Die (neuen) Aktien der aufnehmenden Gesellschaft werden an den Treuhänder der übertragenden Gesellschaft übergeben. (22) Die Verschmelzung wird zunächst im Handelsregister des übertragenden, dann in dem des übernehmenden Rechtsträgers eingetragen (19 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Die zweite Eintragung führt die Verschmelzungswirkungen des § 20 Abs. 1 UmwG herbei. (23) Das Gericht des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers teilt dem Gericht des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers mit, an welchem Tag die Verschmelzung eingetragen wurde (§ 19 Abs. 2 UmwG). Die Eintragung wird öffentlich bekannt gemacht (§ 19 Abs. 3 UmwG). (24) Die Aktien werden vom Treuhänder an die bisherigen Aktionäre der übertragenden Gesellschaft übergeben 38 . (25) Die Aktionäre, welche dem Verschmelzungsbeschluss widersprochen haben, können - sofern ein Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. 1 UmwG abzugeben war - dieses innerhalb von zwei Monaten nach der Eintragung der Verschmelzung annehmen (§ 31 UmwG). (26) Die gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses
(§§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 15 Abs. 1 UmwG) und des Barabfindungsangebotes (§§ 29, 34
UmwG) kann innerhalb von drei Monaten nach der Eintragung der Verschmelzung beantragt werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 SpruchG).
38 Dabei handelt es sich jedoch nur um die rein tatsächliche Übergabe der Aktienurkunden; denn Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft werden sie mit der Eintragung der Verschmelzung kraft Gesetz (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG).
3 Thies
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
11. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Das Wertpapiererwerbs- und Übemahmegesetz39 ist am 1. 1. 2002 in Kraft getreten und löste den vorher gültigen Übernahmekodex von 1995 - zuletzt in der Fassung von 199840 - ab, da dieser auf der freiwilligen Anerkennung der Marktteilnehmer basierte und sich aufgrund dessen als ineffektiv erwiesen hatte41 . Das Gesetz regelt "öffentliche Angebote" eines Bieters zum Erwerb der Aktien einer deutschen Zielgesellschaft (§§ 1, 2 Abs. 1 und 3 WpÜG). Angebote werden freiwillig oder auf Grund einer Verpflichtung abgegeben (§ 2 Abs. 1 WpÜG); in dieser Arbeit wird das in § 35 Abs. 2 WpÜG geregelte "Pflichtangebot" näher besprochen.
1. Regelungsziele und Schutzmechanismen Die Regelungen des WpÜG verfolgen den Zweck, ein "faires und transparentes Verfahren" für öffentliche Angebote, insbesondere für Übernahmeangebote, zur Verfügung zu stellen, "um die Rahmenbedingungen für Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbessem,,42. Unternehmensübernahmen sollen weder gefördert, noch verhindert werden43 . Es soll nur sichergestellt sein, dass die BGBI. 2001 I, S. 3822 ff. Der Text des "Übernahmekodex" der Börsensachverständigenkommission beim Bundesfinanzministerium ist abgedruckt in AG 1998, 133 ff. 41 Von den 1016 börsennotierten inländischen Gesellschaften hatten bis zum 11. 4. 2001 lediglich 755, darunter 86 Gesellschaften des DAX-lOO, den Kodex anerkannt. Eine flächendeckende Anerkennung hat der Übernahmekodex daher - im Unterschied zu der Selbstregulierung in anderen Ländern, wie etwa der City Code on Takeovers and Mergers in Großbritannien - nicht gefunden. Daher wurde eine allgemein verbindliche gesetzliche Regelung erforderlich, Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 27; näher dazu auch Baums, in: von Rosen! Seifert, Die Übernahme börsennotierter Gesellschaften, 1999, S. 166 ff.; Hopt, FS Zöllner, S. 253,264 f.; Kirchner! Ehricke, AG 1998, 105, 108 ff.; Krause, NJW 2002, 705, 706; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.275; Lenenbach, Rn. 13.29; Letzel, NZG 2001, 260; MerktlRossbach, JuS 2003, 217, 223; Weisgerber, ZHR 161 (1997), 421, 425 ff. Bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000 trat die rechtliche Unverbindlichkeit des Kodex offen zutage, als die Beanstandungen, weIche die Übernahmekommission an dem Umtauschangebot vorbrachte, von Vodafone unter dem Hinweis auf die Unverbindlichkeit des Kodex zurückgewiesen wurden, obwohl sich das Unternehmen vorher verpflichtet hatte, den Kodex einzuhalten, vgl. Burgard, WM 2000,611 f.; Lenenbach, a. a. O. Näher zur Gesetzesgeschichte auch KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 42 ff.; Krause, NJW 2002,705 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.276; MöllerlPötzsch, ZIP 2001, 1256 f.; Haarmann!Riehmer! Schüppen-Schüppen, Einleitung zum WpÜG Rn. 9 ff. Näher zu den Unterschieden hinsichtlich der Selbstregulierung zwischen Großbritannien und Deutschland siehe Hopt, ZGR 2002, 333, 372 ff. 42 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 27. 43 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 28 re. Sp.; KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 84; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.282; Schwark-Noack, Einleitung zum WpÜG Rn. 9; vgl. zu § 35 WpÜG: KK-von Bülow § 35 WpÜG Rn. 3; MöllerlPötzsch, ZIP 2001, 1256, 1260 re. Sp. 39
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11. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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unterschiedlichen Interessen des Bieters sowie der anvisierten Aktiengesellschaft, ihrer Aktionäre und ihrer Arbeitnehmer Berücksichtigung finden. Schließlich wird die Information der übrigen Kapitalmarktteilnehmer gewährleistet44 . In dem Gesetz werden drei verschiedene Arten des Angebotes geregelt45 : das öffentliche Angebot (Abschnitt 3, §§ 10- 28 WpÜG), das Übernahmeangebot (Abschnitt 4, §§ 29-34 WpÜG) und das Pflichtangebot (Abschnitt 5, §§ 35-39 WpÜG). In systematischer Hinsicht wird das Übernahmeangebot vom Gesetzgeber als Spezialfall des öffentlichen Angebots und das Pflichtangebot als Spezialfall des Übernahmeangebots behandelt, indem jeweils auf die Vorschriften des vorangegangenen Abschnitts verwiesen wird (vgl. § 34 und § 39 WpÜG)46. Außerdem schließen sich die Tatbestände insofern gegenseitig aus, als gemäß § 35 Abs. 3 WpÜG ein Pflichtangebot entbehrlich ist, wenn die Kontrolle über die Zielgesellschaft auf Grund eines Übernahmeangebotes i.S.v. §§ 29 ff. WpÜG erworben wurde. Um die Regelungen des Pflichtangebotes darzustellen, müssen daher auch die bei den anderen Tatbestände des WpÜG kurz erläutert werden. a) Einfaches Erwerbsangebot (§§ 10 ff., 2 Abs. 1 WpÜG) Im Rahmen von .. öffentlichen Angeboten ,,47 zum Erwerb von Wertpapieren einer Gesellschaft i.S.v. § 10 Abs. 1,2 Abs. 1 WpÜG bestehen unterschiedliche Interessen des Emittenten, des jeweiligen Aktionärs und des Bieters, so dass in den §§ 10 ff. WpÜG Verfahrensregeln mit dem Zweck vorgesehen werden, ihren gegenläufigen Interessen Rechnung zu tragen48 . 44 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 28; vgl. dazu KK.-Hine, Einleitung zum WpÜG Rn. 84; Hopt, ZHR 166 (2002). 383, 385 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn. 8.284; Lenenbach, Rn. 13.32 f. 45 Näher zur Systematik vgl. Ekkengal Hofschroer, DStR 2002, 724; Ehricke/Ekkengal Oechsler-EkkengaISchu1z. Einführung zum WpÜG Rn. 3 ff.; KK.-Hine, Einleitung zum WpÜG Rn. 85; Krause. NJW 2002. 705. 706; Lenenbach. Rn. 13.36 ff. 46 Vgl. Ekkengal Hofschroer, DStR 2002, 724; KK-Hine, Einleitung zum WpÜG Rn. 85; Haarmann/RiehmerISchüppen-Schüppen. Einleitung zum WpÜG Rn. 4 f. 47 Der Begriff des ,,Angebots" i.S.v. § 10 Abs. I WpÜG wird in § 2 Abs. I als "öffentliches Kauf- oder Tauschangebot" näher beschrieben. Der Gesetz- und Verordnungsgeber sah sich jedoch zu einer Definition des "öffentlichen Angebots" nicht in der Lage. Dieses "öffentliche Angebot" ist von nicht-öffentlichen, quasi ..privaten Angeboten" abzugrenzen, auf die das WpÜG keine Anwendung findet. Ein Angebot ist "öffentlich", wenn der Bieter es entweder, I), über die Medien verbreitet, die allgemein zugänglich sind - wie beispielsweise über die Zeitungen, Zeitschriften oder das Internet - oder, 2), trotz individueller Adressierung durch Brief oder e-mail an einen größeren, ihm nicht persönlich bekannten Adressatenkreis richtet. Bei dem anonymen Erwerb von Wertpapieren über die Börse handelt es sich nicht um ein öffentliches Angebot. Ausführlich dazu statt aller Haarmann I Riehmer I Schüppen-Schüppen, § 2 WpÜG Rn. 9 ff.; vgl. dazu auch Geibell Süßmann-Angerer, § 1 WpÜG Rn. 13 ff., 17; Fleischer, ZIP 2001, 1653. 1658 ff.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
Die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft kann davon abhängen, ob es dem Bieter gelingt, eine maßgebliche Beteiligung zu erwerben, und es muss sichergestellt werden, dass die Zielgesellschaft in zeitlicher Hinsicht nicht übermäßig durch ein öffentliches Angebot belastet wird. Die Aktionäre haben dagegen ein Interesse, alle etforderlichen Informationen zu erhalten, um das Angebot zu bewerten und über dessen Annahme zu entscheiden. Demgegenüber datf der Bieter nicht durch ein zu restriktives Angebotsvetfahren daran gehindert werden, ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren abgeben zu können, da er dadurch in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beeinträchtigt würde. Das öffentliche Angebot richtet sich ausschließlich nach den §§ 10-28 WpÜG, wenn es weder unter den Tatbestand des Übernahmeangebotes i.S.v. § 29 Abs. I WpÜG noch des Pflichtangebotes i.S.v. § 35 Abs. 2 WpÜG zu subsumieren ist. Da diese weiteren Vorschriften dann keine Anwendung finden, wird es auch als "einfaches Erwerbsangebot" bezeichnet49 .
b) Übernahmeangebot gemäß § 29 Abs. 1 WpÜG Ein Übernahmeangebot LS.v. §§ 29 ff. WpÜG ist ein öffentliches Angebot, das auf die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet ist (§ 29 Abs. I WpÜG), und stellt deshalb einen Spezialfall des öffentlichen Angebotes dar. Es bestehen daher dieselben gegenläufigen Interessen wie beim öffentlichen Angebot; die Interessenkollision wird jedoch dadurch verschärft, dass der Gesellschaft die "Kontrolle" durch den Bieter und damit eine womöglich - von den Aktionären und! oder dem Vorstand - unerwünschte andere Unternehmensstrategie droht50 . Im Unterschied zum einfachen Erwerbsangebot bestehen gesetzliche Sonderregelungen, die einen Mindestwert für die Gegenleistung festlegen (§ 31 WpÜG)SI, den Bieter verpflichten, das Angebot gegenüber allen Aktionären abzugeben (Vollangebotspflicht, § 32 WpÜG) , und den Vorstand der Zielgesellschaft zur Neutralität verpflichten (§ 33 WpÜG)S2. 48 Vgl. dazu und zum Folgenden Ekkenga/ Hofschroer, DStR 2002,724 f.; Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 8.284 und 8.315 ff. 49 Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, Einführung zum WpÜG Rn. 5; Lenenbach, Rn. 13.41. 50 Näher dazu Ekkenga/ Hofschroer, DStR 2002, 724, 725; Der Vorstand der Zie1gesellschaft befindet sich bei einem Übernahmeangebot zumeinst in einem Konflikt zwischen den eigenen Interessen und denen der Aktionäre, vgl. Hommelhoff/Witt, RlW 2001, 561, 565; Merkt, ZHR 165 (2001), 224 ff. 51 Es ist umstritten, ob sich diese Vorschrift im Hinblick auf Übernahmeangebote mit der Richtlinie 2004/25/EG vom 21. 4. 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABI. EG Nr. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12 = NZG 2004, 651 ff., vereinbaren lässt. Dagegen sprechen sich aus Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005,109,111 und 113 f.; Mülbert, NZG 2004,633,640; a.A. Seibt/Heiser, ZGR 2005,200,221 m.w.Nw. in Fn. 113. Dagegen wird für Pflichtangebote eine vergleichbare Vorschrift weiterhin zulässig sein.
11. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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c) Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG
Erlangt eine Person die Kontrolle, d. h. mindestens 30% der Stimmrechte einer Zielgesellschaft (§ 29 Abs. 2 WpÜG), und beruht dieser Kontrollerwerb nicht auf einem Übemahmeangebot LS.v. § 29 Abs. 1 (vgL § 35 Abs. 3 WpÜG), so ist sie gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet, allen Aktionären ein öffentliches Angebot abzugeben. Der Schwelle von 30% der Stimmrechte liegt die Überlegung zugrunde, dass angesichts der üblichen Präsenzen in den Hauptversammlungen dieser Anteil der Stimmrechte regelmäßig ausreicht, um praktisch die Stimmenmehrheit innezuhaben s3 . Bevor das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG abzugeben ist, muss die in der Gesellschaft eingetretene Kontrollsituation offen gelegt werden (Publizitätspflicht, § 35 Abs. 1 WpÜG). Diese Regelung verfolgt den Zweck, die Organe der Gesellschaft, die Aktionäre sowie die sonstigen Kapitalmarktteilnehmer über den Kontrollerwerb zu unterrichtens4 . Nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 WpÜG löst erst diese Veröffentlichung die Verpflichtung des Kontrollerwerbers, ein Angebot abzugeben, aus, d. h. regelungstechnisch knüpft § 35 Abs. 2 WpüG an den Absatz 1 anss . Um die Verpflichtungen des § 35 Abs. I und 2 WpÜG zu vermeiden, kann der Kontrollerwerber bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)s6 entweder einen Antrag auf Nichtberücksichtigung der Stimmrechte (§ 36 WpÜG) oder einen Antrag auf Befreiung (§ 37 WpÜG) stellens7 . Die Angemessenheit des Kaufpreises unterliegt gewissen Regelungen (§ 39 LV.m. § 31 WpÜG) und wird von der BaFin kontrolliert (§ 40 Abs. I Nr. 1, § 4 WpÜG).
52 Schwark-Noack, § 29 WpÜG Rn. 2; Haannannl Riehmerl Schüppen-Schüppen, Einleitung zum WpÜG Rn. 4. Zur rechtspolitische Diskussion hinsichtlich des Neutralitätsgebotes vgl. Grunewald, AG 2001, 288 ff.; Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 232 ff. S3 Baums, ZIP 1997, 1310, 1311; Letzei, BKR 2002, 293, 299 f.; PötzschlMöller, WM 2000 Sonderbeilage Nr. 2, S. 17; Geibel/Süßmann-Süßmann, § 29 WpÜG Rn. 14; MüKoWackerbarth, AktG, § 29 WpÜG Rn. 42 f. 54 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 3. 55 SteinmeyerlHäger, § 35 WpÜG Rn. 35; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 137 f. Es ist jedoch aufgrund des Gesetzeszwecks des § 35 WpÜG auch derjenige, der entgegen § 35 Abs. 1 WpÜG den Kontrollerwerb nicht veröffentlicht, gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet. Denn die Veröffentlichung des Kontrollerwerbs nach Abs. 1 Satz 1 ist lediglich rechtstechnisch als auslösendes Moment für das Verfahren nach Abs. 2 gewählt worden; eine materielle Einschränkung der Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Pflichtangebotes war damit nicht beabsichtigt, vgl. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 138. 56 Näher zu den Funktionen der BaFin vgl. Claussen, § 9 Rn. 25 f. 57 Es wird im Schrifttum teilweise bezweifelt, ob § 37 WpÜG mit Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie betreffend Übernahmeangebote, AbI. EG Nr. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12, 17 = NZG 2004, 651 ff., näher dazu 2. Kapitel 1I.5.e), vereinbart werden kann, vgl. Hoptl Mülbert I Kumpan, AG 2005, 113 f.; Mülbert, NZG 2004, 633, 641 f.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
aa) Regelungsziele des Pflichtangebotes Das Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG soll der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte dienen 58 und schützt die Minderheitsaktionäre59 • Sie haben ein Interesse daran, dass sie bei schwerwiegenden Veränderungen der Geschäftsgrundlage ihrer Investitionsentscheidungen - und als eine solche wird das Entstehen einer Kontrollsituation und der Wechsel des Kontrollträgers eingestuft - die Möglichkeit zum Ausstieg aus der Kapitalanlage erhalten60 ; denn es droht einer kontrollierten Gesellschaft, von dem Kontrollaktionär ausgebeutet zu werden61 . Umstritten ist jedoch, ob die Norm den Schutz der einzelnen Aktionäre auch bezweckt oder ob ihre Interessen nur - im Wege eines Rechtsreflexes - geschützt werden, um die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu sichern62 . Das Pflichtangebot eröffnet den Aktionären die Möglichkeit, ihre "Beteiligung an dem Unternehmen zu einem angemessenen Preis veräußern zu können,,63. Die Anleger sind dabei aus zwei Gründen schutzbedürftig: Erstens ist der Kontrollerwerb in der Aktiengesellschaft typischerweise mit einem Wertverlust ihrer Aktien verbunden mit der Folge, dass die Aktionäre ihre Beteiligung nicht ohne Einbuße an oder außerhalb der Börse verkaufen können 64 • 58 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 28 re. Sp.: ,,ziel des Gesetzesentwurfs ist es, Rahmenbedingungen bei Unternehrnensübernahrnen und anderen öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren in Deutschland zu schaffen, die den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen Rechnung tragen, und hierdurch den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch im internationalen Wettbewerb weiter zu stärken."(eigene Hervorhebung). Vgl. auch Berding, WM 2002, 1149, 1154; KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 84; Haarrnann/RiehrnerISchüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 61; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 50; Haarrnann/RiehrnerISchüppen-Stögmüller, § 4 WpÜG Rn. 43 ff. 59 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 30; Ekkengal Hofschroer, DStR 2002, 724, 725; KK-von Bülow, § 35 Rn. 4; Haarrnann/RiehrnerISchüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 1. Im Hinblick auf diese zwei Regelungsziele wird von einer "dualistischen Zielkonzeption" gesprochen, vgl. Merkt, Unternehmenspublizität, S. 296. 60 Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG wird als Reaktion auf die Änderung der Geschäftsgrundlage des Investitionsvertrages verstanden von: Kleindiek, ZGR 2002, 546, 558 f.; Krause, WM 1996, 893, 899; Schwark-Noack, Einleitung zum WpÜG Rn. 9, § 35 WpÜG Rn. 3. Näher zum Wegfall der Geschäftsgrundlage als rechtsdogmatische Begründung es Pflichtangebotes Heiser, S. 58 ff. 61 Vgl. Fleischer, NZG 2002, 545, 548; Liekefett, RIW 2004, 824, 831 li. Sp.; näher dazu aus ökonomischer Sicht Rau-Bredow, DBW 59 (1999), 763, 772 ff. 62 Näher dazu sogleich unter bb). 63 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 30. 64 Ekkengal Hofschroer, DStR 2002, 724, 725; Kleindiek, ZGR 2002,546,558; SchneiderBurgard, DB 2001, 963, 965; näher dazu auch Geibell Süßmann-Meyer; § 35 Rn. 4; siehe dazu unten 2. Kapitel II. 4.a)bb). Indessen ist die Regelung des § 35 Abs. 2 WpÜG insofern rechtspolitischen Bedenken ausgesetzt: Zum einen gehen Unternehmensübernahmen häufig mit Kursgewinnen in Höhe von 15 bis zu 50% des Vor-Übernahrnewertes einher, so dass eine Schädigung der Interessen der Aktionäre häufig nicht vorliegt. Zum anderen können die
II. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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Außerdem sollen alle Aktionäre an einer etwaigen Mehrvergütung partizipieren, die der Erwerber üblicherweise für den Kontrollerwerb an den oder die Veräußerer von Aktienpaketen entrichtet (Paketzuschlag oder Kontrollprämie)65. Dem Ziel des Gesetzgebers, den Ausstieg zu einer angemessenen Gegenleistung zu ermöglichen, dienen § 31 Abs. 1, 7 i.Y.m. § 39 WpÜG und § 3 ff. AngebotsV0 66 , indem das Pflichtangebot sowohl den durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei Monate (§ 5 AngebotsVO) als auch die für den Erwerb von Aktien innerhalb der letzten drei Monate von dem Kontrollerwerber bezahlten Preise nicht unterschreiten darf (§ 4 AngebotsVO). Insofern wird die Angemessenheit der Gegenleistung von zwei Prinzipien bestimmt: Es sollen Aktionäre, die nur einige wenige Aktien halten, und diejenigen, die Aktienpakete halten, gleichbehande1t werden (Gleichbehandlungsgrundsatz), und es ist den ausstiegsberechtigten Investoren ein Preis anzubieten, der mindestens dem höchsten Preis, der vorher für die Aktien eines Aktienpakets gezahlt wurde, entsprechen muss (Meistbegünstigungsprinzip)67.
bb) Drittschützende Wirkung und private Durchsetzung Es ist umstritten, ob § 35 Abs. 2 WpÜG diesen Schutz der einzelnen Aktionäre auch bezweckt oder ob ihnen der Schutz nur - im Wege eines Rechtsreflexes gewährt wird, um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu sichern. Dies ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: bei den Fragen, ob der einzelne Aktionär beschwerdebefugt ist (§ 48 Abs. 2 und 3 WpÜG) und damit ein Pflichtangebot gerichtlich durchsetzen kann, ob ihm Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB i.Y.m. Art. 34 GG gegen die BaFin zustehen können und ob die Norm als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist.
fmanziellen Belastungen des Pflichtangebotes dazu führen, dass ein möglicher Bieter von einer Investition Abstand nimmt. Vgl. Bernau, WM 2004, 809, 810 f. und 818; KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 5 ff.; Liekefett, RIW 2004, 824, 830 ff. Zu der Möglichkeit, eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG zu erhalten, wenn nach einer umwandlungsbedingten Kontrollerlangung mit einer Kurssteigerung zu rechnen ist, siehe unten 3. Kapitel II.4. 65 Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 79 f.; Ekkengal Hofschroer; DStR 2002, 724, 725; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 559, der rechtsvergleichend m.w.Nw. in Fn. 62 darauf hinweist, dass Rule 9 des britischen City Code on Takeovers and Mergers dieselbe Intention verfolgt; KK-Kremer/Oesterhaus, Anh. § 31, § 4 AngebotsVO Rn. I; Steinmeyer/Häger; § 31 WpÜG Rn. 11; Geibel I Süßmann-Thun, § 31 Rn. 80 ff.; "ymeersch, ZGR 2002, 520, 539. 66 Die "Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots" wurde vom Bundesministerium der Finanzen am 27. 12.2001 erlassen. 67 Vgl. Keindiek, ZGR 2002, 546, 558; KK-Kremer/Oesterhaus, Anh. § 31 WpÜG, § 4 AngebotsVO Rn. 1; Krieger; in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 299 f.; Steinmeyer / Häger; § 31 WpÜG Rn. 11; Geibell Süßmann- Thun, § 31 WpÜG Rn. 80.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
( 1) Kein subjektiv öffentliches Recht
Nach der vom OLG Frankfurt in seiner Entscheidung "Berliner Effektengesellschaft" geäußerten Ansicht ergibt sich aus den §§ 35, 37 WpÜG kein subjektiv öffentliches Recht der Aktionäre auf die Abgabe eines Pflichtangebotes68 . Damit bestätigte das Gericht seine bisherige Rechtsprechung, wonach Normen des WpÜG keine drittschützende Wirkung aufweisen69 . Dies ergibt sich aus § 4 Abs. 2 WpÜG, der ausdrücklich vorsieht, dass die BaFin die ihr nach dem WpÜG zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnimmeo, der Entwicklungsgeschichte des § 52 WpÜG71 , dem Wegfall des im Regierungsentwurf noch vorgesehenen § 42 WpÜG72 und dem Umstand, dass sich eine Beteiligung der Aktionäre im Beschwerdeverfahren mit dem Bestreben des Gesetzgebers, die Durchführung der Verfahren nach dem WpÜG in möglichst kurzer Zeit zu ermöglichen, nur schwer vereinbaren ließe73 • Auch sind die Anteilseigner nicht in Art. 14 Abs. 1 GG verletzt74 . Mangels subjektiv öffentlichen Rechts sind die ZIP 2003, 2254, 2256 re. Sp. = NZG 2004, 240, 242. In seinen "Wella AG"-Entscheidungen hat das OLG Frankfurt, ZIP 2003, 1251 ff. = AG 2003,515 f. (einstweilige Anordnung), ZIP 2003, 1392 ff. = AG 2003, 513 ff. (Hauptsacheverfahren), entschieden, dass die Aktionäre gegen den an den Bieter gerichteten Bescheid, mit dem die Angebotsunterlage gestattet wird (§ 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG), mangels Widerspruchsbefugnis keinen zulässigen Widerspruch bei der BaFin einlegen können; denn es kann aus § 31 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG kein subjektiv öffentliches Recht der Aktionäre hergeleitet werden, vgl. ZIP 2003, 1392, 1393. In seinen ,,Pro Sieben"-Entscheidungen hat das OLG Frankfurt, ZIP 2003, 1297 ff. =AG 2003, 516 f. (einstweilige Anordnung), ZIP 2003, 2206 ff. = NZG 2004, 243 ff. (Hauptsacheverfahren), festgestellt, dass der einzelne Aktionär im Rahmen des Befreiungsverfahren eines Bieters aus §§ 37,35 WpÜG kein Recht auf Hinzuziehung zum Befreiungsverfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG herleiten kann, vgl. ZIP 2003, 2206. 2208. 70 OLG Frankfurt, AG 2003,513,514 f. ("Wella AG"); vgl. dazu auch Möller, ZHR 167 (2003),301,306; MüKo-Schlitt, AktG, § 36 WpÜG Rn. 64; näher dazu Sinwn, S. 90 ff. 71 Gemäß der Regelung des § 52 WpÜG in der Fassung des Regierungsentwurfes (damals § 53 WpÜG-E) wären auch die Personen am Beschwerdeverfahren beteiligt, die von der BaFin hinzugezogen wurden. Nach einem Änderungsvorschlag des Finanzausschusses sind jedoch nun gemäß der Vorschrift nur der Beschwerdeführer und die BaFin beteiligt, da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Dritte durch Verfügungen der BaFin in ihren Rechten nicht verletzt sein können; näher dazu OLG Frankfurt, ZIP 2003, 2254, 2256 li. Sp. ("Berliner Effektengesellschaft"); OLG Frankfurt, AG 2003, 513, 514 re. Sp. ("Wella AG"). 72 OLG Frankfurt, AG 2003, 513, 514 re. Sp. ("Wella AG"). In § 42 WpÜG in der Fassung des Regierungsentwurfes war eine Schadensersatzregelung bei Rechtsrnissbrauch geplant; diese Norm setzte die Möglichkeit von Drittwidersprüchen voraus. Im Rahmen der Beratungen des Finanzausschusses des Bundestages wurde diese Regelung mit dem Hinweis gestrichen, dass Dritte durch Verfügungen der BaFin nicht in ihren Rechten verletzt sein können und demzufolge die Regelung keinen praktischen Anwendungsbereich habe, näher dazu Möller, ZHR 167 (2003), 301, 306. 73 OLG Frankfurt, ZIP 2003, 2254, 2256 ("Berliner Effektengesellschaft"); OLG Frankfurt, AG 2003,513,515 ("Wella AG"), vgl. dazu auch UechtritzlWirth, WM 2004, 410, 414. 74 OLG Frankfurt, AG 2003, 513, 515 ("Wella AG"). 68
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II. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
41
Aktionäre daher weder beschwerdebefugt (§ 48 WpÜG)75, noch können sie Amtshaftungsansprüche geltend machen76 . Von einem Teil der Literatur wird § 35 Abs. 2 WpÜG eine drittschützende Wirkung zugesprochen77 ; die wohl überwiegende Auffassung spricht sich hingegen ebenfalls gegen eine solche drittschützende Wirkung aus 78. Die im Schrifttum gegenüber der Ablehnung der drittschützenden Wirkung geäußerten verfassungs75 OLG Frankfurt, AG 2003, 513 f. ("Wella AG"). Die Aktionäre können also weder Verpflichtungsbeschwerde i.S.v. § 48 Abs. 3 WpÜG einlegen, um die BaFin zu zwingen, die Abgabe eines Angebotes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG durch Verwaltungsakt anzuordnen oder ein Angebot wegen eines unangemessenen Preises zu untersagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG), noch im Wege der Anfechtungsbeschwerde gemäß § 48 Abs. 2 WpÜG gegen eine Befreiungsentscheidung der BaFin (§ 37 WpÜG) vorgehen. Eine Ausnahme wird von einem Teil der Literatur für den letzteren Fall der Anfechtungsbeschwerde gemacht: Trotz Fehlen eines subjektiv öffentlichen Rechts soll die Beschwerdebefugnis in diesem Zusammenhang gegeben sein, wenn der Aktionär im vorangegangenen Verwaltungsverfahren beteiligt war, vgl. von Riegen, Der Konzern 2003, 583, 593 ff., 600. 76 OLG Frankfurt, ZIP 2003, 2254, 2257 li. Sp. ("Berliner Effektengesellschaft"). 77 Berding, Der Konzern 2004, 771, 780; von Bülow/Bücker; Der Konzern 2003,185,201; Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 293 ff.; Nietsch, BB 2003, 2581, 2584 ff.; Ehricke/Ekkengal Oechsler-Oechsler; § 4 WpÜG Rn. 11; KK-Pohlmann, § 48 WpÜG Rn. 78; achokke/Rahlf, DB 2003, 1374, 1376; im Ergebnis spricht sich auch Aha, AG 2002, 160, 161 für die drittschützende Wirkung von Normen des WpÜG aus, ohne sich jedoch zu § 35 WpÜG zu äußern. Diese Mindermeinung wird insbesondere damit begründet, dass der Gesetzgeber gemäß § 4 Abs. 2 WpÜG nur die Amtshaftung gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG ausschließen wollte, nicht hingegen die Befugnis Dritter, Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der BaFin geltend zu machen, vgl. Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 288 f., achokke/Rahlf, DB 2003,1374,1376. Differenzierend lhrig, ZHR 167 (2003), 315, 342, 349, nach dessen Ansicht zwar kein Recht der Aktionäre auf Einschreiten der BaFin bestehe (vgl. S. 349), sie jedoch befugt seien, Anfechtungsbeschwerde gegen eine Befreiungsentscheidung der BaFin zu erheben (vgl. S. 342); so im Ergebnis auch Seibt, ZIP 2003, 1865, 1866 f.; 1872; ähnlich auch Wagner; NZG 2003, 718, 719. Sie gewähren also einen eingeschränkten Verwaltungsrechtsschutz. 78 Baums/Thoma-Baums/Hecker; § 35 WpÜG Rn. 296; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ehricke, § 48 WpÜG Rn. 17; KK-Giesberts, § 4 WpÜG Rn. 50 ff., 61; Haarmann-RiehmerSchüppen-Haannann, § 31 WpÜG Rn. 22; Hecker; ZBB 2004, 41, 49 li. Sp.; Krause, NJW 2004, 3681, 3687; Assmann/Schneider/Pötzsch-Krause/Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 249; Lenz, NJW 2003, 2073, 2075; Möller; ZHR 167 (2003), 301, 306 f.; MüKo-Schlitt, AktG, § 36 WpÜG Rn. 64 ff.; Haarmann/RiehmerISchüppen-Schüppen/Schweizer § 41 WpÜG Rn. 13; Schwark-Noack. § 4 WpÜG Rn. 11 f.; Schnorbus, WM 2003, 657, 658 f., anders noch ders., ZHR 166 (2002), 72,108 f., 115 f.; GeibellSüßmann-Schwenicke, § 4 WpÜG Rn. 11; Seibt/Heiser; ZHR 165 (2001),466,484 f.; Steinmeyer/Häger; Vor §§ 41 ff. WpÜG Rn. 5 ff., insb. Rn. 13; Haarmann/RiehmerISchüppen-Stögmüller; § 4 WpÜG Rn. 44; Uechtritz/ Wirth, WM 2004, 410, 412 ff.; achokke, DB 2002, 79, 84; zur Parallelvorschrift des § 4 Abs. 4 FinDAG, vormals § 4 Abs. 2 WpHG: Assmann / Schneider-Dreyling, § 4 WpHG Rn. 22; von Riegen, Der Konzern 2003, 583, 584 ff., 600. Infrage gestellt wird ein solches subjektives Recht auch von Liebscher; ZIP 2001,853, 858, und der Stellungnahme des Handeisrechtsausschusses des DAV, NZG 2001, 420, 421. Ferner vermittelt § 35 WpÜG auch nach Ansicht der BaFin kein subjektives Recht auf Abgabe eines Pflichtangebotes, vgl. dazu FAZ vom 3. 8. 2002, S. 10; KK-Pohlmann, § 48 WpÜG Rn. 78. Zu diesem Streitstand vgl. Kersting, ZHR 167 (2003). 351 ff.; Spindler, BB 2004, 2197, 2203.
42
1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
rechtlichen Bedenken79 hat das BVerfG in seiner "Wella AG"-Entscheidung nicht aufgegriffen so, sondern die Frage, ob den Aktionären subjektiv öffentlichen Rechte zustehen, offen gelassenSI. Die Pflichtangebotsregelung schützt daher insofern das Vertrauen der Investoren nur, um die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte zu gewährleisten, d. h. der Schutz des einzelnen Anlegers ist insoweit nicht Gegenstand der ratio legis, sondern bloßer "Rechtsreflex.. s2 . Den Aktionären stehen insoweit weder Rechtsschutz noch AmtshaftungsanspTÜche zu.
(2) Schutzgesetz i.S. v. § 823 Abs. 2 BGB Die wohl überwiegende Auffassung sieht § 35 Abs. 2 WpÜG zu recht als "Schutzgesetz" i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB an und spricht der Norm damit zumindest in dieser Hinsicht drittschützende Wirkung ZU S3 . Von einigen Autoren wird den 79 Zu den entsprechenden Bedenken an der Freizeichnung des Staates von Amtshaftungsansprüchen vgl. Maunz/Dürig/Herzog-Papier, Art. 34 Rn. 190,240 f.; Berding, Der Konzern 2004, 771, 774 f. m.w.Nw.; vgl. dazu auch Claussen, § 9 Rn. 22; a.A. UechtritzlWirth, WM 2004, 410, 414 f. Außerdem bestehen auch Bedenken, ob der Ausschluss eines subjektiv öffentlichen Rechts auf Einschreiten der Behörde europarechtskonform ist. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der EuGH hinsichtlich des § 4 Abs. 4 FinDAG, der dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 WpÜG entspricht, entschieden hat, dass das Europarecht kein solches Recht verlangt, EuGH NJW 2004, 3479, 3480 Rn. 30 (,,feter Paul u. a./Bundesrepublik Deutschland"), näher dazu Binder, GPR 2005, 28 ff.; vgl. dazu auch das sich an diese Vorabentscheidung des EuGH anschließende Urteil des BGH in dieser Sache, DB 2005, 384, 387. Nach Ansicht von Berding, Der Konzern 2004, 771, 774, sollen diese Entscheidungen jedoch nicht auf § 4 Abs. 2 WpÜG übertragbar sein. 80 BVerfG NJW 2004, 2031 = ZIP 2004, 950 = AG 2004, 607 = NZG 2004, 617 ("Wella AG"). In dieser Entscheidung ging es um eine Beteiligung der Aktionäre im Gestattungsverfahren (§ 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG), siehe zu der entsprechenden Entscheidung des BGH oben Fn.69. 81 Vgl. dazu Berding, Der Konzern 2004, 771, 772; SpindlerlChristoph, BB 2004, 2197, 2203. 82 Es handelt sich also um eine Nebenwirkung der Vorschrift, die rein tatsächlich eintritt, ohne bezweckt zu sein. Zu dem Begriff des Rechtsreflexes vgl. BVerfGE 27, 297, 307; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 12/7918, 100; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 319; Kümpel, in: Kümpel/Hammen/ Ekkenga, Kapitalmarktrecht, 050, S. 15; ders., Einführung, S. 36; Haarmann/Riehmer/ Schüppen-Stögmüller, § 4 WpÜG Rn. 43; MüKo-Schlitt, § 36 WpÜG Rn. 62. 83 Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 297; KK-von Bülow § 35 WpÜG Rn. 199; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-EkkengaISchulz, § 35 WpÜG Rn. 75 f.; Ekkengal Hofschroer, DStR 2002, 768, 777 unter Verweis auf DStR 2002, 724, 730; Haarmann/Riehmer/Schüppen-HommelhojfIWitt, § 35 WpÜG Rn. 61 f.; Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 349; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 245; ZschokkelRahlf, DB 2003, 1375, 1376. Dass die Vorschriften des WpÜG grundSätzlich Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellen können, bejahen auch KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 149; Apfelbacher/Barthelmess/ Buhl/von Dryander-Kopplvon Dryander, § 4 WpÜG, Rn. 2. A.A. wonach § 35 Abs. 2
n. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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Aktionären ebenfalls ein Anspruch zugestanden, wobei es sich nach ihrer Ansicht nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, sondern um einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch 84. Bemerkenswert ist an diesem Ergebnis, dass § 35 Abs. 2 WpÜG in zivilrechtlicher Hinsicht drittschützende Wirkung entfaltet, obwohl ein Drittschutz in öffentlich-rechtlicher Hinsicht - wie soeben referiert wurde - zu verneinen ist85 . Da sich die Anforderungen des Zivilrechts 86 und des öffentlichen Rechts 87 für die Prüfung, ob eine Norm drittschützenden Charakter aufweist, im Wesentlichen gleichen, scheint dieses Ergebnis auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein88 . WpÜG nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sei, vgl. Emmerich/Habersack-Habersack, Vor § 311 AktG Rn. 24; Krause, NJW 2004,3681,3688; Assmannl Schneider I Pötzsch-Krause/Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 253; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 50; Schnorbus, WM 2003, 657, 663; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 485; Simon, NZG 2005,541,542; ders., S. 252 ff.; Geibel I Süßmann-Tschauner, § 59 WpÜG Rn. 79 f. 84 Dieser ergebe sich entweder aus § 35 Abs. 2 WpÜG selbst, so Seibt, ZIP 2003, 1865, 1876 und wohl auch Steinmeyer/Häger, § 35 WpÜG Rn. 28, § 38 WpÜG Rn. 4, Vor §§ 41 ff. Rn. 15; Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 269, oder aus einem durch die Kontrollerlangung ausgelösten gesetzlichen Schuldverhältnis, so Mülbert/Schneider, WM 2003, 2301, 2308 li. Sp. 85 Von denjenigen Autoren, die sich zu beiden Fragen äußern, so auch Baums I ThomaBaums / Hecker, § 35 WpÜG Rn. 296 f.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 245, § 36 WpÜG Rn. 64 ff.; Steinmeyer/Häger, § 35 WpÜG Rn. 28, Vor §§ 41 ff. Rn. 13, 15. So im Ergebnis auch Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 342, 349, und Seibt, ZIP 2003, 1865, 1868, die einen schuldrechtlichen Abfindungsanspruch zusprechen und zugleich ein subjektiv öffentliches Recht auf Abgabe eines PfIichtangebotes verneinen; näher zu dem von ihnen vertretenen eingeschränkten Verwaltungsrechtsschutz, siehe oben Fn. 77. Vgl. dazu ferner Mülbert/ Schneider, WM 2003, 2301, 23081i. Sp. 86 Ein "Schutzgesetz" i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass das Gesetz - sei es auch neben dem Schutz der Allgemeinheit - gerade dazu dienen soll, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsgutes zu schützen, BGHZ 12, 146, 148 NJW 1954,675; Palandt-Thomas, § 823 BGB Rn. 141; MüKo-Wagner, § 823 BGB Rn. 340. Dabei ist die jeweilige Norm in grammatikalischer, historischer und systematischer Hinsicht auszulegen; demgegenüber ist die teleologische Auslegung nicht anzuwenden, da es gerade um die Ermittlung des Zwecks der Vorschrift geht, vgl. MüKo-Wagner, a. a. O. Der Gesetzgeber äußert sich regelmäßig nicht dazu, ob eine Ausdehnung der Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewollt ist, MüKo-Wagner, a. a. 0.; entscheidend ist ob eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems sachgerecht erscheint, BGHZ 46, 17,23; Palandt-Thomas, a. a. O. 87 Ein subjektiv öffentliches Recht - auch so genannte "Schutznorm" - setzt voraus, dass die Regelung ausschließlich oder doch jedenfalls neben dem mit ihnen verfolgten allgemeinen Interessen zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist; so die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 27,297,307, und des BVerwG, vgl. BVerwGE 92, 313, 317; vgl. dazu auch Eyermann-Happ, § 42 VwGO Rn. 86; Kopp/ Schenke, § 42 VwGO Rn. 83; vgl. dazu auch OLG Frankfurt AG 2003, 513, 514 ("Wella AG"). Dies ist eine Frage, welche mit den üblichen juristischen Methoden der Auslegung und Ausfüllung von Lücken im Recht zu beantworten ist. Wesentliches Kriterium IUr den "drittschützenden" Charakter einer Norm ist, inwieweit von ihr das geschützte Rechtsgut, die Art der Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und abgegrenzt wird, BVerwGE 94,151,158; Eyermann-Happ, a. a. 0.; Kopp/Schenke, § 42 VwGO Rn. 84.
=
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
Allerdings sind die unterschiedlichen Ergebnisse im Hinblick auf den Drittschutz des § 35 Abs. 2 WpÜG wie folgt zu erklären: Das Angebot des § 35 Abs. 2 WpÜG richtet sich an einen eindeutig abgegrenzten Personenkreis; die Aktionäre der Zielgesellschaft erhalten die Möglichkeit zum Austritt. Daher wäre der drittschützende Charakter dieser Norm an sich zu bejahen. Der Gesetzgeber wollte jedoch mit Hilfe der Regelung des § 4 Abs. 2 WpÜG 89 im WpÜG keine subjektiv öffentlichen Rechte einräumen, um Amtshaftungsansprüche auszuschließen90 und um das Verfahren nach dem WpÜG nicht zu verzögem 91 . Ein zivilrechtlicher Schutz im Wege eines Schadensersatzanspruchs gegen den Bieter gemäß § 823 Abs 2 BGB gefährdet diese beiden Ziele des § 4 Abs. 2 WpÜG nicht, so dass die Vorschrift einem solchen Anspruch nicht entgegensteht92• Für eine Schadensersatzpflicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB spricht zudem, dass § 35 WpÜG diese Schadensersatzpflicht nicht ausdrücklich ausschließt, wie dies beispielsweise § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG für die Verletzung der ad-hoc-Publizität regelt93 . Der Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB hat zur Folge, dass der einzelne Aktionär vor den Zivilgerichten im ordentlichen Verfahren94 ein Kaufangebot erstreiten kann; denn der Kontrollerwerber hat den Zustand herzustellen, der bei gesetzmäßigem Verhalten bestehen würde (Naturalrestitution, § 249 BGB)95.
(3) Gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit der Gegenleistung Außerdem kann jeder einzelne Aktionär seinen Anspruch auf angemessene Gegenleistung im ordentlichen Verfahren vor den Zivilgerichten durchsetzen, nach88 So Berding, Der Konzern 2004, 771, 776 f.; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Oechsler, § 4 WpÜG Rn. 9; Schnorbus, WM 2003, 657, 663. 89 Dazu bereits oben bb)(1). 90 Vgl. KK-Giesberts, § 4 WpÜG Rn. 52; lhrig, ZHR 167 (2003), 315, 320; Möller, ZHR 167 (2003), 301, 305. 91 OLG Frankfurt, ZIP 2003, 2254, 2256 ("Berliner Effektengesellschaft"); OLG Frankfurt, AG 2003,513,515 ("Wella AG"); vgl. dazu UechtritzlWirth, WM 2004, 410, 414 li. Sp. 92 Vgl. lhrig, ZHR 167 (2003), 315, 338; MülbertlSchneider, WM 2003, 2301, 2308 li. Sp.; Seibt, ZIP 2003, 1865, 1868. Nach der hier vertretenen Ansicht wäre es lediglich widersprüchlich, ein subjektiv öffentliches Recht im Rahmen von § 839 BGB zu verneinen und im Rahmen von § 48 Abs. 2, 3 WpÜG zu bejahen; denn in beiden Fällen bestünde die Gefahr, dass die BaFin in ihrer Aufsichtstätigkeit durch den einzelnen Aktionär gestört würde. 93 Haarmann/Riehmer/Schüppen-HommelhoffIWitt, § 35 WpÜG Rn. 61; vgl. dazu auch EkkengalHofschroer, DStR 2002, 724, 730. § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG stellt nämlich klar, dass § 15 WpHG keine Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB ist, näher dazu 5. Kapitel 1.3.a). 94 Das bedeutet, dass nicht das Beschwerdeverfahren der §§ 48 ff. WpÜG Anwendung findet. 95 Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 298; Cahn, ZHR 167 (2003), 262, 269 in Fn. 26; lhrig, ZHR 167 (2003), 315, 349; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 245;
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dem er ein etwaiges Kaufangebot angenommen hat. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich insofern nämlich aus dem mit dem Bieter abgeschlossenen Vertrag i.Y.m. § 31 Abs. 1 WpÜG96 . (4) Stimmrechtsverlust (§ 59 WpÜG) Ferner ordnet § 59 Satz 1 WpÜG an, dass die Rechte aus Aktien, die dem Bieter gehören, für die Zeit nicht bestehen, für welche die Pflichten nach § 35 nicht erfüllt werden. Werden Stimmrechte unter Verstoß gegen § 59 Satz 1 WpÜG mitgezählt und beruht der Beschluss auf diesen Stimmen, so ist der Beschluss anfechtbar (§ 243 Abs. 1 AktG) und kann daher im Wege der Anfechtungsklage von einem Aktionär angefochten werden (§ 246 AktG)97. Es handelt sich dabei um eine geseIlschaftsrechtliche Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 35 WpÜG98 . (5) Zinsanspruch (§ 38 WpÜG) Für die Dauer eines Verstoßes gegen die Pflichten des § 35 WpÜG hat der Kontrollerwerber den Aktionären im übrigen Zinsen auf die Gegenleistung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen. Diesen Anspruch kann der Aktionär im ordentlichen Verfahren einklagen99 . (6) Fazit Zwar räumt § 35 Abs. 2 WpÜG den Aktionären kein subjektiv öffentliches Recht auf Abgabe eines Pflichtangebotes ein, so dass ihnen im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren der BaFin kein Rechtsschutz und auch keine Amtshaftungs96 KK-KremerlOesterhaus, § 31 WpÜG Rn. 105; SteinmeyerlHäger, § 31 WpÜG Rn. 88; vgl. dazu auch Ihrig, ZHR 167 (2003), 315, 346 f.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 246; so im Ergebnis auch das OLG Frankfurt ("Wella AG"), ZIP 2003, 1251, 1252 re. Sp. =AG 2003, 515, 516, unter Verweis auf die beiden erstgenannten Stimmen aus der Literatur; a.A. LappelStajjlage, BB 2002, 2185, 2189 f., nach deren Ansicht eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Gegenleistung aufgrund von § 12 WpÜG möglich ist. 97 KK-KremerlOesterhaus, § 59 WpÜG Rn. 57; MüKo-Schlitt, AktG, § 59 WpÜG Rn. 49. Ein schuldhafter Verstoß gegen § 59 Satz 1 WpÜG durch Ausübung der Rechte führt außerdem zu einer Schadensersatzpflicht, und zwar wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, vgl. Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ehricke, § 59 WpÜG Rn. 36; KK-Kremerl Oesterhaus, § 59 WpÜG Rn. 86. 98 Ehricke I Ekkenga I Oechsler-Ehricke, § 59 WpÜG Rn. 3; Haarmann/RiehmerlSchüppen-HommelhofflWitt, § 59 WpÜG Rn. 3; MüKo-Schlitt, AktG, § 59 WpÜG Rn. 1; Haarmann/RiebmerlSchüppen-Schüppen, Vor § 59 WpÜG Rn. 1; so im Ergebnis auch KK-KremerlOesterhaus, § 59 WpÜG Rn. 8, die von ,,zivilrechtlicher Sanktion" sprechen. 99 KK-Kremer/Oesterhaus, § 38 WpÜG Rn. 25 ff.; MüKo-Schlitt, § 38 WpÜG Rn. 24; SteinmeyerlHäger, § 38 WpÜG Rn. 4; Wagner, NZG 2003, 718, 719; so im Ergebnis auch Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga, § 38 WpÜG Rn. 1; näher zu diesen bürgerrechtlichen Streitigkeiten vgl. Pötzsch, S. 51.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
ansprüche zustehen. Demgegenüber entfaltet § 35 Abs. 2 WpÜG jedoch im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB drittschützende Wirkung. Ferner kann der Aktionär vor den Zivilgerichten die Angemessenheit der Gegenleistung überprüfen lassen. Da die Norm somit nur einen Teil des möglichen Drittschutzes gewährt, kann insofern von einer "abgeschwächten Form" des Drittschutzes gesprochen werden. Im Unterschied zum Umwandlungsverfahren, bei dem mit "inter omnes"-Wirkung durch den einzelnen Aktionär ein Barabfindungsangebot durchgesetzt werden kann (§ 13 Satz 2 SpruchG), verpflichtet ein solches Schadensersatzurteil nur zur Abgabe eines Pflichtangebotes gegenüber dem klagenden Aktionär (inter-partes-Wirkung). Ferner bestehen weitere zivilrechtliche Sanktionen gemäß § 38 und § 59 WpÜG. cc) Hoheitliche Durchsetzung des Pflichtangebotes Die Einhaltung der von § 35 WpÜG normierten Verhaltenspflichten werden von der BaFin im öffentlichen Interesse (§ 4 Abs. 2 WpÜG) überwacht (§ 40 Abs. I Nr. I WpÜG). Verstöße gegen die Verpflichtungen des WpÜG stellen nach § 60 Abs. I Nr. I lit. a) WpÜG Ordnungswidrigkeiten dar und können von der BaFin mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu I Million Euro geahndet werden (§ 60 Abs. 3, § 61 WpÜG). Umstritten ist, ob die BaFin darüber hinaus gemäß der allgemeinen Eingriffsbefugnis des § 4 Abs. I Satz 3 WpÜG - wonach sie Anordnungen treffen kann, die geeignet und erforderlich sind, Missstände zu beseitigen oder zu verhindern - die Durchführung eines Pflichtangebotes durch Verwaltungsakt anordnen und ihn mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung, zum Beispiel mittels eines Zwangsgeldes in Höhe von bis zu 500.000 € (§ 46 Satz 4 WpÜG), durchsetzen darf (§ 46 WpÜG)l()(). Die anderen Sanktionen, d. h. die Verzinsungspflicht (§ 38 WpÜG) , der Stimmrechtsverlust (§ 59 WpÜG) und die Androhung einer Geldbuße (§ 60 WpÜG), sind nicht ausreichend effektiv I 0\ , da im Einzelfall denkbar ist, dass ein Kontrollerwerber trotz dieser Folgen das Pflichtangebot zunächst nicht abgibt. Auch der Gesetzgeber geht in seiner Regierungsbegründung zu § 59 WpÜG davon aus, dass der in § 59 WpÜG angedrohte Rechtsverlust die daneben bestehenden 100 Dafür KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 187; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkengal Schulz. § 35 WpÜG Rn. 73; SteinmeyerlHäger; § 35 WpÜG Rn. 25 ff.; Geibe1/SüßmannSüßmann. § 46 WpÜG Rn. I; so im Ergebnis offenbar auch: Cahn. ZHR 167 (2003), 262, 270 f.; Lenz. NJW 2003, 2073, 2075 re. Sp.; Möller; AG 2002, 170, 176; a.A. Baums/Thoma-BaumsIHecker; § 35 WpÜG Rn. 295; Emmerich I Habersack-Habersack. Vor § 311 AktG Rn. 24; Schwark-Noack. § 35 WpÜG Rn. 48; MüKo-Schlitt. AktG, § 35 WpÜG Rn. 242; offengelassen von lhrig. ZHR 167 (2003), 315, 348 f. De lege ferenda wird von HoptlMülbertlKumpan. AG 2005,109,113, vorgeschlagen, die BaFin in § 35 Abs. 4 WpÜG n.F. ausdrücklich zur Durchsetzung des Pflichtangebotes zu ermächtigen, vgl. dazu auch bereits Habersack. ZHR 166 (2002), 619, 622. 101 A.A. MüKo-Schlitt. AktG, § 35 WpÜG Rn. 242.
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Mittel des Verwaltungszwanges ergänze 102 . Ferner bestehen zu Unrecht Bedenken gegen die Anwendung dieser Generalklause1, sie sei möglicherweise nicht hinreichend bestimmt 103 , denn § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG ermächtigt lediglich die Verwaltung, einen Verwaltungsakt zu erlassen, die näheren Eingriffsvoraussetzungen werden in §§ 35 ff. WpÜG geregelt, indem in § 35 die Voraussetzungen für eine Verpflichtung vorgesehen und in §§ 36 f. Ausnahmen zugelassen werden. Die Durchsetzung des Pflichtangebotes kann daher nicht nur vom einzelnen Aktionär im Wege eines Schadensersatzanspruchs - also mit den Mitteln des Privatrechts - sondern vor allem auch hoheitlich von der BaFin erzwungen werden. § 35 WpÜG gehört also - während er zugleich die aufgezeigten zivilrechtlichen Folgen nach sich zieht - zu den "aufsichtsrechtlichen Normen" des WpÜG und ist insofern dem öffentlichen Recht zuzuordnen 104 . 2. Ablauf des Pflichtangebotsverfahrens Der Ablauf des Angebotsverfahrens wird im WpÜG detailliert vorgegeben. Es kann in vier Phasen gegliedert werden: die Vorangebots-, die Angebots-, die Annahme- und die Nachannahmephase 105 • Nachfolgend werden die verschiedenen Verfahrens schritte am Beispiel des Pflichtangebots (§ 35 Abs. 2 WpÜG) dargestellt 106•
102 Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 68 li. Sp. (damals noch zu § 60 WpÜG-E); diese Ansicht vertritt auch Möller, AG 2002, 170, 176. 103 lhrig. ZHR 167 (2003), 315, 349. 104 Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 6. Wenn der Staat oder ein anderer Träger öffentlicher Gewalt hoheitlich-regelnd handelt und er dabei dem Bürger im Verhältnis der Über- und Unterordnung gegenübersteht (sog. "Subordinationstheorie"), so geschieht dies immer in den Formen des öffentlichen Rechts, vgl. BVerwGE 29, 159, 161 f.; BGHZ 67,81,85; Hufen, § 11 Rn. 18 ff.; Kopp/Schenke, § 40 VwGO Rn. 11; EyermannRennen, § 40 VwGO Rn. 42. Dann ist die entsprechende Norm dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Des weiteren ist denkbar, eine kapitalmarktrechtliche Norm aufgrund ihrer privatrechtlichen Auswirkungen zugleich dem Privatrecht zuzuordnen. Sie weist dann eine sog. "ambivalente Rechtsnatur" auf, näher dazu 5. Kapitel in Fn. 53. 105 Assmann, AG 2002, 114, 116 ff.; Krause, NJW 2002, 70S, 707 f.; Lenenbach, Rn. 13.46; vgl. dazu auch Schmidt/Prigge/Suckel. ZBB 2003, 460, 461 f.; Thoma. NZG 2002, lOS, 107 ff. 106 Näher zum Pflichtangebotsverfahren Lenenbach, Rn. 13.46 ff.; Schwark-Noack, Einleitung zum WpÜG Rn. 4 ff.; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,470 ff.; vgl. dazu auch Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002,724,726 ff.; Geibel/Süßmann, BKR 2002,52,54 ff.; KKHine, Einleitung zum WpÜG Rn. 103 ff.; Krause, NJW 2002, 705, 707 f.; Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht, Rn. 8.315 ff. Da bei einem Pflichtangebot im Unterschied zu einem einfachen Erwerbsangebot und einem Übernahmeangebot eine Verpflichtung zugrunde liegt, bestehen deutliche Unterschiede zwischen diesem Verfahren und den anderen Angebotsverfahren.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
a) Vorangebotsphase
(1) Der Kontrollerwerber hat die Finanzierung des Pflichtangebots sicherzustellen (§ 39 i.V.m. § 13 Abs. 1 WpÜG). (2) Sofern eine Geldleistung angeboten werden soll, muss ein vom Bieter unabhängiges Wertpapierdienstleistungsunternehmen schriftlich bestätigen, dass die notwendigen Maßnahmen zur Finanzierung getroffen wurden (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Für die Richtigkeit der Bestätigung haftet die Bank (§ 13 Abs. 2 WpÜG). (3) Die Angebotsunterlage kann bereits entworfen werden (vgl. § 39 i.Y.m. § 11 WpÜG) 107. (4) Die Kontrolle wird erlangt (§§ 35, 29 Abs. 2 WpÜG)108. (5) Der Kontrollerwerb ist den Geschäftsführungen der Börsen und der BaFin mitzuteilen (§§ 35 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 i.V.m. § 10 Abs. 2 WpÜG). (6) Der Kontrollerwerb muss in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder über ein elektronisch betriebenes Informationssystem innerhalb von sieben Tagen nach dem Kontrollerwerb veröffentlicht werden (§ 35 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 WpÜG). (7) Der Kontrollerwerbs ist der Zielgesellschaft mitzuteilen (§ 39 i.V.m. § 10 Abs. 5 Satz 1 WpÜG). (8) Der Betriebsrat der Zielgesellschaft muss über den Kontrollerwerb durch den Vorstand der Zielgesellschaft unterrichtet werden (§ 39 i.V.m. § 10 Abs. 5 Satz 2WpÜG).
b) Angebotsphase
(9) Die Angebotsunterlage (§ 11 WpÜG) muss an die BaFin innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Kontrollerlangung übermittelt werden (§ 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG). Die Angebotsunterlage hat eine Reihe detailliert vorgeschriebener Angaben zu enthalten (§ 11 WpÜG i.Y.m. § 2 AngebotsVO), für deren Richtigkeit der Bieter haftet (§ 12 WpÜG)l09. (10) Die BaFin prüft dann die Rechtrnäßigkeit der Angebotsunterlage und kann das Angebot untersagen oder gestatten (vgl. §§ 14 Abs. 2, 15 WpÜG). Das Ange107 Es empfiehlt sich, die Angebotsunterlage bereits frühzeitig vorzubereiten, da der vierwöchige Zeitraum nach der Kontrollerlangung (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG) erfahrungsgemäß nicht ausreicht, um diese zu erstellen, vgl. Lenenbach, Rn. 13.49. 108 Wird die Kontrolle im Wege einer Umwandlung der Zielgesellschaft erlangt, so findet der Kontrollerwerb in dem Zeitpunkt statt, in dem die Umwandlung eingetragen wird. Mit der Eintragung erwerben nämlich die bisherigen Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers die Aktien des übernehmenden Rechtsträgers automatisch kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). 109 Näher zu dieser Haftung vgl. Assmann, AG 2002, 153 ff.
11. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
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bot wird insbesondere untersagt, wenn die angebotene Gegenleistung offensichtlich nicht "angemessen" ist LS.v. § 31 Abs. 1 WpÜG, §§ 3 ff. AngebotsVO (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG). Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sind der Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Kontrollerlangung (§ 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG LY.m. § 5 AngebotsVO) und etwaige Vorerwerbe durch den Bieter (§ 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG i.Y.m. § 4 AngebotsVO) zu berücksichtigen. Der BaFin steht gemäß § 40 WpÜG die Befugnis zu, bei dem Kontrollerwerber, den Aktionären und den Banken Auskünfte einzuholen und Unterlagen einzusehen. (11) Der Kontrollerwerber veröffentlicht innerhalb von vier Wochen nach der Erlangung der Kontrolle ein Angebot im Internet und in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder durch Bereithaltung zur kostenlosen Ausgabe bei einer geeigneten Stelle (Schalterpublizität Jl O; § 35 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 i.Y.m. § 14 Abs. 3 WpÜG). (12) Die Angebotsunterlage ist an die Zielgesellschaft zu senden (§§ 35 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 WpÜG). (13) Der Vorstand der Zielgesellschaft übermittelt die Angebotsunterlage an den Betriebsrat (§ 35 Abs. 2 Satz 2 LY.m. § 14 Abs. 4 Satz 2 WpÜG). (14) Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft veröffentlichen eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot (§ 39 i.Y.m. § 27 Abs. 1 WpÜG). Dieser Stellungnahme ist gegebenenfalls die Stellungnahme des Betriebsrates beizufügen (§ 27 Abs. 2 WpÜG). (15) Diese begründete Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrates wird an den Betriebsrat übermittelt (§ 39 i.Y.m. § 27 Abs. 3 Satz 2 WpÜG). (16) Ein Beleg über die Veröffentlichung der Angebotsunterlage ist der BaFin zuzusenden (§ 39 i.V.m. § 27 Abs. 3 Satz 3 WpÜG). c) Annahmephase
(17) Die Annahme des Kaufangebots durch die Aktionäre ist innerhalb der Annahmefrist, die zwischen vier und zehn Wochen betragen kann (§ 39 i.V.m. § 16 Abs. 1 WpÜG), möglich. Die Frist beginnt mit der Veröffentlichung des Angebotes (§ 16 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). . (18) Die Annahmefrist wird kraft Gesetzes verlängert, wenn im Zusammenhang mit dem Angebot nach der Veröffentlichung eine Hauptversammlung einberufen wird (§ 16 Abs. 3 WpÜG: Verlängerung auf insgesamt zehn Wochen) oder innerhalb der zwei Wochen vor Ablauf der Frist das Angebot geändert wird (§ 21 Abs. 5 WpÜG: Verlängerung um zwei Wochen). 110
4 TIries
Geibel / Süßrnann-Geibel. § 14 WpÜG Rn. 44; Krause. NJW 2002, 705, 708.
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1. Kap.: Regelungsziele und Verfahren
(19) Während der Annahmefrist ist der Bieter verpflichtet, sowohl die von ihm schon gehaltenen und ihm gemäß § 30 WpÜG zuzurechnenden Anteile als auch die sich aus den ihm zugegangenen Annahmeerklärungen ergebende Anzahl von Wertpapieren zunächst wöchentlich, in der letzten Woche vor Ablauf der Annahmefrist täglich sowie nach Ablauf der Annahmefrist zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen (§ 39 i.Y.m. § 23 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WpÜG)111. Auf diese Weise werden die Aktionäre über die Annahmequote laufend informiert (Wasserstandsmeldungen) 112. d) Nachannahmephase (20) Der Erwerb von Aktien, welcher außerhalb des Pflichtangebotsverfahrens nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor Ablauf eines Jahres stattfindet, ist zu veröffentlichen und der BaFin mitzuteilen (§ 39 i.Y.m. § 23 Abs. 2 WpÜG). Dies ist von Bedeutung, da ein solcher Erwerb sich auf die Art (§ 31 Abs. 3 Nr. 2 WpÜG) und die Höhe der Gegenleistung (§ 31 Abs. 5 WpÜG) auswirkt I 13.
111 § 23 Abs. 1 Nr. 3 WpÜG findet hingegen keine Anwendung im Pflichtangebotsverfahren, vgl. Haarmann/RiehmerISchüppen-Hommelhoff/Wltt, § 39 WpÜG Rn. 19. 112 KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 115; Krause, NJW 2002, 705, 708; Haarmannl Riehmer I Schüppen-Schröder, § 23 WpÜG Rn. 3. 113 Krause, NJW 2002, 705, 708; Lenenbach, Rn. 13.72.
2. Kapitel
Ptlichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung I. Problemstellung Die Formulierung "Kontrolle [ ... ] erlangt" i.S.v. § 35 Abs. I WpÜG 1 ist weit gefasst und kann grundsätzlich jede Form der Verschiebung der Anteilsverhältnisse meinen, d. h. nicht nur den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Aktien - der auf einem Kaufvertrag an oder außerhalb der Börse als Kausalgeschäft beruht - sondern auch den gesetzlichen Erwerb von Aktien im Wege einer Umwandlung (§ 20 Abs. I Nr. 3 UmwG). Es muss zwischen zwei Situationen differenziert werden, bei denen jeweils die Umwandlung eine Kontrollerlangung nach sich zieht: die Kontrollerlangung über eine Zielgesellschaft i.S.v. § 35 WpÜG durch einen Umwandlungsvorgang auf der Ebene ihrer Aktionäre (Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft) und die Kontrollerlangung, die dadurch eintritt, das die Zielgesellschaft selbst umgewandelt wird (Umwandlung unter Beteiligung der Zielgesellschaft)2. 1. KontroUerwerb durch Umwandlung ohne Beteiligung der ZielgeseUschaft Eine Umwandlung kann eine Kontrollerlangung nach sich ziehen, ohne dass die Zielgesellschaft beteiligt ist, indem zwei Aktionäre der Zielgesellschaft verschmolzen werden (§§ 2 ff. UmwG), die beispielsweise jeweils 15% der stimmberechtigten Aktien an ihr halten. Die Rechtsform der beiden Aktionäre ist dabei unerheblich; es muss sich lediglich um einen verschmelzungsfahigen Rechtsträger i.S.v. § 3 Abs. I UmwG handeln. I Tatbestandlich knüpft die in § 35 Abs. 2 WpÜG geregelte Angebotsverpflichtung an § 35 Abs. 1 an, näher dazu 1. Kapitel II.l.c). 2 Vgl. Baurns/Thorna-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 67 und 108; Ehricke/Ekkenga/ Oechsler-Ekkenga/Schu1z. § 35 WpÜG Rn. 28 f.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 75, insb. in Fn. 151; vgl. dazu auch KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 70 ff., der die zwei Situationen als "Kontrollerwerb durch Vermögensübergang" (Rn. 70 ff.) und "Kontrollerwerb durch Anteilsgewährung" (Rn. 73 ff.) bezeichnet; ferner dazu auch Adolff/Meister/Randell/Stephan, S. 241 ff.
4*
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Schaubild 1: Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft
Mit der Eintragung der Verschmelzung geht das Vennögen des einen Aktionärs - und damit auch die von ihm gehaltenen Aktien an der Zielgesellschaft - auf den übernehmenden Aktionär über (§ 20 Abs. I Nr. I UmwG)3. Somit befinden sich nach der Verschmelzung 30% der stimmberechtigten Aktien in der Hand einer Gesellschaft. Sie hat nun als Kontrollaktionär ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG abzugeben4 • Die hinsichtlich der zweiten Konstellation (s. u. 1.2.) zu besprechende Diskussion, ob § 35 WpÜG nach einer Umwandlung Anwendung finden kann, ist hier nicht von Bedeutung: Das Umwandlungsrecht findet nur auf der Stufe der bei den von der Umwandlung betroffenen Aktionäre Anwendungs. Daher ist beispielsweise ausgeschlossen, dass den anderen Aktionären der Zielgesellschaft neben dem Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG zugleich ein Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. I UmwG zustehen kann. Die im Zusammenhang mit der zweiten Konstellation vorzufindende Argumentation, das Umwandlungsrecht könne bereits ausreichend schützen6 , verfängt demzufolge hier nicht7 • 2. Kontrollerwerb durch Umwandlung unter Beteiligung der Zielgesellschaft Die Kontrollerlangung kann auch dadurch eintreten, dass die Zielgesellschaft selbst mit einer anderen Gesellschaft verschmolzen wird 8 . Im Rahmen einer Um3 Aufgrund dieses Vermögensüberganges gern. § 20 Abs. I Nr. 1 UmwG spricht KK-von Bü[ow, § 35 WpÜG Rn. 70, in diesem Zusammenhang von dem "Kontrollerwerb durch Vermögensübergang" . 4 KK-von Bü[ow, § 35 WpÜG Rn. 71; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 28; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 75. 5 Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466,490. 6 Näher dazu sogleich unter 1.2. 7 Zu dem Sonderfall, dass die umgewandelte Gesellschaft die oberste Gesellschaft eines Konzerns darstellt (Konzemobergesellschaft), siehe unten 4. Kapitel 1.1.
I. Problemstellung
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wandlung erhalten die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers Anteile des übernehmenden Rechtsträgers (§ 20 Abs. I Nr. 3 UmwG)9. Wenn ein Aktionär nach der Verschmelzung an der übernehmenden Gesellschaft mindestens 30% der stimmberechtigten Aktien hält, gelangen die Aktionäre einer der beteiligten Gesellschaften durch die Verschmelzung in eine Minderheitenposition. Da die Zielgesellschaft - im Unterschied zu der oben dargestellten Konstellation - an der Umwandlung beteiligt ist, könnten ihre Aktionäre grundsätzlich sowohl durch das UmwG, als auch durch das WpÜG geschützt werden. Wendet man die beiden Gesetze nebeneinander an, so kann es beispielsweise zu einem Nebeneinander der Austrittsrechte des § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG und des § 35 Abs. 2 WpÜG kommen, wenn in der ,,Zielgesellschaft" gemäß § 68 Abs. 2 AktG eine Verfügungsbeschränkung besteht (§ 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG) und die Verschmelzung zugleich dazu führt, dass in der übernehmenden Gesellschaft als ,,zielgesellschaft" die Kontrolle erlangt wird (§ 35 Abs. 2 WpÜG)IO. Fraglich ist, ob die Aktionäre eines solchen doppelten Schutzes bedürfen oder ob vielmehr die damit einhergehende Belastung der Verpflichteten dafür spricht, eines der beiden Austrittsrechte genügen zu lassen. Nicht nur für diesen Sonderfall der Konkurrenz der beiden Austrittsrechte, sondern auch darüber hinaus ist zu untersuchen, ob nicht das UmwG den Interessen der Beteiligten bereits abschließend gerecht wird.
Nachdem der Gesetzgeber diese Frage im Gesetz nicht geregelt hat ll , hat sich die Literatur ihrer angenommen, ohne jedoch bislang zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu kommen: Eine Auffassung spricht sich gegen die Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen aus und begründet dies insbesondere damit, dass die Regelungen des UmwG den Interessen der Minderheitsaktionäre schon ausreichend Rechnung trügen\2. Demgegenüber will die überwiegende Ansicht § 35 Abs. 2 WpÜG auch nach Umwandlungen grundsätzlich anwenden; es besteht jedoch Uneinigkeit innerhalb dieser Ansicht, ob die Vorschrift immer 13 oder nur in ß Vgl. dazu und zum folgenden Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz. § 35 WpÜG Rn. 29; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 73 ff.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 137 ff. 9 Aufgrund diesen gesetzlichen Erwerbs von Aktien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG spricht KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 73, hinsichtlich dieser Konstellation von dem "Kontrollerwerb durch Anteilsgewährung" . 10 Näher dazu 3. Kapitel II.l. 11 Näher dazu unten H.2. Eine gesetzliche KlarsteIlung soll möglicherweise im 5. Finanzmarktf6rderungsgesetz erfolgen, vgl. Semler I Stengel-Semler / Stengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 101. 12 GeibeIlSüßmann-Angerer, § 1 WpÜG Rn. 106; Grabbel Fett, NZG 2003, 755, 763; Heckschen, in: Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 16 ff.; Nörr/Stiejenhojer, S. 84 ff., insb. 86; Vetter, WM 2002, 1999 ff., 2010; Weber-Reyl Schütz, AG 2001,325,329; so im Ergebnis auch Semler I Stengel-Semler / Stengel, Einleitung A zum UmwG, Rn. 101. 13 Fleischer, NZG 2002, 545, 549; ders.lKalls, S. 69; Kleindiek, ZGR 2002, 547, 572, 577 f.; Seibtl Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 481 ff., 493; Haarmann/RiehmerlSchüppen-
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
bestimmten Fallgruppen Anwendung finden SOllI4. Die BaFin hat für eine der Fallgruppen ebenfalls die Anwendbarkeit des § 35 Abs. 2 WpÜG bejaht, ohne sich zu weiteren Fallgruppen zu äußem l5 . Die Vorschrift des § 2 UmwG unterscheidet zwischen zwei verschiednen Arten der Verschmelzung: der Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1) und der Verschmelzung im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 2): Im Wege der Aufnahme gemäß § 2 Nr. 1 kann eine Verschmelzung von zwei Gesellschaften GI und G2 auf folgenden drei verschiedenen Wegen herbeigeführt werden: (1) GI kann auf G2 verschmolzen werden (2) G2 kann auf GI verschmolzen werden (3) GI und G2 können auf eine aufnehmende Gesellschaft G3 verschmolzen werden. Auf der Basis dieser drei Gestaltungsmöglichkeiten lassen sich drei Fallgruppen 16 einer Kontrollerlangung unter Beteiligung der Zielgesellschaft bilden. Es wird dabei im Folgenden angenommen, dass alle Gesellschaften börsennotiene Aktiengesellschaften sind und ein Mehrheitsgesellschafter jeweils an GI und an der nach der Verschmelzung fortbestehenden Gesellschaft mindestens 30% der stimmberechtigten Aktien hält. Dies kann beispielsweise eintreten bei ähnlicher HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 30; so wohl auch KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 80. Ohne zwischen einzelnen Fallgruppen zu differenzieren sprechen sich für die grundSätzliche Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen aus: Ekkenga/Hofschroer, NZG 2001, 768, 774; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 397; Kalss, in: Semler/Volhard, Unternehmensübemahmen, Band 2, § 51 Rn. 66; AnwK-von Lingelsheim, AktG, § 35 WpÜG Rn. 6; Sem/er/Stengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 90 und 102; Steinmeyer/Häger, § 35 WpÜG Rn. 12; KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 34. 14 Adolff/Meister/Randell/Stephan, S. 241 f.; Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 108 ff., insb. Rn. 112 ff. und Rn. 116 ff.; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 73 ff., insb. 76 und 81; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 29 ff., insb. Rn. 32; Apfelbacher/Barthelmess I Buhl I von Dryander-Kopp/von Dryander, § 35 WpÜG Rn. 3; Assmann/Schneider/Pötzsch-Krause/Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 142 ff., insb. 150; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 26; Rotthege/Sowade, in: Rotthege/Wassermann, Unternehmenskauf, Rn. 1545 ff.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 137 ff., insb. Rn. 139; Süßmann, WM 2003, 1453, 1454 f.; Technau, AG 20002, 260, 261 ff., 265 f.; so auch die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2001,420. 15 Vgl. dazu Lenz I Linke, AG 2002, 361, 367 f.; Vetter, WM 2002, 1999. Bei dem von der BaFin zu entscheidenden Fall wurde zwar zunächst in einem ersten Schritt noch ein Geschäftsbereich auf eine NewCo ausgegliedert; der in diesem Zusammenhang jedoch allein bedeutsame zweite Schritt ist der sogleich dargestellten 1. Fallgruppe zuzuordnen; näher dazu unten I1I.I.a). Bereits zuvor hatte sich die BaFin für eine Anwendung des WpÜG neben dem UmwG ausgesprochen, vgl. BaFin, Jahresbericht 2002, Teil A, S. 172. 16 Vgl. dazu Baums I Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 112 ff., Rn. 116 ff., 119 ff.; Grabbe/Fett, NZG 2003, 755, 756 f.; Hecksehen, in: Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 9 ff.; Seibtl Heiser, ZHR 165 (2001),466,478 f.; Vetter, WM 2002,1999.
I. Problemstellung
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Größe von GI und G2, wenn der Mehrheitsgesellschafter vor der Verschmelzung mehr als 60% der Aktien an G I hielt, oder im Falle einer geringeren Beteiligung des Mehrheitsaktionärs an GI, wenn der Untemehmenswert von GI den von G2mit den entsprechenden Folgen für das Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. I Nr. 3 UmwG) - übersteigt 17. Bei der 3. Fallgruppe wird unterstellt, dass G3 im Zeitpunkt der Verschmelzung bereits existent 18 und ebenfalls börsennotiert ist 19 .
1. Fall&!:ul!l!e
vorher:
•
---->
vorher.
•
nachher.
Cl
02
vorher.
•GI ---->
0Gl
G2
Gl
nachher.
0
() G3
G3
Schaubild 2: Umwandlung unter Beteiligung der Zielgesellschaft 17 Die Beteiligungsquote des einzelnen Aktionärs in der übernehmenden Gesellschaft nach der Verschmelzung liegt unter derjenigen Beteiligungsquote, die auf ihn vor der Verschmelzung in seiner Gesellschaft entfiel. Seibtl Heiser. ZHR 165 (2001),466,481 sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass eine Kontrollposition nur noch in "verwässerter Form" bestehe; vgl. dazu auch Adolff/Meister/Randell/Stephan, S. 241; Lutter-Grunewald. § 65 UmwG Rn. 2; Weber-Rey/Schütz. AG 2001. 325, 328. Weitere Beispiele finden sich bei Kalss/Winner. ÖBA 2000, 51, 53. 18 Ansonsten handelt es sich um einen Fall der Verschmelzung im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 1 UmwG), bei der die Gesellschaft erst mit Wirksamwerden der Verschmelzung entsteht; Näheres zu dieser Verschmelzungsalternative sogleich. 19 Wlfd demgegenüber die aufnehmende Gesellschaft nur zum Zwecke der geplanten Verschmelzung der zwei Gesellschaften neu gegründet - in der Praxis sog. "NewCo" - so fehlt es regelmäßig (zunächst) an der hier unterstellten Börsennotierung. In diesem Fall kann § 35 Abs. 2 WpÜG aufgrund von § 1 WpÜG keine unmittelbare Anwendung finden. Werden die Aktien der neuen Gesellschaft unmittelbar nach dem Wirksamwerden der Verschmelzung zum Börsenhandel zugelassen - wie dies in der Praxis, beispielsweise auch im Fall Daimler I
56
2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Eine Verschmelzung zweier Gesellschaften im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG) kommt hingegen in der Praxis eher selten vor20 und ist dem für die 3. Fallgruppe skizzierten Ablauf insoweit vergleichbar, als ebenfalls die beiden ursprünglichen Gesellschaften GI und G2 erlöschen. Allerdings besteht - im Unterschied zur Verschmelzung im Wege der Aufnahme - der neue Rechtsträger vorher nicht, sondern wird erst durch die Verschmelzung gegründet. Es stellt sich ein besonderes Problem, da dieser aufnehmende Rechtsträger zunächst nicht börsennotiert ist und das WpÜG daher grundsätzlich keine Anwendung finden kann (§ 1 WpÜG); denn die Aktien der neu gegründeten Gesellschaft können erst nach dem Wirksamwerden der Verschmelzung zur Börse zugelassen werden21 . Die Frage, ob und wie diejenigen Aktionäre, die infolge der Umwandlung einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sind, zu schützen sind, soll erst später besprochen werden, da es sich um einen Sonderfall handelt, der an dieser Stelle den Blick für die Lösung des Grundproblems verstellen würde 22• Alle weiteren denkbaren Konstellationen einer Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) - z. B. dass beide Gesellschaften vor der Verschmelzung kontrolliert wurden - lassen sich dann auf der Grundlage der Ergebnisse, die anhand der drei Grundfälle entwickelt werden, lösen. Auch für die Fälle der Spaltungen kann auf die im Folgenden erörterten Grundfälle zurückgegriffen werden23 .
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft Bevor die einzelnen Fallgruppen näher betrachtet werden, stellt sich die Frage, ob überhaupt Gründe bestehen, die dafür sprechen, § 35 Abs. 2 WpÜG nach einer Umwandlung neben dem UmwG anzuwenden oder ob vielmehr das UmwG die Aktionäre abschließend und ausreichend schützen kann. Chrysler, beobachtet werden kann, vgl. MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 145; näher zu diesem Beispiel der Verschmelzung auf eine NewCo auch Reichen, in: Semler/Volhard, Unternehmensübernahmen, Band 1, § 17 Rn. 9 ff. - und ist durch die Verschmelzung eine Kontrollsituation entstanden, so stellt sich die Frage, ob angesichts des Umstandes, dass nur während einer kurzen Zeitdauer die Börsennotierung fehlte, § 35 Abs. 2 WpÜG analoge Anwendung finden soll oder ob der Fall einem kalten Delisting gleichzustellen ist. Näher dazu und zum Begriff' der NewCo unten 4. Kapitel rn.5). 20 Seibt I Heiser; ZHR 165 (2001), 466, 488; Semler I Stengel-Semler/ Stengel, Einleitung zum UmwG A Rn. 98. Da eine Gesellschaft im Rahmen der Verschmelzung neu gegründet wird, kann sie ebenfalls als NewCo bezeichnet werden. Näher zu diesem Begriff siehe oben Fn.19. 21 Mülben, ZHR 165 (2001), 104, 138; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 146; SüßftUlnn, WM 2003, 1453, 1456; Technau, AG 2002, 260, 263; näher dazu 4. Kapitel rn.5. 22 Näher dazu im Zusammenhang mit dem Sonderproblem des kalten DeIistings siehe 4. Kapitel rn.5). 23 Näher dazu unten VI.
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 57
1. Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG regelt, dass "der Bieter [ ... ] innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft der Bundesanstalt eine Angebotsunterlage zu übennitteIn und nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ein Angebot zu veröffentlichen" hat (Pflichtangebot). Der Tatbestand des § 35 Abs. 2 WpÜG knüpft an den Tatbestand des § 35 Abs. 1 WpÜG an 24 , wonach deIjenige, der "unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, [ ... ] dies unter Angabe der Höhe seines Stimmrechtsanteils unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen, gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 zu veröffentlichen" hat. Die Fonnulierung ,,Erlangung der Kontrolle" taucht also in § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG auf; sie ist so weit, dass sie nicht nur den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Aktien - dem ein an oder außerhalb der Börse geschlossener Kaufvertrag als Kausalgeschäft zugrunde liegt - sondern auch andere Techniken der Kontrollerlangung, wie beispielsweise den gesetzlichen Erwerb infolge von Umwandlungen (§§ 20 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), umfassen kann25 . Zwar ist problematisch, ob auch die zweite Fallgruppe vom Wortlaut erfasst wird26 ; an dieser Stelle kann dies jedoch noch dahinstehen, da zunächst nur die Frage beantwortet werden soll, ob eine Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG nach einer Umwandlung grundsätzlich in Betracht kommt. Gemäß der grammatikalischen Auslegung ist in den Fällen der Umwandlung der Zielgesellschaft eine Anwendung von § 35 WpÜG grundsätzlich möglich. 2. Die Gesetzesbegründung Im Wege der historischen Auslegung ist festzustellen, ob der Gesetzgeber die Kontrollerlangung durch Umwandlungsvorgänge mit den' Regelungen des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG erfassen wollte. Im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung aus dem Jahre 2001 wird unter der Überschrift "Unternehmensübernahmen und andere strukturändernde Maßnahmen,,27 ausgeführt:
24 Näher dazu siehe 1. Kapitel 1I.1.c). 25 Dies ist allgemeine Ansicht, vgl. Altmeppen. ZIP 2001,1073,1081; KK-von Bülow, § 35
WpÜG Rn. 68; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-EkkengaISchulz. § 35 WpÜG Rn. 30; Fleischer; NZG 2002, 545, 549; ders.! Kalts. S. 68; Grabbe / Fett. NZG 2003, 755; Hopt, ZHR 166 (2002),383,397; Kleindiek. ZGR 2002, 546, 564, 568; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauselPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 136; Lenz/ Linke, AG 2002, 361, 367; Geibel/Süßmann-Meyer; § 35 WpÜG Rn. 26; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 128; Seibt/ Heiser; ZHR 165 (2001),466,468; Semler / Stengel-SemlerIStengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 87. 26 Siehe dazu unten III.1.b). 27 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 31; die Begründung findet sich auch bei Hirte, S. 123; Pötzsch, S. 140.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung "Übernahmen stellen neben struktUTändernden Maßnahmen, die sich nach aktienrechtlichen und umwandlungsrechtlichen Vorschriften richten, nur eine Möglichkeit dar, um bestimmte unternehmerische Ziele durchzusetzen. Dabei beurteilt sich die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen stets nach den jeweils einschlägigen Rechtsvorschriften. Ob und inwieweit für bestimmte Fallkonstellationen im Schnittbereich zwischen Umwandlungs-, Aktien- und Übernahmerecht in der Praxis besondere gesetzliche Regelungen erforderlich sind, bleibt abzuwarten, da zunächst mit den neuen Vorschriften dieses Gesetzes Erfahrungen gewonnen werden sollen."
Angerer entnimmt dieser Begründung, dass die Vorschriften des WpÜG - insbesondere § 35 WpÜG - nicht auf umwandlungsrechtlich gestaltete Transaktionen angewendet werden sollen 28 . Wenn der Gesetzgeber sage, die Zulässigkeit solcher Maßnahmen richte sich allein nach den jeweils einschlägigen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes und des Aktiengesetzes, so meine er damit zugleich, die Normen des WpÜG sollten nicht angewandt werden. Dass sich der Gesetzgeber ein erneutes Tätigwerden offen hält, nachdem mit "den neuen Vorschriften dieses Gesetzes Erfahrungen gewonnen" wurden, spreche außerdem dafür, dass eine Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 35 WpÜG nur de lege ferenda möglich sei 29 •
Ein solches Verständnis der GesetzesbegfÜndung wird zu recht von der ganz überwiegenden Ansicht abgelehnt. Der Gesetzgeber hat gesehen, dass § 35 WpÜG neben dem UmwG Anwendung finden kann; an statt jedoch den durch den weiten Wortlaut des § 35 Abs. 1 WpÜG ausgelösten Konkurrenzfragen mit einer ausdrücklichen Regelung zu begegnen, hat er die Lösung dieser Problematik bewusst der Literatur und der Anwendungspraxis zugewiesen, ohne sich für einen Vorrang des UmwG auszusprechen 3o. Dies ergibt sich zum einen aus der Formulierung, dass "zunächst mit den neuen Vorschriften dieses Gesetzes Erfahrungen gewonnen werden sollen". Wie sollten nämlich in der Praxis Erfahrungen gewonnen und dabei das Bedürfnis für besondere gesetzliche Regelungen festgestellt werden, wenn das WpÜG nie neben dem UmwG Anwendung finden könnte?31 Geibel/Süßmann-Angerer, § 1 WpÜG Rn. 104. Geibel/Süßmann-Angerer, § 1 WpÜG Rn. 104. 30 So unter Hinweis auf die genannte Stelle der Gesetzesbegründung die ganz überwiegende Ansicht, vgl. Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 109; Fleischer; NZG 2002, 545, 549 li. Sp.; ders.1 Kalss, S. 68; Grabbe/ Fett, NZG 2003, 755 f.; KK-Hirte, Einleitung Rn. 80; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 396; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 565; Krause, NJW 2002,705,714; Lenz I Linke, AG 2002, 361, 367; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 124; SernlerIStengel-Semler/Stengel, Einleitung zum UmwG A Rn. 83; Technau, AG 2002, 260, 261; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 69. Der Gesetzgeber hat dieses Problem möglicherweise nicht mehr selbst gelöst, weil das WpÜG nicht später als die Steuererleichterungen für Anteilverkäufe (1. 1. 2(02) in Kraft treten sollte und er sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage sah, eine Lösung zu erarbeiten, vgl. Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 396. Seine Zurückhaltung kann ferner auch darauf beruhen, dass in Österreich bereits eine heftige Diskussion um das Verhältnis von Übernahme- und Umwandlungsrecht im Gange war, der er nicht vorgreifen wollte, vgl. Baums I Thoma-Baums/Hecker; § 35 WpÜG Rn. 109. 31 Lenz I Linke, AG 2002,361,367 in Fn. 22. 28
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n. Anwendbarkeit des Übemahrnerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft
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Außerdem ordnet § 35 WpÜG nicht als Rechtsfolge an, dass eine Kontrollerlangung durch Umwandlung unzulässig wird, sondern nur, unter welchen Voraussetzungen ein Pflichtangebot abgegeben werden muss. Indem die Gesetzesbegründung davon spricht, "die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen" richte sich "stets nach den jeweils einschlägigen Rechtsvorschriften", weist sie nur darauf hin, dass das Umwandlungs- und das Aktiengesetz Anwendung finden; die von Angerer aus diesem Satz der Gesetzesbegründung gezogene Schlussfolgerung, damit sei auch etwas über die Anwendbarkeit des WpÜG gesagt, ist - da dieses Gesetz, wie oben beschrieben, die Zulässigkeit von Umwandlungen, gar nicht regeln kann - falsch. Dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit von § 35 WpÜG nach Umwandlungen bewusst offen ließ, lässt sich auch auf andere Stellen der Gesetzesbegründung stützen. So heißt es in der Begründung zu § 35 WpÜG 32 : "Unerheblich ist, auf welche Weise die Kontrolle erlangt wurde. Sowohl der rechtsgeschäftliche börsliche und außerbörsliche Erwerb von stimmberechtigten Aktien als auch der Erwerb solcher Aktien von Todes wegen sowie Verhaltensweisen, die zu einer Zurechnung von Stimrnrechten nach § 30 fUhren, können daher grundsätzlich die Verpflichtung nach § 35 auslösen."
Es sollte also offenbar nicht zwischen verschiedenen Arten der Kontrollerlangung unterschieden und keine tatbestandliche Einschränkung hinsichtlich des "Wie" der Erlangung der Kontrolle aufgestellt werden 33 . Für eine Anwendbarkeit des § 35 WpÜG nach Umwandlungen spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 36 Nr. 2 WpÜG34• Die Regelung des § 36 Nr. 2 WpÜG sieht vor, dass Stimmrechte aus Aktien der Zielgesellschaft bei der Berechnung des Stimmrechtsanteils unberücksichtigt bleiben, wenn die Aktien durch einen Rechtsformwechsel erlangt wurden. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass von dieser Regelung "nur die Fälle außerhalb des Anwendungsbereiches des Fünften Buches des Umwandlungsgesetzes betroffen" sind, "da bei den dort geregelten Rechtsformwechseln kein Übertragungsvorgang stattfindet und die rechtliche Identität des Rechtsträgers fortbesteht (vgl. § 190 Abs. 1 UmwG),,3S. Sofern der Gesetzgeber tatsächlich - im Sinne der Gegenansicht - davon ausgegangen wäre, dass ein Kontrollerwerb aufgrund einer Umwandlung nie unter § 35 WpÜG falle, hätte es sehr viel näher gelegen, die fehlenden Anwendbarkeit des § 36 Nr. 2 WpÜG in den Fällen des Formwechsels LS.v. § 190 Abs. 1 UmwG damit zu begründen, dass auf Umwandlungen i.S.v. § 1 UmwG das WpÜG ohnehin nie Anwendung finde. Dass der Gesetzgeber dies so nicht gesagt hat, impliziert, dass nach seinem Willen eine konkurrierende Anwendung von UmwG und § 35 WpÜG möglich ise 6 . Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 59. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 68 in Fn. 80; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 128; Sernler I Stengel-Semler / Stengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 87. 34 Vgl. dazu und zum folgenden KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 69; MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 128. 35 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 60. 32
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Das Konkurrenzverhältnis zwischen UmwG und den §§ 35 ff. WpÜG wurde bewusst offen gelassen. Die Gesetzesbegründung spricht weder für, noch gegen eine Anwendung dieser Normen im Falle einer Kontrollerlangung durch Umwandlung der Zielgesellschaft. 3. Systematische Betrachtung
Nachdem weder im Wortlaut des § 35 WpÜG noch in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte gefunden wurden, in welcher Weise das Konkurrenzverhältnis von WpÜG und UmwG aufzulösen ist, wird nunmehr die Systematik des WpÜG näher untersucht. a) § 36 Nr. 3 WpÜG
Gemäß § 36 Nr. 3 WpÜG ist ausnahmsweise kein Pflichtangebot abzugeben, wenn die Aktien durch eine "Umstrukturierung innerhalb eines Konzerns" erlangt wurden. Neben der Anteilsübertragung innerhalb des Konzerns sind alle Formen der Umwandlung (vgl. § I Abs. I UmwG) gebräuchliche Mittel, um eine "Umstrukturierung" von Unternehmen vorzunehmen 37 . Wird die Anwendung von § 35 WpÜG auf eine Kontrollerlangung durch Umwandlung der Ziel gesellschaft verneint, so liefe § 36 Nr. 3 WpÜG jedoch nicht leer; zum Beispiel bliebe er für die Kontrollerlangung von Bedeutung, die durch eine Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft ausgelöst wird 38 • Aus dieser Vorschrift kann daher keine Schlussfolgerung für die Frage der Anwendbarkeit des § 35 WpÜG bei einer Verschmelzung der Zielgesellschaft gezogen werden. b) § 35 Abs. 3 WpÜG
In § 35 Abs. 3 WpÜG wird geregelt, dass keine Verpflichtung besteht, ein Angebot gemäß § 35 Abs. 2 Satz I abzugeben, wenn die Kontrolle über die Zie1gesellschaft auf Grund eines "Übernahmeangebots" i.S.v. § 29 Abs. I WpÜG erworben wird. Obwohl eine Verschmelzung im wirtschaftlichen Sinne als "Übernahme" angesehen werden kann, da das gesamte Vermögen einer Gesellschaft in das Ver36 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 69; zustimmend Assmann/Schneider/Pötzsch-Krausei Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 137. 37 KK-von Bülow, § 36 WpÜG Rn. 41; SteinmeyerlHäger, § 36 WpÜG Rn. 21; vgl. dazu auch Semler I Stengel-Semler 1Stengel, § 1 UmwG Rn. 10; näher zum Begriff der "Umstrukturierung" vgl. 4. Kapitel 1I.1.a). 38 Näher zu der Bedeutung von § 36 Nr. 3 WpÜG siehe unten 4. Kapitel 1I. Die FaIlkonstellation "Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft" wurde bereits erläutert, vgl. 2. Kapitel 1.1.
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 61
mögen der anderen Gesellschaft kraft Gesetzes übergeht (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), ist sie kein "Übernahmeangebot" im Rechtssinne 39 ; denn die §§ 29 Abs. 1,2 Abs. 1, 10 ff. WpÜG setzen - im Unterschied zur Verschmelzung - voraus, dass der einzelne Aktionär sich individuell entscheiden kann, ob er das Angebot annehmen will oder nicht40 • In vergleichbarer Weise hätte der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 WpÜG auch für den Fall der Kontrollerlangung infolge einer Umwandlung eine Ausnahme normieren können41 . Dass er davon abgesehen hat, bestätigt im Wege des Umkehrschlusses, dass er die Frage der Anwendbarkeit des § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen offen lassen wollte.
c) Vergleich von § 35 WpÜG und Art. 16 des Übemahmekodex
Ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den umwandlungsrechtlichen Minderheitenschutz im Falle einer Kontrollerlangung nicht als ausreichend angesehen hat, könnte sich indessen aus einem Vergleich des WpÜG mit dem vor seiner Schaffung geltenden Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission in der Fassung vom 1. 1. 199842 ergeben. In Art. 16 dieses Kodex war nämlich der umgekehrte Fall- bei dem der Umwandlungsvorgang dem Kontrollerwerb nachfolgt, z. B. wenn der Kontrollerwerber eine Verschmelzung der kontrollierten Gesellschaft mit einer eigenen Gesellschaft herbeiführen will43 - ausdriicklich geregelt. Danach bestand keine Angebotspflicht, wenn beabsichtigt war, innerhalb von 18 Monaten nach Erreichen der Kontrolle Beschlüsse des Wertpapierinhabers und der Ziel gesellschaft über eine Verschmelzung der Zielgesellschaft gemäß §§ 2 ff. UmwG herbeizuführen. Diese Regelung löste also für den umgekehrten Fall das Konkurrenzverhältnis von umwandlungsrechtlichen Schutzmechanismen und dem übernahmerechtlichen Pflichtangebot ausdrücklich zugunsten des UmwG und enthielt daher die gesetzliche Wertung, dass es des zusätzlichen Schutzes durch das Pflichtangebot nicht beda:rf4. Obwohl es ohne weiteres möglich gewesen wäre, in Näher dazu bereits eingangs des 1. Kapitels. Kleindiek, ZGR 2002, 546, 566 f. 41 Vgl. Kleindiek, ZGR 2002, 546, 568. 42 Der Text des "Übernahmekodex" der Börsensachverständigenkommission beim Bundesfinanzministerium ist abgedruckt in AG 1998, 133 ff.; Näheres dazu 1. Kapitel 11. 43 In der Praxis ist es häufig erforderlich, nach der Kontrollerlangung die Verschmelzung der Zielgesellschaft mit dem KontrolIinhaber oder mit einer seiner Tochtergesellschaften durchzuftihren, um die Übernahme finanzieren zu können, vgl. dazu Haarmann / Riehmer / Schüppen-Hommelhoff/ Witt, § 35 WpÜG Rn. 31. 44 Dem Rege1ungsziel, die nachfolgende Integration der Zielgesellschaft auf Seiten des Kontrollinhabers nicht unnötig zu behindern, wurde auf diese Weise der Vorrang gegenüber dem Anlegerschutz eingeräumt, vgl. Schander; NZG 1998,779,801 f. Näheres dazu auch bei Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 31; Seibt/Heiser; ZHR 165 (200 1), 466, 488 f. 39
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
§ 35 Abs. 3 WpÜG eine Ausnahme für diesen Fall in vergleichbarer Weise wie im Übernahmekodex zu regeln, hat der Gesetzgeber davon abgesehen; folglich sieht er den umwandlungsrechtlichen Minderheitenschutz offenbar nicht als ausreichend an45 . Verlangt der Gesetzgeber nunmehr aus diesem Grunde für den Fall, bei dem die Umwandlung der Kontrollerlangung nachfolgt, ein Pflichtangebot, so spricht vieles dafür, dass die Schutzwirkung des UmwG auch dann nicht ausreicht, sondern ebenfalls § 35 WpÜG Anwendung finden muss, wenn - wie in dem hier untersuchten Fall- die Kontrolle infolge der Umwandlung erlangt wird.
d) Zwischenergebnis Die Systematik der §§ 35 ff. WpÜG steht einer Anwendung der Vorschrift in den Fällen, in denen die Kontrollerlangung durch Umwandlung der Zielgesellschaft eintritt, nicht entgegen. Aus dem Vergleich von § 35 WpÜG mit Art. 16 des Übernahmekodex ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Schutzwirkung, die von den Instrumentarien des UmwG vermittelt wird, nicht als ausreichend ansieht, um das Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG ersetzen zu können. 4. Wird das Regelungsziel des § 35 Abs. 2 WpÜG bereits durch das UmwG erreicht? Schließlich ist zu untersuchen, ob die ratio legis von § 35 Abs. 2 WpÜG seine Anwendung auf die umwandlungsbedingte Kontrollerlangung erfordert. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Fragen: erstens, ob der Regelungszweck der Vorschrift überhaupt im Rahmen dieser Umwandlungsvorgänge Bedeutung erlangt (a) und - sofern dies bejaht wird - zweitens, ob dieses Regelungsziel nicht bereits ausreichend durch die Vorschriften des UmwG erreicht wird (b). Nur ergänzend wird anschließend darauf hingewiesen, dass der von § 35 Abs. 2 WpÜG verfolgte Schutz der Anleger von der Praxis gezielt unterlaufen werden könnte (c).
a) Bedeutung der ratio legis im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen Fraglich ist zunächst, ob die Regelungsziele des § 35 Abs. 2 WpÜG in Umwandlungsfällen überhaupt Bedeutung erlangen können. Das wäre dann nicht der Fall, wenn die Gefahren, vor denen die Vorschrift die Anleger schützen will, im Rahmen einer Kontrollerlangung nach einer Umwandlung nicht auftreten würden. 45 Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt. § 35 WpÜG Rn. 31; Seibt/Heiser; ZHR 165 (2001),466,488 f.
11. Anwendbarkeit des Übemahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 63
Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG soll den Aktionären im Falle einer Unternehmensübernahme die Möglichkeit eröffnen, ihre Beteiligung an dem Unternehmen zu einem angemessenen Preis veräußern zu können46 . Die Anleger sind schutzbedürftig, da zum einen der Kontrollerwerb in der Aktiengesellschaft unter Umständen mit einem Wertverlust ihrer Aktien verbunden sein kann - mit der Folge, dass sie ihre Beteiligung nicht ohne Einbuße an oder außerhalb der Börse verkaufen können - und zum anderen alle Aktionäre von einer etwaigen Kontrollprämie profitieren sollen. aa) Kontrollprärnien im Rahmen von Umwandlungen Im Rahmen von Umwandlungen selbst werden zwar üblicherweise keine Kontrollprämien gezahlt, so dass dieser Regelungszweck des § 35 Abs. 2 WpÜG häufig in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen wird47 . Kontrollprärnien werden üblicherweise als Anreiz eingesetzt, Inhaber von größeren Aktienpaketen zu deren Verkauf zu bewegen; bei Verschmelzungen und Spaltungen findet ein Verkauf von Aktien jedoch gerade nicht statt, sondern die Aktien werden durch Umtausch kraft Gesetzes erworben (§§ 20 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG).
Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass der Mehrheitsaktionär einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften seine Machtposition im Vorfeld der Eintragung der Verschmelzung - und damit innerhalb des von § 4 AngebotsVO genannten Drei-Monats-Zeitraumes - durch den Zukauf von Aktienpaketen einer der beiden Gesellschaften ausbaut48 • Dies wäre dem Mehrheitsaktionär einer der beiden Gesellschaften beispielsweise anzuraten, wenn er zugleich sowohl einer wirtschaftlich vorteilhaften Verschmelzung zustimmen als auch nach der Verschmelzung über die übernehmende Gesellschaft die Kontrolle (§ 29 Abs. 2 WpÜG) innehaben möchte, die Umwandlung seine Beteiligungsquote jedoch in einem Maße zu verringern droht49 , dass er seine vorher bestehende Kontrollposition verlieren würde. Es ist also auch bei einer Kontrollerlangung infolge einer Umwandlung nicht ausgeschlossen, dass etwaige Vorerwerbe unter Zahlung eines Paketzuschlags aufNäheres zur ratio legis siehe oben 1. Kapitel n.1.c). Vetter, WM 2002, 1999,2002 und 2003 re. Sp.; vgl. dazu auch Seibt! Heiser, ZHR 165 (2001),466,479. 48 Im Ergebnis sehen dies so auch Lenz/Linke, AG 2002, 361, 368. Denn sie ziehen den Umstand, dass Vorerwerbe gemäß § 4 AngebotsVO bei der Bestimmung des Mindestpreises berücksichtigt werden, heran, um zu begründen, dass das WpÜG nach Umwandlungen einen weitergehenderen Schutz als das UmwG bietet. Zu der Frage, ob § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG solche Vorerwerbe bei nachfolgenden Umwandlungen dem Wortlaut nach immer erfassen kann, vgl. 3. Kapitel IV.4. 49 Näher zur verschmelzungsbedingten Verringerung der Beteiligungsquoten der einzelnen Aktionäre siehe oben 1.2. 46
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2. Kap.: Pflichtangebot nach KontrolJeriangung durch eine Umwandlung
treten. Daher kann dieses Regelungsziel des § 35 Abs. 2 WpÜG auch im Rahmen von Verschmelzungen Bedeutung erlangen; auf seine Anwendung kann in diesen Fällen nicht grundsätzlich verzichtet werden. bb) Gefahr von Kursverlusten Des weiteren ist zu untersuchen, ob die Aktien an Wert verlieren können, wenn eine Kontrollsituation durch eine Umwandlung ausgelöst wird, und damit das zweite Regelungsziel ebenfalls von Bedeutung ist. Im Rahmen eines konventionellen Kontrollerwerbs kann sich der sog. "free float" der Aktien - d. h. der Anteil der Aktien einer Gesellschaft, die nicht in festem Besitz sind, sondern frei an der Börse gehandelt werden, gemessen an der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktienso - in absoluten Zahlen verringern. Dies kann zur Folge haben, dass der Handel in Aktien der Zielgesellschaft illiquideSl wird und damit der Ausgleich von Angebot und Nachfrage über die Börse keine angemessene Preisbildung mehr garantiertS2 . Diese Gefahr besteht bei Verschmelzungen nicht, da die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft ausschließlich im Wege einer Kapitalerhöhung neu geschaffene Aktien erhalten (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), ohne dass auf dem Markt befindliche Aktien aufgekauft werden müssenS3 . Außerdem führt eine Verschmelzung zweier Gesellschaften häufig dazu, dass der Aktienkurs der verbleibenden Gesellschaft steigt, da die Anleger beispielsweise Synergieeffekte erwartenS4, so dass die Bedeutung des zweiten Regelungsziels des § 35 Abs. 2 WpÜG auch aus diesem Grund in Frage gestellt werden könnte ss . 50 Unter "free float" oder "free floating capital" wird der Kapitalwert der Aktien verstanden, die frei an der Börse gehandelt werden (Streubesitz), sich also nicht im Besitz von Familien- oder BeteiligungsgeseIJschaften befinden, vgl. Gabler Bank Lexikon unter "free floating capital". Eine detaillierte Definition findet sich im Leitfaden zu den Aktienindizes der Deutschen Börse (Version 5.6, Stand: 1/2005) unter Gliederungspunkt l.7. Der Leitfaden kann abgerufen werden auf der Homepage der Deutschen Börse. 51 Zur Liquidität von Aktien vgl. unten Fn. 80. 52 Vetter, WM 2002, 1999,2001. 53 Vetter, WM 2002, 1999, 2oo21i.Sp. 54 Vetter, WM 2002, 1999, 2004 li. Sp. Mit den Begriffen "Synergieeffekte" oder auch "Verbundeffekte" werden Auswirkungen bezeichnet, die regelmäßig vorteilhafter Art sind und die nur durch Hinzutreten des anderen Vertragsteils entstehen, vgl. Hüffer, § 305 AktG Rn. 22. Eine Verschmelzung führt zu einer Bündelung von Ressourcen, d. h. es können beispielsweise Patente gemeinsam verwertet werden oder das Produktionsprogramm vereinheitlicht und damit leichter durchgeführt werden, vgl. Sagasser/Bula/Brünger, Rn. I l. Synergieeffekte sind sowohl bei Unternehmensübernahmen als auch bei Verschmelzungen möglich, vgl. KK-Hirte, Einleitung Rn. 12 ff.; Lenz/Linke. AG 2002, 361, 368. 55 Vetter, WM 2002, 1999,2004 re. Sp., geht sogar noch darüber hinaus und ist der Auffassung, dass § 35 Abs. 2 WpÜG aufgrund der Synergieeffekte nicht nur entbehrlich ist, sondern sogar zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Teilhabe der Aktionäre an den Synergieeffekten führe, näher dazu unten im 3. Kapitel IV.2.
ll. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 65
Diese häufig zu erwartende Kurssteigerung wird jedoch regelmäßig bereits in dem Moment einsetzen, in dem die Öffentlichkeit über die geplante Umwandlung unterrichtet wird, und folglich lange bevor die neue Kontrollsituation in der übernehmenden Gesellschaft entsteht: Gemäß § 15 Abs. 1 WpHG sind nämlich die an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften verpflichtet, die beabsichtigte Verschmelzung im Wege der Ad-hoc-Mitteilung unverzüglich zu veröffentlichen, da sie Auswirkungen auf die Verrnögens- oder Finanzlage mit sich bringt, die geeignet sind, den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen: Bereits vor oder unmittelbar nach Abschluss des Verschmelzungsvertrages zwischen den beiden Gesellschaften (§ 4 UmwG) muss eine entsprechende Mitteilung erfolgen56 . Anschließend müssen die Aktionäre gemäß § 123 Abs. 1 AktG mindestens einen Monat vor dem Tage der Hauptversammlung, auf der der Verschmelzungsbeschluss (§ 13 Abs. 1 UmwG) gefasst werden soll, einberufen werden. Ferner kann die Eintragung der Verschmelzung dann wegen §§ 16 Abs. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 UrnwG frühestens nach Ablauf eines Monats nach der Beschlussfassung angemeldet werden57 . Während dieser gesamten Zeit von mehr als zwei Monaten steht den Aktionären und der Öffentlichkeit der ausführliche Verschmelzungsbericht zur Verfügung, in dem die Synergien im Detail erläutert werden (§ 63 Abs. 1 Nr. 4 UmwG)58. Daher ist zu erwarten, dass bis zur Kontrollerlangung - die erst mit dem Erwerb der Aktien durch Eintragung der Umwandlung eintritt (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) - der Aktienkurs der beteiligten Gesellschaften die Synergieerwartungen der Anleger schon widerspiegelt, sie also schon "eingepreist" sind59 . Wenn daraufhin dann gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG veröffentlicht wird, dass die Umwandlung auch eine Kontrollsituation ausgelöst hat, kann der Aktienkurs unter Umständen anlässlich dieser Mitteilung wieder sinken60 . Es bedarf dann des Pflichtangebotes gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG, um den Aktionären einen Ausstieg zu einem angemessenen Preis zu errnöglichen61 . 56 Vgl. Schäfer-Geibel, § 15 WpHG Rn. 89; Assmarm/Schneider-Kümpel/Assmann, § 15 WpHG Rn. 103; ders., Bank- und Kapitalmarktrecht, 16.296; ders., in: Kümpel/Harnmen/ Ekkenga, Kapitalmarktrecht, 065, S. 76; vgl. dazu auch Schwark-Zimmer, § 15 WpHG Rn. 174 sowie die Tabelle von Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,471. 57 § 16 Abs. 2 UmwG verhindert, dass die Gesellschaft mit der Durchführung der Umwandlung endgültige Tatsachen schafft, obwohl ein Aktionär den Umwandlungsbeschluss angefochten hat, näher dazu 1. Kapitel I.l.g). S8 Vgl. dazu auch Vetter, WM 2002,1999, 2004li. Sp. 59 Vgl. Vetter, WM 2002,1999,2004 re.Sp. 60 Zwar ist die bevorstehende Kontrollsituation auch bereits im Umwandlungsbericht zu erwähnen, da sich daraus ,,Folgen für die Beteiligung der Anteilsinhaber" ergeben (§§ 8 Abs. 1 S. 2, 127 S. 2 UmwG) - ausführlich dazu 3. Kapitel III.l) - so dass bei einigen Fusionen dieser Umstand von den Anlegern bereits berücksichtigt werden wird. Allerdings kann die Euphorie über die geplante Fusion dazu führen, dass einige der Anleger die bevorstehende "Kontrollsituation" übersehen oder zunächst nicht ausreichend bedenken. 61 Von Vetter, WM 2002, 1999, 2004, wird in diesem Zusammenhang argumentiert, ein vorangegangener Kursanstieg habe zur Folge, dass der gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.V.m. § 4 WpÜG-Angebots-VO ermittelte Preis unangemessen hoch liege. Dieser Aspekt wird unten im 3. Kapitel IV.2. näher untersucht werden.
5 Thie.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Im Übrigen kann der Umstand, dass eine Kurssteigerung in vielen Fällen auftreten mag, nicht dazu führen, dass das Pflichtangebot grundsätzlich entbehrlich wäre. Es genügt, dass in einigen Fällen der Markt den umwandlungsbedingten Kontrollerwerb als nachteilig für den Unternehniensteil, der erstmals von einer Kontrollsituation betroffen ist, ansieht - beispielsweise, weil er dessen Ausplünderung durch den Kontrollerwerber befürchtet - und sich daher eine Vielzahl von Aktionären von der Aktie trennt und deren Kurs demzufolge fällt62 . Aus diesem Grund ist auch das zweite Regelungsziel des § 35 Abs. 2 WpÜG im Falle der Kontrollerlangung infolge einer Umwandlung der Zielgesellschaft von Bedeutung. Sofern im Einzelfall zu erwarten ist, dass der Aktienkurs nach der Veröffentlichung der Kontrollsituation gleich bleibt oder steigt, kommt - was noch näher erörtert werden wird - eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG in Betracht63 . Es bleibt festzustellen, dass die ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG grundsätzlich seine Anwendung erfordert. b) Werden die Aktionäre bereits ausreichend durch das UmwG geschützt?
Von einer Mindermeinung wird die Ansicht vertreten, dass das UmwG die Aktionäre bereits hinreichend und abschließend schütze64 • Insbesondere verweist sie auf das Mehrheitserfordernis von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG), die diesem Beschluss vorangehenden Berichtspflichten der Geschäftsführung, der Festlegung eines festen Umtauschverhältnisses (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) sowie der Barabfindungspflicht gemäß § 29 Abs. 1 UmwG65 . Demgegenüber reicht nach der überwiegenden Auffassung der vom Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG ausgehende Schutz weiter als der, der von den umwandlungsrechtlichen Vorschriften bewirkt wird66 • 62 Aktien von beherrschten Unternehmen werden regelmäßig schlechter bewertet als Aktien von Gesellschaften, deren Anteile breit gestreut sind, vgl. Haarmann I Riehmer I Schüppen-Hommelhoff/Witt, Vor §§ 35 bis 39 Rn. 27; Schneider I Burgard, OB 2001, 963, 965. 63 Siehe unten 3. Kapitel 11.4.). 64 Heckschen, in: Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 13 und 20 ff.; Nörr/ Stiefenhofer; S. 85; Vetter; WM 2002,1999,2001 ff.; Weber-Reyl Schütz, AG 2001, 325, 329; so im Hinblick auf den Verschmelzungsbeschluss auch Grabbe/Fett, NZG 2003, 755, 763. In vergleichbarer Weise wurde bereits für das Pflichtangebot gemäß Art. 16 des Übernahmekodex vertreten, dass es dieses zum Schutze der Anleger nicht bedürfe, da die verbandsrechtlichen Schutzmechanismen - nämlich die Beschlusskompetenz der Hauptversammlung und die Anfechtungsmöglichkeit der Aktionäre - für einen ausreichenden Ausgleich der gegenläufigen Interessen sorge, vgl. Winh I Weiler; OB 1998, 117, 119 f. 65 Heckschen, in: Hecksehen I Simon, Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 20 ff.; Weber-Rey I Schütz, AG 2001, 325, 328 f.; Vetter; WM 2002,1999,2001 ff. und 2006 re. Sp. Im Hinblick auf den Verschmelzungsbeschluss vgl. auch Grabbel Fett, NZG 2003, 755, 763. 66 Fleischer; NZG 2002, 545, 549; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 569; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 75 f.; im Ergebnis so auch: Seibtl Heiser; ZHR 165 (2001), 466, 468; Hop!, ZHR 166 (2002), 383, 397.
n. Anwendbarkeit des Übemahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 67 Nachfolgend werden daher der Umwandlungsbeschluss und die vorher bestehenden Berichtspflichten (aa), das Umtauschverhältnis (bb) und die Barabfindungspflicht (cc) daraufhin untersucht. ob sie einen ausreichenden Aktionärsschutz im Falle der Kontrollerlangung durch eine Umwandlung der Zielgesellschaft gewähren. aa) Umwandlungsbeschluss Eine Umwandlung setzt zunächst voraus. dass ein entsprechender Beschluss mit einer 3/4 - Mehrheit gefasst wird (§§ 65 Abs. 1 S. 1, 125 S. 1 UmwG). Vor diesem Beschluss können die Aktionäre den Umwandlungsvertrag oder seinen Entwurf einsehen, da diese auszulegen sind (§ 63 Abs. 1 Nr. 1. 125 S. 1 UmwG); in diesen muss das Umtauschverhältnis der Anteile und gegebenenfalls die Höhe der baren Zuzahlung enthalten sein (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), so dass die Aktionäre über die Folgen ihrer Abstimmung ausreichend informiert werden 67 • Zwar entscheiden die Aktionäre selbst mit qualifizierter Mehrheit. ob eine Umwandlung stattfindet, und können daher verhindern. dass sie in Zukunft einem schädlichen neuen Mehrheitsaktionär ausgesetzt sind68 • Da jedoch eine %-Mehrheit genügt, um eine Verschmelzung zu beschließen, kann das Beschlusserfordernis jedenfalls nicht alle Aktionäre ausreichend vor dem Entstehen einer Kontrollsituation schützen69. bb) Umtauschverhältnis Das Umtauschverhältnis ist im Verschmelzungsvertrag festzulegen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) und gewährleistet. dass alle Aktionäre einer Aktiengattung gleich behandelt werden 7o . Von der Mindermeinung wird argumentiert, dass die Festlegung des Umtauschverhältnisses zwar ein anderer Schutzmechanismus als das Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG sei, jedoch ein ebenso wirksames Mittel darstelle. um die Gleichbehandlung aller Aktionäre sicherzustellen. Daher bestehe 67 Zu den Informationsrechten der Aktionäre zählt insbesondere auch der Anspruch. auf der Hauptversammlung. die über die Umwandlung beschließen soll, Auskunft über das Vorhaben zuerhaIten (§§ 64 Abs. 2,125 S. 1 UmwG). siehe auch oben 1. Kapitell.l.e). 68 So die Argumentation von Heckschen, in: Heckschenl Simon. Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 21; Vetter, WM 2002,1999, 20021i. Sp.; vgl. dazu auch Grabbe/Fett, NZG 2003, 755, 763; Weber-Reyl Schütz, AG 2001, 325, 328 f. 69 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 75 a.E.; Lenz/Linke, AG 2002, 361, 367 f.; so im Ergebnis auch Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 112. Die Frage, ob auch die Gruppe der Aktionäre, die der Umwandlung zustimmen, damit konkludent auf ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verzichtet. kann in diesem Zusammenhang dahinstehen und wird daher an anderer Stelle näher untersucht. siehe unten 3. Kapitel I. 70 Näher zum Umtauschverhältnis siehe oben 1. Kapitel I. La).
