Perspektiven mit Heidegger: Zugänge – Pfade – Anknüpfungen 9783495488942, 9783495813829


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German Pages [369] Year 2018

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Table of contents :
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Inhalt
Einleitung
Zugänge
Ian Alexander Moore: Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought
1. Introduction
2. The Middle Voice
3. The Middle Voice of Releasement in 1928–1929
4. The Middle Voice of Releasement in 1944–1945
5. Conclusions
Giulia Lanzirotti: Style and Logic Entwined
1. Introduction
2. Terminological Clarification
3. Determinative Categorematic Logic and Modal Syncategorematic Logic
4. »Welt weltet«
5. The Formal Structure of »Welt weltet«
6. »Weltet« and Motion
7. »Welt weltet«, »es weltet« Vs. the Theoretical
8. Conclusion
Diego D’Angelo: Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort
1. Einführung in den Begriff des Wortes in Heideggers Denken
2. Allgemeine Charakterisierung des Wortes in Heideggers Auffassung
3. Das dichterische Wort
4. Einheit und Mannigfaltigkeit im Verhältnis von Wort und Wahrheit
Karl Kraatz: Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie
1. Einführung
2. Die Bedeutung der formalen Anzeige
3. Was ist die formale Anzeige?
4. Formale Anzeige und die wissenschaftliche Methode
5. Resümee
Hongjian Wang: Von der Theorie zum Leben
1. Einleitung
2. Von der Theorie zum Leben
3. In Gegenüberstellung zu Husserl?
4. Vom Leben zur Theorie
Lucilla Guidi: Heidegger und Austin
1. Phänomenologie und Performativität
2. Die negative Umkehr der Performativität und das transformative Potenzial unserer Lebenspraxis
3. Resümee
Pfade
Anna Jani: Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger und eine Reflexion von Scheler auf die Realität der Welt
1. Die ersten Annäherungen an das Problem der Realität
2. Die Realität des Seins und die Sorge als vorontologische Bestimmtheit
3. Das Realitäts-Verständnis in Sein und Zeit. Max Schelers Kritik an der Sorge-Problematik
4. Schlussbetrachtungen
Gregory P. Floyd: Between Liberale Theologie and Religionsphilosophie
1. Heidegger’s »Introduction to the Phenomenology of Religion«
2. Heidegger Among the Theologians
3. Heidegger, Ernst Troeltsch & Religionsgeschichte
4. Heidegger’s Critique of Troeltsch
5. The Phenomenology of Religion: Categories of History and Meaning
Manuela Massa: »Selbstbestimmung« und »Daseinsbefreiung«
1. Der Weg zur Freiheit
2. Die Grundentscheidung des Daseins: die Freiheit
3. Freiheit als Rechtsbegriff
4. Der Rechtsbegriff bei Heidegger
5. Fazit
Paul-Gabriel Sandu: Die Dynamik des Verfallens
1. Einführung
2. Die Problematik des Verfallens in Sein und Zeit
3. Verfallen vor Sein und Zeit
4. Die entgegengesetzte Dynamik der Ruinanz– Philosophieren
5. Das Verfallen als »ontologischer Bewegungsbegriff«
6. Abschließende Bemerkungen
Johannes Achill Niederhauser: Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition?
1. The Role of Death in Being and Time
2. Thomson on Death and Demise
3. Three Pillars
4. Death as Experienceable World Collapse
5. Ganzseinkönnen and World from Death
6. Unity
Andreas Beinsteiner: Sein als Medialität
1. Per-Spektiven
2. Selbstentzug des Medialen
3. Von der Produktion zur Medialität
4. Momente des Medialen: Element und Dimension – Vermittlung – Zwischen
5. Ausblick: Geschichtlichkeit und Selektivität des Medialen
Lucian Ionel: Sinn und Verbergung
1. Zu einer Theorie der Sinnkonstitution
2. Welt und Verbergung: Sein und Zeit (1927)
3. Wahrheit und Verbergung (1930–1936)
4. Verbergung und Gründung (1936–1938)
5. Fazit: Denken und Begreifen
Jason W. Alvis: Heidegger, the Wallflower in Günter Figal’s Unscheinbarkeit
1. Introduction
2. Inconspicuousness in the 1973 Zähringen Seminar
3. Three Interpretations
4. Being, Overlooked: The Inconspicuousness of Heidegger
Giovanna Caruso: Die Räumlichkeit des Daseins
1. Einleitung
2. Sein und Zeit. Das Leben entscheidet sich bei den Dingen
3. Bauen Wohnen Denken. Bauten als Orte
4. Der Mensch als Raum-einräumend
5. Fazit
Umut Eldem: Heidegger on Language, Thought, and the Human Being
1. Introduction
2. Logos as Gathering
3. Human as Rational Animal
4. Towards a New Way of Thinking
Anknüpfungen
Morganna Lambeth: Do We Identify Human Events with Kant’s Concept of Cause?
1. Introduction
2. Two Interpretations of Kantian Experience
3. A Counterexample to the Wide Interpretation
4. Conclusion
Edward McDougall: Is Heidegger Eurocentric?
1. Introduction
2. Heidegger’s History of Western Thought and His Understanding of Philosophy
3. Heidegger’s Critique of Hegel’s Eurocentric History
4. Ancient Greek Encounters in Hegel and Heidegger
5. The East Asian World as a Separate House of Being: Heidegger’s Ontological Pluralism
6. Heidegger’s Thought as a Preparation for Dialogue
7. Conclusion
Francesca Greco: Der Ort der Wahrheit
1. Die Frage nach der Wahrheit
2. Ein phänomenologischer Versuch
3. Eine Erörterung
4. Der Ort
5. Die Negativität
6. Resümee
Joseph Emmanuel Sta. Maria: Human Nature’s Self-Revealing
1. Introduction
2. Physis, Techne in »The Question Concerning Technology«
3. The Philosophies of Daoism and of Mencius
4. Comparison of Heidegger’s Modes of Revealing with Daoist and Mencian Thought
5. Conclusion
Choong-Su Han: Heideggers Rezeption des Taoismus
1. Heidegger und die Schrift Tao Te King
2. Fragestellung und Skizze des vorliegenden Beitrages
3. Tao Te King und Die Einzigkeit des Dichters
4. Zhuangzi und Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren
5. Kunst im Hinblick auf die Notwendigkeit des Unnötigen in der Leistungsgesellschaft
Maria Agustina Sforza: Das Tier zwischen Organismus und Maschine
1. Anthropologische Denkansätze in der Technikphilosophie: Der Mensch, das unfertige Tier
2. Anthropologische Differenz bei Kapp: Der Mensch, das Idealtier
3. Organprojektion und Zeuganalyse: Ein Vergleich
4. Der tierische Organismus und seine Welt: Das Tier, das Möglichsein
5. Zwei Modi des Sein-Könnens
Die Autoren
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Perspektiven mit Heidegger: Zugänge – Pfade – Anknüpfungen
 9783495488942, 9783495813829

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Gerhard Thonhauser (Hg.)

Perspektiven mit Heidegger Zugänge – Pfade – Anknüpfungen

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495813829

.

B

Gerhard Thonhauser (Hg.) Perspektiven mit Heidegger

ALBER PHILOSOPHIE

A

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Gerhard Thonhauser (Hg.)

Perspektiven mit Heidegger Zugänge – Pfade – Anknüpfungen

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Gerhard Thonhauser (Ed.) Perspectives with Heidegger Approaches – Paths – Connections

This volume is a collection of works by young researchers who discuss Martin Heidegger’s thinking in their texts in ways both affirmatively and critically. This book is an important contribution to the question as to whether and how research on Heidegger can be continued. The international spectrum of contributors allows us to oversee the current status of research on Heidegger beyond national and traditional boundaries and anticipate future trends in research.

The Editor: Gerhard Thonhauser studied philosophy and political sciences in Vienna and Copenhagen. He completed his PhD at the University of Vienna with a thesis on the relationship between Martin Heidegger and Sören Kierkegaard in 2016. Currently he is receiving an ErwinSchrödinger Fellowship of the Austrian Science Fund (FWF) at the Free University of Berlin.

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Gerhard Thonhauser (Hg.) Perspektiven mit Heidegger Zugänge – Pfade – Anknüpfungen

Der Band versammelt junge Forscherinnen und Forscher, die sich in ihren Arbeiten in affirmativer bis kritischer Weise mit dem Denken Martin Heideggers auseinandersetzen. Damit leistet der Band einen wichtigen Beitrag zur Frage, ob und in welcher Form sich weiter mit Heidegger denken lässt. Das internationale Spektrum der Beitragenden erlaubt es, den gegenwärtigen Stand der Heideggerforschung über Landes- und Traditionsgrenzen hinweg zu überblicken und zukünftige Forschungstrends zu antizipieren.

Der Herausgeber: Gerhard Thonhauser studierte Philosophie und Politikwissenschaft in Wien und Kopenhagen. 2016 promovierte er an der Universität Wien mit einer Arbeit zum Verhältnis von Martin Heidegger und Sören Kierkegaard. Derzeit ist er Erwin-Schrödinger-Stipendiat des österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) an der Freien Universität Berlin.

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Die Publikation wurde gefördert durch ein Exzellenzstipendium des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung für Promovierte sub auspiciis Praesidentis.

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

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FSC® C083411

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2017 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48894-2 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81382-9

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Zugänge Ian Alexander Moore Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Giulia Lanzirotti Style and Logic Entwined: An Interpretation of Heidegger’s Welt weltet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

Diego D’Angelo Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort. Perspektiven auf Heideggers Trakl-Interpretation . . . . . . . .

55

Karl Kraatz Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie. Eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Hongjian Wang Von der Theorie zum Leben. Weitere Überlegungen zum existenzialen Ansatz Heideggers . .

87

Lucilla Guidi Heidegger und Austin. Die performative Dimension der Phänomenologie . . . . . . .

99

7 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Inhalt

Pfade Anna Jani Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger und eine Reflexion von Scheler auf die Realität der Welt . . . . . . . . . . . . . .

117

Gregory P. Floyd Between Liberale Theologie and Religionsphilosophie: A New Perspective on Heidegger’s Phenomenology of Religious Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

Manuela Massa »Selbstbestimmung« und »Daseinsbefreiung«. Annäherungen an einen Rechtsbegriff in Heideggers Frühphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

Paul-Gabriel Sandu Die Dynamik des Verfallens. Eine genetische Perspektive . . . .

163

Johannes Achill Niederhauser Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition? A Response To Iain Thomson . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Andreas Beinsteiner Sein als Medialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Lucian Ionel Sinn und Verbergung. Heideggers Theorie über die Konstitution von Bedeutsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

Jason W. Alvis Heidegger, the Wallflower in Günter Figal’s Unscheinbarkeit . . .

224

Giovanna Caruso Die Räumlichkeit des Daseins. Der Versuch mit dem späten Heidegger, die Existenz vom Raum her zu denken . . . . . . .

239

Umut Eldem Heidegger on Language, Thought, and the Human Being . . . .

252

8 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Inhalt

Anknüpfungen Morganna Lambeth Do We Identify Human Events with Kant’s Concept of Cause? A Defense of Heidegger’s Interpretation of Kant . . . . . . . .

267

Edward McDougall Is Heidegger Eurocentric? A Geography of Being . . . . . . . .

283

Francesca Greco Der Ort der Wahrheit. Heideggers Ortsdenken mit Blick auf die Philosophie Nishidas . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296

Joseph Emmanuel Sta. Maria Human Nature’s Self-Revealing: A Rapport Between Heideggerian physis and techne, and Classical Chinese Philosophy . . . . . . . . . . . . . . .

313

Choong-Su Han Heideggers Rezeption des Taoismus. Die Notwendigkeit des Unnötigen (無用之用) in der Leistungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326

Maria Agustina Sforza Das Tier zwischen Organismus und Maschine. Ernst Kapp und Martin Heidegger zur Mensch-Tier-Differenz . .

340

Die Autoren

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

9 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Ein Band mit dem Titel »Perspektiven mit Heidegger« mag heute besonders unangebracht erscheinen. Wurden nicht in den letzten Jahren eine Reihe von Texten veröffentlicht – allen voran die sogenannten Schwarzen Hefte 1, aber auch eine Reihe von Briefwechseln 2 – die Heideggers politische Gesinnung in einer Weise zur Anschauung Bislang wurden im Rahmen der Heidegger Gesamtausgabe vier Bände veröffentlicht, die diese schwarzen Wachstuchhefte wiedergeben. Vgl. Heidegger, Überlegungen II–VI (Schwarze Hefte 1931–1938), GA 94; Heidegger, Überlegungen VII–XI (Schwarze Hefte 1938/39), GA 95; Heidegger, Überlegungen XII–XV (Schwarze Hefte 1939–1941), GA 96 und Heidegger, Anmerkungen I–V (Schwarze Hefte 1942– 1948), GA 97. Zu den Schwarzen Heften vgl. die ausführlichen Besprechungen von David Farrell Krell: David Farrell Krell, »Heidegger’s Black Notebooks, 1931–1941«, Research in Phenomenology, 45 (1), 2015, 127–160 und David Farrell Krell, »Troubled Brows: Heidegger’s Black Notebooks, 1942–1948«, Research in Phenomenology, 46 (2), 2016, 309–335; vgl. David Farrell Krell, Ecstasy, Catastrophe: Heidegger from Being and Time to the Black Notebooks, Albany, SUNY Press, 2015. Mittlerweile gibt es auch eine Reihe von Sammelbänden, die sich mit den Schwarzen Heften beschäftigen. Vgl. David Espinet, Günter Figal, Tobias Keiling und Nikola Mirkovic (Hg.), Heideggers »Schwarze Hefte« im Kontext. Geschichte, Politik, Ideologie, Tübingen, Mohr Siebeck, 2016; Marion Heinz, Sidone Kellerer (Hg.), Martin Heideggers »Schwarze Hefte«. Eine philosophisch-politische Debatte, Berlin, Suhrkamp, 2016; Hans-Helmuth Gander und Magnus Striet (Hg.), Heideggers Weg in die Moderne. Die »Schwarzen Hefte« im Kontext, Frankfurt am Main, Klostermann, 2016 und Ingo Farin und Jeff Malpas (Hg.), Reading Heidegger’s Black Notebooks 1931–41, Cambridge, MIT Press, 2016. Vgl. auch die in Anmerkungen 3 und 4 genannten Quellen zu Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus und der Frage des Antisemitismus. 2 Vgl. Martin Heidegger, Mein liebes Seelchen! Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride 1915–1970, herausgegeben von Gertrud Heidegger, München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2005; Martin Heidegger, Briefwechsel mit seinen Eltern (1907–1927) und Briefe an seine Schwester (1921–1967) (Martin-Heidegger-Briefausgabe, Band I.1.), herausgegeben von Jörg Heidegger und Alfred Denker, Freiburg, Alber, 2013; sowie die Briefe an seinen Bruder Fritz in Walter Homolka und Arnulf Heidegger (Hg.), »Heidegger und der Antisemitismus«. Positionen im Widerstreit. Mit Briefen von Martin und Fritz Heidegger, München, Herder, 2016. 1

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Einleitung

bringen, die es für einen liberalen, demokratischen Geist schwierig macht, mit diesem Denker noch Perspektive zu sehen? Wer es zuvor noch nicht bemerkt hatte, dem wurde eindringlich vor Augen geführt, dass Heideggers politische Gesinnung nicht nur durch eine (zumindest phasenweise) Begeisterung für den Nationalsozialismus 3 und einen (zumindest episodisch hervorbrechenden) Hang zum Antisemitismus 4 geprägt ist, sondern zudem ein Sammelsurium an politischen Einschätzungen enthält, die durch Antiliberalismus, Demokratiefeindlichkeit und dem Festhalten an einer Sonderrolle Deutschlands zusammengehalten werden. Diese Veröffentlichungen werfen nicht nur schwerwiegende Fragen zur Person Heidegger auf, sondern machen es immer weniger plausibel, eine klare Trennlinie zwischen Heideggers philosophischem Denken und seinen politischen Überzeugungen zu ziehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Titel des Bandes auch als die Frage verstehen, ob es mit Heidegger denn überhaupt noch Perspektiven gibt. Die für den Herausgeber dieses Bandes leitende ÜberHeideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus stand bereits im Zentrum der ersten Heidegger-Kontroverse, die in den 1980er Jahren von Frankreich ihren Ausgang nahm. Vgl. Victor Farías, Heidegger et le nazisme, Paris, Éditions Verdier, 1987; Jacques Derrida, De l’Esprit: Heidegger et la question, Paris, Galilée, 1987; Jean-François Lyotard, Heidegger et »les juifs«, Paris, Débats, 1988; Philippe Lacoue-Labarthe, La Fiction du politique: Heidegger, l’art et la politique, Paris, Bourgois, 1988 und Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt am Main, Campus, 1989. Von den neueren Arbeiten sind vor allem die umfangreichen Bestandsaufnahmen von Holger Zaborowski und Alfred Denker von Bedeutung. Vgl. Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und der Nationalsozialismus I. Dokumente (Heidegger-Jahrbuch, Band 4), Freiburg, Alber, 2010 und Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und der Nationalsozialismus II. Interpretationen (Heidegger-Jahrbuch, Band 5), Freiburg, Alber, 2010. Vgl. auch Holger Zaborowski, »Eine Frage von Irre und Schuld?« Martin Heidegger und der Nationalsozialismus, Frankfurt am Main, Fischer, 2010. 4 Neben der umfangreichen Diskussion in den Feuilletons finden sich mittlerweile auch eine Reihe von philosophischen Arbeiten zu dieser Thematik. Vgl. Peter Trawny, Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, 3. erweiterte Auflage, Frankfurt am Main, Klostermann, 2015; Jesús Adrián Escudero, »Heidegger’s Black Notebooks and the Question of Anti-Semitism«, Gatherings: The Heidegger Circle Annual, 5, 2015, 21–49; Peter Trawny (Hg.), Heidegger, die Juden, noch einmal, Frankfurt am Main, Klostermann, 2015; Donatella Di Cesare, Heidegger, die Juden, die Shoah, Frankfurt am Main, Klostermann, 2016 und Homolka und Heidegger (Hg.), Heidegger und der Antisemitismus. Ich möchte zudem auf das in diesem Zusammenhang noch immer sehr lesenswerte Buch von Lyotard hinweisen. Vgl. François Lyotard, Heidegger und »die Juden«, Wien, Passagen, 2005 [1988]. 3

12 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

zeugung ist: Wenn sich weiter mit Heidegger denken lassen soll, dann muss dies anhand einer kritischen Prüfung geschehen, ob sich aus Heideggers Texten – und im Zweifelsfall mit ihnen gegen sie – systematische Perspektiven entwickeln lassen, die unserem heutigen Denken weiterhin etwas zu sagen haben. Eine solche Prüfung muss im Bewusstsein seiner politischen Verstrickungen durchgeführt werden und darf diese weder rechtfertigen noch verharmlosen. Wenn sich bei einer solchen Prüfung allerdings Aspekte seines Denkens als weiterhin relevant erweisen, dann wäre es philosophisch unredlich, Heideggers politische Abwege als ausschließliches Argument heranzuziehen, diese systematischen Perspektiven nicht zu verfolgen. Meines Erachtens können die Beiträge des vorliegenden Bandes als solche Prüfungen von Perspektiven gelesen werden, in denen uns Heideggers Denken weiterhin etwas zu sagen hat. Sie stammen allesamt von Jungwissenschaftlern, die sich zum großen Teil in ihren Qualifizierungsarbeiten – von affirmativ bis kritisch – auf Heidegger beziehen. Im Mai 2016 versammelten sich diese in Wien zu einer sogenannten Nachwuchstagung. Drei Tage lang wurde intensiv diskutiert, um interpretative Angemessenheit und sachliche Überzeugungskraft der vorgelegten Ansätze zu prüfen. Das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses wird nunmehr einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert, in der Hoffnung, dass diese die eingeschlagenen Perspektiven rezipieren und abermals kritisch diskutieren wird. Der Band ist durch ein sehr internationales Teilnehmerfeld gekennzeichnet. Er versammelt 22 Beitragende aus zehn verschiedenen Ländern. Neben jeweils fünf Beiträgen von deutschen und englischen Muttersprachlern sind zwölf Beiträge von Personen verfasst, die ursprünglich aus einem anderen Sprachraum stammen. Dieses internationale Spektrum erlaubt es, einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Heideggerforschung in verschiedenen Ländern und Traditionen zu gewinnen und zukünftige internationale Forschungstrends zu antizipieren. Alle Beiträge wurden einem mehrfachen Auswahl- und Überarbeitungsprozess unterworfen. Bereits die Bewerbung für die Teilnahme an der Tagung erforderte die Einsendung eines vollständigen Vortragstextes. Alle Einsendungen wurden einer Begutachtung unterzogen, auf deren Grundlage die Auswahl der Teilnehmenden vorgenommen wurde. Die ausgewählten Tagungsteilnehmer hatten anschließend die Gelegenheit, ihren Beitrag für die Tagung zu überarbeiten. Bei der Tagung selbst wurden keine Vorträge im klassischen 13 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Sinn gehalten. Stattdessen wurden sämtliche Beiträge im Vorfeld an alle Teilnehmenden verschickt. Nach einem zehnminütigen Kurzreferat konnte so direkt in die Diskussion eingestiegen werden. Die vorbereitende Lektüre der Texte ermöglichte eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Beiträgen auf der Grundlage eines genauen Textstudiums. Nach der Tagung hatten die Teilnehmenden ein weiteres Mal die Gelegenheit, ihre Beiträge in Reaktion auf die bei der Tagung erhaltenen Rückmeldungen zu überarbeiten und in die hier vorliegende Form zu bringen. Der Band gliedert sich in drei Sektionen. Die erste Sektion, Zugänge, versammelt sechs Beiträge, die sich mit Heideggers Methode des Philosophierens auseinandersetzen und dessen Konsequenzen für das Selbstverständnis der Philosophie ausloten. Die zehn Beiträge der zweiten Sektion, Pfade, erkunden verschiedene Abschnitte auf Heideggers Denkweg, um deren systematische und phänomenale Angemessenheit zu prüfen und den Perspektiven, die durch sie eröffnet werden, nachzuspüren. Die dritte Sektion, Anknüpfungen, beinhaltet neben einem Beitrag zu Heideggers Kant-Lektüre und einem Blick auf Heideggers Rolle für die gegenwärtige Tierphilosophie vier Beiträge, die das Verhältnis Heideggers zum ostasiatischen Denken erkunden. Den Anfang macht der Beitrag von Ian Alexander Moore, »Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought«. Moore verfolgt den Begriff der Gelassenheit durch die verschiedenen Phasen von Heideggers Denken und kommt zu dem Ergebnis, dass eine strikte Trennung von Frühwerk und Spätwerk infrage gestellt werden muss. Denn die mehr als hundert Erwähnungen von Gelassenheit von den frühesten bis zu den allerspätesten Schriften widersprechen dem gängigen Bild, wonach zwischen der existenzialontologischen, die Aktivität der Entschlossenheit betonenden Frühphase und der seinsgeschichtlichen, die Passivität der Besinnung in den Vordergrund rückenden Spätphase eine fundamentale Kehre stattgefunden habe. Moore macht dagegen deutlich, dass Gelassenheit weder aktiv noch passiv zu verstehen ist, sondern im Medial. Diesem Gedanken folgend lässt sich zeigen, dass Heideggers gesamter Denkweg darauf abzielt, jenseits von metaphysischen Dualismen zu denken. Giulia Lanzirotti verfolgt in ihrem Beitrag »Style and Logic Entwined: An Interpretation of Heidegger’s Welt weltet« ebenfalls die begrifflichen Werkzeuge, die Heidegger entwickelt, um die onto14 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

logische Frage in einer neuen Weise zu stellen. Sie identifiziert in Heideggers Texten einen spezifischen Stil, der eng mit einer besonderen Logik verbunden ist und zeigt dies exemplarisch anhand von Heideggers Ausdruck »Welt weltet«. Dieser tautologisch anmutende Ausdruck ist Heideggers stilistische Alternative zur theoretischen Einstellung und beruht auf einer geänderten Logik, welche die Welt nicht mehr zum Gegenstand einer theoretischen Einstellung macht, sondern in ihrer weltenden Dynamik erfahrbar macht. Mit »Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort. Perspektiven auf Heideggers Trakl-Interpretation« leistet Diego D’Angelo einen weiteren Beitrag zu einem besseren Verständnis von Heideggers Art des Philosophierens. Der Beitrag beschränkt sich zwar explizit darauf, das dichterische Wort in Heideggers Trakl-Interpretation verständlich zu machen, eröffnet damit aber zumindest implizit eine neue Perspektive auf Heideggers sprachphilosophisches und ontologisches Projekt. Das dichterische Wort ist Versammlung von Einheit und Mannigfaltigkeit: Die Einzigkeit und Mehrdeutigkeit des (insbesondere dichterischen) Wortes macht es möglich, dass die eine Wahrheit des Seins in mannigfachen seinsgeschichtlichen Figuren erscheint. D’Angelos Interpretation zeigt, dass die Wahrheit des Seins nur in diesen mannigfachen Masken erscheinen kann. In »Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie. Eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung« geht Karl Kraatz unter besonderer Berücksichtigung der Frühphase seines Denkens auf Heideggers explizite Antwort auf die Methodenfrage ein. Insbesondere möchte Kraatz das Potenzial der formalen Anzeige für die methodologische Grundlegung der Phänomenologie und die philosophische Begriffsbildung insgesamt herausarbeiten. Kraatz zeigt, dass sich die formale Anzeige gegen die Universalisierung der wissenschaftlichen Methode wendet, um deren leitendes, unhinterfragtes Seinsverständnis problematisieren und erstmals eine Zugangssituation schaffen zu können, um jene Phänomene der phänomenologischen Auslegung zugänglich zu machen, die in einer wissenschaftlichen Herangehensweise übergangen werden. Hongjian Wang beschäftigt sich ebenfalls mit der methodischen Grundlegung beim frühen Heidegger. Im Beitrag »Von der Theorie zum Leben. Weitere Überlegungen zum existenzialen Ansatz Heideggers« bietet er eine Interpretation von Heideggers a-theoretischer Methodik der Selbstausgelegtheit des faktischen Lebens in Abgrenzung zur Vorherrschaft des Theoretischen. Durch die Kontrastie15 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

rung mit Husserl und der Lebensphilosophie erhält Heideggers Ansatz erste Konturen. Anschließend zeigt Wang mit Heidegger, dass die Tendenz der Theoretisierung nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch im faktischen Leben festgemacht werden kann, das neben der Tendenz der Selbstauslegung auch durch die Tendenz des Verfallens gekennzeichnet ist. Daher erfordert der Rückgang von der Theorie zum Leben, der schließlich in Heideggers Hermeneutik der Faktizität mündet, zunächst, die Verfallenstendenz des Lebens zu entdecken und ihr entgegenzuwirken. Im Beitrag von Lucilla Guidi, »Heidegger und Austin. Die performative Dimension der Phänomenologie«, wird schließlich der Status der phänomenologischen Rede und Praxis durch eine Zusammenstellung von Heideggers Verständnis der Hermeneutik mit Austins Begriff der Performativität thematisiert. Der phänomenologischen Rede geht es in erster Linie nicht um das Treffen von Aussagen, die in der Disjunktion von wahr oder falsch stehen, sondern darum, eine Seinsweise auszudrücken, die eine immanente Transformation der jeweiligen Situation des Schreibenden und Lesenden impliziert. In diesem Sinn spricht Guidi davon, dass die Sinndimension dieser Rede performativ ist. Sie macht damit jedoch auch deutlich, dass sich mit der phänomenologischen Rede auch der Sinn von Performativität ändert, insofern diese Performativität nicht auf intentionale Sprechakte mit klaren Glückensbedingungen verweist, sondern die Erfahrung der Unbestimmtheit der Situation und die Undurchsichtigkeit des Daseins in den Mittelpunkt rückt. Die Beiträge der zweiten Sektion konzentrieren sich größtenteils auf einzelne Abschnitte auf Heideggers Denkweg, um von diesen ausgehend neue Perspektiven auf sein Werk und neue Pfade mit diesem zu erkunden. Der erste Beitrag verortet Heidegger anhand des Realitätsproblems im Umfeld von Husserls München-Göttinger Schule. Auf die frühesten Arbeiten aus der Studienzeit zurückgehend, untersucht Anna Jani in »Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger und eine Reflexion von Scheler auf die Realität der Welt« Heideggers eigenständige Annäherung an die Realitätsfrage, die insbesondere aus der Auseinandersetzung mit der Scholastik erwächst. Sie zeigt dabei, dass Heidegger dennoch mit derselben Frage wie die Realphänomenologen beschäftigt war und kontrastiert deren unterschiedliche Antworten. Abschließend wirft Jani einen Blick auf Max Schelers kurz vor dessen frühzeitigem Tod stattfindende Beschäftigung mit dem Realitätsproblem in Sein und Zeit. 16 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Gregory P. Floyd erkundet in seinem Beitrag »Between Liberale Theologie and Religionsphilosophie: A New Perspective on Heidegger’s Phenomenology of Religious Life« eine weitere wichtige Quelle des frühen Heidegger: die Religionsphilosophie. Entgegen der üblichen Tendenz, Heideggers frühe Freiburger Vorlesungen über die Phänomenologie des religiösen Lebens (1920–1921) vor allem im Rückblick von Sein und Zeit als wichtigen Schritt auf dem Weg zum frühen Hauptwerk zu lesen, macht Floyd deutlich, dass diese Vorlesungen im Kontext der damaligen deutschen Theologie und Religionsphilosophie gesehen werden müssen. In seinem Beitrag konzentriert er sich dabei auf Heideggers Kritik an der Religionsphilosophie von Ernst Troeltsch. Eine solche Herangehensweise ermöglicht es, Heideggers Religionsphänomenologie nicht als bloße Vorstufe zu seinen späteren Arbeiten zu lesen, sondern als eigenständigen Versuch, die Religionsphilosophie zu überdenken. Der Beitrag »›Selbstbestimmung‹ und ›Daseinsbefreiung‹. Annäherungen an einen Rechtsbegriff in Heideggers Frühphilosophie« von Manuela Massa möchte aufzeigen, dass es in Heideggers Frühwerk die Entwicklung einer Rechtsphilosophie gibt. Zunächst verfolgt Massa, wie Heidegger in der Vorlesung Einführung in die phänomenologische Forschung (1923–1924) in Abgrenzung von Descartes und Husserl seine eigene Form der Phänomenologie entwickelt, um anschließend zu zeigen, dass in dieser die Freiheit als Grundentscheidung des Daseins eine zentrale Rolle spielt. Darauf aufbauend entfaltet Massa, wie aus diesem Verständnis des Daseins ein Rechtsbegriff erwächst, der mit dieser daseinskonstitutiven Freiheit verbunden ist. In »Die Dynamik des Verfallens. Eine genetische Perspektive« behandelt Paul-Gabriel Sandu die schwierige Frage, welche Rolle das Verfallen innerhalb der Systematik von Sein und Zeit einnimmt. Er vertritt dabei die These, dass das Verfallen kein weiteres Existenzial der Sorgen – neben Befindlichkeit, Verstehen und Rede – ist, sondern als die Dynamik der Sorge selbst verstanden werden muss, das heißt als die Weise, in der die genannten Existenzialien gelebt werden. Für seine Argumentation beschränkt sich Sandu nicht auf eine Auslegung von Sein und Zeit, sondern greift auf die frühen Freiburger Vorlesungen zurück, um die dort erstmals beschriebenen gegenläufigen Bewegungen von Ruinanz und Philosophieren herauszuarbeiten und vor deren Hintergrund den späteren Begriff des Verfallens zu interpretieren. 17 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Johannes Achill Niederhauser setzte sich in seinem Beitrag kritisch mit Iain Thomson’s 2013 in The Cambridge Companion to Heidegger’s ›Being and Time‹ erschienenen Beitrag auseinander, der das Sein zum Tode in Sein und Zeit interpretiert. In »Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition? A Response To Iain Thomson« zeigt er, dass Thomsons Deutung des Todes als eines momentanen globalen Weltzusammenbruchs fehlgeht. Während Thomson davon ausgeht, dass der Tod erfahrbar ist und Dasein diesen sogar erleben muss, um seine Furcht vor dem Ableben los zu werden, argumentiert Niederhauser dafür, dass der Tod als äußerste und unhintergehbare Möglichkeit des Daseins verstanden werden muss, welche für das Dasein die besondere Rolle hat, alle anderen Möglichkeiten zu eröffnen. Zur Stützung dieser These dient insbesondere eine Nachzeichnung der Verankerung des Todes in der Sorge und eine Klärung der Rolle der formalen Anzeige für Heideggers Philosophie. Der Titel von Andreas Beinsteiners Beitrag »Sein als Medialität« zeigt bereits die Programmatik an. Es geht darum zu zeigen, dass Sein von Heidegger als Anwesenlassen gedacht wird und dieses Anwesenlassen als irreduzible, geschichtlich variable und stets selektive Medialität zu interpretieren ist. Beinsteiner verortet sich damit im komplexen Spannungsfeld von amerikanischer Technikphilosophie und deutscher Medienwissenschaft, die beide in einem komplexen Näheverhältnis zu Heidegger stehen, dessen Medien- und Technikphilosophie jedoch zumeist als defizitär einstufen. Dagegen macht Beinsteiner deutlich, dass diese Interpretationen zu kurz greifen, weil sie Heideggers Denken nicht fundamental genug als Medienphilosophie auffassen. Der Beitrag »Sinn und Verbergung. Heideggers Theorie über die Konstitution von Bedeutsamkeit« von Lucian Ionel kommt abermals auf die Frage zurück, wie die von Heidegger betonte welthafte Sinnkonstitution zu verstehen ist, die er der wahrnehmungstheoretischen Gegenstandskonstitution entgegenstellt. Ionel plädiert dafür, die Heideggers Werk leitende Frage nach dem Sinn von Sein als die Frage nach der Konstitution von Bedeutsamkeit zu lesen. In weiterer Folge konzentriert er sich auf die Rolle der Verbergung in diesem Konstitutionsgeschehen und spürt dieser in vier Texten von Sein und Zeit bis Beiträge zur Philosophie nach, um zu zeigen, dass diese nicht auf eine Dimension jenseits des Sinngeschehens verweist, sondern in einer Paradoxie im Verstehen selbst liegt. Der Beitrag von Jason Alvis, »Heidegger, the Wallflower in 18 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Günter Figal’s Unscheinbarkeit«, behandelt ein Grenzphänomen der Phänomenologie, nämlich die Möglichkeit einer Phänomenologie des Unscheinbaren, von der Heidegger in den Zähringer Seminaren (1973) spricht. Alvis unterscheidet drei mögliche Verständnisse des Unscheinbaren (Unscheinbarkeit als die allen Phänomenen innewohnende Verbergung; das Unscheinbare als ein besonderer Aspekt alltäglicher Erfahrung; das Unscheinbare als eine besondere Klasse von Phänomenen), um dafür zu plädieren, dass eine Auseinandersetzung mit Heideggers Verständnis dieses Begriffs nicht übergangen werden sollte. Er wendet sich damit vor allem an Günter Figals Buch Unscheinbarkeit: Der Raum der Phänomenologie, um aufzuzeigen, dass die unterlassene Auseinandersetzung mit Heidegger ein blinder Fleck dieser Arbeit ist. Im Gegensatz zur These von Sein und Zeit, wonach der Raum auf die Räumlichkeit des Daseins und diese wiederum auf dessen Zeitlichkeit zurückgeführt werden kann, orientiert sich Giovanna Caruso an Heideggers Spätwerk, um einer dem Menschen eigentümlichen Räumlichkeit nachzuspüren. Ihr Beitrag »Die Räumlichkeit des Daseins. Der Versuch mit dem späten Heidegger, die Existenz vom Raum her zu denken« zeigt, dass Räumlichkeit als mit der Zeitlichkeit gleichberechtigte, konstitutive Ermöglichungsbedingung von Dingbegegnung und menschlicher Lebensgestaltung gedacht werden muss. Eine einseitige Rückführung von Räumlichkeit auf Zeitlichkeit oder umgekehrt wird deren ko-konstitutivem Zusammenspiel nicht gerecht. Zum Abschluss der zweiten Sektion widmet sich Umut Eldem in »Heidegger on Language, Thought, and the Human Being« Heideggers Kritik an der traditionellen Wesensbestimmung des Menschen als animal rationale. Eldem zeigt, dass die Bestimmung des Menschen als Vernunftwesen mit einer instrumentellen Definition der Sprache als vorhandenes Kommunikationsmittel einhergeht. Beides vermag es nicht, der Abgründigkeit von Sprache und der Unheimlichkeit, die der Mensch in seiner Existenz erfährt, Rechnung zu tragen. Eldem nähert sich Heideggers alternativem Denken anhand einer Untersuchung von Logos als Versammlung. Er leistet damit einen Beitrag zum besseren Verständnis von Heideggers Metaphysikkritik und seiner Perspektive auf deren Verwindung. In ihrem Beitrag, der die dritte Sektion eröffnet, konzentriert sich Morganna Lambeth auf ein Detail in Heideggers Kant-Interpretation, um ihren Wert für unser Verständnis von Kant heraus19 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

zuarbeiten. Konkret beschäftigt sie sich in »Do We Identify Human Events with Kant’s Concept of Cause? A Defense of Heidegger’s Interpretation of Kant« mit der Zweiten Analogie der Erfahrung und zeigt, dass Kants These, Kausalität sei eine notwendige Voraussetzung, um Veränderung identifizieren und damit Erfahrungen in eine zeitliche Ordnung bringen zu können, dem Einwand ausgesetzt ist, dass dies für menschliche Handlungen nicht gelte, da diese nicht kausal hergeleitet, sondern anhand ihrer Konsequenzen für die erwartete Zukunft identifiziert werden. Davon ausgehend schlägt Lambeth vor, dass wir Kant gegen diesen Einwand verteidigen können, wenn wir Heideggers Interpretation folgen, wonach die Geltung der Zweiten Analogie auf die Erfahrung von Objekten in der Seinsweise der Vorhandenheit eingeschränkt werden soll. Die folgenden vier Beiträge beschäftigen sich mit Heideggers Verhältnis zum ostasiatischen Denken. Den Anfang macht Edward McDougall, der mit seinem Titel die provokante Frage stellt: »Is Heidegger Eurocentric? A Geography of Being«. Der Eurozentrismus-Verdacht erwächst aus Heideggers Konzentration auf die Verbindung von griechischer und deutscher Philosophie, welche diesen europäischen Traditionen eine privilegierte Stellung zu geben scheint. McDougall argumentiert gegen diese Auffassung, indem er Heideggers Verständnis der Geschichte der Philosophie mit jenem von Hegel vergleicht, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass letzterer tatsächlich auf einer Betonung europäischer Hegemonie aufbaut, während ersterer ein pluralistisches Denken bietet, das gerade die Grundlage für einen Dialog zwischen den Welten sein kann. Der Text »Der Ort der Wahrheit. Heideggers Ortsdenken mit Blick auf die Philosophie Nishidas« von Francesca Greco ist der erste von drei Beiträge, in denen konkrete Kontaktmöglichkeiten zwischen Heidegger und ostasiatischen Denktraditionen ausgelotet werden. Sie leistet dies durch einen Vergleich von Heidegger und Nishida, der sich besonders auf deren Konzeption von Ort und Nichts konzentriert. Den Rahmen bildet das Verständnis von Wahrheit beim späten Heidegger, wonach der Mensch sich in dieser heimisch oder unheimlich fühlen kann. Dies führt zu einem topologischen Verständnis von Wahrheit: Wahrheit ist an einen Ort gebunden und mit einer inhärenten Negativität verknüpft. Nishida erlaubt es Greco, diese Negativität in verschiedenen Modi des Nichts auszubuchstabieren. Sie zeigt damit, wie Heidegger und Nishida zusammenspielen, um ein solches topologisches Wahrheitsverständnis zu entfalten. 20 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

Joseph Emmanuel Sta. Maria knüpft in seinem Beitrag »Human Nature’s Self-Revealing: A Rapport Between Heideggerian physis and techne, and Classical Chinese Philosophy« an Taoismus und Konfuzianismus an, um diese Traditionen mit Heideggers Verständnis von Physis und Techne in »Die Frage nach der Technik« in einen Zusammenhang zu bringen. Insbesondere werden im Beitrag die Ähnlichkeiten der taoistischen Idee von ziran mit Heideggers Verständnis der Physis und des konfuzianischen li mit Heideggers Ausführungen zur Techne untersucht. Mit diesen genauen Lektüren eröffnet der Beitrag eine neue Perspektive für den fortgesetzten Dialog zwischen Heidegger und dem ostasiatischen Denken. Choong-Su Han widmet sich schließlich dem Verhältnis von Heidegger zum Taoismus. In seinem Beitrag »Heideggers Rezeption des Taoismus. Die Notwendigkeit des Unnötigen (無用之用) in der Leistungsgesellschaft« konzentriert er sich auf zwei selten rezipierte Schriften Heideggers – Die Einzigkeit des Dichters (1943) und Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren (1945) –, um in diesen Heideggers Rezeption des taoistischen Gedankens der Notwendigkeit des Unnötigen aufzudecken. Von diesem Gedanken ausgehend geht Han abschließend auf das Kunstwerk ein, um es als das Unnötige zu verstehen, das in der Leistungsgesellschaft gerade notwendig ist. Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag »Das Tier zwischen Organismus und Maschine. Ernst Kapp und Martin Heidegger zur Mensch-Tier-Differenz« von Maria Agustina Sforza. Entgegen der vorherrschenden Tendenz in der Tierphilosophie, Heidegger als dogmatischen Anthropozentristen zu klassifizieren, plädiert Sforza dafür, Heideggers Ausführungen zum Tier in der Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik (1929–1930) als relevanten Beitrag für die gegenwärtige Debatte zu lesen. Durch den Vergleich mit Ernst Kapp wird zunächst deutlich gemacht, dass Heidegger einem organizistischen Verständnis gänzlich fernsteht. Anschließend wird eine Lektüre der von Heidegger proklamierten Weltarmut des Tiers angeboten, welche diese nicht als eine rein privative Bestimmung versteht, die auf eine anthropozentrische Sonderstellung des Menschen verweist, sondern als genuinen Versuch, die besondere Seinsweise des Lebendigen jenseits klassischer Charakterisierungen zu erfassen. Zusätzlich zu dieser kurzen Übersicht ist allen Beiträgen ein Abstract in deutscher und englischer Sprache vorangestellt, die zur weiteren Orientierung herangezogen werden können. Diese Einlei21 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einleitung

tung abschließend möchte ich noch jenen danken, die zum Entstehen dieses Bandes beigetragen haben. In erster Linie gilt mein Dank den Beitragenden für die hervorragende Zusammenarbeit im arbeitsintensiven Entstehungsprozess dieses Bandes. Mein besonderer Dank gilt Helmuth Vetter, dem kurzzeitigen Vorsitzenden der Martin Heidegger Gesellschaft e. V., der mir die Aufgabe übertrug, die in diesem Band dokumentierte Nachwuchstagung zu veranstalten. Ferner bin ich einer Reihe von Gutachtern zu Dank verpflichtet, die mich bei der Auswahl der Beitragenden mit ihrem fachkundigen und umsichtigen Urteil unterstützten. Das Institut für Philosophie der Universität Wien ermöglichte durch einen finanziellen Zuschuss die Veranstaltung der Tagung. Mein besonderer Dank gilt auch den Organisationsassistenten des Instituts, die mir in administrativen Belangen mit Rat und Tat zur Seite standen. Der Druck des Bandes wird durch ein Exzellenzstipendium des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung gefördert. Schließlich danke ich Herrn Lukas Trabert dafür, den Band in sein Verlagsprogramm aufgenommen zu haben, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Alber für die reibungslose Zusammenarbeit. Wien, November 2016

Gerhard Thonhauser

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Zugänge

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought Ian Alexander Moore

Abstract: It has been a common trope to characterize Heidegger’s development as a turn away from the active, voluntarist resoluteness of his early work to the passive, submissive releasement of his later works. However, the term Gelassenheit appears over a hundred times throughout Heidegger’s corpus. There are passages in his early period in which this term calls into question any univocal prioritization of activity, and passages in his later period in which it calls into question any univocal prioritization of passivity. For both the early and late Heidegger, Gelassenheit must be understood not in terms of the active or passive voices, but in terms of the middle voice. Heidegger’s work in this regard can contribute to efforts to twist free of metaphysical binaries like activity and passivity. Zusammenfassung: Heideggers Entwicklung wird oft als eine Kehre von der aktiven, voluntaristischen Entschlossenheit seiner früheren Werke zur passiven, unterwürfigen Gelassenheit seiner späteren Werke charakterisiert. Allerdings findet sich der Begriff Gelassenheit über hundert Mal in Heideggers Werk. Es gibt Passagen aus der Frühphase, in denen dieser Begriff eine eindeutige Priorisierung der Aktivität in Zweifel zieht; wichtige Passagen aus der späteren Phase widersprechen einer eindeutigen Priorisierung der Passivität. Sowohl beim frühen als auch beim späten Heidegger soll Gelassenheit weder im Aktiv noch im Passiv verstanden werden, sondern im Medial. In dieser Hinsicht kann Heideggers Werk dazu beitragen, metaphysische Dualismen wie Aktivität und Passivität zu verwinden. »This fundamental attunement of philosophizing from out of the essence of the human: letting-be, a questioning releasement [Seinlassen, fragende Gelassenheit] […]« Martin Heidegger, 1930–1931 1

Heidegger, Seminare: Platon–Aristoteles–Augustinus, GA 83, 81. Here and in what follows, when no English translation of a foreign title is specified, it means the translation is my own.

1

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Ian Alexander Moore

»But philosophy has perhaps commenced by distributing the middle voice, expressing a certain intransitiveness, into the active and the passive voice, and has itself been constituted in this repression.« Jacques Derrida 2

1.

Introduction

It has been a common trope to characterize Heidegger’s development as a turn away from the active, voluntarist resoluteness of Being and Time and the writings of the rectorship to the passive, submissive releasement of his later works. 3 However, the term Gelassenheit (›releasement,‹ ›letting-be‹) appears over a hundred times throughout Heidegger’s corpus, 4 from as early as August 1919 5 all the way up to January 1976, 6 the year of Heidegger’s death. Passages from the late Jacques Derrida, Speech and Phenomena: And Other Essays on Husserl’s Theory of Signs, translated by David B. Allison, Evanston, Northwestern University Press, 1973, 137. 3 Richard Polt, for example, speaks of »Being and Time’s decisionistic tendencies and the later texts’ nearly quietistic Gelassenheit.« The Emergency of Being: On Heidegger’s Contributions to Philosophy, Ithaca, Cornell University Press, 2006, 9 (though cf. 225–226). See also the references to works by Karl Löwith, Jürgen Habermas, and Richard Wolin in Bret W. Davis, Heidegger and the Will: On the Way to Gelassenheit, Evanston, Northwestern University Press, 2007, 322–323 note 6. 4 Many of these can be found in the recently published Zum Ereignis-Denken, GA 73.1 and GA 73.2, and Anmerkungen I–V (Schwarze Hefte 1942–1948), GA 97. 5 Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 309. For the date, see Theodore Kisiel, »Notes for a Work on the ›Phenomenology of Religious Life‹ (1916–19),« in: S. J. McGrath and Andrzej Wierciński (ed.), A Companion to Heidegger’s Phenomenology of Religious Life, Amsterdam, Rodolpi, 2010, 312. 6 Heidegger, Gedachtes, GA 81, 319. Heidegger was also discussing the role of Abgeschiedenheit or »detachment« in Eckhart with Bernhard Welte less than two months prior to his (Heidegger’s) death. See Bernhard Welte, »Erinnerung an ein spätes Gespräch,« in: Alfred Denker and Holger Zaborowski (ed.), Martin Heidegger/Bernhard Welte: Briefe und Begegnungen, Stuttgart, Klett-Cotta, 2003, 149– 150. Eckhart often uses the Middle High German abegescheidenheit (and its cognates) synonymously with gelâzenheit (and its cognates). See, for example, Eckhart’s early tract Die rede der underscheidunge, § 21, in Meister Eckhart: Die deutschen und lateinischen Werke, herausgegeben im Auftrag der deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart/Berlin, Kohlhammer, 1936, DW 5:274–284, especially 283. Heidegger himself brings Gelassenheit and Abgeschiedenheit together in a note to »Time and Being.« Heidegger, Zur Sache des Denkens. GA 14, 20 note 6. For a much earlier parallel, cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 308–309. 2

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

1920s and 1930s challenge any univocal prioritization of activity in this period, and those from the mid-1940s to the 1970s challenge any univocal prioritization of passivity. For both the early and late Heidegger, by which I just mean Heidegger’s writings before and after the Beiträge, 7 Gelassenheit must be understood not in terms of the active or passive voices, but in terms of the middle voice, even though there are many different senses of Gelassenheit in play throughout his corpus. After briefly explaining the middle voice, I will argue for the medial or middle-voiced character of some of these different senses 8 by interpreting a little-studied lecture course given shortly after Being and Time and another text written at the end of the Second World War. Not only will this allow us to find a certain unity in Heidegger’s path of thought; it will also show how Heidegger’s appreciation of the middle voice stands as a significant contribution to efforts to think outside of metaphysical binaries such as activity and passivity.

