Das reguläre Delisting von Aktien: Kapitalmarktrecht - Gesellschaftsrecht - Ökonomie [1 ed.] 9783428522842, 9783428122844

Der Autor beschäftigt sich mit dem Rückzug von der Börse hauptsächlich auf Antrag des Emittenten (sog. "reguläres D

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German Pages 254 Year 2006

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Das reguläre Delisting von Aktien: Kapitalmarktrecht - Gesellschaftsrecht - Ökonomie [1 ed.]
 9783428522842, 9783428122844

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ROBERT GUTTE

Das reguläre Delisting von Aktien

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Bonn Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 10

Das reguläre Delisting von Aktien Kapitalmarktrecht - Gesellschaftsrecht Ökonomie

Von

Robert Gutte

Duncker & Humblot . Berlin

Die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 /2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 3-428-12284-4 978-3-428-12284-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten im wesentlichen bis Sommer 2005 berücksichtigt werden. Für das Zustandekommen der Arbeit schulde ich vielfältigen Dank. Solcher gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Michael Becker, der die Entstehung der Arbeit durch seine stets engagierte Betreuung maßgeblich gefördert hat. Ebenfalls bedanken möchte ich mich jeweils bei Herrn Prof. Dr. Justus Meyer und Herrn Priv. Doz. Dr. Harald Baum für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweit- bzw. Drittgutachtens. Verbunden bin ich weiterhin den Herren Prof. Dr. Gerald Spindler, Prof. Dr. Hanno Merkt und Prof. Dr. Holger Fleischer für die Aufnahme der Arbeit in die von ihnen herausgegebene Schriftenreihe. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, ohne deren vorbehaltlose ideelle und materielle Unterstützung nicht nur meine Promotion, sondern der erfolgreiche Abschluss meiner gesamten Ausbildung unmöglich gewesen wäre. Aus Liebe und Dankbarkeit widme ich Ihnen diese Arbeit. Frankfurt am Main, im Juli 2006

Robert Gutte

Inhaltsübersicht Kapitell Einführung

19

§ 1 Einleitung

19

§2

Tenninologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

§3

Motive für ein reguläres Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

§4

Ökonomische Dimension des regulären Delistjng ................................

35

Kapitel 2 BörsenrechtIiche Fragen des regulären Delisting

39

§5

Amtlicher Markt .................................................................

40

§6

Geregelter Markt ......... . .... . .................................................

69

§7

Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs gegen die DelistingEntscheidung der Zulassungsstelle ...............................................

72

§8

Freiverkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

§9

Exkurs: Delisting und der Neue Markt an der FWB ..............................

86

Kapitel 3 Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

137

§ lO Das Verhältnis zwischen Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht ............... 137 § II Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für die Delisting-Entscheidung ............................................................................. 139

§ 12 Folgeprobleme bei Bestehen einer Hauptversammlungszuständigkeit . . . . . . . . . . . .. 179 § 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre ........... 194

§ 14 Verfahren für die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe ......... 213

8

Inhaltsübersicht Kapitel 4

Zusammenfassung

222

§ 15 Fazit......................... . ..................................... . ............. 222 § 16 Ausblick .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen ......................................... 229 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252

Inhaltsverzeichnis Kapitell

§1

§2

§3

Eiruührung

19

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

I. Auftreten der Problematik ...................................................

20

II. Gang der Darstellung ........................................................

22

Terminologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Delisting ....................................................................

23

1. Das sog. "echte" oder ,,reguläre" Delisting ................................

25

a) Vollständiges Delisting ................................................

25

b) Teildelisting I Börsenpräsenzreduktion .................................

25

c) Segmentwechsel/Down-Grading ......................................

25

2. Das sog. ,,kalte" oder "unechte" Delisting .................................

26

a) Umwandlung ...................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

b) Verschmelzung ........................................................

27

c) Aufspaltung ......... . .................................................

28

d) Eingliederung .........................................................

29

e) Vermögensübertragung ................................................

29

II. Going Private. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . .

31

Motive für ein reguläres Delisting . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .

31

I. Bedeutungslosigkeit der Börsenzulassung ....................................

32

II. Vermeidung von kapitalmarktrechtlichen Verhaltens- und Publizitätspflichten

32

III. Schutz vorfeindlichen Übernahmen .........................................

33

IV. Freeze-Out ..................... . ............................................

33

10

§4

Inhaltsverzeichnis V. Kostenersparnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

VI. Weitere Motive ..............................................................

34

Ökonomische Dimension des regulären Delisting ..............................

35

I. Allgemeine Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft ......................

35

II. Bedeutung im Einzelfall.....................................................

37

1. Für den rückzugswilligen Emittenten .....................................

37

2. Für den einzelnen Anleger ................................................

37

Kapitel 2

§5

Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

39

Amtlicher Markt ...............................................................

40

1. Widerruf der Zulassung zum General Standard .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Widerruf der Zulassung von Amts wegen .................................

41

a) Nach speziellem Verwaltungsrecht .....................................

41

aa) Gemäß § 38 III BörsG ............................................

41

bb) Gemäß § 43 S. 2 BörsG ...........................................

42

b) Nach allgemeinem Verwaltungsrecht ..................................

43

aa) Gemäß § 49 VwVfG ..............................................

44

bb) Exkurs: Rücknahme gemäß § 48 VwVfG..........................

45

2. Widerruf der Zulassung auf Antrag des Emittenten ........................

46

a) Die Entstehungsgeschichte von § 38 IV BörsG ........................

46

b) Voraussetzungen von § 38 IV BörsG ...................................

47

aa) Kein Widerspruch zum Anlegerschutz, § 58 BörsO FWB ..........

47

(1) Die Entstehungsgeschichte von § 58 I BörsO FWB ...........

48

(2) Die Auslegung von § 58 I BörsO FWB .......................

52

(3) Die beiden Regelbeispiele von § 58 I BörsO FWB ............

54

(a) Partielles Delisting, § 58 I Nr. 1 BörsO FWB .............

54

(b) Vollständiges Delisting, § 58 I Nr. 2 BörsO FWB ......... (aa) Vereinbarkeit von § 58 I Nr. 2 BörsO FWB mit Grundrechten ....................................... (bb) Vereinbarkeit von § 58 I Nr. 2 FWB mit einfachem Recht................... ....................... .....

55 55 59

Inhaltsverzeichnis

§6

§7

§8

11

bb) Nichtmehrbestehen eines ordnungsgemäßen Börsenhandels?

62

cc) Sonstige Voraussetzungen von § 38 IV BörsG .....................

63

c) Prüfungsumfang der Zulassungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

d) Exkurs: Weitere Möglichkeiten neben § 38 IV BörsG? ..... . ...........

66

aa) Gemäß § 49 I VwVfG? ...........................................

66

bb) Gemäß § 51 VwVfG? .............................................

67

II. Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) ..................................

68

Geregelter Markt ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

I. Widerruf der Zulassung zum General Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

. 1. Widerruf der Zulassung von Amts wegen .................................

70

2. Widerruf der Zulassung auf Antrag des Emittenten........................

71

II. Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des geregelten Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) ..................................

71

III. Widerruf der Einbeziehung in den geregelten Markt (General Quoted) .......

71

Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs gegen die Delisting-Entscheidung der Zulassungsstelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

1. Rechtslage vor Inkrafttreten des Vierten FMFG ..............................

73

1. Meinungsstand ...........................................................

73

a) Rechtsprechung .......................................................

73

b) Literatur....................... . .......................................

74

2. Stellungnahme................................................. . ..........

76

II. Rechtslage nach Inkrafttreten des Vierten FMFG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

1. Meinungsstand ...........................................................

78

2. Stellungnahme............................................................

80

Freiverkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

1. Widerruf der Einbeziehung durch den Freiverkehrsträger ....................

83

II. Widerruf der Einbeziehung auf Antrag des Emittenten? ......................

84

III. Rechtsschutz ....... . ........................................................

86

12

Inhaltsverzeichnis

§9

Exkurs: Delisting und der Neue Markt an der FWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

I. Die Zulassung zum Neuen Markt ... . . . ........ . . . . .. . . ... . ...... . . ... .......

89

l. Das Zulassungsverfahren ..... . .................... . ........... . .. . .......

89

2. Anspruch des Emittenten auf Zulassung zum Neuen Markt? . . . . . . . . . . . . . . .

90

a) Aufgrund kartellrechtlicher Vorschriften .. . ..... . . . ...... . . .. ... .. .. . ..

91

aa) Anwendbarkeit des GWB ............ ... ... . .............. .. ......

91

bb) Kontrahierungszwang als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Vorschriften . . ... . .......... . .. . .. .. ... . .... .. .. . . . ..

92

cc) Ablehnung der Zulassung als Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften . ........ ..... ................................ .... ........

94

(1) Aus § 19 I GWB .................... ... .............. . ..... .. .

94

(2) Aus § 19 IV Nr. 4 GWB

95

(3) Aus § 19 IV Nr. 1 GWB

98

(4) Aus§20IGWB . .... . ... . ... . ....... . . . ............... . .. . ...

99

(5) Aus § 20 VI GWB analog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Ergebnis ............... . . . . ..... . . ....... ... . . . .. ........ .

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101

Ho Beendigung der Zulassung durch die Deutsche Börse AG 0. . . .... . . .. . . . . ... . 101 l. Beendigungsgründe mit ErmessensspieJraum .. ... ........... . . .... ... . ... 103 a) Pflichtverstoß des Emittenten............................... ... ........ 103 b) Fehlende Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Börsenhandels . .. . . 104 c) Publikumsschutz .... . .. ... ....... . ...... . . . . .. ... . ..... . .. . .. .... ..... 105 2. Beendigungsgründe ohne Ermessensspielraum ................ ... .. . ...... 107 a) Die beiden Tatbestände .... . ... .. ...................

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107

aa) Insolvenz ... . ... . ..... ...... .. . ... ....... .. . ......... . .. .. ... .. . . . 107 bb) Börsenkurs und Marktkapitalisierung . .. .... .

0

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"

108

b) Die Geschichte der beiden Tatbestände ....... . ............. ... ........ 108 c) Die Anwendbarkeit von nachträglich durch die Deutsche Börse AG in das RNM eingefügten Zulassungsbeendigungsgründen . . .. ..... .. .. .. . 109 aa) Anwendbarkeit ohne Änderungsbefugnis ........ . ............ . .... 110 (1) Recht zur ordentlichen Kündigung .. .................. . .......

111

(a) Beschränkung durch kartellrechtliche Vorschriften... . . . . . 112 (b) Vertraglicher Ausschluss .. . ... .... .... ..... . .. ..... ...... 113 (2) Recht zur außerordentlichen Kündigung ....... ..... . . .... . ... 115

Inhaltsverzeichnis bb) Anwendbarkeit aufgrund einer einseitigen Änderungsbefugnis

13

118

(1) Rechtsnatur des RNM ........................................

119

(a) Öffentliches Recht........................................ (aa) Rechtsverordnung ................................... (bb) Satzung............................................. (cc) Gewohnheitsrecht bzw. Verkehrssitte ................

119 119 120 122

(b) Privatrecht ............................................... 123 (aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen.................. 123 (bb) Private Rechtsnormen............................... 128 (2) Konsequenzen ................................................ 132

cc) Ergebnis .......................................................... 134 III. Beendigung der Zulassung auf Antrag des Emittenten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 Kapitel 3

Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

137

§ 10 Das Verhältnis zwischen Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht .......... 137 § 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für die Delisting-Entscheidung ....................................................................... 139

I. Ausgangslage ................................................................ 140 1. Die Vorgaben des AktG ................................................... 140

2. Die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH ................................ 142 3. Zusammenfassung........................................................ 143 Ir. Begründungsansätze für eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz 143 1. Aufgrund der "Holzmüller"-Rechtsprechung des BGH .................... 144

a) Rechtsprechung: Der Fall ,,Macrotron" ................................ 144 aa) Die erstinstanzliche Entscheidung des LG München I ... . . . ....... 144 bb) Die Berufungsentscheidung des OLG München ................... 145 cc) Die Revisionsentscheidung des BGH .............................. 146 dd) Fazit ...................................................... . .... ;.. 146 b) Literatur............................................................... 147 c) Stellungnahme ........................................................ 150 2. Aufgrund der analogen Anwendung anderer Rechtsvorschriften ........... 157 a) Vinkulierung von Namensaktien, §§ 68 Ir I, 180 Ir AktG .............. 157 aa) Argumentation ...................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Stellungnahme.................................................... 158

14

Inhaltsverzeichnis b) Umwandlungsgesetz ................................................... 159 aa) Argumentation.................................................... 160 bb) Stellungnahme .................................................... 161 3. Aufgrund von Art. 14 GG ......... .. ................ .. ...... . ............. 162 a) Rechtsprechung ....................................................... 162 aa) Die "Macrotron"-Entscheidungen der Instanzgerichte ............. 162 bb) Die ,,Macrotron"-Entscheidung des BGH .......................... 163 b) Literatur............................................................... 164 c) Stellungnahme ........................................................ 165 4. Aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 119 II AktG ..................................................................... 172 a) Argumentation

172

b) Stellungnahme

173

5. Aufgrund einer Annexkompetenz zu § 119 I Nr. 6 AktG . . . .. .... .. . .. ... .. 174 a) Argumentation

174

b) Stellungnahme

175

III. Ergebnis ..................................................................... 176 § 12 Folgeprobleme bei Bestehen einer Hauptversammlungszuständigkeit ........ 179

I. Mehrheitserfordemis für einen Hauptversammlungsbeschluss ................ 180 1. Meinungsstand ........................................................... 180

2. Stellungnahme ...................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Erforderlichkeit eines schriftlichen Vorstandsberichts ........................ 186 1. Meinungsstand ........................................................... 186

2. Stellungnahme............................................................ 189 III. Inhaltskontrolle des De1isting-Beschlusses durch die Gerichte .. . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Meinungsstand ........................................................... 191

2. Stellungnahme......... . .......... . ....................................... 193

Inhaltsverzeichnis

15

§ 13 Erforderlicbkeit einer Pflicht zur Abrmdung der Minderheitsaktionäre ...... 194 I. Begründungsansätze für ein Abfindungsangebot ....... . ............ . ........ 195 1. Art. 14 GG .................... . .......................................... 195 a) Argumentation ...................... . ... . .. . .... . . . ........ . .......... 195 b) Stellungnahme .. . ..... . ... . .. . . . .............. . .................... . .. 196 2. Analogie zu den konzem- und umwandlungsrechtlichen Vorschriften ..... 198 a) Argumentation

199

b) Stellungnahme

202

3. Austrittsrecht aus wichtigem Grund ...... . . . .... . ............... . . . ....... 208 a) Argumentation ............ . .......................... . ................ 208 b) Stellungnahme .............................. . ......................... 109 4. Analogie zu § 5 III 1 EGAktG ... ............. . . .. ................... . .... 211 II. Ergebnis .............................. . .......... . .... . . . ........ . .... . . . .... 211

§ 14 Verfahren für die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe .... 213 I. Wege der gerichtlichen Überprüfung .............. . .......................... 214 1. Spruchverfahren ............................ . .... . .......... . ............. 214 2. Aktienrechtliche Anfechtungsklage ......... . .... . ........ . ....... . ....... 216 3. Verwaltungsrechtliche Anfechtungsklage ........ . ........ . . . ............. 217 11. Stellungnahme ..... . ................................ . ...... . ................. 218 Kapitel 4

Zusammenfassung

222

§ 15 Fazit .............. . .................................... . ........... . ... . ........ 222

I. Börsenrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222 H. Gesellschaftsrecht

225

§ 16 Ausblick ........ . ....................................................... . ....... 227

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen ......................................... 229 Börsengesetz (BörsG) .... . ................................................ . ......... 229 Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse (BörsO FWB) ...... . . .. ........ 230

16

Inhaltsverzeichnis

Richtlinien für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse (RF FWB)

234

Regelwerk Neuer Markt (RNM) ..................................................... 237 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) .......................... . . . . . .. 238 WpÜG-AngebotsVO .................................................. . ............. 240

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252

Abkürzungsverzeichnis BAFin

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

BAWe

Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (ehemals)

BörsOFWB

Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse

BSK

Börsensachverständigenkommission

DAX

Deutscher Aktienindex

ders./ dies.

derselbe / dieselbe(n)

DNotI-Report

Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts, Zeitschrift

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FinDAG

Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz)

FMFG

Finanzmarktförderungsgesetz

FWB

Frankfurter Wertpapierbörse

GebührenO FWB

Gebührenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse

Gesetz zur Kleinen AG

Gesetz zur kleinen Aktiengesellschaft und zur Deregulierung des Aktienrechts

i.E.

im Ergebnis

IPO

Initial Public Offering

i. S. d.l i. S. v.

im Sinne des (der)/im Sinne von

LMK

Kommentierte BGH-Rechtsprechung, Lindenmaier-Möhring, Zeitschrift

MDAX

Midcap-DAX

NASDAQ

National Association of Securities Dealers Automated Quotation System

NEMAX

Neuer Markt Index

NYSE

New York Stock Exchange

o.V.

ohne Verfasser

RFFWB

Richtlinien für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse

RNM

Regelwerk Neuer Markt

SMAX

Small Caps Exchange (Qualitätssegment; Untereinheit des amtlichen und geregelten Markts)

SpruchG

Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz )

2 Gutte

18

Abkürzungsverzeichnis

WpÜG-AngebotsVO

Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übemahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und Abgabe eines Angebots

ZInsO

Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht

Hinsichtlich der übrigen Abkürzungen wird, soweit sie nicht aus sich heraus verständlich sind, verwiesen auf: Kirchner; HildebertlButz, Comelie, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auf!. 2003, Berlin.

Kapitell

Einführung § 1 Einleitung Das Kapitalmarktrecht hat sich mittlerweile auch in Deutschland zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt!. Im Unterschied zu anderen, wie etwa dem Gesellschaftsrecht, ist es jedoch nicht rechtsform-, sondern funktionsbezogen2 . Das bedeutet, dass Gegenstand des Kapitalmarktrechts nicht rechtlich abgrenzbare Institutionen und Begriffe sind, sondern bestimmte Lebenssachverhalte, nämlich all die, welche an den Kapitalmärkten auftreten. Es versucht also, die Fragen zu beantworten, die sich aus den Tätigkeiten am Kapitalmarkt ergeben. Zu diesen Fragen zählen insbesondere jene, die im Zusammenhang mit dem Gang eines Unternehmens an die Börse einerseits sowie dem Rückzug eines Unternehmens von der Börse andererseits auftreten. Gerade letztere stehen in jüngster Zeit, überwiegend aufgrund aktueller Anlässe, im Blickpunkt der Fachöffentlichkeit und haben den Anstoß für die vorliegende Untersuchung gegeben. Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit dem Verlust der Börsenzulassung werden sowohl durch den auf Antrag erfolgenden als auch durch den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Zulassung aufgeworfen. Bei ersterem ist vor allem erörterungswürdig, ob für ein vollständiges De1isting ein Hauptversammlungsbeschluss notwendig ist und ob eine Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre besteht. Ebenso ist klärungsbedürftig, ob den Aktionären die Widerspruchs- bzw. Anfechtungsbefugnis gegen die Widerrufsentscheidung der dafür zuständigen Stelle zusteht. Beim Widerruf der Börsenzulassung von Amts wegen war vor allem problematisch, ob die Börse befugt war, das Regelwerk eines privatrechtlich organisierten Marktsegments, insbesondere das des Neuen Markts an der FWB, einseitig zu ändern, um bestimmte Unternehmen aus diesem Segment ausschließen zu können. Gerade in den letzten Jahren sind zum einen in der Gesetzgebung und zum anderen in der Rechtsprechung Entwicklungen zu beobachten gewesen, die auf das Recht des Delisting unmittelbar oder mittelbar Einfluss haben. Zu nennen sind hier in erster Linie das am 21. 06. 2002 verabschiedete und am 01. 07. 2002 in Kraft I Kümpel. Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 13; Lenenbach. Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 1 f. 2 Ausführlich dazu Lenenbach. Kapitalmarkt und Börsenrecht, 23.

2'

20

1. Kap.: Einführung

getretene Vierte FMFG3 , durch welches u. a. das gesamte Börsenrecht stark verändert wurde. Im Zusammenhang speziell mit dem Delisting ist vor allem die Flexibilisierung der Handelssegmente bedeutsam. Nunmehr besteht gemäß dem neuen BörsG die Möglichkeit, für Teilbereiche des amtlichen und des geregelten Markts weitergehende Zulassungsfolgepflichten aufzustellen. Nicht zuletzt dadurch wurde das Ende des Neuen Markts an der FWB besiegelt. Darüber hinaus haben zum einen das neue WpÜG sowie zum anderen die seit 01. 01. 2002 gemäß §§ 327a ff. AktG bestehende Möglichkeit eines Squeeze-Out Auswirkungen auf die Strategien, mit denen ein Rückzug von der Börse erreicht werden soll. Des Weiteren wurde die Börsenordnung der FWB dahingehend geändert, dass sogar für ein vollständiges Delisting ein Kaufangebot an die Minderheitsaktionäre nicht mehr obligatorisch ist. In diesem Zusammenhang ist durchaus problematisch, ob die an die Stelle des obligatorischen Kaufangebots getretene reine Fristenlösung rechtmäßig ist. Schließlich hatte jüngst auch die Rechtsprechung Gelegenheit, sich zu den Voraussetzungen des freiwilligen Börsenruckzugs zu äußern. Der erste Fall, der die Gerichte beschäftigte und den gesamten Instanzenzug durchlaufen hat, war der der Macrotron AG. Zwar liegt mit dieser BGH-Entscheidung4 nunmehr ein höchstrichterliches Urteil zu den umstrittenen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an ein reguläres Delisting vor. Jedoch wurde die Diskussion zum freiwilligen Rückzug eines Unternehmens von der Börse dadurch keineswegs beendet. Vielmehr wurde sie um einen neuen Aspekt erweitert, indem der BGH ihr aufgrund seiner Argumentation mit Art. 14 GG auch eine verfassungsrechtliche Komponente abgewonnen hat. Darüber hinaus sind für die gesellschaftsrechtliche Seite eines Börsenrückzugs die kürzlich ergangenen und viel beachteten "Gelatine"-Entscheidungen des BGH5 bedeutsam, mit denen er seine seit über zwei Jahrzehnten existierende "Holzmüller"-Rechtsprechung zur Existenz ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen konkretisiert hat. All diese neueren Entwicklungen gebieten eine tief greifende und monografische Auseinandersetzung mit den rechtlichen und ökonomischen Fragen, die das reguläre Delisting von Aktien mit sich bringt.

I. Auftreten der Problematik Im Zusammenhang mit der Beendigung der Börsenzulassung eines Unternehmens stand bis zum Inkrafttreten des Dritten FMFG6 am 1. April 1998 vor allem die Frage der Zulässigkeit des auf Antrag des Emittenten erfolgten Widerrufs der BGBl.I 2002, 2010 ff. BGHZ 153,47 ff. 5 BGH, NJW 2004,1860 ff. sowie ZIP 2004,1001 ff. 6 BGBl. 11998,529 ff.; umfassend dazu Meixner, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz - Kapitalmarktrecht in stetigem Wandel, NJW 1998, 1896 ff.; Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998, 949 ff. 3

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§ 1 Einleitung

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Börsenzulassung im Focus der Fachliteratur. Bis dahin gab es, jedenfalls für die Kassamärkte7, schlicht keine gesetzliche Regelung hierfür. Daher waren Zulässigkeit und Ausgestaltung eines Delisting auf Antrag des Emittenten umstritten 8 . Ungeachtet der im Detail weit gefacherten Ansichten standen sich im Wesentlichen drei Rechtspositionen gegenüber: Einer Ansicht nach war die Aufhebung der Börsenzulassung auf Betreiben des Emittenten nur unter den engen Voraussetzungen des § 43 III BörsG a. F. möglich, d. h. nur, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet war9 . Begründet wurde diese Auffassung damit, dass die Zulassung die Fungibilität der Wertpapiere sichere. Ein Delisting auf Antrag des Emittenten war nach dieser Auffassung also praktisch ausgeschlossen. Der Gegenposition zufolge war es dem Emittenten möglich, gegenüber der Zulassungsstelle der Börse den Verzicht auf die Zulassung, welche einen Verwaltungsakt darstellt lO, zu erklären. Da dieser einen begünstigenden Charakter habe 11 und die Möglichkeit eines Verzichts auf erworbene öffentlich-rechtliche Rechtspositionen zu den in Rechtsprechung l2 und Lehre l3 anerkannten Grundsätzen des Verwaltungsrechts zähle, sollte der Emittent seine Rechtsposition, ähnlich wie im Zivilrecht, einseitig durch Verzicht zum Erlöschen bringen können l4 • Nach einer vermittelnden Meinung l5 wiederum war ein Delisting auf Antrag des Emittenten zwar grundsätzlich möglich, nicht 7 Für den Terrninhandel schrieb § 50 V 2 BörsG a. F. schon immer einen Anspruch der Gesellschaft auf Rücknahme der Zulassung von Anteilen des Unternehmens zum Börsenterminhandel fest, dazu Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 1997,739 (744 f.). 8 Ausführlich dazu: Radtke, Delisting, 45 ff.; einen (unvollständigen) Überblick gibt auch Schärf, Rechtsprobleme beim Going Private einer börsennotierten Aktiengesellschaft in Österreich und in der BRD, GesRZ 1995,44 (46). 9 Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 25. 10 Allgemeine Auffassung, statt aller: von Rosen in: Assmann/ Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts § 2 Rn 178 m. w. N.; die ältere Auffassung, nach der ein Vertrag zwischen Börsenträger und Emittent vorliegt, vertreten z. B. von Nussbaum, Kommentar zum Börsengesetz, 1910, § 36 (zitiert nach Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 21) dürfte mittlerweile überholt sein. 11 Fluck, Zum Verzicht des Begünstigten auf Rechte aus einem Verwaltungsakt am Beispiel der Börsenzulassung, WM 1995, 553 (558, 560); Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (147); Radtke, Delisting, 18, 111; Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 23. 12 BVerwGE 14,93 (95); 20, 304 (305); 38, 160 (162). 13 Eickhoff, Der Gang an die Börse - und kein Weg zurück?, WM 1988, 1713 (1714) mit zahlreichen Nachweisen. 14 Eickhoff, Der Gang an die Börse - und kein Weg zurück?, WM 1988, 1713 (1714 ff.); Fluck, Zum Verzicht des Begünstigten auf Rechte aus einem Verwaltungsakt am Beispiel der Börsenzulassung, WM 1995, 553 (560); Kümpel, Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 84 ff.; Radtke, Delisting, 89. 15 Klenke, Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen Regionalbörsen, WM 1995, 1089 (1096 f.); Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 1997, 739 (758); Vollmer/Grupp, Der Schutz der Aktionäre beim Börseneintritt und Börsenaustritt, ZGR 1995, 459 (477 ff.).

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1. Kap.: Einführung

jedoch ein allein auf die eigene Initiative des Emittenten gestützter Börsenaustritt. Ihr zufolge bedurfte es dazu vielmehr eines fonnalen Marktentlassungsverfahrens als Gegenstück zum öffentlich-rechtlich ausgestalteten Zulassungsverfahren. Auf Antrag des Emittenten auf Widerruf der Zulassung bei der Zulassungsstelle hin sollte diese prüfen, inwieweit die (im Einzelnen freilich umstrittenen) Anforderungen an ein Delisting erfüllt waren und daraufhin eine Entscheidung treffen. Dieses Problem war bald nicht mehr nur theoretischer Natur, sondern wurde auch in der Praxis virulent. Um die Börsennotierung im Präsenzhandel an der FWB zu konzentrieren, entschloss sich die BASF AG Ende 1994, sich von den übrigen deutschen Regionalbörsen zurückzuziehen l6 . Dazu erklärte sie den Verzicht auf die weitere Notierung ihrer Aktien im amtlichen Handel 17 und stellte hilfsweise den Antrag auf Widerruf der Zulassung an diesen Börsenplätzen 18. Das Petitum blieb ohne Erfolg. Bis heute werden die Aktien der BASF AG an allen deutschen Börsenplätzen gehandelt. Den geschilderten Streit hat der Gesetzgeber schließlich mit Einführung des damaligen § 43 IV BörsG (heute § 38 IV BörsG) durch das Dritte FMFG zugunsten der ein fönnliches Marktentlassungsverfahren favorisierenden Auffassung entschieden. Zwar stellte diese Entscheidung das Ende der wissenschaftlichen Debatte über die grundsätzliche Möglichkeit eines Delisting auf Antrag des Emittenten dar. Gleichzeitig markierte sie jedoch den Anfang einer immer weiter um sich greifenden Folgediskussion. Diese befasst sich mit den zahlreichen Detailfragen, die im Zusammenhang mit dem regulären Delisting stehen und scheint derzeit noch mehr Probleme aufzuwerfen als zu lösen. Wie schon erwähnt, erfreut sich die Thematik des regulären Delisting nicht nur in der Lehre zunehmender Aufmerksamkeit, sondern sie war zudem bereits Gegenstand der Rechtsprechung.

11. Gang der Darstellung Die vorliegende Arbeit widmet sich vornehmlich den börsen- und gesellschaftsrechtlichen Problemen, die im Zusammenhang mit einem Rückzug von der Börse stehen, bei dem die Unternehmen ihre Rechtsfonn beibehalten (sog. ,,reguläres Delisting"). Rückzugsfonnen, die durch einen Rechtsfonnwechsel des Unternehmens bedingt sind (sog. "cold Delisting"), werden im Rahmen der Einleitung nur überblicks artig vorgestellt, im weiteren Gang der Untersuchung jedoch vernachlässigt. 16 Weitere Präzedenzfalle für ein Delisting v. a. von kleineren AGs finden sich bei Bungen, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (54). 17 So die damalige Bezeichnung; durch das 4. FMFG wurde der "amtliche Handel" in "amtlicher Markt" umbenannt, im Folgenden daher "amtlicher Markt". 18 Fluck, Zum Verzicht des Begünstigten auf Rechte aus einem Verwaltungsakt am Beispiel der Börsenzulassung, WM 1995,553 ff.

§ 2 Tenninologie

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Noch im Einführungskapitel wird zum einen das der Arbeit zugrunde liegende terminologische Verständnis erläutert. Zum anderen werden mögliche Motive für ein reguläres Delisting vorgestellt sowie seine wirtschaftliche Bedeutung erörtert. Gegenstand des darauf folgenden zweiten Kapitels der Untersuchung sind die börsenrechtlichen Probleme des regulären Delisting. Dabei wird nicht nur zwischen dem beantragten und dem von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Börsenzulassung, sondern auch zwischen den einzelnen Marktsegmenten differenziert, da innerhalb dieser jeweils unterschiedliche Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen für einen Widerruf bestehen. Die Arbeit beschränkt sich dabei auf die Darstellung der Rechtslage an der wichtigsten deutschen Börse, der FWB. Dementsprechend wird sich im Rahmen dieses Teils der Arbeit ebenfalls mit den am Neuen Markt der FWB auftretenden Rechtsfragen des Delisting auseinandergesetzt, insbesondere mit der Frage, ob die Börse befugt war, das RNM einseitig zu ändern. Im dritten Kapitel der Arbeit sind die mit dem Delisting verbundenen gesellschaftsrechtlichen Probleme zu behandeln. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen nach der Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses und der Abfindung der Minderheitsaktionäre. Am Ende der Untersuchung werden die gewonnenen Ergebnisse schließlich in einem eigenen Kapitel zusammengefasst und ein kurzer Ausblick gegeben.

§ 2 Terminologie In dem vergleichsweise jungen Rechtsgebiet Kapitalmarktrecht besteht zu vielen Fragen naturgemäß keine Einigkeit, weder innerhalb der Wissenschaft, noch zwischen Wissenschaft und Rechtsprechung Wie in anderen Rechtsgebieten auch gilt dies leider in besonderem Maße für die Terminologie. In der Sprache der New Economy tauchen Begriffe wie "Delisting", "Going Private" oder "P2P" (für "Public-to-Private") auf. Diese bezeichnen zwar die verschiedenartigen wirtschaftlichen und rechtlichen Vorgänge eines Börsenaustritts, werden jedoch selbst in der Fachliteratur nicht immer gleichbedeutend verwendet. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen soll daher zunächst das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis der wichtigsten Fachtermini erläutert werden.

I. Delisting Eine Legaldefinition des Begriffs Delisting gibt es nicht. Bei seiner Bestimmung ist also zunächst von seiner Herkunft auszugehen. Er stammt aus dem Englischen und stellt das Gegenstück zum sog. "Listing" dar. Sinngemäß übersetzt, bedeutet letzteres die Aufnahme der Wertpapiere eines Unternehmens in den Kurszettel der an der Börse gehandelten Unternehmen.

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1. Kap.: Einführung

In den Marktsegmenten amtlicher Markt und geregelter Markt, die beide öffentlich-rechtlich organisiert sind 19 , wird dieser Vorgang als die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel bezeichnet, vgl. §§ 30 I, 49 I BÖrsG. Diese ist die öffentlich-rechtliche Erlaubnis, für den Handel der betreffenden Wertpapieren die Börseneinrichtungen zu benutzen2o • Sie schließt das fonnalisierte Marktzugangsverfahren ab und lässt ein Rechte und Pflichten begründendes öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis zwischen Börse und Emittent entstehen21 . Hingegen erfolgt im privatrechtlich ausgestalteten Handelssegment Freiverkehr22 , und damit seinerzeit auch am Neuen Markt, die Aufnahme der Wertpapiere in den Handel allein auf privatrechtlicher Grundlage. In diesem Zusammenhang wird daher der Begriff Einbeziehung verwendet, vgl. § 3 RF FWB. Als actus contrarius zum "Listing" bedeutet ,,Delisting" also die Beendigung der Zulassung bzw. Einbeziehung der Wertpapiere, da erst diese das Rechtsverhältnis zwischen Börse und Emittent beseitigen23 . Nicht als Delisting bezeichnet werden sollte daher die bloße auf Antrag oder von Amts wegen erfolgte Beendigung der Notierung eines Untemehmens 24 , wie etwa die Fälle der Kursaussetzung oder Kurseinstellung gemäß § 38 I Nr. 1, 2 BÖrsG. In diesen Fällen werden, u. U. vorübergehend, lediglich keine Kurse gebildet. Die Zulassung der Wertpapiere zum Handel bleibt davon jedoch unberührt. Delisting bezeichnet also die Beendigung der Zulassung eines Wertpapiers zum Börsenhandel unabhängig davon, auf welche Weise diese herbeigeführt wird 25 . Der Begriff erfasst damit alle Erscheinungsfonnen der Beendigung der Börsenzulassung. Es sind keine Gründe ersichtlich, ihm nur bestimmte Fallgruppen zu unterstellen, etwa nur den auf Antrag des Emittenten erfolgten Widerruf der Börsenzulassung26• Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Dritten FMFG geht der Gesetzgeber ebenfalls von einer umfassenden Definition aus 27 • 19 Statt aller: Kümpel. Bank- und Kapitalmarktrecht Rn 8.80 ff. bzw. 8.91 ff., jeweils m.w.N. 20 Schwark. Börsengesetz, § 36 Rn I; Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 36-39 BörsG Rn 1. 21 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn 8.89, 17.222; Schwark. Börsengesetz. § 43 Rn 11. 22 Groß. Kapitalmarktrecht, § 78 BörsG Rn 2; Kümpel. Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 73 f. 23 Klenke. Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen Regionalbörsen, WM 1995, 1089 (1093 f.). 24 So aber Land/ Hasselbach. "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (558); Steck. "Going private" über das UmwG, AG 1998,460. 25 So auch Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (145); Schwarkl Geiser, Delisting, ZHR 1997.739 (742 ff.). 26 Winh/ Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 m.w.N. 27 BTDrucks. 13/8933, 54 (74): ,,Beendigung einer Zulassung".

§ 2 Terminologie

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Im Folgenden sollen nun die verschiedenen Erscheinungsformen des Delisting kurz beschrieben werden.

1. Das sog. "echte" oder "reguläre" Delisting Im Gegensatz zu dem unten beschriebenen Spektrum der "cold" Delisting-Vorgänge handelt es sich beim sog. "regulären" Delisting (auch ,,hot" oder "echtes" Delisting genannt) um die Beendigung der Börsenzulassung, die nicht durch eine Änderung der gesellschaftsrechtlichen Struktur des betroffenen Unternehmens bedingt ist28 • Es gibt verschiedene Erscheinungsformen, die alle unter den Begriff des regulären Delisting fallen. a) Vollständiges Delisting

Von einem vollständigen Delisting spricht man, wenn jedwede Zulassung an einem organisierten Markt i. S. § 2 V WpHG beendet wird. Dies kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Emittenten erfolgen. Für den letztgenannten Fall wird gleichbedeutend der Begriff TotalTÜckzug verwendet. Bei einem vollständigen Delisting muss bei jeder Börse, an der der Emittent notiert ist, die Zulassung widerrufen werden. Das vollständige reguläre Delisting ist demzufolge eine Strategie für ein "Going Private"29. Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes gilt, ist im weiteren Verlauf der Arbeit grundsätzlich diese Form des regulären Delisting gemeint. b) Teildelisting / Börsenpräsenzreduktion

Von einem Teildelisting bzw. einer sog. Börsenpräsenzreduktion spricht man, wenn an einem oder mehreren Börsenplätzen die Zulassung des Emittenten beendet wird, jedoch an mindestens einem weiteren aufrechterhalten bleibt. Hierbei kann man dann weiter danach differenzieren, ob das Teildelisting unter Aufrechterhaltung eines inländischen oder eines ausländischen Börsenplatzes erfolgt. c) Segmentwechsel/ Down-Grading

Ein Segmentwechsel bzw. ein "Down-Grading" liegt schließlich vor, wenn die Zulassung zu einem Handelssegment beendet wird und gleichzeitig die Zulassung zu einem anderen erfolgt. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Zulassung eines Emittenten zum amtlichen Markt von Amts wegen widerrufen wird, bzw. wenn sich ein 28 So auch Pfüllerl Anders, Delisting-Motive vor dem Hintergrund neuerer Rechtsentwicklungen, NZG 2003, 459 (460); Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 60. 29 Zu diesem Begriff siehe § 2 II.

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1. Kap.: Einführung

Emittent freiwillig aus dem amtlichen Markt zurückzieht, aber gleichzeitig die Zulassung zum geregelten Markt erlolgt. An der FWB ist eine Spielart des Segmentwechsels seit der Schaffung von innerhalb des amtlichen oder geregelten Markts existierenden Teilbereichen mit erhöhten Zulassungsfolgepflichten (sog. Prime Standard) auch die Herabstufung aus dem Prime Standard in den General Standard des jeweiligen Handelssegments 3o .

2. Das sog. "kalte" oder "unechte" Delisting Um an der Börse notiert werden zu können, muss ein Unternehmen zwingend in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien organisiert sein31 . Nur in diesen Fällen handelt es sich bei den Gesellschaftsanteilen um börsenfähige Wertpapiere, d. h. um Wertpapiere, die zum einen nach § 91 BGB vertretbar und zum anderen zirkulationsfähig, d. h. in besonders hohem Maße umlauffähig, sind32 . Unter dem Begriff des sog. "cold" Delisting (auch "kaltes" oder "unechtes" Delisting genannt) sind nun all diejenigen Fälle zu verstehen, bei denen die entweder über das UmwG oder über das AktG erlolgende Änderung der gesellschaftsrechtlichen Struktur des Unternehmens die Aufhebung der Börsenzulassung mit sich bringt33 . Die Aufhebung der Börsenzulassung ist dabei nicht das primäre Ziel, sondern erlolgt zwangsläufig, d. h. gleichsam als Reflex, weil ein anderer Rechtsträger des Unternehmens oder seines Vermögens installiert wird, der nicht börsenfähig oder nicht börsennotiert ist 34 . Die diesbezüglichen Erscheinungsformen sind vielfältig 35 und seien im Folgenden kurz vorgestellt. a) Umwandlung

Zunächst besteht die Möglichkeit eines Cold Delisting eines Unternehmens durch einen Wechsel seiner Rechtsform von einer börsennotierten AG in eine nicht börsenfähige Gesellschaft gemäß §§ 1 I Nr. 4, 226 ff. UmwG36 . In der Praxis kommt vor 30 PfüllerlAnders, Delisting-Motive vor dem Hintergrund neuerer Rechtsentwicklungen, NZG 2003, 459 (460). 31 In der Praxis überwiegen die AGs bei weitem. Ein prominentes Beispiel für eine KGaA stellt der im DAX vertretene Mischkonzern Henkel dar. 32 Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 131. 33 Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 104 (105). 34 Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065. 35 Überblicksartig: von Braunschweig, De-listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 (167 ff.); Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999, 373 (375); Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001,2075 (2076 ff.); Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (462 ff.). 36 Einzelheiten z. B. bei Dirksen in: Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, § 226 Rn 1 ff., § 238 Rn I ff.; Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075

§ 2 Terminologie

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allem die Umwandlung in eine GmbH gemäß §§ 226, 238 ff. UmwG oder in eine GmbH & Co. KG gemäß §§ 226, 228 ff. UmwG in Frage. Gleichwohl sind gemäß § 226 UmwG andere Rechtsformen der neuen Gesellschaft ebenfalls denkbar37 . Zur Durchführung einer Umwandlung ist zunächst ein auf der Hauptversammlung zu treffender Umwandlungsbeschluss erforderlich. Dieser bedarf gemäß § 240 I 1 UmwG einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Weiterhin besteht gemäß § 207 UmwG die Pflicht zum Angebot einer Barabfindung gegenüber den Minderheitsaktionären. Mit Eintragung der neuen Rechtsform in das Handelsregister existieren die Aktien als Mitgliedschaft in der ihre Form wechselnden AG nicht mehr, da die Gesellschaft gemäß § 202 UmwG in der im Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter besteht. Damit erledigt sich gemäß § 43 11 VwVfG die Börsenzulassung als Verwaltungsakt nach Wirksamkeit der Umwandlung ipso iure. Einer besonderen Erledigungsentscheidung der Zulassungsstelle bedarf es also nicht38 . Letztere ist lediglich zur Einstellung der Notierung verpflichtet39 . b) Verschmelzung

Die in der Praxis am häufigsten angewandte Technik des cold Delisting ist der sog. Going Private Merger40 . Dabei handelt es sich um die Verschmelzung einer (oder mehrerer) börsennotierten AG(s) auf eine nicht börsennotierte Erwerbergesellschaft gemäß §§ 1 I Nr. 1, 2 ff. UmwG41 • Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 2 Nr. 1 UmwG, bei der die Erwerbergesellschaft bereits besteht, und der Verschmelzung durch Neugründung gemäß § 2 Nr. 2 UmwG, bei der die Erwerbergesellschaft gleichzeitig neu gebildet wird. Die Erwerbergesellschaft kann jeweils sowohl eine nicht börsennotierte AG als auch eine sonstige Kapitalgesellschaft oder sogar Personengesellschaft sein, wobei jedoch, falls ein Rechtsformwechsel stattfindet, den Aktionären gemäß § 29 I 1 UmwG ein Barabfindungsangebot unterbreitet werden muss. (2076); Stratz in: Schmittl Hörtnagl I Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, §§ 226, 238 ff. UmwG. 37 Beispiele aus der Praxis finden sich bei Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 141(144). 38 Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 141 (149) m. w. N. 39 Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (466). 40 Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-üut" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übemahmerecht, DB 2000, 557 (559); Richard/Weinheimer; Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1615). 41 Einzelheiten bei Marsch-Barner u. a. in: Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, § 2 Rn I ff.; Richard/Weinheimer; Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1615); Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2076); Stratz in Schmitt/HörtnagllStratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 2 Rn 1 ff. UmwG.

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1. Kap.: Einführung

Zur Durchführung der Verschmelzung ist gemäß §§ 13 I, 65 I UmwG wiederum ein mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals zustande gekommener Hauptversammlungsbeschluss der übertragenden Gesellschaft erforderlich. Die Aktionäre der untergehenden AG erhalten für ihre Aktien nach einem angemessenen Umtauschverhältnis42 Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft. Die Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers führt gemäß § 20 I Nr. 2 UmwG zum Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers und damit zum Erlöschen der Aktien als Mitgliedschaft in ihm. Wie beim Rechtsformwechsel erledigt sich also damit die Zulassung dieser Aktien zum Börsenhandel gemäß § 43 11 VwVfG von selbst. Neben der Verpflichtung zur Einstellung der Notierung 43 ist eine besondere Delisting-Entscheidung hier ebenfalls nicht erforderlich44 . c) Aufspaltung

Ein dritter Weg, den das UmwG für ein Cold Delisting zur Verfügung stellt, ist die Aufspaltung einer börsennotierten AG gemäß § 123 I UmwG45 . Dabei teilt die börsennotierte AG ihr gesamtes Vermögen unter Auflösung ohne Abwicklung auf mindestens zwei bereits bestehende (Aufspaltung zur Aufnahme, § 123 I Nr. 1 UmwG) oder neu zu gründende (Aufspaltung zur Neugründung, 123 I Nr. 2 UmwG) andere Rechtsträger auf. Die Vermögensteile werden im Wege der Sonderrechtsnachfolge als Gesamtheit übertragen. Die Gesellschafter der übertragenden AG werden Anteilsinhaber der übernehmenden Rechtsträger. Die Eintragung der Aufspaltung in das Handelsregister der aufgespaltenen Gesellschaft hat, genau wie bei Umwandlung und Verschmelzung, die Wirkung, dass sich die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel ipso iure und ohne besondere Delisting-Entscheidung gemäß § 43 11 VwVfG erledigt46 .

42 Zur Bemessung des Umtauschverhältnisses im Einzelnen vgl. Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, OB 2000, 557 (559); teils abweichend: Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998, 460 (463 ff.). 43 Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (462). 44 Groß, Rechtsprobleme des Oelisting, ZHR 165 (2001), 141 (149) m. w. N. 45 Einzelheiten bei Kallmeyer in: Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, § 123 Rn 1 ff.; Hörtnagl in: Schrnitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 123 Rn 1 ff. UmwG, jeweils m. w. N. 46 Groß, Rechtsprobleme des Oelisting, ZHR 165 (2001), 141 (149 f.).

§ 2 Terminologie

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d) Eingliederung

Eine weitere Technik des cold Delisting halten die §§ 319 ff. AktG mit der Eingliederung einer börsennotierten AG in eine nicht börsennotierte AG mit Sitz im Inland bereit. Zur Durchführung bedarf es gemäß § 320 I 1 AktG eines zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses der einzugliedernden AG. Strittig ist, ob dieser angesichts der Tatsache, dass die zukünftige Hauptgesellschaft mindestens 95% des Grundkapitals der einzugliedernden Gesellschaft halten muss, auch mit einer Mehrheit von mindestens 95 % der abgegebenen Stimmen gefasst werden muss47 oder ob dafür die einfache Mehrheit ausreicht48 • Richtigerweise ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte in § 320 AktG der zuletzt genannten Auffassung zu folgen. Des Weiteren bedarf es gemäß § 320 I 3 AktG i.V. m. § 319 TI 2 AktG eines mit einer Mehrheit von drei Vierteln gefassten Beschlusses der Hauptgesellschaft. Zwar bleibt die eingegliederte AG trotz ihrer Eingliederung als rechtlich selbständige Gesellschaft erhalten49 . Allerdings gehen gemäß § 320a AktG mit der HandeIsregistereintragung sämtliche Aktien auf die Hauptgesellschaft über, ohne dass dafür ein besonderes Übertragungsgeschäft erforderlich ist. Zwar geht dadurch die Mitgliedschaft, anders als bei Umwandlung und Verschmelzung, nicht unter, sondern auf die Hauptgesellschaft über, so dass sich die Zulassung der Aktien nicht wegen des Wegfalls der Mitgliedschaft erledigt. Die Erledigung tritt jedoch deshalb ein, weil die Zulassung die Nutzung der Börseneinrichtung für den Handel mit Aktien erlaubt und ein solcher Handel aber wegen des Übergangs aller Aktien auf die Hauptgesellschaft, gerade nicht mehr stattfindet. Gemäß § 327 I Nr. 3 AktG würde nämlich sogar die Veräußerung nur einer einzigen Aktie durch die Hauptgesellschaft zum Ende der Eingliederung führen. Mit Wrrksarnkeit der Eingliederung erledigt sich daher die ZulassungSo. e) Vermögensübenragung

Schließlich besteht als Weg des cold Delisting noch die mitunter als "übertragende Auflösung" oder "Going Private Liquidation" bezeichnete VermögensübertragungS!. 47 Land/ Hasselbach, "Going Private" und ,,squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Bör. sen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (560). 48 Grunewald in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 320 AktG Rn 7; Hüjfer. Aktiengesetz, § 320 AktG Rn 4; jeweils m. w. N. auch zur Gegenmeinung; Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2078). 49 Hüjfer. Aktiengesetz, § 319 AktG Rn 2; Land/ Hasselbach, "Going Private" und "SqueezeOut" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (560) m. w. N. 50 Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (150). 51 VgJ. dazu Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übemahmerecht, DB 2000, 557 (560); Richard/Weinheimer. Der Weg

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1. Kap.: Einführung

Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die börsennotierte AG zunächst sämtliche Vermögenswerte auf eine Erwerbergesellschaft überträgt und anschließend aufgelöst und abgewickelt wird. In einem ersten Schritt wird also zwischen der börsennotierten AG und einer nicht börsenfähigen Erwerbergesellschaft ein sog. "Asset Deal" geschlossen. Dabei handelt es sich um einen gewöhnlichen Kaufvertrag, in welchem die zu übertragenden Einzelwirtschaftsgüter einzeln aufzulisten sind und ein Kaufpreis festzusetzen ist. Dieser bedarf gemäß § 179 11 1 AktG i.V. m. § 179a I AktG eines mit einer Mehrheit von drei Vierteln des vertretenen Kapitals zu fassenden Zustimmungsbeschlusses der Hauptversammlung. Der Erlös daraus fließt den bisherigen Aktionären der börsennotierten Gesellschaft im Verhältnis ihrer Beteiligung zu. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die Auflösung der Gesellschaft, welche die Hauptversammlung ebenfalls mit einer Mehrheit von drei Vierteln beschließen muss, § 262 I Nr. 2 AktG. Da der Auflösungsbeschluss nur dazu führt, dass sich der Gesellschaftszweck von Gewinnerzielung auf Abwicklung der Gesellschaft ändert52 , die Gesellschaft also erst einmal bestehen bleibt, dauert die Zulassung der Aktien zum Börsenhandel zunächst fort. Diese erledigt sich jedoch mit der späteren Beendigung der Abwicklung durch Löschung der Gesellschaft im Handelsregister gemäß § 43 11 VwVfG und zwar wiederum ipso iure und ohne besondere De1isting-Entscheidung53 . Anzumerken ist noch, dass eine Zusammenlegung von Aktien gemäß § 222 IV AktG (sog. "Reverse-Stock-Split,,)54, d. h. ein Umtausch einer bestimmten Anzahl alter Aktien in eine neue Aktie, nicht in den Kanon der Cold-Delisting-Techniken gehört, da sie nicht zur Änderung der rechtlichen Struktur des Unternehmens führt. Zwar kann sie im Extremfall auch zur Beendigung der Zulassung der Aktien zum Börsenhande1 führen, nämlich dann, wenn das Handelsvolumen infolge zu geringer Stückzahl soweit sinkt, dass ein Handel nicht mehr stattfindet. Jedoch erfolgt die Beendigung der Zulassung dann von Amts wegen und nicht unmittelbar aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung, d. h. nicht auf ,,kaltem" Wege. Ebenfalls keine Form des kalten Delisting ist die nunmehr nach §§ 327a ff. AktG bestehende Möglichkeit des Squeeze-Out, da dieses Gesellschaftsform un.verändert lässt. Durch den erzwungenen Ausschluss der Minderheitsaktionäre kann aber auf diesem Weg der Widerruf der Börsenzulassung ebenso erreicht werden, denn ein Handel mit den Aktien des Unternehmens wird nicht mehr stattfinden, wenn sich alle Anteile in der Hand eines Gesellschafters befinden. zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1615); Schwichtenberg, Going Private und SqueezeOuts in Deutschland, DStR 2001,2075 (2077 f.). 52 Hü!fer; Aktiengesetz, § 262 AktG Rn 2; ders. in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 262 AktG Rn 12, jeweils m. w. N. 53 Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (150 f.). 54 Dazu RichardlWeinheimer; Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1615 f.).

§ 3 Motive für ein reguläres Delisting

31

n. Going Private Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit der Thematik des regulären Delisting häufig verwendet wird, ist der aus dem Englischen stammende Begriff des Going Private. Von einem Going Private wird immer dann gesprochen, wenn eine börsennotierte Gesellschaft (Public Company) in ein Unternehmen mit nicht öffentlich gehandelten Anteilen (Private Company) gewandelt wird 55 • Damit bezieht sich auch dieser Begriff auf den Rückzug von der Börse. Gleichwohl ist er nicht gleichbedeutend mit dem regulären Delisting. Während letzteres den auf Antrag des Emittenten erfolgenden Widerruf der Zulassung zu einzelnen Börsen bezeichnet, handelt es sich beim Going Private um einen Vorgang, der darauf hinausläuft, dass überhaupt keine Aktien des betreffenden Unternehmens mehr an irgendeiner Börse gehandelt werden 56 . Daher stellt zwar ein vollständiges reguläres Delisting (sog. Totalrückzug) eine Möglichkeit des Going Private dar. Daneben existieren jedoch noch weitere Varianten, zu welchen insbesondere die oben angeführten cold Delisting-Techniken zählen. Insgesamt lässt sich also unterscheiden zwischen einem gesellschaftsrechtlich gesteuerten Going Private, welches die verschiedenen oben beschriebenen Vorgänge des cold Delisting umfasst, und einem börsenrechtlich bewirkten Going Private, unter welchem der durch reguläres Delisting bewirkte Rückzug des Emittenten von allen Börsen, zu denen er zugelassen ist, zu verstehen ist.

§ 3 Motive für ein reguläres Delisting Die hinter einem Rückzug eines Unternehmens von der Börse stehenden Beweggründe sind naturgemäß sehr vielfältig 57 • Dementsprechend kommt es im Einzelfall genau so selten vor, dass für einen Rückzug alle denkbaren Motive vorliegen, 55 Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999, 373; von Schenck in: Semler IVolhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch fur Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 24 Rn 1. 56 Halaszl Kloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, DB 2001, 474 (481); SchwarklGeiser. De1isting, ZHR 161 (1997), 739 (743); Winhl Amold, Anlegerschutz beim De1isting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (112). 57 Ausführlich zu den Motiven eines Delisting: von Braunschweig, De-listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 f.; Henze, Delisting, 34 ff.; Kleppe, Anlegerschutz, 13 ff.; LandlHasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557; Pfüller I Anders, Delisting-Motive vor dem Hintergrund neuerer Rechtsentwicldungen, NZG 2003,459 (460); Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999,373 f.; RichardlWeinheimer; Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1619 f.); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 60 f.; De Vries, De1isting, 13 ff.

32

1. Kap.: Einführung

wie es vorkommt, dass nur eines von ihnen den Ausschlag für die Rückzugsentscheidung gegeben hat. Im Folgenden werden die wesentlichen Motive überblicks artig vorgestellt.

I. Bedeutungslosigkeit der Börsenzulassung Regelmäßig ist wichtigste Bedeutung der Börsenzulassung für ein Unternehmen die Möglichkeit, über den Kapitalmarkt schnell und kostengünstig weiteres Eigenkapital aufnehmen zu können. Der Kapitalmarkt kann diese Funktion für das Unternehmen zum einen jedoch verloren haben, weil entweder bereits eine (oder mehrere) Kapitalerhöhung(en) erfolgt ist (sind) oder weil sich das Unternehmen aus dem eigenen Cash-Flow finanzieren kann und daher nicht (mehr) auf externe Kapitalgeber angewiesen ist58 . Zum anderen kann sich die Hoffnung auf schnelle und günstige Eigenkapitalaufnahme über die Kapitalmärkte jedenfalls auf nicht absehbare Zeit erledigt haben, z. B. weil das Unternehmen infolge dauerhaft niedriger Börsenkurse unterbewertet ist. In derartigen Konstellationen kann es für das Unternehmen interessant sein, sich vom Kapitalmarkt zurückzuziehen.

ll. Vermeidung von kapitalmarktrechtlichen Verhaltens- und Publizitätspflichten Die Börsenzulassung ist Anknüpfungspunkt für eine ganze Reihe von Verhaltens- und Publizitätspflichten59 . Die meisten dieser Pflichten entspringen entweder dem BörsG oder dem WpHG. Erwähnenswert sind insofern vor allem die Pflichten zur Zwischenberichtserstattung gemäß § 40 I BörsG, zur Auskunftserteilung gemäß § 41c BörsG, zur Ad-Hoc-Publizität gemäß § 15 WpHG und zur Insiderüberwachung gemäß § 12 ff. WpHG. Hinzu treten weitere Pflichten nach der BörsZulVO sowie bestimmte, im AktG oder im HGB statuierte Erschwerungen gegenüber nicht börsennotierten Unternehmen, beispielsweise strengere Rechnungslegungs- und -prüfungsvorschriften. Die Einhaltung dieser Pflichten ist zum einen mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, denn sie erfordert einen nennenswerten Aufwand an Sach- und Personalrnitteln60 . Zum anderen können den börsennotierten Unternehmen aus der Einhaltung vor allem der börsenrechtlichen Publizitäts- und Transparenzpflichten informationelle Nachteile gegenüber ihren Konkurrenten erwachsen61 • Beispiels58

373.

Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999,

Eingehend dazu: De Vries, Delisting, 13 ff. Kleppe, Anlegerschutz, 18; Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999,373 (374). 61 Henze, Delisting, 39 f.; Kleppe, Anlegerschutz, 19 ff. 59

60

§ 3 Motive für ein reguläres Delisting

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weise müssen bestimmte Unternehmensentscheidungen von börsennotierten Gesellschaften veröffentlicht werden, während ihre nicht börsennotierten Konkurrenten dazu nicht verpflichtet sind. Beide Konsequenzen können vermieden werden, indem sich das Unternehmen von der Börse zurückzieht, da dann die entsprechenden Pflichten entfallen.

III. Schutz vor feindlichen Übernahmen Als unternehmenspolitischer Beweggrund für einen Rückzug von der Börse kommt weiterhin der präventive Schutz vor einer feindlichen Übernahme des Unternehmens durch einen strategischen Investor oder einen Finanzinvestor in Betracht. Wenn eine solche Gefahr ernsthaft droht, kann es ein probates Verteidigungsmittel sein, sich vom Kapitalmarkt zurückzuziehen. Dann nämlich werden die Transaktionskosten für eine Übernahme erhöht und ein heimliches Vorgehen des potentiellen Übernehmers ausgeschlossen 62 . Eine anvisierte Übernahme kann so jedenfalls erschwert oder sogar ganz verhindert werden. Allerdings dürfte dieser Zweck angesichts der Tatsache, dass feindliche Übernahmen ohnehin zumeist mit Paketaufkäufen in außerbörslichen Transaktionen beginnen, allenfalls ein Begleitmotiv für einen Rückzug sein.

IV. Freeze-Out Ein Delisting kommt ferner zu dem Zweck in Betracht, Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft herauszudrängen. Durch eine restriktive Dividendenpolitik, bei der die Gewinne des Unternehmens weitestgehend thesauriert werden, ist die Anteilsveräußerung an den Mehrheitsaktionär für den Kleinaktionär oft der einzige Weg, seine wirtschaftlichen Interessen zu realisieren. Allerdings dürfte dieses Motiv nach Einführung der §§ 327a ff. AktG (sog ...Squeeze-Out") an Bedeutung verloren haben. Der Großaktionär hat nämlich nunmehr das Recht, Kleinbeteiligungen im Wege der Barabfindung zu übernehmen und ist daher nicht mehr auf das Festhalten an einer kleinaktionärfeindlichen Unternehmenspolitik angewiesen. Dennoch ist ein Freeze-Out auch in Zukunft nicht völlig ausgeschlossen. Es kann z. B. dann in Betracht kommen, wenn der Großaktionär noch nicht die für ein Squeeze-Out erforderlichen 95 % der Anteile hält.

v. Kostenersparnis Schließlich entfallen mit dem Rückzug von der Börse selbstverständlich auch die Gebühren für die Notierung an der Börse. Allerdings sind diese Kosten gegen62

De Vries, Delisting, 17; Henze, Delisting, 38.

3 Gun.

34

1. Kap.: Einführung

über den durch die Bemühungen des Unternehmens zur Wahrung der oben genannten Pflichten, zur Kurspflege und zur Betreuung der Aktionäre vergleichsweise gering. So beträgt die jährliche Gebühr für die Notierung von Aktien im amtlichen oder geregelten Markt an der FWB derzeit € 7.500,-. und für die Notierung im jeweiligen Teilbereich mit erweiterten Zulassungsfolgepflichten € 10.000,-, vgl. § 15 I i.V. m. Tabelle VIII GebührenO FWB. Die Einsparung der Primärgebühren dürfte daher kaum jemals das bestimmende Motiv, sondern allenfalls ein (willkommener) Reflex eines Rückzugs sein.

VI. Weitere Motive Über die eben erwähnten Motive hinaus gibt es für einen Rückzug von der Börse noch eine Reihe weiterer Gründe. Diese sollen ebenfalls noch Erwähnung finden, ohne dass insofern eine abschließende Aufzählung beabsichtigt ist. So können nach einem Rückzug etwaige, bis dahin unausgeschöpfte, Wertpotentiale realisiert werden. Zu denken ist insofern an die Fälle, in denen Investitionen auf an sich rentablen Geschäftsfeldern deshalb unterbleiben, weil ihnen der Druck auf das Unternehmen, arn Kapitalmarkt kurzfristig erfolgreich zu sein, entgegensteht63 . Schließlich seien als Motive für ein Delisting hier noch genannt: steuerliche Anreize64 , konzernpolitische Ziele65 , die Vermeidung von negativen Public-Relations-Effekten 66 , der erleichterte Zugriff auf Vermögen und Liquidität der Gesellschaft67 oder der Wunsch des Mehrheitsaktionärs nach einer stärkeren Einflussnahme auf die Geschäftsführung 68 .

63 Henze, Delisting, 36 f.; De Vries, Delisting, 19; Richard, Going Private - Der Rückzug von der Börse als Chance, M&A Review 1999,373 (374). 64 von Braunschweig, Going Private und De-Listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 (166); Henze, Delisting, 35; Kleppe, Anlegerschutz, 26 ff. 65 Dazu Vollmer/Grupp, Der Schutz der Aktionäre beim Börseneintritt und Börsenaustritt, ZGR 1995,459, (473). 66 De Vries, Delisting, 19 f. 67 von Braunschweig, Going Private und De-Listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 f. 68 Kleppe, Anlegerschutz, 25 f.; von Braunschweig, Going Private und De-Listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165.

§ 4 Ökonomische Dimension des regulären Delisting

35

§ 4 Ökonomische Dimension des regulären Delisting Zum Abschluss der Einführung soll noch die ökonomische Bedeutung eines Totalrückzugs eines Unternehmens von der Börse erläutert werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der allgemeinen Bedeutung von Börsenrückzügen für die gesamte Volkswirtschaft und der Bedeutung des Rückzugs im jeweiligen Einzelfall. Die nachfolgenden Ausführungen sollen in erster Linie als Hintergrundinformationen dienen, mit deren Hilfe sich die im Hauptteil der Arbeit behandelten rechtlichen Probleme wirtschaftlich besser einordnen lassen.

I. Allgemeine Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft Rückgrat einer jeden marktwirtschaftlich verfassten Volkswirtschaft ist ein funktionierender Kapitalmarkt. Die Bereitschaft sowohl in- als auch ausländischer Investoren, den Kapital suchenden Unternehmen über den Kapitalmarkt eine Finanzierungsquelle zu eröffnen, hängt hauptsächlich vom Grad seiner Effizienz und Funktionsfähigkeit ab69 . Je höher dieser Grad ist, desto eher ist gewährleistet, dass das investierte Kapital dorthin fließt, wo es am dringendsten gebraucht und am sinnvollsten eingesetzt wird (sog. allokative Funktion des Kapitalmarkts)7o. Kriterien für diese allokative Funktionsfähigkeit eines Kapitalmarkts sind einerseits seine Breite und andererseits seine Tiefe. Die Marktbreite bezieht sich darauf, wie viele unterschiedliche Produkte (Aktien, Schuldverschreibungen, Optionen, Rohstoffe etc.) und wie viele Objekte eines jeden Produkts gehandelt werden können. Die Markttiefe hingegen bezieht sich darauf, wie stark der Handel ist, d. h. wie groß der Umsatz in den einzelnen Titeln ist. Durch ein Delisting eines an einem Kapitalmarkt zugelassen Unternehmens sinkt die Anzahl der an diesem Markt gehandelten Produkte. Dadurch wird zunächst die Marktbreite und demzufolge die Funktionsfähigkeit des Markts insgesamt unmittelbar beeinträchtigt. Es wäre jedoch vorschnell, allein aus diesem Umstand zu folgern, die Möglichkeit zum Börsenrückzug müsse im Interesse des Kapitalmarkts und damit im Interesse der gesamten Volkswirtschaft so restriktiv wie möglich ausgestaltet sein. Dabei würde nämlich verkannt, dass sich die Breite eines Aktienmarktes nicht nur danach richtet, wie hoch die Schranken für den Austritt eines Unternehmens aus. diesem Markt sind, sondern ebenso danach, wie niedrig die Schranken zum Eintritt in diesen Markt sind. Die Markteintrittsschranken sind jedoch umso höher, je höher die Marktaustrittsschranken sind, denn die Entscheidung über den Markteintritt wird immer auch vor dem Hintergrund getroffen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie gegebenenfalls wieder rückgängig gemacht werden kann. 69 70

3*

Lenenbach, Börsen- und Kapitalmarktrecht, 18. Lenenbach, Börsen- und Kapitalmarktrecht, 19.

36

1. Kap.: Einführung

Das reguläre Delisting ist die einzige Möglichkeit, den Markt für Unternehmensanteile zu verlassen, ohne die Rechtsform des Unternehmens grundlegend zu verändern. Wenn jedoch diese Möglichkeit nicht oder nur unter ganz engen Voraussetzungen besteht, werden Unternehmen umso eher davon absehen, den Schritt an die Börse überhaupt erst zu wagen. Wenn jedoch vergleichsweise wenige Unternehmen an die Börse gehen, ist die Marktbreite von vornherein nur sehr eingeschränkt. Die Möglichkeit zum regulären Delisting wirkt sich daher in erster Linie vorteilhaft auf die Marktbreite und damit auf die Funktionsfähigkeit eines Marktes aus. Aus alldem folgt, dass die Marktbreite durch ein reguläres Delisting zwar sekundär beeinträchtigt wird, weil die Anzahl der gehande1ten Produkte sinkt. Andererseits aber wirkt sich die Möglichkeit zum regulären Delisting positiv auf sie aus, weil mehr Unternehmen den Schritt an die Börse überhaupt erst gehen werden, wenn die Möglichkeit zum späteren Börsenrückzug besteht. Aufgrund des zyklischen Konjunkturverlaufs wird es immer Phasen geben, in denen weniger oder keine Börsenrückzüge zu verzeichnen sind und Phasen, in denen sie in größerer Zahl erfolgen. In Deutschland hat aufgrund der schlechten Konjunkturlage während der letzten Jahre nicht nur die Anzahl der Börsengänge (IPOs) dramatisch abgenommen7 !, sondern auch die Anzahl der Börsenrückzüge erheblich zugenommen72 . Stellte der Rückzug von der Börse in Deutschland noch bis vor kurzem eine seltene Ausnahme dar, so hat sich dieses Bild mittlerweile gewandelt. Wahrend im Jahre 2000 immerhin insgesamt 17 deutsche Unternehmen die Einstellung der Börsennotiz angekündigt haben, so waren es 2002 allein an der FWB bereits 24 Unternehmen deren Börsennotiz auf Antrag eingestellt wurde und 36 Unternehmen bei denen die Einstellung von Amts wegen, meist als Folge eines Squeeze-Out, erfolgte73. Der Kurszettel an den deutschen Börsen hat sich in der jüngeren Vergangenheit also merklich ausgedünnt. Das reguläre Delisting hat demnach erheblich an praktischer Relevanz gewonnen74 •

71 Gab es z. B. an der FWB 1999 noch 27 IPOs im amtlichen Markt (damals "amtlicher Handel"), 9 im geregelten Markt sowie 132 im Neuen Markt und 2000 noch 15, 5 bzw. 132, so gab es 2001 lediglich 5, 5, bzw. 11 und 2002 gar nur noch 1, 4 bzw. 1 Börsengänge, vgl. Factbook der Deutsche Börse AG 2002, abrufbar unter: http: 11 www3.deutsche-boerse. com !INTERNET I IP I ip_stats.nsf I (KIR+Factbook+Kassamarkt) I 2115F557 A20BC49FC 1256 CF5OO604E56 I $FILE I Factbook_2002.pdf?OpenElement (Stand der letzten Abfrage: 20. 12. 2004). 72 Einige Beispiele werden genannt von: Bungen, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (54); Mülben, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 104 (l05, Fn. 8); sowie Groß. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (143). 73 Krämer/Theiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225. 74 Zur Bedeutung des Rückzugs von der Börse an den Kapitalmärkten insgesamt: Richardl Weinheimer, Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 f.

§ 4 Ökonomische Dimension des regulären Delisting

37

11. Bedeutung im Einzelfall Im Rahmen der Erläuterung der Auswirkungen, welche ein konkretes Delisting hat, ist zu unterscheiden zwischen seiner Bedeutung für den riickzugswilligen Emittenten (institutioneller Aspekt) und seiner Bedeutung für die betroffenen Aktionäre (individueller Aspekt).

1. Für den rückzugswilligen Emittenten Die wirtschaftliche Bedeutung eines regulären Delisting für ein Unternehmen ist denknotwendig untrennbar mit den soeben erläuterten Motiven für einen Rückzug von der Börse verbunden. Die Entscheidung über einen Totalriickzug steht am Ende einer rein ökonomisch orientierten Kosten-Nutzen-Analyse, bei der - vereinfacht ausgedrückt - danach gefragt wird, ob die mit der Börsenzulassung verbundenen Vorteile die mit ihr einhergehenden Nachteile, d h. die unausgeschöpften Wertpotentiale und operativen Nachteile, (noch) überwiegen. Nicht zuletzt ist im Rahmen dieser Überlegungen der mit einem Rückzug verbundene Prestigeverlust zu beriicksichtigen. Muss die vorgenannte Frage verneint werden, so ist es betriebswirtschaftlich vernünftig, den Rückzug von der Börse anzustreben. Mit diesem wird der Weg für den Emittenten frei, die Folgen zu realisieren, welche den Rückzug motiviert hatten. Gleichwohl ist zu beriicksichtigen, dass nicht immer alle der mit der Einhaltung der Transparenz- und Publizitätspflichten verbundenen Kosten für einen Emittenten an seine Börsennotiz gekoppelt sind. In den USA beispielsweise ist zwar ein Delisting weitgehend problemlos möglich. Es bedarf lediglich eines Antrags an die entsprechende Zulassungsstelle und nach 3 Monaten ist der Emittent von der Kurstafel verschwunden 75 . Allerdings ist dort das Unternehmen nach einem Delisting nicht automatisch von den Transparenzpflichten, d. h. den strengen Berichtspflichten und Bilanzierungsstandards, entbunden. Dazu bedarf es vielmehr erst einer sog. "Deregistration". Diese ist jedoch nur dann möglich, wenn das Unternehmen nachweisen kann, das weniger als 300 US-Bürger seine Anteile halten. Dieser Nachweis wird jedoch, zumal wenn Inhaberaktien ausgegeben wurden, praktisch nie zu führen sein76 • In solchen Fällen wird daher der als Motiv für einen Börsenriickzug in Betracht kommende Faktor Kostenersparnis relativiert. 2. Für den einzelnen Anleger Für die Aktionäre des riickzugswilligen Emittenten hat ein (vollständiges) reguläres Delisting zur Folge, dass sie ihre Anteile in Zukunft, d. h. nach einer 75 76

Cabras, Kein Weg zurück, Wertpapier 2005, 20 (22). Cabras, Kein Weg zurück, Wertpapier 2005,20 (22 f.).

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1. Kap.: Einführung

gewissen Übergangszeit, die für die (technische) Durchführung des Börsenrückzugs notwendig ist, nicht mehr über die Börse veräußern können. Wahrend sie zwar in ihrer mitgliedschaftlichen Position als Gesellschafter der AG nicht tangiert werden und ihre Anteile auch weiterhin frei übertragbar bleiben, führt das Delisting dazu, dass der Markt für den öffentlichen Handel ihrer Mitgliedschaften wegfallt. Dies erschwert sowohl die Suche nach einem Abkäufer als auch die Erzielung eines angemessenen Veräußerungserlöses. Daher wird allein die Aussicht auf ein bevorstehendes Delisting in den meisten Fällen schon vor der eigentlichen Hande1seinstellung Druck auf den Aktienkurs ausüben. Weil darüber hinaus die Mitverwaltungsrechte für die Minderheitsaktionäre selten eine nennenswerte Bedeutung haben, läuft ein vollständiges Delisting in der Regel den Interessen insbesondere der Kleinanleger entgegen, denn der Grund für ihre Beteiligung an der Gesellschaft erschöpft sich zumeist in der Wahrnehmung der mit der Mitgliedschaft verbundenen Vermögensrechte (Dividendenzahlungen) sowie in der Möglichkeit, Kursgewinne zu realisieren.

Kapitel 2

Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting In Deutschland vollzieht sich der Wertpapierhandel nicht an der Börse schlechthin, sondern in den verschiedenen vom Gesetz vorgegebenen Marktsegmenten amtlicher Markt, geregelter Markt und Freiverkehr. Die eingeführten Wertpapiere werden jeweils nur zum Handel an einem dieser Marktsegmente zugelassen 1.

Durch das Vierte FMFG wurde das BörsG derart reformiert, dass den Börsen ein Spielraum für die Gestaltung ihrer Segmente eingeräumt wird. Für den amtlichen Markt ist dies in § 42 BörsG geschehen, wonach die Börsenordnung für Teilbereiche des amtlichen Markts ergänzend zu den vom Unternehmen einzureichenden Unterlagen weitere Unterrichtungspflichten des Emittenten aufgrund der Zulassung von Aktien oder Aktien vertretenden Zertifikaten zum Schutz des Publikums oder für einen ordnungsgemäßen Börsenhandel vorsehen kann. Eine entsprechende Vorschrift für den geregelten Markt findet sich in § 54 S. 2 BÖrsG. Darüber hinaus können für Teilbereiche des geregelten Markts auch erweiterte Zulassungsvoraussetzungen geschaffen werden, § 50 III BÖrsG. Die Börsen haben also nunmehr die Möglichkeit, innerhalb der öffentlich-rechtlich organisierten Handelssegmente Teilbereiche zu schaffen, die erweiterte Anforderungen an die Emittenten vorsehen. Dies konnte vorher nur im Bereich des privatrechtlich organisierten Freiverkehrs durch rein privatrechtliche Regelwerke, wie das RNM oder die SMAX-Teilnahrnebedingungen geschehen. Von dieser Möglichkeit der Aexibilisierung der öffentlich-rechtlichen Marktsegmente hat die FWB bereits Gebrauch gemacht, indem sie durch eine zum 01. 01. 2003 in Kraft getretene grundlegende Änderung ihrer Börsenordnung2 eine Neusegmentierung vorgenommen hat3 . Sowohl innerhalb des amtlichen als auch innerhalb des geregelten Marktes an der FWB existieren seitdem zwei verschieden Segmente. Dies sind jeweils ein Basissegment, der sog. General Standard, und ein Segment mit weiteren Zulassungsfolgepflichten, der sog. Prime Standard. Kümpel, Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 105. Vgl. Bekanntmachung der FWB vom 01. 01. 2003, abrutbar unter: http://www1.deutsche-boerse.com / INTERNET / EXCHANGE / zpd.nsf / PublikationenID / HAMN-5HE9R3/ $FILE/fwbOl-2003- Ol-01.pdf?Open Element (Stand der letzten Abfrage: 26. 09. 2003). 3 Zur Neusegmentierung vgl. Beck, Die Reform des Börsenrechts im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, Teil 2, BKR 2002, 699 (706 ff.); Fleischer, Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, NJW 2002, 2977 (2982); Rudolph, Viertes Finanzmarktförderungsgesetz - ist der Name ProgranIm?, BB 2002, 1036 (1038 f.); Schlitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 ff. I

2

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Aufgrund der zwischen den einzelnen Segmenten bestehenden Unterschiede im Hinblick auf einen Widerruf der Zulassung wird im Folgenden nicht nur zwischen den Segmenten amtlicher Markt, geregelter Markt und Freiverkehr, sondern innerhalb der beiden erstgenannten Segmente noch zwischen den jeweiligen Teilbereichen General Standard und Prime Standard differenziert.

§ 5 Amtlicher Markt Der amtliche Markt ist das prestigeträchtigste Marktsegment und wird vor allem von den großen deutschen Unternehmen bevorzugt, denn wichtige Indizes wie DAX und MDAX knüpfen an die amtliche Notierung der entsprechenden Werte an4 . Er ist daher mit einem Anteil von ca. 95 % am Börsenumsatz inländischer Aktien mit großem Abstand das wichtigste Handelssegment des deutschen Aktienmarktes 5 . Der amtliche Markt ist in die Wertpapierbörse integriert. Diese ist die Plattfonn für den Handel und darf als solche nicht verwechselt werden mit ihrem privatrechtlichen Träger6 , welcher die personellen, finanziellen und sachlichen Mittel zur Verfügung stellt, vgl. § 2 S. 2 BörsO FWB. Da die Wertpapierbörse nach allgemeiner Ansicht eine (nicht rechtsfähige) Anstalt des öffentlichen Rechts ist7, weist der amtliche Markt eine öffentlich-rechtliche Organisationsstruktur aurs. Das Verfahren der Zulassung zum amtlichen Markt ist demgemäß öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Die einzelnen Zulassungsvoraussetzungen ergeben sich aus der auf der Ennächtigungsnonn des § 32 I BörsG (§ 38 I BörsG a. E) beruhenden BörsZuiVO. Zuständig für die Prüfung des Zulassungsantrages und für die Erteilung der Zulassung ist die Zulassungsstelle, § 31 I 1 BörsG (§ 37 I 1 BörsG a. E). Sie ist ein Organ der Börse. Ihre Besetzung und Arbeitsweise ist in der jeweiligen Börsenordnung9 und der Geschäftsordnung geregelt. Die verschiedenen Erscheinungsfonnen des regulären Delisting werden im Folgenden einzeln untersucht. Wie die Zulassung zum Handel am amtlichen Markt stellt auch ihr Widerruf als actus contrarius dazu einen Verwaltungsakt dar 10. ZuJäger, Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999,381 (383). Hansen, Die überfällige Neuordnung des amtlichen Handels, AG-Report 1998, R 3. 6 Privatrechtliche Träger der deutschen Börsen sind entweder Vereine oder Kapitalgesellschaften. Träger der FWB ist die Deutsche Börse AG, vgl. § 2 S. 1 BörsO FWB. 7 Claussen, Noch einmal: Die Rechtsform deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 2000, 1 (2); Franke in: Assmann/ Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 2 Rn 15 ff.; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 7; Schwark, Börsengesetz, § I Rn 15 ff.; Segna, Die Rechtsform deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 1999, 144 m. w. N. 8 Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 67 ff. 9 Für die FWB vgl. §§ 50-55 BörsO FWB. 10 VG Frankfurt/M., NJW-RR 2002, 480. 4

5

§ 5 Amtlicher Markt

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ständig für den Widerruf der Zulassung ist ebenfalls die Zulassungsstelle, vgl. § 38 III, IV BÖrsG.

I. Widerruf der Zulassung zum General Standard Die Zulassung zum General Standard des amtlichen Markts kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Emittenten widerrufen werden.