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
kein Bedürfnis, das Pflichtangebot im Wege der "teleologischen Auslegung" auf umwandlungsbedingte Kontrollerlangungen auszudehnen71. Allerdings verfolgen das Umwandlungsrecht - mit Hilfe des Umtauschverhältnisses - und das Übernahmerecht - mit dem Mechanismus des Pflichtangebotes diametral entgegengesetzte Ziele: Ersteres ist grundsätzlich 72 gerichtet auf den Verbleib der Aktionäre in der übernehmenden Gesellschaft und räumt ihnen lediglich Mitwirkungsrechte (voice73 ) ein, indem sie nicht nur die Umwandlung beschließen, sondern auch die Angemessenheit des Umtausch verhältnisses gerichtlich überprüfen lassen können74 . Demgegenüber gewährt das WpÜG im Falle einer neu entstandenen Kontrollsituation den Aktionären gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ein Austrittsrecht (exit75 ). Das Umtauschverhältnis ermöglicht den Aktionären nicht, zu einem angemessenen Preis aus der Gesellschaft auszutreten. Des Weiteren wird von Vetter behauptet, dass die Regelungen des Pflichtangebotes des WpÜG keinen sehr viel weiter reichenden Schutz als das Umtauschverhältnis des UmwG böten, da in gewissen Fällen auch "das Übernahrnerecht dem Minderheitsaktionär der Zielgesellschaft nicht die Möglichkeit gewährt, seine Beteiligung in Aktien ganz aufzugeben"76. Das Übernahrnerecht verlangt nicht zwingend, dass eine Barabfindung gewährt wird, sondern der Bieter kann gemäß § 39 i.Y.m. § 31 Abs. 2 Satz 1 WpÜG statt einer Geldleistung auch "liquide Aktien" anbieten. In diesem Zusammenhang ist denkbar, dass es sich bei der Gesellschaft, deren Aktien angeboten werden, ebenfalls um eine kontrollierte Gesellschaft handelt77. Dann ist der Minderheitsaktionär Inhaber von Aktien einer kontrollierten Gesellschaft, unabhängig davon, ob er das Pflichtangebot des Kontrollerwerbers 71 Weber-Reyl Schütz, AG 2001, 325, 329 li. Sp.; so im Ergebnis auch Vener, WM 2002, 1999,2003. 72 Die Ausnahme bildet das Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. 1 UmwG; siehe dazu sogleich unter 4.b )cc). 73 Unter "Voice" wird die Mitwirkung an der Willensbildung der Gesellschaft - insbesondere durch die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts sowie die Wahrnehmung von Kontrollrechten - wie beispielsweise durch die Anfechtungsklage oder das Spruchverfahren - verstanden, vgl. Doralt, GesRZ 2000, 197, 199; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 569. 74 Siehe oben 1. Kapitel I.1.g). 75 Der Begriff "exit" bezeichnet nicht nur das Ausnutzen von gesetzlich vorgesehenen Austrittsmöglichkeiten, sondern auch den Verkauf bei Unzufriedenheit mit der Aktie, vgl. Doralt, GesRZ 2000,197,199; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 569. 76 Vgl. dazu und zum folgenden Vetter, WM 2002, 1999,2003 f. Dieses Argument verwenden auch Süßnumn, WM 2003, 1453, 1454; Technau, AG 2002, 260, 264 f., die jedoch - im Unterschied zu Vener - nicht grundSätzlich die Anwendbarkeit des § 35 WpÜG nach Umwandlungen verneinen, sondern nach Fallgruppen differenzieren. 77 Dies ist zulässig. Zwar könnte man auf den ersten Blick meinen, dass ein solches Angebot dem Schutzzweck des WpÜG, dem Aktionär einen Ausstieg aus einer kontrollierten Gesellschaft zu ermöglichen, widerspricht. Die Aktionäre werden aber ausreichend geschützt, indem ihnen "liquide Aktien" anzubieten sind, näher dazu sogleich.
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 69
annimmt oder nicht. Will er der Kontrollsituation entgehen, muss er entweder die Aktien, die er bislang hielt, oder diejenigen, die er im Wege des Pflichtangebotes eintauschen durfte, an der Börse verkaufen. Es trifft zu, dass dem Aktionär, wenn ihm im Rahmen des Pflichtangebotes andere Aktien einer kontrollierten Gesellschaft angeboten werden, kein "direkter Ausstieg,,78 aus der Kontrollsituation ermöglicht wird. Allerdings schützt § 35 Abs. 2 WpÜG auch bei einem solchen indirekten Ausstieg effektiv: Kommt es nämlich vor dem Umtausch in seiner bisherigen Aktiengesellschaft oder nach dem Umtausch der Aktien in der übernehmenden Aktiengesellschaft aufgrund der Angst der Aktionäre vor etwaigen nachteiligen Folgen der Kontrollsituation zu einem Verfall des Aktienkurses79, so kann er, indem er das Pflichtangebot annimmt, Aktien einer anderen Gesellschaft erwerben. Diese Gesellschaft wird zwar möglicherweise ebenfalls kontrolliert; die Tatsache, dass eine Kontrollsituation besteht, hat sich jedoch schon in ihrem Aktienkurs ßiedergeschlagen. Gemäß § 5 Abs. 1 AngebotsVO (i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG) muss die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Kontrollsituation entsprechen. Daher müssen ihm im Pflichtangebot so viele Aktien der anderen kontrollierten Gesellschaft angeboten werden, dass der Wert seiner Aktien der Zielgesellschaft vor der Kontrollsituation erreicht wird. Diesen Wert kann er durch einen sofortigen Verkauf dieser Aktien erlösen, da es sich jedenfalls um "liquide Aktien" handeln muss (§ 31 Abs. 1 WpÜG)80. Im Ergebnis wird er dadurch genauso effektiv vor einem Kursverfall seiner Aktien geschützt, wie wenn ihm ein Geldbetrag angeboten worden wäre. Obwohl das Pflichtangebot in einigen Fällen nur einen indirekten Ausstieg ermöglicht, schützt es die Minderheitsaktionäre auch in diesen Fällen effektiv. Im Unterschied zum Pflichtangebot dient das Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) nicht dem Interesse der Aktionäre, zu einem angemessenen Preis aus der Gesellschaft auszutreten; es stellt sich daher allenfalls die Frage, ob das umwandlungsrechtliche Austrittsrecht (§ 29 Abs. I UmwG) dazu in der Lage ist.
KK-KremerIOesterhaus, § 31WpÜG Rn. 24. Siehe oben 2. Kapitel 1I.4.a)bb). 80 Durch das Erfordernis der Liquidität soll sichergestellt werden, dass die erworbenen Aktien sofort wieder veräußert werden können. In diesem Zusammenhang wird die Wertung des § 5 Abs. 4 AngebotsVO herangezogen, so dass die Liquidität jedenfalls zu verneinen ist, wenn für die Aktien der Gesellschaft während der letzten drei Monate an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind (fehlender Handel) und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abweichen (hohe Volatilität). Denn dann ist der Aktionär nicht in der Lage, die Aktie ohne größere Probleme zu verkaufen. Vgl. Fabritius, S. 45, 59; Haarmann/RiehmerISchüppen-Haarmann, § 31 WpÜG Rn. 84; KK-KremerIOesterhaus, § 31 WpÜG Rn. 26; Krieger; in: Henze/HoffmannBecking, Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 295 ff.; Riehmerl Schröder; BB 2001, Beilage 5, 5; Geibel/Süßmann-Thun, § 31 WpÜG Rn. 10 f. 78
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
cc) Austrittsrecht gemäß § 29 UmwG Ein dem § 35 Abs. 2 WpÜG vergleichbares Austrittsrecht wird von § 29 UmwG jedoch aus zwei Gründen nicht eingeräumt81 : Zum einen wird nicht den Aktionären des übernehmenden, sondern nur denjenigen des übertragenden Rechtsträgers ein Austrittsrecht eingeräumt (§ 29 Abs. 1 S. 1: ,jedem Anteilsinhaber, der gegen den Verschmelzungsbeschluß des übertragenden Rechtsträgers Widerspruch zur Niederschrift erklärt,,)82. Somit ist der geschützte Personenkreis sehr viel kleiner als bei § 35 Abs. 2 WpÜG, der auch die Aktionäre der übernehmenden Aktiengesellschaft erfassen kann 83 . Außerdem unterscheiden sich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 S. 1 UmwG von denen des § 35 Abs. 2 WpÜG, so dass in den Fällen der Kontrollerlangung nur selten zugleich auch ein Austrittsrecht nach dem UmwG begründet sein wird 84 : Dieses Austrittsrecht besteht nämlich nur im Falle einer Mischverschmelzung (§ 29 Abs. 1 S. 1 UmwG) und dann, wenn die Aktien der übernehmenden Gesellschaft Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind (§ 29 Abs. 1 S. 2 UmwG)85. Demnach kann das Austrittsrecht des § 29 Abs. 1 UmwG das des § 35 Abs. 2 WpÜG nicht grundsätzlich ersetzen. Ob in den seltenen Fällen, bei denen es zu einer Doppelung der Austrittsrechte kommt, entweder den Aktionären das Wahlrecht zwischen den zwei Ausstiegsmöglichkeiten zustehen soll, oder ob dies vielmehr den Beteiligten - d. h. der Gesellschaft und dem Kontrollaktionär - aufgrund der finanziellen Belastungen nicht zugemutet werden kann, ist eine Frage der Feinabstimmung zwischen den beiden Gesetzen, die an dieser Stelle dahinstehen kann und später besprochen werden wird 86 .
81 Vgl. dazu und zum Folgenden KK-von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 75; Seibt/ Heiser, ZHR 165 (2001),466,477 u. 482; im Ergebnis so auch: Fleischer/ Kalls. S. 69; Kleindiek. ZGR 2002, 546, 569. 82 Vgl. dazu Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 115; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 75; Ehricke I Ekkengal Oechsler-Ekkenga. § 37 WpÜG Rn. 21; Assmannl Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch. § 35 WpÜG Rn. 139. 83 So kann beispielsweise den bei der 1. Fallgruppe erstmals einer Kontrollsituation ausgesetzten Aktionären der Aktiengesellschaft G2 niemals ein Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. 1 UmwG zustehen. 84 Vgl. Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 111; KK-Versteegen. § 37 WpÜG Rn. 34. 85 Siehe oben 1. Kapitel I.1.b). 86 Näher dazu 3. Kapitel 11.1.
ll. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 71
dd) Zwischenergebnis Da das Austrittsrecht des § 29 Abs. I UmwG nur auf diese seltenen Fälle begrenzt wurde, steht im UmwG die Information, die Mitentscheidung und die Möglichkeit, die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses gerichtlich prüfen zu lassen (voice), im Vordergrund, während es im WpÜG in aller erster Linie um den Austritt (exit) geht. Daher stehen sich diese beiden Ansätze konzeptionell als "aliud,,87 gegenüber, das umwandlungsrechtliche Instrumentarium kann das Pflichtangebot nicht ersetzen. c) Gefahr der Umgehung der Norm durch die Praxis
Es wurde bereits festgestellt, dass die Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG im Falle der Umwandlung der Zielgesellschaft aufgrurid seiner ratio legis grundsätzlich geboten ist. Nur ergänzend soll hier darauf hingewiesen werden, dass - sofern § 35 Abs. 2 WpÜG im Falle der Kontrollerlangung durch Umwandlung der Zielgesellschaft nicht Anwendung fände - in der Praxis der Anreiz bestünde, diesen Weg anstatt eines rechtsgeschäftlichen Erwerbs eines Aktienpaketes zu wählen, um das Pflichtangebot zu umgehen88 . Der von § 35 Abs. 2 WpÜG verfolgte Schutz der Anleger vor dem Entstehen einer Kontrollsituation könnte also von der Praxis gezielt unterlaufen werden. 5. Rechtsvergleichung und Europäische ÜbernahmerichtIinie Nachdem bisher die deutsche Rechtslage näher betrachtet wurde, stellt sich nun die Frage, ob auch in anderen Staaten einem kontrollierenden Aktionär nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft ein Pflichtangebot auferlegt wird. Zwar können aus einem solchen Rechtsvergleich keine Rückschlüsse auf den Willen des deutschen Gesetzgebers und den Zweck von § 35 Abs. 2 WpÜG gezogen werden. Ein internationaler Vergleich ist jedoch - auch aufgrund des zunehmenden Einflusses Diesen Begriff verwendet auch Kleindiek, ZGR 2002,546,569. Vgl. Weber-Rey/Schütz, AG 2001, 325, 328; Fleischer/Kalss, S. 67. Unterstellt manwie von der Mindermeinung vertreten - die Nichtanwendbarkeit von § 35 Abs. 2 WpÜG in diesen Fällen, so könnte beispielsweise eine Person A, die zwei Aktionären B I und B2 ihre jeweils 20%-ige Beteiligung an der B-AG abkaufen möchte, mit ihnen statt eines rechtsgeschäftlichen Erwerbs vereinbaren, dass diese zunächst mit ihrer Stimmenmehrheit auf der Hauptversammlung einen Verschmelzungsbeschluss fassen, wonach die Aktiengesellschaft (B-AG) mit einer Aktiengesellschaft, die der A kontrolliert (A-AG), verschmolzen wird. Ist die A-AG entsprechend groß, so erhält A die Kontrolle über das Unternehmen der B-AG, ohne dass er ein Pflichtangebot abgeben müsste. Nun könnten BI und B2 dem A ihre Aktienpakete, die nunmehr aus neuen Aktien der A-AG bestehen, verkaufen, ohne dass § 35 Abs. 2 WpÜG eingreift; denn die bestehende KontrollsteIlung des A in der A-AG würde dadurch nur ausgebaut. 87 88
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2. Kap.: Pflichtangebot nach KontrollerJangung durch eine Umwandlung
des europäischen Rechts - unerlässlich, um herauszufinden, ob das hier gefundene Ergebnis auch rechtspolitisch überzeugen kann. Demzufolge wird zuerst die Rechtslage in einigen europäischen Staaten und in den USA dargestellt89 . Anschließend wird die europäische Richtlinie betreffend Übemahmeangebote vom 21. 04. 2004 daraufhin untersucht werden, ob der deutsche Gesetzgeber auch in Zukunft einem Kontrollaktionär nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft ein Pflichtangebot auferlegen kann. a) Großbritannien
In Großbritannien wird das Pflichtangebot ("mandatory offer") in General Principle 10 des im Wege der Selbstregulierung vereinbarten "City Code on Takeovers and Mergers,,90 geregelt: "Where control of a company is acquired by aperson, or persons acting in concert, a general offer to all other shareholders is normally required; a similar obligation may arise if control is consolidated. Where an acquisition is contemplated as a result of which a person may incur such an obligation, he must, before making the acquisition, ensure that he can and will continue to be able to implement such an offer. "
In Rule 9.1 91 wird das Pflichtangebot und der Begriff der Kontrolle ("control") näher dahingehend definiert, dass - wie bei § 29 Abs. 2 WpÜG - mindestens 30% der Stimmrechte gehalten werden müssen: ,,9.1 When it is required and who is primarily responsible for making it Except with the consent of the Panel, when: a) any person acquires, whether by aseries of transactions over aperiod of time or not, shares which (taken together with shares held or acquired by persons acting in concert with him) carry 30% or more of the voting rights of a company, or b)[ ... ],
such person shall extend offers, on the basis set out in rules 9.3, 9.4 and 9.5, to the holders of any class of equity share capital whether voting or non-voting [ ... ]." 89 Nahezu alle europäischen Staaten haben inzwischen ein Pflichtangebot eingeführt, vgl. dazu die Darstellung von "ymeersch, ZGR 2002, 520, 525 ff. Inzwischen werden sie von einer Richtlinie auch dazu verpflichtet, siehe unten e). Außerdem bestehen auch außerhalb der Europäischen Union, beispielsweise auf den Philippinen und in Thailand Pflichtangebotsregelungen, vgl. "ymeersch, a. a. 0., S. 545 in Fn. 65. 90 Der Text kann abgerufen werden auf der Homepage des Take Over Panel. Die zitierte Stelle befindet sich auf Seite B 2. Näheres zum "mandatory offer" und zum City Code bei Davies, S. 727 ff.; Grier, Rn. 14.10; Lowry/Watson, Rn. 15.59 ff.; Mayson/French/Ryan, S. 253; Morse, S 610; im deutschen Schrifttum vgl. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 17 ff.; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 7; Prentice, in: Hommelhoff /Hopt/Lutter, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, S. 99, 120 ff.; Zinser, NZG 2000, 573, 574 f.; für eine allgemeine Einflihrung zum City Code vgl. KK-Hirte, Einleitung Rn. 72 ff.; Zinser, RIW 2001, 481 ff.; ders., S. 101 ff. 91 Vgl. Seite F 1 des City Code.
n. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft
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Diese beiden Vorschriften sind - wie bereits in vergleichbarer Weise für § 35 WpÜG festgestellt wurde - weit gefasst: General Principle 10 äußert sich nicht dazu, wie die Kontrolle erlangt wird, und Rule 9.1. verwendet den weiten Begriff der "transaction". Im deutschen Recht wird vom Gesetz zwischen "Verschmelzung" als einer Form der "Umwandlung" (§§ 1 Nr. 1, 2 ff. UmwG) und "Übernahmeangebot" (§ 29 Abs. 1 WpÜG) unterschieden92 • Während im englischen Recht Übernahmen ("takeovers") vom "City Code on Takeovers and Mergers" geregelt werden, fehlt demgegenüber eine dem UmwG vergleichbar umfassende gesetzliche Regelung von Strukturmaßnahmen wie den "Umwandlungen": eine Restrukturierung von Gesellschaften im Sinne einer Verschmelzung, wie sie das deutsche Recht kennt, wird lediglich vom Companies Act 1985, sec. 427 i.V.m. 425 ermöglicht93 . Zwar haben die Begriffe "rnerger", "amalgamation" und "fusion" keine eindeutige rechtliche Bedeutung94 : dies zeigt sich beispielsweise daran, dass der "City Code on Takeovers and Mergers" den Begriff des ,,Mergers" verwendet, ohne dass dieser Begriff von dem Begriff des "Takeovers" abgegrenzt wird95 . Die Bezeichnungen "takeover" einerseits sowie "rnerger", "fusion" und "amalgamation" andererseits werden jedoch zumeist als Gegensatzpaar in unserem Sinne - "Übernahmeangebot" und "Verschmelzung" - verstanden96 • aa) Takeover Ein öffentliches Übernahmeangebot ("Takeover offer"; vgl. Companies Act 1985, sec. 428) kann - wie in Deutschland (vgl. § 29 Abs. 1, 31 Abs. 2 Satz 1 WpÜG) - in Form eines Geldbetrages oder/und im Wege eines Aktientausches unterbreitet werden97 • Bei einem solchen Übernahmeangebot entsteht jedoch im deutschen Recht weder die Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG (vgl. Näher dazu eingangs des 1. Kapitels. Vgl. Davies, S. 793 f. Dies wird nachfolgend näher dargestellt werden. 94 Davies, S. 793; Morse, S. 590. Dies wird insbesondere daran liegen, dass ftir Umwandlungen keine umfassende gesetzliche Regelung besteht. 95 So heißt es beispielsweise in der "Introduction" des City Code auf Seite A9: "The Code is concemed with takeover and merger transactions, however effected, of all relevant companies; these include partial offers, offers by a parent company for shares in its subsidiary and certain other transactions where control of a company (as defined) is to be obtained or consolidated. References in the Code to "takeovers" and "offers" include, where appropriate, all such transactions." Der City Code enthält keine Definition der Begriffe "Takeover" und ,,Merger". % Vgl. Morse, S. 590: ,.A merger is the amalgamation of two or more companies into one" und der "Takeover" sei "the acquisition of a controlling interest in the shares in one company as the consequence of an offer to acquire those shares by another company"; vgl. auch Grier, Rn. 14.01; so im Ergebnis auch Davies, S. 704 u. 793 und Mayson/French/Ryan, S. 258 f., der zwischen "Takeover" und "amalgamation" differenziert. 97 Vgl. Davies, S. 704 ff.; Grier, S. 250. 92 93
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
§ 35 Abs. 3 WpÜG)98, noch ist das UmwG anwendbar; daher ist ein Rechtsvergleich insofern für diese Arbeit ohne Bedeutung.
bb) Vereinbarung eines Mergers gemäß Companies Act 1985 sec. 425-427A Eine Fusion (Merger) zweier Gesellschaften, die der deutschen Verschmelzung
(§§ 1 Abs. I Nr. 1,2 ff. UmwG) vergleichbar ist, kann im englischen Recht nach
dem so genannten "scheme of arrangement" gemäß Companies Act 1985 sec. 425-427A durchgeführt werden 99 . Gemäß sec. 425 (2) kann eine solche Restrukturierung einer Aktiengesellschaft zwischen ihr und ihren Aktionären vereinbart werden (compromise or arrangement), indem drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals zustimmen lOO • In sec.427 (2) a) wird ausdrücklich geregelt, dass eine solche Restrukturierung auch als Fusion zweier Gesellschaften ("amalgamation of any two or more companies") stattfinden kann. Eine solche Fusion kann in der Weise erfolgen, dass die Rechte und Pflichten der einen automatisch auf die andere Gesellschaft übergehen (Rechtsnachfolge)I01, die Aktien der übertragenden Gesellschaft und die Gesellschaft selbst erlöschen l02 sowie die Aktionäre dafür Aktien der übernehmenden Gesellschaft erhaiten l03 , die im Wege einer Kapitalerhöhung geschaffen werden lO4 • Im Unterschied zum deutschen Recht steht es jedoch gemäß Companies Act 1985, sec. 425 (2) im Ennessen des Gerichts, ob eine solche Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären genehmigt wird ("if sanctioned by the 98 In Großbritannien besteht nach einern freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebot ebenfalls keine Angebotsverpflichtung, vgl. dazu auch KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 17. 99 Vgl. Davies, S. 793 ff. u. 798 f.; Doralt, GesRZ 2000, 197,205 re. Sp. Es ist jedoch zu beachten, dass im Rahmen des Verfahrens gemäß sec. 425 nicht nur ,,Merger", sondern auch "Takeover" stattfinden können, d. h. dass die Zielgesellschaft ("target") dann nicht erlischt, sondern zur Tochtergesellschaft der Übernahmeinteressentin wird, vgl. Davies, S. 799; Mayson/French/Ryan, S. 258 f. Über die hier dargestellte Metltode hinaus kann eine Fusion außerdem auch bei sog. ,,freiwilligen Liquidationen" der Gesellschaft (.. volutary winding-up") gemäß Insolvency Act 1986 sec. 110 durchgeführt werden, näher dazu Davies, S. 802 f.; Lowry/Watson, Rn. 15.82 f.; Morse, S. 590 ff. 100 Bei einer Verschmelzung gilt dies ebenfalls, vgl. § 65 Abs. 1 UmwG. 101 Während im deutschen Recht diese Rechtsnachfolge gesetzlich angeordnet ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), wird sie im englischen Recht vorn Gericht angeordnet, vgl. Davies, S. 798; Grier; 14.18; Morse, S. 597. 102 Vgl. Davies, S. 799. Im deutschen Recht ergibt sich diese Rechtsfolge bei einer Verschmelzung daraus, dass der übertragende Rechtsträger gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 erlischt. 103 Im deutschen Recht ist dies § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG zu entnehmen. 104 Die Aktien, die an die neu hinzukommenden Aktionäre ausgegeben werden, werden in Deutschland ebenfalls üblicherweise im Wege einer Kapitalerhöhung geschaffen, siehe unten
III.l.a).
n. Anwendbarkeit des Übemahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 75 court") 105. In diesem Zusammenhang kann das Gericht die Gesellschaft auch verpflichten, den widersprechenden Aktionären eine Barabfindung - ähnlich den §§ 29, 207 UmwG - zu zahlen; in der Praxis ist dies jedoch offenbar nicht häufig vorgekommen 106. Auch das Verfahren des Companies Act 1985 sec. 425-427A selbst hat kaum praktische Bedeutung erlangt. Dies wird darauf zurückgeführt, dass viele Verträge mit Dritten Kündigungs- oder Vertragsanpassungsklauseln für den Fall enthalten, dass der Vertragspartner erlischt; denn die Dritten fürchten die Konkurrenz der Gläubiger der aufnehmenden Gesellschaft. Diese Verträge werden daher durch eine Verschmelzung gefährdet 107 • Außerdem kann das Gericht im Rahmen seines Ermessens Vorkehrungen zugunsten der Gläubiger treffen 108 . Diese Nachteile bestehen dagegen nicht, wenn die Zielgesellschaft im Wege eines in der Praxis gebräuchlicheren "Takeovers" übernommen wird und damit nicht erlischt, sondern zu einer Tochtergesellschaft wird lO9 • Der Begriff der "transaction" im Sinne der Rule 9.1 ist weit genug gefasst, um den Anteilstausch, der im Rahmen eines "Takeovers" oder eines "Mergers" stattfindet, zu erfassen"o. Dass die in sec. 425 ff. Companies Act geregelten Verschmelzungen (schemes of arrangement) dem Angebotsbegriff und damit grundsätzlich auch dem City Code unterliegen, ergibt sich auch aus der Definition des Begriffs "Offer", die die Anordnung eines Gerichts (Court schemes) ausdrücklich umfassti": "Offer inc1udes, wherever appropriate, takeover and merger transactions however effected, inc1uding reverse takeovers, partial offers, Court schemes, offers by a parent company for shares in its subsidiary and dual holding company transactions.".
Ein Aktionär, der infolge einer von seiner Aktiengesellschaft betriebenen Fusion gemäß sec. 425 ff. Companies Act 1985 die Kontrolle über die übernehmende Gesellschaft erlangt, ist demzufolge auch im englischen Recht grundsätzlich 112 dazu verpflichtet, ein Abfindungsangebot (,,mandatory offer") abzugeben. Vgl. Davies, S. 794 u. 798; LowrylWatson, 15.73 f.; MaysonlFrenchlRyan, S. 259. Vgl. Davies, S. 799 in Fn. 39, der in diesem Zusammenhang auf Insolvency Act 1986 sec. 111 hinweist, der eine Barabfindung gesetzlich regelt. 107 Davies, S. 799 f. \08 Bei Aktiengesellschaften müssen außerdem gemäß sec. 427A i.V.m. Schedule 15B weitere Anforderungen beachtet werden, die zusätzliche und daher häufig auch abschreckend wirkende Kosten verursachen: So muss ein Entwurf der Fusion einen Monat vorher erstellt, veröffentlicht und geprüft werden, vgl. Davies, S. 799 f. Im deutschen Recht bestehen entsprechende Regelungen: §§ 4 Abs. 2, 8 ff. UmwG. 109 Davies, S. 799. 110 Vgl. Zinser; NZG 2000, 573, 574, wonach die "Art und Weise des Beteiligungserwerbs [ ... ] hierbei ohne Belang" ist. ,,Das Zwangsangebot wird also auch bei einem Paketkauf, einem Anteilstausch oder einer Kapitalerhöhung ausgelöst" (eigene Hervorhebung). 111 Vgl. City Code, S. C8 (eigene Hervorhebung); vgl. dazu auch Domlt, GesRZ 2000, 197,205; Fleischer; NZG 2002, 545, 549; MüKo-Schlitt. § 35 WpÜG Rn. 123. \05
106
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
b) Frankreich In Frankreich muss gemäß Art. 5 - 5-2 des "Reglement general du Conseil des marches financiers" ein Pflichtangebot ("offre publique d'achat (OPA) obligatoire") abgegeben werden, wenn ein Aktionär in den Besitz von Aktien kommt, die mehr als ein Drittel des Grundkapitals oder der Stimmrechte der Gesellschaft ausmachen l13 : "Lorsqu'une personne physique ou morale, agissant seule ou de concert au sens de l'article 356-1-3 de la loi n° 66-537 du 24 juillet 1966 [Y. supra, Ire partie] vient a detenir plus du tiers des titres de capital ou plus du tiers des droits de vote d'une societe, elle est tenue a son initiative d'en informer immediatement le conseil et de deposer un projet d'offre publique visant la totalite du capital et des titres donnant acces au capital ou aux droits de vote, et libelle ades conditions telles qu' il puisse etre declare recevable par le conseil."
Die Verschmelzung ("fusion") und die Spaltung ("scission") von Gesellschaften ist in den Art. L.236 -1 ff. des Code de Commerce geregelt l14 . Die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft erhalten Aktien der übernehmenden Gesellschaft (Art. L.236 - 1: ,,Les associes des societes [ ... ] re~oivent des parts ou des actions de la ou des societes beneficiaires ..."). Dies geschieht automatisch in dem Zeitpunkt, in dem die Umwandlung wirksam wird und zu den im Verschmelzungs- oder Spaltungsvertrag festgelegten Bedingungen (vgl. Art. L.236 - 3). Im französischen Recht fehlt jedoch ein Barabfindungsangebot, das den §§ 29, 207 UmwG vergleichbar wäre ll5 . Der Schutz der Aktionäre wird vielmehr lediglich dadurch gewährleistet, dass die Umwandlung bei der Hauptversammlung grundsätzlich eine 213-Mehrheit der Aktionäre voraussetzt (Art. L.236-2 LV.m. Art. L.225 _96)116; ausnahmsweise muss sie einstimmig beschlossen werden, wenn der geplante Vorgang eine Ausweitung der Verpflichtungen der Aktionäre zur Folge hat (Art. L.236 - 5). Daher ist ein Zusammentreffen von zwei Angebotsverpflichtungen, wie dies im deutschen Recht der Fall sein kann (vgl. § 35 Abs. 2 WpÜG und § 29 UmwG), in Frankreich nicht zu befürchten, und folglich stellt sich die Problematik, wie Umwandlungs- und Übernahmerecht aufeinander abzustimmen sind, nicht in demselben Ausmaße. 112 Das Panel - das britische Aufsichtsorgan - kann jedoch den Kontrollaktionär von der Angebotsverpflichtung beispielsweise befreien, wenn die Hauptversammlung der Zielgesellschaft durch Beschluss - an dem sich der Kontrollerwerber nicht beteiligen darf - einem Verzicht des Panel auf die Angebotsverpflichtung zugestimmt hat (sog. "Whitewash"); näher dazu unten 3. Kapitel ll.2. 113 Näher dazu Delebecque I GermLlin, Rn. 1891.1.; Guyon, Rn. 595.1; Pratique I Lefebvre, Rn. 17700 ff.; De VauplanelBomet, Rn. 786; im deutschen Schrifttum vgl. Ehricke/Ekkenga/Oechsler-EkkengaISchulz, § 35 WpÜG Rn. 8; Helms, in: Hommelhoff/Hopt/Luner, Konzernrecht und Kapitalrnarktrecht, S. 69, 90 ff.; KleinlStucki, RIW 2001, 488, 490. 114 Näher dazu Guyon, Rn. 624 ff.; PratiquelLefebvre, Rn. 26200 ff. 115 Vgl. dazu auch Fanto, Int.LJ. 31 (1998), 31, 68. 116 Im Unterschied dazu verlangt das deutsche Recht gemäß § 65 UmwG eine 3/ 4-Mehrheit.
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zie1gesellschaft 77
In Art. 5-5-2 des Reglement der CMF wird inzwischen nicht mehr der Begriff der "acquisition", d. h. Kauf oder Erwerb, sondern der Begriff der "detention", d. h. Besitz, verwandt, so dass die Überschreitung der Schwellenwerte auch dann beachtlich ist, wenn sie auf einem passiven Verhalten des Aktionärs beruht117 • Von dieser weiten Formulierung des Art. 5-5-2 wird auch der Fall der Fusion oder Spaltung erfasst, wenn diese zur Folge haben, dass ein Aktionär so viele Aktien erhält, dass die Schwellenwerte überschritten werden ll8 . In Frankreich ist daher grundsätzlich auch nach einer Fusion oder einer Spaltung ein OPA abzugeben, wenn infolge dessen die Schwellenwerte überschritten werden. c) Österreich
In § 22 Abs. 1 des österreichischen Übernahmegesetzes (ÜbG)119 ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Pflichtangebot abgegeben werden muss: "Wer eine kontrollierende Beteiligung an einer Gesellschaft (Zielgesellschaft) erlangt, muß ein den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes entsprechendes Angebot für alle Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft stellen und dies innerhalb von 20 Börsentagen der Übernahmekommission anzeigen (§ 10 Abs. 1)."
Eine ,,kontrollierende Beteiligung" ist gegeben, wenn der Bieter in der Lage ist, "einen beherrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben" (§ 22 Abs. 2 ÜbG). Gemäß § 1 Nr. 1 der 1. Übernahmeverordnung (1. ÜbV) vom 9. 3. 1999 120 ist dies der Fall, wenn dem Aktionär die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht; wenn er mindestens 30% der ständig stimmberechtigten Aktien erlangt, besteht eine widerlegbare Vermutung, dass eine kontrollierende Beteiligung vorliegt (§ 2 Abs. 1 der 1. ÜbV). Sofern die Beteiligung nicht einmal diese Schwelle übersteigt, zumindest jedoch 20% der stimmberechtigten Aktien umfasst, wird die "Kontrolle" dann widerleglieh vermutet, wenn das Aktienpaket tatsäch117 De VauplanelBomet, Rn. 786 m.w.Nw. in Fn. 182. Vgl. zum Begriff der "acquisition" auch Pratique I Lefebvre, Rn. 17707. 118 Guyon, Rn. 595.1, der dies wie folgt ausdrückt: "Peu importe le motif de ce franchissement. Il peut s'agir d'un achat, d'un echange resultant d'unefusion, d'une souscription aune augmentation de capital ..." (eigene Hevorhebung); vgl. dazu auch ~meersch, ZGR 2002, 520, 530, wonach bei Verschmelzungen in Frankreich ausnahmsweise eine Befreiung vom Pflichtangebot gestattet werden kann und folglich im Grundsatz eine Angebotsverpflichtung besteht; vgl. ferner ianto, Int.L.J. 31 (1998),31,68. 119 BGBl. I 1998/127 in der Fassung von BGBl. I 1999/189; 12001/98; I 2003/92; der Text kann auch abgerufen werden unter www.takeover.at. Näher zum Pflichtangebot im österreichischen Recht DireggerlWinner; WM 2002, 1583 ff.; DoraltlKalss, in: Hommelhoff/Hopt/Lutter, Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, S. 177,207 f.; Kaindl, S. 39 ff.; Kalss, NZG 1999,421,423 ff.; KarolluslGeist, NZG 2000,1145,1146; vgl. dazu auch Haarmann/Riehmer/Schüppen-HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 7 ff.; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 20; Vetter; WM 2002,1999,2008. 120 Veröffentlichungsblatt der Wiener Börse AG vom 11. 3. 1999, Nr. 115. Der Text kann auch abgerufen werden unter www.takeover.at.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
lich ausgereicht hat, um bei den letzten drei Hauptversammlungen die einfache Stimmenmehrheit zu stellen (§ 3 Abs. I der 1. ÜbV). Die Verschmelzung von Aktiengesellschaften ist in den §§ 219-233 des österreichischen AktG geregelt 121 • Der entsprechende Beschluss bedarf - wie im deutschen Recht - einer Mehrheit von 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 220 Abs. 2 AktG). Ein dem § 29 UmwG vergleichbares Austrittsrecht gegen Barabfindung besteht im österreichischen Recht bei einer Verschmelzung - im Unterschied zu einer Spaltung 122 - nicht; die Minderheitsaktionäre werden vielmehr nur durch das Erfordernis eines Verschmelzungsbeschlusses sowie dadurch geschützt, dass sie die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens überprüfen lassen können (§ 225c AktG) 123. Daher ist insofern - wie bereits auch im Hinblick auf das französische Recht erwähnt wurde - ein Zusammentreffen zweier Austrittsrechte im Unterschied zur deutschen Rechtslage nicht zu befürchten. In ihrer Entscheidung in der Sache "Bayerische Hypo Vereinsbank.1 .Bank Austria AG" hat die österreichische Übernahmekommission, die insoweit ähnliche Aufgaben wie die BaFin in Deutschland wahrnimmt, entschieden, dass es irrelevant ist, wie die kontrollierende Beteiligung "erlangt" wird und dass auch eine Verschmelzung als Technik der Kontrollerlangung in Betracht kommt 124 • Während die Übernahmekommission davon spricht, es handele sich um eine "durch Analogie zu schließende echte Lücke im Gesetz.. 125 , wird § 22 Abs. 1 ÜbG von der Literatur angesichts seines weit gefassten Wortlautes ("erlangt") auf den Fall der Verschmelzung auch direkt angewandt 126 . Es kann letztlich jedoch dahinstehen, wie die An121 Näher zur Verschmelzung, vgl. HolzhammerlRoth, S. 192 ff.; Kostner; S. 103 ff.; Schiemer/Jabomegg/Strasser-Szep §§ 219 AktG ff. Das bei uns als "Umwandlungsrecht" bekannte Rechtsgebiet wird in Österreich auch als "Umgründungsrecht" bezeichnet, vgl. KalsslWinner; ÖBA 2000, 51. 122 Bei einer nicht verhältniswahrenden oder einer rechtsformübergreifenden Spaltung besteht ein Austrittsrecht (§§ 9, 11 SpaltG), vgl. KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 55 u. 58. 123 Doralt, GesRZ 2000, 197, 198; HolzhammerlRoth, S. 197 f.; KalsslWinner; ÖBA 2000,51 u. 54 in Fn. 26; Kostner; S. 106 f. 124 Entscheidung vom 12. 9. 2000, vgl. dazu Fuchs, NZG 2001, 282, 286, der als Vorsitzender dem 1. Senat der Übernahmekommission angehörte; insofern der Entscheidung zustimmend Doralt, GesRZ 2000, 197 f.; KarolluslGeist, NZG 2001,288; so bereits vor dieser Entscheidung Kaindl, S. 114 ff., KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 52; KarolluslGeist, NZG 2000, 1145, 1147 f.; a.A. Nowotny, RdW 2000, 330, 331, wonach die Interessen der Minderheitsaktionäre bereits ausreichend von den gesellschaftsrechtlichen Schutzinstrumenten gewahrt würden und es daher des zusätzlichen kapitalmarktrechtlichen Schutzes gemäß § 22 ÜbG nicht bedürfe; so im Ergebnis auch HuberlLöber; § 22 ÜbG Rn. 92 f., nach deren Ansicht das Verschmelzungsrecht den Aktionären tendenziell einen noch effektiveren Schutz als das Übernahmerecht gewähre. 125 Entscheidung der Übernahmekommission, vgl. Fuchs, NZG 2001, 282, 286 re. Sp. Sie beruft sich an dieser Stelle zwar auf KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 52 ff.; dies ist jedoch nur im Ergebnis, jedoch nicht im Hinblick auf die Begründung zutreffend. 126 Vgl. Kaindl, S. 114 f.; KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 52 mittlere Spalte;
n. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft
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wendung des § 22 Abs. 1 ÜbG begründet wird; im österreichischen Recht ist jedenfalls ein Pflichtangebot nach einer Verschmelzung abzugeben, wenn diese Transaktion einen erstmaligen Kontrollerwerb oder einen Kontrollwechsel nach sich zieht. d) USA
In den USA muss von einem Kontrollerwerber in der ganz überwiegenden Anzahl der Staaten kein Pflichtangebot abgegeben werden. Weder der auf der Bundesebene erlassene Securities Exchange Act 1934 (SEA)127 noch die meisten einzelstaatlichen Gesetze enthalten eine entsprechende Regelung 128 . Lediglich in drei Bundesstaaten können die übrigen Aktionäre bei einem Erwerb von 20%, 30% oder 50% der Aktien ein Abfmdungsangebot, das § 35 Abs. 2 WpÜG vergleichbar ist, verlangen, dessen Preis sich nach dem höchsten Preis richtet, den der Erwerber der Mehrheit für seine Aktien gezahlt hat (Control Share Cash-Out Statutes)129. In den übrigen Staaten lehnt es die ständige Rechtsprechung ab, eine entsprechende Verpflichtung richterrechtlich einzuführen. So führt der Court of Appeal of New York in seiner Entscheidung Zetlin v. Hanson 130 aus: " .. .it has long been settled law that, absent looting of corporate assets, conversion of a corporate opportunity, fraud or other acts of bad faith, a controlling stockholder is free to sell, and a purchaser is free to buy, that controlling interest at a premium price (see Bames v. Brown, 80 N.Y. 527, Levy v. American Beverage Corp., 265 App.Div. 208, 38 N.Y.S. 2d 517, Essex Universal Corp. v. Yates, 2nd Cir., 305 F.2d 572). [ ... ] Certainly, minority shareholders are entitled to proteetion against such abuse by controlling shareholders. They are not entitled, however, to inhibit the legitimate interests of the other stockholders. It is for this reason that control shares usually command a premium price. The premium is the added amount an investor is willing to pay for the privilege of directly influencing the corporation's affairs."
Die Minderheitsaktionäre erhalten also nicht - wie im deutschen Recht - ein Pflichtangebot, um ebenfalls von etwaigen Kontrollprärnien zu profitieren l3l . Es 15 U.S.C. §§ 7Th seq. (1982). Ein Pflichtangebot ist nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada und Australien unbekannt, vgl. "ymeersch, ZGR 2002, 520, 522; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/ Schuh, § 35 WpÜG Rn. 8. 129 Dies ist zum Beispiel in § 910 Pa.Cons.Stat. geregelt, vgl. Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1117; vgl. dazu auch Helmis, RIW 2001, 825, 832. 130 48 N.Y.2d 684, 397 N.E.2d 387, 421 N.Y.S. 2d 877 (N.Y. 1979); abgedruckt auch bei Hamilton, Cases, S. 1074; Klein/ Ramseyer. S. 573 ff. l3l Dem Vorschlag, der Übernahmeinteressent müsse Aktien bei sämtlichen Aktionären zu gleichen Teilen erwerben (equal opportunity rule), vgl. Andrews. Harv.L.Rev.78 (1964-1965),505,515 ff., im neueren Schrifttum vgl. Klein/Ramseyer; S. 575, folgten die Gerichte nicht, da eine solche radikale Änderung der Rechtslage vom Gesetzgeber vorzunehmen sei. Vgl. Dazu die Entscheidung ,2etlin v. Hanson", a. a. 0.: "This would be contrary to 127
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
wird vielmehr vom Gericht als berechtigtes Interesse des Kontrollaktionärs angesehen, dass er einen Paketzuschlag generiert l32 • Ein Pflichtangebot würde dem zuwiderlaufen, da potentielle Erwerber nicht gewillt wären, wie in diesem Fall, statt des Marktpreises von $ 7,38 einen Kaufpreis von $ 15 pro Aktie zu zahlen, wenn sie diesen Paketzuschlag den übrigen Aktionären ebenfalls zu zahlen hätten. Allerdings kann - wie auch in der Entscheidung angesprochen wird - die Zahlung einer Kontrollprämie ausnahmsweise als Verstoß des verkaufenden Gesellschafters gegen seine Treupflichten und damit als unzulässig anzusehen sein. Es bestehen im wesentlichen drei Fallgruppen eines solchen Verstoßes 133 : erstens wenn die Gesellschaft ausgeplündert wird ("looting of the assets"), zweitens wenn Stimmen oder Ämter der Gesellschaft verkauft werden ("sale of vote, sale of office") und, drittens wenn Gewinne umgeleitet werden, die eigentlich allen Aktionären zustehen ("diversion of collective opportunities"). In diesen Fällen bestehen dann - ein Verschulden vorausgesetzt - SchadensersatzanspTÜche der Minderheitsaktionäre oder der Gesellschafter gegen den ausgeschiedenen Mehrheitsaktionär l34 . Besondere Bestimmungen bestehen in den Staaten Indiana, Pennsylvania und Ohi0 135 , wo gesetzlich geregelt ist, dass die Übertragung von Aktienpaketen bei Überschreiten gewisser Schwellenwerte nur dann zulässig ist, wenn die Mehrheit der nicht beteiligten Aktionäre zustimmt. Auf diese Weise sollen die Minderheitsaktionäre verhindern können, dass dem veräußernden Aktionär eine unangemessene Prämie bezahlt wird 136 . In den USA besteht also ganz überwiegend kein Pflichtangebot; die Minderheitsaktionäre werden vielmehr auf andere Weise geschützt. Da sich demzufolge diese Rechtslage zu sehr von der deutschen Rechtslage unterscheidet, können aus diesem Rechtsvergleich für die hier erörterte Fragestellung, ob auch nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft ein Pflichtangebot gerechtfertigt ist, keine Rückschlüsse gezogen werden.
existing law and if so radical a change is to be effected it would best be done by the Legislature. u; näher dazu auch Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 754. 132 Vgl. Hamilton, Corporations, S. 526; ders., Cases, S. 1096; vgl. dazu im deutschen Schrifttum Traugott/Schäjer. NZG 2004,158,160 f. 133 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rn. 746 ff.; vgl. dazu auch Hamilton, Corporations, S. 526 ff. 134 Vgl. Hamilton, Corporations, S. 530; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn.755. 135 Indiana Control Share Acquisitions Act, Ind. Code Ann. § 23-1-42-1; Ohio Rev. Code Ann. § 1701.83(E); Pa. Stat. Ann. tit. 15, § 191O(G). 136 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 754.
11. Anwendbarkeit des Übernahmerechts nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft 81
e) Europäische Übemahmerichtlinie vom 21. 04. 2004 Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004 / 25 / EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 21. 04. 2004 betreffend Übemahmeangebote 137 muss den Kontrollaktionären in allen europäischen Mitgliedstaaten ein Pflichtangebot auferlegt werden: ,,(1) Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz I, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eins Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet."
Angesichts der weit gefassten Formulierung "infolge ihres [ ... ] Erwerbs" verbleibt dem deutschen Gesetzgeber ein so weiter Gestaltungsspielraum, dass er die Angebotsverpflichtung gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG auch in Zukunft an den im Rahmen von Umwandlungen stattfindenden gesetzlichen Erwerb (§ 20 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) anknüpfen kann 138 .
6. Zwischenergebnis Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG ist also so weit formuliert, dass die Norm grundsätzlich auch nach Umwandlungen der Zie1gesellschaft angewandt werden kann. In der Gesetzesbegründung überlässt der Gesetzgeber die Auflösung des Verhältnisses zum UmwG bewusst der Literatur und der Praxis. Die ratio legis spricht dafür, einem kontrollierenden Aktionär grundsätzlich auch nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft ein Pflichtangebot aufzuerlegen. Ein solches Ergebnis entspricht auch der Rechtslage einiger anderer europäischer Staaten - wie Großbritannien, Frankreich und Österreich. Aus diesen Gründen ist die Mindermeinung, die dem UmwG den Vorrang gegenüber dem WpÜG einräumen möchte 139, J37 AbI. EG Nr. L 142 vom 30. 4. 2004, S. 12, 17 = NZG 2004, 651 ff. Gemäß Art. 21 ist die Richtlinie spätestens bis 20. 5. 2006 in nationales Recht umzusetzen. Näher zur Richtlinie und zu dem sich aufgrund dessen ergebenden Änderungsbedarf hinsichtlich der Vorschriften des WpÜG: Glade/Haak/Hellich, Der Konzern 2004, 455 ff. und 515 ff.; Hopt/Mülbert/ Kumpan, AG 2005, 109 ff.; Kindler/Horstmann, DStR 2004, 866 ff.; Krause, BB 2004, 113 ff.; Maul, NZG 2005,151 ff.; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 221 ff. und 306 ff.; Mülbert, NZG 2004, 633 ff.; Seibt/Heiser; ZGR 2005, 200 ff.; Wiesner; ZIP 2004, 343 ff. Zur Richtlinie aus ökonomischer Perspektive Liekefen, RIW 2004, 824 ff. 138 Mülbert, NZG 2004, 633, 641. 139 Siehe oben 1.2. in Fn. 12.
6 Thies
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
abzulehnen und ein Pflichtangebot auch nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft zuzulassen.
ID. Lösung der drei Fallgruppen Nachfolgend ist für jede der drei Fallgruppen einzeln zu untersuchen, ob eine Anwendung des § 35 WpÜG in Betracht kommt (1). In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Problematik einzugehen, ob der Wortlaut des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG jede der Fallgruppen erfassen kann l40 • Danach wird erörtert, ob im Hinblick auf die ratio legis ein Angebot immer gegenüber allen Aktionären oder nur gegenüber einem Teil der Aktionäre abzugeben ist (2). 1. GenereUe Anwendung oder differenzierende Lösung?
a) Fallgruppe 1: Verschmelzung einer kontrollierten auf eine nicht kontrollierte Aktiengesellschaft Bei der 1. Fallgruppe wird eine kontrollierte Aktiengesellschaft GI auf eine nicht kontrollierte Aktiengesellschaft G2 mit der Folge verschmolzen, dass G2 danach von dem Mehrheitsgesellschafter der erloschenen GI (vgl. § 20 Abs. I Nr.2 UmwG) kontrolliert wird 141 . Diese Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. I UmwG) wird in der Regel in der Weise durchgeführt, dass die übernehmende Gesellschaft G2 ihr Grundkapital erhöht (§ 69 UmwG)142. Die dabei entstehenden Aktien werden auf einen Treuhänder übertragen, den die GI bestellt hat (§ 71 Abs. 1 UmwG). Mit der Eintragung der Verschmelzung werden die Aktionäre der GI ipso iure Inhaber dieser Anteile an G2 (§ 20 Abs. I Nr. 3 UmwG). Innerhalb der überwiegenden Auffassung, die zutreffend im Grundsatz die parallele Anwendbarkeit von UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG bejaht l43 , besteht EinigDazu bereits oben 11.1. Vgl. dazu das Schaubild oben unter 1.2. 142 Vgl. Goutier/KnopflTulloch-Bennel, § 68 UmwG Rn. 4; Lutter-Grunewald, § 69 UmwG Rn. 2; Technau, AG 2002, 260, 261. Dagegen darf die übernehmende Gesellschaft ihr Grundkapital zur Durchführung der Verschmelzung ausnahmsweise gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 UmwG nicht erhöhen, soweit 1. sie Anteile eines übertragenden Rechtsträgers innehat, 2. ein übertragender Rechtsträger eigene Anteile innehat oder 3. ein übertragender Rechtsträger Aktien dieser Gesellschaft besitzt, auf die der Nennbetrag oder der höhere Ausgabebetrag nicht voll geleistet ist. Diese Vorschrift will verhindern, dass die übernehmende Aktiengesellschaft im Wege der Kapitalerhöhung eigene Aktien erhält, da dies nach allgemeiner Auffassung mit dem Gebot der realen Kapitalaufbringung unvereinbar wäre, vgl. Bennel, a. a. 0.; LutterWinter, § 54 UmwG Rn. 5. Für gewisse Fälle räumt § 68 Abs. 1 S. 2 UmwG der übernehmenden Aktiengesellschaft ein Wahlrecht ein, ob sie ihr Grundkapital erhöhen möchte oder nicht ("braucht... nicht"). 143 Dazu soeben 2. Kapitel 11.6. 140 141
m. Lösung der drei Fallgruppen
83
keit, dass bei dieser Fallgruppe die Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG besteht l44 • Im Rahmen eines Befreiungsverfahrens gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG hat sich die BaFin hinsichtlich dieser Fallgruppe ebenfalls für dieses Ergebnis entschieden 145 . Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt146 zugrunde: Die Gesellschaft A wollte in zwei Schritten einen Teil ihrer Geschäftstätigkeit ausgliedern. (1) Zunächst wurde eine neue Gesellschaft (sog. ,,NewCo.. 147) GI gegründet und der Geschäftsbereich der A gemäß § 123 Abs. 3 UmwG auf diese ausgegliedert. Alleiniger Anteilsinhaber der GI war danach die Gesellschaft A. (2) Darauthln wurde diese neue Gesellschaft GI auf die börsennotierte Aktiengesellschaft G2 verschmolzen. Im Gegenzug erhielt A - als alleiniger Aktionär der GI - neue Aktien der G2, die durch eine Kapitalerhöhung entstanden waren. Das im Rahmen der Verschmelzung festgelegte Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) hatte zur Folge, das die Gesellschaft A mit der Eintragung der Verschmelzung mehr als 30% der Stimmrechte an der G2 erwarb (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG).
Bei diesem zweiten Schritt wurde die von A kontrollierte GI auf die bislang nicht kontrollierte Aktiengesellschaft G2 mit der Folge verschmolzen, dass danach A die G2 kontrollierte. Dieser Vorgang entspricht daher der hier besprochenen 1. Fallgruppe. Die Subsumtion unter die Formulierung "Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt" i. S. v. § 35 Abs. 1 WpÜG bereitet bei der 1. Fallgruppe keine Probleme: Der Mehrheitsaktionär der Gesellschaft GI erwirbt mit der Eintragung der Umwandlung Aktien der G2 kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), und aufgrund dieses Erwerbs hält er dann mindestens 30% der Stimmrechte an der Zielgesellschaft i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG. Somit hat er im Wege der Verschmelzung die "Kontrolle über eine Zielgesellschaft" - die G2 - "erlangt" (§ 35 Abs. 1 WpÜG) und ein Pflichtangebot abzugeben.