2.

The Middle Voice

In the active voice, a subject does something to an object (»I hit the car«). In the passive voice, something is done to a subject by an object (»I was hit by the car«). Notice that, in these two examples, that which is hit plays no part in what is expressed by the main verb. »Hitting,« it would seem, is something that is only either done or suffered. Yet if we pay attention to everyday language, another possibility suggests itself. When we say, »There was an accident,« we are describing an event in which subject and object are implicated, in which each is neither entirely active nor entirely passive. In languages such as Ancient Greek, there is a third grammatical voice for such phenomena, referred to as the middle voice. I cannot delve into the intricacies of this voice here, 9 nor into the interesting ways it has This could certainly be more nuanced, even with regard to Gelassenheit, which plays an important role in Heidegger’s very early work on the phenomenology of religious life and on Eckhart in particular. 8 The four senses of Gelassenheit I do not discuss are the early theological sense, Heidegger’s use of Gelassenheit in relation to the divine in Hölderlin, the Gelassenheit »of the everyday, free perspective« (Die Grundbegriffe der Metaphysik, GA 29/ 30, 137), and Gelassenheit as a comportment vis-à-vis technology. 9 Cf. Émile Benveniste, »Active and Middle Voice in the Verb,« in: Émile Benveniste, 7

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Ian Alexander Moore

been appropriated philosophically, above all in the 20th and 21st centuries, 10 but it is not hard to see that an appreciation of this voice (as well as of its traces in modern languages) would be invaluable for thinking through and beyond modern subjectivity. Heidegger, one of the greatest critics of such subjectivity, was well aware of the significance of this grammatical structure. He invokes it several times throughout his corpus, most famously with regard to the Greek verb apophainesthai in Being and Time. 11 He also Problems in General Linguistics, translated by Mary Elizabeth Meek, Miami, University of Miami Press, 1971, 145–152; Jan Gonda, »Reflections on the Indo EuropeanMedium I« and »Reflections on the Indo European-Medium II,« Lingua, 9 (1), 1961, 30–67 and 175–193; Suzanne Kemmer, The Middle Voice, Amsterdam, J. Benjamins, 1993; and Allan J. Rutger, The Middle Voice in Ancient Greek: A Study in Polysemy, Amsterdam, J. C. Gieben, 2003. 10 See the texts listed in footnote 17, below, as well as Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen, Mohr Siebeck, 1990 (Gesammelte Werke, vol. 1), 109–115 (on the middle voice of play); Jacques Derrida, »Différance,« in: Jacques Derrida, Margins of Philosophy, translated by Alan Bass, Chicago, University of Chicago Press, 1982, 9 (on the middle voice of différance); Reiner Schürmann, Broken Hegemonies, translated by Reginald Lilly, Bloomington, Indiana University Press, 2003, passim (on middle-voiced language and phenomena as they appear throughout the history of philosophy and on the middle voice as a way in which to think an-archically); Michael Naas, Turning: From Persuasion to Philosophy; A Reading of Homer’s Iliad, New Jersey, Humanities Press, 1995, 19–20 and 29 (on the middle voice of persuasion); Charles E. Scott, »The Middle Voice of Metaphysics,« The Review of Metaphysics, 42 (4), 1989, 743–764 (on the middle voice of the will to power and the eternal recurrence in Nietzsche); Walter Brogan, »The Middle Voice of Charles Scott,« Epoché, 17 (1), 2012, 89–97 (on the middle voice in Charles Scott’s work); David Lewin, »The Middle Voice in Eckhart and Modern Continental Philosophy,« Medieval Mystical Theology, 20, 2011, 28–46 (on the middle voice in Eckhart, Heidegger, Derrida, and Ricoeur); and Philippe Eberhard’s recent work on the middle voice of Gadamer’s hermeneutics, of theology, and of postmodernity. See Philippe Eberhard, The Middle Voice in Gadamer’s Hermeneutics: A Basic Interpretation with Some Theological Implications, Tübingen, Mohr Siebeck, 2004; »Gadamer and Theology,« International Journal of Systematic Theology, 9 (3), 2007, 283–300; and »The Medial Age or the Present in the Middle Voice,« International Journal of the Humanities, 3 (8), 2005/2006, 125–134. Finally, see Vincent Pecora, »Ethics, Politics, and the Middle Voice,« Yale French Studies, 79, 1991, 203– 230. 11 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 7. See also the following texts by Heidegger: Vorträge und Aufsätze, GA 7, 214, 272; Was heißt Denken?, GA 8, 160; Wegmarken, GA 9, 430; Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 28; Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, GA 20, 111; Die Grundbegriffe der antiken Philosophie, GA 22, 129; Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit, GA 29/30, 449; Vom Wesen der Wahrheit, GA 34, 137, 142, 203, 222–223; Zur

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

draws on and develops new linguistic devices to convey a middlevoiced understanding of being and our relationship to it, prior to the bifurcation into subjectivity and objectivity. These include impersonal expressions such as »es weltet« (1915) and »es wertet« (1919); 12 cognate nominatives such as »Zeitlichkeit zeitigt« (1927), 13 »Welt weltet« (1936), 14 »Das Ding dingt« (1949), 15 and »Sein ›istet‹«

Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemässen Betrachtung, GA 46, 37; Parmenides, GA 54, 152, 159; Heraklit, GA 55, 338; Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 207 note 11, 271; Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles, GA 62, 357 note 39; Anmerkungen I–V (Schwarze Hefte 1942–1948), GA 97, 262. 12 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 46, 48 and 73. HansGeorg Gadamer relates that in 1920–1921 Ochsner informed him that Heidegger had used the phrase »es weltet« in a 1915 lecture course. This led Gadamer to believe that Ochsner may have been the first to know that »the young Heidegger already at that time in no way whatsoever thought in a transcendental-philosophical fashion.« »Es beweist in meinen Augen, daß der ganz junge Heidegger bereits damals ganz und gar nicht transzendentalphilosophisch dachte.« Cf. Hans-Georg Gadamer, »Der erste Botschafter aus Freiburg,« in: Curd Ochwadt and Erwin Tecklenborg (ed.), Das Maß des Verborgenen: Heinrich Ochsner 1891–1970 zum Gedächtnis, Hannover, Charis, 1981, 230. Bernhard Welte, however, in an unpublished record of a conversation he had with Ochsner on 21 September 1957, writes that Ochsner told him Heidegger had used the phrase die Welt weltet in a transitive sense in 1915. The entire passage is worth citing in full: »Auf einem Spaziergang erzählte ich O., Gustav Siewerth habe mir gesagt, er glaube einen Anstoß zu Heideggers Interesse an der Sprache gegeben zu haben. / O. meinte dazu, dies sei wohl bis zu einem gewissen Grade möglich, indessen stehe es fest, daß Heidegger selbst schon sehr früh auf diese Spur gekommen sei. Er, O., habe etwa im Jahre 1915 mit Heidegger zusammen das Buch von Lask über das Urteil gelesen. Damals schon habe Heidegger alētheia als a-letheia verstanden. Damals schon habe er die Formel gehabt, ›die Welt weltet‹ und hinzugefügt: in transitivem Sinn, damals schon habe er die Bedeutungstheorie der Sprache verworfen und damit den Gedanken (dies vor allem gegen Rickert), daß allein das Urteil die entscheidende signifikative Form der Sprache sei. Damals schon habe der Sinn des ›ist‹ ihn am meisten beschäftigt. / Dies sind lauter Dinge, so bemerkten wir zusammen, die im veröffentlichten Werk Heideggers zum Teil erst sehr viel später ausgesprochen wurden. Er blieb in seinen Anfängen und kehrte später nur tiefer in diese ein.« Cf. Bernhard Welte, »Aufzeichnungen aus meinen Gesprächen mit Heinrich Ochsner,« 3, unpublished notes available at the Universitätsarchiv in Freiburg under access number E 8/934. Compare the rather different published version in Ochwadt and Tecklenborg (ed.), Das Maß des Verborgenen, 215. 13 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 435. 14 Heidegger, Holzwege, GA 5, 30. For more on the significance of this phrase, see Giulia Lanzirotti’s contribution to this volume. 15 Heidegger, Bremer und Freiburger Vorträge, GA 7, 175.

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Ian Alexander Moore

(1969); 16 and, not least, words derived from Lassen such as Gelassenheit.

3.

The Middle Voice of Releasement in 1928–1929

Scholars have already discussed the role of middle-voiced phenomena in Being and Time and in Heidegger’s work on Kant, 17 where the term Gelassenheit does not appear. 18 However, just after Being and Time and one year before the publication of the Kant book, Heidegger gave a little-known, and as yet untranslated lecture course in 1928–1929 entitled Einleitung in die Philosophie. 19 Here, in contrast to the seemingly active, voluntarist language of resoluteness for which Heidegger’s work of this period has been criticized, 20 whether rightly or wrongly, he draws heavily on the language of letting and releasement, employing it in three important senses. First, Heidegger uses the language of releasement in 1928–1929 Heidegger, Seminare, GA 15, 325. For earlier appearances cf. Heidegger’s 1941 Über den Anfang, GA 70, 66 and 69. 17 Bejamin D. Crowe, »Resoluteness in the Middle Voice: On the Ethical Dimensions of Heidegger’s Being and Time,« Philosophy Today, 45 (3), 2001, 225–241; John Llewelyn, »Heidegger’s Kant and the Middle Voice,« in: David Wood and Robert Bernasconi (ed.), Time and Metaphysics: A Collection of Original Papers, Coventry, Parousia Press, 1982, 87–120; John Llewelyn, The Middle Voice of Ecological Conscience: A Chiasmic Reading of Responsibility in the Neighbourhood of Levinas, Heidegger and Others, London, Macmillan, 1991; and Charles E. Scott, »The Middle Voice of Being and Time,« in: John C. Sallis, Giuseppina Moneta and Jacques Taminiaux (ed.), The Collegium Phaenomenologicum: The First Ten Years, Dordrecht, Kluwer, 1988, 159–173. 18 There is, however, one reference to Gelassenheit in a later comment made in the margins of Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 238 note a. 19 GA 27. One of the few extensive commentaries on this course of which I am aware is a lecture course given by Jean Wahl at the Sorbonne in 1946 and published as Jean Wahl, Introduction à la pensée de Heidegger: Cours donnés en Sorbonne de janvier à juin 1946, Paris, Librairie Générale Française, 1998. For more details on the French reception of Heidegger’s Einleitung in die Philosophie long before its publication in German, see Ian Alexander Moore and Alan D. Schrift, »Existence, Experience, and Transcendence: An Introduction to Jean Wahl,« in: Jean Wahl, Transcendence and the Concrete: Selected Writings, New York, Fordham University Press, 2016, 11n30. 20 Though see, for example, Henri Biraut, Heidegger et l’expérience de la pensée, Paris, Gallimard, 1978, 519–520, and Crowe, »Resoluteness in the Middle Voice.« Davis, Heidegger and the Will, 24–59, argues for the fundamentally ambiguous status of the will in Being and Time. 16

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

to describe the implicit, primordial happening of Dasein, from which several layers of operative, though still implicit, »letting« emerge. Before any practical or theoretical comportment towards beings, Heidegger explains that there is a prior projection of the ontological constitution of beings, on which basis one may then relate to beings in particular ways. This projection is not an everyday, ontic activity, but a »primal action [Urhandlung] of Dasein.« 21 Lest this primal action be interpreted voluntaristically or couched in terms of agency, Heidegger writes that it is »nothing other than the […] letting-be [Seinlassen] of beings.« 22 Such letting-be transcends, goes out beyond every relation to beings, and »yet it lies in every comportment to beings.« 23 It is a primal happening of transcendence that is neither sheer activity nor sheer passivity, but middle-voiced, which is why Heidegger is at pains throughout this course not to let one term take precedence, whether it be primal action or letting-be. 24 This primal happening is also transcendental, insofar as it grounds the possibility for, and belongs to, any relation to beings. 25 This brings us to the second sense of the middle-voiced character of releasement. For Heidegger also describes these more ontic relations to beings in terms of middle-voiced letting-be. It is on the basis of the primordial projection of being that we are able to encounter or be addressed by entities within the world as meaningful. While it may seem that turning our attention to beings is an activity or form of spontaneity, Heidegger contends that it is rather »in its genuine essence precisely a letting-encounter [Begegnen-lassen],« which he glosses as both »a peculiar passivity« and »in a certain way spontaneity, but one which, in terms of intentionality [intentional], has the character of taking-in [Hinnehmens], of receptivity.« 26 Here, lettingHeidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 199. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 199; Heidegger’s italics. 23 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 206. Cf. ibid., 180. 24 Heidegger’s lecture course of the following year, Die Grundbegriffe der Metaphysik, GA 29/30, also oscillates significantly between the language of letting-be and that of action. 25 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 210. 26 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 74. As Theodore Kisiel has pointed out, the middle-voiced character of begegnen is present also in Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), GA 63, 85, where Heidegger writes: »Welt ist, was begegnet« (»World is what encounters/what is encountered«). Cf. Theodore Kisiel, The Genesis of Heidegger’s Being and Time, Berkeley, University of California Press, 1993, 329–330. 21 22

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Ian Alexander Moore

encounter is best understood medially, as at once letting ourselves be encountered and letting ourselves encounter, in between, or rather before the separation into, subject and object. In a brilliant phenomenological analysis of a piece of chalk and our communal relation to it, 27 Heidegger shows how, prior to interacting with it, prior to taking interest or being uninterested in it, we must let it lie there as it is; there must be a prior »letting-lie [Liegen-lassen]« and »letting-be [Seinlassen]« that, again, is not passive, but »a ›doing‹ of an originary and highest sort.« 28 This is all before any objectification of the chalk into something merely present-at-hand. 29 Though Heidegger does not pursue this in the lecture course, we might draw from his other phenomenological analyses and take his example one step further: When I do take up the chalk, not as an object of scientific analysis, but as something to write with, I must give myself over to it. When I write on the blackboard, I am not a subject acting upon an object; rather, in the act of writing, neither I nor the chalk nor my students are radically separate from the event that is transpiring. There is, in other words, a middle-voiced character to ready-to-hand involvement in general. It is only with the third sense of letting-be that Heidegger uses the word Gelassenheit, even though he retrospectively connects it with the first, most primordial sense of letting-be. Inasmuch as Dasein through its transcendence implicitly projects or lets be the open realm in which beings may be encountered, Dasein implicitly philosophizes. »Human Dasein as such philosophizes; to exist means to philosophize.« 30 Inasmuch as this is made thematic through philosophical questioning, Dasein explicitly becomes what it is. It takes on its essence. As Heidegger writes, This course, more than any other writing of Heidegger’s, develops the idea of Mitsein in astounding detail. 28 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 101–103. 29 See, for example, Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 184–186. 30 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 214. Cf. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 3, 218–20, 223, 226; as well as Heidegger’s letter to Elisabeth Blochmann from August 8, 1928, in: Joachim W. Storck (ed.), Martin Heidegger/Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918–1969, 2nd ed., Marbach am Neckar, Deutsche Schillergesellschaft, 1990, 25. Later in the lecture course, Heidegger retracts this statement about essential, implicit philosophizing. Cf. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 399. This appears to be a part of the strategic pedagogy of the course, whose task is to »let philosophy become free [frei werden lassen] here and now in our Dasein.« Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 8. 27

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

If transcendence comprises the basic essence of human Dasein in general, then, in explicit transcending, nothing less happens than that the Dasein who essentially transcends becomes essential in the explicit letting-happen [Geschehenlassen] of transcendence. This becoming-essential of Dasein in explicit transcending, the explicit questioning about being as such, is nothing other than philosophizing. 31

For the most part, it is not in terms of activity or passivity that Heidegger describes such explicit questioning, but in terms of letting. The proper stance for letting such transcendence happen is, Heidegger writes, »a peculiar releasement [Gelassenheit], in which beings in themselves come to word,« 32 and in which being itself becomes questionworthy. 33 He then goes on to say that this peculiar releasement not only stems from the »originary action [ursprünglichen Handeln]« of transcendence, as one might expect; it moreover »is nothing other« than that originary action. 34 The philosophical task, then, is to let such transcendence show itself of its own accord. As this originary transcendence is middle-voiced, so must be our philosophical approach to it. Recalling the middle-voiced language of apophainesthai in Being and Time, Heidegger says that, »[Transcendence] is ›to show itself,‹ not like a present-at-hand, describable painting, but rather to bring transcendence into a phenomenon, to bring it to show itself, means first of all to let it form itself [sich bilden lassen] in the ground of its essence.« 35 To let something show itself is not to force it into appearance, nor simply to wait passively for it to do so, but to bring or help it along, to participate in, but not to determine, the process, the middle-voiced happening of its self-revelation. Here, »In the lettinghappen of transcendence as philosophizing,« Heidegger writes at the »Wenn nun die Transzendenz das Grundwesen des menschlichen Daseins überhaupt ausmacht, so geschieht im ausdrücklichen Transzendieren nichts Geringeres als das, daß das wesenhaft transzendierende Dasein im ausdrücklichen Geschehenlassen der Transzendenz wesentlich wird. Dieses Wesentlichwerden des Daseins im ausdrücklichen Transzendieren, das ausdrückliche Fragen nach dem Sein als solchen, ist nichts anderes als das Philosophieren.« Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 213; cf. 214 and 218. 32 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 214; cf. 180 and 199. 33 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 214–217. 34 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 214. 35 »Sie [Transzendenz] soll ›sich zeigen,‹ nicht wie ein vorhandenes beschreibbares Gemälde, sondern die Transzendenz zum Phänomen, zum Sichzeigen bringen, heißt, sie sich allererst im Grunde ihres Wesens bilden lassen.« Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 395. 31

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end of the lecture course, »lies the originary releasement [ursprüngliche Gelassenheit] of Dasein.« 36 One must, in other words, let be to understand and exist in accordance with the primordial projection of being as letting be. Nearly the same imperative is to be found in Heidegger’s later work, yet with one key difference. Instead of focusing on the way in which Dasein projects being, Heidegger reverses the perspective. 37 One must look away from Dasein and towards being in order to understand the essence of being and the human being. And yet one of the most prominent ways in which Heidegger interprets this essence is as middlevoiced releasement, just as he had done in 1928–1929.

4.

The Middle Voice of Releasement in 1944–1945

This can be seen most readily in Heidegger’s first »Country Path Conversation« (1944–1945). 38 Here, the problem is less a narrowminded focus on either activity or passivity per se than on the hegemony of western willfulness as an extreme form of activity. Two main difficulties present themselves when one tries to think beyond such willfulness. There is the danger that non-willing seems to reinforce,

Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 401. This turnabout is intriguingly intimated in Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 109 and 109 note 1. 38 Entitled »Anchibasiê: Ein Gespräch selbstdritt auf einem Feldweg zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen,« in: Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 1–159; translated by Bret W. Davis as »Anchibasiê: A Triadic Conversation on a Country Path between a Scientist, a Scholar, and a Guide,« in: Martin Heidegger, Country Path Conversations, Indiana, Indiana University Press, 2010, 1– 104. Heidegger first published this Gespräch in 1959 in a revised and significantly truncated form, changing the title to »Zur Erörterung der Gelassenheit: Aus einem Feldweggespräch über das Denken [Towards an Emplacing Discussion of Gelassenheit: From a Country Path Conversation about Thinking].« It was published together with a 1955 commemorative address titled »Gelassenheit« in a small book with the same name. Cf. Martin Heidegger, Gelassenheit, Stuttgart, Klett-Cotta, 1959. These two pieces later appeared, respectively, in Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, GA 13, 37–74, and in Heidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, GA 16, 517–529. They were translated, respectively, as »Conversation on a County Path about Thinking« and »Memorial Address,« in: Martin Heidegger, Discourse on Thinking, translated by John M. Anderson and E. Hans Freud, New York, Harper and Row, 1966. 36 37

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

rather than to transcend, the will. 39 Here, one would simply affirm the very thing beyond which one is attempting to go. The second danger is that our relation to what is not of the will, that is, to what Heidegger calls the »open-region,« which I take to be another, more topological valence of that which Heidegger names with the terms Ereignis, Sein, and Seyn, 40 would be interpreted as sheer passivity. Now, although some form of will might be necessary to twist free of the will as such, 41 Heidegger uses cognates of lassen to describe both the move away from the will and the move towards what is not of the will. These cognates are best understood as middle-voiced, even if each has a greater or lesser valence of activity or passivity depending on the circumstances in which they are invoked. In fact, there are four different aspects of middle-voiced letting at work in Gelassenheit, which Heidegger comes to identify as the essence of thinking and of the human as such: 42 1) allowing (Zulassen) or occasioning (Veranlassen); 2) ceasing (Ablassen), letting loose (Sichloslassen), or letting go (Fahrenlassen); 3) letting oneself into, engage in, or become involved with (Sicheinlassen); and 4) remaining released or delivered over to (Überlassenbleiben). 43 We might begin to understand these terms by saying that the openregion allows us, or occasions the possibility for us, to cease relying upon the will, such that we can let ourselves loose from it. This in For instance, under the category of what one might call resisting the will fall the activities of »refusing [Sich-Weigern],« »opposing [Sich-Widersetzen],« and »forbidding [Verbieten].« Another category of non-willing would be »suspending [aushängen]« the will. »Abhorring [Verabscheuen],« »forgoing [Entsagen],« and »renouncing [Absagen]« would all belong to this category. Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/ 45), GA 77, 76–78 / Heidegger, Country Path Conversations, 48–49. 40 Cf. Richard Capobianco, Engaging Heidegger, with a foreword by William J. Richardson, Toronto, University of Toronto Press, 2010, 8. 41 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 142–143 / Heidegger, Country Path Conversations, 92. 42 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 106 and 142 / Heidegger, Country Path Conversations, 68 and 92. 43 For the last, see Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 117 and 122 / Heidegger, Country Path Conversations, 76 and 79. The others appear on and off throughout the conversation. Friedrich-Wilhelm von Herrmann was the first to point out these different valences. See his »Gelassenheit und Ereignis: Zum Verhältnis von Heidegger und Meister Eckhart,« in: Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Wege ins Ereignis, Frankfurt am Main, Klostermann, 1994, 371–386. 39

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turn enables us to let ourselves become involved with or engaged in the open-region and to let ourselves correspond to it, as well as to the way in which it prevails. 44 Once this has come to pass, we may remain released or delivered over to it as that »in relation to [or toward] which releasement is what it is.« 45 However, although I have rendered these terms actively and passively, and could just as well switch some of them around—for instance, I could say that the open-region must permit us to do these things, but I could also say that we must permit the open-region to do so by preparing ourselves for it—they should be thought always in both senses, or rather in the middle voice, whenever possible. This is most conspicuous with the syntagm sich einlassen auf and with the term Gelassenheit. I can only let myself become involved with the open-region if the open-region has permitted me entrance (mich eingelassen, that is, has let me in). All Sicheinlassen is, in other words, an eingelassenes Sicheinlassen. Yet we should not think of this as occurring diachronically. If, for Heidegger, our essence is Gelassenheit, then there is a sense in which, at some level, we are always both being released and releasing ourselves into the open-region. This would be the case even at the level of what Heidegger here calls horizonal-transcendental thinking (which can be related to what Heidegger elsewhere calls »representational thinking« or simply »metaphysics«). Even though this mode of thinking is focused merely on »the side of the open-region turned toward our representational settingbefore,« 46 it still stands in relation to the open-region. It is just that we are not awake to what is happening beyond or beneath horizonaltranscendental thinking, or to our essence and that of the open-region. Thus rather than speaking of Gelassenheit as the state of having been released or as the state of having released oneself, it would be better to think of it as a middle-voiced event in which both the openregion and we are implicated, an event that is always already happenCf. Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 120 / Heidegger, Country Path Conversations, 78. 45 »in der Gegnet, zu der die Gelassenheit ist, was sie ist.« Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 118 / Heidegger, Country Path Conversations, 77. For the locution »Gelassenheit zu,« cf. Heidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, GA 16, 527–529. Here Heidegger speaks of »releasement towards things [Gelassenheit zu den Dingen].« 46 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 121 / Heidegger, Country Path Conversations, 78. 44

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

ing within the time of our life, but one of which we are for the most part oblivious. Heidegger confirms this interpretation with regard to both the human and the open-region. Although he does not invoke the middle voice, he does describe the state of Gelassenheit at once a »reception [Empfängnis]« 47 and »perhaps […] a higher activity [Aktivität] than that found in all the deeds of the world and in all the machinations of the realms of mankind.« 48 The latter claim is objected to in the 1945 version of the conversation, since this »higher activity is in fact not an activity.« In the 1959 version, »activity« is changed to »doing [Tun],« 49 to which it is still replied that it would not be something active as opposed to something passive, but would be something that »lies—if we may still speak of a lying here—outside the distinction between passivity and activity.« 50 In other words, it would be middlevoiced. Heidegger interprets the open-region in terms of middle-voiced releasement as well: »The open-region is the abiding expanse which, gathering all, opens itself [sich öffnet] so that in it the open is held and halted, letting each thing arise [aufgehen zu lassen] in its resting.« 51 It is what »lets all things belong [gehören läßt] to one another.« 52 He also deploys cognate nominative structures as he had done much earlier in his career: »[T]he world, insofar as it worlds [—changed in the 1959 version to »the open-region, regioning everything« 53—] gathers everything, each to the other, and lets [läßt] everything return to itself in its own resting in the selfsame.« 54 Later, Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 144 / Heidegger, Country Path Conversations, 94. 48 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 108. 49 Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, GA 13, 41. 50 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 109 / Heidegger, Country Path Conversations, 70. The interlocutors also speak of Gelassenheit in terms of »the genuine essence of the spontaneity of thinking.« Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/ 45), GA 77, 145 / Heidegger, Country Path Conversations, 94. 51 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 114 / Heidegger, Country Path Conversations, 74. 52 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 125 / Heidegger, Country Path Conversations, 81. 53 »die Gegnet, alles gegnend.« Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, GA 13, 70. 54 Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 149 / Heidegger, Country Path Conversations, 98. Another example is when Heidegger writes: »The essence of thinking which, as an indwelling releasement to the worlding of the world [Gelassen47

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in 1969, Heidegger even writes that »the deepest meaning of being is letting [Lassen].« 55 Just as with our own proper comportment toward the open-region, the sense of »letting« at play in these various descriptions is neither passive nor active, but a letting-happen that occurs before there are agents and patients, subjects and objects.

5.

Conclusions

We may draw a couple of conclusions from the foregoing. The robust sense of Gelassenheit, as the essence of the human being, is even less active or passive than those preliminary steps requisite for becoming attuned to our essence. For these steps, though by no means clear-cut, can still be said to be more or less passive or active depending on the context and history from which one must convalesce. Gelassenheit, as the essence of the human, however, is our free, open relation to being, which is more originary than any particular activity one undertakes or any particular thing one suffers. Freedom here is not the ability to act according to the moral law. Here, »Freedom has nothing to do with the will.« 56 Freedom is a prior, middle-voiced play-space in which this or that may take place. It is what holds sway, what, to use Heideggerheit zum Welten der Welt], bears that relationship by means of which the human dwells in nearness to farness.« Heidegger, Feldweg-Gespräche (1944/45), GA 77, 151 / Heidegger, Country Path Conversations, 99. 55 Heidegger, Seminare, GA 15, 363; Four Seminars, translated by Andrew Mitchell and François Raffoul, Bloomington, Indiana University Press, 2003, 59. 56 Heidegger, Zum Ereignis-Denken, GA 73.1, 731. This passage comes from a bundle of notes written between 1943 and 1945, during the time Heidegger was writing the first »Country Path Conversation.« Heidegger also connects Gelassenheit to this originary freedom in these notes: »Das Lassen – als Gelassenheit in die äußerste Weite der Weile der Freyheit.« Heidegger, Zum Ereignis-Denken, GA 73.1, 666; cf. 705. Interestingly, he also does something similar in 1928–1929 in Einleitung in die Philosophie: »Wir zeigten, das Wesen des Theoretischen liege im Seinlassen des Seienden an ihm selbst und nannten dieses Seinlassen eine Ur-handlung des Daseins. Nun wird klar, mit welchem Reichtum das Seinlassen im ontologischen Entwurf, im Transzendieren geschieht; dieses aber ist das Grundgeschehen der Existenz selbst. Dieses Seinlassen des Seienden nannten wir früher die metaphysische Gleichgültigkeit, eine eigentümliche Gelassenheit, in der das Seiende an ihm selbst zu Wort kommt. Diese Gelassenheit aber muß einem ursprünglichen Handeln entspringen, sie ist nichts anderes. Handeln aber ist Freisein.« Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 214. And at the end of the lecture course, he writes: »Philosophieren als Geschehenlassen der Transzendenz ist die Befreiung des Daseins. Befreit wird die Freiheit desselben, und Freiheit ist nur in der Befreiung. / Im Geschehenlassen der Transzendenz

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Gelassenheit, the Middle Voice, and the Unity of Heidegger’s Thought

ian language, essences or eventuates. Here there are neither subjects nor objects. There is only the event from which they issue and in which they are implicated. The middle voice of Gelassenheit is precisely one way in which to express such an event. Second, the human’s relation to being is one of sameness. Like Parmenides, Heidegger constantly endeavors throughout his corpus to understand the sameness of thinking and being, 57 even if the way in which that relation is described changes over time. Now, if it is true that the language of releasement is a fitting way to describe the essence of the human and of being, if, at their core, being and thinking are one in Gelassenheit, then the way we relate to being cannot be as to an object standing over against us. Nor can the task simply be to divest ourselves of all traces of agency so that being may act upon us as passive recipients. There is no outside of being. Being is not an otherworldly deity to entrap and compel or to beseech and receive from. At stake is rather attuning ourselves to this relation and finding fitting words to describe it. Since this relation is neither subjective nor objective, neither active nor passive, the metaphysical language that we inherited above all from Aristotle and that became rigidified in modernity, that language which divides the world into subject and predicate, agent and patient, and which foists the semantic weight of the verb onto the subject of the sentence 58—that language cannot suffice. Other linguistic resources nonetheless remain, even if just under the surface of our modern languages. Throughout his career, Heidegger drew on such resources, especially the middle voice of releasement, to think outside metaphysical binaries. By heeding this voice, not only may we find unity amidst the twists and turns of Heidegger’s thought; we may also begin to think being and the human otherwise than metaphysically.

als Philosophieren liegt die ursprüngliche Gelassenheit des Daseins.« Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 401. 57 See Heidegger’s letter to Karl Jaspers from August 12, 1949, in: Walter Biemel and Hans Saner (ed.), Martin Heidegger/Karl Jaspers: Briefwechsel 1920–1963, Frankfurt am Main, Klostermann, 1990, 181–182. 58 For the origins of this procedure in Aristotle, cf. Pierre Aubenque, »The Relationship between Hermeneutics and Ontology in the Case of Aristotle’s ΠΕΡΙ ΕΡΜΕΝΕΙΑΣ,« translated by Tom Krell and Ian Alexander Moore, Graduate Faculty Philosophy Journal, 34 (1), 2013, 3–20.

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Style and Logic Entwined An Interpretation of Heidegger’s Welt weltet Giulia Lanzirotti

Abstract: In view of rethinking the question of the meaning of being, Heidegger’s effort is addressed to a preparatory research for a new way of conceiving the ontological issue: he elaborates new conceptual instruments in order to outline an ontology and a logic built upon the concept of modality. Therefore, Heidegger employs an original style, aiming to overcome metaphysical thinking and to express the modal logic of his ontology, exploiting paronymy and the syncategorematic parts of language. Considering the intimate interconnection between style and logic, I propose an interpretation of the Heideggerian expression Welt weltet – World worlds: it shall be read as an alternative to the apophantic judgment, and specifically as the stylistic result of a theoretical path supported by a modal-syncategorematic logic. Considering its form, the relation between its parts and its meaning, Welt weltet reflects in the stylistic-linguistic dimension the philosophical reconsideration achieved at the logical-categorial level. Zusammenfassung: In Hinblick auf ein erneutes Durchdenken der Frage nach dem Sinn von Sein bemüht sich Heidegger um eine vorläufige Forschung in Richtung eines neuen Verständnisses der ontologischen Frage. Er erarbeitet neue begriffliche Werkzeuge, um eine Ontologie und Logik zu entwerfen, die auf dem Begriff der Modalität beruhen. Deshalb verwendet Heidegger einen originellen Stil, der das metaphysische Denken überwindet, die modale Logik seiner Ontologie ausdrückt und gleichzeitig die Paronymie und die synkategorematischen Teile der Sprache ausnützt. Mit Bezug auf die innerliche Beziehung zwischen Stil und Logik schlage ich die Auslegung des heideggerschen Ausdrucks Welt weltet vor, ihn als Alternative zum apophantischen Urteil und insbesondere als das Ergebnis eines theoretischen Ansatzes, der auf einer modal-synkategorematischen Logik basiert, zu lesen. Wenn man die Form des Satzes, die Beziehung zwischen seinen Teilen und seine Bedeutung betrachtet, dann spiegelt der Ausdruck Welt weltet in der stilistischen und sprachlichen Dimension die philosophischen Ergebnisse wieder, die auf der logischen und kategorialen Ebene gewonnen wurden.

40 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Style and Logic Entwined

1.

Introduction

Heidegger’s entire project is an attempt to rethink the question of the meaning of being that has been forgotten by the Western philosophical tradition. In the context of an overt and constant criticism of the main figures of the history of philosophy, especially in the early period of his career, Heidegger’s effort is addressed to a preparatory research for a new way of conceiving the ontological issue. With this perspective, Heidegger elaborates new conceptual instruments in order to outline an ontology and a logic built upon the concept of modality. Therefore, Heidegger employs a particular style, whose originality corresponds to the need for emancipation from metaphysical thinking and its language, and to the need of adequately communicating his philosophical proposal. He chooses a style which primarily exploits paronymy and the syncategorematic parts of language that are picked to express the modal logic of his ontology. Considering the intimate interconnection between style and logic, I propose an interpretation of the Heideggerian expression Welt weltet – World worlds 1 that exceeds the mere textual comment boundaries: it will be read as an alternative to the apophantic judgment, and specifically as the stylistic result of a theoretical path supported by a modal-syncategorematic logic. Welt weltet, considering its form, the relation between its parts and its meaning, reflects in the stylistic-linguistic dimension the philosophical reconsideration achieved at the logical-categorial level.

2.

Terminological Clarification

Given these premises, to avert any misunderstanding, a terminological clarification of the notions of style and logic is necessary. Style, here, does not denote something merely rhetorical, aesthetic or exterThe expression appears for the first time, exactly in this form – with no article – in Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 30 / Martin Heidegger, »The Origin of the Work of Art«, in Martin Heidegger, Off the Beaten Track, translated by Julian Young and Kenneth Haynes, Cambridge, Cambridge University Press, 2002, 23. The expression appears also in Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 183; Heidegger, Seminare (Übungen) 1937/38 und 1941/42, GA 88, 261; it appears also in an inverted form »in sie eingelassen / weltet Welt« in Heidegger, Gedachtes, GA 81, 289. I would like to thank my colleague Ian Alexander Moore who informed me about these last references.

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nal to the philosophical purpose. The notion of style can be defined as the expressive form of a content, strictly connected and co-essential to it, and as the recognition device of the underlying logic. As every thinking needs a suitable language to convey its precise message, the choice of a style has philosophical import: 2 the style is the condition of possibility for the expression of any thought. Therefore, style is an essential theoretical instrument and not a secondary component: 3 a philosophical content with no style does not exist, the style itself is the how of the thinking that shapes it, manifests it and makes it accessible. Regarding the notion of logic, it should not be only referred to the syllogistic or formal discipline – and not even in its (neo)Kantian acceptation. 4 Here, logic is intended in a very broad sense, as the structure of thought that represents the weave of a specific philosophy, the schema that provides the framework onto which, thanks to the style, it is possible to follow the theoretical movement of the thing – Sache – of thought. Logic is the how of the unravelling of ontology, with its minimal »rules« that regulate the categorial setting and the theory of judgment. Conceiving logic in this wider meaning, we shall The philosophical relevance of style has been supported by Manfred Frank, »Style in Philosophy: Part I«, Metaphilosophy, 30 (3), 1999, 145–167 and »Style in Philosophy: Part II and III«, Metaphilosophy, 30 (4), 1999, 264–301. 3 Heidegger himself is engaged with the issue of style and he is aware that a philosophical stand that really wants to overcome the metaphysical tradition and change the paradigm is also committed to renovating the vocabulary and finding new expressions. In History of the Concept of Time, Heidegger explicitly informs the reader that in his inquiry about being they will find »formulations which at first will seem strange and above all will perhaps seem quite involved. But this clumsiness in formulation and definition lies in the theme and in the very nature of the investigation […]. If we are forced here to introduce ponderous and perhaps inelegant expressions, it is not a matter of personal whim or a special fancy for my own terminology, but the compulsion of the phenomena themselves«, in Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, GA 20, 203 / Martin Heidegger, History of the Concept of Time, translated by Theodore Kisiel, Bloomington, Indiana University Press, 1985, 151. 4 For an in-depth analysis of Heidegger and logic, cf. Jitendranath N. Mohanty, »Heidegger on Logic«, Journal of the History of Philosophy, 26 (1), 1988, 107–135 and also Stephan Käufer, »On Heidegger on Logic«, Continental Philosophy Review, 34, 2001, 455–476. The reader is also referred to the following secondary literature on this topic: Thomas A. Fay, »Heidegger on logic: A genetic study of his thought on logic«, Journal of History of Philosophy, 12, 1974, 77–94; Thomas A. Fay, Heidegger: The Critique of Logic, The Hague, Martinus Nijhoff, 1977; Walter Bröcker, »Heidegger und die Logik«, Philosophische Rundschau, 1, 1953–54, 48–56. 2

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distinguish between two kinds of logic that correspond to two different philosophical approaches: determinative logic and modal logic which respectively use a categorematic and a syncategorematic style. 5 Following the reciprocal connection between logic and style, I am going to briefly discuss some theoretical passages of Heidegger’s proposal in order to clarify the concepts and to end up having all the elements to reinterpret the Heideggerian expression Welt weltet.

3.

Determinative Categorematic Logic and Modal Syncategorematic Logic

Schematically speaking, the history of philosophy can be conceived as characterized by the constant confrontation between the question about what and the question about how, as the main dichotomy that has dominated the other philosophical divisions. By and large, philosophy has ascribed a role of pivotal importance to the dimension of what and a merely dependent function to the dimension of how. a) Determinative logic – and ontologies – follows this direction, searching for the ultimate substratum of reality as a necessary universal foundation. The overall idea is that at the very base, despite all the possible stratifications, there is a hard core, a unity of sense that is the fundamental substratum, essential, absolute, immutable and unrelated. Determinative logic – the logic of metaphysics criticized by Heidegger – has the task of recognizing and demarcating these circumscribed atoms upon which the whole ontological building is constructed. From a stylistic standpoint determinative logic fosters predicative attributes and mostly the name – the parts of discourse called categorematic, traditionally considered to possess a meaning without any connection. 6 Heidegger’s criticism of Descartes can be seen as the The idea to combine determinacy and categoremata, modality and syncagoremata has been developed by Gaetano Chiurazzi. Cf. Gaetano Chiurazzi, Modalità ed esistenza. Dalla critica della ragion pura alla critica della ragione ermeneutica: Kant, Husserl, Heidegger, Roma, Aracne, 2009; Gaetano Chiurazzi, Hegel, Heidegger e la grammatica dell’essere, Bari, Laterza, 1996. 6 For a definition of the notions of categorematic (and syncategorematic), cf. Edmund Husserl, »Untersuchung IV«, § 4–5, in: Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, Zweiter Band, Zweiter Teil, Husserliana, Band 19, The Hague, Martinus Nijhoff, 1984 / Edmund Husserl, »Investigation IV«, in Edmund Husserl, Logical Investigations, vol. II, translated by John Niemeyer Findlay, London, Routledge & Kegan Paul, 2001. 5

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paradigmatic example that sums up the main features of the determinative logic and its categorematic style. First of all, Descartes is the father of subjectivism: with the discovery of cogito he offered a new foundation to metaphysics, conceiving the ego as the rationalistic clear and distinct substance, undoubted, solipsistic and absolute. The identification of the subject, as the ultimate and fundamental substratum, is reached through a process of de-worlding and de-vivification of the experience: by means of this theoretical operation, the world is reduced to something completely separated and external to the subject, and the experience itself is reduced to a gnoseological dualistic relation – a static contra-position – between subject and object. As ruled by determinative logic, Descartes’s question is interested in determining the what (quidditas) of subject and object that find their definition in the notion of res (cogitans and extensa). The notions of res and realitas (reality), inherited from the Aristotelian and Scholastic tradition, may be regarded as the central stylistic categorematic instrument of the determinative logic of metaphysical thinking that persists even until Husserl. Realitas refers to the inquiry about whatness and thing-ness; res is the thing, the object conceived in a nominal categorematic sense, as a res is a being defined by its essential attributes. 7 The notion of res is the stylistic declination of the experience and its object in terms of affirmative and posited predicates; it entails the determinative identification of the ens, as ontologically circumscribed, unrelated, autonomous, in order to provide an attributive definition de re, that would encapsulate its essence. 8 b) Modal logic 9 is the logic of ontologies, like Heidegger’s, that invert the main relation between the dimension of what and how, attributing a role of primacy to the latter. 10 Modal logic is based upon Cf. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, § 7 / Martin Heidegger, The Basic Problems of Phenomenology, translated by Albert Hofstadtes, Bloomington, Indiana University Press, 1982. 8 Cf. Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, GA 20, § 22. / Martin Heidegger, History of the Concept of Time. Prolegomena. Translated by Theodore Kisiel, Bloomington, Indiana University Press, 1985, § 22. Here Heidegger talks about Descartes’s use of attribute. 9 Modal logic does not refer exclusively to the alethic modalities or to the three Kantian modalities of being (possibility, actuality, necessity). Modal here refers to a wider domain. 10 Mohanty discusses Heidegger’s ontology in Hermeneutic Logic, stating that it is present in Heidegger’s work but yet not developed. Cf. Mohanty, »Heidegger on Logic«, 130. 7

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the concept of possibility, modality, and relation: it tries to outline the how of the manifestation of the phenomenona that cannot be reduced to a pure, simple res. In modal logic there is no absolute res or immobile substance, but all its elements manifest themselves in their own modus, they are always articulated, temporal, and synthetic, because there is no what without how. By contrast with the determinative logic, modal logic paradigmatically finds its stylistic instruments in the components of preposition, indexicality, deixis, paronymic inflexion 11 and so forth – all those elements called syncategoremata have no independent meaning but are functions of the synthesis of language. 12 This logic can be considered the skeleton of Heidegger’s thought. In fact, from the very beginning, Heidegger denounces the insufficiency of the predicative conception of categories, and the general inadequacy of traditional concepts to capture the originary movement of life experience. For this reason, Heidegger sketched his logic conceiving categories as modalities – as modes, syncategorematically articulated, of existence. As is well known, the analytic of Dasein is an antidote to the logic of metaphysics and especially to Descartes’s dualistic approach: unlike the cogito, Dasein, whose essence is existence, is constitutively in–the–world; it is not an immobile subject in front of an object, but it is always open and intentionally related to its worldly context; it is not an absolute substratum but it is always finite, temporal, related, dynamic and in action. This inner κίνησις (Bewegtheit) that characterizes Dasein represents one of the main challenges of Heidegger’s modal logic that lives in the tension between the concrete need to have categories that do not entrap the stream of experience and, at the same time, the need not to dissolve it in some sort of irrationalistic vitalism. Heidegger’s stylistic research is an attempt to tackle this issue. So, for example, even if Dasein is a constitutively lacking and pro-jected being, nevertheless it is not completely dispersed in the world: Dasein always has the character of being-in-each-case-mine, of Jemeinigkeit. The possessive »mine« (mein) recalls that Dasein always recognizes himself, even if his identity should not be confused with the reflexive one of the Cartesian subject: Dasein has the strucThe notion of paronymy concerns the various inflections of a word that bend it from its normal form. This notion is mentioned in Aristotle, Categories, 1 a 12–15. 12 Cf. Husserl, »Untersuchung IV«, § 4–5, / Husserl, »Investigation IV«, § 4–5. 11

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ture of Jemeinigkeit which is at the same time also »Jeweiligkeit« and »Diesmaligkeit«. 13 Its identity is not established once and for all but, thanks to some adverbial expression (jeweils and diesmal), immediately flexed in its temporal facticity. This implies that Dasein’s experience is conceived as an open process, ruled by categories that concern the movement of life and the ontological relations between Dasein and World, Dasein and others, Dasein and himself. Following this modal logic, Heidegger elaborates Dasein’s categories with syncategorematic expressions, using prepositions, adverbs, indexicals, and hyphens: this way, categories are not predicative determinations or intellectual functions à la Kant, but existential modalities, dually articulated to Dasein and to the world. The syncategorematic style expresses the structure of experience in an antisubstantial key since neither Dasein nor world are res. The latter is not a collection of things but an horizon of possibility, a self-structured dimension of meaning and involvements where the Dasein can actualize his possibilities. The original relation between Dasein and world is not dualistic or intellectual, but it is a relation of immersion, where both components are in reciprocal action.

4.

»Welt weltet«

With this brief incursion in Heidegger’s thought, we have touched upon various theoretical moments of his criticism of what has been called determinative logic and of his original philosophical proposal, supported by a logic of modality expressed by sincategorematic style. Since the theory of judgment can be considered as the linguistic implication where every ontology, metaphysics or any other doctrines deposit their own assumptions and results, I am going to move now to a very peculiar Heideggerian expression, Welt weltet, in which the device of style and logic are entwined. Extrapolating it from its text, I would like to propose an interpretation that goes beyond the pure textual exegesis: Welt weltet reveals itself as the stylistic result in which the theoretical motives of modal logic blend and sediment. These formulations are found in Heidegger, Der Begriff der Zeit (Vortrag 1924), GA 64, 112, 113, 115, 116, 118, 122, 123 and 124 / Heidegger, The Concept of Time, translated by William McNeill, Oxford, Blackwell, 1992, 6, 8, 10, 11, 12, 14, 19, 20 and 21.

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Welt weltet – World worlds – is a difficult expression to classify. At first glance it reminds us of a tautology, but actually it is not a tautology in its classic sense, 14 it might be better defined as »nearly a tautology.« 15 World worlds is not an »A is B«, neither an »A is A«, but something more similar to an »A A-s«, an »A that reveals its A-hood.« Let us try to define this expression more precisely.

5.

The Formal Structure of »Welt weltet«

From a formal perspective, Welt weltet offers a stylistic alternative to the declarative judgment »A is B«. The apophantic judgment provides for the connection of two elements, subject and predicate, which correspond to the nominal attributive categorematic parts. In such a construction, the subject is traditionally understood as the ontologicallinguistic substrate that possesses the proprieties expressed by the predicates. Following Aristotle, in the judgment »S is P« what is highlighted is the isolation of the two categorematic terms and, thanks to the copula, their correlation of belonging. In De interpretatione 16, Aristotle identifies the name and the verb as the two parts of discourse that have an autonomous meaning, independent from any kind of connection; he also notices that, whereas the name is a sound capable of signifying »without time« 17, the verb has a plus: »verb is what additionally signifies time.« 18 In declarative sentences, the only For formal logic a tautology is a formula that is always true, in every possible interpretation. Here the Heideggerian expression escapes from the traditional form of judgment and, consequently, from the traditional understanding of the notion of truth; for an interpretation of Heidegger’s system as »describable as tautologie«, cf. Tze-wan Kwan, »Hegelian and Heideggerian Tautologies«, Analecta Husserliana, 88 Dordrecht, Springer, 2005, 317–336. 15 Henry Lefebvre, talking about Welt weltet, defines it »nearly a tautology«. Henry Lefebvre, De l’État, tome IV: les contradictions de l’État moderne, Paris, UGE, 1978, 416, quoted in Geoffrey Waite, »Terrorizing tautology«, in: Kanishka Goonewardena, Stefan Kipfer, Richard Milgrom and Christian Schmid (ed.), Space, Difference, Everyday life: reading Henry Lefebvre, New York, Routledge, 2008, 103–115, 103. 16 I choose this Aristotle text as main reference. De Interpretatione has a pivotal importance for Heidegger and his question of language, judgment and truth. Cf. especially the chapter about Aristotle’s logic in Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21 and Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, § 72. 17 Aristotle, De interpretatione, 16a 19. 18 Aristotle, De interpretatione, 16b 6. 14

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ones bearing truth-value, name and verb must be presented in their »normal« form: the name in the nominative case, the verb in the third singular person of the present indicative. In this form, the verb can be analyzed and divided in its two internal components: according to Aristotle, we can translate it into a phrase made of a nominal part, which expresses its real meaning, and a copula. This means that every sentence with a name and a verb – for example »Socrates walks« – can be transformed into a statement with copula and predicate – »Socrates is walking« –, because »there is no difference between saying that a man walks and saying that a man is walking.« 19 The intervention of the copula allows to convert the verb into a de re predicate in order to circumscribe its nominal semantic component, purifying it from its typical time-coefficient. The verb becomes an attribute of the subject, which is expressed by the name. This way, in the declarative judgment, the copula ties up the two categorematic parts, rendering the relation of categorematic belonging between the subject and its predicates that reflects the metaphysical relation between substance and its attributes. Comparing »S is P« with Welt weltet, we may notice that, respect to the »standard« formulation, Heidegger’s two terms expression substitutes the nominal-categorematic relation with a flexive, syncategorematic one, inverting the principles and the implication embedded in the traditional theory of judgment. Analyzing the expression Welt weltet, we can notice that »Welt«, supposed to assume the role of subject, is not a name, or at least it is a variation of the name – it is not a perfect nominative, to be complete it would also need the article, die Welt (the world). By this omission, the incipit of the judgment is left undetermined and open. Regarding the word »weltet«, this is not precisely a verb and even less a predicate: with a grammatical license, Heidegger transforms the noun Welt into a sort of verb (adding the suffix -et). This way, the welt–et, as a sui generis verbal form, is not equivalent to a predicate and therefore, comparing with the classical three terms judgment, also the formal conclusion of Welt weltet remains undetermined and open. The absence of the copula, that in »S is P« allows to highlight the connection of belonging, permits the weltet to preserve the verbal temporality without reducing it to a predicate. Heidegger thus subverts the categorematic principle of nominalization of the parts of the judgment: in the metaphy19

Aristotle, De interpretatione, 21b 8–10.