1. Widerruf der Zulassung von Amts wegen Für den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Börsenzulassung werden vom Gesetz verschiedene Möglichkeiten bereitgestellt. Diese können danach differenziert werden, ob der Widerruf auf spezieller oder auf allgemeiner verwaltungsrechtlicher Grundlage erfolgte. a) Nach speziellem Verwaltungsrecht

Für den Widerruf der Zulassung nach speziellem Verwaltungsrecht bestehen zwei verschiedene Rechtsgrundlagen. aa) Gemäß § 38 III BörsG Zum einen hält § 38 m BörsG (§ 43 m BörsG a. E) einen speziellen Widerrufsgrund bereit. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung der Zulassungsstelle ll . Für die FWB findet sich eine mit § 38 III BörsG wörtlich übereinstimmende Vorschrift in § 57 I Börsü FWB. Darüber hinaus wird der Widerruf der Zulassung von Amts wegen gemäß § 57 11 Börsü FWB unverzüglich auf Kosten des Emittenten durch die Zulassungsstelle in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt veröffentlicht Für einen Widerruf der Zulassung nach § 38 III BörsG bzw. § 57 I Börsü FWB müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Die erste ist, dass die Einstellung der amtlichen Notierung bereits erfolgt sein muss. Insofern baut § 38 III BörsG auf § 38 I Nr. 2 BörsG (§ 43 I Nr. 2 BörsG a. E) auf. Danach kann die Geschäftsführung diese Maßnahme ergreifen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet erscheint. Wegen der längeren Dauer und der negativen Auswirkungen auf den Emittenten und die Anleger bedarf es dazu einer besonders sorgfältigen Prüfung 12 • Die Einstellung der Notierung ist daher nur sehr begrenzt 11 12

Schwarle, Börsengesetz, § 43 Rn 13. Schwark, Börsengesetz, § 43 Rn 8.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

zulässig 13 . Es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel unter den gegebenen Umständen für längere Zeit nicht stattfinden kann l4 . Dies kommt, je nach Lage des Einzelfalles, etwa bei der Eröffnung eines Vergleichs- oder Konkursverfahrens 15 oder bei einem rapiden Prozess der Kapitalauszehrung des Emittenten 16 in Frage. Darüber hinaus kann eine solche Situation entstehen, wenn die Zahl der Aktionäre einer börsennotierten AG soweit herabsinkt, dass ein Markt, der sich aufgrund von Angebot und Nachfrage bildet, nicht mehr vorhanden ist 17 . Dies kann insbesondere dann geschehen, wenn Minderheitsaktionäre ausgeschlossen werden und sich sämtliche Papiere in der Hand des Hauptaktionärs vereinigen. Die Möglichkeit eines solchen Squeeze-Out durch den Hauptaktionär, der mindestens 95 % der Aktien hält, ist nunmehr in den §§ 327a-327f AktG geregelt. Sie wurde mit der am 01. 01. 2002 in Kraft getretenen Änderung des AktG durch Art. 7 des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Untemehmensübemahmen 18 geschaffen. Die zweite Voraussetzung für einen Widerruf ist, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist. Dies wird dann der Fall sein, wenn die Umstände, die zur Einstellung geführt haben, die Zulassungsstelle zu der Überzeugung gelangen lassen, dass ein amtlicher Handel auch in späterer Zeit nicht mehr möglich sein wird 19. Zweck der Vorschrift ist es also, der Zulassungsstelle ein Instrumentarium in die Hand zu geben, wenn der ordnungsgemäße Börsenhandel aus markttechnischen Gründen dauerhaft gestört ist2o. bb) Gemäß § 43 S. 2 BörsG Einen anderen besonderen Widerrufsgrund stellt § 43 S. 2 BörsG (§ 44d S. 2 BörsG a. E) dar. Danach kann die Zulassung zum amtlichen Markt auch unter den folgenden Voraussetzungen widerrufen werden. Zum einen muss der Emittent gegen seine Emittentenpflichten nach Zulassung verstoßen haben. Zu letzteren zählen in erster Linie die Verhaltenspflichten nach § 39 I Nr. 1 und 2 BörsG (§ 44 I Nr. 1 und 2 BörsG a. E) und § 39 I Nr. 4 BörsG (§ 44 I Nr. 4 BörsG a. E) LV. m. § 69 BörsZulVO, sowie die Publizitäts- und Informationspflichten nach § 39 I Nr. 3 Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 42, 43 BörsG Rn 8. Schwark. Börsengesetz, § 43 Rn 9. 15 Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 42, 43 BörsG Rn 8. 16 Schwark. Börsengesetz. § 43 Rn 9 mit weiteren Beispielen. 17 Richard/Weinheimer, Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1619) in Anlehnung an die Marketplace Rules für den NASDAQ Stock Market. 18 BGBL 2001 I, 3822 (3838 ff.). 19 Schwark. Börsengesetz, § 43 Rn 13. 20 Schwark. Börsengesetz, § 44d Rn 2. J3

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BörsG (§ 44 I Nr. 3 BörsG a. E) i.v. m. §§ 63 ff. BörsZulVO, § 40 BörsG (§ 44b BörsG a. E) i.V. m. §§ 53 ff. BörsZulVO und § 41 BörsG (§ 44c BörsG a. E). Zum anderen muss gegeben sein, dass der Emittent seine Pflichten nicht erfüllt hat, obwohl ihm dafür eine angemessene Frist gesetzt wurde. Diese muss so bemessen gewesen sein, dass der Emittent bei objektiver Betrachtung in der Lage gewesen sein muss, seine Pflichten innerhalb dieser nachholen zu können 21 . Anders als § 38 III BörsG reagiert § 43 S. 2 BörsG also nicht auf eine aus markttechnischen Gründen eingetretene dauerhafte Störung des Börsenhandels, sondern knüpft an hartnäckige Pflichtverletzungen des Emittenten an, die einen ordnungsgemäßen Handel vielmehr aus ideellen Gründen unmöglich machen22 • Er schließt damit die Lücke im Sanktions system, die die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Widerrufsregeln dadurch hinterlassen, dass sie keine speziellen Widerrufsmöglichkeiten bei anhaltenden Pflichtverstößen des Emittenten enthalten 23 . Praktische Relevanz erhielt die Vorschrift im Fall der Gigabell AG, die nach § 43 S. 2 BörsG vom Kurszettel gestrichen wurde, weil sie ihren Zulassungsfolgepflichten nicht nachkam24 • Zu bemerken ist noch, dass § 43 S. 2 BörsG bis zur gesetzlichen Einführung des regulären Delisting in § 38 IV BörsG (§ 43 IV BörsG a. E) eine Missbrauchsmöglichkeit darstellte. Denn zwar geschieht das Delisting nach dieser Vorschrift von Amts wegen, dennoch kann der Emittent einen Widerruf nach dieser Vorschrift durch ein entsprechendes Verhalten provozieren. Verstößt er nämlich gezielt dauerhaft gegen seine Pflichten, so schrumpft das Ermessen der Zulassungsstelle auf Null und sie muss die Zulassung widerrufen 25 . Allerdings kann dem rückzugswilligen Emittenten nicht zugemutet werden, sich in die Illegalität zu flüchten und ein Delisting durch rechtswidriges Verhalten erzwingen zu müssen26 . Nicht zuletzt deshalb ist durch das Dritte FMFG die Möglichkeit eines Delisting auf Antrag des Emittenten nach § 38 IV BörsG eingefügt worden.

b) Nach allgemeinem Verwaltungsrecht Die Zulassung von Aktien zur Börse kann außer nach den eben geschilderten spezialgesetzlichen Vorschriften auch nach den allgemeinen Vorschriften des VwVfG widerrufen werden. Dies wird in § 38 III BörsG ausdrücklich klargestellt. Schwark, Börsengesetz, § 44d Rn 2. Schwark, Börsengesetz, § 44d Rn 2. 23 Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 44-44d BörsG Rn 13. 24 Kretzsclzmerl Karakaya, Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2495). 25 SchwarklGeiser; De1isting, ZHR 161 (1997),739 (742 f.). 26 Klenke, Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen Regionalbörsen, WM 1995, 1089 (1095). 21

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aa) Gemäß § 49 VwVfG Aufgrund des umfangreichen und sorgfältig durchgeführten Zulassungsverfahrens handelt es sich bei der Börsenzulassung regelmäßig um einen rechtmäßigen Verwaltungsakt. Allgemeine verwaltungsrechtliche Grundlage für die Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes ist der Widerruf nach § 49 VwVfG. Die Widerrufsentscheidung steht im Ermessen der Behörde27 . Nach dieser Vorschrift hängen die Voraussetzungen für einen Widerruf davon ab, ob es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt oder nicht. Wie bereits ausgeführt, stellt die Börsenzulassung für den Emittenten die öffentlichrechtliche Erlaubnis dar, für den Handel in den betreffenden Wertpapieren die Börseneinrichtungen zu benutzen 28 . Bereits dies legt eine Qualifizierung als begünstigenden Verwaltungs akt nahe. Zwar treffen den Emittenten mit der Zulassung ipso iure ebenfalls zahlreiche Pflichten gegenüber der Öffentlichkeit und der Börse29 . Diese Belastungen machen die Zulassung aber noch nicht zu einem belastenden Verwaltungsakt. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um akzessorische Begleiterscheinungen, die auch sonst bei der Einräumung begünstigender Rechtspositionen im öffentlichen Recht beobachtet werden können 3o • Demzufolge stellt die Zulassung zur Börse einen begünstigenden Verwaltungsakt dar3 ]. Da die Börsenzulassung weiterhin weder eine Geldleistung noch eine teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, sind bei einem Widerruf nach § 49 I VwVfG stets die Einschränkungen des § 49 II VwVfG zu beachten. Danach ist ein Widerruf nur für die Zukunft möglich. Da es sich bei dieser Vorschrift überdies um eine abschließende Regelung handelt 32 , ist es für einen Widerruf der Börsenzulassung erforderlich, dass eine der enumerierten Voraussetzungen erfüllt ist. Insofern ist jedoch allenfalls ein Widerruf nach § 49 II Nr. 3 VwVfG denkbar, wonach die Behörde den Verwaltungsakt dann widerrufen darf, wenn sie aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu Statt aller: Sachs in: Stelkens / Bonk I Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 8. Siehe § 2 I. 29 Zu nennen sind hier v. a. die Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, die Zwischenberichtspflicht nach § 40 BörsG i.V. m. §§ 53 -62 BörsZulV, die Auskunftspflicht nach § 41 BörsG sowie sonstige Pflichten nach §§ 63 -70 BörsZulV. 30 Fluck, Zum Verzicht des Begünstigten auf Rechte aus einem Verwaltungsakt am Beispiel der Börsenzulassung, WM 1995, 553 (558 f.); Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739 (752 f.). 31 Allgemeine Auffassung, vgl. Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739 (752); sowie die Nachweise in Fn 10, 1l. 32 Erichsen in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 18 Rn 12 (Fn 40); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn 40; Meyer in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 37; Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 26, Sachs in: SteJkens/Bonkl Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 35 m. w. N.; Schäfer in: Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 18. 27

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erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefcihrdet wäre. Für letzteres wird zwar eine konkrete Geflihrdung eines besonderen Schutzgutes verlangt, für deren Beseitigung der Widerruf erforderlich ist33 . Da jedoch durch eine weiter bestehende Zulassung von Emittenten, welche die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllen, die Funktionsfahigkeit des Kapitalmarktes und zudem der Schutz der Anleger beeinträchtigt wird, ist diese Voraussetzung in der Regel erfüllt. Die Zulassungsstelle kann die einmal rechtmäßig erteilte Zulassung also dann widerrufen, wenn die Voraussetzungen der Zulassung nachträglich weggefallen sein sollten34 . Wie es generell beim Widerruf begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung der Fall ist, ist der Widerruf der Börsenzulassung nach § 49 VwVfG insgesamt also nur in engen Grenzen möglich. bb) Exkurs: Rücknahme gemäß § 48 VwVfG Die Rücknahme nach § 48 VwVfG ist dann die einschlägige Rechtsgrundlage, wenn die Zulassung rechtsfehlerhaft erteilt wurde, es sich also um einen von Anfang an35 rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt. Die Rücknahmeentscheidung steht ebenfalls im Ermessen der Behörde36 . Da es sich bei der rechtswidrig erteilten Zulassung gleichwohl um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, darf sie gemäß § 48 I 2 VwVfG nur unter den Einschränkungen der Absätze 2-4 zurückgenommen werden. Weil die Börsenzulassung weiterhin weder eine Geldnoch eine teilbare Sachleistung gewährt oder für eine solche Voraussetzung ist, ist nicht Abs. 2, sondern Abs. 3 einschlägig. Danach besteht im Falle der Rücknahme lediglich eine Pflicht zum Ausgleich der mit ihr verbundenen Vermögensnachteile, sofern das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdig ist. Die Zulassungsstelle hat also bei einer Rücknahme der Börsenzulassung dem Emittenten eine Entschädigung z. B. für nutzlos gemachte Aufwendungen zu zahlen. Mangels weiterer Voraussetzungen ist eine Rücknahme einer rechtswidrig erteilten Börsenzulassung daher ohne weiteres möglich. Die zeitliche Wirkung der Rücknahme kann sich gemäß § 48 I 1 VwVfG sowohl auf die Zukunft als auch auf die Vergangenheit beziehen. Insofern steht der Zulassungsstelle ebenfalls ein Ermessen 33 Meyer in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 51; Ramsauer in: Kopp / Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 48; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 69 m. w. N.; Schäfer in: Obennayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 49 Rn 42. 34 Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 23. 35 BVerwGE 31, 222 (223); 45, 235 (243); 84, 111 (113 f.); Erichsen in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn 11; Meyer in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 29 ff.; Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 33; Sachs in: Ste1kens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 59 m. w. N.; Schäfer in: Obennayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 24. 36 Statt aller Sachs in: Stelkens / Bonk / Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 87.

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zu3 ? Sollte es nach der Zulassung bereits zur Einführung des betreffenden Wertpapiers an der Börse gekommen sein, kann die Rücknahme der Natur der Sache nach, nur mit Wirkung für die Zukunft, also ex nunc, erfolgen38 . War dies allerdings noch nicht der Fall, ist eine Rücknahme für die Vergangenheit durchaus denkbar.

2. Widerruf der Zulassung auf Antrag des Emittenten Der Emittent kann nicht nur von Amts wegen, sondern ebenso auf eigenen Wunsch hin aus dem Markt entlassen werden. Zwar führt die Beendigung der Börsenzulassung zunächst einmal dazu, dass ein Handel in der betreffenden Aktie an der Börse nicht mehr möglich ist. Allerdings bringt sie für die ehemals börsennotierte Aktiengesellschaft auch eine Reihe von Erleichterungen mit sich 39 • So unterliegt sie nicht mehr dem Verbot von Insidergeschäften nach § 14 WpHG, der Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG und den Mitteilungspflichten bei Beteiligungsveränderungen nach § 21 I WpHG. Darüber hinaus fallen bestimmte Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem BörsG oder der BörsZulV weg. Außerdem können strategische Erwägungen einen Rückzug von der Börse nahe legen. Schließlich greifen diverse aktienrechtliche Erleichterungen ein4o . Falls nun diese Vorteile für eine Gesellschaft so erheblich sind, dass sie die mit der erschwerten Handelbarkeit der Aktien einhergehenden Nachteile überwiegen, etwa weil sich alle Papiere in der Hand weniger Aktionäre befinden, und daher ein Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Börsenzulassung entsteht, dann kommt für sie eine Entscheidung für einen Rückzug von der Börse ernsthaft in Betracht41 • Ein solches, auf Initiative des Emittenten erfolgendes reguläres Delisting ist für den amtlichen Markt nunmehr in § 38 IV BörsG gesetzlich geregelt. a) Die Entstehungsgeschichte von § 38 IV BörsG Diese Vorschrift wurde durch das Dritte FMFG in das BörsG aufgenommen und ist seit dem 01. 04. 1998 in Kraft. Sie stellt einen Kompromiss dar zwischen den Bestrebungen der Bundesregierung zur Deregulierung des Börsenrechts und den Interessen der Regionalbörsen. Die Bundesregierung auf der einen Seite wollte den Rückzug von der Börse für die Emittenten erleichtern. Sie wollte die bis dahin de facto bestehende und im interSachs in: Stelkens / Bonk / Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn 113. Groß, KapitaImarktrecht, §§ 36-39 BörsG Rn 24; Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 23. 39 Im Einzelnen z. B. Pluskat, Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002,833. 40 Vgl. §§ 58 II 2, 110 m, 125 13, 130 I 3, 171 II 2 HS. 2, 328 m AktG, § 134 I 2 AktG i.V. m. § 5 VII EGAktG. 41 Ausführlich zu den Motiven für ein reguläres Delisting siehe § 3. 37

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nationalen Vergleich eher unübliche Beschränkung des Marktaustritts, welche für inländische und ausländische Unternehmen gleichzeitig eine Marktzutrittsschranke darstellt, beseitigen. Diesbezüglich bestehende Vorbehalte vor einem Gang an eine deutsche Börse wollte sie abbauen und damit im Ergebnis die Wettbewerbsfahigkeit des Finanzplatzes Deutschland erhöhen42 • Bei den Regionalbörsen auf der anderen Seite bestanden die durch den Fall BASp43 geschürten Befürchtungen, dass bei einer zu großzügigen Regelung des Delisting auf Antrag des Emittenten große Unternehmen verstärkt den Rückzug von den Regionalbörsen antreten würden44 , was für diese unweigerlich zu einer nicht unerheblichen Einbuße an Attraktivität führen würde. Daher hat sich der Gesetzgeber entschlossen, den Rückzug von der Börse auf Wunsch der Unternehmen zwar zu ermöglichen, die Entscheidung darüber aber nicht völlig den Unternehmen zu überlassen. Er hat also der bis dahin stark vertretenen Verzichtslösung, wonach der Emittent einseitig auf die Börsenzulassung verzichten konnte45 , eine Absage erteilt. b) Voraussetzungen von § 38 N BörsG Neben dem gemäß § 38 VI 1 BörsG zunächst einmal erforderlichen und bei der Zulassungsstelle anzubringenden Antrag des Emittenten auf Widerruf der Zulassung zur amtlichen Notierung gelten für einen Rückzug des Emittenten von der Börse noch die folgenden Voraussetzungen. aa) Kein Widerspruch zum Anlegerschutz, § 58 Börsü FWB Wesentliches Entscheidungskriterium für die Zulassungsstelle ist der Schutz der Anleger, denn gemäß § 38 IV 2 BörsG darf ein Widerruf diesem nicht widersprechen. Als Anleger müssen jedenfalls diejenigen angesehen werden, die Eigentümer oder sonstige Inhaber der von einem Widerruf betroffenen Wertpapiere sind46. Hingegen kommt es auf die Motivation der Gesellschaft für ein Delisting mangels gesetzlicher Anhaltspunkte nicht an47 . Wann aber der Widerruf dem Anlegerschutz nicht widerspricht hat der Gesetzgeber nicht weiter konkretisiert. Für den amtlichen Handel an der wichtigsten deutschen Börse, der FWB, ist dies in § 58 I Börsü FWB (§ 54a I Börsü FWB a. E) BTDrucks. 13/8933 S. 74 f. Siehe § 1 1. 44 Groß. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (142); Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktf'orderungsgesetz, WM 1998, 949 (952). 45 Siehe die Nachweise in Fn 14. 46 VG Frankfurt/M., NJW-RR 2002, 480. 47 RichardlWeinheimer. Der Weg zurück: Going Private, BB 1999,1613 (1619). 42

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geschehen. Bei § 58 Börsü FWB handelt es sich um eine nähere Bestimmung i. S. § 38 IV 5 BÖrsG. Diese näheren Bestimmungen waren aus Grunden der Deregulierung in der jeweiligen Börsenordnung zu treffen, gemäß § 97 V BörsG a. F. 48 spätestens bis zum 31. 03.1999. Die Börsenordnungen dienen den deutschen Börsen, welche als unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts einzustufen sind49 , zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Daher handelt es sich bei den Börsenordnungen um Satzungen. Dies wird in § 13 I BörsG (§ 4 I 1 BörsG a. F), wonach der gemäß § 9 I 1 BörsG (§ 3 I 1 BörsG a.F) zu bildende Börsenrat die Börsenordnung als Satzung erlässt, noch einmal ausdrucklich klargestellt.

(1) Die Entstehungsgeschichte von § 58 I BörsO FWB Der Widerruf der Zulassung zum amtlichen Markt auf Antrag des Emittenten war ursprunglich in § 54a Börsü FWB geregelt. Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift hatte - übereinstimmend mit der börsengesetzlichen Vorgabe von § 38 IV 2 BörsG - bestimmt, dass die Zulassungsstelle die Zulassung zur amtlichen Notierung widerruft, wenn der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht. Gemäß Satz 2 stand der Schutz der Anleger einem Widerruf insbesondere dann nicht entgegen, wenn entweder auch nach Wirksamwerden des Widerrufs der Handel des Wertpapiers an einem anderen organisierten Markt im Sinne von § 2 V WpHG gewährleistet erschien (Nr. 1) oder den Inhabern der Wertpapiere ein Kaufangebot unterbreitet wurde, dessen Preis in einem angemessenen Verhältnis zum höchsten Börsenpreis der letzten sechs Monate vor Stellung des Antrags auf Widerruf der Zulassung stehen musste, wobei wesentliche Regelungen des Übernahmekodexes der BSK entsprechend gelten sollten (Nr. 2). Durch die Formulierung "insbesondere" wurde deutlich, dass es sich bei den Nm. 1 und 2 um Regelbeispiele handelte. Nr. 1 bezog sich dabei auf ein partielles und Nr. 2 auf ein vollständiges Delisting. Ersterem stand also der Anlegerschutz grundsätzlich nicht entgegen, letzterem nur dann nicht, wenn sich die betroffenen Aktionäre durch ein entsprechendes Kaufangebot entschädigen lassen konnten. Zwar ging aus der Wortlaut der Nr. 2 nicht hervor, wer das Kaufangebot unterbreiten musste, die Gesellschaft oder der Großaktionär. Da jedoch beide Möglichkeiten dem Anlegerschutz gleichermaßen gerecht wurden, konnte man daraus schließen, dass beide Möglichkeiten nebeneinander bestanden haben. Typischerweise wurde das Kaufangebot vom Großaktionär gemacht5o . Am 6. März 2002 hat der Börsenrat der FWB mehrere Änderungen von § 54a Börsü FWB beschlossen, die zum 26. März 2002 in Kraft traten 51 • Zum einen 48 Die Regelung hat sich mittlerweile wegen Zeitablaufs erledigt und wurde daher durch das Vierte FMFG nicht wieder ins BörsG übernommen. 49 Claussen, Noch einmal: die Rechtsform deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 2000, 1 (2); Segna, Die Rechtsform deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 1999, 144 m. w. N. 50 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (54); Wirthl Anwld, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (112).

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wurde § 54a I 1 BörsO FWB dahingehend geändert, dass die Zulassungsstelle die Zulassung nicht widerruft, sondern widerrufen kann (wenn dem Widerruf nicht der Anlegerschutz entgegensteht). Mit der Einfügung der ,,kann"-Fonnulierung sollte klargestellt werden, dass es sich bei der Entscheidung der Zulassungsstelle über den beantragten Widerruf der Börsenzulassung nicht um eine gebundene, sondern um eine Ennessensentscheidung handelt. Zum anderen wurde die an ein Kaufangebot anknüpfende Bestimmung in § 54a I Nr. 2 BörsO FWB gestrichen. An ihre Stelle trat eine neue Regelung, wonach der Schutz der Anleger einem vollständigen Delisting dann nicht entgegensteht, wenn den Anlegern nach Bekanntgabe der Widerrufentscheidung ausreichend Zeit - gemäß § 54a 11 3 BörsO FWB sechs Monate - verbleibt, die vom Widerruf betroffenen Wertpapiere über die Börse zu veräußern. Eine Neuregelung wurde notwendig, nachdem der Wertpapierübernahmekodex der BSK am 03.04. 2002 außer Kraft gesetzt worden war und nur noch für vor dem 31. 12.2001 veröffentlichte Angebote oder vollzogene Kontrollerwerbstransaktionen gelten sollte, um Kollisionen mit dem zum 01. 01. 2002 in Kraft getretenen neuen WpÜG zu venneiden52 . Zwar hätte es nahe gelegen, dass für das Kaufangebot anstelle des Übernahmekodexes nunmehr das bereits vorher in Kraft getretene WpÜG gelten sollte. Ein solcher Verweis vom Börsenrecht auf das WpÜG als Nachfolgeregelung des Kodexes wäre jedoch inkonsistent gewesen. Zum einen hätte er einen kompetenzrechtlichen Konflikt zur Folge gehabt, denn dadurch wäre die Börsenzulassungsstelle zur Prüfung der Angemessenheit des Kaufangebots gezwungen gewesen, obwohl dafür nach § 4 WpÜG allein die BAFin zuständig ist53 . Zum anderen fehlt im WpÜG eine kapitalmarktspezifische Aufsichtsregelung wie sie in Art. 5 Übernahmekodex enthalten war, wonach vor Abgabe des öffentlichen Angebots unter anderem das BAWe (seit 01. 05. 2002 die BAFin) über den Inhalt des Angebots zu unterrichten war54 . Außerdem wollte man das Delisting generell erleichtern und auf diese Weise eine Marktzutrittsschranke abbauen 55 . Daher wurde das für das vollständige Delisting maßgebliche Kaufangebotserfordernis durch eine reine Fristenregelung ersetzt. Soweit ersichtlich ist die FWB bisher die einzige Inlandsbörse, die sich vom Erfordernis eines Kaufangebots beim vollständigen Delisting gelöst hat. Ob andere Börsen nachziehen werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls besteht bezüglich der Anforderungen an einen vom Emittenten 51 Vgl. Bekanntmachung der FWB vom 26.03.2002, abrufbar unter: http://www1.deutsche-boerse.com I INTERNET I EXCHANGE I zpd.nsf I PublikationenID I HAMN-58L9WT I $FILE/fwbOl-2oo2-03-26.pdf?Open Element (Stand der letzten Abfrage: 29. 06. 2002). 52 Vgl. Pressemitteilung der BSK beim Bundesministerium der Finanzen vom 04.03. 2002, abrufbar unter: http://deutsche-boerse.com I INTERNET I EXCHANGE I inside I Final cfPresseAbloesungKodex.pdf (Stand der letzten Abfrage: 29.06. 2002). 53 Holzbom/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 f. 54 Beck/ Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (198). 55 Holzbom/Schlößer. Systemwechse1 beim Going Private, BKR 2002, 486 (487).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

beantragten Widerruf der Börsenzulassung derzeit ein erheblicher Unterschied zwischen den einzelnen Börsenordnungen, die sich bis zur Änderung von § 54a BörsO FWB im Wesentlichen gedeckt hatten56 . Mit dem Wegfall des obligatorischen Kaufangebots beim vollständigen Delisting hatten sich außerdem noch zwei weitere mit der börsenordnungsrechtlichen Abfindungsregel an der FWB verbundene Probleme erledigt. Erstens bedarf die Frage, die sich nach Inkrafttreten des WpÜG und vor Änderung von § 54a I Nr. 2 BörsO FWB gestellt hatte, nämlich ob auf derartige Aktienkäufe durch die Gesellschaft oder den Großaktionär das anstelle des Übernahmekodexes der BSK getretene WpÜG anwendbar sein sollte, keiner Klärung mehr. Einer Ansicht zufolge, die namentlich vom am 01. 05. 2002 in der neuen BAFin aufgegangenen BAWe vertreten wurde, sollte das neue WpÜG nicht nur bei der Übernahme eines fremden Unternehmens gelten, sondern gleichermaßen beim Rückkauf eigener Anteile, wenn das Angebot dazu öffentlich abgegeben wurde, der Rückkauf also nicht über die Börse erfolgt57 . Begründet wurde diese Auffassung mit dem Anlegerschutz. Das Gleichbehandlungsgebot des WpÜG sei umfassender als das des AktG. Außerdem sei das Verfahren nach dem WpÜG transparenter als das nach dem AktG, wodurch sich besser überprüfen lasse, ob ein fairer Preis gezahlt werde 58 . Die Gegenmeinung indessen berief sich darauf, dass im Gesetzgebungsverfahren keine Rede davon war, das WpÜG auch auf Aktienrückkäufe anzuwenden. Das WpÜG sei auf eine ganz andere, nämlich auf die typische Dreierkonstellation zwischen Bieter, Zielgesellschaft und deren Aktionären, die bei einem solchen Interessenkonflikt geschützt werden sollen, zugeschnitten 59 . Außerdem wären bis zu diesem Zeitpunkt übliche Gestaltungen für den Rückkauf eigener Aktien in Zukunft unzulässig oder praktisch ausgeschlossen gewesen 60 . Schließlich sei nicht einzusehen, die Unternehmen in diesen Fällen den vielen Regeln und engen Fristen des WpÜG zu unterwerfen 61 . Und zweitens geht seit dem Wegfall des obligatorischen Kaufangebots der Vorwurf der Unwirksamkeit der börsenordnungsrechtlichen Abfindungsregeln 62 56 Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2079). 57 Baums, zitiert aus FAZ vom 03.05.2002,17, ..AktieIUÜckkäufe fallen unter Übernahmegesetz". 58 Dreyling, Vizepräsident des damaligen BAWe, zitiert aus FAZ vom 04. 05. 2002, 14, ,,Finanzaufsicht prüft mehrere Rückkäufe". 59 Baums, zitiert aus FAZ vom 03. 05. 2002, 17, .. AktieIUÜckkäufe fallen unter Übernahmegesetz"; Süßmann, zitiert aus FAZ vom 15.05.2002, 27, ,,Rückkauf eigener Aktien wird unnötig erschwert". 60 Baums, a. a. O. 61 Krause, zitiert aus FAZ vom 04. 05. 2002, 14, ,,Finanzaufsicht prüft mehrere Rückkäufe"; Beispiele dafür auch bei Süßmann, zitiert aus FAZ vom 15.05.2002,27, ..Rückkauf eigener Aktien wird unnötig erschwert".

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ins Leere. Dieser Vorwurf wurde zum einen darauf gestützt, dass die Bestimmung in einer Börsenordnung, nach welcher den Anlegern für den Fall eines Going Private ein Kaufangebot zu machen ist, außerhalb der Satzungsautonomie liege und daher bereits aus formalen Gründen nichtig sei63 . Dies folge daraus, dass sich die Satzungsautonomie auf die Anstaltsunterworfenen beschränke, die Abfindungspflicht jedoch das Rechtsverhältnis zu den Anlegern, welche nicht zu dieser Gruppe gehören, weil sie nicht Nutzer der Börse im juristischen Sinne seien, regelt. Zum anderen wird der Vorwurf der Unwirksamkeit der börsenordnungsrechtlichen Abfindungsregeln auf einen Verstoß gegen den vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung 64 entwickelten Wesentlichkeitsgrundsatz gestützt65 , wonach alle für die Grundrechtsausübung wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen. Da ein Going Private Eigentumsrelevanz besitze, jedenfalls aber die Interessen Aktionäre massiv tangiere, sei es Sache des Gesetzgebers und nicht Sache des Satzungsgebers, derartige Abfindungsregeln aufzustellen 66. Nachdem in § 54a I Nr. 2 Börsü FWB die Abfindungsregelung durch die Fristenregelung ersetzt wurde, bedarf es einer Auseinandersetzung damit, inwieweit dieser Vorwurf berechtigt war, nicht mehr. Schließlich wurde die Börsü FWB mit Wirkung zum 01. Januar 2003 grundlegend geändert67 , um von der durch das Vierte FMFG geschaffenen Möglichkeit, für Teilbereiche des amtlichen und des geregelten Markts über die gesetzliche Vorgaben hinausgehende Zulassungs- und/ oder -folgepflichten vorzusehen, Gebrauch machen zu können. Aufgrund der dadurch notwendig gewordenen Neunummerierung der Börsü findet sich die Regelung über das freiwillige Delisting am amtlichen Markt (General Standard) heute nicht mehr in § 54a Börsü FWB, sondern in § 58 Börsü FWB. Inhaltlich hat sich diesbezüglich jedoch nichts geändert. In die Vorschrift wurde lediglich ein neuer Absatz 5 eingefügt, wonach der Widerruf unverzüglich auf Kosten des Emittenten durch die Zulassungsstelle in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt veröffentlicht wird.

62 Ausführlich: Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 ff.; wohl auch Pluslwt, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (600). 63 Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (476 ff.); zustimmend Pluslwt, Rechtsprobleme beim Going Private, 98 f. 64 BVerfGE 33, 125 (155 ff.); 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249 f.); 41, 251 (260); 45, 400 (417 f.); 47, 46 (78 ff.); 48,210 (221); 49, 89 (126); 53, 30 (56); 61, 260 (275); 88,103 (116). 65 Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (478 ff.). 66 Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (479 f.). 67 Vgl. Bekanntmachung der FWB vom 01. 01. 2003, abrufbar unter: http://wwwl.deutsche-boerse.com I INTERNET I EXCHANGE I zpd.nsf I PublikationenID I HAMN-5HE9R31 $FILE I fwbOl-2003-01-0I.pdflOpen Element (Stand der letzten Abfrage: 26.09. 2(03).

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(2) Die Auslegung von § 58/ BörsO FWB

Bevor auf die inhaltlichen Vorgaben von § 58 BörsO FWB eingegangen wird, sollen noch einige Ausführungen zur Dogmatik der Vorschrift gemacht werden, denn die mit der Änderung der BörsO FWB vom 26.03.2002 eingefügte "kann"Formulierung in § 58 I 1 BörsO FWB hat einige Auslegungszweifel aufkommen lassen. Zwar sollte nach der Intention der Satzungsgeber durch die neue ,,kann"-Formulierung der Zulassungsstelle ein Ermessen eingeräumt werden68 . Dass nach der Neufassung der Vorschrift tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei der Entscheidung der Zulassungsstelle um eine Ermessensentscheidung handelt, wird unter Hinweis auf den Wortlaut der gesamten Vorschrift jedoch vereinzelt hinterfragt69 , mitunter sogar ausdrücklich bestritten70. So habe die Zulassungsstelle dem Antrag des Emittenten auf Widerruf der Börsenzulassung bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 58 I 2 Nr. 1 oder Nr. 2 BörsO FWB stets zu entsprechen7 !. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift dahin gehend, dass sie bei ihrer Entscheidung einen Ermessensspielraum habe, sei nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht möglich, denn wenn § 58 I 2 BörsO FWB regelt, dass der Anlegerschutz einem Widerruf "insbesondere" unter den in den Nm. 1 und 2 genannten Voraussetzungen nicht entgegenstehe, so bestehe bei Vorliegen dieser Voraussetzungen für eine ablehnende Entscheidung der Zulassungsstelle kein Raum 72 . Demzufolge handele es sich bei der Widerrufsentscheidung um eine gebundene Entscheidung73. Diese Argumentation überzeugt nicht, denn sie basiert auf einer Vertauschung von Tatbestand und Rechtsfolge. Richtig ist zwar, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 58 I 2 Nr. 1 oder 2 BörsO FWB der Anlegerschutz stets gewahrt ist. Daraus folgt aber nicht, dass die Zulassungsstelle einem Widerrufsantrag dann immer stattgeben muss. In § 58 I 2 BörsO FWB heißt es nämlich nur "Der Schutz der Anleger steht einem Widerruf insbesondere dann nicht entgegen, wenn ..." und nicht "Die Zulassungsstelle hat die Zulassung insbesondere dann zu widerrufen, wenn ... ". Aus dem Vorliegen der Voraussetzungen von Nr. 1 oder 2 kann also nur geschlussfolgert werden, dass in einem solchen Fall der Anlegerschutz Holzbom/Schlößer, Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489). Holzbom/Schlößer, System wechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489); KrämerlT71eiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (231 f.), die dennoch alle im Ergebnis ein Ermessen der Zulassungsstelle bejahen. 70 Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1283). 71 Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1283). 72 Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1283). 73 Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1283). 68 69

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gewahrt ist. Dies würde aber nicht die Rechtsfolge Widerruf der Zulassung nach sich ziehen, sondern lediglich bedeuten, dass der Tatbestand von § 58 I 1 BörsO FWB erfüllt ist. Erst dadurch wird die in § 58 I 1 BörsO FWB enthaltene Rechtsfolge ausgelöst, welche aber gerade darin besteht, dass die Zulassungsstelle die Zulassung zum amtlichen Markt widerrufen kann. Dass ihr bei dieser Entscheidung ein Ermessen zusteht ist ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts der Vorschrift nicht zu bezweifeln. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Vorschrift geht hervor, dass die Zulassungsstelle die Zulassung bei Vorliegen der Voraussetzungen der Nm. I oder 2 stets widerrufen muss. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass der Normgeber, wenn er trotz der ,,kann"-Formulierung einen anderen Willen bzgl. der Einräumung von Ermessen gehabt hätte, diesen auch kundgetan hätte. Umgekehrt ergibt sich aus der Formulierung "insbesondere", dass die Regelung grundsätzlich nicht abschließend ist, sondern es sich bei den zwei aufgezählten Fällen vielmehr um Regelbeispiele handelt. Die Zulassungsstelle muss den beantragten Widerruf bei Fehlen der Voraussetzungen nach Nr. 1 oder 2 also nicht zwangsläufig ablehnen. Ebenso wie die Zulassungsstelle den Antrag auf Widerruf der Zulassung ablehnen kann, obwohl die Voraussetzungen von § 58 I 2 Nr. 1 oder 2 BörsO FWB erfüllt sind, kann sie ihm auch stattgeben, wenn dies nicht der Fall ist. Zwar dürften beide Konstellationen in der Praxis die Ausnahme darstellen. Daraus jedoch zu schließen, die Widerrufsentscheidung der Zulassungsstelle sei eine gebundene Entscheidung, ist zum einen dogmatisch nicht haltbar und zum anderen sind solche Ausnahmefalle durchaus denkbar. Einerseits kommt eine Entscheidung, die dem Widerrufsantrag trotz Fehlens der Voraussetzungen von Nr. 1 oder 2 stattgibt z. B. dann in Betracht, wenn der Emittent ein Kaufangebot unterbreitet74 • Ebenso kommt andererseits eine Versagung des Widerrufs trotz Vorliegen der Voraussetzungen von Nr. 1 oder 2 in Frage. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn der Emittent den Widerruf kurz nach dem Zeitpunkt seiner Zulassung, also gewissermaßen zur Unzeit anstrebt, weil er damit gegebenenfalls das Vertrauen der Anleger missbrauchen würde, oder dann, wenn der Streubesitz des betroffenen Wertpapiers derartig hoch ist, dass aufgrund der großen Umsatzvolumina die 6-Monats-Frist des § 58113 BörsO FWB nicht ausreichend erscheint75 . Die vorangegangenen Ausführungen zeigen jedenfalls, dass die Entscheidung der Zulassungsstelle über den vorn Emittenten beantragten Widerruf, entgegen einer vereinzelt vertretenen Ansicht, keine gebundene, sondern eine Ermessensentscheidung ist76 • Holzbom/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (490 f.). Holzbom/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (490). 76 I. E. ebenso: Beck/Hedtmann. Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (197); Harrer/Wilsing. Aktuelle Aspekte des Rückzugs von der Wertpapierbörse. DZWIR 2002, 485 (489); Holzbom/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489); Krämer/Theiß. DeJisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (231 f.); Pfüller / Anders. Delisting-Motive vor dem Hintergrund 74

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

(3) Die beiden Regelbeispiele von § 58 I BörsO FWB Gemäß § 58 I 1 BörsO FWB kann die Zulassungsstelle die Zulassung zur amtlichen Notierung auf Antrag des Emittenten widerrufen, wenn der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht. § 58 I 2 BörsO enthält zwei Regelbeispiele ("insbesondere") dafür, wann dies der Fall sein soll. Welches der beiden Regelbeispiele für einen Börsenrückzug einschlägig ist, richtet sich nach wie vor danach, ob es sich um ein partielles oder um ein vollständiges Delisting handelt. (a) Partielles Delisting, § 58 I Nr. I BörsO FWB Zum einen ist der Anlegerschutz dann gewahrt, wenn der Handel der betreffenden Aktie auch nach Wirksam werden des Widerrufs an einem inländischen oder ausländischen organisierten Markt i. S. § 2 V WpHG gewährleistet erscheint, § 58 I 2 Nr. 1 BörsO FWB, d. h. wenn es sich lediglich um eine sog. partielles Delisting (Börsenpräsenzreduktion) handelt. Wie hoch die Anforderungen an ein solches Teildelisting im Einzelfall sind, richtet sich danach, ob und wo ein Handel der betreffenden Aktie nach dem Widerruf weiterhin möglich ist. Die erste Fallgruppe betrifft den Widerruf der Zulassung an einer oder mehreren inländischen Börsen bei gleichzeitigem Fortbestand des Handels an mindestens einer weiteren, § 58 I 2 Nr. 1 Alt. 1 BörsO FWB. Auf die Transaktionskosten hat ein solches Delisting keinen Einfluss. Darüber hinaus dürfte der Handel an den übrigen inländischen Börsen liquider werden. Die Interessen der Anleger werden in diesem Fall also eher positiv als negativ berührt. Diese Fallgruppe des Delisting ist daher unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes wenig problematisch77. Hat der Widerruf zur Folge, dass der Handel der betreffenden Aktie nur noch im Ausland möglich ist, sind möglicherweise erhöhte Anforderungen an ein Delisting zu stellen78 . Insofern ist nämlich von Bedeutung, dass dann, wenn der Handel der betroffenen Aktien nur noch im Ausland möglich ist, die Transaktionskosten für den Anleger nicht unerheblich ansteigen. Zum einen dürfte dieser Effekt durch die einheitliche Notierung der Aktien in Euro und die fortschreitende Vernetzung der Handelsplätze an den meisten europäischen Börsen an Bedeutung verloren haben. Zum anderen gilt es zu bedenken, dass das deutsche Börsenrecht nicht gegen die Belastung mit erhöhten Transaktionskosten aufgrund eines Handels im Ausland schützt79 . Die Höhe der Transaktionskosten ist eine Frage des neuerer Rechtsentwicklungen, NZG 2003, 459 (463); Pluskat. Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002. 592 (600); Wilsing/ Kruse. Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002. 807 (809). 77 Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 42, 43 BörsG Rn 13; Henze. Delisting, 81 f.; Kück, Delisting, ZInsO 2001, 649 (650); Schwark/Geiser, Delisting. ZHR 161 (1997),739 (769). 78 Schwark/Geiser, Delisting. ZHR 161 (1997),739 (769). 79 Krämer/Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH. AG 2003, 225 (232).

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Vergütungsanspruches der Bank: gegen die Anleger8o . Dieser betrifft nur das Innenverhältnis und wird nicht durch die Börse bzw. die Zulassungsstelle geschützt81 . Solange also die ausländische Börse, an der der Handel der vom Teildelisting betroffenen Aktie weiterhin möglich ist, ein organisierter Markt i. S. § 2 V WpHG ist, wird der Anlegerschutz dem Widerruf der Zulassung im Inland grundsätzlich nicht entgegenstehen 82 . (b) Vollständiges Delisting, § 58 I Nr. 2 BörsO FWB Handelt es sich hingegen um einen Totalrückzug von der Börse, ist also das betreffende Wertpapier nach dem Wirksamwerden des Widerrufs an keiner anderen inländischen Börse mehr zugelassen und wird es auch nicht an einem ausländischen organisierten Markt gehandelt, steht der Anlegerschutz einem Widerruf gemäß § 58 I 2 Nr. 2 BörsO FWB nur dann nicht entgegen, wenn den Anlegern nach Bekanntgabe der Widerrufsentscheidung ausreichend Zeit verbleibt, die vom Widerruf betroffenen Wertpapiere über die Börse zu veräußern. Die Frist, die den Anlegern zur börslichen Veräußerung ihrer Anteile eingeräumt wird, beträgt gemäß § 58 II 3 BörsO FWB sechs Monate, denn der Widerruf soll sechs Monate nach seiner Veröffentlichung wirksam werden. Zwar kann die Zulassungsstelle diese Frist gemäß § 58 III BörsO FWB auf Antrag des Emittenten verkürzen, wenn dies dem Interesse der Anleger nicht zuwiderläuft. Diese Voraussetzung wird jedoch nur im Ausnahmefall erfüllt sein, beispielsweise wenn sämtliche Kleinaktionäre ihre Anteile bereits vor der AntragsteIlung veräußert hatten. Die Rechtmäßigkeit dieser Fristenregelung für das vollständige Delisting an der FWB ist seit ihrer Einführung heftig umstritten. Neben einem möglichen Verstoß gegen Grundrechte wird v.a. die Vereinbarkeit der Regelung mit einfachem Recht, d. h. insbesondere mit § 38 IV BörsG diskutiert. (aa) Vereinbarkeit von § 58 I Nr. 2 BörsO FWB mit Grundrechten Zunächst ist auf die Frage einzugehen, ob die neue Fristenregelung des § 58 I Nr. 2 BörsO FWB überhaupt verfassungsmäßig ist, d. h. den Grundrechtsschutz der Anleger hinreichend gewährleistet. Insofern ist allenfalls fraglich, ob sie die Vorgaben der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG sowie die der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG einhält. In Bezug auf Art. 14 I GG fehlt es jedoch bereits an einem Eingriff in den Schutzbereich. Betroffen ist allein die von der Eigentumsgarantie nicht erfasste Holzborn/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489). Holzborn/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489). 82 Umfassend dazu Holzborn/Schlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (489); vgl. auch Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 42, 43 BörsG Rn 13; Kück, Delisting, ZInsO 2001, 649 (650); De Vries. Delisting, 48 ff.; a. A.: Henze. Delisting, 82 ff. 80

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Chance, die Aktien über die Börse zu veräußern 83 . Die von der Eigentumsfreiheit geschützten Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre 84 werden nicht einmal durch ein vollständiges Delisting beeinträchtigt. An dieser Stelle soll diesbezüglich der Hinweis genügen, dass der Rückzug eines Unternehmens von der Börse weder die Verwaltungsrechte der Aktionäre berührt, d. h. ihr Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, § 118 I AktG, ihr Stimmrecht, §§ 12, 134 AktG, ihr Auskunftsrecht, §§ 131, 132 AktG, sowie ihr Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, §§ 241 Nr. 5, 243 ff. AktG noch ihre Vermögensrechte, d. h. ihr Recht auf Dividenden, ihr Recht auf Bezug neuer Aktien bei einer Kapitalerhöhung, sowie ihr Recht auf Teilnahme am Liquidationserlös. An späterer Stelle wird jedoch noch ausführlich auf diese Problematik einzugehen sein 85 , nämlich in dem Zusammenhang, in welchem sie am intensivsten diskutiert wird, d. h. im Zusammenhang mit der Frage, ob für die Entscheidung über den Rückzug von der Börse die Hauptversammlung zuständig ist. Da die Fristenregelung nicht in den Schutzbereich von Art. 14 I GG eingreift, kommt es weder darauf an, dass sie einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält, noch darauf, dass sie dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz gerecht wird. Der letztgenannte rechtsstaatliche Grundsatz hat zwar "für die vermögenswerten Güter im Eigentumsrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren,,86. Mangels Eingriffs in Art. 14 GG kommt er jedoch beim Rückzug von der Börse ebenfalls nicht zum Tragen. Zu klären bleibt nunmehr lediglich die Vereinbarkeit der Fristenregelung mit Art. 2 I GG. Dass ein vollständiges Delisting in die allgemeine Handlungsfreiheit der Aktionäre eingreift, liegt auf der Hand, denn die mit einem Rückzug von der Börse verbundene Einschränkung der Fungibilität der Anteile beeinträchtigt ihren Wert. Zwar ist diese wertmäßige Einbuße nicht an der Eigentumsfreiheit zu messen, da Art. 14 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Vermögen als solches grundsätzlich nicht schützt87 . Insofern ist aber jedenfalls Art. 2 I GG als Auffanggundrecht einschlägig. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätzen gewährleistet Art. 2 I GG die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne, d. h. geschützt ist nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen HandeIns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung der Persönlichkeitsentfaltung zukommt88 . Demzufolge stellt auch die durch Holzbom/Schlößer, Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (487). BVerfGE 14,263 (276 ff.); 25, 371 (407); 50, 290 (343); 100,289 (301 f.). 85 Siehe § 11 11. 3. c). 86 BVerfGE 76, 220 (244); 95, 64 (82). 87 BVerfGE 4, 7 (17); zuletzt 95, 267 (300). In einzelnen Ausnahmefällen, die jedoch für die vorliegende Problematik nicht von Bedeutung sind, hat das BVerfG jedoch das Eingreifen von Art. 14 GG anerkannt, etwa bei übennäßiger ("konfiskatorischer") Besteuerung, vgl. BVerfGE 14,221 (224); 19, 119 (128); 78, 232 (243). 88 BVerfGE 6,32 (36 f.); 80, 137 (152), m. w. N .. 83

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ein vollständiges Delisting hervorgerufene Verringerung der Fungibilität der Aktien und die damit verbundene Auferlegung von Vermögensopfern grundsätzlich einen Eingriff in Art. 2 I GG dar89 . Dieser Eingriff ist aber dann nicht zu beanstanden, wenn er verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, also insbesondere nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, d. h. gegen die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen90 , verstößt. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob § 58 I Nr. 2 BörsO FWB dem aus Rechtsstaatsgebot fließenden, verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Legitimer Zweck der Vorschrift ist die Steigerung der Attraktivität des Handelsplatzes Frankfurt. Zu dessen Verfolgung ist die Fristenregelung jedenfalls geeignet, denn durch die Vereinfachung des Going-Private-Verfahrens wird eine in einem an schärfere Voraussetzungen anknüpfenden regulären Delisting liegende Marktzutrittsschranke herabgesetzt91 • Andere Regelungen können diesen Zweck nicht in vergleichbarer Weise erfüllen. Dies gilt insbesondere für ein obligatorisches Abfindungsangebot, da ein solches das Delisting-Verfahren weniger stark vereinfachen würde als eine reine Fristenregelung. Ebenso kann eine Frist von mehr als sechs Monaten dem Anlegerschutz nicht besser gerecht werden, denn in der Praxis tritt der Effekt, dass die Anleger ihr Engagement innerhalb kurzer Zeit nach Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung beenden, unabhängig von der noch verbleibenden Dauer der Notierung ihrer Papiere ein92 • Die Fristenregelung ist daher auch erforderlich zur Erreichung des angesprochenen Zweckes. Problematisch ist also allein die Angemessenheit der Regelung. Im Rahmen der durch eine Güterabwägung vorzunehmenden Prüfung der Angemessenheit stehen sich im Wesentlichen folgende Interessen gegenüber: auf der einen Seite steht das Interesse der Anleger, im Fall eines Rückzugs der Gesellschaft von der Börse ihre Anteile überhaupt noch und möglichst ohne finanziellen Verlust veräußern zu können. Insofern stellt die Fristenregelung kein vollwertiges Äquivalent zum obligatorischen Kaufangebot der vorherigen Regelung dar, denn nach Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung wird es häufig zu Kursverlusten kommen, da dann allenfalls noch der Großaktionär am Erwerb der Anteile interessiert sein wird 93 . Auf der anderen Seite steht das Interesse des rückzugswilligen Unternehmens, das Delisting ohne großen finanziellen Aufwand durchzuführen. Zwar erscheint es zunächst durchaus nicht unproblematisch, ob und inwieweit Entscheidungen, die für eine AG von weitreichender Bedeutung sind, von der unternehmerischen Freiheit gedeckt sind. So wurde beispielsweise im Zusammenhang mit dem Feldmühle-Fall, d. h. mit einer Übertragung des gesamten Vermögens einer AG auf eine andere AG und einem Holzbom/Schlößer. Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (487). BVerfGE6, 32 (38 ff.); 80, 137 (153). 91 Holzbom/Schlößer. Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (488). 92 Beck/ Hedtmann. Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003,190 (198). 93 Holzbom/Schlößer. Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (488). 89

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damit einhergehendem Ausschluss der Minderheitsgesellschafter, vertreten, dass einzig denkbarer Zweck einer solchen Maßnahme die Ausschaltung des Störfaktors Minderheit sein könne 94 . Dieser sei jedoch bloßer Selbstzweck und als solcher nicht geeignet, den Ausschluss der Minderheit zu legitimieren95 . Anders ausgedrückt: ein solcher Ausschluss der Minderheit könne nicht Ausdruck der unternehmerischen Freiheit sein96 . Gleichwohl spricht diese Argumentation nicht gegen die Vereinbarkeit eines vollständigen Delisting mit den Grundrechten. Zum einen wendet sie sich im Kern gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines mit einer Vermögensübertragung einhergehenden Ausschlusses der Minderheitsgesellschafter. Schon deshalb kann sie nicht ohne weiteres auf die Situation eines vollständigen Delisting übertragen werden, da hier kein Aktionär zwangsweise aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Zum anderen ist sie auch in der Sache unzutreffend. Zur unternehmerischen Freiheit der Konzernleitung gehört richtigerweise auch, dass sie den Aufbau des Konzerns bestimmen, ihm seine Organisation geben und damit das Feld seiner wirtschaftlichen Betätigung nach ihren Plänen ordnen kann97 . Den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern zum bloßen Selbstzweck zu degradieren wird diesem Verständnis der grundrechtlieh geschützten unternehmerischen Freiheit nicht gerecht. Jedenfalls für das Delisting geht es nicht an, den Rückzug von der Börse als Selbstzweck zu deklarieren und damit jegliches unternehmerisches Interesse an einer solchen Maßnahme zu leugnen. Dass ein Börsenrückzug durchaus im Interesse einer Gesellschaft liegen kann, wurde bereits ausführlich erörtert98 . Festzuhalten bleibt daher, dass der Rückzug von der Börse eine Ausübung der von Art. 12 GG geschützten unternehmerischen Handlungsfreiheit darstellt99 , denn die verfassungsrechtlich abgesicherte Marktfreiheit ist ohne die Freiheit zum Rückzug vom Markt nicht denkbar 1oo. Vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative des Satzungsgebers 10l ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dieses Interesse des Unternehmens über 94 F echner in: Fechner I Schneider, Nochmals Verfassungswidrigkeit und Rechtsmissbrauch im Aktienrecht, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1962,25. 95 Schneider in: Fechner I Schneider, Nochmals Verfassungswidrigkeit und Rechtsmissbrauch im Aktienrecht, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1962,57 f., 63. 96 Fechner in: FechnerlSchneider, Nochmals Verfassungswidrigkeit und Rechtsmissbrauch im Aktienrecht, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1962, 23 f.; kritisch auch Mestmäcker; Über das Verhältnis von Rechts- und Wirtschaftswissenschaft im Aktienrecht, JuS 1963,417 (422 f.). 97 BVerfGE 14,263 (282). 98 Siehe § 3. 99 Hotzbom/Schtößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (488); Kümpet, Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 95; ders., Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 95. 100 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn 17.258; ders., Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 95. 101 Satzungsgeber ist gemäß § 9 II Nr. BörsG der Börsenrat, an der FWB also Börsenrat derFWB.

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das der Anleger zu stellen, zumal der Börsenzulassungsstelle auch in den Fällen, in denen nach der BörsO der Anlegerschutz hinreichend berücksichtigt ist, noch ein Ermessen zustehtlO2 • Dieses Ergebnis folgt nicht zuletzt daraus, dass bei der Prüfung der Angemessenheit eines Eingriffs in Art. 2 I GG die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers umso sorgfältiger abgewogen werden müssen je mehr er elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt 103. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass es zu den elementaren Äußerungsformen menschlichen HandeIns gehört, Gesellschaftsanteile auf ewig über die Börse zu veräußern zu können. Festzuhalten bleibt daher, dass § 58 I Nr. 2 BörsO FWB zwar in die von Art. 2 I GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit eingreift, dass dieser Eingriff jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht und daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Damit steht als Zwischenergebnis fest, dass die Fristenregelung des § 58 I Nr. 2 BörsO FWB weder Art. 14 I GG noch Art. 2 I GG verletzt und folglich den Grundrechtsschutz der Anleger noch gewährleistet. (bb) Vereinbarkeit von § 58 I Nr. 2 FWB mit einfachem Recht Ungleich problematischer als die Frage der Vereinbarkeit der Fristenregelung mit Grundrechten der Aktionäre ist die ihrer Vereinbarkeit mit einfachem Recht, insbesondere mit § 38 IV 2 BÖrsG. Etliche Stimmen im wissenschaftlichen Schrifttum verneinen sie. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich hauptsächlich auf das Argument, dass ein vollständiges Delisting ohne Abfindungspflicht die Aktionäre in ihrem Vermögensinteresse beeinträchtige. Kleinaktionäre stünden mit der Neuregelung schlechter als zuvor, denn nach Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung würden alle Kleinaktionäre ihre Papiere verkaufen wollen, wodurch ein Verkäuferwettlauf entstünde, der zusätzlich zu der Tatsache, dass auf Nachfrageseite nur noch der Großaktionär steht, Druck auf den Aktienkurs ausübe. Die Fristenregelung sei also keine angemessene Kompensation für den vorher bestehenden Abfindungsmechanismus. § 58 I Nr. 2 BörsO FWB halte daher die Vorgaben des § 38 IV 2, 5 BörsG im Hinblick auf den Anlegerschutz nicht mehr ein 104 . Diesem Umstand könne ferner nicht dadurch begegnet werden, dass die Zulassungsstelle der FWB den Widerruf von zusätzlichen inhaltlichen Voraussetzungen abhängig Siehe § 5 I. 2. b) aa) (1). BVerfGE 17,306 (314). 104 Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 134 ff., 140; dies., Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (600); Schüppen/Tretter; Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs bringt Klarheit zum Delisting, Bank 2003, 400 (401); Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1284 f.); Wilsing/Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO IFfm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (809 f.). \02

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

macht. So wäre v.a. die Anknüpfung des Widerrufs an die Einhaltung von zusätzlichen Bedingungen und Auflagen, wie etwa die Zahlung eines sog. Fungibilitätsausgleichs, mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden 105. Auf dasselbe Argument läuft die Begründung hinaus, § 58 I Nr. 2 BörsO FWB könne deshalb keine tragfähige Grundlage für eine Delisting-Entscheidung sein, weil die "Macrotron"-Entscheidung des BGH 106 das Erfordernis einer vollen Entschädigung aufgestellt hat IO? Die Gründe des BGH für die Aufstellung des Entschädigungserfordernisses lagen v. a. in der eben beschriebenen Beeinträchtigung des Vermögensinteresses der Kleinaktionäre. Diese Begründungen der Unvereinbarkeit von § 58 I Nr. 2 BörsO FWB mit § 38 IV 2 BörsG vermögen jedoch nicht zu überzeugen, denn die ihnen zugrunde liegende Annahme, das Börsengesetz fordere, dass die Anleger beim Delisting keine finanziellen Verluste erleiden, ist verfehlt. Das BörsG fordert in § 38 IV 2 lediglich, dass der (vom Emittenten beantragte) Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf. Im Rahmen von § 38 IV 2 BörsG sollte Anlegerschutz jedoch nicht Schutz der Aktionäre vor Einbrechen des Aktienkurses bedeuten, sondern, wie sonst überall im Kapitalmarktrecht, Schutz der Anleger vor Falsch- und Fehlinformation, Marktmanipulation o.ä. Jedenfalls solange sowohl im Vorfeld als auch bei der Durchführung eines Rückzugs von der Börse sämtliche kapitalmarktrechtlichen Vorschriften vom betreffenden Unternehmen eingehalten wurden, ist nicht ersichtlich, warum ein (von diesem beantragter) Widerruf der Zulassung dem so verstandenen Anlegerschutz widersprechen soll. Deutlich wird dies insbesondere dann, wenn man die Situation in Bezug auf die zu erwartende Kursentwicklung bei einem bevorstehenden Delisting mit der bei anderen grundlegenden Unternehmensentscheidungen vergleicht. Insofern geht es den Minderheitsaktionären eines ein vollständiges Delisting anstrebenden Unternehmens nicht anders den Minderheitsaktionären eines Unternehmens, welches etwa ein anderes Unternehmen erwerben will. Wird eine solche Entscheidung von der Marktöffentlichkeit mit Skepsis entgegengenommen, kann sie ebenfalls zu erheblichen Abschlägen bei der Bewertung des Unternehmens und damit zu deutlichen Kursrückgängen führen. Ein Widerspruch zum Anlegerschutz wird darin aber nicht gesehen, und das mit Recht. Schließlich hat sich in einem solchen Fall lediglich ein Risiko verwirklicht, welches die Aktionäre bei ihrer Entscheidung über den Erwerb der Anteile bewusst in Kauf genommen haben. Warum diese Einschätzung nicht gleichermaßen für den Fall eines vollständigen Delisting gelten soll, ist nicht recht ersichtlich. Abgesehen von Sonderkonstellationen, wie etwa einem Rückzug zur Unzeit 108, stellt auch der 105 Wilsing / Kruse. Die Änderung des § 54a BörsO / Ffrn: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (801). 106 BGHZ 153,47 ff. 107 HoZzbom, BGH verschärft Delisting-Voraussetzungen, WM 2003, 1105 (1l08); PfüZZer/Anders, Delisting-Motive vor dem Hintergrund neuerer Rechtsentwicklungen, NZG 2003,459 (464). 108 Siehe § 5 I. 2. b) aa) (1).

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Kursrückgang nach Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung lediglich eine Verwirklichung des Anlagerisikos dar. Dass der Kursrückgang die Vermögensinteressen der betroffenen Anleger beeinträchtigt und ihnen daher mehr als unliebsam ist, steht außer Frage. Das gleiche gilt aber ebenso dafür, dass sie vor einem solchen Kursrückgang rechtlich nicht geschützt werden 109. Diesem Ergebnis kann zudem nicht der Einwand entgegen gehalten werden, dass auch bei der Begründung von konzernrechtlichen Abhängigkeitsverhältnissen den außenstehenden Aktionäre der abhängigen Gesellschaft entweder ein angemessener Ausgleich zu gewähren ist oder ihnen eine angemessene Abfindung für ihre Anteile nach § 305 AktG zusteht. Der Ausgleich nach § 304 AktG soll den Verlust des mitgliedschaftlichen Dividendenrechts kompensieren, denn durch den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags wird die Entstehung von Bilanzgewinn verhindert und damit läuft das mitgliedschaftliche Dividendenrecht nach § 58 IV AktG leer l1o . Auch der Abschuss eines Beherrschungsvertrags kann aufgrund der damit einhergehenden Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens nach § 308 AktG derartige Folgen zeitigen lll . Der Abfindungspflicht nach § 305 AktG liegt die Vorstellung zugrunde, dass die außenstehenden Aktionäre für die Beeinträchtigung ihrer aus ihrer Mitgliedschaft folgenden Herrschaftsrechte kompensiert werden müssen lI2 . Sowohl durch einen Gewinnabführungsvertrag als auch durch einen Beherrschungsvertrag wird also in mitgliedschaftliche Rechte der Aktionäre eingegriffen 113. Ein solcher Eingriff ist der mit dem Rückzug von der Börse gerade nicht verbunden 114, so dass der dem Aktienrecht zugrunde liegende Gedanke, dass Eingriffe in den mitgliedschaftlichen Status der Aktionäre zu kompensieren sind, beim Delisting nicht zum Tragen kommt. Im Ergebnis steht damit fest, dass die Fristenregelung des § 58 I Nr. 2 BörsO FWB, ungeachtet der Frage, ob sie rechtspolitisch wünschenswert ist, jedenfalls die Belange des Anlegerschutzes berücksichtigt und damit mit § 38 IV BörsG vereinbar ist 11 5 • 109 Selbstverständlich bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, eine Abfindungspflicht im BörsG festzuschreiben. Daran wären die Börsen bei der Ausgestaltung der Rückzugsregeln in ihren Börsenordnungen dann auch gebunden. 110 Bi/da in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 7; Hüf!er; Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 1; Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 2,jeweils m. w. N. III Bilda in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 7; Hüf!er; Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 1; Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 2, jeweils m. w. N. 112 BGHZ 135,374 (379); 138, 136 (139); Bilda in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 304 AktG Rn 9; Hüf!er; Aktiengesetz, § 305 AktG Rn I; Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 305 AktG Rn 2. 113 Statt aller: Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzemrecht, § 304 AktG Rn 3 f.; ders. in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzemrecht, § 305 Rn 1, jeweils m. w. N. Siehe auch § 13 1.2. b). 114 Siehe § 5 I. 2. b) aa) (3) (b) (aa) sowie umfassend § 11 11. 3.

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bb) Nichtmehrbestehen eines ordnungsgemäßen Börsenhandels? Fraglich ist, ob neben den in § 58 I BörsO FWB statuierten Voraussetzungen weitere Anforderungen an einen Widerruf zu stellen sind. Mitunter wurde vertreten, dass die Zulassungsstelle die Börsenzulassung nach § 38 IV BörsG nur dann widerrufen kann, wenn ein normales Marktgeschehen nicht mehr zu erwarten ist, d. h. wenn sich der Handel der zum Widerruf anstehenden Papiere von den für eine Zulassung zur amtlichen Notierung geltenden Bedingungen hinreichend weit entfernt hat l16 . Die Kriterien dafür sollen den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 18 11 der Richtlinie 34/2001/EG 1l7 bzw. des Art. 14 11 der Richtlinie 79 I 279 I EWG 1l8 entnommen werden. Danach ist erforderlich, dass der normale und geregelte Markt für das zum Widerruf anstehende Wertpapier aufgrund besonderer Umstände nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dies wiederum soll in Anlehnung an § 9 I BörsZulVO und Art. 48 V der Richtlinie 34/2001lEG bzw. Anhang zur Richtlinie 79 I 279 I EWG, Schema A Abschnitt 11 Nr. 4 dann der Fall sein, wenn eine ausreichend breite Streuung der zugelassenen Wertpapiere nicht mehr vorhanden ist, d. h. wenn weniger als fünfundzwanzig vom Hundert des Gesamtnennbetrages, bei nennwertlosen Aktien der Stückzahl vom Publikum erworben worden sind, bzw. wenn die Zahl der Aktien nicht groß genug und ihre Streuung nicht breit genug dafür ist, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auch bei einem niedrigeren Vomhundertsatz gewährleistet ist. Dieser Auffassung kann jedoch aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden. Zum einen enthält das Gemeinschaftsrecht keine Vorgaben für ein Delisting auf Antrag des Emittenten. Art. 1811 der Richtlinie 34/2001 lEG bzw. Art. 1411 der Richtlinie 79 I 279 I EWG beziehen sich ausweislich ihres Wortlautes lediglich auf die Einstellung der Notierung und regeln daher nur Eingriffsbefugnisse der zuständigen Stelle, falls ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Marktes nicht mehr gewährleistet ist. Hingegen treffen sie keine Aussage über den von der bloßen Einstellung der Notierung zu unterscheidenden Widerruf der Zulassung ll9 . Zum anderen führt eine solche Interpretation zu nicht unerheblichen Ungereimtheiten in der Systematik des Börsengesetzes. Würde man nämlich für den auf Antrag des Emittenten erfolgenden Widerruf der Börsenzulassung ebenfalls verlangen, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet ist, so 115 I.E. ebenso: Beck/ Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (197 ff.); Harrer/Wilsing, Aktuelle Aspekte des Rückzugs von der Wertpapierbörse, DZWIR 2002, 485 (488). 116 VG Frankfurt1M., NJW-RR 2002, 480 (482). 117 RL vom 28.05.2001, ABlEG Nr. L 184/2001, 1 ff. 118 RL vom 05. 03. 1979, ABlEG Nr. L 66/1979, 21 ff. Diese Richtlinie wurde jedoch im Rahmen der Zusammenfassung mehrerer das Kapitalmarktrecht betreffende Richtlinien in der Richtlinie 34/200llEG aufgehoben, vgl. Erwägungsgrund (1) der Richtlinie 34/20011 EG. 119 So auch die zutreffende Ansicht der Bundesregierung, BTDrucks. 13/8933,75.

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würden sich die Voraussetzungen von § 38 IV BörsG mit denen von § 38 III BörsG überschneiden. Denn nach der letztgenannten Vorschrift hat die Zulassungsstelle die Börsenzulassung bereits von Amts wegen zu widerrufen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet erscheint 12o. Somit hätte § 38 IV BörsG keinen weiterreichenden Anwendungsbereich als § 38 III BÖrsG. Dies war weder vom Gesetzgeber gewollt noch geht es aus dem Wortlaut der Vorschriften hervor. Für einen Widerruf der Zulassung nach § 38 IV BörsG kommt es also nicht darauf an, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel der betroffenen Wertpapiere nicht mehr gewährleistet ist. Nichtsdestotrotz wäre es in einem solchen Fall viel weniger wahrscheinlich, dass der Widerruf dem Schutz der Anleger widerspricht. cc) Sonstige Voraussetzungen von § 38 IV BörsG Des Weiteren ist bei einer positiven Entscheidung der Zulassungsstelle der Widerruf der Zulassung zum amtlichen Handel auf Kosten des Emittenten unverzüglich in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt zu veröffentlichen, § 38 IV 3 BÖrsG. Der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung über den Widerruf und seiner Wirksamkeit darf gemäß § 38 IV 4 BörsG zwei Jahre nicht überschreiten. Nähere Bestimmungen über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs werden in § 5811 BörsO FWB getroffen. Dieser differenziert danach, ob und wo ein Handel in der betreffenden Aktie nach dem Widerruf noch möglich ist. Er erfolgt mit sofortiger Wirkung wenn das Wertpapier danach weiterhin an zumindest einer anderen inländischen Börse zugelassen ist, § 58 11 I BörsO FWB und mit einer Frist von drei Monaten 121 nach Veröffentlichung der Entscheidung, wenn die Aktie nach dem Widerruf ausschließlich an einem ausländischen organisierten Markt gehandelt wird, § 58 11 2 BörsO FWB. In den Fällen von Absatz I Nr. 2 beträgt die Frist sechs Monate 122 , § 58 11 3 BörsO FWB. Auf Antrag des Emittenten kann die Zulassungsstelle die beiden letztgenannten Fristen verkürzen, wenn dies dem Interesse der Anleger nicht zuwiderläuft, § 58 III BörsO FWB. Die von § 38 IV 4 BörsG vorgesehene Maximalfrist von zwei Jahren wird jedenfalls an der FWB in keinem Fall vollständig ausgeschöpft. Schließlich sind in § 58 IV BörsO FWB weitere Einzelheiten, die das Widerrufsverfahren betreffen, geregelt. So obliegt gemäß § 58 IV I BörsO FWB der Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Widerrufs der Zulassung dem Siehe § 5 I. 1. a) aa). Vor Inkrafttreten des neuen § 58 BörsO FWB waren es noch 6 Monate, vgl. § 54a II 2 BörsO FWB a. F. 122 Vor Inkrafttreten des neuen § 58 BörsO FWB war es noch 1 Jahr, vgl. § 54a II 3 BörsO FWB a. F. 120 121

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Emittenten. Dementsprechend hat dieser gemäß § 58 IV 2 BörsO FWB auf Verlangen der Zulassungsstelle geeignete Erklärungen und Unterlagen vorzulegen. Zu beachten ist außerdem noch, dass die Zulassungsstelle ihre Widerrufsentscheidung rückgängig machen kann, wenn eine der Voraussetzungen für den Widerruf in der Zeit zwischen seiner Bekanntgabe und seinem Wirksamwerden entfallen ist, § 58 IV 3 BörsO FWB. c) Prüfungsumfang der Zulassungsstelle

Die Entscheidung der Zulassungsstelle über das Delisting auf Antrag des Emittenten ist eine Ermessensentscheidung, wie sich aus der "kann"-Formulierung in § 38 IV 1 BörsG ergibt. Mithin besteht kein Anspruch der Gesellschaft auf ein Delisting, sondern nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Zulassungsstelle 123 • Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung des Beschlusses der Zulassungsstelle über die Erteilung oder Verweigerung des Widerrufs der Börsenzulassung, etwa im Rahmen einer Anfechtungsklage, muss sich daher in materieller Hinsicht auf das Vorliegen von Ermessensfehlern beschränken 124 . Die Weite des behördlichen Prüfungsmaßstabs ist jedenfalls in zweierlei Hinsicht noch nicht völlig geklärt. Zum einen ist fraglich, wessen Interessen bei der Widerrufsentscheidung zu berücksichtigen sind, d. h. ob neben den Interessen des Emittenten und der Anleger auch die von Dritten eine Rolle spielen. Es empfiehlt sich, hier die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie bei der Entscheidung über die Zulassung, denn die Entscheidung über den Widerruf der Zulassung ist ihr actus contrarius. Bei der Zulassungsentscheidung sind jedoch gemäß § 30 III BörsG (§ 36 III BörsG a. E) nur die Interessen der Emittenten und der Anleger zu berücksichtigen J25 • Schon daraus ergibt sich, dass bei der Widerrufsentscheidung die Interessen Dritter, etwa diejenigen der Regionalbörsen und der anderen Marktteilnehmer, wie etwa Makler und Kreditinstitute, ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben. Ihr Interesse an der Weitemotierung der bereits zugelassenen Wertpapiere bleibt unberücksichtigt, denn das Interesse am Fortbestand einer Börse und damit dasjenige an einer möglichst großen Vielzahl von Handelsobjekten ist rechtlich nicht geschützt. Gleichsam stellt die Möglichkeit, zukünftig weiterhin Börsengeschäfte in einem bestimmten Wert tätigen zu können, lediglich eine rechtlich nicht geschützte Erwerbsaussicht dar 126 . Der Grund dafür ist, dass die Börse für Anleger und Emitten123 Schwichtenberg. Going Private und Squeezeouts in Deutschland. DSTR 2001, 2075 (2079); Wirth/ Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 11l (112). 124 VG Frankfurt/M., NJW-RR 2002, 480, (481). 125 Pötzsch, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998,949 (952) m. w. N. 126 Klenke. Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen Regionalbörsen, WM 1995, 1089 (1100) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung.

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ten eine Dienstleistung erbringt und dem Wettbewerb von Angebot und Nachfrage unterliegt 127. Weil sie folglich nicht beeinflussen kann, welches Unternehmen bei ihr einen Zulassungsantrag stellt, darf sie umgekehrt eine Gesellschaft auch nicht zum Verbleib zwingen können. Außerdem sind die vom BörsG bereitgestellten Handlungsmöglichkeiten, ungeeignete Gesellschaften vom amtlichen Handel fernzuhalten, repressiver Natur. Eine Möglichkeit, geeignete Gesellschaften zwangsweise in diesem Marktsegment zu belassen sieht das Gesetz nicht vor 128 . Bei der Widerrufsentscheidung sind mithin ausschließlich die Interessen der Emittenten und der Anleger gegeneinander abzuwägen l29 . Hingegen haben die Interessen Dritter, wie etwa die der Regionalbörsen an der Weiternotierung, außer Betracht zu bleiben 130. Zum anderen ist in bezug auf den Prüfungsumfang der Zulassungsstelle fraglich, ob er sich nur auf die kapitalmarktrechtlichen oder ebenso auf die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen eines Delisting erstreckt. Vornehmlich geht es dabei um die Frage, ob die Zulassungsstelle das Vorliegen eines Hauptversammlungsbeschlusses, sofern man einen solchen für erforderlich hält!3l, zu prüfen hat. Dafür ließe sich anführen, dass jedenfalls das Zulassungsverfahren eine solche umfassende Prüfungspflicht der Zulassungsstelle kennt, denn dort unterliegen bestimmte kapitalmarktrechtliehe Voraussetzungen der Kontrolle durch die Zulassungsstelle, vgl. §§ 1-5 BörsZuiVO. Ferner könnte man den Anlegerschutz i. S. § 43 IV 2 BörsG umfassend verstehen und das Vorliegen der gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen eines Delisting in die Prüfung der Voraussetzungen dieser Vorschrift mit einbeziehen. Schließlich ließen sich noch Praktikabilitätserwägungen anstellen. Denn der unnötige Aufwand, der dadurch entstünde, dass der Vorstand das im Falle der fehlenden Ermächtigung durch die Hauptversammlung eigenmächtig geführte Geschäft u. U. wieder rückgängig zu machen haben könnte l32 , indem er den Antrag auf Widerruf zurücknehmen oder sogar die Wieder127 Hopt, Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz - Börsen- und kapitalmarktrechtliche Überlegungen, in: Basedow/Hopt/Kötz (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Drobnig, 525 (535); Klenke. Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen RegionaIbörsen, WM 1995, 1089 (1090); Pätzscll. Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, WM 1998. 949 (952); von Schenck in: Semler/Volhard (Hrsg.). Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen. Bd. I, § 24 Rn 27. 128 Eickhoff, Der Gang an die Börse - und kein Weg zurück?, WM 1998, 1713 (1716). 129 Pluskat. Going Private durch reguläres De1isting. WM 2002, 833 (836) m. w. N.; vgl. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 13/8933, 182. 130 Groß. Kapitalmarktrecht, §§ 42, 43 BörsG Rn 12; Pluskat. Rechtsprobleme beim Going Private, 92 ff.; Richard/Weinheimer, Der Weg zurück: Going Private, BB 1999, 1613 (1618); Wirth/ Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (112); a.A.: Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks. 13/8933, 165; wohl auch VG Frankfurt/M., NJW-RR 2002, 480, wonach auch die "Belange des allgemeinen AktienhandeIs" zu berücksichtigen sind. 131 Ausführlich dazu unten § 11. 132 BGHZ 83, 122 (133 ff.).

5 Gulte

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zulassung beantragen müsste, könnte im Wege einer Vorabkontrolle durch die Zulassungsstelle vermieden werden 133. Allerdings ist die Vertretungsmacht des Vorstandes gemäß § 82 I AktG unbeschränkbar. Eine Verletzung der internen Pflicht des Vorstandes, ggf. die Ermächtigung durch die Hauptversammlung einzuholen, beeinträchtigt daher grundsätzlich nicht die Wirksamkeit der von ihm getroffenen Maßnahmen nach außen hin l34 . Aus diesem Grund hat die Zulassungsstelle nicht zu prüfen, ob die im Innenverhältnis der Gesellschaft bestehende Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Hauptversammlung eingehalten wurde, sondern hat den Delisting-Antrag ohne weiteres anzunehmen 135 . Ferner geben die §§ 1-5 BörsZulVO bei genauerer Betrachtung nichts Gegenteiliges her, denn sie verlangen nicht die Untersuchung gesellschaftsrechtlicher Interna, sondern beinhalten lediglich Anforderungen an die Emittentenqualität des die Börsenzulassung beantragenden Unternehmens sowie die ordnungsgemäße Wertpapierausgabe für den Börsenhandel!36. Deshalb hat die Zulassungsstelle das Vorliegen etwaiger gesellschaftsrechtlicher Voraussetzungen an ein Delisting grundsätzlich nicht zu prüfen. Da ihr jedoch die Entscheidung über den Widerruf in ihrem Ermessen steht, wäre es allenfalls denkbar, dass die Zulassungsstelle bei etwaigen Evidenzfällen den Widerrufsantrag aus gesellschaftsrechtlichen Gründen ablehnt, beispielsweise weil die Satzung des rückzugswilligen Emittenten die Börsenzulassung als Teil des Unternehrnensgegenstands gemäß § 23 III Nr. 2 AktG formuliert 137 . d) Exkurs: Weitere Möglichkeiten neben § 38 IV BörsG?

Fraglich ist, ob neben § 38 IV BörsG weitere Rechtsgrundlagen bestehen, auf die ein vom Emittenten beantragter Widerruf der Börsenzulassung gestützt werden kann. Insofern kommen lediglich allgemeine verwaltungsrechtliche Grundlagen in Betracht. aa) Gemäß § 49 I VwVfG? Jedenfalls vor Einführung von § 38 IV BörsG wurde bisweilen vertreten, dass der Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten auch über § 49 I Pluslwt, Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002,833 (836). Hejennehl/Spindler in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 82 AktG Rn 21; Hülfe" Aktiengesetz, § 82 AktG Rn 3; BGHZ 83, 122 (133 ff.). J35 Ebenso Pluslwt, Going Private durch reguläres DeIisting, WM 2002, 833 (836); wohl auch Hel/wig, Möglichkeiten einer Börsenreform zur Stärkung des deutschen Kapitalmarktes, ZGR 1999,781 (801 f.); a. A.: Vol/mer/Grupp, Der Schutz der Aktionäre beim Börseneintritt und Börsenaustritt, ZGR 1995, 459, (478) allerdings zur Rechtslage vor Einführung von § 38 IV BörsG (§ 43 IV BörsG a. F.). 136 Pluskat, Going Private durch reguläres Delisting. WM 2002, 833 (836). 137 Siehe § 11 I. 1. 133

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VwVfG erreicht werden könne 13s . Zwar sei diese Vorschrift ausweislich ihres Wortlautes nur auf den Widerruf von belastenden Verwaltungsakten anwendbar. Allerdings könne sich die Börsenzulassung für den Emittenten im Laufe der Zeit in eine Belastung gewandelt haben. Da sich die Tatsache, ob die Aufhebung begünstigend oder belastend wirkt, aus Sicht des Adressaten des Verwaltungsaktes beurteile, liege in solchen Fällen eine für den Emittenten vorteilhafte Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes vor. Auf diese seien jedoch die Regeln über den Widerruf belastender Verwaltungsakte anzuwenden. Da nun § 49 I VwVfG weiterhin ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung einräume, könne u.U., d. h. im Falle einer Reduzierung des Ermessens auf Null, sogar ein Anspruch des Emittenten auf Widerruf der Zulassung aus § 49 I VwVfG bestehen. Ob dieser Auffassung gefolgt werden konnte, erscheint heute eher zweifelhaft, kann hier jedoch dahinstehen. Denn seit Einführung von § 38 IV BörsG (§ 43 IV BörsG a.F.) ist die Möglichkeit des Widerrufs der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten spezialgesetzlich geregelt. Gemäß dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali würde diese Regelung nunmehr die erwähnte Möglichkeit über § 49 I VwVfG verdrängen. Jedenfalls bedarf es des Umweges über § 49 I VwVfG nicht mehr. bb) Gemäß § 51 VwVfG? Schließlich besteht noch der Sonderfall der Aufhebung der Börsenzulassung nach den Grundsätzen über das Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG. Über einen Antrag des Emittenten auf Wiederaufgreifen entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen, so dass dem Emittenten aus dieser Vorschrift grundsätzlich kein Anspruch auf Aufhebung der Börsenzulassung erwachsen kann, sondern nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung 139. Der Emittent ist als Adressat des Verwaltungsaktes Börsenzulassung Betroffener im Sinne dieser Vorschrift und daher antragsbefugt l4o . Allerdings setzt § 51 I VwVfG voraus, dass sich entweder die Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat oder dass neue Beweismittel vorliegen oder dass ein Wiederaufnahmegrund nach § 580 ZPO gegeben ist. An diesen weiteren Voraussetzungen wird es i. d. R. fehlen 141. Eine Aufhebung der Börsenzulassung nach einem 138 Fluck, Zum Verzicht des Begünstigten auf Rechte aus einern Verwaltungsakt am Beispiel der Börsenzulassung, WM 1995,553 (560). 139 St. Rspr., vgl. BVerwGE 44, 333 (334); 48, 271 (278 f.); 60, 316 (325); BVerwG, NVwZ-RR 1990, 26 f. ; Sachs in: Stelkens / Bonk / Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn 15, m. w. N. 140 Meyer in: Kno.ck, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn 24 f.; Ramsauer in: Kopp/ Rarnsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn 10; Schäfer in: Oberrnayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn 38; Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 25; Sachs in: Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn 17. 141 Schwark, Börsengesetz, § 36 Rn 25.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

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Antrag des Emittenten gemäß § 51 VwVfG ist daher zwar theoretisch möglich. Die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags dürften in der Praxis jedoch gering sein.

ll. Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) Der Widerruf der Zulassung zum Prime Standard des amtlichen Markts an der FWB ist in § 67 Börsü FWB geregelt. Er lässt gemäß § 67 III Börsü FWB die Zulassung zum amtlichen Markt (General Standard) im Übrigen unberührt. Für den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten gelten gemäß § 67 11 BörsG die Vorschriften über den Widerruf der Zulassung zum amtlichen Markt (General Standard) entsprechend. Es kann an dieser Stelle daher auf die oben dazu gemachten Ausführungen verwiesen werden l42 . Den vom Emittenten beantragten Widerruf der Zulassung zum Prime Standard regelt § 67 I 1 Börsü FWB. Nach dieser Vorschrift widerruft die Zulassungsstelle die Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten auf Antrag des Emittenten. Wie aus dem Wortlaut der Vorschrift hervorgeht, handelt es sich dabei um eine gebundene Entscheidung der Zulassungsstelle. Im Gegensatz zum beantragten Widerruf der Zulassung zum General Standard des amtlichen Markts ist der vom Emittenten beantragte Widerruf der Zulassung zum Prime Standard also an keine weiteren Voraussetzungen als einen entsprechenden Antrag gebunden. Dies ist folgerichtig, denn gemäß § 67 III Börsü FWB lässt der auf Antrag des Emittenten erfolgende Widerruf die Zulassung zum General Standard des amtlichen Markts unberührt. Eine Beeinträchtigung des Anlegerschutzes steht daher nicht zu befürchten und eine dem § 58 I Börsü FWB entsprechende Regelung ist entbehrlich. Gemäß § 67 IV Börsü FWB hat die Geschäftsführung im Fall der Beendigung der Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten sogar die Aufnahme der Notierung der zugelassenen Wertpapiere im General Standard des amtlichen Markts von Amts wegen zu veranlassen. Des Weiteren hat die Zulassungsstelle den Widerruf auf Kosten des Emittenten unverzüglich in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt zu veröffentlichen, § 67 I 2 Börsü FWB. Schließlich beträgt der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des vom Emittenten beantragten Widerrufs gemäß § 67 I 3 Börsü FWB drei Monate.

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Siehe § 5 I. 1.

§ 6 Geregelter Markt

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§ 6 Geregelter Markt Der 1987 eingerichtete geregelte Markt soll in erster Linie kleinen und mittleren, vorzugsweise deutschen, Unternehmen den Zugang zum organisierten Kapitalmarkt ermöglichen. Er unterscheidet sich zwar in einigen Gesichtspunkten vom amtlichen Markt. So ist beispielsweise der Zugang zum geregelten Markt für die Emittenten unter erleichterten Voraussetzungen möglich l43 . So muss gemäß § 6911 Börsü FWB der Emittent nicht zwingend bereits 3 Jahre als Unternehmen bestanden haben (Nr. 1, "soll"). Weiterhin ist eine teilweise Zulassung der Wertpapiere möglich (Nr. 2) und die Anforderungen an die Streuung der Aktien nach § 9 BörsZulV bestehen nicht in gleichem Maße (Nr. 3). Diese Unterschiede wirken sich jedoch auf die hier zu erörternde Problematik der Beendigung der Börsenzulassung nicht aus. Insofern ist vielmehr ausschlaggebend, dass der geregelte Markt ebenfalls in die Wertpapierbörse integriert l44 und daher öffentlich-rechtlich organisiert ist. Aus diesem Grund bauen die börsengesetzlichen Vorschriften für den geregelten Markt zum Teil auf jenen für den amtlichen Markt auf, vgl. §§ 49 ff. BörsG (§§ 71 ff. BörsG a. E). Die Rechtsgrundlagen für die Beendigung der Börsenzulassung zum amtlichen Markt gelten qua Verweisung also gleichermaßen für den geregelten Markt. Aus diesen Gründen gelten die oben gemachten Ausführungen 145 für den geregelten Markt entsprechend. So ist die Zulassung zum geregelten Markt ebenfalls Verwaltungsakt 146 und auch sie wird von der Zulassungsstelle erteilt, § 49 11 2 BÖrsG. Hierin besteht allerdings ein Unterschied zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Vierten FMFG, denn bis dahin war für die Zulassung zum geregelten Markt nicht die Zulassungsstelle, sondern der nunmehr abgeschaffte Zulassungsausschuss 147 zuständig, vgl. § 71 11 1 BörsG a. E Soweit sich im Detail weitere Abweichungen ergeben sollten, werden diese im Folgenden jeweils deutlich gemacht.

I. Widerruf der Zulassung zum General Standard Für den Widerruf der Zulassung zum General Standard des geregelten Markts gelten die diesbezüglichen Vorschriften für den General Standard des amtlichen Markts entsprechend. Auf börsengesetzlicher Ebene folgt dies aus § 53 11 BörsG 143 Dazu im Einzelnen: Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (383); Kümpel, KapitaJmarktrecht - Eine Einführung, 72 f. 144 Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 73. 145 Siehe § 5. 146 Groß, Kapitalmarktrecht, § 71 BörsG Rn 13. 147 Im Gegensatz zur endgültigen Regelung im BörsG sah der Regierungsentwurf zum Vierten FMFG noch vor, dass für die Zulassung zum geregelten Markt weiterhin der Zulassungsausschuss zuständig sein sollte, vgl. § 48 11 2 RegE BörsG, BTDrucks. 14/8017,21. Die Änderung geht auf eine Anregung des Bundesrates zurück, vgl. Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks. 14/8601,5.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

(§ 75 III BörsG a.E), wonach für den Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt der den amtlichen Markt betreffende § 38 BörsG entsprechend gilt. Auf Satzungsebene findet sich der Verweis auf die entsprechenden Vorschriften zum Widerruf der Zulassung zum amtlichen Markt in § 73 Börsü FWB.

1. Widerruf der Zulassung von Amts wegen

Für den Widerruf der Börsenzulassung zum geregelten Markt gilt gemäß der Verweisung in § 53 11 BörsG die für den amtlichen Markt bestehende Vorschrift des § 38 III BörsG entsprechend. Das gleiche ergibt sich aus der auf Satzungsebene angesiedelten Verweisung des § 73 Börsü FWB auf § 57 Börsü FWB. Die oben zu dem in § 38 III BörsG enthaltenen besonderen Widerrufsgrund gemachten Ausführungen gelten daher cum grano salis ebenso für den geregelten Markt. Die Zulassungsstelle kann also gleichermaßen die Zulassung zum geregelten Markt widerrufen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet ist und die Notierung eingestellt wurde. Im Hinblick auf den Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt wegen Nichterfüllung der Emittentenpflichten hat das Vierte FMFG jedoch eine Änderung gebracht. Vor dessen Inkrafttreten wurden von der Verweisung in § 75 III BörsG a. E nur die in § 43 BörsG a. E enthaltenen Widerrufsmöglichkeiten erfasst. Daher galt der spezielle Widerrufsgrund in § 44d S. 2 BörsG a. E jedenfalls nicht kraft Verweisung auch für den geregelten Markt. Da überdies § 76 BörsG a. E, welcher für den geregelten Markt die entsprechende Geltung der Bestimmungen der §§ 44 I Nr. 1 und 2, 44c I BörsG a. E über die Emittentenpflichten am amtlichen Markt anordnete, nicht auf § 44d BörsG verwies, standen dem Zulassungsausschuss die in dieser Vorschrift genannten Sanktionsmöglichkeiten für einen Verstoß des Emittenten gegen seine Pflichten nicht zur Verfügung 148 . Der spezielle Grund für einen Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt von Amts wegen aufgrund der Nichterfüllung der Emittentenpflichten existierte daher am geregelten Markt nicht. Diese Inkongruenz wurde durch das Vierte FMFG beseitigt, denn nunmehr verweist § 54 S. 1 BörsG (entspricht § 76 BörsG a. E) u. a. auf § 43 BörsG (§ 44d BörsG a. E). Ein dem § 43 S. 2 BörsG entsprechender spezieller Widerrufsgrund existiert also nunmehr ebenfalls am geregelten Markt. Darüber hinaus gelten natürlich die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Rechtsgrundlagen für eine Aufhebung der Börsenzulassung von Amts wegen für den geregelten Markt. Denn da die Zulassung zum Handel am geregelten Markt ebenfalls ein Verwaltungsakt ist l49 , kann sie von der Zulassungsstelle, wenn sie rechtmäßig erteilt wurde, nach § 49 VwVfG widerrufen oder, wenn sie rechtswidrig erteilt wurde, nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden. 148 149

Groß. Kapitalmarktrecht, § 76 BÖrsG. Groß. Kapitalmarktrecht. § 71 BörsG Rn 13.