144 Baums/Thoma-BaumsIHecker; § 35 WpÜG Rn. 112; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 570; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 142 ff.; Seibtl Heiser; ZHR 165 (2001),466,479; Technau, AG 2002,260,261 f.; Haarmann/RiehmerISchüppen-Hommelhoffl Witt, § 35 WpÜG Rn. 28; so auch KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 73 ff., insb. 76, und die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2001, 420. Dieses Ergebnis wurde von mehreren Diskussionsteilnehmern im Rahmen einer von Hopt geleiteten Diskussion zum Referat von Kleindiek, a. a. 0., bestätigt, vgl. den Diskussionsbericht von Adolff, ZGR 2002, 579, 585. 145 Entscheidung der BaFin vom 4. 3. 2002 im Hinblick auf die Verschmelzung von Carl Zeiss Ophthalmie Systems AG auf die Asclepion-Meditech AG. Carl Zeiss Jena/Carl Zeiss Meditech gab dann am 25. 7. 2002 ein Pflichtangebot ab; vgl. dazu Lenz I Linke, AG 2002, 361, 367 f., die Mitarbeiter der BaFin sind; Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 112 a.E.; Krause, NJW 2004, 3681, 3684; Assmann/Schneider/Pötzsch-Krausel Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 139 und 145; Vetter, WM 2002,1999 Fn. 3; siehe auch bereits oben Fn.15. 146 Lenz I Linke, AG 2002, 361, 367. 147 Zu diesem Begriff siehe oben Fn. 19 und 4. Kapitel m.5.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
b) Fallgruppe 2: Verschmelzung einer nicht kontrollierten auf eine kontrollierte Aktiengesellschaft
Bei der 2. Fallgruppe wird die nicht kontrollierte Aktiengesellschaft G2 auf die kontrollierte Gesellschaft GI verschmolzen, wobei der Kontrollaktionär - obwohl sich seine Beteiligungsquote aufgrund der neu hinzutretenden Aktionäre verringert - nach wie vor mindestens 30% der Stimmrechte an GI hält (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Seine Kontrollposition besteht also in "verwässerter Fonn,,148 fort. Es handelt sich ebenfalls um eine Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG), die so abläuft, wie es bereits bei der 1. Fallgruppe dargestellt wurde; es ändert sich im Unterschied dazu lediglich die Verschmelzungsrichtung 149. Problematisch ist, ob der Wortlaut des § 35 Abs. 1 und Abs. 2 WpÜG diese 2. Fallgruppe erfasst, da er nur denjenigen verpflichtet, der die "Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt,,150. Bei dieser 2. Fallgruppe erwirbt der Kontrollaktionär selbst keine Aktien, da er bereits Aktionär von GI ist; nur die neu hinzukommenden Alt-Gesellschafter der G2 erwerben kraft Gesetzes Aktien von GI. Dies ergibt sich aus § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG, wonach die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers - hier die Aktionäre von G2 - mit der Eintragung der Verschmelzung Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers - hier GI - werden. Da der Kontrollaktionär somit die Kontrolle über GI nicht durch die Verschmelzung erwirbt, sondern bereits vorher inne hatte, kann einerseits GI nicht als ,,zielgesellschaft" angesehen werden, über die die Kontrolle erlangt worden wäre 15l. Andererseits erlischt die Gesellschaft G2 mit der Eintragung liquidationslos (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), so dass auch fraglich ist, ob sie als ,,zielgesellschaft" angesehen werden kann, über die eine Kontrolle i.S.v. § 35 Abs. 1 erlangt wird 152 • Es ist umstritten, ob bei dieser Fallgruppe dennoch die Regelungen des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG zur Anwendung gelangen. Die Vorschrift könnte entweder im Wege einer 1) teleologischen extensiven Auslegung 153 oder 2) einer Analogie 154 148 Diesen Begriff verwenden Seibt/ Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 481; näher zur verschmelzungsbedingten Verringerung der Beteiligungsquoten siehe oben 1.2. in Fn. 17. 149 Vgl. dazu das Schaubild unter 1.2. 150 Näher dazu Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 116; KK-Hirte, Einleitung Rn. 80 a.E.; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 571; LenzILinke, AG 2002, 361, 367 in Fn. 23; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 139; Seibt / Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 481; Technau, AG 2002, 260, 263; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 79. 151 Vgl. Hecksehen, in: Heckschen/ Simon, Umwandlungsrecht, § 6 Rn. 13; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 571; .Lenz/Linke, AG 2002,361,367 in Fn. 23; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,481; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 130; Technau, AG 2002,260,263; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 79. 152 Dies verneinen Grabbe / Fett, NZG 2003, 755, 757; Apfelbacher / Barthelmess / Buhl / von Dryander-Kopp/von Dryander, § 35 WpÜG, Rn. 3; Technau, AG 2002, 260, 263; WeberRey/ Schütz, AG 2001, 325, 328. 153 So wohl Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 30. Zwar sind sie auch der Auffassung, dass der Kontrollaktionär die Kontrolle in der aufnehmenden
III. Lösung der drei Fallgruppen
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zur Anwendung gelangen. Thre Anwendung kann aber auch verneint werden mit der Folge, dass dann entweder 3) analog § 29 Abs. 1 S. 2 UmwG ein Austrittsrecht zugebilligt wird 155 oder eben 4) in diesen Fällen - wie von der herrschenden Auffassung vertreten wird - kein Austrittsrecht besteht. 156 Die ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG spricht grundsätzlich für seine Anwendung im Falle der Kontrollerlangung durch Umwandlung der Zielgesellschaft157 . Außerdem ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der eine unterschiedliche Behandlung der 2. Fallgruppe im Vergleich zur 1. Fallgruppe rechtfertigen würde, denn die bisherigen Aktionäre der G2 sind in beiden Fallgruppen erstmals einer Kontrollsituation ausgesetzt und mithin im Hinblick auf die ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG gleichermaßen schutzbedürftig. Wird bei der 2. Fallgruppe kein Austrittsrecht gewährt, so bliebe es weitgehend der Gestaltungsmacht der Vorstände der Aktiengesellschaften überlassen, mit der Wahl der "Verschmelzungsrichtung" den Anlegerschutz des § 35 Abs. 2 WpÜG zu umgehen i58 • Gesellschaft - hier GI - nicht im Sinne des § 35 Abs. 1 "erlangt". Sie sprechen sich aber dennoch dafür aus, ,,§ 35 Abs. 2 schutzzweckorientiert auszulegen", ihn "teleologisch zu erweitern". Es kann wohl nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass sie möglicherweise mit dem Begriff "Auslegung" eine Auslegung im weiten Sinne meinen. Nach Staudinger-Coing (1995), Einleitung zum BGB Rn. 125 f., umfasst diese die Auslegung im engen Sinne und die Analogie. Da jedoch Haarmann/RiehrnerlSchüppen-HommelhofflWitt weder den Begriff der "Analogie" verwenden noch den Begriff der ,,Auslegung" weiter differenzieren, ist davon auszugehen, dass sie den zuletzt genannten Begriff in seiner engen, gebräuchlicheren Bedeutung meinen. 154 Kleindiek, ZGR 2002,546,570 ff.; Seibtl Heiser; ZHR 165 (2001),466,481 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 397. 155 So Adolff/Meister/RandelIlStephan, S. 242 f. Diese Ansicht wurde außerdem von einigen Diskussionsteilnehmern im Rahmen einer von Hopt geleiteten Diskussion vertreten, vgl. Adolff, Bericht über die Diskussion, ZGR 2002, 579, 585 f. Angesprochen und abgelehnt wird diese Ansicht von Kleindiek, ZGR 2002, 546, 573. Erwähnung findet sie des weiteren in einer Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2001, 420. 156 Baums/Thoma-Bawns/Hecker; § 35 WpÜG Rn. 116 ff.; Süßmann, WM 2003, 1453, 1454 f.; Technau, AG 2002, 1999, 262 ff.; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 79 ff.; so im Ergebnis auch: Adolff/Meister/Randell/Stephan, S. 241 f.; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 29 ff., insb. Rn. 32; Apfelbacher/Barthelmess/Buhllvon Dryander-Kopp/von Dryander; § 35 WpÜG Rn. 3; Assmann/Schneider/Pötzsch-Krause/ Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 150; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 26; Rotthege/Sowade, in: Rotthege/Wassermann, Unternehmenskauf, Rn. 1545 ff.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 137 ff., insb. Rn. 139; sowie die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2001, 420. Selbstverständlich kommen auch die Vertreter der Mindermeinung, die grundsätzlich eine Anwendung des § 35 WpÜG nach Umwandlungen ablehnen (siehe oben Fn. 12), zu diesem Ergebnis. Diese Auffassung wurde aber bereits unter 11. abgelehnt, so dass hier nur noch der Streit innerhalb der zutreffenden überwiegenden Auffassung, die § 35 Abs. 2 WpÜG grundsätzlich anwenden will, zu entscheiden ist. 157 Siehe oben unter IIA.a). 158 Kleindiek, ZGR 2002, 546, 571; vgl. auch Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/ Schu/z, § 35 WpÜG Rn. 32; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 481. Vetter; WM 2002,
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Es ist zu untersuchen, ob es dogmatisch möglich ist, der Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG entweder im Wege einer teleologisch weiten Auslegung oder einer Analogie auch bei dieser 2. Fallgruppe zur Anwendung zu verhelfen. Diese Unterscheidung ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, da eine Analogie im Gegensatz zur extensiven Auslegung strengeren Voraussetzungen unterliegt: So bedarf es - worauf noch näher einzugehen sein wird - einer Regelungslücke [bb)(1)], und von Art. 103 GG wird im Rahmen des Straf- und Ordnungswidrigkeitsrechts eine Analogie zu Lasten des Täters verboten [bb)(2)]. Die Grenzen zwischen der Gesetzesauslegung - d. h. einer teleologisch weiten Auslegung - und der Rechtsfortbildung - z. B. im Wege einer Analogie - sind fließend, da sie beim weitesten noch möglichen Wortsinn verlaufen, der im jeweiligen Einzelfall häufig schwer festzustellen ist 159 : Bei ihm endet die Möglichkeit, eine Nonn auszulegen, während darüber hinaus unter Umständen die Analogie eingreifen kann l60 • aa) Möglichkeit einer teleologischen extensiven Auslegung? Fraglich ist demnach zunächst, ob eine Auslegung des Tatbestandes des § 35 Abs. 1 dahingehend möglich ist, dass auch die 2. Fallgruppe darunter gefasst werden kann. Dann läge keine Gesetzeslücke vor, und es bedürfte folglich auch keiner Analogie. Der Wortsinn der Gesetzesfonnulierung bildet den Ausgangspunkt der Auslegung und zugleich die Grenze, innerhalb derer sie sich bewegen darf161 ; denn dasjenige, was jenseits des möglichen Wortsinns liegt, kann nicht als Inhalt des Gesetzes gelten 162. Der Wortsinn wird definiert als "die Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch". Nur sofern ein allgemeiner Sprachgebrauch nicht feststellbar ist, ist der Sprachgebrauch des jeweiligen Gesetzes maßgeblich 163 . Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber 2000 f., beruft sich ebenfalls darauf, dass der Gesetzgeber eine verschiedene Behandlung der Fallgruppen nicht gewollt haben könne, da die Wa1tl zwischen den Verschmelzungsvarianten im Einzelfall insbesondere aus Gründen der jeweiligen Steuerbelastung und der Vollzugssicherheit vorgenommen werde. Er kommt allerdings zu dem - hier abgelehnten - Ergebnis, dass die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG bei keiner der Fallgruppe anzuwenden sei, indem er für die 1. Fallgruppe den Anwendungsbereich der Vorschrift teleologisch reduziert. 159 Canaris. S. 23; Staudinger-Coing (1995), Einleitung zum BGB Rn. 123 ff. 160 So die Abgrenzung der herrschenden Auffassung, vgl. Bydlinski. S. 467 f. m.w.Nw. in Fn. 134 und 140; Canaris. S. 19 ff. m.w.Nw. in Fn. 5 und 21. Die Minderrneinung fragt bei der Grenzziehung nicht danach, ob der mögliche Wortsinn des Gesetzes, sondern ob die dem Gesetz zugrundeliegende Wertung den zu beurteilenden Fall erfasst, vgl. Sax. S. 87 f. 161 BGHZ 46, 74, 76. 162 163
Larenz/ Canaris. S. 163 f.; vgl. dazu auch Bydlinski. S. 467 f. Larenz. S. 320; Larenz/ Canaris. S. 141.
ill. Lösung der drei Fallgruppen
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sich einerseits der allgemeinen Sprache bedient, um von seinen Bürgern verstanden zu werden, und andererseits auch juristische Fachbegriffe verwendet Guristische Kunstsprache), um sich präziser und knapper ausdrücken zu können. Dabei lehnt sich aber auch diese Kunstsprache an den allgemeinen Sprachgebrauch an, weil das Recht nicht auf ein Mindestmaß an Allgemeinverständlichkeit verzichten kann 164. Da die allgemeine Sprache von Menschen aus unterschiedlichen Verkehrskreisen und in verschiedenen Situationen verwandt wird, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch zumeist kein eindeutiger Wortsinn, sondern eine Vielzahl von möglichen Bedeutungen l65 . Anhand der Systematik des Gesetzes (systematische Auslegung), dem gesetzgeberischen Willen (historische Auslegung) und der ratio legis (teleologische Auslegung) ist dann zu ergründen, welche der möglichen Bedeutungen vom Gesetz gemeint ist. Die Norm kann daher entweder restriktiv, d. h. eng, oder extensiv, d. h. weit, auszulegen sein l66 . In § 35 Abs. I WpÜG verwendet der Gesetzgeber die Formulierung "Wer [ ... ] die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt". Der Begriff der ,,zie1gesellschaft" wird in § 2 Abs. 3 WpÜG dahingehend legaldefiniert, dass ,,zielgesellschaften [ ... ] Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland" sind. Außerdem findet gemäß § I WpÜG das Gesetz nur Anwendung auf Wertpapiere, die "zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind", so dass es sich um börsennotierte Gesellschaften handeln muss. Bei der 2. Fallgruppe sind sowohl G I als auch G2 börsennotierte Aktiengesellschaften und kommen daher als mögliche "Zielgesellschaft" i.S.v. § 35 Abs. I WpÜG in Betracht.
Der Kontrollaktionär von GI müsste aufgrund der Verschmelzung die "Kontrolle über" eine der beiden Gesellschaften "erlangt" haben. Der Begriff "erlangen" bedeutet bekommen, erreichen oder gewinnen 167 und daher wird vorausgesetzt, dass durch einen Erwerbsvorgang eine neue Kontrollsituation in der Gesellschaft entsteht l68 . Da GI bereits vor der Verschmelzung von ihm kontrolliert wurde, ist eine Kontrollerlangung nur hinsichtlich G2 denkbar. 164 Insofern besteht ein Unterschied zur Sprache anderer Wissenschaften, mit denen nicht jeder Bürger in Berührung kommt und die sich daher vollkommen von der allgemeinen Sprache entfernen können. Das hat zur Folge, dass die Rechtssprache nicht die Exaktheit solcher wissenschaftlicher Zeichensprachen erreichen kann und ihre Begriffe daher auslegungsbedürftig bleiben, vgI.LArenz/Canaris, S. 141. 165 Vgl. dazu und zum Folgenden Bydlinski, S. 441 f.; LArenzl Canaris, S. 141 f. 166 Vgl.LArenzl Canaris, S. 164, 174 ff.; Palandtl Heinrichs, Einleitung zum BGB Rn. 47; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 500. 167 Vgl. dazu Duden, Bedeutungswörterbuch, und Wahrig, Wörterbuch, jeweils zu dem Begriff "erlangen". 168 So im Ergebnis beispielsweise auch Haarmann I Riehmer I Schüppen-Hommelhoff/ Wirt, § 35 WpÜG Rn. 16: ,,Entscheidend ist lediglich, dass ein Aktionär die Kontrolle, die er bis dato nicht innehatte, erlangt."; vgl. dazu auch MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 68: ,,Entscheidend ist allein, dass die Schwelle von 30% der Stimmrechte erreicht bzw. überschritten wurde".
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Insofern ist jedoch problematisch, dass G2 - wie bereits erörtert wurde - liquidationslos erlischt (§ 20 Abs. I Nr. 2 UmwG) und nur ihr Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf GI übergeht (§ 20 Abs. I Nr. 1 UmwG). Der Wortsinn der Formulierung "Kontrolle über eine Zielgesellschaft" erfasst den häufigen z. B. bei der Fallgruppe I vorliegenden - Sachverhalt, dass eine Aktiengesellschaft als juristische Person i.S.v. § 1 Abs. 1 AktG kontrolliert wird (erste Bedeutung). Zwar wird im allgemeinen Sprachgebrauch häufig nur unzureichend zwischen der Gesellschaft im Rechtssinne und ihrem Vermögen sowie zwischen dem Rechtsträger und dem von ihm getragenen Unternehmen unterschieden l69 , so dass folglich auch die Rechtsnachfolge in das gesamte Vermögen oder der wirtschaftliche Übergang des Unternehmens der G2 als Kontrolle über die Zielgesellschaft G2 angesehen werden könnte (zweite Bedeutung). Einem solchen weiten Verständnis des Begriffs ,,zielgesellschaft" stünde die Legaldefinition des § 2 Abs. 3 WpÜG (s.o.) nicht zwingend entgegen, da die G2 als Aktiengesellschaft das ,,ziel" der Übernahme ist und § 2 Abs. 3 WpÜG seiner Formulierung zufolge nicht voraussetzt, dass diese Gesellschaft fortbesteht. Der Versuch, der Formulierung "Kontrolle über eine Zielgesellschaft" LS.v. § 35 Abs. I WpÜG eine solche zweite Bedeutung beizumessen, scheitert aber jedenfalls am systematischen Zusammenhang mit § 29 Abs. 2 WpÜG: Danach ist "Kontrolle [ ... ] das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft" . Das Halten von Stimmrechten an einem Vermögen oder einem Unternehmen ist aber denklogisch ausgeschlossen, da Stimmrechte nur an einer Gesellschaft im Rechtssinne - z. B einer Aktiengesellschaft - gehalten werden können (§ 12 Abs. 1 AktG). Daher setzt § 29 Abs. 2 WpÜG - im Gegensatz zu § 2 Abs. 3 WpÜG - zwingend voraus, dass die Aktiengesellschaft fortbesteht. Somit ist der Begriff der ,,zielgesellschaft" i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG dahingehend eng auszulegen, dass er ausschließlich die Gesellschaft im Rechtssinne - nicht hingegen ihr Vermögen oder das von ihr getragene Unternehmen - umfasst. Der in § 29 Abs. 2 WpÜG legaldefinierte Begriff der "Kontrolle" wird auch von § 35 Abs. 1 WpÜG verwendet. Zwar kann derselbe Begriff - der folglich denselben Wortsinn als Ausgangspunkt der Auslegung liefert - in zwei verschiedenen Vorschriften - aufgrund von Unterschieden hinsichtlich der Systematik, des gesetzgeberischen Willens oder der ratio legis - unterschiedlich auszulegen sein. Allerdings verweist in diesem Fall § 39 WpÜG auch auf § 29 Abs. 2 WpÜG, so dass man bei der Auslegung von § 35 WpÜG aus systematischen Gründen an diese Legaldefinition gebunden ist. Demnach kann die Formulierung "Wer [ ... ] die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt" i.S.v. § 35 Abs. I WpÜG nur so ausgelegt werden, dass mindestens 30% der Stimmrechte an einer fortbestehenden Aktiengesellschaft - oder Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 2 Abs. 3 WpÜG) - neu erworben werden. Die 169 Näher zur Unterscheidung von Unternehmen und Unternehmensträger vgl. Schmidt, Handelsrecht, § 4 IV 2.
m. Lösung der drei Fallgruppen
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wohl von HommeihofflWitt l70 vertretene Auffassung, die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG schutzzweckorientiert auszulegen, um die 2. Fallgruppe zu erfassen, ist daher abzulehnen. bb) Analoge Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG Da eine extensive Auslegung des § 35 Abs. 2 WpÜG nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob die Vorschrift analog angewendet werden kann. Da kein sachlicher Grund ersichtlich ist, die 2. Fallgruppe anders zu behandeln als die I. Fallgruppe l7l , besteht eine vergleichbare Interessenlage, die an sich eine analoge Anwendung der Norm gebieten würde l72 • ( 1) Regelungslücke
Problematisch ist indessen, ob eine Regelungslücke besteht, da der Gesetzgeber bei Erlass des WpÜG etwaige Regelungslücken und Wertungswidersprüche bei Fallkonstellationen im Schnittbereich zwischen Umwandlungs- und Übernahmerecht bewusst in Kauf genommen und sich eine ergänzende gesetzliche Regelung aufgrund der Erfahrungen, die in der Praxis mit dem Gesetz gewonnen werden, vorbehalten hat l73 . Daher wird von einer starken Auffassung der Literatur die Planwidrigkeit der Gesetzeslücke verneint l74 . 170 Haarmann/RiehmerlSchüppen-HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 30; näher dazu oben Fn. 153. 171 Dazu bereits oben unter m.l.b). 172 Bydlinski, S. 475 f., unterscheidet zwei Wege, mit denen die Ähnlichkeit, d. h. Vergleichbarkeit, zweier Sachverhalte festgestellt werden kann: Entweder wird die ratio legis ermittelt und sodann von ihr auf den zu beurteilenden Fall geschlossen. Oder es wird gezeigt, dass die Sachverhaltsunterschiede zwischen dem in der Norm unmittelbar gefassten Falltyp und dem zu beurteilenden Fall nach allen erkennbaren rechtlichen Wertmaßsläben jedenfalls bedeutungslos sind. Bei der 2. Fallgruppe sind beide Wege zu bejahen: Die Aktionäre sind in dieser Fallgruppe wie bei der I. Fallgruppe einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt und gerade in diesen Fällen will § 35 Abs. 2 WpÜG seiner ratio legis zufolge schützen. Außerdem unterscheiden sich die bei den Sachverhalte auch nur hinsichtlich der Verschmelzungsrichtung. die zum Zwecke der Umgehung des § 35 Abs. 2 WpÜG variiert werden könnte; siehe dazu auch oben m.l.b). Näher zur vergleichbaren Interessenlage auch Larenz. S. 381 ff.; LarenzICi:maris, S. 202 ff.; Vogel, S. 134. 173 Näher dazu oben 11.2. 174 Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 117; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 80; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 150; Vetter, WM 2002, 1999,2000 re. Sp.; Weber-Reyl Schütz. AG 2001, 325, 329 re. Sp., die dies zwar an dieser Stelle nicht näher begründen, aber im Hinblick auf die österreichische Rechtslage von einem Fall des "beredten Schweigens" sprechen, vgl. S. 326 re. Sp.; Geibel/Süßmann-Angerer, § I WpÜG Rn. 106, nach dessen Ansicht es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle, da es die "differenzierten Minderheitsschutzvorschriften im Umwandlungsgesetz" gebe. Im Ergbnis wird die planwidrige Regelungslücke auch verneint von: Ehricke I Ekkenga I Oechs-
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Analogie wird teilweise davon gesprochen, sie setze eine "planwidrige Regelungslücke" voraus 175 • Etwas präziser ist es, zunächst nur den Begriff der "Regelungslücke" zu verwenden und diesen dann weitergehend dahingehend zu definieren, dass darunter eine "planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes" zu verstehen ist 176• Denn der Ausdruck der "Lücke" setzt bereits begrifflich voraus, dass der Gesetzgeber für einen bestimmten Bereich eine vollständige Regelung anstrebt und etwas entgegen dieser Regelungsabsichten also planwidrig - fehlt 177 . Von Bedeutung ist der Begriff der Gesetzeslücke, da den Gerichten - aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips - die Befugnis, eine Rechtsfortbildung im Wege der Analogie vorzunehmen, nur zusteht, wenn sich das Gesetz als lückenhaft erweist 178 ; ansonsten handelt es sich um einen ,,rechtspolitischen Fehler", den nur der Gesetzgeber selbst korrigieren darf179 • Ob das Gesetz "planwidrig" unvollständig ist, ist anhand der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu beurteilen 18o. Daher liegt eine Gesetzeslücke nicht stets dann vor, wenn das Gesetz für eine bestimmte Fallgestaltung schweigt. Es ist nämlich auch möglich, dass eine bestimmte Fallkonstellation vom Gesetz nicht erfasst wird, weil der Gesetzgeber diese bewusst nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufnehmen wollte (sog. "beredtes Schweigen" des Gesetzes)J8J. Dann ist die Nichtregelung des Falles nicht planwidrig, sondern entspricht gerade dem Regelungsplan des Gesetzgebers; dieser Regelungsplan ist aus dem jeweiligen Gesetz im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu ermitteln 182 . ler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 33; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 139; Technau, AG 2002, 260, 264. 175 Diese Formulierung verwenden beispielsweise der BGH, NJW 2003, 1932, 1933, und KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 80. 176 BGHZ 149, 165, 174; Bydlinski, S. 473; Larenz, S. 370 ff. 177 Vgl. Larenz, S. 371. Das Adjektiv "planwidrig" kann also den Begriff der ,.Regelungslücke" nicht näher beschreiben, da er bereits per definitionem die Planwidrigkeit erfordert. 178 Bydlinski, S. 472 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 461; so im Ergebnis für die Analogie auch Larenz. S. 370, der zwischen ..gesetzesimmanenter" und ..gesetzesübersteigender" Rechtsfortbildung differenziert. 179 Larenz. S. 373 f., der dies arn Beispiel des Wohnungseigentums erläutert, das vom Gesetzgeber im BGB zunächst bewusst nicht zugelassen wurde. 180 BGHZ 149, 165, 174. 181 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 473. Larenz, S. 370 ff., der als Beispiel hierfür die im BGB zunächst fehlende Regelung des Wohnungseigentums nennt. Der Gesetzgeber wollte zunächst ein derartiges dingliches Sonderrecht an einer Wohnung, das ihm im Prinzip nicht unbekannt war, aus Gründen der Übersichtlichkeit der Rechtsverhältnisse an Grundstücken nicht zulassen und hat daher Bestimmungen darüber mit Absicht nicht in das Gesetz aufgenommen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg erwies sich diese Entscheidung des Gesetzgebers aus wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gründen als falsch. Eine Korrektur im Wege einer Analogie praeter legern wäre nicht zulässig gewesen, weil das Gesetz angesichts dieser bewussten Entscheidung nicht lückenhaft war. 182 Larenz, S. 373.
m. Lösung der drei Fallgruppen
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Aus der Gesetzesbegründung - in der der Gesetzgeber einräumt, dass möglicherweise für bestimmte Fallkonstellationen im Schnittbereich zwischen Umwandlungs- und Übernahmerecht besondere gesetzliche Regelungen erforderlich sein können I 83 - wird von einem Teil der Literatur im Ergebnis auf ein solches beredtes Schweigen geschlossen, das gegen eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes sprechen würde 184 . So argumentiert beispielsweise von Bülow, der Gesetzgeber habe "etwaige Regelungslücken bzw. Wertungswidersprüche bei Fallkonstellationen im Schnittbereich zwischen Umwandlungs- und Übernahmerecht bewusst in Kauf genommen" und daher fehle es an einer "planwidrigen Gesetzeslücke,,185. Dass der Gesetzgeber gesehen hat, dass möglicherweise in gewissen Fällen Regelungslücken bestehen können, bedeutet jedoch nicht, dass er diese Fallkonstellationen - wie für ein "beredtes Schweigen" erforderlich - bewusst aus dem Anwendungsbereich herausnehmen wollte. Ein "beredtes Schweigen" liegt nämlich nicht bereits dann vor, wenn dem Gesetzgeber eine Regelungslücke bewusst ist, sondern vielmehr ist erforderlich, dass er die Absicht hat, den Anwendungsbereich einer Norm zu begrenzen und damit gewisse Fälle auszuschließen 186 • Der in der Methodenlehre gebräuchliche Begriff des "beredten Schweigens" kann jedoch im ersteren Sinne missverstanden werden, da man meinen könnte, ein bloßes "Reden" des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung genüge. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, wird hier vorgeschlagen, anstatt dieses Begriffes eher von einer beabsichtigten Begrenzung des Anwendungsbereichs einer Norm zu sprechen. Auf diese Weise wird insbesondere zum Ausdruck gebracht, dass die Frage der planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht entscheidend von dem abhängt, was der Gesetzgeber ,,redet" und was ihm bewusst ist, sondern von seiner Regelungsabsicht. Der Gesetzgeber hat im vorliegenden Fall nur eingeräumt, sein Gesetz weise möglicherweise Lücken auf, ohne eine etwaige Absicht zu offenbaren, den AnwenDer entsprechende Abschnitt der Gesetzesbegründung ist zitiert bei II.2. So im Ergebnis Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 117, KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 80, und Vetter, WM 2002, 1999, 2000 re. Sp., die allerdings den Begriff des "beredten Schweigens" nicht verwenden. Vetter, a. a. 0., spricht davon, dass die ,,Äußerung des Gesetzgebers [ ... ] einer analogen Anwendung des § 35 WpÜG auf Verschmelzungsfälle entgegenstehen" dürfte. Den Begriff des "beredten Schweigens" verwenden lediglich WeberRey/Schütz, AG 2001,325,326 re. Sp., allerdings auch nur hinsichtlich der österreichisehen Rechtslage. Hinsichtlich des deutschen Rechts verneinen sie die Regelungslücke ohne nähere Begründung, a. a. 0., S. 329 re. Sp. 185 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 80. 186 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, § 58 II 4, der entscheidend darauf abstellt, ob die "enge Fassung der Vorschrift gerade in dieser Absicht" gewählt wurde, und Palandt-Heinrichs, Einleitung z. BGB Rn. 55, der zwischen bewussten und unbewussten Regelungslücken unterscheidet, die gleichermaßen eine Rechtsfortbildung rechtfertigen. So im Ergebnis auch Larenz, S. 370 ff.; dies ergibt sich aus dem von ihm angeführten Beispiel, wonach der Gesetzgeber das Wohnungseigentum aus Gründen der Übersichtlichkeit der Rechtsverhältnisse an Grundstücken zunächst nicht zulassen wollte und daher mit Absicht keine diesbezüglichen Regelungen in das BGB aufgenommen hat; zu diesem Beispiel siehe Fn. 181. 183
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
dungsbereich des § 35 Abs. 2 WpÜG zu begrenzen. Daher ist das Gesetz durch die Wahl des Begriffes ,,zielgesellschaft" unbeabsichtigt begrenzt worden und folglich planwidrig unvollständig. Da die Gesetzesbegründung davon spricht, dass hinsichtlich des Verhältnisses von Umwandlungs- und Übernahmerecht "mit den neuen Vorschriften dieses Gesetzes Erfahrungen gewonnen werden sollen" 187, sollen der Rechtswissenschaft und der Praxis gerade alle Möglichkeiten offen gehalten werden, die Probleme, welche im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen auftreten, dogmatisch d. h. auch im Wege einer Analogie -lösen zu können 188 . Lässt der Gesetzgeberwie hier - eine Frage bewusst offen, um sie der Entscheidung durch die Rechtsprechung und die Lehre zu überlassen, so handelt es sich um eine bewusste Regelungslücke, die eine analoge Anwendung rechtfertigt 189 . Dass er dabei zudem auf ein mögliches erneutes gesetzgeberisches Tätigwerden hinweist l90 , steht einer - diesem zeitlich vorangehenden - Rechtsfortbildung durch die Gerichte - und deren Vorbereitung durch die Literatur - nicht entgegen 191 : Denn einerseits kann es zweckmäßig sein, dass von der Rechtswissenschaft Vorschläge herausgearbeitet werden, die möglicherweise später in das Gesetz aufgenommen werden können 192 ; andererseits sind der Rechtsfortbildung durch die Gerichte - zum Beispiel durch Art. 103 GG - Grenzen gesetzt, so dass in manchen Fällen eine Gesetzeslücke nur durch eine gesetzgeberische Regelung geschlossen werden kann l93 . Ferner ergibt sich auch aus der ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG - wonach die Anleger in den Fällen, in denen eine Kontrollsituation entsteht, schutzwür:dig sind - dass nicht nur die 1., sondern auch die 2. Fallgruppe erfasst sein soilte l94 • Demzufolge kann dem "Regelungsplan" des Gesetzgebers gerade nicht entnommen werden, dass die 2. Fallgruppe ausgeschlossen sein sollte; sie wird von § 35 Abs. 2 WpÜG also planwidrig nicht erfasst. Aus diesen Gründen handelt sich nicht um eine beabsichtigte Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 35 Abs. 2 WpÜG durch den Gesetzgeber, sondern er hat in der Gesetzesbegründung lediglich darauf hingewiesen, dass § 35 Abs. 2 WpÜG möglicherweise gewisse Fallkonstellationen planwidrig nicht erfasst und Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 31. Aus dieser Gesetzesbegründung ergibt sich - wie bereits gezeigt wurde - dass der Gesetzgeber die Lösung der Problematik bewusst der Literatur und der Anwendungspraxis zugewiesen hat, ohne sich für einen Vorrang des UmwG auszusprechen, siehe dazu oben 1I.2. 189 Palandt-Heinrichs, Einleitung zum BGB Rn. 55; Vogel, S. 133 f. 190 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 31. 191 So argumentiert aber KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 80. 192 Zu einem möglichen Vorschlag de lege ferenda siehe unten V. 193 Näher dazu sogleich unter (2). 194 Vgl. dazu oben IlI.1.b). 187 188
m. Lösung der drei Fallgruppen
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damit Regelungslücken aufweisen kann, die von der Praxis geschlossen werden sollen. Es besteht eine bewusste Regelungslücke, die grundsätzlich eine analoge Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG zulässt. (2) Analogieverbot des Art. 103 GG und Gesetzesvorbehalt Der Analogie sind jedoch nicht nur durch das Erfordernis einer Regelungslücke Grenzen gesetzt, sondern Art. 103 Abs. 2 GG verbietet die analoge Anwendung einer Straf- oder Bußgeldvorschrift und zudem darf ein hoheitliches Tatigwerden des Staates nach der Lehre vom Gesetzesvorbehalt nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm erfolgen. Die Veröffentlichungs- (§ 35 Abs. 1 WpÜG) und die Angebotspflicht (§ 35 Abs. 2 WpÜG) sind bußge1dbewehrt gemäß § 60 Abs. 1 Nr. la und 2a WpÜG, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 35 Abs. 1 Satz 1 eine Veröffentlichung oder gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 eine Mitteilung nicht vornimmt. Einer Anwendung dieser Bußgeldvorschrift bei der 2. Fallgruppe steht das Analogieverbot entgegen, welches dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG entnommen wird und auch im Ordnungswidrigkeitsrecht gilt l95 . Es wird die Auffassung vertreten, dass dieses Analogieverbot nicht nur im Hinblick auf § 60 WpÜG Bedeutung erlangt, sondern dass auch § 35 WpÜG wegen seiner Einbindung in das Recht der Ordnungswidrigkeiten einer Analogie nicht zugänglich sei 196. Außerdem wird eingewandt, dass auch der Vorbehalt des Gesetzes, welcher insbesondere aus dem in Art. 20Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird 197 , der analogen Anwendung des § 35 WpÜG entgegenstehe l98 . Nach einer Kammerentscheidung des BVerfG I99 ist es als Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. v.m. dem Rechtsstaatsprinzip anzusehen, wenn die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen belastenden Verwaltungsakt im Wege der analogen Anwen195 BVerfGE 71,108,114 f.; Bohnen, § 3 OwiG Rn. 3; Göhler, § 3 OWiG Rn. 9; Maunz/ Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG, Rn. 195,226. 196 So Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schu1z. § 35 WpÜG Rn. 33; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1016 li. Sp.; so im Ergebnis auch Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 117; Bemau, WM 2004,809,814; Ekkenga/ Hofschroer, DStR 2002, 768, 774; MüKoSchlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 139; a.A. offenbar diejenigen, die eine analoge Anwendung . von § 35 WpÜG bejahen, wobei sie auf die hier dargestellten Bedenken nicht eingehen, vgl. Kleindiek. ZGR 2002, 546, 570 ff.; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,481 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 397. Hinsichtlich des Rückerwerbs eigener Aktien vertreten Baums/Stöcker, FS Wiedemann, S. 703, 717, die Ansicht, dass einige Normen des WpÜG analoge Anwendung finden, obwohl § 60 WpÜG nicht analogiefähig ist. 197 BVerfGE 40,237,248 f. = NJW 1976,34 f.; näher dazu Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 20 GG Rn. 44; Maurer, § 6 Rn. 4. 198 So wohl Süßmann, WM 2003, 1453, 1455 li. Sp. 199 BVerfG NJW 1996,3146.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
dung einer Nonn gewonnen wird2°O. Ein belastender Verwaltungsakt seitens der BaFin wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise denkbar, wenn sie gemäß § 4 Abs.l Satz 3 WpÜG anordnet, dass ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG analog abzugeben ist, oder sie ein Pflichtangebot mit Zwangsmitteln durchsetzt (§ 46 WpÜG)201. Es muss zwischen den in § 35 WpÜG geregelten Pflichten einerseits und ihrer hoheitlichen Durchsetzung im Wege des Tätigwerdens der BaFin oder der Verhängung eines Bußgeldes andererseits differenziert werden: Zwar steht Art. 103 Abs. 2 GG einer Geldbuße und die Lehre vom Gesetzesvorbehalt einem hoheitlichen Einschreiten der BaFin bei der 2. Fallgruppe entgegen. Diese Einwände sprechen jedoch nicht dagegen, die öffentlich-rechtliche Pflicht im Wege einer Analogie herzuleiten. Eine Pflicht wäre nur ein "stumpfes Schwert", wenn ihre Durchsetzung gänzlich ausgeschlossen wäre. Während die öffentlich-rechtlichen Pflichten des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG bei der 2. Fallgruppe derzeit zwar nicht hoheitlich durchgesetzt werden können, kann ihre Durchsetzung zumindest von Privatpersonen betrieben werden, da es im Privatrecht zulässig ist, eine analog angewendete Nonn gerichtlich durchzusetzen: So spricht nichts gegen eine gerichtliche Durchsetzung des § 59 WpÜG (Stimmrechtsverlust) und des § 38 WpÜG (Zinsanspruch), die beide als zivilrechtliehe Rechtsfolgen anzusehen sind202 . Außerdem kann der von der zutreffenden Auffassung angenommene Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.Y.m. § 35 WpÜG analog als Sanktion von den Aktionären gerichtlich geltend gemacht werden203 . Demnach steht das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und die Lehre vom Gesetzesvorbehalt nicht der analogen Anwendung von § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG, sondern nur ihrer hoheitlichen Durchsetzung entgegen. Im Falle der Zuwiderhandlung des Angebotsverpflichteten kann einstweilen - bis der Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung der 2. Fallgruppe vorgenommen hat204 - nur der einzelne Aktionär tätig werden; daher ist die Pflichtangebotsregelung bei der 2. Fallgruppe von verminderter Effektivität.
200 Zustimmend Baums/Stöcker. FS Wiedemann, S. 703,731 (hinsichtlich § 15 WpÜG); Ehlers. in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 8 m.w.Nw.; ders. Verw 31 (1998),53, 79 f.; Konzak, NVwZ 1997, 872, 873 m.w.Nw. in Fn. 23; a.A. Sachs-Sachs, Art. 20 GG Rn. 121 m.w.Nw. 201 Nach zutreffender Ansicht kann die BaFin aufgrund der Generalklausel des § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG auch zur Durchsetzung eines Pflichtangebotes tätig werden, siehe oben 1. Kapitel II.1.c )cc). 202 Näher dazu 1. Kapitel II.1.c)bb)(4) und (5). 203 § 35 WpÜG wird von der überwiegenden Auffassung zu recht als Schutzgesetz angesehen, siehe oben 1. Kapitel II.1.c )bb )(2). 204 Zu einem Vorschlag de lege ferenda siehe unten V.
III. Lösung der drei Fallgruppen
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cc) Keine analoge Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG Eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 S. 2 UmwG 205 ist insbesondere deshalb abzulehnen 206 , da es sonst aufgrund der unterschiedlichen Konzeptionen dieser Abfindungsregel und des Austrittsrechts gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG zu einer unterschiedlichen Behandlung der 1. und 2. Fallgruppe käme, ohne dass dafür ein sachlicher Grund besteht207 . Da § 35 WpÜG für den Fall der Kontrollerlangung konzipiert wurde, ist die Anwendung dieser Nonn vorzugswürdig. dd) Ergebnis Bei der 2. Fallgruppe ist § 35 WpÜG im Wege der Analogie anzuwenden. Um eine hoheitliche Durchsetzung der Verpflichtungen zu ennöglichen, bedarf es jedoch - wie vom Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung bereits antizipiert wurde208 _ einer besonderen gesetzlichen Regelung.
c) Fallgruppe 3: Verschmelzung einer kontrollierten und einer nicht kontrollierten auf eine bestehende dritte Aktiengesellschaft Bei der 3. Fallgruppe werden zwei voneinander unabhängige Aktiengesellschaften GI und G2, von denen nur GI kontrolliert wird, auf eine dritte, aufnehmende Gesellschaft G3 verschmolzen. Der Kontrollaktionär der GI erhält - so wird hier unterstellt - aufgrund des Umtauschverhältnisses (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) so viele Aktien, dass er auch G3 i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG kontrolliert. Dies kann in Fonn einer Verschmelzung im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) geschehen, wenn entweder G3 schon länger existent ist oder wenn sie nur zum Zwecke der Verschmelzung vorher gegründet und von einem Treuhänder gehalten wird209 (sog. NewCo)210. 205 Dafür sprechen sich AdolfflMeisterlRandelllStephan, S. 242 f., aus. Diese Ansicht wurde außerdem von einigen Diskussionsteilnehmern im Rahmen einer von Hopt geleiteten Diskussion vertreten, vgl. Adolff, Bericht über die Diskussion, ZGR 2002, 579, 585 f.; siehe dazu auch oben Fn. 155. 206 Im Ergebnis so auch Kleindiek, ZGR 2002, 546, 573; Assmann / Schneider / PötzschKrauselPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 150. 207 So ist beispielsweise im Unterschied zur Barabfindung i.S.v. § 29 Abs. I UmwG, die vom übernehmenden Rechtsträger, d. h. von der Aktiengesellschaft, anzubieten ist, das Pflichtangebot i.S.v. § 35 Abs. 2 WpÜG vom Mehrheitsaktionär abzugeben. Weitere Unterschiede werden im 3. Kapitel 1I.1.b) behandelt. 208 Siehe dazu die Gesetzesbegründung unter 11.2. 209 Vgl. dazu Seibt / Heiser, ZHR 165 (2001),466, 478. 210 Zu beachten ist, dass bei den drei Fallgruppen unterstellt wird, dass alle Gesellschaften börsennotiert sind. Bei einer NewCo wird es häufig kurzzeitig an einer Börsennotierung fehlen, näher zu diesem Sonderproblem vgl. 4. Kapitel III.5.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Eine Verschmelzung zweier Gesellschaften auf eine dritte Gesellschaft ist zwar auch im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG) denkbar. Bei dieser Verschmelzungsalternative fehlt es jedoch immer (zunächst) an der Börsennotierung der aufnehmenden Gesellschaft, da die Aktien erst mit der Eintragung der Verschmelzung entstehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG)2I1. Diesem Sonderproblem widmet sich diese Arbeit an anderer Stelle2 !2. Die dritte Fallgruppe kann unter den Wortlaut des § 35 Abs. 1 WpÜG subsumiert werden, da der bisherige Kontrollaktionär von GI mit der Eintragung der Verschmelzung kraft Gesetzes mindestens 30% der Stimmrechte an einer fortbestehenden Aktiengesellschaft - hier an G3 - neu erwirbt (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), so dass er "die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt" i.S.v. § 35 Abs.l WpÜG. Sofern man sich eine Argumentation von Technau 213 zu Eigen macht, wäre die Vorschrift, die dem Wortlaut nach eingreift, bei der 3. Fallgruppe teleologisch zu reduzieren und die Angebotsverpflichtung demzufolge zu verneinen2 !4. Dies begründet er damit, dass der Erwerb der Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft hier G3 - durch die Minderheitsgesellschafter des übertragenden Rechtsträgers hier G2 - "zeitgleich mit dem Erwerb der Beteiligung durch den kontrollierenden Gesellschafter" erfolge und daher die Minderheitsgesellschafter ,jedenfalls im Hinblick auf ihre Beteiligung an dem übernehmenden Rechtsträger" - hier: G3 ,,nicht schutzwürdig" seien 215 . Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen: Nach der ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG soll die ursprüngliche Entscheidung der Anleger, in G2 zu investieren, geschützt werden. Auf den Zeitpunkt und die Umstände des Erwerbs der neuen Anteile an G3 kann es daher nicht ankommen. Dazu bereits oben 1.2. Siehe unten Kapitel 4.ill.5. 213 Technau, AG 2002, 260, 263; ähnlich argumentiert auch Vetter, WM 2002, 1999 re. Sp. 214 Technau, AG 2002, 260, 263 bespricht insofern zwei Fallalternativen: die Verschmelzung zur Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG) und die parallele Verschmelzung zweier Gesellschaften auf eine Mantelgesellschaft. Die Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG scheitert in diesen beiden Fällen immer schon an § 1 WpÜG, wonach die Zielgesellschaft zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sein muss; denn in diesen Fällen erfolgt eine Börsenzulassung immer erst nach der Verschmelzung (näher dazu 4. Kapitel ill.5.).Zusätzlich wird diese Lösung von ihm aber auch auf die hier sogleich dargestellte Argumentation gestützt. Da diese beiden von ihm besprochenen Fallvarianten sich von der hier erörterten 3. Fallgruppe nur insoweit unterscheiden, als dass G3 börsennotiert ist, kann seine weitere Argumentation auf diese Fallgruppe übertragen werden. Es handelt sich dogmatisch um eine teleologische Reduktion, da er davon spricht, dass § 35 Abs. 2 "unter Berücksichtigung seines Schutzzweckes dahingehend auszulegen" sei, "dass ein Pflichtangebot nur dann unterbreitet werden muss, wenn im Zeitpunkt des Kontrollerwerbs außenstehende Aktionäre in der Gesellschaft vorhanden sind". In vergleichbarer Weise argumentiert auch Vetter, WM 2002, 1999 re. Sp., der allerdings die Anwendung des § 35 WpÜG grundSätzlich ablehnt. 215 Technau, AG 2002, 260, 263 re. Sp; ähnlich äußert sich Vetter, WM 2002, 1999 re. Sp.: "Bis zu diesem Zeitpunkt hat diese Gesellschaft allerdings keine Minderheitsaktionäre." 211
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III. Lösung der drei Fallgruppen
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Bei der 3. Fallgruppe ist § 35 Abs. 2 WpÜG daher - wie bei der 1. Fallgruppe unmittelbar anwendbar. Das Pflichtangebot fmdet grundsätzlich bei allen drei Fallgruppen Anwendung. 2. Umfang des Pflichtangebotes Indessen ist fraglich, ob die Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG gegenüber allen Aktionären oder nur gegenüber denjenigen besteht, die infolge der Verschmelzung einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sind (a), und wie letzteres gegebenenfalls dogmatisch begründet (b) und praktisch durchgeführt werden kann (c). a) Bloßes Teilangebot
Bei der 1. Fallgruppe sind die bisherigen Aktionäre der GI nach der Verschmelzung in der G2 demselben Kontrollaktionär ausgesetzt wie vor der Verschmelzung. Zwar erwerben sie zeitgleich mit dem Mehrheitsgesellschafter der GI die Aktien der G2 kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), so dass begrifflich davon gesprochen werden könnte, dass "auch ihnen gegenüber die Kontrolle erworben wurde,,216. Allerdings will § 35 Abs. 2 WpÜG dem Anleger im Falle einer Kontrollerlangung die Möglichkeit, aus der Kapitalanlage auszusteigen, nur dann einräumen, wenn er sich "einem neuen kontrollierenden Aktionär gegenüber sieht,,217; dies stuft die Vorschrift als eine schwerwiegende Veränderung der Grundlage der Investitionsentscheidung ein 218 . Da die Alt-Gesellschafter der GI bereits vor der Verschmelzung der Kontrolle des Mehrheitsgesellschafters ausgesetzt waren, haben sie entweder die Kontrollsituation bei ihrer Investitionsentscheidung berücksichtigen können oder - sofern die Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Investitionsentscheidung noch nicht, sondern erst später kontrolliert wurde - ihr Vertrauen, einer unkontrollierten Gesellschaft anzugehören, bereits vor der Verschmelzung verloren. In beiden Fällen sind sie mangels neuer Kontrollsituation nicht (mehr) schutzbedürftig. Im Ergebnis bedürfte es daher aufgrund der ratio legis des § 35 Abs. 2 WpÜG nur eines Pflichtangebotes zugunsten der bisherigen Gesellschafter der G2 (Teilangebot)219; den bisherigen Aktionären der GI könnte dann allenfalls gemäß § 29 Abs. 1 UmwG ein Austrittsrecht zustehen. Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466,479. Begr. RegE., BT-Drucks. 14/7034, S. 60 li. Sp.; vgl. dazu auch KK-von Bülow, § 35 WpÜGRn.78. 218 Siehe oben 1. Kapitel II.l.c)aa). 219 So die einhellige Meinung, vgl. Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 113 und 116; Bemau, WM 2004, 809. 813 f.; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 77 f.; Ehricke/ Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 31; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 25; Haarmarm/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 28; Kalss, in: 216
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7 Thies
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
Bei der 2. Fallgruppe sind nur die bisherigen Aktionäre der G2 und bei der 3. Fallgruppe nur die bisherigen Aktionäre von G2 und G3 220 schutzwürdig, so dass angesichts der ratio legis ebenfalls nur ein Teilangebot erforderlich wäre.
b) Dogmatische Begründung Demzufolge muss untersucht werden, wie ein Teilangebot dogmatisch begründet werden kann. Problematisch ist dabei insbesondere, dass sowohl der Wortlaut des § 35 Abs. 2 WpÜG als auch § 32 i.Y.m. § 39 WpÜG davon ausgehen, dass ein solches Teilangebot rechtlich nicht existiert. aa) Teleologische Reduktion von § 35 Abs. 2 WpÜG bei der 1. und 3. Fallgruppe Dass sich die aus § 35 Abs. 2 WpÜG ergebende Verpflichtung auf ein Teilangebot begrenzt, kann dogmatisch auf zwei Wegen erreicht werden: Entweder wird die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG aufgrund einer Rechtsfortbildung nicht angewandt, indem § 35 Abs. 2 WpÜG teleologisch reduziert221 oder/und analog § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG eine Ausnahme angenommen wird222 . Oder dem Kontrollaktionär wird - während er grundsätzlich gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet bleibt - ermöglicht, einen Befreiungsantrag gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG zu stellen. Die Befreiung i.S.v. § 37 Abs. 1 WpÜG steht zwar grundsätzlich im Ermessen der BaFin ("kann"); in diesen Fällen wäre jedoch regelmäßig eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen 223 • Im Rahmen einer teleologischen Reduktion einer Norm setzt sich der Rechtsanwender über den Wortlaut einer Norm hinweg, d. h., sie wird nicht angewendet, obwohl sie ihrem Wortlaut nach eingreift224 . Diese Rechtsfindung praeter legern Semler/Volhard: Übemahmehandbuch, Band 2, § 51 Rn. 67; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 572 und 578; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 145; MüKoSchlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; Seibtl Heiser; ZHR 165 (2001),466,479 f.; Technau, AG 2002, 260,262; zum österreichischen Recht vgl. KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 53 f. 220 Wird jedoch die aufnehmende Gesellschaft G3 nur zu dem Zweck der Verschmelzung vorher gegründet und dabei von einem Treuhänder gehalten, so ist auch er nicht schutzwürdig, da er die Aktie nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse hält. 221 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 77 f.; MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; so im Ergebnis auch: Kleindiek, ZGR 2002, 546, 572, der von "einer am Normzweck orientierten Gesetzesauslegung" spricht; Technau, AG 2002, 260, 262. 222 MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; Technau, AG 2002, 260, 262. m Seibt I Heiser; ZHR 165 (2001),466,480; zustimmend Bernau, WM 2004, 809. 813 f.; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 145; RotthegelSowade. in: Rotthege I Wassermann, Unternehmenskauf, Rn. 1546. 224 Bydlinski. S. 473 f.; Palandt-Heinrichs, Einleitung zum BGB Rn. 49.
m. Lösung der drei Fallgruppen
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ist zwar - wie eine Analogie - nur erlaubt, wenn eine Regelungslücke besteht225 ; der Gesetzgeber hat jedoch in seiner Gesetzesbegründung eingeräumt, dass im Zusammenhang mit Umwandlungen Regelungslücken auftreten können 226. Da im Falle der Umwandlung einer Zielgesellschaft feststeht, welche Aktionäre nicht schutzwürdig sind, besteht kein Bedarf für eine Ermessensentscheidung der BaFin, sondern es erscheint vorzugswürdig, bereits die Verpflichtung aus § 35 Abs. 2 WpÜG zu verneinen. Dafür spricht im Übrigen auch, dass dem Verpflichteten auf diese Weise der Aufwand eines Befreiungsverfahrens erspart wird. Die BaFin sollte jedoch dem Verpflichteten, wenn er dies aus Gründen der Rechtssicherheit wünscht, eine Auskunft 227 über den Umfang seiner Angebotsverpflichtung im Einzelfall erteilen. Diese Beschränkung des Pflichtangebotes verstößt nicht gegen das in § 3 Abs. 1 WpÜG geregelte Gleichbehandlungsgebot, da die fehlende Schutzwürdigkeit die Differenzierung hinreichend rechtfertigt228 . Zwar regelt § 32 LY.m. § 39 WpÜG, dass Teilangebote unzulässig sind; gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG sind jedoch diejenigen Aktien von der Angebotspflicht ausgenommen, die von der Zielgesellschaft selbst, von einem von ihr abhängigen Unternehmen oder einem Dritten, der für Rechnung der Erstgenannten handelt, gehalten werden. In diesen Fällen fehlt es - wie in dem hier vorliegenden Fall - an dem Schutzbedürfnis der Aktieninhabe?29, so dass analog § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG eine Ausnahme von der Vollangebotspflicht gerechtfertigt ist23o.
225 Bydlinski, S. 472 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 461; Larenz, S. 370. Dabei kann zwischen "offenen" - die eine Analogie emlög1ichen - und "verdeckten" Lücken - die eine teleologische Reduktion rechtfertigen - unterschieden werden: Eine "offene Lücke" liegt vor, wenn das Gesetz für eine bestimmte Fallgruppe keine Regel enthält, die auf sie anwendbar wäre, obgleich es nach seiner ratio legis eine solche Regel enthalten sollte. Demgegenüber besteht eine "verdeckte Lücke", wenn das Gesetz zwar eine Regel für einen bestimmten Fall enthält, diese aber ihrem Sinn und Zweck nach nicht auf ihn passt. Ausführlich dazu Larenz, S. 377 f.; vgl. dazu auch Bydlinski, S. 480 f.; Canaris, S. 83 und 151 f.; Vogel, S. 134. 226 Siehe oben m.l.b)bb)(1). 227 Bei einer Auskunft handelt es sich um eine rein infomlatorische Mitteilung über tatsächliche Umstände oder rechtliche Verhältnisse, vgl. Maurer; § 9 Rn. 62. Diese HandlungsfOml stellt keinen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG, sondern einen bloßen Realakt dar, vgl. Erichsen, in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 12 Rn. 32, § 30 Rn. 1; Maurer; § 15 Rn. 2. Ein Auskunftsanspruch gegenüber der BaFin besteht allerdings nicht, da der Auskunftsanspruch des § 25 VwVfG sich nur auf verfahrensrechtliche Pflichten bezieht, vgl. KopplRamsauer; § 25 VwVfG Rn. 13, und im übrigen keine allgemeine Auskunfts- und Beratungspflicht der Behörden besteht, vgl. Badura, in: Erichsen I Ehlers, Verwaltungsrecht, § 37 Rn. 24, KopplRamsauer; a. a. O. 228 MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; SeibtlHeiser; ZHR 165 (2001),466,479; Technau, AG 2002, 260, 262. 229 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 60 li. Sp. 230 MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; Technou, AG 2002,260,262.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
bb) Eingeschränkte Analogie bei der 2. Fallgruppe Bei der zweiten Fallgruppe sind nur die bisherigen Aktionäre der G2 - nicht hingegen die Aktionäre, welche bislang der GI angehörten - schutzWÜfdig, und daher sollten nur sie ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG erhalten. Dogmatisch wird dies bewerkstelligt, indem die analoge Anwendung der Pflichtangebotsrege1 auf den schutzwürdigen Personenkreis begrenzt wird.
c) Praktische Durchführung des Teilangebotes
Um dieses Teilangebot praktisch durchführen zu können, muss feststellbar sein, welcher Aktionär vor der Verschmelzung der jeweiligen Gesellschaft angehörte. Die Aktien, die den neuen Gesellschaftern im Zuge der Verschmelzung ausgegeben werden, sollten daher mit einer gesonderten Wertpapier-Kenn-Nummer (ISIN 231 ) gekennzeichnet werden 232 .
IV. Einheitliches fallgruppenübergreifendes Lösungskonzept Bei der 2. Fallgruppe ist der Wortlaut der § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG - im Unterschied zur 1. und 3. Fallgruppe - einer extensiven Auslegung nicht zugänglich und damit nicht direkt anwendbar, da es sich bei der ,,zielgesellschaft" begrifflich nur um eine fortbestehende Aktiengesellschaft - oder Kommanditgesellschaft auf Aktien (vgl. § 2 Abs. 3 WpÜG) - handeln kann. Zwar ging der Gesetzgeber bei der Schaffung des WpÜG davon aus, er würde indem er die Formulierung "Kontrolle [ ... ] erlangt" i.S.v. § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG weit anlegte - erreichen, dass sämtliche Arten, wie Aktionäre in eine Kontrollsituation gelangen können, erfasst sind233 • Allerdings hat er diejenigen Fälle, bei denen die Kontrollsituation durch Umwandlung entsteht, bei der Fassung des § 35 WpÜG bewusst nicht gelöst und daher auch nicht geprüft, ob tatsächlich alle denkbaren Fallkonstellationen vom Wortlaut des § 35 WpÜG umfasst sind 234 . Im Die Abkünung steht für International Securities Identification Number. Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 113; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 78 a.E.; Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 146; MüKoSchlitt, § 35 WpÜG Rn. 141; Süßmann, WM 2003,1453,1456. 233 Denn die Art der Kontrollerlangung hält er für unerheblich und es werden mehrere dieser Arten von ihm aufgezählt. Vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 59, siehe auch oben 11.2. 234 Dies kann vor allem dem allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung entnommen werden, in dem der Gesetzgeber, die Abstimmung von Umwandlungs- und Übernahmerecht bewusst der Anwendungspraxis überlässt und ein erneutes gesetzgeberisches Tätigwerden in Aussicht stellt, vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 31; siehe dazu oben 11.2. Zu den 231
232
V. Vorschlag de lege ferenda
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Wege einer analogen Anwendung der Vorschrift kann man sich jedoch über den zu eng geratenen Tatbestand hinwegsetzen und damit den schutzbedürftigen Aktionären bei der 2. Fallgruppe weitgehend235 helfen. Demgegenüber kann die Vorschrift des § 35 Abs. 2 WpÜG bei der 1. und bei der 3. Fallgruppe zwar unmittelbar angewendet werden. Aufgrund der soeben beschriebenen Umstände kommt es aber in umgekehrter Richtung dazu, dass die Rechtsfolge des § 35 Abs. 2 WpÜG zu weit ist: Es sind nicht alle Aktionäre schutzbedürftig, so dass dem Kontrollaktionär keine Angebotsverpflichtung gegenüber allen Aktionären zugemutet werden kann. Diese Unstimmigkeit ist im Wege einer teleologischen Reduktion der Nonn zu lösen. Mit Hilfe dieser dogmatischen Methoden wird § 35 Abs. 2 WpÜG im Ergebnis in allen Fallgruppen (nur) zugunsten deIjenigen Aktionäre angewendet, die sich infolge eines Umwandlungsvorganges einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sehen. Das bedeutet, dass bei den drei Fallgruppen das Pflichtangebot nicht gegenüber den Aktionären der G 1, sondern nur gegenüber den übrigen Aktionären abzugeben ist. Um eine vollständige Gleichbehandlung der Fallgruppen zu ennöglichen, bedarf es jedoch eines gesetzgeberischen Tätigwerdens 236, da die Durchsetzung des Pflichtangebotes bei der 2. Fallgruppe nur begrenzt möglich ist.
V. Vorschlag de lege ferenda De lege ferenda sollte als § 35 Abs. 2 S. 4 WpÜG n.F. folgende Regelung eingefügt werden: ,,Abs. I und Abs. 2 Satz 1 gelten auch, wenn Aktionäre nach einer Umwandlung einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sind, mit der Maßgabe, dass nur die schutzwürdigen Aktionäre ein PfIichtangebot erhalten."
Aus systematischen Gründen bietet es sich an, diese Regelung nach § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG einzufügen, da § 35 Abs. 2 Satz 3 WpÜG ebenfalls ein Teilangebot vorsieht. Vom Wortlaut der hier vorgeschlagenen Fonnulierung wäre der unproblematische Fall, dass die Kontrolle durch eine Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft erlangt wurde 237 , ebenfalls erfasst; insoweit hätte die vorgeschlagene Regelung klarstellende Funktion23s • möglichen Gründen, warum der Gesetzgeber das Problem nicht selbst gelöst hat, siehe oben Fn. 30 a.E. 235 Die Durchsetzung des PfIichtangebotes ist weniger effektiv, siehe oben m.1.b)bb)(2). 236 Vgl. dazu oben m.1.b)bb)(2). 237 Näher dazu 1.1. 238 In § 35 Abs. 2 Satz 4 n.F. könnte zwar auch die Formulierung .. nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft" gewählt werden; diese Einschränkung würde jedoch möglicherweise den Umkehrschluss provozieren, dass der genannte unproblematische Fall nicht mehr von § 35 Abs. I und 2 WpÜG erfasst sein soll.
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2. Kap.: Pflichtangebot nach Kontrollerlangung durch eine Umwandlung
VI. Pflichtangebot nach einer Spaltung Ein Spaltungsvorgang (§§ 1 Nr. 2, 123 ff. UmwG) kann ebenfalls zur Folge haben, dass die Aktionäre der übertragenden oder der übernehmenden Gesellschaft einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sind239 . Nach oben dargestellten Grundsätzen ist dann jeweils nur gegenüber den schutzwürdigen Aktionären ein pflichtangebot abzugeben. Es ist - wie bei der Verschmelzung 240 - fraglich, ob die Angebotsverpflichtung nicht nur für die Spaltung zur Aufnahme (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), sondern trotz § 1 WpÜG auch für die Spaltung zur Neugründung (§ 123 Abs. I Nr. 2 UmwG) gelten kann, obwohl die neu gegründete Gesellschaft (NewCo) zunächst (noch) nicht börsennotiert ist. Dies wird an anderer Stelle erörtert werden241 •
239 Vgl. dazu Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 122 f.; Ehricke/Ekkenga/ Oechsler-Ekkenga/ Schulz. § 35 WpÜG Rn. 34; Assmann / Schneider / Pötzsch-Krause / Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 157; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 147; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 489; Semler/Stengel-Semler-Stengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 100; Vetter, WM 2002,1999,2010; Weber-Rey/Schütz, AG 2001, 325, 328 in Fn. 31. 240 Siehe oben 1.2. 241 Näher dazu im Zusammenhang mit dem Sonderproblem des kalten Delistings siehe 4. Kapitel 111.5.