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sics of substance, the verb is purified from its temporality, it becomes a de re predicate; Heidegger does not »nominalize« a verb, but rather the opposite, he »verbifies« a noun. He modalizes, with the temporal declination, the name (categorema par excellence), operating a verbification that donates to the static nature of the name a dynamic impulse, 20 giving to the whole judgment a new internal movement. In place of a clear dualistic scission between subject and object, there is a paronymic relation between the two terms due to the verbal fluidification of the name that gives a new kind of combination of identity, disclosure and movement. The paronymic inflection renders, therefore, a renewed relationship between the elements that are not so isolated, neither linguistically nor ontologically, as the categorematic logic would. Welt weltet, released from the copula, is not closed in predication: inflection changes the relationship between the two terms which are not in a relationship of metaphysical attribution but refer to each other, creating a circular space of interdependence and, at the same time, of lacking and openness. In the next paragraphs, shifting from the form of the expression to its content, we can better explain, in the light of our path, the formal stylistic recommendations just proposed and say something about the stylistic suggestions that the expression can propose.

6.

»Weltet« and Motion

In Welt weltet – World worlds, World is not a mere collection of the things – countable and uncountable, known and unknown – that are present at hand. Neither is world a merely imaginary framework added by our representation to the sum of things that are present. World worlds, and is more fully in being than all those tangible and perceptible things in the midst of which we take ourselves to be at home. World is never an object that stands before us and can be looked at. World is that always-non-objectual […]. 21

If world does not fit within the category of object, in the judgment it cannot represent what we canonically consider as subject or predicate. Waite observes that with Welt weltet, Heidegger is »giving ›middle-voiced‹ verbal impulsion to the substantive«. Waite, Terrorizing tautology, 103. 21 Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 30 / Heidegger, The Origin of the Work of Art, 23. 20

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It cannot respond to a determinative logic that would treat it like a res, since it is not possible to think world as a static concluded entity: it is an open structured dimension connoted, like Dasein, by an inner motion, an inner κίνησις. In Heidegger’s interpretation of Aristotle, the concept of κίνησις is also associated to that of δύναμις (possibility) and both concepts animate the nature of the world. 22 In his reading of Metaphysics Book IX, Heidegger focuses on the fact that any movement of δύναμις always retains in itself a στέρησις, a privation. 23 Any κίνησις is related to a δύναμις that is ineradicably connected to an inner στέρησις; and it is precisely this privation that is the cause and the engine of the whole movement which is not, hence, a heteronomous κίνησις but constitutive. In line with this, stylistically, Welt weltet suggests this frame due to paronymic inflection. The paronymic inflection not only renders the kinetic motion with the verbal declination but also permits the entire expression to maintain itself within a single semantics, namely that of the world, without inserting any other »external« elements: it is the world itself that »worlds«, always involved in a motion that has its origin in the world itself; the world, as an always open, temporal flux, is not a thing but natura naturans which finds the dynamic energies uninterruptedly in itself; its movement continues in the attempt to supply its privation always drawing from itself. In the expression, the paronymic semantic constraint between Welt and weltet plus the verbal inflection stylistically mirror the peculiar kinesthetic fluidification that is to be understood also as a structural autonomy that, inscribed in the στέρησις, is not the self-sufficiency of the thing. Contrary to res, to the being of Dasein and of world pertains a certain degree of incompleteness: due to this incompleteness – recognizable in the formal indeterminateness of Welt weltet – Dasein is originally practical facticity and never ἔργον, and the world is primarily naturans rather than object of contemplative knowledge. Therefore, it is just a categorematic illusion to force the world into specific compartments. Nevertheless, it does not imply that any kind of category, deterHeidegger connects κίνησις and δύναμις in the essay Vom Wesen und Begriff der »physis«. Aristoteles, Physik B,1, GA 9, 239–301. 23 Cf. Heidegger, Aristoteles, Metaphysik θ 1–3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft, GA 33. 22

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mination or order to experience and to the world is to be excluded, as in an irrationalistic Heraclitean flux, impossible to catch in any form. In the next paragraph, I shall focus on this issue more closely: the analysis of Welt weltet – and especially of the paronimy of weltet – will suggest the possibility to include categories into the structure of world and experience, but only if we renew the account of categories, since these latter should be adequate to grasp a phenomenon always in motion and in time.

7.

»Welt weltet«, »es weltet« Vs. the Theoretical

The tendency to entrap the experience into categorematic schemas is not only typical of the Cartesian metaphysics but also marks the scientific quantitative attitude. Science shares the same illusion of possessing once and for all the intimate being of a phenomenon. Against this will to power, in The Origin of the Work of Art, Heidegger gives an example: he points out that the heaviness of a stone cannot be grasped with traditional instruments because if we try »by placing it on a pair of scales, then we bring its heaviness into the calculable form of weight. This perhaps very precise determination of the stone is a number, but the heaviness of the weight has escaped us.« 24 The failure lies in the fact that the being of stone does not consist in being-stone-object but properly in that heaviness – the stone’s how – that retracts from categorical intentions of theorizing. The same kind of problem can be seen also within the so-called Theoretical Attitude 25 that characterizes previous philosophers, including neo-Kantians and Husserl who, besides subscribing to subjectivism, get into a sort of Myth of the Given. Thanks to the famous analysis of the lectern, 26 Heidegger retraces the steps taken by the Theoretical Attitude that, starting from the lectern in its environment, through the Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 33 / Heidegger, The Origin of the Work of Art, 25. 25 The Theoretical Attitude has been considered as paradigmatic by Denis McManus, Heidegger and the measure of Truth: Themes from His Early Philosophy, Oxford, Oxford University Press, 2012. 26 Cf. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57 / Martin Heidegger, Towards the Definition of Philosophy, translated by Ted Sadler, London: Continuum, 2002. 24

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lectern as a brown surface, arrives in the end to the mere sensation of brown. This one is conceived, mistakenly, as an ultimate primitive and pure datum. To reach this distorted result, Heidegger observes that the theoretical explanation employs methodologically a »fragmentation« and »destruction« of the experience: »when I attempt to explain the environing world theoretically, it collapses upon itself.« 27 The theoretical process – a process of objectification that converts the richness of the environment into a formal, empty, de-worlded object – is accompanied by a process of de-vivification. Instead, what is given and comes first when we experience the lectern embraces everything that surrounds it and contributes to its meaning: the world, as Umwelt, constantly conditions the possibility of our experience. In the experience of seeing the lectern something is given to me from out of an immediate environment [Umwelt]. This environmental milieu […] does not consist just of things, objects, which are then conceived as meaning this and this; rather, the meaningful is primary and immediately given to me without any mental detours across thing-oriented apprehension. Living in an environment, it signifies to me everywhere and always, everything has the character of world. It is everywhere the case that ›it worlds‹ [es weltet], which is something different from ›it values‹ [es wertet]. 28

The expression Es weltet, akin to Welt weltet, includes several critical allusions and innovative suggestions: the impersonal indicates, through the same strategy of verbification, that world is not an object of theoretical positing. The »it worlds« is not established theoretically, but is experienced as »worlding.« 29 Heidegger plays on the assonance with the neo-Kantian expression es wertet (it values), whose principle he wants to overturn. Es weltet represents the stylistic conversion of the dualistic neo-Kantian schema that distinguishes two levels: the value one, universal and categorial dimension, and the world one, temporal and inconstant. By es weltet, therefore, Heidegger gives to the world the linguistic formula destined to the valuecategorial dimension, performing a reversal: with es weltet, Heidegger is claiming that Umwelt is not just a simple frame, secondary for

Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 86 / Heidegger, Towards the Definition of Philosophy, 68. 28 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 73 / Heidegger, Towards the Definition of Philosophy, 58. 29 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 94 / Heidegger, Towards the Definition of Philosophy, 73. 27

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the experience, but is the essential horizon and context for any experience. Es weltet denotes the world as a »certain ordered realm within which one stands in a certain orientation and directness« 30, a self-structured domain that shows itself as a particular configuration of meaning – a context of meaning (Bedeutsamkeit) and meaningful involvements (Bewandtnis), 31 that exhibits a sort of categorical framework always temporal. In conclusion, the verbal declination of Welt does not only indicate the intrinsic movement of the world: weltet is also the stylistic translation of the category. The verbification gives a temporal tone to the categorial of the world, which is not a mere predicate or a subject’s projection, but an open structure in action that manifests itself in time and space. The world is not a res dualistically known by the subject and not even something disaggregated in its motility: as we have seen for Dasein’s identity, in Welt weltet the paronymic relation suggests that a sort of identity is maintained; the co-affinity of the two terms creates a space of identity that contemplates, in itself, a dynamic articulation.

8.

Conclusion

In the expression Welt weltet, the paronymic relation gives to the analysis the possibility to speculate and interpret the world in light of Heidegger’s modal logic: not as a res but as an always flexed, temporal, kinesthetic phenomenon and, at the same time, as something with an identity and a structure. Behind the apparent obvious and simple formulation of the expression that seems unable to communicate anything, or to act as a springboard for some other philosophical impulses, there is, condensed in the style, a theoretical plus that inhabits the expression: it becomes the hermetic result of a complex philosophical speculation, synthesized in this original variation of judgment. Once we break the simplicity of Welt weltet and once we

Jeff Malpas, Heidegger’s Topology: Being, Place, World, Cambridge, MIT Press, 2006, 55. 31 Malpas, Heidegger’s Topology: Being, Place, World, 55. Talking about Welt weltet, T. Sheehan says: »When Heidegger says that ›the world worlds‹ (die Welt weltet), he means that the world allows for the meaning of whatever is found in it«. Thomas Sheehan, »The Turn«, in Bret W. Davis (ed.), Martin Heidegger: Key Concepts, Durham, Acumen Publishing, 2009, 82–101, 98. 30

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glimpse the ontological and theoretical universe that the expression summarizes, the apparent obviousness returns to be an obviousness but, now, a philosophical one: Welt weltet becomes the only way to express immediately the various underlying logical-categorial implications.

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort Perspektiven auf Heideggers Trakl-Interpretation Diego D’Angelo

Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, Perspektiven auf Heideggers Trakl-Interpretation zu eröffnen. Dabei wird sich zeigen, dass die Sprachphilosophie Heideggers in Unterwegs zur Sprache vor allem um den Begriff des Wortes kreist und dass die Charakteristika des Wortes besonders klar in der Dichtung zum Vorschein kommen. Das Wort stellt sich dabei als ein Zusammenspiel von Einheit beziehungsweise Einzigkeit und Mannigfaltigkeit dar, da es einerseits unersetzbar, andererseits konstitutiv mehrdeutig ist. Dieses Zusammenspiel wird dann im Hinblick auf den Begriff der Wahrheit durch eine Interpretation einiger Gedichte von Trakl fruchtbar gemacht. Das dichterische Wort als Versammlung von Einheit und Mannigfaltigkeit lässt Dinge erscheinen, und zwar insofern, als es den ursprünglichen Bezug zur Wahrheit des Seins stiftet. Dieser Bezug ist aber deswegen möglich, weil Wahrheit ein ähnliches Zusammenspiel wie das des Wortes aufweist: Die Einheit der Wahrheit des Seins (die immer Wahrheit des Seins ist) versammelt sich in den jeweiligen, mannigfaltigen Wahrheiten der Seinsgeschichte. Abstract: The aim of this contribution is to open up new perspectives on Heidegger’s interpretation of Trakl’s poetry. By doing this, it will come to the fore that Heidegger’s philosophy of language in Unterwegs zur Sprache deals with particular emphasis with the concept of »word« and that the peculiar character of the word emerges most notably in poetry. The word is interpreted, in this context, as the interplay of unity (or unicity) and variety, because the word is irreplaceable, but constitutively polysemous. This interplay is then employed in relation to the concept of truth in an interpretation of a few of Trakl’s poems. The poetical word as gathering of unity and variety lets things manifest themselves: this is possible insofar as the word institutes the original connection to the truth of being. This connection is only possible because truth itself shows a similar interplay of unity and variety: the unity of the truth of being (truth is always truth of being) gathers in the manifold »truths« of history of being.

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1.

Einführung in den Begriff des Wortes in Heideggers Denken

Die philosophische Reflexion des 20. Jahrhunderts hat bekannterweise der Sprache zahlreiche Analysen gewidmet. Überlegungen zur Sprache als einem genuin philosophischen Problem sind natürlich schon bei den Vorsokratikern vorhanden und erreichen bei Platon und Aristoteles den Status eigenständiger Probleme; dennoch wurde die Aufmerksamkeit im letzten Jahrhundert noch stärker auf die Sprache und auf verschiedene Sprachphänomene gelenkt, nicht zuletzt dank der Fortschritte in der Linguistik und dem darauffolgenden sogenannten »language turn« in der Philosophie. Will man das Augenmerk nicht so sehr auf das Phänomen der Sprache in seiner Totalität (und entsprechender Allgemeinheit) richten, sondern vielmehr darauf, was in unserem alltäglichen Verständnis den wichtigsten Baustein für die Sprache selbst darstellt, nämlich das Wort, so lassen sich die Ansätze, die sich ausdrücklich mit dem Begriff des Wortes auseinandersetzen, schnell aufzählen. Dabei wären sicher auch u. a. diejenigen von Wittgenstein, Austin und Jaspers zu berücksichtigen. Das Ziel des vorliegenden Textes besteht aber darin, Perspektiven auf die Philosophie des Wortes von Martin Heidegger anhand seiner Interpretation der Dichtungen Georg Trakls zu eröffnen. Dabei geht es demnach weder um eine Gesamtinterpretation von Heideggers Auseinandersetzung mit Trakl, noch um die Rekonstruktion einer vermeintlichen Theorie des Wortes bei Heidegger, sondern nur um das Aufzeigen einiger wenigen Zusammenhänge, die bis dato in der Forschung nicht hinreichend beleuchtet worden sind. Was den Ansatz Heideggers gegenüber verwandten Überlegungen über das Wort auszeichnet, ist die Tatsache, dass eine Zurückführung des Wortes auf eine Klasse von Zeichen explizit verleugnet wird, und dass durch eine zugespitzte Aufmerksamkeit für das dichterische Wort seine Sprachphilosophie, zumindest in seinen späteren Werken, in eine Philosophie der Dichtung umschlägt. Gerade im Rahmen einer solchen Philosophie der Dichtung wird dem Wort eine herausragende Funktion zugesprochen. Das Wort ist nämlich einerseits, gegenüber der Sprache als Gattung, einfach und einheitlich: es ist eben nur ein Wort, dieses Wort, das sich differentiell von anderen Worten abgrenzt. Das Wort ist im allgemeinen, alltäglichen Verständnis ein Baustein der Sprache. Diese Grundzüge kann man unter dem all56 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

gemeinen Stichwort der Einzigkeit und Einheitlichkeit des Wortes fassen. Andererseits ist ein einzelnes Wort mehrdeutig; und allgemein bietet ein einziges Wort mehr Interpretations- beziehungsweise Deutungsmöglichkeiten in sich als ein ganzer Satz. Ein Wort umschließt also in seiner Einheitlichkeit eine Mannigfaltigkeit. Diesen Zusammenhang will der vorliegende Beitrag aufzeigen. Der allgemeine Rahmen von Heideggers Verständnis des dichterischen Wortes grenzt sich stark vom allgemeinen Verständnis des Phänomens der Sprache überhaupt ab. Wird in der Sprachphilosophie das Wort als Baustein des jeweiligen Sprachsystems aufgefasst und vor allem auf die Korrelation Wortlaut-Wortbedeutung hin untersucht mit dem Ziel, eine Theorie des Wortes aufzustellen, so hat Heideggers Auseinandersetzung mit der Sprache ein radikal anderes Programm. Sein Denkweg ist nicht auf die Aufstellung von Theorien und philosophischen Systemen aus, sondern weist auf den konstitutiv performativen Charakter der Sprache und des Wortes hin, welcher darin besteht, mit der Sprache und dem Wort eine (nicht zuletzt ästhetische) Erfahrung zu machen. 1 Nur durch diese Erfahrung tritt nämlich das Zusammenspiel zwischen der Einheitlichkeit des Wortes und der Mehrdeutigkeit seiner Interpretationsmöglichkeiten zum Vorschein. Eine Erfahrung mit der dichterischen Sprache machen, heißt demnach genau: eine Interpretation (unter anderen möglichen Interpretationen) konsequent zu entwickeln, um damit einen Aspekt der dichterischen Wahrheit hervortreten zu lassen. Dieses Zusammenspiel von Einheitlichkeit beziehungsweise Einzigkeit und Mehrdeutigkeit des dichterischen Wortes gilt es, in diesem Text zu verfolgen. Da der Rahmen einer Untersuchung dieses Verhältnisses im Allgemeinen breit wäre und zahlreiche heranzuziehende Texte zur Verfügung stehen, möchten wir uns im Folgenden nur auf Heideggers Auseinandersetzung mit Trakl beschränken, eine Auseinandersetzung, die auf große Resonanz sowohl bei anderen Philosophen (etwa bei Jacques Derrida 2) als auch in der ForVgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 159. Zum Begriff des Performativen, allerdings vor allem im Hinblick auf den frühen Heidegger, vgl. Antonio Cimino, Phänomenologie und Vollzug. Heideggers performative Philosophie des faktischen Lebens, Frankfurt am Main, Klostermann, 2013. 2 Zum Thema sind vor allem die Werke von Jacques Derrida zu erwähnen, insbesondere Vom Geist und die drei Geschlecht genannten Texte. Jacques Derrida, Vom Geist. Heidegger und die Frage, Frankfurt am Main, Klostermann, 1991; Jacques Derrida, Geschlecht (Heidegger). Sexuelle Differenz, ontologische Differenz – Heideggers 1

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schung 3 gestoßen ist. Der Dialog zwischen Heidegger und Trakl, den wir hier anstellen, zielt nicht darauf ab, die Unterschiede beider Autoren zu tilgen, als ob Trakl und Heidegger »dasselbe« sagen würden. Die Auseinandersetzung dient nur dazu, kontrastiv einige Elemente in den Vordergrund treten zu lassen, die eine besondere Perspektive unter vielen anderen auf Heideggers und Trakls Verständnis des dichterischen Wortes anzuwenden und zu entwickeln gestatten. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass die Einheit und Mannigfaltigkeit des Wortes in einem engen Bezug zum Problem der Wahrheit steht. Das dichterische Wort entspricht der Wahrheit insofern, als die Wahrheit dieselbe Verschränkung von Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit aufzeigt. Wahrheit ist nämlich immer eine einzige als Wahrheit des Seins, aber sie erscheint jeweils in verschiedenen Figuren, quasi in verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Momenten der Seinsgeschichte. 4 Daher nimmt sich dieser Text vor, Heideggers Auffassung des dichterischen Wortes auf diese zwei Momente hin zu interpretieren. Nach einer kurzen, einleitenden Darstellung des Gesamtzusammenhangs von Heideggers Verständnis dessen, was ein »Wort« ist (2.), wird der zweite Teil dieses Textes (3.) das dichterische Wort untersuchen, wobei es vor allem darum gehen wird, die konstitutive Mehrdeutigkeit des Wortes zu betonen; erst dadurch wird der ursprüngliche Charakter des Wortes möglich, nämlich die Dinge in ihrer Wahrheit erscheinen zu lassen. Diese Funktion des Wortes, Dinge erscheinen zu lassen, zeigt sich insbesondere in der dichterischen Hand (Geschlecht II), Wien, Passagen Verlag, 2005; Jacques Derrida, »Heideggers Ohr. Philopolemologie (Geschlecht IV)«, in: Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2000, 411–492. 3 Unter anderem sei hier auf das neulich erschienene Buch von David Farrell Krell hingewiesen, wo es um Heideggers Trakl-Interpretation in der Lektüre von Jacques Derrida geht. Vgl. David Farrell Krell, Phantoms of the Other: Four Generations of Derrida’s Geschlecht, New York, Suny Press, 2015. 4 Die Wahrheit des Seins wird systematisch im Folgenden mit Sinn von Sein gleichgesetzt. Vgl. dazu John Sallis, Heidegger und der Sinn der Wahrheit, herausgegeben und übersetzt von Tobias Keiling, Frankfurt am Main, Klostermann 2012, insbesondere S. 11: »Das Wesen der Wahrheit als die Wahrheit des Seins zu denken, erweist sich als eine ursprünglichere Denkart als dasjenige, was in Sein und Zeit der Sinn von Sein genannt wurde.« Das Sein hat einen Sinn für Dasein, dieser Sinn kann sich aber in der Geschichte verändern – daher die verschiedenen »Epochen« der Seinsgeschichte. Das bedeutet, dass die Wahrheit immer eine ist als Wahrheit des Seins, sich aber geschichtlich unterschiedlich deklinieren lässt.

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

Sprache. Hier ist die Mehrdeutigkeit in der Bedeutung eines Wortes ein konstitutiver Bestandteil des ästhetischen Wertes dichterischer Verse. Gerade diese (unersetzbare) Mehrdeutigkeit verleiht der dichterischen Kunst die eminente Funktion, Dinge erscheinen zu lassen, ohne sie auf eine bestimmte Interpretation oder auf einen bestimmten Begriff zu fixieren. Diese Mehrdeutigkeit basiert aber andererseits auf der Einzigartigkeit, ja vor allem Unersetzbarkeit des dichterischen Wortes: Ein Charakterzug der Dichtung besteht darin, dass man die Worte nicht durch Synonyme ersetzen kann. Aus dieser Einzigartigkeit und Mehrdeutigkeit ergibt sich die wesentlich performative Funktion des dichterischen Wortes: Die Dichtung lässt uns eine Erfahrung mit der Sprache machen, und in dieser Erfahrung (wie immer in der Lektüre von Dichtungen) erscheinen Dinge. Dieses Erscheinen ist das Erscheinen der einen und einzigen Wahrheit, die aber jeweils anders erscheint. Der Zusammenhang von dichterischem Wort und Wahrheit ist Gegenstand des dritten Teils (4.), in dem eine nähere Interpretation einiger Gedichte von Trakl versucht wird. Methodologisch gesehen kann es in diesem Text selbstverständlich nicht darum gehen, eine gesamte Darstellung von Heideggers Wortphilosophie oder eine vollständige, philologisch korrekte Interpretation der Dichtung Trakls zu geben. In beiden Fällen wäre eine eigenständige Monographie notwendig, und die Forschungsliteratur hat sich mit beiden Themen stark beschäftigt. Der vorliegende Beitrag zielt einzig und allein darauf ab, einige Grundlinien in der Wortphilosophie Heideggers zu unterstreichen, um dann den Zusammenhang zwischen Wort und Wahrheit auf das Verhältnis von Einheit und Mannigfaltigkeit hin zu analysieren.

2.

Allgemeine Charakterisierung des Wortes in Heideggers Auffassung

Heidegger entwickelt eine ausgeprägte Philosophie des Wortes vorwiegend in den 1940er Jahren. Seine Reflexion auf die Sprache durchzieht sein Gesamtwerk und ist nicht zuletzt auch in Sein und Zeit vertreten; ebenso sind schon am Anfang seines philosophischen Schaffens wichtige phänomenologische Analysen der Sprache gewidmet. Andererseits, und obwohl sich eine konsequente Ausarbeitung der Frage dessen, was ein »Wort« ist, schon in Sein und Zeit antreffen 59 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

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lässt, kommt erst seine spätere Philosophie nach dem Hauptwerk, und insbesondere in den Jahren intensiver Hölderlin-Lektüre (in den 30er-40er Jahren), dazu, die Erfahrung des Wortes als eines eigenständigen Phänomens ins Auge zu fassen und den Beitrag der Dichtung hervorzuheben. Noch stärker rückt der Begriff des Wortes ins Zentrum der philosophischen Reflexion Heideggers mit den Texten aus den fünfziger Jahren, die im Band Unterwegs zur Sprache gesammelt sind. Da eine zugespitzte Reflexion auf den Begriff des »Wortes« sich de facto vor allem in späteren Werken finden lässt, und zwar maßgeblich in Unterwegs zur Sprache, wird es unmittelbar einleuchten, dass der vorliegende Beitrag sich auf diese späteren Werke konzentriert. Indem gerade die Trakl-Interpretation in diesem Zusammenhang herangezogen wird, kann die Rolle der Wahrheit und des Verhältnisses von Einheit und Mannigfaltigkeit klarer hervortreten. Zunächst einmal ist also eine kursorische, einleitende Untersuchung der Sprache notwendig, um die darauffolgende Untersuchung im richtigen Kontext einordnen zu können. Die Sprache hat in Heideggers Interpretation einen wesentlich philosophischen Aspekt, der sich durch empirische Erforschung nicht erschließen lässt. Heidegger besteht auf einer rein philosophischen Beschreibung der Sprache in ihrem Wesen, mit dem wir eine Erfahrung machen. Nur eine performative Auseinandersetzung mit der Sprache gestattet es, über die rein theoretische, wissenschaftliche Charakterisierung des Wortes als Zeichens für eine Bedeutung hinauszugehen. 5 Das Wort ist, in Heideggers Verständnis, das Ereignis der Wahrheit des Seins selbst (»Das Wort nennt das Ereignis als die quillende Wahrheit des Seyns« 6): Durch die Nennung des Wortes erscheint erst die Welt. In Bezug auf Stefan George macht Heidegger diesen Grundzug des Wortes deutlich: »Der Dichter hat erfahren, dass erst das Wort ein Ding als das Ding, das es ist, erscheinen und also anwesen lässt. Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein hält und erhält. Der Dichter macht die Erfahrung mit einem Walten, mit einer Würde des Wortes, wie sie weiter und höher nicht gedacht werden können.« 7 Die eigentliche Funktion des Wortes ist das ErFür eine erste Annäherung an das Problem des Wortes und des Zeichens im späten Heidegger sei hier auf das vor kurzem erschienene Buch von Krysztof Ziarek hingewiesen. Vgl. Krysztof Ziarek, Language After Heidegger, Bloomington, Indiana University Press, 2013, 78–129. 6 Heidegger, Zum Wesen der Sprache. Zur Frage nach der Kunst, GA 74, 54. 7 Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 158. 5

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

scheinenlassen, das aber nicht in eine Schöpfung von Dingen ex nihilo aufgeht, sondern in einem responsiven Geschehen als Ant-Wort verstanden werden muss. 8 Der Grundzug des Wortes besteht also in Folgendem: Sofern das Wort nicht auf das Zeichen reduziert ist, kristallisiert sich (versammelt sich) in ihm eine Welt von Bedeutungen, Dingen und Erfahrungen. Diese Kristallisierung beziehungsweise Versammlung ist aber nur deswegen möglich, weil das Wort in seiner Einheitlichkeit zu einer Mehrheit Anlass gibt, nämlich durch seine Vieldeutigkeit (Polysemie). Diese Vieldeutigkeit ist die Bedingung dafür, dass in den Worten die Wahrheit erscheinen kann. Dieses Erscheinenlassen, nämlich der Bezug des Wortes zum Sein, macht das Wort unersetzlich und wesentlich unübersetzbar.

3.

Das dichterische Wort

Zu einer Erörterung der Frage, warum denn ein Wort der Dichtung nicht durch Synonyme ersetzt werden kann, kommt Heidegger durch eine Interpretation von Goethes Wandrers Nachtlied II, insbesondere der ersten beiden Verse: Über allen Gipfeln Ist Ruh 9

Diese Erörterung befindet sich in der Vorlesung Grundbegriffe aus dem Sommersemester 1941, also mehrere Jahre nach der ersten Auseinandersetzung mit Hölderlins Hymnen Germanien und Der Rhein, aber unmittelbar vor den Vorlesungen zu Andenken und Der Ister. Ein längeres Zitat sei an der Stelle erlaubt: »Über allen Gipfeln/ Ist Ruh …«, in diesem »ist« spricht das Einzige eines gesammelten Reichtums. Nicht die Leere des Bestimmungslosen, sondern die Fülle des Überbestimmten verwehrt hier eine unmittelbare Umgrenzung und die Auslegung des »ist«. Das unscheinbare Wort »ist« beginnt so

Zum Wort als Antwort bei Heidegger siehe Matthias Flatscher, Logos und Lethe. Zur phänomenologischen Sprachauffassung im Spätwerk von Heidegger und Wittgenstein, Freiburg/München, Alber Verlag, 2011, 215–306. 9 Johann Wolfgang von Goethe, Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), Band I, C. H. Beck Verlag, Hamburg, 161996, 142. 8

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in einem hellen Schein zu leuchten. Und das vorschnelle Urteil über die Unscheinbarkeit des »ist« kommt ins Wanken. 10

Insbesondere das »ist« der Dichtung lässt sich nicht durch anderes ersetzen beziehungsweise übersetzen: Klar ist nämlich, dass das Gedicht quasi verschwindet, wenn anstatt »ist« »befindet sich« geschrieben wird: »Über allen Gipfeln / befindet sich Ruh« sind keine Verse Goethes. Auch in der Einführung in die Metaphysik kommt diese Bemerkung auf eine prägnante Art und Weise zum Vorschein: »Das Buch ist mir«; d. h. es gehört mir. »Er ist des Todes«; d. h. dem Tod verfallen. »Rot ist backbord«; d. h. es steht für. »Der Hund ist im Garten«; d. h. er treibt sich dort herum. »Über allen Gipfeln / Ist Ruh«; d. h. ??? Heißt das »ist« in den Versen: Ruhe befindet sich, ist vorhanden, findet statt, hält sich auf? All das will hier nicht passen. Und doch ist es dasselbe einfache »ist«. Oder meint der Vers: Über allen Gipfeln herrscht Ruh, so wie in einer Schulklasse Ruhe herrscht? Auch nicht! Oder vielleicht: Über allen Gipfeln liegt Ruh oder waltet Ruh? Solches schon eher, aber diese Umschreibung trifft auch nicht. »Über allen Gipfeln / Ist Ruh«; das »ist« lässt sich gar nicht umschreiben. 11

Das dichterische Wort lässt besonders klar sehen, dass ein Wort sich nicht ersetzen lässt, und zwar deswegen, weil in der Dichtung alle möglichen Bedeutungen eines Wortes beibehalten werden und auf die eine oder andere Art und Weise mit im Spiel sind. Die Mehrdeutigkeit des Wortes, die seine Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit impliziert, macht es möglich, dass eine dichterische Welt erscheint. Insbesondere in der Dichtung kommen die drei gerade herausgestellten Charakterzüge besonders klar zum Vorschein. In der Dichtung ist – wie schon im Beispiel Goethes aus Heideggers Einführung in die Metaphysik und Grundbegriffe – ein Wort notwendig unersetzlich, da es nicht durch ein Synonym ersetzt werden kann, welches auf dieselbe Bedeutung hinweist. 12 Die Identität der BedeuHeidegger, Grundbegriffe, GA 51, 31. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 96. Eine sehr ähnliche Passage, die die wichtige Rolle dieses Gedankengangs für Heidegger zeigt, befindet sich auch im zweiten Band des Nietzsche. Heidegger, Nietzsche II, GA 6.2, 248. 12 Obwohl eine Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit der Übersetzung im Kontext dieses Beitrags nicht geleistet werden kann, sei hier darauf hingewiesen, dass die Unersetzbarkeit des dichterischen Wortes durch Synonyme zwar die vollständige Übersetzbarkeit ausschließt, nicht aber, dass gerade durch die Übersetzung neue Bedeutungsmomente gestiftet werden, und dass somit der übersetzte Text ebenso dichterischen Wert wie das Original beanspruchen kann. 10 11

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

tungsverweise ist nicht zureichend, denn das eigentlich Dichterische der Dichtung besteht darin, gerade diese Worte und nicht andere zu benutzen, und das Dichterische lässt sich weder auf den Ausdruck noch auf das Ausgedrückte reduzieren. Diese Unersetzbarkeit kommt daher, dass die dichterischen Worte konstitutiv mehrdeutig bleiben und sich nicht auf eine Bedeutung beschränken lassen; wird ein Wort ersetzt, dann bringt das neue Wort eine neue Kristallisierung, eine neue Versammlung von Erfahrungen und Dingen ins Spiel. Diese versammelnde, erscheinenlassende Funktion ist somit typisch für die Dichtung, welche jeweils eine Welt hervorgehen lässt. Wenn aber das Offenbarwerden des Seins mit dem dichterischen Wort verbunden ist, dann steht dem Dichter eine zentrale Aufgabe zu. Heideggers Hölderlin-Lektüre ist bekanntermaßen deswegen so konzentriert, weil Hölderlin der Dichter der Dichter ist in dem Sinne, dass er in seiner Dichtung die Figur des Dichters explizit macht und thematisiert. Lässt das Wort ein Ding erscheinen, so bringt der Dichter durch sein Wort eine Welt hervor und lässt das Sein erscheinen. Hölderlin, als Dichter der Dichter, lässt durch seine Dichtung die Welt des Dichters als solche hervorkommen. Die Bemühungen des Dichters bestehen nicht so sehr darin, etwas »Ausdruck« zu verleihen, oder etwas (wie ein Gefühl) zu Wort zu bringen, sondern gerade im Gegenteil: Etwas kann nur deswegen in seiner Wahrheit erscheinen, weil es in der Dichtung »gedichtet« oder »verdichtet«, das heißt versammelt wird durch die Mannigfaltigkeit der Bedeutung in einem einzigen Wort. Hölderlins Dichtung lässt den Dichter als solchen, und das heißt in seiner Wahrheit, erscheinen. Im Folgenden möchte ich den Bezug von Wahrheit und Wort anhand der Dualität von Einheit und Mannigfaltigkeit zur Diskussion stellen. Ist nämlich das Wort eine Kristallisierung beziehungsweise eine Versammlung von Dingen und Erfahrungen, so bleibt das Wort (gerade in Abgrenzung zum Urteilssatz 13) doch immer ein einziges Wort, und mehr noch, einzigartig in seiner Nennkraft. Was das jeweilige Wort nennt, nennt nur dieses Wort in der Mannigfaltigkeit der Bedeutungsnuancen, die ihm eigen sind. Das Wort stellt sich daher dar als Einheit in der Mannigfaltigkeit. Wie sich nun diese Einheit in der Mannigfaltigkeit zur Wahrheit verhält, ist Gegenstand des Zur Funktion des Wortes gegenüber der metaphysischen Auffassung des Satzes (des Urteilsatzes) als »Ort der Wahrheit« vgl. Helmuth Vetter, Grundriss Heidegger. Ein Handbuch zu Leben und Werk, Hamburg, Meiner, 2014, 198.

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letzten Abschnittes, in dem sich die Ausführungen auf die Dichtung Georg Trakls konzentrieren, so wie diese in Heideggers Denken aufgenommen wird.

4.

Einheit und Mannigfaltigkeit im Verhältnis von Wort und Wahrheit

Ich möchte mich im Folgenden auf Einheit und Mannigfaltigkeit in Bezug auf Wort und Wahrheit konzentrieren. Dazu wird der Aufsatz von Heidegger »Die Sprache im Gedicht« (versuchsweise, da der Text extrem komplex ist) herangezogen, 14 weil hier die Problematik von Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit immer wieder behandelt wird; 15 vor allem wird aber der Fokus der Untersuchung auf Trakls Dichtung gerichtet sein, insbesondere dort, wo Heideggers Auslegung diese Verse nicht hinreichend auf die gestellte Fragestellung hin analysiert. Die leitende Frage ist: Wie zeigt sich das, was Trakl das »Wahre« nennt? Nach dem Gedicht Winkel am Wald zeigt sich das Wahre dem Wahnsinn: Auch zeigt sich sanftem Wahnsinn oft das Goldne, Wahre. 16

Heideggers Interpretation zufolge ist der Wahnsinn nicht Verrücktheit im gewöhnlichen Sinne; es handelt sich vielmehr um ein dichterisches Wort, das mit dem »Abgeschiedenen« gleichzusetzen ist. 17 Wahnsinn heißt also in dem Zusammenhang: außerhalb des Alltäglichen zu sein. Das Ergebnis des ersten Teils von Heideggers Aufsatz besteht aber gerade darin, dass »der Ort des Gedichts« die Abgeschiedenheit ist. 18 Aus dem Zusammenhang wird somit ersichtlich, dass das »Goldene, Wahre«, da es sich dem Wahnsinn zeigt, sich wiederum gerade dem Ort des Gedichtes zeigt. Die Dichtung ist das, dem das Ist man auf der Suche nach einer Thematisierung des Begriffes »Wort« im späten Heidegger, so wäre selbstverständlich seine Interpretation des Gedichtes Das Wort von Stefan George heranzuziehen. Ich bevorzuge hier, mich auf die Trakl-Interpretation zu konzentrieren, weil dort – anders als im Aufsatz Das Wort – der Bezug zum Wahren in seiner Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit deutlicher hervortritt. 15 Für diesen Aufsatz bleibt die Interpretation von Harries maßgeblich: Karsten Harries, »Language and Silence. Heidegger’s Dialogue with Georg Trakl«, Boundary, 4(2), 1976, 494–511. 16 Georg Trakl, Das dichterische Werk, Salzburg, DTV, 1979, 23. 17 Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 53. 18 Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 52. 14

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

Wahre sich zeigt, und zwar insofern, als die Dichtung abgeschieden ist. Aus dieser Abgeschiedenheit wird aber Versammlung möglich; so Heidegger: »Die Abgeschiedenheit versammelt dieses Zusammengehörende, aber nicht nachträglich, sondern so, dass sie sich in seine schon waltende Versammlung entfaltet.« 19 Das Zusammengehörende hat eine in sich schon waltende Versammlung: Wenn das Zusammengehörende einfach zerstreut wäre, wäre es kein Zusammengehörendes. Damit überhaupt Zusammengehörendes zusammengehören kann, muss es eine immanente Versammlung geben. Dieser immanenten Versammlung entspricht die Abgeschiedenheit, welche sich somit entfaltet. Die Dichtung, anders gesagt, macht Zusammengehörendes durch Versammlung möglich, und zwar dadurch, dass sie abgeschieden ist, dass sie nicht selbst »zusammengehört«, sondern an einem eigenen »Ort« ist. Das drückt Heidegger wie folgt aus: »Als Versammlung hat die Abgeschiedenheit das Wesen des Ortes.« 20 Die Abgeschiedenheit, könnte man daher sagen, ist das Maß der Versammlung, und zwar gerade deswegen, weil sie nicht zur Versammlung selbst gehört und, indem sie »abseits« bleibt, alles andere zusammenbringt, weil alles auf sie Bezug nimmt. Dieser Bezug entsteht schon dadurch, dass durch Verneinung (nämlich durch das Nicht-dazu-gehören) des Abgeschiedenen das Versammelte sich darin einigt, eben nicht abgeschieden zu sein. Es gäbe mehrere Figuren, die man aus dem Trakl-Aufsatz interpretieren sollte, um eine Gesamtperspektive auf diesen Zusammenhang entwerfen und voll entwickeln zu können. Wir beschränken uns hier aber auf den Zusammenhang von Dichtung und Wahrheit. Das »Goldene, Wahre« zeigt sich dem abgeschiedenen Ort der Dichtung, dem »Wahnsinn«. In Trakls Dichtung aber ist das Lebendige »wahrlich« im höchsten Grad, wie es im Gedicht Heiterer Frühling heißt, das Heidegger mehrmals, vor allem in seiner dritten Strophe, anführt. Das Thema dieser dritten Strophe, so möchte ich argumentieren, ist gerade das komplexe Verhältnis von Mannigfaltigkeit und Einheit. Wie scheint doch alles Werdende so krank! Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist; Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist Und öffnet das Gemüte weit und bang. 19 20

Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 58. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 67.

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Ein blühender Erguß verrinnt sehr sacht Und Ungebornes pflegt der eignen Ruh. Die Liebenden blühn ihren Sternen zu Und süßer fließt ihr Odem durch die Nacht. So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt; Und leise rührt dich an ein alter Stein: Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein. O Mund! der durch die Silberweide bebt. 21

Das Zentrum der Strophe liegt im ersten Vers des letzten Absatzes: So schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt.

Nach Trakl ist das Lebendige schmerzlich und wahrhaft. 22 Dass es aber so ist, rührt vom Unlebendigen her, nämlich von daher, dass »ein alter Stein« das Lebendige anrührt, wie der unmittelbar darauffolgende Vers sagt. Und leise rührt dich an ein alter Stein:

Ein alter Stein rührt »dich« leise an. Dieses »dich« scheint nicht so sehr Trakls Schwester zu sein, wie das sicher der Fall in anderen Gedichten ist, sondern vielmehr den Leser oder die Hörerschaft der Dichtung anzusprechen; deswegen kann dieses »dich« im folgenden Vers durch ein »euch« ersetzt werden: Wahrlich! Ich werde immer bei euch sein

Ein alter Stein rührt den Hörenden an. Hier meint »dich« und »euch« den »Hörenden« und nicht den »Lesenden« der Gedichte, da der »Mund« spricht: O Mund! der durch die Silberweide bebt.

Trakls Gedichte müssen gehört, nicht nur gelesen werde. Die Berührung kommt also daher zustande, dass ein Mund durch die Silberweide bebt, nämlich daher, dass der Dichter das dichterische Wort ausspricht, und zwar in der Natur und als Teil der Natur – ein weiteres

Trakl, Das dichterische Werk, 29. Auf eine eingehende Interpretation der Figur des Schmerzes in der Dichtung Trakls (und in Heideggers Interpretation) müssen wir hier verzichten. Vgl. Cathrin Nielsen, »Der Schmerz. Zu Heideggers Trakl-Deutung«, in: Damir Barbarić, Das Spätwerk Heideggers. Ereignis – Sage – Geviert, Würzburg, Könighausen & Neumann, 2007, 143–160.

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

Thema, das hier beiseite gelassen werden muss. 23 Der Mund des Dichters spricht leise ein altes Wort, einen alten »Stein«, aus, das beziehungsweise der den Hörenden anrührt und durch die Natur (»die Silberweide«) schwingt (»bebt«). Ähnlich auch in der zweiten Strophe, wo »süßer fließt« der Odem der Liebenden »durch die Nacht«. Das ausgesprochene Wort verspricht nun, »wahrlich« immer bei »euch«, und das heißt »uns«, zu sein. Das »wahrlich« zeigt aber nicht an, dass der Dichter »ehrlich« spricht und dass wir deswegen seinem Wort Glauben schenken sollten. Der Dichter ist ja im Endeffekt ein Abgeschiedener, ein Wahnsinniger. Aber sein Wort ist nicht auf unseren Glauben aus; sein Wort ist die Wahrheit selbst. Das Wort des Dichters, das »durch die Silberweide bebt«, ist die Wahrheit, ist der alte Stein als alter Prüf-stein, der das Wahre vom Unwahren zu differenzieren gestattet. Das Wort der Dichter als Prüfstein ist das Maß der Abgeschiedenheit, das die Versammlung des Wahren in der Wahrheit erlaubt. Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist

Das dichterische Wort, das vom »Mund« ausgesprochen wird, ist ein Wink von einem »sanften Geist«, der aus »Gezweigen« erscheint. Das Wort »Gezweigen« steht hier für die Mannigfaltigkeit der Natur, genau wie die Silberweide in der letzten Strophe oder die Nacht in der zweiten. Mitten in dieser Mannigfaltigkeit von Zweigen kommt aus dem sanften Geist, der den Mund aufmacht, ein Wink: Durch diesen Wink wird das »Gemüte« »weit und bang« geöffnet. Und öffnet das Gemüte weit und bang

Der Wink des Dichters ist der Bezug zur Wahrheit, und erst durch diesen Bezug wird das Gemüte 24 zu einem Wahrheitsfähigen. Anders gesagt: Erst durch das Wort des Dichters tritt der Mensch in die Wahrheit des Seins, denn dieses Wort fungiert als Prüfstein der Wahrheit. Dass es so ist, beruht darauf, dass Wort und Wahrheit als Versammlung der Einheit in der Mannifaltigkeit verstanden werden.

Vgl. Hildegard Steinkamp, »Trakl’s Landscape Code: Usage and Meaning in His Later Poetry«, in: Eric Williams (Hg.), The Dark Flutes of Fall: Critical Essays on Georg Trakl, Columbia, Camden House, 1991, 135–166. 24 Einige Aspekte dieser Verse kommen besonders stark in Heideggers HölderlinInterpretation zum Vorschein, worauf ich hier nicht weiter eingehen kann. 23

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Der »blühende Erguss verrinnt sehr sacht«: das Aufgehen der Natur als φύσις versammelt sich. Wie denn aber? Ein Fieberhauch um einen Weiler kreist;

Der Fieberhauch, der aus dem Mund des Dichters kommt, kreist und versammelt alles um den Weiler herum. Erst durch diese Versammlung wird »alles Werdende« »krank«, nämlich krank an der Wahrheit, krank im Sinne von »wahnsinnig«, von »abgeschieden«: das Kranke zeigt, dass es Wahrheit gibt. So Heidegger: »Das Gestörte, Unheile und Heillose, alles Leidvolle des Verfallenen [und dazu gehört auch das Kranke] ist in Wahrheit nur der einzige Anschein, in dem sich ›das Wahrliche‹ verbirgt.« 25 Diese Interpretation möchten wir nun anhand weiterer Gedichte unterstützen. Der Stein als Prüfstein der Wahrheit hat ein gewaltiges Schweigen, wie es im Nachtlied heißt: Gewaltig ist das Schweigen im Stein; Die Maske eines nächtlichen Vogels. Sanfter Dreiklang verklingt in einem. […]. 26

Der alte Stein, also die Wahrheit, spricht selbst nicht, denn die Wahrheit selbst spricht nur durch den Mund des Dichters. Der Dichter gibt aber die Wahrheit immer durch eine Maske wieder – klare Anklänge an Nietzsche müssen hier leider eingeklammert werden (nicht zufällig soll Trakl gesagt haben: »Nietzsche war wahnsinnig!« 27). Aber »der Dreiklang« (wobei die Nummer drei einfach exemplarisch für die Mannigfaltigkeit der Maske der Wahrheit steht) »verklingt in einem«, nämlich in der einen und selben Wahrheit des Seins. Das Verklingen ist »leise«, genau wie die Berührung durch den Stein (»Und leise rührt dich an ein alter Stein«) und der Dreiklang ist sanft, genau wie der sprechende Geist (»Doch aus Gezweigen winkt ein sanfter Geist«). Und wie die Dichtung Heiterer Frühling sich den Hörenden zuwandte, so ist auch im Nachtlied die Dichtung an die Hörer adressiert: Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 60. Trakl, Das dichterische Werk, 40. 27 Vgl. Mathias Mayer, »Nietzsche-Verwerfungen bei Georg Trakl«, in: Thorsten Valk (Hg.), Friedrich Nietzsche und die Literatur der klassischen Moderne, Berlin, De Gruyter, 2009, 80–101, hier 97. Würde die hier vorgeschlagene Interpretation stimmen, dann wäre der Satz gar kein Beweis für eine Verwerfung Nietzsches von Seiten Trakls. 25 26

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Einheit und Mannigfaltigkeit im dichterischen Wort

Ihr stillen Spiegel der Wahrheit.