§ 6 Geregelter Markt

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2. Widerruf der Zulassung auf Antrag des Emittenten Über die Verweisung in § 53 11 BörsG findet die für den amtlichen Markt bestehende Vorschrift des § 38 IV BörsG für den geregelten Markt entsprechende Anwendung. Wiederum auf Satzungsebene folgt dies aus § 73 BörsO FWB, wonach für den Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers zum General Standard des geregelten Markts auf Antrag des Emittenten § 58 BörsO FWB entsprechend gilt. Im Hinblick auf das Delisting auf Antrag des Emittenten am geregelten Markt darf daher auf die oben zum General Standard des amtlichen Markts gemachten Ausführungen Bezug genommen werden. Eine Aufhebung der Börsenzulassung zum geregelten Markt auf Antrag des Emittenten im Rahmen eines Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG ist zwar ebenfalls theoretisch denkbar. Ebenso wie am amtlichen Markt ist eine solche in der Praxis jedoch - soweit ersichtlich - noch nie erfolgt.

11. Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des geregelten Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (prime Standard) Der Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des geregelten Markts mit weiteren Zulassungsfolgepflichten ist in § 82 BörsO FWB geregelt, gemäß welchem für den Widerruf der Zulassung zum Prime Standard des geregelten Markts die Vorschrift des § 67 BörsO FWB für den Widerruf der Zulassung zum Prime Standard des amtlichen Markts entsprechend gilt. Es darf daher wiederum auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

111. Widerruf der Einbeziehung in den geregelten Markt (General Quoted) Im Unterschied zum amtlichen Markt existiert am geregelten Markt seit Einführung des § 56 BörsG durch das Vierte FMFG auch die Möglichkeit der Einbeziehung von Wertpapieren in dieses Handelssegment. Die Besonderheit der Einbeziehung im Gegensatz zur Zulassung besteht darin, dass sie ohne Mitwirkung des Emittenten erfolgt. Dafür genügt vielmehr der Antrag eines zugelassenen Handelsteilnehmers, etwa einer Bank oder einer Börsenmaklergesellschaft. Ein Widerspruchsrecht des Emittenten besteht nicht, § 84 I 2 BörsO FWB. Der Zweck von § 56 BörsG besteht darin, den Handel solcher Wertpapiere im geregelten Markt zu ermöglichen, die bislang mangels Zulassungsantrags des Emittenten allenfalls im Freiverkehr gehandelt werden konnten. Der Vorteil einer Überführung solcher Werte in den geregelten Markt liegt darin, dass dieser im Gegensatz zum Freiverkehr als "regulated market" im Sinne der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

anerkannt ist und daher außerhalb Deutschlands ansässige Handelsteilnehmer diese Wertpapiere ebenfalls handeln können, ohne dass hierfür eine gesonderte Genehmigung nationaler Aufsichtsbehörden erforderlich ist l50 . Die nach § 56 11 I BörsG in den Börsenordnungen zu treffenden näheren Bestimmungen über die Einbeziehung von Wertpapieren in den geregelten Markt sind in der BörsO FWB in §§ 83 ff. enthalten. Auf den Widerruf der Einbeziehung ist § 88 BörsO FWB anzuwenden. Gemäß § 88 I BörsO FWB widerruft die Geschäftsführung die Einbeziehung jedenfalls auf Antrag des Antragstellers. Sie kann die Einbeziehung gemäß § 88 11 1 BörsO FWB ferner von Amts wegen widerrufen, wenn die in § 84 III, IV BörsO FWB aufgestellten Voraussetzungen für eine Einbeziehung nicht mehr vorliegen. Außerdem gelten für den Widerruf der Einbeziehung von Amts wegen gemäß § 88 II 2 BörsO FWB die Vorschriften des § 57 I BörsO FWB entsprechend. Die Geschäftsführung kann also die Einbeziehung von Wertpapieren in den geregelten Markt aus den gleichen Gründen widerrufen wie die Zulassungsstelle die Zulassung zum General Standard des amtlichen Markts widerrufen kann. Sowohl im Falle des Widerrufs auf Antrag desjenigen der den Antrag auf Einbeziehung gestellt hat, als auch im Falle des von Amts wegen erfolgenden Widerrufs der Einbeziehung veröffentlicht die Geschäftsführung den Widerruf auf Kosten des Antragstellers entsprechend § 57 II BörsO FWB, vgl. § 88 III BörsO FWB.

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs gegen die Delisting-Entscheidung der Zulassungsstelle Wie die Börsenzulassung selbst ist auch ihr Widerruf ein Verwaltungsakt. Insbesondere beim vom Emittenten selbst beantragten Widerruf stellt sich daher die Frage, ob der einzelne Aktionär auf dem Verwaltungsrechtsweg, d. h. durch Erhebung einer Anfechtungsklage, gegen die dem Widerrufsantrag der Emittenten stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle vorgehen kann. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob der einzelne Aktionär widerspruchs- bzw. anfechtungsbefugt ist. Dies setzt nach § 42 11 VwGO voraus, dass er geltend machen kann, durch den Widerruf der Börsenzulassung des Emittenten in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Adressatentheorie, nach welcher der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts im Hinblick auf Art. 2 I GG stets in eigenen Rechten verletzt sein kann l51 , hilft für die Begründung der Widerspruchs- bzw. Anfechtungsbefug150 Beck, Die Reform des Börsenrechts im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, Teil 2, BKR 2002, 699 (708); Schlitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 (62 f.). 151 Statt aller: Schenke in: Kopp I Schenke, VwGO, § 42 Rn 69 m. w. N.

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Aktionärs

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nis nicht weiter, denn Adressat der Widerrufsentscheidung der Zulassungsstelle ist der den Widerruf beantragende Emittent und nicht der einzelne Anleger. Allerdings kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein Dritter ebenfalls klagebefugt sein, nämlich dann, wenn durch den angegriffenen Verwaltungsakt eine drittschützende Norm, d. h. eine Norm, die dem Dritten ein subjektives Recht verleiht, möglicherweise verletzt wird.

I. Rechtslage vor Inkrafttreten des Vierten FMFG Als Norm, die dem einzelnen Anleger ein subjektives Recht gewährt und auf die er seine Klagebefugnis stützen kann, kam im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie § 43 IV 2 BörsG a.F. in Betracht, wonach der Widerruf der Börsenzulassung zum amtlichen Handel nicht dem Schutz der Anleger widersprechen durfte. 1. Meinungsstand

Bezüglich der Frage nach Anfechtungsbefugnis des einzelnen Aktionärs ergab sich folgendes Bild: sowohl die wenigen dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen als auch die weit überwiegende Mehrheit in der Literatur haben die Frage bejaht. Nur ganz vereinzelt wurde die Anfechtungsbefugnis des einzelnen Anlegers bestritten. a) Rechtsprechung

Das einzige Gericht, welches sich in der Sache zur Frage, ob der einzelne Aktionär klagebefugt ist, zu äußern hatte, war das VG Frankfurt/M. In zwei Entscheidungen, einem Beschluss vom 02. 11. 2001 152 und einem Urteil vom 17. 06. 2002 153 , hat es diese Frage mit nahezu wortgleichen Ausführungen bejaht. Zur Begründung hat es sich auf den Wortlaut von § 43 IV 2 BörsG a. F. gestützt, aus welchem hervorgehe, dass die Interessen der Anleger an einer Fortsetzung der amtlichen Notierung zugelassener Wertpapiere gesetzlich ausdrücklich anerkannt seien i54 . Diese Sichtweise werde zudem vom Begründungsentwurf der Bundesregierung bestätigt155. Schließlich seien die Anleger im Sinne dieser Vorschrift jedenfalls die Inhaber der Aktien und damit ein abgrenzbarer Personenkreis 156. Die Auslegung von § 43 IV 2 BörsG a. F. als drittschützend stehe außerdem in VG Frankfurt/M., AG 2003, 218 ff. VG Frankfurt/M., OB 2002,1986 ff. 154 VG Frankfurt/M., AG 2003,218 (219); VG Frankfurt/M., OB 2002,1986. 155 VG Frankfurt/M., AG 2003, 218 (219); VG Frankfurt/M., OB 2002,1986, unter Verweis auf BTDrucks. 13/8933, 75. 156 VG Frankfurt/M., AG 2003, 218 f.; VG Frankfurt/M., OB 2002,1986. 152 153

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Einklang mit Art. 19 I der Richtlinie 2001/ 34/EG 157 , wonach Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Zulassung zur amtlichen Notierung und die Einstellung der amtlichen Notierung vorzusehen sind 158 . Zwar hatte das VG Frankfurt/M. die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht gegen sein Urteil vom 17.06.2002 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch keine Gelegenheit gehabt, sich zur Sache selbst zu äußern, da die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Demzufolge hat es das Verfahren gemäß §§ 141 S. 1, 125 S. 1 i.V. m. § 92 III 1 VwGO eingestellt und lediglich eine Kostenentscheidung getroffen 159 . Selbst im Rahmen dieser Kostenentscheidung hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, und damit u. a. die Frage der Klagebefugnis der einzelnen Aktionäre, nicht beurteilen können, da es nach seiner eigenen Rechtsprechung l60 grundsätzlich billigem Ennessen entspricht, in einem solchen Fall die Kosten des Verfahrens nach dem in § 155 I 2 VwGO aufgestellten Grundsatz gegeneinander aufzuheben 161 . Im Übrigen hat auch das LG München I - allerdings in einem obiter dictum ausgeführt, dass den Aktionären bei einem eindeutigen Fehlgebrauch des Ennessens der Börsen ein Anfechtungsrecht zustehen müsse, sofern der Widerruf der Zulassung ihre Eigentumsrechte tatsächlich verletzen würde l62 . Zusammenfassend stand die Rechtsprechung demnach auf dem Standpunkt, dass der einzelne Aktionär klagebefugt sei und stützte sich dabei auf § 43 IV 2 BörsG a.F. b) Literatur

In der Literatur wurde die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs ebenfalls überwiegend bejaht 163 . Diese Auffassung wurde, insoweit übereinstimmend mit 157 RL vorn 28. 05. 2001, ABlEG Nr. L 184/2001, 1 ff., welche die RL 279/ 1979/EWG ersetzt hat. 158 VG Frankfurt/M., AG 2003, 218 (219); VG Frankfurt/M., DB 2002,1986 (1987). 159 BVerwG, Beschluss vorn 04.06.2003 - 6 C 21.02, abrufbar unter: www.bverwg.de/ medial archive/ 1448.pdf (Stand der letzten Abfrage: 20. 12.2004). 160 BVerwG, Beschluss vorn 28.10.1992 -11 C 30.92, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 98 m.w.N. 161 BVerwG, Beschluss vorn 04.06.2003 - 6 C 21.02, abrufbar unter: www.bverwg.de/ medial archive/ 1448.pdf (Stand der letzten Abfrage: 20. 12. 2004). 162 LG München I, DB 1999,2458 (2460). 163 De Vries, Delisting, 67 ff.; Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 141 (151 f.); Hellwig / BOTrlUlnn, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (468); Hüffer, Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 22; Kleppe, Anlegerschutz, 216; Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2273) = NZG 2000, 1112 (1113 f.); Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 105 (139 f.); Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (602);

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Aktionärs

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der Rechtsprechung, damit begründet, dass § 43 IV 2 BörsG a. F. drittschützend gewesen sei l64 . Zum einen habe die Regelung explizit vorgeschrieben, dass der Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf165 und wenn § 43 IV 2 BörsG a.F. im Unterschied zu anderen Regelungen des BörsG nicht vom "Schutz des Publikums", vgl. etwa §§ 36 III Nr. 3, 42 III, 44 I Nr. 3 BörsG a. F., sondern vom "Schutz der Anleger" sprach, so habe dies darauf hingedeutet, dass mit dieser Formulierung im Unterschied zu den anderen Regelungen nicht nur die Anleger in ihrer Gesamtheit, sondern gerade jeder einzelne vom Delisting betroffene Aktionär gemeint war l66 . Zum anderen habe es sich bei den Aktionären einer AG nicht um einen schwer abgrenzbaren Kreis möglicher Drittbetroffener gehandelt, wodurch Popularklagen ausgeschlossen gewesen seien l67 . Schließlich sei der Anleger bei anderen börsenrechtlichen Sachverhalten ebenfalls klagebefugt, etwa gegen die von Amts wegen zu treffende Entscheidung der Zulassungsstelle über die Aussetzung der amtlichen Notierung, § 43 I, 11 BörsG a. F 168 . Nur vereinzelt wurde die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs bestritten 169 . Diese Ansicht wurde meist entweder gar nicht 170 oder mit dem lapidaren Hinweis begründet, dass eine Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Zulassung dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (838); Streit, Delisting Light Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1286); Winh/ Amold, Anlegerschutz beim De1isting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (116 f.). 164 Hüf!er, Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 22; Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR

165 (2001), 105 (140). 165 Kleppe, Anlegerschutz, 216; Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2273) = NZG 2000, 1112 (1114); Pluslwt, Das vollständige De1isting im Spannungsfeld von Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (602); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (838); Winh/ Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (116). 166 De Vries, Delisting, 67 f. 167 De Vries, Delisting, 70; Kleppe, Anlegerschutz, 216; Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2273) = NZG 2000, 1112 (1114); Pluslwt, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (602); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (838); Winh/ Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (116). 168 Winh/ Anwld, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (116). 169 Beck/ Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (191 ff.); Renner/Schiffer, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06. 2002 - 9 R 2285/01 [V], DB 2002, 1990; von Rosen in: Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts § 2 Rn 168; sowie Groß, Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhande1 mit amtlicher Notierung, FB 1999, 32 (37), der sich aber später von dieser Auffassung distanziert zu haben scheint, vgl. Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 2001, 141 (152) jedenfalls für den Widerruf der Börsenzulassung nach § 43 III BörsG a. F. 170 Groß, Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel mit amtlicher Notierung, FB 1999,32 (37).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

beim Anleger ausscheide l7l . Allerdings wurde auch eine ausführlichere Begründung geliefert l72 . Danach sei zum einen den Motiven des Gesetzgebers zu § 43 IV BörsG a. F. nicht zu entnehmen, dass diese Vorschrift über den Schutz der Allgemeinheit der Anleger hinaus einen Individualschutz des einzelnen Anlegers bezwecken und für diesen ein subjektives Recht begründen sollte 173 • Der Ausgleich zwischen Emittent und Anleger, den § 43 IV BörsG a F. vorsah, sei durch die Zulassungsstelle der Börse herzustellen gewesen, welche jedoch nur im Interesse aller Anleger als Gesamtheit handele 174• Außerdem spreche die Systematik des BörsG gegen die Annahme, § 43 IV BörsG a. F. habe einen Individualschutz des einzelnen Anlegers bezweckt, denn an anderer Stelle, so z. B. bei der Zulassung von Aktien, habe das BörsG ebenfalls vom "Anlegerschutz" oder ,,Publikums schutz" gesprochen, ohne dass aus diesen Vorschriften Drittschutz ableitbar war 17S • Des Weiteren hätte eine Bejahung des drittschützenden Charakters von § 43 IV BörsG a. F. zur faktischen Einführung einer Popularklage geführt 176 . Schließlich habe die Klagebefugnis nicht aus einer Verletzung von Grundrechten oder direkt aus dem Europarecht hergeleitet werden können. Art. 14 I GG werde durch das Delisting nicht berührt 177 , und die Richtlinie 2001l34/EG, die in Art. 19 I den Mitgliedstaaten vorschreibt, dass der Anleger einen Rechtsbehelf gegen bestimmte Entscheidungen der zuständigen Stelle einlegen können muss, betreffe nicht das freiwillige Marktentlassungsverfahren und enthalte daher keine gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für den vom Emittenten beantragten Zulassungswiderruf178 .

2. Stellungnahme Mit der Rechtsprechung und der weit überwiegenden Meinung in der Literatur war die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs gegen die dem Widerrufsantrag des Emittenten stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle vor Inkrafttreten des Vierten FMFG zu bejahen. 171

168.

von Rosen in: Assmannl Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts § 2 Rn

172 Beck/ Hedtmann, 2003,190 (191 ff.). 173 Beck/ Hedtmann, 2003, 190 (192). 174 Beck/Hedtmann, 2003, 190 (193). 175 Beck/ Hedtmann, 2003, 190 (193). 176 Beck/Hedtmann, 2003,190 (194). 177 Beck/Hedtmann, 2003, 190 (191). 178 Beck/ Hedtmann, 2003,190 (194).

Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Aktionärs

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Allerdings ist der Gegenauffassung zuzugeben, dass die Klagebefugnis nicht auf Art. 14 I GG gestützt werden konnte. Das Delisting lässt die vom Eigentumsschutz umfasste 179 mitgliedschaftliche Stellung der Aktionäre unberührt, da dadurch weder die Verwaltungsrechte (das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, § 118 I AktG, das Stimmrecht, §§ 12, 134 AktG, das Auskunftsrecht, §§ 131, 132 AktG, sowie das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, §§ 241 Nr. 5, 243 ff. AktG) noch die Vermögensrechte (Recht auf Dividenden, Recht auf Bezug neuer Aktien bei einer Kapitalerhöhung, Recht auf Teilnahme am Liquidationserlös) der Aktionäre beeinträchtigt werden l80. Eine - gegenüber einfachgesetzlichen Schutznormen ohnehin nur subsidiär mögliche l81 - Stützung der Klagebefugnis auf das Eigentumsgrundrecht schied daher aus. Allerdings steht es dem Gesetzgeber frei, auch Vermögensinteressen, die nicht unter Art. 14 I GG fallen, durch drittschützende Normen auf der einfachgesetzlichen Ebene abzusichern 182. Ob § 43 IV 2 BörsG a. F. diese Drittschutzwirkung besaß, war durch Auslegung zu vermitteln. Richtig ist zwar, dass den Motiven des Gesetzgebers zum Dritten FMFG nicht eindeutig zu entnehmen ist, dass § 43 IV 2 BörsG a. F. individualschützend sein SOll183. Genauso wenig ist ihnen aber das Gegenteil zu entnehmen. Jedenfalls ließ der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift eine den Individualschutz verneinende Auslegung nicht zu. Zur Bedeutung des Gemeinschaftsrechts in diesem Zusammenhang sei folgendes bemerkt: Zwar hat, entgegen den Ausführungen des VG Frankfurt/M. 184 , das Europarecht nicht dazu gezwungen, § 43 IV 2 BörsG a. F. als drittschützende Norm auszulegen, denn die Richtlinie 34/200llEG 18S findet auf das freiwillige Delisting keine Anwendung. Allerdings schreibt deren Art. 19 I eine Rechtsschutzmöglichkeit des einzelnen Anlegers nicht nur für die Entscheidung, mit der die amtliche Notierung eingestellt wird, vor, sondern auch für die Entscheidung, mit der die Zulassung zum amtlichen Handel abgelehnt wird. Würde also die Klagebefugnis des Aktionärs gegen die dem Widerrufsantrag stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle verneint, so führte dies zu dem seltsamen und unstimmigen Ergebnis, dass der Aktionär die Ablehnung der beantragten Zulassung des Emittenten zum amtlichen Handel auf dem Verwaltungsrechtsweg hätte angreifen können, gegen die Stattgabe des beantragten Widerrufs der Zulassung jedoch machtlos gewesen wäre. Warum aber ein Verwaltungsakt der Börsenzulassungsstelle, der die Börsenzulassung eines Unternehmens betrifft, in dem einen Fall gerichtlich anBVerfGE 14, 263 (276 ff.); 25, 371 (407); 50, 290 (343); 100,289 (301 f.). Umfassend dazu unten § 11 II. 3. c). 181 BVerwGE 89, 69 (78); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 14 Rn 111. 182 Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 105 (139 f.). 183 Vgl. BecklHedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003,190 (192). 184 VG Frankfurt/M., AG 2003, 218 (219); DB 2002,1986 (1987). 18S RL vom 28. 05. 2001, ABlEG Nr. L 184/2001, 1 ff. 179 180

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

greifbar sein sollte und in dem anderen Fall nicht, war mangels eines nachvollziehbaren Differenzierungsgrunds nicht ersichtlich. Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass jedenfalls vor Inkrafttreten des Vierten FMFG der einzelne Aktionär gegen die dem Widerrufs antrag des Emittenten stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle widerspruchs- und klagebefugt i. S. v. § 42 11 VwGO war.

11. Rechtslage nach Inkrafttreten des Vierten FMFG Das Vierte FMFG hatte möglicherweise Auswirkungen auf die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs. Zwar wurde die Regelung des § 43 IV 2 BörsG a. E (aufgrund der Neunummerierung jetzt § 38 IV 2 BörsG) wortgleich beibehalten. Allerdings wurde im Dritten Abschnitt des Gesetzes, welcher die Zulassung von Wertpapieren zum amtlichen Markt betrifft, in § 31 BörsG (§ 37 BörsG a. E) ein fünfter Absatz eingefügt, wonach die Zulassungsstelle die ihr nach dem BörsG zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Eine wortgleiche Regelung findet sich im vierten Abschnitt des Gesetzes bezüglich des geregelten Markts, § 49 11 3 BÖrsG 186 . Zu klären ist daher, ob der neue § 31 V BörsG Auswirkungen auf die Klagebefugnis der Aktionäre hat.

1. Meinungsstand Gerichtliche Entscheidungen zur Rechtslage bezüglich der Klagebefugnis des einzelnen Anlegers nach Inkrafttreten des Vierten FMFG sind bisher nicht ergangen. Einzig das VG Frankfurt hat in seinem Urteil vom 17. 06.2002 187 die (damals noch in der gesetzgeberischen Beratung befindliche) Änderung des BörsG angesprochen. Es hat jedoch offen gelassen, ob der neue § 31 V BörsG im Ergebnis etwas an der Klagebefugnis ändert, da der zu beurteilende Sachverhalt am BörsG a. E zu messen war. Es hat lediglich angedeutet, dass sich mit dem durch § 31 V BörsG n. E womöglich bezweckten Ausschluss der Klagebefugnis Probleme hinsichtlich Art. 14 I GG i.V. m. Art. 19 IV GG oder gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben ergeben könnten l88 . 186 Die Regelung des § 49 II 3 BörsG ist heute überflüssig, weil der neue § 31 V BörsG nicht nur die Aufgaben der Börsenzulassungsstelle nach dem dritten Abschnitt, sondern ihre Aufgaben nach dem gesamten BörsG anspricht. Die Regelung dürfte ein Überbleibsel aus der Zeit vor Inkrafttreten des Vierten FMFG sein, als die Zulassung zum geregelten Markt nicht der Zulassungsstelle, sondern dem (nunmehr abgeschafften) Zulassungssausschuss oblag. Selbst in der Begründung des Regierungsentwurfs war man noch von zwei unterschiedlichen Gremien ausgegangen, vgl. BTDrucks. 14/8017,21,81. 187 VG Frankfurt/M., DB 2002, 1986 ff. 188 VG Frankfurt/M., DB 2002,1986 (1987).

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Aktionärs

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In der Literatur hingegen finden sich bereits einige Stellungnahmen zur neuen Rechtslage. Soweit ersichtlich, deutet sich insoweit eine Trendwende an, als dass die Klagebefugnis nach der neuen Rechtslage nicht mehr weit überwiegend bejaht wird. Einer im Vordringen befindlichen Auffassung zufolge könne, sofern dies nicht schon vor Inkrafttreten des Vierten FMFG der Fall war, wegen des neuen § 31 V BörsG jedenfalls nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass der einzelne Aktionär gegen die dem Widerrufsantrag stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle klagebefugt sei l89 . Dabei bezieht man sich zumeist auf die Begründung der Bundesregierung zu § 31 V BörsG I90 , wonach die Tätigkeit (der Zulassungsstelle) den Belangen der Anleger in ihrer Gesamtheit und nicht dem Schutz einzelner Anleger dient l91 . Der Ausschluss der Klagebefugnis sei ferner nicht wegen eines Widerspruchs zu höherrangigem Recht zu beanstanden, da das Delisting Art. 14 I GG nicht berühre und die Richtlinie 34/2001 lEG auf das vom Emittenten beantragte Delisting nicht anwendbar sei 192. Demgegenüber finden sich jedoch ebenfalls Stimmen, die die Klagebefugnis des einzelnen Anlegers nach Inkrafttreten des Vierten FMFG weiterhin bejahen 193 • Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die vom Delisting betroffenen Aktionäre im Vergleich zum allgemeinen Anlegerpublikum vom Widerruf der Börsenzulassung in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise betroffen seien. Unter dieser Voraussetzung könne einer grundsätzlich nicht drittschützenden Norm im 189 Beck, Die Reform des Börsenrechts im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, Teil I, BKR 2002, 662 (666); Beck/Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (192 f.); Land/Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534); Renner/Schiffer, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], DB 2002, 1990 (1991), wohl auch Linnerz, Kommentar zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], BB 2002, 2247. 190 Beck/ Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (193); Linnen, Kommentar zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], BB 2002, 2247; Renner/Schiffer; Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17. 06. 2002 - 9 R 2285/01 [V], DB 2002, 1990 (1991). 191 BTDrucks. 14/8017,79. 192 Land/Behnke, Die prakiische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534); Linnen, Kommentar zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], BB 2002, 2247; Renner/Schiffer; Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], DB 2002,1990 (1991); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 184 ff. 193 Geyrhalter/Zimgibl, Alles unklar beim formalen Delisting - eine Zwischenbilanz 18 Monate nach ,,Macrotron", DStR 2004, 1048 (1053); Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, § 38 BörsG Rn 14; Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 83; Wilsing/Kruse, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.20029 R 2285/01 [V], EWiR 2002, 953 (954), wohl auch Pluskat, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vorn 17.06.2002-9 R 2285/01 [V], WuB I G 7. - 1.03 (44) und Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1286), der allerdings auf eventuelle Auswirkungen auf die Klagebefugnis durch den neuen § 31 V BörsG gar nicht eingeht.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Einzelfall dennoch drittschützende Wirkung zukommen 194. Des Weiteren bestehe die Gefahr einer Popularklage nicht 195 . Und schließlich würde sich ein gesetzgeberischer Ausschluss der Klagebefugnis - soweit er tatsächlich beabsichtigt gewesen sein sollte - mit Blick auf Art. 19 IV GG nicht als unproblematisch darstellen 196 .

2. Stellungnahme In der Tat ist fraglich, ob sich die Einschätzung, dass die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs auf § 38 IV 2 BörsG gestützt werden kann, auch nach Inkrafttreten des Vierten FMFG noch aufrechterhalten lässt. Richtig ist zwar, dass ein gesetzgeberischer Ausschluss der Klagebefugnis zulässig wäre. Da das Delisting Art. 14 I GG nicht berührt, kann die Notwendigkeit einer Klagebefugnis nicht aus Art. 19 IV GG gefolgert, werden. Das Gemeinschaftsrecht verlangt eine Klagebefugnis ebenfalls nicht, wenngleich ihre Anerkennung besser ins System der vom Europarecht geforderten Rechtsschutzmöglichkeiten passen würde 197 . Ob das BörsG nach dem Vierten FMFG dem Einzelaktionär die Klagebefugnis abspricht, ist also ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Zwar erscheint es zunächst nahe liegend, den Ausschluss der Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs durch § 31 V BörsG mit einem Rückgriff auf andere Vorschriften, die nahezu wortgleich formuliert sind, zu begründen. So nimmt die BAFin nach § 4 IV FinDAG 198 bzw. nach § 4 11 WpÜG ihre Aufgaben und Befugnisse ebenfalls nur im öffentlichen Interesse war. Mit dieser Formulierung soll sichergestellt werden, dass die Aufsichtstätigkeit der BAFin nur dem Schutz der Funktionsfahigkeit der Wertpapiermärkte dient. Ein dadurch ebenfalls hervorgerufener Anlegerschutz soll bloßer Rechtsreflex sein 199 . Folglich seien die Vorschriften in den entsprechenden Gesetzen nicht drittschützend i. S. v. § 42 11 VwGO und der einzelne Anleger könne keine Haftungsansprüche gegen den Staat 194 Wilsing/Kruse, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vom 17. 6. 2002 - 9 R 2285/01 [V], EWiR 2002, 953 (954). 195 Wilsing/Kruse, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vom 17. 06.2002 - 9 R 2285/01 [V], EWiR 2002, 953 (954). 196 Pluskat, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vom 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], WuB I G 7. - 1.03 (44); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 185 f.; Wilsing/Kruse, Anmerkung zu VG Frankfurt/M., Urteil vom 17.06.2002 - 9 R 2285/01 [V], EWiR 2002, 953 (954). 197 Siehe § 7 I. 2. 198 Die Regelung des § 4 IV FinDAG entspricht dem früheren § 6 IV KWG bzw. § 4 n WpHG, vgl. BTDrucks. 14/7033, 34, 39,41. Die letztgenannten Vorschriften wurden durch das Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht, BGBl. I 2002, 1310 ff., aufgehoben, da sich nunmehr die zentrale Regelung in § 4 IV FinDAG findet. 199 Stögmüller in: Haarmann/Riehmer/Schüppen, Öffentliche Übernahmeangebote, § 4 WpÜG Rn 44.

§ 7 Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Aktionärs

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geltend machen 2°O. Allerdings ist § 38 IV 2 BörsG gegenüber § 31 V BörsG die eindeutig sachnähere Vorschrift, so dass sich ein Ausschluss der Klagebefugnis nur aus einer Auslegung dieser Vorschrift ergeben kann. Zunächst einmal fallt auf, dass diese Regelung durch das 4. FMFG im Wortlaut nicht verändert wurde. Schon dieser Umstand lässt daran zweifeln, ob der Gesetzgeber tatsächlich die Klagebefugnis des Einzelaniegers ausschließen wollte. Selbst wenn dies jedoch der Fall gewesen sein sollte, so fragt sich, ob ihm dies auch gelungen ist. Scheinbar hat der Gesetzgeber mit der Einfügung von § 31 V BörsG ohne eine gleichzeitige Änderung von § 38 IV 2 BörsG einen Widerspruch ins BörsG eingebaut. Dieser lässt sich jedoch lösen, wenn man annimmt, dass die Zulassungsstelle ihre Aufgaben grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt, dass jedoch in Bezug auf den vom Emittenten beantragten Widerruf der Börsenzulassung § 38 IV 2 BörsG gegenüber § 31 V BörsG lex specialis ist. Ohne § 38 IV 2 BörsG zu ändern lässt sich eine Klagebefugnis des einzelnen Anlegers jedenfalls nicht abschaffen. Im Übrigen gibt auch die Begründung der Bundesregierung für den Entwurf des 4. FMFG nichts für einen Willen des Gesetzgebers her, die Klagebefugnis des einzelnen Aktionärs gegen die Widerrufsentscheidung der Zulassungsstelle auszuschließen. Zwar sollte die Einfügung von § 31 V BörsG dem Umstand Rechnung tragen, dass Zielsetzung der börsenrechtlichen Vorschriften die Aufrechterhaltung der Funktionsfahigkeit der Börse sei und die Tatigkeit der Zulassungsstelle daher den Belangen der Anleger in ihrer Gesamtheit und nicht dem Schutz einzelner Anlegers diene201 . Allerdings ist zweifelhaft, ob die Aussage, dass die Zulassungsstelle ihre Tatigkeiten grundsätzlich nur im Interesse ausübt, auch für eine Entscheidung über den Widerruf der Börsenzulassung gelten soll. In der Begründung zu § 38 IV 2 BörsG202 heißt es lapidar, dass die Änderungen gegenüber § 43 IV 2 BörsG a.F. lediglich Folgeänderungen aufgrund der Einführung des Begriffs des amtlichen Markts seien 203 • Daraus muss geschlossen werden, dass diese Vorschrift über den Widerruf der Börsenzulassung inhaltlich nicht angetastet werden sollte. Da nach zutreffender Ansicht § 43 IV 2 BörsG a. F. drittschützenden Charakter hatte und folglich der einzelne Aktionär gegen die Widerrufsentscheidung der Zulassungsstelle widerspruchs- und klagebefugt war204, muss dies für den heutigen 200 Der durch die Einfügung von § 6 IV KWG a. E, § 4 n WpHG a.E (jetzt § 4 IV FinDAG) beabsichtigte Ausschluss von Amtshaftungsansprüchen des einzelnen Anlegers gegen den Staat war die gesetzgeberische Reaktion auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, weIche in BGHZ 74, 144 ("Wetterstein") sowie in BGHZ 75, 120 (,,Herstatt-Bank") die Haftung des Staats bejaht hatte. Ob diese gesetzlichen Haftungsausschlüsse verfassungskonforrn sind, wird nicht einhellig beurteilt. Nachweise dazu bei Fülbier in: Boos / Fischer / SchulteMattler, Kreditwesengesetz, § 6 Rn 72; Giesbens in: Kölner Kommentar zum WpÜG, § 4 Rn 62 ff.; Stögmüller in: Haarrnann / Riehmer / Schüppen, Öffentliche Übernahmeangebote, § 4 WpÜG Rn 45. 201 RegE, BTDrucks. 14/8017,79. 202 Im Regierungsentwurf zum 4. FMFG wurde der später Gesetz gewordene § 38 BörsG noch als § 37 BörsG vorgesehen. 203 RegE, BTDrucks. 14/8017,80. 204 Siehe § 7 I. 2.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

§ 38 IV 2 BörsG gleichennaßen gelten. Jedenfalls erscheint es ausgeschlossen, die Frage nach dem dritt schützenden Charakter von § 38 IV 2 BörsG anders zu entscheiden als bei § 43 IV BörsG a. E Damit hat sich durch das Vierte FMFG an der Rechtslage bezüglich der Klagebefugnis des Einzelaktionärs nichts geändert. Gegen die dem Widerrufsantrag des Emittenten stattgebende Entscheidung der Zulassungsstelle kann er nach wie vor auf dem Verwaltungsrechtsweg vorgehen.

§ 8 Freiverkehr Gemäß § 57 I BörsG (§ 78 I BörsG a. E) kann die Börse für Wertpapiere, die weder zum amtlichen Markt noch zum geregelten Markt zugelassen sind, einen Freiverkehr zulassen, wenn durch Handelsrichtlinien eine ordnungsmäßige Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. Dieser ist das dritte vom Börsengesetz vorgesehene Handelssegment. Allerdings vollzieht sich der Handel in den Freiverkehrswerten lediglich faktisch an den Wertpapierbörsen, d. h. er ist, anders als der amtliche oder geregelte Markt, nicht in die Wertpapierbörse als öffentlich-rechtliche Anstalt integriert. Im Gegensatz zu diesen Segmenten ist der Freiverkehr rein privatrechtlich organisiert205 . Daraus ergeben sich zum Teil weitreichende Konsequenzen. So sind die entsprechenden Handelsrichtlinien für den Freiverkehr (Freiverkehrsrichtlinien), die an allen deutschen Börsen weitgehend gleichlautend sind 206 , privatrechtlicher Natur207 . An der FWB werden diese daher nicht von der Börse selbst, d. h. vom Börsenrat erlassen, SOndern gemäß § 89 n 1 BörsO FWB (§ 6611 1 BörsO FWB a. E) von deren privatrechtlichem Träger, der Deutsche Börse AG, vgl. § 2 S. 1 BörsO FWB. Des Weiteren handelt es sich bei der Aufnahme von Aktien in den Freiverkehrshandel nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen privatrechtlichen Rechtsakt 208 . Man spricht daher nicht von Zulassung, sondern von Einbeziehung. Das Verfahren der Einbeziehung in den Freiverkehr ist hauptsächlich in den Freiverkehrsrichtlinien geregelt und sehr viel einfacher als das Verfahren der Zulassung zum geregelten oder gar amtlichen Markt, denn die Prüfung beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ob ein ordnungsgemäßer Börsenhandel in den einzubeziehenden Werten zu erwarten ist, vgl. § 57 I BörsG, § 89 I BörsO FWB, § 8 RF FWB. Zuständig für die Einbeziehung in den Freiverkehr an der FWB ist die Deutsche Börse AG als Freiverkehrsträger, § 4 RF FWB i.V. m. § 1 RF FWB, d. h. deren Vorstand. 205 Groß, Kapitalmarktrecht, § 78 BörsG Rn 2; Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 74; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 136. 206 Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 76; Jäger, Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384). 207 Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999,381 (384). 208 Groß, Kapitalmarktrecht, § 78 BörsG Rn 3.

§ 8 Freiverkehr

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Da die Einbeziehung in den Freiverkehr aufgrund der nur einmalig erhobenen Gebühr sowie der Tatsache, dass ausländische Freiverkehrswerte nicht in Deutschland verwahrt werden müssen 209 , nur sehr geringe Kosten verursacht, wird dieses Marktsegment vor allem von ausländischen Unternehmen genutzt. Aber auch für kleine und innovative inländische Technologieunternehmen kann der Freiverkehr der ideale Einstieg in den Kapitalmarkt sein 21O •

I. Widerruf der Einbeziehung durch den Freiverkehrsträger Ähnlich wie die Zulassungsstelle die Börsenzulassung zum amtlichen Markt oder zum geregelten Markt von Amts wegen widerrufen kann, kann die Deutsche Börse AG die Einbeziehung in den Freiverkehr widerrufen. Gemäß § 9 11 RF FWB kann der Freiverkehrsträger die Einbeziehung widerrufen, wenn Voraussetzungen, die der Einbeziehung zugrunde lagen, weggefallen sind. Jene Voraussetzungen sollen in erster Linie einen ordnungsgemäßen Börsenhandel, wichtigstes Kriterium bei der Einbeziehung in den Freiverkehr, ermöglichen. Zum Teil hat diese der Antragsteller zu gewährleisten, denn gemäß § 8 RF FWB hat er insbesondere den Freiverkehrsträger über bevorstehende Hauptversammlungen, Dividendenzahlungen, Kapitalveränderungen und sonstige Umstände, die für die Bewertung des Wertpapiers oder des Emittenten von wesentlicher Bedeutung sein können, unverzüglich zu unterrichten, die Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäß abzuwickeln, sowie eine Zahl- und Hinterlegungsstelle zugunsten der inländischen Anleger zu benennen. Weiterhin kann ein Widerruf der Einbeziehung dann in Frage kommen, wenn Umstände, die gemäß § 9 I RF FWB schon der Einbeziehung entgegenstehen, erst nachträglich auftreten. Dazu zählt zum einen, dass die Voraussetzungen für die Bildung eines börsenmäßigen Marktes nicht mehr gegeben sind. Wesentliches Kriterium dafür ist das dem Markt zur Verfügung stehende Emissionsvolumen (sog. freefloat). Ein Widerruf der Einbeziehung ist daher denkbar, wenn sich der Anteil der frei handelbaren Papiere soweit verringert, dass aufgrund der Monopolstellung weniger Aktionäre ein Zustandekommen von fairen Preisen nicht mehr gewährleistet erscheint. Verbindliche Mindestvorgaben existieren jedoch weder für den Gesamtkurswert211 noch für die Anzahl der Aktionäre. Zum anderen zählen dazu, dass der weiter bestehenden Einbeziehung Anlegerschutzinteressen entgegenstehen oder zu befürchten ist, dass sie zur Schädigung erheblicher allgemeiner Interessen führt. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich eine Übervorteilung des Publikums oder ein mit den guten Sitten nicht zu vereinbarendes Verhalten bei einer vorangegangenen Unterbringung der Werte außerhalb des Börsenverkehrs 209 210 211

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Metzler; Börsenordnung und Freiverkehr, WM 1991,312. Jäger, Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384). Jäger, Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

herausstellt212 . Ebenso wie die Entscheidung über eine Einbeziehung ist auch die über einen Widerruf durch den Freiverkehrsträger und durch Veröffentlichung bekannt zu geben, § 10 RF FWB. Weitere Rechtsgrundlagen für einen Widerruf der Einbeziehung existieren nicht. Insbesondere kommen dafür weder die allgemeinen noch die speziellen verwaltungsrechtlichen Widerrufsvorschriften, wie sie am amtlichen und geregelten Markt bestehen, in Betracht, da wegen der erwähnten privatrechtlichen Organisation des Freiverkehrs die Freiverkehrsrichtlinien auf privatrechtlicher Übereinkunft beruhen.

11. Widerruf der Einbeziehung auf Antrag des Emittenten? Im Vordergrund des Freiverkehrs steht das Interesse der Handelsteilnehmer an einem Handel in den Freiverkehrswerten, nicht das Interesse des Emittenten an der Kapitalaufbringung 213 . Das kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Antrag auf Einbeziehung nur von einem an der FWB zum Börsenhandel zugelassenen Unternehmen gestellt werden kann, § 5 S. 1 RF FWB. Eine Mitarbeit oder Zustimmung des Emittenten ist für eine Einbeziehung in den Freiverkehr nicht erforderlich, denn sie erfolgt häufig nur im Interesse erleichterter Handelsmöglichkeiten für die Börsenbesucher214 . Es muss lediglich eine Grundlage für die Bewertung der Wertpapiere geben, d. h. das Wertpapier muss entweder bereits an einem in- oder ausländischen organisierten Markt gehandelt werden, § 6 I RF FWB, oder der Antragsteller muss über den Emittenten nähere Angaben in Form eines Exposes, das eine zutreffende Beurteilung des Emittenten ermöglicht, vorlegen, § 6 IV RF FWB. Dieser Subsidiarität des Interesses der Emittenten an einem Handel im Freiverkehr entspricht es, dass jedenfalls seit der am 01. 02. 2005 in Kraft getretenen Änderung der RF FWB ein Widerruf der Einbeziehung auf Antrag des Emittenten nicht mehr möglich ist. Bis zu diesem Zeitpunkt war allerdings durchaus zweifelhaft, ob die Einbeziehung in den Freiverkehr auf Antrag bestimmter Emittenten widerrufen werden konnte, denn bestimmten Emittenten stand immerhin ein Widerspruchsrecht gegen die Einbeziehung zu. Diese waren gemäß § 5 S. 1 RF FWB a. F. vom Freiverkehrsträger über die beabsichtigte Einbeziehung zu unterrichten. Sofern sie dann, gemäß § 5 S. 4 RF FWB a. F. binnen eines Monats nach der Unterrichtung der Einbeziehung widersprachen, hatte diese zu unterbleiben, § 5 S. 2 Hs. 1 RF FWB a. F. Dies betraf jene Emittenten, bei welchen es sich weder um ein Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union, im Europäischen Wirt212 von Rosen in: Assmann/ Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 2 Rn 202. 213 Metzler; Börsenordnung und Freiverkehr, WM 1991,312. 214 Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 75; Metzler; Börsenordnung und Freiverkehr, WM 1991,312.

§ 8 Freiverkehr

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schaftsraum oder in einem weiteren vom Freiverkehrsträger benannten Staat handelte, § 5 S. 2 Hs. 2, S. 3 RF FWB a. F. 2l5 . Die Emittenten jedoch, denen ein solches Widerspruchsrecht nicht zustand, die also nicht nur ohne, sondern gegebenenfalls sogar gegen ihren Willen in den Freiverkehr einbezogen werden konnten, hatten nicht nur keine Handhabe, ihre Einbeziehung zu verhindern. Es stand ihnen ferner kein Mittel zur Verfügung, die Aufhebung der Einbeziehung herbeizuführen, denn ein Recht, das der am amtlichen oder geregelten Markt bestehenden Möglichkeit des Delisting auf Antrag des Emittenten entspricht, gab es im Freiverkehr gerade nicht. Fraglich war jedoch, ob den Emittenten, welchen ein Widerspruchsrecht zustand, ebenso ein Recht zugebilligt werden musste, die Aufhebung der Einbeziehung nachträglich herbeizuführen. Dafür hätte man anführen können, dass es dem Gedanken widersprochen hätte, die Einbeziehung dieser Emittenten nicht ganz unabhängig von ihrem Willen zu gestalten, wenn sie nach Verstreichen der Widerspruchsfrist gleichsam auf ewig an den Freiverkehr gebunden worden wären. Allerdings sprachen die Freiverkehrsrichtlinien eine andere Sprache. Zum einen enthielten sie keine Bestimmung, wonach ein nachträgliches Aufheben der Einbeziehung auf Betreiben des Emittenten möglich sein sollte. Bereits daraus konnte guten Gewissens geschlossen werden, dass eine solche Möglichkeit nicht bestand, denn es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Richtliniengeber an dieser Stelle lückenhaft gearbeitet hatte. Da es sich vielmehr um ein zentrales Problem des Börsenrechts handelt, welches für die anderen Marktsegmente eine explizite Regelung im Börsengesetz erfahren hat, kann davon ausgegangen werden, dass er bewusst auf eine solche Regelung verzichtet hatte. Zum anderen hätte die Monatsfrist für einen Widerspruch nach § 5 S. 4 RF FWB keinen rechten Sinn gehabt, wenn der Emittent die Aufhebung der Einbeziehung nach deren Verstreichen gleichwohl noch hätte herbeiführen können. Des Weiteren sprach nichts für eine Ungleichbehandlung der einmal in den Freiverkehr einbezogenen Emittenten. Ein Grund dafür, dass Emittenten, denen ein Widerspruchsrecht gegen die Einbeziehung zustand, über diese Übervorteilung gegenüber jenen, denen es nicht zustand, hinaus die Aufhebung der Einbeziehung auch noch nachträglich herbeiführen können sollten, war nicht ersichtlich. Schließlich überzeugte das Argument der Ewigkeitsbindung nur auf den ersten Blick. Denn die Belastungen, die eine Einbeziehung in den Freiverkehr für den Emittenten mit sich bringt, sind im Vergleich zu den am geregelten oder amtlichen Markt bestehenden Emittentenpflichten kaum spürbar. So bestehen für den Emittenten keine entsprechenden Publizitätspflichten. Weder ist die Anfertigung eines Börsenzulassungsprospekts oder Unternehmensberichts noch die Erstattung von Zwischenberichten erforderlich216 • Ferner gibt es im Freiverkehr keine Pflicht zur Ad-hoc-Publizität kursrelevanter Tatsachen nach § 15 215 Z. B. Japan und die USA. Eine vollständige Liste der Länder, für die ein Widerspruchsrecht für Emittenten nach § 5 RF FWB entfiel, war im Anhang zu den RF FWB abgedruckt. 216 Jäger, Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

WpHG, da dieser kein organisierter Markt im Sinne des WpHG bzw. der EGInsider-Richtlinie217 ist218 . Denn dieser Marktbegriff erfasst gemäß § 2 V WpHG nur Kapitalmärkte, die regelmäßig stattfinden, für das Publikum unmittelbar und mittelbar zugänglich sind und von staatlich anerkannten Stellen (wozu die deutschen Wertpapierbörsen gehören), geregelt und überwacht werden. Gerade letzteres, d. h. eine Reglementierung durch die Börse, ist aber beim Freiverkehr nicht der Fale 19 . Es gelten lediglich die Verbotsvorschriften der §§ 12 ff. WpHG zum Insiderhandel, vgl. § 12 I Nr. 1 Alt. 2 WpHG. Eine Ewigkeitsbindung des Emittenten im Freiverkehr war daher durchaus mit dem geltenden Recht vereinbar. Schon vor Inkrafttreten der Änderungen der RF FWB sprachen also die besseren Gründe dafür, dass auch die Emittenten, welche zwar ein Recht gehabt hatten, der Einbeziehung zu widersprechen, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht hatten, keine Möglichkeit hatten, die einmal erfolge Einbeziehung wieder rückgängig zu machen.

111. Rechtsschutz Bei Streitigkeiten über die Einbeziehung oder deren Widerruf ist wegen der privatrechtlichen Ausgestaltung des Freiverkehrs stets der Zivilrechtsweg zu beschreiten22o • Ein Rechtsschutz des einzelnen Anlegers gegen eine Widerrufsentscheidung kommt jedoch allenfalls unter Missbrauchsgesichtpunkten nach allgemeinem Zivilrecht in Betracht.

§ 9 Exkurs: Delisting und der Neue Markt an der FWB Der Neue Markt war am 10. März 1997 an der FWB eröffnet worden 221 • Er war ein Handelsegment der Deutsche Börse AG für Aktien primär kleinerer und mittlerer in- und ausländischer Gesellschaften, die Transparenz- und Publizitätskriterien nach internationalen Standards erfüllten. Die Emittenten waren insbesondere innovative Unternehmen, die neue Absatzmärkte erschließen, neue Verfahren, etwa in der Beschaffung, Produktion oder beim Absatz verwenden, bzw. neue Produkte und / oder Dienstleistungen anbieten und ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum erwarten lassen, vgl. Abschnitt I, Ziff. 1 RNM. Der Neue Markt war, 217 218 219 220

221

AG.

Richtlinie 891 592/EWG vom 13. 11. 1989, ABlEG Nr. L 334/30. Kümpel. Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 74. Kümpel. Börsenrecht - Eine systematische Darstellung, 111. Jäger. Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999.381 (384). Die ersten beiden Unternehmen am Neuen Markt waren Bertrandt AG und MobilCom

§ 9 Exkurs: Delisting und der Neue Markt an der FWB

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anders als der amtliche und der geregelte Markt, privatrechtlich organisiert222 . Denn er war ein im privatrechtlich organisierten Freiverkehr eingerichtetes eigenständiges Handelssegment an der FWB 223 . Nach damaliger Rechtslage konnten nur durch die privatrechtliche Ausgestaltung Zulassungsvoraussetzungen und -folgepflichten geschaffen werden, die über diejenigen hinausgingen, welche das BörsG für die öffentlich-rechtlich organisierten Marktsegmente amtlicher Handel und geregelter Markt vorsah 224 • Für die Zulassung zum Neuen Markt galt folglich mit dem RNM, welches gemäß § 9011 I Börsü FWB (§ 66a 11 1 Börsü FWB a. E) von der Deutsche Börse AG erlassen wurde, eine privatrechtliche Grundlage. Bei Streitigkeiten über die Erteilung oder den Widerruf der Zulassung war daher, ebenso wie im Freiverkehr, der Zivilrechtsweg einzuschlagen. Seit dem Frühjahr 2000 war ein beispielloser Kursverfall am Neuen Markt zu verzeichnen. Hatte der NEMAX All Share-Index am 10. 03. 2000 mit 8.559 Punkten seinen Höchststand, so waren es im Herbst 2001 225 nur noch 1000 Punkte 226 . Dieser Niedergang hatte im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen hatte sich generell in den Jahren 1999 und 2000 an allen bedeutenden Aktienmärkten der Welt eine Kursblase gebildet, die irgendwann platzen musste. Zum anderen wurde speziell am Neuen Markt bei der Auswahl der Börsenneulinge zu stark auf kurzfristiges Wachstum dieses Handelssegments und zu wenig auf die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle der Zulassungsaspiranten geachtet. Die Konsequenz dieser Entwicklung war, dass das zunächst als Erfolgsstory gepriesene Segment nur noch bis zum 31. 12.2003 fortgesetzt wurde, denn gemäß § 95 II Börsü FWB, sollten 222 Allgemeine Ansicht, vgl. Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384 f.); Kersting, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997, 222 (223); Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 129, 140; PotthofflStuhlfauth, Der Neue Markt: Ein Handelssegment flir innovative und wachstumsorientierte Unternehmen - kapitalmarktrechtliehe Überlegungen und Darstellung des Regelwerks, WM Sonderbeilage Nr. 3 zu Heft 26/1997,3 (4). 223 Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 77; PotthofflStuhlfauth, Der Neue Markt: Ein Handelssegment flir innovative und wachstumsorientierte Unternehmen - kapitalmarktrechtliehe Überlegungen und Darstellung des Regelwerks, WM Sonderbeilage Nr. 3 zu Heft 26/1997, 3 (4); mitunter wird der Neue Markt sogar als zusätzliches, d. h. viertes Marktsegment bezeichnet, so z. B. Kersting, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, 1997, 222 (223); a. A.: Gebauer; Kurzkommentar zu LG Frankfurt/M., Urteil vom 16.08.2001 3 - 13 0110/01, EWiR 2001, 865 (866) der den Neuen Markt als Teilsegment des geregelten Markts ansieht. 224 Schlitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 (58). 225 Noch vor den Terroranschlägen in den USA vom 11. 09. 2001. 226 Für Statistiken zum Aufstieg und Niedergang des Neuen Markts vgl. Baums, Anlegerschutz und Neuer Markt, ZHR 2002, 375 (376); OssadniklBarklage, Anspruch und Wirklichkeit der Wertorientierung von Unternehmen des Neuen Markts, DB 2003, 1285; Wittel Rafiqpoor; Die "Beerdigung" des Neuen Marktes - rechtliche Aspekte, BB 2002, 2615 (2616); Wittkowski, Die Entwicklung am Kapitalmarkt, insbesondere am Neuen Markt, ZHR 2003, 130 (131 ff.).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

die §§ 90 I-III BörsO FWB mit Ablauf des 31. 12.2003 außer Kraft treten227 • Die Zulassung der Emittenten zum Neuen Markt wurde durch den Ausspruch entsprechender Kündigungen gegenüber den Emittenten beendet 228 • Gemäß § 90 IV BörsO FWB war dann die Aufnahme der Notierung der betroffenen Papiere im geregelten Markt (General Standard) von Amts wegen zu veranlassen. Auf die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage, ob und auf welcher rechtlichen Grundlage diese Beendigung des Neuen Markts verwirklicht werden konnte229 , soll im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingegangen werden, denn aufgrund des großen zeitlichen Vorlaufs war nicht zu erwarten, dass sich die Emittenten mit Erfolg dagegen wenden würden 230 . Wenngleich der soeben skizzierte Hintergrund die wirtschaftliche Ursache für den Niedergang des Neuen Markts war, so hat doch die durch das Vierte FMFG möglich gewordene Neusegmentierung der Handelssegmente an der FWB jedenfalls den rechtlichen Anlass für sein Ende gegeben. Da nunmehr auch für Teilbereiche der öffentlich-rechtlichen organisierten Marktsegmente weitergehende Voraussetzungen aufgestellt werden können als vom BörsG vorgesehen, ist eine Stützung solcher Teilbereiche auf eine privatrechtliche Grundlage nicht mehr nötig. Dies ist insbesondere mit den folgenden vier Vorteilen verbunden: Erstens erhalten die Börsen dadurch die Möglichkeit, entsprechende Regelwerke einseitig zu ändern. Zweitens müssen einseitige Änderungen durch den Börsenrat als Organ der Marktteilnehmer, Emittenten und Investoren 231 genehmigt werden. Drittens kann der Zulassungsausschuss der Börse bei Pflichtverletzungen Sanktionen per Verwaltungsakt anordnen und diese damit in der Regel zügig vollstrecken. Und viertens erhalten die Emittenten durch die Möglichkeit des Widerspruchs beim Verwaltungsgericht eindeutige Rechtsschutzmöglichkeiten 232 . Damit haben sich alle Streitigkeiten, die sich um den Neuen Markt rankten, für die Zukunft erledigt233 . Dies stellt einen enormen Gewinn an Rechtssicherheit dar und kann für 227 Vorschläge zur Rettung des Neuen Markts, vgl. dazu etwa Claussen, Dem Neuen Markt eine zweite Chance, BB 2002, 105 ff., wurden nicht aufgegriffen. 228 Schlitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 (60). 229 Vgl. dazu ausführlich und i. E. bejahend: Witte / Rafiqpoor; Die "Beerdigung" des Neuen Marktes - rechtliche Aspekte, BB 2002, 2615. 230 Schlitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 (60). 231 Vgl. § 9 I BÖrsG. 232 So wird der Chefsyndikus der Deutsche Börse AG, Heiko Beck, zitiert in: vision + money, April 2002, 34, abrutbar unter: http://wwwl.deutsche-boerse.com/INTERNET I EXCHANGE I zpd.nsf I PublikationenID I HAMN-58ZEZR I $FILE I v_m_ApriI2oo2.pdflOpenElement (Stand der letzten Abfrage: 29.06.2002); das., Die Reform des Börsenrechts im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, BKR 2002, 699 (707 f.); vgl. auch SchIitt, Die neuen Marktsegmente an der Frankfurter Wertpapierbörse, AG 2003, 57 (58). 233 Wiederum Beck in: vision + money, April 2002, 34; Fleischer; Das Vierte Finanzmarktförderungs gesetz, NJW 2002, 2977 (2982); Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht,

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den Kapitalmarkt, der darauf ganz besonders angewiesen ist, um für Emittenten und Investoren attraktiv zu sein, nur förderlich sein. Ob es jedoch kapitalmarktpolitisch sinnvoll war, diese neuen Teilbereiche mit weitergehenden Emittentenpflichten für alle Emittenten zu öffnen und damit auf ein spezielles Handelssegment für innovative Wachstumsunternehmen nach dem Vorbild der etablierten US-amerikanischen NASDAQ, wie es der Neue Markt war, in Zukunft zu verzichten, darf bezweifelt werden, ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit. Vielmehr soll auf das von den eben genannten Rechtsproblemen seinerzeit am meisten umstrittene und in der Praxis bedeutsamste Problem der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt eingegangen werden.

I. Die Zulassung zum Neuen Markt Bevor auf die Problematik der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt eingegangen wird, sollen noch zwei Besonderheiten dieses Marktsegments behandelt werden. 1. Das Zulassungsverfahren Eine börsenrechtliche Besonderheit im Zusammenhang mit der Zulassung zum Neuen Markt bestand in der Verzahnung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Elementen. Gemäß § 90 11 BörsO FWB (§ 66a 11 BörsO FWB a.F.) kann die FWB in Wertpapieren, die zum geregelten Markt zugelassen, aber dort nicht eingeführt sind, einen Handel im Neuen Markt zulassen. Da jedoch nach dem neuen § 90 I 2 BörsO FWB der Handel im Neuen Markt auf Aktien und aktienvertretende ZertifIkate von Emittenten bereits zum 1. Januar 2003 in den Neuen Markt einbezogener Wertpapiere zu beschränken ist, erfolgten nach diesem Zeitpunkt keine weiteren Zulassungen mehr. Trotz der privatrechtlichen Organisation setzte die Aufnahme der Notierung im Neuen Markt gleichwohl voraus, dass die Wertpapiere das öffentlich-rechtliche Zulassungsverfahren zum geregelten Markt durchlaufen haben, Abschnitt n, Ziff. 2.3 (I) RNM. Während also der Handel im wesentlichen dem Privatrecht unterlag, folgte die Zulassung im Kern dem öffentlichen Recht. Die Voraussetzungen für die Notierungsaufnahrne im Neuen Markt waren sogar noch strenger als die Zulassungsvoraussetzungen zum geregelten Markt, denn neben den am geregelten Markt bestehenden Zulassungsanforderungen hatte der Emittent außerdem bestimmte privatrechtlich normierte Zusatzanforderungen234 für die Zu147 f.; Rudolph. Viertes Finanzmarktförderungsgesetz - ist der Name Programm?, BB 2002, 1036 (1038). 234 Vgl. die Anforderungen an den Zulassungsprospekt, Abschnitt 11, Ziff. 4 ff. RNM, und an die Erfüllung der fortlaufenden Pflichten (Regelpublizität), Abschnitt 11, Ziff. 7 ff. RNM; insgesamt dazu: Harrer / Erwe, der Neue Markt an der Frankfurter Wertpapierbörse im Vergleich zu NASDAQ und EASDAQ, RIW 1998,661 ff.

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lassung zum Neuen Markt zu erfüllen. Der Antrag auf Zulassung zum geregelten Markt konnte gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.3 (11) RNM mit dem auf Zulassung zum Neuen Markt verbunden werden. In der Praxis wurde dies sogar regelmäßig so gehandhabt235 . Über ersteren entschied, wie es auch sonst beim geregelten Markt der Fall war, der damals noch existierende Zulassungsausschuss der FWB, über letzteren der Vorstand der Deutsche Börse AG, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.1 (I) RNM. Wegen des Verbots der Doppelnotierung in unterschiedlichen Marktsegmenten verzichtete der Emittent jedoch mit der Stellung des Antrags auf Zulassung zum Neuen Markt auf die Aufnahme der Notierung im geregelten Markt, Abschnitt 11, Ziff. 2.3 (4) RNM, was zur Folge hatte, dass die Aktien anschließend im Freiverkehr gehandelt wurden. Jedoch galten die Emittenten der am Neuen Markt gehandelten Wertpapiere, anders als die der allgemeinen Freiverkehrswerte, als börsennotierte Gesellschaften i. S. v. § 3 11 AktG 236 . Des Weiteren stellte der Neue Markt wegen der vorausgesetzten Zulassung zum geregelten Markt im Gegensatz zum Freiverkehr einen organisierten Markt i. S. v. § 2 V WpHG dar237 . Dieser in der Verknüpfung von öffentlich-rechtlichem Zulassungsverfahren und privatrechtlicher Handelsgrundlage liegende Gestaltungstrick bewirkte die hybride Rechtsnatur des Neuen Markts (sog. "Zwitterstellung"). Diese wiederum hatte zahlreiche rechtliche Probleme zur Folge, auf die nachfolgend noch einzugehen sein wird. 2. Anspruch des Emittenten auf Zulassung zum Neuen Markt? Der Neue Markt war als in den Freiverkehr integriertes Marktsegment im Gegensatz zum amtlichen und geregelten Markt privatrechtlich organisiert. Allein aus diesem Umstand wurde, soweit ersichtlich, einhellig die Schlussfolgerung gezogen, dass dem die Zulassung beantragenden Emittenten aufgrund des im Privatrecht geltenden Grundsatzes der Privatautonomie selbst dann kein Anspruch auf Zulassung zu diesem Marktsegment zustand, wenn er sämtliche Zulassungsvoraussetzungen erfüllt hatte 238 . Unabhängig davon, ob dieses Ergebnis überhaupt zutreffend war, war es mindestens voreilig, die Schlussfolgerung ohne nähere Auseinandersetzung mit denjenigen Rechtsnormen zu ziehen, die ein anderes Ergebnis wenigstens vermuten ließen. 235

Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (384)

m.w.N.

236 Groß. Kapitalmarktrecht, § 71 BörsG Rn 3; Heider in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 3 AktG Rn 40; Hü!fer; Aktiengesetz, § 3 AktG Rn 6; Kümpel. Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 78; Die zur ursprünglichen Fassung der Vorschrift bisweilen vertretene gegenteilige Ansicht (Nachweise bei Hü!fer a. a. 0.) hat sich mit der kurz nach ihrem Inkrafttreten erfolgten Änderung wohl erledigt. 237 Groß. Kapitalmarktrecht, § 71 BörsG Rn 3; Kersting. Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997,222 (223); Kümpel, Kapitalmarktrecht - Eine Einführung, 78. 238 Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (385); Kersting. Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997,222 (223).

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Der Grundsatz der Privatautonomie gilt bekanntlich nicht uneingeschränkt. Selbst im Privatrecht kann nämlich die als Bestandteil der Vertragsfreiheit grundsätzlich geltende Abschlussfreiheit eingeschränkt sein. In bestimmten Fällen, v. a. im Bereich der Daseinsvorsorge, kann ein sog. Kontrahierungszwang, d. h. die Pflicht zum Abschluss eines von einem anderen gewünschten Vertrages bestehen239 • Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob es Vorschriften gibt, aus denen sich die Pflicht der Deutschen Börse AG zum Abschluss des Vertrages über die Zulassung zum Neuen Markt mit einem Unternehmen, das die Zulassungs voraussetzungen erfüllt hatte, herleiten lassen konnte. a) Aufgrund kartellrechtlicher Vorschriften

Ein solcher Kontrahierungszwang konnte sich insbesondere aus dem nationalen Kartellrecht ergeben24o . aa) Anwendbarkeit des GWB Daran, dass die Vorschriften des GWB auf die vorliegende Problematik überhaupt anwendbar waren, bestehen keine Zweifel, denn sie gelten grundsätzlich für Unternehmen. Dieser Begriff wird im Interesse eines umfassenden Wettbewerbsschutzes weit ausgelegt und zwar so, dass er grundsätzlich jede selbständige geschäftliche, d. h. nicht rein private und außerhalb des Erwerbslebens liegende Tätigkeit einer Person in der Erzeugung oder Verteilung von Waren oder gewerblichen Leistungen erfasst241 • Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind nur die Sphäre des privaten Verbrauchs und der hoheitlichen Tätigkeit des Staates242 • Damit unterlag die Deutsche Börse AG in ihrer Eigenschaft als Organisatorin und Betreiberin des Neuen Marktes den Vorschriften des GWB. 239 Bark in: Staudinger (1996), Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbern zu § 145 Rn 15 ff.; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Einf. v. § 145 Rn 8 f.; Jauemig in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, Vor § 145 Rn 9 ff.; Kramer in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Vor § 145 Rn 9 ff., jeweils mit zahlreichen Beispielen. 240 Darauf, ob sich ein Kontrahierungszwang auch aus dem europäischen Kartellrecht ergeben konnte, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Jedenfalls lässt sich nach BGH, GRUR 1999, 203 (204 ff.) ein Kontrahierungszwang nicht aus einem Verstoß gegen Art. 81 I EGV begründen. 241 BGHZ 19, 72 (79); 36, 91 (102 ff.); 52, 65 (66); 64, 232 (234 f.); 67, 81 (84); 69, 59 (60); 74, 359 (364 f.); 137, 297 (304); Emmerich, Kartellrecht, 14; Lange in: Lange, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Kap. 2, § 1 Rn 4; Lutz in: Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 29 Rn 19; Zimmer in: Immenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Weubewerbsbeschränkungen, § 1 Rn 24 ff., jeweils m. w. N. 242 Emmerich, Kartellrecht, 14; Lange in: Lange, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Kap. 2, § 1 Rn 4; Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 Rn 26, 28, jeweils m. w. N.

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Nichts anderes ging auch aus dem durch das Zweite FMFG 243 in das BörsG eingefügten § 2a BörsG a. F. (heute § 6 BörsG) hervor. Dieser enthält in Absatz 1 die Bestimmung, dass die Börsenaufsichtsbehörde darauf hinzuwirken hat, dass die Vorschriften des GWB eingehalten werden, vgl. Satz 1, und dass dies insbesondere für den Zugang zu Handels-, Informations- und Abwicklungssystemen sowie sonstigen börsenbezogenen Dienstleistungseinrichtungen sowie deren Nutzung gilt, vgl. Satz 2. Die Vorschrift soll durch die mit ihr statuierte Verpflichtung der Börsenaufsichtsbehörde, möglichen Tendenzen zur Konzentration oder gar Oligopolisierung des Wertpapierhandels und bestimmter Handelssysteme und einer Monopolisierung im Bereich der Börsen-EDV entgegenzuwirken, lediglich zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs am Kapitalmarkt beitragen und damit die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland insgesamt steigern 244 • Zudem soll sie nicht etwa die Zuständigkeiten der Kartellbehörden beschränken und entsprechende Maßnahmen in die Hand der Börsenaufsichtsbehörde legen. Dies ergibt sich ferner aus Absatz 2 dieser Vorschrift, wonach die Zuständigkeit der Kartellbehörden unberührt bleibt, vgl. Satz I, und die Börsenaufsichtsbehörde die zuständige Kartellbehörde bei Anhaltpunkten für Verstöße gegen das GWB unterrichtet, vgl. Satz 2. Dieser Absatz soll also lediglich eine förmliche Handhabe für die Börsenaufsichtsbehörde schaffen, mit der sie eine Überprüfung entsprechender Sachverhalte durch die dafür sachlich kompetenten Kartellbehörden herbeiführen kann 245 . Damit steht fest, dass die kartellrechtlichen Grundsätze für den Träger und Betreiber einer Börse gelten und daher die Vorschriften des GWB auf den in Frage stehenden Sachverhalt der Zulassung zum Neuen Markt anwendbar waren. bb) Kontrahierungszwang als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Vorschriften Bevor untersucht wird, ob eine Weigerung der Deutsche Börse AG, ein Unternehmen, welches die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt hatte, zum Neuen Markt zuzulassen, überhaupt einen Verstoß gegen Vorschriften des GWB dargestellt hätte, muss zunächst herausgearbeitet werden, ob ein eventueller Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften einen Kontrahierungszwang nach sich ziehen kann. Denn nur wenn dies der Fall ist, konnte ein Anspruch eines betroffenen Unternehmens auf Zulassung hergeleitet werden. Ausgangspunkt dafür ist § 33 GWB, der die zivilrechtlichen Rechtsfolgen von GWB-Verstößen, welche neben die kartellrechtlichen Rechtsfolgen treten können, regelt. Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt u. a., dass jeder, der gegen eine Vorschrift 243 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites FMFG) vom 26. 07. 1994 - BGB!. I, 1749 ff. 244 Begründung der Bundesregierung, BTDrucks. 12/6679,61. 245 Begründung der Bundesregierung, BTDrucks. 12/6679,61.

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des GWB, die den Schutz eines anderen bezweckt, verstößt, diesem zur Unterlassung (Halbsatz 1) und bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet ist (Halbsatz 2). Im Grundsatz ist anerkannt, dass sich ein Anspruch des Geschädigten auf Abschluss eines Vertrages aus § 33 S. 1 GWB 246 i.V. m. einem Verstoß gegen ein entsprechendes Verbotsgesetz ergeben kann 247 . Streitig sind lediglich die dogmatischen Grundlagen dieser Rechtsfolge. Nach der Ansicht des BGH handelt es sich auch beim Kontrahierungszwang um Schadenersatz in Form der Naturalrestitution248 . In anderen Teilen der Rechtsprechung und überwiegend in der Literatur wird er dagegen als Ausfluss des Anspruchs auf Unterlassung und Beseitigung249 gesehen25o . Eine Entscheidung dieses Streits kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch dahin stehen, denn es ist im Ergebnis unstreitig, dass ein Verstoß gegen Verbotsgesetze des GWB anerkanntermaßen einen Kontrahierungszwang nach sich ziehen kann. Als Verbotsgesetze, die hier möglicherweise einschlägig gewesen wären, kommen in erster Linie die den Behinderungswettbewerb betreffenden Vorschriften der §§ 19251 und 20 GWB in Betracht. Ein Kontrahierungszwang hätte sich zum einen aus einem Verstoß gegen § 19 GWB 252 i.V. m. § 33 S. 1 GWB ergeben können. Insofern wären speziell § 19 I und IV Nr. 1 und 4 in Betracht gekommen. Zum anderen wäre dafür § 20 I GWB 253 i.Y. m. § 33 S. 1 GWB einschlägig gewesen.

246 Neben § 33 S. 1 GWB kommen als Rechtsgrundlage natürlich auch die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, d. h. § 823 II BGB für einen Schadensersatzanspruch und § 1004 BGB für einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, in Betracht, Möschel in: Immenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 211 m. w. N. 247 Ständige Rechtsprechung und allgemeine Ansicht, vgl. BGHZ 36, 91 (lOO); NJW-RR 1999, 189; Marken in: Immenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 228 m. w. N. 248 Ständige Rechtsprechung des BGH, zahlreiche Nachweise bei Marken in: Irnrnengal Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 228 (Fn 640). 249 Zwar ist der Beseitigungsanspruch in § 33 GWB nicht eigens erwähnt, allerdings steht außer Frage, dass dieser auch im Kartellrecht, ebenso wie im sonstigen Deliktsrecht, neben dem Unterlassungsanspruch eingreift, Emmerich in: Irnrnenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Weubewerbsbeschränkungen, § 33 Rn 53. 250 Nachweise wiederum bei Marken in: Irnrnenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 228 (Fn 644). 251 Der Schutzgesetzcharakter von § 19 GWB ist seit der Umgestaltung der Vorschrift in ein ausdrückliches gesetzliches Verbot durch die 6. GWB-Novelle von 1998 anerkannt. Diese bis dahin umstrittene und überwiegend verneinte Frage hat sich also erledigt. Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 33 Rn 24. 252 Bechtold, GWB, § 33 Rn 4; Emmerich, Kartellrecht, 206; Möschel in: Irnrnenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 211 a. E., 250; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 78. 253 Bechtold, GWB, § 33 Rn 4; Markert in: Immenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 228; Rittner; Wettbewerbs- und Kartellrecht, 296.

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cc) Ablehnung der Zulassung als Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften Im Folgenden ist also zu untersuchen, ob eine Weigerung der Deutsche Börse AG, den Vertrag über die Zulassung zum Neuen Markt mit einem Unternehmen, welches die Zulassungsvoraussetzungen erfüllte, abzuschließen, einen Verstoß gegen eines oder mehrere der eben erwähnten Verbotsgesetze des GWB dargestellt hätte. (1) Aus § 19/ GWB

Die als Generalklause1 formulierte Vorschrift des § 19 I GWB enthält den allgemeinen Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Sie verbietet ganz allgemein die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Konkretisiert wird sie durch die in § 19 IV GWB einzeln aufgezählten und nebeneinander anwendbaren Regelbeispiele. Wie aus der darin enthaltenen Formulierung "insbesondere" hervorgeht, ist die Aufzählung nicht abschließend. Daher bleibt der Rückgriff auf § 19 I GWB möglich, wenn keines der Rege1beispiele des § 19 IV GWB erfüllt ist. Denn daraus, dass Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen nicht unter die Tatbestände der Regelbeispiele fallen, kann nicht geschlossen werden, dass sie keinen Missbrauch im Sinne des generellen Missbrauchsbegriffs darstellen können254 . Mit dieser Feststellung ist jedoch das Verhältnis zwischen § 19 I GWB und § 19 IV GWB noch nicht vollständig erfasst. Unklar und bisher kaum diskutiert ist

nämlich, in welchem Maße der geschilderte Rückgriff auf Abs. 1 möglich sein soll. Denkbar ist zum einen, dass er keinerlei Beschränkungen unterliegt und daher immer, wenn kein Regelbeispiel eingreift, möglich bleibt. Auf eine solche Auslegung deuten die bisweilen gemachten, allerdings wenig aussagekräftigen Formulierungen zur fraglichen Konkurrenz der Vorschriften hin 255 . Zum anderen lässt sich ebenfalls vertreten, dass ein Rückgriff auf § 19 I GWB nur dann möglich sein soll, wenn das wettbewerbsrechtlich zu beurteilende Verhalten von seiner gesamten Charakteristik her keinem der Regelbeispiele entspricht. Die Generalklausei könnte dann die Fälle nicht erfassen, bei denen die Regelbeispiele nur deshalb nicht eingreifen, weil es an einer vollständigen Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale fehlt, obwohl das in Frage stehende Verhalten zu einer der dort beschriebenen Verhaltensweisen tendiert. Für diese Ansicht ließe sich anführen, dass die Regelbeispieie des § 19 IV GWB andernfalls völlig bedeutungslos wären und das nicht 254 Vgl. z. B. den Bericht der Abgeordneten Waigel und Jens zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Entwurf eines 4. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - BTDrucks. 8/2136 -, weIcher die einzelnen Missbrauchtatbestände noch nicht enthielt, BTDrucks. 8/3690, 24 f. 255 Z. B. Emmerich. Kartellrecht, 206.

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ihrem Zweck entspräche, die Anwendung der Generalklausei dadurch zu erleichtern, dass dem Rechtsanwender durch die Beispiele, welche bestimmte Mindestanforderungen an die Annahme des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung enthalten, konkrete Kriterien für die Feststellung eines Missbrauchs an die Hand gegeben werden. Allerdings würde dieses Problem im Rahmen der vorliegenden Arbeit erst dann relevant, wenn das Vorliegen eines Regelbeispiels tatsächlich zu verneinen gewesen wäre. Es ist daher zweckmäßig und entspricht der herkömmlichen Vorgehensweise bei einer Missbrauchsprüfung, zunächst einmal zu untersuchen, ob das hier zu beurteilende potentielle Verhalten der Deutsche Börse AG, nämlich die Zulassung zum Neuen Markt auch solchen Unternehmen zu verweigern, die die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt hatten, unter einen der in § 19 IV GWB enumerierten Tatbestände gefallen wäre. (2) Aus § 19 IV Nr. 4 GWB

Zunächst kommt in Frage, dass eine Weigerung der Deutsche Börse AG, den Zulassungsvertrag mit einem Unternehmen abzuschließen, welches die Zulassungsvoraussetzungen zum Neuen Markt erfüllt hatte, gegen § 19 IV Nr. 4 GWB verstoßen hätte. Nach dieser Vorschrift liegt ein Missbrauch dann vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden. Dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Norm enthält somit die vier Tatbestandsmerkmale Normadressat, Zugangsobjekt, Zugangsgrund und fehlende sachliche Rechtfertigung 256 . Ein Missbrauch nach § 19 IV Nr. 4 GWB wäre unter zwei Gesichtspunkten in Betracht gekommen. Zum einen hätte ein Missbrauch unter dem Aspekt des Betreibens des Neuen Marktes oder eines anderen börslichen Handelssegmentes vorliegen können, denn ein bedeutender Tätigkeitsbereich der Deutsche Börse AG war das Betreiben und die Organisation des Neuen Marktes an der FWB. Zu diesem Geschäftsfeld gehörte in erster Linie die Durchführung eines ordnungsgemäßen Börsenhandels. Insofern war sie Anbieter einer bestimmten Art von gewerblichen Leistungen. Des Weiteren war der Neue Markt in Deutschland das einzige Handelssegment für innovative Wachstumsunternehmen 257 und die Deutsche Börse AG das einzige 256 Möschel in: Immenga/Mestrnäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 190.

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Unternehmen, welches ihn organisierte und betrieb. Auf dem Markt des Betreibens eines börslichen Handelssegmentes für innovative Wachstumsunternehmen war sie also (in Deutschland) ohne Wettbewerber und daher gemäß § 1911 1 Nr. 1 Alt. 1 GWB ein marktbeherrschendes Unternehmen. Unter dem angesprochenen Gesichtspunkt war die Deutsche Börse AG folglich Normadressat von § 19 IV Nr. 4 GWB. Zugangsobjekte des § 19 IV Nr. 4 GWB sind Netze und andere Infrastruktureinrichtungen. Mithin ist der letztgenannte Terminus der formelle Oberbegriff258 . Zwar zählen die sachlichen und technischen Einrichtungen, die zur Durchführung eines Börsenhandels notwendig sind, nicht zu den klassischen Infrastruktureinrichtungen. Da dieser Begriff jedoch neben materiellen auch virtuelle Einrichtungen umfasst259 und der Handel am Neuen Markt gemäß § 90 I 3 BörsO FWB im Börsensaal oder im elektronischen Handelssystem an der FWB stattfindet, ist eine Subsumtion der angesprochenen Einrichtungen unter dieses Tatbestandsmerkmal nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings ist fraglich, ob die Versagung der Zulassung zum Neuen Markt durch die Deutsche Börse AG überhaupt eine Weigerung der Gewährung des Zugangs zu diesen Einrichtungen dargestellt hätte. Denn der eintrittswillige Emittent begehrte mit der Zulassung zum Neuen Markt einen solchen Zugang gar nicht. Er strebte ja nicht an, die börslichen Einrichtungen selbst zu benutzen, um ebenfalls einen Börsenhandel durchzuführen, sondern er hat nur gewollt, dass seine Aktien mit Hilfe dieser Einrichtungen am Neuen Markt gehandelt werden. Aus den gleichen Gründen wäre die Annahme des Zugangsgrundes gescheitert. Denn der Zugangsgrund setzt u. a. das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem Inhaber der Infrastruktureinrichtung und dem Zugang begehrenden Unternehmen auf dem abgeleiteten Markt voraus 260 . Wie gerade geschildert, hatte der die Zulassung zum Neuen Markt beantragende Emittent aber überhaupt nicht als Wettbewerber der Deutsche Börse AG im Betreiben des Neuen Marktes oder eines anderen Börsensegmentes auftreten wollen. Es bestand somit kein Wett257 Jedenfalls bis zur Handelsaufnahme des NASDAQ-Deutschland an der fusionierten Börse Berlin-Bremen am 31. 03. 2003. (Auf dieser Elektronik-Börse, die sich als AnlegerPlattform der NASDAQ Europe verstand, wurden 300 Aktien aus dem DAX, dem neuen TecDax, dem EuroStoxx 50, dem Dow Jones und der NASDAQ 100 gehandelt. Der Handel an der NASDAQ Deutschland wurde jedoch bereits fünf Monate nach dem Start wegen Erfolglosigkeit wieder eingestellt.). 258 Bechtold, GWB, § 19 Rn 82; Hübschle in: Lange, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Kap. 4, § 3 Rn 81; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 194; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 65. 259 Bechtold, GWB, § 19 Rn 82; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 196. 260 Bechtold, GWB, § 19 Rn 83; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 202; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 65.

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bewerbsverhältnis. Auf das Vorliegen des vierten Tatbestandsmerkmals, das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung, wäre es also nicht mehr angekommen. Jedenfalls hätte eine Versagung der Zulassung zum Neuen Markt durch die Deutsche Börse AG, obwohl der sie beantragende Emittent alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllte, keinen Missbrauch i. S. v § 19 IV Nr. 4 GWB unter dem Gesichtspunkt des Betreibens des Neuen Marktes oder eines anderen börslichen Hande1ssystems dargestellt. Möglicherweise wäre § 19 IV Nr. 4 GWB jedoch unter einem anderen Gesichtpunkt einschlägig gewesen, nämlich dem der Kapitalbeschaffung über die Börse. Insofern ist von Bedeutung, dass die Deutsche Börse AG seit dem 05. 02. 2001 selbst an der Börse notiert ist. Ein Wettbewerbsverhältnis zwischen ihr und dem die Zulassung zum Neuen Markt beantragenden Emittenten könnte daher unter dem Aspekt der Kapitalbeschaffung bestanden haben. Fraglich ist aber, welcher hierfür der relevante Markt war. Die grundsätzlich erforderliche Abgrenzung des relevanten Marktes in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht261 erübrigt sich jedoch, wenn für keinen in Frage kommenden Markt die Voraussetzungen von § 19 IV Nr. 4 GWB erfüllt gewesen wären. Hätte man hierfür nur auf den Neuen Markt abgestellt, so hätten die Beteiligten nicht in einem Wettbewerb zueinander gestanden, denn die Deutsche Börse AG war selbst nicht am Neuen Markt, sondern sie war (und ist noch heute) am amtlichen Markt notiert. Hätte man hingegen den gesamten Kapitalmarkt als den für die Kapitalbeschaffung relevanten Markt angesehen, so hätte zwar ein Wettbewerbsverhältnis vorgelegen. Allerdings hätte die Deutsche Börse AG, wenn sie einem eintrittswilligen Emittenten die Zulassung zum Neuen Markt nicht erteilte hätte, ihm lediglich die Möglichkeit versagt, dieses Marktsegment für die Kapitalbeschaffung über die Börse zu benutzen. Den Zugang zu dem in diesem Fall relevanten Markt insgesamt hätte sie dem Emittenten nicht versperren können. Denn weil es hier nur um Fälle geht, in denen der Emittent die Zulassungsvoraussetzungen zum Neuen Markt erfüllte, hätten die Zulassungsvoraussetzungen für den geregelten Markt gleichfalls vorgelegen und der Emittent hätte dann über dieses Handelssegment den Zugang zum Kapitalmarkt auch ohne Einbeziehung der Deutsche Börse AG erreichen können. Hinzu wäre gekommen, dass die Deutsche Börse AG nur eines von vielen Unternehmen am Kapitalmarkt ist und daher unter dem Aspekt der Kapitalbeschaffung insgesamt eine marktbeherrschende Stellung nicht einmal annähernd innehat. Unter dem Gesichtpunkt der Kapitalbeschaffung über die Börse hätte daher ein Verstoß gegen § 19 IV Nr. 4 GWB ebenfalls nicht vorgelegen. 261 Vgl. dazu Bechtold. GWB, § 19 Rn 5 ff.; Emmerich. Kartellrecht, 168 ff.; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 23 ff.; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 166 ff.