3. Kapitel
Feinabstimmung von UmwG und WpÜG Nachdem die Frage, ob § 35 Abs. 2 WpÜG nach Verschmelzungen und Spaltungen grundsätzlich Anwendung findet, positiv beantwortet wurde, ist zu besprechen, wie die beiden Normkonzepte von UmwG und WpÜG im Einzelnen aufeinander abzustimmen sind. So ist problematisch, ob auch gegenüber denjenigen Aktionären, die der Umwandlung zugestimmt haben, ein Pflichtangebot abgegeben werden muss (I.) sowie ob und unter welchen Voraussetzungen nach Umwancilungsvorgängen eine Befreiung von der Angebotsverpflichtung gemäß § 37 WpÜG möglich ist (11.). Außerdem muss untersucht werden, inwieweit die parallele Anwendung von WpÜG und UmwG dazu führt, dass vergleichbare Verfahrensvorschriften beider Gesetze zusammentreffen und der Angebotsverpflichtete dadurch doppelten Dokumentationsanforderungen ausgesetzt ist (III). Schließlich wird erörtert, wie im Einzelnen die Angemessenheit der Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG zu überprüfen ist, wenn eine Umwandlung vorausgeht (IV).
I. Verzicht auf ein Pflichtangebot durch Zustimmung der Aktionäre zum Umwandlungsbeschluss? Da der Umwandlungsbeschluss einer Mehrheit von mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedarf (vgl. §§ 13 Abs. 1,65 Abs. 1, 125 S. 1 UmwG) 1, stellt sich die Frage, ob das Pflichtangebot auch gegenüber denjenigen abgeben werden muss, die der Umwandlung zustimmen, oder nur gegenüber den übrigen Aktionären, die sich bei der Abstimmung enthalten oder ihr widersprechen (Teilangebot 2 ). In der Zustimmung zur Umwandlung könnte ein konkludenter Verzicht auf das von § 35 Abs. 2 WpÜG eingeräumte Austrittsrecht gesehen werden3~ Die Stimmabgabe selbst ist eine Willenserklärung, deren Inhalt im Wege der Auslegung geSiehe näher dazu 1. Kapitel Ll.i). Zu diesem Begriff siehe oben 2. Kapitel III.2.a). 3 Dagegen sprechen sich aus Assmann/Schneider/Pötzsch-KrauseIPötzsch, § 35 WpÜG Rn. 144; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,483, Süßmann, WM 2003,1453,1455 f.; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 22; so im Ergebnis auch Baums/Thoma-BaumsIHecker; § 35 WpÜG Rn. 112. Im österreichischen Recht wird dies ebenfalls grundSätzlich verneint, vgl. Kalss I Winner; ÖBA 2000, 51, 54 ff.; Kaindl, S. 119 f. 1
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
mäß §§ 133, 157 BGB zu ennitteln ist4 • Mit der Zustimmung zur Umwandlung wird zunächst ausdrücklich deren Durchführung bejaht. Fraglich ist, ob außerdem auch der Verzicht auf das Austrittsrecht gewollt ist und folglich die Willenserklärung stillschweigend auf eine solche zweite Rechtsfolge gerichtet ist. Eine etwaige Verzichtserklärung wäre eine einseitige empjangsbedürjtige Willenserklärung5 . Bei dem Verzicht auf ein Pflichtangebot muss sich der Kontrollaktionär - in vergleichbarer Weise wie ein Vertragspartner beim Verzicht des anderen auf die Einrede der VeIjährung, auf ein Rücktrittsrecht oder auf eine Bedingung 6 - auf die Erklärung einstellen und sich auf sie verlassen können. Im Rahmen der Auslegung ist bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärungen darauf abzustellen, ob der Erklärungsempfanger nach Treu und Glauben die Willenserklärung so verstehen musste (Empfangerhorizont)7. Demzufolge ist danach zu fragen, wie der spätere Kontrollaktionär die Stimmabgabe zu verstehen hat. Es ist denkbar, dass ein Aktionär der Umwandlung nur zustimmt, weil er weiß, dass infolge der Umwandlung eine Angebotsverpflichtung gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG entsteht und weil er dann von diesem Austrittsrecht Gebrauch machen möchte 8 . Außerdem ist auch möglich, dass sich viele Aktionäre über die spätere Kontrollsituation - obwohl im Umwandlungsbericht (§ 8 UmwG) regelmäßig darauf hingewiesen werden muss 9 - und erst recht über das Austrittsrecht des § 35 Abs. 2 WpÜG - z. B. wegen fehlender Rechtskenntnisse - keine Gedanken machen. Aus diesen Gründen darf der Kontrollaktionär nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass alle zustimmenden Aktionäre zugleich auf ihr Austrittsrecht verzichten wollen, so dass die Zustimmung regelmäßig nicht als Verzicht anzusehen ist. Diesem Ergebnis ist auch in rechtspolitischer Hinsicht zuzustimmen: Sofern in der Zustimmung zugleich ein Verzicht erblickt würde, bestünde nämlich die Gefahr, dass die Aktionäre nur deshalb gegen eine wirtschaftliche sinnvolle Umwandlung stimmen, um das spätere Pflichtangebot nicht zu verlieren lO • 4 Im Rahmen einer Abstimmung in der Gesellschaft stellt jede Stimmabgabe eines Aktionärs eine einzelne Willenserklärung dar, auf die die Regelungen der §§ 104 ff. BGB Anwendung finden. Demgegenüber ist der Beschluss der Gesellschaft selbst keine Willenserklärung, sondern ein Rechtsgeschäft eigener Art, das auf den Willenserklärungen der Mitglieder beruht, vgl. Schmidt, § 151.2.; MüKo-Volhard, § 133 AktG Rn. 3; Baumbach/Hueck-Zöllner, § 47 GmbhG Rn. 3; Baltzer, S. 171 ff.; differenzierend Ulmer, FS Niederländer, S. 413, 424 ff., wonach Beschlüsse vertragliche Qualität haben können. S Vgl. allgemein zu den Voraussetzungen einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung Bamberger/Roth-Wendtland, § 133 BGB Rn. 14; Soergel-Hejermehl, § 130 BGB Rn. 1; Palandt-Heinrichs, Überblick vor § 104 BGB Rn. 11. 6 Zur Empfangsbedürftigkeit einer Verzichtserklärung vgl. Staudinger-Bork (2003), § 158 BGB Rn. 16; weitere Beispiele für Verzichtserklärungen bei Palandt-Heinrichs, § 397 BGB Rn. 1. 7 Palandt-Heinrichs, § 133 BGB Rn. 11. 8 Ehricke / Ekkenga / Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 22; Assmann / Schneider / Pötzsch-Krausel Pötzsch, § 35 WpÜG Rn. 144; Seiht/ Heiser, ZHR 165 (2001),466,483. 9 Näher dazu 3. Kapitel III.l.
II. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ersichtlich ist, dass sich ein Aktionär seines späteren Austrittsrechts gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG bewusst ist und er der Umwandlung zustimmt, weil er mit dem späteren Kontrollaktionär gemeinsam in der Gesellschaft verbleiben will. Demzufolge kann die Zustimmung zur Umwandlung nur ganz ausnahmsweise zugleich als konkludenter Verzicht auf das Pflichtangebot angesehen werden. Dies ist im jeweiligen Einzelfall durch Auslegung der Stimmabgabe zu klären. Im Unterschied dazu kann ferner - worauf noch näher eingegangen wird - durch einen gesonderten Beschluss ausdrücklich auf das Pflichtangebot verzichtet werden 11 •
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG Nach § 37 Abs. 1 WpÜG ,,kann" die BaFin auf schriftlichen Antrag den Bieter von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 befreien, sofern dies im Hinblick auf die Art der Erlangung (I. Alt.), die mit der Erlangung der Kontrolle beabsichtigte Zielsetzung (2. Alt.), ein nach der Erlangung der Kontrolle erfolgendes Unterschreiten der Kontrollschwelle (3. Alt.), die Beteiligungsverhältnisse an der Zielgesellschaft (4. Alt.) oder die tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle (5. Alt.) unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers und der Inhaber der Aktien der Zielgesellschaft gerechtfertigt erscheint. Es gilt nun zu überprüfen, ob und unter welchen Umständen eine solche Befreiung in Betracht kommt, wenn die Kontrollsituation infolge einer Umwandlung entsteht. Dabei werden zunächst nur die im zweiten Kapitel unterschiedenen drei Fallgruppen einer Umwandlung der Zielgesellschaft zugrunde gelegt l2 ; inwieweit eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG bei Umwandlungsvorgängen ohne Beteiligung der Zielgesellschaft 13 oder innerhalb eines Konzerns in Betracht kommt l4 , wird später erörtert werden. Der Tatbestand des § 37 Abs. 1 WpÜG setzt voraus, dass besondere Umstände vorliegen, die den in Abs. 1 genannten Kategorien zuzuordnen sind 15 und deshalb 10 Seibtl Heiser, ZHR 165 (2001),466,483. Dieses Argument verwenden für die österreichische Rechtslage Kalss/Winner, ÖBA 2000, 51, 56. 11 Näher zum so genannten "Whitewash"-Beschluss der Hauptversammlung siehe 3. Kapitel II.2. 12 Siehe oben 2. Kapitel 1.2. 13 Näher dazu 4. Kapitell.; die Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft wurde oben bereits näher beschrieben, vgl. 2. Kapitel LI. 14 Näher dazu 4. Kapitel II. 15 Es ist umstritten, ob der in § 37 Abs. 1 WpÜG aufgeführte Katalog abschließend - so Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 16; Geibel/Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. 24 f.; KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 54 f.; Harbarth, ZIP 2002, 321, 330; Lenz/Linke, AG 2002, 361, 366 - oder nur exemplarisch ist - so Bemau, WM 2004, 809, 811 m.w.Nw. in Fn. 29; Haarmann I Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt. § 37 WpÜG
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
eine zugunsten des Bieters vom Normalfall einer Kontro11erlangung abweichende Bewertung der Interessen der Beteiligten angezeigt ist, die ein solches Ausmaß erreicht, dass die Entbindung des Bieters von den Verpflichtungen nach § 35 "gerechtfertigt erscheint" 16. Es erfolgt eine Interessenabwägung: In dem jeweiligen Einzelfall müssen die Interessen des Bieters am Nichtbestehen der Angebotsverpflichtung ausnahmsweise höher zu bewerten sein als die Interessen der Aktionäre an einem Angebot 17 • In § 9 AngebotsVO i.Y.m. § 37 Abs. 2 WpÜG werden beispielhaft ("insbesondere") - und daher nicht abschließend 18 - einige Befreiungstatbestände geregelt, bei denen eine Befreiung typischerweise nahe liegt; in diesen Fällen ist daher ausnahmsweise eine Interessenabwägung auf Tatbestandseite entbehrlich und erfolgt nur noch auf der Rechtsfolgenseite (konkrete Befreiungsgründe)19: So kann beispielsweise eine Befreiung erteilt werden, wenn die Umwandlung im Zusammenhang mit einer Sanierung der Zielgese11schaft steht (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Angebotsvoio, wenn die Kontrolle unbeabsichtigt erlangt wurde und unverzüglich nach AntragsteIlung wieder beispielsweise dadurch entnmt, dass der Kontrollaktionär Aktien veräußert (§ 9 Abs. 1 Nr. 6 AngebotsVO) oder an den Hauptversammlungen so viele Kleinaktionäre teilnehmen, dass eine Stimmenmehrheit des Kontro11aktionärs nicht zu erwarten ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AngebotsVO). Sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 vorliegen, steht dann die Entscheidung, den Bieter zu befreien, im Ermessen der BaFin (',kann"). Das Gesetz sieht keine gebundene Entscheidung vor, da der Behörde auf der Rechtsfolgenseite erneut eine Abwägung der Interessen der Beteiligten ermöglicht werden S011 21 . Rn. 2; Schwark-Noack, § 37 WpÜG Rn. 2. Diese Frage kann aber hier dahinstehen, da § 37 Abs. 1 1. Alt. (,.Art der Erlangung") - wie sogleich näher dargestellt wird - erfullt ist. 16 KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 17. 17 KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 20. 18 Bemau, WM 2004, 809, 812 re. Sp.; Haarrnann/Riehrner/Schüppen-Hommellwff/ Witt, § 37 WpÜG Rn. 4; Pluskat, WM 2001, 1937, 1941; MüKo-Schlitt, § 37 WpÜG Rn. 3; KK-Versteegen, Anh. § 37 WpÜG, § 9 AngebotsVO Rn. 3 m.w.Nw. in Fn. 2. 19 Es wird daher zwischen den abstrakten Befreiungsgründen des § 37 Abs. 1 WpÜG und den konkreten Befreiungsgründen des § 9 AngebotsVO unterschieden, vgl. Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 16; Haarrnann/Riehmer/Schüppen-Hommellwff/ Witt, § 37 WpÜG Rn. 4; Steinmeyer / Häger; § 37 WpÜG Rn. 17; Schwark-Noack, § 37 WpÜGRn.2. 20 Näher dazu Wiesbrock, NZG 2005, 294 ff. 21 Dass vorn Gesetzgeber auf Rechtsfolgenseite erneut eine Interessenabwägung erwartet wird, ist angemessen, da auf Tatbestandseite nicht bereits festzustellen ist, dass eine Befreiung geboten ist, sondern nur, dass sie "gerechtfertigt erscheint", vgl. dazu Bemau, WM 2004, 809,818 m.w.Nw. in Fn. 112; KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 20 und 60. Errnessensleitende Gesichtspunkte sind dann einerseits der Zweck des Gesetzes - das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt zu stärken und sie demgemäß vor einer Entwertung ihrer Wertpapiere durch den Kontrollerwerb zu schützen - und andererseits das Interesse des Bieters, nicht den erheblichen Belastungen aus einern Pflichtangebot ausgesetzt zu sein, wenn dies zur Durch-
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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Eine solche Befreiungsentscheidung ist nach einer Umwandlung nicht nur in den soeben genannten Fällen des § 9 AngebotsVO, sondern auch dann denkbar, wenn die Austrittsrechte des § 35 Abs. 2 WpÜG und des § 29 Abs. 1 UmwG tatsächlich zusammentreffen (1), ein sogenannter "Whitewash"-Beschluss" von der Hauptversammlung gefasst wird (2), der Kontrollerwerber vor der Umwandlung ein freiwilliges Angebot gemäß §§ 29 ff. WpÜG unterbreitet hat (3) und der Aktienkurs nach der Veröffentlichung der Kontrollsituation gleich bleibt oder sogar steigt (4). 1. Zusammentreffen der Austrittsrechte des § 29 Abs. 1 UmwG und des § 35 Abs. 2 WpÜG Dass bei einer umwandlungsbedingten Kontrollerlangung neben dem Austrittsrecht nach § 35 Abs. 2 WpÜG auch dasjenige des § 29 Abs. 1 UmwG bestehen kann, führt nicht dazu, dass die Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG grundsätzlich entbehrlich würde. Dies ist insbesondere damit zu begründen, dass die Vorschrift des § 29 Abs. 1 UmwG nur in zwei eher seltenen Fällen eingreift 22 . Im Rahmen der Feinabstimmung von UmwG und WpÜG stellt sich nun die Frage, ob die Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG möglicherweise im Einzelfall entbehrlich ist, wenn tatsächlich zugleich das Austrittsrecht nach § 29 Abs. 1 UmwG besteht. Wenn sich die Tatbestände zweier Rechtsvorschriften in vollem Umfang oder wie hier - teilweise decken, so dass ein und derselbe Sachverhalt von ihnen erfasst wird, spricht man von einem ,,zusammentreffen" oder einer "Konkurrenz" der Rechtsnormen 23 • Am Beispiel der - im zweiten Kapitel eingeführten - drei Fallgruppen24 soll dargestellt werden, wie es zu einer solchen Konkurrenz der Austrittsrechte von § 29 Abs. 1 UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG kommen kann. Die Fallgruppen werden für diesen Zweck dahingehend abgewandelt, dass jeweils in der übernehmenden Gesellschaft eine Verfügungsbeschränkung i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG besteht25 . setzung der vorgenannten ratio legis im Einzelfall nicht verhältnismäßig ist. Es ist umstritten, ob die ermessensleitenden Gesichtspunkte auf die im Tatbestand genannten Belange und die ratio legis zu beschränken oder ob auch andere Aspekte, wie der Schutz der Arbeitnehmer, zu berücksichtigen sind, näher dazu unten in Fn. 112.. 22 Siehe oben 2. Kapitel II.4.b)cc). 23 Larenz/Canans, S. 87. Für das Zusammentreffen zweier Rechtsvorschriften werden aber auch die Begriffe der "Gesetzeskonkurrenz", vgl. Enneccerus/Nipperdey, § 60, oder der "Gesetzeskonkurrenz im weiteren Sinne", vgl. Hübner; Rn. 430, verwendet. Sofern es darum geht, dass einer Person aufgrund mehrerer Rechtsvorschriften mehrere Ansprüche zustehen, wird von ,,Anspruchs(normen)konkurrenz" - wenn sie auf denselben wirtschaftlichen Erfolg gerichtet sind - und von "kumulativer Konkurrenz" - wenn sie auf verschiedene Leistungen gerichtet sind - gesprochen, vgl. Larenz/Wolj, § 18 Rn. 18 und 24 ff.; Bork, 2001, Rn. 293; Medicus, § 11 Rn. 76. 24 Zu den Fallgruppen siehe die Übersicht oben 2. Kapitel 1.2.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Das Pflichtangebot des § 35 Abs. 2 WpÜG kann - seinem Wortlaut zufolge grundsätzlich allen Aktionären der fortbestehenden Gesellschaft (,,zielgesellschaft,,26) zustehen, wobei - wie bereits erörtert wurde - zu beachten ist, dass nur diejenigen Aktionäre schutzwürdig sind, die erstmals einer Kontrollsituation ausgesetzt sind27 . Demgegenüber wird die Barabfindung gemäß § 29 Abs. 1 UmwG nicht den Aktionären des übernehmenden, sondern nur denen des "übertragenden Rechtsträgers" gewährt. In allen drei Fallgruppen steht - wie bereits beschrieben wurde - den bisherigen Aktionären der Gesellschaft G 2, bei der 3. Fallgruppe zudem auch den bisherigen Aktionären der Gesellschaft G3 ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ZU 28 .
Bei der 1. Fallgruppe wird eine Barabfindung gemäß § 29 Abs. I Satz 2 UmwG nur den bisherigen Aktionären der GI - die als "übertragende" Gesellschaft i.S.v. § 29 Abs. I Satz I UmwG anzusehen ist - gewährt, so dass es nicht zu einer Kollision der beiden Austrittsrechte kommt. Demgegenüber besteht die - hier angenommene - Verfügungsbeschränkung bei der 2. Fallgruppe in der G I als übernehmende Gesellschaft, so dass den bisherigen Aktionären der G2 neben dem Pflichtangebot (§ 35 WpÜG) auch eine Barabfindung (§ 29 UmwG) zustünde. Daher würden in diesem Fall die beiden Austrittsrechte denselben Personenkreis betreffen. Bei der 3. Fallgruppe stünde schließlich die Barabfindung gemäß § 29 Abs. I UmwG sowohl den bisherigen Aktionären der GI, als auch denen der G2 zu. Die geschützten Personenkreise wären nur teilweise deckungsgleich: Eine Barabfindung würden die bisherigen Aktionäre von GI und G2, ein Pflichtangebot die bisherigen Aktionäre von G2 und G3 erhalten. Die beiden Austrittsrechte stünden bei der 3. Fallgruppe also nur hinsichtlich der bisherigen Aktionäre der G2 in Konkurrenz. Im Hinblick auf diese Konkurrenzfälle ist sowohl zu untersuchen, ob den Beteiligten die doppelte Belastung durch zwei Angebotsverpflichtungen zugemutet werden kann (a), als auch, ob die Aktionäre zugleich des Schutzes bei der Austrittsrechte bedürfen (b). Sofern diese Fragen verneint werden, wird zu erörtern sein, ob entweder eine der Vorschriften die andere verdrängt (c) oder ob im Wege einer Befreiung vom Pflichtangebot gemäß § 37 WpÜG Abhilfe geschaffen werden kann (d).
25 Eine Konkurrenz der bei den Austrittsrechte ist ferner denkbar, wenn eine börsennotierte Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft umgewandelt wird (sog. ,,kaltes Delisting"), da § 29 Abs. I Satz 2 UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG in diesen Fällen analoge Anwendung finden können, näher dazu 4. Kapitel lli.4. 26 Näher zum Begriff der ,,zielgesellschaft" i.S.v. § 35 Abs. 1 WpÜG siehe oben 2. Kapitel lli.l.b)aa). 27 Siehe oben 2. Kapitel lli.2.a). 28 Siehe oben 2. Kapitel lli.2.
II. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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a) Zumutbarkeit einer doppelten Angebotsverpjlichtung?
Die Angebotsverpflichtung richtet sich an unterschiedliche Personen: Einerseits wird gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG der Kontrollaktionär, andererseits gemäß § 29 Abs. 1 UmwG die übernehmende Aktiengesellschaft verpflichtet29 • Zwar kann jeder Aktionär nur einmal aus der Gesellschaft austreten, so dass jeweils entweder nur die übernehmende Gesellschaft oder nur der Kontrollaktionär eine Abfindung an den einzelnen Aktionär zahlen muss. Es ist jedoch bereits die jeweilige Angebotsverpflichtung - unabhängig davon, ob sie erfüllt werden muss oder nicht - mit zusätzlichen Kosten und Aufwand verbunden: Sowohl die übernehmende Gesellschaft als auch der Kontrollaktionär müssen sich im Vorfeld darauf einstellen, dass möglicherweise alle berechtigten Aktionäre eine Abfindung von ihnen verlangen und daher im vorhinein die Finanzierung ihrer Verpflichtung - zum Beispiel durch Bankkredit - sicherstellen (vgl. § 13 WpÜG). Außerdem besteht für heide Austrittsrechte ein erheblicher Dokumentationsaufwand, da festgestellt werden muss, wer zum Austritt berechtigt ist und wer von diesem Recht Gebrauch macht. Obwohl jeder Aktionär nur von einem der beiden Austrittsrechte Gebrauch machen kann, werden daher die Beteiligten durch das doppelte Austrittsrecht wirtschaftlich mehr belastet als wenn nur ein Austrittsrecht bestünde. Es könnte zwar argumentiert werden, dass der doppelte Schutz der Aktionäre den Beteiligten zuzumuten sei, da dadurch nicht eine Person doppelt belastet werde, sondern zwei verschiedene Personen - die übernehmende Gesellschaft und ihr Kontrollaktionär - jeweils nur den Anforderungen einer der beiden Angebotsverpflichtungen genügen müssten. Dieser Hinweis auf die rechtliche Verselbstständigung der Aktiengesellschaft als juristische Person überzeugt jedoch nicht. Die Rechtsfigur der juristischen Person dient vor allem der Haftungsheschränkung 3o. Sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die Verpflichtung der Aktiengesellschaft letztlich auch die Aktionäre belastet werden. Indem die Gesellschaft finanzielle Kosten zu tragen hat, wird auch der unter den Aktionären verteilungsfahige Gewinn (§§ 60, 174 AktG) geschmälert. Außerdem ist aus ökonomischer Sicht nicht verständlich, dass zugleich zwei Austrittsrechte gewährt werden, die jeweils mit erheblichen Kosten und Aufwand verbunden sind. Eine solche Verdoppelung der Austrittsrechte hätte möglicherweise zur Folge, dass die Beteiligten aufgrund der erhöhten Transaktionskosten von einer wirtschaftlich sinnvollen Umwandlung Abstand nehmen. Der Intention des Dazu bereits 2. Kapitel II.4.b)cc). In § 1 Abs. 1 Satz 1 AktG ist geregelt, dass die Aktiengesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit hat. Dass die Aktionäre für Verbindlichkeiten der Aktiengesellschaft nicht haften, würde daraus jedoch noch nicht zwingend folgen, da neben der Haftung der Aktiengesellschaft eine akzessorische Haftung der Aktionäre - in vergleichbarer Weise wie in § 128 HGB für die Gesellschafter der OHG - hätte vorgesehen werden können. Die Haftungsbeschränkung wird daher erst durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG bewirkt. Danach haftet ,,für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft [ ... ] den Gläubigem nur das Gesellschaftsvermögen" und somit nicht der einzelne Aktionär. Vgl. dazu Hü!fer; § 1 AktG Rn. 8; KK-Krajt, § 1 AktG Rn. 11. 29
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Gesetzgebers, Unternehmensübernahmen durch die Schaffung des WpÜG nicht zu verhindem 31 , würde ein doppeltes Austrittsrecht daher zuwiderlaufen.
b) Ausreichender Schutz der Aktionäre und der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte durch § 29 UmwG? Es muss daher der Frage nachgegangen werden, ob eines der zwei Austrittsrechte den Regelungszielen des anderen bereits ausreichend Rechnung trägt und folglich das andere entbehrlich werden lässt32 . Während § 29 UmwG nur den Schutz der Minderheitsaktionäre bezweckt33 , dient § 35 Abs. 2 WpÜG vor allem der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte und nur in - gemäß § 4 Abs. 2 WpÜG gesetzlich - begrenztem Umfang den einzelnen Aktionären (abgeschwächter Drittschutz)34. Bei der hier gestellten Frage, ob eines der beiden Austrittsrechte das andere entbehrlich werden lässt, kommt es aber möglicherweise nicht entscheidend darauf an, ob die Normen dieselbe ratio legis aufweisen, sondern es könnte auch ausreichend sein, wenn mit Hilfe eines bloßen - nicht intendierten - Rechtsreflexes ein Regelungsziel der anderen Norm erreicht wird35 . Im Rahmen der Abstimmung kann daher grundsätzlich auf die Anwendung einer Norm insoweit verzichtet werden, als eine andere Regelung - mit Hilfe der von ihr angeordneten Rechtsfolgen - die ratio legis der Erstgenannten ebenso gut erreicht, d. h. ein mindestens ebenso hohes Schutzniveau aufweist (Vergleich des Schutzniveaus). Indessen werden die Rechtsfolgen zweier konkurrierender Normen aufgrund ihrer Unterschiede nicht immer ohne weiteres vergleichbar sein. Es muss daher eine Wertung getroffen werden, ob entweder der Vorteil der einen Norm einen Vorteil der anderen Norm hinreichend kompensieren kann oder ob die beiden Rechtsfolgen nebeneinander eintreten sollen. In diesem Zusammenhang muss dann auch eine Abwägung erfolgen, ob auf eine Norm zu Lasten des Normbegünstigten verzichtet werden kann, um die unerwünschte Verdoppelung der gesetzlichen Mechanismen zu vermeiden, oder ob die Verdoppelung als kleineres Übel hinzunehmen ist. 31 Begr. RegE BT-Drucks. 1417034, S. 28 re. Sp.; näher dazu oben 1. Kapitel 11.1. Nach Ansicht von Seiht/Heiser. ZHR 165 (2001),466,482, soll das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG das Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. I UmwG hinreichend kompensieren können, sofern die Gegenleistung in Fonn einer Barabfindung erfolgt, siehe dazu auch unten bb). 33 Siehe oben 1. KapiteII.1.b). 34 Siehe oben 1. Kapitel II.1.c)bb)b). 35 Allerdings ist bei einem bloßen ,,Rechtsreflex" die entsprechende Nonn insoweit nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Ist eine Nonn drittschützend, erreicht die andere, die nur reflexartig schützt, nicht das gleiche Schutzniveau. Näher zu dem Begriff des Rechtsreflexes siehe oben 1. Kapitel II.1.c )bb )(2). 32
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
111
Im Folgenden werden nun die Rechtsfolgen der zwei konkurrierenden Normen gegenübergestellt, um herauszufinden, ob eine der Normen die Regelungsziele der anderen erreichen kann.
aa) Kontrollerwerber und übernehmender Rechtsträger als Verpflichtete Wahrend gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG der Kontrollerwerber zur Abgabe des Angebotes verpflichtet wird ("Bieter"), schuldet nach § 29 Abs. 1 UmwG der "übernehmende Rechtsträger" die Barabfindung36• Sofern eine der verpflichteten Personen zahlungsunfähig ist, ist zwar jeweils eines der beiden Austrittsrechte dem anderen vorzuziehen; dies gilt jedoch für beide Austrittsrechte gleichermaßen und rechtfertigt es daher nicht, einem der beiden eine effektivere Schutzwirkung zuzumessen. bb) Grundsätzlich höherer Abfindungsbetrag im Rahmen von § 29 Abs. 1 UmwG Bei der Berechnung der Barabfindung gemäß §§ 29 f. UmwG ist der im Wege des Ertragswertverfahrens ermittelte Wert des Unternehmens maßgeblich; der Börsenkurs stellt nur die Untergrenze d~7. Demgegenüber findet das Ertragswertverfahren bei der Ermittlung der angemessenen Höhe des Pflichtangebotes regelmäßig keine Anwendung 38 • Gemäß §§ 39, 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.V.m. 5 Abs. 1 AngebotsVO ist grundsätzlich nur der durchschnittliche Börsenkurs zu berücksichtigen39 . Demzufolge wird das Barabfindungsangebot gemäß § 29 UmwG in der Regel nicht geringer ausfallen als das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG; vielmehr erhält der Aktionär in denjenigen Fällen, in denen die Aktie an der Börse unterbewertet ist, durch ein Barabfindungsangebot eine höhere Abfindung als bei einem Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG. Dass im Rahmen von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG grundsätzlich keine Unternehmensbewertung erfolgt, ist verfassungsrechtlich - auch vor dem Hintergrund der "DAT-Altana"-Entscheidung des BVerfG, wonach der Börsenkurs nur die Untergrenze der im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG erforderlichen, vollen EntschädiDazu bereits oben a) und 2. Kapitelll.4.b)cc). Näher zur Untemehrnensbewertung siehe oben 1. Kapitel I.1.b). 38 Vgl. Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 29. 39 Das Ertragswertverfahren kann jedoch ausnahmsweise gemäß § 5 Abs. 4 AngebotsVO Anwendung finden, wenn für die Aktien der Zielgesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abweichen. Näher dazu KK-Kremer/Oesterhaus, Anh. § 31 WpÜG. § 5 AngebotsVO Rn. 2 und 22 ff.; Steinmeyer/Häger, § 31 WpÜG Rn. 34 ff.; Haarmann/Riehmer/Schüppen-Haarmann, § 31 WpÜG Rn. 36 ff. 36 37
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
gung bildet40 - unbedenklich. Denn die in § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwG geregelten Eingriffe in das Aktieneigentum sind als wesentlich schwerwiegender einzustufen als die mit dem Kontrollerwerb oder Kontrollwechsel verbundenen Beeinträchtigungen41 • Es ist demzufolge sachlich gerechtfertigt, dass der Aktionär gemäß § 29 UmwG häufig eine höhere Abfindung erhält als bei einem Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG. Aus diesem Grunde wäre, soweit den Aktionären zugleich ein Austrittsrecht gemäß § 29 Abs. 1 UmwG zusteht, an sich das Pflichtangebot entbehrlich. Allerdings bestehen im Hinblick auf die Bemessung der Abfindungshöhe weitere Unterschiede zwischen dem WpÜG und dem UmwG, so dass in Einzelfällen das Austrittsrecht des § 35 Abs. 2 WpÜG den Aktionären einen höheren Abfindungsbetrag gewähren und sie daher besser schützen kann als § 29 Abs. 1 UmwG: Erstens kommt es für die Bemessung der Angemessenheit auf unterschiedliche Börsenkurse an, so dass sich aus diesem Grunde das Pflichtangebot als vorteilhafter erweisen kann: Während im Rahmen von § 29 Abs. 1 UmwG immer die Verhältnisse des "übertragenden Rechtsträgers" maßgeblich sind, ist im Rahmen von §§ 35 Abs. 2, 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG der Börsenkurs des übernehmenden Rechtsträgers maßgeblich42 . Bei einem Pflichtangebot werden, zweitens, Erwerbe vor und nach der Kontrollerlangung bei der Bestimmung des angemessenen Mindestpreises berücksichtigt (§ 31 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 WpÜG i.Y.m. § 4 AngebotsVO). Eine solche besondere Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgebotes kennt das UmwG nicht43 . Zwar wird die Kontrolle in vielen Fällen alleine aufgrund des gesetzlichen Erwerbs der Aktien durch Eintragung der Umwandlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) erlangt, ohne dass ein rechtsgeschäftlicher Vorerwerb zu beobachten ist. Indessen ist nicht ausgeschlossen, dass der spätere Kontrollerwerber vor der Umwandlung Aktien zukauft; dies wird er beispielsweise in Erwägung ziehen, wenn er ansonsten aufgrund der Umwandlung seine Machtposition zu verlieren droht44 • Außerdem ist bei einem Pflichtangebot, drittens, der durchschnittliche Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Kontrollerlangung maßgeblich für die Prüfung, ob die Gegenleistung i.S.v. §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 39 WpÜG angemessen ist (§ 5 Abs. 1 AngebotsVO). Demgegenüber muss die Bar-
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BVerfGE 100,289, 305 f. NJW 1999,3769,3771 f. AG 1999,566,568 f. KK.-Kremer/Oesterhaus, Anh. § 31 WpÜG, § 5 AngebotsVO Rn. 2; Krieger, in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, S. 289, 298; im Ergebnis halten auch Haarmann-Riehmer-Schüppen-Haannann, § 31 WpÜG Rn. 26, und Habersack, ZIP 2003, 1123, 1127, diesen Unterschied zwischen Barabfindung und Pflichtangebot für verfassungsrechtlich unbedenklich. 42 Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz, § 35 WpÜG Rn. 29; näher dazu 3. Kapitel IY.I. 43 Lenz/Linke, AG 2002,361,368. 44 Näher dazu siehe oben 2. KapitelII.4.a)aa). 40
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II. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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abfindung LS.v. § 29 Abs. I gemäß § 30 Abs. I UmwG "die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung berücksichtigen". Es wird der Wert des Unternehmens an diesem Stichtag ermittelt45 , die Untergrenze für die Abfindungshöhe bildet dabei nicht der aktuelle Börsenkurs am Bewertungsstichtag, sondern der durchschnittliche Kurs der letzten drei Monate vor der Beschlussfassung46 • Da die Kontrollerlangung nicht bereits mit dem Verschmelzungsbeschluss, sondern erst mit dem Erwerb der Aktien durch die Eintragung der Verschmelzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) eintritt, stellt das WpÜG auf einen späteren Zeitraum ab47 . Auf diese Weise können sich Kurssteigerungen, die häufig nach der Ankündigung einer Verschmelzung auftreten48 , eher auf die Höhe des Pflichtangebotes (§ 35 WpÜG), als auf die Höhe der Barabfindung (§ 29 UmwG) auswirken. Es ist daher denkbar, dass der im Rahmen des WpÜG maßgebliche durchschnittliche Börsenkurs über dem im Rahmen des UmwG entscheidenden Durchschnittskurs und dem im Ertragswertverfahren ermittelten Wert einer Aktie liegt; in einem solchen Falle gewährt das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG den Aktionären ausnahmsweise einen höheren Abfmdungsbetrag als das Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. I UmwG. Im Grundsatz kann jedoch festgehalten werden, dass ein Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. I UmwG regelmäßig gleich hoch oder höher ausfallen wird als ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG.
cc) Pflichtangebot in Form von liquiden Aktien Gemäß § 39 LV.m. § 31 Abs. 2 Satz I WpÜG darf der Kontrollerwerber statt einer Geldleistung auch "liquide Aktien" anbieten und muss daher den Aktionären - im Unterschied zu § 29 Abs. I UmwG - keinen "direkten Ausstieg" gegen eine Barabfindung gewähren. Vereinzelt wird aus diesem Umstand die Schlussfolgerung gezogen, dass das Austrittsrecht des § 35 Abs. 2 WpÜG in dieser Form die Aktionäre nicht ebenso gut schützen könne wie das Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. I UmwG49 . Auf diesen Unterschied zwischen dem Austrittsrecht des 45 Der Wert des übertragenden Rechtsträgers muss sowieso ermittelt werden, um das Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) zu ermitteln. Um die Höhe der Barabfindung zu bestimmen, muss nicht zwingend eine weitere Unternehmensbewertung durchgeftihrt werden, sondern der für das Umtauschverhältnis ermittelte Wert kann auf den Tag der Beschlussfassung i.S.v. § 30Abs. 1 Satz 1 UmwG fortgeschrieben werden, näher dazu 1. Kapitell.1.b). 46 Der Drei-Monats-Zeitraum dient dem Zweck, Kursmanipulationen auszuschließen, vgl. BGHZ 147, 108, 117 f. = ZIP 2001,734,737; Lutter-Lutter. § 5 UmwG Rn. 23a; Semlerl Stengel-Zeidler. § 30 UmwG Rn. 11; für einen Durchschnittskurs spricht sich auch Kallmeyer-Müller. § 30 UmwG Rn. 5a aus. 47 Baums/Thoma-Baums/Hecker. § 35 WpÜG Rn. 115; Lenz/Linke, AG 2002,361,368 re. Sp. 48 Siehe dazu bereits oben 2. Kapitel IIA.a)bb) und unten 3. Kapitel II.4. sowie 3. Kapitel
IV.2.
8 Thies
114
3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
§ 29 Abs. 1 UmwG und dem des § 35 Abs. 2 WpÜG wurde bereits an anderer
Stelle hingewiesen und dargelegt, dass ein Angebot von liquiden Aktien letztlich den Ausstieg zu einem angemessenen Preis genauso effektiv ermöglicht, wie wenn den Aktionären eine Barabfindung angeboten wÜTde5o . Das von § 35 Abs. 2 WpÜG vermittelte Schutzniveau bleibt daher insofern nicht hinter dem Schutzniveau des § 29 Abs. 1 UmwG zurück. dd) Haftung für die Richtigkeit der Angebotsunterlage (§ 12 WpÜG) § 12 WpÜG sieht eine Haftung des Kontrollaktionärs für die Angebotsunterlage - auf deren Grundlage sich der Aktionär für oder gegen die Annahme des Pflichtangebotes entscheidet - vor, wenn wesentliche Angaben unrichtig sind51 . Eine solch strenge Haftung für die Richtigkeit der Unterlagen besteht im Rahmen des Verschmelzungsverfahrens hinsichtlich der Angaben im Verschmelzungsvertrag und -bericht nicht52 , so dass das Pflichtangebotsverfahren insofern die Aktionäre besser schützen kann als das Umwandlungsverfahren.
ee) Haftung einer Bank bei fehlerhafter Finanzierung des Angebotes (§ 13 Abs. 2 WpÜG) Im Rahmen des Pflichtangebotsverfahrens muss ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen zudem schriftlich bestätigen, dass der spätere Kontrollerwerber die notwendigen Maßnahmen zur Finanzierung des Pflichtangebotes getroffen hat (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Sofern die notwendigen Mittel später nicht zur Verfügung stehen, weil vom Bieter die notwendigen Finanzierungsmaßnahmen nicht getroffen wurden (Kausalitätserfordernis)53, haftet die Bank gegenüber den Anlegern auf Schadensersatz (§ 13 Abs. 2 WpÜG). Aufgrund dieser Haftungsnorm kann sich das Pflichtangebotsverfahren in Einzelfällen als vorteilhaft erweisen. 49 So im Ergebnis Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,482, die das Nebeneinander der zwei Austrittsrechte für "misslich" halten und dem Gesetzgeber raten, dem Austrittsrecht des § 35 WpÜG den Vorrang einzuräumen. Das Austrittsrecht des § 29 Abs. I UmwG sei dabei jedoch nur entbehrlich, wenn "die Gegenleistung im Rahmen des § 35 WpÜG entsprechend § 29 Abs. I S. I UmwG" in der Form einer Barabfindung erfolge. Auf den hier benannten Unterschied berufen sich auch einige Stimmen, um die Anwendung des WpÜG bei einer Umwandlung der Zielgesellschaft entweder zur Gänze, vgl. Vetter, WM 2002, 1999,2003 f., oder teilweise zu verneinen, vgl. Süßmann, WM 2003, 1453, 1454, Technau, AG 2002, 260, 264 f.; siehe dazu auch 2. Kapitel II.4.b)cc). 50 Siehe dazu auch oben 2. Kapitel II.4.b)cc). 51 Siehe dazu oben 1. Kapitel II.2.b)(9). 52 Lenz/Linke, AG 2002,361, 3681i. Sp. 53 Näheres zum Kausalitätserfordernis bei KK-Möllers, § 13 WpÜG Rn. 91 ff.; Steinmeyer/Häger, § 13 WpÜG Rn. 15; Haarmann/Riehmer/Schüppen-Vogel, § 13 WpÜG Rn. 87.
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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ff) Befugnisse der BaFin und gerichtliche Durchsetzbarkeit der Barabfmdung
Im Pflichtangebotsverfahren wird die Angemessenheit der Gegenleistung durch die BaFin von Amts wegen geprüft (§ 40 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG) und die Veröffentlichung der Angebotsunterlage nur gestattet, wenn die Voraussetzungen der § 31 WpÜG und §§ 4 ff. AngebotsVO eingehalten wurden (§§ 14 Abs. 2, 15 WpÜG). Außerdem kann die BaFin nicht nur ein Bußgeld verhängen (§§ 60 Abs. 3, 61 WpÜG), sondern nach richtiger Auffassung auch durch Verwaltungsakt anordnen, dass ein Pflichtangebot abzugeben ist (§ 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG), und diesen mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen (§ 46 WpÜG)54. Im Hinblick auf dieses Verwaltungsverfahren ist der Rechtsschutz für den einzelnen Anleger nach herrschender Auffassung zwar durch die Regelung des § 4 Abs. 2 WpÜG verschlossen55 ; er kann jedoch nach überwiegender Auffassung die Abgabe eines angemessenen Pflichtangebotes als zivilrechtlichen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB 56 und - nach Annahme des Pflichtangebotes - aus Vertrag i. Y.m. § 31 Abs. 1 WpÜG durchsetzen57 . Demgegenüber wird im UmwG ausdrücklich geregelt, dass jeder einzelne Aktionär berechtigt ist, auf Abgabe eines Barabfindungsangebotes zu klagen (§ 34 Satz 2 UmwG) und die Angemessenheit des Barabfindungsangebot im Spruchverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen (§§ 34 S. 1 UmwG i.Y.m. § 1 Nr. 4 SpruchG)58. Auf den ersten Blick scheint der einzelne Aktionär dadurch nicht besser gestellt zu sein, da er nach beiden Gesetzen die Möglichkeit hat, sein Austrittsrecht gerichtlich durchzusetzen. Bemerkenswert ist jedoch, dass gemäß § 13 Satz 2 SpruchG die Entscheidung des Gerichts für und gegen alle, einschließlich deIjenigen Anteilsinhaber wirkt, die bereits gegen die ursprünglich angebotene Barabfindung oder sonstige Abfindung aus dem betroffenen Rechtsträger ausgeschieden sind (inter omnes-Wirkung).59 Dies hat, im Unterschied zu den Grundsätzen des ordentlichen Verfahrens (vgl. § 325 ZPO), die im Rahmen der Schadensersatzklage (§ 823 Abs. 2 BGB) Anwendung finden, zur Folge, dass auch alle diejenigen Aktionäre, welche die Mühen einer gerichtlichen Auseinandersetzung scheuen - und dies wird regelmäßig für die Mehrheit der Aktionäre gelten60 - von einem gerichtlichen Erfolg eines einzelnen Aktionärs profitieren.
Näher dazu oben I. Kapitel 1I.I.c)cc). Näher dazu oben 1. Kapitel 1I.1.c)bb)(1). 56 Näher dazu oben 1. Kapitel 1I.1.c)bb)(2). 57 Näher dazu oben 1. Kapitel 1I.1.c)bb)(3). 58 Siehe dazu oben 1. Kapitel I.1.g). 59 Siehe dazu bereits 1. Kapitel 1I.1.c)bb)( 6). 60 Kleinaktionäre werden wegen des Aufwands in der Regel darauf verzichten, den Kontrollerwerber auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, vgl. Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 302. 54 55
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Aus diesen Gründen ist der Rechtsschutz im Rahmen des Umwandlungsverfahrens zugunsten der Aktionäre effektiver ausgestaltet als der Rechtsschutz im Pflichtangebotsverfahren, so dass die Aktionäre durch ein Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. 1 UmwG insofern besser gestellt sind. Demgegenüber besteht nur im WpÜG eine Befugnisnorm, die es der BaFin ermöglicht, im öffentlichen Interesse tätig zu werden.
gg) Bewertung Das Austrittsrecht des § 29 Abs. 1 UmwG gewährt dem Aktionär in der Regel einen höheren Abfindungsbetrag und kann von den Aktionären effektiver gerichtlich durchgesetzt werden als ein Pflichtangebot. Da die nur im Pflichtangebotsverfahren geltenden Haftungstatbestände des § 12 und des § 13 Abs. 2 WpÜG in der Praxis nicht von so großer Bedeutung sind, überwiegen die genannten Vorzüge der Barabfindung gemäß § 29 Abs. 1 UmwG61 . Außerdem rechtfertigen diese beiden geringfügigen Vorteile des Pflichtangebotsverfahren es alleine nicht, den Aktionären ein Wahlrecht zwischen den zwei Austrittsrechten zuzubilligen und auf diese Weise die Beteiligten doppelt zu belasten. Demnach könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass im Konkurrenzfall das Pflichtangebot grundsätzlich vollständig entbehrlich sei. Allerdings stellt sich die Frage, ob in den genannten Ausnahmefällen, bei denen das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG einen höheren Abfindungsbetrag ergibt als die Barabfindung, diesem der Vorzug gegeben werden soll und wie dies gegebenenfalls in der Praxis bewerkstelligt werden könnte. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass § 35 Abs. 2 WpÜG nicht nur die Aktionäre schützt, sondern vor allem die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte sichern will62 . Im öffentlichen Interesse kann daher ein Eingreifen der BaFin angezeigt sein, indem sie beispielsweise die Durchführung eines Pflichtangebotes anordnet (§ 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG) und mit Zwangsmitteln durchsetzt (§ 46 WpÜG) oder ein Bußgeld verhängt (§ 60 WpÜG)63. Da ihr im Umwandlungsverfahren eine solche Befugnis nicht zusteht, ist fragwürdig, ob auf das Pflichtangebotsverfahren verzichtet werden kann.
61 Demgegenüber ist Vetter, WM 2002, 1999,2006 re. Sp. der Ansicht, der weniger effektive Rechtsschutz im Übernahmeverfahren werde durch die Haftung gemäß § 12 WpÜG siehe dazu oben dd) - ausgeglichen. 62 Siehe oben l. Kapitel II.l.c)aa). 63 Lenz/Linke, AG 361, 368, sind aufgrund dessen der Ansicht, die Aktionäre seien durch das WpÜG erheblich besser gestellt als bei der nach dem UmwG gebotenen Möglichkeit, Rechtschutz zu suchen. Diese Auffassung geht - wie sich angesichts der von Anlegern betriebenen Verfahren vor dem OLG Frankfurt gezeigt hat, siehe l. Kapitel II.l.c)bb)(l) - zu Unrecht davon aus, dass die Aktionäre mit der Aufsichtstätigkeit immer zufrieden sind.
II. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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c) Kein Zurücktreten des § 35 WpÜG gegenüber § 29 UmwG
im Wege der normverdrängenden Konkurrenz
Die unerwünschte Verdoppelung der heiden Schutzmechanismen kann nicht dadurch vermieden werden, dass die eine Norm die Anwendung der anderen ausschließt (normverdrängende Konkurrenz)64. § 29 UmwG oder § 35 WpÜG können weder als speziellere noch als erschöpfende Regelung angesehen werden. aa) Keine Spezialität Eine speziellere Regelung (lex specialis) geht für ihren Anwendungshereich der allgemeineren Norm (lex generalis) vor. Es handelt sich um eine speziellere Norm, wenn der Gesetzgeber aus den von der allgemeineren Norm erfassten Fällen eine engere Gruppe von Fällen oder auch nur einen Fall ausgesondert hat, die / den er in der spezielleren Norm anders als die übrigen Fälle hat regeln wollen65 • Die von § 29 Abs. 1 UmwG geregelten Sachverhalte unterfallen jedoch nicht zugleich immer dem Tatbestand des § 35 Abs. 2 WpÜG, da Umwandlungen häufig stattfinden, ohne dass eine Kontrollsituation entsteht. Selbst wenn heide Normen nach einer Umwandlung Anwendung finden, kann sich § 29 Abs. 1 UmwG - wie anband der drei Fallgruppen gezeigt wurde66 - an einen anderen Personenkreis richten als § 35 Abs. 2 WpÜG. Daher ist der Tatbestand des § 29 Abs. 1 UmwG kein Unterfall des Tatbestandes des § 35 Abs. 2 WpÜG und auch umgekehrt § 35 Abs. 2 WpÜG kein Sonderfall des in § 29 UmwG geregelten Austrittsrechts; die heiden Normen stehen also nicht im Verhältnis der Spezialität.
64 Larenz/Wolf, § 18 Rn. 19. Die Terminologie ist jedoch uneinheitlich: Leipold, Rn. 254, bezeichnet diesen Fall als "Gesetzeskonkurrenz"; Enneccerus/Nipperdey, § 60 I 3, sprechen von ,,konsumierender Gesetzeskonkurrenz"; Hübner; Rn. 430, bezeichnet dies als "Gesetzeskonkurrenz im engeren Sinne" und unterscheidet davon die "Gesetzeskonkurrenz im weiteren Sinne", mit der er das Nebeneinander von Ansprüchen meint. 65 Bydlinski, S. 465; Larenz/Wolf, § 18 Rn. 20; Hübner; Rn. 430 und 437; Vogel, S. 63. Zwar sprechen Enneccerus/Nipperdey, § 60 II, davon, dass es keine feste Regel geben könne, wonach die ,Jex specialis" die "lex generalis" immer ausschließe, da es sich um eine Frage der Auslegung der Normen handele, ..die auf Grund des Wortlauts, des Zusammenhangs, der historischen Entwicklung und Entstehungsgeschichte, besonders aber auch nach Maßgabe des Zwecks der fraglichen Vorschriften und des Wertes des Ergebnisses der einen oder der anderen Auslegung zu lösen ist"; so im Ergebnis auch Larenz/CaTUJris, S. 88; Larenz. S. 267 f. Diese Ansichten sind mit der erstgenannten Auffassung von Larenz/Wolfu. a. jedoch insofern zu vereinbaren, als Larenz/Wolf u. a. die angesprochene Rege1ungsabsicht des Gesetzgebers bereits in ihre Definition der Spezialität aufnehmen und deshalb eine Norm nur als lex specialis ansehen, wenn sie das lex generalis verdrängt. 66 Siehe oben 2. Kapitel II.4.b )cc).