Die Hörenden sind still, denn der Dichter spricht, und spiegeln die Wahrheit des Dichters wieder, und zwar jeder in einer eigenen Perspektive, in einer eigenen Maske. Aber auch der Dichter selbst gibt die Wahrheit immer nur in eine Maske wieder, nämlich so, wie er jeweils die Wahrheit »dichtet«. Ist die Dichtung in ihrer Abgeschiedenheit der Ort der Wahrheit, so ist die Jeweiligkeit besonderer dichterischer Persönlichkeiten, etwa Hölderlin oder Trakl, immer nur eine Art und Weise, die Wahrheit zu dichten. Die Dichtung der Wahrheit erscheint selbst immer nur durch die Maske des jeweiligen Dichters, sodass sich sagen lässt, dass die Wahrheit der Dichtung Trakls und die Wahrheit der Dichtung Hölderlins verschiedene Perspektiven auf die (oder eben Masken der) selbe(n) Wahrheit sind. Die Gegenüberstellung von der Mannigfaltigkeit der Perspektive und der Einheit der Wahrheit (alle Masken, alle Perspektiven sind immer noch Masken, Perspektiven der einen Wahrheit des Seins) kommt besonders stark in der letzten zwei Versen des Nachtlieds zum Vorschein: An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe Erscheint der Abglanz gefallener Engel.

Die Schläfe des Einsamen sind die Schläfe des Abgeschiedenen, des Wahnsinnigen, der den ursprünglichen Bezug zur Wahrheit stiftet. Gerade da, nämlich gerade an seinen Schläfen, erscheinen diejenigen Perspektiven auf die Wahrheit, die gefallen sind, und denen dann entsprechend nur ein Abglanz bleibt. Die mannigfaltigen Figuren der Wahrheit stehen somit in einem Verhältnis zur ursprünglichen, durch das dichterische Wort ereigneten Stiftung der Wahrheit. Die Innigkeit des dichterischen Wortes lässt die Wahrheit des Seins erscheinen: »Die Dichtung ist einzig unter allen, weil in ihr die Weite des Schauens, die Tiefe des Denkens, das Einfache des Sagens auf eine unsägliche Weise innig und immerdar scheinen.« 28 Die Einheitlichkeit des dichterischen Wortes ist nach Heideggers Auffassung besonders stark in Trakls Dichtung – sogar stärker als bei Hölderlin. In Trakl ist gerade das Vieldeutige das Tragende der Einheitlichkeit: »Die Dichtung spricht aus einer zweideutigen Zweideutigkeit. Allein dieses Mehrdeutige des dichterischen Sagens flattert nichts ins unbestimmte Vieldeutige auseinander. Der mehrdeutige Ton des Traklschen Gedichtes kommt aus einer Versammlung, das 28

Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 65.

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Diego D’Angelo

heißt aus einem Einklang, der, für sich gemeint, stets unsäglich bleibt.« 29 Die Mehrdeutigkeit und Einzigkeit des Wortes macht die Versammlung der einzigen Wahrheit des Seins in einer ihrer seinsgeschichtlichen Figuren möglich.

29

Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 75.

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie Eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung Karl Kraatz

Zusammenfassung: Martin Heidegger entwickelt in den frühen 1920er Jahren eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung, aus der eine formal anzeigende Begrifflichkeit hervorgeht. Es soll nicht nur auf die Bedeutung jener Begriffstheorie für die Philosophie Heideggers hingewiesen werden, sondern auch auf die Bedeutung der Begriffstheorie für eine methodologische Grundlegung der Phänomenologie. Dafür wird auf den Zusammenhang zwischen formaler Anzeige und der Anfangsproblematik verwiesen: Die Grundlegung findet durch eine formale Anzeige der Ausgangssituation statt, durch die eine Ausbildung der hermeneutischen Situation möglich wird. Das wichtigste Merkmal der formalen Anzeige ist ihr prohibitiver Grundcharakter. Durch ihn wird die Anzeige der Anfangssituation möglich. Im letzten Kapitel sollen Aspekte der formal anzeigenden Begrifflichkeit durch den Kontrast zur wissenschaftlichen Methode deutlich gemacht werden. Abstract: Martin Heidegger has developed a theory of philosophical conceptualization in the early 1920s, out of which the concept of formal indications originated. In this paper the emphasis is put not only on the importance of formal indications for Heidegger’s philosophy, but on the importance of this theory of conceptualization for a methodological foundation of phenomenology. For this purpose, it is necessary to highlight the close connection between formal indications and the problem of a methodical substantiated beginning of research. The foundation is established due to a formal indication of the situation. Heidegger calls this the fruition of the hermeneutical situation. The most important feature of the formal indication is its prohibitive character, which is needed for the indication of the hermeneutical situation. The last chapter illustrates features of the formal indications in contrast to the scientific method.

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Karl Kraatz

1.

Einführung

Martin Heideggers Vorlesungen der frühen 1920er Jahre sind durch und durch von Überlegungen zur Methode der Philosophie bestimmt. Fast programmatisch heißt es dazu in der Vorlesung vom Wintersemester 1919/20: »Philosophie ist ein Ringen um die Methode. Diejenigen Methoden, die dem Leben am leichtesten fallen, werden für sie problematisch und müssen überwunden werden in der Konstruktion ihrer eigenen Methode.« 1 In den Vorlesungsmitschriften dieser Jahre kann die Entwicklung einer Methode mitverfolgt werden, die für die gesamte Philosophie Heideggers bestimmend bleibt. Heidegger bezeichnet diese Methode als formale Anzeige. 2 Es handelt sich dabei um eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung. 3 Ich möchte in diesem Vortrag auf die Bedeutung der formalen Anzeige für das Werk Martin Heideggers hinweisen und auf ihr Potential für eine methodologische Grundlegung der Phänomenologie. Auf den Zusammenhang zwischen der Anfangsproblematik beziehungsweise der einer Fundierung der Phänomenologie und dem begriffstheoretischen Konzept der formalen Anzeige wurde in der bestehenden Forschungsliteratur zur formalen Anzeige noch nicht eigens hingewiesen. Zwar wurde die Wichtigkeit der formalen Anzeige für das Verständnis von Heideggers Philosophie von einigen Autoren hervorgehoben, 4 jedoch wird nur selten auf deren Bedeutung über das Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 228. Erstmalig erwähnt wird die formale Anzeige in Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 198. Und mehr oder weniger zeitgleich in: Heidegger, »Anmerkungen zu Karl Jaspers ›Psychologie der Weltanschauungen‹«, Wegmarken, GA 9, 1–44. 3 »Theorie der philosophischen Begriffsbildung« lautet der Untertitel einer Vorlesung, die Heidegger im Sommersemester 1920 gehalten hat. Vgl. Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Theorie der philosophischen Begriffsbildung, GA 59. 4 Vgl. Daniel O. Dahlstrom, »Heidegger’s Method: Philosophical Concepts as Formal Indications«, The Review of Metaphysics, 47 (4), 1994, 775–795; Daniel O. Dahlstrom, Das logische Vorurteil, Wien, Passagen Verlag, 1994; R. Matthew Shockey, »What’s Formal about Formal Indication? Heidegger’s Method in Sein und Zeit«, Inquiry: An Interdisciplinary Journal of Philosophy, 53 (6), 2010, 525–539. Shockey repräsentiert die Arbeiten seines Lehrers John Haugeland und dessen Lehrers Hubert Dreyfus, die gelegentlich, aber nie systematisch auf die Bedeutung der formalen Anzeige hingewiesen haben. Vgl. John Haugeland, Dasein Disclosed, John Haugeland’s Heidegger, edited by Joseph Rouse, Cambridge, Harvard University Press, 2013, 73. Matthew I. Burch, »The Existential Sources of Phenomenology: Heidegger on For1 2

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

Frühwerk und über die Philosophie Heideggers hinaus hingewiesen. 5 Dabei lassen sich durch Hinweise auf den strengen Methodencharakter dieser Philosophie und auf deren begriffstheoretische Ansätze verschiedene Missverständnisse der Heidegger-Interpretation vermeiden. 6 Durch Hinweise auf den modus operandi eines Philosophen mal Indication«, European Journal of Philosophy, 19 (1), 2011, 1–21. Matthew I. Burch hingegen repräsentiert mit seinem Artikel die Arbeit seines Lehrers Steven G. Crowells, der in seiner Monographie zum Verhältnis von Heidegger und Husserl auf den reflektiven Grundcharakter und die Bedeutung der formalen Anzeige hingewiesen hat. Vgl. Steven G. Crowell, Husserl, Heidegger, and the Space of Meaning: Paths towards Transcendental Phenomenology, Evanston, Northwestern University Press, 2001, 137–142. Vgl ferner Ryan Streeter, »Heidegger’s formal indication: A question of Method in Being and Time«, Man and World, 30, 1997, 413–430; Georg Imdahl, Das Leben verstehen: Heideggers formal anzeigende Hermeneutik in den frühen Freiburger Vorlesungen (1919 bis 1923), Würzburg, Königshausen und Neumann, 1997; Otto Pöggeler, Heidegger in seiner Zeit, München, Fink, 1999; Kim InSuk, Phänomenologie des faktischen Lebens. Heideggers formal anzeigende Hermeneutik (1919–1923), Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien, Peter Lang, 1998; John van Buren, »The Ethics of Formale Anzeige in Heidegger«, American Catholic Philosophical Quarterly LXIX, 1995, 157–170; Theodorus Christiaan Wouter Oudemans, »Heideggers ›logische Untersuchungen‹«, Heidegger Studien, 6, 1990, 85–105; R. J. A. van Dijk, »Grundbegriffe der Metaphysik. Zur formalanzeigenden Struktur philosophischer Begriffe bei Heidegger«, Heidegger Studien, 7, 1991, 89–109; Theodore Kisiel, »Die formale Anzeige. Die methodische Geheimwaffe des frühen Heidegger«, in: Markus Happel (Hg.), Heidegger – neu gelesen, Würzburg, Königshausen und Neumann, 1997, 22–40; Theodore Kisiel, »Die formale Anzeige als Schlüssel zu Heideggers Logik der philosophischen Begriffsbildung«, in: Alfred Denker und Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und die Logik, Elementa Band 79, Rodopi, Amsterdam, 2006, 49–64; Hent De Vries, »Formal Indications«, MLN, 113, 1998, 635–88. Zum Verhältnis Kierkegaards ›indirekter Mitteilung‹ zu Heideggers ›formaler Anzeige‹ vgl. Gerhard Thonhauser, Ein rätselhaftes Zeichen. Zum Verhältnis von Martin Heidegger und Søren Kierkegaard, Berlin/Boston, De Gruyter, 2016, 185–194. 5 Vgl. Knut Martin Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren. Heideggers Denken 1919–1976, Dissertation im Fach Philosophie an der Universität Bielefeld, September 2001; Paola-Ludovica Coriando, »Die ›formale Anzeige‹ und das Ereignis. Vorbereitende Überlegungen zum Eigencharakter seinsgeschichtlicher Begrifflichkeit mit einem Ausblick auf den Unterschied von Dichten und Denken«, Heidegger Studien, 14, 1998, 27–43; Antonio Cimino, Phänomenologie und Vollzug. Heideggers performative Philosophie des faktischen Lebens, Frankfurt am Main, Klostermann, 2013. 6 Als ein solches Missverständnis ist der Vorwurf des Anthropozentrismus zu bezeichnen, der in Bezug auf Sein und Zeit eine lange Tradition aufweisen kann. Verkannt wird der formal anzeigende Charakter Heideggers Philosophie. Eine Übersicht über die frühe Rezeption von Sein und Zeit gibt Claudius Strube, »Kritik und Rezeption von ›Sein und Zeit‹ in den ersten Jahren nach seinem Erscheinen«, Perspektiven der Philosophie, 9, 1983, 41–67. Durch Hinweise auf die formale Anzeige als den methodischen Kern Heideggers Philosophie kann auch das vermieden werden, was

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kann die innere Systematik auch jener Werke sichtbar gemacht werden, in denen explizite methodologische Hinweise fehlen. 7 Der formalen Anzeige ist die Reflexion auf den jeweiligen Gegenstandsbezug inhärent. Sie wird dadurch zu einer ›kritischen‹ Methode, einer Form von Kritik, die es nur dort geben kann, wo der Gegenstandsbezug nicht durch eine (unreflektierte) Methodologie vorgegeben ist. Wenn die Heideggersche Begriffstheorie ›gegen‹ etwas gerichtet ist, dann gegen die Naivität einer Universalisierung der wissenschaftlichen Methodologie. Ihre Anfänge findet die formal anzeigende Begrifflichkeit als Methode zur begrifflichen Bestimmung von Phänomenen des (alltäglichen) Lebens, später dann als Methode zur begrifflichen Bestimmung von Situationen und letztlich als eine Methode zur begrifflichen Bestimmungen von Kategorien des menschlichen Lebens (Existenzialien). Pointiert gesagt: Die formale Anzeige macht das ausdrücklich, was wissenschaftlich nicht einmal gesehen werden kann. Bei Heideggers Methode einer formal anzeigenden Begrifflichkeit handelt es sich um ein Gegenkonzept zur wissenschaftlichen Methode. Überall dort, wo die Grenzen und die Unmöglichkeiten der wissenschaftlichen Methode aufzeigt werden können, gewinnt diese Begriffstheorie an Attraktivität für aktuelle Fragestellungen. Es kann mit ihr der Blick auf nicht-reifizierbare Sinndimensionen der menschlichen Selbst- und Welterfahrung gelenkt werden, was umso wichtiger ist, je mehr diese in Vergessenheit zu geraten drohen und je mehr sich die scientific community wie selbstverständlich an der Vorgehensweise einer wissenschaftlichen Methode orientiert. Die Attraktivität der formalen Anzeige besteht in der Möglichkeit zur Hinterfragung erstarrter Strukturen und Selbstverständlichkeiten. Sie ist als Mittel zur Selbstreflexion für alle Diskurse von Relevanz, die sich der Sache der Aufklärung verschrieben haben.

Andreas Luckner als ›existentialistisches Missverständnis‹ bezeichnet hat. Vgl. Andreas Luckner, »Wie es ist, selbst zu sein«, in: Thomas Rentsch (Hg.), Sein und Zeit, Berlin, Akademie Verlag, 2001, 149–168. 7 Das betrifft vornehmlich die Werke des späten Heidegger. Partiell aber auch schon Sein und Zeit. So zum Beispiel die vieldiskutierten, oft missverstandenen Ausführungen über die Angst und den Tod an wichtigen Stellen in Sein und Zeit.

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

2.

Die Bedeutung der formalen Anzeige

Auf den Begriff der formalen Anzeige stößt man an mehreren Stellen in Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit. 8 Als wäre dies eine Selbstverständlichkeit, die es nicht weiter zu erläutern gälte, schreibt Heidegger, dass verschiedene zentrale Begriffe formal angezeigt werden. Methodologische Ausführungen bleibt er schuldig. Die Bedeutung und die Systematik dieser Begriffstheorie wurden erst nach und nach durch die Veröffentlichungen von Heideggers frühen Freiburger und Marburger Vorlesungen deutlich. Heideggers Philosophieverständnis ändert sich in den Jahren nach seiner Habilitationsschrift (1915) grundlegend. Es entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit der Methode der Wissenschaft und ihrer Genese aus dem faktischen Leben. Es sind die Einsichten in die Unzulänglichkeiten und Unmöglichkeiten einer wissenschaftlichen Methode, die Anlass werden zur Entwicklung einer Theorie der philosophischen Begriffsbildung: einer Neubestimmung der Philosophie und ihrer Methode. 9 Dokumentiert ist die Bedeutung der formalen Anzeige im Selbstverständnis Heideggers nicht allein durch die Vorlesungsmitschriften dieser Jahre, sondern auch durch einige Briefe. In einem Brief an Karl Löwith im Jahr 1924 schreibt Heidegger: »Leider mußte ich Wichtiges beiseite lassen, so vor allem die ›fo[rmale] Anzeige‹, die für ein letztes Verständnis unentbehrlich ist« 10. Heidegger spricht zwar in seinem Spätwerk nicht mehr von der formalen Anzeige, aber es gibt genügend Gründe anzunehmen, dass er diesem Konzept nicht nur treu bleibt, sondern damit sogar den Ansatz einer formal anzeigenden Begrifflichkeit radikalisiert. Ganz in diesem Sinne schreibt er 1927 in einem Brief an Karl Löwith: »Formale Anzeige, Kritik der üblichen Lehre vom Apriori, Formalisierung und dergleichen ist alles

Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 14, 17, 41, 43, 45. Direkte Erwähnungen der formalen Anzeige finden sich auf 114, 116, 231, 313 und 315. 9 Mehr zu dem Motiv einer »Relativierung der Methode« bei Otto Pöggeler, Heidegger in seiner Zeit. München, Fink, 1999, 26. 10 Der Brief an Löwith ist auszugsweise abgedruckt in: »Martin Heidegger und die Anfänge der ›Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte‹. Eine Dokumentation«, in: V. Frithjof Rodi (Hg.), Dilthey Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaft, Band 8, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, 214. 8

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noch für mich da, auch wenn ich nicht davon rede.« 11 In der Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks spricht Heidegger von der »universalen Bedeutung« und »Unentbehrlichkeit« 12 der formalen Anzeige. In der Vorlesung Grundbegriffe der Metaphysik vom Wintersemester 1929/30 nimmt Heidegger ein letztes Mal explizit auf die formale Anzeige Bezug, um auf ihre Bedeutung hinzuweisen: »Dazu ist eine Besinnung auf den durchgängigen Charakter der philosophischen Begriffe notwendig, daß sie alle formal anzeigend sind.« 13 Wichtiger als diese namentlichen Erwähnungen der formalen Anzeige und die Betonung ihrer Bedeutung ist jedoch die universale Präsenz dieser Methode im Gesamtwerk. So lassen sich deutliche Parallelen und Übereinstimmungen auch mit dem Spätwerk Heideggers finden. Dass Heidegger den Begriff der formalen Anzeige weglässt, ist nur eine Konsequenz aus dem Ursprungsgedanken dieses methodischen Konzepts. Man könnte sagen: eine Steigerung ihrer Formalität, mit der Tendenz, dass diese sich in der Offenheit der Dichtung vollends aufhebt. 14 Hans-Georg Gadamer schreibt in diesem Sinne: »Wir sollten alle immer wieder lernen, daß Heidegger bereits in seinen frühen Arbeiten etwas für sein ganzes Denken Gültiges formuliert hat, wenn er von der ›formalen Anzeige‹ sprach. Es geht hier um etwas für das ganze Unternehmen dieses Denkens Entscheidendes.« 15

Dieser Brief ist abgedruckt in: Dietrich Papenfuß und Otto Pöggeler: Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Band 2, Frankfurt am Main, Klostermann, 1989, 36. 12 Heidegger, Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, 62, vgl. auch 85. 13 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, GA 29/30, 430. 14 Dass Heidegger das begriffstheoretische Konzept der formalen Anzeige in der Dichtung in besonderer Weise umgesetzt sieht, kann an dieser Stelle nicht nachgewiesen werden. Hinweise dazu finden sich in der Dissertation von Knut Martin Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren und bei Paola-Ludovica Coriando, Die ›formale Anzeige‹ und das Ereignis. Aus Gesprächen ist mir bekannt, dass Dr. Simone Neuber aus Heidelberg voraussichtlich noch in diesem Jahr (2016) zu dieser Thematik etwas veröffentlichen wird. 15 Hans-Georg Gadamer, »Der eine Weg Martin Heideggers (1986)«, in: Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke, Band 3, Tübingen, Mohr Siebeck, 1999, 429. 11

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

3.

Was ist die formale Anzeige?

Die formale Anzeige ist eine Methode des phänomenologischen Philosophierens, in der die Situation des Einzelnen für den Bezug auf die Sache wesentlich wird. Heidegger macht Ernst mit dem Anspruch einer radikalen Fundierung der Phänomenologie. 16 Weil die Phänomenologie ihren Anfang nicht in einem luftleeren Raum nimmt, kann ihr Anspruch auch nicht der der Voraussetzungslosigkeit sein. Heidegger fasst die der Anfangsproblematik zugrunde liegenden Schwierigkeiten in einer Vorlesung vom Wintersemester 1931/32 zusammen: Es war ein Irrtum der Phänomenologie, zu meinen, die Phänomene könnten schon durch bloße Unvoreingenommenheit recht gesehen werden. Es ist aber ein ebenso großer Irrtum, zu meinen, nur weil jeweils Hinsichten wesensnotwendig seien, deshalb könnten die Phänomene selbst nie gesichtet werden, sondern alles sei Sache zufälliger, subjektiver, anthropologischer Standpunkte. […] Aus diesen beiden Unmöglichkeiten ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit der Einsicht, daß gerade die Gewinnung der rechten Hinsicht die zentrale Aufgabe und zugleich zentrales methodisches Problem ist. 17

Auch die phänomenologische Forschung bewegt sich wesensnotwendig in jeweiligen Hinsichten auf die infrage stehenden Sachverhalte – eine Einsicht, die nicht dazu führen muss, die Möglichkeit der Phänomenologie auf prinzipielle Erkenntnis schlechthin aufzugeben. Dass die Erkenntnisse der Phänomenologie zu einer jeweiligen Anfangssituation in einem Verhältnis stehen, ist nicht das Ende der Forschung. Weil Forschung nicht notwendig auf absolute (losgelöste) Erkenntnis und nicht einmal notwendig auf objektive Erkenntnis hin orientiert sein muss, ist die Einsicht in die wesenhaften Hinsichten nicht das Ende der Forschung, sondern der eigentliche Anfang des

Die Idee einer radikalen Selbstbegründung der Philosophie und somit der Wissenschaften findet sich in ausdrücklichster Form in Descartes’ Meditationen, die dann von Husserl in seinen Cartesianischen Meditationen als ›vorläufige Präsumption‹ wiederaufgenommen wird. Vgl. René Descartes, Meditationes de prima philosophia, Hamburg, Felix Meiner, 1992, 31. Vgl. Edmund Husserl, Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, HUA 1, Haag, Nijhoff, 1950, 49. Vgl. Gethmann, Verstehen und Auslegung, Bonn, Bouvier, 1974, 231–243 und 309–312. 17 Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet, GA 34, 286. 16

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phänomenologischen Philosophierens. 18 Ihre Aufgabe als das zentrale methodische Problem ist die Explikation der leitenden Hinsichtnahmen, der bestimmenden Vorgriffe, die in der Sprache immer schon wirksam sind, und der impliziten Voraussetzungen. Diese Aufgabe trägt den Namen einer Ausbildung der hermeneutischen Situation. Diese Ausbildung ist das Ergreifen der faktischen ›Bedingungen‹ und ›Voraussetzungen‹ der philosophischen Forschung. Eigentliche Voraussetzungen sind nicht dazu da, ›bedauert‹ und ›notgedrungen zugestanden‹ zu werden als Phänomene der Unvollkommenheit, sondern gelebt zu werden; d. h. aber nicht ›unbewußt‹ auf sich beruhen lassen, ihnen aus dem Wege gehen, sondern als solche ergreifen, d. h. aber sich in das Historische stoßen. 19

Die Phänomenologie unterscheidet sich, so kann man Heidegger folgend sagen, in dieser Möglichkeit der Reflexion auf die eigene Anfangssituation wesensmäßig von den Wissenschaften, die ihre Voraussetzungen mithilfe der eigenen Methode niemals einholen können. Den Wissenschaften ist so gesehen eine radikale Fundierung bspw. als Verständigung über ihre Grundbegriffe unmöglich. Dazu Heidegger im Anhang an eine seiner Frühen Freiburger Vorlesungen unter der Überschrift »Wie ›Wissenschaften‹ ihre Voraussetzung haben«: »Es gehört zum Sinn theoretischer Voraussetzungen, d. i. solcher, auf denen theoretische Einstellung als solche steht, von denen sie lebt, daß sie gerade von dieser Einstellung nicht erfaßt und erfaßbar sind, daß die Einstellung in ihrem Vollzug umso ursprünglicher ist, je weniger sie sich selbst in ihrer Weise, d. i. einstellungsmäßig, Siehe dazu v. a. den Natorp-Bericht, der in Band 62 der Heidegger Gesamtausgabe veröffentlicht wurde: »Der Sachgehalt jeder Interpretation, das ist der thematische Gegenstand im Wie seines Ausgelegtseins, vermag nur dann angemessen für sich selbst zu sprechen, wenn die jeweilige hermeneutische Situation, auf die jede Interpretation relativ ist, als genügend deutlich ausgezeichnet verfügbar gemacht wird.« Heidegger, Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik, GA 62, 346. 19 Heidegger, Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles, GA 62, 347, Fn. 4, handschriftlicher Zusatz am Absatzende. In der Vorlesung Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles wird selbiges dann unter dem Titel einer »Aneignung der Verstehenssituation« konkretisiert. Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 41–43. Vgl. auch: »Philosophie wird ihre ›Voraussetzungen‹ nie abstreiten wollen, aber auch nicht bloß zugeben dürfen. Sie begreift die Voraussetzungen und bringt in eins mit ihnen das, wofür sie Voraussetzungen sind, zu eindringlicherer Entfaltung.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 310. 18

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

um ihre Voraussetzung kümmert.« 20 Die wissenschaftliche Methode (hier bezeichnet als theoretische Einstellung) unterscheidet sich von der phänomenologischen Methode in ihrem Verhältnis zu den eigenen Voraussetzungen. Für die Phänomenologie ist die Ausbildung der hermeneutischen Situation im Sinne einer Reflexion auf (1.) die »sachgebende Grunderfahrung« (Vorhabe), auf (2.) den »führenden Anspruch« (Vorsicht) und (3.) die »herrschende Verständlichkeit« 21 (Vorgriff) zentrale Aufgabe und zentrales methodisches Problem. Die Systematik einer Ausbildung der hermeneutischen Situation in ihrer Aufteilung in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff hat die Funktion einer methodologischen Grundlegung. Dass Heidegger davon ausging, dass die jeweilige Begrifflichkeit nur auf dem Boden der so zugänglich gemachten Anfangssituation erwachsen kann, geht aus einer Vorlesung aus dem Sommersemester 1924 22 explizit hervor. Dass diese Reflexion auf die Anfangssituation als ein wesentliches Moment zu der formal anzeigenden Begrifflichkeit Heideggers gehört, möchte ich im Folgenden darlegen. Bei der formalen Anzeige handelt es sich um eine Anzeige – nicht um ein formales Begreifen, sondern um etwas, das durch die Begriffe lediglich angezeigt ist. Die Anzeige hält sich, so beschreibt es Gadamer akkurat, in der »Distanz des Zeigens, und das heißt wiederum, daß der andere, dem etwas gezeigt wird, selber sehen muß« 23. Diese Distanz verweist auf eine Differenz zwischen Begriff und Vollzug des Begriffs (darin folgt Heidegger der husserlschen Kritik am semantischen Realismus). Wenn philosophische Begriffe als formale Anzeigen verstanden werden, dann kommt in ihnen dieses Zwischen zu einer ersten Anzeige – das Zwischen zwischen Begriffsgehalt und dem Bezug auf diesen durch eine jeweilige Person. Die Bedeutung eines Satzes hat keine mentale Existenz neben realem Gegenstand und realem Wort, sondern ist im Vollzugsgeschehen vollends aufgehoben. 24 Formal anzeigendes Philosophieren leistet diesen Hinweis auf das Wie des Ausgelegtseins eines Sachgehalts. In der vorher angeführten Begrifflichkeit: ein Hinweis auf die jeweilige Vor-sicht. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 159. Heidegger, Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie, GA 18, 269–273. 22 Heidegger, Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie, GA 18. 23 Gadamer, »Der eine Weg Martin Heideggers«, 429. 24 Vgl. Gethmann, Dasein: Erkennen und Handeln, 272–275. Gethmann bezeichnet Heidegger in der Konsequenz dieser Kritik am »Mentalismus der Bedeutung« als »extremen Intensionalisten«. 20 21

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Entscheidend für die formale Anzeige ist ihr formaler Charakter: Formal besagt, dass der jeweilige Sachgehalt »uneigentlich« 25 gegeben ist. Hierin liegt der Bezug zur jeweiligen Zugangssituation. Heidegger schreibt: »Der Gegenstand selbst, […], ist uneigentlich da, ›formal angezeigt‹; man lebt im uneigentlichen Haben, das seine spezifische Vollzugsrichtung auf die Zeitigung des eigentlichen Habens nimmt, ein Haben, das durch diese Richtungnahme gerade als eigentliches bestimmt ist.« 26 Das Begriffspaar eigentlich-uneigentlich ist zwar noch nicht in seiner späteren, terminologisch-systematischen Bedeutung gebraucht. Aber es ist diese Vorlesung, in der sich erste systematische Ausführungen über die Ruinanz, über das Fallen, sprich: über das Konzept der Verfallenheit finden lassen. Der zitierte Satz ist die Quintessenz Heideggers Überlegungen zur Begriffstheorie der formalen Anzeige. Das Leben im uneigentlichen Haben, die Verfallenheit, wird nicht lediglich konstatiert. In der Formalität der formalen Anzeige liegt ihr kritisches Potential. Sie verweist auf ein eigentliches Haben des Gegenstandes, das seinen Anfang im Uneigentlichen nimmt. Eigentlich wird es, so kann man mit Blick auf die gesamte Vorlesung sagen, im Vollzug der gegenruinanten Bewegtheit; 27 ein Vollzug, der gegen die Verfallenheit gerichtet ist. Nicht um diese aufzulösen. Eigentlich ist das Haben bereits in der Richtungnahme gegen die Ruinanz. Formal anzeigen heißt: Aufzeigen der Ruinanz, der durchschnittlichen Verständlichkeit, und auf diese Weise in die Richtung eines eigentlichen Verstehens weisen. Heidegger bleibt in seinen Ausführungen über die formale Anzeige sehr vage. Deutlich wird, dass Heidegger davon ausgeht, dass sich die Ruinanz ebenso auf den Umgang mit Dingen und Menschen wie auf die Sprache und das Sprachverstehen auswirkt. Eine Begriffstheorie muss dieser Tendenz zum durchschnittlichen Verstehenwollen Rechnung tragen. 28 Der Formalität der formalen Anzeige darf nicht abgeholfen werden. Die Offenheit und Unbestimmtheit der formal anzeigenden Begrifflichkeit ist der Störfaktor, der Stolperstein, das Hindernis, an dem sich das durchschnittliche und wissenschaftliche Vorstellen und Verstehen stößt und auch stoßen soll. Nur durch diese Störung, davon geht Heidegger aus, kann der Blick umgewendet 25 26 27 28

Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 33. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 34. Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 153. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 167–170.

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

werden auf die Anfangssituation, auf die Voraussetzungen einer jeden Interpretation, zu der als ständige Gefahr für jede Interpretation die der Ruinanz gehört. Nicht nur das Wie des Ausgelegtseins, der Bezug auf einen Sachgehalt, kommt durch die formale Anzeige zu einer Anzeige, sondern auch, und gerade das ist von methodischer Bedeutung, das Leben im uneigentlichen Haben. Wiederum in der Terminologie der Fundierungsproblematik: die jeweilige Vor-habe, welche in Form von Vor-griffen durchherrscht ist durch die Sprache. Die methodische Funktion einer Störung wird nach dieser Vorlesung immer deutlicher von Stimmungen übernommen. 29 Vor Sein und Zeit lassen sich zu diesem Element der Begriffstheorie sogar noch methodologische Ausführungen finden. Heidegger bezeichnet dieses als den prohibitiven Charakter der formalen Anzeige. »Die formale Anzeige (formale Anzeige vgl. S. 32 f.) hat in sich selbst mit dem hinweisenden zugleich einen prohibitiven (abhaltenden, verwehrenden) Charakter. Sie ist als Grundsinn der Ansatzmethode phänomenologischer Interpretation in jeder ihrer Vollzugsstufen, und das immer ›zugleich‹, von mehrseitiger führender und abhaltender Leistung.« 30 Während die Verfallenheit als Grundbewegtheit des faktischen Lebens systematisch an Bedeutung gewinnt, wächst gleichzeitig die Notwendigkeit einer Vorsichtsmaßnahme, eines Abwehrmechanismus, der trotz oder gerade aufgrund der Totalität der Verfallenheit die Möglichkeit des Philosophierens gewährleisten kann. Prohibitiv, abhaltend und verwehrend muss die formal anzeigende Begrifflichkeit sein, weil das Verstehen von der ständigen Gefahr eines Abgleitens ins Objektmäßige bedroht ist, davon, dass die Bedeutsamkeiten, die in der jeweiligen Situation entscheidend sind, verblassen: »Die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßregel [die Abwehr] ergibt sich aus der abfallenden Tendenz der Lebenserfahrung, die stets ins Objektmäßige abzugleiten droht und aus der wir doch die Phänomene herausheben müssen.« 31 Die formal anzeigende Begrifflichkeit hat ihre Funktion in der ausdrücklichen Auslegung und Abhebung der uneigentlichen Anfangssituation. Die Reflexion auf Vor-sicht, Vor-habe und Vor-griff steht im strukturellen Zusammenhang mit der Ausbildung einer eigenen Begrifflichkeit, die als Ausbildung der hermeneutischen 29 30 31

Stünkel, Formal anzeigendes Philosophieren, 71–126. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 141. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 64.

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Karl Kraatz

Situation die Funktion einer methodologischen Fundierung der Phänomenologie übernehmen kann. In ihrer gegenruinanten Bewegtheit leistet die formal anzeigende Begrifflichkeit eine Anzeige der Anfangssituation, der Zugangssituation einer jeden Interpretation, und damit die Möglichkeit einer ausdrücklichen Aneignung dieser Situation als Ausbildung der hermeneutischen Situation, die ich als methodologische Fundierung der Phänomenologie verstehe. Dieser wesensmäßige Unterschied im Verhältnis zu den eigenen Voraussetzungen der Forschung führt zu weiteren Unterscheidungen zwischen phänomenologischer und wissenschaftlicher Methode, von denen nun einige skizziert werden.

4.

Formale Anzeige und die wissenschaftliche Methode

In der Wissenschaft zählt die allgemeine Verbindlichkeit der Ergebnisse, die dadurch bestimmt ist, dass die Ergebnisse unabhängig vom Einzelnen, also in Bezug auf Beliebige (der jeweilige Forscher ist an sich ersetzbar) Geltung beanspruchen können. Die Wiederholbarkeit, beziehungsweise grundsätzlicher: die Einholbarkeit der Ergebnisse wird durch axiomatische Festlegungen (und erst darauf aufbauend durch Experimente) gesichert. Für die Neuzeit ist der mathematischaxiomatische Entwurf bestimmend geworden. Nicht das gerechnet wird, ist hierbei entscheidend, sondern das im Vorhinein die Wirklichkeit auf das Zähl- und Messbare hin entworfen wird. 32 Ein bestimmtes Seinsverständnis wird für die neuzeitliche Wissenschaft maßgeblich. Es bestimmt über die Objektivität der Objekte und die Subjektivität der Subjekte, um sichere und allgemeinverbindliche Erkenntnisse zu ermöglichen. Insofern es Heidegger um die Frage nach dem Sinn von Sein geht, nach dem einheitlichen Sinn, der jedem Seinsverständnis zugrunde liegt, kann es nicht mehr (nur) um die Begründung eines bestimmten Seinsverständnisses gehen. Mit dem mathematischaxiomatischen Entwurf wird auch das Konzept der wissenschaftlichen Methode fragwürdig. Mit welcher Begründung orientiere man sich in der Philosophie seit Descartes an der wissenschaftlichen Methode? 33 Vgl. Heidegger, Die Zeit des Weltbildes, GA 5, 75–114. Heidegger, Die Frage nach dem Ding, GA 41, 53–87. 33 Heidegger über die Grundlegung der neuzeitlichen Metaphysik in Bezug auf Des32

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

Diese Methode gründet auf einer bestimmten Vorstellung des Seins und kann demnach nicht als ursprünglich, sondern nur als methodisch sekundär bestimmt werden. Die Wissenschaften können diese Voraussetzung wissenschaftlich nicht einholen, da ihre Methode selbst im Sinne einer Seinsthese voraussetzungshaft ist. 34 Die Frage nach dem Sein, beziehungsweise nach dem Menschen, der sich immer schon zum Sein verstehenderweise verhält, bedarf einer eigenen (transzendental-ontologischen) Methode. 35 Denn wer im Sinne der neuzeitlichen Wissenschaft nach dem Kriterium der Gewissheit des cogito, me cogitare verfährt, welches diesem Verständnis von Wahrheit, die durch diese Methode gesichert werden soll, zugrunde liegt, geht von vornerein von bestimmten Vorstellungen der Subjektivität des Subjekts aus (Carl Friedrich Gethmann bezeichnet dies als eine autonomistische Subjekttheorie) 36, die einem bestimmten und unhinterfragten Seinsverständnis (Vorhandenheitsontologie) entspringen. Geht die Subjektivität des Subjekts darin auf, die Einheit der Vorstellungen zu bilden, nach welcher die Gegenständlichkeit der Gegenstände entworfen wird (Kant)? Oder muss diese Subjektivität vor dem Horizont des Bezugs zum Sein, das dem nicht ursprünglichen Bezug auf Gegenstände immer schon zugrunde liegt, neu gedacht werden? Dies ist die zugrunde liegende inhaltliche Konkretion dessen, was weiter oben als der Wandel in Heideggers Philosophieverständnis beschrieben wurde: Insofern es der phänomenologischen Philosophie um radikale Selbstbegründung, um die Fundierung ihrer Ansprüche geht, kann ihre Methode nicht die (ontologisch voraussetzungshafte) wissenschaftliche Methode sein und ihr Ziel auch nicht das der wis-

cartes’ Regula IV:»Necessaria est Methodus ad rerum veritatem investigandam« vgl. Heidegger, Die Frage nach dem Ding, GA 41, 79–84. 34 Die Frage, ob nicht alle Methoden notwendig voraussetzungshaft sind, würde Heidegger zwar bejahen, aber gleichzeitig betonen, dass es Angemessenheit der Beschreibung nur innerhalb dieser Voraussetzungshaftigkeit geben kann, d. h. im Sinne einer Problematisierung der Grundvoraussetzungen innerhalb der Fundamentalontologie. »Die philosophische Methode ist nicht etwas ganz Außergewöhnliches, nicht ein Sprung in eine dem Leben an sich ganz fremde Einstellung; sie ist auch nicht etwa so etwas wie ein sechster Sinn, – sondern sie hat ihre Wurzeln im Leben selbst, sie muß nur in ihrer Echtheit und Ursprünglichkeit in ihm gesucht werden.« Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 228. 35 Vgl. Gethmann, Verstehen und Auslegung, 68–93. 36 Vgl. Gethmann, Verstehen und Auslegung, 80.

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senschaftlichen Erkenntnis. Fundierung ist nur möglich im Sinne der Reflexion auf die Anfangssituation. In dieser Hinsicht wird auch die Problematisierung des ›führenden Anspruchs‹ notwendig: eine Problematisierung des leitenden Seinsverständnisses. 37 Dass Heidegger immer wieder von der genuinen Strenge der Philosophie spricht, 38 hat hierin seinen sachlichen Untergrund. Es ist damit auch die Notwendigkeit der Entwicklung einer eigenen philosophischen Begrifflichkeit angezeigt. Als charakteristisches Exempel des formal anzeigenden Philosophierens kann die Bestimmung des Todes in Sein und Zeit gelten. 39 Was der Tod ist, sei keine Sache einer theoretischen Feststellung, sondern etwas, was sich im Vorlaufen zum je eigenen Tod erschließt. Eine Erkenntnis mit weitreichenden methodologischen Implikationen. Behauptet wird, dass es Phänomene gibt (z. B. der eigene Tod), deren Wahrheit sich nicht in ihrer wissenschaftlichen Beschreibbarkeit erschöpft. Behauptet wird ferner, dass sich diese Wahrheit angemessener dadurch erschließt, dass sich der Einzelne zum Phänomen in ein Verhältnis setzt. Die primäre Erschließungsfunktion kommt nicht mehr dem Erkennen zu, welches als abgeleitet, fundiert und deshalb als methodisch sekundär ausgewiesen wurde, 40 sondern der Befindlichkeit, als fundamentale Weise des In-der-Welt-seins. 41 Wenn es für jene ursprünglichere Wahrheit noch Kriterien geben soll, die nicht der Beliebigkeit des Einzelnen ausgesetzt sind, also intersubjektive Geltung beanspruchen können, müssen es solche der Ursprünglichkeit des jeweiligen Bezugs sein. 42 Für eine Theorie der philosophischen Begriffsbildung geht es dabei vornehmlich um die Frage der Artikulierbarkeit der Phänomene durch eine philosophische Begrifflichkeit und deren (intersubjektive) Verbindlichkeit. Heideggers Antwort ist die einer formal anzeigenden Begrifflichkeit, die Strukturen des Bezugs auf das Phänomen formal vorgibt, die jeweilige inhaltliche Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie, GA 18, 275. »Ist Strenge ein überwissenschaftlicher Begriff? Der Begriff und Sinn von Strenge ist ursprünglich ein philosophischer, nicht ein wissenschaftlicher; nur die Philosophie ist ursprünglich streng; sie besitzt eine Strenge, der gegenüber alle Strenge der Wissenschaft eine bloß abgeleitete ist.« Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 10. 39 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 235–267. 40 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 59–62. 41 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 130–140. 42 Vgl. Heidegger: Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks, GA 59, 148. 37 38

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Martin Heideggers methodologische Grundlegung der Phänomenologie

Konkretion jedoch als Vollzugsaufgabe der Verantwortung des Einzelnen überlässt. 43 Die formale Anzeige ist eine Methode, in der die Situation des Einzelnen für den Bezug auf die Sache wesentlich wird. Es scheint, dass die Anfangsproblematik in der Philosophie durch Heidegger eine subjektivistische Färbung erfährt, indem der Vollzug des Einzelnen für die Fundierung insbesondere im Sinne der Gegenruinanz methodisch bedeutsam wird. 44 Dieser Schein hält sich auch in Sein und Zeit in Form eines methodischen, existenzialen Solipsismus aufrecht. Subjektivistisch mag das falsche Wort sein. Aber was ist gegen die Kritik von Thomas Rentsch zu sagen, der Heidegger vorwirft, dass dieser die Ansprüche der Philosophie auf »kommunikative Vernunft und öffentliche Diskussion« preisgibt, zugunsten einer »leeren Radikalität« und Entschlossenheit des Einzelnen, die als solche »irrational und antidemokratisch« 45 sei? Dieser Kritik kann am ehesten mit Überlegungen zur Methodologie Heideggers begegnet werden. Zu selten wurde darauf hingewiesen, dass hinter der oft sehr schwer zugänglichen Sprache Heideggers eine Begriffstheorie als Teil einer umfangreichen Methodologie steht. In diesem Vortrag wurde auf den Zusammenhang der Begriffstheorie und der Fundierungsproblematik hingewiesen. Zumindest in dieser Hinsicht beweist Heidegger eine methodische Strenge, die der der Wissenschaften überlegen ist. Es geht dabei allgemeiner gesprochen um die entscheidende Frage nach der Funktion philosophischer Begriffe und Definitionen und um den Status von Argumenten innerhalb der Philosophie. Eine Klärung dieser Frage ist die Perspektive, die sich durch die Forschung über die formale Anzeige bei Martin Heidegger eröffnet.

Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 32. »Der existenzielle Einsatz der Fundamentalontologie führt mit sich den Schein eines extrem individualistischen, radikalen Atheismus – das ist die weltanschauliche Deutung, nach der man greift. Doch ist zu prüfen, ob sie zu Recht besteht, und wenn, welchen metaphysischen, fundamentalontologischen Sinn sie hat.« Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik, GA 26, 177. 45 Thomas Rentsch, Martin Heidegger, Das Sein und der Tod, München/Zürich, Serie Piper, 1989, 77. 43 44

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Karl Kraatz

5.

Resümee

Die formale Anzeige ist kein technisches Hilfsmittel, das beliebig und in gleicher Weise an Gegenstände angesetzt werden kann, und auch kein Allheilmittel gegen sich aufdrängende Verdinglichungstendenzen zur Rettung der Lebendigkeit der Phänomene. Sie ist die phänomenologische Haltung im Umgang mit philosophischen Begriffen. Innerhalb dieser Haltung wird mit dem in Frage stehenden Gegenstand der eigene Bezug auf diesen fragwürdig. Während es in den Wissenschaften um die Allgemeinverbindlichkeit von Ergebnissen und die Wiederholbarkeit durch beliebige, sich (metaphysisch) gleichende Subjekte geht, zählt in der Phänomenologie der Einsatz des Einzelnen. Der Phänomenologe stellt sich selbst in Frage, er setzt sich aufs Spiel, nimmt in Kauf, dass er durch das Philosophieren ein Anderer wird. Es zeichnet ihn eine ständige Bereitschaft zur Verwandlung aus. 46 Das Gewinnen der rechten Hinsicht auf den Sachgehalt wird zur zentralen Aufgabe. Eine Aufgabe, die den Blick schärft für die Voraussetzungen, für das Hier und Jetzt – die Zugangssituation einer jeden Interpretation. Die Aneignung der Verstehenssituation ist gleichzusetzen mit einer methodologischen Fundierung des phänomenologischen Philosophierens. Das Anfangen wird zu einem methodischen Problem, das nicht allgemein und ein für alle Mal gelöst werden kann, sondern das immer wieder neu aus der faktischen Situation heraus angegangen werden muss. Es macht den Phänomenologen zum ständigen und bleibenden Anfänger.

Knut Martin Stünkel hat gerade in Bezug auf die Verwandlungsbereitschaft Parallelen zu Denkfiguren des Urchristentums nachgewiesen. Stünkel spricht durchgängig von »Konversionsbereitschaft« als einem »formalreligiösen« Aspekt der formalen Anzeige. Vgl. Knut Martin Stünkel, »Phänomenologie der Religion als Frage und Antwort – Heidegger und die urchristliche Lebenserfahrung«, Jahrbuch für Religionsphilosophie, 2006, 151–174.

46

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Von der Theorie zum Leben Weitere Überlegungen zum existenzialen Ansatz Heideggers Hongjian Wang

Zusammenfassung: Es ist längst bekannt, dass sich der philosophische Ansatz Heideggers als Umwandlung von der Theorie zum Leben an sich charakterisieren lässt. Das Leben statt der Theorie macht nicht nur die Thematik Heideggers aus, sondern es nimmt die entsprechende a-theoretische Methodik in Anspruch. Gleichwohl wird von vielen Interpreten versäumt, den Grund der Theoretisierung des Lebens zum Vorschein zu bringen, welcher ja im Kern Heideggers früher Philosophie, der Ontologisierung des faktischen Lebens, zu finden ist. Es wird zu zeigen versucht, dass die Ontologie des Lebens, die sich in der Faktizitätshermeneutik, der Selbstausgelegtheit des faktischen Lebens, bekundet, es zum Zweck hat, dessen Selbstbewegtheit, vor allem aber dessen Verfallenstendenz, nämlich die Tendenz der Theoretisierung, sichtbar zu machen. Genau hier zeichnet sich Heideggers philosophischer Ansatz in Abgrenzung zu den zeitgenössischen Lebensphilosophen aus. Es wird durch die Theorie der Lebenswelt von Husserl illustriert, wie Heidegger im Vergleich dazu einen neuen Weg der Phänomenologie einschlägt. Abstract: It has long been known that Heidegger’s philosophical approach can be characterized as the return from theory to life itself. Life instead of theory does not only constitute the theme of Heidegger, but also claims the appropriate a-theoretical methodology. However, the interpreters are not able to clarify the reason for the theorization of life, which indeed is to be found at the core of Heidegger’s early philosophy, the ontologization of factical life. It is attempted to show that the ontology of life which reflects in the hermeneutics of facticity has the purpose of making its own movement visible, above all its tendency towards fallenness, namely the tendency of theorization. It is here that Heidegger’s philosophical approach is characterized in contrast to contemporary life philosophers. Especially by contrasting him with the theory of the life-world of Husserl, it will be illustrated that Heidegger starts a new way of phenomenology.

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1.

Einleitung

In einem 1922 nach Göttingen gesendeten Dokument schrieb Heidegger: »Die Untersuchungen, auf denen die vollständig ausgearbeiteten Vorlesungen gründen, haben das Ziel einer systematischen phänomenologisch-ontologischen Interpretation der Grundphänomene des faktischen Lebens.« 1 Daraus lässt sich folgern, dass sich die Grundfigur Heideggers früher Philosophie erst nach den mehrjährigen Lehrtätigkeiten endlich herausgebildet hat. In dem gleichzeitig entstandenen Text, dem sogenannten »Natorp-Bericht«, ist aber eine ähnliche Formulierung zu eruieren: »Die Problematik der Philosophie betrifft das Sein des faktischen Lebens im jeweiligen Wie des Angesprochen- und Ausgelegtseins. Das heißt, Philosophie ist als Ontologie der Faktizität zugleich kategoriale Interpretation des Ansprechens und Auslegens.« 2 Diese Auffassungen über die Philosophie münden schließlich in die Hermeneutik der Faktizität, die den Untertitel der im SS 1923 gehaltenen Vorlesung ausmacht und als der Haupttitel des frühen Denkens Heideggers gilt.