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Die Voraussetzungen von § 19 IV Nr. 4 GWB wären also unter keinem Aspekt erfüllt gewesen. Daher hätte eine Weigerung der Deutsche Börse AG, einen Emittenten trotz Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen zum Neuen Markt zuzulassen, jedenfalls nicht gegen diese Vorschrift verstoßen. (3) Aus § 19 N Nr. 1 GWB Möglicherweise wäre jedoch § 19 IV Nr. 1 GWB einschlägig gewesen. Nach dieser Vorschrift liegt ein Missbrauch vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt. Wie oben bereits ausgeführt, stellte die Deutsche Börse AG als Betreiberin und Organisatorin des Neuen Marktes ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter einer bestimmten Art von gewerblichen Leistungen dar. Ferner hätte in der Versagung der Zulassung zum Neuen Markt eine Beeinträchtigung eines anderen Unternehmens gelegen, denn dieses Tatbestandsmerkmal wird wertneutral verstanden. Auf ein Element einer negativen Wertung kommt es erst im Rahmen der Prüfung eines sachlich gerechtfertigten Grundes an 262 . Fraglich ist jedoch, ob darüber hinaus die Tatbestandsvoraussetzung "auf dem Markt" erfüllt gewesen wäre. Es besteht allerdings weitgehend Einigkeit darüber, dass damit nicht nur der beherrschte Markt gemeint ist. Vielmehr soll § 19 IV Nr. 1 GWB sogar Behinderungspraktiken auf Drittmärkten erfassen, sofern sich nur die wirtschaftliche Macht des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem fraglichen Drittmarkt auswirkt263 . Über die Zulassung zum Neuen Markt entschied allein die Deutsche Börse AG bzw. gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.1.1 (I) 1 RNM ihr Vorstand. Ihre marktbeherrschende Stellung wirkte sich daher auf den Kapitalbeschaffungsmarkt aus. Dies galt selbst dann, wenn man dafür nicht nur den Neuen Markt, sondern den Kapitalmarkt insgesamt, als dafür relevanten Markt ansah, denn durch die Zulassungsentscheidungen der Deutsche Börse AG wurde u. U. die vom Emittenten zu treffende Wahl des Börsensegmentes beeinflusst. Schließlich hätte die Beeinträchtigung noch ohne sachlich gerechtfertigten Grund geschehen müssen. Ob ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt oder nicht, ist durch eine Abwägung der Interessen des Wettbewerbers mit denen des marktbeherrschenden Unternehmens unter vorrangiger Berücksichtigung der auf 262 Bechtold, GWB, § 19 Rn 63; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz bewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 112; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch rechts, § 23 Rn 39 f. 263 Emmerich, Kartellrecht, 187; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz bewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 114; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch rechts, § 23 Rn 39 i.V.m. Rn 37, jeweils m. w. N.

gegen Wettdes Kartellgegen Wettdes Kartell-

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die Sicherung von Wettbewerbsstrukturen ausgerichteten Zielsetzung des Gesetzes zu ermitteln264 . Hierbei wäre zunächst davon auszugehen gewesen, dass der Deutsche Börse AG grundsätzlich ein Freiraum bei der Gestaltung ihres unternehmerischen Angebots in Gestalt des Neuen Markts zustand265 . Zwar bestand ein Interesse der Deutsche Börse AG, die Funktionsfähigkeit und Attraktivität des Neuen Marktes zu erhalten und zu fördern und deshalb nicht jedes Unternehmen in den Neuen Markt aufzunehmen. Dieses hätte sie jedoch durch die Aufnahme entsprechender Zulassungsvoraussetzungen in das RNM gewährleisten können. Auf der anderen Seite stand das große Interesse des Emittenten an der Notierung am Neuen Markt, die ihn als innovatives Unternehmen mit überdurchschnittlichen Umsatzund Gewinnwachstumschancen erscheinen ließ und ihm mit diesem Ausweis den (erleichterten) Zugang zum Kapitalmarkt eröffnete. Es ist also kaum vorstellbar, dass im Falle der Versagung der Zulassung zum Neuen Markt, obwohl der sie beantragende Emittent sämtliche Zulassungsvoraussetzungen erfüllt hatte, die Interessen der Deutsche Börse AG die des eintrittswilligen Emittenten überwogen hätten. Damit wäre auch das normative Tatbestandsmerkmal von § 19 IV Nr. 1 GWB erfüllt gewesen. Hätte daher die Deutsche Börse AG .einem Emittenten, der sämtliche Zulassungsvoraussetzungen für den Neuen Markt erfüllt hatte, die Zulassung zu diesem Marktsegment versagt, so hätte sie gegen § 19 IV Nr. 1 GWB verstoßen. Da somit ein Rege1beispiel aus § 19 IV GWB erfüllt gewesen wäre, hätte es des Rückgriffes auf die GeneralklauseI des § 19 I GWB nicht bedurft. Das Problem des Verhältnisses der beiden Vorschriften zueinande?66 darf daher im Rahmen dieser Arbeit dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte sich aus § 19 IV Nr. 1 GWB i.v. m. § 33 S. 1 GWB bezüglich des Zulassungsvertrages ein Kontrahierungszwang ergeben. (4) Aus § 20 I GWB

Des Weiteren wäre eine Verletzung des in § 20 I GWB enthaltenen Diskriminierungsverbotes, welches neben § 19 GWB anwendbar ist267 , in Frage gekommen. Nach dieser Vorschrift dürfen marktbeherrschende Unternehmen ein anderes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund un264 Bechtold, GWB, § 19 Rn 66; Hübschle in: Lange, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Kap. 4, § 3 Rn 85; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 115; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 40, m. w. N. 265 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1789) m. w. N. 266 Dazu oben § 9 1. 2. a) cc) (1). 267 Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Rn 255 m.w.N Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 81.

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mittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln. Obwohl diese Vorschrift dem Wortlaut nach zwei Verbote enthält, wird sie als einheitliches Diskriminierungsverbot verstanden, da sich beide Begehungstatbestände weitgehend überschneiden268 . Dieses Diskriminierungsverbot deckt sich inhaltlich weitgehend mit dem in § 19 IV Nr. 1 GWB enthaltenen Behinderungsverbot269 . Jedenfalls soweit es sich um Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen handelt, überschneiden sich beide Vorschriften fast vollständig. Die Unterschiede im Wortlaut haben so gut wie keine praktische Bedeutung 27o • Eine Weigerung der Deutsche Börse AG, einem Unternehmen, welches sämtliche Voraussetzungen für die Zulassung zum Neuen Markt erfüllt, die Zulassung zu diesem Marktsegment gleichwohl zu erteilen, hätte daher nicht nur gegen § 19 IV Nr. 1 GWB, sondern zusätzlich noch gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 I GWB verstoßen. Ein Kontrahierungszwang hätte sich daher ebenso aus dieser Vorschrift i.V. m. § 33 S. 1 GWB ergeben. (5) Aus § 20 VI GWB analog

Im übrigen hätte im Zusammenhang mit der Problematik eines Anspruches auf Zulassung zum Neuen Markt auf den ersten Blick eine analoge Anwendung des § 20 VI GWB, der einen Aufnahmezwang regelt, in Betracht gezogen werden können. Nach dieser Vorschrift dürfen Wirtschafts- und Berufsvereinigungen sowie Güterzeichengemeinschaften die Aufnahme eines Unternehmens nicht ablehnen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellen und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führen würde. Aus dieser Vorschrift i.V. m. § 33 GWB und § 249 I BGB kann sich also ein Anspruch auf Aufnahme in die fragliche Vereinigung ergeben271 • Voraussetzungen für eine Analogie sind eine (planwidrige) Regelungslücke sowie eine Vergleichbarkeit des im Gesetz geregelten mit dem zu beurteilenden Sachverha1t272 . Insofern ist schon sehr zweifelhaft, ob überhaupt eine Regelungslücke vorlag, denn eine Pflicht zur Aufnahme konnte sich bereits aus den vorgenannten Vorschriften des GWB ergeben, die bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen einen Kontrahierungszwang zur Folge haben können. 268 Emmerich, Kartellrecht, 212; Markert in: Irnrnenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 114. 269 Emmerich, Kartellrecht, 166; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rn 81 m. w. N. 270 Bechtold, GWB, § 20 Rn 2; Möschel in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 239. 271 Bechtold, GWB, § 20 Rn 85 ff.; Emmerich, Kartellrecht, 243 f.; Markert in: Irnrnenga/ Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 20 Rn 370. 272 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 202 ff.

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Allerdings muss darauf nicht näher eingegangen werden, denn es fehlte jedenfalls an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Eine Übertragung der in § 20 VI GWB vorgesehenen Regel auf den Fall des Verfahrens der Zulassung zum Neuen Markt war schon deshalb nicht möglich, weil sich beide Sachverhalte in ihrer Grundstruktur wesentlich unterschieden. § 20 VI GWB erfasst lediglich Fälle, in denen sich Unternehmen zu einer bestimmten Vereinigung zusammengeschlossen haben und jetzt die Vereinigung, d. h. letztlich die Unternehmen selbst, über die Aufnahme weiterer Unternehmen zu entscheiden hat. Diese Konstellation traf jedoch auf das Verfahren der Erteilung der Börsenzulassung zum Neuen Markt nicht zu. Über die Zulassung des eintrittswilligen Emittenten entschied die Deutsche Börse AG und nicht die bereits zum Neuen Markt zugelassenen Unternehmen. Die Deutsche Börse AG war jedoch zum einen keine Vereinigung von Unternehmen, sondern ein einzelnes Unternehmen. Anders als bei der FWB als Anstalt des öffentlichen Rechts, in deren Aufsichtsorgan, dem Börsenrat, gemäß § 9 I BörsG auch die an der FWB zugelassenen Emittenten vertreten sein müssen und daher jedenfalls einen mittelbaren Einfluss auf die Entscheidungen der FWB ausüben können, waren die am Neuen Markt zugelassenen Unternehmen nicht auf eine vergleichbare Weise am Entscheidungsträger hinsichtlich der Zulassung beteiligt. Zum anderen war die Deutsche Börse AG selbst überhaupt nicht im Handelssegment Neuer Markt notiert. Damit waren die Voraussetzungen für einen Analogieschluss nicht gegeben. Eine Pflicht der Deutsche Börse AG zur Zulassung eines Emittenten zum Neuen Markt, der die Voraussetzungen dafür erfüllt, hätte daher nicht aus § 20 VI GWB analog hergeleitet werden können. b) Ergebnis

Falls die Deutsche Börse AG einem Emittenten, der alle Voraussetzungen für die Zulassung zum Neuen Markt erfüllte, die Zulassung zu diesem Marktsegment dennoch versagt hätte, so hätte sie sowohl gegen § 19 IV Nr. 1 GWB als auch gegen § 20 I GWB verstoßen. Aus beiden Vorschriften konnte, jeweils i.V. m. § 33 S. 1 GWB, eine Pflicht der Deutsche Börse zum Abschluss eines entsprechenden Zulassungsvertrages mit dem betreffenden Emittenten hergeleitet werden. Trotz der privatrechtlichen Organisation des Neuen Marktes bestand diesbezüglich ein Kontrahierungszwang. Am Neuen Markt hatte also ein Emittent, der alle Zulassungsvoraussetzungen erfüllte, entgegen der damals vorherrschenden Auffassung einen Anspruch auf Zulassung.

11. Beendigung der Zulassung durch die Deutsche Börse AG Geregelt war die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 RNM.

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Die Zulassung zum Neuen Markt setzte die Zulassung zum geregelten Markt voraus. Im Gegensatz zu letzterer stellte sie jedoch keinen Verwaltungsakt oder sonstigen hoheitlichen Rechtsakt dar. Aufgrund der privatrechtlichen Ausgestaltung des Neuen Marktes handelte es sich bei der Zulassung zum Neuen Markt vielmehr um einen privatrechtlichen Rechtsakt. Dies hatte zum einen zur Folge, dass das RNM bei der Aufhebung der Börsenzulassung nicht von Widerruf, sondern von Beendigung sprach. Zum anderen beurteilte sich die Zulässigkeit der Beendigung der Zulassung in diesem Markt nicht nach öffentlichem Recht, sondern allein nach den Regeln des Zivilrechts273 • Bei Streitigkeiten war dementsprechend der Zivilrechtsweg eröffnet. Aufgrund der Kombination von Zulassung zum geregelten Markt und hierauf aufbauender Zulassung zum Neuen Markt ergab sich noch eine weitere Besonderheit bezüglich der Rechtsfolgen eines Ausschlusses vorn Neuen Markt. Die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt durch die Deutsche Börse AG ließ die vorn Zulassungsausschuss der FWB (heute die Zulassungsstelle) erteilte Zulassung zum geregelten Markt unberührt. Die Börsenzulassung als solche ging den betroffenen Unternehmen daher nicht verloren. Es wurde lediglich die Teilnahme arn Wachstumssegment Neuer Markt beendet274 . Sofern also das betreffende Unternehmen die Zulassungsvoraussetzungen zum geregelten Markt weiterhin erfüllte, führte die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt lediglich zur Zurückstufung des Unternehmens in den geregelten Marke 75 . Aufgrund der durch dieses System der Doppelzulassung eröffneten Möglichkeit der Beendigung nur der Zulassung zum Neuen Markt wurden einerseits die Qualitätsstandards im Neuen Markt aufrechterhalten und andererseits die Stellung der Aktionäre berücksichtigt, da das Unternehmen nach dem Ausschluss vorn Neuen Markt weiterhin im geregelten Markt verblieb 276 . Hinsichtlich der Handelsaufnahme in diesem Marktsegment war sogar vorgesehen, die erforderliche Notierung von Amts wegen, d. h. ohne weiteren Antrag des Emittenten zu veranlassen 277 . Dies ist dann im Zuge der zum 01. 10.2001 in Kraft getretenen Änderungen des RNM auch geschehen, denn in diesem Zusammenhang wurde der bis dahin in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (III) S. 2 RNM a. F. bestehende Passus, wonach im Fall der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt die Aufnahme der Notierung im geregelten Markt gesondert bei der FWB beantragt werden muss, gestrichen. Ungeachtet der daraufhin automatisch erfolgenden Handelsaufnahme im geregelten Markt konnte jedoch der Zulassungsausschuss der FWB zusätzlich noch die Zulassung zu diesem Marktsegment widerKersring, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997, 222 (228). Vgl. Pressemitteilung der Deutsche Börse AG vom 21. 09. 2001, abrufbar unter: www.deutsche-boerse.com (Stand der letzten Abfrage: 29.06. 2002). 275 Jäger; Thema Börse (5): Wahl des richtigen Börsensegments, NZG 1999, 381 (385); Kersting, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997, 222 (228). 276 Kersring, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997,222 (228). 277 Vgl. Pressemitteilung der Deutsche Börse AG vom 21. 09. 2001, abrufbar unter: www.deutsche-boerse.com (Stand der letzten Abfrage: 29.06. 2002). 273

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rufen, wenn dessen Voraussetzungen ebenfalls nicht mehr erfüllt wurden. Dies ergab sich aus Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (VI) RNM iV m. Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (III) RNM, wonach Maßnahmen der Deutschen Börse AG die Zuständigkeit des Zulassungsausschusses der FWB für die Zulassung zum geregelten Markt unberührt ließen. Wurde daher neben der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt auch die Zulassung zum Geregelten Markt widerrufen, blieb nur die Möglichkeit des Handels der Aktien im allgemeinen Freiverkehr. Neben Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (III) RNM galten bei der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt ferner Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (11) und (IV) RNM über die Verweisung in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (VI) RNM entsprechend. Daher konnte die Deutsche Börse AG alle im Zusammenhang mit der Beendigung der Zulassung stehenden Tatsachen veröffentlichen, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (11) RNM, und der von der Beendigung betroffene Emittent konnte gegen die Beendigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung das Primary Markets Arbitration Panel anrufen. 1. Beendigungsgründe mit Ermessensspielraum In Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) RNM waren diejenigen Beendigungsgründe aufgezählt, bei deren Vorliegen die Beendigung der Zulassung im Ermessen der Deutsche Börse AG stand. Lagen die entsprechenden Voraussetzungen vor, führte dies also nicht zwangsläufig zur Beendigung der Zulassung. Dies ergab sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt in den drei aufgezählten Fällen beenden ,,kann". Der Wortlaut legte es außerdem nahe, dass diese Gründe abschließend waren, denn es fehlte zum einen an einer Öffnungsklausel, wie sie etwa das Wort "insbesondere" (vgl. etwa Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) RNM), dargestellt hätte. Zum anderen sollte das RNM den Emittenten Rechtssicherheit gewähren, damit diese sich darauf einstellen konnten, unter welchen genau bezeichneten Voraussetzungen sie Gefahr laufen würden, ihre Zulassung zum Neuen Markt zu verlieren. Es war daher davon auszugehen, dass die in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) RNM enumerierten Tatbestände abschließend waren.

a) Pflichtverstoß des Emittenten

Einen Grund für die Beendigung der Zulassung stellte zunächst einmal ein Pflichtverstoß durch den Emittenten dar, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 1 RNM. Diese Vorschrift entsprach dem Widerrufsgrund in § 44d S. 2 BörsG a. F. (heute § 43 S. 2 BörsG), der für den amtlichen Markt und über § 75 III BörsG a. F. (heute § 54 S. 1 BörsG) für den geregelten Markt galt. Insofern kann an dieser Stelle auf die dazu gemachten Ausführungen verwiesen werden, insbesondere bot Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 1 RNM ebenso wie es § 44d S. 2 BörsG a. F. getan hat, für austrittwillige Emittenten einen Ansatzpunkt zum Missbrauch.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Gemäß Abschnitt II, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 1 RNM konnte also die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt beenden, wenn der Emittent gegen die ihm aus dem RNM obliegenden Pflichten verstieß. Zu diesen zählten insbesondere die in Abschnitt 11, Ziff. 7 RNM geregelten Zulassungsfolgepflichten, die sich an internationale Informations- und Publizitätsstandards anlehnten. Die wichtigsten Folgepflichten waren die Veröffentlichung eines Quartalsberichtes in deutscher und englischer Sprache, Abschnitt II, Ziff. 7.1 RNM, die Meldung bestimmter Wertpapiergeschäfte, Abschnitt II, Ziff. 7.2 RNM, die Erstellung von Jahresabschluss und Lagebericht, Abschnitt 11, Ziff. 7.3.2 RNM, die Erstellung eines Unternehmenskalenders, Abschnitt 11, Ziff. 7.3.4 RNM, die jährliche Durchführung einer öffentlichen Analystenveranstaltung, Abschnitt 11, Ziff. 7. 3. 11 RNM, die Einhaltung der Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG, Abschnitt 11, Ziff. 7. 3. 12 RNM, sowie sonstige Veröffentlichungspflichten, Abschnitt 11, Ziff. 7.3.1, 7.3.3, 7.3.5 RNM. Die Beendigung der Zulassung nach Abschnitt II, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 1 RNM kam nicht nur dann in Betracht, wenn eine oder mehrere dieser Emittentenpflichten überhaupt nicht erfüllt wurden, sondern ebenso, wenn dies lediglich nicht rechtzeitig oder nicht vollständig geschah. Umstände, wie z. B. die Anzahl oder die Intensität etwaiger Verstöße spielten erst im Rahmen des von der Deutsche Börse AG bei der Beendigungsentscheidung auszuübenden Ermessens eine Rolle. Selbst wenn diese zu der Auffassung gelangte, dass bestimmte Verstöße eine Beendigung der Zulassung noch nicht rechtfertigten, blieb ihr die Möglichkeit unbenommen, andere Sanktionen, wie etwa eine Geldstrafe nach Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (I) RNM, zu verhängen.

b) Fehlende Gewährleistung eines ordnungsgemiißen Börsenhandels

Des Weiteren konnte die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt beenden, falls ein ordnungsgemäßer Börsenhandel im Neuen Markt auf Dauer nicht mehr gewährleistet erschien, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 2 RNM. Dieser Beendigungsgrund stellte eine Parallele zu dem für den amtlichen Handel geltenden § 43 III BörsG a. F. (heute § 38 III BörsG) dar, welcher über § 75 III BörsG a. F. auch auf den geregelten Markt anwendbar war. Insofern darf hier wiederum auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Dass eine solche Regelung nicht nur für die öffentlich-rechtlich organisierten Marktsegmente, sondern gleichsam für den privatrechtlich organisierten Freiverkehr, in den der Neue Markt einzuordnen war, gelten musste, ergibt sich jedenfalls mittelbar aus § 78 I BörsG a. F. (heute § 57 I BÖrsG). Danach kann die Börse einen Freiverkehr dann zulassen, wenn u. a. eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels gewährleistet erscheint. Zwar bezieht sich diese Vorschrift nicht auf einzelne Werte, sondern auf den Freiverkehr insgesamt. Gleichwohl wird die ordnungsgemäße Durchführung des Handels im Freiverkehr insgesamt beeinträchtigt, wenn eine solche bei einigen

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Werten nicht gewährleistet erscheint und eine entsprechende Ausschlussmöglichkeit nicht existiert. c) Publikumsschutz

Der dritte Beendigungsgrund mit Ermessensspielraum für die Deutsche Börse AG schließlich war in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 3 RNM geregelt. Nach dieser generalklauselartig formulierten Vorschrift konnte die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt beenden, wenn dies zum Schutz des Publikums geboten erschien. Fraglich ist, ob diese Auffangvorschrift einen gegenüber den Nummern 1 und 2 eigenständigen Anwendungsbereich hatte, d. h. ob Umstände vorstellbar sind, die eine Beendigung der Zulassung nach Nr. 3 rechtfertigten, obwohl die Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 nicht erfüllt waren. Insofern war es denkbar, dass die Zulassung eines bereits zum Neuen Markt zugelassenen Unternehmens auch dann durch die Deutsche Börse AG beendet werden konnte, wenn es aus der Zielgruppe der am Neuen Markt gehandelten Unternehmen gewissermaßen "herausgewachsen" war. Die Deutsche Börse AG konnte den Antrag auf Zulassung zum Neuen Markt ablehnen, wenn das Unternehmen der Zielgruppe des Neuen Marktes nicht entsprach 278 . Dies ging aus Abschnitt 11, Ziff. 2.1.1 (11) RNM hervor, wonach sie den Zulassungsantrag u. a. dann ablehnen konnte, wenn die Bedingungen des Allgemeinen Teils des RNM nicht erfüllt waren. Zu letzteren zählte nämlich u. a., dass es sich bei dem die Zulassung beantragenden Emittenten primär um eine kleine oder mittlere Gesellschaft handelt und dass er ein innovatives Unternehmen ist, das neue Absatzmärkte erschließt, neue Verfahren etwa in der Beschaffung, Produktion oder beim Absatz verwendet bzw. neue Produkte und loder Dienstleistungen anbietet und ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum erwarten lässt, Abschnitt I, Ziff. I S. 2 RNM. Möglicherweise hätte die Deutsche Börse AG daher die Zulassung eines am Neuen Markt notierten Unternehmens nach Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 3 RNM dann beenden können, wenn es diese Kriterien aufgrund bestimmter Entwicklungen zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erfüllte, denn zu jenem Zeitpunkt wäre ihm die Zulassung höchstwahrscheinlich gar nicht erst erteilt worden. Eine Beendigung der Zulassung wegen eines Pflichtenverstoßes nach Nr. 1 wäre in diesem Fall jedenfalls nicht möglich gewesen, da das RNM ein Pflicht zur Beibehaltung der Unternehmensgröße und -ausrichtung nicht kannte. Überdies wäre die Ordnungsgemäßheit des Börsenhandels im Neuen Markt kaum dadurch beeinträchtigt worden, dass ein Unternehmen die Bedingungen des allgemeinen Teils des RNM später nicht mehr erfüllt, so dass eine Beendigung nach Nr. 2 ebenfalls nicht in Frage gekommen wäre. Die Möglichkeit, die Zulassung zu einem öffentlich-rechtlich organisierten Marktsegment in einem solchen Fall widerrufen zu können, ist aber durchaus gegeben, denn das VwVfG enthält in § 49 11 Nr. 3 eine entsprechende Regelung. Danach kann ein (rechtmäßig erteilter) 278

Kersting, Der Neue Markt der Deutsche Börse AG, AG 1997,222 (223).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Verwaltungsakt bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Parallel dazu bot es sich an, die Zulassung zum Neuen Markt dann beenden zu können, wenn ein dort notiertes Unternehmen aus dessen Zielgruppe herausgewachsen war. Voraussetzung dafür wäre gemäß Abschnitt ll, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 3 RNM natürlich gewesen, dass die Beendigung in diesem Fall zum Schutz des Publikums geboten erschien. Zunächst ist also zu klären, was genau mit dem Begriff "Publikum" gemeint war. Insofern bietet sich eine Parallele zum BörsG an, denn dort ist der Begriff in verschiedenen Regelungen enthalten, vgl. §§ 30 III Nr. 3, 37 llI, 38 I Nr. I, 39 I Nr. 3 BÖrsG. Damit kann nur die Gesamtheit der Anleger als Träger des Angebots- und Nachfragepotentials gemeint sein 279 . Überträgt man diese Interpretation auf Abschnitt ll, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 3 RNM, so bedeutet dies, dass Die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt auch dann beenden konnte, wenn dies zum Schutz der Anleger geboten erschien. In der Tat hätte es gerade für die Anleger am Neuen Markt erhebliche Gefahren mit sich gebracht, wenn man die Tatsache, dass ein Emittent nicht mehr der Zielgruppe der dort gehandelten Unternehmen entspricht, nicht als Grund für die Beendigung der Zulassung anerkannt hätte. Diese bestanden darin, dass die typische Charakteristik des Neuen Markts als Wachstumssegment an der Börse hätte verwässert werden oder gar verloren gehen können, und dieses Segment als Ganzes dadurch an Anziehungskraft sowohl für neue Emittenten als auch für private und institutionelle Investoren hätte verlieren können. Da der Neue Markt darüber hinaus in einem sich ständig intensivierendem Wettbewerb zu den Wachstumssegmenten an anderen europäischen Börsen280 stand, wäre ein derartiger Verlust seiner Charakteristik als Wachstumssegment sogar von existentieller Bedeutung gewesen. Dies hätte natürlich zwingend zur Folge gehabt, dass der Schutz der Anleger in ihrer Gesamtheit beeinträchtigt worden wäre. KleinanIeger, die ihr Geld in einem Aktienfond, der sich aus Unternehmen des Neuen Markts zusammensetzte, angelegt hatten, hätten in ihrer aufgrund der Reputation des Neuen Marktes berechtigten Erwartung, in einen Fond wachstumsträchtiger Technologieunternehmen investiert zu haben, enttäuscht werden können, wenn mehr und mehr Unternehmen am Neuen Markt diesem Unternehmensbild nicht mehr entsprochen hätten. Daher erschien es zum Schutz des Publikums durchaus geboten, die Zulassung eines Unternehmens zum Neuen Markt widerrufen zu können, wenn es aufgrund von nach der Zulassung eingetretener Entwicklungen nicht mehr den in Abschnitt I, Ziff. 1 RNM enthaltenen Kriterien entsprach. Allerdings war die Deutsche Börse AG bei der Ausübung des ihr insoweit zustehenden Ermessens zur Zurückhaltung angemahnt, denn dieser Zulassungsbeendigungsgrund barg bei zu Kümpel, Kapitalmarktrecht - eine Einführung, 30. Z. B. der Nouveau Marche in Paris, der New Market in Brüsse1, der NMAX in Amsterdam, der Alternative Investment Market (AlM) in London oder der Mercato Telematico Delle Imprese Medie (Markt Metim) in Mailand. 279

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§ 9 Exkurs: Delisting und der Neue Markt an der FWB

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strenger Auslegung der Kriterien in Abschnitt I, Ziff. 1 RNM ein erhebliches Missbrauchspotential in sich. Von dieser Beendigungsmöglichkeit hätte daher nur Gebrauch gemacht werden sollen, wenn sich ein Unternehmen tatsächlich deutlich und dauerhaft von dem Bild eines am Neuen Markt notierten Unternehmens entfernt hatte und nicht damit gerechnet werden konnte, dass es diesem Bild später wieder entsprechen würde. 2. Beendigungsgrunde ohne Ermessensspielraum Das RNM enthielt ferner Gründe, bei denen die Beendigung der Zulassung nicht im Ermessen der Deutsche Börse AG stand. Diese waren in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) RNM geregelt. Das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen führte also in diesen Fällen zwangsläufig zur Beendigung der Zulassung. Dies ergab sich ebenfalls aus dem von Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) RNM verschiedenen Wortlaut der Vorschrift, wonach die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt beenden "wird". Ebenso wie die Entscheidung über die Beendigung selbst stand auch der Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit bei diesen zwingenden Beendigungsgründen nicht im Ermessen der Behörde. Denn gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (II1) RNM wurde die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt in den Fällen des Absatz 2 stets einen Monat nach Bekanntmachung der Entscheidung der Deutsche Börse AG wirksam. a) Die beiden Tatbestände

Das RNM enthielt in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) die folgenden zwei Gründe, die zwingend zur Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt führten. aa) Insolvenz Zum einen beendete die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt dann, wenn über das Vermögen des Emittenten das Insolvenzverfahren eröffnet oder eine Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden war, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 HS. 1 RNM. Für Emittenten mit Sitz im Ausland galt dies entsprechend, Abschnitt Il, Ziff. 2.1.5 (Il) Nr. 1 HS. 2 RNM. Gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (V) HS. 2 RNM war der Emittent verpflichtet, der Deutsche Börse AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung mangels Masse unverzüglich mitzuteilen. Dies galt wiederum für Emittenten mit Sitz im Ausland entsprechend, Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (V) HS. 2 RNM. Falls er die entsprechende Mitteilung unterlassen hätte, hätte er damit gegen die ihm nach dem RNM obliegenden Pflichten verstoßen. In einem solchen Fall wäre daher neben dem Beendigungsgrund der Insolvenz des Emittenten nach Abschnitt 11,

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 RNM und zusätzlich zu einer gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.1.4 (I) RNM möglichen, als Sanktion zu verhängenden Geldstrafe u. U. sogar der Beendigungsgrund wegen eines Pflichtenverstoßes des Emittenten nach Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (I) Nr. 1 RNM in Frage gekommen. bb) Börsenkurs und Marktkapitalisierung Den zweiten Grund, der zwingend zum Ausschluss des Emittenten vom Neuen Markt führte, enthielt die sog. Penny-Stock-Regelung in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 2 RNM. Danach beendete die Deutsche Börse AG die Zulassung zum Neuen Markt dann, wenn der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien für die Dauer von 30 aufeinander folgenden Börsentagen weniger als 1 Euro pro Aktie betrug und die Marktkapitalisierung 20 Mio. Euro unterschritt, es sei denn, dass der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien innerhalb weiterer 90 Börsentage an mindestens 15 aufeinander folgenden Börsentagen mindestens 1 Euro und die Marktkapitalisierung mindestens 20 Mio. Euro betrug. Gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (IV) RNM unterrichtete die Deutsche Börse AG den Emittenten unverzüglich, sobald die 30-Tage-Frist erfüllt war. b) Die Geschichte der beiden Tatbestände

Beide Beendigungsgrunde waren nicht von Anfang an im RNM enthalten. Erst nachdem man das mangelhafte Regelwerk als wesentliche Schwachstelle und damit als einen bedeutenden Grund für die negative Entwicklung des Neuen Marktes seit dem Frühjahr 2000 ausgemacht hatte, wollte man es nach angelsächsischem Vorbild verbessern und Beendigungsgrunde in das Regelwerk aufnehmen, die den Ausschluss von minderwertigen Unternehmen ermöglicht hätten 281 . In einer Presseerklärung vom 20.07.2001 kündigte die Deutsche Börse AG daher an, zum 01. 10.2001 das RNM dahingehend ändern zu wollen, dass Unternehmen mit zu niedrigem Börsenkurs und zu niedriger Marktkapitalisierung aus dem Neuen Markt ausgeschlossen werden konnten. Die Einfügung dieser sog. Penny-StockRegelung sowie des Beendigungsgrundes Insolvenz in das RNM wurde daraufhin am 13.09.2001 vom Vorstand der Deutsche Börse AG beschlossen. Die Regelwerksänderungen wurden den Emittenten durch die Deutsche Börse AG in einem Schreiben vom 21. 09. 2001 bekannt gegeben und traten am 01. 10.2001 in Kraft. Seit dem war die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt nicht mehr in der die Sanktionen bei Pflichtverstößen betreffenden Ziff. 2.1.4 des Abschnitts 11 des RNM, sondern in der dafür neu geschaffenen Ziff. 2.1.5 des Abschnitts 11 des 281 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001,1793.

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RNM geregelt. Wenig verwunderlich regte sich gegen diese Neuerung bald Widerstand von Seiten der Emittenten am Neuen Markt. Zahlreiche Unternehmen, denen die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt gemäß der neuen Penny-StockRegelung bevorstand oder wenigstens drohte, haben sich gegen diese gerichtlich zur Wehr gesetzt. Es kam zu einer wahren Flut von Anträgen auf Erlass von einstweiligen Verfügungen beim LG Frankfurt/M., welche darauf gerichtet sein sollten, dass die Deutsche Börse AG diese Änderung des RNM vorerst nicht (auf den jeweiligen Antragsteller) anwendet282 • Auf die Berufung einiger erstinstanzlich unterlegener Antragsteller hin hat das zuständige OLG Frankfurt/M. der Deutsche Börse AG die Anwendung der Penny-Stock-Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagt, weil diese nicht zur einseitigen Änderung des RNM befugt gewesen sei 283 . Daraufhin hat die Deutsche Börse AG die Anwendung bzw. den Vollzug der Regelung Abschnitt II, Ziff. 2.1.5 Abs. 2 Nr. 2 RNM gegenüber allen Unternehmen am Neuen Markt bis auf weiteres ausgesetzt284 . Die Aussetzung der Regelung wurde auch später nicht mehr rückgängig gemacht, da sich das Problem mit der Neusegmentierung an der FWB nach Inkrafttreten des Vierten FMFG und des damit verbundenen Endes des Neuen Markts praktisch erledigt hatte. c) Die Anwendbarkeit von nachträglich durch die Deutsche Börse AG

in das RNM eingefügten Zulassungsbeendigungsgründen

Die Deutsche Börse AG hatte das RNM seit Bestehen des Neuen Marktes mehrere Male geändert. Jedoch war erst die nachträgliche Einfügung der Penny-Stockund der Insolvenzregel als (weitere) Gründe für die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt auf Widerstand von Seiten der Emittenten gestoßen. In dieser Kontroverse tauchte das Problem auf, ob Vorschriften, die erst nach Abschluss des Zulassungsvertrages zwischen der Deutsche Börse und dem jeweiligen Emittenten in das RNM aufgenommen worden waren, überhaupt auf diesen Emittenten angewendet werden konnten. Da Gegenstand der vorliegenden Untersuchung das Delisting ist, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen in erster Linie konkret auf die Frage der Anwendbarkeit der nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe. Sie wäre zu bejahen gewesen, wenn man für die Deutsche Börse AG eine Befugnis zur einseitigen Änderung des RNM hätte herleiten können. Dann wäre es durch die Deutsche Börse AG abänderbar gewesen und jede nachträgliche Regelwerksänderung wäre jedem Emittenten gegenüber ohne weiteres grundsätzlich anwendbar gewesen. Auf eine solche einseitige Änderungsbefugnis wäre es 282 Siehe dazu die Übersicht auf der Homepage des LG Frankfurt/M., abrutbar unter: www.landgericht.frankfurt-main.de/PrZk.htm (Stand der letzten Abfrage: 29. 06. 2(02). 283 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 ff.; umfassend dazu unten § 9 Ir. 2. c. 284 Vgl. Rundschreiben der Deutsche Börse AG vom 25.04.2002, abrufbar unter: http: /I wwwl.deutsche-boerse.com/INTERNET / EXCHANGE / zpd.nsf / Web+Publikationen / HAMN-591LZ9/$FILE/2002_03_Beend. pdf?OpenElement (Stand der letzten Abfrage: 29.06.2(02), vgl. auch NZG 2002, Heft 9, VII.

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jedoch für die Anwendbarkeit der nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe nicht angekommen, wenn die Deutsche Börse AG schon aus anderen Gründen zur Beendigung der Zulassung nach der Penny-Stock- und der Insolvenzregelung berechtigt gewesen wäre. aa) Anwendbarkeit ohne Änderungsbefugnis Selbst wenn die Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des RNM nicht befugt gewesen sein sollte, kam die Anwendbarkeit der nachträglich eingefügten Ausschlussklauseln in Betracht, wenn diese Ausformungen gesetzlicher Kündigungsgründe darstellten und die Deutsche Börse AG unter den darin enthaltenen Voraussetzungen schon nach dem Schuldrecht des BGB zur Kündigung der Vertragsbeziehungen mit den Emittenten berechtigt gewesen wäre 285 • In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, welchem Vertragstyp der Vertrag zwischen der Deutsche Börse AG und dem jeweiligen Emittenten über die Zulassung zum Neuen Markt zuzuordnen war. Dabei handelte es sich um einen privatrechtlichen Vertrag, dessen Gegenstände die Zulassung des Emittenten zum Börsenhandel und dessen Teilnahme an der Börse als Dauerveranstaltung waren. Er konnte daher als Dauerschuldverhältnis eigener Art qualifiziert werden 286 . Der Zulassungsvertrag enthielt sowohl mietvertragliche als auch dienstvertragliche Elemente, d. h. Bestandteile verschiedener Vertragstypen. Er ließ sich also nicht eindeutig einem der im BGB geregelten Vertragstypen zuordnen und stellte daher einen gemischten Vertrag dar. Innerhalb der gemischten Verträge war er den sog. Kombinationsverträgen, bei denen eine Partei mehrere, verschiedenen Vertragstypen entsprechende, Hauptleistungen schuldet287 , zuzuordnen, denn die Deutsche Börse AG hatte sowohl dienst- als auch mietvertragliche Pflichten zu erfüllen. Das auf gemischte Verträge anwendbare Recht richtet sich nach demjenigen Vertragstyp, dessen Leistungselemente überwiegen 288 • Für den Zulassungsvertrag war daher das Recht des Vertragstyps heranzuziehen, der den rechtlichen oder wirtschaftlichen Schwerpunkt bildete. Zwar enthielt der Zulassungsvertrag einige mietvertragliche Elemente, wie z. B. die Benutzung von Dienstleistungseinrichtungen, also etwa Einrichtungen für den Datentransfer und Datenaustausch im elektronischen Handelsverkehr289 . So auch OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (805). So auch OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803. 287 Emmerich in: Münchener Kornrnentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 311 Rn 45; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Überbl. v. § 311 Rn 21; Stadler in: Jauemig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 311 Rn 30. 288 Emmerich in: Münchener Kornrnentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 311 Rn 46; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Überbl. v. § 311 Rn 26; Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Rege\werk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788) jeweils m. w. N. 289 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1789). 285

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Allerdings lag das Gewicht viel stärker auf den dienstvertraglichen Elementen290 , denn es musste die Einhaltung der Zulassungs- und Handelsbedingungen als Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Durchführung des Handels an der Börse geprüft und überwacht werden. Des Weiteren mussten die Aktien notiert und als handelbar ausgewiesen, die Voraussetzungen für Kursfeststellung und Zusammenführung der Angebote zu Vertragsabschlüssen geschaffen und die Kurse publiziert werden. Schließlich mussten die Einrichtungen für den Datentransfer und -austausch im elektronischen Handelsverkehr291 geschaffen und unterhalten werden 292 . Grundsätzlich war daher auf den Zulassungsvertrag das Dienstvertragsrecht anzuwenden. Zu untersuchen ist nun, unter welchen Voraussetzungen der Zulassungsvertrag von der Deutsche Börse AG gekündigt werden konnte. Bekanntlich ist insofern zwischen dem Recht zur ordentlichen und dem zur außerordentlichen Kündigung zu unterscheiden. Hätte der Deutsche Börse AG ein Kündigungsrecht nach dem BGB zugestanden, so hätten die beiden nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) RNM lediglich der Transparenz gedient, weil sie festgelegt hätten, wann die Deutsche Börse vom Recht zur ordentlichen Kündigung Gebrauch gemacht bzw. unter welchen Voraussetzungen sie ein Recht zur außerordentlichen Kündigung gehabt hätte. ( 1) Recht zur ordentlichen Kündigung

Möglicherweise war die Deutsche Börse AG zur ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages berechtigt. Da sich das auf gemischte Verträge anwendbare Recht nach demjenigen Vertragstyp, dessen Leistungselemente überwiegen, richtet und beim Vertrag über die Zulassung zum Neuen Markt die dienstvertraglichen Elemente dominierten293 , richtete sich das Recht zur ordentlichen Kündigung nach dem in den §§ 611 ff. BGB geregelten Dienstvertragsrecht. Da der Zulassungsvertrag ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis darstellt, konnte es gemäß § 620 11 BGB nach Maßgabe der §§ 621 bis 623 BGB gekündigt werden. Da es sich weiterhin um ein Dienstverhältnis handelte, das kein Arbeitsverhältnis war, war nicht § 622 BGB, sondern § 621 BGB einschlägig. Bevor jedoch auf die Bestimmung einer angemessenen Kündigungsfrist eingegangen werden kann, ist noch zu klären, ob der Deutsche Börse AG ein sol290 291

gen".

OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803. Auch das BörsG spricht in § 2a I von "börsenbezogenen Dienstleistungseinrichtun-

292 Vgl. Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1789). 293 Die Annahme eines dienstvertraglichen Charakters des Zulassungsvertrages dürfte h. M. gewesen sein, vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn 17.587; Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von AusschlussgTÜnden in das RegeJwerk Neuer Markt, WM 2001,1785 (1789) m. w. N.

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ches dienstvertragliches Recht zur ordentlichen Kündigung überhaupt zustand. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn es entweder durch andere gesetzliche, v. a. kartellrechtliche, Vorschriften beschränkt oder bereits vertraglich ausgeschlossen war. (a) Beschränkung durch kartellrechtliche Vorschriften Es wurde bereits erläutert294 , dass für die Deutsche Börse AG als Träger des Handelssegmentes Neuer Markt auch die kartellrechtlichen Vorschriften des GWB galten. In Betracht kommt daher, dass diese das in Frage stehende Recht der Deutsche Börse AG zur ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages beschränkten. Hätte nämlich im Anschluss an eine ordentliche Kündigung sogleich ein Kontrahierungszwang eingegriffen, so wäre eine solche von vornherein nur in dem Umfang zulässig gewesen, in dem ein Kontrahierungszwang nicht bestand295 . Insoweit nämlich ein Kontrahierungszwang existiert, stellt die Kündigung eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses eine unbillige Behinderung i. S. § 20 I GWB dar und ist daher selbst unwirksam 296 . Es ist also im Folgenden zu untersuchen, ob der nach §§ 19 IV Nr. I, 20 I GWB grundsätzlich existierende Kontrahierungszwang 297 gleichermaßen in Bezug auf solche Unternehmen bestand, die die Voraussetzungen von Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 oder 2 RNM erfüllten. Sollte dies der Fall gewesen sein, so wäre eine ordentliche Kündigung des Zulassungsvertrages mit diesen Unternehmen durch die Deutsche Börse AG nicht zulässig gewesen. Ob ein Kontrahierungszwang, der zur Folge gehabt hätte, dass eine ordentliche Kündigung eine unbillige Behinderung gewesen wäre, tatsächlich bestanden hätte, ist wiederum anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen298 . Es standen sich hier das Interesse eines die Kriterien des Abschnitts 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 oder 2 RNM erfüllenden Unternehmens an der Zulassung zum Neuen Markt und das Interesse der Deutsche Börse AG an der Nicht-Zulassung eines solchen Unternehmens gegenüber. Bei Unternehmen mit einem Börsenwert von unter 1 Euro pro Aktie deckt die börsenmäßige Bewertung nicht mehr das ursprünglich vorhandene Grundkapital, denn gemäß § 8 11 I, III 3 AktG beträgt der Mindestausgabebetrag für Aktien 1 Euro 299 . Bei solchen Unternehmen bestand daher kein Vertrauen in ein überdurch294

Siehe § 9 I. 2. a) aa).

Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1789). 296 BGHZ 107, 273 (279) m. w. N.; BGH, WM 1995, 1636 (1640). 297 Siehe § 9 I. 2. a) bb). 298 Bechtold, Kartellgesetz, § 20 Rn 38. 299 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1790). 295

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schnittliches Umsatz- und Gewinnwachstum gemäß Abschnitt I, Ziff. 1 RNM3OO • Gleiches dürfte für Unternehmen gegolten haben, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder bei denen die Eröffnung mangels Masse abgelehnt worden war. Das Zulassungsinteresse eines Unternehmens, welches die Kriterien der Penny-Stock- oder der Insolvenzrege1ung erfüllte, war rechtlich also weit weniger schutzwürdig als das Interesse eines Unternehmens, auf welches das nicht zutraf. Auf der anderen Seite stand das Interesse der Deutsche Börse AG, solche Unternehmen nicht zum Neuen Markt zuzulassen. Die Zulassung solcher Unternehmen hätte die Funktionsfähigkeit des Neuen Markts in ganz erheblicher Weise beeinträchtigt, denn das Vertrauen der Anleger in dieses Marktsegment wäre untergraben worden. Dadurch hätte der Neue Markt nicht nur für die Anleger an Attraktivität an Attraktivität verloren, sondern gleichfalls für die Emittenten, die bereits dort zugelassen waren oder die Zulassung ins Auge gefasst hatten. Im Unterschied zur oben behandelten Konstellation der Zulassung eines "normalen", d. h. wirtschaftlich gesunden Unternehmens mit ausreichender Marktkapitalisierung, ergab sich hier also ein gesteigertes Interesse der Deutsche Börse AG, ein solches Unternehmen nicht zum Neuen Markt zuzulassen. Damit überwog das Interesse der Deutsche Börse AG, ein Unternehmen, das die Kriterien des Abschnitts 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. I oder 2 RNM erfüllte, nicht zum Neuen Markt zuzulassen. Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Interessenabwägung hier zugunsten der Deutsche Börse AG ausfiel. Ein Unternehmen, welches die Kriterien von Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 oder 2 RNM erfüllte, hatte keinen Anspruch auf Zulassung zum Neuen Markt, da insoweit kein Kontrahierungszwang bestand. Demzufolge war eine ordentliche Kündigung des Zulassungsvertrages durch die Deutsche Börse AG keine unbillige Behinderung im Sinne der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften 30I . Damit war ein ggf. bestehendes Recht zur ordentlichen Kündigung nicht durch kartellrechtliche Vorschriften eingeschränkt. (b) Vertraglicher Ausschluss Nachdem festgestellt ist, dass ein ordentliches Kündigungsrecht der Deutsche Börse AG nicht durch andere gesetzliche Vorschriften (des Wettbewerbsrechts) beschränkt war, ist nunmehr zu prüfen, ob es gegebenenfalls durch Parteivereinbarung im Zulassungsvertrag selbst ausgeschlossen war302 . '100 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1790). 301 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1790). 302 Dies übersieht Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788 f.), der die (beiderseitige) Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrags mit einer Frist von 6 Wochen für den Schluss eines Kalendervierteljahres gemäß § 621 Nr. 4 BGB bejaht.

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Das Recht zur ordentlichen Kündigung von freien Dienstverträgen kann vertraglich ausgeschlossen werden, denn der dafür als Ansatzpunkt dienende § 621 BGB ist abdingbar, d. h. die Kündigungsfristen unterliegen uneingeschränkt der Parteidisposition 30 3 . Es ist daher zulässig, dass die Parteien des Dienstvertrages besondere Gründe vereinbaren, aus denen die Kündigung ausschließlich erfolgen darf, jedenfalls soweit dadurch nicht das zwingende Recht zur außerordentlichen Kündigung beeinträchtigt wird304 . Fraglich ist nun, ob der Vertrag über die Zulassung zum Neuen Markt einen solchen Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung aufgrund der Vereinbarung abschließender Zulassungsbeendigungsgründe beinhaltete. Gründe für die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt waren bereits von Anfang an, d. h. schon lange vor der durch die Einfügung der Insolvenz- und der Penny-StockRegelung herbeigeführten Änderung im RNM enthalten. Die Emittenten konnten daher bei Abschluss des Zulassungsvertrages darauf vertrauen, dass sie nur unter den im Regelwerk präzise angegebenen Voraussetzungen von der weiteren Teilnahme am Neuen Markt ausgeschlossen werden können305 . Ganz besonders deutlich wurde diese Erwartung vor dem Hintergrund des erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwandes, den die Zulassung zum Neuen Markt erforderte. Zudem war der Deutsche Börse AG diese Erwartung der Emittenten, dass der Zulassungsvertrag nicht ohne konkreten Anlass gekündigt werden durfte, bei Vertragsschluss erkennbar. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Emittenten anlässlich der Zulassung ihrer Aktien zum Neuen Markt mit der Deutsche Börse AG konkludent vereinbart hatten, dass die ordentliche Kündigung des dabei zustande gekommenen Dauerschuldverhältnisses von Seiten der Deutsche Börse AG aus anderen als den bereits im RNM normierten Gründen ausgeschlossen sein sollte306 . Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass das Recht der Deutschen Börse AG zur ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages mit einem am Neuen Markt notierten Unternehmen zwar nicht durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften ausgeschlossen war. Jedoch hatten die Parteien des Zulassungs vertrages ein solches Recht bei Vertragsschluss konkludent ausgeschlossen 307 . Die Frage nach einer angemessenen Kündigungsfrist stellt sich daher nicht mehr, denn keine - auch keine lange - Frist konnte den konkludent vereinbarten Ausschluss einer ordentlichen Kündigung beseitigen308 . 303 BGH, NJW 1964, 350; 1986, 981 (982); Hesse in: Münchener Kornrnentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 621 Rn 6; Mansei in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 621 Rn 1; Preis in: Staudinger (2002), Bürgerliches Gesetzbuch, § 621 Rn 12; Putzo in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 621 Rn 2. 304 Hesse in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 621 Rn 6, 29. 305 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (805). 306 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002, 803 (805), im Ergebnis ebenso: Rieske, Der Rückzug von der Börse, 163 f. 307 Dies verkennt Wolf, Der Ausschluss vorn Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788 f.).

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(2) Recht zur außerordentlichen Kündigung Die beiden nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) RNM wären ohne einseitige Änderungsbefugnis der Deutsche Börse AG dennoch anwendbar gewesen, wenn der Deutsche Börse AG unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zugestanden hätte. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages richtete sich entweder nach § 626 BGB oder nach § 314 BGB. Bejahte man die Anwendbarkeit des für Dienstverträge geltenden § 626 BGB auf den Zulassungsvertrag aus den oben genannten Gründen, so verdrängte dieser als lex specialis den § 314 BGB 309 • Verneinte man dagegen die Anwendbarkeit des § 626 BGB, weil es sich beim Zulassungsvertrag nicht um einen echten Dienstvertrag, sondern um einen Vertrag sui generis handelte, so gelangte man zur Anwendung des durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eingefügten § 314 BGB. In dieser Vorschrift wurde das von Rechtsprechung und Lehre für Dauerschuldverhältnisse entwickelte Kündigungsrecht aus wichtigem Grund auf eine gesetzliche Grundlage gestellt31O • Letztlich kann jedoch eine Entscheidung zwischen beiden Vorschriften dahinstehen, da sie beide die gleichen Anforderungen an das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsrechtes stellen. Beide setzen einen wichtigen Grund voraus, der dann gegeben ist, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, vgl. §§ 314 I 1, 2; 626 I BGB. Zu untersuchen ist daher, ob die in Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) RNM geregelten Zulassungsbeendigungsgründe jeweils einen solchen wichtigen Grund enthielten. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Emittenten bzw. die Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse stellten einen solchen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, denn die erforderliche Abwägung der Interessen beider Vertragsteile, bei der die Besonderheit bestand, dass in ihrem Rahmen die Interessen Dritter, d. h. die der tatsächlichen oder potenziellen Anleger, ebenfalls zu berücksichtigen waren 311 , fiel zugunsten der Deutsche Börse AG aus. Die Belange, die sich gegenüber standen, OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (805). Gaier in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 314 Rn 9; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 314 Rn 4; Stadler in: Jauemig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 314 Rn 2, vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks. 14/6040,177. 310 Gaier in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 314 Rn 1; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 314 Rn 1; Stadler in: Jauemig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 314 Rn 1. 31\ OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (806). 308 309

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

waren auf der Seite der insolventen Unternehmen das Interesse am effektiven Zugang zum Kapitalmarkt über den Neuen Markt und auf der Seite der Deutsche Börse AG das Interesse an der Schaffung und Aufrechterhaltung eines renommierten Marktes für Wachstumsunternehmen312 . Im Rahmen der Bewertung der Unternehmensinteressen ist zu berücksichtigen, dass diese im Falle der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt weiterhin im geregelten Markt zugelassen gewesen wären und daher den für eine Vermeidung einer Totalabwicklung erforderlichen Zugang zum Kapitalmarkt nicht verloren hätten. Auf der anderen Seite wog das Interesse von Seiten der Deutsche Börse AG, solche Unternehmen von diesem Segment auszuschließen, sehr schwer. Denn Anleger, die Aktien solcher Gesellschaften erworben hätten, hätten ihre Investition mit hoher Wahrscheinlichkeit verloren, da verteilungsfähiges Vermögen nach Berichtigung der Verbindlichkeiten, vgl. § 271 AktG, nicht mehr vorhanden gewesen wäre 313 . Waren solche Aktien weiterhin am Neuen Markt gehandelt worden, so hätte die Gefahr entstehen können, dass dieses Marktsegment an Ansehen verliert. Deshalb und aufgrund des damit einhergehenden Vertrauensschwunds von Seiten der Anleger stand durchaus zu befürchten, dass bereits am Neuen Markt notierte Unternehmen dieses Segment verlassen und neue Wachstumsunternehmen nicht mehr ihre Zulassung anstreben würden 314• Hinzu kommt, dass das Recht zur ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages durch die Deutsche Börse AG vertraglich ausgeschlossen wurde 315 . Daher konnte sie nicht auf diese Möglichkeit und das damit verbundene Warten auf den Ablauf einer Kündigungsfrist verwiesen werden. Da die Interessenabwägung also zugunsten der Deutsche Börse AG ausfiel, war es ihr nicht zumutbar, die Zulassung von Aktien solcher Unternehmen am Neuen Markt weiterhin aufrecht zu erhalten. Unter den in der Insolvenzregelung genannten Umständen stand der Deutsche Börse AG daher ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages ZU 316 . Außerdem dürfte der Ausschluss eines insolventen Unternehmens dem Schutz des Publikums gedient haben und hätte daher sogar auf Abschnitt 11, Ziff. 2.1.5 (11) Nr. 1 RNM gestützt werden können 317 . 312 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788). 313 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788). 314 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788). 315 Siehe § 9 II. 2. c) aa) (1) (b). 316 So auch Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788); vereinzelt wird die Möglichkeit des Ausschlusses insolventer Unternehmen auch unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht, vgl. Römermannl Sehröder, Der Ausschluss so genannter ,,Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001, 83 (86). 317 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001,1785 (1786).

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Hingegen war fraglich, ob der Deutsche Börse AG die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit den Emittenten unter den in der Penny-Stock-Regelung enthaltenen Voraussetzungen ebenfalls nicht mehr zuzumuten war. Zwar mag durchaus ein Interesse der Deutsche Börse AG an der Schaffung und Erhaltung eines renommierten Marktes für innovative Wachstumsunternehmen 318 , an seiner Anpassung an die Entwicklung anderer Kapitalmärkte sowie an der Verbesserung des Anlegerschutzes bestanden haben. Allerdings dürften diese Ziele kaum durch den Umstand, dass ein bestimmtes Unternehmen am Neuen einen niedrigen Börsenkurs und eine geringe Marktkapitalisierung aufweist, beeinträchtigt worden sein. Dass dieser Umstand andere Unternehmen zum Verlassen des Neuen Marktes veranlassen bzw. von der Beantragung der Zulassung zu diesem Marktsegment abhalten konnte, ist nicht ersichtlich. Derartige Tendenzen dürften vielmehr mit der damals vorherrschenden gesamtwirtschaftlichen Lage und dem ungünstigen Börsenumfeld zu erklären gewesen sein 319 . Daher dürfte insofern das entgegenstehende Interesse der Emittenten an einem effektiven Zugang zum Kapitalmarkt überwogen haben. Im Übrigen ist nicht erkennbar, warum gerade die Einhaltung der in der PennyStock-Regelung enthaltenen Schwellenwerte diese Ziele gewährleisten sollte. Zum einen galt dies, wenngleich nur eingeschränkt, bereits für den Mindestkurswert. Zwar hätte die Unterschreitung des Kurswerts von I Euro eine Unterkapitalisierung indiziert, da der Mindestausgabebetrag von Aktien gemäß § 8 11 1,1113 AktG 1 Euro beträgt. Allerdings konnten am Neuen Markt auch ausländische Unternehmen zugelassen werden, die daher trotz eines Kurswerts ihrer Aktien von unter 1 Euro nicht zwangsläufig unterkapitalisiert waren. Zum anderen galt der Willkürvorwurf erst recht für das Erfordernis der Marktkapitalisierung320, denn ihre Höhe spielte selbst für die Zulassung zum Neuen Markt keine Rolle321 . Ein Unternehmen, welches gerade erst zugelassen worden war, konnte also nach einem vorübergehenden Absinken des Börsenkurses unter 1 Euro schon wieder die Voraussetzungen für einen Ausschluss erfüllen, obwohl die Marktkapitalisierung von Anfang an unter 20 Mio. Euro gelegen hatte 322 • Damit fiel die Abwägung der Interessen zugunsten der von der Penny-Stock-Regelung betroffenen Emittenten aus. Der Deutsche Börse AG war folglich die Fortsetzung des Zulassungs vertrages mit Emittenten, die die Schwellenwerte der Penny-Stock-Regelung überschritten hatten, nicht schlechthin unzumutbar. Ihr stand daher unter den in der Penny-Stock-Regelung enthaltenen Voraussetzungen kein außerordentliches Kündigungsrecht ZU 323 . 318 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Rege1werk Neuer Markt, WM 2001,1785 (1788). 319 Dies zieht jedenfalls OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (806) in Betracht. 320 So auch Pluskat, Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 23.04.2002 - 5 U 278/01, WuB I G 7.-7.02 (860). 321 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (806). 322 OLG Frankfurt / M., ZIP 2002, 803 (806). 323 So auch Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1788).

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Als weiters Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass unter den in der Insolvenzregelung enthaltenen Voraussetzungen ein Recht der Deutsche Börse AG zur außerordentlichen Kündigung bestand. Unabhängig von einer einseitigen Befugnis der Deutsche Börse AG zur Änderung des RNM war diese nachträglich eingefügte Regelung daher auf alle Emittenten am Neuen Markt anwendbar. Aus den eben genannten Gründen galt dies jedoch nicht für die Penny-Stock-Regelung. Diese war daher nur anwendbar, falls eine Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des RNM bestand. bb) Anwendbarkeit aufgrund einer einseitigen Änderungsbefugnis Gemäß § 57 I BörsG (§ 78 I BörsG a.E) kann die Börse für Wertpapiere, die weder zum amtlichen Handel noch zum geregelten Markt zugelassen sind, einen Freiverkehr zulassen, wenn durch Handelsrichtlinien eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. Die von dieser Vorschrift gedeckte Schaffung des Neuen Marktes an der FWB wurde in § 90 I I BörsO FWB (§ 66a I I BörsO FWB a. E) geregelt. Diese Vorschriften stellten eine Ermächtigung für die FWB dar, Handelsrichtlinien für den Neuen Markt zu erlassen. Von dieser hatte sie auch Gebrauch gemacht, indem sie das RNM schuf. Das Vorgehen der Deutsche Börse AG, das RNM einseitig zu ändern, war rechtlich überaus problematisch und seine Zulässigkeit blieb weitgehend ungeklärt. Zwar wurde das auf Seiten des Börsenträgers bestehende große praktische Bedürfnis nach einer solchen Möglichkeit von allen Seiten anerkannt, denn zur Gewährleistung der reibungslosen Organisation des Neuen Markts bedurfte es eines rechtlichen Rahmens, der einerseits den Interessen der Emittenten und Anleger Rechnung tragen musste, der andererseits dennoch hinreichend flexibel sein musste, um auf das sich ständig wandelnde Marktgeschehen und die rasanten Entwicklungen des globalen Kapitalmarkts angemessen reagieren zu können 324 . Allerdings waren die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen Regelwerke deutscher Börsen geändert werden konnten, bei weitem noch nicht geklärt. Praktische Relevanz erlangte diese Frage bisher zwar nur im Zusammenhang mit der Änderung des RNM durch die nachträgliche Einfügung von Gründen für die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt. Gleichwohl gelten die nachfolgenden Ausführungen generell, d. h. für jegliche Änderungen des RNM, unabhängig davon, auf welchen Regelungsgegenstand sie sich bezogen haben mögen.

Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob sich eine Befugnis der Deutschen Börse AG zur einseitigen Änderung des RNM begründen ließ. Dazu ist zunächst die Rechtsnatur des Regelwerks zu bestimmen, weil sich daraus wichtige Konsequenzen ergeben. So werden damit die Weichen für die einschlägigen 324 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (103).

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Rechtsgrundlagen (öffentliches Recht oder Privatrecht) gestellt sowie die Prüfungsmaßstäbe und etwaige Begrenzungen der Änderungsbefugnis festgelegt 325 . ( 1) Rechtsnatur des RNM

Im Rahmen der Untersuchung der Rechtsnatur des RNM ist zunächst zu fragen, ob sich das RNM als öffentliches Recht qualifizieren ließ. Sollte dies nicht der Fall sein, so muss im Anschluss geprüft werden, ob es sich einer der Kategorien des Privatrechts zuordnen ließ. (a) Öffentliches Recht Möglicherweise ließ sich das RNM in den Rechtsquellenkanon des öffentlichen Rechts einordnen. Ware dies der Fall gewesen, so wäre das RNM hoheitliches Recht und daher einseitigabänderbar gewesen. Zwar wurde das RNM, ebenso wie gemäß § 8911 I BörsO FWB (§ 6611 I BörsO FWB a. F.) die RF FWB, nach § 90 11 I BörsO FWB (§ 66a 11 I BörsO FWB a. F.) nicht von der FWB als unselbständiger Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern von deren privatrechtlichem Träger, der Deutsche Börse AG, erlassen. Damit schied eine Qualifizierung des RNM als öffentliches Recht aber noch nicht zwangsläufig aus, denn auch Rechtssubjekte des Privatrechts können hoheitlich handeln, wie das Institut der Beleihung beweist. (aa) Rechtsverordnung Zunächst dürfte jedoch klar sein, dass eine Qualifizierung des RNM als Rechtsverordnung nicht ernsthaft in Betracht kam. Dies ergab sich zwingend bereits aus den bei den folgenden Gründen. Der eine war, dass es an einer den Anforderungen des Grundgesetzes genügenden Unterermächtigung der Deutsche Börse AG zum Erlass einer Rechtsverordnung fehlte. In Art. 80 I I GG werden die Bundesregierung, ein Bundesminister oder eine Landesregierung als Adressaten einer auf einem Gesetz beruhenden Ermächtigung zum Verordnungserlass abschließend aufgezählt326 . Da die Deutsche Börse AG nicht zu diesen Adressaten gehört, konnte ihre Ermächtigung nicht direkt aus § 57 I BörsG herausgelesen werden. Es kam daher nur eine Unterermächtigung eines Privaten zum Erlass einer Rechtsverordnung in Betracht327 . Eine solche hätte jedoch, unabhängig davon, ob sie wegen der Übertragung von Rechtssetzungsmacht auf außerhalb der staatlichen Verwaltung stehende Stellen überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre 328 , gemäß Art. 80 I 325 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (113). 326 Rubel in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 80 Rn 36. 327 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1794).

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4 GG in jedem Fall in Fonn einer Rechtsverordnung erfolgen müssen. Dies war jedoch nicht geschehen. Der andere Grund war, dass die Deutsche Börse AG beim Erlass des RNM nicht als Beliehener tätig wurde und auch nicht tätig werden konnte. Zwar hat sie als Trägerin der FWB den Status eines beliehenen Unternehmers 329 . Allerdings umfasst der Aufgabenkreis dieser Beleihung lediglich die Sicherstellung des Betriebs und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Börse durch Bereitstellung finanzieller, personeller und sachlicher Mittel. Der Erlass der Handelsrichtlinien für den Neuen Markt lag jedoch außerhalb dieses Aufgabenkreises 33o . Schließlich hat der Erlass des RNM durch die Deutsche Börse AG als Institution des Privatrechts eine Qualifizierung des Regelwerks als Rechtsverordnung verboten. Damit bleibt festzuhalten, dass eine Einordnung des RNM als Rechtsverordnung ausschied. (bb) Satzung Ebenso wenig wie eine Qualifizierung als Rechtsverordnung kam eine Qualifizierung des RNM als Satzung in Frage. Satzungen sind nach herkömmlicher Definition Rechtsnonnen, die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zur Regelung ihrer Angelegenheiten erlassen werden 33 !. Auf das RNM traf dies jedoch nicht zu, denn es wurde von der Deutsche Börse AG erlassen. Diese ist als Aktiengesellschaft eine juristische Person des Privatrechts und keine des öffentlichen Rechts. Die öffentlich-rechtliche Nonnsetzung bleibt jedoch dem Staat und autonomen juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten 332 . Der die Satzungsgewalt legitimierende Gedanke der Selbstverwaltung juristischer Personen des öffentlichen Rechts trifft zwar auf die FWB als Anstalt des öffentlichen Rechts zu, nicht jedoch auf die privatrechtlich verfasste Deutsche Börse AG 333 . An dieser Einschätzung ändert selbst der Deutsche Börse AG zugeschriebene Status als beliehener Unternehmer nichts, denn auch mit diesem sind keine Befugnisse zur 328 Dies wird sogar überwiegend abgelehnt: Brenner in: von Mangoldt 1 Klein 1 Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 80 Rn 55 m. w. N.; Rubel in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 80 Rn 45. 329 Beck, Die Refonn des Börsenrechts im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, Teil I, BKR 2002, 662 (664); Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn 17.152 m. w. N; vgl. auch die Regierungsbegründung zum 4. FMFG, BTDrucks. 14/8017,72. 330 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (113). 331 BVerfGE 10,20 (49 f.); 33, 125 (156); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn 14.; Ossenbühl in: Erichsen 1Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn 60. m Segna, Die Rechtsfonn deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 1999, 144 (150) m. w. N. 333 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1794); Segna, Die Rechtsfonn deutscher Wertpapierbörsen, ZBB 1999, 144 (150) jeweils m. w. N.

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Setzung von öffentlichem Recht verbunden 334 . Selbst wenn man beliehenen Unternehmen die Satzungsgewalt zuspräche, wäre der Erlass des RNM davon nicht erfasst gewesen, denn insoweit hätte die Deutsche Börse AG den Aufgabenkreis ihrer Beleihung überschritten335 . Im Übrigen wäre, wenn man das RNM als Satzung eingeordnet hätte, eine Beschränkung der Zulassung auf innovative Wachstumsunternehmen nicht möglich gewesen. Als Satzung hätte das RNM nicht beliebige Zulassungsvoraussetzungen aufstellen können, sondern hätte sich an die gesetzlichen Vorgaben des Börsengesetzes halten und die Grundrechte der Emittenten, vornehmlich Art. 12 I, 2 I GG beachten müssen 336 . Dass es angesichts der der Deutsche Börse AG zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Aufgabe der ordnungsgemäßen Durchführung des Handels an der Börse nahe gelegen hätte, dass der Gesetzgeber im BörsG eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung von Handelsrichtlinien in Form einer Satzung schaffe37 , mag zwar zutreffen. Ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Übertragung einer öffentlichrechtlichen Normsetzungsbefugnis auf Private nicht zulässig wäre, ist dies jedoch weder dem Wortlaut noch dem Sinn der §§ 57 I BörsG, 90 BörsO FWB (§§ 78 I BörsG a. E, 66a BörsO FWB a. E) zu entnehmen338 . Schon gar nicht kann man die Handelsrichtlinien in einen öffentlich-rechtlichen Teil (Satzung) betreffend die Zulassung und deren Widerruf sowie einen privatrechtlichen Teil (alle weiteren Regelungen) aufspalten 339 . Als weiteres Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass das RNM wegen der privatrechtlichen Organisation des Neuen Markts und seines Erlasses durch die Deutsche Börse AG als juristische Person des Privatrechts nicht als Satzung qualifiziert werden konnte340 . 334 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1794); Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rn 17.110. 335 Siehe § 9 II. 2. c) bb) (1) (a) (aa). 336 Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1787). 337 So aber: LG Frankfurt/M. Urteil vom 24.10.2001- 3-9 0137/01 (,'penny-Stock III" - teamwork information management AG), abrufbar unter: http://www.landgericht.frankfurtmain.de/ZS_UrteiUang(Penny_Stock_III).htm (Stand der letzten Abfrage: 20. 12.2004). 338 LG Frankfurt/M. Urteil vom 24. 10.2001 - 3-9 0 137/01 ("Penny-Stock III" - teamwork information management AG), abrufbar unter: http://www.landgerichtJrankfurtmain.de/ZS_UrteiUang(Penny_Stock_III). htm (Stand der letzten Abfrage: 20. 12.2004); Heyder, Die einseitige Abänderung des Rege1werks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807); Römemumn/Schröder, Der Ausschluss so genannter ,,Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001,83 (84). 339 LG Frankfurt/M. Urteil vom 24. 10.2001 - 3-90 137/01 (,,Penny-Stock III" - teamwork information management AG). 340 So auch: Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1794); Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1786, 1787 f.).

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(cc) Gewohnheitsrecht bzw. Verkehrssitte Schließlich handelte es sich beim RNM nicht um Gewohnheitsrecht341 . Gewohnheitsrecht entsteht durch längere und gleichmäßige Übung (consuetudo) und die Überzeugung der Beteiligten, dass diese Übung rechtlich geboten sei (opinio iuris)342. Beide Voraussetzungen lagen in Bezug auf das RNM nicht vor. Da das RNM erst seit der Eröffnung des Neuen Marktes am 10.03 1997 galt, vgl. Abschnitt V, Ziff. 3 RNM, stellten seine Regelungen keine lang anhaltende und gleichmäßige Übung dar. Dies galt umso mehr für die erst nachträglich eingeführten zusätzlichen Zulassungsbeendigungsgründe. Des Weiteren beruhten die Regelungen des RNM nicht auf einer allgemeinen Rechtsüberzeugung der Beteiligten, wie gerade der Streit um die Penny-Stock-Regelung bewiesen hat. Aus dem letztgenannten Grund entfiel ferner eine Qualifizierung des RNM als Verkehrssitte, die auch ohne Rücksicht auf eine dahinter stehende tatsächliche Übung Geltung beanspruchen könnte, denn jedenfalls bedurfte es hierfür ebenfalls einer unwidersprochenen Hinnahme der betreffenden Regelungen, an welcher es jedenfalls fehlte 343 . Demzufolge schied auch eine Einordnung als Handelsbrauch i.S.v. § 346 HGB aus 344 . Als Zwischenergebnis kann also festgehalten werden, dass §§ 57 I BörsG, 90 BörsO FWB (§§ 78 I BörsG a. E, 66 BörsO FWB a. E) die Deutsche Börse AG nicht zum Erlass von öffentlich-rechtlichen Normen ermächtigten345 . Damit steht fest, dass das RNM dem Privatrecht zuzuordnen war346 .

341 Bachmann, Rege1werk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (l794); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807). 342 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn 19; Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn 70, m. w. N. 343 Ausführlicher: Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenrege1n, WM 2001, 1793 (1796) m. w. N. 344 Hopt in: Baumbach / Hopt, Handelsgesetzbuch, § 346 HGB Rn 2. 345 So auch: Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807). 346 Allgemeine Ansicht: LG Frankfurt/M., WM 2001, 1607 (1609); Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (154); Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, l793 (1794); Bauer I Pleyer I Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (114); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807); Potthoffl Stuhlfauth, Der Neue Markt: Ein Handelssegment für innovative und wachstumsorientierte Unternehmen - kapitalmarktrechtliehe Überlegungen und Darstellung des Rege1werks, WM Sonderbeilage Nr. 3 zu Heft 26/1997,3 (8); Römennannl Schröder, Der Ausschluss so genannter "Penny-Stocks" vorn Neuen Markt, BKR 2001, 83 (84).

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(b) Privatrecht Mit der Feststellung, dass das RNM dem Privatrecht zuzuordnen war, ist allerdings noch nicht gesagt, dass seine Regelungen nicht als Rechtsnormen qualifiziert werden konnten. Hätten die Regelungen des RNM zu den sog. Rechtsnormen des Privatrechts gezählt, so hätte sich ebenfalls eine einseitige Änderungsbefugnis der Deutsche Börse AG herleiten lassen können. (aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen Innerhalb des Privatrechts wurde das RNM überwiegend in die Kategorie der AGB eingeordnee47 . Diese Ansicht wurde entweder gar nicht348 oder mit der - allerdings unzureichenden - Feststellung begründet, dass es von der Deutschen Börse AG einheitlich gegenüber allen Teilnehmern des Neuen Markts verwendet worden sei. Damit seien die Merkmale der Begriffsbestimmung in § 305 I I BGB (§ I I I AGB-Gesetz) erfüllt gewesen, welcher zufolge AGB alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen sind, die der Verwender der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt349 • Diese Ansicht dürfte u. a. darauf zurückzuführen gewesen sein, dass mit dieser Einordnung des RNM als AGB keine Folgeprobleme absehbar waren und so außerdem mit einem allgemein vertrauten Rechtsinstitut gearbeitet werden konnte 35o . Indessen bestanden an dieser Qualifizierung erhebliche Zweifel, denn die folgenden Gründe sprachen gegen sie. Zunächst einmal ist bereits fraglich, ob das RNM tatsächlich die Begriffsmerkmale von § 305 I I BGB (§ I I 1 AGB-Gesetz) erfüllte. Insofern ist mehr als zweifelhaft, ob die Regelungen des RNM den Emittenten am Neuen Markt tatsächlich "gestellt" wurden. Das RNM galt für den einzelnen Emittenten kraft der Anord347 LG Frankfurt/M., WM 2001, 1607 (1610); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807); Krämer, Zur Änderungsbefugnis von Marktorganisationsregeln. BKR 2001, 131 (133); Kück. Delisting. ZInsO 2001, 649 (650); PotthofflStuhlfauth, Der Neue Markt: Ein Handelssegment für innovative und wachstumsorientierte Unternehmen - kapitalmarktrechtliche Überlegungen und Darstellung des Regelwerks, WM Sonderbeilage Nr. 3 zu Heft 26/1997,3 (8); RömermannlSchröder, Der Ausschluss so genannter ,,Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001,83 (84); Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgrunden in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1786); a. A.: BauerlPleyerlHirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (1140; Pluskat, Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 29.01. 2002 - 5 U 189/01, WuB I G 7.2.02. (558); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 29. 348 Krämer, Zur Änderungsbefugnis von Marktorganisationsregeln, BKR 2001,131 (133); Kück, Delisting, ZInsO 2001, 649 (650); Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgrunden in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1786). 349 Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (807); Römermannl Schröder, Der Ausschluss so genannter ,,Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001,83 (84). 350 Bauer I Pleyer I Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (114).

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nung in § 57 I BörsG und nicht aufgrund des Willens des "Verwenders", der Deutsche Börse AG 351 . Verbindlichkeit erhielt das Regelwerk also nicht erst durch eine wie auch immer erfolgende Einbeziehung in die jeweilige Listingvereinbarung, sondern durch das Gesetz 352 . Wurden die Regelungen des RNM aber nicht aufgrund rechts geschäftlicher Grundlage Vertragsinhalt, so kann davon, dass die von der Deutsche Börse AG "gestellt" wurden, keine Rede sein353 , denn das "Stellen" ist ein Verhalten, das dem Verwender zurechenbar sein muss 354 . Darüber hinaus stand die Verwendung des RNM nicht zur Disposition der Deutsche Börse AG355 • Da das RNM den ordnungsgemäßen Handel gewährleisten sollte, konnte sie Listingverträge nicht unter vollständiger, teilweiser oder modifizierter Einbeziehung oder gar unter Nichteinbeziehung des RNM abschließen 356 . Es fehlte also sogar an einer vertraglichen Einbeziehung des RNM. Schließlich entsprach die Interessenkonstellation bei der Verwendung des RNM nicht der, die bei einer Verwendung von AGB typisch ise 57 • AGB kommen regelmäßig bei gegenläufigen Interessen des Verwenders und seines Vertragspartners zum Einsatz und dienen regelmäßig der Risikoabwälzung 358 . Die im RNM enthaltenen Vorschriften waren jedoch nicht nur im Interesse der Deutsche Börse AG, sondern ebenso im Interesse ihrer Vertragspartner geschaffen worden, denn die strengen Zulassungs- und Transparenzanforderungen dienten der Funktionsfahigkeit und dem Renommee des Neuen Markts insgesamt und damit den Interessen jedes einzelnen Emittenten. Sinn und Zweck des RNM war daher eine anderer als dies üblicherweise bei AGB der Fall ist359 . Aus a1ldem folgt, dass die Regelungen des RNM entgegen der weit verbreiteten Ansicht nicht als AGB eingestuft werden konnten 360 . 351 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (114). 352 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115). 353 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (114). 354 Wolf in: Wolf / Horn / Lindacher, AGB-Gesetz, § 1 Rn 27. 355 Bauer/Pleyer/Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (115,119). 356 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115); a. A. Bachmann, Rege1werk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001,1793 (1796). 357 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115, 119). 358 Basedow in: Münchener Kornrnentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Vor § 305 Rn 3; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Überbl. v. § 305 Rn 6. 359 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115). 360 Dieser zutreffenden Einschätzung von Bauer/Pleyer/Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (114 f.) ebenfalls folgend: Pluskat, Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 29.01. 2002 - 5 U 189/01, WuB I G 7. - 2.02 (558).

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Selbst wenn jedoch - entgegen der hier vertretenen Auffassung - die im RNM enthaltenen Regelungen als AGB anzusehen gewesen wären, so hätte selbst dies nicht zu einer einseitigen Änderungsbefugnis der Deutsche Börse AG geführt. Zwar kann eine solche Änderungsbefugnis, die nicht kraft Gesetzes existiert, vertraglich vereinbart werden, wie § 315 BGB zeigt. Dafür müsste aber eine Änderungsvorbehaltsklausel existiert haben, die erstens Inhalt des Zulassungsvertrags wurde und zweitens wirksam war. An beiden Voraussetzungen fehlte es aber, wie im folgenden auszuführen ist. Ansatzpunkte für das Vorliegen der ersten Voraussetzung, d. h. für das Vorliegen einer solchen Änderungsvorbehaltsklausel hätten zum einen bestimmte Vorschriften im RNM selbst, zum anderen die mit den Emittenten getroffenen Listingvereinbarungen sein können. Die einzige Vorschrift, die für eine im RNM enthaltene Änderungsbefugnis in Frage kam, ist Abschnitt I, Ziff. 2 RNM. Danach wurden Änderungen und Ergänzungen der in Ziffer 1 genannten Bedingungen durch Veröffentlichungen in einem überregionalen Börsenpflichtblatt oder auf elektronischem Wege bekannt gegeben. Dieser Regelung ließ sich jedoch bereits inhaltlich kein Vorbehalt der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des RNM entnehmen. Einen ausdrücklichen Änderungsvorbehalt stellte sie schon deshalb nicht dar, weil sie sich nur auf die Möglichkeiten der Veröffentlichung der Regelwerksänderungen bezog. Sie hätte daher allenfalls einen konkludenten Änderungsvorbehalt enthalten können. Aber selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte sich dieser lediglich auf Änderungen und Ergänzungen von Abschnitt I, Ziff. 1 RNM beziehen können. Gegenstand dieser Vorschrift wiederum war lediglich der Geltungsbereich des RNM, so dass die Einfügung von Gründen für die Beendigung der Zulassung nicht von einem solchen, gegebenenfalls in Abschnitt I, Ziff. 2 RNM konkludent enthaltenen Änderungsvorbehalt gedeckt gewesen wäre. Diese Auslegung kann zudem damit gestützt werden, dass das RNM in Abschnitt IV, Ziff. 4 Abs. 2 eine ausdrückliche Änderungsbefugnis bezüglich des Entgeltverzeichnisses enthielt. Wenn aber das RNM in einem bestimmten Abschnitt eine ausdrücklich auf diesen Abschnitt beschränkte Änderungsbefugnis enthielt, so bedeutete das ferner, dass die Deutsche Börse AG bezüglich eines anderen Abschnitts, der eine solche Änderungsbefugnis eben nicht enthielt, auch nicht zur einseitigen Änderung des RNM befugt sein sollte. Eine Änderungsvorbehaltsklausel enthielt das RNM selbst jedenfalls niche 61 . Außer einer direkt im RNM enthaltenen Vorschrift kam jedoch ebenfalls die bei Abschluss des Zulassungsvertrags abgegebene Verpflichtungserklärung der Emittenten als Grundlage für einen Änderungsvorbehalt zugunsten der Deutsche Börse 361 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002, 803 (804 f.); Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (155); Edelmann, Ausschluss von Penny-Stocks: Kann das "Regelwerk Neuer Markt" einseitig abgeändert werden?, BB 2002, 1332 (1334); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (808); a. A.: Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1795, 1796), jedoch ohne jede Begründung.

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AG in Betracht. Problematisch war diesbezüglich zunächst, dass diese Erklärungen von den Emittenten nicht wortgleich, sondern in zahlreichen unterschiedlichen Varianten 362 abgegeben worden waren. Jedenfalls insoweit sie sich lediglich darauf bezogen, dass der betreffende Emittent zukünftig die sich aus dem RNM ergebenden Zulassungsfolgepflichten - ob in der jeweils gültigen Fassung des RNM oder nicht - beachten würde, erstreckten sich die Erklärungen nicht auf eine mögliche Beendigung der Zulassung 363 . Dies galt selbst für die am weitesten gefassten Verpflichtungserklärungen, gemäß welchen die Emittenten das RNM in der jeweils aktuellsten Fassung ausdrücklich anerkannten und sich verpflichteten, den in der jeweils aktuellsten Fassung aufgestellten Verpflichtungen nachzukommen. Eine interessengerechte Auslegung dieser Erklärung führt dazu, dass die Emittenten - für die Deutsche Börse AG erkennbar - nur die im Regelwerk statuierten Pflichten in ihrem jeweiligen Umfang anerkennen wollten, nicht aber die Möglichkeit eines Ausschlusses ohne Pflichtverletzung364 . Da sich die von den Emittenten abgegebenen Verpflichtungserklärungen nicht auf eine mögliche Beendigung der Zulassung aus zum Zeitpunkt der Zulassung nicht im RNM enthaltenen Gründen erstreckt hatten, boten diese Erklärungen ebenfalls keine Grundlage für einen Änderungsvorbehalt der Deutsche Börse AG bezüglich der Einfügung neuer Zulassungsbeendigungsgründe365 . Selbst wenn man jedoch in das RNM bzw. in die Verpflichtungserklärungen der Emittenten eine Änderungsvorbehaltsklausel hätte hineinlesen wollen, so wäre die zweite Voraussetzung für eine darauf gestützte Änderungsbefugnis, nämlich die Wirksamkeit der Klausel, dennoch nicht erfüllt gewesen. Eine wie auch immer geartete im RNM enthaltene Verpflichtungserklärung hätte der Klauselkontrolle nach dem Recht der AGB unterlegen und ihr im Ergebnis nicht standgehalten. Zwar sind Klauseln in AGB, die den Verwender zur Änderung der AGB ohne Einverständnis des Vertragspartners berechtigen, nicht per se unwirksam 366 . Die sich auf § 305 II BGB (§ 2 AGB-Gesetz) stützende Gegenauffassung kam im Zusammenhang mit dem vorliegenden Problem schon deshalb nicht zum Tragen, weil diese Vorschrift gemäß § 310 I 1 BGB (§ 24 AGB-Gesetz) bei der Verwendung des RNM gegenüber den Emittenten am Neuen Markt, d. h. gegenüber Unternehmern, ohnehin 362 Vgl. im einzelnen OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (804), welches auf 5 verschiedene Varianten der Verpflichtungserklärung eingeht. 363 Ausführlich: RömennannlSchröder; Der Ausschluss so genannter "Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001, 83 (84 f.). 364 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (804); zweifelnd jedoch Edelmann, Ausschluss von Penny-Stocks: Kann das "Regelwerk Neuer Markt" einseitig abgeändert werden?, BB 2002, 1332 (1333). 365 Im Ergebnis ebenso: OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (804); Hammen. Anmerkung zu LG Frankfurt/M., Urteil vom 16.08.2001 - 3-13 0110/01, WuB I G 7. - 5.01 (1047); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (809 f.); a.A. jedenfalls rur die weitestgehende Erklärung: LG Frankfurt/M., WM 2001, 1607 (1611). 366 Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (156 f.) m. w. N. auch zur Gegenauffassung.