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
bb) Keine erschöpfende Regelung Wenn sich die Tatbestände zweier Normen nur teilweise decken und sie deshalb nicht im Verhältnis der Spezialität stehen, kann es gleichwohl zu einer Verdrängung der einen durch die andere Norm kommen, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einer der Normen abschließend geregelt werden sollte (erschöpfende Regelung)67. Das ist im Wege teleologischer Auslegung zu ermitteln. Dies wäre beispielsweise denkbar, wenn der Zweck der einen Norm vereitelt würde, wenn zugleich die andere Norm Anwendung findet68 . Vereinzelt wird in diese Sinne argumentiert, dass eine Anwendung von § 35 WpÜG die umwandlungsrechtlichen Wertungen aushöhlen würde69 . Das trifft nicht zu: § 29 Abs. 1 UmwG kann seine Schutzwirkung zugunsten der Aktionäre ohne weiteres entfalten, wenn diese zusätzlich von § 35 Abs. 2 WpÜG geschützt werden. Die Aktionäre haben dann ein Wahlrecht zwischen zwei Abfindungsangeboten. Die BaFin kann das Pflichtangebot im öffentlichen Interesse eines funktionsfähigen Kapitalmarktes hoheitlich durchsetzen (§§ 4 Abs. 1 Satz 3, 46 WpÜG)70 oder ein Bußgeld auferlegen. Das UmwG lässt eine vergleichbare Befugnisnormen vermissen, so dass § 29 Abs. I UmwG nicht als erschöpfende Regelung angesehen werden kann71. Auch in § 35 Abs. 2 WpÜG kann keine erschöpfende Regelung für den Fall der Konkurrenz der beiden Austrittsrechte gesehen werden, da die Höhe des Pflichtangebotes nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Abfindung in den Fällen des § 29 Abs. I UmwG entspricht72 • cc) Alternative Konkurrenz Die beiden Normen sind also grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Bei der zweiten und dritten Fallgruppe würde dann den bisherigen Aktionären der G2 ein 67 Dietz. S. 62; lArenz/Canaris. S. 89 f.; lArenz. S. 268 f.; so im Ergebnis auch lArenz/ Wolf, Rn. 20 f. Ein Beispiel ist das Verhältnis der Gewährleistungsregelungen (§§ 437 ff. BGB) zu der Irrtumsanfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB). vgl. lArenz/Canaris. S. 89 in Fn. 30; lArenz. S. 268 f. in Fn. 28. 68 lArenz/Canaris. S. 89 f.; lArenz. S. 268; Vogel. S. 61. So würde beispielsweise die vertragliche Haftungsprivilegierung des Schenkers gemäß § 519 BGB (weithin) gegenstandslos, wenn auf den deliktischen Anspruch zurückgegriffen werden könnte. 69 Vetter, WM 2002, 1999,2006 re. Sp., nach dessen Ansicht sich aus § 29 Abs. 1 UmwG folgende Grundgedanken ableiten lassen: Ein Austritt soll, erstens. nur in Ausnahmefällen bei einem Eingriff in die Mitgliedschaft möglich sein und, zweitens. denjenigen Aktionären nicht zustehen, die der Verschmelzung zustimmen. Diese Grundwertungen würden durch eine Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG ausgehöhlt. 70 So die zutreffende Ansicht, näher dazu 1. Kapitel II.1.c)cc) und ferner dazu auch 3. Kapitel II.1.b)ff). 71 Näher dazu bereits oben b) gg). 72 Siehe oben 3. Kapitel II.1.b) bb).
n. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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Wahlrecht zwischen den zwei Austrittsrechten zustehen (alternative Konkurrenz)73. dd) Ausdrückliche Regelung einer Spezialität de lege ferenda? De lege ferenda könnte vorgeschrieben werden, dass § 35 Abs. 2 WpÜG im Falle der Konkurrenz von § 29 Abs. 1 UmwG verdrängt wird. Dagegen spricht aber nicht nur, dass im Einzelfall gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ein höherer Abfindungsbetrag zu gewähren sein, sondern vor allem, dass das Pflichtangebot im Unterschied zur Barabfindung gemäß § 29 Abs. 1 UmwG von der BaFin hoheitlich durchgesetzt werden kann (vgl. §§ 4 Abs. 1 Satz 3, 46, 60 WpÜG). Im Hinblick auf den von § 35 Abs. 2 WpÜG verfolgten öffentlichen Zweck - die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu schützen, indem das Vertrauen der Anleger geschützt wird - wird auf diese Weise ein höheres Schutzniveau erreicht. Zwar könnte sich der Gesetzgeber auch dafür entscheiden, in diesem Konkurrenzfalle die Möglichkeit, die umwandlungsrechtliche Barabfindung gerichtlich durchsetzen zu können, genügen zu lassen, um den öffentlichen Zweck zu erreichen. Allerdings ist die Konzeption des WpÜG als öffentliches Aufsichtsrecht das wesentliche Struktunnerkmal dieses Gesetzes. Es wird ein öffentlicher Zweck verfolgt, und daher ist es auch nur konsequent, dass auf die Durchsetzungsmöglichkeit durch den Staat nicht generell verzichtet wird. d) Bedingte Befreiung gemiiß § 37 Abs. 1 WpÜG
Die BaFin kann jedoch im jeweiligen Einzelfall gemäß § 37 WpÜG eine Befreiung von den Verpflichtungen des § 35 WpÜG erteilen und auf diese Weise dem Austrittsrecht des § 29 Abs. 1 UmwG, welches wie gesehen aus Sicht der Aktionäre grundsätzlich vorzugswürdig ist, den Vorrang einräumen74 . Eine Befreiung ist aufgrund der ,,Art der Erlangung" der Kontrolle75 möglich (§ 37 Abs. 1 1. Alternative WpÜG): Die Umwandlung bewirkt den Erwerb der Aktien durch den Kon73 Eneccerus/Nipperdey, § 60 I; Larenz/Canaris, S. 89 f. Dieser Begriff ist abzugrenzen von der so genannten ,,kumulativen Konkurrenz", bei der die Rechtsfolgen zweier Normen nebeneinander eintreten. Näher dazu 5. Kapitel 11.1. 74 Eine Befreiung vom Pflichtangebot wird, wenn § 29 UmwG eingreift, rur möglich gehalten von Lenz/Linke, AG 2002, 361, 368; AnwK-von Lingelsheim, § 35 WpÜG Rn. 6; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 148; KK-Versteegen, § 37 Rn. 33; a.A. Haarmannl RiehmerISchüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 29, die der Ansicht sind, den Aktionären müsse das Recht zustehen, nach eigener Wahl entweder sich von der Gesellschaft abfinden zu lassen oder ihre Aktien an den Kontrollaktionär zu veräußern. So im Ergebnis de lege lata auch Seibt/Heiser. ZHR 165 (2001) 466, 490, die jedoch de lege ferenda vorschlagen, § 35 WpÜG den Vorrang gegenüber § 29 UmwG einzuräumen, a. a. 0., S. 482 und 489 f. 75 Die beiden letzten Worte fehlen zwar im Gesetzestext; es ist jedoch eindeutig, dass sich § 37 Abs. 1 auf § 35 WpÜG bezieht, Schwark-Noack. § 37 WpÜG Rn. 4 in Fn. 5.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
troll aktionär (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) und damit auch die Erlangung der Kontrolle im Sinne der Norm76 • Der Tatbestand des § 37 Abs. 1 WpÜG setzt des weiteren voraus, dass die Befreiung "im Hinblick auf die Art der Erlangung" - d. h. im Hinblick auf die Umwandlung - i.S.v. § 37 Abs. 1 WpÜG gerechtfertigt erscheint: In den Konkurrenzfällen ist - wie aufgezeigt wurde - in der Regel ein gleich hohes oder ein höheres Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. 1 UmwG zu gewähren und folglich - aus Sicht der Aktionäre - die Befreiung regelmäßig angebracht. Die nur im Pflichtangebotsverfahren geltenden Haftungstatbestände des § 12 und des § 13 Abs. 2 WpÜG sind demgegenüber von untergeordneter Bedeutung 77 . Der BaFin wird gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG ein Ermessen eingeräumt, ob sie in einem solchen Konkurrenzfalle von der Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG befreit. Daher kann sie gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG diese Befreiung auch unter der auflösenden Bedingung erteilen, dass ein angemessenes Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. I UmwG gewährt wird 78 • Wird diese Bedingung dann nicht erfüllt79 , kann die BaFin ein Pflichtangebot auch noch nachträglich anordnen. Auf diese Weise kann im Rahmen des Befreiungsverfahrens dem öffentlichen Interesse, das Vertrauen der Anleger und damit die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte von Amts wegen zu schützen, genüge getan werden. Aufgrund der auflösenden Bedingung kann die BaFin außerdem in den Fällen, in denen die Gesellschaft die notwendigen Maßnahmen zur Finanzierung der Barabfindung nicht getroffen hat oder sie insolvent geworden ist80, die Durchführung des Pflichtangebotes seitens des Kontrollerwerbers noch nachträglich durchsetzen. Auf diese Weise kann die BaFin die Aktionäre - auf anderem Wege als im Pflichtangebotsverfahren, bei dem eine Bank die ausreichende Finanzierung schriftlich 76 Dass diese Tatbestandsalternative des § 37 WpÜG im Falle der Kontrollerlangung nach einer Umwandlung erfüllt sein kann, bejahen Ehricke! Ekkenga! Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 21; Lenz! Linke, AG 2002, 361, 368 li. Sp.; MüKo-Schlitt, AktG, § 35 WpÜG Rn. 148; KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 34, § 37 WpÜG Rn. 2. 77 Siehe oben b)gg). 78 Da der BaFin gemäß § 37 Abs. I WpÜG ein Ermessen eingeräumt wird (,,kann"), besteht nach § 36 Abs. 2 VwVfG die Möglichkeit, die Befreiungsentscheidung mit Nebenbestimmungen zu versehen, um sicherzustellen, dass die Gründe, die die Befreiung rechtfertigen, eintreten und fortdauern. Näher dazu Ehricke! Ekkenga! Oechsler-Ekkenga, § 37 WpÜG Rn. 42; Steinmeyer/Häger, § 37 WpÜG Rn. 44 f.; KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 74; Geibel!Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. 40 ff.; MüKo-Schlitt, AktG, § 37 WpÜG Rn. 65 f. Zu einem Sonderfall der Befreiung unter einer Auflage vgl. Bredow / Liebseher, DB 2003, 1368 ff. 79 Das Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. 1 UmwG kann aufgrund von § 267 Abs. 1 BGB auch (teilweise) von dem Kontrollerwerber erfüllt werden, wenn er und die übernehmende Gesellschaft gemeinsam verhindern möchten, dass die Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG entsteht, näher dazu 4. Kapitel III.3.c)bb). 80 Siehe oben b)aa).
n. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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bestätigt (§ 13 Abs. I Satz 2 WpÜG) und dafür haftet (§ 13 Abs. 2 WpÜG)81 davor schützen, dass die Abfmdung nicht ausreichend finanziert ist. Im Übrigen ist das Befreiungsverfahren auch flexibler, als wenn eine Norm generell verdrängt würde: In den seltenen Einzelfällen, in denen ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ausnahmsweise einen höheren Abfindungsbetrag ergibt, zum Beispiel wenn ein entsprechender Vorerwerb stattgefunden hat82, kann die BaFin von einer Befreiung absehen. Somit können die oben gegen einen generellen Verzicht auf das Pflichtangebot angeführten Vorbehalte83 im Wesentlichen84 dadurch ausgeräumt werden, dass die BaFin von der Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG im Wege einer auflösend bedingten Befreiung entbindet. Während bei der 2. Fallgruppe eine vollständige Befreiung des Kontrollerwerbers möglich ist, da allen Aktionären, die ein Pflichtangebot erhalten würden, auch ein Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs. I UmwG zusteht, sind die geschützten Personenkreise bei der 3. Fallgruppe nicht identisch85 • Die bisherigen Aktionäre der G3 werden von § 29 Abs. I UmwG nicht geschützt; daher kann der Kontrollerwerber nur im Hinblick auf die bisherigen Aktionäre der G2 von der Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG befreit werden. Zwar sieht § 39 i.Y.m. § 32 WpÜG vor, dass ein Pflichtangebot gegenüber allen Aktionären abzugeben ist (Vollangebotspflicht). Wenn aber ausnahmsweise nur einem Teil der Aktionäre ein Angebot zu unterbreiten ist86, muss eine teilweise Befreiung gemäß § 37 Abs. I WpÜG ebenfalls möglich sein. Kommt es zu einer Konkurrenz von § 29 Abs. I UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG, so sollte der Kontrollerwerber daher auf seinen Antrag regelmäßig gemäß § 37 Abs. I WpÜG auflösend bedingt vom Pflichtangebot befreit werden. Es bietet sich an, diesen Fall in § 9 AngebotsVO aufzunehmen. Ausnahmsweise wird es die Behörde bei einer alternativen Anwendung von § 29 Abs. I UmwG und § 35 Abs. 2 WpÜG belassen, we~n das Pflichtangebot einen höheren Abfindungsbetrag ergibt. Eine dem § 37 Abs. I WpÜG vergleichbare Regelung fehlt im UmwG, so dass von der Barabfindungspflicht - obwohl dies sinnvoll wäre - de lege lata nicht befreit werden kann. Eine entsprechende Regelung könnte auch nicht ohne weiteres in das UmwG eingefügt werden, da dieses Gesetz im Gegensatz zum WpÜG nicht als öffentliches Aufsichtsrecht konzipiert ist. Siehe oben b)ee). Es gibt drei verschiedene Ursachen, die dazu führen können, dass das PfIichtangebot ausnahmsweise eine höhere Abfindung ergibt als das Barabfindungsangebot gemäß § 29 Abs.1 UmwG, siehe dazu oben b)bb). 83 Siehe oben b)gg). 84 Die Haftung für die Richtigkeit der Angebotsunterlage (§ 12 WpÜG), die einen weiteren Vorteil des Pflichtangebotsverfahrens darstellt, siehe oben b )dd) und b )gg), wird zwar nicht durch die auflösend bedingie Befreiung ausgeglichen. Die Höhe des Barabfmdungsangebotes und der bessere Rechtsschutz werden diesen Vorteil jedoch regelmäßig kompensieren. 85 Siehe oben 3. Kapitel n.l. 86 Näher dazu 2. Kapitel ill.2. 81
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
2. "Whitewash"-Beschluss der Hauptversammlung Eine Befreiung vom Pflichtangebot gemäß § 37 WpÜG könnte auch dann erwogen werden, wenn eine Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals - für die etwaige Stimmen des späteren Kontrollaktionärs und der ihm in sinngemäßer Anwendung des § 30 WpÜG gleichzustellenden Aktionäre der Zielgesellschaft nicht zu berücksichtigen sind - eine Befreiung des Kontrollerwerbers befürwortet87 . Ein solcher Beschluss wird im angelsächsischen Recht als "Whitewash" bezeichnet88 . Dieses Rechtsinstitut war dem deutschen Recht auch schon vor Inkrafttreten des WpÜG bekannt: In Art. 16 Abs. 2 3. Alt. des Übernahmekodex89 war geregelt, dass kein Pflichtangebot abzugeben ist, wenn der Kontrollerwerber beabsichtigt, innerhalb von 18 Monaten nach Erreichen der Kontrolle Beschlüsse der Zielgesellschaft über die Befreiung von der Abgabe eines Pflichtangebotes herbeizuführen, wobei der kontrollierende Wertpapierinhaber ihm zustehende Stimmrechte nicht ausüben durfte. Die Angebotsverpflichtung entfiel nach dieser Regelung automatisch und stand nicht - wie bei § 37 Abs. 1 WpÜG - im Ermessen einer Behörde90 . Den Gesetzesmaterialien91 kann zwar nicht entnommen werden, aus welchen 87 Vgl. Baums/Thoma-BaumsIHecker, § 35 WpÜG Rn. 206; KK-Bülow. § 35 WpÜG Rn. 82; MüKo-Schlitt. AktG, § 35 WpÜG Rn. 148 und § 37 WpÜG Rn. 26; KK-Versteegen. § 37 WpÜG Rn. 34; a.A. Süßmann. WM 2003, 1453, 1454, nach dessen Ansicht eine ausdriickliche gesetzliche Regelung erforderlich ist; so im Ergebnis auch Assmann I Schneider I Pötzsch-Krausel Pötzsch. § 35 WpÜG Rn. 158. 88 Der in Großbritannien geltende City Code on Takeovers and Mergers, näher dazu bereits 2. Kapitel II.5.a), regelt das Pflichtangebot (Mandatory Offer) in General Principle 10 und in Rule 9. In den Notes on Dispensations from Rule 9 sowie in dessen Appendix 1 (Whitewash Guidance Note) wird normiert, unter welchen Umständen die Verpflichtung eines Kontrollerwerbers, ein Angebot abzugeben, entfällt. Nach Note 1 (Seite F 17) wird das Panel- das britische Aufsichtsorgan - in der Regel eine Befreiung erteilen, wenn die Kontrolle aufgrund der Ausgabe neuer Aktien erlangt wird und die Hauptversammlung der Zielgesellschaft durch Beschluss - an dem sich der Kontrollerwerber nicht beteiligen darf - einem Verzicht des Panel auf die Angebotsverpflichtung zugestimmt hat (sog. "whitewash"). Der City Code verlangt im Unterschied zu dem soeben zitierten deutschen Schrifttum - keine qualifzierte Mehrheit. Näher zum "Whitewash"-Beschluss Davies. S. 729; im deutschen Schrifttum vgl. dazu KKvon Bülow. § 35 WpÜG Rn. 19 und 82; MüKo-Schlitt. AktG, § 37 WpÜG Rn. 26; KK-Versteegen. § 37 WpÜG Rn. 34; Zinser, RIW 2001, 481, 484 f.; ders., NZG 2000, 573, 574. 89 Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesfinanzministerium, abgedruckt in AG 1998, 133 ff. 90 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, das der Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission keine gesetzliche Regelung. sondern eine freiwillige Selbstregulierung der börsennotierten Aktiengesellschaften darstellte, näher dazu oben 1. Kapitel 11. Daher konnten im Rahmen des Kodex zwar keine Entscheidungen einer Behörde vorgesehen werden, es wäre jedoch denkbar gewesen, der Übernahmekommission, der vor allem eine Schiedsfunktion zugedacht war, vgl. die Begriffsbestimmungen des Kodex, AG 1998, 133, 134, eine entsprechende Entscheidung zu übertragen. 91 Die Gesetzesmaterialien bestehen aus der Begründung des Regierungsentwurfes, BTDrucks. 1417034. den Einzelbegründungen zu den Beschlüssen des Finanzausschusses, BT-
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
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Gründen der Ausnahmetatbestand des Art. 16 Abs. 2 3. Alt. des Übernahmekodex nicht als weitere Alternative Eingang in § 35 Abs. 3 WpÜG gefunden hat; danach besteht ipso iure keine Angebotsverpflichtung, wenn die Kontrolle über die Zielgesellschaft auf Grund eines Übernahmeangebots erworben wird. Eine Befreiung kann jedoch gemäß § 37 Abs. 1 Alt. 1 WpÜG erfolgen, da die Umwandlung unter den Tatbestand der "Art der Erlangung" zu subsumieren ist92 . Fasst eine Mehrheit der Aktionäre einen "Whitewash"-Beschluss, bekundet sie die Ansicht, die mit dem Kontrollerwerb verbundenen Nachteile seien durch die sich aus der Umwandlung ergebenden Vorteile kompensiert. Dies sollte als Indiz dafür gewertet werden, dass ausnahmsweise die Interessen des Antragstellers diejenigen der Aktionäre, ein Pflichtangebot zu erhalten, überwiegen und mithin die Befreiung "im Hinblick auf die Art der Erlangung" - d. h. im Hinblick auf die Umwandlung - i.S.v. § 37 Abs. 1 WpÜG gerechtfertigt erscheint. Sofern der Beschluss von einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75% des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gefasst wird - ohne dass der . Kontrollerwerber sein Stimmrecht direkt oder indirekt ausgeübt hat - soll nach Ansicht der Literatur die Ermessensentscheidung der BaFin regelmäßig zugunsten des Kontrollerwerbers ausfallen und ihm eine Befreiung gewährt werden93 . Aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit ist einem Richtwert grundsätzlich zuzustimmen, da sich die Beteiligten dann besser darauf einstellen können, unter welchen Umständen eine Befreiung erteilt wird: Beschaffen sie die erforderliche Mehrheit, so werden sie regelmäßig eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG von der BaFin erhalten. Bei Beschlüssen mit einer geringeren Mehrheit als 75% ist eine Befreiung in der Regel zu versagen. Zwar setzte Art. 16 Abs. 23. Alt. des Übernahmekodex keine qualifizierte Mehrheit, sondern lediglich eine einfache Mehrheit voraus 94 , so dass argumentiert werden könnte, es genüge auch im Rahmen von § 37 WpÜG eine einfache Mehrheit. Dem steht jedoch entgegen, dass bei den hier diskutierten Fällen der Verschmelzungsbeschluss einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedarf (vgl. §§ 65 Abs. 1, 125 S. 1 UmwG) und es nicht sachgerecht wäre, wenn ein Aktionär - nachdem er der Verschmelzung zugestimmt hat - von einer geringeren Mehrheit um sein Austrittsrecht gebracht werden könnte. So ist beispielsweise denkbar, dass der Aktionär der Verschmelzung nur zustimmt, da er der Umwandlung nicht im Wege stehen Drucks. 14/7477, und der Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drucks. 574/01. Sie sind auch abgedruckt bei Hirte, S. 114 ff. 92 Näher dazu oben 3. Kapitel II.1.d) bei Fn. 76. 93 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 82; MüKo-Schlitt, AktG, § 37 WpÜG Rn. 26; so im Ergebnis auch KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 34, der eine qualifizierte Mehrheit fordert, ohne dies hinsichtlich des Stimmenanteils näher zu konkretisieren. 94 Der City Code lässt ebenfalls eine einfache Mehrheit genügen, siehe bereits oben Fn.88.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
will und er zugleich weiß, dass ihm nach Durchführung der Umwandlung ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG unterbreitet werden muss 95 . Somit bedarf ein "Whitewash"-Beschluss - jedenfalls wenn die Kontrolle wie bei den hier diskutierten Fällen aufgrund einer Umwandlung erlangt wird - einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75% des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Indessen darf nicht vergessen werden, dass die Ermessensentscheidung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG trotz eines Beschlusses mit einer solchen oder sogar mit einer größeren Mehrheit auch zugunsten des Austrittsrechts der Aktionäre ausfallen kann, wenn die BaFin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Minderheit, die den Beschluss ablehnte, aufgrund fallender Kurse oder des Vorerwerbs von Aktien schutzwürdig ist96. In einem solchen Fall stellt der "Whitewash"-Beschluss allerdings zumindest eine ausdrückliche Verzichtserklärung97 der zustimmenden Aktionäre dar, so dass der Kontrollerwerber gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG nur zu einem Teilangebot verpflichtet ist98 . Fraglich ist, ob der Verschmelzungsbeschluss und der "Whitewash"-Beschluss in der Weise verknüpft werden können, dass nur eine Abstimmung erfolgt. Versteegen ist der Auffassung, es genüge, wenn vor dem Beschluss über die Umwandlung "offengelegt worden ist, dass der Bieter infolge der Verschmelzung die Kontrolle über die Zielgesellschaft erwerben werde und [er] von der Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots nach § 35 Abs. 2 S. 1 gemäß § 37 Abs. 1 befreit sei,,99. Der Beschluss einer Hauptversammlung ist ein Rechtsgeschäft eigener Art, das auf den Willenserklärungen seiner Mitglieder beruhtl()(). Sowohl eine Willenserklärung als auch ein Rechtsgeschäft können auf mehrere Rechtsfolgen gerichtet sein lOl , so dass ein solcher zwei Rechtsfolgen bewirkender Beschluss ohne weiteres zulässig ist. Außerdem bestehen auch keine Bedenken gegen die Beständig-
9S
tell.
Diese Argumentation war auch bereits an anderer Stelle von Bedeutung, vgl. 3. Kapi-
96 Im englischen Recht ist gemäß Note 3 des Appendix 1 des City Code eine Befreiung durch das Panel auch nach einem Whitewash-Beschluss ausgeschlossen, wenn der Kontrollerwerber in den 12 Monaten vor dem Kontrollerwerb Aktien gekauft hat. 97 Die Frage, ob der Umwandlungsbeschluss selbst bereits eine konkludente Verzichtserklärung darstellt, wurde bereits oben verneint, siehe 3. Kapitell. 98 Näher zum Teilangebot siehe oben 2. Kapitel 111.2. 99 KK-Versteegen, § 37 WpÜG Rn. 34. 100 MüKo-Volhard, § 133 AktG Rn. 3; Schmidt, § 151.2.; näher dazu bereits oben 3. Kapitell. in Fn. 4. \01 Eine Willenserklärung und ein Rechtsgeschäft haben in der Regel eine Vielzahl von Rechtsfolgen: Wrrd zum Beispiel ein Kaufvertrag geschlossen, so entstehen die Pflichten, die Kaufsache zu übergeben und zu übereignen (§ 433 Abs. 1 BGB), den Kaufpreis zu bezahlen und die Kaufsache abzunehmen (§ 433 Abs. 2 BGB). Somit sind das Rechtsgeschäft - der Kaufvertrag - und die Willenserklärungen - Angebot und Annahme - auf mehrere Rechtsfolgen gerichtet.
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜO
125
keit eines solchen Beschlusses, da eine Anfechtung der Stimmabgabe durch einzelne Aktionäre 102 in der Praxis regelmäßig ausgeschlossen sein wird. Ein Inhaltsirrtum i.S.v. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB wäre zu bejahen, wenn das Rechtsgeschäft nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtsfolgen erzeugt 103 ; den Aktionären ist die geplante Befreiung allerdings hinreichend bewusst, wenn in dieser Weise vor der Abstimmung ausdrücklich darauf hingewiesen wird. Der "Whitewash"-Beschluss ist jedoch lediglich ein Indiz dafür, dass die Interessen des Kontrollaktionärs überwiegen, d. h. die BaFin hat trotz des Beschlusses im Rahmen von § 37 WpÜG eine Ermessensentscheidung zu treffen. Wird der Umwandlungs- mit dem "Whitewash"-Beschluss verknüpft, so wird dem zweiten Beschlussgegenstand möglicherweise weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht, als wenn gesondert abgestimmt würde, oder ihm wird nur aufgrund der Verknüpfung zugestimmt. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass einem solchen zwei Gegenstände verknüpfenden Beschluss im Einzelfall von der BaFin eine geringere Indizwirkung als einem gesonderten "Whitewash"-Beschluss beigemessen wird. Demnach bewirkt ein "Whitewash"-Beschluss einer qualifizierten Mehrheit von mindestens 75% des in der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals, dass der Kontrollerwerber regelmäßig gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG von der Angebotsverpflichtung befreit wird. An dieser Abstimmung darf sich der Kontrollerwerber nicht beteiligen. Es ist zulässig, diesen Beschluss mit dem Umwandlungsbeschluss zu verknüpfen; es kann jedoch in Einzelfällen mehr Erfolg versprechen, den "whitewash" gesondert zu beschließen. 3. Vorheriges freiwilliges Angebot des späteren Kontrollerwerbers Des Weiteren ist zu untersuchen, ob - wie von einer Ansicht in der Literatur vertreten wird - eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG auch dann regelmäßig von der BaFin gewährt werden sollte, wenn der Kontrollerwerber oder eine der Gesellschaften vor Wirksamwerden der Umwandlung den später schutzwürdigen Aktionären der anderen Gesellschaft erfolglos 104 ein freiwilliges Übernahmeangebot gemäß §§ 29 ff. WpÜG unterbreitet haben 105 • \02
Jeder Aktionär kann seine Stimmabgabe durch formlose Anfechtungserklärung gemäß
§ 143 Abs. 1 BOB anfechten, wenn ihm ein Anfechtungsgrund der §§ 119 ff. BOB zusteht. Dies hat jedoch nur zur Folge, dass seine Stimmen nichtig werden (§ 142 BOB). Um den Mehrheitsbeschluss zu beseitigen, muss eine Anfechtungsklage gemäß § 246 AktO erhoben
werden. Dabei ist zu beachten, dass dem Wegfall der eigenen Stimmen nur dann Einfluss auf den Mehrheitsbeschluss zukommt, wenn ohne diese Stimmen die erforderliche Mehrheit nicht mehr vorliegt. Vgl. BOHZ 14, 264, 267 f.; Kübler; § 15 V.5.b); Schmidt, § 15 I.2.b). \03 Palandt-Heinrichs, § 119 BOB Rn. 15; MüKo-Kramer; § 119 BOB Rn. 80 ff.; ErmanPalm, § 119 BOB Rn. 37. 104 War demgegenüber ein freiwilliges Übernahmeangebot vor der Umwandlung erfolgreich, so wird die Kontrolle bereits dadurch und nicht erst durch die Umwandlung erworben
126
3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Mit dem Argument, dass die Aktionäre ansonsten doppelt geschützt würden, könnte dem Interesse des Kontrollerwerbers an der Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG regelmäßig der Vorrang gegenüber den Interessen der Aktionäre, nach der Durchführung der Umwandlung ein zweites Angebot zu erhalten, eingeräumt werden 106. Denn auch die im Rahmen des Übernahmeangebotes angebotene Gegenleistung wird gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG auf ihre Angemessenheit überprüft 107 . Außerdem könnte darauf verwiesen werden, dass diejenigen Aktionäre, die das freiwillige Übernahmeangebot i.S.v. § 29 ff. WpÜG nicht annehmen, sondern sich entscheiden, in der Aktiengesellschaft zu verbleiben, in gewisser Weise zugleich auf ein später entstehendes Austrittsrecht konkludent verzichten 108. Findet sich in der Aktiengesellschaft - nachdem der spätere Kontrollerwerber zunächst erfolglos versucht hatte, ein Übernahmeangebot gemäß §§ 29 ff. WpÜG zu unterbreiten - in der Folgezeit dennoch eine 3/4 -Mehrheit für eine Umwandlung, so kann tatsächlich einiges dafür sprechen, dass die Aktionäre das Übernahmeangebot nur deshalb ablehnten, weil sie im Wege einer Umwandlung Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft werden und auf diese Weise - auch nach dem Wechsel des Unternehmensträgers - weiterhin arn Erfolg des Unternehmens partizipieren können. Dies setzt voraus, dass die Aktionäre bereits im Zeitpunkt ihrer Ablehnungsentscheidung eine spätere Umwandlung für möglich halten durften. Davon wird in der Regel wohl nur dann auszugehen sein, wenn die beiden Vorgänge in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang stehen. Aus der vorangegangenen Ablehnung des Übernahmeangebotes könnte dann unter Umständen entnommen und ist ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 3 WpÜG ipso iure - ohne dass es einer Befreiung bedürfte - ausgeschlossen. 105 Dies wird vertreten von KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 83; MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 148. Sie erwähnen jedoch beide nicht, dass neben dem späteren Kontrollerwerber je nach Fallgestaltung entweder nur der übertragende oder nur der übernehmende Rechtsträger in der Lage ist, ein Übernahmeangebot abzugeben. Es kann nämlich jeweils nur die Gesellschaft ein Übernahmeangebot i.S.v. § 29 Abs. I abgeben, in der sich die schutzwürdigen Aktionäre nicht befinden; denn gemäß § 71 Abs. 2 Satz I AktG darf eine Gesellschaft nur insoweit eigene Aktien erwerben, als auf diese nicht mehr als 10% des Grundkapitals entfallen, d. h. ein Übernahmeangebot - Erwerb von mindestens 30% der stimmberechtigten Aktien (§ 29 WpÜG) - bezüglich eigener Aktien ist ausgeschlossen. 106 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 83. 107 Dass gemäß § 31 Abs. I WpÜG die Höhe der Gegenleistung bei einem freiwilligem Übernahmeangebot gemäß §§ 29 ff. in gleicher Weise wie bei einem Pflichtangebot (vgl. § 39) von der BaFin überprüft wird, begründet der Gesetzgeber damit, dass nur dann - wenn das freiwillige Übernahmeangebot denselben Anforderungen unterliegt, die für das Pflichtangebot gelten - die "befreiende Wirkung" des freiwilligende Übernahmeangebotes im Hinblick auf ein nachfolgendes Pflichtangebot (§ 35 Abs. 3) gerechtfertigt ist. Ansonsten könnten die für das Pflichtangebot geltenden Schutzmechanismen, insbesondere die sog. ,,Mindestpreisregelung", durch ein freiwilliges Übernahmeangebot unterlaufen werden; vgl. Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 30; KK-Kremer/Oesterhaus, § 31 WpÜG Rn. 2. 108 Näher zur konkludenten Verzichtserklärung und zur in diesem Zusammenhang stattfindenden Auslegung anband des Empfangerhorizontes siehe oben Kapitel 3 I.
II. Befreiung nach § 37 Abs. I WpÜG
127
werden, dass die Aktionäre - auch für den Fall, dass eine Kontrollsituation entsteht - nicht an einem Austritt aus der Gesellschaft interessiert sind. Allerdings kann ein solcher Gesinnungswechsel der Aktionäre auch auf anderen Motiven beruhen: Möglicherweise stimmen die Aktionäre nach einem ausgeschlagenen Übernahmeangebot einer Umwandlung des Unternehmens nur zu, weil sich die Gegebenheiten inzwischen verändert haben und ihnen zumindest ein Austrittsrecht nach § 35 Abs. 2 WpÜG zusteht 109 . Außerdem kann die ursprüngliche Ablehnung des Übernahmeangebotes auch darauf beruhen, dass die Aktionäre auf ein späteres Pflichtangebot spekulieren, welches sich - angesichts des durch die vorherige Verschmelzung geschaffenen Mehrwertes - an einem sehr viel höheren Aktienkurs zu orientieren hat llO . Von einer Ablehnung des Übernahmeangebotes kann deshalb nicht ohne weiteres auf einen zugrundeliegenden Verzichtswillen geschlossen werden. Im Übrigen bleiben sie auch schutzwürdig, da möglicherweise in dem Zeitraum zwischen dem erfolglosen Übernahmeangebot und dem nach der Umwandlung eintretenden Kontrollerwerb Aktienpakete durch den späteren Kontrollerwerber unter Zahlung eines Paketzuschlags erworben werden können. In den Fällen, in denen vor der Umwandlung ein freiwilliges Übernahmeangebot unterbreitet wurde, ist somit entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht lll nicht regelmäßig eine Befreiung zu gewähren. Es muss vielmehr im jeweiligen Einzelfall untersucht werden, aus welchen Gründen die Aktionäre das Übernahmeangebot zunächst ablehnten. Dem späteren Kontrollerwerber steht es frei, seine Zustimmung zum Umwandlungsbeschluss seiner Gesellschaft (vgl. §§ 13 Abs. I, 65 Abs. I, 125 S. 1 UmwG) davon abhängig zu machen, dass in der anderen Gesellschaft ein "Whitewash"-Beschluss gefasst wird. Auf diese Weise kann er sich vor einer unerwünschten Angebotsverpflichtung schützen und etwaige Unsicherheiten, wie ein Verhalten der Aktionäre zu verstehen ist, ausräumen. Vgl. zu diesem Argument auch 3. Kapitel I. Der Mindestpreis wird - sowohl für das freiwillige Übernahmeangebot als auch für das Pflichtangebot - gemäß § 5 Abs. I AngebotsVO anhand des durchschnittlichen Börsenkurses berechnet, der während der letzten drei Monate bestand. Allerdings handelt es sich um unterschiedliche Dreimonatszeiträume: während es für das Übernahmeangebot auf den Dreimonatszeitraum vor dessen Veröffentlichung ankommt (§ 10 Abs. I S. I WpÜG i.Y.m. § 5 Abs. I AngebotsVO), wird für das Pflichtangebot der Dreimonatszeitraum vor Veröffentlichung der Kontrollerlangung herangezogen (§ 35 Abs. 1 WpÜG i.Y.m. § 5 Abs. I AngebotsVO). Da die Kontrollerlangung die Eintragung der Umwandlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) voraussetzt - siehe oben 2. Kapitel I1.4.a)bb) - kann es seit der Ankündigung der Umwandlung durch Ad-hoc-Mitteilung (15 Abs. 1 WpHG) zu Kurssteigerungen kommen, die bei der Berechnung des Mindestpreises des Pflichtangebotes dann zu berücksichtigen sind. Auf diese Weise muss der Kontrollerwerber den Minderheitsaktionären den durch eine Verschmelzung geschaffenen Mehrwert bezahlen, vgl. dazu Lenz/Linke, AG 2002, 361, 368. Näher zu den mit einer Verschmelzung verbundenen Synergieeffekten siehe 2. Kapitel II.4.a)bb) und sogleich 3. Kapitelll.4.; zu der Frage, ob sie aus dem später abzugebenden Pflichtangebot herauszurechnen sind siehe 3. Kapitel IV.2. 111 Dazu oben Fn. 105. 109 110
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
4. Stabiler oder steigender Aktienkurs nach der Umwandlung Ferner ist eine Befreiung des Kontrollerwerbers gemäß § 37 Abs. I WpÜG denkbar, wenn zu erwarten ist, dass der Aktienkurs der übernehmenden Gesellschaft nach der Veröffentlichung der Kontrollsituation gleich bleibt oder sogar steigt JJ2 . Sofern der Börsenkurs trotz Bekanntgabe der Kontrollerlangung gemäß § 35 Abs. I WpÜG gleich bleibt oder steigt - weil beispielsweise der Kapitalmarkt der Auffassung ist, dass die Vorteile der Umwandlung ll3 die Nachteile, die eine Kontrollsituation mit sich bringen kann 114 , ausgleicht oder weil die übernehmende Gesellschaft seit längerem Kurssteigerungen zu verzeichnen hat und sich diese fortsetzen - kann den Aktionären zugemutet werden, durch einen Verkauf ihrer Anteile an oder außerhalb der Börse aus der Gesellschaft auszusteigen 115. Der Gefahr, dass die Aktien aufgrund des Entstehens der Kontrollsituation an Wert verlieren 11 6, muss dann nicht mit Hilfe eines Pflichtangebotes entgegengewirkt werden. Auch finden bei einer Umwandlung der Zielgesellschaft in der Regel keine Vorerwerbe von Aktien statt, so dass üblicherweise keine Kontrollprämien entrichtet werden 117. Sofern tatsächlich kein Vorerwerb von Aktien zu einem erhöhten Preis durch den Kontrollerwerber stattgefunden hat und zugleich der Aktienkurs gleich bleibt oder steigt, sind die Aktionäre daher nicht schutzwürdig. Es bedarf dann keines Pflichtangebotes. Dass der Sachverhalt einer erwarteten Kurssteigerung keinen Einzug in das Gesetz gehalten hat, insbesondere vom Tatbestand des § 37 Abs. I nicht ausdrücklich genannt wird, steht einer Befreiung gemäß § 37 Abs. I WpÜG nicht entgegen 1l8 • Denn die umwandlungsbedingte Kontrollerlangung kann unter die erste Tatbestandsalternative des § 37 Abs. I WpÜG ("im Hinblick auf die Art der Erlangung") subsumiert werden 119. Die weitere Kursentwicklung sollte dann im Rahmen der Ermessensentscheidung der BaFin Berücksichtigung finden 120. 112 Für eine Berücksichtigung des weiteren Kursverlaufes GeibeI/Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. 38; MüKo-Schlitt, § 37 WpÜG Rn. 62; Steinmeyer/Häger, § 37 Rn. WpÜG 40; a.A. Bemau, WM 2004, 809, 818, der die Berücksichtigung der Kursentwicklung für unzulässig hält, da eine solche kapitalmarktrechtliche Sichtweise in das Gesetzeswerk keinen Einzug gehalten habe. Von den genannten Autoren wird dies nicht im Hinblick auf eine umwandlungsbedingte Kontrollerlangung diskutiert. 113 Näher dazu 2. Kapitel II.4.a)bb). 114 Näher dazu 1. Kapitel II.l.c )aa) und 2. Kapitel II.4.a)bb). 115 Vgl. dazu Bemau, WM 2004, 809, 818, Steinmeyer/Häger, § 37 WpÜG Rn. 40. 116 Näheres zu diesem Aspekt der ratio legis von § 35 Abs. 2 WpÜG siehe oben 1. Kapitel II.l.c )aa). 117 Siehe oben 2. Kapitel 1I.4.a)aa). 118 A.A. Bemau, WM 2004,809,818. 119 Näher dazu bereits oben 3. Kapitel 1I.1.d) in Fn. 76.
11. Befreiung nach § 37 Abs. 1 WpÜG
129
Im Rahmen der Ermessensentscheidung der BaFin gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG ist bei gleich bleibendem oder steigendem AktienIrurs regelmäßig den Interessen des Kontrollerwerbers, von der Abgabe des Pflichtangebotes befreit zu werden, der Vorrang einzuräumen 121. Dabei ist vorauszusetzen, dass der Börsenkurs der übernehmenden Gesellschaft während einer gewissen Zeit nach der Kontrollerlangung 122 , d. h. nach der Eintragung der Umwandlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), mindestens den Stand hält oder überschreitet, den er durchschnittlich während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Kontrollerlangung nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG aufwies (vgl. § 5 Abs. 1 AngebotsVO). Außerdem ist den Aktionären eine angemessene Bedenkzeit sowie ausreichend Zeit, den Verkauf durchzuführen, zu gewähren; bei der Bemessung dieses Zeitraumes kann sich die BaFin an § 16 Abs. 1 WpÜG orientieren, wonach die Annahmefrist nicht weniger als vier Wochen betragen darf. Um zu gewährleisten, dass die Befreiung nur unter diesen Voraussetzungen gewährt wird, sollte die BaFin die Befreiung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG unter einer entsprechenden auflösenden Bedingung erteilen 123. Da mit Hilfe einer solchen auflösend bedingten Befreiung gewährleistet ist, dass die Aktionäre entweder die Aktie ohne Verluste an der Börse verkaufen können oder ein Pflichtangebot erhalten, sollte die BaFin einem solchen Befreiungsantrag regelmäßig nachkommen. Sofern der Kurs innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes unterschritten wird, führt diese Bedingung zum nachträglichen Erlöschen der Befreiung l24 • Problema120 Es ist umstritten, ob die ennessensleitenden Gesichtspunkte auf die im Tatbestand genannten Belange, das Interesse des Bieters, nicht durch ein Pflichtangebot belastet zu werden, und die ratio legis, das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt und damit die Funktionsfahigkeit des Kapitalmarktes zu schützen, zu beschränken sind - so wohl Haarrnann I Riehmer I Schüppen-Hommelhoff/W/tt, § 37 Rn. 29; Geibel I Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. 38; KK-Versteegen § 37 WpÜG Rn. 60 - oder ob darüber hinaus auch Aspekte der Verfahrenssicherung, die Venneidung unnötiger Beeinträchtigungen der Ziel gesellschaft, der Schutz der Arbeitnehmer und der Gesamtwirtschaft zu berücksichtigen sind - so Heroau, WM 2004, 809, 818 m.w.Nw. in Fn. 113; Holzboml Blank, NZG 2002, 948, 954; Ehricke/Ekkengal Oechsler-Ekkenga. § 37 WpÜG Rn. 42. Das Interesse der Anleger, vor einer Entwertung ihrer Aktie geschützt zu werden, muss aber jedenfalls zu berücksichtigen sein, da der Schutz der Anleger gerade die ratio legis darstellt. Daher darf die Behörde jedenfalls auch erwägen, ob angesichts des weiteren Kursverlaufs die Anleger schutzwürdig sind oder nicht. 121 Die BaFin muss sich zugleich vergewissern, dass außerdem kein Vorerwerb von Aktien stattgefunden hat, der gemäß § 4 AngebotsVO im Rahmen der Bemessung der Höhe des Pflichtangebotes Bedeutung erlangen würde. Selbst wenn ein Vorerwerb stattgefunden hat, kommt ihm dann keine Bedeutung zu, wenn die je Aktie gezahlte Gegenleistung unterhalb des aktuellen Börsenkurses liegt. 122 Eine Steigerung des Aktienkurses nach der Ad-hoc-Mitteilung, dass eine Umwandlung geplant ist (§ 15 WpHG), und vor der Kontrollerlangung - also vor Eintragung der Umwandlung - kann nicht herangezogen werden, um eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG zu begründen; so im Ergebnis auch Lenz/Linke. AG 2002, 361, 368. Denn dieser Kursanstieg würde bei der Bemessung des Pflichtangebotes berücksichtigt, da er in den Dreimonatszeitraum des 5 Abs. 1 AngebotsVO fällt. 123 Dazu bereits oben 3. Kapitel 1I.1.d).
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
tisch ist in diesem Fall, dass der Kontrollerwerber die von § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG genannte Frist - wonach der Bieter innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft der BaFin eine Angebotsunterlage zu übermitteln und ein Angebot zu veröffentlichen hat - nicht mehr einhalten kann, wenn zwischen der Veröffentlichung der Kontrollerlangung und dem Eintritt der Bedingung beispielsweise schon drei Wochen verstrichen sind. Für diesen Fall sollte die BaFin in ihrer Befreiungsentscheidung regeln, innerhalb welchen Zeitraumes dann das Pflichtangebot zu unterbreiten ist. Ferner würde sich die Befreiungsentscheidung nur auf die Pflicht aus § 35 Abs. 2 WpÜG, nicht hingegen auf die Veröffentlichungspflicht des § 35 Abs. 1 WpÜG beziehen, da die Aktionäre darauf hingewiesen werden müssen, dass eine Kontrollsituation entstanden ist. Eine solche sogenannte "isolierte Befreiungsentscheidung,,125 wird für zulässig erachtet 126. Darüber hinaus muss dem Kontrollerwerber im Rahmen der bedingten Befreiung auferlegt werden, dass er - über die Veröffentlichungspflicht des § 35 Abs. 1 WpÜG hinaus - die Aktionäre darauf hinweist, in welchem Zeitraum ihnen ein entsprechender angemessener Verkaufskurs zustehen muss. Die Aktionäre sind dann in der Lage, mit ihrer Bank eine Verkaufskommission zu vereinbaren (vgl. Nr. 1 der Sonderbedingungen der Banken für Wertpapiergeschäfte [SBW]), bei der sie zugleich - insofern handelt es sich um einen preislich limitierten Auftrag - als untere Preisgrenze den veröffentlichen Mindestkurs festlegen können (vgl. Nr. 3 SBW)127. Die Befreiungsentscheidung könnte wie folgt lauten: ,,Der Aktionär A wird von der Angebotsverpflichtung des § 35 Abs. 2 WpÜG befreit, sofern der Aktienkurs der Gesellschaft innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung der Kontrollerlangung den Kurs von 100 € nicht unterschreitet und A die Aktionäre in der Veröffentlichung der Kontrollerlangung auf die Möglichkeit, die Aktie zu einem solchen angemessenen Preis an der Börse zu verkaufen, hinweist. Anderenfalls ist innerhalb von drei Wochen nach Erlöschen der Befreiung ein Pflichtangebot abzugeben."
124 Ein ähnliches Ergebnis kann mit einem entsprechenden Widerufsvorbehalt (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG) erzielt werden, wobei dann noch ein Widerruf der Befreiung gemäß § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwVfG ergehen muss, der selbstständig mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar ist, vgl. dazu Steinmeyer/Häger, § 37 WpÜG Rn. 45. Da die BaFin erneut tätig werden müsste, um die Befreiung mittels des Widerrufs zu beseitigen, und den genannten Rechtsbehelfen des Kontrollerwerbers auflösende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 1 VwGO), ist es eher angebracht, eine auflösende Bedingung zu wählen. 125 GeibeI/Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. I; MüKo-Schlitt, § 37 WpÜG Rn. 67; KKVersteegen, § 37 WpÜG Rn. 76. 126 Geibel/Süßmann-Meyer, § 37 WpÜG Rn. I; MüKo-Schlitt, § 37 WpÜG Rn. 67; KKVersteegen, § 37 WpÜG Rn. 69 ff., insb. 76. 127 Die Sonderbedingungen der Banken für Wertpapiergeschäfte (SBW) sind abgedruckt bei Hellner / Steuer- Wagner, Bankrecht und Bankpraxis, 7/24 ff.; Kümpel, in: Kümpel/ Hammen/Ekkenga: Kapita1marktrecht, Kz. 220, S. 2 ff.; näher zu der Preisbestimmung Lenenbach, Rn. 4.28; Hellner / Steuer- Wagner, Bankrecht und Bankpraxis, 7/72 ff.
lli. Kumulation der Verfahrensvorschriften von WpÜG und UmwG
131
Aus GIÜnden der Rechtsklarheit sollte das Bundesrninisterium der Finanzen de lege ferenda in § 9 AngebotsVO i.Vm. § 37 Abs. 2 Satz 1 WpÜG den Fall, dass der Aktienkurs gleich bleibt oder ansteigt, als weiteren konkreten Befreiungsgrund aufnehmen 128. § 9 Abs. 3 AngebotsVO n.F. sollte wie folgt formuliert werden: ,,Eine nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG auflösend bedingte Befreiung kann erteilt werden, wenn die Aktionäre nach einer Umwandlung einer neuen Kontrollsituation ausgesetzt sind und zu erwarten ist, dass der Aktienkurs nach der Eintragung der Umwandlung während eines Zeitraumes von mindestens vier Wochen mindestens dem Betrag entspricht, der im Rahmen von § 35 Abs. 2 WpÜG hätte angeboten werden müssen."
Der Kontrollerwerber kann also regelmäßig einen Antrag auf Befreiung stellen, wenn er erwartet, dass der vor der Veröffentlichung beobachtete durchschnittliche Börsenkurs der übernehmenden Gesellschaft gleich bleiben oder steigen wird. Diesen Antrag sollte er - wie von § 8 Satz 2 AngebotsVO zugelassen wird - bereits vor der Kontrollererlangung stellen 129. Die BaFin wird einem solchen Befreiungsantrag regelmäßig in Form einer auflösend bedingten Befreiung nachkommen. In der Praxis besteht die Möglichkeit, dass entweder der Kontrollerwerber selbst oder eine von ihm beauftrage Personen Stützungskäufe an der Börse tätigt, um sicherzustellen, dass der Börsenkurs dann tatsächlich innerhalb des mindestens vierwöchigen Zeitraumes einen solchen positiven Verlauf nimmt. Das Entstehen der Angebotsverpflichtung kann daher verhindert werden, indem ein Geldbetrag für Stützungskäufe bereitgestellt wird, der sehr viel geringer ist als derjenige Betrag, der ansonsten für die Finanzierung des Pflichtangebotes an alle Aktionäre erforderlich werden würde.
ill. Kumulation der Verfahrensvorschriften von WpÜG und UmwG Wird die Kontrolle infolge eines Umwandlungsvorganges erlangt, so finden sowohl die Verfahrensvorschriften des Umw0 130 als auch die des WpÜG 131 Anwendung l32 . Es drängt sich daher die Frage auf, ob auf einige der Vorschriften verzichtet werden kann. 128 Denkbar wäre auch, dass der Gesetzgeber die Steigerung des Börsenkurses nicht nur für den Fall einer Umwandlung, d. h. als konkreten Befreiungsgrund, sondern für alle Arten der Kontrollerlangung als sechste Alternative in § 37 WpÜG und damit als abstrakten Befreiungsgrund regelt. 129 Nach Erlangung der Kontrolle, ist dies gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen zu veröffentlichen. Bei einer Umwandlung werden die Aktien und damit auch die Kontrolle erst mit der Eintragung der Umwandlung erworben (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Somit verbleibt dem späteren Kontrollerwerber ausreichend Zeit, den Antrag auf Befreiung von der Angebotspflicht vorzubereiten. 130 Siehe oben 1. Kapitell. 131 Siehe oben 1. Kapitel 11.
9*
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Das VeIfahren, welches das WpÜG im Falle einer Kontrollerlangung vorsieht, und das UmwandlungsveIfahren überlappen sich nur teilweise, im Wesentlichen folgt das PflichtangebotsveIfahren nach 133 : Wurde die Kontrolle erlangt (Schritt Nr. 4 des PflichtangebotsveIfahrens l34 ), so muss dies zunächst gemäß § 35 Abs. 1 S. 4 i.Y.m. § 10 Abs. 2 WpÜG der Börsenaufsicht und der BaFin mitgeteilt (Verfahrensschritt Nr. 5) und gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 i.Y.m. § 10 Abs. 3 WpÜG spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem veröffentlicht werden (VeIfahrensschritt Nr. 6). Da diese beiden Pflichten erst entstehen, wenn die Kontrolle erlangt wurde, und dies erst mit dem Erwerb der Aktien durch die Eintragung der Umwandlung geschieht (vgl. §§ 20 Abs. I Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG)135, folgt der wesentliche Teil des PflichtangebotsveIfahrens zwangsläufig erst nach der Eintragung der Umwandlung (Schritt Nr. 22 des UmwandlungsveIfahrens) 136. Demnach finden der 4. Schritt des PflichtangebotsveIfahrens und der 22. Schritt des UmwandlungsveIfahrens zeitgleich statt. Eine Überlappung der beiden VeIfahren besteht beispielsweise insofern, als sich der spätere Kontrollerwerber bereits während des UmwandlungsveIfahrens gemäß § 13 Abs. 1 (i.Y.m. § 39) WpÜG um die Finanzierung des Pflichtangebotes kümmern muss (Schritt Nr. 1 des PflichtangebotsveIfahrens). Da das PflichtangebotsveIfahren nachfolgt, ist es denkbar, dass ein Teil seiner Anforderungen aufgrund der im UmwandlungsveIfahren stattfindenden Maßnahmen entbehrlich ist. 1. Veröffentlichung der KontroUeriangung
Fraglich ist, ob die Verpflichtung, die Kontrollerlangung zu veröffentlichen (§ 35 Abs. 1 S. 1 i.Y.m. § 10 Abs. 3 WpÜG) , möglicherweise deshalb entbehrlich ist, weil die Aktionäre bereits dem Umwandlungsbericht entnehmen können, dass eine Kontrollsituation in der übernehmenden Gesellschaft bestehen wird. 132 Vgl. dazu Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 397; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 569; Seiht/ Heiser, ZHR 165 (2001),466,473 ff.; SemlerIStengel-Semler/Stengel, Einleitung A zum UmwG Rn. 102. Eine tabellarische Übersicht über den chronologischen Ablauf von Umwandlungs- und Pflichtangebotsverfahren findet sich bei Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466, 471 ff. m Vgl. Kleindiek, ZGR 2002, 546, 569, der von einer ..gestuften Anwendung" von Umwandlungs- und Übernahmeverfahren spricht; vgl. dazu auch die Tabelle von Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466,471. 134 Vgl. die Übersicht über den Ablauf des Pflichtangebotsverfahrens oben 1. Kapitel 11.2 135 Siehe dazu auch oben 2. Kapitel 1.2. 136 Die wesentlichen Verfahrens schritte des Umwandlungsverfahrens sind damit absolviert. Es folgt beispielsweise noch die Veröffentlichung der Verschmelzung durch das Gericht (§ 19 Abs. 3 UmwG) und die Durchführung des Barabfindungsangebotes gemäß § 29 Abs. I, § 31 UmwG, näher dazu die Übersicht über den Ablauf des Umwandlungsverfahrens oben 1. Kapitel 1.2.
m. Kumulation der Verfahrensvorschriften von WpÜG und UmwG
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Der Vorstand der übernehmenden Gesellschaft muss im Unwandlungsbericht die Auswirkungen der Umwandlung in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht erläutern (§§ 8 Abs. I, 127 UmwG). Dabei ist insbesondere auch "auf die Folgen für die Beteiligung der Anteilsinhaber" hinzuweisen (§§ 8 Abs. 1 S. 2, 127 S. 2 UmwG), so dass eine wesentliche Veränderung der Beteiligungsstruktur - wie beispielsweise das Erlangen der Stimmenmehrheit durch einen bestimmten Anteilsinhaber im Bericht anzugeben ist 137 . Daher müssen die Vertretungsorgane, denen der bevorstehende Kontrollerwerb regelmäßig bekannt ist, diesen bereits im Umwandlungsbericht mitteilen. Die Aktionäre können den Umwandlungsbericht in den Geschäftsräurnen der Gesellschaft einsehen (§§ 63 Abs. 1 Nr. 4, 125 UmwG) oder sich eine Abschrift kostenlos zusenden lassen (§§ 63 Abs. 3, 125 UmwG). Somit könnte argumentiert werden, dass die Aktionäre sich über die Möglichkeit, dass eine Kontrollsituation entsteht, informieren können und es daher der Verpflichtung des § 35 Abs. I S. 1 WpÜG nicht bedarf. Indessen bezweckt die Regelung des § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG nicht nur, die Aktionäre und Organe der Zielgesellschaft, sondern auch sonstige Kapitalmarktteilnehmer über die Kontrollsituation zu informieren l38 ; ihnen steht kein Anspruch zu, den Umwandlungsbericht einzusehen. Außerdem wird der Zweck des § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG, die Aktionäre zu informieren, durch die bloße Möglichkeit der Aktionäre, sich zu informieren, noch nicht effektiv erreicht. Häufig werden nämlich Aktionäre von ihrem Recht, den Umwandlungsbericht einzusehen, nicht Gebrauch machen. Demzufolge kann der Kontrollerwerber nicht von der Verpflichtung des § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG, die Kontrollerlangung zu veröffentlichen, entbunden werden. 2. Mitteilung des KontroUerwerbs gegenüber der ZielgeseUschaft und dem Betriebsrat Nach Veröffentlichung der Kontrollerlangung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG hat der Kontrollerwerber diese dem Vorstand der Zielgesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen; der Vorstand hat seinerseits dann den zuständigen Betriebsrat zu unterrichten (§ 35 Abs. 1 S. 4 i.Y.m. § 10 Abs. 5 S. 1 und S. 2 WpÜG). Der Vorstand der einen Gesellschaft muss sich regelmäßig bei der anderen Gesellschaft darüber informieren und bereits im Unwandlungsbericht darüber berichten, ob ein Kontrollerwerb bevorsteht 139 . Demzufolge muss er nicht nochmals vom Kontrollerwerber davon in Kenntnis gesetzt werden l4o. I37 Vgl. Bayer; ZIP 1997,1613,1619 f.; Semler/Stengel-Gehling, § 8 UmwG Rn. 53; Lutter-Lutter; § 8 UmwG Rn. 33; Goutier/Knopf/Tulloch-Bennel, § 8 UmwG Rn. 24. Etwas zurückhaltender formuliert dies Kallmeyer-Marsch-Bamer; § 8 UmwG Rn. 25, welcher davon spricht, dass es sich "empfiehlt", ein Überschreiten der Kapitalmehrheit im Verschmelzungsbericht anzugeben; a.A offenbar SÜßT7UlM, WM 2003, 1453, 1455. I38 KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 3.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Ob auch der Betriebsrat den Umstand, dass eine Kontrollsituation in der übernehmenden Gesellschaft bestehen wird, regelmäßig kennt, ist fraglich 141, da gemäß § 5 Abs. 3 UmwG nur die Verpflichtung besteht, ihm den Umwandlungsvertrag - nicht jedoch den Umwandlungsbericht - zuzuleiten. Daher muss der Vorstand den Betriebsrat gemäß § 10 Abs. 5 S. 2 LV.m. § 35 Abs. 1 S. 4 nur dann nicht gesondert unterrichten, wenn dem Betriebsrat die spätere Kontrollsituation schon bekannt ist - z. B. weil ihm der Umwandlungsbericht freiwillig zur Verfügung gestellt wurde. Im Unterschied zur Veröffentlichung des Kontrollerwerbs gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG ist die Anwendung der Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 4 LV.m. § 10 Abs. 5 WpÜG daher entbehrlich, wenn den Beteiligten bekannt ist, dass eine Kontrollsituation bestehen wird.
3. Begründete Stellungnahme des Vorstandes und des Aufsichtsrates Die begründete Stellungnahme, die der Vorstand und der Aufsichtsrat gemäß § 27 Abs. 1 (i.Y.m. § 39) WpÜG zu dem Angebot des Kontrollerwerbers abzugeben haben, ist entbehrlich, wenn sie sich bereits im Umwandlungsbericht zu den von § 27 Abs. 1 S. 2 WpÜG geforderten Punkten geäußert haben l42 • Denn die Aktionäre werden über die Kontrollerlangung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG infonniert und können dies dann zum Anlass nehmen, sich näher zu erkundigen, indem sie Umwandlungsvertrag, -bericht und -prüfungsbericht einsehen (§§ 63 Abs. 1, 125 UmwG).
4. Angaben in der Angebotsunterlage Gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG hat der Kontrollerwerber der BaFin eine Angebotsunterlage zu übennittein, welche die in § 11 Abs. 1 bis 3 (i.Y.m. § 39) WpÜG und in § 2 AngebotsVO (i.V.m. § 11 Abs. 4 WpÜG) genannten Angaben zu enthalten hat. Dazu oben unter 1. Vgl. Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466,474 f., die insbesondere erwähnen, dass diese ,.Mehrfachdokumentationspflicht" gerade auch deshalb entbehrlich ist, weil es sich bei den Fällen der Kontrollerlangung durch Umwandlung um zwischen den beteiligten Rechtsträgern abgestimmte, freundliche Übernahmen börsennotierter Unternehmen handelt. Auf die Verdoppelung von Dokumentationspflichten in diesen Fällen weist auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383,397, hin. 141 Dies bejahen Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466,475, ohne auf die nachfolgend erörterte Problematik einzugehen. 142 Seiht/Heiser; ZHR 165 (2001),466,475 sind der Ansicht, dass eine solche begründete Stellungnahme regelmäßig im Umwandlungsbericht enthalten sein wird. 139 140
III. Kumulation der Verfahrensvorschriften von WpÜG und UmwG
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Sofern diese Angaben jedoch bereits im Umwandlungsvertrag (§§ 4 f., 125 f. UmwG), in dem von den Vertretungsorganen der beteiligten Rechtsträger zu erstellenden Umwandlungsbericht (§§ 8, 127 UmwG) oder in dem von Verschmelzungsprüfern zu verfassenden Umwandlungsprüfungsbericht (§§ 9 ff., 60, 125 S. 1 UmwG) enthalten sind, ist eine erneute Information der Beteiligten entbehrlich. So werden beispielsweise die Angaben über die Absichten des Bieters i.S.v. § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 WpÜG regelmäßig bereits im Umwandlungsvertrag und -bericht dargestellt werden l43 . Diese Ausführungen müssen den Aktionären nicht in doppelter Ausfertigung zur Verfügung gestellt werden; dem Kontrollerwerber sollte es daher erlaubt sein, in der Angebotsunterlage auf die genannten Dokumente zu verweisen. Soweit hingegen sowohl die Angebotsunterlage gemäß § 2 Nr. 3 AngebotsVO als auch der Umwandlungsprüfungsbericht gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 UmwG sich dazu äußern müssen, welche Bewertungsmethoden angewandt wurden, um einerseits die Höhe der Gegenleistung (§ 35 Abs. 2 WpÜG), andererseits das Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) zu ermitteln!44, ist jeweils eine gesonderte Darstellung erforderlich; denn die Bewertungsmethoden unterscheiden sich wie bereits erörtert wurde!45 - grundsätzlich.
5. Vorschlag de lege ferenda Der Gesetzgeber könnte eine Regelung in § 37 WpÜG einfügen, wonach die BaFin den Kontrollerwerber in diesen Fällen von der Einhaltung gewisser Dokumentationspflichten und Verfahrensvorschriften befreien kann!46. Dieses Ergebnis wird auch durch eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 1 WpÜG erreicht. Da diese Vorschrift der BaFin die Möglichkeit einräumt, den Bieter von den Verpflichtungen des § 35 WpÜG vollumfänglich zu befreien, muss sie erst recht befugt sein, ihm nur einige der Verfahrensanforderungen zu erlassen, die mit den Verpflichtungen des § 35 WpÜG einhergehen 147 . Allerdings ist fraglich, ob dem Kontrollerwerber der Aufwand zugemutet werden muss, eine Befreiung hinsichtlich einzelner Verfahrensvorschriften zu beantra143 Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001).466.474; vgl. dazu auch Vetter, WM 2002. 1999. 2006. der allerdings die Schlussfolgerung zieht, dass das WpÜG nach Umwandlungen keine Anwendung finden sollte. 144 Der Wortlaut des § 2 Nr. 3 AngebotsVO und der des § 12 Abs. 2 S. 2 UmwG sind weitgehend identisch. Ausführlich dazu auch Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001).466.474; Vetter, WM 2002.1999.2006. 145 Näher dazu 3. Kapitel II.1.b)bb). 146 So der Vorschlag von Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001).466.475. 147 Dieser Schluss vorn Größeren auf das Kleinere wird als "argumentum a fortiori" oder als "argumentum a majore ad minus" bezeichnet: Wenn das Größere erlaubt ist. dann muss erst recht auch das Kleinere erlaubt sein. vgl. dazu Bydlinski, S. 479; Staudinger-Coing (1995), Einleitung zum BGB Rn. 159; Creifelds, S. 96 f.; Palandt-Heinriehs, Einleitung zum BGB Rn. 51; Tileh/ Arloth, S. 310 f.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
gen. Vielmehr können die genannten Verfahrensvorschriften und Dokumentationspflichten in den Fällen, in denen die Kontrollsituation durch einen Umwandlungsvorgang ausgelöst wird, de lege ferenda suspendiert werden. Denn der BaFin bleibt es bei einer solchen Lösung unbenommen, gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 WpÜG zu überwachen, dass den jeweiligen Anforderungen bereits im Umwandlungsverfahren entsprochen wurde. Es sollte vom Gesetzgeber daher folgender Absatz 4 in § 35 WpÜG eingefügt werden: ,,(4) Wird eine Kontrollsituation durch eine Umwandlung ausgelöst, findet § 10 Abs. 5 keine Anwendung, wenn dem Vorstand und dem Betriebsrat der Zielgesellschaft dieser Umstand bereits bekannt ist. Die Verpflichtung des Vorstandes und des Aufsichtsrates gemäß § 27 Abs. 1 besteht nicht, wenn sie bereits im Umwandlungsbericht eine ausreichende Stellungnahme abgegeben haben. Angaben, die bereits im Umwandlungsvernag, -bericht oder -pTÜfungsbericht enthalten sind, müssen in der nach § 35 Abs. 2 S. 1 zu übermittelnden Angebotsunterlage nicht nochmals aufgeführt werden, sondern es darf auf die entsprechenden Dokumente verwiesen werden."