2.

Von der Theorie zum Leben

Zweifelsohne hat Heidegger ausdrücklich gegenüber dem zeitgenössischen philosophischen Betrieb, der als »Vorherrschaft des Theoretischen« bezeichnet werden kann, Stellung bezogen, indem er das faktische Leben als die hauptsächliche Thematik der philosophischen Forschung 3 festgelegt und die Forderung, »diese Vorherrschaft des Theoretischen muss gebrochen werden« 4, gestellt hat. Heidegger zufolge gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen, wodurch man sich einen Zugang zum faktischen Leben und zu dessen Welt verschaffen kann: die theoretische und die a-theoretische. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Theorie nicht nur als die Methode der traditionellen Philosophie gilt, sondern auch als deren Thematik, weil der GegenHeidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, GA 16, 44. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen Ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik, GA 62, 364. 3 »Der Ausdruck ›Leben‹ ist eine phänomenologische Grundkategorie, bedeutet ein Grundphänomen.« Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 80. 4 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 59. 1 2

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Von der Theorie zum Leben

standsbereich der Philosophie nicht so sehr das Leben als die Theorie, respektive das theoretisierte Leben, ist, sofern das Leben theoretisch behandelt wird. Die theoretische Behandlungsweise ist allgemein, gleichgültig und vernachlässigt so die Individualität und Differenz. Die Astronomen untersuchen den Sonnenaufgang beispielsweise als einen Naturprozess und behandeln ihn dadurch indifferent, während der Chor aus der Feder von Sophokles »am ersten freundlichen Morgen nach siegreichem Abwehrkampf zur aufgehenden Sonne blickt«. Für einen normalen Menschen ist das Erleben des Sonnenaufgangs keineswegs die theoretische Betrachtung eines isolierten, objektiven Gegenstandes, vielmehr ist er »ganz dem Ereignis hingegeben«, und dadurch »bleibt immerhin das Ich bestehen« 5. Diese Ich-Bezogenheit des Erlebnisses besagt, dass es ein unwiederholbares individuelles Ereignis ist. Klar ist, dass das Wahre fürs Leben nicht im theoretischen Begreifen, sondern im a-theoretischen beziehungsweise vor-theoretischen Erlebnis des Ereignisses im Ganzen liegt. Hier macht Heidegger einen wichtigen Unterschied deutlich, den Unterschied zwischen Vorgang und Ereignis. Als Vor-gang wird »das objektivierte Geschehen, das Geschehen als gegenständliches, erkanntes« 6 bezeichnet, in dem jedoch das »Ich« nicht mehr mitbezogen ist. Genauer gesagt, im Vorgang entfernt sich das historische und faktische Ich aufgrund des theoretischen Ichs. Der Vorgang ist in der objektiven, neutralen wissenschaftlichen Untersuchung zu verorten, bei der die Hingabe des Betrachters in das Geschehen möglichst zu vermeiden ist, um ein exaktes und strenges Ergebnis zu bekommen. Demgegenüber bin ich im Umwelterlebnis zum Beispiel eines Sonnenaufgangs »mit meinem vollen Ich dabei, es schwingt mit, es ist ein Erlebnis eigens für mich, und so sehe ich es auch; es ist aber kein Vorgang, sondern ein Ereignis« 7. Hier macht Heidegger bereits vom Wort des Ereignisses Gebrauch, das sich bekanntermaßen zu dem Stichwort des späten Heidegger entwickeln wird, um zu verdeutlichen, dass dieses Erlebnis individuell, ichbezogen und deswegen jemeinig, zugleich auch situativ, jeweilig und geschichtlich ist. Allerdings muss auch darauf verwiesen werden, dass Heidegger dem Deutlichmachen dieses Unterschiedes sowie der Anerkennung der 5 6 7

Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 74; cf. 206. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 74. Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 75.

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Aufgabe der Hervorhebung des Ereignischarakters vom Erlebnis zum Trotz auch ohne Umschweife die Schwierigkeit dieser Aufgabe einräumt: »schon wenn ich doch nur von zweien meiner Erlebnisse spreche, habe ich sie vergegenständlicht, das eine und das andere: beide sind doch ein Etwas.« 8 Es ist unschwer, die Forderung nach der atheoretischen Methode zu stellen, schwer ist jedoch, diese Methode wirklich zu entwickeln und umzusetzen, was die Direktive für die späteren ständigen Denkbemühungen Heideggers aufweist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Theorie als Stillstand und Verfestigung der Flüssigkeit und Situationsbezogenheit des Lebens schadet. Denn das theoretische Begreifen versucht die Sache selbst durch Begriffe, Ansichten sowie feste Denkrahmen zu beschreiben und zu verstehen, um sie jenseits ihrer Veränderlichkeit und Andersartigkeit zu erfassen. Diese Methode trifft freilich auf den allgemeinen Gegenstand zu, der als unänderbar erachtet wird, aber nicht auf das Leben selbst, auf das sich bewegende Sein. Eher wird der Lebensstrom durch die Theorie auf reflektive Weise unterbrochen 9, die Theorie isoliert nämlich aus einer bestimmten Hinsicht die Sache von ihrem ganzheitlichen Zusammenhang. In der Tat gibt es im faktischen Leben keine unveränderliche, sondern nur die unterschiedlichen Zugangsweisen zu derselben Sache. Nehmen wir einen Tisch 10 als Beispiel. Das theoretische Begreifen ist zunächst einmal Deskription: Der Tisch ist gelb und viereckig. Dies ist das Begreifen eines Gegenstandes aus verschiedenen Hinsichten. Gleichwohl sehen wir in unserem Umwelterlebnis nicht zuerst die Farbe oder die Form des Tisches, sondern den Tisch als Tisch. Wir sehen den Tisch selbst, einen Tisch, an dem wir schreiben können, nicht das gelbe, viereckige Etwas. Der Tisch ist mir unmittelbar gegeben, und zwar in meinem Umwelterlebnis. »Versuche ich«, im GeHeidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 76. Das erinnert an die Kritik Natorps an Husserl, die Heidegger folgendermaßen zusammenfasst: »In der Reflexion sind wir theoretisch gestellt. […] Sie [Die Erlebnisse] werden ja in der Reflexion nicht mehr erlebt, sondern, das ist ihr Sinn, erblickt.« Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 100. »Beschreibung ist Vermittlung: das trifft vielleicht am genauesten den Kern des Problems. Also ist es Entfernung von dem Unmittelbaren des Erlebnisses. […] Es ist Stillstellung des Stromes des Erlebens, also Ertötung des Bewußtseins, welches in seiner Unmittelbarkeit und Konkretheit vielmehr ewig flutendes Leben, niemals Stillstand ist.« Paul Natorp, Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode, Tübingen, Mohr, 1912, 190–191. 10 Über Heideggers Analytik des Tisches siehe auch Heidegger, Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), GA 63, 88–90. 8 9

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Von der Theorie zum Leben

genteil, »die Umwelt theoretisch zu erklären, dann fällt sie in sich zusammen.« 11 Das bedeutet, dass in der theoretischen Betrachtung sich die Sache aus der Umwelt abhebt und ihre Beziehung zu den anderen Teilen der Umwelt, die Bedeutsamkeit, zerstört wird. Die Welt wird dadurch »ent-weltet«. Der Charakter der Bewegtheit des Lebens liegt aber Heidegger zufolge darin, dass das Leben immer auf eine Welt zu beziehen ist, eine Welt, die nicht als die Summe alles Seienden gilt. Die Welt ist zuerst die Umwelt, und dann auch Mitwelt und Selbstwelt. 12 Das Leben in einer Welt bekundet seinen situationsbezogenen Charakter. »Situation ist eine gewisse Einheit im natürlichen Erleben. Situationen können einander durchdringen. […] In jeder Situation ist eine einheitliche Tendenz vorhanden.« 13 Die Situation ist nicht einmal ein Punkt, sondern ein einheitlicher, ausgedehnter Raum, der durch Motiv und Tendenz flankiert wird. 14 Ist das Begreifen eines Gegenstandes erst durch den Begriff möglich, dann ist das »Begreifen« der Situation im Ganzen das Deutlichmachen von deren Motiv und Tendenz, nämlich deren »Rückgriff« und »Vorgriff«. 15 Nach dem bisher Erörterten soll das Problem der theoretisierten Philosophie näher zum Vorschein gebracht werden: die Zerstörung der individuellen Erfahrung, die Unterbrechung des Lebensstroms sowie die Abgeschnittenheit aus der einheitlichen Situation sind negative Folgen einer solchen Philosophie. Daher schreibt Heidegger der Theorie den Charakter von Entleben, Entdeuten und Entgeschichtlichen 16 zu und stellt ihr so das Leben und die Geschichte Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 86. Über Heideggers erstmalige Entwicklung der dreifachen Einteilung der Welt, siehe Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 33. 13 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 205. 14 Wie Thurnher verwiesen hat, sind »Motivation, Situation und Tendenz [sind] die leitenden Begriffe, mit welchen Heidegger anfänglich das faktisch-historische Leben in seiner Bewegtheit zu fassen versucht. Die dreifach gegliederte ekstatische Zeitlichkeit der späteren Daseinsanalyse ist in ihnen in rudimentärer Form bereits vorgeprägt.« Rainer Thurnher, »Vorboten der Hermeneutik der Faktizität«, in: Alfred Denker, Hans-Helmuth Gander und Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und die Anfänge seines Denkens, Freiburg/München, Alber, 2004, 322–345, hier 328. 15 Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 116. 16 »Das Bedeutungshafte ist ent-deutet bis auf diesen Rest: Real-Sein. Das Umwelterleben ist ent-lebt bis auf den Rest: ein Reales als solches erkennen. Das historische Ich ist ent-geschichtlicht bis auf einen Rest von spezifischer Ich-heit als Korrelat der Dingheit.« Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 89. 11 12

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gegenüber. Daraus ist zu schließen, dass die Theorie als Vorgehensweise nicht angebracht ist für den Zugang zum faktischen Leben sowie seiner Geschichtlichkeit und Bedeutsamkeit. Die Umwandlung von der Theorie zum Leben bekundet, das ist bemerkenswert, nicht nur die Erneuerung der Thematik der Philosophie, sondern, aus einer zutreffenderen Perspektive gesehen, sie verweist auf die Transformation der Methodik. Das heißt die Behandlung des Lebens auf theoretische Weise wird verworfen und stattdessen ist die a-theoretische Methodik in Anspruch zu nehmen, um das Leben an sich zu wahren und der Sache selbst zu begegnen. Die weitere Erklärung der a-theoretischen Methodik, der Hermeneutik des Lebens, geht aber über die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung hinaus.

3.

In Gegenüberstellung zu Husserl?

Hier erhebt sich eine strittige Frage innerhalb der Phänomenologie: Stellt sich Heidegger Husserl auch entgegen, wenn er gegen die »Vorherrschaft des Theoretischen« vorgeht und den Rückgang auf das faktische Leben betont? Zwar hat Heidegger als Assistent Husserls sich selbst immer für einen Phänomenologen gehalten, aber er scheint sich vom Ansatz her von seinem Lehrer zu entfernen. Nicht zu übersehen ist aber, dass es nicht von großer Bedeutung ist, den oberflächlichen Gegensatz zwischen den beiden zu behaupten: »Wer mit dem hermeneutischen Netz des Gegensatzes von Bewußtsein und Existenz, Eidos und Faktizität, transzendentales Ich und Dasein, Erkenntnistheorie und Ontologie usw. ausrückt, fängt nur die großen Fische ein, die er vorher zur bequemeren Beute eigenhändig ausgesetzt hat.« 17 Unschwer ist zu verweisen, dass Husserl sein Augenmerk nicht ausschließlich auf die Theorie richtet und die Lebenswelt auch nicht ignoriert. Bei ihm ist die Lebenswelt sogar ein Kernphänomen, indem er über »die Größe, die universale und eigenständige Bedeutung des Problems der Lebenswelt« 18 deutlich spricht. In diesem Sinne ist die Rudolf Bernet, »Leiblichkeit bei Husserl und Heidegger«, in: Günter Figal und Hans-Helmuth Gander (Hg.), Heidegger und Husserl. Neue Perspektiven, Frankfurt am Main, Klostermann, 2009, 43–71, hier 43. 18 Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzen17

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Von der Theorie zum Leben

Lebenswelt die gemeinsame Thematik von Heidegger und Husserl, eine Thematik, die sogar von nahezu allen wichtigen zeitgenössischen Philosophen behandelt wird. Diese Tatsache reicht jedoch auch nicht aus, um das Urteil zu fällen, wonach die beiden miteinander in allen Punkten übereinstimmen; vielmehr läuft es der Einstellung der Phänomenologie zuwider, einfachhin die oberflächliche Gemeinsamkeit oder Differenz aufzuzeigen. Für die vorliegende Untersuchung ist es weder notwendig noch möglich, das gedankliche Verhältnis zwischen beiden völlig ins Klare zu bringen. Was in unserem Zusammenhang jedoch von Belang ist, ist die Klärung der Frage, aus welchem Grund Heidegger seinerseits Husserl zu verlassen sucht, und an welchem Punkt die beiden eigentlich auseinandergehen. Bei Husserl ist von der Aufwertung der Doxa die Rede, die von seiner Akzentuierung der Lebenswelt nicht zu trennen ist. Die Doxa macht aber das Fundament des Wissens, des theoretischen Etwas, aus. Hier ist darauf aufmerksam zu machen, dass die Doxa nicht die Gegenseite des Wissens ist, sondern seine Vorstufe: »Die Doxa wird ins Licht gerückt als Grundwissen, das alle höherstufigen Konstruktionen trägt, und sie wird gleichzeitig in den Schatten gerückt als bloßes Vorwissen, das hinter den tieferen Einsichten der Vernunft zurückbleibt.« 19 Diese »Doppelstrategie« zur Doxa gilt auch für die Lebenswelt, das heißt das Leben wird nicht schlechthin der Theorie gegenübergestellt, sondern es ist zugleich mit der Theorie verbunden. Zum einen ist die Lebenswelt als das Subjektiv-Relative zu überwinden, um das An-sich-Sein zu erreichen, zum anderen ist sie aber »nicht etwa [als] ein irrelevanter Durchgang, sondern [als] das für alle objektive Bewährung die theoretisch-logische Seinsgeltung letztlich Begründende, also [als] Evidenzquelle, Bewährungsquelle.« 20 Dem wird entnommen, dass die Lebenswelt Ursprung und Boden der Theorie darstellt, und in diesem Sinne hat sie das Vorrecht. Hier lässt sich fragen, wie sich Heidegger zu Husserls Theorie der Lebenswelt stellt. Nach unserem bisherigen Verständnis von Heidegger ist folgende Vermutung zu liefern: Heidegger stimmt zwar dentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, Husserliana, Band VI, Haag, Nijhoff, 1954, 136. 19 Bernhard Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1985, 42–43. 20 Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, 129.

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mit Husserl über die Betonung der Lebenswelt als Boden überein, aber er weicht dahingehend von seinem Lehrer ab, dass das theoretisch objektive und absolute An-sich-Sein als der endgültige Zustand hingenommen wird. Den letzten Punkt unter Beweis zu stellen, ist nicht schwer. In seiner ersten Marburger Vorlesung fängt Heidegger an, Husserl der Kritik zu unterziehen, indem die Intentionalität als Sorge verstanden wird, genauer als Sorge der Gewissheit: »Bei dieser Vorherrschaft der Sorge der Gewissheit ist es nicht verwunderlich, dass innerhalb der Ausbildung der Methode der Erforschung des reinen Bewußtseins so etwas möglich wurde wie die Idee der Mathesis der Erlebnisse.« 21 Husserls Bevorzugen der Gewissheit und Absolutheit führt möglicherweise dazu, dass die theoretische Methode am Leben Anwendung findet und dadurch die Lebenswelt selbst zum Einsturz bringt, denn bei Husserl heißt »zu den Sachen selbst«: »zu ihnen, sofern sie als Thema einer Wissenschaft in Frage kommen.« 22 Auffallend ist, dass in Heideggers Vorlesungen keine Anerkennung über die Hervorhebung der Lebenswelt bei Husserl gefunden wird. Daraus abzuleiten, dass Heidegger keine Kenntnis über Husserls Theorie der Lebenswelt hatte, ist dennoch allzu leichtfertig. Unsere These ist aber: Heideggers Kritik an Husserl bleibt unverändert, sofern Husserls Theorie der Lebenswelt nur ihre Doppelstrategie, wie vorher zusammengefasst, meint. Es ist nun geboten, darauf zu verweisen, dass die Lebensbegriffe von Husserl und Heidegger sowie von den anderen Lebensphilosophen nicht automatisch das Gleiche bedeuten, obwohl sie den gemeinsamen Bereich des Lebens zum Thema haben. »Heideggers Lebensbegriff ist deutlicher enger, er ist nicht auf die Gesamtheit aller Lebewesen, nicht auf Tiere oder Pflanzen, auch nicht auf die Gattung homo sapiens bezogen, sondern auf die alltägliche faktische Lebenserfahrung des menschlichen Individuums.« 23 Damit ist nicht gemeint, dass diese verschiedenen Lebensbegriffe auch vielfältigen Sachgebieten entsprechen; vielmehr steht nur eine Sache – das Leben – im Zentrum, die aber durch vielfältige Perspektiven zum Verständ-

Heidegger, Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 17, 274. Heidegger, Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 17, 274. 23 Michael Großheim, »Phänomenologie des Bewußtseins oder Phänomenologie des ›Lebens‹ ? Husserl und Heidegger in Freiburg«, in: Figal und Gander (Hg.), Heidegger und Husserl. Neue Perspektiven, 101–136, hier 136. 21 22

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Von der Theorie zum Leben

nis gebracht wird. Das, worauf es Heidegger ankommt, ist der Seinscharakter des faktischen Lebens; gerade hier schlagen beide ihre eigenen Wege ein. Heidegger zufolge hat Husserl versäumt, »Leben selbst in seinem eigentlichen Sein zu verstehen und die Frage nach seinem Seinscharakter zu beantworten.« 24 Wenn Husserl die Lebenswelt als den zu theoretisierenden Boden ansieht, fällt er bereits in die Reihe, der Heidegger mit voller Wucht entgegenwirkt. In unserem Zusammenhang sind noch folgende Fragen zu stellen: In welchem Sinne stellt die Entdeckung der Bezogenheit zwischen Leben und Theorie bei Husserl Heidegger nicht zufrieden? Und zweitens, was besagt eigentlich der sogenannte »Seinscharakter« des Lebens?

4.

Vom Leben zur Theorie

Heideggers Kritik an der Theorie und seine Betonung des Lebens setzen sich nicht damit gleich, dass es ausreichend ist, auf das Leben zurückzuführen und es als die Thematik der Philosophie festzulegen, oder noch einfacher, das Verstehen des Lebens preiszugeben und es nur zu erleben. Von Herrmann weist auf, dass sich bei Heidegger die Vorherrschaft des Theoretischen in zwei Gestalten verkörpert, vor allem aber in den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hier ist mit dem Theoretischen das Wissenschaftliche gemeint, welches Theorie im engeren Sinne ausmacht. Im weiteren Sinne kann unsere vorwissenschaftliche Welterfahrung auch theoretisch sein, sofern die Art ihres Begreifens »theoretisch, d. h. reflexiv betrachtend, versachlichend, vergegenständlichend, objektivierend« 25 ist. Das letzte Theoretische ist verborgener und deswegen gefährlicher, denn »das Theoretische in der zweiten Bedeutung ist es, das die vorwissenschaftliche Welterfahrung gar nicht erst in ihrer Ursprünglichkeit sehen läßt, sondern diese von vornherein durch seine Blick- und Zugangsweise verdeckt.« 26 Die Vorherrschaft des Theoretischen setzt deswegen nicht unbedingt den Vorrang der Theorie gegenüber dem Leben voraus, sondern die Tat-

Heidegger, Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 17, 275. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl, Frankfurt am Main, Klostermann, 2000, 17. 26 Herrmann, Hermeneutik und Reflexion, 17–18. 24 25

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sache, dass dem Leben die Theorie droht, das heißt die Gegenüberstellung von Theorie und Leben ist schon theoretisch. Dennoch lässt sich fragen, warum die vorwissenschaftliche Lebenserfahrung verdeckt zu werden tendiert und dadurch ihre Ursprünglichkeit verliert. Dementsprechend entwickelt Heidegger eine ausschlaggebende Einsicht: Das faktische Leben selbst hat die Tendenz der Verallgemeinerung, Theoretisierung und Sicherung, die den Charakter der Bewegtheit des Lebens verkörpert, eine Bewegtheit, die aber verfallend und sichernd ist und als »Ruinanz« 27 bezeichnet wird. Diese Analytik liegt der Enthüllung der alltäglichen Verfallenstendenz in Sein und Zeit zugrunde. Bei dem Begriff »Ruinanz« oder »Verfallen« geht es darum, dass »diese Ausgelegtheit selbst nicht etwas [ist], was dem Dasein nachgetragen, von außen angehängt, aufgeklebt wäre, sondern etwas, zu dem das Dasein von ihm selbst her gekommen ist, woraus es lebt, wovon es gelebt wird (ein Wie seines Seins).« 28 In der Vorlesung aus dem SS 1923, der das vorliegende Zitat entnommen ist, verbindet Heidegger die Entdeckung des Verfallens und der Öffentlichkeit mit der Hermeneutik der Faktizität, der Selbstausgelegtheit des faktischen Lebens, welche die Spontaneität des Lebens bekundet, zu der das Verfallen aber gehört. In diesem Sinne stellt das Verfallen den Seinscharakter des Lebens dar, einen Lebenscharakter, der nicht von außen kommt, sondern dem Leben selbst innewohnt. Bemerkenswert ist, dass das Verfallen nicht direkt zu vernichten ist, obwohl es mit dem Ausdruck der Uneigentlichkeit verbunden ist: »Dieser Bewegtheitscharakter ist keine zeitweise auftauchende schlechte Eigenschaft, die in fortgeschritteneren und glücklicheren Zeiten der Menschheitskultur wegzukultivieren wäre.« 29 Zumindest muss man gestehen, dass es unmöglich ist, durch ein metaphysisches Ideal, etwas Theoretisches und Absolutes, das Verfallen zu überwin-

»In formal-anzeigender Definition läßt sich die Ruinanz also bestimmen: Die Bewegtheit des faktischen Lebens, die das faktische Leben in ihm selbst als es selbst für sich selbst aus sich hinaus und in all dem gegen sich selbst ›vollzieht‹, d. h. ›ist‹.« Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 131. 28 Heidegger, Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), GA 63, 31. 29 Heidegger, Phänomenologische Interpretationen Ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik, GA 62, 356. 27

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den, denn es ist »nur Ausladung gerade dieser Verfallensgeneigtheit zur Welt« 30. Ein besseres Verstehensmodell ist, dass das Verfallen die Vermittlung zwischen Leben und Theorie darstellt, so zwar, dass das Leben die Verfallenstendenz hat und die Theorie nichts anderes als die Radikalisierung dieser Tendenz ist. Daraus wird deutlich, dass die Grundlage der Lebensontologie Heideggers darin liegt, dass das Leben nicht im Voraus der Theorie entgegensteht, um dann einen Brückschlag nachzuholen, sondern Leben und Theorie ursprünglich einheitlich sind. Es wird nun zu zeigen versucht, dass gerade hier Heideggers eigentlicher Unterschied zu Husserl zum Vorschein kommt. Obgleich die Bezogenheit zwischen Leben und Theorie auch durch Husserl hervorgehoben wird, bleibt sie bei ihm ein »Beziehen-Sollen«, das heißt es soll mit der absoluten und objektiven Theorie das relativ-subjektive Leben überwunden werden. Er ist sich aber nicht bewußt, dass das subjektive Leben selbst die Tendenz der Objektivierung, nämlich die Verfallenstendenz, besitzt. Heidegger wirft seinem Lehrer vor, dass die Phänomenologie Husserls den Denkrahmen des Subjekt-Objekt-Verhältnisses nicht überwinden könne: »Es gibt Subjekte und Objekte, Bewußtsein und Sein. […] Diese konstruktive, durch die Hartnäckigkeit einer verhärteten Tradition fast unausrottbare Vorhabe verbaut grundsätzlich und für immer den Zugang zu dem, was als faktisches Leben (Dasein) angezeigt ist.« 31 Sofern der Denkrahmen des Subjekt-Objekt-Verhältnisses nicht aufgegeben wird, kann das Sich-Zeigen des faktischen Lebens auch nicht zur Entdeckung kommen, und dadurch wird der Seinscharakter des Lebens verkannt. Dem folgt die Forderung, die Relativität und Endlichkeit des Lebens durch reflexive und objektive Methoden zu überwinden; indessen ist es »nicht notwendig, daß eine ausdrückliche Reflexion auf das Ich auftrete. In der Sache, die man treibt, liegt ein Besorgen des Daseins selbst.« 32 Infolgedessen bleibt Heideggers Kritik an husserlscher reflexiver Phänomenologie in eins mit seiner Entdeckung des Seinscharakters des faktischen Lebens, zu dem auch das

Heidegger, Phänomenologische Interpretationen Ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik, GA 62, 356. 31 Heidegger, Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), GA 63, 81. 32 Heidegger, Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 17, 287. 30

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Verfallen zählt. Daraus geht hervor, dass Heidegger einen anderen phänomenologischen Weg als Husserl finden muss. Heideggers Betonung des Seinscharakters des Lebens, nämlich dessen Selbstbewegtheit, vor allem aber dessen Verfallenstendenz, impliziert seine Lehre der doppelten Verdecktheit: nicht nur ist die Theorie verdeckend, sondern »zunächst und zumeist« auch das Leben selbst. Dazu kommt, dass die Verdecktheit des Lebens selbst der der Theorie zugrundeliegt. Nur wer diese Lehre zur Kenntnis genommen hat, kann die Aufgabe verstehen, die Heidegger der Philosophie zuspricht. Diejenigen, die entweder ausschließlich an Heideggers Kritik an der Theorie festhalten, oder im Gegenteil nur Heideggers Kritik am alltäglichen Leben in den Blick nehmen und ihn mit dem Vorwurf der Theoretisierung konfrontieren, verstehen Heidegger aber wenig zutreffend. Mit anderem Wort: Jeder Versuch, Leben und Theorie im Gegensatz zu stellen, mag der Vorrang der Theorie oder der des Lebens betont werden, ist schon metaphysisch, sofern als die Grundlage der Metaphysik die »Zwei-Welten-Theorie« verstanden wird. Die Aufgabe, den Rückgang von der Theorie zum Leben zustande zu bringen, das heißt das Leben auf a-theoretische Weise zu verstehen, hat es zur Voraussetzung, die Verfallenstendenz des Lebens, die Tendenz der Theoretisierung, zu entdecken und ihr entgegenzuwirken. Ausgerechnet in diesem Zusammenhang entsteht die Aufgabe der Hermeneutik der Faktizität, die ein zentrales Thema Heideggers früher Philosophie ausmacht.

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Heidegger und Austin Die performative Dimension der Phänomenologie Lucilla Guidi 1

Zusammenfassung: Ziel dieses Artikels ist es, den Status der phänomenologischen Rede und Praxis zu thematisieren. Die hermeneutische Dimension von Heideggers Phänomenologie wird mit Austins Begriff der Performativität verbunden: einerseits, um die Sinndimension der Phänomenologie als performativ zu verstehen; andererseits, um die Figur der Performativität mittels der Phänomenologie neu zu lesen. Aus dieser Perspektive ist die Wahrheit des In-der-Welt-Seins, die die Phänomenologie expliziert und die eine Weise des menschlichen Lebens ist, nicht innerhalb der Disjunktion zwischen wahr oder falsch verstehbar. Stattdessen spricht sie eine immanente Transformation an, die die Situation des Lesers betreffen kann. Diese Sinndimension ist performativ, da sie eine immanente Transformation der jeweiligen Situation beinhaltet; gleichzeitig reformuliert sie aber auch den Begriff der Performativität, da diese Transformation nicht in einer intentionalen Sprechhandlung besteht, die in einer geeigneten Situation gelungen ist. Die negative Performativität der Phänomenologie ist stattdessen auf die Erfahrung der Unbestimmtheit der Situation selbst angewiesen. Abstract: The aim of this paper is to analyze the status of phenomenological language and praxis. For this purpose, Heidegger’s hermeneutical phenomenology will be related to Austin’s conception of performativity. On the one hand, this connection aims at understanding phenomenology as a performative praxis; on the other, it intends to re-read the meaning of performativity from a phenomenological perspective. From this point of view, the truth of our being in the world, which phenomenology does not only explicate but already is as a way of being human, cannot be understood inside the propositional opposition between true and false. Rather, it implies an immanent transformation in the situation of the reader. Thus, on the one hand, the phenomenological language is performative since it involves a transformation of our actual situation. On the other hand, it renews the Die Veröffentlichung wurde durch den Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften der TU Dresden gefördert. Die Finanzierung des Zukunftskonzepts der TU Dresden erfolgt aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder.

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concept of performativity, since the latter can no longer be understood as an intentional speech act, which is »happy« in an appropriate situation. On the contrary, the negative performativity of phenomenology is dependent on the experience of the indeterminacy of our actual situation as such.

1.

Phänomenologie und Performativität

In diesem Beitrag wird die hermeneutische Dimension von Heideggers Phänomenologie mit Austins Begriff der Performativität verbunden: einerseits, um die Sinndimension der Phänomenologie als performativ zu verstehen; andererseits, um die Figur der Performativität mittels der Phänomenologie neu zu lesen. Die Frage, die hier gestellt wird, betrifft nicht die Frage, was die Phänomenologie Martin Heideggers bedeutet und mit welchen Themen sie sich beschäftigt, sondern wie sich die phänomenologische Rede, die zugleich eine Form der Praxis ist, vollzieht. Das Problem, das hier untersucht wird, berührt die Sinndimension der Phänomenologie. In der Tat ist die Phänomenologie eine Form des logos beziehungsweise der Rede, die den Vorrang der theoretischen Aussagen in Frage stellt und damit die Wahrheit als Entsprechung zwischen der Aussage und dem, was in der Aussage beschrieben wird, widerruft. 2 Wenn die Phänomenologie nicht in theoretischen Aussagen spricht, die wahr oder falsch sein können, zu welcher Wahrheitsdimension gehört dann aber ihre Sprachpraxis? Wie kann die phänomenologische Rede mitgeteilt und verstanden werden und zu welcher Sinndimension gehört die disjunktive Opposition zwischen verstehen oder nicht verstehen? Näher besehen betrifft diese Frage nach der Sinndimension der Phänomenologie nicht nur sie, sondern zugleich mit ihr auch die Sinndimension unseres Daseins, da die Phänomenologie das menschliche Daseins nicht nur expliziert, sondern eine mögliche Weise dieses Daseins ist. 3 Die Destruktion der Aussage (beziehungsweise des Urteils) als Ort der Wahrheit ist ein Leitfaden in Heideggers Denken. Für eine ausführliche Auseinandersetzung vgl. Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, 1–135 und Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 282–305. 3 Unter anderen hat Fabris diesen konstitutiven Selbstbezug einer Phänomenologie des In-der-Welt-Seins betont, insofern sie »nicht nur eine Untersuchung ist, sondern auch der Vollzug der Sache, mit der diese Untersuchung sich beschäftigt«. [Übersetzung L. G.]. Adriano Fabris, Essere e Tempo, Introduzione alla lettura, Roma, Carocci, 2000, 30. 2

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Die hermeneutische Wende der Phänomenologie ist zuerst mit dem Phänomen der faktischen Lebenserfahrung verbunden, mit der Weise, in der die faktische menschliche Situation ist. Dieses »ist« drückt nie einen allgemeinen Gegenstand aus, sondern immer eine faktische Situation beziehungsweise ein So-Sein und muss deswegen immer mit den Personalpronomen ausgedrückt werden: »Das Problem ist der Ursprung der Seinsbegriffe, das prädikative ist der theoretischen Explikation entspringt aus dem ursprünglichen ›ich bin‹, nicht umgekehrt. Sofern das Ichliche etwas hat, kann der Ausgang für die Situation von hier aus genommen werden.« 4 Die Situationen können nicht mehr – wie in Husserls Phänomenologie – als »tatsächliche Umstände« 5 verstanden werden, sondern die Situation ist die Weise, in der die faktische Lebenserfahrung auf die Bedeutungszusammenhänge, das heißt auf unsere Umwelt, auf die anderen und auf unsere Selbstwelt bezogen ist. 6 Die Situation ist die Weise, in der der Bezug auf diese Bedeutsamkeiten sich vollzieht. 7 Der Bezug auf die Bedeutungszusammenhänge, der immer vollzogen wird und einen Sinn von Sein impliziert, der mit dem Personalpronomen ausgedrückt werden muss, ist auch der Sinn von Sein, der in dem synkategorematischen Ausdruck »In-der-Welt-Sein« erscheint, bei dem »das Personalpronomen notwendig mitgesagt sein« 8 muss. Die Weise, in der der Bezug auf die Bedeutsamkeiten sich vollzieht, stellt die erste Figur des Verhältnisses zwischen Eigentlichkeit und UneigentHeidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 92. Die Situationen werden von Husserl als empirische, psychische Tatsachen verstanden, die Gegenstände einer objektiv historischen oder psychologischen Betrachtung sind. Vgl. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen. Zweiter Teil, Halle, Max Niemeyer, 1901, 81. 6 In den frühen Freiburger Seminaren wird als Gehalt, Bezug und Vollzugssinn die Sinnganzheit des Phänomens der faktischen Lebenserfahrung beschrieben. Die Phänomenologie analysiert, was die Lebenserfahrung erfährt beziehungsweise ihren Gehaltsinn; wie dieser Gehalt erfahren wird und wie sich der Bezug auf den Gehalt vollzieht (Dass). Diese Sinnganzheit drückt die Bewegtheit der Lebenserfahrung aus. Für eine Zusammenfassung vgl. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 4–18. Zu der Rolle des Vollzugsinns und seines Ereignischarakters in der Reformulierung von Husserls Intentionalitätsbegriff vgl. Francoise Dastur, Heidegger: la question du logos. Paris, Vrin, 2007, besonders Kap. I und II und Michael Steinmann, »Martin Heidegger: Philosophie als Intensität«, Philosophisches Jahrbuch, 112, 2005, 311–334. 7 Vgl. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 91–92. 8 Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, 299. 4 5

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lichkeit dar und entspricht der Weise, in der »über das Dasein schon entschieden wurde.« 9 Die Sinndimension des »ich bin«, »du bist«, »wir sind«, die in den Ausdruck »In-der-Welt-Sein« einbezogen ist, hat nicht die Form der theoretischen Aussage »S ist P«, sondern der »Jeweiligkeit« 10 beziehungsweise »Diesmaligkeit« 11. Parallel dazu führt diese Sinndimension zu einer radikalen Reformulierung des Wahrheitsbegriffs. Das Verhältnis von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, das in der Wahrheit als Welt- und Selbsterschlossenheit thematisiert wird, schließt einen Sinn der Disjunktion ein, der nicht aufgrund einer apophantischen und theoretischen Aussage-Wahrheit verstanden werden kann. Die Verbindung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit kann nicht in der disjunktiven Opposition zwischen wahr und falsch oder »authentisch« und »nicht authentisch« eingeordnet werden. Die Rede von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit – wie in der ersten Formulierung dieser entscheidenden Figur betont wird – »ist […] nicht ein Gegeneinanderstellen von zwei verschieden Typen« 12 der Existenz, die in einer Aussage beschrieben werden. Wie Heidegger mit dem berühmten Aristoteles-Zitat betont: »Nicht in allen Weisen der Rede ist das Wahr- und Falschsein vorhanden; so ist z. B. das Bitten ein Reden, aber weder wahr noch falsch. Aristoteles sieht hier eine reiche Mannigfaltigkeit von anderen Weisen der Rede, ohne sie zu nennen, dahin gehören das Wünschen, Befehlen, Fragen […]« 13. Die Vieldeutigkeit der Sinn- und Wahrheitsdimensionen des logos, die der erste »Sprachphilosoph« Aristoteles betont, wird sowohl von Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen gegen den Verfasser der logisch-philosophischen Abhandlung 14 als auch in der analytischen Tradition der ordinary language philosophy hervorgehoben. Die Performativität, die Austin in How to do Things with Words in der Alltagssprache hervorhebt, stellt den Vorrang der theoretischen Aussage in Frage. »It was for too long the assumption Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, S. 299. Vgl. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 250. 11 Heidegger, Der Begriff der Zeit, GA 64, 92. 12 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 103. 13 Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, 130. 14 So schreibt Wittgenstein in § 23 der Philosophischen Untersuchungen: »Es ist interessant, die Mannigfaltigkeit der Werkzeuge der Sprache und ihrer Verwendungsweise, die Mannigfaltigkeit der Wort- und Satzarten, mit dem zu vergleichen, was Logiker über den Bau der Sprache gesagt haben. (Und auch der Verfasser der Logisch-Philosophischen Abhandlung)«. Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe, Band 1, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1999, 250. 9

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of philosophers that the business of a ›statement‹ can only be to ›describe‹ some state of affairs, or to ›state some fact‹, which it must do either truly or falsely. 15« Die performative Äußerung wird zunächst von der konstativen unterschieden. Im Gegensatz zu einer konstativen Äußerung, deren Wahrheit, die in der disjunktiven Opposition zwischen wahr oder falsch liegt, als Korrespondenz zwischen einem Satz und der von ihm beschriebenen Tatsache verstanden wird, wird in der performativen Sprechhandlung kein Sachverhalt beziehungsweise keine Tatsache beschrieben, sondern eine Handlung ausgeführt. Äußerungen wie »Ich entschuldige mich« oder »Ich taufe dich« sind Beispiele aus unserer Alltagssprache. Die Wahrheit der performativen Sprechhandlungen hängt konstitutiv vom Kontext ab. Das heißt, sie hängt von der ganzen Situation des Sprachgebrauchs ab, insofern die performative Sprechhandlung, um ihre Dimension der Wahrheit zu gewährleisten, impliziert, dass die Situation in einer oder mehreren Weisen »geeignet« ist. Die Performativität stellt demgegenüber eine Sinndimension der Wahrheit dar, die nicht in der disjunktiven Opposition zwischen wahr oder falsch, sondern in der zwischen gelingen vs. misslingen der ganzen Situation besteht. The uttering of the words is indeed usually a, or even the leading incident in the performance of the act (of betting or what not), the performance of which is also the object of the utterance, but it is far from being usually, even if it is ever, the sole thing necessary if the act is to be deemed to have been performed. Speaking generally, it is always necessary that the circumstances in which the words are uttered should be in some way, or ways, appropriate. 16

Um Phänomenologie und Performativität miteinander zu verbinden, ist es noch wichtiger zu betonen, dass Performativität und Konstativität letztlich nicht als zwei Typen von Äußerungen betrachtet werden können, die man voneinander trennen kann, sondern dass sie als untrennbare Dimensionen zu jedem Sprachgebrauch gehören. Jede Sprachpraxis impliziert nicht nur ein Dictum, sondern auch den Vollzug dieser Sprechhandlung und das, was mit dem Vollzug des Sprachgebrauchs gemacht wird, das heißt die perlokutiven Effekte, die jeden Sprachgebrauch in die Welt hinausführt. Austin unterscheidet einen illokutionären Aspekt der Rede, als den Akt, der in der Rede John L. Austin, How to do Things with Words, London, Oxford University Press, 1962, 1. 16 Austin, How to do Things with Words, 10. 15

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vollzogen wird, von einem lokutionären Aspekt, als den Akt, in dem etwas gesagt wird, und schließlich einen perlokutionären Aspekt, als den Akt, der mit der Rede gemacht wird. 17 Aus dieser Perspektive stellt die Performativität einen fruchtbaren Ausgangspunkt dar, um Heideggers Phänomenologie systematisch zu interpretieren und gleichzeitig das Konzept der Performativität 18 phänomenologisch zu lesen. Die Wahrheit der Phänomenologie lässt sich systematisch als performativ 19 auslegen, insofern eine immanente Transformation benötigt wird, die, um erreicht zu werden, im jeweiligen In-der-WeltSein, das heißt in unserer Situation hier und jetzt geschehen muss. Sie benötigt eine Transformation in unserer Situation als Schreiber, Leser und Hörer und gelingt nur in und mit dieser Transformation. Die phänomenologische Rede hängt konstitutiv von unserer Situa-

Austin, How to do Things with Words, 99. Der Performativitätsbegriff wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten gebraucht. Seine Vieldeutigkeit kann hier nicht berücksichtigt werden. Die Performativität spielt in vielen Bereichen eine entscheidende Rolle. Unter anderem in der politischen Philosophie und den Gender Studies. Vgl Judith Butler, Excitable Speech. A Politics of the Performative, New York, Routledge, 1997 und Judith Butler, Bodys that Matter, New York-London, Routledge, 1993. Auch in den Kulturwissenschaften und der Ästhetik spielt der Begriff eine entscheidende Rolle. Vgl. Erika Fischer-Lichte, Performativität. Eine Einführung, Bielefeld, Transcript, 2001. 19 Die performative Dimension der Phänomenologie wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Beiträgen betont. Vgl. besonders Daniel O. Dahlstrom, »Heidegger’s Method: philosophical concept as formal indications«, Review of Metaphysics, 47, 1994, 775–795; Daniel O Dahlstrom, Heideggers Concept of Truth, Cambridge University Press, New York/Cambridge, 2001, 235–237. Die erste systematische Arbeit über die performative Dimension von Heideggers Phänomenologie wurde von Antonio Cimino, Phänomenologie und Vollzug, Frankfurt am Main, Klostermann, 2013 verfasst und stellt eine wichtige Herausarbeitung des performativen Vollzugs dar, der zur Sinndimension der Phänomenologie konstitutiv gehört. Die Performativität wird sowohl von Dahlstrom als auch von Cimino als ein Vollzug aus der Erste-PersonPerspektive betrachtet. Hier soll eine Reformulierung der Figur der Performativität erarbeitet werden, die nicht als Handlung aus der Erste-Person-Perspektive verstanden werden kann, weil sie eine Erfahrung beziehungsweise eine Stimmung als Grundverhalten impliziert. Der Vollzug verwandelt sich in die Erfahrung der konstitutiven Entzogenheit des Daseins, das heißt in der Erfahrung unseres Un-ZuhauseSeins. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 251. Diese Erfahrung kann weder als aktive Handlung noch als passive Widerfahrnis verstanden werden, da sie von einem »medialen« Charakter geprägt ist. Darüber hinaus steht die negative Performativität der Phänomenologie und zugleich des In-der-Welt-Seins in der Anerkennung der abfallenden Tendenz des Lebens und des Verfallens des Daseins. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 251. 17 18

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tion und ihrer immanenten Veränderung ab: »Eine weltliche Aussage über Vorhandenes, auch wenn sie in einem bloßen Nennen vollzogen ist, kann direkt das Gesagte meinen, während eine Aussage über Dasein und weiterhin jede Aussage über Sein, jede kategoriale Aussage zu ihrem Verständnis notwendig der Umstellung des Verstehens bedarf, der Umstellung auf das Indizierte selbst, das wesenhaft nie Vorhandenes ist.« 20 Diese immanente Umstellung spricht das Indizierte selbst an, das heißt denjenigen, der in der Welt hier und jetzt ist. Die phänomenologische Rede beschreibt nie etwas Vorhandenes, das in der Weise der Tatsache oder des Gegenstands in einer Aussage zugänglich würde, sondern drückt eine Seinsweise aus und impliziert eine immanente Transformation, die immer wieder betont und in verschiedenen Formulierungen obsessiv wiederholt wird: »Umwendung« 21, »existentielle Modifikation« 22, »Verwandlung« 23, »Entschlossenheit« 24, »Grunderfahrung« 25. Diese verschiedenen Figuren von Heideggers Philosophie stellen eine starke Kontinuität dar, und sind, so meine These, als performativ zu betrachten, insofern das Phänomen der Phänomenologie nicht aus einem Seienden beziehungsweise einem »Was«, anders gesagt: einem realen Gegenstand, besteht, sondern immer ein »Wie«, eine performative Seins- und Vollzugsweise anspricht. »Der Ausdruck ›Phänomenologie‹ […] charakterisiert nicht das sachhaltige Was der Gegenstände der philosophischen Forschung, sondern das Wie dieser« 26. Obwohl in Heideggers Denken der Titel Phänomenologie verschwindet, bleibt sein Denken in dieser Hinsicht immer phänomenologisch, insofern es einen performativen Anspruch erhebt: »Wird die Phänomenologie so erfahren und behalten, dann kann sie als Titel verschwinden« 27 – »Es kommt darauf an, eine Grunderfahrung des Dinges selbst zu machen« 28 – »Das, wovon die Philosophie handelt,

Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, GA 21, 410. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 10. 22 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 173. 23 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 423. 24 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 397. 25 Heidegger, Seminare, GA 15, 383. 26 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 28. 27 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 101. 28 Heidegger, Seminare, GA 15, 383. 20 21

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überhaupt nur in und aus einer Verwandlung des menschlichen Daseins sich aufschließt.« 29 In den folgenden Abschnitten wird die Performativität einer Phänomenologie des In-der-Welt-Seins systematisch untersucht, um die Figur der Performativität phänomenologisch zu lesen.

2.