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ausgeschlossen gewesen wäre 367 • Allerdings unterliegen sie sehr engen Grenzen, denn wirksam sind sie ausnahmsweise nur, wenn sie das Recht zur Anpassung auf das nachträgliche Entstehen von Äquivalenzstörungen und Regelungslücken beschränken und inhaltlich so bestimmt sind, dass sie dem Transparenzgebot genügen368 • Da eine Klausel im RNM, die die Deutsche Börse AG zur nachträglichen Einfügung von zusätzlichen Zulassungsbeendigungsgründen berechtigt hätte, diese engen Grenzen der Zulässigkeit eines Änderungsvorbehalts in AGB nicht eingehalten hätte, wäre sie wegen eines Verstoßes gegen § 307 BGB (§ 9 AGB-Gesetz) stets unwirksam gewesen 369 . Gleiches hätte gegolten, wenn man nicht eine im RNM enthaltene Vorschrift, sondern die Verpflichtungserklärungen der Emittenten als einen Änderungsvorbehalt beinhaltend ausgelegt hätte. Sofern man diese Verpflichtungserklärungen als AGB eingeordnet hätte 37o, kann auf die eben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Aber selbst wenn man sie wegen ihres unterschiedlichen Wortlauts nicht als AGB, sondern als Individualvereinbarung qualifiziert 371 hätte, so wäre ein darauf gestützter Änderungsvorbehalt unwirksam 372 gewesen. Der Grund dafür liegt darin, dass individualvertraglich vereinbarte Änderungsklausein ebenfalls nicht grenzenlos zulässig sind, sondern die Grenzen von § 315 BGB beachten müssen. Ein Änderungsvorbehalt, der die Änderung von Vertragsbedingungen weder an im Einzelnen bestimmte Voraussetzungen knüpft, noch genau präzisiert, auf welche Vertragsbedingungen er sich überhaupt bezieht, entspräche mangels hinreichender Bestimmtheit kaum noch den Anforderungen die Treu und Glauben an das Verhalten im Rechtsverkehr stellen. Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (156 f.). BGHZ 136, 394 (402); BasedcJW in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 305 Rn 79 ff.; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 305 Rn 48; RömermannlSchröder; Der Ausschluss so genannter "Penny-Stocks" vorn Neuen Markt, BKR 2001,83 (84) m. w. N. 369 Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (157); Heyder, Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (809 f.); a. A.: Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1796) unter Berufung auf "besondere Gründe" für ein flexibles Regelwerk; zweifelnd auch Edelmann, Ausschluss von Penny-Stocks: Kann das "Regelwerk Neuer Markt" einseitig abgeändert werden?, BB 2002, 1332 (1334). 370 Dies tun: Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (156); Baclunann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1795); Krämer; Zur Änderungsbefugnis von Marktorganisationsregeln, BKR 2001, 131 (133); RömermannlSchröder; Der Ausschluss so genannter "Penny-Stocks" vorn Neuen Markt, BKR 2001, 83 (85); Wolf, Der Ausschluss vorn Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1787). 371 In diesem Sinne etwa LG Frankfurt/M., WM 2001, 1607 (1610); Heyder; Die einseitige Abänderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 806 (808). 372 Zu diesem Ergebnis gelangt das Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (157); a. A.: LG Frankfurt/M., WM 2001, 1607 (1610 f.); Krämer; Zur Änderungsbefugnis von Marktorganisationsregeln, BKR 2001,131 (134). 367 368

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Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass, selbst wenn man das RNM als AGB qualifiziert hätte, die Deutsche Börse AG nicht zur einseitigen Änderung des RNM gegenüber den Emittenten berechtigt gewesen wäre373 . Weder konnte das Vorliegen einer Änderungsvorbehaltsklausel bejaht werden, noch wäre eine solche überhaupt wirksam gewesen. Selbst wenn man beide Voraussetzungen dennoch als gegeben angesehen hätte, so wäre daraus zwar gefolgt, dass die Deutsche Börse AG grundsätzlich zur einseitigen Änderung des RNM befugt gewesen wäre. Allerdings wäre dann weiterhin fraglich gewesen, ob sie zu der jeweils in Frage stehenden, konkreten Änderung des RNM - für Zwecke der vorliegenden Arbeit also zur nachträglichen Einfügung von weiteren Zulassungsbeendigungsgründen - befugt gewesen wäre. Insoweit hätte jede Änderung des RNM zusätzlich noch der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB analog unterlegen 374 . Da die im RNM enthaltenen Regelungen jedoch nach der hier vertretenen Auffassung schon keine AGB darstellten und, selbst falls doch, das RNM in diesem Fall gleichwohl nicht einseitig abänderbar gewesen wäre, kommt es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit nicht mehr auf die Frage an, ob AGB Rechtsnormcharakter besitzen375 und gegebenenfalls deshalb einseitig geändert werden können. (bb) Private Rechtsnormen Für die Einstufung der Regelungen des RNM als Rechtsnormen des Privatrechts kam nicht nur eine Einordnung als AGB in Frage. Ohne dass es ihrer Qualifizierung als Rechtsregeln sui generis bedurft hätte, hätten sie möglicherweise zu den heute als eigene Normkategorie anerkannten sog. privaten Rechtsnormen376 gezählt werden können 377 . Grundlage für die Anerkennung dieser Normkategorie ist die Tatsache, dass es kein staatliches Normsetzungsmonopol gibt, jedenfalls nicht insoweit, als dass der Staat privat gesetzte Regeln für Dritte verbindlich erklären 373 A.A.: Krämer; Zur Änderungsbefugnis von Marktorganisationsrege1n, BKR 2001, 131 (134), der eine Änderungsbefugnis basierend auf der als AGB eingestuften Verpflichtungserklärung aufgrund der Interessenabwägung i.E. bejaht. 374 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1797, 1798); Römermann/Schröder; Der Ausschluss so genannter ,,Penny-Stocks" vom Neuen Markt, BKR 2001, 83 (85 f.). 375 Die h. M. lehnt dies ab und bejaht eine rechtsgeschäftlich-vertragliche Grundlage von AGB, vg!. BGHZ 17, 1 (2); Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 305 Rn 2; Wolf,' Normsetzung durch private Institutionen?, JZ 1973, 229 (231, 232); ders. in: Wolf! Hom/Lindacher, AGB-Gesetz, Ein!. Rn 13 m. w. N. auch zur Gegenansicht; a. A.: Eike Schmidt, Grundlagen und Gründzüge der Inzidentkontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem AGB-Gesetz, JuS 1987,929 (931). 376 Grundlegend: Kirchhof, Private Rechtsetzung. Auch Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 74 ff., und Wolf, Normsetzung durch private Institutionen?, JZ 1973,229 (232) erkennen eine private Normsetzungsbefugnis an. 377 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115).

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kann 378 . Wie bereits aus dem Begriff hervorgeht, werden private Rechtsnormen von Privaten geschaffen379 und besitzen Normcharakter38o . Praktische Beispiele für solche privaten Rechtsnormen finden sich u. a. in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen381 • Kennzeichnend für die Einordnung privater Akte als Normen sind die Merkmale Generalität und Heteronomitäe 82 . Drittverbindlichkeit erhalten sie durch einen staatlichen Geltungsbefehe83 • Es ist also im Folgenden zu pIÜfen, ob die im RNM enthaltenen Regelungen diese Kriterien erfüllten. Sollte dies der Fall sein, so wäre das RNM einseitig durch die Deutsche Börse AG abänderbar und die darin nachträglich eingefügten ZulassungsbeendigungsgIÜnde wirksam gewesen. Die Generalität eines Rechtssatzes ist gegeben, wenn er Breitenwirkung hat, sich mithin an eine Vielzahl von im Zeitpunkt der Normentstehung nicht bestimmbare Adressaten richtee 84 . Das RNM richtete sich an alle Handelsteilnehmer dieses Marktsegments, also v. a. an die dort zugelassenen Emittenten, aber auch an andere, wie etwa Skontroführer. Diese Personen stellten eine Vielzahl von Adressaten dar, die bei Erlass des RNM noch nicht benennbar waren. Damit erfüllte das RNM das Merkmal der Generalität. Das zweite Merkmal, die Heteronomität der Norm, zeichnet sich dadurch aus, dass dem Normadressaten vom Normsetzer ein einseitig bestimmtes Verhalten ohne Rücksicht auf dessen Willen auferlegt wird385 . Die Regelungen des RNM wurden nicht einverständlich zwischen der Deutsche Börse AG und dem jeweiligen Emittenten vereinbart. Daran ändert nichts, dass sich der Emittent bei der Zulassung verpflichtete, das RNM (ob in der jeweils aktuellsten Fassung oder nicht) anzuerkennen, denn das RNM stand nicht zur Disposition der Deutsche Börse AG. Geltung für den Emittenten erlangte es nicht durch die Anerkennungserklärung, sondern kraft der börsengesetzlicher Regel in § 78 BörsG a.F. Dadurch wurde der jeweilige Emittent gleichsam zum ,,Rechtsunterworfenen". Das RNM erfüllte somit ebenfalls das Merkmal Heteronomität. Verbindliche Geltung erhalten private Rechtsnormen erst durch einen staatlichen Geltungsbefehl 386• Die von Privaten geschaffenen Rechtssätze sind staatsfremd. 378 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001,1793 (1794); Kirchhof, Private Rechtsetzung, 107 ff. 379 Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, § 61 Rn 46. 380 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1794). 38\ Bauer/Pleyer/Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (116, Fn 200); Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, § 61 Rn 46. 382 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 64 ff., 84 ff. 383 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 138 ff. 384 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 64. 385 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 84. 386 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 138 ff.

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Es bedarf für ihre Rechtsanerkennung daher der "Rechtsqualitätsverschaffung" durch den Staat387 . Dies geschieht mittels des staatlichen Geltungsbefehls, welcher die rechtliche Verbindlichkeit der fremden Regel anordnet. Er legitimiert also die sonst im Privatrecht nicht mögliche Drittverbindlichkeit und verleiht der privaten Regelung die Anerkennung als Rechtsnorm. Die einzige Vorschrift, die einen solchen staatlichen Geltungsbefehl für das RNM enthalten haben könnte, war § 78 I BörsG a. F. Zunächst einmal griff der bisweilen an der Geltung des § 78 BörsG a. F. für den Neuen Markt angebrachte Zweifel 388 nicht durch. Er wurde damit begründet, dass diese Vorschrift voraussetzt, dass die Wertpapiere, für welche ein Freiverkehr zugelassen werden kann, weder zum amtlichen Handel noch zum geregelten Markt zugelassen sein dürfen. Da die Zulassung zum Neuen Markt jedoch die Zulassung zum Geregelten Markt voraussetzte, habe § 78 BörsG a. F. nicht für den Neuen Markt gelten können 389 . Dieser Zweifel an der Anwendbarkeit des § 78 I BörsG a. F. konnte jedoch zerstreut werden. Die Regelung des § 78 BörsG a. F. wurde 1986 durch das Börsenzulassungsgesetz390 in das BörsG eingefügt und fasste die bis dahin bestehenden Segmente des geregelten und ungeregelten Freiverkehrs zu einem dritten Börsensegment zusammen 391 . Mit der in dieser Vorschrift enthaltenen Regelung, dass Wertpapiere, für die ein Freiverkehr zugelassen werden kann, weder im amtlichen Handel noch im geregelten Markt zugelassen sein dürfen, wurde in erster Linie das so genannte Verbot der Doppelnotierung statuiert392 . Mit ihr dürfte nicht beabsichtigt gewesen sein, dass in den Freiverkehr eingebettete Marktsegmente, die die Zulassung zu einem öffentlich-rechtlich geregelten Handelssegment voraussetzen, nicht dem Privatrecht zugeordnet werden können. Da außerdem die zum Neuen Markt zugelassenen Emittenten zwar die Zulassung zum geregelten Markt erhalten hatten, auf die Aufnahme der Notierung im geregelten Markt jedoch gemäß Abschnitt 11, Ziff. 2.3 (4) RNM verzichteten, wurde eine Doppelnotierung vermieden. Darüber hinaus sollte der Neue Markt ein Handelssegment mit gegenüber den öffentlich-rechtlich organisierten Segmenten verschärften Zulassungs- und Zulassungsfolgepflichten sein. Die Voraussetzung, dass für Emittenten, die die Zulassung zum Neuen Markt begehrten, die Zulassung zum geregelten Markt erfolgt sein musste, dürfte lediglich die umständliche (weil nochmalige) Aufnahme der einzelnen, für den geregelten Markt geltenden Zulassungsbedingungen in das RNM ersetzt und daher Kirchhof, Private Rechtsetzung, 138. Gebauer, Kurzkommentar zu LG Frankfurt/M., Urteil vom 16.08.2001 - 3-13 0 110/01, EWiR 2001,865 (866). 389 Gebauer, Kurzkommentar zu LG Frankfurt/M., Urteil vom 16.08.2001 - 3-13 0 lID/Ol, EWiR 2001,865 (866). 390 BGBl. I 1986,2478. 391 Groß, Kapitalmarktrecht, § 78 Rn 1. 392 PotthofflStuhlfauth, Der Neue Markt: Ein Handelssegment für innovative und wachstumsorientierte Unternehmen - kapitalmarktrechtliehe Überlegungen und Darstellung des Regelwerks, WM Sonderbeilage Nr. 3 zu Heft 26/ 1997,3 (5). 387

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lediglich der Vereinfachung gedient haben. Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass der Anwendung von § 78 I BörsG a. E auf das RNM nichts entgegenstand. Ob § 78 BörsG a.E (iV m. § 66 BörsO FWB a. E) in der Tat einen Geltungsbefehl für das RNM enthielt, war also durch Auslegung der Vorschrift zu ermitteln 393 . Zunächst wurde im Gesetz der Begriff Richtlinie verwendet. Dabei handelt es sich um einen eher für Normen gebräuchlichen Terrninus394, denn Richtlinien werden zum Zwecke der Vereinheitlichung von einer bestimmten Stelle mit Wirkung für bestimmte Dritte einseitig gesetzt395 • Des Weiteren sollten die Handelsrichtlinien gemäß § 78 BörsG a E eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels gewährleisten. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn eine aufgrund neuer Entwicklungen oder geänderter Rahmenbedingungen als notwendig erachtete Regeländerung ohne weiteres, d. h. ohne die Zustimmung der Emittenten umgesetzt werden kann396 . § 78 BörsG a. E konnte also ohne große Mühe dahingehend ausgelegt werden, dass er einen staatliche Geltungsbefehl für das RNM enthielt. Richtig verstanden räumte diese Vorschrift dem Veranstalter des Freiverkehrs die Befugnis zur Erstellung der für alle Beteiligten einheitlich und verbindlich geltenden Handelsrichtlinien ein397 • Zu diesen Handelsrichtlinien gehören die Richtlinien für den Freiverkehr an der FWB und gehörte auch das RNM. § 78 BörsG a. E ging von der Verbindlichkeit dieser Handelsrichtlinien aus und verschaffte ihnen allgemeine Geltung als nichtstaatliche, d. h. von einem Privaten gesetzte, Rechtsnorm398 . An § 78 I BörsG a. E als Grundlage für eine einseitige Änderungsbefugnis der Deutsche Börse AG wurde kritisiert, dass die Vorschrift zu unbestimmt gewesen und es daher verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet sei, darauf ein einseitiges Änderungsrecht zu stützen399 . Indessen stellte die Vorschrift den Umgang mit den Emittenten, also vor allem etwaige Regelwerksänderungen, nicht in das Belieben der Deutsche Börse AG. Vielmehr war die Änderungsbefugnis ausweislich des 393 Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001, 1793 (1795). 394 Bachmann. Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 2001,1793 (1795). 395 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (109). 396 Bachmann. Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln. WM 2001,1793 (1795). 397 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (116). 398 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (116). 399 OLG Frankfurt/M., ZIP 2002,803 (805); Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1787) unter Berufung auf Art. 12, 14 GG.

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Wortlauts von § 78 I BörsG a. F. davon abhängig, dass die Änderung "zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung" erfolgt. Eine im Vorhinein erfolgende, stärkere Konkretisierung der Umstände, unter welchen ein einseitiges Änderungsrecht der Deutsche Börse AG bestanden haben soll, war weder verfassungsrechtlich erforderlich, noch überhaupt möglich. Am Kapitalmarkt besteht wegen der Dynamik des Marktgeschehens und der sich ständig ändernden tatsächlichen Bedingungen ein erhebliches Flexibilitätsbedürfnis bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen. Diesem kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass den betreffenden Rechtsnormen ein bestimmtes Maß an Abstraktheit zugesprochen wird. Gerade bei sich schnell wandelnden wirtschaftlichen Verhältnissen ist es daher dem Gesetzgeber erlaubt, in gewissem Umfang Generalklausein und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, um unverzügliche Reaktionen auf sich ständig ändernde wirtschaftliche Situationen zu ermöglichen4OO • Diesem Bestimmtheitserfordernis wurde § 78 I BörsG a.F. gerecht, denn die Vorschrift enthielt die Einschränkung, dass entsprechende Richtlinien einen ordnungsgemäßen Börsenhandel gewährleisten mussten401 . Als Ergebnis zur Rechtsnatur der im RNM enthaltenen Regelungen lässt sich mithin festhalten, dass sie nicht als AGB eingeordnet werden konnten, sondern als private Rechtsnormen zu qualifizieren waren402 . (2) Jronsequenzen

Private Rechtsnormen haben Normcharakter und sind daher einseitig abänderbar. Grundsätzlich war die Deutsche Börse AG also berechtigt, das RNM einseitig zu ändern. Allerdings existieren für diese Änderungsbefugnis Grenzen. Zu untersuchen ist nunmehr, ob diese Grenzen bei der konkret in Frage stehenden nachträglichen Einfügung weiterer Zulassungsbeendigungsgründe in das RNM eingehalten worden waren. Eine Grenze ergab sich bereits aus dem Wortlaut von § 78 I BörsG a. F., wonach die Handelsrichtlinien die ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Geschäftsführung gewährleisten sollten. Änderungen des RNM waren daher jedenfalls nur in dem Umfang zulässig, wie sie diesem Zweck dienten. Die Möglichkeit, Billigaktien auszuschließen, verdeutlicht, dass die Nichteinhaltung der hohen Standards des Neuen Markts erhebliche Konsequenzen haben konnte. Dadurch wurde 400 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (113) m. w. N. 401 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002,102 (113). 402 Bauer / Pleyer / Hirche. Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (115 f., 119); zustimmend: Pluskat. Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 29.01. 2002 - 5 U 189/01, WuB I G 7. - 2.02 (558); dies., Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 23.04.2002 - 5 U 278/01, WuB I G 7. -7.02 (860).

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das Vertrauen sowohl der Anleger als auch der anderen Emittenten in den Neuen Markt gestärkt und somit das Renommee dieses Handelssegments insgesamt gefördert. Des Weiteren basierte der Handel mit Penny-Stocks häufig nicht auf einer fundierten Investitionsentscheidung, sondern war oft reines Glücksspiel. Durch den Ausschluss derartiger Aktien konnten diese Spekulationsgeschäfte vom Neuen Markt verbannt werden. Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe der Gewährleistung einer ordnungsmäßigen Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung dienten. Damit hielten sie sich innerhalb der von § 78 I BörsG gesetzten Grenzen. Eine andere Grenze ergab sich durch das allgemeine Zivilrecht. Zwar gelangte der diesbezüglich oft als Rechtsgrundlage benannte § 315 BGB weder direkt noch analog zur Anwendung403 , da es an einer vertraglichen Vereinbarung oder einer ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung des Änderungsrechts fehlte404 . Es verblieb jedoch § 242 BGB als Rechtsausübungsschranke bzw. Missbrauchsverbot405 . Dass die nachträgliche Einfügung der Zulassungsbeendigungsgründe Niedrigkapitalisierung und Insolvenz den sich aus Treu und Glauben ergebenden Anforderungen nicht genügte, konnte nicht ernsthaft behauptet werden406 , zumal insofern nicht nur die Interessen der Emittenten und der Deutsche Börse AG zu berücksichtigen waren, sondern zwingend ebenso die Interessen anderer vom RNM betroffener Rechtsträger, sowie das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der FWB insgesamt407 . Die Grenzen des allgemeinen Zivilrechts wurden also durch die nachträgliche Einfügung weiter Zulassungsbeendigungsgründe in das RNM nicht verletzt408 . Damit bleibt festzuhalten, dass die nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe sich innerhalb der Grenzen der der Deutsche Börse AG grundsätzlich zustehenden einseitigen Änderungsbefugnis bewegten. Da die Deutsche Börse AG aufgrund der Einordnung des RNM als private Rechtsnormen zu seiner einseitigen Änderung berechtigt und daher die in Frage 403 So aber - insofern konsequent - diejenigen, die das RNM als AGB qualifizieren, z. B.: Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (159); Bachmann, Regelwerk und Rechtsgeschäft - zur einseitigen Änderung privater Börsenregeln, WM 200 1, 1793 (1797). 404 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (117); Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 315 Rn 4. 405 Bauer / Pleyer / Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (117); zustimmend: Pluskat, Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vorn 29. 01. 2002 - 5 U 189/01, WuB I G 7. - 2.02. (558). 406 Zustimmend: Pluskat. Anmerkung zu OLG Frankfurt/M., Urteil vorn 29. 01. 2002 5 U 189/01, WuB I G7.-2.02. (558). 407 Bauer/Pleyer/Hirche, Die Befugnis der Deutsche Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks Neuer Markt, BKR 2002, 102 (117). 408 I. E. stimmen auch diejenigen zu, die nicht § 242 BGB, sondern § 315 BGB als Prüfungsmaßstab heranziehen, z. B.: Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (159 f.).

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

stehende nachträgliche Einfügung weiterer Zulassungsbeendigungsgründe zulässig war, kam es auf andere möglicherweise in Frage kommende Grundlagen für eine Änderungsbefugnis der Deutsche Börse AG nicht an. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass insofern u. a. folgende Möglichkeiten diskutiert wurden. Einige befürworteten eine Änderungsbefugnis aufgrund der widerspruchlosen Hinnahme früherer Regelwerksänderungen durch die Emittenten409 . Wieder andere gelangten durch eine ergänzende Vertragsauslegung der Listingvereinbarung zwischen der Deutsche Börse AG und den Emittenten zu diesem Ergebnis41o • Schließlich soll nicht verschwiegen werden, dass vereinzelt ein einseitiges Änderungsrecht der Deutsche Börse AG überhaupt abgelehnt wurde, so dass Regelwerksänderungen grundsätzlich nur im Einvernehmen mit den Emittenten, d. h. durch einen Änderungsvertrag gemäß § 311 I BGB, möglich gewesen wären411 . cc) Ergebnis Zur Frage der Rechtsmäßigkeit der nachträglichen Einfügung der Zulassungsbeendigungsgründe Insolvenz und Niedrigkapitalisierung in das RNM ergab sich folgendes Bild. Bezüglich des Ausschlussgrundes Insolvenz wäre die Deutsche Börse AG sogar ohne ein einseitiges Änderungsrecht zur Beendigung der Zulassung berechtigt gewesen, da sie unter den in der Insolvenzregel enthaltenen Voraussetzungen zur außerordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages mit dem betroffenen Emittenten berechtigt gewesen wäre. Zwar gilt dies nicht gleichermaßen für den Ausschlussgrund Niedrigkapitalisierung, allerdings bedarf es des Rückgriffs auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung für diesen Beendigungsgrund gar nicht, denn die Deutsche Börse AG war aufgrund der Rechtsnatur des RNM als private Rechtsnormen grundsätzlich zu seiner einseitigen Änderung befugt. Da sich beide nachträglich eingefügten Zulassungsbeendigungsgründe innerhalb der Grenzen dieser einseitigen Änderungsbefugnis hielten, bestanden gegen ihre Anwendung keine Bedenken. Änderungsverträge zwischen der Deutsche Börse und allen(!) Emittenten waren also zur Einfügung weiterer Zulassungsbeendigungsgründe in das RNM nicht erforderlich412 •

409 So wohl Edelmann, Ausschluss von Penny-Stocks: Kann das ,,Regelwerk Neuer Markt" einseitig abgeändert werden?, BB 2002,1332 (1334); ablehnend jedoch: OLG Frankfurt / M., ZIP 2002, 803 (805). 410 Primary Markets Arbitration Panel, BKR 2001, 153 (157 ff.). 411 Hammen, Kurzkommentar zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 29.01. 2002 - 5 U 189/01, EWiR 2002,335 (336). 412 So jedoch Hammen, Kurzkommentar zu OLG Frankfurt/M., Urteil vom 29.01. 2002 - 5 U 189/01, EWiR 2002, 335 (336).

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ID. Beendigung der Zulassung auf Antrag des Emittenten Am Neuen Markt war, ebenso wie im amtlichen Handel oder im geregelten Markt, für die Notierungsaufnahrne in diesem Handelssegment die Zulassung des Emittenten erforderlich. Eine Einbeziehung von Wertpapieren auf Antrag eines anderen, zum Börsenhandel an der FWB zugelassenen Unternehmens ohne Mitwirkung des Emittenten, wie es gemäß § 5 RF FWB im Freiverkehr oder nunmehr gemäß § 83 ff. BörsO FWB i.Y. m. § 56 BörsG auch am geregelten Markt der Fall sein kann, war nicht möglich. Da es für die Handelsaufnahme am Neuen Markt also der Initiative des Emittenten bedurfte, musste, ebenso wie im amtlichen Handel, die Möglichkeit bestehen, dass sich der Emittent auf eigenen Wunsch von diesem Marktsegment zurückzieht. Nach einer Vorschrift betreffend die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt auf Wunsch des Emittenten suchte man jedoch im RNM vergeblich. Mangels einer ausdrücklichen Regelung richtete sich die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt daher nach dem allgemeinen Zivilrecht. Insofern kamen zwei Möglichkeiten zur Beendigung des Zulassungsvertrags in Betracht. Die erste Möglichkeit war unproblematisch und bestand darin, dass der Zulassungsvertrag im beiderseitigen Einvernehmen aufgehoben werden würde. Gemäß § 311 I BGB können die Parteien ein Schuldverhältnis, obwohl das Gesetz dies nicht besonders anspricht, durch eine vertragliche Abrede aufheben413 . Die zweite in Betracht kommende Möglichkeit zur Beendigung der Zulassung auf Wunsch des Emittenten bestand in der ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrags durch den Emittenten. Da es sich beim Zulassungsvertrag um einen gemischten Vertrag mit überwiegend dienstvertraglichen Elementen handelte414 , waren für das Recht zur ordentlichen Kündigung die Vorschriften des BGB zum Dienstvertrag maßgeblich. Zudem war die ordentliche Kündigung des Zulassungsvertrags durch den Emittenten, anders als die ordentliche Kündigung durch die Deutsche Börse AG, nicht vertraglich ausgeschlossen, denn dass die Emittenten sich nicht auf ewig an den Neuen Markt binden lassen wollten, war der Deutsche Börse AG bei Vertragsschluss erkennbar. Nicht zuletzt ging sie selbst davon aus, dass der Emittent den Neuen Markt freiwillig verlassen kann, denn nach dem Urteil des OLG Frankfurt/M., welches ihr die Befugnis absprach, die Penny-StockRegelung als weiteren Zulassungsbeendigungsgrund nachträglich in das RNM aufzunehmen, wollte sie weiterhin die betroffenen Emittenten überzeugen, den Neuen Markt im Interesse ihrer eigenen Aktionäre und des Gesamtmarkts freiwillig zu verlassen415 . Es wäre widersprüchlich gewesen, wenn sie den Emittenten trotzdem 413 Emmerich in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 311 Rn 33; Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 311 Rn 7; Stadler in: Jauemig, Bürgerliches Gesetzbuch, § 311 Rn 19. 414 Siehe § 9 11. 2. c) aa). 415 Vgl. Mitteilung der Deutsche Börse AG in NZG 2002, Heft 9, VII.

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2. Kap.: Börsenrechtliche Fragen des regulären Delisting

ein Recht zur ordentlichen Kündigung absprechen wollte. Die Kündigungsfrist bemaß sich nach § 620 11 i.V. m. § 621 BGB. Die Länge der Frist richtete sich da-bei nach den Zeiträumen, nach welchen die Vergütung bemessen war. Da für die Zulassung zum Neuen Markt gemäß Abschnitt IV, Ziff. 2 RNM ein jährliches Pauschalentgelt von 7.500 Euro zu entrichten war, galt § 621 Nr. 4 BGB, wonach die Kündigungsfrist sechs Wochen für den Schluss eines Kalendervierteljahrs beträgt416 . Die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt ließ die Zulassung des Emittenten zum geregelten Markt, die Voraussetzung für die Zulassung zum Neuen Markt war, unberührt. Dies war schon deshalb der Fall, weil über den Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt nicht die Deutsche Börse AG, sondern wegen § 71 11 2 BörsG a.E der Zulassungsausschuss (heute die Zulassungsstelle, vgl. § 49 11 2 BörsG n. E) entschied. Nach Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt war der Emittent also weiterhin am geregelten Markt zugelassen. Gemäß § 63 11 Börsü FWB a. E, der mit der Änderung der Börsü FWB am 27. 09. 2001 in Kraft trat, hatte die Geschäftsführung im Fall der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt die Aufnahme der Notierung (Einführung) der zugelassenen Wertpapiere im geregelten Markt von Amts wegen zu veranlassen. Eines gesonderten Antrags dafür bedurfte es also, anders als vor dem 27. 09. 2001, nicht. Strebte der Emittent nicht nur die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt, sondern auch den Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt an, so musste er diesen Widerruf zusätzlich beantragen und das entsprechende öffentlich-rechtliche Widerrufsverfahren beim Zulassungsausschuss durchlaufen417 .

416 So auch Wolf, Der Ausschluss vom Neuen Markt und die Aufnahme von Ausschlussgründen in das Regelwerk Neuer Markt, WM 2001, 1785 (1789), der allerdings von einem beiderseitigen Recht zur ordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrags ausgeht. 417 Siehe § 61. 2.

Kapitel 3

Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting Im Gegensatz zu den Voraussetzungen des Börsenrechts an ein reguläres Delisting sind die des Gesellschafts- bzw. Aktienrechts nicht gesetzlich geregelt. Es verwundert daher nicht, dass diesbezüglich unter fast allen Aspekten keine Einigkeit besteht. Bevor jedoch auf die Einzelheiten etwaiger gesellschaftsrechtlicher Anforderungen an ein vollständiges Delisting eingegangen werden kann, ist zu klären, ob das Gesellschaftsrecht überhaupt neben dem Kapitalmarktrecht zur Anwendung kommen kann. Zunächst ist also zu beleuchten, in welchem Verhältnis diese beiden Rechtsgebiete zueinander stehen.

§ 10 Das Verhältnis zwischen Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht Das Kapitalmarktrecht ist dem Wirtschaftsrecht zuzuordnen. Sein Gegenstand ist die Gesamtheit der Normen, Geschäftsbedingungen und Standards, mit denen die Organisation der Kapitalmärkte sowie die marktbezogenen Tätigkeiten und das marktbezogene Verhalten der Marktteilnehmer geregelt werden 1 • Es ist zwingendes Recht und wirkt, da es am Markthandeln anknüpft, funktionsbezogen und rechtsformübergreifend2 . Demgegenüber ist Gegenstand des Gesellschaftsrechts das Recht der privaten Zweckverbände und der kooperativen Vertragsverhältnisse3 . Es ist rechtsformbezogen und in weiten Teilen dispositiv4 . Maßgeblich für die Frage, wie sich das Kapitalmarktrecht und das Gesellschaftsrecht zueinander verhalten, ist die Klärung der Regelungsziele beider Rechtsgebiete. Insofern unterscheiden sie sich deutlich. Regelungsziele des Kapitalmarktrechts sind zum einen der Funktionsschutz der Kapitalmärkte und zum anderen der Schutz der Anlegers. Da es im Rahmen des Delisting vornehmlich um die 1 2

Kümpel. Kapitalmarktrecht - eine Einführung, 13. De Vries. Delisting, 80; Lenenbach. Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 23, 567, jeweils

m~K

.

Karsten Schmidt. Gesellschaftsrecht, 4. 4 De Vries. Delisting, 80 m. w. N; Lenenbach. Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 567. 5 Kümpel. Kapitalmarktrecht - eine Einführung, 19; Lenenbach. Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2, 18 ff. 3

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Wahrung der Interessen der an diesem Vorgang direkt oder indirekt Beteiligten geht, spielt dabei hauptsächlich letzteres Regelungsziel, also der Anlegerschutz, eine Rolle. Der kapitalmarktrechtliche Anlegerschutz umfasst dabei nicht nur den Schutz der Gesamtheit der Anleger (sog. ,,institutioneller Anlegerschutz"), sondern - jedenfalls stellenweise6 - darüber hinaus den Schutz der Interessen des einzelnen Anlegers (sog. "individueller Anlegerschutz") 7. Das Kapitalmarktrecht schützt also auch die Interessen der Aktionäre, und zwar in ihrer Eigenschaft als Anleger. Besonderes Regelungsziel des Gesellschaftsrechts ist demgegenüber die Entwicklung von ausgewogenen und zweckmäßigen Verhaltensregeln innerhalb der privatrechtlichen VereinigungS, wenngleich es außerhalb der Gesellschaft stehende Interessengruppen (Gesellschaftsgläubiger, Arbeitnehmer) ebenfalls betrifft. Es ist darauf ausgerichtet, die verschiedenen Interessen innerhalb der jeweiligen Vereinigung zum Ausgleich zu bringen 9 . Das Gesellschaftsrecht schützt also - soweit es um seine Abgrenzung zum Kapitalmarktrecht geht - die Interessen der Aktionäre in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Verbands Aktiengesellschaft. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Kapitalmarktrecht den Aktionär hauptsächlich als Anleger bzw. Marktteilnehmer und das Gesellschaftsrecht den Aktionär hauptsächlich als Mitglied einer Gesellschaft schützt. Einerseits lässt dieses Ergebnis die Schlussfolgerung zu, dass das Kapitalmarktrecht, in dessen normativen Rahmen das Delisting gesetzlich geregelt ist, das Gesellschaftsrecht jedenfalls nicht ausschließt. Eine klare Grenze zwischen beiden Rechtsgebieten lässt sich ohnehin nicht ziehen, weil sie sich an zahlreichen Stellen überschneiden und Wechselwirkungen existieren 10. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Schutzrichtungen ergänzen sich beide Rechtsgebiete vielmehr. Das kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass die Anforderungen, die sie jeweils zum Schutz der Aktionäre enthalten, verschiedenartig sind. Grundsätzlich können daher bei kapitalmarktrechtlichen Fragestellungen gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen ebenso zu beachten sein 11. Andererseits bedeutet dieses Ergebnis jedoch nicht, dass das Gesellschaftsrecht stets in vollem Umfang parallel zum Kapitalmarktrecht zur Anwendung kommt. Es ist vielmehr anhand des jeweiligen Einzelfalls zu fragen, ob ein bestimmter Vorgang nicht nur die Interessen der Aktionäre als Anleger, sondern ebenso ihre Interessen als Gesellschafter berührt. Nur wenn dies der Fall ist, bestehen keine Zweifel daran, dass im Rahmen eines in erster Linie kapital6 Inwieweit das Kapitalmarktrecht auch den individuellen Anleger schützt ist im Einzelnen umstritten, vgl. Kleppe, Anlegerschutz, 82 f. m. w. N. 7 Geyrhalter/Zimgibl, Alles unklar beim formalen Delisting - eine Zwischenbilanz 18 Monate nach ,,Macrotron", DStR 2004, 1048 (1050); Kümpel, Kapitalmarktrecht - eine Einführung, 29 ff.; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 383 f. 8 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 17. 9 Henze, Delisting, 126. 10 Henze, Delisting, 126 m. w. N.; Kleppe, Anlegerschutz, 85 f.; Lenenbach, Kapitalmarktund Börsenrecht, 568; De Vries, Delisting, 81 mit zahlreichen Beispielen. \I Henze, Delisting, 133; De Vries, Delisting, 83.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

139

marktrechtlich zu beurteilenden Sachverhalts auch bestimmte gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Die zu stellende Vorfrage für eine solche - gewissermaßen punktuelle - Anwendung des Gesellschaftsrechts auf einen kapitalmarktrechtlichen Sachverhalt ist daher, ob der gesellschaftsrechtliche Fundus jeweils zum Einsatz gebracht werden kann. Diese ist jedoch nur dann zu bejahen, wenn die Anwendbarkeit etwaiger gesellschaftsrechtlicher Voraussetzungen entweder auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage gestützt werden kann oder, wo dies nicht der Fall ist, ob sie wenigstens im Wege der Einzel- oder Gesamtanalogie bzw. im Wege der Rechtsfortbildung hergeleitet werden kann. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob die in Frage kommenden gesellschaftsrechtlichen Instrumente zum Schutz der Aktionäre auf das reguläre Delisting übertragbar sind.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für die Delisting-Entscheidung Die Frage, ob ein Hauptversammlungsbeschluss als Ausdruck körperschaftlicher Willensbildung für die Entscheidung der Gesellschaft über den kapitalmarktrechtlichen Vorgang Delisting zu fordern ist, muss erst beantwortet werden, nachdem untersucht wurde, ob ein solcher für das Delisting de lege lata überhaupt aus dem Gesellschaftsrecht hergeleitet werden kann. Vorausgeschickt sei, dass - soweit ersichtlich - insofern weitestgehend Einigkeit besteht, als dass die Beteiligung der Hauptversammlung dann nicht erforderlich ist, wenn die Notierung des Unternehmens an mindestens einem inländischen Börsenplatz erhalten bleibt. Bei einem bloßen Börsensegmentwechsel oder einem Teildelisting, d. h. bei einem Rückzug von einer oder mehreren, nicht jedoch von allen Regionalbörsen, wird die Stellung des Antrags auf Widerruf der Börsenzulassung als reguläre Geschäftsführungsmaßnahme angesehen, die in die Kompetenz des Vorstands fällt 12. Soweit jedoch ein Rückzug von allen deutschen Börsen, d. h. ein sog. Totalrückzug, in Frage steht, gehen die Meinungen auseinander. Weil in diesem Fall die Aktien des Unternehmens künftig nicht mehr über die Börse gehandelt werden können und dadurch die Vermögensinteressen v.a. der Minderheitsaktionäre betroffen werden, wird in diesem Fall von der überwiegenden Auffas12 Stellvertretend: EsserslWeisnerlSchlienkamp. Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse - die Macrotron-Entscheidung des BGH. DStR 2003. 985 (986); Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären De1isting - Macrotron und die Folgen. ZIP 2004. 533 (540 f.); Wirthl Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften. ZIP 2000, 111 (113) m. w. N.; a. A. jedenfalls für den Segmentwechsel: Heidel. Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25.11. 2002 - II ZR 133/01; DB 2003, 548; differenzierend auch o. v.. AktG § 119; BörsG § 43 Abs. 4, 75 Abs. 3. Delisting bzw. "going private" und Zustimmung der Hauptversammlung gemäß der Holzmüller-Entscheidung, DNotIReport 2002, 25 (27).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

sung die Beteiligung der Hauptversammlung gefordert. In der Begründung dieser Ansicht bestehen jedoch zum Teil erhebliche Unterschiede.

I. Ausgangslage Bevor die Ansichten, die zu diesem Problem in Literatur und Rechtsprechung vertreten werden, vorgestellt und analysiert werden, soll der Blick zunächst auf die aktienrechtliche Organzuständigkeit sowie auf die wohl bedeutendste BGHEntscheidung im Zusammenhang mit dieser Problematik gerichtet werden. 1. Die Vorgaben des AktG

Bei der Frage nach der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Einleitung des Delisting-Verfahrens bei einer AG ist zunächst einmal zwischen dem Außenverhältnis und dem Innenverhältnis zu unterscheiden. Das Außenverhältnis betrifft die Frage, welches Organ die das Delisting-Verfahren einleitende Handlung vorzunehmen hat, d. h. den Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung zu stellen hat. Insofern handelt stets der Vorstand als gesetzliches Vertretungsorgan der AG gemäß §§ 76 1,78 I AktG\3. Das Innenverhältnis hingegen betrifft die Frage, welches Organ innerhalb der AG für die Entscheidung über die Einleitung eines Widerrufsverfahrens zuständig ist. Im Kern geht es dabei darum, ob der Vorstand allein entscheidungsbefugt ist und den Widerrufsantrag auch ohne oder sogar gegen den Willen der Hauptversammlung stellen kann oder ob er dazu die Hauptversammlung einbeziehen muss. Aus dieser Trennung zwischen Außen- und Innenverhältnis folgt, dass der Widerrufsantrag - jedenfalls bis zur Grenze der anerkannten Fälle des Missbrauchs der Vertretungsmacht - selbst dann wirksam wäre, wenn der Vorstand gegen eine etwaige Zuständigkeit der Hauptversammlung im Innenverhältnis verstoßen sollte l4 . Gemäß § 76 I AktG hat der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten und gemäß § 77 I AktG führt er die Geschäfte der AG. Geschäftsführung ist jedwede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit für die AG I5 . Zum einen hat der Vorstand dabei die Grenzen zu beachten, die aus dem in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand folgen, § 23 III Nr. 2 AktG. Wenn \3 Allgemeine Ansicht, vgl. z. B. Winhl Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (113); für das Zulassungsverfahren vgl. HalasziKloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, ZBB 2001, 474 (476) m. w. N. 14 Essers IWeisner I Schlienkamp, Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse - die Macrotron-Entscheidung des BGH, DStR 2003, 985 (990); GeyrhalterlZimgibl. Alles unklar beim fonnalen DeIisting - eine Zwischenbilanz 18 Monate nach "Macrotron", DStR 2004, 1048 (1049). 15 Statt aller: HefermehllSpindler in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 77 AktG Rn I; Hüf!er; Aktiengesetz, § 77 AktG Rn 3; jeweils m. w. N.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

141

also die Satzung ausnahmsweise eine Bestimmung über die Börsennotierung des Unternehmens enthalten sollte, muss der Vorstand dies beachten und einen Hauptversammlungsbeschluss über das Delisting herbeiführen. Sollte die Satzung jedoch - wie im Regelfall - keine Aussage zur Börsennotierung treffen, sind dem Vorstand jedenfalls durch den Unternehmensgegenstand keine Grenzen gesetzt l6 . Der Unternehmensgegenstand wird nämlich von der Entscheidung über das reguläre Delisting grundsätzlich nicht berührt, denn er wird nicht unzulässig verändert, solange die Identität des Unternehmens als solche erhalten bleibt 17 . Zum anderen hat der Vorstand im Verhältnis zur Gesellschaft die Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis einzuhalten, § 8211 AktG. Dieser Vorschrift gemäß können derartige Beschränkungen aus der Satzung folgen, vom Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung ausgehen, oder in Geschäftsordnungen von Vorstand und Aufsichtsrat ihre Grundlage finden. Sollte keine dieser Quellen etwas für eine Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes hergeben, bleibt es also beim Regelfall, nämlich dass der Vorstand allein die Geschäfte der Gesellschaft führt. Im Übrigen ist noch anzumerken, dass sich eine Beschränkung des Vorstands auch nicht aus verbandsrechtlichem Gewohnheitsrecht (sog. "Observanz" oder "Herkommen") ergeben kann. Zwar kann sich solches Vereinsgewohnheitsrecht bilden, wenn ein bestimmter Tatbestand über einen längeren Zeitraum hinweg gleichmäßig in einem bestimmten Sinne behandelt worden ist und die Mitglieder des für den Verein handelnden Organs zu der Überzeugung gelangt sind, es liege eine rechtlich bindende Ordnung vor l8 . Allerdings ist es sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung anerkannt, dass Vereinsgewohnheitsrecht jedenfalls beim rechtsfähigen Verein die Satzung nicht abändern kann, da das Eintragungserfordernis nach § 71 I BGB fehlt 19. Da die AG rechtssystematisch in die Kategorie der Vereine gehört 20 und § 181 III AktG der Vorschrift des § 71 I BGB inhaltlich entspricht, muss dies für die AG gleichermaßen gelten. Wenn also die Börsennotierung einer AG in der Satzung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, kann sich die Bindung des Vorstands bei seiner Entscheidung über ein Delisting auch nicht aus einer möglicherweise entstandenen Observanz ergeben. Die Entscheidung für ein reguläres Delisting der AG ist daher grundsätzlich als Maßnahme der Geschäftsführung anzusehen, für welche der Vorstand zuständig ist, und zwar allein. Möglicherweise lässt sich aber bereits aus dem AktG eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung herleiten. Die Rechte der Hauptversammlung sind in § 119 AktG geregelt. Von den in § 119 I AktG enumerierten Beschlusskompetenzen der Hauptversammlung kann allenfalls Nr. 6 in Betracht kommen, nämlich dann, wenn Zur Frage, weIche Rolle die §§ 68 bzw. 18011 AktG insofern spielen, siehe § 11 11. 2. a). HülfeT, Aktiengesetz § 82 AktG Rn 9. 18 Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, Rn 454 rn. w. N. 19 OLG Frankfurt, ZIP 1985, 213 (215 f.); Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, Rn 458; Reuter in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 25 Rn 2 m. w. N.; ders., Die Verfassung des Vereins gern. § 25 BGB, ZHR 148 (1984), 523 (549 ff.). 20 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 755 m. w. N. 16 17

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

es sich beim Delisting um eine Kapitalmaßnahme handelte. Allerdings erfasst diese Vorschrift nur Kapitalmaßnahmen des AktG, d. h. Maßnahmen der Kapitalbeschaffung (§§ 182 ff. AktG) einschließlich der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 AktG) und der Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff. AktG)21. Da jedoch schon der Gang an die Börse keine Kapitalerhöhung i. S. § 182 AktG ist und daher nicht als Kapitalmaßnahme i. S. § 119 I Nr. 6 AktG qualifiziert werden kann22 , muss dies umgekehrt auch für den Rückzug von der Börse gelten. Eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung für eine Delisting-Entscheidung lässt sich daher nicht aus § 119 I Nr. 6 AktG herleiten. In Fragen der Geschäftsführung hat die Hauptversammlung nun aber grundsätzlich keine eigene Zuständigkeit. Zwar ist der Vorstand an eine Entscheidung der Hauptversammlung die er gemäß § 119 11 AktG herbeigeführt hat, gebunden und muss sie also gemäß § 83 11 AktG ausführen 23 . Allerdings kann die Hauptversammlung insoweit nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. Aus alldem folgt zunächst, dass nach dem Wortlaut und Systematik des AktG eine Zustimmungspflicht der Hauptversammlung nicht besteht und daher der Vorstand für eine Delisting-Entscheidung allein zuständig ist. 2. Die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH Diesem für das Gesellschaftsrecht äußerst bedeutenden Urteif4 lag folgender Sachverhalt zugrunde: der substanz- und ertragsmäßig bei weitem wertvollere Teil des Betriebsvermögens der beklagten Aktiengesellschaft wurde ohne Zustimmung der Hauptversammlung auf eine zu diesem Zweck errichtete, zu 100% beherrschte Tochtergesellschaft übertragen. Der BGH hat entschieden, dass es zwar grundsätzlich im Ermessen des Vorstandes liege, ob er nach § 119 11 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeiführen will. Bei bestimmten Entscheidungen jedoch müsse der Vorstand einer AG den Weg des § 119 11 AktG beschreiten, er sei dann also nicht nur berechtigt, sondern ausnahmsweise sogar verpflichtet, eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen 25 . Dies soll immer dann der 21 Hüjfer; Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 6; Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 13. 22 Halaszl Kloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, ZBB 2001, 474 (477) m. w. N. 23 Hefermehl/ Spindler in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 83 AktG Rn 9; Hüjfer; Aktiengesetz, § 83 AktG Rn 11. 24 BGHZ 83, 122 ff.; bestätigt in BGHZ 146, 288 (296); vgl. auch OLG München, AG 1995,232 (233); LG Köln, AG 1992,238 (239 f.); LG Stuttgart, AG 1992,236 (237 f.); LG Frankfurt, AG 1993, 287 (2880; LG Hamburg, AG 1997, 238. Im Schrifttum wurde die Entscheidung teils begrüßt, überweigend jedoch abgelehnt, vgl. im Einzelnen die Nachweise bei Hüjfer; Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 17; Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 35 ff. 25 BGHZ 83,122 (131).

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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Fall sein, wenn es sich um eine grundlegende Entscheidung handelt, die zwar durch die Außenvertretungsmacht des Vorstandes, seine Geschäftsführungsbefugnis und den Wortlaut der Satzung formal noch gedeckt ist, die aber so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreift, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie ausschließlich in eigener Verantwortung treffen, d. h. ohne die Hauptversammlung zu beteiligen26 . Holt der Vorstand in einem solchen Fall die Zustimmung der Hauptversammlung nicht ein, so verletzt er seine Sorgfaltspflicht und überschreitet seine Kompetenzen. Mit diesem Urteil hat der BGH also eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz für Maßnahmen im Grundlagenbereich der AG geschaffen.

3.Zusanunenf~ung

Grundsätzlich ist allein der Vorstand der AG für die Entscheidung für ein reguläres Delisting zuständig, sofern sich nicht aus der Satzung der Gesellschaft etwas anderes ergibt. Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung lässt sich aus dem Gesetz nicht herleiten, jedoch existiert nach Rechtsprechung des BGH in bestimmten Fällen, nämlich bei grundlegenden Entscheidungen, die einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte und Interessen der Aktionäre darstellen, eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung. Fraglich und strittig ist, ob die Entscheidung über den Rückzug von der Börse einen solchen Fall darstellt.

11. Begründungsansätze für eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz Für die Herleitung einer ungeschriebenen Zuständigkeit der Hauptversammlung

für eine Entscheidung über ein reguläres Delisting werden sowohl in der Recht-

sprechung als auch in der Literatur verschiedene Lösungen vertreten. So wird das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses vornehmlich auf die oben besprochene "Holzmüller"-Rechtsprechung des BGH gestützt. Darüber hinaus wird es teilweise aus dem Verfassungsrecht, insbesondere aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG abgeleitet. Ferner wird ein Analogieschluss zu anderen Vorschriften, insbesondere zu denen des UmwG oder denen zur Vinkulierung von Namensaktien gezogen. Schließlich wird das Erfordernis noch auf eine Schrumpfung des Vorstandsermessens auf Null im Rahmen § 119 11 AktG gestützt. Im Folgenden werden diese Ansätze im Detail vorgestellt und zu ihnen sodann - jeweils einzeln Stellung genommen.

26

BGHZ 83,122 (131).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

1. Aufgrund der "Holzmüller"-Rechtsprechung des BGH

Die große Mehrheit derjenigen, die die Kompetenz der Hauptversammlung für die gesellschaftsinterne Entscheidung für ein reguläres Delisting bejahen, stützt sich dabei auf die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH. Diese Ansicht ist sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum weit verbreitet. a) Rechtsprechung: Der Fall "Macrotron "

Der - soweit ersichtlich - bisher einzige Fall, in dem es um den von einem Emittenten beantragten Widerruf der Börsenzulassung gemäß § 38 IV BörsG27 ging und der somit das Problem, welches Organ innerhalb des AG für eine solche Entscheidung zuständig ist, erstmals vor ein Gericht gebracht hat, war der der bei München ansässigen Macrotron AG. Dabei ging es im Wesentlichen um folgenden Sachverhalt: Die Aktien der Macrotron AG, eines führenden Elektronikhandelskonzerns in Europa, werden mehrheitlich von der kalifornischen Ingram Micro, Inc., Santa Ana, gehalten. Bereits auf der Hauptversammlung 1998 hatte die Verwaltung der Gesellschaft versucht, die Börsennotierung durch einen Fonnwechsel in eine GmbH & Co. KG zu beenden 28 . Die Hauptversammlungsbeschlüsse von 1998 wurden jedoch vom LG München I wegen Verfahrensfehlern für nichtig erklärt, weil aufgrund einer fehlenden Redezeitbegrenzung nicht alle Aktionäre, die sich in die Rednerliste haben eintragen lassen, bis zum (sachgerecht festgelegten) Debattenende zu Wort kommen konnten29 . Daraufhin wurde auf der Hauptversammlung 1999 der Vorstand der Gesellschaft durch einen mit einer Mehrheit von über 95 % gefassten Beschluss ennächtigt, den Antrag auf Widerruf der Zulassung zur amtlichen Notierung bei der FWB und der Bayrischen Börse München zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich lediglich noch ca. 1,1 % der Stammaktien und 8,5 % der stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Gesellschaft im Streubesitz. Diesen Hauptversammlungsbeschluss, ein reguläres Delisting zu beantragen, haben die Kläger, Minderheitsaktionäre der Gesellschaft, angefochten, da es gegen die Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs gegenüber den freien Aktionären verstoße, die Aktie von der Börse zu nehmen. aa) Die erstinstanzliche Entscheidung des LG München I

eo

zu entscheiden. Bemerkenswert ist In erster Instanz hatte das LG München zunächst, dass das Hauptproblern in Bezug auf die aktienrechtlichen Voraussetzun27 Zum Zeitpunkt der Entscheidung, d. h. vor Inkrafttreten des Vierten FMFG, war die Regelung noch in der wortgleichen alten Fassung von § 43 IV BörsG enthalten. 28 Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065. 29 LG München I, DB 2000, 267 (auszugsweise). 30 LG München I, DB 1999,2458 ff.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

145

gen eines Delisting auf Antrag der Gesellschaft, nämlich die Frage, ob dafür ein Hauptversammlungsbeschluss notwendig ist, hier nicht entscheidungserheblich war, denn ein solcher hatte ja vorgelegen. Dennoch hat das Gericht zu dieser Problematik - somit obiter dictum - Stellung genommen. Nach Auffassung des Landgerichts ist für ein (vollständiges) Delisting grundsätzlich die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich. Zu dieser Schlussfolgerung ist es leider ohne nähere Begründung gelangt. Vielmehr hat es sich mit der lapidaren Feststellung begnügt, dass "die Frage der Börsenzulassung bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung eine Strukturmaßnahme von herausragender Bedeutung für die [Gesellschaft] darstellt,,31. Vermutlich war damit gemeint, dass die Grundsätze der "Holzmüller"-Entscheidung beim regulären Delisting zur Anwendung kommen müssen. bb) Die Berufungsentscheidung des OLG München Auf die Berufung der Kläger hin hatte sich sodann das OLG München mit dem Fall zu befassen. In seiner Entscheidung 32 hat es ebenfalls das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses zur Ermächtigung des Vorstands zum Delisting bejaht und damit das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Senat hat sich dabei explizit auf die "Holzmüller"-Rechtsprechung des BGH bezogen und sich - jedenfalls insoweit erfreulicherweise - etwas näher mit der Problematik auseinandergesetzt. Die streitgegenständliche Ermächtigung des Vorstandes stelle nach den Kriterien der "Holzmüller"-Entscheidung eine Grundlagenentscheidung dar, die die Zuständigkeit der Hauptversammlung begründe33 , wenngleich die Vermögens- und Verwaltungsrechte der Aktionäre erhalten bleiben. Zur Begründung haben sich die Richter im Wesentlichen auf die folgenden zwei Erwägungen gestützt: Zum einen bringt das Delisting eine Einschränkung der Handelbarkeit der Geschäftsanteile mit sich, welche nicht durch die Einbeziehung in den Freiverkehr ausgeglichen werden könne 34. Insofern liege die Bedeutung der Handelbarkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums insbesondere darin, dass die Aktionäre ihr Kapital nicht auf längere Sicht binden, sondern ihre Anteile jederzeit zu marktgerechten, ordnungsgemäß zustande gekommenen und staatlich überwachten Preisen veräußern können 35 . Zum anderen fallen durch das Delisting die Publizitäts- und Verhaltenpflichten nach dem BörsG und dem WpHG weg, insbesondere die kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten gemäß §§ 44 ff. BörsG und die Ad-Hoc Publizität gemäß § 15 WpHG36 . 31 32 '\3

34

35 36

LG München I, DB 1999,2458 (2459). OLG München, ZIP 2001, 700 ff. OLG München, ZIP 2001, 700 (703). OLG München, ZIP 2001, 700 (703). OLG München, ZIP 2001, 700 (703). OLG München, ZIP 2001, 700 (703).

10 Gulte

146

3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Insgesamt würden also die wirtschaftlichen Interessen der Aktionäre durch ein Delisting massiv tangiert37 . ce) Die Revisionsentscheidung des BGH Zwar ist auch der BGH der Ansicht, dass das reguläre Delisting eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf, im Gegensatz zu den vorinstanzlichen Entscheidungen stützt er sich dabei jedoch nicht auf die Grundsätze seiner "Holzmüller"-Entscheidung. Seinen Ausführungen zufolge könne die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über das reguläre Delisting nicht daraus hergeleitet werden, dass mit ihr in die Innenstruktur der Aktiengesellschaft oder die Mitverwaltungsrechte der Aktionäre eingegriffen würde 38 • Denn die innere Struktur der Gesellschaft werde dadurch, dass sie sich von der Börse zurückzieht, nicht verändert39 . Ebenso wenig würden der Bestand des Mitgliedschaftsrechtes - wie etwa bei der Regelung des "Squeeze-Out" i. S. §§ 327a ff. AktG - oder das Mitgliedschaftsrecht als relatives Beteiligungsrecht (Dividendenrecht, Anspruch auf Liquidationsanteil) berührt, der Vermögenswert der Beteiligung verwässert bzw. ausgezehrt oder die mitgliedschaftsrechtliche Stellung des Aktionärs durch Mediatisierung seiner Mitwirkungsrechts geschwächt40 . Die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für ein reguläres Delisting leitet der BGH vielmehr aus dem Verfassungsrecht, insbesondere aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG her41 . dd) Fazit Von der Rechtsprechung wird für das reguläre Delisting die Erforderlichkeit einer Ermächtigung des Vorstandes durch die Hauptversammlung der Gesellschaft - im Ergebnis einheitlich - bejaht. Während sich das Landgericht und das Oberlandesgericht im Fall "Macrotron" insoweit allerdings auf die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH stützen, erteilt letzterer dieser Argumentation jedoch ausdrücklich eine Absage und leitet das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses aus verfassungsrechtlichen Erwägungen her. Selbst innerhalb der Rechtsprechung besteht also keine Einigkeit darüber, wie die Kompetenz der Hauptversammlung für die Entscheidung über das Delisting begründet werden soll.

37 38 39 40 41

OLG München, ZIP 2001,700 (703). BGHZ 153,47 (54). BGHZ 153,47 (54). BGHZ 153,47 (54). Ausführlich dazu § 11 II. 3. a) bb).

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b) Literatur

Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses beim Totalrückzug von der Börse mehrheitlich auf die "Holzmüller"-Doktrin zurückgeführt42 . Es ist jedoch zu beachten, dass die insofern veröffentlichten Beiträge nahezu allesamt noch aus der Zeit vor dem die Anwendung der "Holzmüller"-Grundsätze verneinenden "Macrotron"-Urteil des BGH43 stammen. Dieser Ansicht zufolge stellt der Totalrückzug von der Börse eine Grundlagenentscheidung dar, die eine Übertragung der "Holzmüller"-Grundsätze auf diesen Sachverhalt rechtfertige. Das Vorliegen einer solchen Grundlagenentscheidung wird meist damit begründet, dass es sich beim Wandel von der börsennotierten zur nicht börsennotierten AG um einen rechtlichen, v. a. aber faktischen StrukturwandeI handele. Rechtlich handele es sich beim Börsenrückzug - spätestens seit der gesetzlichen Unterscheidung zweier Ausprägungen desselben Gesellschaftstyps nämlich um einen Wandel, der als Grundlagenentscheidung im Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung qualifiziert werden müsse44 . Ein Going Private habe nach dem novellierten Aktienrecht Folgen für die gesellschaftsrechtliche Organisationsstruktur, weil es die Satzungsautonomie im Bereich der Gewinnverwendung erweitere und Erleichterungen bei der Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung mit sich bringe45 • Des Weiteren entfielen einige, auf börsennotierte Gesellschaften beschränkte, Berichtspflichten im Rahmen der Rechnungslegung wie etwa die nach § 285 Nr. 10 und 11 HGB, sowie die nach §§ 317 IV, 321 IV HGB bestehende Pflicht des Anschlussprüfers, die Prüfung auf das nach § 91 11 AktG vom Vorstand einzurichtende Früherkennungssystem zu 42 Even/Vera, Die Techniken des Going Private in Deutschland, DStR 2002,1315 (1317); Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 191 ff.; Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift rur Gerold Bezzenberger, 653 (655 ff.); Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsenund Übernahmerecht, DB 2000, 557 (558); Lutter; Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb/Noack/Westermann (Hrsg.), Festschrift rur Wolfgang Zöllner, 363 (380); Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 67 ff.; dies., Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (595 f.); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (834 f.); Radtke, Delisting, 82 f.; Rieske, Der Rückzug von der Börse, 131 ff.; Schärf, Rechtsprobleme beim Going Private einer börsennotierten Aktiengesellschaft in Österreich und in der BRD, GesRZ 1995, 44 (48 f.); von Schenck in: Semler IVolhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch rur Unternehmensübernahmen, Bd. I, § 24 Rn 16; Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997), 739 (761 f., 765); Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2080); Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (461 f.); wohl auch Klenke, Der Rückzug mehrfach notierter Unternehmen von den deutschen Regionalbörsen, WM 1995, 1089 (1099). 43 BGHZ 153, 47 ff. 44 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (596). 45 Vollmer/Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995,472.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

erstrecken46 . Da eine AG mit dem Wegfall der Börsennotierung ferner nicht mehr als große Gesellschaft gilt, § 267 III 2 HGB, entfallen für sie auch die zwingenden Verschärfungen der Rechnungslegung und ihrer Publizität, die der Gesetzgeber speziell für große Kapitalgesellschaften angeordnet hat47 . Über die Änderung des auf die Gesellschaft anwendbaren und für sie maßgebenden Rechts könne aber nur die Hauptversammlung entscheiden 48 . Wesentlich bedeutender als der rechtliche sei aber der faktische Strukturwandel, den die Gesellschaft bei der Entwicklung von der publikumsoffenen zur geschlossenen AG durchmacht49 und der ihren Charakter nachhaltig verändere 5o • Dieser ergebe sich daraus, dass mit dem Delisting die Möglichkeit der Eigenkapitalaufnahme über die Börse verloren geht51 , eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens am Markt erforderlich wird52 , sowie die Kapitalmarktkontrolle der AG beendet. 53 Des Weiteren würde durch den Wegfall der börsenrechtlichen Verhaltens- und Informationsinstrumente, wie etwa die Pflicht zur Zwischenberichterstattung nach §§ 44 ff. BörsG, das Verbot von Insidergeschäften nach § 14 WpHG und die Ad-Hoc-Publizität nach § 15 WpHG, die Effektivität der Unternehmenskontrolle merklich verringert54• All dies führe dazu, dass die Klein- und Minderheitsaktionäre in eine mit den Konzernrechtsfällen - nur dazu ist die "Holzmüller"-Entscheidung ergangen - vergleichbare Gefährdungslage gerieten55 . Da die "Holzmüller"-Entscheidung auch auf den Schutz der Aktionäre vor Vermögensverlusten ziele und es beim Delisting zum Vermögensverbrauch der betroffenen Aktionäre komme, seien diese Einbußen der Aktionäre gleichfalls als relevant anzusehen56 . Diese seien beim Going Private insbesondere deshalb so schwerwiegend, weil die Fungibilität der Aktien durch den 46 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westerrnann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (656). 47 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westerrnann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (656). 48 Lutter, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb I Noack I Westerrnann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (378). 49 Vollmer I Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995,472. 50 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westerrnann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (656). 51 Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (558); Steck, "Going Private" über das UmwG, AG 1998,460 (461). 52 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (596), dies., Going Private durch reguläres DeIisting, WM 2002, 833 (835). 53 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westerrnann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (656). 54 Steck, "Going Private" über das UmwG, AG 1998,460 (461). 55 Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739, (761). 56 Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997), 739, (761); Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 191.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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Wegfall des öffentlichen Handels erheblich eingeschränkt werde 57 • Die Verkehrsfähigkeit der Aktie im Sinne der Handelbarkeit über die Börse sei aber für ihren Vennögenswert wesentlich und der mögliche außerbörsliche Handel (jedenfalls bisher) unbedeutend und kein gleichwertiges Pendant58 . Die bei der Veräußerung ihrer Anteile nunmehr bestehende Gefahr von hohen Transaktionskosten und fehlender Marktpreisbildung könne für die Kleinaktionäre u. U. sogar dazu führen, dass sie an die Gesellschaft gebunden werden, solange sie nicht bereit sind, erhebliche Wertabschläge hinzunehmen. Dadurch könnten diese sich dann nicht mehr ausreichend gegen eine nachteilige Unternehmenspolitik schützen59 . Demzufolge bewirke der Totalrückzug von der Börse einen tiefen Eingriff in das im Anteilseigentum verkörperte Vennögensinteresse der Aktionäre60 bzw. einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte und Interessen der Aktionäre61 im Sinne der "Holzmüller"-Rechtsprechung. Angesichts dieser besonders für den Kleinanieger weitreichenden Konsequenzen falle die Entscheidung zum Börsenaustritt nicht mehr in die Kompetenz der Verwaltungsorgane allein, sondern berühre den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung. In Anlehnung an die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH wird die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für ein Delisting schon deshalb gefordert, weil sich aus der Leitungsbefugnis des Vorstands nach § 76 I AktG eine Neutralitätspflicht des Vorstands ergebe, die es ihm verbiete, auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises Einfluss zu nehmen. Da beim vollständigen Delisting die Kleinaktionäre aber zum Verkauf ihrer Anteile gezwungen werden und sich dadurch der Gesellschafterkreis verändere, ziehe es eine Vorlagepflicht des Vorstands gemäß § 11911 AktG nach sich62 . Zum Teil wird weiterhin vertreten, dass sich die Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung darüber hinaus auch aus einer indirekten Anwendung der "Holzmüller"-Grundsätze ergebe, denn die Revision der hauptversammlungspflichtigen Entscheidung über den Gang an die Börse bedürfe selbst der Zustimmung der Hauptversammlung63 . Ergänzend wird noch darauf verwiesen, dass ein nach der "Holzmüller"-Doktrin erforderlicher Hauptversammlungsbeschluss trotz der Stimmrechtsübennacht des Mehrheitsgesellschafters kein reiner Fonnalismus ohne weitere Schutzwirkung zugunsten der Minderheitsaktionäre sei, denn die Diskussion um das Für und Wider Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997),739, (762). Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (595) m. w. N. 59 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 191. 60 Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2080). 6\ Pluskat, Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (834 f.). 62 Rieske, Der Rückzug von der Börse, 134 ff. 63 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 193. 57

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

des Börsenrückzugs innerhalb der Hauptversammlung mache den innergesellschaftlichen Abwägungsprozess transparent und führe außerdem zur Eröffnung der Kontrollmöglichkeit durch die aktienrechtliche Anfechtungsklage 64 . c) Stellungnahme

Die Ansicht, dass die Entscheidung für ein vollständiges Delisting aufgrund der "Holzmüller"-Entscheidung in die Kompetenz der Hauptversarnrnlung fällt, überzeugt nicht. Zur insofern ergangenen Rechtsprechung 65 ist zunächst einmal zu bemerken, dass sie bereits in sich widersprüchlich ist66 . Denn einerseits verlangt sie zwar eine Beteiligung der Hauptversammlung nach den Grundsätzen der "Holzmüller"-Entscheidung, da "die Frage der Börsenzulassung bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung eine Strukturmaßnahme von herausragender Bedeutung" für die Gesellschaft darstelle67 bzw. mit dem Delisting "ein Eingriff in die wirtschaftlichen und damit vermögensrechtlichen Interessen der Minderheit" verbunden sei68 . Andererseits führen die Gerichte diese Ansicht jedoch selbst ad absurdum, und zwar mit den Argumenten, mit denen sie das Anschlusserfordernis eines schriftlichen Vorstands berichtes bzw. die Möglichkeit einer materiellen Inhaltskontrolle des Hauptversammlungsbeschlusses durch die Gerichte verneinen. Insofern führen sie nämlich erstaunlicherweise aus, dass das Delisting rechtlich keinen Struktureingriff oder gar -wechsel darstelle, weil der gesellschaftsrechtliche Rahmen gleich bleibe und die Mitgliedschaftsrechte unverändert fortbestünden 69 bzw. dass der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung in die Verwaltungsrechte der Minderheitsaktionäre nur marginal und in die vermögensrechtliche Stellung nur bedingt eingreife7o . Wenn die Gerichte diese Einschätzungen tatsächlich ernst genommen hätten, hätten sie nicht erst das Erfordernis eines schriftlichen Vorstandsberichtes bzw. eine materielle Inhaltskontrolle des Hauptversammlungsbeschlusses, sondern schon die Zuständigkeit der Hauptversammlung nach den Grundsätzen der "Holzmüller"-Doktrin verneinen müssen. 64 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (595); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (834); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 137. 65 LG München I, DB 1999,2458 ff.; OLG München, ZIP 2001, 700 ff. 66 Kiem, Kurzkommentar zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999 - 5 HKO 10580/99, EWiR 2000, 75 (76); Krämer/Theiß, DeJisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (236); Mutter; Kurzkommentar zu OLG München, Urteil vom 14. 02. 2001 7 U 6019/99, EWiR 2001, 459 (460); Wirth/Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 200,111 (113). 67 LG München I, DB 1999,2458 (2459). 68 OLG München, ZIP 2001, 700 (703). 69 LG München I, DB 1999,2458 (2459). 70 OLG München, ZIP 2001, 700 (704).

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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Die Gerichte hätten daher, ausgehend von ihren Argumentationen zum Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses, konsequenterweise auch die Notwendigkeit eines schriftlichen Vorstandsberichtes bzw. die Möglichkeit einer materiellen Inhaltskontrolle des Hauptversammlungsbeschlusses bejahen müssen71. Denn weder ist es denkbar, dass bei einer Maßnahme, die so schwer wiegt, dass sogar ein Hauptversammlungsbeschluss darüber gefasst werden muss, kein Vorstandsbericht vorgelegt werden muss noch kann es möglich sein, dass die Überprüfung eines solchen Beschlusses auf seine sachliche Rechtsfertigung hin ausgeschlossen ist. Richtigerweise kann die Beteiligung der Hauptversammlung an der Entscheidung für einen vollständigen Börsenrückzug der Gesellschaft jedoch nicht aus der "Holzmüller"-Entscheidung hergeleitet werden 72 . Selbst ein Totalrückzug stellt keinen so intensiven Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre dar, dass eine Übertragung der "Holzmüller"-Grundsätze gerechtfertigt erscheint und dadurch der Anlegerschutz parallel zur börsenrechtlichen noch auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene gewährleistet werden muss. Denn die Einzelrechte, die den Aktionären aus der Mitgliedschaft erwachsen, werden durch einen Totalrückzug des Unternehmens von der Börse nicht berührt73 • Dabei steht zunächst außer Frage, dass die Verwaltungsrechte der Aktionäre, also das Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung, § 118 I AktG, das Stimmrecht, §§ 12, 134 AktG, das Auskunftsrecht, §§ 131, 132 AktG und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, §§ 241 Nr. 5, 243 ff. AktG, unangetastet bleiben. Der Einfluss der Aktionäre auf das Unternehmen wird also nicht im Geringsten reduziert. Ferner werden ihre mitgliedschaftlichen Vermögensrechte durch den Börsenrückzug der Gesellschaft ebenfalls nicht beeinträchtigt. Denn sowohl der Anspruch auf den Liquidationserlös, § 271 AktG, als auch das Dividendenrecht, § 58 IV AktG, sowie das Recht zum Bezug neuer Aktien bei Kapitalerhöhungen, § 186 I 1 AktG, beste71 Dies tun Kiem, Kurzkommentar zu LG München I, Urteil vom 04. 11. 1999-5 HKO 10580/99, EWiR 2000, 75 (76); Mutter; Kurzkommentar zu OLG München, Urteil vom 14.02.2001 -7 U 6019/99, EWiR 2001, 459 (460); Schaub, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 14.02.2001 -7 U 6019/99, DStR 2001, 951 (952); Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001,2075 (2080). 72 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (55); Halaszi Kloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, DB 2001, 474 (482); Mutter; Kurzkommentar zu OLG München, Urteil vom 14.02.2001 - 7 U 6019/99, EWiR 2001, 459 (460); Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 38 ff., 54; Schiessl, Ist das deutsche Aktienrecht kapitalmarkttauglich?, AG 1999,442 (452); WirthIA mold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (114 ff.). 73 MartiniuslSchiffer; Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999, 2460 (2461); dies., Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 14.02.2001 - 7 U 6019/99, DB 2001, 750; Mülbert, Rechtsprobleme des De1isting, ZHR 165 (2001), 105 (129); Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 38 ff., 54; Streit, Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1287); ders., Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - 11 ZR 133/01, ZIP 2003, 392 (393).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

hen nach einem vollständigen Delisting unverändert fort. Zudem kann von einem Entzug des Anteilseigentums, wie es beim Squeeze-Out nach §§ 327a ff. AktG der Fall ist, keine Rede sein. Der bedeutendste Faktor, den das (vollständige) Delisting für die Aktionäre mit sich bringt, ist, dass sie ihre Anteile fortan nicht mehr über die Börse veräußern können. Dass dies die wirtschaftlichen Interessen der Aktionäre tangiert, liegt auf der Hand, ändert aber nichts daran, dass kein Eingriff in ein aus dem Anteilseigentum fließenden Recht der Aktionäre vorliegt. Denn genauso, wie es ein mitgliedschaftliches Recht der Aktionäre auf die Börsenzulassung der AG, an der sie beteiligt sind, nicht gibt, gibt es keines auf das Weiterbestehen derselben. Die Möglichkeit des Handels der Aktien über die Börse wird eben durch das AktG nicht geschütze 4 . Bleiben jedoch beim De1isting sämtliche Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre unverändert bestehen, ist schon tatbestandlich für die Anwendung der "Holzmüller"-Doktrin kein Raum. Darüber hinaus ist der Schutzzweck der Entscheidung ist ein ganz anderer. In erster Linie betraf sie die Bildung und Kontrolle von Konzernen, denn im dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Übertragung eines bedeutenden Geschäftsteils der Gesellschaft auf eine eigens zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft. Für Entscheidungen, die diesen Unternehmensteil betreffen und für die zuvor ein Hauptversammlungsbeschluss mit den außenstehenden Aktionären erforderlich war, wäre nach der Ausgliederung nur noch ein Beschluss der hundertprozentigen Tochter erforderlich75. Durch die damit bewirkte Mediatisierung der Stimmrechte der Aktionäre wurde aber ihre Rechtsstellung erheblich beeinträchtigt. Dies war letztlich ausschlaggebend dafür, eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz anzuerkennen. Beim Delisting liegen die Dinge jedoch ganz anders. Wie soeben erläutert, wird die RechtsteIlung der Aktionäre selbst beim vollständigen Börsenrückzug nicht beeinträchtigt. Auf den im Rahmen der Konzernbildung gebotenen und vom BGH anerkannten Schutz der (Minderheits-)Aktionäre kommt es im Zusammenhang mit einem Delisting also gar nicht an. Dafür, dass eine Hauptversammlungskompetenz für das Delisting nicht auf die "Holzmüller"-Doktrin gestützt werden kann, spricht ferner die jüngst ergangene und zu begrüßende Folgerechtsprechung durch den BGH selbst. In seinem "Ge1atine"-UrteiI 76 hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen bei Maßnahmen, die das Gesetz dem Vorstand als Leitungsaufgabe zuweist, nur ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen sind. Sie kommen allein dann in Betracht, wenn eine von dem Vorstand in Aussicht Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (165). Krämer/Theiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (236). 76 BGH, NJW 2004, 1860 ff. (vgl. auch die mit denselben Leitsätzen versehene und in der Begründung in großen Teilen aber nicht vollständig textgleiche Entscheidung vom gleichen Tag, ZIP 2004, 1001 ff. =NZG 2004, 575 ff. =WM 2004, 1085 ff.). 74 75

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversarnmlungsbeschlusses

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genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden können77 . Die Annahme dieses Ausnahmecharakters von ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen beruht auf der zutreffenden Vorstellung, "dass die Hauptversammlung in Anbetracht ihrer inhomogenen, dem Zufall ausgelieferten Zusammensetzung und ihrer Feme zu den jeweils zu treffenden Geschäftsführungsmaßnahmen ihrer ganzen Struktur nach für die Mitwirkung an der Leitung einer Aktiengesellschaft ungeeignet ist, dass ihr aber die Grundlagenkompetenz für die Verfassung zugewiesen bleiben müsse,,78. Wenn jedoch eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz nur ganz ausnahmsweise angenommen werden kann, so heißt dies umgekehrt, dass nicht schon jede die Rechtsstellung des Aktionärs beeinträchtigende Veränderung eine Mitwirkung der Hauptversammlung erfordert, sondern nur Extremfälle, d. h. solche, die fast satzungsändernde Wirkung haben 79. Wie bereits dargelegt, greift die Entscheidung über ein Delisting jedoch überhaupt nicht in die Rechte der Aktionäre ein. Die Voraussetzungen für die ausdrücklich nur ausnahmsweise bestehende ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz liegen damit, anders als bei "Holzmüller", beim Delisting nicht vor. Ebenso wenig trägt das oft ins Feld geführte Argument, dass der Rückzug von der Börse eine Änderung der Struktur der Gesellschaft bedeute. Selbst bei einem Totalrückzug bleibt der gesellschaftsrechtliche Typus der AG unverändert, denn die Börsennotierung gehört nicht zu den rechtlichen Wesensmerkmalen einer AG. Die rechtliche Struktur der Gesellschaft ändert sich beim Delisting nun einmal nicht80 . Zwar haben das Gesetz zur Kleinen AG und das KonTraG eine Reihe kapitalmarktorientierter Vorschriften im AktG geschaffen, die an die Börsennotierung der Gesellschaft oder deren Fehlen anknüpfen. Deren sachliche BeBGH, NJW 2004, 1860 (1864). BGH, NJW 2004,1860 (1864) m. w. N. 79 Altmeppen, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26. 04. 2004 - 11 ZR 155102, ZIP 2004, 999 (1000 f.); Bungert, Festschreibung der ungeschriebenen ,,Holzmüller"-Hauptversammlungszuständigkeiten bei der Aktiengesellschaft, BB 2004, 1345 (1347, 1351); Fuhrmann. "Gelatine" und die Holzmüller-Ooktrin: Ende einer juristischen Irrfahrt? AG 2004, 339 (341); Götze. "Gelatine" statt "Holzmüller" - Zur Reichweite ungeschriebener Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung, NZG 2004. 585 (587. 589); Just. Kurzkommentar zu BGH, Urteil vom 26. 04. 2004 - 11 ZR 155102, EWiR 2004, 573 (574); Noack. Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.04.2004 - 11 ZR 155102. LMK 2004, 162; Sil1Wn. Von "Holzmüller" zu "Gelatine" - Ungeschriebene Hauptversarnmlungszuständigkeiten im Lichte der BGH-Rechtsprechung, OStR 2004, 1482 (1484 ff.); wohl auch Fleischer, Ungeschriebene Hauptversarnmlungszuständigkeiten im Aktienrecht: Von "Holzmüller" zu "Gelatine", NJW 2004,2335 (2337 f.); Goette. Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26. 04. 2004 - 11 ZR 155/02, OStR 2004, 927 (928). 80 Martinius / Schiffer, Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 4. 11. 1999 - 5 HKO 10580/99, OB 1999,2460 (2461). 77 78

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

deutung liegt darin, dass für nicht börsennotierte Gesellschaften Spielräume zur Verfügung bestehen bzw. Verschärfungen gesetzlicher Erfordernisse nicht gelten, vgl. §§ 58 112, 130 I 3, 134 I 2 AktG, während solche SpieIräume bei Börsennotiz nicht zur Verfügung stehen und Verschärfungen zu beachten sind, vgl. §§ 110 m, 171 112 HS. 2, 328 m AktG 81 . Allerdings lässt sich nicht sagen, dass damit vom Gesetzgeber eine Unterscheidung zweier gesellschaftsrechtlicher Typen der AG - börsennotierte und nicht börsennotierte - eingeführt wurde. Vielmehr hat er am Modell der "Einheits-AG" festgehalten. So sind die prägenden Merkmale einer AG von der gesetzlichen Ausdifferenzierung völlig unberührt geblieben82 , denn eine tief greifende Veränderung der Struktur der Aktiengesellschaft und des Verhältnisses der Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung war mit der gesetzlichen Neuregelung nicht verbunden 83 . Die fraglichen Vorschriften haben für eine solche Typendifferenzierung eine viel zu geringe Bedeutung 84 und darüber hinaus vor allem unterschiedliche Schutzrichtungen. Während beispielsweise § 171 II 2 Hs. 2 AktG mit der Erweiterung der Berichtpflichten des Aufsichtsrats einer börsennotierten AG die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats unterstützt, trägt § 58 11 2 AktG mit der Einschränkung der Möglichkeit der satzungsmäßigen Ermächtigung des Vorstands und Aufsichtsrats zur Rücklagendotierung bei der börsennotierten AG den Interessen der Publikumsaktionäre Rechnung 85 . Festzuhalten bleibt damit, dass börsennotierte und nicht börsennotierte Aktiengesellschaft keine wesensverschiedenen Gesellschaftstypen darstellen und es somit nach deutschem Recht eben keine Dichotomie zwischen den Aktiengesellschaften gibt. Auch aus rechtsvergleichender Sicht verlaufen die Grenzen zwischen börsennotierter und nicht börsennotierter Aktiengesellschaft eher fließend 86 . Ein Strukturwandel kann ferner nicht mit dem Wegfall der kapita)marktrechtlichen Verhaltens- und Informationspflichten begründet werden. Zum einen gilt hier ebenfalls, dass diese Regelungen keinen neuen Gesellschaftstyp börsennotierte AG schaffen, denn das Binnenorganisationsrecht der Gesellschaft bleibt unver ändert, und zum anderen entfallen mit dem Wegfall der Börsennotierung ja gerade die Risiken, vor denen diese Vorschriften schützen sollen87 . Schließlich begründen die Verhaltens- und Mitteilungspflichten des WpHG keine Individualrechte der Hüffer; Aktiengesetz, § 3 AktG Rn 5. Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 105 (130). 83 Groß. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (163). 84 Streit. Delisting Light - Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der FWB, ZIP 2002, 1279 (1287); Wirthl Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (115). 85 Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001),141 (165); WirthIA mold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000,111 (115). 86 Hopt. Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, in: Basedow 1Hopt 1Kötz (Hrsg.), Festschrift für illrich Drobnig, 525 (536). 87 MartiniuslSchiffer; Anmerkung zu LG München I, Urteil vorn 04. 11. 1999-5 HKO 10580/99, DB 1999.2460 (2461). 81

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§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversarnrnlungsbeschlusses

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Anleger88 , so dass ihr Wegfall schon deshalb nicht der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Dass das Delisting keinen Struktureingriff darstellt, sondern sowohl den gesellschaftsrechtlichen Rahmen als auch die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre unberührt lässt, zeigt im Übrigen der Umstand, dass die Zulassung gemäß § 38 III BörsG bzw. § 43 S. 2 BörsG sogar von Amts wegen widerrufen werden kann89 , also ohne Beteiligung der betroffenen Aktionäre. Mithin spricht bereits das Vorhandensein solcher Regelungen dafür, dass das Delisting selbst nach Auffassung des Gesetzgebers weder die Struktur der Gesellschaft berührt noch in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreift. Schließlich macht die eingeschränkte Veräußerbarkeit der Aktien die Entscheidung über das Delisting nicht zu einer Grundlagenentscheidung i. S. "Holzmüller"-Rechtsprechung, so dass deshalb die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich wäre. Richtig ist zwar, dass die Veräußerbarkeit der Aktien durch ein Delisting eingeschränkt wird und dadurch die Interessen der freien Aktionäre berührt werden 90. Und richtig ist ebenfalls, dass dieser Umstand nicht dadurch kompensiert wird, dass heutzutage ein außerbörslicher Wertpapierhandel in durchaus nennenswertem Umfang stattfindet91 , etwa über das Internet. Ein gleichwertiges Pendant zum Börsenhandel am amtlichen oder geregelten Markt stellen solche außerbörslichen Handelsalternativen nämlich nicht dar. Denn zum einen wird ein vollständiges Delisting vom Emittenten meist nur dann angestrebt werden, wenn eine zu geringe Zahl von freien Aktionären und damit ein zu geringer Freefloat existieren und der Börsenhandel dadurch schon vorher praktisch zum Erliegen gekommen ist. Daher wird in diesen Fällen auch ein außerbörslicher Handel wenig aktiv und deshalb eine Veräußerung der Aktie meist nur an den Mehrheitsaktionär möglich sein. Zum anderen geht mit dem Wegfall der kapitalmarktrechtlichen Publizitäts- und Informationspflichten ein erheblicher Verlust an Transparenz einher und im übrigen sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Handel nicht börsennotierter Werte noch nicht abschließend geklärt92 . Aus diesen Gründen ist es mehr als fraglich, ob von einer fairen Preisbildung - für den verkaufswilligen Minderheitsaktionär das wichtigste Kriterium - gesprochen werden kann. Dass durch die Einstellung des Börsenhandels die Interessen der (Minderheits-)Aktionäre berührt werden, liegt also auf der Hand. Der Börsenhandel der Aktien wird jedoch durch das Aktiengesetz nicht Groß. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (200!), 141 (165). Wirth I Amold. Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (115). 90 MartiniuslSchiffer; Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 4. 11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2461). 91 a. A.: MartiniuslSchiffer; Anmerkung zu LG München I. Urteil vom 04.11. 1999 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2461). 92 Zetuche. Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068) m. w. N. 88

89

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

geschützt93 . Daher greifen die gesellschaftsrechtlichen Kompetenznormen beim Delisting nicht ein, vielmehr wird die Handelbarkeit der Aktien an der Börse allein börsenrechtlich geregelt94 . Das Binnenorganisationsrecht der AG orientiert sich nicht an kapitalmarktbezogenen Anlegerinteressen der Aktionäre. Ein gesellschaftsrechtlicher Schutz der Aktionäre durch Beschluss der Hauptversammlung kann daher nicht mit der Beeinträchtigung dieser Anlegerinteressen begründet werden95 . Der Anlegerschutzgedanke hilft für eine Begründung der Hauptversammlungskompetenz ferner dann nicht weiter, wenn man einzig auf die geringere Verkehrsfahigkeit der Aktien abstellt. Zwar kann die Börsennotierung die Fungibilität der Aktien erhöhen, aber selbst ohne sie hat die Aktie eine erheblich höhere Verkehrsfähigkeit als andere Gesellschaftsanteile 96 und bleibt rechtlich uneingeschränkt fungibel 97 . Denn zum einen dient ihre Übertragung nach sachenrechtlichen Grundsätzen wegen der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs (§§ 932 ff. BGB) der Urnlauffähigkeit. Und zum anderen wird diese erhöhte Urnlauffähigkeit noch dadurch gesteigert, dass die Anschaffung von Aktien durch die spezialgesetzliche Regelung der §§ 18 ff. DepotG weiter erleichtert wird98 . Diese Urnlauffähigkeit bleibt nach einem Delisting grundsätzlich bestehen und macht selbst die nicht börsennotierte Aktie verkehrsfähiger als z. B. die Geschäftsanteile einer GmbH, die nicht in einem Wertpapier verbrieft sind und zu deren Übertragung die notarielle Beurkundung sowohl des Abtretungsvorganges als auch des darauf gerichteten Verpflichtungsgeschäfts erforderlich ist, § 15 III, IV GmbHG. Darüber hinaus wird dem Anleger durch das Delisting regelmäßig nicht einmal die erhöhte Fungibilität genommen, denn weil ein Delisting auf Initiative des Emittenten aus kapitalmarktrechtlichen Gründen häufig nur dann in Betracht kommt, wenn eine große Marktenge besteht, hat eine Verkaufmöglichkeit für den Einzelaktionär trotz bestehender Börsennotierung praktisch schon zuvor nicht mehr bestanden99 . Die geringere Verkehrsfähigkeit der Aktie nach einem Delisting stellt somit kein schlüssiges Argument für einen wie auch immer gearteten Strukturwandel dar. Unter dem Aspekt der verringerten Verkehrsfähigkeit der Anteile kann ein Hauptversammlungsbeschluss nach der "Holzmüller"-Rechtsprechung daher ebenfalls nicht hergeleitet werden. Groß, RechtsprobJeme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (165 f.). Groß, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 141 (165). 95 Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001),105 (BI f.). 96 KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 93

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(238). 97 Wirthl Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZIP 2000, 111 (116). 98 Hüffer, Gesellschaftsrecht, 288. 99 Ekkenga, ,,Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003, 878 (886) spricht von einer "substanzleeren FormaIposition" der Minderheitsgesellschafter; KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (238).