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen Gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Welche Gegenleistung als angemessen anzusehen ist, wird genauer geregelt in § 31 Abs. 1 bis Abs. 6 und in § 31 Abs. 7 WpÜG i.v.m. §§ 3 ff. AngebotsVO. In diesem Zusammenhang ist zu erörtern, ob im Rahmen von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und § 5 AngebotsVO der Börsenkurs des übernehmenden oder des übertragenden Rechtsträgers maßgeblich ist (1), ob die sogenannten "Verbundeffekte,,148 aus diesem Börsenkurs herausgerechnet werden müssen (2), ob die Umwandlung selbst als "Vorerwerb" i.S.v. § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.V.m. § 4 AngebotsVO anzusehen ist (3) sowie ob diese Vorschriften den Vorerwerb von Aktien der übernehmenden und von Aktien der übertragenden Gesellschaft erfassen (4).
1. Börsenkurs der übernehmenden oder der übertragenden GeseUschaft In § 31 Abs. 1 S. 2 1. HS. WpÜG ist geregelt, dass "bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung [ ... ] grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft [ ... ] zu berücksichtigen" ist 149. Nach Ansicht der Dazu oben 2. Kapitel II.4.a)bb) in Fn. 54. In § 5 AngebotsVO heißt es "Sind die Aktien der Zielgesellschaft [ ... ] zugelassen, muss die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien [ ... ] entsprechen". Somit stellt auch diese Norm, die § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG näher konkretisiert, ausschließlich auf die Aktien der Zielgesellschaft ab. 148
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IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen
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Literatur soll bei der Beurteilung der Gegenleistung immer der Börsenkurs der übernehmenden Gesellschaft maßgeblich sein 150. Fraglich ist indessen, ob dies auch für die 2. Fallgruppe zu gelten hat, bei der § 35 Abs. 2 WpÜG nicht direkt, sondern nur analog angewendet werden kann 1S1 • Die Formulierung "Wer [ ... ] die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt" i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG ist zu eng gefasst, um bei der 2. Fallgruppe eine der beiden Gesellschaften als ,,zielgesellschaft" ansehen zu können: GI war bereits kontrolliert, so dass in dieser Gesellschaft keine neue Kontrollsituation entsteht; G2 besteht nicht fort und kann daher nicht kontrolliert werden I 52. Diese Problematik setzt sich im Rahmen von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG fort, da dieser ebenfalls an den Begriff der ,,zie1gesellschaft" anknüpft. Um § 35 Abs. 2 WpÜG analog anzuwenden, bedarf es auch der analogen Anwendung der Mindestpreisregelung des § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG. Es kann dabei entweder auf den Börsenpreis der übertragenden oder auf den Börsenpreis der übernehmenden Gesellschaft abgestellt werden. Es ergeben sich keine gravierenden wertmäßigen Abweichungen, ob man nun im Rahmen der analogen Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG auf den Börsenkurs der übertragenden oder der übernehmenden Gesellschaft abstellt 1S3 • Die Anteile der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft werden aufgrund des Umtauschverhältnisses in Aktien der übernehmenden Gesellschaft umgetauscht (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), so dass der Gesamtwert ihrer ursprünglichen Beteiligung am übertragenden Rechtsträger dem der neu erworbenen Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger entspricht 1S4 . Legt man den Börsenkurs der übertragenden Gesellschaft G2 zugrunde, so würde sich daraus die angemessene Gegenleistung für die Anzahl der Aktien ergeben, die der jeweilige Aktionär in dieser Gesellschaft hielt; im umgekehrten Fall wäre dem Börsenkurs die angemessene Gegenleistung für die Anzahl der Aktien zu entnehmen, die er nach der Umwandlung in der übernehmenden Gesellschaft GI hält. Gewisse Abweichungen können sich lediglich daraus ergeben, dass bei der einen Gesellschaft der im Rahmen der Unternehmensbewertung festgestellte Unternehmenswert je Aktie eher dem Börsenkurs entspricht als bei der anderen Gesellschaft; denn für die Festlegung des Umtausch verhältnisses (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) und folglich auch für die Anzahl der Aktien, welche die neuen Aktionäre in der übernehmenden Gesellschaft erhalten, ist letztlich die Unternehmensbewertung von entscheidender Bedeutung'ss. 150 So im Ergebnis Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz. § 35 WpÜG Rn. 29; MüKo-Schlitt. AktG, § 35 WpÜG Rn. 140; Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001),466,483. 151 Näher dazu siehe oben 2. Kapitel m.1.b) und das Schaubild oben 2. Kapitel 1.2. 152 Der Begriff der ,,ziel gesellschaft" setzt voraus, dass eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien fortbesteht und in ihr eine neue Kontrollsituation entsteht; näher dazu oben 2. Kapitel m. l.b)aa). 153 So im Ergebnis auch Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001). 466, 484. 154 Vgl. Seibt/Heiser, ZHR 165 (2001), 466, 484.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Bei der 2. Fallgruppe haben sich die schutzwürdigen Aktionäre von G2 ursprünglich dafür entschieden, in die übertragende Gesellschaft G2 zu investieren. Und da § 35 Abs. 2 WpÜG gerade ihre ursprüngliche Investitionsentscheidung schützen wi1l 156, läge es nahe, im Rahmen der analogen Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG ausnahmsweise auf den Börsenkurs der übertragenden Gesellschaft abzustellen 157. Indessen ist es faktisch nicht ohne weiteres möglich, den Börsenkurs der übertragenden Gesellschaft als Maßstab heranzuziehen: Gemäß § 5 Abs. I AngebotsVO muss nämlich die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Aktien während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG entsprechen. Die Veröffentlichung des Kontrollerwerbs hat spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen nach der Kontrollerlangung zu erfolgen (§ 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG). In dem Zeitpunkt, in dem die Kontrolle erworben wird - nämlich mit dem Erwerb der Aktien kraft Gesetzes durch die Eintragung der Umwandlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) erlischt jedoch zugleich auch der übertragende Rechtsträger (§ 20 Abs. I Nr. 2 UmwG). Daher besteht für die übertragende Gesellschaft während des Zeitraumes zwischen der Kontrollerlangung und ihrer Veröffentlichung - der wegen § 35 Abs. I S. 1 WpÜG bis zu sieben Tagen umfassen kann - kein Börsenkurs mehr; somit könnte ein durchschnittlicher Börsenkurs für die übertragende Gesellschaft nicht, wie von § 5 AngebotsVO vorgesehen, berechnet werden. Demzufolge bleibt es auch für die 2. Fallgruppe bei dem eingangs formulierten Ansatz, dass es für die Beurteilung, ob die Höhe der Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG angemessen ist, immer auf den Börsenkurs der übernehmenden Gesellschaft ankommt. 2. Sind VerbundetTekte aus dem Börsenkurs herauszurechnen unangemessene Preisbildung nach Umwandlungen? Bei der Verschmelzung zweier Gesellschaften werden typischerweise Synergieeffekte (auch sog. "Verbundeffekte") bezweckt 158 . Wenn dies von den Anlegern honoriert wird, steigt der Börsenkurs der aufnehmenden Gesellschaft. Dies hat zur Folge, dass der Kontrollerwerber den Minderheitsaktionären im Rahmen des Pflichtangebotes den durch die Fusion geschaffenen Mehrwert zu 155 Der Börsenkurs bildet nämlich nur die Untergrenze im Rahmen der Bemessung des Umtauschverhältnisses. Näher siehe oben 1. Kapitel I.1.b). 156 Vgl. Kleindiek, ZGR 2002, 546; 558 f.; Krause, WM 1996, 893, 899 m. w. Nw. in Fn. 208; näher dazu auch oben 1. Kapitelll.1.c)aa). 157 Vgl. Seiht/Heiser; ZHR 165 (2001),466,483 f., die diese Überlegung zwar anstellen, aber im Ergebnis ebenfalls den Börsenkurs der übernehmenden Gesellschaft für maßgeblich halten. 158 Näher dazu siehe oben 2. Kapitel 11. 4.a)bb) in Fn. 54.
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim PfIichtangebot nach Umwandlungen
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bezahlen hätte, wenn nicht die dadurch bewirkte Kurssteigerung herausgerechnet würde 1S9 . Gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 1. Halbsatz WpÜG ist "bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung [ ... ] grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft [ ... ] zu berücksichtigen". In § 5 AngebotsVO wird dies dahingehend näher bestimmt, dass der durchschnittliche Börsenkurs auf der Grundlage des Kursverlaufs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG berechnet wird. Im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung gemäß § 15 Abs. 1 WpHG muss der Öffentlichkeit bereits so frühzeitig mitgeteilt werden, dass eine Umwandlung geplant ist, dass bis zur Kontrollerlangung mindestens ein Zeitraum von zwei Monaten verstreicht l60 . Aufgrund dieser Zeitspanne beeinflusst ein steigender Aktienkurs die Höhe des Pflichtangebotes maßgeblich. Die Verschmelzung kommt - beispielsweise in der 1. Fallgruppe - nur zustande, weil der Kontrollaktionär von GI sich dafür entscheidet, das Unternehmen der von ihm kontrollierten Gesellschaft im Wege einer Verschmelzung in die Zielgesellschaft einzubringen; denn er allein könnte die für das Zustandekommen des Verschmelzungsbeschlusses erforderliche 3/4-Mehrheit (§§ 13 Abs. 1, 65 Abs. 1 UmwG) verhindern. Vetter vertritt daher die Auffassung, dass die Verschmelzung und die damit verbundene Steigerung des Börsenkurses - vor allem dem Kontrollaktionär zu verdanken und es deshalb nicht gerechtfertigt sei, die Synergie- und Wertsteigerungspotenziale "seiner" Gesellschaft bei der Berechnung der Höhe des Pflichtangebotes gemäß § 31 WpÜG einseitig zu Gunsten der Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft - hier: G2 - zu berücksichtigen 161. Die Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.Y.m. § 5 AngebotsVO komme daher für die hier untersuchten Fälle nicht zu sachgerechten Ergebnissen. In dieser Arbeit wird zwar entgegen Vetter 162 die Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG auch in den Fällen der Umwandlung einer Zielgesellschaft bejaht l63 ; man könnte seiner Argumentation jedoch teilweise folgen und die Verbundeffekte bei der Bemessung der Höhe des Pflichtangebotes herausrechnen. Dies könnte bewerkstelligt werden, indem entweder nur der Börsenkurs bis zur Ad-hoc-Mitteilung der Berechnung zugrunde gelegt wird l64 oder indem die Differenz zwischen 159 Nach Ansicht von Lenz/Linke, AG 2002, 361. 368 re. Sp. erhalten die Aktionäre diesen Mehrwert zu Recht; a.A. Vetter, WM 2002,1999,2004 re. Sp., der sich jedoch nicht zu einer möglichen Herausrechnung des Mehrwertes äußert, sondern bereits die Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen der ZieJgesellschaft ablehnt. Dabei stützt er sich auf das Argument, dass die Regelung des § 31 WpÜG i.V.m. § 5 AngebotsVO zu einer unangemessenen Preisbildung führe. 160 Siehe oben 2. Kapitel II.4.a)bb). 161 Vgl. dazu und zum Folgenden Vetter, WM 2002,1999,2004 re. Sp. 162 Vetter, WM 2002, 1999,2005, 2010 lehnt eine Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen ab. 163 Siehe dazu oben 2. Kapitel.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
dem amtlich festgestellten Mittelkurs des Tages nach und vor der Ad-hoc-Mitteilung errechnet und dann von dem dreimonatigen durchschnittlichen Aktienkurs (vgl. § 5 Abs. 1 AngebotsVO) abgezogen wird 165 . Allerdings kann es - auch wenn dies selten der Fall sein mag - stattdessen dazu kommen, dass der Kurs der Aktie sinkt und die Höhe des Pflichtangebotes daher geringer ausfällt. Die Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.Y.m. § 5 AngebotsVO birgt also nicht nur Chancen, sondern auch Risiken, so dass nicht davon gesprochen werden kann, die Aktionäre würden vollkommen einseitig bevorzugt. Im übrigen ist die Sichtweise, die Synergiepotenziale könnten vor allem aufgrund der Entscheidung des Mehrheitsaktionärs der einen Gesellschaft genutzt werden, zu einseitig. Schließlich bedarf es in der anderen Gesellschaft - beispielsweise bei der 1. Fallgruppe in G2 - ebenfalls eines Verschmelzungsbeschlusses mit einer Mehrheit von 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§§ 13 Abs. 1, 65 Abs. 1 UmwG). Möchte eine Gruppe von Kleinaktionären die Umwandlung verhindern, so ist sie dazu in der Lage. Demzufolge ermöglichen auch die Kleinaktionäre, nicht nur der spätere Kontrollerwerber, dass die Synergiepotenziale beider Gesellschaften genutzt werden können. Daher erscheint es gerechtfertigt, dass sich die Minderheitsaktionäre im Wege eines entsprechend hohen Pflichtangebotes den durch die Verschmelzung geschaffenen Mehrwert auszahlen lassen können l66. Die Synergieeffekte, die von der Verschmelzung erwartet werden und sich im Börsenkurs wiederspiegeln, sind nicht aus dem Börsenkurs herauszurechnen. 3. Umwandlung der ZielgeseUschaft als "Vorerwerb" i.S.v. § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG? Die Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG sieht vor, dass bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung Vorerwerbe zu berücksichtigen sind. In § 4 AngebotsVO wird näher bestimmt, dass solche Vorerwerbe von Bedeutung sind, die ,,innerhalb der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach [ ... ] § 35 Abs. 2 Satz 1" WpÜG, d. h. vor der Veröffentlichung des Pflichtangebotes, stattgefunden haben. Bei der 1. und bei der 3. Fallgruppe 167 erwirbt der Kontrollerwerber die 164 Vgl. Behnke, NZG 1999, 934; Meilicke/Heidel, DB 2001, 973, 974 f.; Wilm, NZG 2000, 1070, 1071. Diese Autoren äußern sich zu den Entscheidungen des BVerfG und des BGH in der Sache ,,DAT / Altana" (näher dazu siehe 1. Kapitel I. La), d. h. es geht um die Frage, wie der durchschnittliche Börsenkurs zu berechnen ist, wenn eine Unternehmensbewertung erfolgt, um das Umtauschverhältnis (§ 5 Abs. I Nr.3 UmwG) oder die Höhe der Barabfindung (§ 29 Abs. I UmwG) festzulegen. 165 Vgl. Weiler/ Meyer; ZIP 2001, 2153, 2158, die der Ansicht sind, dass innerhalb eines Börsentages ersichtlich werde, welche Kursauswirkungen auf die Verschmelzung zurückzuführen sind, d. h. die Verschmelzung sei innerhalb eines Tages bereits "eingepreist". 166 So im Ergebnis auch Lenz/Linke, AG 2002,361,368 re. Sp. 167 Siehe Schaubild oben 2. Kapitel 1.2. Demgegenüber erhält der Kontrollerwerber bei der 2. Fallgruppe keine neue Aktien, da die von ihm kontrollierte Gesellschaft GI als aufnehmende Gesellschaft fungiert.
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen
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Aktien infolge der Umwandlung der Zielgesellschaft - kraft Gesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) - stets innerhalb dieses Zeitraumes, so dass der Wortlaut des § 4 Satz 1 AngebotsVO diese Umwandlung erfasst 168 und sie eigentlich als zu berücksichtigender Vorerwerb anzusehen wäre. Dies hätte beispielsweise zur Folge, dass bei der 1. Fallgruppe der Anteil des Unternehmenswertes der übertragenden Gesellschaft GI, der auf die Aktien des Kontrollaktionärs entfiel, als "Gegenleistung" i.S.v. § 4 AngebotsVO anzusehen wäre, die er für den gesetzlichen Erwerb der Aktien von G2 gewährte l69 ; denn das Vermögen der übertragenden Gesellschaft GI geht auf die übernehmende Gesellschaft G2 über (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Es wäre also jeweils eine Unternehmensbewertung der übertragenden Gesellschaft GI durchzuführen, um festzustellen, welchen Wert die vom Kontrollerwerber gewährte Gegenleistung hat. Außerdem wäre unklar, welcher Unternehmenswert bei der Anwendung von § 4 AngebotsVO zugrunde zu legen wäre, wenn die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses im Rahmen des Umwandlungsverfahrens auf Antrag eines Aktionärs im Rahmen eines zeitaufwendigen Spruchverfahrens geklärt wird (§ 15 Abs. 1 S. 2 UmwG i.V.m. § 1 Nr. 4 SpruchG)170. Die kurzen Fristen des WpÜG - z. B. die Vier-Wochen-Frist des § 35 Abs. 2 WpÜG -lassen es nämlich nicht zu, das Ergebnis dieses Verfahrens abzuwarten. Schließlich kann der im Wege des Ertragswertverfahrens festgestellte Unternehmenswert - anteilig umgerechnet auf die im Wege des Umtausches gewährten Aktien - im Einzelfall erheblich über dem Börsenkurs liegen 171, so dass eine solche Anwendung des § 4 AngebotsVO zu einem erheblichen Nachteil für die jeweiligen Kontrollaktionäre führen könnte. Indem der Gesetz- und der Verordnungsgeber den Börsenkurs für maßgeblich erklären (§ 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG, § 5 Abs. 1 AngebotsVO), wollen sie grundsätzlich verhindern, dass im Rahmen des § 31 WpÜG - wie im Umwandlungsrecht - Unternehmensbewertungen stattfinden, die zeitaufwendige Rechtsstreitigkeiten mit sich bringen können. In der Gesetzesbegründung wird dies wie folgt ausgedrückt l72 : 168 Vgl. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 84; vgl. dazu auch Vetter, WM 2002, 1999,2005 Ii. Sp., der sich - im Unterschied zu von Bü[ow - grundsätzlich gegen die Anwendung von § 35 Abs. 2 WpÜG nach Umwandlungen ausspricht. 169 Vgl. Vetter. WM 2002, 1999,2005. Eine etwaige bare Zuzahlung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr.3 UmwG) wäre selbstverständlich ebenfalls zu berücksichtigen, vgl. KK-von Bülow, § 35 WpÜGRn.84. 170 KK-von Bü[ow, § 35 WpÜG Rn. 84. 171 Siehe zur unterschiedlichen Berechnung der Höhe der Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. I AngebotsVO und der Barabfindung gemäß §§ 29 f. UmwG oben 3. Kapitel II.l.b)bb). 172 Begr. RegE zu § 31 Abs. 1 WpÜG, BT-Drucks. 1417034, S. 55; vgl. dazu auch Haarmann I Riehmer I Schüppen-Haannann, § 31 WpÜG Rn. 3.
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
"Bei Übernahmeverfahren bestehen jedoch enge zeitliche Vorgaben für die Verfahrensbeteiligten. Zudem ist sowohl für die Praxis als auch die Aufsicht aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten die rechtsverbindliche Festlegung von Eckpunkten zur Bestimmung der Angemessenheit wünschenswert".
Dies ergibt sich systernatisch auch aus § 5 Abs. 4 (i. Y.m. § 6 Abs. 6) AngebotsVO, der eine Unternehmensbewertung nur ausnahmsweise bei ausgesetztem Handel anordnet 173. Daher würde es auf den ersten Blick etwas erstaunen, wenn im Rahmen der Umwandlung einer Zielgesellschaft nicht der Börsenkurs, sondern immer die Unternehmensbewertung maßgeblich wäre. Eine Unternehmensbewertung, auf deren Ergebnis zurückgegriffen werden könnte, erfolgt zwar im Rahmen der Umwandlung ohnehin 174; findet jedoch ein Spruchverfahren statt, so steht dieses Ergebnis nur mit einer zeitlichen Verzögerung zur Verfügung. Von entscheidender Bedeutung ist, ob die ratio legis der § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.Y.m. § 4 AngebotsVO die wortlautgetreue Anwendung der Vorschriften nach einer Umwandlung der Zielgesellschaft verlangt. Diese Regelung ist ,,Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Aktionäre. Sie ermöglicht den Aktionären, die Adressaten eines Übernahme- oder Pflichtangebotes sind, an Paketzuschlägen, die im Vorfeld von Übernahmen mit einzelnen Aktionären vereinbart wurden, zu partizipieren" 175. Der gesetzliche Aktienerwerb im Rahmen von Umwandlungen einer Zielgesellschaft gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG entspricht aber gerade nicht den vom Gesetzgeber vorgestellten Fällen, bei denen nur einige wenige Aktionäre, die ein Aktienpaket halten, von Kontrollprämien profitieren. Vielmehr erhält der spätere Kontrollaktionär - beispielsweise bei der 1. Fallgruppe - die Aktien nicht von einzelnen Aktionären, sondern er erwirbt regelmäßig Aktien, die zuvor im Wege einer Kapitalerhöhung in der Gesellschaft G2 neu geschaffen wurden (vgl. § 69 UmwG)176. Somit kommt es bei dem Umtausch der Aktien der Gesellschaft GI in Aktien der Gesellschaft G2 nicht zu einer Bevorzugung einzelner Aktionäre. Ist daher eine Ungleichbehandlung der Aktionäre nicht zu befürchten, so bedarf es auch nicht der Anwendung der § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.Y.m. § 4 AngebotsVO. Die urnwandlungsbedingte Kontrollerlangung muss daher in der Weise aus dem Anwendungsbereich des § 4 AngebotsVO ausgenommen werden, dass die Umwandlung selbst keinen "Vorerwerb" darstellt l77 • Dies kann dogmatisch entweder 173 Eine Unternehmensbewertung muss gemäß § 5 Abs. 4 (i.Y.m. § 6 Abs. 6) AngebotsVO ausnahmsweise durchgeführt werden, wenn fUr die Aktien der Zielgesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abweichen. 174 Dazu oben 1. Kapitel I.l.b). 175 Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 79 f.; vgl. dazu auch KK-KremerIOesterhaus, Anh. § 31, § 4 AngebotsVO Rn. 1; SteinmeyerlHäger, § 31 WpÜG Rn. 11; Geibel/Süßmann-Thun, § 31 WpÜG Rn. 80 ff.; siehe dazu auch oben 1. Kapitel n.l.c)aa). 176 Siehe oben 2. Kapitel rn.l.a).
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen
143
im Wege einer restriktiven Auslegung oder einer teleologischen Reduktion vollbracht werden, da beide dogmatischen Methoden das Ziel verfolgen, den Anwendungsbereich einer Rechtsnorm einzuschränken 178. a) Restriktive Auslegung?
Sofern der Wortsinn von § 4 AngebotsVO mehrere Deutungen zulässt, könnte im Wege der Auslegung 179 eine engere von diesen Wortbedeutungen gewählt werden. § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und § 4 Satz 1 AngebotsVO sprechen vom Erwerb von Aktien. Es werden zwei verschiedenen Arten des Eigentumserwerbs - der rechtsgeschäftliehe und der gesetzliche - unterschieden. Demzufolge könnte der Begriff ,,Erwerb von Aktien" i.S.v. § 4 AngebotsVO dahingehend restriktiv ausgelegt werden, dass nur die enge Bedeutung rechtsgeschäftlicher Erwerb 180 und nicht die weiter reichende Bedeutung rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Erwerb gemeint ist. Auf diese Weise würde der gesetzliche Erwerb des Eigentums an Aktien infolge von Umwandlungen der Zielgesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) aus dem Anwendungsbereich des § 4 AngebotsVO ausgeschieden. Dass andere Formen des gesetzlichen Erwerbs - wie beispielsweise der erbrechtliche Erwerb von Aktien im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. I BGB) - dann ebenfalls nicht von der Vorschrift erfasst würden, wäre unbedenklich. Denn in diesen Fällen wird keine Gegenleistung i.S.v. § 4 AngebotsVO "gewährt oder vereinbart", so dass etwaige Paketzuschläge an einzelne Aktionäre ebenfalls nicht drohen. 177 So im Ergebnis die BaFin, die in einem Verfahren entsprechend entschied, vgl. Vetter, WM 2002, 1999,2006 in Fn. 50; so offenbar auch Steinmeyer/Häger, § 31 WpÜG Rn. 13, die davon sprechen, dass ein Vorerwerb auch "im Wege einer (früheren) Umwandlung der Zielgesellschaft" denkbar ist, und damit die Umwandlung, die die Kontrollsituation auslöst, wohl ausschließen wollen. KK-von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 85, fordert von der BaFin, die Regelung des § 31 Abs. 1 WpÜG i.Y.m. dem Dritten Abschnitt der AngebotsVO "flexibel" anzuwenden. 178 Vgl. Bydlinski. S. 473 f.; Palandtl Heinrichs. Einleitung zum BGB, Rn. 47 ff.; ausführlich dazu Larenz. S. 366 ff. 179 Näher zur Auslegung bereits oben 2. Kapitel III.l.b)aa). 180 Der rechtsgeschäftliche Erwerb des Eigentums an Aktien kann auf verschiedenen Wegen erfolgen; dabei ist zwischen Inhaber- und Namensaktien zu unterscheiden (vgl. § 10 Abs. 1 AktG): Bei Inhaberaktien, die dem Wortsinn entsprechend zu den sog. Inhaberpapieren gehören, folgt das Recht aus dem Papier immer dem Recht am Papier und daher sind diese gemäß §§ 929 ff. BGB zu übereignen. Demgegenüber können Namensaktien, die trotz ihrer Bezeichnung nicht zu den so genannten Namens-, sondern den Orderpapieren gehören, auf drei unterschiedlichen Wegen übereignet werden: Sie können übertragen werden, erstens gemäß § 68 Abs. 1 AktG durch Indossament, zweitens durch Abtretung gemäß §§ 398 ff. BGB und drittens gemäß § 18 Abs. 3 DepotG. Näher dazu AnwK-Wagner, § AktG 10 Rn. 8 ff.; MüKo-Heider, § 10 AktG Rn. 24 ff.; vgl. dazu auch Hü!fer, § 10 AktG Rn. 4.
144
3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
Allerdings kann eine Kontrollerlangung nicht nur im Wege der Umwandlung der Ziel gesellschaft, sondern auch - wie bereits dargestellt wurde - im Wege einer Umwandlung erfolgen, an der die Ziel gesellschaft nicht beteiligt ist (Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft) 181. Hält beispielsweise eine Gesellschaft 15% der Anteile an einer Zielgesellschaft und möchte sie von einer Beteiligungsgesellschaft, die ebenfalls 15% der Anteile an dieser Zielgesellschaft hält, dieses Aktienpaket erwerben 182 , so bestehen zwei Gestaltungsalternativen: Sie kann entweder der Beteiligungsgesellschaft dieses Aktienpaket mit einem Paketzuschlag abkaufen und die Aktien daraufhin im Wege eines dinglichen Rechtsgeschäfts erwerben. Dies wäre als rechtsgeschäftlicher Erwerb auch bei der hier erörterten restriktiven Auslegung ein Vorerwerb i.S.v. § 4 Satz 1 AngebotsVO. Oder die Gesellschaft kann den Aktionär 183 oder die Aktionäre der Beteiligungsgesellschaft überreden, einer Verschmelzung im Wege der Aufnahme der Beteiligungsgesellschaft zuzustimmen, indem sie ihnen ein günstiges Umtauschverhältnis oder / und eine bare Zuzahlung (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) als Prämie gewährt. Die von der Beteiligungsgesellschaft gehaltenen Aktien der Ziel gesellschaft gehen dabei auf die übernehmende Gesellschaft gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG kraft Gesetzes über 184. Es entspricht der ratio legis von § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG und § 4 Satz 1 AngebotsVO, die übrigen Aktionäre der Zielgesellschaft an diesem Paketzuschlag ebenfalls profitieren zu lassen. Daher darf der gesetzliche Erwerb von Aktien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 nicht aus dem Anwendungsbereich des § 4 AngebotsVO herausfallen. Eine restriktive Auslegung der Vorschrift des § 4 AngebotsVO in der Weise, dass nur der rechtsgeschäftliche "Erwerb von Aktien" gemeint wäre, würde daher auch Fälle erfassen, bei denen die ratio legis die Anwendung der Norm gebietet. Deshalb ist eine solche restriktive Auslegung nicht möglich. b) Teleologische Reduktion
Scheitert die restriktive Auslegung einer Norm, so kann ihre Anwendung nur verhindert werden, indem man sich über ihren Wortlaut hinwegsetzt, d. h. sie nicht anwendet, obwohl sie ihrem Wortlaut nach eingreift (teleologische Reduktion)185. Im Rahmen der Umwandlung, die die Kontrollsituation auslöst, erhält - wie bereits gezeigt wurde - keiner der Aktionäre eine Kontrollprämie. Daher ist die AnSiehe das Schaubild und die Ausführungen oben 2. Kapitel 1.1. Diese Konstellation entspricht dem Schaubild oben 2. Kapitel 1.1. 183 Es ist auch eine Einpersonen-AG zulässig, vgl. Schmidt. § 26 III.2.d). Daran zeigt sich, dass eine Beteiligungsgesellschaft auch nur gegründet werden könnte, um anstatt eines Verkaufs der Anteile eine Verschmelzung durchführen zu können. 184 Näher dazu 2. Kapitel 1.1. 185 Näher zur teleologischen Reduktion siehe oben 2. Kapitel III.2.b)aa). 181
182
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim PfIichtangebot nach Umwandlungen
145
wendung der Vorschrift des § 4 AngebotsVO in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, um den Gesetzeszweck zu erfüllen. Der Gesetzgeber hat außerdem in der Gesetzesbegründung ausdrücklich eingeräumt, sein Gesetz weise möglicherweise Lücken aufl86 ; somit liegt eine planwidrige (bewusste) Regelungslücke vor, die den Gerichten eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion erlaubt I 87. Mit Hilfe dieser juristischen Methode kann die Umwandlung der Zielgesellschaft aus dem Anwendungsbereich des § 4 Satz I AngebotsVO ausgeschieden werden. c) Vorschlag de lege ferenda
Um diese Unstimmigkeit des § 4 AngebotsVO zu bereinigen, könnte das Bundesministerium der Finanzen - als Verordnungsgeber - die Umwandlung der Zielgesellschaft ausdrücklich in § 4 Satz 3 AngebotsVO n.F. aus dem Anwendungsbereich ausnehmen.
4. Vorerwerb von Aktien der übertragenden Gesellschaft Die Regelungen des § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und des § 4 Satz 1 AngebotsVO erfassen ihrem Wortlaut zufolge nur den "Erwerb von Aktien der Zielgesellschajt". Bei der hier diskutierten Umwandlung der Zielgesellschaft stellt sich die Frage, welche der beiden an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften als ,,zielgesellschaft" anzusehen ist, und ob der rechtsgeschäftliche Erwerb von Aktien der anderen Gesellschaft im Rahmen dieser Vorschriften unberücksichtigt bleibt. Die ,,zielgesellschaft" i. S. d. WpÜG ist eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, die fortbesteht und an der die Kontrolle neu erworben wird l88 . Bei der 1. Fallgruppe l89 würde dies beispielsweise bedeuten, dass gemäß dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und des § 4 Satz 1 AngebotsVO nur der Erwerb von Aktien der G2, nicht hingegen von Aktien der GI zu berücksichtigen wäre. Eine analoge Anwendung der Vorschriften auf diesen Erwerb ist denkbar. Der Gesetzgeber hat nämlich den Fall, dass die Kontrollerlangung durch eine Umwandlung ausgelöst wird, wie bereits gezeigt wurde, nicht ausreichend durchdacht, und daher ist das Gesetz durch die Wahl des Begriffes ,,zielgesellschaft" an verschiedenen Stellen planwidrig unvollständig. Eine Regelungslücke zeigt sich aufNäher dazu 2. Kapitel III.l.b )bb)(1). Näher dazu 2. Kapitel III.l.b)bb)(1). Zur Unterscheidung von "offenen" und "verdeckten" Lücken siehe oben 2. Kapitel III.2.b)aa) in Fn. 224. 188 Siehe dazu oben 2. Kapitel ID.l.b)aa). 189 Vgl. dazu das Schaubild oben 2. Kapitel 1.2. 186
18?
JO TIties
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3. Kap.: Feinabstimmung von UmwG und WpÜG
grund dessen nicht nur bei § 35 Abs. 2 WpÜG l90 , sondern auch bei § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und § 4 Satz 1 AngebotsVO. Außerdem müsste der nicht vom Wortlaut der Regelung erfasste Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit den umfassten Sachverhalten vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber hätte diesen Fall - sofern er ihn bedacht und die betroffenen Interessen bewertet hätte - ebenfalls der Rechtsfolge der Vorschrift unterworfen (vergleichbare Interessenlage)191. Dies ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Unterschiede zwischen dem von der Norm unmittelbar erfassten Fall und dem zu beurteilenden Sachverhalt nach allen erkennbaren rechtlichen Wertmaßstäben bedeutungslos sind 192 . Aufgrund der Umwandlung verringern sich die Beteiligungsquoten der Anteilsinhaber, so dass die Gefahr besteht, dass der Kontrollaktionär einer Gesellschaft seine vor der Umwandlung bestehende Kontrollposition verlieren kann; dies wäre zum Beispiel anzunehmen, wenn die 1. Fallgruppe dahingehend abgewandelt wird, dass der Kontrollaktionär vor der Umwandlung lediglich 30% der Aktien in GI hält 193 . Sofern er in einem solchen Fall das Fortbestehen seiner Machtposition in der übernehmenden Gesellschaft G2 durch den Kauf von Aktien vor Wirksamwerden der Umwandlung (§ 20 UmwG) absichern möchte, kann er sowohl Aktien von GI als auch von G2 kaufen. Kauft er nämlich weitere Aktien von GI, so werden diese automatisch durch Eintragung der Umwandlung in Aktien der G2 umgetauscht (§ 20 Abs. I Nr. 3 UmwG). Ein solcher Kauf von Aktien würde in beiden Fällen mit dem Ziel durchgeführt, die KontrollsteIlung in G2 zu erwerben. Wird für die jeweilige Aktie ein Preis bezahlt, der über dem Börsenkurs liegt (Kontrollprärnie), ist im Hinblick auf die ratio legis der § 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG und § 4 Satz 1 AngebotsVO nicht nur beim Kauf von Aktien der G2, sondern auch beim Kauf von Aktien der GI eine Bevorzugung einzelner Aktionäre und damit eine Ungleichbehandlung zu befürchten. Daher ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der eine unterschiedliche Behandlung des Kaufs von Aktien der GI und der G2 rechtfertigen würde. Die Interessenlage ist demzufolge in bei den Fällen vergleichbar, so dass § 31 Abs. I Satz 2 WpÜG und § 4 Satz 1 AngebotsVO auf den Kauf von Aktien der übertragenden Gesellschaft GI analog anzuwenden sind. Diese analoge Anwendung des § 4 AngebotsVO ist auch praktisch möglich. Dabei ist zu bedenken, dass die Vorschrift einen Mindestwert für den im Rahmen des Pflichtangebotes zu zahlenden Preis für eine Aktie der Zielgesellschaft - also der G2 bei der 1. Fallgruppe - regelt und daher der Preis, welcher bei einem Vorerwerb Siehe dazu oben 2. Kapitel III.l.b)bb)(l). BGH NJW 2003,1932,1933 =ZIP 2003,1204,1206; BAG NJW 2003, 2473, 2474 f. 192 Bydlinski. S. 475 f.; vgl. auch Larenz. S. 381 ff.; Larenz/Canaris. S. 202 ff.; Vogel. S. 134; siehe dazu auch oben 2. Kapitel III.l.b)bb). 193 Näher zum drohenden Verlust der Kontrollposition bereits 2. Kapitel IIA.a)aa). 190 191
IV. Bestimmung der Gegenleistung beim Pflichtangebot nach Umwandlungen
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für eine Aktie der GI gezahlt wurde, nicht als absoluter Wert herangezogen werden kann. Der für eine Aktie der GI gezahlte Preis kann aber mit Hilfe des im Umwandlungsverfahren ermittelten Umtauschverhältnisses (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) ohne weiteres umgerechnet werden.
4. Kapitel
Sonderfalle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen Im Folgenden werden besondere Umwandlungsvorgänge behandelt, bei denen die Anwendung des § 35 Abs. 2 WpÜG grundsätzlich in Frage steht oder jedenfalls seine Anwendung gewisse Probleme aufwirft. Es wird untersucht werden, welche Besonderheiten auftreten, wenn nicht die Gesellschaft, in der die Kontrollsituation entsteht, sondern eine vorgelagerte Beherrschungsstufe von der Umwandlung betroffen ist (vgl. I) und wenn eine solche Umwandlung ausschließlich innerhalb eines Konzerns stattfindet (vgl. 11). Außerdem ist problematisch, ob und gegebenenfalls wie § 35 Abs. 2 WpÜG zur Anwendung gelangen kann, wenn an der Umwandlung - im Unterschied zu den im 2. und 3. Kapitel besprochenen drei Fallgruppen - eine nicht börsennotierte Gesellschaft beteiligt ist (vgl. III und IV).
I. Umwandlung einer konzernangehörigen mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft Werden zwei Gesellschaften verschmolzen, von denen nur eine der beiden sich innerhalb eines Konzerns befindet!, so können aufgrund der Zurechnungsregel des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG - wonach Stimmrechte, die einem Tochterunternehmen des Bieters gehören, ihm zuzurechnen sind - mehrere Pflichtangebote von einer oder von verschiedenen Personen abzugeben sein. Umwandlungen, die mit der Übernahme einer Muttergesellschaft, welche über börsennotierte Töchter verfügt, einhergehen, würden folglich wegen der Notwendigkeit, mehrere Angebote finanzieren zu müssen, erheblich verteuert und häufig sogar verhindert. Aus diesem Grund wird davon gesprochen, die Zurechnungsregel des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG wirke im Hinblick auf die Übernahme von Muttergesellschaften wie eine gesetzliche "poison pill,,2. Der Gesetzgeber versucht, dieser Entwicklung insbesondere mit Hilfe des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsV0 3 entgegenzuwirken, so dass zu untersuchen I Befinden sich hingegen heide umgewandelten Gesellschaften innerhalb desselben Konzerns, so ist die Sonderregelung des § 36 Nr. 3 WpÜG zu beachten, siehe unten 4. Kapitel 11. Näher zum Begriff des "Konzerns" siehe unten 1I.1.b). 2 Adolff, ZGR 2002, 579, 582; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 575; StellungnalIme des Handeisrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007; Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 19 in Fn. 18; vgl. zu dieser Problematik auch Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 82 re. Sp.; Seiht/Heiser; ZHR 165 (2001),466,490 ff.
I. Umwandlung einer Gesellschaft
149
sein wird, ob diese Regelung - als gesetzliches "Antidot" - genügt, um die Auswirkungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG abzumildern und gegebenenfalls welche weiteren Möglichkeiten, dem Problem zu begegnen, in Betracht gezogen werden können. Die Angebotspflichten differieren, je nach dem, ob eine Muttergesellschaft (1.) oder eine Tochtergesellschaft (2.) mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft verschmolzen wird.
1. Verschmelzung einer Muttergesellschaft mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft a) Entstehung von zwei Angebotsverpflichtungen
Verfügt beispielsweise eine Muttergesellschaft (G3) über eine börsennotierte Tochtergesellschaft i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. I, § 2 Abs. 6 WpÜG (G2), die ihrerseits eine weitere Gesellschaft (GI) kontrolliert (§ 29 Abs. 2 WpÜG), so hätte eine Übernahme der Muttergesellschaft durch eine Gesellschaft G4 im Wege einer Umwandlung zur Folge, dass die G4 sowohl den Aktionären der auf mittlerer Stufe stehenden G2 als auch denen der auf unterster Ebene stehenden Gesellschaft GI ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG unterbreiten müsste4 •
nachher: G3
---->
G4
G4
0
G2
G2
GI
GI
Schaubild 3
:l § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO lautet: ,,Eine Befreiung kann ferner erteilt werden, wenn [ ... ] 3. aufgrund der Erlangung der Kontrolle über eine Gesellschaft mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes erlangt wurde und der Buchwert der Beteiligung der Gesellschaft an der Zielgesellschaft weniger als 20 Prozent des buchmäßigen Aktivvermögens der Gesellschaft beträgt." 4 Dieselbe Problematik stellt sich nicht nur, wenn die Kontrolle im Wege einer Umwandlung, sondern auch, wenn die Kontrolle im Wege rechtsgeschäftlichen Erwerbs erlangt wird.
150
4. Kap.: Sonderfälle des PfIichtangebotes nach Umwandlungen
aa) Unmittelbare Kontrollerlangung Die Angebotsverpflichtung der G4 gegenüber den Aktionären aus G2 ergibt sich daraus, dass die G4 im Wege der Umwandlung das Vermögen der G3 - und mithin auch die von G3 gehaltenen Aktien der G2 - kraft Gesetzes erwirbt (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) und sie daher "unmittelbar" i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt. Zwar waren die Aktionäre der G2 auch schon vor der Umwandlung einer Kontrollsituation ausgesetzt; da jedoch vom neuen Kontrollaktionär wegen einer anderen unternehmerischen Zielsetzung möglicherweise andere Gefahren für die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft ausgehen können, sind die Minderheitsaktionäre auch bei einem solchen Kontrollwechsel schutzwürdig und erhalten folglich ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG 5 . bb) Mittelbare Kontrollerlangung Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 WpÜG wird die Verpflichtung zur Publizität und zur nachfolgenden Herauslegung eines Pflichtangebotes auch ausgelöst, wenn ,,mittelbar" die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt wird. Dies ist in der soeben dargestellten Konstellation denkbar, da GI von G2 und G2 wiederum von G4 kontrolliert wird und die Umwandlung somit zur Folge hat, dass G4 auch Einfluss auf GI nehmen kann. Der Begriff der "mittelbaren Kontrollerlangung" nimmt auf § 30 WpÜG Bezug, wonach dem Bieter gewisse Stimmrechte zuzurechnen sind6 . Gemäß § 30 Abs. 1 5 Dies ist die ganz überwiegende Ansicht, vgl. Adolff, ZGR 2002, 579, 582 f.; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 87; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 774; Ehrichke/Ekkenga/ Oechsler-Ekkenga/ Schulz. § 35 WpÜG Rn. 19; Haarmann / Riehmer / Schüppen-Hommelhoff/Witt. § 35 WpÜG Rn. 16; Harbarth. ZIP 2002, 321, 323; Kleindiek. ZGR 2002,546, 547; Letzel. BKR 2002, 293, 301; Liebscher, ZIP 2001,853,866; MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 56 m.w.Nw.; Seibt/Heiser. ZHR 165 (2001),466,479; a.A. hingegen Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 12 f., der danach differenziert, ob die Kontrolle auf ein "Unternehmen" i. S. d. Konzernrechts oder auf eine Privaten wechselt. Wahrend das Unternehmen aus § 35 WpÜG verpflichtet sein soll, sei der Private im Wege einer restriktiven Auslegung von § 35 Abs. 2 WpÜG nicht angebotsverpflichtet. Da diese Arbeit die Umwandlung von Gesellschaften behandelt, wird diese Ansicht hier nicht weiterverfolgt. Ferner kritisch zur Angebotsverpflichtung bei bloßem Kontrollwechsel auch Houben, WM 2000,1873,1877. 6 Insofern hat die Formulierung des § 35 Abs. 1 WpÜG nur klarstellenden Charakter, da bereits in § 30 WpÜG geregelt ist, welche Stimmrechte bei der Frage, ob eine Person die Kontrolle i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt, mitgerechnet werden, vgl. Steinmeyer/Häger, § 35 WpÜG Rn. 7; KK-von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 53 ff.; Möller/ pötzsch. ZIP 2001, 1256, 1260; Schwark-Noack. § 35 WpÜG Rn. 18; KK-Versteegen, Anh. § 37 WpÜG, § 9 AngebotsVO Rn. 36; a.A. Haarmann / Riehmer / Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 20, nach dessen Ansicht in § 35 Abs. 1 Satz 1 eine Sonderregelung gegenüber § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG getroffen werde. Näher zu dieser Ansicht und aus welchem Grund sie abzulehnen ist, siehe unter bb)(3).und (4).
I. Umwandlung einer Gesellschaft
151
Nr. 1 sind dem Bieter Stimmrechte zuzurechnen, die seinem Tochterunternehmen gehören. Daher wären G4 die Stimmrechte, die G2 an der Gesellschaft GI zustehen, zuzurechen, wenn G2 als "Tochterunternehmen" der G4 i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG anzusehen wäre. "Tochterunternehmen" sind gemäß § 2 Abs. 6 WpÜG Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 HGB gelten oder auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt: Das Gesetz greift also einerseits auf den in § 290 HGB geregelten bilanzrechtlichen Konzembegriff zurück. Danach besteht ein Mutter-Tochter-Verhältnis, wenn das eine Unternehmen unter der "einheitlichen Leitung,,7 des anderen Unternehmens LS.v. § 290 Abs. 1 HGB steht, wenn dem anderen Unternehmen die einfache Mehrheit der Stimmrechte zusteht (§ 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB), ihm das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrates zu bestellen (§ 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB) oder ihm das Recht zusteht, einen beherrschenden Einfluss auf Grund eines Beherrschungsvertrages oder einer Satzungsbestimmung auszuüben (§ 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB)8. Andererseits ist gemäß § 2 Abs. 6 WpÜG ein Unternehmen auch dann als Tochterunternehmen zu qualifizieren, wenn auf dieses ein "beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann". Es ist umstritten, wie diese Formulierung zu verstehen ist: (1) Kontrollbegriff des § 29 Abs. 2 WpÜG
Nach einer Ansicht soll mit der Formulierung des § 2 Abs. 6 WpÜG der Schwellenwert des § 29 Abs. 2 WpÜG gemeint sein9 . Zur Begründung wird angeführt, § 29 Abs. 2 WpÜG beruhe auf dem Gedanken, dass die Kontrolle über eine Aktiengesellschaft auf Grund der meist geringen Hauptversammlungspräsenz typi7 Der Begriff ist im HGB nicht gesetzlich definiert, kann aber entsprechend dem Konzernbegriff des § 18 AktG bestimmt werden, wonach ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen Konzern bilden, sofern sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Vorauszusetzen ist nicht, dass das Mutterunternehmen weisungsbefugt ist; vielmehr genügt auch ein sonstiger gesellschaftsrechtlich vermittelter Einfluss auf die Geschäftspolitik, wenn beispielsweise das eine Unternehmen über die Besetzung der Organe der anderen Gesellschaft entscheiden kann oder ihm die Letztentscheidung über Maßnahmen von .besonderer Bedeutung zukommt. Vgl. dazu MüKoBusse von Co/be, § 290 HGB Rn. 6 ff. und 13 ff.; Baumbach/Hopt-Merkt, § 290 HGB Rn. 6; Koller/Roth/Morck-Morck. § 290 Rn. 2. g Die einfache Stimmenmehrheit (§ 290 Abs. 2 Nr. 1) begründet allein schon das MutterTochter-Verhältnis, d. h. wenn dieses Kontrollelement vorhanden ist, kommt es auf die Frage, ob eine "einheitliche Leitung" i.S.v. § 290 Abs. 1 HGB vorliegt, nicht mehr an. § 290 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 - 3 sind daher regelungstechnisch als echte Tatbestandsalternativen ausgestaltet, vgl. Baumbach/Hopt-Merkt, § 290 HGB Rn. 8; MüKo-Busse von Colbe, § 290 HGB Rn. 30. 9 Ekkenga/ Ho/schroer, DStR 2002, 768, 776 li. Sp.; so im Ergebnis wohl auch Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 417; Geibel/ Süßmann-Meyer, § 35 WpÜG Rn. 29 f. In diese Richtung gehen auch Cahn/Senger, Finanz Betrieb 2002, 277, 291.
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4. Kap.: Sonderfalle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
scherweise schon mittels 30% der Stimmenanteile ausgeübt werden kann; wird eine andere Gesellschaft kontrolliert, so bedeute dies nichts anderes, als dass ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden könne JO • Demzufolge wäre ein kontrolliertes Unternehmen i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG immer zugleich auch ein Tochterunternehmen LS.v. § 2 Abs. 6, 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG. (2) Abhängigkeitstatbestand des § 17 AktG
Demgegenüber ist nach der herrschenden Meinung ein i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG kontrolliertes Unternehmen nicht zugleich als "Tochterunternehmen" i.S.v. § 2 Abs. 6 WpÜG anzusehen, sondern es kommt vielmehr maßgeblich auf den Abhängigkeitstatbestand des § 17 AktG an 11 • Der Abhängigkeitstatbestand des § 17 Abs. 1 AktG ist erfüllt, wenn das eine Unternehmen die Möglichkeit hat, beherrschenden Einfluss auszuüben (,,kann"); nicht erforderlich ist dessen tatsächliche Ausübung 12 . Wahrend § 29 Abs. 2 WpÜG die Kontrolle über eine Gesellschaft bereits bei Erreichen des Grenzwertes von 30% der Stimmrechte annimmt, greift die Vermutungsregelung des § 17 Abs. 2 AktG erst bei über 50% der Stimmrechte ("Mehrheitsbesitz") ein. Aus dieser Vorschrift lässt sich ferner entnehmen, dass der Einfluss dann als beherrschend LS.v. § 17 Abs. 1 AktG zu qualifizieren ist, wenn er seiner Art nach dem Einflusspotential einer Mehrheitsbeteiligung vergleichbar ist: Da bei absoluter Stimmrechtsmehrheit schon die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG eingreift, kann im Rahmen von § 17 Abs. 1 AktG eine Minderheitsbeteiligung genügen, wenn sie tatsächlich wie ein Mehrheitsbesitz wirkt - zum Beispiel wegen der fehlenden Präsenz von Minderheitsaktionären auf der Hauptversammlung 13 • Nach dieser Ansicht besteht daher im Rahmen von § 17 Abs. 1 AktG nicht grundsätzlich ein "beherrschender Einfluss", wenn - wie von § 29 Abs. 2 WpÜG geregelt - mindestens 30% der Stimmrechte gehalten werden; vielmehr muss im jeweiligen Eirtzelfall untersucht werden, ob aufgrund der fehlenden Präsenz der Minderheitsaktionäre tatsächlich ein "beherrschender Einfluss" besteht. Ekkenga/Hojsehroer; DStR 2002, 768, 776li. Sp. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 53 ff.; Liebseher; ZIP 2002, 1005, 1006; Schwark-Noaek, § 35 WpÜG Rn. 15; MüKo-Sehlitt, § 35 WpÜG Rn. 101; KK-Versteegen, § 2 WpÜG Rn. 203 f.; so auch die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwwf des WpÜG, NZG 2001, 1003, l0071i. Sp. 12 MüKo-Bayer; § 17 AktG Rn. 11; Hülfer; § 17 AktG Rn. 4; KK-Koppensteiner; § 17 AktG Rn. 17 ff. 13 BGHZ 69, 334, 347 = NJW 1978, 104, 107 (VEBA/Gelsenberg): Beteiligung von 43,74% genügt bei einer Präsenz von 80% auf der Hauptversammlung; BGHZ 135, 107, 114 f. =NJW 1997, 1855, 1856 f. (Volkswagen): Beteiligung von 20% genügt bei einer Präsenz von 37% im mehrjährigen Durchschnitt; vgl. dazu MüKo-Bayer; § 17 AktG Rn. 35; Hülfer; § 17 AktG Rn. 9 m. w.Nw. 10
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I. Umwandlung einer Gesellschaft
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(3) Vermittelnde Lösung von HommelhofflWitt Eine vermittelnde Lösung schlagen HommeihofflWitt l4 vor. Danach ist zwar eine Gesellschaft nicht allein deshalb als "Tochterunternehmen" i.S.v. §§ 2 Abs. 6, 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG zu qualifizieren, weil sie i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG kontrolliert wird; es genügt aber, dass entweder die mittlere oder die untere Gesellschaft die Anforderungen der herrschenden Meinung lS an ein Tochterunternehmen erfüllt. Dies wird damit begründet, dass die Formulierung der "mittelbaren Kontrollerlangung" nicht nur klarstellende Funktion habe, sondern im Vergleich zu § 30 Abs. 1 Nr. 1 eine Sonderregelung darstelle. Nach dieser Auffassung wäre die mittelbare Kontrollerlangung beispielsweise zu verneinen, "wenn [ ... ] jemand 30% der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft erwirbt, die ihrerseits 30% der Stimmrechte an einer anderen börsennotierten Gesellschaft hält", da in diesem Falle weder die mittlere noch die untere Gesellschaft ein Tochterunternehmen i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 darstellt l6 . (4) Stellungnahme Gegen die Auffassung von HommelhofflWitt, die Formulierung der "mittelbaren Kontrolle" i.S.v. § 35 Abs. I Satz 1 WpÜG nehme nicht nur auf § 30 WpÜG Bezug, sondern habe eigenständige Bedeutung, spricht die Gesetzesbegründung: ,,Die Kontrolle kann nicht nur unmittelbar, sondern auf Grund der in § 30 enthaltenen Zurechnung von Stimmrechten auch mittelbar erlangt werden."l7. Im übrigen ist ihre Auffassung auch inkonsequent: Sollte es genügen, dass die mittlere Gesellschaft von der oberen Gesellschaft lediglich kontrolliert wird, so ist nicht verständlich, warum dann die untere Gesellschaft die Voraussetzungen eines "Tochterunternehmens" i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 erfüllen muss; denn § 30 Abs. 1 Nr. 1 bezieht sich nach seinem Wortlaut ("Tochterunternehmen des Bieters") nur auf das Verhältnis zwischen der oberen Gesellschaft - dem "Bieter" (vgl. § 2 Abs. 4 WpÜG) - und der mittleren Gesellschaft l8 . Diese Auffassung ist daher abzulehnen. 14 Haarmann I Riehmer I Schüppen-HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 20 insb. in Fn. 5 und 6. 15 Dazu oben'unter (2). 16 Haarmann/RiehmerlSchüppen-HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 20 in Fn. 5. 17 Begr. RegE., BT-Drucks. 14/7034, S. 59 re. Sp., vgl. dazu auch MüKo-Schlitt, § 35 WpÜG Rn. 101. Dass § 35 Abs. 1 Satz 1 insofern nur klarstellender Charakter zukommt, bejahen im Ergebnis auch SteinmeyerlHäger; § 35 WpÜG Rn. 7; KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 53 ff.; MöllerlPötzsch, ZIP 2001, 1256, 1260; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 18; KK-Versteegen, Anh. § 37 WpÜG, § 9 AngebotsVO Rn. 36; siehe dazu auch bereits oben bei bb) in Fn. 6. 18 Natürlich ist die Anwendung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass sowohl die mittlere Gesellschaft als auch die untere Gesellschaft Tochterunternehmen sind.
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4. Kap.: Sonderfal.le des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
Zwar wäre es aus Gründen der Rechtssicherheit de lege ferenda wünschenswert, den "beherrschenden Einfluss" nicht nach Maßgabe von § 17 Abs. 1 AktG, sondern, wie von der ersten Ansicht vertreten, anhand des Grenzwertes von 30% der Stimmrechte (vgl. § 29 Abs. 2 WpÜG) zu bestimmen 19 . Allerdings hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 6 WpÜG nicht nur den Wortlaut des § 17 Abs. 1 AktG ("einen beherrschenden Einfluss ausüben kann") übernommen, sondern sich in der Gesetzesbegrünung auch ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass "die zu § 17 Abs. 1 AktG entwickelten Grundsätze [ ... ] hier herangezogen werden" können2o• Es liefe also dem Willen des Gesetzebers entgegen, wenn der Begriff des "beherrschenden Einflusses" nicht anhand von § 17 AktG konkretisiert würde21 . Dass der Gesetzgeber an einigen anderen Stellen so verstanden werden kann, als ob eine kontrollierte Gesellschaft i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG immer als Tochterunternehrnen i.S.v. § 2 Abs. 6 WpÜG anzusehen sei 22 , muss angesichts des Wortlautes und der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 6 WpÜG auf eine sprachliche Ungenauigkeit im Rahmen der sonstigen Gesetzesbegründung zurückgeführt werden. Für die Anwendung des § 17 AktG und gegen eine Anwendung des § 29 Abs. 2 WpÜG spricht im Übrigen auch, dass es für den Gesetzgeber ein Leichtes gewesen wäre, ausdrücklich auf § 29 Abs. 2 WpÜG zu verweisen, wenn er dieser Regelung im Rahmen von § 2 Abs. 6 WpÜG Geltung hätte verschaffen wollen. Die letztgenannte Vorschrift nennt ausdrücklich hingegen nur § 290 HGB. Aus diesen Gründen ist de lege lata im Rahmen von § 2 Abs. 6 WpÜG nicht der Kontrollbegriff des § 29 Abs. 2 WpÜG, sondern der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand (§ 17 Abs. 1 AktG) maßgeblich. Ein i.S.v. § 29 Abs. 2 WpÜG kontrolliertes Unternehmen ist also nicht zugleich "Tochtergesellschaft" i.S.v. § 2 Abs. 6 WpÜG. Der Obergesellschaft G4 werden nach den Grundsätzen, die hinsichtlich des § 17 Abs. 1 AktG entwickelt wurden, nur dann die Stimmrechte der 19 Zur Hannonisierung der Tatbestandsvoraussetzung des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestandes (§ 17 Abs. 1 AktG) und des übemahmegesetzlichen Kontrollbegriffs (§ 29 Abs. 2 WpÜG) siehe unten 5. Kapitel I.5.c)bb). 20 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 35. 21 KK-Versteegen, § 2 WpÜG Rn. 204; Stel.lungnahrne des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, l0071i. Sp.; vgl. dazu auch Liebscher; ZIP 2002, 1005, 1006. 22 So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 53: "der Einfluss des Bieters" erstrecke sich "bei Bestehen einer Kontrollsituation nach § 29 Abs. 2 auch auf sämtliche Stimmrechte des Tochterunternehmens" und auf S. 82 li. Sp. zu § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO: "Hält die Muttergesellschaft einen Kontrollanteil an einern anderen Unternehmen, führt die Erlangung der Kontrolle an der Muttergesel.lschaft durch einen Bieter auch zum Erwerb der Kontrolle an der Tochtergesellschaft mit der Folge, dass nach § 35 WpÜG auch für das börsennotierte Tochterunternehmen ein Pflichtangebot abgegeben werden muss." Im Übrigen ist auch § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO ungeschickt formuliert, da es dort heißt: "wer auf Grund der Erlangung der Kontrolle über eine Gesel.lschaft mittelbar die Kontrol.le an einer Zielgesel.lschaft [ ... ] erlangt" (eigene Hevorhebungen). Vgl. dazu auch Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 17,20; Geibel/ Süßmann-Meyer; § 35 WpÜG Rn. 30.