Die negative Umkehr der Performativität und das transformative Potenzial unserer Lebenspraxis

Um die phänomenologische Interpretation der Figur der Performativität anzugehen, muss die konstitutive Negation, die zur Wahrheit des In-der-Welt-seins gehört, berücksichtigt werden. Von diesem Ausgangspunkt her soll gezeigt werden, dass die Performativität nicht aus einer intentionalen Sprechhandlung besteht, die in einer geeigneten Situation gelingt, sondern die Erfahrung der Unbestimmtheit der Situation selbst involviert. Um die Wahrheit der Phänomenologie als einer performativen Transformation unserer Lebenserfahrung zu präzisieren, ist es entscheidend, den Sinn der Negation, der sowohl zur Erschlossenheit (beziehungsweise Wahrheit) des Daseins als auch zum Vollzug des Lebens gehört, zu explizieren. Wenn das »ist« der theoretischen Explikation aus dem ursprünglichen »ich bin« entspringt und nicht umgekehrt, kommen alle Sinndimensionen ins Spiel, die nicht der theoretischen Aussage entsprechen. Aufgrund der Sinndimension eines Sinns von Sein, der immer mit Personalpronomen ausgedrückt werden muss und einen konstitutiven Bezug auf die Situation einschließt, wendet sich Heideggers frühe Phänomenologie zuerst auf logoi, die weder wahr noch falsch sein können. Aus dieser Perspektive wird auch die entscheidende Rolle verständlich, die die Kunst und die Dichtung in Heideggers späten Texten spielen. Diese logoi, die Erschließungsmodi 30 sind, tragen eine konstitutive Zweideutigkeit in sich. Diese Zweideutigkeit gründet in dem abfallenden Charakter, der die Faktizität sowohl des Lebens als auch des Daseins kennzeichnet und einen anderen Sinn der Disjunktion ausmacht, die nicht in der Opposition zwischen wahr oder falsch, sondern in der konstitutiven Untrennbarkeit von Eigentlichkeit und Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 423. 30 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 43. 29

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Uneigentlichkeit besteht. Diese konstitutive Untrennbarkeit soll hier als Verflochten-Sein von Performativität und Konstativität 31 beziehungsweise als Untrennbarkeit von dem Vollzug und dem Gehalt jeder Erfahrung erläutert werden. Der »abfallende« Charakter der Faktizität besteht darin, dass die Weise, in der das Leben die weltliche Bedeutsamkeit erfährt und sich vollzieht, indifferent bleibt und sich für eine weltliche Bedeutsamkeit ausgibt. Das performative Geschehen beziehungsweise die Weise des Vollzugs der Erfahrung gibt sich für einen konstativen »Gehalt« der Erfahrung aus: »Faktische Lebenserfahrung ist die ›einstellungsmäßige, abfallende, bezugsmäßigindifferente, selbstgenügsame Bedeutsamkeitsbekümmerung‹. […] Die Weise des Dabeiseins und von der Welt Mitgenommenwerdens […] ist also eine indifferente.« 32 Die Bedeutungszusammenhänge, aufgrund derer wir die Welt und uns selbst verstehen, haben die Tendenz, kristallisierte Objekte oder Eigenschaften zu werden, insofern das menschliche Leben in diesen Bedeutungszusammenhängen absorbiert ist und die Weise des Bezugs auf sie nicht miterfährt. »Das Eigentümliche der faktischen Lebenserfahrung ist, dass […] die Art und Weise des Erfahrens, nicht miterfahren wird.« 33 Diese abfallende Tendenz ist eine ontologische Bewegtheit, die in Sein und Zeit als Verfallen des faktischen Daseins bestimmt wird. »Das Verfallen ist ein ontologischer Bewegungsbegriff« 34. »Die ontoIn diesem Sinne wird hier die Unterscheidung von Performativität und Konstativität nicht als eine Gegenüberstellung zweier Typen von Äusserungen verwendet, sondern als eine Verflechtung der Dimensionen, die in Austins’ Unterscheidung zwischen Illokution/Perlokution/Lokution thematisiert wird und zu jedem Sprachgebrauch gehört. So schreibt Austin »What then is finally left of the distinction of the performative and constative utterance? Really we may say that what we had in mind here was this: (a) With the constative utterance, we abstract from the illocutionary (let alone the perlocutionary) aspects of the speech act, and we concentrate on the locutionary: moreover, we use an over-simplified notion of correspondence with the facts – over-simplified because essentially it brings in the illocutionary aspect. This is the ideal of what would be right to say in all circumstances, for any purpose, to any audience, etc. Perhaps it is sometimes realized. (b) With the performative utterance, we attend as much as possible to the illocutionary force of the utterance, and abstract from the dimension of correspondence with facts. Perhaps neither of these abstractions is so very expedient: perhaps we have here not really two poles, but rather an historical development.« Austin, How to do Things with Words, 144–145. 32 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 16. 33 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 13. 34 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 238. 31

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logisch-existenziale Struktur des Verfallens wäre mißverstanden, wollte man ihr den Sinn einer schlechten und beklagenswerten ontischen Eigenschaft beilegen, die vielleicht in fortgeschrittenen Stadien der Menschheitskultur beseitigt werden könnte« 35. Diese ontologische Bewegtheit gehört zur Faktizität des Daseins. »›Daß es ist und zu sein hat‹ ist nicht jenes ›Daß‹, das ontologisch-kategorial die der Vorhandenheit zugehörige Tatsächlichkeit ausdrückt« 36. Das Verfallen bestimmt nicht nur konstitutiv das In-der-Welt-sein, sondern »offenbart zugleich den Wurf- und Bewegtheitscharakter der Geworfenheit« 37. Die Negation, die die Uneigentlichkeit impliziert, macht diese Bewegtheit konstitutiv. »Un- und nichteigentlich bedeutet keineswegs ›eigentlich nicht‹, als ginge das Dasein mit diesem Seinsmodus überhaupt seines Seins verlustig« 38. Dieser Sinn von Negation kann weder als Mangel oder Verlust von Sein noch als Nicht-Sein oder Abwesenheit verstanden werden. Das heißt dieses »Nicht« drückt keine logische Negation aus. Es deutet weder das Falsch-Sein noch das Nicht-anwesend-Sein. 39 Dieser Sinn von Negation taucht erstmalig in der Interpretation der paulinischen Briefe auf, in der die erste Figur des Verhältnisses von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit thematisiert wird. Das Leben, das sich nicht vollzieht und in die weltlichen Bedeutsamkeiten abfällt, wird mit einem »vollzugsmäßigen Nicht« 40 bestimmt. Diese Negation – wie Heidegger 1921 betont – »kann weder als ein nihil privativum noch als nihil negativum« 41 verstanden werden. Zwischen dem Leben, das in die Bedeutsamkeit abfällt und sich nicht vollzieht und dem Leben, das auf sich selbst bezogen ist – gibt es keine Trennung, sondern eine Differenz der Haltung, die den Lebensvollzug betrifft. In der phänomenologischen Interpretation des paulinischen »als ob nicht« (hos me) wird die performative Transformation der Lebenserfahrung thematisiert. »Die Bezüge zur Umwelt bekommen ihren Sinn nicht aus der gehaltlichen Bedeutsamkeit, worauf sie gehen, sondern umgekehrt, aus dem ursprünglichen Vollzug bestimmt sich der Bezug und der Sinn der geHeidegger, Sein und Zeit, GA 2, 234. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 180. 37 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 237. 38 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 238 39 Über das Verhältnis zwischen der logischen Negation und der Nichtung als Welterschliessung in der Angst Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 114–115. 40 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 109. 41 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 109. 35 36

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lebten Bedeutsamkeit. Schematisch: etwas bleibt unverändert, und doch wird es radikal geändert.« 42 Aus dieser Perspektive ist die Performativität der Lebenserfahrung – in Austins Worten – misslungen, wenn sie in den Bedeutsamkeiten absorbiert ist, sich als diese Bedeutsamkeiten versteht und entfremdet ist, »ohne es zu merken« 43. Stattdessen ist die Lebenserfahrung gelungen, wenn diese Entfremdung anerkannt wird und die Situation in ihrer Unbestimmtheit aufbricht. Dieses Aufbrechen impliziert eine immanente Transformation unserer Lebenserfahrung und legt das transformative Potential unseres In-der-Welt-seins frei, das in einer anderen Weise des Sich-Verhaltens besteht. Es geht nicht um eine Veränderung von etwas zu etwas anderem. Die Philosophie – wie es Wittgenstein formuliert – »lässt alles, wie es ist« 44. Stattdessen geht es um eine immanente Umwendung: »nicht eine einfache Umwendung, so daß das Erkennen dadurch lediglich auf andere Gegenstände gerichtet würde; sondern, radikaler, durch eine eigentliche Umwandlung« 45. Das Leben, das sich vollzieht und ›als ob nicht‹ lebt, »hat die Rückbeziehung auf den Vollzug selbst« 46. Es erfährt sein Abfallen in die Bedeutungszusammenhänge und kann damit nicht mehr versuchen, »einen Halt zu gewinnen« 47 und aufgrund dieser Bedeutsamkeiten sich selbst zu bestimmen. Stattdessen wird es auf seine konstitutive Unbestimmtheit, die hier als »notwendige Unsicherheit« beschrieben wird, rückbezogen. »Das Unsichere ist nicht zufällig, sondern notwendig« 48 und diese Notwendigkeit ist »keine logische oder naturnotwendige« 49. Die Negation, die in dem ›als ob nicht‹ erscheint, verneint nicht die Bedeutungszusammenhänge, in denen wir leben. Sie betrifft vielmehr die Weise, in der wir auf diese bezogen sind. Die Negation ist keine tatsächliche oder logische Verneinung, sondern betrifft die Weise, in der die Bedeutungszusammenhänge erfahren werden. »Es handelt sich nur darum, ein neues Grundverhalten dazu zu gewinnen.« 50.

42 43 44 45 46 47 48 49 50

Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 118. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 113. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 302. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 10. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 121. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 122 Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 105. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 105. Heidegger, Einleitung in die Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 117.

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Die Angst 51, die weder als »bloße Emotion« 52, noch als »ein ungewöhnliches Ereignis« 53 verstanden werden darf, deckt dieses Grundverhalten auf. Die »Unbestimmtheit« der Welt, die in der Angst aufbricht, ist jedoch kein Mangel unseres Wissens. Die »Unbestimmtheit« 54 dessen, wovor und worum die Angst ist, deckt das Versinken in die Unbedeutsamkeit der Bedeutungszusammenhänge und der wirklichen Möglichkeiten auf 55: »Es bleibt kein Halt«. 56 Damit kann nun das Verfallen in die Bedeutungszusammenhänge anerkannt und die Unbestimmtheit der Situation als Dasein erfahren werden. Das Verfallen drückt eine konstitutive Bewegtheit aus, in der das performative Geschehen des In-der-Welt-Seins, insofern es eine Vollzugsweise ist, sich in die Bedeutungszusammenhänge und bestimmte Möglichkeiten entzieht. Das heißt: das Dasein deutet einen iterativen Bewegungsbegriff. Dieser Entzug gehört zur zeitlichen Struktur des Zurückkommens auf Möglichkeiten, in der das Dasein als solches geschieht. 57 Das In-der-Welt-sein, das von Heidegger als »geworfener

Diese immanente Transformation geschieht nicht nur mit der Angst. Stattdessen deckt die Angst die Weise des Sich-befindens in der Welt beziehungsweise seiner Erschlossenheit auf. Deswegen ist die Struktur der Angst in jeder anderen Stimmung mit einbezogen. Zu der Unmöglichkeit, die Angst in Gegensatz zu anderen Stimmungen zu verstehen, beziehungsweise gegen Bollnows’ Interpretation vgl. Otto Pöggeler, »Das Wesen der Stimmungen. Kritische Betrachtungen zum gleichnamigen Buch O. Fr. Bollnows«, Zeitschrift für philosophische Forschung, 14, 1960, 272–284. 52 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 353. 53 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 118. 54 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 111. 55 Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 111. So schreibt Figal: »Man wird jedoch, ohne Heideggers Intentionen zu verfehlen, sagen dürfen, dass eine solche Erschlossenheit von ›Welt als Welt‹ bereits dann erfahren wird, wenn es einem […] nicht mehr bruchlos gelingt, im Umgang mit Seiendem bestimmt zu sein. Mit dem Scheitern dieser Bestimmtheit aber tritt auch das bevorstehende und unbestimmte, sonst durch Projekte bestimmte Sein als das ›Worum‹ der Angst hervor.« Günter Figal, Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit, Tübingen, Mohr- Siebeck, 2003, 169. 56 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 112. 57 »Sofern das Da-sein je sich zu einem bestimmten Seinkönnen seiner selbst mehr oder minder ausdrücklich verhält, d. h. aus einer Möglichkeit seiner selbst auf sich zukommt, kommt es damit auch immer auf das zurück, was es gewesen ist. Zur Zukunft im ursprünglichen (existenzialen) Sinne gehört gleichursprünglich die Gewesenheit im existenzialen Sinne. Gewesenheit macht in eins mit der Zukunft und der Gegenwart Existenz erst möglich«. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 376. 51

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Entwurf« 58 bezeichnet wird, deckt diese Negation auf. 59 »Das Wesen des Daseins liegt in seiner Existenz« 60 bedeutet, dass das Dasein keiner Subjektivität entspricht, da es kein Wesen und keine Eigenschaften hat. »Dasein ist je seine Möglichkeit und es ›hat‹ sie nicht« 61. Das heißt es konstituiert sich aufgrund von schon verstandenen, gesprochenen und gestimmten Möglichkeiten, die es wiederholt – oder mit Derrida gesagt: zitiert –, um sich jeweilig zu entwerfen. Deshalb ist das Dasein nicht, sondern es existiert und zeitigt sich. Diese temporalisierende Struktur der Existenz involviert einen Möglichkeitssinn, der »höher als die Wirklichkeit ist« 62. Der Sinn von Möglichkeit des Daseins wird also nicht in Bezug auf die Wirklichkeit gedacht, wie es im aristotelischen Begriff von dynamis als potentia der Fall ist. 63 Die Möglichkeit des Daseins ist nicht in seiner Verwirklichung enthalten. Sie ist vielmehr die unbestimmte Möglichkeit, die die möglichen Verwirklichungen und damit auch die Möglichkeit der Unmöglichkeit der Verwirklichung einbezieht. »Dasein« ist also ein performativer und iterativer Bewegungsbegriff. Dieser Bewegungsbegriff drückt den Entzug von den unbestimmten in die wirklichen Möglichkeiten des Daseins aus. In diesem Sinne ist das Verfallen keine beklagenswerte ontische Eigenschaft, die überwunden werden kann. Vielmehr entspricht das Verfallen diesem iterativen Möglichkeitssinns, den wir als solchen anerkennen können, um uns dazu eigentlich zu verhalten. In jede unserer Praktiken ist diese temporalisierende beziehungsweise iterative Struktur einbezogen. 64 Wie Derrida in seiner Austin-Interpretation betont hat, setzt Austins Performativitätsbegriff die Totalisierung des Kontexts und zugleich die Anwesenheit der Sprecher Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 378. »In der Struktur der Geworfenheit sowohl wie in der des Entwurfs liegt wesenhaft eine Nichtigkeit. Und sie ist der Grund für die Möglichkeit der Nichtigkeit des eigentlichen Daseins im Verfallen, als welches es je schon immer faktisch ist«. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 378. 60 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 56. 61 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 57. 62 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 52. 63 Diese These wurde von Vincenzo Vitiello entwickelt. Vgl. V. Vitiello, Topologia del moderno, Genova, Marietti, 1991. 64 Dazu heißt es bei Rentsch: »Es gibt nicht ›Zeit‹ im Sinne von Gegenstandbereichen: ›Vergangenheit‹, ›Gegenwart‹, ›Zukunft‹, sondern die Bedeutung des Phänomens Zeit zeigt sich in der Bewegtheit der menschlichen Existenz – im Vollzug des Lebens selbst.« Thomas Rentsch, Heidegger und Wittgenstein, Stuttgart, Klett-Cotta, 2003, 226. 58 59

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für sie selbst voraus. 65 Aufgrund dieser Voraussetzung wird weder die »Iterabilität« 66 jeder Sprach- und Lebenspraxis, noch das Risiko des Misslingens als konstitutive und notwendige Möglichkeit jedes Sprechens und jeder Praxis erkannt. 67 Stattdessen ist die Performativität der phänomenologischen Rede, die das Dasein expliziert und die zugleich eine Weise des menschlichen Daseins ist, von der konstitutiven und notwendigen Möglichkeit ihres Misslingens affiziert, die in ihrer Opazität liegt. Diese konstitutive Opazität ist gerade die Wahrheit als Erschlossenheit des Daseins, das heißt sein »Un-zuhause-sein. Nichts anderes meint die Rede von der ›Unheimlichkeit‹.« 68 Abschließend kann festgehalten werden, dass in Austins’ Deutung der Performativität die intentionale Sprechhandlung gelingt, wenn die Situation geeignet ist und den sozialen Konventionen entspricht. 69 Im Unterschied dazu ist die negative Performativität der phänomenologischen Rede, die den Sinn des Daseins anzeigt und als menschliche Seinsweise schon ist, gelungen, wenn die Situation in ihrer Unbestimmtheit aufbricht und erfahren wird.

3.

Resümee

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Status der phänomenologischen Rede und Praxis zu einer performativen Dimension gehört, insofern sie eine immanente Transformation unserer Lebenserfahrung beziehungsweise unseres In-der-Welt-seins erfordert. Es wurde gezeigt, dass die Phänomenologie nicht mehr der theoretischen Einstellung entspricht, da sie keine Tatsache in einer Aussage beschreibt. Vielmehr schließt die hermeneutische Wendung der Phänomenologie eine Reformulierung des Wahrheitsbegriffs ein, der einen konstitutiven Bezug zur jeweiligen Situation einbezieht. »Austin’s analyses at all times require a value of context, and even of a context exhaustively determined, in theory or teleologically; the long list of ›infelicities‹ which in their variety may affect the performative event always comes back to an element what Austin calls the total context. One of those essential elements – and not one among others – remains, classically, consciousness, the conscious presence of the intention of the speaking subject in the totality of his speech act.« Jacques Derrida, Signature Event Context, in: Gerald Graff (ed.), Limited Inc., Illinois, 1988, 14. 66 Derrida, Signature Event Context, 12. 67 Derrida, Signature Event Context, 15. 68 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 251. 69 Vgl. Austin, How to do Things with Words, 121. 65

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Aus dieser Perspektive ist die Philosophie eine Praxis, die sich wie jede andere Praxis beziehungsweise wie jede andere Weise des Inder-Welt-seins erst performativ konstituiert. Dieses Geschehen wurde sowohl in Bezug auf Heideggers Interpretation der paulinischen Briefe als auch anhand von Sein und Zeit als konstitutive Untrennbarkeit von Vollzug und Gehalt der Erfahrung beziehungsweise von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit des Daseins expliziert. Darauf wurde diese als Untrennbarkeit von Konstativität und Performativität ausgelegt. Aus dieser Perspektive ist die Performativität der Lebenserfahrung – in Austins Worten – misslungen, wenn sie von den Bedeutsamkeiten absorbiert ist, sich als diese Bedeutsamkeiten versteht und von sich selbst entfremdet ist, »ohne es zu merken«. Stattdessen ist die Lebenserfahrung gelungen, wenn diese Entfremdung anerkannt wird und die Situation in ihrer Unbestimmtheit aufbricht. Die Untrennbarkeit zwischen Performativität und Konstativität beziehungsweise Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit entsteht aus einem Sinn von Negation, der sowohl zum Vollzug des Lebens als auch zum Dasein gehört und nicht der logischen Negation entspricht. Dieser Sinn von Negation impliziert einen iterativen Bewegungsbegriff, das heißt das Abfallen der Weise des Vollzugs in die gehaltlichen beziehungsweise konstativen Bedeutungen, genauso wie das Verfallen des Möglichkeitsinns des Daseins in die wirklichen Möglichkeiten. Dementsprechend wurde der Begriff der Performativität phänomenologisch gelesen und die Totalisierung des Kontexts und zugleich die These der Anwesenheit des Sprechers für sich selbst, die Austins Performativität voraussetzt, durch die der Undurchsichtigkeit des Daseins ersetzt. Aus dieser Perspektive gehören die notwendige Möglichkeit des Misslingens der phänomenologischen Praxis und die Unvorhersehbarkeit seines Gelingens zusammen.

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger und eine Reflexion von Scheler auf die Realität der Welt 1 Anna Jani

Zusammenfassung: Das Realitätsproblem in Edmund Husserls Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, das in Husserls München-Göttinger Schule eine große Debatte ausgelöst hat, ist wohl bekannt und erarbeitet. Weniger beachtet ist der Zusammenhang, dass sich Heidegger an die Debatte oder besser gesagt an den Problembereich anschließt. Heideggers Beziehung zur Göttinger Schule bestätigen mehrere geschichtliche Tatsachen. Zu Beginn der 1920er Jahre entwickelte sich durch Heideggers steigende Popularität eine Spannung zwischen den ehemaligen Göttinger Studenten und seiner Person. Heideggers Annäherung an das Realismus-Problem entwickelte sich unabhängig vom Göttinger Kreis, doch sein Problembereich ist mit denselben Fragen belastet. Während der frühen 1930er Jahre wendete sich das philosophische Interesse Heidegger zu, dessen Gedanken in dieser Zeit auch Edith Stein, Max Scheler und Roman Ingarden neue Impulse zum Realitätsproblem gaben. In meinem Vortrag möchte ich kurz darstellen, wie sich Heidegger in seiner eigenen Weise der Realitätsfrage nähert und welche Reflexionen er von Max Scheler in den 1930er Jahren erhalten hat. Abstract: The problem of reality in Edmund Husserl’s Ideas Pertaining to a Pure Phenomenology and to a Phenomenological Philosophy, which sparked a major controversy among Husserl’s disciples in Munich and Göttingen, is already well-known and has sufficiently been explored by the scholarship. What is less noticed is the relation that connects Heidegger to this debate, or, more precisely, to this field of problems. Heidegger’s connection to the School of Göttingen is confirmed by several historical facts. In the early 1920s, Heidegger’s ascending popularity gave rise to a tension between him and the former Göttingen students. Heidegger’s approach to the problem of realism developed independently of the Göttingen circle, yet Der Beitrag basiert auf dem in meinem Buch Edith Steins Denkweg von der Phänomenologie zur Seinsphilosophie veröffentlichten Kapitel »Das Realitätsproblem bei Heidegger. Gedankliche Zusammenhänge mit den Realphänomenologen«. Die hiesige Arbeit wurde mit mehreren Ergänzungen und Zusätzen bezüglich des Themas versehen. Vgl. dazu Anna Jani, Edith Steins Denkweg von der Phänomenologie zur Seinsphilosophie, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2015, 99–109.

1

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his field of problems is burdened by the same questions. In the early 1930s, Heidegger came to the forefront of philosophical interests, and at that time his thoughts acted as a stimulus for Edith Stein, Max Scheler, and Roman Ingarden with regard to the problem of reality. The aim of my presentation is to outline how Heidegger’s own path led him to the question of reality and which reflections he has received from Max Scheler in the 1930s.

1.

Die ersten Annäherungen an das Problem der Realität

Obwohl Heideggers Interesse für die husserlsche Phänomenologie unabhängig von dem Idealismus-Realismus-Streit erweckt wurde, ist es trotzdem möglich, durch Heideggers frühe Problemstellungen bezüglich des Realismus eine Parallelität der beiden zu sehen. Wenn Heidegger sich auch selbst nicht der Debatte um Husserls neu erschienenes Buch Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie angeschlossen hat, war es doch die Phänomenologie von Husserl, und besonders seine Logische Untersuchungen, die Heidegger im modernen Sinn zur Realität geführt hat. Während sich Heidegger der Frage nach der Realität über seine theologischen Studien und die scholastische Logik und Seinsphilosophie angenähert und diese in der Habilitationsarbeit zu Duns Scotus phänomenologisch ausgearbeitet hat, kam der Göttinger Kreis um Husserl von der Gegenrichtung, von Husserls phänomenologischer Methode der Ideen zur Frage der Realität, und damit zur Frage des Seins im scholastischen Sinn. Neben dieser Feststellung, dass die Frage nach der Realität in beiden Fällen mit der Frage nach dem Sein im Zusammenhang steht, ist es auffallend, dass Heideggers Kategorien und Bedeutungslehre des Duns Scotus zwei Jahre nach Erscheinen der Ideen I im Jahr 1915 erarbeitet wurde. In seinem Buch Heidegger und Aquinas macht John D. Caputo darauf aufmerksam, dass Heidegger über die husserlsche Phänomenologie das Realismus-Problem erreicht. 2 Um diese Parallelität zwischen Heidegger und der Göttinger Schule besser zu verstehen, muss man sich zuerst von dem bisherigen

»Heidegger’s adaptation of Husserl’s phenomenology will consist in injecting a realist stream into its veins, even as he required realism to take account of the subjective life.« John D. Caputo, Heidegger and Aquinas. An Essay on Overcoming Metaphysics, New York, Fordham University Press, 2003, 27.

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

Gedankengang losreißen und die heideggersche Problemstellung in sich selbst betrachten. Die grundsätzlich phänomenologischen Probleme der Außenwelt, Idealität und Realität verband Heidegger mit der Seinsfrage der Scholastik, welche das Sein als Grundsatz der Realität, als Sein, das ohne Zweifel besteht, verstand. In die Diskussion über das Realitätsproblem lässt sich Heidegger schon in seiner Habilitationsarbeit Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus 3 ein, in welcher er beweist, dass die scholastische und die phänomenologische Denkmethode entgegen aller kultureller und geschichtlicher Abstände sehr nahe beieinander stehen. 4 Zur phänomenologischen Position kam Heidegger durch Interpretationen der philosophischen Studien der Antike, die vom Standpunkt der christlich-scholastischen Philosophie aus geschrieben wurden. In seiner frühen Abhandlung Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie 5 aus dem Jahr 1912 kritisierte Heidegger zum ersten Mal die christlich-mittelalterliche Philosophie öffentlich, und wollte die grundsätzlich realistische Position der Philosophie durch die phänomenologische Interpretation der Lebensphilosophie beweisen. Ihm zufolge ist der Realismus nur in der modernen Philosophie problematisch geworden. Die Lebensphilosophie soll aus dem Leben erhalten werden, dessen grundsätzliche Frage das Sein ist, das nicht mehr durch eine abstrakte logische Struktur zu erreichen sein wird, sondern durch das Leben selbst seinen Sinn bekommt. 6 Diese reale Position, welche die Frage nach der Realität von Anfang an mit der Seinsproblematik verbunden hat, begrünVgl. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, 189–411. »Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus«, 144: »Eine andere Frage ist die, wie weit die Scholastik bei ihrer metaphysischen Denkrichtung mit metaphysischen Realitäten arbeitet. Aber trotz dieser metaphysischen ›Einschlüsse‹, die von der Gesamteinstellung des scholastischen Denkens aus verständlich werden und als solche die ›phänomenologische Reduktion‹ aufheben, genauer, unmöglich machen, liegen doch im scholastischen Denktypus Momente phänomenologischer Betrachtung verborgen, vielleicht gerade bei ihm am stärksten.« Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, 144. 5 Vgl. Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, 1–17. 6 »Das gedachte Seiende ist nun aber keineswegs identisch mit dem Sein im Denken; seiend (phänomenal) ist hier der Begriff, dessen Inhalt intentional auf das transzendente Sein bezogen wird. Die psychische Existenz eines Begriffes und das ideale Sein des Begriffsinhaltes sind total verschiedene Dinge. Allerdings wird das reale Sein durch den Begriff gedacht, aber dadurch mitnichten in dem Subjekt hereingenommen und zu einem psychischen Sein umgestaltet.« Heidegger, Frühe Schriften, GA 1, 7. 3 4

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det sich bei Heidegger durch denjenigen metaphysischen Einfluss des Mittelalters, welcher ihn ein paar Jahre später zur Enttäuschung über den Dogmatismus der Scholastik führte. Die Radikalitätsfrage in Sein und Zeit wurde von Heidegger auf dem Weg der allmählichen Abweichung vom »System des Katholizismus« und durch die neue Problemstellung des Christentums und der Metaphysik erreicht, 7 die im Hauptwerk von der traditionellen Seinsfrage abweichend in die phänomenologische Analyse des Seins mündete. 8 Das Ziel der Seinsfrage ist hier nicht mehr, das Sein innerhalb eines bestimmten Seinsverständnisses zu erforschen, sondern die Seinsfrage existenzialontologisch zu beantworten. 9 Obwohl die Zeit nach Sein und Zeit als Heideggers Abkehr von der katholischen Kirche verstanden wurde, kann nicht geleugnet werden, dass Heidegger viel von der scholastischen Metaphysik behalten und in seine phänomenologische Theorie integriert hat. Diese These beweist nicht nur § 43 in Sein und Zeit, wo Heidegger die grundsätzliche Realität des Seins betont, sondern auch seine Marburger Vorlesungen über Die Grundprobleme der Phänomenologie 10 kurz vor der Erscheinung des Hauptwerkes. In der Einleitung zur Vorlesung verbindet Heidegger die eigentliche Methode der Phänomenologie mit der Weltanschauungsproblematik. Wenn die Phänomenologie »etwas« ist, das sich immer auf dem jeweiligen Dasein begründet, dann ist die Weltanschauung »etwas, was aus, mit und für das faktische Dasein jeweils geschichtlich existiert« 11. Das bedeutet, dass das existentielle Seinsverständnis des Daseins ein Fundierungselement der Weltanschauungsproblematik ist, deren Zusammenhang die Vorlesung in zwei Teilen abhandelt. Der erste Teil legt im Wesentlichen Wert darauf, durch die Weltanschauung auf das jeweilige Grundproblem der Philosophie zurückzuführen, und dann die Fundamentalfrage aller Wissenschaften des Seins in der Frage nach dem Sinn von Sein zu bestimmen. In diesem Sinn versuchten die unterschiedlichen Zeitalter die Vgl. »Briefe Martin Heideggers an Engelbert Krebs (1914–1919)«, In: Alfred Denker, Hans-Helmuth Gander und Holger Zaborowski (Hg.) Heidegger und die Anfänge seines Denkens. Heidegger-Jahrbuch, Band 1, Freiburg/München, Alber, 2004, 67. 8 Zur Perspektivwendung Heideggers vgl. auch seinen Lebenslauf zur außerordentlichen Professur in Marburg im Jahr 1922, wo Heidegger diese Wendung ausdrücklich betont. Vgl. Heidegger, Leben und andere Zeugnisse eines Lebensweges, GA 16, 42. 9 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 17–18. 10 Vgl. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24. 11 Heidegger, Die Grundprobleme, GA 24, 8. 7

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

Frage des Seins auf eigene Weise, jede nach der Weltanschauung der Zeit, zu interpretieren. Hierbei konzentriert sich die Frage nicht auf die geschichtlichen Zusammenhänge der philosophischen Untersuchungen, sondern auf die Herleitung des spezifisch sachlichen Gehalts der Seinsfrage durch das Grundproblem der Wissenschaften. 12 Das grundsätzliche Ergebnis der existenzialen Analytik bestimmt Heidegger im zweiten Teil der Vorlesungen in der Zeitlichkeit, auf analoge Weise wie in Sein und Zeit. Zur Frage nach der Realität im Anschluss an die Seinsfrage führt die ontologische Fundierung des Seins. Während Die Grundprobleme der Phänomenologie die existenzielle Bestimmtheit des Daseins im Sinn des Seins differenziert, geht die ontologische Fundierung des Seins auf die Realität des Seins, d. h. auf die Frage zurück, wie überhaupt so etwas wie Sein erfahren werden kann. Gegen die sogenannten Realphänomenologen 13 kann Heidegger die Dingwahrnehmung nicht von der die Realität konstituierende Leiblichkeit ableiten. Die Dingwahrnehmung, durch die die phänomenologische Intention über die Körperlichkeit auf das Person-Sein schließt, kann nicht als Realität-konstituierender Charakter betrachtet werden. In Heideggers Sinn konstituiert nicht die Räumlichkeit die Realität der Welterfahrung, sondern eben umgekehrt: von der Realität des Seins folgt die Welterfahrung in der Räumlichkeit. In § 24 der Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs sucht Heidegger solche Seinskategorien, die für die Bestimmung der Gegenstandskategorien, überhaupt für die Bestimmungen, die jedem Etwas zukommen, einen gemeinsamen Grund geben. 14 Gegen die phänomenologische Einstellung, die zum Seienden als Gegenstandsphänomen in einem bestimmten Zugang steht, sucht die Frage nach dem Sein nach einer Kategorie, die sich in allem menschlichen Dasein befindet. Diese Seinskategorie, die ohne Voraussetzung besteht, ist für alle Daseienden real vorhandene Er»Die Herausstellung der Grundverfassung des Daseins, d. h. seiner Existenzverfassung, ist die Aufgabe der vorbereitenden ontologischen Analytik der Existenzverfassung des Daseins. Wir nennen sie die existenziale Analytik des Daseins. Diese muss darauf zielen, ans Licht zu bringen, worin die Grundstrukturen des Daseins in ihrer Einheit und Ganzheit gründen. Zwar haben wir im ersten Teil gelegentlich, soweit es jeweils die positiv kritischen Erörterungen erforderten, einzelne Stücke solcher existenzialen Analytik gegeben.« Heidegger, Die Grundprobleme, GA 24, 322. 13 So nannte Husserl selbst in einem Brief an Daniel Feuling seine München-Göttinger Schüler. Vgl. dazu Edmund Husserl, Husserliana Dokumente III, Band 7, herausgegeben von Karl Schumann, The Hague, Kluwer Academic Publishers 1994, 88. 14 Vgl. Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, GA 20, 293–306. 12

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fahrungstatsache. Die Erfahrungstatsache erklärt nicht die Leiblichkeit in sich selbst, sondern wendet die Frage von der Leiblichkeit zur Erfahrung des Seins in der leiblichen Realität. Diese einführende Untersuchung nach der Realität in der Leiblichkeit führte Heidegger zur Auseinandersetzung der realen Welterfahrung mit der Idealität des Seins. Während die Welt in § 43 von Sein und Zeit in ihrem ontischen Bestand als real Vorhandene phänomenologisch begreifbar ist, ist das Sein in derjenigen ontologischen Voraussetzung bestimmt, die das Seinsverständnis des Daseins annimmt. 15 Es folgt die Einsicht, dass das Realitätsproblem der Welt in Sein und Zeit angelehnt an die scholastische Philosophie vorkommt, während in den Grundproblemen der Phänomenologie Heidegger die Realität der Welt als ein Möglichsein bestimmt, das durch seine Verwirklichung eine Art des Seins realisiert. 16 Wenn auch auf den ersten Blick in Heideggers Denkrichtung ein Widerspruch zwischen der Ablehnung der dogmatischen Seinsphilosophie in Sein und Zeit und der Anerkennung der Realität als mögliches Sein entdeckt werden könnte, ist es doch wohl einsichtig, dass Heidegger von der scholastischen Ontologie mehr beibehalten hat, als es auf den ersten Blick sichtbar wäre. Wenn das Sein für das Seiende nur in seiner aktuellen Welterfahrung begriffen werden kann und die Welt als vorliegendes Erfahrungsmaterial die mögliche Seinserfahrung in sich trägt, dann liegt in diesem System der Seinsapperzeption die scholastische Potenz- und Akt-Lehre vor, wonach das endliche Seiende im ständigen Übergang von der Potenzialität zur Aktualität, vom Werden zum Vergehen lebt, was phänomenologisch »Allerdings nur solange Dasein ist, d. h. die ontische Möglichkeit von Seinsverständnis, ›gibt es‹ Sein. Wenn Dasein nicht existiert, dann ›ist‹ auch nicht ›Unabhängigkeit‹ und ›ist‹ auch nicht ›An-sich‹.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 281. 16 »Wie ist die Seinsart, wie die Scholastik sagt, die entitas der res, die Realität zu verstehen? In welcher Weise modifiziert sich die Realität, das Möglichsein, bei der Verwirklichung zur Wirklichkeit, d. h. wenn die Wirklichkeit hinzukommt? Was ist diese hinzukommende Wirklichkeit, aufgrund deren das Mögliche wirklich wird? Ist sie selbst eine res, so dass im wirklichen Seienden zwischen essentia und existentia ein realer Unterschied, eine distinktio realis, besteht? Oder ist dieser Unterschied anders zu fassen? Wie aber ist es zu fassen? Dass zwischen Möglichsein und Wirklichsein ein Unterschied besteht, wird nicht bestritten; dieses ist etwas anderes als jenes. Die Frage konzentriert sich darauf, ob im verwirklichten Möglichen, in der essentia actu existens, ein Unterschied besteht und welcher. Es handelt sich jetzt um den Unterschied von essentia und existentia beim ens finitum, beim ens creatum.« Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 125. 15

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

als das Erwachen und Abklingen der Erfahrung in der Transition der phänomenologischen Retentionalität zur Protentionalität verstanden wird. In dieser Hinsicht ist die von Heidegger bestimmte Realität der Welt die mögliche, vorontologische Bestimmtheit des Seins.

2.

Die Realität des Seins und die Sorge als vorontologische Bestimmtheit

Diese auf die Realität gegründete vorontologische Bestimmtheit wird von Heidegger phänomenologisch bewiesen. Er geht mit der Bestimmung der Metaphysik, die phänomenologisch sein soll und sich wesentlich auf das Seiende als solches richtet, einen Schritt weiter. In Sein und Zeit setzt Heidegger die Seinsfrage als apriorische Bedingung der ontischen Wissenschaften und der fundierenden Ontologien in den Mittelpunkt. Die ontischen Wissenschaften, die sich mit den unterschiedlichen Seienden beschäftigen, gründen sich nach Heideggers Verständnis auf die verschiedenen Ontologien, die nur dann ihre Aufgaben erfüllen, wenn sie den Sinn des Seienden nach seinem Sein erklären können. 17 Damit ist noch nicht geklärt, ob das Seiende in seinem Seinsverständnis selbst die formalen Ontologien konstituiert. Die unterschiedlichen Ontologien sind für alle Wissenschaften fundierend, für welche eine bestimmte Seinsart des Daseins erscheint. Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem verfügen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat. 18 Das Dasein ist diesbezüglich in Heideggers Sinn das ausgezeichnete Seiende, das »nicht nur unter anderem Seienden vorkommt«, sondern sein Seinsverständnis, eine Seinsbestimmtheit des Daseins, ist. Die Auszeichnung des Daseins besteht darin, dass sein Seinsverständnis »um dieses Sein selbst geht.« 19 Diese ontische Unterschiedlichkeit des Daseins von anderen Seienden, demnach es nach seinem eigenem Sein fragt, verbindet sich mit einem ontologischen Unterschied. Während das Dasein auf sein Sein – auf seine Existenz – zurückfragt, und in diesem Sinn von sei17 18 19

Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 11. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 11. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 12.

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nem eigenen Sein existiert, bildet das Dasein selbst seine vorontologische Position. Nicht das Dasein selbst ist es, das mit seiner Seinsfrage die eigene Ontologie konstituiert, sondern weil es selbst vorontologisch ist, ist seine Auszeichnung vor den anderen Seienden eine ontologische. 20 Ontologisch-sein bedeutet in Heideggers Sinn vorontologisch-sein, indem das Dasein sich aus seiner Existenz versteht und sich ontologisch bestimmt: Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst zu klären. 21 Das existenzielle Verständnis ist ein vor-ontologisches Verständnis, das durch seine Erkenntnisstruktur allen Ontologien voraus geht. 22 Der § 43 von Sein und Zeit erklärt diese vorontologische Grundbestimmtheit des Seins durch die Realität, das heißt durch das Möglich-Sein seines Seins, von der sein Sinn in der Aktualität der Welterfahrung erhalten wird. 23 Die Erklärung des Zusammenhangs zwischen Realität und Möglich-Sein erhebt sich durch die folgenden Fragen, die phänomenologisch zum Realitätsproblem gehören, und das Sein des Daseins fundamentalontologisch beweisen werden: die Differenzierung von Außenwelt und In-der-Welt-Sein, Realität als ontologisches Problem, Realität und Sorge. Das Dasein ist wie auch anderes Seiendes wegen seiner Innerweltlichkeit real vorhanden. In den Vorlesungen Grundfragen der Philosophie von 1937/38 begreift Heidegger den Unterschied zwischen Idealismus und Realismus so, dass im Idealismus sich unser Vorstellen nur auf das Vorgestellte, das perceptum, die idea bezieht, dann das Vorstellen nach dem Realismus die Dinge selbst (res) und was zu ihnen gehört (realia) erreicht. 24 In Sein und Zeit macht Hei»Ontologisch-sein besagt hier noch nicht: Ontologie ausbilden. Wenn wir daher den Titel Ontologie für das explizite theoretische Fragen nach dem Sein des Seienden vorbehalten, dann ist das gemeinte Ontologisch-sein des Daseins als vorontologisches zu bezeichnen. Das bedeutet aber nicht etwa so viel wie einfachhin ontisch-seiend, sondern seiend in der Weise eines Verstehens von Sein.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 12. 21 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 12. 22 »Das Dasein hat daher den dritten Vorrang als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 13. 23 »Dasein ist auch wie anderes Seiendes real vorhanden. So erhält denn das Sein überhaupt den Sinn von Realität. Der Begriff der Realität hat demnach in der ontologischen Problematik einen eigentümlichen Vorrang.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 201. 24 Vgl. Heidegger, Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte ›Probleme‹ der ›Logik‹, GA 45, 17. 20

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

degger keinen radikalen Unterschied zwischen den zwei verschiedenen Erkenntnismethoden, sondern erklärt die Realität durch die Räumlichkeit der Welt. Das Dasein erkennt sich als innerweltliches Seiendes, das den Zuhandenen in dieser Innerweltlichkeit begegnet. »Das Begegnenlassen von Zuhandenen in seinem umweltlichen Raum bleibt ontisch nur deshalb möglich, weil das Dasein selbst hinsichtlich seines In-der-Welt-sein ›räumlich‹ ist.« 25 Das In-der-Weltsein bedeutet für das Dasein, dass es den Sinn seines Seins durch die Räumlichkeit begreifen kann. Die Erkenntnis des Daseins ist auf die Innerweltlichkeit im Sinn der Realität gerichtet, indem sie die Dinge selbst erreicht. Die Realität ist in diesem Sinn der ontologische Erkenntnisgrund, auf dem sich die Analytik des Daseins begründet. Wenn die Erkenntnis des Daseins in Heideggers Sinn ein vor-ontologisches, existenzielles ist, dann hat die Idealismus-Realismus-Debatte im traditionellen Verständnis keinen Sinn. »Realität ist nicht allein eine Seinsart unter andern, sondern steht ontologisch in einem bestimmten Fundierungszusammenhang mit Dasein, Welt und Zuhandenheit. Dieser Nachweis erfordert eine grundsätzliche Erörterung des Realitätsproblems, seiner Bedingungen und Grenzen.« 26 Deshalb muss nicht nur die Analytik des Daseins, sondern die Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt aus der einseitigen Orientierung am Sein im Sinne von Realität »herausgedreht« werden. 27 Die Innerweltlichkeit des Daseins macht seine ontologische Stellung mit anderen innerweltlichen Seienden identifizierbar. Wie Heidegger es im Folgenden erklärt, ist das »innerweltliche Seiende ontologisch nur zu begreifen, wenn das Phänomen der Innerweltlichkeit geklärt ist« 28. Im ersten Punkt beweist Heidegger, dass die Realität der Außenwelt einen angemessenen Zugang zu den realen Dingen bedeutet. Die Unabhängigkeit der realen Gegenstände von der Realität selbst bedeutet, dass die Realität sich durch die Konstitution verwirklicht, die den Gegenstand in seiner bestimmten Umwelt als In-der-Welt-sein versteht. Damit verbindet Heidegger zwei Problemstellungen: die Unabhängigkeit des Bewusstseins von der außenweltlichen Realität, und dass diese Realität nur für das innerweltliche Seiende zugänglich 25 26 27 28

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 139. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 139. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 266. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 266.

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ist. Für diese Verbindung führt Heidegger die phänomenologische Transzendentalität des Bewusstseins ein, dessen In-der-Welt-sein von den außerweltlichen Seienden ontologisch differenziert ist. Inwieweit das »bewusstseinstranszendente« Seiende überhaupt sei, ist eine Frage der Realität. »Die Möglichkeit der zureichenden ontologischen Analyse hängt daran, wieweit das, wovon Unabhängigkeit bestehen soll, was transzendiert werden soll, selbst hinsichtlich seines Seins geklärt ist.« 29 Die ontologische Begründung der Realität vollzieht sich nach Heidegger in einem fundierten Modus des Daseins, der von seiner vorontologischen existenzialen Stellung stammt. Denn dass Dasein wegen seiner Fähigkeit zu Sein ein ausgezeichnetes Seiendes ist, steht außerhalb der Frage von Idealität und Realität. »Besagt der Titel Idealismus so viel wie Verständnis dessen, dass Sein nie durch Seiendes erklärbar, sondern für jedes Seiende je schon das ›Transzendentale‹ ist, dann liegt im Idealismus die einzige und rechte Möglichkeit philosophischer Problematik.« 30 Wenn das Dasein sich grundsätzlich als In-der-Welt-sein versteht, ist sein unabhängiges Sein als innerweltlich vorkommendes Sein zugänglich. Die Strukturganzheit des existenziellen Seins des Daseins bestimmt Heidegger im Phänomen der Sorge, als der vorontologischen Position des Existierens. Das In-der-Welt-sein ist in der Strukturganzheit des Seins des Daseins ontologisch verankert und erschließt sich erst in der Sorge um das Dasein als in-der-Welt-sein. Damit ist die Sorge das existenzielle Verständnis des eigenen Seins, das Transzendentale, das sein Sein innerweltlich begreift. »In diesem Zusammenhang wird auch erst der Charakter der An-sicht ontologisch verständlich.« 31 Die Realität ist der ontologische Fundierungszusammenhang der Sorge, die auf das In-der-Welt-sein des Daseins zurückweist. 32 Dadurch ist es völlig unsinnig, zwischen innerweltlichen Seienden und Außenwelt einen Unterschied zu behaupten, wenn das »Realitätsbewusstsein«, die Konstitution der Gegenstände in der äußeren Welt, durch die Sorge eine Weise des In-der-Welt-seins ist. »Dass Realität ontologisch im Sein des Daseins gründet, kann nicht Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 267. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 275. 31 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 277. 32 »Widerstand charakterisiert die ›Außenwelt‹ im Sinne des innerweltlichen Seienden, aber nie im Sinne der Welt. ›Realitätsbewusstsein‹ ist selbst eine Weise des Inder-Welt-seins. Auf dieses existenziale Grundphänomen kommt alle ›Außenweltsproblematik‹ zurück.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 279. 29 30

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

bedeuten, dass Reales nur sein könnte als das, was es an ihm selbst ist, wenn und solange Dasein existiert.« 33 Das Verständnis des Seins, das sich durch das Dasein offenbart, lässt die Realität in der Sorge des Daseins um sein eigenes Sein eröffnen. Das Seinsverständnis des Seienden richtet sich auf die Innerweltlichkeit des Daseins, welche das Realitätsproblem ontologisch begründet. Demzufolge ist die Realität des Seins von dem existenziellen Verständnis des Daseins, von der Sorge, abhängig, die die unkritische »Interpretation des Daseins am Leitfaden der Idee von Realität« 34 verhindert.

3.

Das Realitäts-Verständnis in Sein und Zeit. Max Schelers Kritik an der Sorge-Problematik

Eine Reflexion auf Heideggers Realitäts-Verständnis in Sein und Zeit finden wir bei den späteren Gedanken von Max Scheler. Ein Teil von Schelers Idealismus-Realismus Abhandlung wurde 1927/28 im Philosophischen Anzeiger veröffentlicht, wo Scheler sich mit dem Problem der Realität und deren Verhältnis zu Raum und Zeit beschäftigte. 35 Der V., unveröffentlichte Teil der Abhandlung begibt sich in heftige Auseinandersetzung mit Heideggers Hauptwerk und kritisiert es an bestimmten Punkten. Diese Auseinandersetzung geht darauf zurück, dass Heidegger sofort nach der Erscheinung seines Buches ein Exemplar an Max Scheler sandte, und dem eine persönliche Diskussion über die Problematik des Daseins, der Zeitlichkeit und des Todes folgte. 36 Schelers Interesse am Realitätsproblem, das er im V. Teil seiner Arbeit unter dem Titel Das emotionale Realitätsproblem ausgearbeitet hat, kann sogar begründen, dass Heidegger im § 43b einen Absatz Schelers Realitätsauffassung gewidmet hat. 37 Hier Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 280. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 281. 35 Vgl. Manfred S. Frings, »Nachwort des Herausgebers«, in: Max Scheler, Späte Schriften, GW 9, Francke Verlag Berlin und München 1976, 350: »Die Abhandlung Idealismus-Realismus wurde von Max Scheler nur in Teil II (»Sonderungen und Lösungen der Probleme, die der Realitätsfrage vorausgehen«) und Teil III (»Das eigentliche Realitätsproblem«) im Philosophischen Anzeiger, 2, 1927/8 veröffentlicht. Wie der Verfasser dort auf Seite 257 ankündigte, beabsichtigte er, sie in Kürze mit den Teilen I, IV und V fortzusetzen bzw. abzuschließen.« 36 Vgl. Manfred S. Frings, »Nachwort des Herausgebers«, Späte Schriften, GW 9, 362. 37 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 278. 33 34

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führt Heidegger die schelersche Auffassung über die Realität auf Dilthey zurück und charakterisiert seine Philosophie als »voluntative Daseinstheorie« 38, wonach die Gegenstände nur in der Trieb- und Willensbezogenheit gegeben sind. Bezüglich der drei Probleme Dasein, Zeitlichkeit und Tod beschäftigte sich Scheler nur mit dem ersten, in Verbindung mit Angst und Sorge. Seine Kritik gegen Heideggers Sorge-Problematik klingt ein wenig widersprüchlich bezüglich der Anerkennung von Heideggers philosophischer Größe in der Fundamentalanalytik. Den problematischen Punkt findet Scheler in Sein und Zeit in der Vernichtung der Innenwelt und Außenwelt in der Gegenstanderkenntnis, die sich für Heidegger in der Sorge-Struktur verwirklicht. Schelers Problemstellung geht in Abweichung von Heideggers Realitäts-Frage von den Realphänomenologen aus, wonach er die Realität der Welt mit der Räumlichkeit zusammenstellt und hieraus die Seinsfrage von der real vorhandenen Gegenständlichkeit, die phänomenologisch begriffen wird, vorstellt. Heideggers Daseins-Philosophie reiht Scheler in die Richtung der Lebensphilosophie von Dilthey und Jaspers ein, welche aber trotzdem durch die phänomenologische Methode analysiert und durch diese Methode verstanden wird. Das Problem der Methode macht für Scheler gerade das Dasein aus, das seines Erachtens von der Realität der Welt und von der Außenwelt unabhängig ist. 39 Mit der Sorge-Angst-Struktur stellt Heidegger Scheler zufolge das menschliche Leben in ein phänomenologisches Schema, durch das sich die ontologischen Fundierungszusammenhänge des Lebens zeigen. Das, worin Realsein (nicht Realität) sich aufschließt, ist die – Sorge. 40 Die Welt ist demzufolge eine Vorhandenheit, die zur Existenz des Daseins gehört, die in Heideggers Sinn die Umstände der Existenz bestimmt. Demgegenüber bleibt Scheler bei der cartesianisch-phänomenologischen Auffassung, dass im Mittelpunkt des Idealismus-Realismus-Problems das Problem der Bewusstseinskonstitution steht, und dadurch Angst und Sorge hinter den Schemata sich als unterschiedliche Lebensgefühle verstecken, die phänomeno-

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 278. »Wie aber steht es bei Heidegger? Fundiert das Weltsein das Realsein (also sicher auch Kausalität) und heißt Dasein (des solus ipse) In-der-Welt-sein – woher weiß Heidegger dann überhaupt, dass er und ich in einer Welt sind?« Scheler, Späte Schriften 266. 40 Vgl. Scheler, Späte Schriften, 267. 38 39

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

logisch analysiert werden sollen. 41 Dass die Angst ein grundsätzliches Lebensgefühl ist, gibt Scheler Heidegger zu, doch will er nicht anerkennen, dass Angst und Sorge die weltkonstituierenden Akte des seinssuchenden Daseins wären. Die Angst, die nach Scheler von dem verdrängten Eros der Kindheit zurückgeblieben sei, macht den Menschen nicht zur Selbstwertung, Lebenslust usw. fähig. »Der Eros, nicht die Angst ist das Vehikel steigender Teilhabe und des Erkenntnisprozesses. Vor dem Eros öffnet sich die Welt und noch hinter jeder Wahrnehmung des Soseins eines Gegenstandes treibt ein Impuls, der sein Ableger ist. Auch Selbsterkenntnis ist durch Selbstliebe, ist mindestens durch Sympathie mit sich fundiert.« 42 Das Leben, als eine sorgfältige Bewegung in der Welt, als Vorhandenheit, ist nach Scheler nicht wie eine »tierische Lebensart« zugänglich. Die Sorge bezieht sich immer durch das »Jetzt-hier-etwas-Reales« als Aktstruktur auf das Realsein des Realen, was Heideggers phänomenologische Auffassung in den ontologischen Subjektivismus setzt, der auf analoge Weise zu Husserls Idealismus nichts Anderes als eine Bewusstseinskonstitution bleibe. Den gemeinsamen Punkt mit Heideggers phänomenologischer Methode findet Scheler in dem Verständnis des ontischen Wissens als Grundproblem der Ontologie. »Denn ich bin allerdings der Meinung, dass man die Ontologie des ›Menschen‹ erst gewinnen kann, wenn man die Ontik des ›Wissens‹, des ›Bewusstseins‹, des ›Geistes‹, der ›Person‹, des ›Lebens‹ usw. schon geklärt hat.« 43 Der Unterschied zwischen »echtem Wesen« – oder wie es Scheler meint, zwischen ewigem Wesen – und »zufälligem Sosein« – oder endlichem Wesen – erfordert eine erweiterte Untersuchung, die aber »Die Angst ist ein ausgesprochenes Vitalgefühl, besser eine vitale Gesamtzuständlichkeit, die sich physiologisch und psychologisch gleich ursprünglich äußert (physiologisch in wachsender Vergehirnlichung als objektives Korrelat zur Sublimierung). Die Angst ist weder ein geistiges Datum und Gefühl, noch ein seelisches, d. h. an wechselnde Perzeptionen Geknüpftes – noch eine Gefühlsempfindung (wenn auch spezielle Ängste, wie etwa Herzensangst, angina pectoris, von solchen ausgeht). Der Mensch hat Angst, und seine spezifische konstitutive Angst als Lebewesen, nicht als Geisteswesen. Gegen Heidegger, der mir immer mehr in eine Art Lebensphilosophie zu geraten scheint, ist dieser Unterschied unbedingt festzuhalten. Dass Angst ein Vitalgefühl ist beweist, dass auch das Tier Angst hat, und zwar alle Zeichen der Angst. Aber beim Menschen ist Angst nur das zentralste Lebensgefühl. Soweit sind wir Heideggers Meinung.« Scheler, Späte Schriften, GW 9, 270. 42 Scheler, Späte Schriften, 272. 43 Scheler, Späte Schriften, 281. 41

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nach Scheler Heidegger übersteigt, und so bleibt sie damit letzten Endes im Gefängnis der Metaphysik, nimmt einige »empirische Züge an«. 44 Heideggers Verständnis reflektiert Scheler zufolge nicht auf die Endlichkeit des Lebens der Person, obwohl dies auch eine Aufgabe der Lebensphänomenologie sein könnte, die es ermöglichen würde, den Unterschied zwischen endlichem und unendlichem Sein phänomenologisch zu klären. 45 An Heideggers Daseins-Auffassung, die Scheler mit seiner eigenen Person-Auffassung identifiziert, bemängelt Scheler die Reflexion auf die eigene Leiblichkeit, die ermöglichen könnte, von der Sorge-Struktur aus auf die eigene Realität zu reflektieren. Er hätte bevorzugt, durch gewöhnliche Phänomene wie Sterben, Geburt oder Perzeption die Welterfahrung zu charakterisieren, weil eben diese Phänomene den Rahmen des eigenen Lebens bilden. Aus Schelers Reflexion lässt sich auf die unterschiedliche phänomenologische Sichtweise der beiden Phänomenologen schließen. Während für Heidegger das Dasein sich nur als In-der-Welt-sein charakterisieren lässt, erhebt Scheler die Person als Aktzentrum, die außerhalb des Aktvollzugs bestehe und von der Welt eine unabhängige Entität sei. 46

4.