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Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass mit dem Delisting für die Minderheitsaktionäre sowohl Vorteile als auch Nachteile verbunden sind 1oo. Zu den Vorteilen zählen der Wegfall der Möglichkeit, Bezugsrechte auszuschließen und damit die Kapitalaufnahme zu erleichtern, § 186 III 4 AktG, die Möglichkeit, das gesetzliche Recht von Vorstand und Aufsichtsrat zur Gewinnrücklagenbildung satzungsmäßig zu beschränken, § 58 11 2 AktG, sowie die Möglichkeit der Einführung von statutarischen Höchststimmrechten. Zu den Nachteilen zählen die geringere Verkehrsfabigkeit der Aktien sowie der Wegfall der kapitalmarktrechtlichen Publizitäts- Informationspflichten. Selbst wenn man diese Nachteile, die das Delisting für die Aktionäre mit sich bringt, gegenüber den Vorteilen als schwerwiegender beurteilt, kann man das Delisting - gemessen an den hohen Anforderungen des ,,Holzmüller"-Urteils - nicht als tiefen Eingriff in die Aktionärsrechte ansehen lOI . Aus diesen Gründen kann keine Rede davon sein, dass das Delisting einen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte von der Intensität einer "Holzmüller"-Maßnahme darstellt. Selbst schlagwortartige Formeln wie "bedeutendes Grundlagengeschäft", ,,nachhaltige Veränderung des Gesellschaftscharakters" oder "faktische Strukturänderung" können darüber nicht hinwegtäuschen. Festzuhalten bleibt daher, dass eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über ein vollständiges Delisting unter keinem Gesichtspunkt aus der "Holzmüller"Entscheidung des BGH hergeleitet werden kann. 2. Aufgrund der analogen Anwendung anderer Rechtsvorschriften Außer mit der "Holzmüller"-Entscheidung wird eine Zuständigkeit der Hauptversammlung für das vollständige Delisting noch mit einer analogen Anwendung anderer Rechtsvorschriften begründet. Dabei wird sich zum einen speziell auf die aktiengesetzlichen Vorschriften betreffend die Vinkulierung von Namensaktien gestützt. Zum anderen wird eine Gesamtanalogie zu den umwandlungsrechtlichen Vorschriften gezogen. a) Vinkulierung von Namensaktien, §§ 68 Ill, 180 Il AktG

Verschiedentlich werden zur Begründung der Hauptversammlungszuständigkeit für die Entscheidung über ein vollständiges Delisting die Vorschriften des AktG betreffend die Vinkulierung von Namensaktien herangezogen lO2 • Bei den entspre100 Henze, Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 211 (242). 101 Henze, Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 211 (242). 102 Auf § 68 n 1 AktG stützt sich Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (461 f.); auf § 180 n AktG stützen sich Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997), 739

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

chenden Vorschriften handelt es sich zum einen um § 68 11 1 AktG, welcher die Möglichkeit enthält, Namensaktien zu vinkulieren, d. h. die Übertragung dieser Aktien nach der Satzung an die Zustimmung der Gesellschaft zu binden, und zum anderen um § 18011 AktG, gemäß welchem ein Beschluss zur nachträglichen Vinkulierung von Namensaktien der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre bedarf. aa) Argumentation In diesen Vorschriften - so wird behauptet - habe der Gesetzgeber die Beschränkung der Aktienfungibilität behandelt und für eine solche die Beteiligung der Hauptversammlung erforderlich gemacht. Die Einschränkung der grundsätzlich freien Aktienübertragbarkeit bedürfe der Legitimation der betroffenen Aktionäre, da eine Vinkulierung eine von Seiten der AG drohende "Einfrierungsgefahr" für die Aktionäre mit sich bringe. Diese Beschränkung der Aktienfungibilität sei mit der vergleichbar, die mit einem "Going Private" - wegen des fehlenden Börsenmarktes und des damit einhergehenden Anstiegs der Transaktions- und Informationskosten - verbunden ist 103 . Außerdem greife die nachträglich eingeführte Vinkulierung ähnlich tief wie das Delisting in die Vermögensrechte der Aktionäre ein 104 . Der Minderheitenschutz beim vollständigen Delisting könne daher auf die gleiche Weise wie bei der Vinkulierung von Namensaktien bewerkstelligt werden, nämlich durch eine Beteiligung der Hauptversammlung. Wenn schon ein Aktionär, der frei veräußerliche Anteile erworben hat, die nachträgliche Vinkulierung gemäß § 180 11 AktG nicht ohne seine Zustimmung hinnehmen muss, so könne man erst recht bei einem völligen Entzug des öffentlichen Marktes durch ein Going Private eine Mitwirkung der Aktionäre verlangen 105 . bb) Stellungnahme Eine solche Analogie zu den aktiengesetzlichen Vorschriften über die Vinkulierung von Namensaktien kann für die Begründung der Hauptversammlungszuständigkeit beim vollständigen Delisting ebenfalls nicht herangezogen werden. Es fehlt dafür schon an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte 106 . Anders als bei der Vinkulierung von Namensaktien, wird nämlich, wie oben gezeigt 107 , beim (762 f.); Heidel, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - 11 ZR 133/01, DB 2003, 548 (549). 103 Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (462). 104 Heidel, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - 11 ZR 133/01, DB 2003, 548 (549). 105 Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997),739 (762 f.). 106 Mülberl, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (1997), 105 (130); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 139 f. 107 Siehe § 11 11. 1. c).

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Delisting in den rechtlichen Gehalt der Mitgliedschaftsrechte nicht eingegriffen 108 . Während durch die Vinkulierung die Innenbeziehung der Aktionäre zur Gesellschaft hinsichtlich der Veräußerbarkeit der Aktien verändert wird, betrifft das Delisting nur das Verhältnis der Aktionäre nach "außen", indem es lediglich eine Handelsmöglichkeit beseitigtl09. Im Gegensatz zum Delisting geht es also bei der Vinkulierung nicht um die Beseitigung der Verkehrsfähigkeit der Aktie, denn vinkulierte Namensaktien werden sogar an der Börse gehandelt, sofern der Vorstand der AG bei der Börse eine pauschale Zustimmungserklärung nach § 68 11 2 AktG hinterlegt, sondern um Veränderungen, die eine mögliche Einflussnahme der Verwaltung auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises betreffen 11 0. Außerdem kann hier wiederum darauf verwiesen werden, dass die Einschränkung der Aktienfungibilität aufgrund der faktischen Marktverhältnisse schon vor der Entscheidung über das vollständige Delisting bestand und nicht, wie bei der (nachträglichen) Vinkulierung, erst durch den Hauptversammlungsbeschluss hervorgerufen wird. Schließlich passt der Analogieschluss auf der Rechtsfolgenseite nicht. Da nämlich die Vinkulierung der Namensaktien der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre bedarf, § 18011 AktG, müsste man konsequenterweise verlangen, dass der Hauptversammlungsentscheidung über das vollständige De1isting alle Minderheitsaktionäre zustimmen müssen. Da die Zustimmung des Mehrheitsaktionärs sicher wäre, käme dies einer erforderlichen Zustimmungsmehrheit von 100 % gleich. Selbst die Befürworter des Analogieschlusses vertreten ihre Argumentation daher nicht mit aller Konsequenz, sondern appellieren letztendlich an den Gesetzgeber, eine explizite gesellschaftsrechtliche Kompetenznorm zu schaffen 111. b) Umwandlungsgesetz

Zum Teil wird das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses für das vollständige Delisting auch auf eine analoge Anwendung des Umwandlungsrechts gestützt 112 . Dabei werden in erster Linie die Vorschriften über die Umwandlung einer AG in eine GmbH herangezogen, namentlich § 240 I 1 UmwG. 108 Ekkenga, ,,Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003,878 (886); Krämer/Theiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (238); Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (997), 105 (130). 109 Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 100 f. 110 Ekkenga, ,,Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003,878 (886). 111 So z. B. Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998,460 (462). 112 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform zur Stärkung des deutschen Kapitalmarktes, ZGR 1999,781 (799 f.); Schaub, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 14. 02. 2001 -7 U 6019/99, DStR 2001, 951 (952); Vollmer/Grupp, Der Schutz der Aktionäre beim Börseneintritt und Börsenaustritt, ZGR 1995, 459 (474 ff.); Wilsing/Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (811); Zetz-sche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000,10650067 ff.); wohl auch

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

aa) Argumentation Der Rückgriff auf § 240 11 UmwG zur Herleitung der Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über das vollständige Delisting wird wie folgt begrundet. Die analoge Anwendung des Umwandlungsrechts sei deshalb gerechtfertigt, weil sich eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft als faktisch geschlossene Gesellschaft rechtlich der GmbH annähere l13 • Dies zeige sich zum einen in der erschwerten Veräußerbarkeit der Anteile und zum anderen in den eingeschränkten Publizitätspflichten 1l4. So ist der Minderheitsaktionär von einer strengen Thesaurierungspolitik des Großaktionärs vor einem Delisting wegen der Veräußerungs möglichkeit über die Börse erheblich weniger abhängig als bei einem Zwang, seine Anteile über den Freiverkehr oder gänzlich außerbörslich abzusetzen ll5 . Daruber hinaus führe die durch den Wegfall der Berichts- und Prüfungspflichten bedingte geringere Transparenz im Hinblick auf Gewinnrucklagen und stille Reserven dazu, dass bei der Preisbildung außerhalb eines funktionierenden Marktes wie der Börse der "innere Firmenwert" nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden kann. Dadurch hemme das Delisting gegenüber dem status quo ante, ähnlich wie die nachträgliche Vinkulierung oder das durch die formwechselnde Umwandlung begrundete Erfordernis eines in notarieller Form geschlossenen Vertrages zur Abtretung von Geschäftsanteilen in der GmbH, vgl. § 15 m GmbHG, ebenfalls die Realisierung der Werthaltigkeit der Gesellschaftsanteile 11 6. Wegen dieser vergleichbaren Wirkung von Delisting und formwechseInder Umwandlung stelle das reguläre Delisting eine Umgehungsmöglichkeit der detaillierten Umwandlungsregeln dar. Diese Lücke könne dadurch geschlossen werden, dass die Wertung der Interessen von Groß- und Minderheitsaktionären, die der Gesetzgeber für das kalte Delisting im UmwG vorgenommen hat, auf das reguläre Delisting übertragen wird und somit eine Beteiligung der Hauptversammlung erforderlich sei 117 •

Benecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse-, WM 2004,1122 (1124 f.) ; Schaub, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 14.02.2001 7 U 6019/99, DStR 2001 , 951 (952). 113 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform, ZGR 1999, 781 (800); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068). 114 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform, ZGR 1999,781 (800). 115 Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068). 116 Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068). 117 Sclulub, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 14. 02.2001 -7 U 6019/99, DStR 2001,951 (952); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068); so wohl auch Wilsing/Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (811).

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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bb) Stellungnahme Mit einem Analogieschluss zu § 240 I 1 UmwG, der beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform die Beteiligung der Versammlung der Anteilsinhaber verlangt, kann die Zuständigkeit der Hauptversammlung einer AG für die Entscheidung über das vollständige Delisting ebenfalls nicht begründet werden. Auch in der geschlossenen AG bleiben die Binnenstruktur der Gesellschaft und das Kompetenzgefüge zwischen den einzelnen Organen erhalten. Es existieren nach deutschem Recht eben keine zwei verschiedenen Typen der AG und die Börsennotiz gehört nicht zu den Wesensmerkmalen einer AG. Im Übrigen wird der Wegfall der Publizitätsvorschriften durch gleichzeitigen den Wegfall der sie begründenden Risiken kompensiert und sogar ohne Börsennotiz bleibt die Aktie - anders als etwa der Geschäftsanteil einer GmbH - rechtlich uneingeschränkt fungibel 1I 8. Davon, dass sich die geschlossene AG rechtlich der GmbH annähere und daher das vollständige Delisting mit der Umwandlung einer AG in eine GmbH vergleichbar sei, kann also keine Rede sein. Ferner ist in der Praxis nicht zutreffend, dass die Realisierung der Werthaltigkeit der Aktien durch das Delisting gehemmt werde. Das Delisting auf Antrag des Emittenten ist meist nicht die Ursache für die eingeschränkte Handelbarkeit der Aktien, sondern lediglich die unternehmenspolitisch vernünftige Reaktion auf die veränderten Gegebenheiten am Markt, d. h. auf das Nicht(mehr-)zustandekommen eines Marktes für die Aktien der Gesellschaft aufgrund eines zu geringen Handelsvolumens. Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien beruht also nicht auf dem Delisting, sondern auf mangelnder Nachfrage 119 . Daher kann in der Inanspruchnahme der vom Gesetzgeber im Börsengesetz ausdrücklich eröffneten Möglichkeit eines (auch vollständigen) Delisting keine Umgehung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften erblickt werden. Nicht zuletzt sei noch auf eine weitere Schwäche in der Argumentation für eine Analogie zum Umwandlungsrecht hingewiesen. Dass § 240 I 1 UmwG bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH einen mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung der AG vertretenen Grundkapitals gefassten Hauptversammlungsbeschluss fordert, ist nur die halbe Wahrheit. Die Vorschrift fordert nämlich sogar im umgekehrten Fall, nämlich bei der Umwandlung einer GmbH in eine AG, einen Umwandlungsbeschluss der Gesellschafterversammlung der GmbH, der mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der bei der Gesellschafterversamm1ung abgegebenen Stimmen gefasst werden muss. Die Beteiligung der Anteilsinhaberversammlung und das Vorliegen einer entsprechenden Kapitalmehrheit ist also stets Voraussetzung für die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform. Diese ist selbst 118

(116).

Wirthl Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, ZlP 2000, 111

119 Ekkenga, "Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003, 878 (890).

1I Gutte

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

dann zu erfüllen, wenn die Fungibilität der Gesellschaftsanteile, wie bei der Umwandlung einer GmbH in eine AG, gerade nicht verringert wird. Deshalb kann das Erfordernis der Hauptversammlungsbeteiligung beim Delisting nicht darauf gestützt werden, dass das UmwG die Anteilseignerversammlung (auch) deshalb erfordere, weil die Fungibilität der Gesellschaftsanteile verringert werde. Der Beschluss der Versammlung der Anteilsinhaber bei der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform dürfte vielmehr deshalb erforderlich sein, weil im Wechsel der Rechtsform bei gleichzeitiger Wahrung der Identität des Rechtsträgers immer eine Änderung der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrags liegt. Für eine solche ist aber stets ein mit Dreiviertelmehrheit gefasster Beschluss der Anteilsinhaberversammlung der Gesellschaft nötig, vgl. §§ 53 1,11 1 GmbHG, 179 I 1,11 1 AktG, so dass dies konsequenterweise bei der Umwandlung gleichfalls der Fall sein muss. Ein Hauptversammlungsbeschluss für das Delisting ist daher nur dann erforderlich, wenn für den Wegfall der Börsennotierung eine Satzungsänderung notwendig wäre. Sollte jedoch die Börsennotiz der AG nicht satzungsmäßig festgeschrieben sein - was in der Praxis der Regelfall sein dürfte - erfordert der Rückzug von der Börse keine Satzungsänderung und mithin nicht (jedenfalls nicht deshalb) die Beteiligung der Hauptversammlung. Es bleibt daher festzuhalten, dass eine ungeschriebene Kompetenz der Hauptversammlung für die Entscheidung über ein vollständiges Delisting auch nicht mit einer Analogie zu § 240 I I UmwG begründet werden kann.

3. Aufgrund von Art. 14 GG Außer auf die "Holzmüller"-Entscheidung des BGH und die analoge Anwendung von Vorschriften über die Vinkulierung von Namensaktien oder über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften wird eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz für die Entscheidung über ein vollständiges Delisting ferner auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gestützt. Eine Herleitung des Erfordernisses eines Hauptversammlungsbeschlusses aus dem Verfassungsrecht wird - soweit ersichtlich - ausdrücklich bisher nur vom BGH vertreten. a) Rechtsprechung

Selbst innerhalb der Rechtsprechung bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das reguläre Delisting einen Eigentumseingriff darstellt. aa) Die "Macrotron"-Entscheidungen der Instanzgerichte Nach Auffassung sowohl des LG München I als auch des OLG München stellt das vollständige Delisting keinen Eigentumseingriff dar. Das Landgericht führt in

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversarnrn1ungsbesch1usses

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seinem "Macrotron"-Urteil aus, dass Kern des Eigentums nicht die Veräußerungsmöglichkeit von Unternehmensanteilen an der Börse sei, sondern, wie die im UmwG geregelte formwechselnde Umwandlung von Aktiengesellschaften zeige, der Anteil am Unternehmen 120. Zudem gehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Börsenkurs als Mindestabfindungswert 121 von dieser Prämisse aus, denn der Börsenkurs sei nach dieser Entscheidung lediglich ein Instrument, den Anteilswert zu bestimmen l22 . Diese Ausführungen werden von der Berufungsinstanz bestätigt. Im Urteil des OLG München heißt es insofern, das Bundesverfassungsgericht habe die Verkehrsfähigkeit als eine Eigenschaft des Wertpapiers, die bei der Berechnung der Abfindung zu berücksichtigen ist, dargestellt 123 • Durch die Einschränkung der Verkehrsfähigkeit, die durch das Delisting eintritt, werde der Kern des Eigentums, der im Anteil am Unternehmen selbst besteht, jedoch nicht berührt l24 . bb) Die ,,Macrotron"-Entscheidung des BGH Anders als die Instanzgerichte sieht der BGH im vollständigen Delisting eine Maßnahme, die das verfassungsrechtlich garantierte Eigentumsrecht der Aktionäre beeinträchtigt. Dem Aktionär werde mit dem Rückzug der Gesellschaft vom amtlichen oder geregelten Markt die Möglichkeit genommen, den Wert seiner Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren 125 . Der Wegfall des öffentlichen Markts bringe v. a. für den Minderheitsaktionär wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich, die nicht durch die Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden könne 126. Dies stelle eine Beeinträchtigung des durch Art. 14 I GG geschützten Eigentumsrechts der Minderheitsaktionäre dar. Zur Begründung stützt der BGH sich explizit auf die zum Abfindungsanspruch ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 127 . Nach dieser sei der Verkehrsfähigkeit der Aktien einer an der Börse zugelassenen Aktiengesellschaft für die Wertbestimmung der Anteile besondere Bedeutung beizumessen: Der Betrag eines den Minderheitsaktionären nach dem AktG zustehenden Abfindungsanspruchs müsse so bemessen sein, dass sie nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung im maßgebenden Zeitpunkt hätten erzielen können 128. Aus dieser Rechtsprechung folgert der BGH, dass nicht nur die jederzeitige Möglichkeit der Realisierung des Verkehrswertes, sondern sogar der Verkehrswert selbst eine Eigenschaft 120 121

122 123 124 125 126 127 128

1\"

LG München I, DB 1999,2458 (2460). BVerfGE 100,289. LG München I, DB 1999,2458 (2460). OLG München, ZIP 2001,700 (705). OLG München, ZIP 2001,700 (705). BGHZ 153,47 (54). BGHZ 153,47 (54). BVerfGE 100,289; BVerfG, ZIP 2000, 1670; ZIP 1999, 1804. BGHZ 153,47 (54 f.).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

des Aktieneigentums darstellt, die - wie das Aktieneigentum selbst - verfassungsrechtlichen Schutz genießt l29 • Dieser Schutz sei daher im Verhältnis der Gesellschaft zu den Aktionären zu beachten, denn der Verkehrswert sei bei börsennotierten Gesellschaften unerlässlicher Bestandteil des Rechtsverhältnisses zwischen Aktiengesellschaft und Aktionär 130 . Da aber der Schutz des mitgliedschaftlichen Vennögenswertes nicht in den Händen der Verwaltungsorgane, sondern der Hauptversammlung liege, habe diese darüber zu befinden, ob das Delisting als eine die Verkehrsfahigkeit der Aktie und damit den Verkehrswert des Anteils beeinträchtigende Maßnahme durchgeführt werden darf und SOll131.

b) Literatur Auch nach einer im Schrifttum vertretenen Minderheitsmeinung greift das vollständige Delisting in das aus Art. 14 I GG folgende Eigentumsrecht der Minderheitsaktionäre ein 132 . Zwar werde den Aktionären beim Delisting ihr Eigentum nicht entzogen, jedoch habe die Handelbarkeit einer Aktie einen gewissen wirtschaftlichen Wert, so dass durch ein Delisting das in den Aktien verkörperte Eigentum der Aktionäre beeinträchtigt werde!33. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich, wie der BGH, auf die zum Schutzbereich des Art. 14 I GG für das Aktienrecht jüngst ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts!34. Diese Rechtsprechung sei auf die Situation beim Delisting übertragbar, selbst wenn sie lediglich die Bestimmung der Abfindung für die Minderheitsaktionäre bei der Vermögensübertragung mit anschließender Liquidation gemäß §§ 179a AktG (§ 361 AktG a.F.), 262 I Nr. 2 AktG ("übertragende Auflösung") bzw. beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages gemäß §§ 291 ff. AktG betraf. Gemäß den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts darf die Verkehrsfähigkeit der Aktie als Eigenschaft des Aktieneigentums bei der Wertbestimmung des Eigentumsobjekts nicht außer Betracht bleiben 135. Aus dieser und der damit BGHZ 153,47 (55). BGHZ 153,47 (55). 13l BGHZ 153,47 (55). m Hellwig / Bonnann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (473 ff.); Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2272) = NZG 2000, 1112 (1113); Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 84; Schön, Der Aktionär im Verfassungsrecht, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 1359 (1382 f.); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschafsrecht, NZG 2000, 1065 129

130

(1066).

133 Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000,2271 (2272) =NZG 2000,1112 (1113). 134 V. a.: BVerfGE 100, 289; flankierend: BVerfG, ZIP 1999, 1804; BVerfG, ZIP 2000, 1670. 135 BVerfGE 100, 289 (305).

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verbundenen Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass dem Minderheitsaktionär nur das auszugleichen ist, was ihm an Eigentum i. S. Art. 14 00 verloren geht 136, wird der Schluss gezogen, dass die Verkehrsfähigkeit der Aktie bei börsennotierten Unternehmen ebenfalls von Art. 14 GG umfasst wird 137 . Die Berücksichtigung der Verkehrsfahigkeit der Aktie bei der Ermittlung des Ausgleichs impliziere also, dass sie selbst ebenfalls vom Grundrechtsschutz erfasst wird 138. Fällt also die Verkehrsfähigkeit der Aktie in den Schutzbereich von Art. 1400, so stellt das vollständige Delisting, durch welches die höhere Verkehrsfahigkeit der Aktie einer börsennotierten AG faktisch beseitigt wird, einen Eingriff in dieses Grundrecht dar. Allerdings ziehen die Vertreter dieser Ansicht, anders als der BGH, aus der Feststellung, dass das vollständige Delisting einen Eingriff in Art. 1400 darstellt, der dann natürlich auf seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung hin überprüft werden muss, nicht die Konsequenz, dass das Delisting der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Vielmehr folge aus ihr lediglich, dass bei jeder Entscheidung über einen vom Emittenten gestellten Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung eine Abwägung zwischen den Grundrechten der Aktionäre, und denen der Gesellschaft, namentlich des Rechts der unternehmerischen Freiheit aus Art. 2 I GG, zu erfolgen hat. Soweit ersichtlich, wird in der Literatur das Erfordernis der Hauptversammlungsbeteiligung beim vollständigen Delisting also nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 I 00 hergeleitet.

c) Stellungnahme

Bevor auf die Frage eingegangen wird, ob das vollständige Delisting tatsächlich in eine von Art. 14 GG geschützte Eigentumsposition der (Minderheits-)Aktionäre eingreift, sei folgendes vorausgeschickt. Selbst wenn man einen solchen Eingriff in die Eigentumsgarantie bejahen sollte, folgt daraus noch nicht, dass die Entscheidung über das vollständige Delisting der Hauptversammlung vorbehalten sein muss 139 . Nach allgemeiner Auffassung und ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten die Grundrechte unter Privaten nicht unmittelbar. Vielmehr kommt ihnen lediglich eine mittelbare Geltung zu ("mittelbare Drittwirkung"). Konkret bedeutet dies, dass sich die Grundrechte "erst durch das Medium BVerfGE 100, 289 (305). Hellwig/Bormann. Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (474). 138 Hellwig/Bormann. Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002,465 (474). 139 Adolff/1ieves, Über den rechten Umgang mit einern entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800) unter Verweis auf BVerfG ZIP 1999, 1801 ff. zur Abschirmung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung gegen unmittelbar aus Art. 14 GG abgeleitete Korrekturen. 136 137

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

der das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften" entfalten 140 . Medium für eine solche Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Privatrecht sind diejenigen Vorschriften, die zwingendes Recht enthalten, insbesondere die Generalklauseln l4l . Aus einem Eingriff in Art. 14 GG durch das vollständige Delisting eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz herzuleiten, so wie es der BGH in seiner "Macrotron"-Entscheidung getan hat, geht jedoch über den Rahmen dieser mittelbaren Drittwirkung hinaus 142 . Es handelt sich dabei nämlich nicht mehr um die verfassungskonforme Auslegung einer zivilrechtlichen Generalklausei als sog. "Einbruchstelle" für die Grundrechte, sondern um die Aufstellung einer gesellschaftsrechtlichen Kompetenzregelung, die im einfachen Recht keine Stütze findet 143 . Wenngleich die Zivilgerichte als Teil der öffentlichen Gewalt selbst an die Grundrechte gebunden sind, besteht ihre Aufgabe nicht in der Schaffung von neuen Rechtssätzen zur Wahrung der Grundrechte, sondern in der verfassungskonformen Auslegung bestehender zwingender Rechtsvorschriften, insbesondere der Generalklause1n. Selbst wenn also das vollständige Delisting in die Eigentumsfreiheit eingreifen sollte, so heißt das daher nicht, dass die Hauptversammlung zur Entscheidung darüber berufen wäre. Zu berücksichtigen wäre ein möglicher Eingriff in Art. 14 GG allenfalls von der Börsenzulassungsstelle bei ihrer Entscheidung über den vom Emittenten gestellten Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung. Nur diese Entscheidung ist eine hoheitliche Maßnahme, welche Grundrechte verletzen könnte. Die Zulassungsstelle müsste daher bei ihrer Widerrufsentscheidung die Grundrechte der (Minderheits-)Aktionäre beachten und gegen andere Grundrechte der Gesellschaft, man denke v. a. an Art. 2 I GG, abwägen. Aber schon die Vorfrage, nämlich ob das vollständige Delisting überhaupt in die von Art. 14 I GG geschützte Eigentumsfreiheit der Minderheitsaktionäre eingreift, muss mit Teilen der Rechtsprechung!44 und der in der Literatur weit überwiegenden Meinung 145 verneint werden, und zwar aus folgenden Gründen: BVerfGE 7,198 (205). BVerfGE 7,198 (206). 142 Diese Frage jedenfalls aufwerfend Adolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (798); so auch ausdrücklich: Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (216 f.) bzgl. der Herleitung des Pflichtangebots direkt aus Art. 14 GG. 143 § 119 II AktG i.Y.m. dem "Holzmüller"-Urteil kommt als ,,Einbruchstelle" selbst nach Auffassung des BGH nicht in Frage, siehe § 11 II. 1. a) cc); vgl. auch Häuser/Thomas. Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, WuB II A. § 119 AktG - 1.03 (521). 144 OLG München, ZIP 2001,700 (705); LG München I, DB 1999,2458 (2460). 145 Bürgers. Aktienrechtlicher Schutz beim Delisting?, NJW 2003, 1642 (1643); Ekkenga. "Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003,878 (883 ff.); Geyrhalter/Zimgibl. Alles unklar beim formalen Delisting 140 141

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Zunächst einmal hält die Argumentation, ein Eingriff in Art. 14 GG durch das vollständige Delisting folge aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abfindung von Minderheitsaktionären einer näheren Analyse nicht stand. Allen drei dazu vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen lagen Sachverhalte zugrunde, die sich erheblich von dem des Delisting unterscheiden, so dass schon im Ausgangspunkt fraglich ist, ob diese Rechtsprechung überhaupt für das Delisting nutzbar gemacht werden kann. Die ,,DAT / Altana"-Entscheidung 146 betraf die Bemessung der Abfindung der ausscheidenden Aktionäre im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nach § 291 AktG zwischen der DAT AG und der Altana AG sowie die anschließende Eingliederung der DAT AG in die Altana AG. Auch der wenig später ergangene Nichtannahmebeschluss in Sachen "Hartmann & Braun,,147 hatte die Berechnung des Ausgleichs für die außenstehenden Aktionäre beim Abschluss eines solchen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zum Gegenstand. Die dritte Entscheidung schließlich, der Nichtannahmebeschluss in Sachen "Moto Meter,,148, erging im Zusammenhang mit der "übertragenden Auflösung" der Moto Meter AG. d. h. mit der Veräußerung des gesamten Vermögens der Moto Meter AG an eine zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaft der Mehrheitsaktionärin mit anschließender Liquidation der Moto Meter AG. Allen drei den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten ist gemeinsam, dass sie Maßnahmen betrafen, die erhebliche Eingriffe in die Rechte der Minderheitsaktionäre darstellen. Bei der Eingliederung und der "übertragenden Auflösung" werden die Minderheitsaktionäre vollends aus der Gesellschaft gedrängt. Ebenso erleiden die Aktionäre der abhängigen Gesellschaft beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages eine Beeinträchtigung ihrer Herrschafts- und Vermögensrechte. die einem Verlust ihrer Gesellschafterbeteiligung jedenfalls wirtschaftlich gleichsteht 149 , denn der Unternehmenswert - und damit der von ihm abhängige Wert des Aktionärsanteils - wird dabei weitgehend ausgezehrt 150. Die Minderheitsaktionäre verlieren, selbst wenn sie sich für einen Verbleib in der - eine Zwischenbilanz 18 Monate nach ,.Macrotron", DStR 2004, 1048 (1051); Henze, Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 211 (241); HolzbomlSchlößer; Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (487); Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (2140; KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (228 ff.); Martiniuslvon Oppen, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des De1istingSpruchverfahrens?, DB 2005, 212 (213); Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 105 (111 ff.); Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 57 ff., 68; Schliu, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären De1isting - Macrotron und die Folgen, ZlP 2004, 533 (535). 146 BVerfGE 100,289. 147 BVerfG, ZIP 1999, 1804. 148 BVerfG, ZIP 2000,1670. 149 BVerfGE 100,289 (303). 150 BGHZ 135,374 (378).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Gesellschaft entscheiden, jedenfalls ihre Stellung als Eigenkapitalgeber l51 . Im Unterschied dazu stellt das Delisting weder einen mittelbaren noch einen unmittelbaren Eingriff in die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre dar152. Ob man die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung also ohne weiteres auf das Delisting übertragen kann ist eher zweifelhaft. Diese Zweifel werden noch dadurch verstärkt, dass das Bundesverfassungsgericht selbst seine Ausführungen zur Verkehrsfähigkeit der Aktie unter den Vorbehalt eines funktionierenden Kapitalmarktes gestellt hat l53 . So erlaubten es vor allem Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften dem Gesellschafter, jedenfalls in Zeiten funktionierender Kapitalmärkte, sein Kapital nach freiem Belieben zu investieren oder zu deinvestieren 154. Die Aktie sei aus Sicht des Kleinaktionärs gerade deshalb so attraktiv, weil er mit ihr sein Kapital nicht auf längere Sicht bindet, sondern sie grundsätzlich jederzeit wieder veräußern kann J55 • Ob jedoch im Falle des vollständigen Delisting diese Veräußerungsfreiheit tatsächlich noch bestanden hat, darf bezweifelt werden. Wie bereits ausgeführt, kommt ein vollständiges Delisting eben meist nur dann in Frage, wenn aufgrund eines zu geringen Streu besitzes schon vor dem Widerruf der Zulassung kein Börsenhandel mehr zustande kam und der Gang von der Börse deshalb zur Ersparnis von Kosten, denen kein Nutzen mehr gegenüber steht, führen würde. Dass trotz der so verstandenen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht nach dem Macrotron-Urteil des BGH nicht angerufen wurde, dürfte daran liegen, dass es in diesem Fall einen Hauptversammlungsbeschluss gegeben hat, so dass die Ausführungen des BGH zur Notwendigkeit eines solchen Beschlusses aus verfassungsrechtlichen Gründen nur obiter dictum galten und es mithin an der für eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG erforderlichen Beschwerdebefugnis fehlte. Des Weiteren berührt das Delisting schon den Schutzbereich des Art. 14 I GG nicht. Zwar fällt das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum ebenfalls unter das 151 AdolfflTteves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (799). 152 AdolfflTteves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (798); BecklHedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (191); Benecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse -, WM 2004, 1122 (1123); HolzbomlSchlößer, Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (487); KrämeriTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (229); Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 105 (114); WilsinglKruse, Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003,1110 (1112). 153 Ausführlich dazu: Holzbom, BGH verschärft Delisting-Voraussetzungen, WM 2003, 1105 (1107 f.). 154 BVerfGE 100,289 (305). 155 BVerfGE 100, 289 (305).

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von Art. 14 GG geschützte Eigenturn i56 . Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in der Aktiengesellschaft, aus welcher dem Aktionär sowohl Leitungsbefugnisse (Recht auf Teilnahme an und Stimmabgabe in der Hauptversammlung) als auch vermögensrechtliche Ansprüche (Anspruch auf den Bilanzgewinn, soweit er zur Verteilung kommt, Recht zum Bezug neuer Aktien bei Kapitalerhöhungen, sowie Recht auf Teilnahme am Liquidationserlös) erwachsen 157. In die mitgliedschaftlichen Rechte des Aktionärs wird durch das De1isting jedoch in keiner Weise eingegriffen l58 . Alles, was den Aktionären beim vollständigen Delisting verloren geht, ist die Möglichkeit, ihre Anteile über die Börse zu veräußern. Obwohl dieser Fungibilitätsverlust eine Wertminderung der Anteile nach sich zieht, liegt damit noch kein Eingriff in das Aktieneigentum vor, denn (hoheitlich) bewirkte Minderungen des Tausch- oder Markwertes eines vermögenswerten Guts allein berühren noch nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts l59 . Art. 14 GG garantiert nämlich grundsätzlich nur den Bestand, nicht jedoch den Tauschwert, eines vermögenswerten Rechts l60 . Dies gilt nach verfassungsrechtlicher Rechtsprechung insbesondere für den Marktwert von Wertpapieren, denn von Art. 14 I GG geschützt ist nicht dieser Marktwert selbst, sondern seine Grundlage in Gestalt des Wertpapiers und der darin verbrieften Forderungen l61 . In diese verfassungsrechtlich geschützte Grundlage der Aktie wird aber durch das Delisting nicht eingegriffen, denn sowohl die Verwaltungs- als auch die Vermögensrechte der Aktionäre werden dabei nicht berührt 162. Zwar ist der Tauschwert für die Eigentumsgarantie nicht völlig irrelevant, denn er ist von Bedeutung für die Entschädigung rechtmäßiger wie rechtswidriger Eigentumsverkürzungen 163 . Da die Tauschwertminderung der Anteile beim Delisting durch die verringerte Verkehrsfähigkeit bedingt ist, ist es folgerichtig, dass die Verkehrsfähigkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums bei der Wertbestimmung des Eigentumsobjekts nicht außer Betracht bleiben darf l64 . Es geht jedoch zu weit, aus dieser Tatsache zu folgern, dass die Verkehrsfähigkeit der Aktie selbst vom Schutz des Art. 14 GG umfasst sei l65 . Die BVerfGE 14,263 (276 ff.); 25, 371 (407); 50, 290 (343); 100,289 (301 f.). BVerfGE 100,289 (301 f.). 158 Bürgers, Aktienrechtlicher Schutz beim Delisting?, NJW 2003, 1642 (1643); Streit, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, ZIP 2003, 392 (393). 159 BVerfG, HFR 1969,347; E 105, 17 (30 f.); Martiniuslvon Oppen, Verfassungsrechtliehe Zulässigkeit des Delisting-Spruehverfahrens?, DB 2005,212 (213); Papier in: Maunz/ Dürig, Art. 14 Rn 164; Wieland in: Dreier, Grundgesetz, Art. 14 Rn 57. 160 Bryde in: von Müneh/Kunig, Grundgesetz, Art. 14 Rn 24; Depenheuer in: von Mangoldt/Klein/ Stark, Grundgesetz, Art. 14 Rn 157; Wieland in: Dreier, Grundgesetz, Art. 14 Rn 57. 161 BVerfGE 105, 17 (30). 162 Siehe § 11 II. 1. e). 163 Bryde in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 14 Rn 24. 164 BVerfGE 100,289 (305). 165 So jedoch Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 82. 156 157

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Verkehrsfahigkeit ist eben nicht Schutzgut, sondern Schutzmaßstab!66. Über diesen Befund hilft auch das Argument nicht hinweg, die Berücksichtigung der Verkehrsfahigkeit bei der Ermittlung des Ausgleichs impliziere, dass sie von Art. 14 GG umfasst sei!67, weil nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts!68 der Aktionär nur für das einen Ausgleich verlangen könne, was ihm an Eigentum i. S. v. Art. 14 I GG verloren geht. Gerade der Umstand, dass der Tauschwert eines Eigentumsobjekts bei der Wertberechnung von Bedeutung ist, jedoch selbst nicht dem Schutz der Eigentumsgarantie unterfallt, zeigt, dass die Verkehrsfahigkeit, obwohl sie Faktor bei der Berechnung der Abfindung ist, nicht selbst vom Eigentumsschutz umfasst sein muss!69. Das, was den Aktionären verloren geht, ist nicht mehr, als die Möglichkeit, Kurschancen zukünftig an der Börse zu realisieren, denn nur in der Möglichkeit, ihre Anteile über die Börse zu veräußern, liegt eine Beeinträchtigung der Verkehrsfahigkeit. Solche bloßen Gewinnchancen sind aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts!70 und allgemeiner Auffassung!7! nicht vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfasst. Daher ist die Börsennotierung als solche nicht von Art. 14 GG geschützt 172• Folglich greift das vollständige Delisting nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein. Sofern man die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 14 GG dennoch bejaht, stellt sich weiterhin die Frage, ob die Intensität der Beeinträchtigung durch das Delisting so hoch ist, dass die Schwelle zum Eingriff in die Eigentumsfreiheit überhaupt überschritten wird. Zwar wird Verkehrsfahigkeit der Aktie durch den !66 Ekkenga, ,,Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003,878 (884). 167 Hellwig I Bormann, Die Abfindungsregeln beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (474). 168 BVerfGE 100, 289 (305). 169 KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (230). 170 BVerfGE 28, 119 (142); 68, 193 (222); 74, 129 (148); 78, 205 (211); 97, 67 (77). 17l Beckl Hedtmann, Ausgewählte Rechtsfragen des börsenrechtlichen Delistings, BKR 2003, 190 (191); Berkerrumn in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Art. 14 Rn 196; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, Art. 14 Rn 4a.E.; HolzbomlSchlößer, Systemwechsel beim Going Private, BKR 2002, 486 (487); KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (230); MartiniuslSchiffer, Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2462); Wendt in: Sachs, Grundgesetz, Art. 14 Rn 44 m. w. N.; a. A.: HellwiglBormann, Die Abfindungsregeln beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert! , ZGR 2002, 465 (475). 172 Benecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse -, WM 2004, 1122 (1123); GeyrhalterlZimgibl, Alles unklar beim formalen Delisting - eine Zwischenbilanz 18 Monate nach "Macrotron", DStR 2004, 1048 (l051); Henze, Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 211 (241); Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (215); KrämeriTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (229).

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Rückzug von der Börse beeinträchtigt, jedoch bei weitem nicht so schwerwiegend wie es die Ausführungen des BGH in seinem "Macrotron"-Urteil glauben machen wollen. Die Verkehrsfähigkeit, also die Freiheit, die Anteile leicht übertragen zu können, betrifft sowohl die Art der rechtsgeschäftlichen Übertragung als auch die tatsächlichen Handelsmöglichkeiten 173. Das erste Element, also die Art der rechtsgeschäftlichen Übertragung wird durch das Delisting überhaupt nicht berührt. Die als elementarer Bestandteil der Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung grundrechtlich geschützte Verfügungsbefugnis, welche auch die Freiheit des Eigentümers, sein Eigentum veräußern zu dürfen umfasst 174, bleibt bei einem Delisting unangetastet, denn der Aktionär wird durch ein Delisting hinsichtlich der Veräußerung seiner Anteile keinerlei rechtlichen Beschränkungen unterworfen. Die Aktie besitzt unabhängig von einer eventuellen Börsennotierung eine höhere Verkehrsfähigkeit gegenüber Anteilen an Personengesellschaften oder GmbHAnteilen. Aber auch in Bezug auf die Auswirkungen des Delisting auf das zweite Element, die tatsächlichen Handelsmöglichkeiten, ergibt sich bei näherem Hinsehen, dass die Beeinträchtigungen nicht so stark sind, wie vielleicht auf den ersten Blick vermutet werden kann. Zwar entfällt durch das Delisting endgültig die Möglichkeit, die Aktien über die Börse zu veräußern. Diese Folge ist aber eher theoretischer Natur, da eine Veräußerungsmöglichkeit über die Börse, wie bereits ausgeführt, praktisch schon vor dem Delisting nicht mehr bestand. Auch ohne Börsennotierung bleibt die generelle Verkehrsfähigkeit der Aktie bestehen - zur Übertragung genügt die einfache Abtretung - und übersteigt die Verkehrsfähigkeit anderer Gesellschaftsanteile erheblich 175. Ob also, selbst wenn man den Schutzbereich des Art. 14 GG durch das Delisting als eröffnet ansieht, tatsächlich ein zu rechtfertigender Eingriff vorliegt ist nicht zweifelsfrei. Als Ergebnis lässt sich daher zum einen festhalten, dass nach allgemein anerkannter Grundrechtsdogmatik aus Art. 14 GG - unabhängig von einem eventuellen Grundrechtseingriff - keine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz für das vollständige Delisting hergeleitet werden kann, denn ein solches Ergebnis würde dem Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht nicht gerecht werden. Zum anderen liegt aber im vollständigen Delisting schon kein Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Minderheitsaktionäre, weil die Verkehrsfähigkeit der Aktie gar nicht erst vom Schutzbereich dieses Grundrechts erfasst wird.

m Krämer/Theiß, Delisting nach der MacroIron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (229). 174 BVerfGE 26, 215 (222);52, 1 (31). 175 Krämer/Theiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (229).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

4. Aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 119 11 AktG Ferner wird die Zuständigkeit der Hauptversammlung noch aus einer Reduzierung des Vorstandsermessens auf Null im Rahmen von § 119 11 AktG hergeleitet 176 . a) Argumentation

Dieser Argumentation zufolge sei das Delisting zwar kein "Holzmüller"-Sachverhalt, dennoch sei damit aber eine Pflicht des Vorstandes zur Befassung der Hauptversammlung noch nicht ausgeschlossen. Denn der systematische Ansatz der "Holzmüller"-Doktrin könne mit einer modifizierten Begründung dennoch zur Anwendung kommen 177. Eine Ermessenschrumpfung im Rahmen des § 119 11 AktG ergebe sich nicht - wie bei "Holzmüller" - aus einer Mediatisierung der Aktionärsrechte, sondern aus der Berücksichtigung der Anforderungen an den Schutz des Aktionärsvermögens vor einem Fungibilitätsverlust 178 . Sie sei nämlich immer dann möglich, wenn die jeweilige Maßnahme ausnahmsweise derart auf die Mit· gliedschaft der Aktionäre einwirkt, dass sie nicht ohne ihre Mitwirkung ergriffen werden darf. So liege es beim vollständigen Delisting, weil die Aktionäre ihre tatsächliche Veräußerungsfreiheit weitgehend einbüßen. Dies müssten sie aber nur dann hinnehmen, wenn die Mehrheit es will und der Beschluss der Hauptversammlung nicht anfechtbar ist l79 . Insofern wird die Ermessensreduzierung mit einer verfassungskonformen Auslegung von § 119 11 AktG begründet. Das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung würde nämlich die Funktion des von Art. 14 GG geforderten Schutzes gegen einen Machtmissbrauch der Mehrheit übernehmen 180.

176 Adolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800); Hüffer. Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 24; Streit, Delisting Light - Die Problematik der Vereinfachung des freiwilligen Rückzugs von der Frankfurter Wertpapierbörse, ZIP 2002, 1279 (1288); ders., Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - II ZR 133/01, ZIP 2003, 392 (393); auch Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting Macrotron und die Folgen, ZIP 2004, 533 (535) scheint diese Möglichkeit jedenfalls in Erwägung zu ziehen. J77 Aoolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800). 178 Adolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800). 179 Hüffer; Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 24. 180 Aoolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800).

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversarnmlungsbeschlusses

173

b) Stellungnahme

Diese Argumentation zur Begründung der Zuständigkeit der Hauptversammlung kann bei näherer Betrachtung ebenfalls nicht überzeugen. Zuzugeben ist allerdings, dass der Wortlaut von § 119 II AktG einer auf Ermessensreduzierung des Vorstandes basierenden Begründung nicht entgegensteht 181 . Zwar bezieht sich das ,,kann" dieser Vorschrift nicht auf die Möglichkeit des Vorstands, eine Frage der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen 182, sondern auf die Möglichkeit der Hauptversammlung, über eine ihr vorn Vorstand vorgelegte Frage zu entscheiden. Wenn sich also dieses "kann" überhaupt zu einem "muss" verdichtet, dann folgt daraus nur, dass die Hauptversammlung über eine ihr vom Vorstand vorgelegte Frage entscheiden muss, nicht aber, dass der Vorstand eine Frage der Hauptversammlung vorlegen muss. Allerdings wird von der Vorschrift durchaus vorausgesetzt, dass dem Vorstand bei seiner Entscheidung, ob er eine Frage der Geschäftsführung der Hauptversammlung überhaupt erst vorlegt, ein Ermessen zusteht l83 . Dieses ergibt sich zwar nicht aus dem ,,kann" in der Vorschrift, jedoch aus ihrem Zweck als Schutzvorschrift für den Vorstand vor dem Hintergrund des § 93 IV 2 AktG. Inwieweit der Wortlaut der Vorschrift dem entgegenstehen soll, ist nicht ersichtlich. Gegen diese Argumentation zu § 119 II AktG lässt sich allerdings folgendes einwenden. Schon im Ausgangspunkt ist unklar, worin genau der Unterschied dieser Konzeption liegen soll zu der, die sich direkt auf das "Holzmüller"-Urteil des BGH bezieht 184 . Im Grunde wird nämlich hier gleichfalls lediglich versucht, die Fälle, in denen sich das Ermessens des Vorstands zur Befassung der Hauptversammlung derart verdichtet, dass es zu einer Pflicht umschlägt, auf Sachverhalte zu erweitern, die eigentlich nicht von der "Holzmüller"-Entscheidung gedeckt werden. Darin mag durchaus die Anwendung des systematischen Ansatzes mit einer modifizierten Begründung liegen. Allein dieser Umstand macht diese Argumentation aber nicht stichhaltiger. Ferner ist gegen sie wiederum einzuwenden, dass die Aktionäre ihre Veräußerungsfreiheit regelmäßig nicht erst mit dem Delisting einbüßen, sondern eine solche praktisch schon vorher nicht mehr gegeben war. Insofern ist das Delisting nicht die Ursache für, sondern die Folge der eingeschränkten Veräußerbarkeit der Aktien über die Börse. Des Weiteren spricht der Zweck von § 119 II AktG gegen diese Begründung 185. Die Vorschrift zielt allein auf den 181 182

22.

So aber De Vries, Delisting, 88. In diesem Sinne Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn

183 Hüjfer, Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 13; i. E. ebenso Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 22. 184 In diese Richtung jetzt auch Hüjfer, Zur Holzmüller-Problematik: Reduktion des Vorstandsermessens oder Grundlagenkompetenz der Hauptversammlung?, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter UImer, 279 (294, Fn. 67); kritisch zu dieser Konstruktion Kleppe, Anlegerschutz, 103. 185 De Vries, Delisting, 87 f.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Schutz der Interessen der Vorstandsmitglieder ab, weil deren Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft gemäß § 93 IV 1 AktG dann ausgeschlossen ist, wenn die fragliche Handlung auf einem gesetzmäßigen Hauptversammlungsbeschluss beruht. Falls der Vorstand darauf verzichtet, eine Frage der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen, so riskiert er zwar, dass er sich ersatzpflichtig macht, jedoch ist ein solches Handeln nicht rechtswidrig. Die Vorschrift des § 119 11 AktG will dem Vorstand also nur eine Kompetenz einräumen, ihm jedoch keine Zwänge auferlegen I 86. Sie beinhaltet also weder eine grundsätzlich noch eine ausnahmsweise bestehende Pflicht des Vorstands, die Hauptversammlung einzuberufen 187. Ferner verfängt das Argument nicht, die Zustimmung der Hauptversammlung ersetze den nach Art. 14 GG erforderlichen Schutz der Minderheitsaktionäre gegen einen Machtmissbrauch der Mehrheit, denn es greift dem eigentlichen Problem vor. Um einen Schutz der Minderheitsaktionäre gegenüber der Mehrheit kann es bei Unternehmensentscheidungen ja nur gehen, wenn die Aktionäre für die entsprechenden Entscheidungen ,überhaupt zuständig sind. Aber gerade diese (Vor-)Frage, d. h. ob es beim Delisting überhaupt ein Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung gibt, gilt es ja zu beantworten. Wenn nämlich die Hauptversammlung gerade nicht für die Delisting-Entscheidung zuständig ist, kann eine Zuständigkeit auch nicht damit begründet werden, dass die Minderheit gegenüber der Mehrheit geschützt werden müsse. Damit bleibt festzuhalten, dass diese vereinzelt vertretene Argumentation ebenfalls nicht zur Herleitung des Erfordernisses eines Hauptversammlungsbeschlusses für ein vollständiges Delisting taugt.

5. Aufgrund einer Annexkompetenz zu § 119 I Nr. 6 AktG Schließlich wird - in Anlehnung an die Annexkompetenzen des Bundes im Staatsorganisationsrecht - eine Kompetenz der Hauptversammlung für die Entscheidung über das Delisting als Annex zu § 119 I Nr. 6 AktG bejaht 188 . a) Argumentation Nach diesem Begründungsansatz kann die Methodik der Ableitung der hauptsächlich im Verfassungsrecht diskutierten Annexkompetenzen auch auf die Kom186 Benecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse -, WM 2004,1122 (1124). 187 Ausführlich dazu: Geßler; Einberufung und ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten, in: Lutter/Mertens/Ulmer (Hrsg.), Festschrift flir Walter Stimpel, 771 (773 ff.) m. w. N. 188 Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 101 ff., 122 f.

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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petenzen der Hauptversammlung einer AG übertragen werden l89 . Demnach seien die in § 119 I AktG enumerativ aufgeführten Kompetenzen der Hauptversammlung im Wege der objektiv-teleologischen Auslegung auf alle Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen ausdehnbar, die mit der jeweiligen geschriebenen Kompetenz zusammenhängen l90 . Auf diese Weise könne die Kompetenz für eine Entscheidung über das Delisting als Annex zu den in § 119 I Nr. 6 AktG geregelten Kapitalmaßnahmen der Hauptversammlung zugewiesen werden. Nach der letztgenannten Vorschrift komme der Hauptversammlung eine umfassende Entscheidungsbefugnis über die Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft zu. Da jedoch die Entscheidung für den Rückzug von der Börse gleichzeitig eine Entscheidung gegen eine zukünftige Eigenkapitalmaßnahme über die Börse sei, könne sie auch nur von der Hauptversammlung getroffen werden 191. b) Stellungnahme

Diese Argumentation begegnet ebenfalls erheblichen Bedenken. Zum einen stellt bereits ihre Prämisse, nämlich die Übertragbarkeit der Methodik der im Staatsorganisationsrecht anerkannten Annexkompetenzen des Bundes auf die Kompetenzen der Hauptversammlung einer AG, eine bloße Behauptung dar. Diese lässt sich nicht überzeugend herleiten, denn das Verhältnis der jeweils konkurrierenden Kompetenzträger zueinander ist im Staatsorganisationsrecht ein ganz anderes als im Binnenrecht der AG. Die Zuständigkeitsabgrenzung in Art. 70 ff. GG bezieht sich hinsichtlich beider Kompetenzträger auf die gleiche Aufgabe, nämlich die Gesetzgebung. Unter diesem Aspekt stehen Bund und Länder gewissermaßen gleichberechtigt nebeneinander und nach den Art. 70 ff. GG bemisst sich lediglich, welcher Kompetenzträger für welches Sachgebiet gesetzgeberisch zuständig ist. Hingegen lässt sich eine solche Parallelität hinsichtlich der den Kompetenzträgem zugewiesenen Aufgaben im Verhältnis von Vorstand und Hauptversammlung einer AG nicht feststellen. Während gemäß §§ 76 I, 77 AktG dem Vorstand die Geschäftsführung der Gesellschaft obliegt, wozu auch die Leitung der Gesellschaft als herausgehobener Teilbereich derselben gehört l92 , ist die Hauptversammlung gemäß (dem nicht abschließenden) § 119 I AktG lediglich für regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen (Nr. 1-4) sowie für Strukturmaßnahmen (Nr. 5, 6, 8)193 zuständig 194. Es geht also bei der Kompetenzverteilunginnerhalb einer AG nicht Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 105. Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 105. 191 Reif!, Gesellschaftsrechtliche Aspekte des regulären Delistings, 122 f. 192 Hüfter; Aktiengesetz, § 76 Rn 7 m. w. N. 193 § 119 I Nr. 7 AktG nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als dass sich die dort genannte Zuständigkeit weder den wiederkehrenden Maßnahmen noch den Strukturmaßnahmen zuordnen lässt, vgl. Hüfter; Aktiengesetz, § 119 Rn 8. 194 Hüfter; Aktiengesetz, § 119 Rn 5 f. 189

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

um die Abgrenzung sachlicher Zuständigkeiten für eine gleichartige Aufgabe, sondern um die Abgrenzung von Geschäftsführung bzw. Leitung der AG zu sonstigen grundlegenden wiederkehrenden Maßnahmen oder Struktunnaßnahmen. Aus diesem Grund lässt sich die Methodik der Ableitung von staatsorganisationsrechtlichen Annexkompetenzen nicht ohne weiteres auf das Aktienrecht übertragen. Zum anderen steht auch die Argumentation selbst auf schwachen Füßen. Sogar wenn man unterstellt, dass Annexkompetenzen auch im Aktienrecht für die Hauptversammlung anzuerkennen sind und dass aus § 119 I Nr. 6 AktG eine umfassende Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung über die Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft zukommt, so folgt daraus noch nicht, dass deshalb die Hauptversammlung auch für eine Entscheidung über den Rückzug von der Börse zuständig ist. Durch das Delisting wird nämlich die Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft in keinster Weise verändert. Allenfalls wird damit festgelegt, auf welche Weise künftig Änderungen der Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft (nicht mehr) durchgeführt werden können. Die Kompetenz der Hauptversammlung für Entscheidungen über die Veränderung der Eigenkapitalstruktur wird jedoch nicht tangiert. Selbst ausgehend von der Prämisse der Argumentation ist der Schluss auf die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über den Gang von der Börse alles andere als zwingend.

III. Ergebnis Im Ergebnis bedarf also die Entscheidung der AG über das vollständige Delisting nicht der Beteiligung der Hauptversammlung, da keiner der dazu vorgetragenen Begründungsversuche wirklich überzeugen kann. Auf das "Holzmüller"Urteil des BGH kann das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses nicht gestützt werden, weil die Voraussetzungen, an die der BGH eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz knüpft nicht vorliegen. Weder wird durch den Rückzug von der Börse die Struktur der Gesellschaft nachhaltig verändert, noch liegt ein Eingriff in die Rechte der Aktionäre vor. Eine Analogie zu § 240 I UmwG scheidet ebenfalls aus, da die Voraussetzungen für einen Analogieschluss nicht gegeben sind. Weil eben beim De1isting keine Änderung der Gesellschaftsstruktur erfolgt, fehlt es jedenfalls an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte von Delisting einerseits und den umwandlungsrechtlichen Maßnahmen andererseits. Ferner kann eine Hauptversammlungszuständigkeit für das vollständige Delisting nicht aus Art. 14 GG hergeleitet werden. Zum einen ist die Börsennotiz einer AG nicht von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie umfasst, so dass mangels Eröffnung des Schutzbereichs schon gar kein Eingriff in Art. 14 GG vorliegen kann. Zum anderen würde aus einem Eingriff in Art. 14 GG nicht die Zuständigkeit der Hauptversammlung folgen, sondern allenfalls, dass die Zulassungsstelle bei ihrer Entscheidung über den beantragten Widerruf der Börsenzulassung einen möglichen Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Minderheitsaktionäre in ihre Erwägungen ein-

§ 11 Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses

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zustellen hätte. Ferner trägt die Begründung der Hauptversammlungskompetenz mit einer Ermessensreduzierung im Rahmen von § 119 II AktG nicht, denn ein wesentlicher Unterschied dieses Ansatzes zu dem der sich auf das "Holzmüller"-Urteil beruft ist nicht erkennbar. Schließlich konunt eine Kompetenz der Hauptversanunlung nicht als Annex zu § 119 I Nr. 6 AktG in Frage, denn zum einen ist schon die Methodik der Ableitung von Annexkompetenzen nicht auf das Akteinrecht übertragbar und zum anderen wird durch das Delisting die Eigenkapitalstruktur der AG nicht verändert, so dass die Hauptversammlung auch nicht deshalb zuständig ist. Die Entscheidung über das vollständige Delisting ist also ohne weiteres von der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands gedeckt, und der Vorstand kann sie folglich als Maßnahme der Geschäftsführung allein treffen 195. Jedoch bleibt es ihm selbstverständlich unbenonunen, von sich aus den Weg des § 119 II AktG zu beschreiten und freiwillig eine Entscheidung der Hauptversammlung verlangen. Ohne ein solches Verlangen des Vorstands ist die Beteiligung der Hauptversanunlung bei der Entscheidung über das vollständige Delisting aber grundsätzlich nicht erforderlich. Etwas anderes gilt freilich dann, wenn die Börsenzulassung als Teil des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes formuliert ist. Die dann für ein Delisting erforderliche Satzungsänderung bedarf gemäß § 179 I 1 AktG eines Beschlusses der Hauptversanunlung. Auf diesem Wege kann sich die Hauptversammlung ein Mitspracherecht über die Frage der Börsenzulassung sichern 196. Dass die Aktionäre also grundsätzlich nicht an der Entscheidung der Gesellschaft über den Rückzug von der Börse zu beteiligen sind, obwohl sie durch einen solchen unzweifelhaft in ihren wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt werden, mag man zwar für bedauerlich halten. Dennoch sollte dies nicht zu einer rein am Ergebnis (Minderheitsschutz) orientierten und dadurch zweifelhaften Beurteilung der Rechtslage führen. Solange der Gesetzgeber keine anders lautende Entscheidung trifft und die Zuständigkeit der Hauptversammlung positivrechtlich festschreibt, sollte es daher bei der Alleinzuständigkeit des Vorstands für das vollständige Delisting bleiben l97 . Allerdings ist zu bezweifeln, ob es tatsächlich wünschenswert wäre, dass der Gesetzgeber dem Ruf nach einer Hauptversammlungszuständigkeit beim regulären 195 So auch Bungen, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (55, 58); Halaszi Kloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, ZBB 2001, 474 (481 f.); ManiniuslSchiffer, Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2461); Schiessl, Ist das deutsche Aktienrecht kapitalmarkttauglich?, AG 1999,442 (452). 196 Halaszi Kloster; Börsengang - Eine Entscheidung der Hauptversammlung?, ZBB 2001, 474 (477 f.); Steck, "Going private" über das UmwG, AG 1998, 460 (461); Winhl Amold, Anlegerschutz beim Delisting von Aktiengesellschaften, 2000,111 (115). 197 So auch Henze, Holzmüller vollendet das 21. Lebensjahr, in: Habersack u. a. (Hrsg.): Festschrift für Peter Ulmer, 211 (242). 12 Gutte

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Delisting nachkommt. Zum einen dürfte ein Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung den Rückzugsprozess wegen des Abwartens der nächsten ordentlichen Hauptversammlung entweder unnötig in die Länge ziehen oder wegen der andernfalls erforderlichen Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung unnötig verteuern. Eine solche - nunmehr auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hervorgerufene - Verkomplizierung des regulären Delisting dürfte in der Praxis dazu führen, dass diese vom Gesetzgeber ausdrücklich geschaffene Möglichkeit des Going Private in den Überlegungen der rückzugswilligen Gesellschaften an Bedeutung verlieren wird 198 . Insofern steht zu erwarten, dass die betreffenden Gesellschaften die gesteigerten Anforderungen an ein reguläres Delisting umgehen und an seiner Stelle z. B. den vergleichsweise einfacheren Weg des nunmehr möglichen Squeeze-Out nach §§ 327a ff. AktG einschlagen l99 . Sollte also der Mehrheitsaktionär noch nicht 95 % der Gesellschaftsanteile halten, empfiehlt es sich für ihn, zunächst seine Beteiligung dementsprechend aufzustocken um die verbleibenden 5 % an Minderheitsaktionären aus der Gesellschaft zu verdrängen. Zum anderen fragt sich, wie durch das Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung der Minderheitenschutz wirklich verbessert werden soll. Ein Delisting auf Antrag der Gesellschaft wird nur dann in Betracht kommen, wenn sich die große Mehrheit der Anteile in der Hand eines oder mehrerer Großaktionäre befindet, die nicht an einer Veräußerung ihrer Aktien interessiert und daher zum Rückzug von der Börse entschlossen sind. Damit ist die positive Beschlussfassung über das Delisting stets sicher2OO , so dass die Befassung der Hauptversammlung mit dieser Frage leicht zur Farce gerät. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist daher - selbst wenn man eine qualifizierte Mehrheit fordert - in Delisting-Fällen für den Minderheitenschutz regelmäßig untauglich201 . Man wird in der Tat fragen dürfen, ob denn der Mehrheitsbeschluss mehr als bloß Legitimationskosmetik ist202 . Dieser Einschätzung der Hauptversammlungsbeteiligung als bloße Förmelei kann auch nicht wirkungsvoll mit den Argumenten begegnet werden, die Diskussion um das Für und Wider des Börsenrückzugs in der Hauptversammlung mache den innergesellschaftlichen Abwägungsprozess transparent und führe außerdem zur 198 So auch: Jäger, Die Entwicklung der Judikatur zur AG in den Jahren 2000-2003, NZG 2003, 1033 (1044). 199 Riehmer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - 11 ZR 133/01, BGH-Report 2003,438. 200 Bungen, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (55); Essers/Weisner/ Schlienkamp, Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse - die MacrotronEntscheidung des BGH, DStR 2003, 985 (987); Kück, Delisting, ZInsO 2001, 649 (651); Süßmann, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - 11 ZR 133/01, BKR 2003, 257 (258). 201 Weber, Sanierung Denotierung und Delisting - Fragen zur Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, ZInsO 2001, 385 (390). 202 Karsten Schmidt, Macrotron oder: weitere Ausdifferenzierung des Aktionärsschutzes durch den BGH, NZG 2003, 601 (603).

§ 12 Folgeprobleme bei einer Hauptversammlungszuständigkeit

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Kontrollmöglichkeit durch die aktienrechtliche Anfechtungsklage 203 . Ein Transparenzgewinn bezüglich des innergesellschaftlichen Abwägungsprozesses wäre nämlich nur dann zu erwarten, wenn die endgültige Entscheidung über den Rückzug der Gesellschaft von der Börse tatsächlich erst nach einer lebhaften Auseinandersetzung in der Hauptversammlung getroffen werden würde und am Ende in die eine oder die andere Richtung ausfallen kann. Eine Diskussion, bei der das Ergebnis wegen der bereits gefällten Entscheidung des Mehrheitsaktionärs jedoch schon im Vorhinein feststeht, verdient kaum, als solche bezeichnet zu werden und dürfte wenig fruchtbar sein. Ferner dient die Möglichkeit, den Hauptversammlungsbeschluss anzufechten nur im Idealfall der Kontrolle. Im Regelfall dürfte jedoch zu befürchten sein, dass diese Möglichkeit von verärgerten Minderheitsaktionären dazu benutzt wird, den Rückzugsprozess auf Jahre zu verzögern und die Anfechtungsklage somit als Blockadestrategie zu missbrauchen. Dass darüber hinaus für die Minderheitsaktionäre trotz fehlender Hauptversammlungsbeteiligung keine wesentlichen Rechtsschutzlücken zu befürchten stehen, wird im Verlauf der Arbeit gezeigt werden204 . Des Weiteren bleibt der Anlegerschutz ohne Einbeziehung der Hauptversammlung gleichwohl bestehen, denn die Zulassungsstelle hat bei ihrer Entscheidung über den Widerruf den Anlegerschutz zu wahren. Dazu ist sie sogar viel besser in der Lage als es die Hauptversammlung bei ihrer Entscheidung sein kann. Für einen wirksamen Minderheitenschutz ist also nicht die Beteiligung der Hauptversammlung, sondern allein die Verpflichtung zur Unterbreitung eines Kaufangebots 205 erforderlich, aber auch ausreichend.

§ 12 Folgeprobleme bei Bestehen einer Hauptversammlungszuständigkeit Zwar hat die Untersuchung bisher ergeben, dass die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über den vollständigen Rückzug des Unternehmens von der Börse weder aus dem geltenden Recht hergeleitet werden kann, noch dass ein Bedürfnis für eine solche Kompetenz besteht. Geht man jedoch, wie zahlreiche Stimmen in der Literatur sowie die höchstrichterliehe Rechtsprechung, von der Zuständigkeit der Hauptversammlung für eine Delisting-Entscheidung aus, so ergeben sich eine Reihe von Folgeproblemen, die einer Lösung zugeführt werden müssen. So fragt sich etwa, mit welcher Mehrheit ein solcher Hauptversammlungsbeschluss gefasst werden müsste. Des Weiteren ist die Erforderlichkeit eines schriftlichen Vorstandsberichts zu erörtern. 203 So aber Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (595); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (834). 204 Siehe § 14. 205 Siehe § 13.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Schließlich ist der Frage nachzugehen ob, und wenn ja, inwieweit eine Inhaltskontrolle des Delisting-Beschlusses durch die Gerichte stattfindet. An dieser Stelle soll daher auch auf die Konsequenzen eingegangen werden, die sich unter Zugrundelegung der Gegenansicht ergeben. Eine solche hilfsweise Untersuchung der entsprechenden Folgeprobleme ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zuletzt deshalb angezeigt, weil diese Probleme aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits jetzt praxisrelevant sind. Darüber hinaus steht es dem Vorstand natürlich fei, von sich aus den Weg des § 119 11 AktG zu beschreiten, so dass eine Auseinandersetzung mit diesen Folgeproblemen selbst unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung zur Hauptversammlungszuständigkeit erforderlich ist.

I. Mehrheitserfordernis für einen Hauptversammlungsbeschluss Unter den Stimmen, die eine Beteiligung der Hauptversammlung an der Entscheidung über das Delisting fordern, besteht keine Einigkeit darüber, mit welcher Mehrheit ein solcher Hauptversammlungsbeschluss gefasst werden müsste. Dies ist angesichts des breit gefächerten Meinungsspektrums zur Herleitung des Beschlusserfordernisses keineswegs überraschend, hängt doch die Höhe der erforderlichen Mehrheit von der Begründung der Hauptversammlungszuständigkeit ab. 1. Meinungsstand

Das Spektrum der geforderten Mehrheitserfordernisse reicht von der einfachen Mehrheit über eine Dreiviertelmehrheit bis hin zur Zustimmung von 90 % des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Die mit der Forderung einer 90 %igen Mehrheit strengste Voraussetzung wurde vornehmlich in der älteren Literatur vereinzelt vertreten206 . Einem Begründungsansatz zufolge sei in erster Linie das (damals geltende) Umwandlungsrecht heranzuziehen. Gemäß § 369 III AktG a. F. bedurfte es bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH mindestens einer Mehrheit von neun Zehntel des Grundkapitals. Da der Börsenaustritt ebenfalls zu schwerwiegenden Einschränkungen der Fungibilität führe, solle sich das Mehrheitserfordernis an dieser Vorschrift orientieren207 . Ergänzend wurde aus rechtsvergleichender Sicht auf die (damalige) Rechtslage in den USA hingewiesen, wo ein Delisting nur erlaubt (gewesen) sei, wenn es von weniger als 206 Albach u. a., Deregulierung des Aktienrechts, 62, 178; Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 198 (später allerdings anders in Vollmer/Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und -austritt, ZGR 1995,459 (475». 207 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 198.

§ 12 Folgeprobleme bei einer Hauptversamrnlungszuständigkeit

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10 % der Eigentümer abgelehnt wurde 208 . Außerdem erübrige sich bei dem Erfordernis einer 901gen Zustimmung das größte Problem bei der Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften im Rahmen der Abfindung der ausscheidenden Minderheitsaktionäre. Denn gemäß § 71 AktG ist der Erwerb eigener Aktien auf 10 % des Grundkapitals beschränkt und diese Grenze würde ja bei einer Zustimmung einer Mehrheit, die mindestens 90 % des Grundkapitals umfasst, nie überschritten209 • Ein anderer Ansatz zur Begründung einer ähnlich hohen Mehrheit wurde im Rahmen eines neu entwickelten Drei-Stufen-Modells der Aktiengesellschaft vorgeschlagen21O . Nach diesem Modell handelt es sich beim Übergang von einem Typus der Aktiengesellschaft in einen anderen stets um eine Satzungsänderung, für die grundsätzlich eine Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erforderlich ist2l1 . Da jedoch durch den Wechsel einer AG der zweiten ("offene AG") oder dritten Stufe ("normale AG") in eine der ersten Stufe ("Private AG") die Aktionäre die Möglichkeit verlieren, ihre Aktien jederzeit an einem öffentlichen Kapitalmarkt verkaufen zu können, sei zum Schutz der Minderheitsaktionäre ausnahmsweise zu fordern, dass der betreffende Beschluss der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von neun Zehntel des bei Beschlussfassung vertretenen Kapitals gefasst wird212 • Nach diesem zweiten Ansatz sind also "nur" 90 % des bei Beschlussfassung vertretenen und nicht - wie beim ersten Ansatz - des gesamten Grundkapitals erforderlich. Die große Mehrheit derjenigen, die einen Hauptversammlungsbeschluss für das De1isting fordern, sprechen sich in Sachen Quorum für eine Mehrheit von 75 % des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals aus 213 . Zur Begründung dafür 208 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 197, allerdings ohne Benennung einer Rechtsgrundlage. 209 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustritt, 198 (Fn 570). 210 Albach u. a., Deregulierung des Aktienrechts, 62. 2ll Albach u. a., Deregulierung des Aktienrechts, 62. 212 Albach u. a., Deregulierung des Aktienrechts, 62. 2J3 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform zur Stärkung des deutschen Kapitalmarktes, ZGR 1999,781 (799); Henze, Delisting, 151 ff.; Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (664); Kleppe, Anlegerschutz, 123; Land/Hasselbach, "Going Private" und "Squeeze-Out" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (558); Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 85; Lutter, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb/Noack/Westermann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (380); ders., Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, JZ 2003, 684 (686); Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 76; dies., Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (596), dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (835); von Schenck in: Semler/Volhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Bd. I, § 24 Rn 17; Steck, "Going Private" über das UmwG, AG 1998,460 (462); Vollmer/Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995,459 (475); Wilsing/Kruse. Die Änderung des § 54a BörsOI Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (810); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

werden die unterschiedlichsten Ansätze vertreten. Zumeist wird sich dabei auf eine Analogie zum neuen Umwandlungsrecht, insbesondere zu § 240 I 1 UmwG gestützt. Aufgrund der vergleichbaren Wirkung von Delisting und formwechselnder Umwandlung sei auch bei ersterem ein Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit erforderlich214 • Einem anderen Ansatz zufolge sei eine einfache Mehrheit deshalb nicht ausreichend, weil die AG durch ein Going Private gegen ihre "normtypische Laufrichtung" verändert werde und dabei in besonderem Maße die Schutzinteressen der dissentierenden Aktionäre berührt würden 215 . Des Weiteren wird das Erfordernis einer satzungsändernden Mehrheit aus einem entsprechenden Verständnis der "Holzmüller"-Entscheidung hergeleitet 216 . Die mit einem Delisting einhergehenden Fungibilitäts- und Kontrolleinbußen stellten eine Gefährdung der Anlegerinteressen dar, die so schwer wiege, dass in Fortschreibung der "Holzmüller"-Doktrin ein mit satzungsändernder Mehrheit zu treffender Aktionärsentscheid geboten sei 217 . Schließlich wird ein Beschluss mit entsprechender Mehrheit deshalb gefordert, weil für die in der Gesellschaft verbleibenden Aktionäre eine ähnliche Situation eintrete wie bei der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtausschluss 2l8 . Beim Delisting wachse der Anteil des Mehrheitsaktionärs wegen seines Erwerbs der Anteile der austrittswilligen Aktionäre im Verhältnis zum Anteil aller noch verbliebenen Gesellschafter genauso an, wie bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss. Deshalb seien die Minderheitsaktionäre in gleicher Weise, nämlich durch einen mit satzungsändernder Mehrheit zu fassenden Hauptversammlungsbeschluss analog § 186 III 2 AktG zu schützen. Schließlich wird für den Delisting-Beschluss die einfache Mehrheit für ausreichend gehalten 219 . Zur Begründung dieser Ansicht wird von manchen angeführt, 214 Hellwig. Möglichkeiten einer Börsenrefonn zur Stärkung des deutschen Kapitalmarktes, ZGR 1999.781 (799); Henze. Delisting, 151 ff.; Lutter; Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb/Noack/Westennann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (380); WilsinglKruse. Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung? NZG 2002, 807 (810); Zetzsche. Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068). 215 VollmerlGrupp. Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995,459 (475). 216 Kleindiek. "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westennann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (664); Land I Hasselbach. "Going Private" und "SqueezeOut" nach deutschem Aktien-, Börsen- und Übernahmerecht, DB 2000, 557 (558); Pluskat. Rechtsprobleme beim Going Private, 76; dies .• Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (596), dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (835); Steck. "Going Private" über das UmwG, AG 1998, 460(462). 217 Kleindiek. "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westennann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (664). 218 Kleindiek. "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westennann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (668 f.); Kleppe, Anlegerschutz, 123. 219 BGHZ 153,47 (53); AdolfflTieves. Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003,797 (800); Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, § 38 BörsG Rn 5; ders.,

§ 12 Folgeprobleme bei einer Hauptversarnrnlungszuständigkeit

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dass sich der Wechsel einer börsennotierten AG in eine nicht börsennotierte AG rechtlich nicht mit der Umwandlung oder Vermögensübertragung vergleichen lasse, da er auf einer niedrigeren Eingriffsschwelle liege 22o . Denn beim Delisting werde der gesellschaftsrechtliche Aufbau nicht berührt, vielmehr stehe nur die wirtschaftliche Position der Aktionäre im Vordergrund221 . Andere leiten das Erfordernis einer nur einfachen Mehrheit aus einem anderen Verständnis der "Holzmüller"-Entscheidung des BGH ab 222 • Für wieder andere ist dieses Ergebnis die unmittelbare Folge der Begründung der Hauptversammlungskompetenz über § 11911 AktG, denn insofern gelte der in § 133 I AktG festgelegte Grundsatz der einfachen Mehrheit223 • Schließlich verlangt der BGH für das Delisting, allerdings ohne nähere Begründung, gleichfalls einen mit lediglich einfacher Mehrheit gefassten Hauptversammlungsbeschluss224 . 2. SteUungnahme Dem Erfordernis einer 90Ygen Mehrheit ist folgendes entgegenzuhalten: Eine Anlehnung an § 369 m AktG a. F. konnte schon vor Einführung des neuen Umwandlungsrechts nicht überzeugen. Dem Beschluss einer Umwandlung einer AG in einer GmbH mussten gemäß § 369 11 1 AktG a. F. alle Aktionäre zustimmen. Eine Mehrheit von nur neun Zehntel des Grundkapitals war gemäß § 369 m AktG a.F. ausnahmsweise nur darm ausreichend, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine Publikumsgesellschaft war, d. h. weniger als fünfzig Aktionäre hatte. Da dies beim Rückzug einer AG von der Börse nie der Fall sein konnte, hätte man für das Delisting konsequenterweise nicht die Zustimmung von "nur" 90 % des Grundkapitals, sondern die Zustimmung aller Aktionäre fordern müssen. Dies hat jedoch - soweit ersichtlich - niemand getan. Seit Einführung des neuen Umwandlungsrechts hat sich diese Problematik jedoch vollends erübrigt, denn gemäß § 240 I 1 UmwG ist selbst bei der Umwandlung einer AG in eine Das Dritte Finanzmarktf6rderungsgesetz - Börsen- und kapitalmarktrechtliche Überlegungen, in: Basedow I HoptlKötz (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Drobnig, 525 (537); Riehmer, Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, BGH-Report 2003, 438; Ries/ce, Der Rückzug von der Börse, 137 ff.; Schärf, Rechtsprobleme beim Going Private einer börsennotierten Aktiengesellschaft in Österreich und in der BRD, GesRZ 1995, 44 (50 f.); Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739 (763); wohl auch Semler in: Sernler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, Rn I A 182. 220 Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739 (763). 221 Schwark/Geiser, Delisting, ZHR 161 (1997),739 (763). 222 Für einfache Mehrheit bei Holzmüller-Sachverhalten jüngst OLG Karlsruhe, AG 2003, 388 (389 f.) m. w. N. auch zur Gegenauffassung (satzungsändernde Mehrheit). 223 Adolff/TIeves, Über den rechten Umgang mit einern entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800); Ries/ce, Der Rückzug von der Börse, 143 f. 224 BGHZ 153,47 (53).

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GmbH nur noch eine satzungsändernde Mehrheit erforderlich. Ein Delisting kann jedoch nicht an strengere Voraussetzungen als eine Umwandlung geknüpft werden225 . Höhere Quoren als 75 % gelten heute lediglich noch in den Fällen, in denen eine Kapitalbeteiligung des Mehrheitsaktionärs von mindestens 95 % vorgeschrieben ist. Die einzigen Beispiele dafür sind § 320 I 1 AktG bei der Eingliederung sowie § 327a I 1 AktG beim neu eingeführten Squeeze-Out. Bei diesen Vorgängen verlieren die Minderheitsaktionäre jedoch ihre Gesellschaftsbeteiligung vollständig, weshalb beide Verfahren nicht mit einem Delisting vergleichbar sind226 • Seit der Änderung des Umwandlungsrechts ist eine höhere als die satzungsändernde Mehrheit nicht mehr unter Bezugnahme auf die Situation bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH begründbar. Zudem verfangt sogar das oben genannte rechtsvergleichende Argument nicht mehr, denn die Vorschriften der NYSE, auf die dabei Bezug genommen wurde, sind mittlerweile nicht mehr gültig 227 . Sie sind nämlich 1999 dahingehend geändert worden, dass der Delisting-Antrag lediglich vom "Audit Committee" (Kontrollausschuss) und dem "Board of Directors" (Vorstand) des rückzugswilligen Emittenten genehmigt werden muss, so dass sich der Schutz der Aktionäre nunmehr auf eine kurzfristige Benachrichtigung vom Delisting-Vorhaben beschränkt 228 . Da überdies das vorgeschlagene Drei-StufenModell nicht vom Gesetzgeber umgesetzt wurde, sondern auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur kleinen AG und des KonTraG das Modell der Einheits-AG gilt229 , kann der zweite Ansatz für die Begründung eines Erfordernisses einer 90lgen Mehrheit ebenfalls nicht überzeugen. Damit steht fest, dass eine höhere als die satzungsändernde Mehrheit jedenfalls nicht erforderlich ist. Aber selbst die Forderung, dass ein Hauptversammlungsbeschluss über das Delisting mit satzungs ändernder Mehrheit zu treffen wäre, scheint überzogen. Jedenfalls kann keine dafür vorgebrachte Begründung überzeugen. Die Heranziehung der "Holzmüller"-Entscheidung für eine satzungsändernde Mehrheit des DelistingBeschlusses kommt wegen der fehlenden Übertragbarkeit der "Holzmüller"Grundsätze auf den Rückzug von der Börse230 von vornherein nicht in Betracht. Außerdem ist die Parallele zum Umwandlungsrecht verfehlt, denn das Delisting ist Henze, Delisting, 148. Wilsing / Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO I Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002,807 (810). 227 De Vries, De1isting, 103 (Fn 459). 228 De Vries, Delisting, 42 f. unter Zugrundelegung der Rule 500 der NYSE, die mittlerweile ihrerseits nicht mehr gültig ist, sondern im Oktober 2003 durch Section 806.02 NYSE Listed Company Manual ersetzt wurde. Dieser lautet: "An issuer may delist a security from the Exchange after its board approves the action and the issuer fumishes the Exchange with a copy of the Board resolution certified by the secretary of the issuer. .... abrufbar unter: http://www.nyse.com/Frameset.html?displayPage= I aboutllistedl 1022221393251.html (Stand der Abfrage: 04. 07. 2005). 229 Ausführlich dazu oben § 11 11. 1. c). 230 Siehe § 11 II. 1. c). 225

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schon deshalb nicht mit der Umwandlung einer AG in eine GmbH vergleichbar, weil dabei nicht in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingegriffen wird231 . Darüber hinaus entspricht ein Beschluss über ein Going Private nicht den strukturändernden Beschlüssen des Umwandlungsrechts 232 . Denn weder geht die den Börsenaustritt beschließende AG als Rechtsträger unter, noch wandelt sie ihre Rechtsform oder geht in einem neuen Rechtsträger auf. Ferner ist mit dem Börsenaustritt keine grundlegende Veränderung der Vermögens-, Aufgaben- und Kompetenzordnung und damit der Organisations struktur der Gesellschaft verbunden 233 . Gegen das Argument, beim Rückzug von der Börse verändere die Gesellschaft ihre "normtypische Laufrichtung" ist einzuwenden, dass die dahinter stehende Vorstellung des Aktiengesetzes nicht der Realität entspricht. Börsennotierte und nicht börsennotierte AGs stehen gleichberechtigt nebeneinander. Daran haben das Gesetz zur kleinen AG und das KonTraG nichts geändert, denn das Ziel dieser Neuregelungen war es weder, unterschiedliche Typen der AG einzuführen, noch ihr einen ,,Lebenslauf' vorzuschreiben, der mit dem Going Public seinen Höhepunkt findet. Vielmehr dienten die Neuerungen dazu, die Attraktivität der Rechtsform AG für mittelständische Unternehmen durch vereinzelte Erleichterungen generell. zu steigern 234 . Damit bleibt es im Falle der Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über ein Delisting beim gesetzlichen Regelfall, d. h. dabei, dass ein entsprechender Beschluss gemäß § 133 I AktG mit einer einfachen Mehrheit gefasst werden muss. Dieses Ergebnis kann auch nicht unter Verweis auf einen dann unzureichenden Minderheitenschutz beiseite geschoben werden. Denn insofern fragt sich schon von vornherein, ob der Minderheitenschutz über die Erhöhung des Quorums erreicht werden kann. Schon aus praktischer Sicht wird es kaum darauf ankommen, ob der Hauptversammlungsbeschluss mit einfacher oder mit satzungsändernder Mehrheit gefasst werden muss, denn vor einem Delisting wird der Mehrheitsaktionär im Regelfall weit mehr als 75 % der Anteile halten. Aber sogar aus rechtlicher Sicht fragt sich, ob sich dem Minderheitenschutz mit einem gesteigerten Mehrheitserfordernis Rechnung tragen lässr 35 . Dies hieße nämlich, dass die Intensität des Minderheitenschutzes davon abhängen soll, wie groß die Minderheit ist. Das leuchtet jedoch nicht ein. Dem Minderheitenschutz kann eben auf der kollektiven Ebene, d. h. durch ein gesteigertes Mehrheitserfordernis, kaum Rechnung zu getragen werden. Vielmehr lässt sich dies viel wirkungsvoller auf der individuSiehe § 11 11. 1. c). Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (663). 233 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (663). 234 Henze, Delisting, 150; Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann I Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (659). 235 Diese Frage wirft v.a. Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann I Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (664) auf. 231

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ellen Ebene des Anlegerschutzes, etwa durch einen Barabfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre236 , erreichen. Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass, selbst wenn man für die Entscheidung über den Rückzug eines Unternehmens von der Börse einen Hauptversammlungsbeschluss fordert, dieser nicht mit einer qualifizierten, sondern mit der einfachen Mehrheit zu fassen ist.