I. Umwandlung einer Gesellschaft
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G2 gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG zugerechnet, wenn beispielsweise G4 mehr als 50% der Aktien von G2 hält (vgl. § 17 Abs. 2 AktG) oder wenn G4 nur 35% der Aktien an G2 hält und zugleich weniger als 70% der Aktionäre durchschnittlich zu den Hauptversammlungen erscheinen23 • Wird dies in der oben gebildeten Konstellation unterstellt, so ist G4 gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG sowohl gegenüber den Aktionären der G2, als auch denen der GI verpflichtet, d. h. es müssten von G4 dann zwei Pflichtangebote abgegeben werden. b) Keine Konkurrenz der beiden Austrittsrechte
Eine Konkurrenz des Austrittsrechts des § 35 Abs. 2 WpÜG und des § 29 Abs. 1 UmwG, die für den Fall der Umwandlung der Zielgesellschaft bereits näher untersucht wurde24, entsteht bei der hier gebildeten Fallkonstellation, bei der die Umwandlung ohne Beteiligung der Zielgesellschaft vonstatten geht, nicht25 . Das Umwandlungsrecht wendet sich nur an die unmittelbar an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften und findet daher nur auf der obersten Stufe Anwendung, d. h. den Aktionären der Gesellschaft G3 wäre ein Barabfindungsangebot zu unterbreiten, wenn in der Gesellschaft G4 Verfligungsbeschränkungen bestehen (§ 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Demgegenüber steht ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG nur den Aktionären der Gesellschaft G2 - d. h. auf der mittleren Stufe des Konzerns - und der Gesellschaft GI - d. h. auf der unteren Stufe des Konzerns - zu 26 • c) Wirtschaftliche Folgen
Dass die Verschmelzung auf der ersten Beherrschungsstufe aufgrund der Zurechnung gemäß §§ 30 Abs. 1 Nr. 1 i.Y.m. § 2 Abs. 6 WpÜG eine doppelte Angebotsverpflichtung gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG der übernehmenden Gesellschaft G4 zur Folge hat, führt dazu, dass eine solche Übernahme 27 sehr verteuert und damit unter Umständen sogar völlig unmöglich gemacht wird28 . Das Ziel des WpÜG, Näher dazu siehe oben Fn. 13. Siehe oben 3. Kapitel 11.1. 25 Vgl. dazu im österreichischen Recht KalsslWinner; ÖBA 2000, 51, 59 mittlere Spalte. Siehe dazu bereits oben 2. Kapitel 1.1. 26 Etwas anderes würde beispielsweise dann gelten, wenn sich auch· in G3 und G4 die Kontrollverhältnisse ändern würden, vgl. dazu auch SeibtlHeiser; ZHR 165 (2001),466,490. Dann handelt es sich aber insofern wieder um einen Fall der Umwandlung der Zielgesellschaft, für den die im 3. Kapitel besprochenen Besonderheiten gelten. 27 Näher zum Begriff der "Übernahme" im wirtschaftlichen Sinne siehe oben zu Beginn des 1. Kapitels. 28 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 82 re. Sp.; vgl. Bernau, WM 2004, 809, 815 f.; Harbarth, ZIP 2002, 321, 3231i. Sp.; Haarrnann/RiehmerISchüppen-HommelhojfIWitt, § 37 WpÜG Rn. 19; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 574 f.; MöllerlPötzsch, ZIP 2001,1256,1260 f.; 23
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
"Übernahmen weder zu fOrdern noch zu verhindern, würde damit konterkariert,,29. Diese Entwicklung ist insbesondere für die kontinental europäischen Märkte sehr bedenklich, weil Tochterunternehmen nicht selten börsennotiert sind, damit dem WpÜG unterfallen (§ 1 WpÜG) und diese Problematik daher häufig vorkommen wird3o . d) Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG
Allerdings kann im Wege der Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG Abhilfe geschaffen werden. Dabei kommt sowohl eine Befreiung aufgrund des konkreten Befreiungsgrundes des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO (aa), als auch aufgrund des abstrakten Befreiungsgrundes des § 37 Abs. 12. Alt. WpÜG in Betracht (bb). Daraufhin wird zu untersuchen sein, ob diese Befreiungsmöglichkeiten dem Problem ausreichend gerecht werden (ce). aa) Befreiung gemäß § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO Nach Maßgabe des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO kann eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG erteilt werden, wenn auf Grund der Erlangung der Kontrolle
über eine Gesellschaft mittelbar die Kontrolle an einer Zielgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 3 WpÜG erlangt wurde und der Buchwert der Beteiligung der Gesellschaft an der Zielgesellschaft weniger als 20% des buchmäßigen Aktivvermögens der Gesellschaft beträgt. Dieser konkrete Befreiungsgrund31 ist nach Ansicht des Gesetzgebers aus zwei Gründen gerechtfertigt: Zum einen bestehe sonst die Gefahr, dass sich Übernahmen erheblich verteuern32 . Außerdem sei in den Fällen, bei denen der Wert der unteren Gesellschaft (hier GI) gegenüber dem Gesamtwert der Gesellschaft, über welche unmittelbar die Kontrolle erworben wird (hier die mittlere Gesellschaft G2), in dem von § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO genannten Umfang wirtschaftlich in den Hintergrund tritt, die untere Gesellschaft nicht das eigentliche Ziel der Übernahme des Bieters33 . Ist die Kontrollerlangung über die untere Gesellschaft in dieSeibt/Heiser; ZHR 165 (2001), 466, 492 in Fn. 74; Schüppen, WPg 2001, 958, 967; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007 =ZIP 2001, 1736, 1739 f. Durch einen Börsengang wertvoller Töchter wäre es möglich, die Muttergesellschaft gegen unerwünschte Übernahmen faktisch zu schützen, vgl. dazu Land, DB 2001, 1707, 1713 in Fn. 76; Schneider/Burgard, DB 2001, 963,966. 29 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 82 re. Sp.; vgl. dazu Möller/Pötzsch, ZIP 2001, 1256, 1260 f.; Riehmer/Schräder; Beilage 5, BB 2001, 10 f. 30 Kleindiek, ZGR 2002, 546, 574 f. 31 Näher zu dieser Begriffiichkeit siehe oben 3. Kapitel II. 32 Siehe oben c).
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ser Weise eher zufällige Folge der eigentlich angestrebten Übernahme der übergeordneten Gesellschaft, so verringert sich die Gefahr, dass der Bieter auf die untere Gesellschaft umfassenden Einfluss ausüben wird 34 . Zudem kann dem Bieter, der eine Kontrollerlangung über die untere Gesellschaft nicht beabsichtigt, ein zweites Pflichtangebot - gegenüber den Aktionären der unteren Gesellschaft GI - weniger zugemutet werden als wenn er mit der Übernahme der übergeordneten Gesellschaft auch die Kontrolle über die untere Gesellschaft bezwecken würde. Somit überwiegt bei Vorliegen des konkreten Befreiungsgrundes des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO typischerweise das Interesse des Bieters, vom Pflichtangebot befreit zu werden, das Interesse der Minderheitsaktionäre der unteren Gesellschaft, ein solches zu erhalten35 • Sofern der Buchwert der Gesellschaft GI weniger als 20% des buchmäßigen Aktivvermögens der Gesellschaft G2 beträgt, kann der Übernahmeinteressent gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG i.Y.m. § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO zumindest von der Angebotsverpflichtung gegenüber den Aktionären der GI befreit werden. bb) Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 2. Alt. WpÜG Die Möglichkeit, den Bieter in diesen Fällen zu befreien, ist - da die Aufzählung in § 9 AngebotsVO nur beispielhaft ise 6 - nicht auf diesen konkreten Befreiungsgrund beschränkt, sondern kann dariiber hinaus auch ausschließlich auf § 37 Abs. 1 WpÜG gestützt werden. Der Kontrollerwerber kann eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG beispielsweise auch dann erhalten, wenn er auf andere Weise als mit Hilfe des Buchwertes 33 Begr. RegE, BT-Drucks. 1417034, S. 82 re. Sp.; vgl. zu der ratio legis von § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO auch Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 19; Kleindiek, ZGR 200, 546, 575; Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 51; Seiht/Heiser; ZHR 165 (2001),466,492 in Fn. 74. 34 Bemau, WM 2004, 809, 816; Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 19; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.Y. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007 re. Sp. 35 Selbstverständlich bleibt es jedoch trotz Vorliegens des konkreten Befreiungsgrundes des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO dabei, dass die BaFin gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG eine Ermessensentscheidung (,,kann") zu treffen hat. In deren Rahmen hat sie insbesondere zu überprüfen, ob im jeweiligen Einzelfall die Befreiung zu versagen ist, weil den Kontrollerwerber doch ein besonderes Interesse an der unteren Gesellschaft zur Übernahme der mittleren Gesellschaft bewogen hat oder weil er gewisse Ziele mit der Kontrollerlangung verfolgt, welche die Minderheitsaktionäre der unteren Gesellschaft schutzwürdig erscheinen lassen, vgl. Lenz/Behnke, BKR 2003, 43, 51; Steinmeyer/Häger; § 37 WpÜG Rn. 35. Durch geeignete Nebenbestimmungen, z. B. eine Bedingung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, kann sichergestellt werden, dass bei etwaigen Änderungen seiner Zielsetzungen, die Befreiung nachträglich entfallt, vgl. dazu Geibel / Süßmann-Meyer; § 37 WpÜG Rn. 37; näher dazu bereits oben 3. Kapitel ll.1.d). 36 Siehe dazu oben 3. Kapitel ll.
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
(§ 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO) belegt, dass die Gesellschaft - die auf der letzten Beherrschungsstufe steht (untere Gesellschaft), hier GI - so unbedeutend ist, dass sie nicht das wesentliche Ziel seiner Übernahme ist37 • Dieser Sachverhalt kann dem abstrakten Befreiungsgrund "die mit der Erlangung der Kontrolle beabsichtigte Zielsetzung" LS.v. § 37 Abs. 1 2. Alt. zugeordnet werden 38 . So können als andere Kriterien der Anteil der Gesellschaft am Umsatz, am Ertrag oder an der Mitarbeiterzahl der übergeordneten Gesellschaft herangezogen werden 39 . Selbst wenn der Buchwert der Gesellschaft die Quote von 20% übersteigt, kann also eine Befreiung der Konzernobergesellschaft - hier G4 - von der Angebotsverpflichtung gegenüber den Aktionären der unteren Gesellschaft erfolgen.
cc) Anhebung des Grenzwertes des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO de lege ferenda?
Im Wege der Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG kann bei der Umwandlung einer Muttergesellschaft die Belastung der übernehmenden Gesellschaft mit zwei Pflichtangeboten auf ein Pflichtangebot reduziert werden. Fraglich ist jedoch, ob die in § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO genannte Quote von 20% des buchmäßigen Aktivvermögens der Mutter noch zu wenige Fälle erfasst und deshalb de lege ferenda eine Anhebung dieses Grenzwertes ratsam erscheint40 • Es wird beispielsweise eine Anhebung auf die Quote von 50% des buchmäßigen Vermögens vorgeschlagen41 • Zur Begründung dieser Anhebung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass bei der Diskussion in Schrifttum und Rechtsprechung, in welchen Fällen der Vor37 Bernau, WM 2004,809,816; Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 19; Kleindiek, ZGR 2002, 546, 575; so im Ergebnis auch Geibel/ Süßmann-Meyer; § 37 WpÜG Rn. 36, der davon spricht, dass ,jnsbesondere" dann davon auszugehen ist, dass die Tochtergesellschaft nicht das eigentliche Ziel der Übernahme des Bieters ist, wenn der Grenzwert des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO unterschritten wird. Dieser Wert sei eben nur "eine Richtschnur". 38 Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 19. ~9 Haarmann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 37 WpÜG Rn. 20 in Fn. 20; Dies wird auch in der Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007, gefordert, ohne sich jedoch zur Subsumtion unter den Tatbestand des § 37 Abs. 1 WpÜG zu äußern. 40 Dafür sprechen sich die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007 re. Sp. sowie einige Diskussionsteilnehmer in einer von Hopt geleiteten Diskussion aus, vgl. Adolff, ZGR 2002, 579, 582. Die Anregung des Handelsrechtsausschusses des DAV wurde bereits während des Gesetzgebungsverfahrens geäußert, konnten den Verordnungsgeber jedoch nicht überzeugen, vgl. Kleindiek, ZGR 2002, 546, 575. Für nicht ausreichend hält § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO auch Krause, NJW 2002, 705, 7l3. 41 Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007 re. Sp.
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stand eine Entscheidung der Hauptversammlung nach den Grundsätzen der "Holzmüller"-Entscheidung des BGlf2 einholen muss, anstatt der früher vielfach genannten Quoten von 20 bis 25 % mittlerweile ebenfalls auf höhere Quoten abgestellt werde. Dieser Vergleich zeige, dass auch die Quote im Rahmen von § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO angehoben werden sollte43 . Da der BGH in seiner "Holzmüller"-Entscheidung zunächst nicht näher festgelegt hatte, welche qualitativen und quantitativen Voraussetzungen an eine "Grundlagenentscheidung" zu stellen sind44 , wurden in Rechtsprechung und Schrifttum in diesem Zusammenhang verschiedene Bezugsgrößen und sehr unterschiedliche Werte als quantitative Grenze vorgeschlagen, bei deren Überschreitung der Vorstand eine Entscheidung der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG einholen muss: Das Spektrum reichte von 10% des Gesamtwertes des Konzerns 45 , 10% des Grundkapitals46 oder 10% des Gesellschaftsvermögens47 bis zu 75% des Buchvermögens oder des Umsatzes48 . Die überwiegende Ansicht sprach sich für einen Schwellenwert von 50% des Aktivvermögens oder des Grundkapitals aus49 • Maßnahmen, die einen Vermögenswert betreffen, der unterhalb dieser Grenzen
=
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42 BGHZ 83,122, 131 f. NJW 1982, 1703, 1705 AG 1982, 158, 160 (Holzmüller). In dieser Entscheidung hat der BGH eine Pflicht des Vorstands angenommen, die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen, wenn er einen Betrieb, der ungefähr 80% des Gesellschaftsvermögens ausmacht, durch Übertragung auf eine zu diesem Zweck errichtete Tochtergesellschaft aus dem bisherigen Gesellschaftsunternehmen ausgliedert. Zunächst stützte der BGH die Notwendigkeit, die Hauptversammlung zu beteiligen, darauf, dass das Ermessen i.S.v. § 119 Abs. 2 AktG ("kann") in einem solchen Fall auf Null geschrumpft sei, da solche grundlegenden Entscheidungen "tief in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre [ ... ] eingreifen", vgl. BGHZ 83,122, 131; zustimmend Hülfer, FS Ulmer, S. 279, 284 ff.; ders., § 119 AktG Rn. 18; Semler, in: MünchHdb AG, § 34 Rn. 42; a.A. Altmeppen, OB 1998,49,50 f.; Emmerich/Habersack-Habersack. Vor § 311 AktG Rn. 36; Joost, ZHR 163 (1999), 164, 169 ff. insb. 173 ff.; Priester, ZHR 163 (1999), 187, 195 m.w.Nw., die sich für eine Gesamtanalogie zu denjenigen Vorschriften aussprechen, die eine Zuständigkeit der Aktionärversammlung in Strukturangelegenheiten begründen (vgl. §§ 179, 179a, 293 Abs. 2, 319 AktG, §§ 3 Abs. 1,65 Abs. 1 UmwG). Inzwischen hat sich der BGH in seiner "Gelatine"-Entscheidung demgegenüber dafür ausgesprochen, die Zuständigkeit der Hauptversammlung als eine offene Rechtsfortbildung anzusehen, BGHZ 159,30,42 f. = AG 2004,384,387 (Gelatine); zustimmend Habersack. AG 2005, 137, 142 f.; ablehnend insofern Koppensteiner, Der Konzern 2004,381,385 f.; Liebseher, ZGR 2005,1,20 ff. 43 Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAVe.V. zum Regierungsentwurf des WpÜG, NZG 2001, 1003, 1007 re. Sp. 44 Fuhnnann, AG 2004, 339, 340; MüKo-Kubis, § 119 AktG Rn. 32. 45 Emmerich/Habersack-Habersack, 2. Auflage, Vor § 311 Rn. 19. 46 Gessler, FS Stimpel, S. 771, 787. 47 LG Frankfurt, AG 1993,287,288. 48 Hülfer, FS Ulmer, S. 279, 295; ders., § 119 AktG Rn. 18b; Simon, in: Simon/Heckschen, Umwandlungsrecht, § 4 Rn. 46. 49 LG Düsseldorf AG 1999, 94, 95; Groß, AG 1994, 266, 272; Henze, FS Ulmer, S. 223; MüKo-Kubis, § 119 AktG Rn. 47 m.w.Nw. in Fn. 156; SemlerIStengeI-Schlitt, Anh. § 173 UmwG Rn. 33; Veil, ZIP 1998, 361, 369.
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4. Kap.: Sonderfalle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
liegt, würden jeweils im autonomen Bereich des Vorstandshandelns verbleiben. Inzwischen hat der BGH in seiner sog. "Gelatine"-Entscheidung klar gestellt, dass die quantitative Grenze erst dann erreicht ist, wenn weit über 50% des Vermögens der Gesellschaft betroffen sind5o . Dieser Vergleich mit der quantitativen Grenze der "Holzmüller"-Entscheidung kann nicht überzeugen, da sich die Fragen, ob den Aktionären in der Hauptversammlung eine Entscheidungsbefugnis zustehen und ob sie ein Austrittsrecht gemäß § 35 Abs. 2 erhalten sollen, fundamental unterscheiden: Im ersten Fall geht es um die Kompetenzverteilung innerhalb der AG; eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass dem Vorstand die Geschäftsführungsbefugnis zusteht (vgl. § 76 AktG), kann nur in engen Grenzen in Betracht kommen 51 • Demgegenüber wird die Kompetenzverteilung innerhalb der AG durch das Austrittsrecht des § 35 Abs. 2 WpÜG nicht berührt. Daher spricht der Vergleich dieser beiden Situationen nicht dafür, dem Austrittsrecht - mit Hilfe weitreichender Befreiungsmöglichkeiten gemäß § 37 WpÜG LY.m. § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO - ähnlich enge Grenzen zu setzen wie den Mitentscheidungskompetenzen der Hauptversammlung. Außerdem wird in der Gesetzesbegründung die Regelung des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO insbesondere damit gerechtfertigt, dass bei einem Unterschreiten des Grenzwertes von 20% des Gesamtwertes der Mutter "die Tochtergesellschaft häufig nicht das eigentliche Ziel der Übernahme des Bieters sein" wird52 . Bei einem Grenzwert von 50% könnte davon nicht mehr gesprochen werden. Daher wäre angesichts der ratio legis des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO allenfalls eine sehr moderate Erhöhung der Quote denkbar. Des weiteren wurde bereits aufgezeigt, dass, selbst wenn der Buchwert der Tochtergesellschaft die Quote von 20% übersteigt, eine Befreiung der Muttergesellschaft gemäß § 37 Abs. 1 2. Alt. WpÜG erfolgen kann, wenn anband anderer Kriterien die geringe Bedeutung der Tochtergesellschaft für die Übernahmeentscheidung belegt wird. Da somit über § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO hinaus die Belastung des Über50 Der BGH führt in dieser Entscheidung aus, dass die "im Schrifttum [ ... ] genannten Schwellenwerte [ ... ] zwischen 10 und 50%" nicht ausreichen können. Der ,,Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt," muss ,,in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung in dem vom Senat entschiedenen ,Holzmüller'-Fall" erreichen, BGHZ 159, 30, 45 = AG 2004, 384, 388 (Gelatine). Da im "Holzmüller"-Fall nahezu 80% der Aktiva der Gesellschaft betroffen waren, wird davon ausgegangen, dass ein entsprechender Fall erst vorliegt, wenn mehr als 75% des Wertes der Gesellschaft betroffen sind, vgl. FuhnruJnn, AG 2004, 339, 341; Liebseher, ZGR 2005, 1, 15; Reichert, AG 2005, 150, 153; so bereits vor der Entscheidung des BGH Hüf!er, § 119 AktG Rn. 18b; Sirrwn, in: Simon/Hecksehen, Umwandlungsrecht, § 4 Rn. 46. 51 Dies wird vom BGH insbesondere damit begründet, dass es "in einer global vernetzten Wirtschaftsordnung" darauf ankommt, "sich bietende Chancen umgehend zu nutzen oder aufkommenden Risiken sogleich zu begegnen", so dass eine zu enge Bindung an Entschließungen der nicht ständig präsenten Hauptversammlung unpraktikabel wäre und die Gesellschaft lähmen würde, vgl. BGH AG 2004, 384, 388 (Gelatine). 52 Siehe dazu oben Fn. 33.
I. Umwandlung einer Gesellschaft
161
nehmenden von zwei Ptlichtangeboten auf ein Pflichtangebot reduziert werden kann, bedarf es keiner Ausweitung des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO. 2. Verschmelzung einer Tochtergesellschaft mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft Nun ist zu untersuchen, welche Folgen die Zurechnungsregelung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG haben kann, wenn nicht die Muttergesellschaft, sondern ihr Tochterunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 6 WpÜG mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft verschmolzen wird. Bei der soeben dargestellten Ausgangsituation kann anstatt der Muttergesellschaft G3 ihre Tochtergesellschaft G2 mit der Gesellschaft G4 verschmelzen.
G3
G3
Gl GI
----> 0
G4
GI
Schaubild 4
Dies hätte zur Folge, dass die Aktionäre, welche bislang der unkontrollierten Gesellschaft G4 angehörten, von G3 ein Pflichtangebot erhalten. Die Aktionäre der GI sind zwar dem neuen Kontrollaktionär G4 ausgesetzt; da jedoch der Tochtergesellschaft G4 aufgrund der Beherrschung durch ihre Muttergesellschaft in der Regel die tatsächliche Möglichkeit zur Kontrollausübung fehlen wird, ist insofern regelmäßig eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 5. Alt. möglich53 • Die Zurechnungsregelung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung: Zwar würden G3 die Stimmrechte, die G4 an GI hält, gemäß dieser Vorschrift zugerechnet. G3 hatte jedoch auch bereits vor der Umwandlung die gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG zugerechnete Kontrolle über GI inne. Es wäre demnach nur ein Pflichtangebot abzugeben. 53
Dazu sogleich unter c)aa).
11 TIries
162
4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
a) Entstehung von drei Angebotsverpflichtungen?
Es sind jedoch Fallkonstellationen denkbar, bei denen eine Tochtergesellschaft mit einer außerhalb des Konzerns stehenden Gesellschaft verschmolzen wird und die Zurechnungsregelung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG wirtschaftlich nicht erwünschte Folgen nach sich zieht. Kontrolliert beispielsweise die Gesellschaft G2 wie bei der ersten Konstellation die Gesellschaft GI (§ 29 Abs. 2 WpÜG) und wird dann G2 auf G5 - dem Tochterunternehmen einer Gesellschaft G4, die auch nach der Umwandlung mehr als 50% der Stimmrechte an G5 hält (§ 2 Abs. 6 WpÜG LY.m. § 17 Abs. 2 AktG) - verschmolzen, so wären insgesamt sogar drei Pflichtangebote denkbar54 .
G4
G2
C? ....
>
~
G4
es
GIet
GS
GI
Schaubild 5
Erstens muss die Gesellschaft G4 den bisherigen Aktionären der G2, die sich nach dem Umtausch ihrer Aktien in der kontrollierten G5 wiederfinden, ein Pflichtangebot unterbreiten 55. Außerdem erwirbt die G5 infolge der Verschmelzung mit G2 die Aktien der GI
(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG), so dass sie - obwohl es sich (nur) um einen Kontroll-
wechsel handelt - grundsätzlich den Aktionären der GI ein Pflichtangebot gewähren müsste56 . Des weiteren könnte ein drittes Pflichtangebot von der Gesellschaft G4 gegenüber den Aktionären der GI abzugeben sein. Die Gesellschaft G5 ist das Tochterunternehmen der G4 i.S.v. § 2 Abs. 6 WpÜG, so dass eigentlich ihre Stimmrechte 54 Dies ist selbstverständlich auch möglich, wenn ein Teil der Gesellschaft G2 einschließlich ihrer Beteiligung an GI auf die Gesellschaft G5 abgespaltet würde, vgl. dazu Seiht/Heiser, ZHR 165 (2001),466, 49l. 55 Nur diese Aktionäre sind schutzwürdig, näher dazu 2. Kapitel 111.2. 56 Näher zum Kontrollwechsel siehe oben 4. Kapitel I.l.a)aa).
I. Umwandlung einer Gesellschaft
163
gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG der Muttergesellschaft G4 zugerechnet werden und diese mittelbar die Kontrolle an GI erlangt (§ 35 Abs. 1 WpÜG). In dieser Konstellation hätten daher eigentlich die Gesellschaft G4 zwei und die Gesellschaft G5 ein Pflichtangebot herauszulegen. b) Wirtschaftliche Folgen
Den Aktionären der unteren Gesellschaft GI müssen nicht zugleich zwei Austrittsmöglichkeiten gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG zustehen, um sie effektiv nach dem Entstehen einer neuen KontrollsituationS7 zu schützen58. Daher sollte der mit dieser Verdoppelung der Pflichtangebote verbundene Aufwand vermieden werden. Außerdem spricht gegen eine Angebotsverptlichtung der Gesellschaft G5, dass sie als Tochterunternehmen von ihrer Mutter - der ebenfalls gemäß § 35 WpÜG verptlichteten Gesellschaft G4 - beherrscht wird (vgl. § 2 Abs. 6 WpÜG) und mithin im Regelfall tatsächlich keine Möglichkeit haben wird, die Kontrolle über GI eigenständig auszuüben 59 . Nach ~irtschaftlicher Betrachtung ist daher G4 der wahre Kontrollinhaber in dem verbleibenden Konzern. c) Keine doppelte Angebotsverpflichtung von Mutter und Tochter gegenüber den Aktionären der unteren Gesellschaft
Aufgrund dessen ist sich die ganz überwiegende Meinung einig, dass Mutter und Tochter keine doppelte Verptlichtung gegenüber denselben Aktionären zugemutet werden kann und daher regelmäßig ein Pflichtangebot genügt, um den Aktionären der unteren Gesellschaft - hier GI - den Ausstieg aus ihrer Gesellschaft zu einem angemessenen Preis zu ermöglichen60 . Es ist jedoch sehr umstritten, wie dieses Ergebnis dogmatisch erreicht werden kann. Das umfasst auch einen Kontrollwechsel, siehe oben 4. Kapitel I.1.a)aa). Vgl. KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 171; Ekkenga/Hofschroer; DStR 2002, 768, 775 f.; Hopt, ZHR 2002 (166), 383,416 f.; GeibeI/Süßmann-Meyer; § 35 WpÜG Rn. 27; Apfelbacher/Barthelmess/Buhl/von Dryander-Kopp/von Dryander; § 35 WpÜG Rn. 11; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 22 f.; Seiht/Heiser; ZHR 165 (2001), 466, 491 f.; MüKoSchUtt, § 35 WpÜG Rn. 50; Steinmeyer/Häger; § 35 WpÜG Rn. 38. S9 Vgl. Haarmann/RiehmerISchüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 34; Seiht/ Heiser; ZHR 165 (2001), 466, 491. Da die Tochtergesellschaft beherrscht wird i.S.v. § 17 Abs. 1 AktG (§ 2 Abs. 6 WpÜG), ist es regelmäßig auch auf den Einfluss der Mutter zurückzuführen, dass in der Tochtergesellschaft der Umwandlungsbeschluss zustande kommt (§§ 13 Abs. 1, 65 Abs. 1 UmwG). Entstehen der Tochtergesellschaft aufgrund einer Angebotsverpflichtung gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG Kosten, wären diese daher von der Mutter im Wege des Nachteilsausgleichs gemäß §§ 311, 317 AktG zu erstatten, vgl. dazu Ehricke/Ekkengal Oechsler-Ekkenga/ Schutz, § 35 WpÜG Rn. 65. 60 Adolff, ZGR 2002, 579, 582; Ekkenga/Hofschroer, DStR 2002, 768, 775 f.; Haarmannl RiehmerISchüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 34; Hopt, ZHR 2002 (166), 383, 57
58
11"
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
aa) Fünf Lösungsvarianten Erstens wird vorgeschlagen, den Zurechnungstatbestand des § 30 Abs. I Nr. 1 WpÜG dahingehend auszulegen, dass die Stimmrechte für die Berechnung einer Kontrollposition ausschließlich der obersten Kontrollstufe zugerechnet werden (Absorption)61. Eine Verpflichtung der Tochter aus § 35 WpÜG würde danach erst gar nicht entstehen. Zweitens könnte zwischen der Veröffentlichungspflicht (§ 35 Abs. 1 WpÜG) und der Angebotspflicht (§ 35 Abs. 2 WpÜG) in der Weise unterschieden werden, dass sich zwar die Verpflichtung des § 35 Abs. 1 WpÜG - aufgrund der Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG - an Mutter und Tochter richtet, der Mutter jedoch gemäß § 24 WpHd'2 analog die Möglichkeit eröffnet wird, diese Pflicht mit befreiender Wirkung auch für die Tochter zu erfüllen, indem sie die von der Tochter gehaltenen Stimmrechte zutreffend auflistet. Da der Tatbestand des § 35 Abs. 2 WpÜG an die Veröffentlichung gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG anknüpft63 , würde demzufolge die Angebotsverpflichtung nur in der Person der Mutter entstehen 64 . Demgegenüber wäre, drittens, denkbar, dass sich zwar nicht nur die Veröffentlichungs- (§ 35 Abs. 1 WpÜG), sondern auch die Angebotspflicht (§ 35 Abs. 2) an Mutter- und Tochtergesellschaft richten, diese Vorschriften jedoch im Wege einer teleologischen Reduktion dahingehend ausgelegt werden, dass die Erfüllung der Pflichten durch die Mutter oder die Tochter jeweils dem anderen zugerechnet werden6s . Das würde bedeuten, dass nicht nur die Mutter für die Tochter, sondern auch 416 f.; GeibeI/Süßmann-Meyer. § 35 WpÜG Rn. 27; Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 22 f.; MüKo-Schlitt. § 35 WpÜG Rn. 50; Seibt/Heiser. ZHR 165 (2001),466,491 f.; Steinmeyer/ Häger. § 35 WpÜG Rn. 38; KK-von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 171; Stellungnahme des HandeIsrechtsausschusses des DAV. NZG 2001, 1003, 1007. A.A. Ehricke/Ekkenga/OechslerEkkenga/Schu1z. § 35 WpÜG Rn. 49, die in diesen Fällen nur ausnahmsweise eine Befreiung gemäß § 37 WpÜG für möglich halten. Threr Ansicht nach ist der Aufwand für Mutter und Tochter dadurch ausreichend reduziert, dass die Aktionäre nur eines der beiden Pflichtangebote annehmen können. 61 Seibt/Heiser. ZHR 165 (2001),466,491 f.; ablehnend äußern sich dazu Haarrnannl RiehmerISchüppen-Hommelhoff/Witt. § 35 WpÜG Rn. 33; Kleindiek. ZGR 2002, 546, 576; Steinmeyer / Häger. § 30 WpÜG Rn. 43. 62 Gemäß dieser Vorschrift können die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. I und la durch das Mutterunternehmen erfüllt werden, wenn der Meldepflichtige zu einern Konzern gehört. 63 Näher dazu siehe 1. Kapitelll.l.c). 64 Schwark-Noack. § 35 WpÜG Rn. 22 f.; so ursprünglich auch Ekkenga/Hofschroer. DStR 2002, 768, 775 f., die jedoch inzwischen ihre Ansicht aufgegeben haben, vgl. Ehrickel Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz. § 35 WpÜG Rn. 49 in Fn. 132. 6S KK-von Bülow, § 35 WpÜG Rn. 171; Apfelbacherl Barthelmess I Buhl I von DryanderKopp/von Dryander. § 35 WpÜG Rn. 13; Geibel/ Süßmann-Meyer. § 35 WpÜG Rn. 27; MüKo-Schlitt. § 35 WpÜG Rn. 50; Süßmann. WM 2003, 1453, 1457. Sofern einer der Kontrollerwerber der BaFin ein Angebot übermittelt, würden die Verpflichtungen der übrigen Kontrollerwerber aus § 35 Abs. 2 WpÜG einstweilen "suspendiert". Erst nachdem das Pflicht-
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165
die Tochter für die Mutter mit befreiender Wirkung handeln könnte. Vorauszusetzen wäre dabei jeweils, dass die Konditionen des Pflichtangebotes, insbesondere seine Höhe, dem entsprechen, was den Aktionären der Zielgesellschaft im für sie günstigeren Fall von einem der beiden Kontrollerwerber zu bieten gewesen wäre66 : Sofern beispielsweise die Tochtergesellschaft - hier G5 - einen Vorerwerb von Aktien der unteren Gesellschaft - hier G1 - i.S.v. § 31 Abs. 1 S. 2 WpÜG i.Y.m. § 4 AngebotsVO getätigt hat, müsste sich daher auch ein Pflichtangebot der Mutter daran orientieren. Ferner könnte, viertens, zugelassen werden, dass sich Mutter und Tochter zu einer Bietergemeinschajt zusammenschließen, die gemeinsam ein Pflichtangebot abgibt, um damit beide Angebotsverpflichtungen zu erfüllen67 . Aus einem solchen gemeinsamen Angebot würden Mutter und Tochter dann als Gesamtschuldner gemäß § 421 BGB haften68 . Schließlich könnte, fünftens, die BaFin dem Tochterunternehmen regelmäßig eine Befreiung gemäß § 37 Abs. 1 5. Alt. WpÜG gewähren, da ihm - angesichts des "beherrschenden Einflusses" durch die Mutter (§ 2 Abs. 6 WpÜG LY.m. § 17 Abs. 1 AktG)69 - üblicherweise die "tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle" i.S.v. § 37 Abs. 1 fehlen wird70 und die Aktionäre der unteren Gesellschaft ausreichend geschützt werden durch das Pflichtangebot der Mutter. Statt der Tochter - hier G5 - könnte auch die Mutter - hier G4 - unter den Voraussetzungen des § 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO oder des § 37 Abs. 1 2. Alt. ("beabsichtigte angebot ordnungsgemäß durchgeftihrt worden ist, würden die Verpflichtungen endgültig entfallen. 1m umgekehrten Fall - wenn beispielsweise das Angebot wegen Insolvenz des Bieters nicht durchgeführt werden konnte - entfallt der Suspensiveffekt des zuerst abgegebenen Angebotes und leben ftir alle Kontrollerwerber die Verpflichtungen aus § 35 Abs. 2 WpÜG wieder auf. Vgl. dazu KK-Von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 171. 66 KK-von Bülow. § 35 WpÜG Rn. 171; MüKo-Schlitt. § 35 WpÜG Rn. 50. 67 So Hopt. ZHR 2002 (166), 383, 417; Schwark-Noack. § 35 WpÜG Rn. 23; vgl. dazu auch Steinmeyer/Häger; § 35 WpÜG Rn. 38, GeibellSüßmann- Süßmann. § 29 WpÜG Rn. 31, ders., WM 2003. 1453, 1457, weIche die Abgabe eines gemeinsamen Angebotes vor allem im Zusammenhang mit der Zurechnung von Stirnrnrechten im Falle von Stirnrnbindungsvereinbarungen ("acting in concert", § 30 Abs. 2 WpÜG) diskutieren. Pentz. ZIP 2003, 1478, 1488 f., hält die Bildung einer Bietergemeinschaft nur aufgrund einer Verftigung der BaFin analog § 37 WpÜG ftir zulässig; im Ergebnis ähnlich Apfelbacher/Barthelmessl Buhl I von Dryander-Kopp/von Dryander; § 35 WpÜG Rn. 13, weIche eine Absprache mit der BaFin voraussetzen. 68 Schwark-Noack, § 35 WpÜG Rn. 23. 69 Näher dazu siehe oben 4. Kapitel I.l.a)bb)(2). 70 Daf'ür Haarrnann/RiehmerISchüppen-Hommelhof{/Witt. § 35 WpÜG Rn. 34 Kleindiek. ZGR 2002, 546, 576; Steinmeyer/Häger; § 30 WpÜG Rn. 43; Stellungnahme des Handeisrechtsausschusses des DAV, NZG 2001,1003, 1007 re. Sp.; Baums/Thoma-Baums/Hecker; § 35 WpÜG Rn. 293. Vgl. ferner dazu Apfelbacherl Barthelmess I Buhl I von DryanderKopp/von Dryander; § 35 WpÜG Rn. 14; Seibt/Heiser; ZHR 165 (2001),466,491. Diesen Weg bevorzugen auch Ehricke I Ekkengal Oechsler-Ekkenga/Schulz. § 35 WpÜG Rn. 49; sie halten jedoch eine Befreiung nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise ftir möglich.
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
Zielsetzung") befreit werden 71. Die schutzwürdigen Aktionäre der GI müssen ein Pflichtangebot erhalten; dieses kann entweder von der Mutter oder von der Tochter abgegeben werden. bb) Keine Absorption Die Stimmrechte gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG nach der ersten Lösungsvariante ausschließlich der obersten Kontrollstufe - hier der Mutter - zuzurechnen (Absorption), kann insofern nicht befürwortet werden, als § 30 WpÜG nach dem Vorbild des § 22 WpHG72 konstruiert wurde73 • Im Rahmen von § 22 WpHG wurde bisher schon von der allgemeinen Ansicht in vergleichbaren Fällen angenommen, dass eine doppelte Mitteilungspflicht besteht; dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der amtlichen Überschrift (,,zurechnung von Stimmrechten"), wonach nur eine Hinzurechnung, aber keine Hinwegrechnung der Stimmrechte angeordnet wird74 . In der Gesetzesbegründung zu § 30 WpÜG wird ausdrücklich davon gesprochen, dass sich diese ,,zurechnungsvorschrift [ ... ] an der in § 22 WpHG enthaltenen bisherigen Zurechnungsvorschrift [ ... ] orientiert" und keine unterschiedlichen Zurechnungsmethoden gelten sollen, um Irritationen am Kapitalmarkt zu vermeiden7S. Außerdem weichen auch die Wortlaute der beiden Vorschriften nur unwesentlich insofern voneinander ab, als sie an den übrigen Begriffen des jeweiligen Gesetzes auszurichten waren: So spricht § 22 Abs. 1 WpHG vom ,,Meldepflichtigen" und § 30 Abs. 1 WpÜG vom ,,Bieter". Aus diesen Gründen müssen für § 30 WpÜG dieselben Grundsätze gelten wie für § 22 WpHG.
71 Denn bei der Verschmelzung von G5 mit G2 handelt es sich auch um die Verschmelzung einer Muttergesellschaft, wenn G2 die GI beherrscht. Die Konstellation, dass eine Muttergesellschaft von einer Verschmelzung betroffen ist, wurde oben ausführlich besprochen, siehe 4. Kapitell.l. 72 § 22 WpHG in seiner heutigen Fassung lautet: ,,(1) Für die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 und la stehen den Stimmrechten des Meldepflichtigen Stimmrechte aus Aktien der börsennotierten Gesellschaft gleich, 1. die einem Tochterunternehmen des Meldepflichtigen gehören, ...". 73 So im Ergebnis auch Kleindiek, ZGR 2002,546,576; Steinmeyer/Häger;§ 30 WpÜG Rn. 43; Haannann/Riehmer/Schüppen-Hommelhoff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 33. 74 Burgard, BB 1995,2069,2072; Assrnann/Schneider-Schneider; § 22 WpHG Rn. 14; Schwark-Schwark, § 22 WpHG Rn. 32; so im Ergebnis auch Hüffer; Anh. § 22 AktG, § 22 WpHG Rn. 6. Dafür spricht im übrigen auch der Umstand, dass § 24 WpHG für Tochterunternehmen eine besondere Regelung zur Vermeidung von Doppelmeldungen enthält, vgl. Burgard, BB 1995, 2069, 2072. Im Rahmen von § 16 Abs. 4 AktG wird eine Absorption ebenfalls von der ganz herrschenden Meinung abgelehnt, vgl. LG Berlin AG1998, 195, 196; MüKo-Bayer; § 16 AktG Rn. 45; Hüffer; § 16 AktG Rn. 13; KK-Koppensteiner; § 16 AktG Rn. 27. 75 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034, S. 53.
I. Umwandlung einer Gesellschaft
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cc) Fehlende Regelungslücke aufgrund des Diskussionsentwurfs vom 29. 06. 2000 Die zweite Variante, wonach die Mutter gemäß § 24 WpHG analog die Veröffentlichungspflicht des § 35 Abs. 1 WpÜG mit befreiender Wirkung auch für die Tochter erfüllen darf und dann nur in ihrer Person die Angebotspflicht des § 35 Abs. 2 WpÜG entsteht, ist insofern von Nachteil, als nicht die Tochter in umgekehrter Richtung die Verpflichtungen aus § 35 WpÜG mit befreiender Wirkung für ihre Mutter erfüllen kann. Innerhalb des Konzerns kann es nämlich aus praktischen Gründen - zum Beispiel weil die Tochter besonders finanzstark ist - von Vorteil sein, dass ausschließlich die Tochter die Verpflichtungen erfüllt. Daher wäre insofern die dritte Variante, wonach entweder die Tochter oder die Mutter die Verpflichtungen aus § 35 WpÜG erfüllen darf, vorzugswürdig. Dogmatisch könnte diese dritte Variante entweder im Wege einer restriktiven Auslegung des § 35 WpÜG, einer teleologischen Reduktion dieser Vorschrift76 oder im Wege einer analogen Anwendungvon 422 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet werden. Erfüllt einer der beiden Kontrollerwerber die Verpflichtung des § 35 WpÜG, so sind die Aktionäre der kontrollierten unteren Gesellschaft ausreichend geschützt; somit erfordert die ratio legis dann nicht mehr eine Anwendung des § 35 WpÜG. Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 ("Wer [ ... ] die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, hat...") richtet sich sowohl an die Mutter, als auch an die Tochter, da beide aufgrund der Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 die Kontrolle erlangen. Die Fonnulierung des § 35 Abs. 2 WpÜG (,,Der Bieter hat... ") erfasst ebenfalls Mutter und Tochter, da diese Nonn tatbestandIich an § 35 Abs. 1 WpÜG anknüpft77 , d. h. derjenige, welcher die Kontrolle erlangt, ist als "Bieter" i.S.v. § 35 Abs. 2 WpÜG anzusehen78 • Somit verlangt der Wortlaut von § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG von beiden ein Tätigwerden; eine restriktive Auslegung des Wortlautes dahingehend, dass ausnahmsweise die Handlung einer Person genüge, ist nicht möglich. Über diesen eindeutigen Wortlaut des § 35 WpÜG könnte man sich nur im Wege einer teleologischen Reduktion hinwegsetzen79 • Dafür Geibel/Süßmann-Meyer, § 35 WpÜG Rn. 27. Näher dazu oben 1. Kapitel II.1.c). 78 Vereinzelt wurde darüber nachgedacht, ob der Begriff "Bieter" i.S.v. § 35 Abs. 2 WpÜG sich möglicherweise nur an eine der beiden Personen richtet, vgl. Hopt, ZHR 166 (2002), 383,416 f. Hopt lehnt dies aber mit der Begründung ab, dass dies vom Gesetz ausweislich der Begründung offensichtlich nicht gewollt sei. Dies ergebe sich vor allem aber auch aus § 2 Abs. 4 WpÜG, wonach "Bieter [ ... ] natürliche oder juristische Personen" sind, "die allein oder gemeinsam mit anderen Personen ein Angebot abgeben, ein solches beabsichtigen oder zur Abgabe verpflichtet sind". Demzufolge setzt der Begriff der ,,Bieter" bereits voraus, dass die betreffende Person gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet ist, so dass er nicht geeignet ist, den Personenkreis der Verpflichteten zu begrenzen. Vgl. dazu auch Haarmann/ Riehmer / Schüppen-HommelhofflWitt, § 35 WpÜG Rn. 32. 79 Näher zur teleologischen Reduktion siehe oben 2. Kapitel I1I.2.b)aa). 76 77
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
Außerdem könnte diese dritte Lösungsvariante auch auf eine analoge Anwendung des § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützt werden, wonach die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirkt. Eine Anwendung der §§ 421 f. BGB würde zum Ausdruck bringen, dass die Verpflichtung sich an zwei Personen richtet, aber nur einmal erfüllt werden muss und daher im Wege der Erfüllung durch eine der beiden erlischt. Eine direkte Anwendung ist zwar nicht möglich, da § 35 WpÜG eine Norm des öffentlichen Aufsichtsrechts ist8o . Wahrend im Polizeirecht sehr umstritten ist, ob einem Störer der Ausgleichsanspruch analog den Gesamtschuldregelungen (§ 426 BGB) gegen einen anderen Störer zusteht, da die Inanspruchnahme eines Störers im Polizeirecht von einer Ermessensentscheidung der Polizeibehörde abhängt81 , wäre allerdings seine analoge Anwendung der §§ 421 ff. BGB jedenfalls im hier besprochenen Fall nicht ausgeschlossen. Im Unterschied zu der im Polizeirecht umstrittenen Situation hängen die Verpflichtungen der beiden Kontrollerwerber, ihren Kontrollerwerb zu veröffentlichen und ein Angebot abzugeben, nicht von einer Ermessensentscheidung der Behörde ab, sondern sind gemäß § 35 WpÜG bereits kraft Gesetzes angeordnet82 • Indessen ist sowohl die zweite als auch die dritte Lösungsvariante dogmatischen Bedenken ausgesetzt. Der Diskussionsentwurf für ein Übernahmegesetz vom 80 Siehe dazu oben 1. Kapitel II.l.c)cc). Im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB [näher dazu 1. Kapitel II.l.c)bb)(2)], der den Aktionären sowohl gegenüber der Mutter, als auch gegenüber der Tochter zustünde, verweist § 840 Abs. 1 BGB zwar ausdrücklich auf die Regelungen der Gesamtschuld. Diese direkte Anwendung der §§ 421 ff. BGB ist jedoch auf diese eine Rechtsfolge des § 35 WpÜG beschränkt. 81 Einem Störer, der durch eine Polizeibehörde gemäß §§ 1, 3 PolG in Anspruch genommen wurde, steht gegenüber einem nicht in Anspruch genommenen Störer nach Ansicht des BGH kein Ausgleichsanspruch analog § 426 Abs. 1 BGB zu, BGH NJW 1981, 2457, 2458 = DÖV 1981, 843, 844; zustimmend Schwachheim, NVwZ 1988, 225, 226 f.; a.A. Kloepjer/ ThulI. DVBI. 1989, 1121, 1125 f.; Schenke. in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 184 f.; Schoch. JuS 1994, 1026, 1029; Seiben. DÖV 1983,964,972 f. § 421 Satz 1 BGB setzt nach h.M. voraus, dass der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zum Teil fordern kann. Dies sei auf das Polizeirecht nicht übertragbar, da das polizeiliche Ermessen anders als das Gläubigerermessen in § 421 Satz 1 BGB durch ermessensleitende Gesichtspunkte, eingeschränkt wird: So ist einer der Störer vorrangig heranzuziehen, wenn auf diese Weise die Gefahr effektiver abgewehrt werden kann, vgl. BGH DÖV 1981,843,844. 82 Zwar räumt die Generalermächtigung des § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG der BaFin im Rahmen der Durchsetzung der Pflichten aus § 35 WpÜG ebenfalls ein Auswahlermessen ein (,,kann"), näher dazu KK-Giesbens. § 4 WpÜG Rn. 22; Haarmann/RiehmerlSchüppenStögmüller; § 4 WpÜG Rn. 38. Es geht jedoch im vorliegenden Fall um die Frage, welche Folge es hat, wenn einer von zwei Bietern seiner kraft Gesetz bestehenden Verpflichtungen nachkommt. Im Unterschied zum Polizeirecht, bei dem regelmäßig eine Polizeiverfügung ergeht, um die Polizeipflicht des einzelnen zu konkretisieren, ergeht im Rahmen des WpÜG üblicherweise keine Anordnung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 WpÜG, da die Verpflichtungen des § 35 WpÜG bereits im Gesetz selbst ausreichend näher bestimmt werden (vgl. §§ 10 ff., 31 WpÜG).
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29. 6. 200083 enthielt nämlich für den Fall der wechselseitigen Zurechnung infolge abgestimmten Verhaltens 84 in § 33 Abs. 3 DiskE-ÜG folgende Regelung: ,,(3) Erlangen mehrere Personen, die ihr Verhalten im Hinblick auf die Zielgesellschaft aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen, die Kontrolle über eine Zielgesellschaft, so können die Verpflichtungen nach diesem Gesetz von einer dieser Personen erfüllt werden."
Da diese oder eine vergleichbare Regelung weder im Referentenentwurf vom 12.3.2001 noch später in den RegierungsentwunB S übernommen wurde, ist offenbar davon auszugehen, dass der Gesetzgeber davon bewusst abgesehen hat86 . Die zweite und dritte LÖsungsvariante wollen jedoch im Ergebnis dieselbe Rechtsfolge herbeiführen, die von § 33 Abs. 3 DiskE-ÜG ursprünglich geplant war, da beide darauf hinauslaufen, dass eine der verpflichteten Personen mit befreiender Wirkung für die andere tätig wird. Wurde eine Regelung vom Gesetzgeber - wie offenbar hier - mit Absicht nicht vorgenommen, so fehlt es an einer Regelungslücke87 • Eine Regelungslücke ist jedoch sowohl für eine analoge Anwendung 88 von § 24 WpHG oder von § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB - als auch für eine teleologische Reduktion89 - von § 35 WpÜG - vorauszusetzen. Somit sind auch die zweite und die dritte Variante abzulehnen. dd) Restriktive Auslegung des § 35 WpÜG Es stellt sich somit die Frage, ob sich Mutter- und Tochtergesellschaft im Sinne der vierten Variante zu einer BietergemeinschaJt zusammenschließen können, d. h. gemeinsam nur ein Pflichtangebot abgeben müssen, um beide Angebotsverpflichtungen zu erfüllen. Diese Lösung wäre nur zulässig, wenn sie im Wege einer restriktiven Auslegung90 des § 35 WpÜG hergeleitet werden könnte und sich damit innerhalb des 83 Der Text ist abgedruckt in NZG 2000, 844 ff. Zur Entstehungsgeschichte des WpÜG, vgl. KK-Hirte, Einleitung zum WpÜG Rn. 42 ff.; Haarmann/RiehmerISchüppen-Schüppen, Einleitung zum WpÜG Rn. 10 ff.; Steinmeyer/Häger, Einleitung zum WpÜG Rn. 8 ff.; GeibeI/Süßmann-Zehetmeier-Müller, Einleitung zum WpÜG Rn. 6 ff. 84 Die Zurechnung im Falle abgestimmten Verhaltens ("acting in concert") wird nunmehr von § 30 Abs. 2 WpÜG geregelt. 85 Begr. RegE., BT-Drucks. 1417034; abgedruckt auch bei Hirte, S. 114 ff. 86 Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 291; Ehricke/Ekkenga/Oechsler-Ekkenga/Schulz. § 35 WpÜG Rn. 49; MüKo-Schlitt. § 35 WpÜG Rn. 50; Süßmann, WM 2003, 1453, 1457; vgl. dazu auch Haarmann/RiehmerISchüppen-Hommellwff/Witt, § 35 WpÜG Rn. 33. 87 Ausführlich zur sog. "beabsichtigten Begrenzung des Anwendungsbereichs" siehe oben 2. Kapitel III.1.b)bb)(1). 88 Siehe oben 2. Kapitel III.1.b )bb). 89 Siehe oben 2. Kapitel III.2.b)aa). 90 Näher zur Auslegung 2. Kapitel m.1.b)aa).
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4. Kap.: Sonderfälle des Pflichtangebotes nach Umwandlungen
Wortsinnes der Gesetzesformulierung hielte; denn eine Rechtsfortbildung praeter legern ist mangels Regelungslücke ausgeschlossen91 . Entscheidend ist dafür, ob dem Wortlaut des § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur die Bedeutung beigemessen werden kann, dass jeder die Kontrollerlangung veröffentlichen und ein eigenes Angebot abgeben muss (erste Bedeutung), oder der Wortlaut auch so verstanden werden könnte, dass ausnahmsweise - wenn sich die Verpflichtung an zwei Personen richtet - auch eine gemeinsame Veröffentlichung und ein gemeinsames Angebot genügen (zweite Bedeutung)92. Da soeben bereits aufgezeigt wurde, dass im Hinblick auf die ratio legis ein Pflichtangebot genügt, ist im Wege einer restriktiven Auslegung diese zweite Bedeutung zu wählen. Der Wortlaut VOn § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG verlangt von beiden Kontrollerwerbern ein Tatigwerden93 . Wenn Mutter und Tochter gemeinsam eine Mitteilung in einem Börsenpflichtblatt vornehmen (§ 35 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 i.Y.m. § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und § 35 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 i.Y.m. § 14 Abs. 3 Nr. 2 WpÜG), so ist diese Handlung beiden zuzurechnen. Deshalb kann § 35 WpÜG so ausgelegt werden, dass durch eine gemeinsame Veröffentlichung und ein gemeinsames Angebot beide Bieter ihre Pflichten erfüllen. Im Übrigen steht auch der Begriff "Bieter" i.S.v. § 35 Abs. 2 Satz 1, der in § 2 Abs. 4 WpÜG legaldefiniert wird, einer solchen Auslegung nicht entgegen. Dem Wortlaut dieser Vorschrift zufolge sind nämlich auch solche Personen als "Bieter" anzusehen, die "gemeinsam [ ... ] zur Abgabe" eines Angebotes "verpflichtet sind,,94. Somit ist der Gesetzeswortlaut von § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG im Sinne der zweiten Bedeutung zu verstehen: Mutter- und Tochtergesellschaft können sich zu einer Bietergemeinschaft zusammenschließen und die Verpflichtungen gemeinsam erfüllen95 .
Dazu soeben unter cc). Nach Ansicht von Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 293, und Pentz, ZIP 2003, 1478, 1488 f., bietet das Gesetz für ein gemeinsames Angebot keine Grundlage. Pentz, a. a. 0., will nur zulassen, dass die BaFin die Bildung einer Bietergemeinschaft analog § 37 WpÜG genehmigt. 93 Siehe oben cc). 94 Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 WpÜG ist aber kein zwingendes Argument, eine Bietergemeinschaft in diesem Zusammenhang zuzulassen; denn vor allem ist damit der Fall gemeint, dass mehrere Personen die Stimmrechte der Zielgesellschaft gesamthänderisch halten und daher eine Bietergemeinschaft sind, vgl. dazu KK-Versteegen, § 2 WpÜG Rn. 136. Entgegen der Ansicht Versteegens, a. a. 0., kann jedoch auch der Fall der Zurechnung von Stimmrechten gemäß § 30 WpÜG unter die Formulierung der "gemeinsamen Abgabe eines Angebotes" subsumiert werden. 95 A.A. Baums/Thoma-Baums/Hecker, § 35 WpÜG Rn. 293; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1488 f.; siehe auch oben Fn. 92. 91
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I. Umwandlung einer Gesellschaft
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ee) Aufwand einer Befreiung gemäß § 37 Abs. 15. Alt. WpÜG Neben dieser vierten Variante ist auch die fünfte Variante, dass das Tochterunternehmen (§ 37 Abs. 1 5. Alt. WpÜG) oder die Muttergesellschaft (§ 9 Satz 2 Nr. 3 AngebotsVO; § 37 Abs. 1 2. Alt) eine Befreiung beantragt, rechtlich ohne weiteres möglich. Da feststeht, dass ein Pflichtangebot genügt, ist das in diesem Zusammenhang der BaFin eingeräumte Ermessen (..kann") regelmäßig auf Null reduziert96 . Einen solchen Antrag zu stellen, ist jedoch mit einem gewissen Aufwand und Kosten verbunden: So müssen beispielsweise gewisse Angaben aufgeführt (§ 10 Nr. 1-4 AngebotsVO) und eine Begründung verfasst werden (§ 10 Nr. 5 AngebotsVO). In der Praxis dürfte daher die vierte Lösungsvariante, welche diesen bürokratischen Aufwand vermeidet, vorgezogen werden. ff) Vorschlag de lege ferenda
Einstweilen können die Beteiligten nur zwischen der vierten Lösungsvariante, wonach die Pflichten von Mutter und Tochter durch eine gemeinsame Mitteilung und ein gemeinsames Pflichtangebot erfüllt werden können (Bietergemeinschaft), und der fünften Variante, wonach eine Befreiung einer der Gesellschaften gemäß § 37 Abs. I WpÜG möglich ist, wählen. Im Ergebnis sind also bei der zweiten Fallkonstellation regelmäßig anstatt drei nur zwei Pflichtangebote abzugeben. Die dritte Lösungsvariante, wonach die beiden Verpflichteten wählen dürfen, wer die Pflichten aus § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG erfüllt, ist am praktikabelsten und den Aktionären der unteren Gesellschaft auch zuzumuten. Da dies nicht - wie ursprünglich in § 33 Abs. 3 DiskE-ÜG vorgesehen - Gesetz geworden ist, scheidet diese Lösungsvariante aber aus. Diesen rechtspolitischen Fehler97 sollte der Gesetzgeber de lege ferenda korrigieren. Als § 30 Abs. 3 WpÜG n.F. 98 sollte folgende Regelung eingefügt werden, die sich von § 33 Abs. 3 DiskE-ÜG insofern unterscheidet, als ihr Anwendungsbereich nicht auf die Fälle des ..abgestimmten Verhaltens" i.S.v. § 30 Abs. 2 WpÜG begrenzt ist, sondern sich auf alle Fälle des § 30 Abs. I und 2 WpÜG bezieht: ..(3) Erlangen mehrere Personen aufgrund der Zurechnung gemäß Absatz 1 und 2 die Kontrolle über eine Zielgesellschaft, so können die Verpflichtungen nach diesem Gesetz von