Schlussbetrachtungen

Die Realitätsfrage in Heideggers Sein und Zeit führt zweifellos eine neue Alternative in die phänomenologische Erfahrung der Außen»Er fragt nicht: Was ist Person? Was ist Geist? Was ist Leben? Was Bewusst-sein? Und so fort, um dann auf Grund erfolgter Wesensuntersuchung und Wesenserkenntnis die zugehörige Seinsart zu eruieren, sondern sucht zunächst eine Systematik der Seinsarten auf – macht aber zwischen ›echtem Wesen‹ und ›zufälligem Sosein‹ überhaupt keinen Unterschied mehr. Dieses Vorgehen hat bedeutsame Folgen: Heideggers Philosophie nimmt damit ausgesprochen empirische Züge an.« Scheler, Späte Schriften, 286. 45 »Die Person als individuelles Was von Akzentren des ewigen Geistes ist das, was sich in Sterbensakten über-sein, über-werden über das spontane Ende des Lebens weiß. Im Sterben erlebt jedes Wesen seine relative Unsterblichkeit als Person: Er sieht, wie er sieht, das Leben vergeht, auch das Dahinschwinden des Lebens. Freut euch auf nichts mehr als auf den Akt des Sterbens: Das Wehe des Schmerzens wird gemindert durch das Schauen, wie ihr schon hinaus – darüber hinweg – ›seid‹.« Scheler, Späte Schriften, 294. 46 »Dasein heißt ja ›In-der-Welt-sein‹ und soll Voraussetzung sein von Realität und Kausalität. In welcher Welt, in einem der vielen Exemplare von Weltlichkeit? Auch für mich ist die Person nicht ›in‹ der Welt; sie ist Aktzentrums-Korrelat als Werdende je einer werdenden Welt; sie ist auch nicht Teil der Welt.« Scheler, Späte Schriften, 266. 44

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Das Realitätsproblem beim frühen Heidegger

welt ein, die in der Sorge-Struktur des Daseins für die IdealismusRealismus-Debatte einen neuen Horizont in der Seinsfrage vorschlägt. Es ist jedoch festzustellen, dass die Interpretation von Heidegger, nach der er unter Realität die vorontologische Position des Inder-Welt-seins versteht und die Seinsfrage unter dem Sein des Daseins überprüft, zwar eine eindeutige Abweichung von der husserlschen Phänomenologie und in diesem Sinn auch von dem Problembereich der phänomenologischen Bewegung um Husserl bedeutet. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass eben diese Abweichung von der eng genommenen transzendentalen Phänomenologie, besser gesagt, deren kreatives Einbauen in das eigene Denken, eine Lösung für die Ratlosigkeit der phänomenologischen Stellungnahme zur Konstitution hat. Dass Heideggers Hauptwerk in den dreißiger Jahren von den ehemaligen Münchener Schülern sehr intensiv diskutiert wurde, lässt darauf schließen, dass sie in Sein und Zeit nicht nur kritische Anhaltspunkte, sondern auch eine Lösung für die Seinsproblematik der Phänomenologie sahen. Die Sorge, als eine vor-ontologische Bestimmtheit der Welterfahrung, als die Transzendenz, richtet sich innerweltlich auf das Sein des Daseins. Schelers Alternative, wonach nicht die Angst, sondern vielmehr die Liebe für das Subjekt die Welterfahrung eröffnet, führt in phänomenologischer Hinsicht zu keiner besseren Erkenntnis. Obwohl die Liebe den emotionalen Hintergrund der Welterfahrung beschreibt, kann sie ontologisch nicht mehr dazu beitragen, als was das Sein des Daseins in der Sorge erschließt. Ob die Sorge aus Angst oder aus Liebe um das Sein des Daseins besteht, führt in der ontologischen Struktur in Hinsicht der Motivation zu keiner neueren Erkenntnis. Das heißt, ob die Erfahrung des Seins des Daseins letzten Endes von der Angst oder von der Liebe motiviert ist, hat keinen Einfluss auf die Tatsache der Realität des Seins des Daseins, das sein Sein als In-der-Welt-sein erfahren kann. Demnach lässt sich diese Kritik am Realitätsproblem bei Heidegger eher als eine Meinungsäußerung über Idealismus und Realismus innerhalb der phänomenologischen Bewegung interpretieren, als eine persönliche Attacke gegen Heideggers Weltinterpretation. Damit wird Heideggers Problemstellung zur Realitätsfrage nicht nur zur Rekonstruktion der persönlichen philosophischen Struktur, sondern auch zum philosophiegeschichtlichen Aspekt der Realitätsfrage einen wichtigen Gesichtspunkt beitragen.

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Between Liberale Theologie and Religionsphilosophie A New Perspective on Heidegger’s Phenomenology of Religious Life Gregory P. Floyd

Abstract: Heidegger’s early Freiburg courses on the phenomenology of religion (1920–21) have long held the interest of scholars for the insight they provide into the silent decade leading up to the publication of Sein und Zeit. However, if we only read them in light of that later work, we are likely to miss much of what is innovative and interesting, if also incomplete, in Heidegger’s fledgling attempt at a phenomenology of religion. This paper proposes to read the first of these courses, »Introduction to the Phenomenology of Religion,« in light of the broader trends in German theology and philosophy of religion contemporary with the young Heidegger. It argues that when we attend to Heidegger’s critique of the new Religionsphilosophie of Ernst Troeltsch, we are better able to grasp the nature and import of his project. This helps us see that what we have in the Phänomenologie des religiösen Lebens is a profound and as-yet unplumbed attempt to rethink the nature of a philosophy of religion. Zusammenfassung: Die frühen Freiburger Vorlesungen Heideggers über die Phänomenologie des religiösen Lebens (1920–1921) stehen aufgrund der Einsichten, die sie in das stille Jahrzehnt vor der Veröffentlichung von Sein und Zeit gewähren, seit langem im Interesse der Forschung. Wenn wir diese Vorlesungen jedoch nur in Anbetracht dieser späteren Arbeit lesen, übersehen wir wahrscheinlich vieles von dem, was diese ersten Schritte Heideggers zu einer Phänomenologie der Religion – wenn auch unvollständig – innovativ und interessant macht. In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, die erste dieser Vorlesungen, »Einführung in die Phänomenologie der Religion«, im Lichte der dem jungen Heidegger zeitgenössischen Entwicklungen deutscher Theologie und Religionsphilosophie zu verstehen. Es wird argumentiert, dass wir, wenn wir Heideggers Kritik der neuen Religionsphilosophie Ernst Troeltschs betrachten, besser in der Lage sind, die Natur und Bedeutung seines Projekts zu erfassen. Dies hilft uns zu erkennen, dass wir in der Phänomenologie des religiösen Lebens einen tiefgründigen, noch zu erkundenden Versuch haben, das Wesen einer Religionsphilosophie zu überdenken.

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Between Liberale Theologie and Religionsphilosophie

1.

Heidegger’s »Introduction to the Phenomenology of Religion«

Heidegger’s 1920–21 courses on the phenomenology of religion have rightfully held the interest and occupied the scholarly imaginations of researchers before and since their publication in the Gesamtausgabe in 1995. 1 Their scholarly reception generally follows one of two directions. Many find them to be a source of insight into a particular developmental stage of Heidegger’s thought and his emergent hermeneutic phenomenology almost a decade prior to the publication of Sein und Zeit. These same scholars also find expressed here a set of themes that are suppressed or ignored during the rest of Heidegger’s phenomenological decade only to reemerge in his later writings. 2 Such themes both complicate and prove indispensable for any understanding of Heidegger’s Kehre. The second tack is to ignore them altogether. This is the case, for example, in the otherwise excellent book by Stephen Galt Crowell, 3 in which he acknowledges that he is giving a selective reading of the early courses, but this turns out to mean all but the religion courses, which receive only a single citation of little consequence. The implication is clearly that one can construct an account of Heidegger’s philosophy independent of these courses. Though in most respects opposed, what these two modes of scholarly evaluation share is a more or less explicit conviction that the religious content of these courses is incidental to the philosophical methodology being developed. There are good reasons for thinking this. First, there can be no doubt that these courses are a window onto a moment in Heidegger’s Martin Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60. The volume includes »Einleitung in die Phänomenologie der Religion« (WS 1920–21), »Augustinus und der Neuplatonismus« (SS 1921), and »Die philosophischen Grundlagen der mittelalterlichen Mystik,« which are Heidegger’s notes from 1918–1919 for a course on medieval mysticism. 2 In his 1919 course »Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem«, for example, we find the expressions »Es weltet« and »Es er-eignet sich.« Martin Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 73–75. In the 1920–21 course we find the first full elaboration of formale Anzeige as well as the first use of Dasein as a technical term. Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, § 10. This group of scholars includes John Van Buren, Theodore Kisiel, and Thomas Sheehan among others. 3 Cf. Stephen Galt Crowell, Husserl, Heidegger, and the Space of Meaning, Chicago, Northwestern University Press, 2001. 1

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philosophical development that leads to Sein und Zeit and beyond. In that respect, the continuities and discontinuities between the lecture courses and his later texts are illuminative. Second, Heidegger’s own procedure in the courses seems to support such an interpretation when he spends the first half of a course purportedly on the phenomenology of religion giving a series of lectures that constitute an introduction to phenomenology and only turns to analyzing Paul, seemingly regretfully and begrudgingly, when his students complain to the Rector about the lack of theological content. 4 More suggestive still are Heidegger’s own attempts to eliminate these courses from his literary legacy. First, by attempting to suppress their publication in his Gesamtausgabe. 5 Second, by downplaying their importance: at certain times »retrospectively read[ing] his later thought back into his earlier thought, such that […] he created a kind of mython in the sense of a mythic narrative, a tall tale,« while at other times suggesting later dates and different courses for the origin of key concepts, for example, »hermeneutic phenomenology,« 6 that in fact appear here for the first time. Yet there are also reasons for contesting these scholarly and authorial trends in interpretation. In the first place there is Heidegger’s own suggestion that, »It is a dubious thing to rely on what an author himself has brought to the forefront. The important thing is rather to give attention to those things he left shrouded in silence.« 7 Secondly, as some recent scholarship has suggested, the reemergence of themes and language from these early courses in Heidegger’s later work suggests that Heidegger returns to his earlier insights after the purported failure of Sein und Zeit in search of a new beginning 8. Thus, Heidegger himself seems to reconsider and indeed overturn Cf. Ryan Coyne. Heidegger’s Confessions: The Remains of St. Augustine in Sein und Zeit and Beyond. Chicago, University of Chicago Press, 2015, 28. Echoing a similar appraisal by Kisiel, Coyne suggests that the turn is improvised. Cf. Kisiel, Genesis of Heidegger’s Being and Time, Berkeley, University of California Press, 1995, 173. 5 Cf. Van Buren, John. The Young Heidegger: Rumor of a Hidden King, Bloomington, Indiana University Press, 1994, 15. Van Buren reminds us that »Heidegger’s plans for the collected edition involved handing out the thought paths in his early Marburg courses, but not those in his early Freiburg courses (1916–1923).« 6 Van Buren, The Young Heidegger, 11–15. 7 From GA 18, quoted in Van Buren, The Young Heidegger, 10. 8 This is the case with Coyne’s recent Heidegger’s Confessions, which examines Heidegger’s 1931 return to Augustine. It is also the case with Judith Wolfe’s Heidegger’s Eschatology, which examines the permutations of the Christian account of eschatol4

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his own dismissal of these courses suggesting that they were for him and remain for us a fruitful field of inquiry. Finally, in these courses Heidegger sets a trajectory and basic methodology for much of the continental philosophy of religion that has followed in his wake. Thus, we are justified in seeking a new perspective on these courses and thereby on the very idea of a phenomenology of religion. To gain access to them, however, we must avoid placing undue weight on the later and motivated interpretations of Heidegger himself as well as a chronological conceit that would read them only in light of Sein und Zeit. As a contribution to this new perspective, this paper will explore and defend three theses: (1) Heidegger develops his account of a phenomenology of religion in view of the general theological trends in the German academy, especially Liberale Theologie, the proto-phenomenology of Rudolph Otto, and, in particular, the relatively new field of Religionsphilosophie that emerges out of the Religionsgeschichte school. (2) Heidegger contradistinguishes his own approach from those of these schools. Therefore, understanding this background is key to evaluating the proposals of these courses on their own terms, rather than merely with respect to their continuities and discontinuities with Sein und Zeit. (3) The proposals made by Heidegger retain import and value for the philosophy of religion today.

2.

Heidegger Among the Theologians

Heidegger was both aware of and well-versed in the Christian theology of his day. In addition to the biographical and historical record, 9 we have Heidegger’s own references to a range of prominent German theologians in these courses, including Ernst Troeltsch 10, Adolf von

ogy before, in, and after Sein und Zeit. Cf. Judith Wolfe, Heidegger’s Eschatology, Oxford, Oxford University Press, 2013. 9 This includes Heidegger’s Catholic upbringing in Messkirch, his studies at religious Gymnasia, a brief period with the Jesuits, and two years of theological studies at the University of Freiburg, as well as his own testimony to this fact in his private correspondence with Löwith, Blochmann, and others. 10 Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 19–30, 160–62, and passim.

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Harnack 11, Rudolph Otto 12, Schleiermacher 13, F. C. Baur 14, J. Weiss, Bultmann 15, and others 16—as well as his extensive appropriation of Paul, Augustine, and Luther. Thus, despite the general and unspecified title to the course, »Einleitung in die Phänomenologie der Religion,« what Heidegger in fact means by religion is Christianity and, more specifically, a protestant and largely Lutheran understanding of Christianity. Here, contemporary protestant theology rises to the surface as a major influence alongside Husserl and, in part, as a correction of him, and in both cases Heidegger’s engagement is equal parts appropriation and critique. While much scholarly attention has been devoted to Heidegger’s theological sources, relatively little has been applied to the, by no means insignificant, context of 19th and 20th century German theology. 17 Yet, a thorough examination of Heidegger’s relation to religion must distinguish between religious sources on the one hand and the contemporary theological situation on the other. 18 To understand how Heidegger incorporates the insights of Paul, Augustine, or Luther into his method, or even those of more recent figures like Kierkegaard or Schleiermacher, is not the same as understanding how his phenomenology of religion was intended as an alternative to contempor-

Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 72–74 and 162–63. Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 332–34. See »Das Heilige,« which were Heidegger’s notes for a proposed review of Otto’s Das Heilige. 13 Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 14–18, 163–64, 168– 73, 319, 330. 14 Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 81–83. 15 Cf. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, Anhang, 132–134. 16 Including: P. Schmidt, H. J. Holtzmann, G. Hollmann, E. Norden, K. Deißner. 17 In her recent Heidegger and Theology Judith Wolfe has provided a helpful registry of Heidegger’s theological friendships and a general taxonomy of theological responses to Heidegger, both appropriations and critiques. Cf. Judith Wolfe, Heidegger and Theology, London/Bloomsbury, T&T Clark, 2014. 18 Much good work has been done on the first of these. To indicate only a fraction of the literature, Van Buren (1995) and McGrath (2006) have noted the importance of Luther and Medieval thinkers for Heidegger; Wolfe (2013, 2014) has shown the importance of Heidegger’s relationship to dialectical theology; and most recently Coyne (2015) has provided us with a comprehensive study of Heidegger’s engagement with Augustine. Cf. Van Buren, The Young Heidegger; S. J. McGrath, Heidegger and Medieval Philosophy: Phenomenology for the Godforsaken, D. C., The Catholic University of America Press, 2014; Wolfe, Heidegger’s Eschatology; Wolfe, Heidegger and Theology; Coyne, Heidegger’s Confessions. 11 12

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ary ways of engaging the religious phenomenon. With respect to this second line of inquiry, our goal is to ask how Heidegger stands in relation to the dominant currents of German theological Wissenschaft. What we find in his 1920–21 course is a lengthy reflection on method, which constitutes the major preoccupation of the German theological world at the end of the 19th century, and a close examination of Paul, in whom that contemporary theology found its most fertile resource and court of appeal. 19 We will consider Heidegger’s proposals primarily by way of his engagement with Ernst Troeltsch, a leading figure of the History of Religions School (HRS) and the preeminent example of a new approach called Religionsphilosophie. Before turning to Troeltsch, however, it is important to note the other contemporary forms of investigation from which Heidegger is contradistinguishing his own. In addition to Troeltsch, Heidegger also considers and rejects historical criticism (Gunkel, Bousset), liberal-critical theology (von Harnack), and the proto-phenomenology of Rudolph Otto as possible models for his own phenomenology of religion. The rise of historical consciousness characterizes both the comparative work of historians like Hermann Gunkel and Wilhelm Bousset as well as the development of a »scientific« theology of Christianity championed by von Harnack. Yet, against both Heidegger argues that the operative notion of history has no feeling for historicality [Geschichtlichkeit], which is the existential condition of Dasein’s ability to historize. This leads to a misunderstanding of both the object and method of a nontheological investigation of religious phenomenon. For example, the form-critical analysis of the epistolary character of the Pauline writings can furnish helpful information about the historical context, formal character, and cultural significance of letter writing in the first century CE. However, to suggest that is equivalent to a theological or philosophical understanding of those same writings is incorrect according to Heidegger: »the point of departure is misguided as much

For example, both Gunkel and Bousset write dissertations on Paul and are part of a larger trend marking the shift of interest from Old Testament scholarship to New Testament scholarship, though Gunkel is an exception to this. Cf. Hermann Gunkel, Die Wirkungen des Heiligen Geistes nach der Populären Anschauung der Apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1888; Wilhelm Bousset, Die Lehre des Apostels Paulus vom Gesetz, Göttinger Habilitationsschrift, unpublished, 1890.

19

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according to the science of history as phenomenologically. One approaches the matter entirely externally.« 20 Heidegger is not contesting the value of historical and form critical scholarship. Their results are an important aid to a phenomenology of religion. He is contesting their claims to priority in supplying the guiding sense of the religious and the suggestion that these approaches in their non-theological character might be a model for the philosophy of religion. Thus, a phenomenology of religion will be third alongside Religionswissenschaft and Liberal-critical research. However, it will also entail a rethinking of phenomenology. Heidegger also rejects the proto-phenomenological investigations of Rudolph Otto, which is an implicit rejection of a Husserlian phenomenology of religion. In 1917, Husserl recommended Otto’s Das Heilige to Heidegger as a partial example of what a phenomenology of religion might look like. Yet, far from developing Otto’s work, Heidegger critiques it for its phenomenological limitations as only an investigation of religious consciousness. As such it takes from religion only that which has the character of consciousness. More problematically »the phenomena of consciousness, which correspond to the entirely particular concept of consciousness of the philosophy used as a foundation, standardize the entire formulation of the problem.« 21 For Heidegger, Otto’s operative notion of consciousness is Cartesian: a transparently rational ego in relation to the irrational numinous, which it cannot master and so before which it cowers in fear and fascination. This erroneous account of consciousness leads to a misapprehension of the religious that in turn generates the inappropriate interpretive categories of the rational and irrational. The root of the religious is not the irrational, but the truly originary, which Otto cannot comprehend because he lacks »true insight yet into living consciousness and its original worlds.« 22 Thus, a phenomenology of religious life (religiösen Lebens) will be something other than a phenomenology of religious consciousness and third alongside Religionswissenschaft and Religionsgeschichte.

20 21 22

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 81. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 76. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 333.

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3.

Heidegger, Ernst Troeltsch & Religionsgeschichte

Ernst Troeltsch was one of a number of young theologians who composed the so-called Göttingen Group 23 from which the Religionsgeschichte school arose. With people like Hermann Gunkel and Wilhelm Bousset, he sought to resituate Christianity in a broader context, and in so doing he is rightly counted among the members of a single Religionsgeschichte movement. Yet, as a systematician rather than a historian, the broader context within which he sought to resituate Christianity differed from that of his colleagues. For Gunkel, Bousset and others it was the near-eastern culture contemporary with the Old Testament (Gunkel) and the New Testament (Bousset), whereas for Troeltsch it was the broader human context of religious experience. In that endeavor he retained a certain Kantian inflection in his search for das religiöse apriori. For these reasons, his work began to be designated as Religionsphilosophie and he was eventually awarded a chair of philosophy in Berlin. Initially, Troeltsch provided a model for Heidegger who had recently converted from Catholicism to Lutheranism. In a letter to Rickert during that period, he reasserts his interest in philosophy and religion, adding that he is now able to pursue these with »a truly living and free understanding of Christianity in the sense of Troeltsch.« 24 Heidegger’s reference to Troeltsch’s idea of a »free Christianity« recalls Elfride Heidegger’s account to Engelbert Krebs’ of the couple’s commitment to »think in a Protestant way […] outside any Protestant or Catholic orthodoxy.« 25 It also recalls Husserl’s selfdescription to Rudolph Otto as »a non-dogmatic Protestant and a free Christian.« 26 After his letter to Rickert, Heidegger began a direct correspondence with Troeltsch, and they exchanged letters prior to Heidegger’s visit to Berlin for military training as a meteorologist in the summer of 1918, during which they met in person. Whatever intellectual assistance Troeltsch provided Heidegger as he sought to resiCf. Morgan, Robert and Barton, John (eds.), Biblical Interpretation, Oxford, Oxford University Press, 1988, 125. 24 Alfred Denker (ed.), Martin Heidegger /Heinrich Rickert: Briefe 1912 bis 1933, Frankfurt, Klostermann 2002, 42. 25 Quoted in Hugo Ott, Martin Heidegger: Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt, Campus, 1988, 108; also quoted in Theodore Kisiel and Thomas Sheehan (eds.), Becoming Heidegger, Evanston, Northwestern University Press, 2007, 95. 26 Kisiel and Sheehan, Becoming Heidegger, 25. 23

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tuate his interests in the philosophy of religion within a new Protestant religious and professional situation, when Heidegger set out a few years later to develop a Religionsphilosophie whose point of departure was a Phänomenologie des religiösen Lebens, the differences between them became clear. In Troeltsch’s account, Heidegger distinguishes four principal and complementary approaches to the philosophy of religion: psychology of religion, epistemology of religion, history of religion, and metaphysics. He argues further that the psychology of religion is really only a »preliminary phenomenology« from which to construct a transcendental religious epistemology that is evidenced in the history of religion, which serves merely as a cultural data set from which to infer an inductive metaphysics of religion. Viewed methodologically, the first three approaches are derivative of the natural sciences and together constitute the »science of religion« that then ushers in a metaphysics of religion, which Troeltsch took to be philosophy of religion in the strict sense. They can also be divided materially: The four regions are not only methodological; [they are] rather also divided according to their material character. The psychic reality is, in its structure and in its character of being, something other than the a priori region of rational lawfulness; and this is again something else than the reality of history, in particular the universal history; and this is something other than the last metaphysical reality, in which God is thought. 27

In response to the contemporary philosophy of religion that he finds in Troeltsch, Heidegger proposes the following line of inquiry: »We must now understand in what way this philosophy of religion refers to religion, whether it grows out from the meaning of religion, or whether religion is not as much as grasped in the manner of an object and forced into philosophical disciplines—that is to say, integrated into material complexes that already exist in themselves before religion.« 28 He critiques Troeltsch for adopting a set of categories from the natural sciences and naïvely applying them to the religious phenomenon. Against this Heidegger argues that when religion is interpreted in this way it is explicated along a number of different lines whose common mistake is to treat the study of religion as any other science and to define it in terms of an uncritically accepted »object,« namely, the »idea of God«. Such »religious-philosophical disciplines,« 27 28

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 28. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 26–30.

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he writes, do not arise »from religion itself qua religion, [but rather,] from the outside religion is observed and integrated as an object. The philosophy of religion itself is the science of religion.« 29 By contrast, for Heidegger philosophy (that is, phenomenology) is a primordial science and therefore cannot begin from an assumed scientific standpoint. A phenomenology of religion, by extension, cannot begin with a predetermined objet, but rather has as its primary task the pre-determined investigation of the religious phenomenon. Troeltsch’s procedure has reversed the order of inquiry. Instead of beginning at the level of factical life where the religious phenomenon is apprehended as a unity that then motivates its various forms of explication, it is first grasped by way of four distinct approaches that are predetermined by their relations to other non-religious phenomena and based on designations external to that phenomenon rather than internal to it. One problematic consequence of this approach is that we cannot explain how the different regions link together. It is not clear how the history, psychology, epistemology, and metaphysics of religion when taken together can present a unified account of a single religious phenomenon. The only thing that unites them is a shared uncritical apprehension of scientific categories. Apart from that however, they each have only taken a particular sense of the religious phenomenon that corresponded to their preestablished field of investigation. Thus, religion, like philosophy more generally, has been misunderstood by being dissipated into various forms of science such that, in the end, it is only a general category of »cognitive comportment« whose specific contribution is either already abolished or always in danger of giving way to a further subdivision of scientific method.

4.

Heidegger’s Critique of Troeltsch

The inversion of inquiry Heidegger discerns in Troeltsch leads to basic problems in his proposed Religionsphilosophie. These can be specified along the axes of its nature, method, and goal. 1. Nature: Philosophies. He begins his critique of Religionsphilosophie with a general remark that ultimately contains the nucleus of his disagreement. He writes of Troeltsch: »He is coming from 29

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 27.

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Theology. The presentation of his view is rendered difficult through the frequent change of his basic philosophical standpoint.« 30 This is not, as it might first seem, the criticism that Troeltsch slides uncritically between philosophy and theology. The »frequent change« pertains to »his basic philosophical position«. In other words, Troeltsch, in part because he comes from theology, has yet to determine what philosophy is. As a result, he vacillates between conceptions of philosophy as scientific and as metaphysical—both of which are erroneous according to Heidegger. Yet, for Troeltsch, it is precisely the scientific character of their work that permits theologians to defend their claim to intellectual rigor and the metaphysical character of philosophers of religion that permits them to defend their claim to disciplinary independence. It is the task of Religionsphilosophie to relate the conclusions of Theological Wissenschaft to the universal and law-like development of religion and its relation to the order of morality and pure reason. This is an appropriation of Kant by way of Schleiermacher for whom the separation of religious feeling from metaphysics and morality opened up the possibility of a theology concerned with the scientific elaboration of religious feeling and a philosophy of religion that would endeavor to relate back to metaphysics and morality. The movement from an objective-scientific approach to a metaphysical one accounts for Troeltsch’s »constant transformation« of standpoint. His ability to view religion simply from one »material complex«—psychological states, transcendental structures, historical events, an ontological ground—and then another is a clear sign that Troeltsch posits religion as a kind of object. Conceived as such, the nature of Religionsphilosophie is essentially metaphysical. It differentiates itself from theology by moving beyond confessional commitments and beliefs. 31 Its ascent to a final metaphysical reality is what secures the status of Religionsphilosophie. 2. The method of this exercise is based on the model of contemporary theological science and therefore uncritically takes scientific objectivity as its model. This is a second sense of the claim that Troeltsch is coming from theology. He has taken a scientific conception of theology and wedded it to a critical »metaphysics of the idea of Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 19. Not by bracketing them, as Husserl and Heidegger will propose, but by denying their claims to ultimacy and taking them as so many instances of a law-like manifestation of an a pirori human capacity for »transcendence.«

30 31

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God on the basis of all our experiences of the world.« 32 For Troeltsch, there is an exitus–reditus metaphysical structure to this in which having been given our metaphysical object of inquiry »the idea of God«, we leave metaphysics for a »preliminary phenomenology,« that is in reality a »doctrine of types of historical religions« from which we extract a religious a priori which in turn is correlated to the metaphysical idea of God. From this vantage point we can then anticipate the future course of religious development, because that development is one of gradual conformity to the dictates of reason. This anticipation issues in an ethical directive: the philosopher of religion must aid religion in its maturation in one of three possible directions: (1) a religion of pure reason, (2) a syncretism (e. g., protestant Catholicism), or (3) a further refined form of one of the alreadyextant religions. It is not hard to see why Heidegger claims that such a Religionsphilosophie is of a piece with Kant’s critical epistemological project. 3. The goal of Troeltsch’s Religionsphilosophie with its scientific and metaphysical moments is »the working out of an academically valid determination of the essence of religion.« 33 For Troeltsch, Christianity is the culmination of an arc of religious development from which is distilled the religious a priori determinative of future progress: »[The essence of Christianity is] the gradual unfolding of an immanent impelling power or fundamental ideal, realizing itself in historical Christianity.« 34 This essence furnishes a »normative principle of dogmatics.« No single idea could dominate the history of Christianity, »its essence is rather the productive power of the historical Christian religion to create new interpretations and new adaptations.« 35 Thus, the goal of Religionsphilosophie is to aid in the betterment of human kind, where the »good« is identified by the dictates of pure reason, which in the final analysis are moral dictates. It turns out that Heidegger’s passing comment at the beginning of the course proves quite significant. It is because Troeltsch has misunderstood the manner of approach to philosophy that he has also misunderstood religion. Rather than the method and goal of inquiry

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 24. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 20. 34 Ernst Troeltsch, »Dogmatics of the ›Religionsgeschichte Schule,‹« The American journal of Theology, 17 (1), 1913, 11–12. 35 Troeltsch, »Dogmatics of the ›Religionsgeschichte Schule,‹« 12. 32 33

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being determined by the nature of the phenomenon, Troeltsch begins from the predetermined theoretical standpoints of science and metaphysics and attempts to locate religion within their different material complexes. For Heidegger, a Religionsphilosophie whose point of departure is Religionswissenschaft proves to be quite different from a Religionsphilosophie whose point of departure is phenomenology.

5.

The Phenomenology of Religion: Categories of History and Meaning

Heidegger’s critical engagement with Troeltsch brings to relief by way of contrast some general components of his own phenomenological approach to the philosophy of religion. First, the primal phenomenon of a phenomenology of religion is »faith in the existence of God [Existenz Gottes],« which is gained »in a non-cognitive manner.« 36 It is not the extra-temporal lawfulness of the religious a priori as in Troeltsch, nor the total set of historical circumstances and relations under which religious events took place as in the case of the biblical historians, and neither is it the protophenomenology of Otto, which attempts to make of the holy a noema for theoretical observation. The primal phenomenon is faith whose act-character can »be interpreted only from out of essential experiential context of historical consciousness.« 37 Second, because religion, like philosophy, is not an object but a kind of comportment, philosophy cannot simply bracket and evaluate it. The particular kind of relational sense [Bezugsinn] must be determined out of the enactment-sense [Vollzugsinn]. The phenomenologist must wait »to see how religion and philosophy comport themselves, how religion becomes an object for philosophy.« 38 This requires her to attend to its manifestation in concrete and particular contexts. Third, as a corollary, since phenomenology and science employ fundamentally different relational senses with respect to their phenomena, they cannot study religion in the same way. Phenomenol-

36 37 38

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 28. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 333. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 28.

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ogy’s claim to provide the more primordial manner of engagement suggests it could open up new and old avenues of description. 39 Heidegger’s emergent phenomenology of religion is a critique of the presumed and uncontested authority of the theoretical in the domain of human understanding. Against the governing relational sense [Bezugsinn] of scientific objectivity which divides phenomena into subject and object, Heidegger argues that this is neither the only nor the most basic relational form 40. It is a particular kind of cognitive comportment that is possible, powerful, and valuable, but not the fuller comportmental, pre-scientific, and properly philosophical reflection characteristic of both philosophy and religion. In defense of this he recalls for us the priori irreducibility and inseparability of subject and sense [Sinn], of Dasein and significance, at the pre-thematic level of life. This, he claims, is not only the proper starting point of phenomenology (that is to say, philosophy), but also of religion. Like philosophy, it must be thought at the most basic level of reflection prior to scientific objectivity. Contemporary philosophy of religion is wrongheaded because it misunderstands both philosophy and religion. It is because of how phenomena are in their givenness that both phenomenology and religion must be understood in a certain way. Thus, Heidegger’s remark, »It is necessary to examine religion in its factuality, before one addresses to it a particular philosophical study.« 41 Thus, in the end, despite his personal relationship with Troeltsch, his likely sympathy for a shared professional trajectory from theology to philosophy, and the very legitimate and worthwhile elements of his Religionswissenschaft, Heidegger proposes an approach that is quite distinct. That the differences between the two men are more than incidental can be grasped from the fact that Heidegger is at his most generous when suggesting that Troeltsch perhaps no longer For example, Otto’s concept of the numinous is the holy minus its ethical and rational components. And since Schleiermacher’s response to Kant, defenders of religion have felt the need to make such a radial distinction between religion on the one hand and metaphysics and ethics on the other. Heidegger, by contrast, asks: »Does this attachment [of the ethical and rational moments] belong somehow to the originary structure of the numinous?« Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 334. 40 He turns to Paul and Augustine in part to overturn the Cartesian theoretical dualism of subject and object. 41 Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 30. 39

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holds his former philosophical positions 42 and in remarking to Rickert that Troeltsch is a »formidable adversary!« 43. He finds a model for his own proposals in St. Paul who »wants to say that he has not come to Christianity through a historical tradition, but through an original experience.« 44 Such an original explication is not only Paul’s goal, but Heidegger’s as well.

42 43 44

Cf., for example Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 26. Denker, Martin Heidegger/Heinrich Rickert: Briefe 1912 bis 1933, 54. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 69.

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»Selbstbestimmung« und »Daseinsbefreiung« Annäherungen an einen Rechtsbegriff in Heideggers Frühphilosophie Manuela Massa 1

Zusammenfassung: Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Entwicklung von Heideggers Rechtsphilosophie in seinem Frühwerk, die eine sehr wichtige, aber noch verborgene Stelle in der heideggerschen Philosophie einnimmt. Die aktuelle Debatte legt ihren Fokus auf die durch die »Schwarzen Hefte« veröffentlichten politischen Stellungnahmen Heideggers, die ihn hauptsächlich als Antisemiten zeigen. Obwohl diese Aspekte von Heideggers Philosophie bestehen bleiben, werde ich zunächst zeigen, dass man sich nicht auf diese Betrachtungsweise beschränken soll; denn es sind noch einige Aspekte in seiner Philosophie verborgen, die nicht zwangsläufig nationalistischem Gedankengut entspringen. Sie bestätigen im Gegenteil die Möglichkeit des Rechts in seinem Denken. Hierfür gilt es zunächst den Daseinsfreiheitsbegriff und die Darlegung des faktischen Lebens zu analysieren: Durch deren Untersuchung werde ich sowohl zeigen, wie Heidegger die Freiheitsentwicklung schon in seinen frühen Überlegungen thematisiert hat, als auch, wie sich Heideggers Frühphilosophie nur mit der Erörterung des Rechts und der Freiheit fassen lässt. Abstract: My contribution focuses on the development of philosophy of law in Heidegger’s early work which is a very important aspect of Heidegger’s philosophy that has been ignored so far. The current debate focuses on Heidegger’s political positions that came to light through the »Black Notebooks« and reveal his antisemitism. Although these aspects of Heidegger’s philosophy will remain, I will first show that this must not be emphasized alone: Not everything is caused by his National Socialism. In contrast to this tendency, I will show the permanence of certain aspects of Heidegger’s conception which are not directly linked to his political views, but confirm

Für diesen Beitrag habe ich mehreren Personen zu danken: zunächst meinen Eltern, die mich seit Jahren geduldig unterstützen, und Ferdinand, der mich in meinem Leben stets begleitet. Auch gebührt ein Dankeschön meinen beiden Brüdern. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Matthias Kaufmann habe ich außerdem zu danken: Ohne ihn hätte ich mich nicht der Rechtsphilosophie genähert. Durch seine Anregungen und unsere Gespräche in den letzten Jahren in Halle bin ich philosophisch sehr aufgewacht. Zuletzt bedanke ich mich auch bei Frau Caroline Baumer, die meinen Text lektoriert hat.

1

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Manuela Massa

the possibility of law in his philosophy. This position is tightly connected with the freedom of »Dasein« and with factical life: For this reason I will analyze these two aspects. Through their development I will prove not only how Heidegger faces the problem of freedom already in his first philosophical attempts, but also how Heidegger’s early work is not complete without the discussion of freedom and law.

1.

Der Weg zur Freiheit

In seiner Vorlesung vom WS 1923/1924 Einführung in die phänomenologische Forschung entwickelt Heidegger seine Phänomenologie auf der Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung mit Descartes und Husserl. Systematisch wird die Rolle der Freiheit beim frühen Heidegger so durch die Auseinandersetzung mit Descartes bestimmt, die sich im Rahmen der theologischen Diskussion auf die Ausarbeitung des ontologischen Gepräges des Irrtums fokussiert. Im Blick auf Gott wird der Irrtum bei Descartes folgendermaßen begriffen: Er ist weder als positive Ursache der Idee zu interpretieren, noch kann er als Ursache des Seienden gefasst werden, weil diese eigentlich in dem Zusammenhang der facultas intelligendi und facultas eligendi liegt. 2 Durch diese Vorgehensweise zeigt Descartes, dass jede facultas als Charakter einer Seinsweise sich in der Positivität des Lebendigen begreifen lässt. Freiheit fasst Descartes nach Heidegger als absentia coactionis et determinationis – als ein Freisein, das weder im Sinne eines Tunkönnens noch im Sinne reiner Indifferenz gelesen werden kann. Im »eigentlichen Sinne des Frei-Seins« liege vielmehr »ein ganzes charakteristisches Motiviertsein«. 3 Selbst wenn sich Descartes’ Ablehnung der indifferentia als esse liberum gegen die Jesuiten durchsetzt, wirken der intellectus und die voluntas weiter zum »Sein«. Heideggers Bezugnahme auf Descartes’ Argumentation widerspricht seinem unbestimmten cogito – was später in Sein und Zeit ausführlich entwickelt wird. Entsprechend stellt seine Auseinandersetzung mit der Theologie den Versuch dar, das Wesen des error beziehungsweise Irrtums einzugrenzen, das bei Descartes auf die thomistische Theologie zurückgeht. Denn es gilt nach Heidegger, sowohl

2 3

Vgl. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 147. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 151.

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die voluntaristische Struktur der menschlichen Natur zum Ausdruck zu bringen als auch eine Kritik an Descartes Auffassung des Bewusstseins zu unternehmen. Daher bezieht sich Heidegger auf »den error […] in seinem concursus, der nicht auf Gott gesehen ist, sondern auf zwei Möglichkeiten des Verhaltens, die dem Menschen selbst gegeben sind« 4. Es muss jedoch betont werden, dass Heideggers Ziel letztlich darin besteht, die res cogitans ontologisch zu bestimmen, was wiederum die Freiheitsproblematik impliziert. Denn aus der schematischen Gegenüberstellung von intellectus und voluntas heraus erweist sich der concursus als ein »Zusammensein«. So sind es nun Intellekt und Wille, die in ihrer Verknüpfung die Möglichkeit eines defectus ebendieser Freiheit enthalten. Bei Descartes ist die Freiheit nicht »unschuldig«, sondern etwas, das zwischen Wille (voluntas) und Erkennen (intellectus) eine irrtümliche Ungleichheit setzt. Sein Ausgangspunkt stellt dabei die Neigung des Menschen dar, den Willen der convenentia, das heißt einer Übereinstimmung, zu unterstellen, welche jedem erkennenden Urteil vorangeht. Demzufolge ist die Freiheit nach Descartes’ Ansicht nicht von der Philosophie getrennt, das heißt, sie hat nicht die Eigenschaft eines defectus beziehungsweise ist keine Unzulänglichkeit. Die carentia ergebe sich bereits, wenn ein debitum bei einem »Sein« erscheine: Das Sein des Irrtums wird gegen die Möglichkeit des intellectus oder der voluntas aufgeboten. Die voluntas als menschliches Vermögen erhalte den Charakter des »Könnens oder nicht Könnens« 5: Descartes fasse sie – so Heidegger – wiederum als indifferentia, an die sich andere Bestimmungen anschlössen. Die zweiseitige Definition dieses Begriffs muss nach Heidegger vor dem Hintergrund der theologischen Problematik einer Verbindung von Freiheit und Gnade verstanden werden. Denn dass der Mensch frei sei, gelte in der theologischen Diskussion nicht als veritas naturalis, sondern als Dogma – jede Auffassung, die diese Freiheit infrage stellt, wird als häretisch betrachtet. Im Gegenzug gelte es, die natura voluntatis et libertatis zu untersuchen, wobei Heideggers Bezugnahme darauf zielt, die Begriffe von Freiheit und Personalität in Bezug auf Gott und dann beim Menschen als Imago Dei zu beleuchten. Um seine Argumentation abschließen zu können, wendet sich Heidegger außerdem Luis de Molina und seiner »positiven Bestim4 5

Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 151. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 152.

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mung« 6 der menschlichen Freiheit zu. Das Heranziehen seiner Argumente ermöglicht es ihm, eine kairologische Perspektive zu eröffnen, die ihn zu einer Freiheit, der Freiheit, führt. Denn von der Beantwortung der Frage, ob der konkrete Mensch Freiheit wolle oder nicht, hängt nicht zuletzt die Möglichkeit einer positiven Sittenlehre ab. 7 So erfolgt Heideggers Bestimmung des menschlichen Willens im Sinne einer möglichen freien Handlung, die dabei ihren Ausgang vom »Dasein« nimmt: Dieses macht durch den Entwurf, der sein erschlossenes In-der-Welt-sein betrifft, die Welt zu »seiner« und ergreift sich in seiner Geworfenheit. Im Grunde genommen führt die Gegenüberstellung erst zur protestantischen Glaubenslehre und dann zu Augustinus – der in der »Praesenz einer determinatio in summum bonum das eigentliche Freisein des Menschen« 8 erkennt. Sie bringt ihn der Freiheitauffassung Molinas näher, welcher die bestimmten noch zu eruierenden Möglichkeiten des Menschen als futuribile deutet. 9 Somit soll das Freisein des Menschen erhöht werden, ohne das Gnadenwirken Gottes einzuschränken: »Die Gnade kann die Freiheit gar nicht antasten, da sie ja selbst erst die eigentliche Freiheit schafft.« 10 Dieser Gedanke präge Molinas Lehre der scientia media, in der Gott über die Fähigkeit verfügt, alles Geschehen aus den Möglichkeiten der menschlichen Handlungsentscheidung vorauszusehen und es wahlweise in seinen eigenen Handlungsplan einzufügen. Molinas Begründung der Freiheit auf einem »System von Möglichkeiten« 11 mündet in einem komplexen Schema, das sich in zwei unterschiedliche praescentiae verzweigt: »eine praescientia mere naturalis: Gott sieht alles mögliche Geschehen voraus« 12 sowie eine »praescentia mere libera«, die über eine Kenntnis aller Handlungsoptionen verfüge, welche dem Menschen durch das liberum arbitrium offenstehen. Inwiefern nun betrifft Molinas Argumentation Heideggers BeHeidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 155. Vgl. Beat Sitter, Dasein und Ethik, Freiburg/München, Alber, 1975, 106. 8 Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 154. 9 Vgl. Jakob Meier, Synthetisches Zeug: Technikphilosophie nach Martin Heidegger, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2012, 429. Zur Deutung des Freiheitsbegriffes bei Luis de Molina im Hinblick auf seine Moralphilosophie vgl. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele (Hg.), A Companion to Luis de Molina, Leiden, Brill, 2014. 10 Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 154. 11 Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 155. 12 Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 156. 6 7

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gründung der Freiheit als einer menschlichen Eigenschaft? Hier ist vor allem eine Überlegung aus seiner »Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione concordia« (1588) heranzuziehen: Die Unmöglichkeit von Freiheit, die möglicherweise eine getroffene Wahl nach sich zieht, bedeutet nicht, dass überhaupt keine Freiheit vorliegt, wenn sie denn als Indifferenz verstanden wird. Wahlfreiheit ist demnach mit dem Verhalten verbunden: Entscheidet man sich für die Offenheit, ist sie selbst es, die uns wiederum »zum Verhalten« zwingt. Jedes Handeln des Menschen steht unter einer finis, welche als Grundlegung ebendieser Freiheit gefasst werden muss. 13 Sobald es um den eigenen Willen geht und man eine Absicht verfolgt, ist der Mensch frei. Hierbei kann Heideggers erwachsender Begriff der Freiheit aus Sein und Zeit herangezogen werden: Die Freiheit bietet zum Dasein als Seinkönnen eine weitere notwendige Dimension.

2.