11. Erforderlichkeit eines schriftlichen Vorstandsberichts Genauso wie sich bei Bejahung der Hauptversammlungskompetenz beim Delisting die Frage nach der erforderlichen Mehrheit für einen entsprechenden Beschluss stellt, so fragt sich, ob es als formelle Voraussetzung für einen solchen Hauptversammlungsbeschluss eines schriftlichen Vorstandberichts bedarf. 1. Meinungsstand

Insofern besteht unter denjenigen, die eine Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Delisting-Entscheidung für erforderlich halten, ebenfalls keine Einigkeit. Die Ansicht, dass beim Delisting ein schriftlicher Vorstands bericht nicht erforderlich sei, wird vereinzelt in der Literatur237 , v.a. jedoch von der Rechtsprechung 238 vertreten. Es sei bereits fraglich, was in einem solchen Vorstandsbericht berichtet werden sollte, denn der Sachverhalt beim Delisting sei, anders als der bei den Konzernmaßnahmen, wo ein Vorstandsbericht vom Gesetz gefordert wird, nicht komplex und erläuterungsbedürftig239 . Allein die Preisbildung für das öffentliche Kaufangebot könne geschildert werden. Diese sei jedoch bereits von den Börsenordnungen vorgegeben und würde zudem im Kaufangebot selbst erfolgen 24o • Der Rechtsprechung zufolge müssten darüber hinaus gesetzlich nicht geregelte formelle Voraussetzungen für Hauptversammlungsbeschlüsse aus Gründen der Rechtssicherheit auf für die betroffenen Gesellschaften klar voraussehbare Ausführlich dazu unten § 13. Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (56); Heidel, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, DB 2003, 548 (549); Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 87; Martinius/Schifjer, Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2461 f.); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 147 f. 238 BGHZ 153,47 (59); OLG München, ZIP 2001, 700 (703 f.); LG München I, DB 1999, 2458 (2459). 239 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (56); Rieske, Der Rückzug von der Börse, 149. 240 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (56). 236

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Einzelfälle beschränkt werden241 . Des Weiteren könne in Bezug auf die DelistingVoraussetzungen auf eine abschließende Regelung durch den Gesetzgeber im Dritten FMFG vertraut werden 242 . Außerdem seien die Strukturmaßnahmen, die eine gesetzliche Berichtspflicht des Vorstands nach sich ziehen, nicht mit dem Verlust der Börsennotierung vergleichbar, denn weder stelle das Delisting rechtlich einen Struktureingriff dar, noch werde dadurch das Verhältnis des Aktionärs zu seiner Gesellschaft berührt243 • Schließlich sei ein schriftlicher Vorstandsbericht nur dort erforderlich, wo die Komplexität des Sachverhalts die Vorabinformationen für außenstehende Aktionäre erforderlich macht. Dies sei beim Delisting jedoch nicht der Fall, jedenfalls dann nicht, wenn der wesentliche Inhalt der Maßnahme in der Einladung ausreichend konkret dargestellt, in dieser Form der Hauptversammlung bekannt gemacht und die Gründe, aus denen das Delisting betrieben werden soll, in der Hauptversammlung schlüssig dargelegt werden244 . Dem Rechtsgedanken des § 124 11 2 AktG entsprechend sei also dem geringeren Informationsbedürfnis der Aktionäre mit dieser Bekanntgabe genüge getan, Schließlich sei zu bedenken, dass Vorstands- bzw. Aktionärsberichte erfahrungsgemäß "viel heiße Luft" enthielten und daher nicht geeignet sind, effektiven Rechtsschutz der Aktionäre sicherzustellen245. Demgegenüber verlangt die überwiegende Anzahl der Stimmen in der Literatur einen schriftlichen Vorstandsbericht für den Hauptversammlungsbeschluss246 . Die LG München I, DB 1999,2458 (2459). LG München I, DB 1999,2458 (2459). 243 LG München I, DB 1999, 2458 (2459); Martinius/Schijfer, Anmerkung zu LG München I, Urteil vorn 04. 11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2461 f.); Rieske. Der Rückzug von der Börse, 148. 244 BGHZ 153,47 (59); OLG München, ZIP 2001, 700 (703); zustimmend: Essers/Weisner/Schlienkamp. Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse - die MacrotronEntscheidung des BGH, DStR 2003, 985 (987). 245 Heidel. Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25. 11. 2002 - II ZR 133/01; DB 2003, 548 (549). 246 Henze. Delisting, 155 ff.; Kiem. Kurzkommentar zu LG München I, Urteil vorn 04. 11. 1999 - 5 HKO 10580/99, EWiR 2000,75 (76); Kleppe. Anlegerschutz, 133 ff.; Kretzschmer / Karakaya. Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2495 ff.); Lutter, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb/ Noack/Westerrnann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (382); Mutter. Kurzkommentar zu OLG München, Urteil vorn 14.02.2001 - 7 U 6019/99, EWiR 2001, 459 (460); Pluskat. Rechtsprobleme beim Going Private, 79 f.; dies .• Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (597); dies. , Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (835); dies., Anmerkung zu OLG München, Urteil vorn 14.02.2001 - 7 U 6019/99, WuB I G 7. - 3.02 (562); Schaub. Anmerkung zu OLG München, Urteil vorn 14.02.2001 -7 U 6019/99, DStR 2001, 951 (952); Schlitt. Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting - Macrotron und die Folgen, ZlP 2004, 533 (536); Schwichtenberg. Going Private und Squeezeouts in Deutschland, DStR 2001, 2075 (2080); Wilsing/Kruse. Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003,1110 (1112ff.); Zetzsche. Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1066 f.). 241

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Vertreter dieser Ansicht stützen sich dabei auf eine Analogie zu Vorschriften des Aktien- bzw. Umwandlungsrechts, die eine Berichtspflicht des Vorstands bei bestimmten Strukturmaßnahmen anordnen. Erforderlich ist ein solcher schriftlicher Vorstandsbericht z. B. für einen Bezugsrechtausschluss, § 186 IV 2 AktG, einen Unternehmensvertrag, § 293a I 1 AktG, eine Eingliederung, § 319 III I Nr. 3 AktG, eine Verschmelzung, § 8 I 1 UmwG, sowie eine formwechselnde Umwandlung, § 192 I 1 UmwG. Zunächst seien formelle Beschlussvoraussetzungen entgegen den Ausführungen der Rechtsprechung im Fall "Macrotron" durchaus analogiefahig, wie v. a. die von Judikatur und Schrifttum anerkannten Bekanntmachungs- und Berichtspflichten auf Grundlage der "Holzmüller"-Doktrin belegten 247 . Die Rechtssicherheit werde durch eine solche Analogie auch nicht beeinträchtigt, da es sich bei formellen Beschlussvoraussetzungen um vorhersehbare Folgen eines zu fordernden Hauptversammlungsbeschlusses handele 248 . Darüber hinaus gebe es entgegen der erstgenannten Ansicht durchaus Berichtenswertes. Zwar sei das De1isting als solches ein vergleichsweise einfacher Prozess, jedoch könne ein Going Private aus den unterschiedlichsten Gründen erfolgen, die ausgesprochen vielfaltig und komplex sein könnten 249 . Insofern sei die Interessenlage beim Delisting durchaus mit der vergleichbar, die bei Strukturmaßnahmen besteht25o . In einem Vorstandsbericht bestehe Gelegenheit, die Gründe und Folgen des Weggangs von der Börse sowie die Minderung etwa zu erwartender Nachteile für die widersprechende Minderheit zu begründen 251 . In diesem Zusammenhang sei es jedoch nicht ausreichend, dass die Aktionäre die für eine Entscheidung erforderlichen Informationen erst auf der Hauptversammlung erhalten, denn es sei ihnen dann nicht mehr möglich, sich vorzubereiten und zu beraten 252 . Eine ausreichende Informationsgrundlage für die Aktionäre sei in diesem Fall nicht gegeben und daher die verständige Ausübung des Stimmrechts nicht möglich womit ein wesentlicher Grundgedanke des Gesellschaftsrechts verfehlt werde253 . Darüber hinaus erfülle eine gesellschaftsrechtliche Informationspflicht, selbst wenn sie sich 247 Kleppe. Anlegerschutz, 137 ff.; KretzschmerlKarakaya. Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2496) m. w. N. 248 Kretzschmer I Karakaya, Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2496). 249 Kretzschmerl Karakaya. Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2496). 250 Kretzschmerl Karakaya. Zur Berichtspflicht des Vorstandes beim Delisting von Aktiengesellschaften, WM 2002, 2494 (2496); Schwichtenberg, Going Private und Squeezeouts in Deutschland. DStR 2001,2075 (2080). 251 Pluskat. Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und KapitaImarktrecht, FB 2002, 592 (597); Lutter; Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb / Noack/Westermann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (382); Zetzsche. Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1067). 252 Henze. Delisting, 158; Schlitt. Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting - Macrotron und die Folgen, ZIP 2004, 533 (536). 253 Henze. Delisting, 156.

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lediglich auf das Kaufangebot beziehen sollte, durchaus eine eigenständige Funktion. Denn weil die Begründung des Beschlussvorschlags zur Vorbereitung des Hauptversammlungsbeschlusses gemäß §§ 125 I 1 a. E. i.Y. m. 12511, 128 I AktG den Einladungsunterlagen beizufügen wäre, wäre mit einer Berichtspflicht gewährleistet, dass alle Aktionäre vor der Hauptversammlung unterrichtet werden, was bei der Veröffentlichung des Pflichtangebots in einem überregionalen Börsenpflichtblatt gemäß § 38 IV 3 BörsG nicht der Fall wäre 254 . Ferner mache die Tatsache, dass die Börsenzulassungsstelle über den Delisting-Antrag entscheidet und dabei den Anlegerschutz beachten muss, eine Berichtspflicht nicht entbehrlich, weil sie naturgemäß nur auf die Gesamtheit der Kleinaktionäre abstellen kann und ihre Entscheidung daher die individuellen Entscheidungen der einzelnen Aktionäre nicht ersetzen könne255 . Schließlich füge sich eine umfangreiche Berichtspflicht des Vorstands in die bestehenden Standards des Kapitalmarktrechts ein256 und würde außerdem den Aktionären die für die Begründung der Einleitung eines Spruchverfahrens notwendigen Informationen in die Hand geben257 . 2. Stellungnahme Fordert man für die Entscheidung über den Rückzug von der Börse einen Beschluss der Hauptversammlung, so ist es in der Tat konsequent, einen schriftlichen Vorstandsbericht zu verlangen. Dem Argument, es gebe beim Delisting über das Kaufangebot hinaus nichts Berichtenswertes, kann nicht zugestimmt werden. Zwar ist der Vorgang des Delisting als solcher in Sachen Komplexität nicht mit den Strukturmaßnahmen vergleichbar, bei denen das Gesetz einen Vorstandsbericht anordnet, jedoch kann den Aktionären nicht zugemutet werden, über einen solchen Schritt des Unternehmens abzustimmen, ohne vorher ausreichend informiert zu werden. Zweck derartiger Berichte ist es, den jeweiligen Vorgang und seine Hintergründe für die außenstehenden Aktionäre transparent zu gestalten, damit sie sich ein Bild darüber machen können, ob die angestrebte Maßnahme wirtschaftlich zweckmäßig ist und den gesetzlichen Anforderungen genügt258 . Zwar sollen die Aktionäre dadurch lediglich in die Lage versetzt werden, eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen, nicht jedoch den Vorgang bis in alle Einzelheiten nachzuvollziehen 259 . Selbst eine solche Plausibilitätskontrolle wäre ihnen im Falle des 254

Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065

(1067).

Kleppe, Anlegerschutz, 141. Kleppe, Anlegerschutz, 142. 257 Wilsing/Kruse, Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003, 1110 (1113) u. a. mit Verweis auf den Regierungsentwurf zum Spruchverfahrensneuordnungsgesetz. 258 So für die Verschmelzung OLG Hamm, ZIP 1999,798 (801). 259 OLG Hamrn, ZIP 1999, 798 (801); Lutter in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 8 Rn5m.w.N. 255

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

De1isting ohne vorherige Information über die mit dem Rückzug von der Börse verfolgten Ziele und seine Folgen für die Gesellschaft sowie die einzelnen Aktionäre nicht möglich. Mit einem Hauptversammlungsbeschluss ohne eine entsprechende Berichtspflicht des Vorstands ist weder der Verwaltung geholfen, da sie die mit erheblichem organisatorischen Aufwand und Kosten verbundene Hauptversammlung durchführen müsste, noch den Minderheitsaktionären, da ihnen eine verständige Ausübung ihrer Stimmrechte auf der Hauptversammlung verwehrt würde. Insofern zeigt sich, dass der Rechtsprechung im Fall "Macrotron" der Vorwurf der Inkonsequenz 26o zu Recht gemacht wird, wenn sie einerseits eine Berichtspflicht des Vorstands ablehnt, aber andererseits einen Hauptversammlungsbeschluss für das Delisting mit den gleichen Argumenten verlangt, die für eine entsprechende umfassende Berichtspflicht sprechen. Entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und mit der herrschenden Literaturmeinung ist daher, wenn man einen Hauptversammlungsbeschluss für das Delisting verlangt, konsequenterweise eine Pflicht des Vorstands, schriftlich Bericht zu erstatten analog den gesetzlichen Vorschriften, die eine solche Berichtspflicht bei Strukturmaßnahmen anordnen, zu bejahen 261 .

III. InhaltskontroUe des Delisting-Beschlusses durch die Gerichte Verlangt man für die Entscheidung über den Rückzug von der Börse einen Hauptversammlungsbeschluss, so fragt sich weiterhin, ob - und wenn ja, in welchem Umfang - ein solcher Beschluss der Inhaltskontrolle durch die Gerichte unterliegt. Fordert man überhaupt eine solche Inhaltskontrolle des Delisting-Beschlusses durch die Zivilgerichte, so sind zwei Möglichkeiten denkbar. Zum einen könnte sie derart umfassend sein, dass die Gerichte den Beschluss auf seine sachliche Rechtfertigung hin prüfen. Eine solche Prüfung schließt die Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein. Dies ist nach Auffassung des BGH262 z. B. beim Bezugsrechtsausschluss im Rahmen einer Kapitalerhöhung der AG nach § 186 III AktG263 der Fall. Zum anderen kann sich Siehe § 11 11. 1. c). I.E. ebenso: Kiem, Kurzkommentar zu LG München I, Urteil vom 04. 11. 1999-5 HKO 10580/99, EWiR 2000, 75 (76); Mutter, Kurzkommentar zu OLG München, Urteil vom 14. 02. 2001-7 U 6019/99, EWiR 2001, 459 (460). 262 BGHZ 71, 40 (44); 125,239 (241 ff.). 263 Nach BGHZ 83, 319 (321 ff.) sollten die in BGHZ 71, 40 (44) für den Bezugsrechtsausschluss bei der gewöhnlichen Kapitalerhöhung aufgestellten Grundsätze über das Erfordernis einer sachlichen Rechtsfertigung auch für' den Bezugsrechtsausschluss bei der Schaffung genehmigten Kapitals nach §§ 203 11 AktG gelten. Diese Rechtsprechung wurde jedoch durch BGHZ 136, 133 (136 ff.) ausdrücklich wieder aufgegeben. Nunmehr ist es bei der Schaffung genehmigten Kapitals nach Auffassung des BGH ausreichend, dass die Maß260 261

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eine Beschlusskontrolle auf eine allgemeine Missbrauchskontrolle beschränken, da Hauptversamm1ungsbeschlüsse, die mit der erforderlichen Mehrheit zustande gekommen sind, ihre Rechtfertigung grundsätzlich in sich tragen. Die Gerichte würden dann lediglich prüfen, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt oder gegen das Verbot der Verfolgung von Sondervorteilen verstoßen wurde sowie, ob individueller Rechtsrnissbrauch stattgefunden hat264 . 1. Meinungsstand

Zu der Frage inwiefern ein Delisting-Beschluss der Inhaltskontrolle durch die Gerichte unterliegt, werden im Wesentlichen drei Auffassungen vertreten. Der strengsten Ansicht zufolge unterliegt der Hauptversammlungsbeschluss der Inhaltskontrolle nach den Grundsätzen der "Kali + Salz"-Entscheidung des BGH, d. h. er bedarf einer sachlichen Rechtfertigung 265 . Begründet wird diese Auffassung damit, dass die materielle Beschlusskontrolle das richtige Schutzinstrument für die Kleinaktionäre sei, weil sie auf deren Belange am ehesten Rücksicht nehme. Denn weder könne das Kapitalrnarktrecht das Erfordernis der materiellen Beschlusskontrolle vollständig ersetzen, da dessen Schutzmechanismen wie etwa Aufsicht und Informationspflichten bei einem Going Private keine entscheidende Rolle spielten266 . Noch könnten bestimmte Stimrnrechtsquoren oder qualifizierte Beschlussmehrheiten eine Einschränkung der materiellen Beschlusskontrolle rechtfertigen, da dadurch anerkannte Minderheitenschutzregeln aufgehoben würden267 bzw. weil gerade Strukturbeschlüsse, die mit qualifizierter Mehrheit zu fassen sind, besondere Gefahren bergen268 • Des Weiteren wird bezweifelt, dass allein das Bestehen einer Ausgleichsregelung beim Rückzug des Unternehmens von der Börse zum Entfallen einer materiellen Beschlusskontrolle führen soll, denn mit solchen Ausgleichszahlungen seien erhebliche Unsicherheiten verbunden. Insbesondere sei weder klar, wer die Ausgleichszahlung anbieten muss, noch sei sicher, wie diese zu bemessen ist269 . Schließlich erfordere schon die Interessenkollision zwischen Mehrheit und Minderheit, welche generell mit Umstruktunahme, die unter Ausschluss des Bezugsrechts verfolgt werden kann, im wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird. Das gilt sowohl für den Ausschluss direkt durch die Hauptversammlung als auch dann, wenn der Vorstand lediglich zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigt wird. 264 Meyer-Landrut / Kiem, Der Formwechsel einer Publikumsaktiengesellschaft, WM 1997, 1361 (1365 f.). 265 Baums/Vogel in: Lutter I Scheffler I Schneider (Hrsg.), Handbuch der Konzernfinanzierung, Rn 9.64; Kleppe. Anlegerschutz, 155 ff. (184). 266 Kleppe. Anlegerschutz. 174 f. 267 Kleppe. Anlegerschutz, 175 f. 268 Kleppe. Anlegerschutz, 177. 269 Kleppe. Anlegerschutz, 182 f.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

rierungsmaßnahmen der Gesellschaft verbunden sei, eine materielle Kontrolle eines Delisting-Beschlusses27o . Einer anderen, sowohl von der Rechtsprechung 271 als auch vom weit überwiegenden Teil der Literatur72 vertretenen, Ansicht zufolge unterliegt der DelistingBeschluss nicht der umfassenden Inhaltskontrolle nach den Grundsätzen des "Kali + Salz"-Urteils des BGH, sondern lediglich der allgemeinen Missbrauchskontrolle durch die Zivilgerichte. Zunächst sei beim Delisting die RechtsteIlung der Aktionäre nicht derart intensiv beeinträchtigt wie etwa beim Bezugsrechtsausschluss, so dass eine Übertragung der dazu vom BGH entwickelten Grundsätze nicht gerechtfertigt erscheine273 . Dem Ausgleich der Interessenbeeinträchtigungen der Minderheitsaktionäre könne durch andere Instrumente besser Rechnung getragen werden als durch die Überprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses auf einen sachlichen Grund 274 , etwa durch die Anerkennung von Austritts- und Abfindungsrechten 275 . Außerdem würden Vorstände ein Going Private in der Regel nur ins Auge fassen, wenn daran ein erhebliches Gesellschaftsinteresse besteht, weil es ihrem eigenen Standing nicht zuträglich sei 276 . Darüber hinaus sei eine umfassende Inhaltkontrolle des Delisting-Beschlusses deshalb nicht geboten, weil sie selbst beim Beschluss über die Umwandlung einer AG in eine GmbH nicht stattfindet277 . Schließlich wird gegen das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung eingeKleppe, Anlegerschutz, 183. BGHZ 153, 47 (58 f.); OLG München, ZIP 2001, 700 (704 f.); LG München I, DB 1999,2458 (2459 f.). 272 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform, ZGR 1999, 781 (800); Henze, Delisting, 159 ff.; Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 86; Martiniusl Schiffer; Anmerkung zu LG München I, Urteil vom 04.11. 1999-5 HKO 10580/99, DB 1999, 2460 (2462). Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 77 f.; dies., Das vollständige DeIisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (596); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (835); von Schenck in: Semler Nolhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch rur Unternehmensübernahmen, Bd. 1, § 24 Rn 31 f.; Schwarkl Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (763 f.); VolimerlGrupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995, 459 (475); WilsinglKruse, Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002,807 (811); dies., Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003,1110 (1114); Zetzsche, Reguläres DeIisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1067); trotz Zweifel wohl auch: Lutter; Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - ß ZR 133/01, JZ 2003, 684 (686). 273 Henze, Delisting, 161. 274 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (596). 275 BGHZ 153,47 (56 ff.); VolimerlGrupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995, 459 (475); Wilsing I Kruse, Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003, 1110 (1114); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1067). 276 SchwarklGeiser; DeIisting, ZHR 161 (1997) 739 (763); WilsinglKruse, Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (811). 277 Henze, Delisting, 161 f.; Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000,1065 (1067). 270

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§ 12 Folgeprobleme bei einer Hauptversarnrnlungszuständigkeit

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wandt, dass die börsenrechtlichen Vorschriften das Rückzugsinteresse der Gesellschaft grundsätzlich anerkennen278 und daher von einem solchen Erfordernis freistellten 279 • Einer dritten - vereinzelt vertretenen - Ansicht zufolge seien die Zivilgerichte selbst zur allgemeinen Missbrauchskontrolle nicht berufen 28o . Seien die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der kapitalmarktrechtlichen Delistingnonn erfüllt, bestünden die geschützten Interessen der Minderheit allein im Anlegerschutz. Die Überprüfung des Anlegerschutzes sei allerdings nicht Sache der Zivilgerichte, sondern von der Börsenzulassungsstelle durchzuführen. Die Rechtfertigung des Ermächtigungsbeschlusses sei also im Delistingverfahren selbst zu sehen. 2. Stellungnahme Fordert man für die Entscheidung des Unternehmens für den Rückzug von der Börse einen Hauptversammlungsbeschluss, so ist es zwar notwendig, aber auch ausreichend, dass er der allgemeinen Missbrauchskontrolle durch die Gerichte unterliegt. Einerseits überzeugt die Auffassung nicht, dass der Delisting-Beschluss, ähnlich wie ein Beschluss über den Ausschluss der Bezugsrechte im Rahmen einer Kapitalerhöhung, der umfassenden materiellen Kontrolle unterliegen soll. Dass etwaige im Zusammenhang mit einer Abfindung der Minderheitsaktionäre stehende Unsicherheiten eine materielle Inhaltskontrolle erforderlich machen, trifft sicherlich nicht (mehr) zu, denn derartige Unsicherheiten können befriedigend gelöst werden 281 . Ferner wäre es verfehlt, Beschlüsse über Umstrukturierungsmaßnahmen generell der materiellen Inhaltskontrolle zu unterziehen. Zwar mögen derartige Beschlüsse besondere Gefahren für die Aktionäre bergen, allerdings tritt das Gesetz diesen Gefahren dadurch entgegen, dass es für sie qualifizierte Mehrheiten verlangt, vgl. §§ 65 11,240 11 UmwG, 179a 11 i.Y.m. 17911 1,31911 2 AktG. Und jedenfalls für Auflösungsbeschlüsse hat namentlich die Rechsprechung anerkannt, dass sie, wenn sie mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden sind, ihre Rechtfertigung grundSätzlich in sich tragen282 . Dieser Gedanke kann grundsätzlich auch auf Beschlüsse über andere Struktunnaßnahmen übertragen werden. Erst recht muss er dann für einen Delisting-Beschluss gelten, da das Delisting die Struktur der Gesellschaft unangetastet lässt. 27S Pluslwt, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (596); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (835). 279 Hellwig, Möglichkeiten einer Börsenreform, ZGR 1999, 781 (800); in diese Richtung auch Martinius/Schiffer. Anmerkung zu LG München I, Urteil vorn 04. 11. 1999 - 5 HKO 10580/99, DB 1999,2460 (2462). 280 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (57). 281 Siehe § 14. 282 BGHZ 76,352 (353); 103, 184 (190 f.).

I3 Gutte

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Andererseits lässt sich die Position, dass ein solcher Beschluss gar keiner Kontrolle durch die Zivilgerichte unterliegen soll, ebenfalls nicht überzeugend begründen. Davon, dass es sich hierbei um eine Frage des Anlegerschutzes handele, der allein der Kontrolle durch die Börsenzulassungsstelle im Rahmen ihrer Entscheidung über den Antrag auf das Delisting unterliege, kann keine Rede sein. Denn bei der allgemeinen Missbrauchskontrolle handelt es sich um eine im Gesellschaftsrecht allgemein anerkannte Kontrollmöglichkeit für alle Hauptversarnmlungsbeschlüsse 283 . Fordert man einen Hauptversammlungsbeschluss, muss er folgerichtig der allgemeinen Missbrauchskontrolle unterliegen. Damit steht fest, dass die Gerichte einen Delisting-Beschluss der allgemeinen Missbrauchskontrolle zu unterziehen haben. Selbstverständlich kann diese in Einzelfällen zur Anfechtbarkeit des Delisting-Beschlusses führen, nämlich dann, wenn die Interessen der Aktionäre über die üblicherweise mit einem Delisting verbundenen Beeinträchtigungen hinaus in besonderem Maße verletzt werden284 . Beispielsweise dürlte ein Missbrauch in Anlehnung an den Rechtsgedanken des venire contra factum proprium zu bejahen sein, wenn eine Gesellschaft ihre Notierung unmittelbar nach einem Gang an die Börse oder einer Kapitalerhöhung widerruft285 • Denkbar wäre ein Eingreifen der Missbrauchskontrolle darüber hinaus in Fällen, in denen ein Going Private dazu eingesetzt werden soll, Minderheitsaktionäre vor dem Zeitpunkt des Delisting aus der Gesellschaft zu drängen, um so den Weg für geplante Konzernierungen und Umstrukturierungen frei zu machen 286 .

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung der Minderheitenaktionäre Beim vollständigen Delisting ist ein Abfindungsanspruch der Minderheitenaktionäre der rückzugswilligen Gesellschaft nicht gesetzlich vorgeschrieben. Dennoch fragt sich, ob nicht über die im Gesetz geregelten Fälle einer Abfindungspflicht hinaus beim Rückzug von der Börse ein solches Schutzinstrument ebenfalls anzuerkennen ist. Diese Frage stellt sich unabhängig davon, ob für das vollständige Delisting ein Hauptversammlungsbeschluss erlorderlich ist oder nicht, denn beide Problemkreise bestehen unabhängig voneinander. Allerdings ist bezüglich einer Abfindungspflicht gleichfalls - ebenso wie bei der Erörterung der Erlorderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses - größter Wert zu legen auf eine solide rechtliche Herleitung, die nicht allein vom Ergebnis her bestimmt ist.

283 284 285 286

Benze, Delisting, 163 f. Henze, Delisting, 165. Kleppe, Anlegerschutz, 188 ff.; Benze, De\isting, 165 ffi . w. N. Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997),739 (764).

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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I. Begrnndungsansätze für ein Abfindungsangebot In Rechtsprechung und Literatur werden im Wesentlichen drei verschiedene Ansätze für die Herleitung einer Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre vertreten. Zum Teil wird die Barabfindungspflicht aus Art. 14 GG hergeleitet. Häufiger wird sich jedoch auf eine analoge Anwendung von umwandlungs- bzw. konzernrechtlichen Vorschriften gestützt. Schließlich wird das Austrittsrecht aus wichtigem Grund als Grundlage für eine Abfindungspflicht herangezogen. 1. Art. 14 GG Die - soweit ersichtlich - einzige Stimme, die sich bei der Forderung nach einem Abfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG stützt, ist bislang die des BGH287 • a) Argumentation

Nach Ansicht des Gerichts vennag die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entscheidung über das Delisting allein keinen ausreichenden Schutz der Minderheitsaktionäre zu gewährleisten. Vielmehr müsse ihnen darüber hinaus der Wert ihrer Aktien ersetzt werden und ihnen die Möglichkeit offen stehen, die Richtigkeit der Wertbemessung in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen 288 . Das Kapitalmarktrecht, d. h. in erster Linie die einschlägigen Bestimmungen der Börsenordnungen, schließe es nicht aus, dass den Minderheitsaktionären durch das Delisting ein vennögensrechtlicher Nachteil entsteht. Insbesondere die Möglichkeit, dass die entsprechenden Vorschriften der Börsenordnungen jederzeit durch das zuständige Börsengremium geändert werden können sowie der Umstand, dass sich der zu erstattende Betrag gemäß den Börsenordnungen nicht am Wert der Aktien, sondern am Niveau des Börsenkurses der letzten drei Monate zu orientieren habe, entspreche nicht den an einen Minderheitenschutz im Aktienrecht zu stellenden Anforderungen. Daher müsse flankierend ein gesellschaftsrechtlicher Minderheitenschutz zur Verfügung gestellt werden 289 . Den Minderheitsaktionären müsse mit dem Beschlussantrag ein Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft (in den nach §§ 71 f. gezogenen Grenzen) oder den Großaktionär vorgelegt werden, wobei der Kaufpreis dem Wert ihrer Anteile entsprechen müsse, da ihnen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die volle Entschädigung zustehe 290 . 287 288 289 290

13"

BGHZ 153,47 (54 ff.). BGHZ 153,47 (56). BGHZ 153,47 (57). BGHZ 153,47 (57).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Aus diesen Ausführungen geht zwar nicht eindeutig hervor, dass sich der BGH bei der Herleitung der Abfindungspflicht auf das Grundgesetz stützt, da er die dogmatischen Grundlagen seiner Argumentation im Dunkeln lässt291 . Allerdings deuten Formulierungen wie "Verkehrswert und seine jederzeitige Realisierbarkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums" oder "nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche volle Entschädigung" darauf, dass er nicht nur das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses, sondern auch die Pflicht zur Unterbreitung eines Kaufangebotes, direkt aus Art. 14 GG herleitet292 . b) Stellungnahme

Entgegen den so verstandenen Ausführungen des BGH kann die Verpflichtung zur Vorlage eines Kaufangebotes an die Minderheitsaktionäre nicht direkt aus dem Verfassungsrecht hergeleitet werden. Die oben gegen die Herleitung der Hauptversammlungskompetenz aus Art. 14 GG vorgebrachten Einwände293 beanspruchen auch im Zusammenhang mit einer Abfindung für die Minderheitsaktionäre volle Geltung. Unmittelbar aus dem Verfassungsrecht lassen sich im Ergebnis keine über das nur zwischen Privaten geltende Gesellschaftsrecht hinausgehenden Anforderungen an das Delisting postulieren 294 . Aber nicht nur wegen der schleierhaften dogmatischen Begründung des Pflichtangebots ist das Urteil des BGH in puncto Abfindungsanspruch kritikwürdig. Denn sowohl die Ausführungen darüber, welcher Betrag den Minderheitsaktionären zu ersetzen sei, als auch die vom BGH gebrauchte Terminologie offenbaren erhebliche Schwächen. In Bezug auf den Betrag, der den Minderheitsaktionären zu erstatten sei, fordert der BGH (insofern nicht überzeugend an die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfend), dass der wahre Wert der Anteile ersetzt wird und hält ein Pflichtangebot, das sich am Kursniveau der letzten Monate orientiert, nicht für ausreichend. Wie bereits ausgeführt, lagen den bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen jedoch allesamt Konstellationen zugrunde, in denen z. T. erheblich in 291 Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (211 ff.); Krämer/Theiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (239); Marsch-Bamer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - 11 ZR 133/01, LMK 2003, 108; Streit, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - 11 ZR 133/01, ZIP 2003,392 (394). 292 So werden die Ausführungen des BGH auch verstanden von Bürgers, Aktienrechtlicher Schutz beim Delisting?, NJW 2003, 1642 (1643); Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (214); Streit, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25. 11. 2002 - 11 ZR 133/01, ZIP 2003, 392 (394). 293 Siehe § 11 ß. 3. c). 294 Klöhn, Zum Pflicht angebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (216 f., 218).

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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die Rechtsstellung der Minderheitsaktionäre eingegriffen wurde. In solchen Fällen ist die Abfindung zum wahren Wert der Anteile sogar verfassungsrechtlich geboten. Beim Delisting liegen die Dinge jedoch anders. Alles was den Minderheitsaktionären hierbei verloren geht, ist die Möglichkeit, ihre Anteile in Zukunft über die Börse veräußern zu können. Eine weitergehende Beeinträchtigung der Mitgliedschaft ist damit gerade nicht verbunden. Im Übrigen fmdet im Regelfall schon vor der Ankündigung eines Delisting kein liquider Handel der betroffenen Aktie mehr statt, so dass es schon aus diesem Grund nicht einzusehen ist, warum der Emittent oder der Großaktionär den Minderheitsaktionären eine volle Entschädigung für die nur noch theoretische Möglichkeit der Veräußerung der Aktien an der Börse anbieten muss 295 . Die Abfindung für den Verlust der staatlich geregelten Handelbarkeit sollte sich demnach nicht am wahren Unternehmenswert, sondern am Börsenkurs der Aktie orientieren, denn dieser spiegelt dasjenige wider, was der Aktionär durch ein Delisting verliert296 . Außerdem verfängt der dagegen vorgebrachte Einwand nicht, bei DelistingKandidaten handele es sich regelmäßig um unterbewertete Unternehmen, weshalb eine Abfindung zum durchschnittlichen Börsenwert die Aktionäre dazu zwingen würde, ihre Aktien zu einem weit unter dem tatsächlichen Wert des Unternehmens liegenden Wert abzugeben297 . Zwar mag es durchaus häufig der Fall sein, dass der Ertragswert eines rückzugswilligen Unternehmens den Börsenwert erheblich übersteigt. Den Aktionären in einem solchen Fall aber den Ausstieg gegen eine Abfindung zum wahren Wert zu ermöglichen, versetzt diese nicht nur in eine bessere Lage als ohne das Delisting, sondern führt überdies zu deren Besserstellung gegenüber Aktionären anderer unterbewerteter, aber nicht rückzugswilliger Unternehmen. Ein so verstandener Minderheitenschutz führte folglich zu weit. Aktionäre haben generell keinen Anspruch darauf, ihre Anteile zum Ertragswert zu veräußern, sondern können bei der Veräußerung grundsätzlich nur den jeweiligen Börsenpreis realisieren. Dass der Börsenwert unter dem tatsächlichen Ertragswert der Anteile liegen kann, ist ein Risiko, dessen sich nicht nur jeder Anteilsinhaber beim Erwerb bewusst sein muss, sondern das in vielen Fällen überhaupt erst den Anreiz zum Kauf entsprechender Anteile gegeben hat. Es bleibt daher dabei, dass, falls man eine Abfindung überzeugend begründen kann, diese sich am durchschnittlichen Börsenwert der Aktien orientieren und nicht auf eine volle Entschädigung gerichtet sein sollte. Die Austrittsmöglichkeit wird durch die Bemessung der Höhe des Kaufangebotes anhand des Börsenpreises jedenfalls nicht entwertet298 . 295 Süßmann, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - 11 ZR 133/01, BKR 2003, 257 (258). 296 Bürgers, Aktienrechtlicher Schutz beim Delisting?, NJW 2003, 1642 (1644); wohl auch Bolzbom, BGH verschärft Delisting-Voraussetzungen, WM 2003,1105 (1108). 297 Wilsing/Kruse, Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003,1110 (1112). 298 So aber Benze, Delisting, 169.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Schließlich hat sich der BGH bei seiner Forderung nach einem "Pflichtangebot" bedauerlicherweise einer unpräzisen Terminologie bedient 299 , denn der Begriff wird üblicherweise nur im Zusammenhang mit dem WpÜG gebraucht. Nach § 35 II 1 WpÜG muss der Bieter, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangt, den übrigen Aktionären ein Angebot auf Erwerb ihrer Aktien unterbreiten. Dieses Pflichtangebot ist also die zwangsläufige Rechtsfolge der Erlangung der Kontrolle einer Gesellschaft durch einen Mitaktionär. Dass der BGH ein solches Angebot nicht gemeint haben kann, liegt auf der Hand. Denn zum einen ist die Konstellation eines Kontrollerwerbs mit der des Delisting nicht annähernd vergleichbar, da der Großaktionär in Delisting-Fällen die Kontrollschwelle von 30 % (§ 29 11 WpÜG) regelmäßig bereits deutlich überschritten haben wird 3OO. Des Weiteren zielt ein solches Pflichtangebot nicht auf die vom BGH geforderte Abfindung in Höhe des wahren Wertes des Unternehmensanteils, sondern beinhaltet gemäß § 31 WpÜG i.V. m. §§ 3 ff. WpÜG-AngebotsVO eine angemessene Gegenleistung unter Berücksichtigung von Vorerwerben des Bieters sowie von gewichteten durchschnittlichen Börsenkursen30I . Und schließlich würde ein Pflichtangebot nach dem WpÜG nicht zu der vom BGH geforderten Rechtsfolge des Spruchverfahrens führen. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass beim vollständigen Delisting eine Verpflichtung zur Unterbreitung eines Kaufangebotes - ebenso wie das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses - nicht unmittelbar aus der Eigentumsgarantie hergeleitet werden kann

2. Analogie zu den konzern- und umwandlungsrechtlichen Vorschriften Überwiegend wird das Erfordernis eines Abfindungsangebotes an die Minderheitsaktionäre beim vollständigen Delisting auf eine Analogie zu den umwandlungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere zu § 207 oder § 29 UmwG gestütze02 . Zum Teil werden ferner die konzernrechtlichen Vorschriften des AktG, insbesondere §§ 305, 320 AktG, flankierend herangezogen. 299 Ausführlich dazu: Essers/Weisner/Schlienkamp. Anforderungen des BGH an den Rückzug von der Börse - die Macrotron-Entscheidung des BGH, DStR 2003, 985 (987 ff.); Krämer/Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (239); vgl. auch Häuser/Thomas. Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25.11. 2002 - 11 ZR 133/01, WuB 11 A. § 119 AktG - 1.03 (522); Land/Behnke. Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531; Riehmer. Anmerkung zu BGH, Urteil vorn 25. 11. 2002 - II ZR 133/01, BGH-Report 2003, 438. 300 Land/Behnke. Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2532). ,01 Land/Behnke. Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2532). 302 Adoljf/TIeves. Über den rechten Umgang mit einern entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (800 ff.);

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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a) Argumentation

Für eine Analogie zu umwandlungsrechtlichen Vorschriften wird meist § 207 I 1 UmwG herangezogen. Danach hat der formwechselnde Rechtsträger jedem Anteilsinhaber, der gegen den nach § 193 I 1 UmwG erforderlichen Umwandlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Für eine Analogie zu dieser Vorschrift wird vorgebracht, dass die Situation beim vollständigen Rückzug von der Börse mit der bei der Umwandlung einer (nicht börsennotierten) AG in eine GmbH vergleichbar sei. Bei der Umwandlung können die widersprechenden Aktionäre wegen der meistens damit einhergehenden verringerten Veräußerbarkeit ihrer Anteile eine Übernahme ihrer Aktien gegen eine angemessene Abfindung verlangen. Für die "Umwandlung" einer börsennotierten in eine nicht börsennotierte AG müsse aber das gleiche gelten, da die Verringerung der Veräußerbarkeit der Anteile dort sogar größer sei als die bei der Umwandlung einer nicht börsennotierten AG in eine GmbH 303 . Zwar habe der Börsenaustritt nicht annähernd die Auswirkungen auf das Organisationsstatut der Gesellschaft wie sie für den Rechtsformwechsel einer AG in eine GmbH kennzeichnend sind. Da jedoch das Delisting die Anlegerinteressen in ähnlich schwerwiegender Weise wie eine echte Umwandlung beeinträchtige, könne eine Analogie zu einzelnen anlegerschützenden Vorschriften des Umwandlungsrechts, also auch zu § 207 UmwG, gezogen werden 304 . Anders gewendet heißt das, es gehe im börsenrechtlichen Delistingverfahren gleichfalls um den typischen InteressenBenecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse -, WM 2004, 1122 (1125); Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (487 f.); Henze, Delisting, 168 ff.; Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (665 ff.); Kleppe, Anlegerschutz, 195 ff. (200); Pluskat, Rechtsprobleme beim Going Private, 83 f.; Schindler; Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften, 216 f.; von Schenck in: Semler/Volhard (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Bd. I, § 24 Rn 33; Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting Macrotron und die Folgen, ZIP 2004, 533 (536); VollmerlGrupp. Aktionärsschutz beim Börsenein- und -austritt, ZGR 1995, 459 (475 ff.); Weber, Sanierung Denotierung und Delisting - Fragen zur Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, ZInsO 2001, 385 (390); Wilsing/Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO I Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002, 807 (810 ff.); Zetzsche. Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1068 f.); wohl auch GeyrhalterlGänßler, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen eines formalen Delistings, NZG 2003, 313 (315); Lutter; Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt, in: Lieb I Noack I Westermann (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zöllner, 363 (381 f.); a. A.: Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (57 f.); Krämer/ Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (240 f.); Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 104 (137 ff.). 303 VollmeriGrupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und austritt, ZGR 1995,459 (476). 304 Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (666).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

konflikt zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionären, der hier nicht anders entschieden werden sollte als im aktien- und umwandlungsrechtlichen Kontexeo5 . Im Übrigen ergebe sich die faktische Nähe des Going Private zur Umwandlung nicht nur aus der eingeschränkten Fungibilität der Gesellschaftsanteile, sondern ebenso aus den eingeschränkten Publizitäts- und Informationspflichten der Gesellschaft306 . Um eine Pflicht zur Barabfindung der Minderheitsaktionäre zu begründen wird ein Analogieschluss außer zu dem für eine formwechselnde Umwandlung geltenden § 207 I 1 UmwG ferner zu dem für eine Verschmelzung geltenden § 29 I 1 UmwG befürwortee07 . Zwar gebe es eine solche Abfindungspflicht grundsätzlich nur bei der Mischverschmelzung, d. h. bei der Verschmelzung, an der gleichzeitig mehrere Rechtsträger unterschiedlicher Rechtsform beteiligt sind, § 29 I 1 UmwG. Allerdings besteht die Abfindungspflicht unter gewissen Umständen sogar bei der Verschmelzung von Rechtsträgern derselben Rechtsform, nämlich dann, wenn die Anteile oder Mitgliedschaften am übernehmenden Rechtsträger Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind, § 29 I 2 UmwG. Zwar sei die fehlende Börsennotiz keine Verfügungsbeschränkung im Sinne von § 29 I 2 UmwG, dennoch sei dieser Vorschrift die Tendenz zu entnehmen, dass das Gesetz bei einer Verschlechterung der Fungibilität der Anteile ein erhöhtes Schutzbedürfnis der Anleger anerkennt308 . Daher spreche § 29 I 2 UmwG ebenfalls für eine Barabfindungspflicht beim Börsenrückzug 309 . Neben dieser Gleichsetzung von Umwandlung und vollständigem Börsenrückzug wird die Analogie noch aus verfassungsrechtlichen Gründen befürwortet. Unter dem Aspekt der Umgehung der Umwandlungsvorschriften und weil § 38 IV BörsG wegen des Fehlens einer eigenen gesetzlichen Abfindungsregelung verfassungsrechtlich nicht unbedenklich sei, solle aus verfassungsrechtlichen Gründen der Aktionärsminderheit im Falle eines Delisting das gleiche Abfindungsrecht wie bei der echten Umwandlung zugestanden werden 31O • Als Konsequenz dieser Auffassung könne sich jedoch ein Problem mit der Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften ergeben311 • Zwar sei der Erwerb eigener 305 Wilsing / Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO / Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002,807 (811). 306 Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (488). 307 Kleppe, Anlegerschutz, 196; dies jedenfalls in Erwägung ziehend: Marsch-Bamer in: Kallmeyer, Umwandlungs gesetz, § 29 Rn 6; für eine entsprechende Anwendung von § 29 UmwG de lege ferenda auch: o. v., Vorschläge des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e.v. zur Änderung des UmwG, NZG 2000, 802 (804, Punkt 12). 308 Kleppe, Anlegerschutz, 196 m. w. N. 309 Hellwig / Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (488); Kleppe, Anlegerschutz, 196. 310 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 592 (597).

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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Aktien durch die Gesellschaft entweder gemäß § 71 I Nr. 8 AktG oder gemäß § 71 I Nr. 3 AktG analog zulässig. Dabei müssten aber die dafür geltenden Grenzen beachtet werden, d. h. der Gesamtnennbetrag der seitens der AG erworbenen eigenen Aktien darf gemäß § 71 11 1 AktG 10 % vom Grundkapital nicht übersteigen und gemäß § 7111 2 AktG muss die nach § 272 IV HGB vorgeschriebene Rücklage für eigene Aktien aus freien Mitteln gebildet werden können. Zwar könne die 10 %-Hürde dadurch umgangen werden, dass der Mehrheitsaktionär seine Beteiligung vorher auf mindestens 90 % aufstockt, so dass die AG in jedem Fall weniger als 10 % erwerben muss 312 . Dennoch werde der Erwerb aller Aktien der austrittswilligen Minderheitsgesellschafter durch die AG in vielen Fällen nicht möglich sein, weil entweder der Großaktionär zur Aufstockung seines Anteils nicht willens oder nicht in der Lage sein wird oder die AG die Rücklagen für die eigenen Anteile nicht aus freien Mitteln bilden kann. Des Weiteren komme erschwerend hinzu, dass die Verwaltung im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine Kenntnis darüber hat, wie groß die Minderheit derjenigen, die mit der Maßnahme des Delisting nicht einverstanden sind, tatsächlich ist313 • Das Problem lasse sich jedoch dadurch befriedigend lösen, dass man die Abfindung nicht nur durch die Gesellschaft, sondern ebenso durch den Mehrheitsaktionär zulässt314 . Jedoch könne selbst dieser Ausweg aus dem Dilemma mit der Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften aufgrund bestimmter Aktionärsstrukturen leicht in eine Sackgasse führen, nämlich dann, wenn es nicht einen einzelnen Mehrheitsaktionär gibt, sondern sich die Mehrheit aus mehreren nur rninderheitlich beteiligten Aktionären zusammensetzt. In einem solchen Fall bliebe den die Mehrheitsgruppe bildenden Aktionären nichts anderes übrig, als entweder die Abwicklung des Pflichtangebots einverständlich einem zur Mehrheitsgruppe zählenden Aktionär zu übertragen oder sich zu einer Interessengemeinschaft (in Form einer GbR) zusammenzuschließen und das Pflichtangebot durch diese abgeben zu lassen 315 • 311 Ausführlich dazu: Benze, Gesichtspunkte des Kapitalerhaltungsgebots und seiner Ergänzung im Kapitalgesellschaftsrecht in der Rechtsprechung des BGH, NZG 2003, 649 (650 f.). 312 von Braunschweig, De-listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 (167). 313 Benze, Gesichtspunkte des Kapitalerhaltungsgebots und seiner Ergänzung im Kapitalgesellschaftsrecht in der Rechtsprechung des BGH, NZG 2003, 649 (651). 314 Adoljf/TIeves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (802 f.); Benze, Delisting, 173 f.; Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann I Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (667 f.), kritisch: Ekkenga, "Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003, 878 (908 ff.). 315 Benze, Gesichtspunkte des Kapitalerhaltungsgebots und seiner Ergänzung im Kapitalgesellschaftsrecht in der Rechtsprechung des BGH, NZG 2003, 649 (652); wohl auch Benecke, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen des Delisting - zur Begründung und Fortentwicklung der neuen Rechtsprechung des BGH zum freiwilligen Rückzug von der Börse -, WM 2004, 1122 (1126).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

b) Stellungnahme

Zwar ist eine Analogie zu den umwandlungs- oder aktienrechtlichen Vorschriften für die Begründung eines Barabfindungsrechts der Minderheitsaktionäre auf den ersten Blick wesentlich überzeugender als der vom BGH gewählte Weg. Dennoch bestehen bei näherem Hinsehen an dieser Lösung ebenfalls erhebliche Zweifel. Zum einen ist fraglich, ob die Voraussetzungen für eine Analogie überhaupt erfüllt sind. Dessen ungeachtet würde ein Analogieschluss zudem lediglich die Rechtsfolge eines Abfindungsangebots nach dem Umwandlungsrecht nach sich ziehen. Ein solches Angebot unterscheidet sich jedoch in verschiedener Hinsicht von einer für das Delisting geeigneten Abfindung. Beiden Kritikpunkten ist im Folgenden nachzugehen. Ein Analogieschluss ist bekanntlich an zwei Voraussetzungen geknüpft. Die erste besteht darin, dass das Gesetz eine plan widrige Regelungslücke aufweist, die zweite darin, dass der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, so weit vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen 316 . Bereits hinsichtlich des Vorliegens der ersten Voraussetzung sind Bedenken angebracht. Zwar existiert bezüglich eines Abfindungsangebotes beim Delisting eine Regelungslücke, denn der Gesetzgeber hat weder im Aktien- noch im Börsenrecht dazu eine ausdrückliche Regelung - positiv oder negativ - getroffen. Allerdings liegt die Planwidrigkeit dieser Regelungslücke - oft ein allzu leicht übergangenes Erfordernis - bei weitem nicht auf der Hand. Mit Einfügung des § 43 IV BörsG a. F. (nunmehr § 38 IV BörsG) durch das Dritte FMFG hat der Gesetzgeber erstmals eine Regelung des Rückzugs eines Emittenten von der Börse geschaffen. Nach seiner Auffassung werden die Interessen der Anleger durch diese Regelung ausreichend berücksichtigt, da nach ihrem Wortlaut Gesichtspunkte des Anlegerschutzes einem Widerruf der Zulassung nicht entgegenstehen dürfen 317 . Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, weitere Voraussetzungen für den Widerruf der Börsenzulassung auf Betreiben des Emittenten, also etwa das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses oder einer Barabfindung im BörsG aufzustellen. Zudem ist eine sich alternativ zur Festschreibung etwaiger zusätzlicher Delistingvoraussetzungen im BörsG anbietende Verortung im AktG nicht erfolgt, und das obwohl durch das Dritte FMFG auch Vorschriften des Aktiengesetzes geändert worden sind318 . Selbst wenn sich aus der Gesetzesbegründung nicht eindeutig ergibt, dass der Rückzug des Emittenten von der Börse nicht an weitere (gesellschaftsrechtliche) Voraussetzungen geknüpft werden sollte, so lässt sich doch nicht 316 BGH, ZIP 2003, 1502 (1505) m. w. N.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 202 ff. 317 BT Drucks. 13 / 8933 , 75. m BT Drucks. 13 / 8933,45.

§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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ohne weiteres behaupten, der Gesetzgeber habe die Problematik zusätzlicher geseIlschaftsrechtlicher Anforderungen an ein Delisting übersehen. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass selbst durch das Vierte FMFG trotz der bis dahin in Wissenschaft und Praxis hierzu lebhaft geführten Diskussion diesbezüglich keine Änderungen eingetreten sind. Dass die bestehende Regelungslücke planwidrig sei, ist also mehr als zweifelhaft. Mag es trotz dieser erheblichen Zweifel noch vertretbar erscheinen, das Vorliegen der ersten Analogievoraussetzung zu bejahen, so gilt dies jedenfalls nicht mehr für die zweite. Dass die Situation des (vollständigen) Delisting mit denjenigen vergleichbar sei, an die das Aktienrecht oder das Umwandlungsrecht eine (Bar-)Abfindungspflicht knüpfen, scheint zu weit hergeholt. Eine solche Abfindungspflicht findet sich im AktG beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, § 305 I AktG, bei der Eingliederung, § 320b I I AktG, sowie im UmwG bei der Verschmelzung, § 29 I UmwG, und der forrnwechselnden Umwandlung, § 207 I 1 UmwG. Wie bereits oben im Zusammenhang mit der Hauptversammlungskompetenz erörtert, unterscheidet sich der Rückzug von der Börse jedoch erheblich von diesen konzern- oder umwandlungsrechtlichen Maßnahmen. Wahrend nämlich bei ersterem kein Eingriff in die Rechte der Aktionäre erfolgt, sondern lediglich die Möglichkeit entfällt, die Anteile künftig über die Börse handeln zu können und sie dadurch faktisch - nicht rechtlich - an Fungibilität verlieren, so beeinträchtigen die genannten Maßnahmen die Rechtsstellung der Aktionäre z. T. erheblich. So berührt der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages sowohl die Verwaltungsrechte als auch die Verrnögensrechte der Aktionäre. Erstere werden durch die mit einem solchen Vertrag verbundene Mediatisierung ihrer Stimmrechte beeinträchtigt, letztere dadurch, dass wegen des Abflusses des Gewinns an das herrschende Unternehmen (gegen einen festen, § 304 11 1 AktG, oder variablen, § 304 11 2 AktG, Ausgleich) in die Gewinnbezugsrechte der Aktionäre eingegriffen wird319 . Bei der Eingliederung nach § 320 I 1 AktG verlieren die ausgeschiedenen Aktionäre ihre Mitgliedschaft in der eingegliederten Gesellschaft VÖllig 32o • Das gleiche gilt bei der Verschmelzung nach §§ 2 ff. UmwG für die Anteilsinhaber des erlöschenden Rechtsträgers 321 . Schließlich folgen bei der forrnwechselnden Umwandlung nach §§ 190 ff. UmwG die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern und der Gesellschafter untereinander neuen Regeln, selbst wenn insgesamt die Identität des Rechtsträgers gewahrt bleibt 322 • Dass die Minderheitsaktionäre beim Delisting durch die Einstellung der Börsennotierung und die damit verbundene Einschränkung der Veräußerbarkeit ihrer An319 Krämer/Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003. 225 (229). Vgl. dazu auch oben § 5 I. 2. b) aa) (3) (b) (aa) und die dortigen Nachweise. 320 Grunewald in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 320 AktG Rn 4; Hüffer, Aktiengesetz, § 320 AktG Rn l. 321 Lutter in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 2 Rn 22. 322 Decher in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 190 Rn 4.

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teile in ihren wirtschaftlichen Interessen betroffen werden, steht außer Frage. Allerdings ist dieses reine Vermögensinteresse nach derzeitiger Gesetzeslage eben nicht rechtlich geschützt. Die Beeinträchtigung des reinen Vermögensinteresses trotzdem mit den bei den Konzembildungs- und Umwandlungsmaßnahmen erfolgenden erheblichen Rechtseingriffen - meist ohne oder mit nur unzureichender Begründung - gleichzusetzen und dadurch die für einen Analogieschluss erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte gleichsam "herbeizuzaubem" geht über die Grenzen sauberer Rechtsanwendung hinaus. Gegen eine Übertragbarkeit der umwandlungsrechtlichen Vorschriften über die Barabfindung auf das vollständige Delisting spricht im Übrigen § 250 UmwG. Gemäß dieser Vorschrift ist u. a. § 207 UmwG nicht auf den Formwechsel einer AG in eine KGaA oder einer KGaA in eine AG anzuwenden. Die Ratio für diese Vorschrift ist, dass dann kein Anlass für eine Barabfindungspflicht der widersprechenden Aktionäre besteht, wenn die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre bei dem Umwandlungsvorgang weitestgehend unverändert bleibt323 . Daraus ergibt sich, dass beim vollständigen Delisting, welches überhaupt keinen Einfluss auf die Rechtsform der Gesellschaft und die Rechtsstellung der Aktionäre hat, eine Barabfindungspflicht erst recht nicht veranlasst ise 24 . Ebenso ändert der Einwand, dass die Verkehrsfähigkeit der Gesellschaftsanteile, insbesondere die Börsennotierung, nicht davon abhängig ist, ob es sich um eine AG oder eine KGaA handelt 325 , daran nichts. Richtig ist zwar, dass § 250 UmwG die Verkehrsfähigkeit der Anteile unberücksichtigt lässt. Daraus kann aber nicht geschlussfolgert werden, § 250 UmwG spreche nicht gegen die analoge Anwendung von § 207 UmwG auf das vollständige Delisting. Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt eindeutig, dass bei der Umwandlung einer AG in eine KGaA (oder umgekehrt) § 207 UmwG nie, also auch nicht bei einer etwa bestehenden Börsennotiz der formwechselnden Gesellschaft, anzuwenden ist. § 207 UmwG ist daher selbst dann nicht anzuwenden, wenn sich eine börsennotierte KGaA in eine nicht börsennotierte AG umwandelt326 . Das gleiche muss dann aber für den "Wandel" einer börsennotierten AG in eine nicht börsennotierte AG gelten. Gerade weil § 250 UmwG nicht auf die Börsennotiz abstellt, kann die Vorschrift als Argument gegen einen Analogieschluss zu § 207 UmwG herangezogen werden. Das Kriterium Börsennotierung wird eben im Umwandlungsrecht konsequent aus geklammert 327 . 323 Dirksen in: KalJmeyer, Umwandlungsgesetz, § 250; Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 104 (137); Stratz in: Schmitt/HörtnagllStratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 250 UmwG Rn 1. 324 Mülbert, Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 104 (137). 325 Hellwig/Bormann, Abfindung beim Going Private - Der Gesetzgeber ist gefordert!, ZGR 2002, 465 (488). 326 Dies übersieht Henze, Delisting, 170. 327 Ekkenga, "Macrotron" und das Grundrecht auf Aktieneigentum - der BGH als der bessere Gesetzgeber?, ZGR 2003, 878 (896).

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Gleichermaßen trägt das oben beschriebene Argument nicht, die Barabfindungspflicht beim vollständigen Delisting könne ebenso auf § 29 I 2 UmwG gestützt werden. Diese Vorschrift schreibt eine Abfindungspflicht bei der Verschmelzung von Rechtsträgern derselben Rechtsform dann vor, wenn die Anteile am übernehmenden Rechtsträger Verfügungsbeschränkungen unterworfen sind. Daraus die Tendenz zu entnehmen, das Gesetz erkenne bei jeder Verschlechterung der Fungibilität der Anteile, also sogar bei einer nicht rechtlichen, sondern nur tatsächlichen Fungibilitätsbeeinträchtigung, ein erhöhtes Schutzbedürfnis "er Anteilsinhaber an328 , ist vorschnell. Bloße Erschwerungen bei der Übertragung der Anteile, wie es bei der Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte AG der Fall ist, werden nicht von § 29 I 2 erfasst329 • Denn nach den umwandlungsgesetzlichen Wertungszusammenhängen liegt eine Verfügungsbeschränkung i. S. v. § 29 I 2 UmwG gerade nicht schon in der tatsächlichen, durch das Fehlen der Börsennotierung bedingten Fungibilitätseinschränkung33o • Bei der Verschmelzung durch Neugründung oder der rechtsformwahrenden Aufspaltung muss die zu errichtende AG ja ebenfalls erst das Börsenzulassungsverfahren durchlaufen, kann also im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung noch nicht börsennotiert sein331 • Bejaht man aber eine Analogie zu § 29 I 2 UmwG beim vollständigen Delisting, müsste man diese Vorschrift konsequenterweise auf die eben beschriebenen Konstellationen übertragen. Dies stünde jedoch in klarem Widerspruch zur gesetzlichen Grundentscheidung 332 . Dagegen könnte ferner nicht argumentiert werden, § 29 I 2 UmwG sollte auf diese Fälle deshalb nicht angewendet werden, weil es etwa den Aktionären zumutbar sei, ihre Anteile lediglich während einer Übergangsphase, d. h. bis zur Börsenzulassung der neu errichteten AG, nicht über die Börse zu handeln. Denn weder steht die Länge des Zeitraums bis zur Börsenzulassung der neu errichteten AG von vornherein fest, noch ist sicher, dass ihre Börsenzulassung überhaupt erreicht wird. All die eben vorgebrachten Argumente sprechen gegen eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte von vollständigem Delisting einerseits und den abfindungspflichtigen Maßnahmen des AktG oder des UmwG andererseits. Die Voraussetzungen für einen Analogieschluss zur Herleitung eines Barabfindungsrechts der Minderheitsaktionäre beim vollständigen Delisting sind also i. E. nicht gegeben 333 . Ein Analogieschluss zu den genannten Vorschriften ist ferner deshalb abzulehnen, weil diese als Rechtsfolge eine Barabfmdungspflicht zeitigen, die in ihrer speziellen Ausprägung für den Rückzug von der Börse nicht angebracht erscheint. Kleppe. Anlegerschutz, 196. Grunewald in: Lutter (Hrsg.). Umwandlungsgesetz, § 29 Rn 9. 330 Mülbert. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001),104 (138). m Mülbert. Rechtsprobleme des Delisting, ZHR 165 (2001), 104 (138). 332 Mülbert. Rechtsprobleme des Delisting. ZHR 165 (2001), 104 (138). 333 Krämer/Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (240); wohl auch Holzbom. BGH verschärft Delisting-Voraussetzungen, WM 2003, 1105 (1108). 328

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Zunächst einmal ergibt sich bereits eine Ungereimtheit bezüglich dessen, was eigentlich abgefunden werden soll. Die Abfindungsansprüche bei den Maßnahmen nach dem AktG oder dem UmwG beziehen sich allesamt auf eine "angemessene Abfindung". Darunter ist die Abfindung zum vollen Unternehmens- bzw. Anteilswert zu verstehen 334 . Angesichts der Tatsache, dass den Minderheitsaktionären in diesen Fällen in ihr Anteilseigentum eingegriffen wird, ist dies nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar verfassungsrechtlich geboten. Demgegenüber sollte sich eine Abfindung der Minderheitsaktionäre beim vollständigen Delisting nicht am "wahren" Anteilswert, sondern am Börsenpreis der Anteile orientieren335 . Denn alles was sie verlieren, ist die Möglichkeit eines börslichen Handels. Ihr Anteilseigentum wird ihnen, anders als bei den aktien- und umwandlungsrechtlichen Maßnahmen, nicht - auch nicht teilweise - entzogen. Vielmehr können die Aktionäre beim Delisting weiterhin mit uneingeschränkter Dividendenberechtigung in der Gesellschaft verbleiben336 . Schon insofern passt daher die Rechtsfolge "angemessene Abfindung" nicht recht auf die DelistingHille. Des Weiteren sieht § 207 I 1 UmwG vor, dass die angemessene Barabfindung für die umgewandelten Anteile oder Mitgliedschaften anzubieten ist. Rein technisch gesehen behalten die Gesellschafter der umzuwandelnden Gesellschaft ihre Mitgliedschaften also bis nach der Umwandlung und scheiden nicht etwa vorher schon aus. Erst nachdem sie Gesellschafter im Rechtsträger der neuen Rechtsform geworden sind, besteht die Möglichkeit einer Abfindung. Übertragen auf den Fall des Delisting bedeutet dieser Zeitpunkt der Entstehung des Abfindungsanspruchs, dass die Abfindung nur für die Aktien der schon nicht mehr börsennotierten AG zu gewähren wäre. Diese werden dann aber bereits an (Verkehrs-)Wert verloren haben. Demzufolge ist den Minderheitsaktionären mit einer Abfindung zu diesem Zeitpunkt nicht geholfen, denn die Abfindung hat sich ja, wie soeben erläutert, richtigerweise am Verkehrswert und nicht am wahren Wert der Anteile zu orientieren. Schließlich fragt sich, ob der Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, der bei einem Gesellschaftsanteil der austrittswilligen Aktionäre von mehr als 10 % droht, tatsächlich so leicht dadurch umgangen werden kann, dass der Mehrheitsaktionär neben oder sogar anstelle der Gesellschaft den Minderheitsgesellschaftern eine Abfindung anbieten kann. § 207 UmwG geht nämlich eindeutig von dem Erwerb der Anteile und der Leistung der Abfindung gerade durch den Rechts334 Bi/da in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 305 AktG Rn 58 ff.; Hü!fer; Aktiengesetz, § 305 AktG Rn 17 ff.; Grunewald in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 30 Rn 2; Decher in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 208 Rn 5. 335 Siehe § 13 I. 1. b), sowie: Bürgers, Aktienrechtlicher Schutz beim Delisting?, NJW 2003, 1642 (1644); Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting - Macrotron und die Folgen, ZIP 2004,533 (536); Wilsing/Kruse, Die Änderung des § 54a BörsO/Ffm: Ein Schritt in die richtige Richtung?, NZG 2002,807 (811). 336 Schlitt, Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des regulären Delisting - Macrotron und die Folgen, ZIP 2004, 533 (536).

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träger neuer Rechtsform aus 337 . Zwar bleibt es dem Mehrheitsaktionär unbenommen, ein freiwilliges Übernahmeangebot nach dem neuen WpÜG zu unterbreiten. Dies richtet sich dann aber an die Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers und nicht, wie das Pflichtangebot nach § 207 UmwG, an die Anteilsinhaber des Rechtsträgers neuer Rechtsform nach Wirksamwerden des Formwechse1s338 . Eine Pflicht des Mehrheitsaktionärs zum Erwerb gegen Abfindung kann jedoch nicht hergeleitet werden. Selbst wenn man jedoch ein Abfindungsangebot durch den Mehrheitsaktionär vorschriebe oder jedenfalls zuließe, so noch Folgendes zu bedenken: Bei einer Aufstockung des Gesellschaftsanteils durch den Mehrheitsaktionär würden sich die Beteiligungsverhältnisse zuungunsten der verbleibenswilligen Minderheitsaktionäre verschieben. Zwar verändert sich durch den Erwerb von Beteiligungen anderer Minderheitsaktionäre durch den Großaktionär die individuelle Beteiligungsquote jedes einzelnen verbleibenswilligen Minderheitsgesellschafters nicht. Allerdings wird der Gesamtanteil aller Minderheitsaktionäre entsprechend der Aufstockung beim Mehrheitsaktionär schrumpfen. Im Extremfall kann dies sogar dazu führen, dass der Mehrheitsaktionär durch solche Anteilserwerbe seine Beteiligung auf über 95 % ausbaut und damit erst durch den Börsenrückzug die Möglichkeit erhält, z. B. einen Squeeze-Out nach §§ 327a ff. AktG zu betreiben. Dadurch könnte er anschließend sogar noch die Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft drängen, die trotz des Börsenrückzuges in der Gesellschaft verbleiben wollen. Zwar hätte der einzelne Minderheitsaktionär vor dem Börsenrückzug einem Squeeze-Out aufgrund einer eigenen Beteiligung von unter 5 % alleine nichts entgegensetzen können. Dennoch wäre dem Mehrheitsaktionär ein solcher Schritt vor dem Börsenrückzug kaum möglich gewesen, da er sich zu diesem Zeitpunkt noch einer größeren Anzahl von Minderheitsaktionären gegenüber sah. Die für die verbleibenswilligen Minderheitsaktionäre meist nachteilige Veränderung der Beteiligungsverhältnisse sollte daher bei der Beantwortung der Frage, ob eine Abfindung ebenso durch den Großaktionär möglich sein soll, nicht ignoriert werden. Insgesamt zeigt sich, dass ein Analogieschluss zu aktien- oder umwandlungsrechtlichen Vorschriften äußerst problembehaftet ist. Nicht nur ähneln die in diesen Vorschriften geregelten Sachverhalte nicht dem Delisting, sondern sie halten darüber hinaus eine Rechtsfolge parat, die für ein Delisting nicht passt. Die Herleitung einer Barabfindungspflicht zum Schutz der Minderheitsaktionäre kann daher ebenfalls nicht auf eine Analogie zu §§ 305, 320b AktG bzw. §§ 29, 207 UmwG gestützt werden.

337 Meister / Klöcker in: Kallrneyer, Umwandlungsgesetz, § 207 Rn 40; Stratz in: Schrnitt I Hörtnagll Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 207 UrnwG Rn 9. 338 Decher in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 207 Rn 24.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

3. Austrittsrecht aus wichtigem Grund

Ferner wird ein Anspruch der Minderheitsaktionäre auf eine Abfindung vereinzelt als Folge des Austrittsrechts aus wichtigem Grund gesehen, welches ihnen im Falle eines vollständigen Delisting zustehe 339 . a) Argumentation

Für die Abfindung der Minderheitsgesellschafter könne das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund nutzbar gemacht werden 34o . Die entsprechende Anwendung gesetzlich geregelter Austritts- und Abfindungsregeln verbiete sich aus den gleichen Gründen, die gegen das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit sprechen341 . Diese bestehen darin, dass beim Going Private die wirtschaftliche Position der Aktionäre im Vordergrund stehe, während der gesellschaftsrechtliche Aufbau der AG nicht berührt werde, wenngleich die Gesellschaft aus Sicht der Anlegeraktionäre "eine andere" werde. Diese Änderung lasse sich rechtlich nicht mit einer Umwandlung oder Vermögensübertragung vergleichen, denn sie liege auf einer niedrigeren Eingriffsschwelle342 . Die Fälle der gesetzlich geregelten Abfindungsansprüche knüpften an Umstrukturierungen der Gesellschaft an, während sich das Delisting in erster Linie auf die Veränderung der Vermögensposition der überstimmten Kleinaktionäre beziehe343 . Bei Entwicklungen, die nur eine Gruppe von Aktionären betreffen, greife aber das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund ein 344 • Zwar sei der Austritt aus der AG grundsätzlich ein Fremdkörper, da an seine Stelle die Übertragungsmöglichkeit der Anteile trete. Wenn aber die zunächst optimal gegebene Liquidierungsmöglichkeit über die Börse durch ein Going Private wesentlich eingeschränkt wird, müsse dem Aktionär eine Möglichkeit zur Befreiung von der gesellschaftsrechtlichen Bindung gegeben werden 345 . Außerdem sei das Austrittsrecht nicht mit komplizierten Verfahrensregeln belastet346 . Deshalb könne in den Fällen des vollständigen Delisting ausnahmsweise auf das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund als Basis für einen Abfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre zurückgegriffen werden. Allerdings stoße dieser Rückgriff ebenfalls schnell an die Grenzen des strengen aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgebotes 347 . Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (764 f.). Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 34\ Schwark/Geiser; De1isting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 342 Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (763). 343 Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 344 Schwark/Geiser; De1isting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 345 Schwark/Geiser; De1isting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 346 Grunewald in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 29 Rn 32; Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 347 Schwark/Geiser; Delisting, ZHR 161 (1997) 739 (765). 339

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b) Stellungnahme

Zwar ist bereits die Frage, ob das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund für die AG überhaupt anzuerkennen sei, noch nicht abschließend geklärt. Denn während es bei der GmbH trotz fehlender gesetzlicher Grundlage nicht mehr bestritten wird 348 , bestehen bei der AG Meinungsverschiedenheiten nicht nur bezüglich seiner einzelnen Voraussetzungen, sondern schon bezüglich seiner grundsätzlichen Anerkennbarkeit 349 . Das Problem der grundsätzlichen Anwendbarkeit des allgemeinen Austrittsrechts auf die AG gewinnt im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nur dann Bedeutung, wenn seine Voraussetzungen im Falle des vollständigen Delisting überhaupt erfüllt wären. Dem ist im Folgenden nachzugehen. Selbst nach der Ansicht, die die geringsten Voraussetzungen an die Anerkennung des Austrittsrechts bei der AG stellt, kann es nur subsidiär zur normalerweise gegebenen Möglichkeit der Veräußerung der Gesellschaftsanteile zur Anwendung kommen. Es stellt einen äußersten Rechtsbehelf dar, für dessen Inanspruchnahme der Kapitalgesellschafter eine auf andere Weise nicht zu behebende Notsituation nachweisen muss 350 . Entscheidend für ein Austrittsrecht ist daher, ob Umstände vorliegen, die einer Änderung der Geschäftsgrundlagen nahe kommen. Solange der Aktionär seine Aktien veräußern kann, kommt das allgemeine Austrittsrecht daher nicht in Frage351 • Dass ein bevorstehendes Delisting für die Minderheitsaktionäre tatsächlich eine solche Notsituation darstellt, die nicht anders als durch Austritt mit gleichzeitigem Abfmdungsanspruch gegen die Gesellschaft oder den Mehrheitsgesellschafter behoben werden kann, muss bezweifelt werden. Denn Grundgedanke des allgemeinen Austrittsrechts, dass niemand auf unbegrenzte Dauer gegen seinen Willen an einer Beitrittsentscheidung selbst dann festgehalten werden soll, wenn ein wichtiger Grund dagegen spricht352, kommt beim bevorstehenden Börsenrückzug nicht zum Tragen. Alle Aktionäre haben, selbst nachdem die Entscheidung für das Delisting getroffen wurde, stets noch ausreichend Zeit, 348 BGHZ 9,157 (162); 116,359 (369); HuecklFastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh § 34 Rn 15; Winter in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn 32, § 15 Rn 114 ff., jeweils m. w. N.; monographisch: Becker. Der Austritt aus der GmbH. 349 Bejahend: Grunewald in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 29 Rn 32; dies., Austrittsrechte als Folge von Mischverschme1zungen und Verfügungsbeschränkungen, in: Ebenroth/Hesselberger/Rinne (Hrsg.), Festschrift für Karlheinz Boujong, 175 (199); dies., Das Recht zum Austritt aus der Aktiengesellschaft, in: Martens/Westermann/Zöllner (Hrsg.), Festschrift für Carsten Peter Claussen, 103 (111 0; Raiser; Recht der Kapitalgesellschaften, § 12 Rn 63; Schindler; Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften, 82 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 400 ff.; Verneinend: HefermehllBungeroth in: GeBier u. a., Aktiengesetz, § 68 Rn 67 m. w. N.; weitere Nachweise bei Schindler; Das Austrittsrecht in Kapitalgesellschaften, 80 (dort Fn 330). 350 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 401. 351 Grunewald, Das Recht zum Austritt aus der Aktiengesellschaft, in: Martens/Westermann/Zöllner (Hrsg.), Festschrift für Carsten Peter Claussen, 103 (113). 352 Grunewald, Das Recht zum Austritt aus der Aktiengesellschaft, in: Martens/Westermann / Zöllner (Hrsg.), Festschrift für Carsten Peter Claussen, 103 (112).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

ihre Anteile über die Börse zu veräußern 353 . Davon, dass sie in einem solchen Falle gegen ihren Willen in der Gesellschaft festgehalten werden, kann also keine Rede sein. Zwar mögen die Aktionäre nach Bekanntwerden eines bevorstehenden Delisting einen Preisabschlag bei der Veräußerung ihrer Anteile hinnehmen müssen. Darin liegt aber nicht mehr als die Realisierung des allgemeinen Kapitalanlagerisikos. Dieses hat jedoch jeder Anleger selbst zu tragen. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass die für das Austrittsrecht erforderliche Notsituation nicht einmal dann vorliegen soll, wenn ein (zumutbares) Kaufangebot gar nicht vorhanden ist 354 . Wenn aber das Austrittsrecht selbst dann nicht in Frage kommt, wenn faktisch eine Veräußerung überhaupt nicht möglich ist, weil gar keine Nachfrage nach den Anteilen besteht, dann kann aber erst recht nichts anderes gelten, wenn die Nachfrage - und damit der Börsenpreis der Aktien - "nur" gesunken ist. Damit steht fest, dass die Voraussetzungen für eine Anwendung des allgemeinen Austrittsrechts aus wichtigem Grund beim Delisting nicht gegeben sind355 . Die Frage nach der generellen Anwendbarkeit des allgemeinen Austrittsrechts aus wichtigem Grund im Aktienrecht darf daher offen bleiben. Letztendlich ist es sogar sachgerecht, den Minderheitsaktionären im Falle des vollständigen Delisting die Inanspruchnahme des Austrittsrechts aus wichtigem Grund als Basis für eine Abfindung zu verweigern. Hinter diesem Rechtsbehelf verbirgt sich der allgemeine Rechtsgedanke, dass eine Befreiung von der gesellschaftsrechtlichen Bindung nur bei wesentlichen Struktunnaßnahmen, die mit einer nachhaltigen Veränderung oder Beeinträchtigung der Rechte der Anteilsinhaber verbunden sind, in Betracht kommen kann 356 . Dieser Rechtsgedanke hat aber für Fälle der Strukturveränderung einer AG an verschiedenen Stellen einfachgesetzliche Ausprägungen erfahren, etwa in §§ 305, 320b AktG oder §§ 29, 207 UmwG. Diese Vorschriften können aber weder direkt noch, wie oben gezeigt357 , analog auf den Fall des Börsenrückzuges angewendet werden. Darin zeigt sich, dass der hinter diesen Vorschriften stehende allgemeine Rechtsgedanke in diesem Fall nicht zum Tragen kommt. Eine Anerkennung des Austrittsrechts aus wichtigem Grund für den Fall des vollständigen Delisting würde dieser Wertung zwangsläufig entgegenlaufen und den Anwendungsbereich dieses Rechtsbehelfs in nicht gebotener Weise ausweiten. Festzuhalten bleibt, dass eine Abfindung der Minderheitsaktionäre beim vollständigen Delisting ebenfalls nicht auf das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund gestützt werden kann. Vgl. § 58 I Nr. 2, 11 BörsO FWB. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1,401. 355 Im Ergebnis ebenso: Rieske, Der Rückzug von der Börse, 151 f. 356 Decher in: Lutter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, § 207 Rn 3. m Siehe § 11 11.2. b) bb). 353

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§ 13 Erforderlichkeit einer Pflicht zur Abfindung

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4. Analogie zu § 5 m 1 EGAktG Schließlich könnte für die Begründung einer Abfindungspflicht eine analoge Anwendung von § 5 III 1 EGAktG in Betracht kommen. Nach dieser Vorschrift hat die Gesellschaft einem Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien im Falle des Erlöschens oder der Beseitigung seiner Mehrstimmrechte einen Ausgleich zu gewähren, der ihren besonderen Wert angemessen berücksichtigt. Allerdings kommt eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf das Delisting ebenfalls nicht in Frage. Zum einen handelt es sich bei dieser Regelung um eine Vorschrift, die speziell für das Erlöschen bzw. die Beseitigung von Mehrstimmrechten Anwendung findet und Spezialvorschriften sind grundsätzlich nicht analogiefahig. Zum anderen fehlt es wiederum an der für eine Analogie erforderlichen Ähnlichkeit der in Frage stehenden Sachverhalte. Wahrend nämlich durch das Erlöschen bzw. die Beseitigung von Mehrstimmrechten in die mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte der betroffenen Aktionäre eingegriffen wird, ist dies bei einem Wegfall der Möglichkeit, die Anteile auch künftig über die Börse veräußern zu können, nicht der Fa1l 358 . Dieser Unterschied verbietet eine Übertragung der Rechtsfolge .von § 5 m 1 EGAktG auf das Delisting.

11. Ergebnis Nach derzeitiger Gesetzeslage besteht beim vollständigen Delisting neben etwaigen kapitalmarktrechtlichen Abfindungsansprüchen gemäß den einzelnen Börsenordnungen kein gesellschaftsrechtlich begründeter Anspruch der Minderheitsaktionäre auf eine Abfindung. So versagt Art. 14 GG in diesem Zusammenhang aus den gleichen Gründen wie er als Grundlage einer Hauptversammlungskompetenz versage 59 • Ferner sind die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der umwandlungs- bzw. aktienrechtlichen Abfindungsregeln auf den Fall des vollständigen Delisting nicht gegeben. Darüber hinaus kann auf das allgemeine Austrittsrecht aus wichtigem Grund gleichfalls nicht zurückgegriffen werden. Schließlich scheitert auch eine analoge Anwendung von § 5 III 1 EGAktG. Dass sich beim Delisting ein gesellschaftsrechtlich begründeter Abfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre de lege lata nicht herleiten lässt und daher den Aktionären U.U. überhaupt kein Abfindungsanspruch beim Delisting zustehe 60 , ist ein Zustand der nicht zu begrüßen ist. Zwar verbliebe den Minderheitsaktionären bis zum Wirksamwerden des Delisting noch ausreichend Zeit, ihre Anteile über die Börse zu veräußern 361 und sich so auch ohne Abfindungsanspruch von der 358 359 360

361

14'

Siehe § 11 11. 1. c). Siehe § 11 ll. 3. c). Vgl. § 58 BörsO FWB. Vgl. § 58 II 3 BörsO FWB.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären De1isting

Gesellschaft zu lösen. Dennoch befriedigt diese Fristenregelung aus rechtspolitischer Sicht nicht, denn sie müssten dabei erhebliche Kursabschläge hinnehmen. Nach hier vertretener Auffassung sollte den Minderheitsaktionären daher beim Rückzug der Gesellschaft von der Börse grundsätzlich eine Abfindung gewährt werden. Zwar führt die Anerkennung eines solchen Anspruchs wegen der dadurch notwendig werdenden zusätzlichen gesellschafts internen Maßnahmen (Benachrichtigung aller Aktionäre, etc.) dazu, dass die praktische Durchführung des Delisting wegen des damit einhergehenden gesteigerten Organisations- und Kostenaufwandes erschwert wird. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine solche Erschwerung mit allen Maßnahmen verbunden ist, die einen Abfindungsanspruch nach sich ziehen. Solange der Abfindungsanspruch jedoch nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird, kann dieses Ergebnis nur dadurch erreicht werden, dass die Zulassungsstelle der FWB den gemäß § 38 IV 1 BörsG stets zu wahrenden Anlegerschutz nur bei Unterbreitung eines Abfindungsangebotes nicht als beeinträchtigt ansieht. Sie hätte die Möglichkeit, dem Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung dann nicht stattzugeben, wenn kein solches Abfindungsangebot, entweder durch die Gesellschaft selbst oder durch den Mehrheitsaktionär, unterbreitet wird 362 , obwohl sie dies ausweislich des Wortlautes von § 58 BörsO FWB könnte. Aufgrund dieser unbefriedigenden Rechtslage ist der Gesetzgeber aufgefordert, den Abfindungsanspruch der Minderheitsaktionäre beim Delisting gesetzlich zu regeln. Dafür kommt eine Verankerung sowohl im Aktienrecht als auch im Börsenrecht in Frage. Da sich der Abfindungsanspruch nach hier vertretener Auffassung nicht am "wahren" Unternehmenswert, sondern am durchschnittlichen Börsenkurs des Unternehmens vor Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung orientieren sollte363 , erscheint eine Regelung im Rahmen des Börsenrechts vorzugswürdig. So könnte der Abfindungsanspruch als kapitalmarktrechtliche Schutznorrn etwa direkt im BörsG im Zusammenhang mit den Vorschriften über den Börsenrückzug festgeschrieben werden. Eines parallel dazu existierenden, gesellschaftsrechtlich hergeleiteten Abfindungsanspruchs bedürfte es dann nicht mehr. Alternativ zur direkten Regelung im BörsG erscheint es möglich, die Börsen lediglich zu verpflichten, Anträgen auf Widerruf der Börsenzulassung nur bei Vorliegen eines entsprechenden Kaufangebotes stattzugeben und entsprechende Regelungen in den einzelnen Börsenordnungen aufzunehmen. Zwar ist das Börsenrecht als öffentlich-rechtliches Kapitalmarkt-Aufsichtsrecht Polizeirecht im weiteren Sinne d. h. sein Gegenstand umfasst grundsätzlich nicht innergesellschaftliche, also privatrechtliche Fragstellungen. Allerdings werden die gesellschaftsrechtlichen Aktionärsrechte durch das reguläre Delisting auch nicht beeinträchtigt. Mithin sprechen die besseren Gründe für eine Verankerung eines Abfindungsanspruchs im Börsenrecht. 362 Für diese Lösung auch KrämerlTheiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (241). 363 Siehe § 13 1. 1. b).

§ 14 Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe

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Wenn der Gesetzgeber einen Abfindungsanspruch zur zwingenden Vorausset zung eines vollständigen Delisting macht, sollte er gleichzeitig die sich daraus ergebenden Folgeprobleme einer Lösung zuführen. Dies betrifft insbesondere die Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften. Insofern kämen zwei Möglichkeiten in Betracht. Entweder man schließt die Geltung von § 71 AktG für den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft beim Delisting aus. Diese Lösung ginge jedoch zu Lasten des Gläubigerschutzes, da Ressourcen der Gesellschaft verringert oder gar aufgezehrt werden würden. Oder man begründet eine Pflicht des Mehrheitsgesellschafters, ein Abfindungsangebot zu unterbreiten. Sollte der Gesetzgeber die sich in diesem Fall zwangsläufig ergebende Anteilsverschiebung zugunsten des Mehrheitsaktionärs vermeiden wollen, könnte er beispielsweise den Minderheitsaktionären ein als Vorkaufs- oder Sonderbezugsrecht ausgestaltetes Erwerbsrecht im Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligungen zugestehen 364 . Sowohl eine Entscheidung für ein solches Erwerbsrecht als auch die dagegen dürften vom gesetzgeberischen Spielraum noch gedeckt sein. Schließlich dient die Anerkennung eines Abfindungsangebotes im Falle des Delisting der Funktionsfabigkeit der Kapitalmärkte 365 . Die Anleger wären in ihrem Vertrauen auf die Möglichkeit, in Aktieneigentum zu investieren gestärkt, denn sie wären nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, den Vorteil der Börsennotiz ohne Abfindung zu verlieren. Diese Sicherheit führt gleichzeitig zur Herabsetzung der individuellen Investitionsschwellen, was letztlich den Kapitalmärkten insgesamt zugute käme.

§ 14 Verfahren für die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe Auch wenn die vorstehenden Untersuchungen gezeigt haben, dass nach der derzeitigen Gesetzeslage keine Pflicht zur Unterbreitung eines Kaufangebotes beim Rückzug von der Börse existiert, so wäre es in der Praxis wegen gegensätzlichen Auffassung des BGH gleichwohl ratsam, dass die Gesellschaft bzw. der Mehrheitsaktionär ein solches vorlegt, da der bei der Börsenzulassungsstelle zu stellende Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung ansonsten kaum Aussicht auf Erfolg haben dürfte. In diesem Zusammenhang fragt sich, ob und auf welchem Wege die Angemessenheit eines solchen Angebots einer justizförrnigen Überprüfung unterzogen werden kann.

364 Dafür plädiert Kleindiek, "Going Private" und Anlegerschutz, in: Westermann/Mock (Hrsg.), Festschrift für Gerold Bezzenberger, 653 (668); dagegen Henze, Delisting, 174. 365 Kleppe, Anlegerschutz, 199.

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

I. Wege der gerichtlichen Überprüfung In Literatur und Rechtsprechung werden im Wesentlichen drei Wege zur Überprüfung der im Zusammenhang mit einem Abfindungsangebot stehenden Fragen unter Einschluss der Angemessenheit der Abfindungshöhe diskutiert. Der erste besteht in der analogen Anwendung des seit dem Ol. 09. 2003 im SpruchG366 (vormals in § 306 AktG, §§ 305 ff.UmwG) geregelten Spruchverfahrens, der zweite in der Nutzbarmachung der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, § 243 I AktG, und der dritte in der Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Börsenzulassungsstelle über den Antrag des Emittenten auf das Delisting.

1. Spruchverfahren Teile der Rechtsprechung 367 sowie zahlreiche Literaturstimmen368 plädieren für eine analoge Anwendung des Spruchverfahrens, um die Angemessenheit der den Minderheitsaktionären beim Delisting zu unterbreitenden Abfindung zu kontrollieren. Für diese Lösung werden mehrere Argumente vorgebracht. Zunächst einmal begegne die analoge Anwendung der Vorschriften über das Spruchverfahren keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ferner sei die Analogiefähigkeit dieser Zuständigkeitsvorschriften unter prozessualen Aspekten zu bejahen369 . Zudem seien die Regelungen zum Spruchverfahren ihrem Sinn und Zweck nach auf ein vollständiges Delisting übertragbar37o. Des Weiteren werde durch die Anwendung BGBI. I 2003, 838. BGHZ 153, 47 (58); BayObLG, Beschluss vom 01. 12.2004 - 3Z BR 106/04, BB 2005,458 (459); LG München I, Beschluss vom 27.11. 2003 - 5HKO 5774/03, DB 2004, 242 (243 f.) sowie Beschluss vom 15.01. 2004 - 5 HKO 22304/02, DB 2004,476 (477). 368 Adolff/Tieves, Über den rechten Umgang mit einem entschlusslosen Gesetzgeber: Die aktienrechtliche Lösung des BGH für den Rückzug von der Börse, BB 2003, 797 (804); von Braunschweig, De-listing deutscher Aktiengesellschaften nach einem Mehrheitserwerb, M&A Review 1999, 165 (167); Grupp. Börseneintritt und Börsenaustritt, 205; Henze. Delisting, 177 ff.; Kleppe. Anlegerschutz, 219 ff. (226 ff.); Klöhn, Zum PfIichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (217 f.); Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 119 AktG Rn 88; Land/ Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534); Lutter; Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - II ZR 133/01, JZ 2003, 684 (686 f.); Riehmer; Anmerkung zu BGH, Urteil vom 25.11. 2002 - II ZR 133/01, BGH-Report 2003, 438; Vollmer/Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und -austritt, ZGR 1995,459 (477); Weber; Sanierung Denotierung und Delisting - Fragen zur Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, ZInsO 2001, 385 (390); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1070). 369 BGHZ 153, 47 (58) m. w. N.; unter Verweis auf den entsprechenden, in BTDrucks. 15/838, 16 zum Ausdruck gekommenen, Willen des Gesetzgebers: Klöhn, Zum Pflichtangebot und Spruchverfahren beim regulären Delisting, ZBB 2003, 208 (217 f.). 370 Ausführlich zum Vorliegen der Analogievoraussetzungen Henze, Delisting, 178 ff. 366 367

§ 14 ÜbeIprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe

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der Vorschriften über das Spruchverfahren auf das Delisting gewährleistet, dass durch die gerichtliche Entscheidung der Wert der Aktien für alle Aktionäre verbindlich festgelegt wird 37 ). Darüber hinaus werde die Wirksamkeit des Austrittsbeschlusses durch eine von den Unwirksamkeitsklagen getrennte Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung im Spruchverfahren nicht berührt372 . Denn im Spruchverfahren wird nur die Höhe der Abfindung überprüft und gegebenenfalls neu festgelegt, nicht aber über die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit der zugrunde liegenden Maßnahme befunden373 . Der Delisting-Beschluss muss gesondert angefochten werden, wobei eine Anfechtung nicht auf die Unangemessenheit der Abfindung gestützt werden kann. Aufgrund dieser Trennung zwischen der Überprüfung des Delisting-Beschlusses und der der Abfindung stehe das Spruchverfahren dem Vollzug der zur Entschädigung verpflichtenden Maßnahme nicht entgegen und es könne zügig zu einer Entscheidung über das "Ob" des Delisting kommen 374 . Zwar würde das Spruchverfahren überdies zur Entlastung des Freigabeverfahrens nach § 16 III UmwG von Entschädigungsfragen führen, allerdings ist eine Eintragung des Delisting in das Handelsregister wegen der offensichtlichen Erkennbarkeit der nunmehr fehlenden Börsennotiz des Unternehmens nicht erforderlich375 , so dass es beim Delisting praktisch nie zu einem Freigabeverfahren kommen wird 376 . Allerdings ist diese Lösung z. T. auf erhebliche Kritik von anderen Teilen der Rechtsprechung 377 sowie der Literatur378 gestoßen. Selbst wenn die Durchführung des Spruchverfahrens de lege ferenda durchaus wünschenswert, wenn nicht sogar verfassungsrechtlich geboten sei, so scheide eine analoge Anwendung der Vorschriften de lege lata schon deshalb aus, weil gerichtliche Zuständigkeiten nicht im Wege der Analogie begründet werden könnten379 . Überdies lägen die Analogievoraussetzungen gar nicht vor. So fehle es bereits an einer Regelungslücke, da davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber bei der erstmaligen Regelung des Delisting Alternativen zum Anleger- und Aktionärsschutz bedacht und eine voll371 BGHZ 153,47 (58); Land/Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534). 372 Vollmer/Grupp, Aktionärsschutz beim Börsenein- und -austritt, ZGR 1995,459 (477). 373 Grupp, Börseneintritt und Börsenaustrin, 205. 374 Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1070). 375 Henze, Delisting, 184 ff.; Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (597 f.); Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1070). 376 Widersprüchlich daher Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1070), der einerseits im Spruchverfahren eine Entlastung des Freigabeverfahrens sieht, andererseits aber eine Registereintragung des Delisting für entbehrlich hält. 377 LG München I, DB 1999,2458 (2460). 378 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (57 f.). 379 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (601 f.); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (838).

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

ständige Normierung im BörsG getroffen habe 380 und weil mit der Möglichkeit der Überprüfung der Angemessenheit des Kaufangebots durch die Verwaltungsgerichte ein Rechtsweg bereits bestehe381 . Ferner sei das Delisting schon nicht mit den Sachverhalten vergleichbar, bei denen das Spruchverfahren zur Anwendung kommt, denn es fehle beim Delisting an einem strukturellen Eingriff382 . Das Spruchverfahren sei jedoch von Gesetzes wegen auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, die alle dadurch gekennzeichnet seien, dass der Mehrheit oder einer anderen Gesellschaft strukturelle Eingriffsrechte gegeben werden 383 . Des Weiteren verletze eine analoge Anwendung des Spruchverfahrens die Eigentumsgrundrechte der anderen Aktionäre sowie die unternehmerische Handlungsfreiheit der Aktiengesellschaft aus Art. 2 I GG 384 . Die Erhöhung eines freiwilligen Kaufangebots durch ein Gericht würde außerdem die verfassungsrechtlich garantierte Privatautonomie verletzen 385 . Schließlich sei die überlange Verfahrensdauer problematisch 386 , denn das Rechtsstaatsprinzip erfordert im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden 387 . 2. Aktienrechtliche Anfechtungsklage Denkbar wäre ferner eine Überprüfung der Angemessenheit des Kaufangebots im Rahmen einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage. Zwar würde diese Möglichkeit durchaus den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine gerichtliche Kontrolle genügen 388 , jedoch bestehen gegen dieses Verfahren ebenfalls erhebliche Einwände. Zunächst einmal scheint es so, als ob die über die aktienrechtliche Anfechtungsklage zu erreichende Kontrolle einer Abfindung be380 OLG München, ZIP 2001, 700 (705); LG München I, DB 1999, 2458 (2460); Schifferl Götz, Umsetzung des Macrotron-Urteils: Spruch verfahren nach regulärem Delisting, BB 2005, 253 (256). 381 Kruse, Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2273) = NZG 2000,1112 (1113); Wilsingl Kruse, Börsenrechtliches Delisting nach Macrotron, WM 2003,1110 (1113). 382 KrämerlTheiß, Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (241); SchijferlGötz, Umsetzung des Macrotron-Urteils: Spruchverfahren nach regulärem Delisting, BB 2005, 253 (256). 383 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (57). 384 Bungert, Delisting und Hauptversammlung, BB 2000, 53 (57 f.); KrämerlTheiß, De1isting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (241); Martiniuslvon Oppen, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Delisting-Spruchverfahrens?, DB 2005, 212 (213); wohl auch SchijferlGötz, Umsetzung des Macrotron-Urteils: Spruchverfahren nach regulärem Delisting, BB 2005, 253 (256). 385 OLG München, ZIP 2001, 700 (705); LG München I, DB 1999,2458 (2460). 386 Kleppe, Anlegerschutz, 221; Zetzsche, Reguläres Delisting und deutsches Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 1065 (1070). 387 BVerfG, NJW 1999,2582 f. (sieben Jahre gerade noch hinnehmbar). 388 BVerfG, ZIP 2000,1670 (1672 f.).

§ 14 Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe

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schränkt ist, weil ihr Streitgegenstand nicht der Vorgang des Delisting als solcher wäre, sondern nur der Beschluss über dessen Durchführung. Die Angemessenheit des Kaufangebots ist jedoch eine mit dem Widerruf der Börsenzulassung zusammenhängende Folgefrage, die nicht im Rahmen einer Anfechtungsklage geklärt werden kann. Insofern sei u. a. auf § 320b rr 1 AktG bzw. §§ 32, 210 UmwG verwiesen, die eine Anfechtungsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss wegen Unangemessenheit der Abfindung bei Eingliederung, Umwandlung oder Verschmelzung ausschließen. Es spricht daher einiges dafür, dass der dem Delisting zugrunde liegende Hauptversamrnlungsbeschluss nicht wegen einer Bewertungsfrage wieder zu Fall gebracht werden kann 389 . Selbst wenn man für das Delisting jedoch davon ausgeht, dass sich die Aktionäre zum Zwecke der Angemessenheitskontrolle der aktienrechtlichen Anfechtungsklage bedienen können, so könnten sie durch dieses Institut lediglich eine Kassation des Hauptversammlungsbeschlusses erreichen und dadurch dessen Durchsetzung verhindern 390 . Eine Erhöhung des Kaufangebotspreises durch die Gesellschaft oder den Mehrheitsaktionär könnten sie so nur mittelbar zu erreichen391 . Außerdem entstünden der Gesellschaft durch das Erfordernis der erneuten Einberufung einer Hauptversammlung unverhältnismäßige Kosten und es könnten ihr durch diese Verzögerung erheblich Nachteile entstehen392 . Da schließlich die in der Hauptversammlung getroffene Delisting-Entscheidung wegen Fragen der Höhe des Ausgleichs rückgängig gemacht werden könnte, hätten die sog. "räuberischen" Aktionäre, die eine Anfechtungsklage nur anstrengen, um sich ihre Anteile von der Gesellschaft möglichst teuer abkaufen zu lassen, einen gesteigerten Anreiz, den Anfechtungsprozess überhaupt zu betreiben, da die Anfechtungsklage für die Gesellschaft in diesem Fall schon wegen der zeitlichen Verzögerung der Auszahlung der Abfindung besonders lästig wäre. 3. Verwaltungsrechtliche Anfechtungsklage Schließlich wird vertreten, eine Überprüfung der Angemessenheit des Kaufangebotspreises habe auf dem Verwaltungsrechtsweg, namentlich im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den dem Widerrufs antrag des Emittenten stattgebenden Bescheid der Börsenzulassungsstelle, zu geschehen393 . Dass den Aktionären die Insoweit überzeugend Kleppe. Anlegerschutz. 209 ff. BGHZ 153,47 (57 f.). 391 BGHZ 153,47 (58). 392 BGHZ 153,47 (58). 393 Krämer/Theiß. Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, AG 2003, 225 (242); Kruse. Gerichtliche Kontrolle des obligatorischen Aktienkaufangebots beim börsenrechtlichen Delistingverfahren?, BB 2000, 2271 (2273) =NZG 2000,1112 (1113 f.); Pluskat. Rechtsprobleme beim Going Private, 154 ff.; dies .• Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (602); dies., Going Private durch reguläres Delisting, WM 2002, 833 (838); Rieske. Der Rückzug von der Börse, 198. 389 390

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3. Kap.: Gesellschaftsrechtliche Fragen des regulären Delisting

Widerspruchs- bzw. Anfechtungsbefugnis gegen diesen Bescheid zusteht, wurde bereits oben 394 geklärt. Gleichwohl ist auch diese Lösung einiger Kritik ausgesetzt. So wird argumentiert, dass sowohl die Zulassungsstelle als auch die Verwaltungsgerichte aufgrund ihrer Ausgestaltung und Zusammensetzung nicht in der Lage seien, fundierte Kenntnisse über die finanzielle Lage des Unternehmens zu sammeln und im Hinblick auf eine Unternehmensbewertung auszuwerten395 . Weiterhin hätte sie den Nachteil, dass es durch die Inanspruchnahme der Verwaltungs gerichte zu enormen Verzögerungen für die rückzugswillige Gesellschaft kommen kann, denn Widerspruch und Anfechtungsklage haben grundSätzlich aufschiebende Wirkung, § 80 I 1 VwGO. Zwar kann diese durch eine besonders angeordnete sofortige Vollziehung wegfallen, aber dieser Wegfall kann wiederum durch einen erfolgreichen Antrag nach § 80 V VwGO beseitigt werden. Nicht zuletzt geht aus Art. 14llI 4 GG bzw. Art. 34 S. 3 GG hervor, dass die Bestimmung der Höhe einer zu gewährenden Entschädigung auch sonst grundsätzlich den Zivilgerichten vorbehalten ist.

11. Stellungnahme Zunächst einmal steht außer Frage, dass es der Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle der Angemessenheit des Abfindungsangebots bedarf. Dies folgt nicht zuletzt aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abfmdung bei der "übertragenden Auflösung", wonach entscheidend ist, dass die Rechtsordnung hinreichende Schutzvorkehrungen für die Minderheitsaktionäre bereithält396 . Die gerichtliche Wertkontrolle des angebotenen Kaufpreises ist zweifellos als eine solche Schutzvorkehrung anzusehen. Im Rahmen einer Stellungnahme zu der Frage, auf welchem Wege diese gerichtliche Kontrolle zu erfolgen habe, ist jedoch zu beachten, dass allen dazu vertretenen Ansichten die Vorstellung zugrunde liegt, die Abfindung beim Delisting habe sich am wahren Wert des Unternehmens zu orientieren. Die hier angestellten Überlegungen haben zwar gezeigt, dass beim Delisting ein Abfindungsangebot aus Gründen des Anlegerschutzes ebenfalls geboten ist und de lege ferenda eingeführt werden sollte. Dieses Kaufangebot hat sich jedoch nicht am wahren Wert des Unternehmens zu orientieren, sondern an dessen Börsenwert. Wie bereits erläutert, liegt der Grund dafür darin, dass die Aktionäre beim Delisting nicht in ihrer Stellung als Mitglied des Verbands AG betroffen sind, sondern in ihrer Stellung als Anleger. Insofern ergibt sich beim Delisting die gleiche Situation wie bei einem freiwilligen Übernahmenangebot nach dem neuen WpÜG. Dieses hat sich gemäß § 31 I 2 WpÜG gleichfalls am durchschnittlichen Börsenkurs zu orientieren. Dies wird gemäß § 31 VII WpÜG i.V. m. §§ 3 ff. WpÜG-AngebotsVO dahingehend 394 395

396

Siehe § 7.

Kleppe. Anlegerschutz. 214, 218. BVerfG ZIP 2000,1670 (1673).

§ 14 Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe

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präzisiert, dass infofern grundsätzlich der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der letzten drei Monate maßgeblich ist. Eine Überprüfung der Angemessenheit des Angebots findet dabei in erster Linie durch eine Verwaltungsbehörde, die BAPin, statt. Gemäß § 15 I Nr. 2 WpÜG hat sie das Angebot zu untersagen, wenn die in der Angebotsunterlage enthaltenen Angaben offensichtlich gegen Vorschriften dieses Gesetzes oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung verstoßen. Sie hat das Angebot also schon dann zu untersagen, wenn es hinsichtlich Art oder Höhe den Anforderungen des WpÜG widerspricht und der Verstoß offensichtlich ist. Rechtsmittel gegen eine Untersagungsverfügung der BAPin ist gemäß § 48 I 1 i.V. m. § 48 IV WpÜG die Beschwerde beim für den Sitz der BAFin in Frankfurt am Main zuständigen Oberlandesgericht, d. h. beim dort neu eingerichteten Wertpapiererwerbs- und Übernahmesenae 97 • Parallel zu dieser Überprüfung der Angemessenheit eines freiwilligen Kaufangebots nach dem WpÜG durch die BAPin mit Beschwerdemöglichkeit zum OLG Frankfurt am Main bietet es sich für die Überprüfung des Kaufangebots im Rahmen eines Delisting an, dass die Börsenzulassungsstelle im Rahmen ihrer Entscheidung über den Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung die Angemessenheit des Angebots überprüft. Für die Angemessenheit sollte sie auf die vom WpÜG aufgestellten Maßstäbe zurückgreifen, da auch ein freiwilliges Angebot nach dem WpÜG am Börsenkurs ausgerichtet sein muss. Sie hätte den Antrag dann abzulehnen, wenn das Angebot sich nicht am durchschnittlichen gewichteten Börsenkurs der letzten drei Monate orientiert. Für den Zeitpunkt, von welchem an die letzten drei Monate zurückgerechnet werden müssen, stellt die WpÜG-AngebotsVO auf den Tag der Veröffentlichung der Entscheidung des Bieters zur Abgabe eines Angebots ab, § 5 I WpÜG-AngebotsVO. Dahinter dürfte der Zweck stehen, dass der Börsenkurs, an dem sich die Abfindung zu orientieren hat, nicht durch die Tatsache beeinflusst sein soll, dass ein Kaufangebot bevorsteht. Diesem Zweck entsprechend wären beim Delisting nicht die drei Monate vor Unterbreitung des Abfindungsangebots, sondern die drei Monate vor Bekanntwerden der Delisting-Entscheidung des Unternehmens maßgeblich, da dies der Zeitpunkt ist, an dem feststeht, dass es ein Abfmdungsangebot geben wird. Gegen die Entscheidung der Zulassungsstelle wäre dann der VerwaItungsrechtsweg eröffnet, da sie Verwaltungsakt ist. Die Überprüfung der Angemessenheit des Kaufangebots durch die Verwaltungsgerichte würde dann im Rahmen einer Anfechtungsklage erfolgen. Diese könnte entweder vom Emittenten erhoben werden, wenn der Bescheid den Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung wegen der Unangemessenheit der Abfindung ablehnt, oder von Minderheitsaktionären, wenn er ihm stattgibt. Selbst im zweiten Fall würde der Streit um den drittschützenden Charakter der WpÜG-Vorschriften 398 nicht virulent. Es handelte sich 397 Schüppen in: Haarmann / Riehmer / Schüppen, Öffentliche Übemahmeangebote, Einleitung Rn 6. 398 Dazu: OLG Frankfurt/Main, DB 2003, 1371 (1372); DB 2003, 1373 (1374); DB 2003, 1782 f.; DB 2003, 2537 (2538); sowie Zschocke / Rahlf, Anmerkung zu OLG Frankfurt, Beschluss vom 09. 10.2003 - WpÜG 3/03, DB 2003, 2540 f. m. w. N.

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3. Kap.: GesellschaftsrechtIiche Fragen des regulären Delisting

ja gerade nicht um ein WpÜG-Verfahren vor der BAFin, sondern um ein Marktentlassungsverfahren vor der Börsenzulassungsstelle. Diese würde jedoch - anders als die BAFin im WpÜG-Verfahren - bei ihrer Entscheidung über den Widerrufsantrag die Einhaltung der WpÜG-Vorschriften nicht direkt, sondern nur inzident im Rahmen der Anlegerschutzregelungen des BörsG und der entsprechenden Börsenordnung prüfen. Da diese Anlegerschutzregeln drittschützend sind399 , wären die Aktionäre für eine Klage gegen die Entscheidung der Zulassungsstelle jedenfalls klagebefugt. Dieser Lösung kann ferner nicht entgegengehalten werden, weder die Zulassungsstelle noch die Verwaltungsgerichte seien in der Lage, die Angemessenheit des Angebots inhaltlich zu überprüfen. Dieser Einwand mag zwar gerechtfertigt sein, wenn Gegenstand der Anfechtungsklage ein Angebot wäre, was sich am wahren Unternehmenswert zu orientieren hat. Gerade dies ist aber nach der hier vertretenen Lösung nicht der Fall, denn die Ermittlung des Dreimonats-Durchschnittskurses nach dem WpÜG dürfte schon allein wegen der für das WpÜG-Verfahren vorgesehenen zehntägigen Prüfungsfrist einfach und zügig erfolgen können4OO • Dieser Lösung kann ebenfalls nicht vorgeworfen werden, sie sei systemwidrig, weil sie die Prüfung der Angemessenheit der Abfindung den Verwaltungs gerichten zuweise, obwohl es sich dabei um eine gesellschaftsrechtliche Frage handele401 . Dieser Vorwurf wäre nämlich nur dann berechtigt, wenn man als Maßstab für die Angemessenheit der Abfindungshöhe den "wahren" Anteilswert heranzieht, da dessen Einhaltung in der Tat von den Zivilgerichten zu überprüfen wäre. Nach dem in der vorliegenden Arbeit vertretenen Standpunkt hat sich die Abfindung der Minderheitsaktionäre jedoch nicht am wahren Wert des Unternehmens, sondern an dessen Börsenkurs zu orientieren. Demzufolge wäre eine verwaltungsgerichtliche Angemessenheitskontrolle auch nicht systemwidrig. Des Weiteren wird gegen die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung auf dem Verwaltungsrechtsweg eingewandt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Börsenzulassungsstelle aufgrund ihrer aufschiebenden Wirkung den gleichen unerwünschten Blockadeeffekt bezüglich des Vollzugs der bereits getroffenen Delisting-Entscheidung hätten wie eine aktienrechtliche Anfechtungsklage. Allerdings gilt es insoweit Folgendes zu bedenken: Zum einen hätte ein verwaltungsgerichtliches Urteil, das den mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheid der Börsenzulassungsstelle aufhebt, keine Auswirkungen auf den innerhalb der Gesellschaft auf der Hauptversammlung gefassten DelistingBeschluss, denn dieser Beschluss wird mangels Eintragung in das Handelsregister bereits mit Feststellung und Verkündung in der Hauptversammlung wirksam. Eine Siehe § 7. Land/Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2532). 401 Pluskat, Das vollständige Delisting im Spannungsfeld von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, FB 2002, 595 (602). 39')

400

§ 14 Überprüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe

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Anfechtungsklage kann also die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses über ein Delisting - anders als die eines Squeeze-Out-Beschlusses - nicht automatisch aufhalten402 . Eine Anfechtungsklage kann im Erfolgsfall lediglich die Wirksamkeit des Beschlusses ex tunc entfallen lassen403 . Zum anderen muss die Abfindung beim Delisting nach der hier vertretenen Lösung zum durchschnittlichen Börsenwert der Anteile erfolgen. Diesen zu bestimmen dürfte die Verwaltungsgerichte nicht vor allzu große Probleme stellen, da die Bestimmung losgelöst von schwierigen Bewertungsfragen erfolgen kann. Es wäre daher sogar mit einer zügigeren gerichtlichen Entscheidung zu rechnen. Nicht zuletzt bringt die Tatsache, dass dem Widerrufsbegehren des Emittenten daher solange nicht stattgegeben werden kann, bis ein Abfindungsangebot vorliegt, welches sich tatsächlich am Börsenwert orientiert, den Anreiz für die Gesellschaft bzw. den Mehrheitsaktionär mit sich, die Abfindung von vornherein nicht zu niedrig zu bemessen. Schließlich dürfte dem Problem der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage dadurch beizukommen sein, dass die Verwaltungsgerichte die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anfechtungsklage genau prüfen. Bei einer erkennbar missbräuchlich eingelegten Klage könnte das Rechtsschutzbedürfnis verneint und die Klage daher bereits als unzulässig abgewiesen werden404 .

402 Land/ Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534). 403 Land/Behnke, Die praktische Durchführung eines Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des BGH, DB 2003, 2531 (2534,2535). 404 Vgl. BGHZ 106, 296 (308 ff.) m. w. N.

Kapitel 4

Zusammenfassung Zum Abschluss sollen zum einen die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung noch einmal zusammengetragen und zum anderen ein kleiner Ausblick auf die absehbaren Entwicklungen gewagt werden.

§ 15 Fazit Die Arbeit hat zu Erkenntnissen geführt, die sowohl das Börsenrecht als auch das Gesellschaftsrecht betreffen und zu ihrer Weiterentwicklung geeignet erscheinen. Sie liegen im materiellen Recht, speziell im Anlegerschutz, sowie auf verfahrensrechtlichem Gebiet.

I. Börsenrecht Durch das Vierte FMFG wurde u. a. das Börsenrecht erneut reformiert. Im Zusammenhang mit der Beendigung der Börsenzulassung spielt vor allem die nunmehr im BörsG enthaltene Möglichkeit eine Rolle, auch für die öffentlich-rechtlich organisierten Handelssegmente amtlicher Markt und geregelter Markt Teilbereiche mit erweiterten Zulassungsfolgepflichten zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde von der FWB umgesetzt, indem sie ihre Börsenordnung umfassend änderte. So wurde sowohl für den amtlichen als auch für den geregelten Markt neben dem jeweiligen Grundsegment "General Standard", welches an die im BörsG enthaltenen Zulassungs- und Zulassungsfolgepflichten anknüpft, ein darauf aufbauendes Premiumsegment, der sog. "Prime Standard" geschaffen, für den erweiterte Zulassungspflichten gelten. Diese Neusegmentierung hat zum einen zur Folge, dass für den Verlust der Börsenzulassung nunmehr nicht mehr nur zwischen den Handelssegmenten amtlicher Markt, geregelter Markt und Freiverkehr, sondern innerhalb der beiden erstgenannten Segmente noch zwischen dem Verlust der Zulassung zum General Standard und dem der Zulassung zum Prime Standard unterschieden werden muss. Zum anderen hat sie das rechtliche Ende des Neuen Markts besiegelt, der als in den Freiverkehr an der FWB integriertes privatrechtlieh organisiertes Handelssegment seit 1997 existiert hatte und lediglich bis zum 31. 12. 2003 fortgesetzt wurde 1 •

§ 15 Fazit

223

Die Börsenzulassung erfolgt wegen des sog. Verbots der Doppelnotierung immer nur für ein bestimmtes Handelssegment. Die Zulassung zu einem der öffentlich-rechtlich organisierten Handelssegmente ist als begünstigender Verwaltungsakt zu qualifizieren. Für ihren folglich ebenfalls als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Widerruf existieren mehrere Möglichkeiten. Er kann entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Emittenten erfolgen. Für den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Zulassung zum General Standard des amtlichen Handels existieren drei verschiedenen Rechtsgrundlagen. § 38 III BörsG greift ein, wenn die Geschäftsführung die Notierung eingestellt hat und ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet ist. § 43 S. 2 BörsG ist einschlägig, wenn der Emittent bestimmte Zulassungsfolgepflichten trotz einer ihm dafür gesetzten angemessenen Frist nicht erfüllt hat. Neben diesen beiden spezialgesetzlichen Rechtsgrundlagen für einen Widerruf der Börsenzulassung existiert als dritte die allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschrift des § 49 VwVfG. Bei allen drei Widerrufsgründen handelt es sich um eine Ermessenentscheidung der für den Widerruf zuständigen Zulassungsstelle der FWB. Grundsätzlich sind mit dem von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Börsenzulassung zum amtlichen Markt keine Probleme verbunden. Ein diesbezüglich völlig anderes Bild ergibt sich im Zusammenhang mit dem vom Emittenten beantragten Widerruf der Börsenzulassung zum amtlichen Markt. Rechtsgrundlage dafür ist § 38 IV BörsG, wonach die Zulassungsstelle die Zulassung auf Antrag des Emittenten widerrufen kann, wenn dies nicht dem Anlegerschutz widerspricht. Diese Vorschrift wurde als damaliger § 43 IV BörsG durch das Dritte FMFG von 1998 in das BörsG eingeführt und hat die seinerzeit heftige Diskussion, ob für den freiwilligen Börsenrückzug ein Verzicht des Emittenten auf die Börsenzulassung ausreichend sei oder ob ein geordnetes Marktentlassungsverfahren durchgeführt werden müsse, zugunsten der letztgenannten Alternative entschieden. Gemäß § 38 IV BörsG sind die näheren Bestimmungen in der jeweiligen Börsenordnung zu treffen. An der FWB ist dies in § 58 BörsO FWB geschehen. Diese Vorschrift enthält für den vollständigen Börsenrückzug seit 2002 eine reine Fristenregelung, wonach der Widerruf dem Schutz der Anleger dann nicht widerspricht, wenn diese ausreichend Zeit haben, ihre Anteile nach Bekanntwerden der Widerrufs noch über die Börse zu veräußern. Diese Regelung hat die bis dahin geltende Vorschrift, welche ein Abfindungsangebot an die Minderheitsaktionäre verlangte, ersetzt. Ihre Rechtmäßigkeit ist seit ihrer Einführung umstritten, im Ergebnis jedoch zu bejahen, denn nach hier vertretener Auffassung verletzt sie weder die Grundrechte der Anleger noch ist sie mit § 38 IV BörsG unvereinbar. 1 Zurzeit wird um einen Nachfolger für den Neuen Markt diskutiert. So hat sich neben der Bundesregierung u. a. das Deutsche Aktieninstitut für die Wiedereinführung eines Börsensegments für junge, wachstumsstarke Unternehmen ausgesprochen; vgl. dazu Seibel, zitiert aus ,,Die Welt" vom 15. 04. 2005, "Diskussion um Nachfolger für Neuen Markt entbrannt", abrufbar unter: http: //www.welt.de/data/2oo5/04/151700697.html(Stand der Abfrage: 04. 07. 2005).

224

4. Kap.: Zusammenfassung

Für den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Zulassung zum Prime Standard des amtlichen Handels gelten gemäß § 67 11 Börsü FWB die Vorschriften über den von Amts wegen erfolgenden Widerruf der Zulassung General Standard entsprechend. Der auf Antrag des Emittenten erfolgende Widerruf zum Prime Standard ist gemäß § 67 I Börsü FWB an keine weiteren Voraussetzungen gebunden und lässt gemäß § 67 III Börsü FWB die Zulassung zum General Standard unberührt. Für den Widerruf der Zulassung zum General Standard oder Prime Standard des geregelten Markts gelten die Vorschriften über den Widerruf der Zulassung zu diesen Segmenten des amtlichen Handels ebenfalls entsprechend, §§ 73, 82 Börsü FWB. Neben der Zulassung zum geregelten Markt besteht seit Inkrafttreten des Vierten FMFG ferner die Möglichkeit der ohne Mitwirkung des Emittenten erfolgenden Einbeziehung von Wertpapieren in den geregelten Markt, vgl. §§ 56 BörsG, 83 ff. Börsü FWB. Der Widerruf der Einbeziehung durch die Geschäftsführung der FWB kann entweder auf Antrag desjenigen erfolgen, der die Einbeziehung beantragt hatte, § 88 I Börsü FWB, oder VOn Amts wegen, wenn die Voraussetzungen der Einbeziehung nicht mehr vorliegen, § 88 11 1 Börsü FWB. Im Zusammenhang mit den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen einen vom Emittenten beantragten Widerruf der Zulassung durch die Zulassungsstelle ist insbesondere umstritten, ob den einzelnen Anlegern die Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis zusteht. Dies ist nach wie vor zu bejahen. Das Vierte FMFG hat insoweit keine Änderung gebracht, denn der neu eingefügte § 31 V BörsG, wonach die Zulassungsstelle ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt, hat an der drittschützenden Wirkung VOn § 38 IV 2 BörsG, demzufolge der auf Antrag des Emittenten erfolgende Widerruf der Zulassung dem Anlegerschutz nicht widersprechen darf, nichts geändert. Im Freiverkehr werden wegen seiner privatrechtlichen Rechtsnatur nicht die Begriffe ,,zulassung" und "Widerruf' verwendet, sondern die Begriffe ,,Einbeziehung" und "Beendigung der Einbeziehung". Diese Unterscheidung ist nicht nur sprachlicher, sondern auch inhaltlicher Natur, denn sowohl bei der Einbeziehung in den Freiverkehr als auch bei ihrer Beendigung handelt es sich nicht um Verwaltungsakte. Allerdings erfolgt die Einbeziehung ohne Mitwirkung des Emittenten. Vielmehr ist dafür ein Antrag eines zum Börsenhande1 an der FWB zugelassenen Unternehmens ausreichend, §§ 4, 5 S. I RF FWB. Zudem hat der Emittent keine Möglichkeit, die Einbeziehung in den Freiverkehr auf eigene Initiative zu beenden. Im Zusammenhang mit dem Widerruf der Zulassung zum Neuen Markt tauchte v. a. das insbesondere für die Praxis äußerst relevante Problem auf, ob die Deutsche Börse AG befugt war, weitere Zulassungsbeendigungsgründe nachträglich in das RNM aufzunehmen. Dies hatte sie nämlich mit der Änderung des RNM im Jahre 2001 getan, als sie die Beendigungsgründe einer Insolvenz oder Niedrigkapitalisierung des Emittenten ins RNM einfügte. Dagegen hatten sich die betroffenen

§ 15 Fazit

225

Emittenten gerichtlich zur Wehr gesetzt. Die Lösung dieses Problems hing wesentlich von der Rechtsnatur des Regelwerks ab. Zwar war dieses nicht den öffentlichrechtlichen Vorschriften zuzuordnen, denn es erfüllte weder die Merkmale einer Rechtsverordnung noch die einer Satzung. Die sich daraus ergebende privatrechtliche Qualifizierung seiner Rechtsnatur bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass der Deutsche Börse AG die Befugnis zur nachträglichen einseitigen Änderung des RNM fehlte. Entgegen der herrschenden Meinung war das RNM nämlich nicht als AGB einzustufen. Dafür sprachen mehrere Gründe. Zum einen wurde es wegen des aus § 78 I BörsG a.F. folgenden staatlichen Geltungsbefehls nicht durch die Deutsche Börse AG "gestellt". Des Weiteren fehlte es an einer vertraglichen Einbeziehung, denn das RNM unterlag nicht der Disposition durch die Deutsche Börse AG. Schließlich entsprach die Interessenkonstellation bei der Verwendung des RNM nicht der, die bei einer Verwendung von AGB typisch ist. Die Regelungen des RNM waren vielmehr den sog. privaten Rechtsnormen zuzuordnen. Als solche waren sie einseitig abänderbar. Im übrigen kam es jedenfalls für den nachträglich eingeführten Zulassungsbeendigungsgrund der Insolvenz des Emittenten nicht auf die Änderungsbefugnis an, denn unter den darin aufgestellten Voraussetzungen wäre die Deutsche Börse AG sogar zur außerordentlichen Kündigung des Zulassungsvertrages berechtigt gewesen. Im Übrigen hatte ein Emittent, der alle Zulassungsvoraussetzungen zum Neuen Markt erfüllte, entgegen einer häufig im Schrifttum vertretenen Auffassung und trotz der privatrechtlichen Ausgestaltung dieses Marktsegments einen Anspruch auf Zulassung, der sich aus wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ergab. Hätte nämlich die Deutsche Börse AG einem Emittenten, der alle Voraussetzungen für die Zulassung zum Neuen Markt erfüllt hatte, die Zulassung dennoch versagt, so hätte sie gegen die Verbotsgesetze der §§ 19 IV Nr. 1 und 20 I GWB verstoßen. Demzufolge konnte ein Kontrahierungszwang aus § 33 S. 1 GWB hergeleitet werden.

ll. Gesellschaftsrecht Auf gesellschaftsrechtlicher Ebene existieren hauptsächlich zwei Probleme, die sich im Zusammenhang mit einem Totalrückzug von der Börse ergeben. Dies ist zum einen die Frage, ob ein vollständiges De1isting auf Antrag des Emittenten eines Hauptversammlungsbeschlusses bedarf und zum anderen die, ob eine Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre besteht. Die erste Frage, d. h. die nach der Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für ein vollständiges Delisting ist entgegen der bisher dazu ergangenen Rechtsprechung und einer weit verbreiteten Meinung im wissenschaftlichen Schrifttum zu verneinen, denn es fehlt sowohl an einer tragfähigen Herleitung einer entsprechenden ungeschriebenen Kompetenz der Hauptversammlung als auch an einem echten Bedürfnis für eine solche. Eine Zuständigkeit der Hauptversammlung kann jedenfalls nicht auf das "Holzmüller"-Urteil des BGH aus dem 15 Gutte

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4. Kap.: Zusammenfassung

Jahre 1982 gestützt werden, denn es handelt sich selbst beim vollständigen Delisting nicht um eine Strukturveränderung der Gesellschaft. Außerdem hat der BGH mit seinen "Gelatine"-Entscheidungen aus dem Jahre 2004 klargestellt, dass die "Holzrnüller"-Rechtsprechung nur auf krasse Ausnahmefälle anwendbar ist. Ferner kann eine Hauptversammlungskompetenz nicht aus Art. 14 I GG hergeleitet werden, denn weder kann eine solche unmittelbar aus dem Verfassungsrecht folgen, noch stellt das vollständige Delisting überhaupt einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dar, denn sowohl die Verwaltungs- als auch die Vermögensrechte der Aktionäre werden dadurch nicht beeinträchtigt. Des Weiteren kann eine Hauptversammlungskompetenz nicht auf eine Analogie zu Vorschriften über die Vinkulierung von Namensaktien oder zu Vorschriften des Umwandlungsrechts gestützt werden, denn insoweit fehlt es jeweils an den Analogievoraussetzungen. Schließlich folgt die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses nicht aus einer Reduzierung des aus § 119 11 AktG folgenden Vorstandsermessens auf Null, denn Zweck dieser Vorschrift ist nach hier gebilligter Ansicht allein der Schutz der Interessen der Vorstandsmitglieder. Falls der Vorstand darauf verzichtet, eine Frage der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen, so riskiert er zwar, dass er sich ersatzpflichtig macht, jedoch ist ein solches Handeln nicht rechtswidrig. Falls man entgegen der hier vertretenen Auffassung die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für das vollständige Delisting dennoch bejaht, ergeben sich eine Reihe von Folgeproblemen. Diese treten selbst unter Zugrundelegung der hier befolgten Auffassung zu Tage, nämlich dann, wenn der Vorstand den Weg des § 11911 AktG von sich aus beschreitet. Zunächst müsste geklärt werden, welche Mehrheit für einen solchen Beschluss erforderlich ist. Eine Drei-ViertelMehrheit kommt nicht in Frage, da mit einern Totalrückzug von der Börse i. d. R. keine Satzungsänderung verbunden ist, und er überdies nicht einer umwandlungsrechtlichen Maßnahme gleicht, so dass die Mehrheitserfordernisse des UmwG nicht analog herangezogen werden können. Es muss also bei der gemäß § 133 I AktG grundsätzlich geltenden einfachen Mehrheit verbleiben. Des Weiteren ist die Frage zu beantworten, ob es als formelle Voraussetzung für einen solchen Hauptversammlungsbeschluss eines schriftlichen Vorstandsberichts bedarf. Diese ist zu bejahen, denn weil es vor der Entscheidung für einen Totalrückzug von der Börse durchaus Berichtenswertes gibt, kann nur auf diese Weise das Informationsbedürfnis der Aktionäre gestillt werden. Schließlich ist noch problematisch, ob - und wenn ja, in welchem Umfang - ein solcher Beschluss der Inhaltskontrolle durch die Gerichte unterliegt. Richtigerweise ist er nicht auf seine innere Rechtfertigung zu prüfen, sondern lediglich der allgemeinen Missbrauchskontrolle durch die Zivilgerichte zu unterziehen, denn durch einen Börsenrückzug wird die Struktur der Gesellschaft nicht verändert und in die Rechte der Aktionäre nicht eingegriffen. Die zweite wesentliche gesellschaftsrechtliche Frage, nämlich ob im Falle des vollständigen Börsenrückzugs eine gesellschaftsrechtlich begründete Abfindungspflicht existiert, ist de lege lata ebenfalls zu verneinen, jedenfalls wenn die jeweilige Börsenordnung, wie die der FWB, keine Abfindungsregelung bereithält.

§ 16 Ausblick

227

Eine Abfindungspflicht kann weder aus Art. 14 GG noch aus einer Analogie zu konzern- und umwandlungsrechtlichen Vorschriften hergeleitet werden. Insofern gelten sinngemäß die gleichen Gründe, die gegen eine Hauptversammlungskompetenz sprechen. Schließlich kann das praeter legern anerkannte Austrittsrecht aus wichtigem Grund für eine gesellschaftsrechtlich fundierte Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre ebenfalls nicht fruchtbar gemacht werden.

§ 16 Ausblick Der in der vorliegenden Arbeit festgestellte Befund, dass de lege lata weder eine Hauptversammlungskompetenz für die Entscheidung über das vollständige Delisting, noch dass (vorbehaltlich einer entsprechenden Regelung in der jeweiligen Börsenordnung) eine Abfindungspflicht besteht, besagt jedoch noch nichts über die Rechtslage de lege ferenda. Es ist also zu fragen, ob der Gesetzgeber tätig werden sollte. Dabei ist zwischen beiden Problemkreisen zu unterscheiden. Für die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses gilt meines Erachtens folgendes: Genauso wenig wie de lege lata eine tragfähige Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidungskompetenz der Aktionäre besteht, existiert de lege ferenda ein Bedürfnis dafür. Als Instrument für den Minderheitenschutz wäre er ohnehin untauglich, da in den Fällen, in denen ein Rückzug von der Börse in Betracht kommt, der weit größte Anteil der Aktien regelmäßig in der Hand eines Mehrheits- oder einiger weniger Paketaktionäre liegt und damit die positive Beschlussfassung sicher wäre. Dass ein Hauptversamrnlungsbeschluss für einen geplanten Börsenrückzug einmal nicht zustande kommen könnte, ist daher nur theoretisch denkbar. Dennoch wäre der Gesetzgeber nicht gehindert, die Erforderlichkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses einzuführen, etwa im Kanon von § 119 I AktG oder im Rahmen von § 38 IV BÖrsG. Gleichwohl wäre dieser Schritt aus den genannten Gründen nicht zu begrüßen. Anders verhält es sich in Bezug auf die Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre. Hierfür besteht nach der hier vertretenen Auffassung de lege lata ebenfalls keine Rechtsgrundlage. Im Gegensatz zum fehlenden Erfordernis eines Hauptversamrnlungsbeschlusses ist dies aus Gründen des Schutzes von Aktionärsminderheiten jedoch bedauerlich, denn eine Abfindungspflicht stellt in der Tat ein effektives und ausreichendes Schutzinstrument dar. Die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung begegnet diesem Missstand dadurch, dass sie die Abfindungspflicht mit einer auf die (missverstandene) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützten Argumentation bejaht. Damit besteht zwar in der Praxis erst einmal Rechtssicherheit. Gleichwohl kann dieser Zustand aus juristischer Sicht nicht befriedigen, denn zum einen ist diese Begründung für eine Abfindungspflicht nach der hier vertretenen Auffassung nicht haltbar und zum anderen im konkreten Ergebnis nicht überzeugend. Der BGH fordert nämlich eine am vollen Anteilswert 15'

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4. Kap.: Zusammenfassung

orientierte Abfindung. Eine solche sollte jedoch nur in den Fällen gewährt werden, in denen in die Rechte der Aktionäre eingegriffen wird, denn nur dann ist eine am vollen Wert der Anteile orientierte Abfindung geboten. Beim regulären Delisting liegen die Dinge jedoch anders. Wie bereits ausführlich dargelegt wird selbst durch das vollständige Delisting weder in die Vermögens- noch in die Verwaltungsrechte der Aktionäre eingegriffen. Alles was ihnen verloren geht, ist die Möglichkeit, die Anteile zukünftig über einen öffentlichen Markt zu veräußern. Dementsprechend sollte nur dieser Verlust entschädigt werden. Die Höhe der Abfindung sollte sich daher nicht am wahren Wert der Anteile, sondern am durchschnittlichen Börsenkurs eines bestimmten, vor der Rückzugsentscheidung liegenden, Zeitraums orientieren. Schon vor dem Rückzug hätten die Aktionäre nur einen am Börsenkurs orientierten Preis realisieren können. Grundsätzlich können Anleger nämlich bei bestehender Börsennotiz den wahren Anteilswert gerade nicht jederzeit realisieren, sondern sind zumeist darauf angewiesen, ihre Aktien über die Börse veräußern2 . Der dabei erzielte Preis entspricht dem jeweiligen Kurs ihrer Anteile. Warum Aktionäre eines den Börsenrückzug anstrebenden Unternehmens insofern besser gestellt werden sollen, ist nicht ersichtlich. Als denkbare Lösung böte es sich derzeit allenfalls an, dass die Zulassungsstelle die Stattgabe des beantragten Widerrufs davon abhängig macht, dass der Emittent oder ein Großaktionär ein am Börsenkurs orientiertes Kaufangebot vorlegt. Vorzugswürdig erscheint es jedoch, dass der Gesetzgeber eine entsprechende, am Börsenkurs orientierte Pflicht zur Abfindung der Minderheitsaktionäre beim vollständigen Delisting statuiert. Systemgerecht erscheint eine Verortung dieser Pflicht im Kapitalmarktrecht und nicht im Gesellschaftsrecht, da die Aktionärsrechte durch das reguläre Delisting nicht beeinträchtigt werden. Dies könnte entweder direkt im BörsG, etwa durch eine Erweiterung des § 38 IV BörsG geschehen, oder indirekt, indem den Börsen durch das BörsG vorgeschrieben wird, einen solchen Abfindungsanspruch in ihre Börsenordnungen aufzunehmen.

2 Zwar sind außerbörsliche Privattransaktionen zu frei vereinbarten Preisen möglich, dennoch kommen diese in der Praxis - jedenfalls bei Kleinanlegem - kaum vor.

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen Börsengesetz (BörsG) Abschnitt 3: Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel im amtlichen Markt § 38 Aussetzung, Einstellung, Widerruf (1) Die Geschäftsführung kann die Notierung im amtlichen Markt zugelassener Wertpapiere

1. aussetzen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel zeitweilig gefährdet oder wenn dies zum Schutz des Publikums geboten erscheint; 2. einstellen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel für die Wertpapiere nicht mehr gewährleistet erscheint. Die Geschäftsführung unterrichtet die Börsenaufsichtsbehörde und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht unverzüglich über Maßnahmen nach Satz 1. (2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aussetzung der Notierung im amtlichen Markt haben keine aufschiebende Wrrkung. (3) Die Zulassungsstelle kann die Zulassung zum amtlichen Markt außer nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und nach § 43 Satz 2 widerrufen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Geschäftsführung die Notierung im amtlichen Markt eingestellt hat. (4) Die Zulassungsstelle kann die Zulassung zum amtlichen Markt auf Antrag des Emittenten widerrufen. Der Widerruf darf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen. Die Zulassungsstelle hat den Widerruf auf Kosten des Emittenten unverzüglich in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt zu veröffentlichen. Der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs darf zwei Jahre nicht überschreiten. Nähere Bestimmungen über den Widerruf sind in der Börsenordnung zu treffen.

Abschnitt 4: Zulassung und Einbeziehung von Wertpapieren zum Börsenhandel im geregelten Markt; Freiverkehr § 53 Verbot der Preisfeststellung vor beendeter Zuteilung

(1) Für Wertpapiere, die zur öffentlichen Zeichnung aufgelegt werden, ist eine Feststellung des Börsenpreises vor beendeter Zuteilung an die Zeichner nicht zulässig. (2) Für die Aussetzung und die Einstellung der Ermittlung des Börsenpreises sowie für den Widerruf der Zulassung gilt § 38 entsprechend.

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Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen § 57 Freiverkehr

(I) Für Wertpapiere, die weder zum amtlichen Markt zugelassen noch zum geregelten Markt zugelassen oder einbezogen sind, kann die Börse einen Freiverkehr zulassen, wenn durch Handelsrichtlinien eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. (2) Die Preise für Wertpapiere, die während der Börsenzeit an einer Wertpapierbörse im Freiverkehr ermittelt werden, sind Börsenpreise. Die Börsenpreise müssen den Anforderungen nach § 24 Abs. 2 entsprechen. (3) Die Börsenaufsichtsbehörde kann den Handel untersagen, wenn ein ordnungsgemäßer Handel für die Wertpapiere nicht mehr gewährleistet erscheint.

Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse (Börsü FWB)

xm. Abschnitt: Amtlicher Markt (General Standard) § 57 Widerruf der Zulassung von Amts wegen (1) Die Zulassungsstelle kann die Zulassung zum amtlichen Markt außer nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und nach § 43 Satz 2 BörsG (Nichterfüllung der Emittentenpflichten) widerrufen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Geschäftsführung die Notierung im amtlichen Markt eingestellt hat.

(2) Der Widerruf wird unverzüglich auf Kosten des Emittenten durch die Zulassungsstelle in einem überregionalen Börsenpflichtblatt veröffentlicht. § 58 Widerruf der Zulassung auf Antrag des Emittenten (1) Die Zulassungsstelle kann die Zulassung zum amtlichen Markt auf Antrag des Emittenten widerrufen, wenn der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht. Der Schutz der Anleger steht einem Widerruf insbesondere dann nicht entgegen, wenn

1. auch nach dem Wirksamwerden des Widerrufs die Zulassung und der Handel des Wertpapiers an einem inländischen oder ausländischen organisierten Markt im Sinne von § 2 Absatz 5 des Wertpapierhandelsgesetzes gewährleistet erscheint, oder 2. das betreffende Wertpapier nach dem Wrrksamwerden des Widerrufs weder an einer anderen inländischen Börse noch an einem ausländischen organisierten Markt zugelassen ist und gehandelt wird, aber nach der Bekanntgabe der Widerrufsentscheidung den Anlegern ausreichend Zeit verbleibt, die vom Widerruf betroffenen Wertpapiere über die Börse zu veräußern. (2) Ein Widerruf nach Absatz 1 Nr. 1 erfolgt mit sofortiger Wirkung, sofern das betreffende Wertpapier bei Bekanntgabe des Widerrufs an zumindest einer anderen inländischen Börse zugelassen ist und gehandelt wird. Ist das Wertpapier bei Bekanntgabe des Widerrufs ausschließlich an einem ausländischen organisierten Markt zugelassen und wird es dort gehandelt, wird der Widerruf mit einer Frist von drei Monaten nach dessen Veröffentlichung wirksam. In Fällen des Absatz 1 Nr. 2 wird der Widerruf sechs Monate nach dessen Veröffentlichung wirksam.

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen

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(3) Die Zulassungsstelle kann die Fristen nach Absatz 2 Satz 2 und 3 auf Antrag des Emittenten verkürzen, wenn dies dem Interesse der Anleger nicht zuwiderläuft. (4) Der Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung und die Bemessung der Fristen obliegt dem Emittenten. Die Zulassungsstelle kann hierzu insbesondere die Vorlage geeigneter Erklärungen und Unterlagen verlangen. Liegt eine der Voraussetzungen des Absatz I nach der Bekanntgabe des Widerrufs und vor dessen Wirksamwerden nicht mehr vor, kann die Zulassungsstelle ihre Entscheidung widerrufen. (5) Der Widerruf wird unverzüglich auf Kosten des Emittenten durch die Zulassungsstelle in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt veröffentlicht. XIV. Abschnitt: Teilbereich des amtlichen Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) § 67 Widerruf der Zulassung (1) Auf Antrag des Emittenten widerruft die.Zulassungsstelle die Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard). Die Zulassungsstelle hat den Widerruf auf Kosten des Emittenten unverzüglich in mindestens einem überregionalen Börsenpflichtblatt zu veröffentlichen. Der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs beträgt drei Monate.

(2) Die Vorschriften über den Widerruf der Zulassung zum amtlichen Markt (General Standard) von Amts wegen gelten entsprechend. (3) Der Widerruf lässt die Zulassung zum amtlichen Markt (General Standard) im Übrigen unberührt. (4) Im Fall der Beendigung der Zulassung zum Teilbereich des amtlichen Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) hat die Geschäftsführung die Aufnahme der Notierung (Einführung) der zugelassenen Wertpapiere im amtlichen Markt (General Standard) von Amts wegen zu veranlassen. XV. Abschnitt: Geregelter Markt (General Standard) § 73 Widerruf der Zulassung

Für den Widerruf der Zulassung zum geregelten Markt (General Standard) von Amts wegen und auf Antrag des Emittenten gelten die Vorschriften des amtlichen Markts (General Standard) entsprechend (§§ 57, 58). XVI. Abschnitt: Teilbereich des geregelten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) § 82 Widerruf der Zulassung

Für den Widerruf der Zulassung zum Teilbereich des geregelten Marktes mit weiteren Zulassungsfolgepflichten (Prime Standard) gilt die Vorschrift des § 67 entsprechend.

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Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen XVII. Abschnitt: Einbeziehung von Wertpapieren in den geregelten Markt (General Quoted) § 88 Widerruf der Einbeziehung

(1) Auf Antrag des Antragstellers widerruft die Geschäftsführung die Einbeziehung. (2) Die Geschäftsführung kann die Einbeziehung von Amts wegen widerrufen, wenn die Voraussetzungen nach § 84 Absatz 3 und 4 nicht mehr vorliegen. Die Vorschriften des § 57 Absatz 1 gelten entsprechend. (3) Die Geschäftsführung veröffentlicht den Widerruf auf Kosten des Antragstellers unverzüglich entsprechend § 57 Absatz 2.

XVIII: Abschnitt: Freiverkehr (General Quoted) und Neuer Markt § 89 Freiverkehr

(1) Für Wertpapiere, die weder zum amtlichen Markt zugelassen noch zum geregelten Markt zugelassen oder einbezogen sind, kann während der Börsenzeit im Börsensaal und I oder im elektronischen Handelssystem ein Handel im Freiverkehr zugelassen werden, wenn durch Handelsrichtlinien eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint. (2) Die Handelsrichtlinien für die Einführung der Wertpapiere in den Freiverkehr und die Durchführung des Handels im Freiverkehr erlässt die Deutsche Börse AG. Die Geschäftsführung kann verlangen, dass darin Bestimmungen über die ordnungsgemäße Durchführung des Handels einschließlich der Voraussetzungen für die Einführung von Wertpapieren in den Freiverkehr sowie über die ordnungsgemäße Feststellung von Börsenpreisen, deren Veröffentlichung und über die Geschäftsabwicklung enthalten sind. (3) Die im Freiverkehr ennittelten Preise sind Börsenpreise im Sinne des § 24 BÖrsG. Sie unterliegen der Aufsicht der Börsenaufsichtsbehörde und der Handelsüberwachungsstelle. §§ 26-44 c BörsO gelten sinngemäß. § 90 Neuer Markt (1) In Wertpapieren, die an der Frankfurter Wertpapierbörse zum geregelten Markt zugelassen, aber dort nicht eingeführt sind, kann die Frankfurter Wertpapierbörse einen Handel im Neuen Markt zulassen. Der Handel im Neuen Markt ist auf Aktien und aktienvertretende Zertifikate von Emittenten bereits zum 1. Januar 2003 in den Neuen Markt einbezogener Wertpapiere zu beschränken. Der Handel findet während der Börsenzeit im Börsensaal oder im elektronischen Handelssystem der Frankfurter Wertpapierbörse statt.

(2) Das Regelwerk für die Einführung der Wertpapiere in den Neuen Markt (Zulassung zum Neuen Markt) und für die Durchführung des Handels im Neuen Markt erlässt die Deutsche Börse AG. Die Geschäftsführung kann verlangen, dass darin Bestimmungen über die ordnungsgemäße Durchführung des Handels einschließlich der Voraussetzungen für die Zulassung von Wertpapieren zum Neuen Markt sowie über die ordnungsgemäße Feststellung von Börsenpreisen, deren Veröffentlichung und über die Geschäftsabwicklung enthalten sind; § 66 Absatz 3 gilt entsprechend.

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen

233

(3) Sind Angaben im Emissionsprospekt für den Neuen Markt unrichtig oder unvollständig, so gelten die §§ 44-47 des Börsengesetzes entsprechend.

(4) Im Fall der Beendigung der Zulassung von Wertpapieren zum Neuen Markt hat die Geschäftsführung die Aufnahme der Notierung (Einführung) der zugelassenen Wertpapiere im geregelten Markt (General Standard) von Amts wegen zu veranlassen.

Alte Fassung (vor dem 26. 03. 2002): XII. Abschnitt: Zulassungsstelle § 54a Zulassungswiderruf auf Antrag des Emittenten (1) Die Zulassungsstelle widerruft die Zulassung zur amtlichen Notierung auf Antrag des Emittenten, wenn der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht. Der Schutz der Anleger steht einem Widerruf insbesondere dann nicht entgegen, wenn

1. auch nach dem Wirksamwerden des Widerrufs der Handel des Wertpapiers an einem inländischen oder ausländischen organisierten Markt im Sinne von § 2 Absatz 5 des Wertpapierhandelsgesetzes gewährleistet erscheint, oder 2. den Inhabern der Wertpapiere ein Kaufangebot unterbreitet wird. Der Preis für das Kaufangebot muss in einem angemessenen Verhältnis zum höchsten Börsenpreis der letzten sechs Monate vor Stellung des Antrags auf Widerruf der Zulassung stehen. Im Übrigen gelten die Artikel 1 bis 3, 6 bis 15,17,19 und 23 des Übernahmekodexes der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen in seiner jeweils geltenden Fassung entsprechend. (2) Ein Widerruf nach Absatz 1 erfolgt mit sofortiger Wirkung, sofern das betreffende Wertpapier bei Bekanntgabe des Widerrufs an zumindest einer anderen inländischen Börse zugelassen ist. WIrd das Wertpapier bei Bekanntgabe des Widerrufs ausschließlich an einem ausländischen organisierten Markt gehandelt, wird der Widerruf mit einer Frist von sechs Monaten nach dessen Veröffentlichung wirksam. Ist das betreffende Wertpapier bei Bekanntgabe des Widerrufs an keiner anderen inländischen Börse zugelassen und wird es auch nicht an einem ausländischen organisierten Markt gehandelt, wird der Widerruf mit einer Frist von einem Ja\rr ab dessen Veröffentlichung wirksam. Die Zulassungsstelle kann die Frist nach Satz 2 und 3 auf Antrag des Emittenten verkürzen, wenn dies dem Interesse der Anleger nicht zuwiderläuft. (3) Der Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung obliegt dem Emittenten. Die Zulassungsstelle kann hierzu insbesondere die Vorlage geeigneter Erklärungen und Unterlagen verlangen. Liegt eine der Voraussetzungen des Absatz 1 nach der Bekanntgabe des Widerrufs und vor dessen Wirksam werden nicht mehr vor, kann die Zulassungsstelle ihre Entscheidung widerrufen.

XIII. Abschnitt: Geregelter Markt § 65a Zulassungswiderruf auf Antrag des Emittenten

Für den Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers auf Antrag des Emittenten gilt § 54a entsprechend.

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Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen XIV. Abschnitt: Freiverkehr und Neuer Markt § 66 Freiverkehr

(1) In Wertpapieren, die an der Frankfurter Wertpapierbörse weder zur amtlichen Notierung noch zum geregelten Markt zugelassen sind, kann während der Börsenzeit im Börsensaal oder im elektronischen Handelssystem ein Handel im Freiverkehr zugelassen werden, wenn durch Handelsrichtlinien ein ordnungsgemäßer Handel gewährleistet erscheint.

(2) Die Handelsrichtlinien für die Einführung der Wertpapiere in den Freiverkehr und die Durchführung des Handels im Freiverkehr erlässt die Deutsche Börse AG. Die Geschäftsführung kann verlangen, dass darin Bestimmungen über die ordnungsgemäße Durchführung des Handels einschließlich der Voraussetzungen für die Einführung von Wertpapieren in den Freiverkehr sowie über die ordnungsgemäße Feststellung von Börsenpreisen, deren Veröffentlichung und über die Geschäftsabwicklung enthalten sind. (3) Die im Freiverkehr ermittelten Preise sind Börsenpreise im Sinne des § 11 BÖrsG. Sie unterliegen der Aufsicht der Börsenaufsichtsbehörde und der Handelsüberwachungsstelle. §§ 26-42 c BörsO gelten sinngemäß. § 66a Neuer Markt

(1) In Wertpapieren, die an der Frankfurter Wertpapierbörse zum geregelten Markt zugelassen, aber dort nicht eingeführt sind, kann die Frankfurter Wertpapierbörse einen Handel im Neuen Markt zulassen. Der Handel findet während der Börsenzeit im Börsensaal oder im elektronischen Handelssystem der Frankfurter Wertpapierbörse statt. (2) Das Regelwerk für die Einführung der Wertpapiere in den Neuen Markt (Zulassung zum Neuen Markt) und für die Durchführung des Handels im Neuen Markt erlässt die Deutsche Börse AG. Die Geschäftsführung kann verlangen, dass darin Bestimmungen über die ordnungsgemäße Durchführung des Handels einschließlich der Voraussetzungen rur die Zulassung von Wertpapieren zum Neuen Markt sowie über die ordnungsgemäße Feststellung von Börsenpreisen, deren Veröffentlichung und über die Geschäftsabwicklung enthalten sind; § 66 Absatz 3 gilt entsprechend. (3) Sind Angaben im Emissionsprospekt für den Neuen Markt unrichtig oder unvollständig, so gelten die §§ 45 - 48 des Börsengesetzes entsprechend.

Richtlinien für den Freiverkehr an der Frankfurter Wertpapierbörse (RF FWB) • Organisation des Freiverkehrs an der Frankfurter Wertpapierbörse § 1 Trägerschaft

Träger des Freiverkehrs an der Frankfurter Wertpapierbörse (nachfolgend der ,,Freiverkehr" genannt) ist die Deutsche Börse AG (nachfolgend der "Freiverkehrsträger" genannt).

Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen

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11. Einbeziehung von Wertpapieren in den Freiverkehr § 4 Einbeziehung von Wertpapieren

Über die Einbeziehung von Wertpapieren in den Freiverkehr entscheidet auf Antrag der Freiverkehrsträger. § 5 Antragsbefugnis und Antragsinhalt

Der Antrag auf Einbeziehung von Wertpapieren in den Freiverkehr kann schriftlich von an der Frankfurter Wertpapierbörse zum Börsenhandel zugelassenen Unternehmen (nachfolgend die ..Handelsteilnehmer des Freiverkehrs" oder die ..Handelsteilnehmer" genannt) gestellt werden. Vom Antragsteller kann verlangt werden: a) der Nachweis, dass dieser die fachliche Eignung und Zuverlässigkeit besitzt, um den Verpflichtungen nach § 8 nachkommen zu können, und b) die Abgabe einer .. Verpflichtungserklärung" gegenüber dem Freiverkehrsträger. § 6 Nachweis- und Mitteilungspflichten (1) Der Antrag auf Einbeziehung muss eine genaue Bezeichnung der einzubeziehenden Wertpapiere und Angaben darüber enthalten, an welchem in- oder ausländischen organisierten Markt bereits Preise dieser Wertpapiere festgestellt werden. Insbesondere sind bei Wertpapieren, die bereits an einem anderen inländischen oder ausländischen börsenmäßig organisierten und überwachten Markt gehandelt werden dem Antrag auf Einbeziehung die folgenden Angaben beizufügen, die auf Anforderung des Freiverkehrsträgers nachzuweisen sind:

a) der vollständige Name und die Anschrift des Emittenten, b) die betreffende ISIN und c) die Benennung der Heimatbörse sowie des Marktsegmentes an der die Wertpapiere des Unternehmens bereits gehandelt werden (2) Zusätzlich zu den in Absatz I genannten Angaben kann der Freiverkehrsträger für bestimmte Wertpapiere weitere Angaben bestimmen, die im Rahmen der AntragsteIlung anzugeben sind. (3) Zusätzlich zu den gemäß Absatz I und Absatz 2 beizufügenden Angaben hat der Einbeziehungsantrag im Falle von einzubeziehenden Fondsanteilen die Bestätigung des Antragstellers zu enthalten, dass die betreffenden Fondsanteile öffentlich angeboten wurden oder werden und deren Vertragsbedingungen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (..BaFin") genehmigt wurden oder, im Fall von ausländischen Investrnentanteilen, deren Vertrieb in Deutschland durch die BaFin nicht untersagt wurde. (4) Bei Wertpapieren, die die Voraussetzungen der Absätze I bis 2 nicht erfüllen, muß der Antragsteller nähere Angaben über den Emittenten in Form eines Exposes vorlegen, das eine zutreffende Beurteilung des Emittenten ermöglicht. Dies gilt nicht, wenn der Antragsteller in geeigneter Weise nachweist, dass ein durch den Emittenten für das Wertpapier gemäß Satz I erstellter Prospekt bereits durch eine vom Freiverkehrsträger anerkannte Regulierungs- oder Aufsichtsbehörde genehmigt worden ist. (5) In den in den Absätzen I bis 4 genannten Fällen kann der Freiverkehrsträger dem Antragsteller die Art und den Umfang der Bereitstellung und der Übermittelung der Daten

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Anhang: Die wichtigsten Rechtsgrundlagen

vorgeben. Der Freiverkehrsträger kann insbesondere verlangen, dass ihm die Daten auf elektronischem Wege in einem von ihm zu bestimmenden Format übermittelt werden. Die weiteren Einzelheiten sowie weIche Regulierungs- oder Aufsichtsbehörden seitens des Freiverkehrsträgers gemäß Absatz 4 anerkannt werden, werden vom Freiverkehrsträger bekannt gemacht. § 8 Gewährleistung des ordnungsgemäßen Handels Der Antragsteller hat die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Handel zu gewährleisten. Hierzu gehören insbesondere • eine ordnungsgemäße Abwicklung der Wertpapiergeschäfte durch eine Wertpapiersammelbank im Falle von girosamme1verwahrten Aktien bzw. durch eine vom Freiverkehrsträger anerkannte Abwicklungsstelle bei sonstigen Wertpapieren sowie • die unverzügliche Unterrichtung des Freiverkehrsträgers über Umstände, die für die Bewertung des Wertpapiers oder des Emittenten von wesentlicher Bedeutung sein können. § 9 Ablehnung und Widerruf (l) Der Antrag auf Einbeziehung von Wertpapieren kann insbesondere dann abgelehnt werden, wenn nach Auffassung des Freiverkehrsträgers die Voraussetzungen für die Bildung eines börsenmäßigen Marktes nicht gegeben sind, der Einbeziehung Anlegerschutzinteressen entgegenstehen oder die Einbeziehung zur Schädigung erheblicher allgemeiner Interessen führen kann. Im Falle eines Antrages auf Einbeziehung von strukturierten Produkten ist dies insbesondere dann der Fall, wenn die für das betreffende strukturierte Produkt geltenden Bedingungen dahingehende Regelungen oder Bestimmungen enthalten, die erhebliche Bedeutung für den wirtschaftlichen Wert des Produktes haben und die von einzelnen Handelsteilnehmem oder vom Emittenten gezielt und mit vertretbarem Aufwand beeinflusst werden können. Die Möglichkeit einer Beeinflussung im vorgenannten Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn im Falle einer Aktie, die als Basiswert (Underlying) dient, auf das Erreichen eines bestimmten Preises, bei dem es sich nicht um einen Auktions- oder gerechneten Preis handelt, abgestellt wird.

(2) Der Freiverkehrsträger kann zudem die Einbeziehung von Wertpapieren widerrufen, wenn Voraussetzungen, die der Einbeziehung zugrunde lagen, weggefallen sind. § 10 Veröffentlichung der Entscheidung der Einbeziehung oder des Widerrufes der Einbeziehung Die Entscheidung über eine Einbeziehung oder über einen Widerruf ist durch den Freiverkehrsträger bekannt zu machen.

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Regelwerk Neuer Markt (RNM) Abschnitt 2: Zulassungsbedingungen für den Neuen Markt 2.1.5 Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt (1) Die DBAG kann die Zulassung zum Neuen Markt beenden,

1. wenn der Emittent gegen die ihm aus diesem Regelwerk obliegenden Pflichten verstößt

oder

2. wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel im Neuen Markt auf Dauer nicht mehr gewährleistet erscheint oder 3. wenn dies zum Schutz des Publikums geboten erscheint. (2) Die DBAG wird die Zulassung zum Neuen Markt beenden, 1. wenn über das Vermögen des Emittenten das Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels

Masse abgewiesen ist; für Emittenten mit Sitz im Ausland gilt dies entsprechend; oder

2. wenn der börsentägliche Durchschnittspreis der zugelassenen Aktien für .die Dauer von 30 aufeinanderfolgenden Börsentagen weniger als ein Euro pro Aktie beträgt und die Marktkapitalisierung 20 Millionen Euro unterschreitet, es sei denn, dass der börsentägliche Durchschnittpreis der zugelassenen Aktien innerhalb weiterer 90 Börsentage an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen mindestens einen Euro und die Marktkapitalisierung mindestens 20 Millionen Euro beträgt. (3) In den Fällen des Absatz 2 wird die Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt einen Monat nach Bekanntmachung der Entscheidung der DBAG wirksam. (4) Im Fall des Absatz 2 Nr. 2 unterrichtet die DBAG den Emittenten unverzüglich, sobald die 30-Tage-Frist erfüllt ist. (5) Der Emittent ist verpflichtet, der DBAG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung mangels Masse unverzüglich mitzuteilen; für Emittenten mit Sitz im Ausland gilt dies entsprechend. (6) Ziffer 2.1.4 Absatz 2 bis 4 gelten entsprechend.

Alte Fassung (vor dem 01. 10. 2001) 2.1.4 Sanktionen; Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt (1) Der Emittent ist verpflichtet, fur jede Nichterfüllung, nicht rechtzeitige oder nicht vollständige Erfüllung .seiner Pflichten aus der Zulassung zum Neuen Markt eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 80100.000 an die DBAG zu zahlen. Die Höhe wird von der DBAG nach billigem Ermessen festgesetzt. Das Recht der DBAG, die Zulassung zum Neuen Markt zu beenden, bleibt hiervon unberührt.

(2) Die DBAG kann die Zulassung zum Neuen Markt beenden, 1. wenn der Emittent gegen die ihm aus diesem Regelwerk obliegenden Pflichten verstößt oder 2. wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel im Neuen Markt auf Dauer nicht mehr gewährleistet erscheint oder 3. wenn dies zum Schutz des Publikums geboten erscheint.

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(3) Die DBAG kann alle im Zusammenhang mit Maßnahmen nach Absatz 1 und 2 stehenden Tatsachen veröffentlichen. Etwaige gesetzliche Geheimhaltungspflichten bleiben hiervon unberührt. (4) Maßnahmen der DBAG nach Absatz 1 und 2 lassen die Zuständigkeit des Zulassungsausschusses der FWB für die Zulassung zum Geregelten Markt unberührt. Im Fall der Beendigung der Zulassung zum Neuen Markt muss die Aufnahme der Notierung im Geregelten Markt gesondert bei der FWB beantragt werden. Die Aufnahme der Notierung im Geregelten Markt ist vorn Emittenten zusammen mit einern Institut oder Unternehmen gemäß § 63 Abs. 1 i.Y. m. § 24 Abs. 1 Börsenordnung FWB zu beantragen. (5) Gegen Maßnahmen nach Absatz 1 und 2 kann der Emittent innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung das Primary Markets Arbitration Panel anrufen. Das Verfahren ist in Ziffer 2.1.5 Absatz 1 geregelt.

Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) Abschnitt 1: Allgemeine Vorschriften § 1 Anwendungsbereich

Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft ausgegeben wurden und zum Handel an einern organisierten Markt zugelassen sind. § 2 Begriffsbestimmungen (1) Angebote sind freiwillige oder auf Grund einer Verpflichtung nach diesem Gesetz erfolgende öffentliche Kauf- oder Tauschangebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft. (2) ...

Abschnitt 4: Übernahmeangebote § 29 Begriffsbestimmungen (1) Übernahmeangebote sind Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind. (2) Kontrolle ist das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft.

§ 31 Gegenleistung (1) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Bei der Bestimmung der angemessenen Gegenleistung sind grundsätzlich der durchschnittliche Börsenkurs der Aktien der Zielgesellschaft und Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen zu berücksichtigen.

(2) Die Gegenleistung hat in einer Geldleistung in Euro oder in liquiden Aktien zu bestehen, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Werden Inhabern

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stimmberechtigter Aktien als Gegenleistung Aktien angeboten, müssen diese Aktien ebenfalls ein Stimmrecht gewähren. (3) Der Bieter hat den Aktionären der Zielgesellschaft eine Geldleistung in Euro anzubieten, wenn er, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen 1. in den drei Monaten vor der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 insgesamt mindestens 5 Prozent der Aktien oder Stimmrechte an der Zielgesellschaft oder

2. nach der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 und vor Ablauf der Annahmefrist insgesamt mindestens 1 Prozent der Aktien oder Stimmrechte an der Ziel ge seilschaft gegen Zahlung einer Geldleistung erworben haben. (4) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und vor der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, erhöht sich die den Angebotsempfängern der jeweiligen Aktiengattung geschuldete Gegenleistung wertmäßig um den Unterschiedsbetrag. (5) Erwerben der Bieter, mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen innerhalb eines Jahres nach der Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. I Satz 1 Nr. 2 außerhalb der Börse Aktien der Zielgesellschaft und wird hierfür wertmäßig eine höhere als die im Angebot genannte Gegenleistung gewährt oder vereinbart, ist der Bieter gegenüber den Inhabern der Aktien, die das Angebot angenommen haben, zur Zahlung einer Geldleistung in Euro in Höhe des Unterschiedsbetrages verpflichtet. Satz 1 gilt nicht für den Erwerb von Aktien im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft und für den Erwerb des Vermögens oder von Teilen des Vermögens der Zielgesellschaft durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung. (6) Dem Erwerb im Sinne der Absätze 3 bis 5 gleichgestellt sind Vereinbarungen, auf Grund derer die Übereignung von Aktien verlangt werden kann. Als Erwerb gilt nicht die Ausübung eines gesetzlichen Bezugsrechts auf Grund einer Erhöhung des Grundkapitals der Zielgesellschaft. (7) Das Bundesministerium der Finanzen kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Angemessenheit der Gegenleistung nach Absatz I, insbesondere die Berücksichtigung des durchschnittlichen Börsenkurses der Aktien der Zielgesellschaft und der Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter, mit ihm gemeinsam handelnder Personen oder deren Tochterunternehmen und die hierbei maßgeblichen Zeiträume sowie über Ausnahmen von dem in Absatz 1 Satz 2 genannten Grundsatz und die Ermittlung des Unterschiedsbetrages nach den Absätzen 4 und 5 erlassen. Das Bundesministerium der Finanzen kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen. Abschnitt 5: Pßichtangebote § 35 Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots (1) Wer unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, hat dies unter Angabe der Höhe seines Stimmrechtsanteils unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen, gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 zu veröffentlichen. Die Frist

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beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Bieter Kenntnis davon hat oder nach den Umständen haben musste, dass er die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt hat. In der Veröffentlichung sind die nach § 30 zuzurechnenden Stimmrechte für jeden Zurechnungstatbestand getrennt anzugeben. § 10 Abs. 2, 3 Satz 3 und Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. (2) Der Bieter hat innerhalb von vier Wochen nach der Veröffentlichung der Erlangung der Kontrolle über eine Zielgesellschaft der Bundesanstalt eine Angebotsunterlage zu übermitteln und nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ein Angebot zu veröffentlichen. § 14 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und 4 gilt entsprechend. Ausgenommen von der Verpflichtung nach Satz 1 sind eigene Aktien der Zielgesellschaft, Aktien der Zielgesellschaft, die einem abhängigen oder im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen der Zielgesellschaft gehören, und Aktien der Zielgesellschaft, die einem Dritten gehören, jedoch für Rechnung der Zielgesellschaft, eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens der Zielgesellschaft gehalten werden. (3) Wird die Kontrolle über die Zielgesellschaft auf Grund eines Übernahmeangebots erworben, besteht keine Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1

WpÜG-AngebotsVO Dritter Abschnitt: Gegenleistung bei Übemahmeangeboten und Pflichtangeboten § 3 Grundsatz

Bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Die Höhe der Gegenleistung darf den nach den §§ 4 bis 6 festgelegten Mindestwert nicht unterschreiten. Sie ist für Aktien, die nicht derselben Gattung angehören, getrennt zu ermitteln. § 4 Berücksichtigung von Vorerwerben

Die Gegenleistung für die Aktien der Zielgesellschaft muss mindestens dem Wert der höchsten vom Bieter, einer mit ihm gemeinsam handelnden Person oder deren Tochterunternehmen gewährten oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft innerhalb der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 oder § 35 Abs. 2 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes entsprechen. § 5 Berücksichtigung inländischer Börsenkurse

(1) Sind die Aktien der Zielgesellschaft zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen, muss die Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs dieser Aktien während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz I oder § 35 Abs. 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes entsprechen. (2) Sind die Aktien der Zielgesellschaft zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes noch keine drei Monate zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen, so muss der Wert der

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Gegenleistung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs seit der Einführung der Aktien in den Handel entsprechen. (3) Der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs ist der nach Umsätzen gewichtete Durchschnittskurs der der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) nach § 9 des Wertpapierhandelsgesetzes als börslich gemeldeten Geschäfte. (4) Sind für die Aktien der Zie1gesellschaft während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. I Satz I oder § 35 Abs. I Satz I des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden und weichen mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander ab, so hat die Höhe der Gegenleistung dem anband einer Bewertung der Zielgesellschaft ermittelten Wert des Unternehmens zu entsprechen.

§ 6 Berücksichtigung ausländischer Börsenkurse (1) Sind die Aktien der Zielgesellschaft ausschließlich zum Handel an einem organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 7 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes in einem anderen Staat des europäischen Wirtschaftsraums im Sinne des § 2 Abs. 8 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes zugelassen, muss die Gegenleistung mindestens dem durchschnittlichen Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. I Satz 1 oder § 35 Abs. 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes des organisierten Marktes mit den höchsten Umsätzen in den Aktien der Zielgesellschaft entsprechen. (2) Sind die Aktien der Zie1gesellschaft zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nach § 10 Abs. I Satz 1 oder § 35 Abs. I Satz I des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes noch keine drei Monate zum Handel an einem Markt im Sinne des Absatzes 1 zugelassen, so muss der Wert der Gegenleistung mindestens dem durchschnittlichen Börsenkurs seit Einflihrung der Aktien in diesem Markt entsprechen. (3) Der durchschnittliche Börsenkurs ist der Durchschnittskurs der börsentäglichen Schlussauktion der Aktien der Zielgesellschaft an einem organisierten Markt. Wird an dem organisierten Markt nach Absatz I keine Schlussauktion durchgeführt, ist der Durchschnittskurs auf der Grundlage anderer, zur Bildung eines Durchschnittskurses geeigneter Kurse, die börsentäglich festgestellt werden, zu bestimmen. (4) Werden die Kurse an dem organisierten Markt nach Absatz 1 in einer anderen Währung als in Euro angegeben, sind die zur Bildung des Mindestpreises herangezogenen Durchschnittskurse auf der Grundlage des jeweiligen Tageskurses in Euro umzurechnen. (5) Die Grundlagen der Berechnung des durchschnittlichen Börsenkurses sind im Einzelnen zu dokumentieren. (6) § 5 Abs. 4 ist anzuwenden.

§ 7 Bestimmung des Wertes der Gegenleistung Besteht die vom Bieter angebotene Gegenleistung in Aktien, sind für die Berechnung des Wertes dieser Aktien die §§ 5 und 6 entsprechend anzuwenden.

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Sachverzeichnis Abfindung 19, 51, 61, 74, 163 -165, 167, 170,181,193,195-202,204,206,208, 210-214,216,218-221,225,227-228 Aktieneigentum 156, 159, 161, 164, 166, 169 -170,201,204,213 aktienrechtliche Anfechtungsklage 150, 179, 216,220 Amtlicher Markt 40-41, 43, 45, 47, 49,51, 53,55,57,59,61,63,65,67 Änderungsbefugnis 109-110, 115, 118-119, 123,125-128,131-134,225 Anlegerschutz 24, 31- 32, 34, 47 - 50, 52, 54-55,57,59-60,64-65,74-76,80,87, 138-140, 147-148, 150-151, 154-156, 161,173,177,179,181-182,185,187189, 191-194, 199-201, 205, 212-214, 216-218,222-224 Annexkompetenz 174 Aufspaltung 28, 205 Austrittsrecht 195, 199,208-211,227 Beschlusskontrolle 191 Börsennotierung 22, 141, 144, 148, 153154,156,162,170-171,187,203-205 Börsenordnung 20, 39-40, 48, 51, 83 - 84, 220,222-223,226-227 Börsenrückzug 35-37, 54, 58, 147, 151152,200,207,209,212,223,226-228 Börsenzulassung 19-27,30,32,37,41,4447,49-50,52,62,64,66-67,69-73,75, 77,79,81,83,101-102,139-140,144145, 150, 165 -166, 176-177, 202, 205, 212-213,217,219,222-223 Börsenzulassungsstelle 49, 59, 77 -78, 166, 189,193-194,213-214,217,219-220 Delisting 19-37, 39-40, 43-44, 46-57, 59-60,62,64-66,71-72,74-77,79-80, 85-86,109,123,137-221,225-228 Drei - Stufen -Modell 181, 184

Eingliederung 29,167,184,188,203,217 Ermessensentscheidung 41, 49,52-53,64 Formwechsell44, 161, 191,204 Freeze-Out 33 Freiverkehr 24, 39-40, 71, 82- 85, 87, 90, 103-104, 118, 130-131, 135, 145, 160, 222,224 Geregelter Markt 69,71 Going Private 21,23-32,34,36,42,46-47, 49-53,55-59,64-66,74-75, 147-151, 158,164-165,167-170,178-179,181183, 185, 187-188, 191-194, 199-201, 204,208,213,215,217 Hauptversammlungsbeschluss 19, 28, 139, 141, 144-145, 149, 151-152, 156, 159, 161, 168, 174, 178-181, 183-187, 190191,193-194,217,226-227 Hauptversammlungskompetenz 143, 152, 156, 162, 166, 171, 176, 183, 186, 196, 203,211,226-227 Marktenge 156 Mehrheitserfordemis 180, 185 Neuer Markt 87, 99, 101-102, 110-114, 116-129,131-134,136 Pflichtangebot 166 - 167, 170, 195 - 196, 198, 201,207,214 private Rechtsnormen 129, 132-134 Rechtsschutz 86, 187 Segmentwechsel25, 139 Spruchverfahren 166-167, 170, 196, 214216

Sachverzeichnis Squeeze-Out20,24,27-31,33,36,42,146148,151,178,181-182,184,207,221 Strukturänderung 157 Totalrückzug 25, 31, 37, 55, 139, 147, 151, 153,225-226 lJbernahrneangebot207 Umwandlung 26-29, 159-163, 180, 182183, 185, 188, 192, 199-200, 203-204, 206,208,217 Verkehrsfähigkeit 149, 156-157, 159, 161, 163-164,168-171,204

253

Verkehrswert 163, 196, 206 Vermögensübertragung 29, 58, 164, 183, 208 Verschmelzung 27-29, 188-189,200,203, 205,217 Verzichtslösung 47 Vinkulierung 143, 157-158, 160, 162,226 Vorstandsbericht 151,186-187,189 Zulassungsbeendigungsgründe 109, 111, 114-115,122,126,129,132-134,224 Zulassungsverfahren 22, 65, 89, 140 Zulassungswiderruf 76