Die Grundentscheidung des Daseins: die Freiheit

Im Anschluss an Sein und Zeit wird Freiheit als Seinsweise des Daseins als In-der-Welt-sein begriffen. Sie ist also nicht etwas, das das Subjekt bestimmt, oder eine Eigenschaft des Menschen, sondern ist als nähere Erklärung des Existenzvollzugs zu betrachten. 14 Dasein ist »ganz und gar von Möglichkeiten durchsetzt« 15; es »versteht sich immer schon und immer noch, solange es ist, aus Möglichkeiten« 16 – also als Freisein. Was das Verstehen ausdrücklich impliziert, ist im Dasein selbst bereits »vorweggenommen« 17. Die Seinsstruktur der Existenz zeigt, wie es beim Dasein »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht«, dass es »in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat« 18 – darin versteht sich das Dasein selbst immer aus seiner Existenz, »einer Möglichkeit seiner Vgl. Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, GA 17, 156. Vgl. Meike Siegfried, »Subjektivität ohne Souveränität. Politisches Denken im Ausgang von Heideggers Freiheitsbegriff«, in: Paul Sörensen und Nikolai Münch (Hg.), Politische Theorie und das Denken Heideggers, Bielefeld, Transcript, 2013, 44–45. 15 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 146. 16 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 145. 17 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 145. 18 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 12. 13 14

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selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein« 19. Wie bereits erwähnt, kommt der Mensch zu seinem Freisein, wenn er seinen eigenen Willen hat und er eine Absicht verfolgt. Daraus ist zu entnehmen, dass die Daseinswirklichkeit im Ganzen in der entscheidenden Wahl zwischen Selbstsein und Verfallensein liegt. In dieser Grundwahl liegt die Freiheit. 20 Dieses Freisein kann nur durch einen bestimmten Aspekt (evtl.: Entwicklungsschritt oder Haltepunkt) der Existentialanalytik thematisiert werden: 21 Durch den Entwurf, der das im Dasein erschlossene In-der-Welt-sein betrifft, macht man die Welt zu »seiner« und begreift sich in seiner Geworfenheit. Es ist bei Heidegger so gerade die Erschlossenheit der Welt, die sich in der Ekstase des Seins gründet und ein Sichoffenbaren des Seins mit sich bringt: In der Erschlossenheit verhält sich das Dasein nach seinen eigenen Möglichkeiten. Dabei soll es die Angst sein, die »das Freisein für das eigenste Freiseinkönnen« weckt und das Dasein dazu aufruft, sich selbst in seinem unbestimmten Sein zu verstehen und auf das »Worumwillen« zu öffnen. 22 Die Grundbefindlichkeit der Angst ist die Existenz als »das Sein zum eigensten Seinkönnen«, und zwar so, dass sie das Existieren des Daseins als das »Freisein für die Freiheit des Sichselbst-wählens und -ergreifens« 23 erfasst. Nur diejenigen, die ihre existenziellen Motivationen ergreifen und sie nicht als bloße »Stimmung« abtun, sind bereit für die »Befreiung«. Die Angst verweist das Dasein nicht nur auf seine Faktizität, sondern zugleich auf seine Existenz, die es in die Welt einbringen kann. Gewinnt die Angst die Oberhand über »den Menschen«, erscheint die Welt in ihrer Unheimlichkeit. Verfehlt das Dasein dagegen diese befreiende Dimension in der Grundstimmung der Angst, verfällt es dem »Man« 24. Die »Wahl«, das Verfallen zu überwinden, ruft die »ontische Freiheit« 25 hervor, beziehungsweise die vom Dasein gefällte existenzielle Entscheidung Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 13. Vgl. Alexander Schwan, Politische Philosophie im Denken Heideggers, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1969, 229. 21 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Hermann, »Heidegger: Freiheit und Dasein«, in: Uwe an der Heiden und Helmut Schneider (Hg.), Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antwort der großen Philosophen, Stuttgart, Philipp Reclam, 2007, 268. 22 Günter Figal, Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit, Tübingen, Mohr Siebek, 2013, 211. 23 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 188. 24 Vgl. Matthias Kaufmann, Recht ohne Regel. Die philosophischen Prinzipien in Carl Schmitts Staats- und Rechtslehre, Freiburg/München, Alber, 1988, 164. 25 Vgl. Sitter, Dasein und Ethik, 99–111. 19 20

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führt dazu, dass es sich von den Regeln und Maßstäben des »Man« löst. Aufgrund dessen ist klar, wieso Heidegger das Wählen selbst als Entschlossenheit betrachtet: 26 damit sich die Wahl als Verantwortung zeigt, die das Dasein für sich selbst übernimmt. Weiter heißt das, dass das Dasein sein Seinsverständnis ergreift und dadurch der Lebensumstand, inwiefern sein In-der-Welt-sein erschlossen ist, erfolgt. So thematisiert Heidegger in Sein und Zeit die Freiheit im Kontext der Analyse der Entschlossenheit – oder der Analyse des Seins zum Tode, der Angst, das heißt, wie man das eigentliche Selbstseinkönnen entdeckt: Demgegenüber ist das Sein im Modus des Man an zahlreichen Stellen als Unfreiheit dargelegt. 27 Neben dem In-der-Welt-sein richtet sich die Daseinsverfassung auf die besorgte Welt, um sich als Miteinandersein auf ein gemeinsames Besorgtsein zu gründen. Die Daseinsbestimmung erfolgt nur im »Sicheinsetzen« für eine Grundordnung, die der Verbundenheit mit dem Anderen vorausgeht. Auf diese Weise erreicht es »die rechte Sachlichkeit, die den anderen in seiner Freiheit für ihn selbst freigibt« 28.

3.

Freiheit als Rechtsbegriff

In der Rechtsphilosophie Heideggers werden Recht und Freiheit fruchtbar miteinander in Verbindung gebracht. Für Heideggers Existentialanalyse ist ferner wichtig, das Recht nicht in einer empirischen oder logischen Weise zu betrachten, sondern es durch die ontologische Struktur der Sozietät zu entwickeln. Folglich ergeben sich die Möglichkeiten des Daseins nicht in einer solipsistischen Weise, sondern in einer gesellschaftlichen Sphäre, bei der das Dasein seine Freiheit verwirklichen muss. 29 Damit beabsichtigt dieser Ansatz eine sysVgl. Heidegger, »Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung«, in: Frithjof Rodi (Hg.), Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaft, Göttingen: Vandehoeck & Ruprecht, 1993,170. 27 Vgl. Siegfried, Subjektivität ohne Souveränität, 47. 28 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 163. 29 Vgl. Georg Weber, Tod, Modernität und Gesellschaft: Entwurf einer Theorie der Todesverdrängung, Opladen, Westdeutscher Verlag, 1989, 32; Helmut Vetter, »Anmerkungen zum Begriff des Volkes bei Heidegger«, in: Reinhard Margreiter und Karl Leidlmair (Hg.), Heidegger. Technik – Ethik – Politik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 1991, 244. 26

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tematische Rekonstruktion eines daraus erwachsenden Rechtsbegriffs, welcher in der Existenz des Daseins seine Grundlage hat. Zu zeigen ist Folgendes: Die »Frage nach dem Sinn des Seins« kann sich als »Frage nach dem Sinn des Rechts« 30 konfigurieren. Um dies zu belegen, muss man in Sein und Zeit systematisch mindestens zwei »Kategorien« herausarbeiten: a) Das Seinkönnen des Daseins und b) sein In-der-Welt-sein. Somit beinhaltet der entscheidende Schritt erst einmal, das a) Seinkönnen des Daseins näher zu untersuchen: »Das Dasein kann sich als verstehendes aus der ›Welt‹ und der anderen her verstehen oder aus seinem eigenen Seinkönnen« 31 ergeben, was nichts anderes besagt, als dass das Dasein selbst sich zur Wahrheit der Existenz erschließt. Im Blick darauf verhält sich das Dasein in seiner Erschlossenheit nach seinen eigenen Möglichkeiten. Nunmehr stellt es die »Aufgabe« der Erschlossenheit dar, die Weltlichkeit zu besagen, damit sich das Dasein im Anderen und in sich selbst vorfinden kann. Das In-der-Welt-sein, bei dem ebenso ursprünglich das Sein des Zuhandenen zwar über das Mitsein mit Anderen verfügt, geschieht aber um seiner selbst willen, 32 wobei es das Selbst ist, das das uneigentliche Man-selbst vorlegt. Damit wird deutlich, dass das In-der-Welt-sein schon verfallen ist. In diesem Rahmen ist außerdem noch Folgendes zu beachten: »Die durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins kann demnach bestimmt werden als das verfallende erschlossene, geworfene-entwerfende In-der-Welt-sein, dem es in seinem Sein bei der ›Welt‹ und im Mitsein mit anderen um das eigenste Seinkönnen selbst geht.« 33 So liegt die Alltäglichkeit im Mittelpunkt des Seinkönnens des Daseins: Die existentiale Analytik deutet keinen »externen« Haltepunkt oder »Standpunkt«, sondern die Immanenz des Selbstbezüglichen, das sich im sorgenden »faktischen« Leben ausdrückt. 34 Um den Rechtsbegriff bezüglich des Seinkönnens zu erläutern, Andrea Bixio fügt noch zwei Kategorien hinzu: die Existenz und die ontologische Differenz. Vgl. Andrea Bixio, Esistenza, colpa e dike (M. Heidegger e la filosofia del diritto), in Rivista internazionale di filosofia del diritto, Milano, Giuffré Editore, 1973, 382; Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 283. 31 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 283. 32 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 236; Thomas Rentsch, »›Sein und Zeit‹. Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit«, in: Dieter Thomä (Hg.), Heidegger Handbuch, Leben–Werk–Wirkung, Stuttgart, J. B. Metzler, 2003, 64. 33 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 182. 34 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 182; Rentsch, »Sein und Zeit«, 64. 30

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ist es notwendig, den Bezug des Daseins zur Außenwelt zu untersuchen, da dieser umgehend die Beziehung des juristischen Subjekts zum Sein zu erklären vermag. Durch diese Herausarbeitung ist die »Kategorie« der Außenwelt im Zusammenhang mit einem Objekt aufzuheben, um die Transzendenz des Daseins zu thematisieren, welche zur Welt gehört. 35 Der Mensch erzielt ein Verstehen des Seienden im Ganzen, damit er sein Selbst und sein mögliches Sollen setzen kann. 36 Das kann aber nur im b) In-der-Welt-sein geschehen, weil die Frage nach dem Sinn des Rechts ein konstitutiver Moment des weltlichen Daseins ist, das heißt, das Recht umschreibt eine »Regel, die dem Zusammensein Halt« gibt. 37 Dieser Bezug des Daseins auf die Welt impliziert aber auch etwas anderes: die Erschlossenheit – wobei sich das Dasein im Anderen und in sich selbst vorfindet. Heideggers zumindest angedeutete Konzeption der Gesellschaft enthält somit den durch das Verstehen gegebenen Horizont des Mit-seins und zeigt sich als ein In-der-Welt-sein fundierender Modus des Daseins – nicht im subjektiven Sinne, sondern in der Weltlichkeitsform, die die Begegnung zwischen dem Dasein und dem Anderen umfasst. 38 Die Welt begegnet sich jedoch immer in einer bestimmten Weise des Angesprochenseins. 39 Daraus wird ersichtlich, wieso bei Heidegger λόγος und νομός zusammenzudenken sind: Dieses eigentümliche Gebiet, die Alltäglichkeit des Daseins, wird durch die richtige Interpretation der Rhetorik durchsichtig und dient dazu, die Politik selbst festzulegen. 40 Demzufolge ist der λόγος als Grundphänomen des Daseins derart zu beschreiben, »dass durch ihn selbst hindurch eine noch ursprüngliche Art des Lebens des Menschen sichtbar wird« 41. Zudem wird die Welt durch ihn greifbar, so-

Vgl. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 217. Vgl. Sitter, Dasein und Ethik, 88; Heidegger, Zur Bestimmung der Philosophie, GA 56/57, 53: »Eine Norm ist ein Seinsollendes, ein Wert […]. Die Norm ist als solche ›Norm für‹ ; der Normcharakter weist hin, in sich selbst von sich weg auf etwas, das sie erfüllen soll.« 37 Antonio Villani, »Heidegger e il problema del diritto«, in Annali dell’Università di Macerata, Macerata, 1958, 259; Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 259. 38 Vgl. Sitter, Dasein und Ethik, 87. 39 Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation), GA 62, 364. 40 Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, 135. 41 Heidegger erklärt im Anschluss seine Interpretation der Nikomachischen Ethik. Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, 117. 35 36

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dass die Weltlichkeit der Welt des Daseins auf das Recht des Menschen verweist. In der Form des Gesetzes gemäß der Wirklichkeit zeigt das Recht die objektive Bestimmtheit des Menschen. Dadurch stehen die Gesetze dem Subjekt zur Verfügung. So erscheint das »Sollen« im Außenbereich als etwas, das eine Objektivität zu sein vorschreibt, der der Mensch unterworfen ist. Diese Überlegung rückt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Selbstseinkönnen und Recht in den Fokus; explizit schreibt Heidegger: »Das Dasein bedarf der Bezeugung eines Selbstseinkönnens, das es die Möglichkeit nach je schon ist.« 42 Vom Standpunkt dieser Betrachtung aus kann das Dasein selbst Entscheidungen treffen. Die Wahl zu treffen heißt, dass wir uns selbst dazu entscheiden, nicht manipuliert zu sein: Wir begreifen darin unsere Lebensmöglichkeiten. Das besagt aber, dass wir frei sind. Folglich übernimmt das Dasein die Faktizität der Überantwortung, was bedeutet, dass es seine eigenen Möglichkeiten wählt. So ist durch diesen Punkt die Verbindung zwischen Recht und Freiheit offengelegt: Das Grundverhältnis des Daseins zum Frei-sein ist von Heidegger in der ganzen sozialen Ordnung gedacht – der gesellschaftlichen Vielfalt wohnt dadurch eine rechtliche Rolle inne, die nicht nur die Bedeutung dieser Formen und Gestalten des Miteinanderseins beinhaltet, sondern auch die Struktur des Daseins in der Welt. 43 Dementsprechend verknüpft sich die Selbstbestimmung des Daseins konkret mit der Freiheit. Auf dieser Grundlage kann im Folgenden das Recht bei Heidegger präzisiert werden.

4.

Der Rechtsbegriff bei Heidegger

Zwei Texte aus den zwanziger Jahren, unter anderem die Vorlesung Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie (SS 1924), aber auch Sein und Zeit von 1927 zeigen Heideggers Reflexion über das »Recht«. Dabei legt Heidegger durch die Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Dasein und Gesellschaft dar, inwiefern das Recht in der Analytik des Daseins zu finden ist. Diese Festlegung verHeidegger, Sein und Zeit, GA 2, 356. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner und Christoph Wild (Hg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München, Alber, 1973, 118.

42 43

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mag vor allem eine Präzisierung zu leisten: Heidegger gibt weder eine abschließende Definition des Rechts, noch bietet er eine systematisch entwickelte Rechtsphilosophie, überdies expliziert er auch nicht, woraus sich das Recht ergibt. Trotzdem problematisiert er an der Stelle, inwiefern das Recht mit der phänomenologischen Methode zu untersuchen ist. Durch diesen Ansatz eröffnet seine Philosophie eine Orientierung anhand der Analyse des Seins von Recht und Gesetz. 44 Als Beweis dieser Festlegung dient Heideggers zumindest angedeutete Konzeption der Gesellschaft, welche sich in einem durch das Verstehen gegebenen Horizont des Mit-seins gibt und sich als ein Inder-Welt-sein fundierender Modus des Daseins zeigt – nicht im subjektiven Sinne, sondern in der Weltlichkeitsform, damit die Begegnung zwischen dem Dasein und dem Anderen umfasst werden kann. 45 Dadurch ist Heideggers Rechtsauffassung in der Analytik des Daseins zu recherchieren, um das »Sein des Rechts« erörtern zu können. Um die Rechtsphilosophie bei Heidegger zu begreifen und sie in Bezug zum gängigen Rechtsverständnis setzen zu können, ist es zudem entscheidend zu klären, was wir allgemein über die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie wissen. Auch wenn bis zum heutigen Tag das »Recht« nicht eindeutig definiert werden kann, können gewisse notwendige Voraussetzungen für das Recht festgestellt werden. Um einen Rechtsbegriff einzuführen, ist eine Mehrheit von Menschen, das heißt eine Gesellschaft, vorauszusetzen, woraus sich ein soziales Verhältnis zwischen dem freien Willen und dem Menschen als Rechtssubjekt ergibt. 46 Das Recht in seiner staatlich festgelegten Form entspringt dem subjektiven Streben des Menschen nach Selbsterhaltung, das jedem Menschen als solchem zu eigen ist und ihn innerhalb der Gesellschaft kennzeichnet. 47 Aufgabe des Rechts wäre folglich, Gerechtigkeit durch die Gesamtheit von gesellschaftlichen Regeln und Verhaltensregeln herzustellen und zu garantieren, was durch die Differenzierung zwischen objektivem Recht und subjektivem Recht pointiert wird. So kann Vgl. Villani, »Heidegger e il problema del diritto«, 258. Vgl. Sitter, Dasein und Ethik, 87. 46 Vgl. Agnes Wulff, Die Existenziale Schuld. Der fundamentalontologische Schuldbegriff Martin Heideggers und seine Bedeutung für das Strafrecht, Berlin, Lit, 2008, 6. 47 Vgl. Matthias Kaufmann, Aufgeklärte Anarchie. Eine Einführung in die politische Philosophie, Berlin, Akademie, 1999, 29. 44 45

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man die Berechtigung des Einzelnen oder einer Gruppe als subjektives Recht bezeichnen. Zudem wird dem Menschen bereits durch das römische Recht aufgrund seiner Gleichheit und gegenseitigen Bedrohung ein ius naturale zugesprochen. 48 Dieses Naturrecht gibt als Rechtslehre eine Richtung vor, durch die man Gutes und Schlechtes voneinander unterscheiden kann. 49 Hierfür muss eine Abgrenzung zum staatlich geltenden Recht erfolgen, welches ein soziales Ideal darstellt, nach dem seine Allgemeingültigkeit mit der formalen Einrichtung zusammenfällt. 50 Demzufolge lässt sich das Recht anerkennen, wenn es als geltendes Recht den rechtlichen subjektiven Gerechtigkeitssinn des Menschen validiert. 51 Auf diese Weise soll durch das Verhältnis zwischen Individuen und Staat Objektivität erreicht werden. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hat die Rechtsphilosophie vor allem die Existenz eines Naturrechts vertreten und das Recht entsprechend definiert. 52 Das Ziel der Konzeption war dabei stets, die universelle Gültigkeit der Spaltung zwischen extendierendem Recht und Unrecht offenzulegen und aufzuzeigen. 53 Die Natur impliziert in diesem Sinn unterschiedliche Bedeutungen, welche von den gegebenen Gesetzen abhängen, denn die positiven Gesetze sind von den staatlichen Gesetzen zu unterscheiden. 54 Dabei lässt sich die Aufgabe der Rechtsphilosophie identifizieren, die Gesetze herauszuarbeiten: Im Rahmen dessen soll die Philosophie den Begriff eingrenzen und die Idee des Rechts darstellen, um Rechtsfragen von intersubjektiven Institutionen entscheiden zu lassen, 55 was dem Vernunft begabten Individuum erörtert wird. 56 Das besagt aber letztlich nichts anderes, Vgl. Kaufmann, Aufgeklärte Anarchie, 29. Vgl. Marx Ernst Mayer, Rechtsphilosophie, Berlin, Springer, 1933, 20. 50 Vgl. Mayer, Rechtsphilosophie, 20. 51 Vgl. Wulff, Die Existenziale Schuld, 9. 52 Vgl. Mayer, Rechtsphilosophie, 7. 53 Vgl. Guido Fassò, Il diritto naturale, Torino, Edizioni Eri, 1964, 7. 54 Schon bei Thomas von Aquin lässt sich von einer lex naturalis eine lex positiva deduzieren: Nicht nur fungiert das Naturgesetz als Merkmal einer lex aeterna, damit sie als Norm für die menschliche Führung gelten kann, sondern sie vermag auch die Deduktion vom positiven göttlichen Gesetz hinzuzufügen. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I/II, quest. 91, art. 2; Fassò, Il diritto naturale, 36. 55 Vgl. Mayer, Rechtsphilosophie, 274. 56 Exemplarisch lässt sich eine Bestimmung des Rechts bei Kant nachfolgenden Worten finden: »Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.« Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, hg. v. KarlMaria-Gruth, Berlin, Contumax, 2016, 29. 48 49

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als dass der Mensch selbst nicht fähig ist, das Recht gegen oder ohne seinen Willen zu bestimmen. Infolgedessen ist aus der Beteiligung der Bevölkerung das Recht zu ergründen. 57 Von hier aus kann man den Rechtsbegriff im Verhältnis zur Rechtswissenschaft fassen, und zwar insofern die Rechtswissenschaft seine stilistischen Bedingungen formt. Die Rechtswissenschaft kann so als Wissenschaft verstanden werden, die Erkenntnisgegenstände bietet, um das Recht in eine sprachliche Form zu bringen, also im bürgerlichen Gesetzbuch oder Strafgesetzbuch auszulegen, damit sie selbst den Vorgang des Rechts als Gegenstand der Rechtswissenschaft greifen kann. Demgemäß ist das Recht auch nach seiner geschichtlichen Entwicklung zur erörtern. 58 Jedenfalls scheinen Rechtsphilosophie und Rechtwissenschaft miteinander verwandt zu sein, was aber gleichzeitig bedeutet, dass theoretische und praktische Aspekte des Rechts miteinander verbunden sind. 59 Aus zwei Gründe unterscheidet sich Heideggers früher Rechtsbegriff im Blick auf diese dargelegte Erfassung des Rechts: 1) Obzwar Heideggers Untersuchung des Rechtsbegriffs ziemlich »klassisch« ist, weil das Recht die Gesellschaft betrifft, also sich als juristisches Problem durch die Fundamentalanalyse des Daseins in der Welt positioniert, unterscheidet es sich trotzdem von den bisherigen Rechtsentwürfen, weil das Wesen des Rechts nicht im Verhältnis zu juristischen »Problemen« zu erfassen ist, sondern es vielmehr im λόγος als Eigenschaft des Menschen liegt, der die Individuen bestimmt. Damit zeigt sich die logische Folge dieser Betrachtungsweise: Das Dasein soll nach Heideggers Überlegung das Recht erfahren. 60 2) Das Recht ist bei Heidegger in der Analytik des Daseins aufzufinden. Der erste Punkt lässt sich durch Heideggers Gedanken in Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie darlegen: »Im Sein des Menschen selbst liegt die Grundmöglichkeit des Seins-in-der-πòλις.« 61 Vgl. Wulff, Die Existenziale Schuld, 7. Vgl. Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Heidelberg, C. F. Müller, 2011, 32. 59 Vgl. Paul Johann Anselm von Feuerbach, »Blick auf die Deutsche Rechtswissenschaft«, in: Gerd Roellecke (Hg.), Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie?, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007, 25. Dabei muss noch betont werden, dass historisch gesehen im 19. Jahrhundert die Rechtswissenschaft von Savigny gegründet wurde. Vgl. Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg, Mohr und Zimmer, 1814. 60 Vgl. Bixio, Esistenza, colpa e dike (M. Heidegger e la filosofia del diritto), 386. 61 Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, 46. 57 58

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Somit greift Heidegger auf Aristoteles zurück, indem er sich der Bestimmung des In-der-πòλις-Seins bedient, nicht nur um das eigentliche Leben des Menschen als κοινωνία zu fassen, sondern auch um das Dasein in seinem gesellschaftlichen Umfeld zu markieren, damit die Erfahrung des Rechts erfolgen kann. Zudem beinhaltet der λόγος, dass das weltlich gebaute Dasein in seiner gesellschaftlichen, geschichtlichen Offenheit sich zu offenbaren vermag, um ein Miteinandersein zu werden: Durch diesen fundamentalen Charakter ist das Recht fähig, die sprachliche Auseinandersetzung in der Weise der Mitteilung 62 mit den Anderen zu führen. Allerdings beschreibt sich der λόγος als Grundphänomen des Daseins derart, »dass durch ihn selbst hindurch eine noch ursprüngliche Art des Lebens des Menschen sichtbar wird«. 63 Durch diesen Zugriff zeigt sich dieselbe Welt als greifbar: In diesem Rahmen bezieht sich die Weltlichkeit der Welt des Daseins auf das Recht des Menschen. Knapp gesagt: Heideggers Analyse des aristotelischen πòλις-Begriffs mit der Verknüpfung seiner ontologischen Analyse des λόγος bietet die Gelegenheit, das Gespräch eines Sprechers mit seinem Publikum zu betonen: »Es zeigt sich, daß κοινωνία, die den Hausstand (οἰκία) bildet, allein auf dem Grunde des λέγειν möglich ist«. 64 Demgemäß lässt sich das Miteinandersein als Seinsmöglichkeit bestätigen; freilich fungiert de facto die πòλις schon bei Aristoteles als politischer Topos, in dem der Mensch als ζώον πολιτικόν das Recht erfahren kann. 65 Die Vollendung dieser Überlegung findet sich in Sein und Zeit und verbindet diese Analyse mit dem zweiten schon genannten Punkt, den das Recht in der Analytik des Daseins pointiert. Zudem lässt sich die Entwicklung der gesellschaftlichen Struktur des Daseins bei Heidegger durch folgendes Zitat erkennen: »In der Mitteilung und im Kampf wird die Macht des Geschickes erst frei. Das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner ›Generation‹ macht das volle, eigent-

Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, 47. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, GA 18, 117. 64 Vgl. Jesús Adrián Escudero, »Heidegger on Discourse and Idle Talk: The Role of Aristotelian Rhetoric«, in: Gatherings: The Heidegger Circle Annual, 3, 2013, 1–17. 65 Dieses Problem ist von Heidegger zu einem späteren Zeitpunkt ausgeführt worden. Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 331. Eine kritische Analyse der von der πòλις gespielten politischen Rolle erfolgte von Massimo Massari. Vgl. Massimo Massari, »Per una fenomenologia ermeneutica della giustizia heideggeriana«, in: Fenomenologia e società, 11, 1988, 20. 62 63

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»Selbstbestimmung« und »Daseinsbefreiung«

liche Geschehen des Daseins aus.« 66 In der Tat kann man hier herauslesen, dass »Mitteilung« und »Kampf« für Heidegger Schlüsselbegriffe sind, die das Dasein des Volkes identifizieren sollen, mit dem es sein Erbe und Schicksal übernehmen kann. 67 Demzufolge zeugen Heideggers Überlegungen von einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld. Diese aus Sein und Zeit im Grundzug bereits vorgenommene gesellschaftliche Analyse lässt sich durch die Analyse der Geschichte vervollständigen: Die Geschichte als Geschehen, bei dem »wir selbst hergehen« 68, bietet die Auseinandersetzung mit dem, was wir selbst sind. 69 Daraus kann man entnehmen, dass das Grundphänomen des Historischen seine Verwurzelung in der Faktizität des faktischen Lebens hat. Der systematische Zugriff von Sein und Zeit zeigt aber, dass »[a]lle Explikate, die der Analytik des Daseins entspringen, im Hinblick auf seine Existenzstruktur zu gewonnen sind« 70. Somit ist es nur der Fall, dass es ihm »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« 71, weil das Dasein ontisch ausgezeichnet ist, was wiederum ermöglicht, das Dasein zu seinem Sein als eigene Möglichkeit zu erfahren. So ergründet einerseits die Frage über die »Eigentlichkeit« und »Uneigentlichkeit« des Daseins den Unterschied für das Mitsein mit den Anderen, 72 was eine soziale Konstitution der Welt impliziert. Andererseits eröffnet die Frage rechtliche, soziale Aspekte von Heideggers Philosophie. Hierbei setzt Heideggers Analyse der Schuld das Recht in Bezug zu gängigen Verständnissen: So wie beim Naturrecht zielt das Dasein darauf hin, sein Sollen und die Gesetze zu erreichen, 73 um zu seinem eigentlichen Selbstsein zu geHeidegger, Sein und Zeit, GA 2, 508. Vgl. Rentsch, »Sein und Zeit«, 73. 68 Vgl. Heidegger, Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung, 176. 69 Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 5. 70 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 44. 71 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 12. 72 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 120. 73 Zu dieser gehören vier unterschiedliche Aspekte, die erwähnt werden müssen: Schuldigsein ist zunächst »Schulden haben« bei einem Anderen, »jemandem etwas schulden«. Dies lässt sich als Modus des Mitseins bezeichnen. Die Modi von Besorgen, Beschaffen und Beibringen reichen nicht aus, um eine Erklärung der Schuld zu leisten. Dadurch nuanciert Heidegger »Schuld sein an«. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 282. Damit erhält die Eigenschaft von Schuld als »Ursache« eine Akzentuierung: Wenn aber darin ein Sein des Daseins festgelegt wird, dann entspricht dieser Schuldbegriff dem ontischen Besorgbaren. Insgesamt beschreiben diese vulgären Bedeutungen von Schuldigsein ein Verhalten, das sich als »sich schuldig machen« fassen 66 67

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langen, damit es sich in der Faktizität (Geworfenheit) und Existenz (Entwurf) begreifen kann. 74 Infolgedessen fungieren die vom Dasein übernommenen »Gesetze« als Befreiung des »Man«. Dies ist aber nur möglich, wenn das Dasein frei ist und sich selbst wählt.

5.

Fazit

Obwohl Heidegger keine umfassende Rechtsphilosophie vorgenommen hat, kommt dem Rechtsbegriff in seiner Philosophie eine wichtige Rolle zu. Wie dargelegt wurde, ist dieser hinsichtlich der Daseinsanalyse zu erörtern, wobei das Dasein zu einem »Sollen« hinzielt, was sich den »regulativen« Gesetzen, die der Welt innewohnen, zu entziehen vermag. Folgt man dieser Ansicht, ist die Rechtstheorie Heideggers nur in dem gesellschaftlichen Aspekt seiner Philosophie aufzufinden. Das weltliche Dasein existiert faktisch nur im Zusammenhang mit Anderen und das Recht als Ordnung des öffentlichen Miteinanderseins konfiguriert sich selbst auf eine Weise, bei der das Verhältnis der Menschen zueinander reguliert wird. Dieser Punkt wird zu einem späteren Zeitpunkt seiner Philosophie – in Holzwege – durch die Analyse des Wortes nomos und dike anhand der Analyse der Gerechtigkeit entfaltet.

lässt, mit dem ein Recht eines Anderen verletzt wird. Zugleich bestimmt es, dass »sich schuldig machen« in der Rechtsverletzung zugleich den Charakter eines »Schuldigwerden an Anderen« haben kann. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 283. Diese ist ohne »Verletzung des öffentlichen Gesetzes« möglich. Folglich umfasst Heideggers Erklärung des Schuldphänomens, welches nicht vom Schuldhaben und der Rechtsverletzung abhängt, dass eine Formalisierung benötigt wird. Die Idee der Schuld ist abzulösen, um sie »von dem Bezug auf ein Sollen und Gesetz« zu begründen, damit die moralische und juristische Schuld erst von diesem Begriff aufgreifbar wird (Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 285). Bei diesem existential-ontologisch formalisierten Schuldbegriff geht es nicht um einen korrigierten Mangel oder darum, eine moralische Verfehlung aufzuheben, weil das Dasein ein existierendes ist, welches sich als aus Möglichkeiten bestehend versteht und sich in der Welt als geworfen darstellt. Vgl. deshalb Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 280–288 und Yu-Taek Lee, Vom Seinkönnen zum Seinlassen. Heideggers Denken der Freiheit, Würzburg, Ergon, 2000, 67–61. 74 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 377.

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Die Dynamik des Verfallens Eine genetische Perspektive Paul-Gabriel Sandu 1

Zusammenfassung: Die Möglichkeit des Daseins, sich selbst zu wiederholen hängt sehr eng mit dem Verfallen zusammen. Das Verfallen ist aber kein viertes Existenzial der Sorge, das keinen Platz mehr in der Struktur derjenigen haben kann, sondern es ist viel mehr als das und gleichzeitig etwas wesentlich anderes. Das Verfallen ist gerade die Dynamik, »das Leben« dieser Existenzialien selbst, die Weise wie sie »im Leben am Leben« sind, die Dynamik der Sorge selbst. Nur auf Basis dieser Dynamik ist so etwas wie eine entgegengesetzte Dynamik möglich. Aber diese entgegengesetzte Dynamik (das Philosophieren) ist eine abgeleitete und nachträgliche Dynamik. Reine Eigentlichkeit gibt es gar nicht; dies wird von Heidegger selbst auf eine Weise gesagt, indem er behauptet, dass die Geworfenheit unhintergehbar ist, dass also die Wiederholung des Selbst nie vollkommen zu vollziehen ist. Abstract: The concept of falling is one of the most problematic concepts of Being and Time, a concept that, if incorrectly understood, threatens to break the symmetry of the whole care-structure, as shown by a number of Heidegger commentators. Therefore, the main goal of this paper is to show that falling is not to be understood as a forth existential of the care-structure, but as a dynamic of this structure which can be neither superseded nor overcome entirely, a dynamic with which every life that understands itself in philosophical terms and strives towards authenticity is constantly at odds. In order to shed some light on this highly problematic concept, I am going to try to map out the different forms and incarnations of this concept throughout Heidegger’s »phenomenological decade«, beginning with his first Freiburg lecture.

This work was supported by a grant of the Romanian National Authority for Scientific Research and Innovation, CNCS – UEFISCDI, project number PN-II-RU-TE2014-4-2881. Bedanken möchte ich mich sehr herzlich bei Gerhard Thonhauser, dem Herausgeber dieses Bandes, nicht nur für das sorgfältige Lektorat dieses Beitrags, sondern auch für wertvolle Ratschläge, die er mir bei der Ausarbeitung des Textes gegeben hat.

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1.

Einführung

Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Analyse des Verfallens, die Heidegger in Sein und Zeit geliefert hat. Es geht mir vor allem darum, die Schwierigkeiten dieses Begriffes und seinen Platz im ganzen Gefüge der Existentialen knapp zu erörtern, um danach einen neuen Blick auf den Begriff zu gewinnen. Die Gewinnung einer neuen Perspektive auf den Begriff des Verfallens ist aber nur möglich, wenn man gleichzeitig seine gesamte Entwicklung in den früheren Schriften Heideggers in Betracht zieht, denn erst aus dieser Perspektive können die Schwierigkeiten, die von vielen Kommentatoren als unlösbar bezeichnet worden sind, aufgehoben werden. Es gilt auch eine Fragestellung – die mit dem Begriff des Verfallens zusammenhängt – zu beantworten, nämlich was für eine Beziehung es zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit gibt und welche von beiden den Vorrang über die andere hat. Ebenso ist es wichtig, die Bedeutung, die die christlichen Quellen für die Entwicklung jenes Begriffes haben, zu verstehen, und inwiefern gegen Heidegger der Einwand gemacht werden kann, dass sein philosophischer Entwurf eine Entchristlichung wäre.

2.

Die Problematik des Verfallens in Sein und Zeit

Die Darstellung der Grundverfassung der Sorge, so wie sie in Sein und Zeit und Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs entwickelt worden ist, hat das Ziel, den Platz des Verfallens im Zusammenhang mit den anderen Existenzialien ans Licht zu bringen. Wenn Heidegger die Grundmomente der Erschlossenheit erörtert, sind Befindlichkeit, Verstehen (als Entwurf) und Rede als gleichursprüngliche Existenzialien dargestellt. Im Laufe der Analyse aber werden die Befindlichkeit (Faktizität), das Verstehen (Existenz) und das Verfallen – so wie Pöggeler sehr deutlich gezeigt hat 2– als Strukturmomente der Sorge verstanden, obwohl das Verfallen, als mögliche Modifikation der Befindlichkeit, Verstehen und Rede nicht gleichrangig ist. Verfallen ist nichts anderes als der Name der »existenzialen

Vgl. Otto Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen, Neske, 1983, 59– 61.

2

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Die Dynamik des Verfallens

Modi des alltäglichen Seins« 3 oder, anders gesagt, der uneigentliche Modus der Erschlossenheit des »Da«. Wenn Pöggeler behauptet, dass die Struktur des Verfallens sich auf einer ganz anderen Ebene als derjenigen der anderen Existenzialien befindet, dann kommt es ihm vor allem darauf an, dass diese Modi, die den Namen des Verfallens tragen, uneigentliche Modi der Erschlossenheit sind, das heißt derivierte und nicht ursprüngliche Modi. Befindlichkeit, Verstehen und Rede teilen alle die »Eigenschaft«, dass sie weder eigentlich noch uneigentlich konnotiert sind, sondern das sie, um metaphorisch zu sprechen, eine »neutrale Ladung« haben. Anders ausgedrückt: Man kann sich sowohl eine uneigentliche Befindlichkeit (namens Furcht), sowie eine eigentliche Befindlichkeit (zum Beispiel Angst) denken. In diesem Sinne wird klar, dass Verfallen kein Existenzial der Erschlossenheit sein kann, sofern es immer schon eine Bewegung darstellt, die sich im Bereich der Uneigentlichkeit vollzieht. Das Einbeziehen des Strukturmomentes des Verfallens anstatt der Rede hat die Bedeutung – so Pöggeler – einer Ersetzung eines Existenzials (der Rede) durch eine uneigentliche Form seiner selbst und der anderen Existenzialien. Diese allmähliche Ersetzung, die in Sein und Zeit tatsächlich zu betrachten ist, bedeutet eigentlich, nach Pöggeler, eine Verdoppelung der Existenzialien mit ihrer uneigentlichen Dimension. Derselbe Kommentator schließt daraus, dass die Einbeziehung dieses sogenannten Existenzials nur negative Konsequenzen für die gesamte Entwicklung des Gedankenganges haben wird. Wenn Heidegger das umschließende Existenzial der Sorge als: »Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)« 4 erklärt, dann ist die Dimension des Verfallens ausdrücklich als »Sein-bei« in der Verfassung der Sorge schon miteinbezogen. Diese Tatsache wird später, am Anfang des Paragraphs 50 nochmals betont, wenn Heidegger behauptet, dass »die fundamentalen Charaktere des Seins des Daseins […] im Sich-vorweg die Existenz, im Schon-sein-in … die Faktizität, im Sein bei … das Verfallen« 5 ausgedrückt werden. In diesem Punkt der heideggerschen Analyse sind Verfallen und Sein-bei gleichgesetzt, obwohl Heidegger in der früheren Phase der 3 4 5

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 133. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 192. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 249–50.

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ontologischen Analyse über ein »verfallenden Sein bei« 6 gesprochen hat, wobei er eine implizite, aber doch klare Unterscheidung zwischen Verfallen und Sein-bei macht. Aber Heidegger, so Pöggeler, thematisiert nirgendwo in Sein und Zeit so etwas wie ein Existenzial der neutralen Gegenwärtigung. 7 Ob so ein Existenzial möglich ist, ist noch zu entscheiden. Eine der Konsequenzen dieser Tatsache ist nach Meinung Pöggelers, dass selbst die Verfassung der Sorge von der Uneigentlichkeit her bestimmt wird. In diesem Sinne ist auch die Behauptung M. Haars gemeint, dass das Dasein »décentré par rapport à l’être temporel du Da, qu’il ne produit, ni ne maîtrise absolument« 8 sei; oder die von Dreyfus, dass »falling as an existential structure would then entail that Dasein cannot own up to being the kind of entity it is. That would make Dasein essentially inauthentic.« 9 Es stellt sich nun die Frage, ob diese Einwände berechtigt sind, und ob das Verständnis der heideggerschen Begrifflichkeit, die sie voraussetzen, eine gerechtfertigte ist. Um diese Fragen beantworten zu können und um die ganze Problematik des Verfallens erörtern zu können, werde ich im zweiten Teil meiner Darstellung die genetische Dimension der Konstellation des Verfallens ans Licht bringen.

3.

Verfallen vor Sein und Zeit

In Grundprobleme der Phänomenologie, die unmittelbar an die Problematik der Kriegsnotsemester-Vorlesung anschließen, arbeitet Heidegger die Zugespitztheit des Lebens auf die Selbstwelt als Grundstruktur des Lebens heraus. Diese Betonung der Selbstwelt, die – so Heidegger – erst bei Augustinus zum Vorschein gekommen ist – heißt, dass das Leben sich als Lebenswelt, Mitwelt und Selbstwelt aus sich selbst versteht und keinen anderen Grund braucht um sich auszudrücken und zu vollziehen. Heidegger macht aber schon in dieser Vorlesung eine höchst wichtige Betrachtung, nämlich, dass »[…] das Leben in all seinen Gestalten [sich] irgendwie ausdrückt

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 192. Vgl. Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, 172. 8 Michel Haar, Heidegger et l’essence de l’homme, Grenoble, Millon, 1990, 21. 9 Hubert L. Dreyfus, Being-In-The-World: a commentary on Heidegger’s Being and time, division I, Cambridge, MIT Press, 1994, 229. 6 7

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und damit einer Deformation unterliegt.« 10 Die Deformation des Lebens, die dem Leben inhärent ist, die das Leben ausmacht und die das Leben selbst ist, ist der erste Versuch Heideggers, die Grundbewegung des Lebens als solche zu denken. Weil das Leben in sich eine solche Deformation zu sein scheint, ist die einzige Möglichkeit, das Leben aus sich selbst zu verstehen, »der Grundsinn der phänomenologischen Methode«, »das Nein-Sagen, die Produktivität des Nicht.« 11 In diesem Paragraph, in dem es um die Spannung zwischen der Deformation des Lebens (Verfallen) und Nein-Sagen (Destruktion) geht, liegt der Kern der Problematik, mit der Heidegger sich fast eine Dekade lang beschäftigt hat: wie Leben gerade in seiner Lebendigkeit zu verstehen ist. Eine weitere Erörterung dieses grundlegenden Phänomens des faktischen Lebens findet sich unmittelbar in Anknüpfung an das X. Buch der Bekenntnisse. In GA 60 erklärt Heidegger das Bekümmertsein (curare) als »Grundcharakter des faktischen Lebens« 12, »die Weise, wie wir im faktischen Leben auf die umweltlichen, mitweltlichen und selbstweltlichen Bedeutsamkeiten bezogen sind, […] der ›Bezugssinn‹.« 13 Es handelt sich hier um keine gewaltige Hermeneutik des Augustinus, sondern vielmehr um eine Schritt für Schritt durchgeführte Interpretation des quasi-phänomenologischen Verfahrens desselben. Sollte man daraus folgern, dass die ontologischen Strukturen, die von Heidegger ans Licht gebracht werden, nur für das Gebiet des religiösen Lebens eine Bedeutung haben? Gewiss nicht. Denn curare ist nicht nur die fundamentale Struktur des christlichen Lebens, sondern des Lebens als solchem, wenn es in seiner Lebendigkeit verstanden wird. Bei Augustinus – so Heidegger – ist die Suche nach Gott keine objektive Befragung der Natur des ewigen Seins, sondern »im GottSuchen kommt etwas an mir selbst nicht nur zum ›Ausdruck‹, sondern es macht meine Faktizität aus und Bekümmerung darum. […] Ich bin nicht nur der, von dem das Suchen ausgeht, und irgendwo sich hinbewegt, oder in dem das Suchen geschieht, sondern der Vollzug Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 148. Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie, GA 58, 148. 12 Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 204. 13 Friedrich-Wilhelm von Herrmann, »Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität. Heideggers phänomenologische Auslegung Paulinischer Briefe«, in: Norbert Fischer und Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hg.), Heidegger und die christliche Tradition, Hamburg, Meiner, 2007, 23–24. 10 11

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des Suchens selbst ist etwas von dem selbst.« 14 In diesem Gott-Suchen aber, das nichts anderes als das Suchen des glückseligen Lebens (vita beata) ist, »fallen [die Menschen] an das […], was ihnen [gerade] verfügbar ist, was an umweltlichen und sonstigen Bedeutsamkeiten der Welt und des Selbst [ihnen] bequem erreichbar wird.« 15 Es wird also deutlich, so Heidegger, dass aus der Perspektive Augustinus’ dieses »defluxus in multum«, dieses Verfallen an die Welt die Dynamik des Lebens selbst ist. Als Zerstreuung in der Mannigfaltigkeit der Gehalte ist die vita beata in misera vita umgewandelt: »Das selbstliche Dasein, die Existenz, ist an einer molestia, Beschwernis, verhaftet und bestimmt sich damit in seiner Faktizität.« 16 In dieser Unterscheidung zwischen vita beata und misera vita wird zum ersten Mal so etwas wie eine Unterscheidung zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit gedacht, auch wenn diese Termini erst später genannt werden. Das Phänomen des Verfallens, das bis jetzt als Deformation des Lebens und als defluxus in multum begriffen worden ist, wird im zweiten Abschnitt der Vorlesung Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles viel näher unter dem Terminus der Ruinanz bestimmt. Der Ausgangspunkt der heideggerschen Analyse des faktischen Lebens ist der Begriff der Sorge – dessen Ursprung das augustinische curare ist –, der als »Bezugsinn des Lebens« 17 erklärt wird. Gemäß seines Bezugsinnes begegnet das Leben einer Welt, »die von meinem Selbst her ihre bestimmte Bedeutsamkeit nimmt und gewinnt, in der aber nicht das Selbst qua Selbst ›ist‹ und wo das ›von meinem Selbst her‹ weder reflexiv da ist noch in dieser Reflexion ausdrücklich inszeniert wird.« 18 Auch wenn die Begrifflichkeit nicht mehr dieselbe wie in Phänomenologie des religiösen Lebens ist, kann man immer noch deutlich genug sehen, dass die augustinische Analyse den Denkweg Heideggers grundlegend bestimmt hat. Heidegger spricht hier über Dezentrierung des Lebens, eine Deformation, die für das Leben konstitutiv ist, denn durch seine Zerstreutheit in der Welt, in der Mannigfaltigkeit der Bedeutsamkeiten, Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 192. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 197. 16 Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 230. 17 Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 90. 18 Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 95. 14 15

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entfremdet sich das Leben von sich selbst. Heidegger unterscheidet drei – wie er sie nennt – existentiale Kategorien der Sorge, die die Dynamik derselben zum Vorschein bringen. Die Sorge vollzieht sich als Neigung, Abstandstilgung und Abriegelung – Begriffe, die hier nicht näher erörtert werden können. Es ist nur wichtig zu sagen, dass diese Dynamik der Sorge, die als Bewegtheit des faktischen Lebens zu verstehen ist, den Namen der Ruinanz bekommen hat. Es ist auch bemerkenswert, dass Heidegger hier noch nicht die Unterscheidung zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit macht, und dass er eine Reihe von Phänomenen, die zur Uneigentlichkeit zu gehören scheinen, erörtert (siehe H. Tietjens Analyse dieser Konstellation der Begriffe), die doch von Heidegger als existentiale Kategorien des Lebens gedacht worden sind. Die Gründe dafür sind später zu klären. Es soll hier aber gesagt werden, dass es erst einen Sinn hat, über Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zu sprechen, wenn diese Strukturen, die hier ans Licht gebracht werden, als derivierte Strukturen im Verhältnis zu einer ursprünglichen Dimension gedacht worden sind, nämlich wenn das Leben ursprünglicher, und zwar als Erschlossenheit gedacht wird. Die formal-anzeigende Definition der Ruinanz lautet, so Heidegger, wie folgt: »Die Bewegtheit des faktischen Lebens, die das faktische Leben in ihm selbst als es selbst für sich selbst aus sich hinaus und in all dem gegen sich selbst ›vollzieht‹, d. h. ›ist‹.« 19 Der entscheidende Punkt dieser Definition ist die Behauptung, dass das Leben sich »gegen sich selbst« vollziehe, eine Behauptung die sehr eng mit dem Begriff der Deformation zusammenhängt. Das faktische Leben vollzieht sich notwendigerweise indem es sich verstellt, dissimuliert und sich selbst verbirgt. Die Ruinanz ist keine negative Dimension des Lebens, der eine gleichgesetzte Bewegung entspräche, sondern sie ist vielmehr die Weise, wie das Leben selbst lebt, das Leben selbst in seinem innersten Sein. Die formal-anzeigenden Charaktere der Ruinanz, das Verführerische, das Beruhigende, das Entfremdende und das Vernichtende – die sosehr an die Grundcharaktere des Verfallens in Sein und Zeit erinnern –, sind miteinander verwickelt und geben die Komplexität des Phänomens der Ruinanz kund. Von diesem Standpunkt aus ist auch der heideggersche Ausdruck »zunächst und zumeist« neu zu interpretieren. »Zunächst« zeigt genau diese konstiHeidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 131.

19

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tutive Dynamik des Lebens, das unhintergehbar und unentrinnbar ist. Um die spätere Begrifflichkeit Heideggers zu benutzen, hat die Ruinanz einen ontischen Vorrang und konstituiert die Faktizität als solche, sie konstituiert das, was Heidegger unter dem Namen der hermeneutischen Situation gefasst hat. Wenn Heidegger meint, dass das Dasein »zunächst« an die Welt verfallen ist, meint er damit keine statische Lage des Daseins, sondern die Bewegtheit des faktischen Lebens selbst, die so etwas wie Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit erst möglich macht. Es wäre nun zu fragen, ob das Verfallen sogar die Bedingung der Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit ist – ein Titel, der bis jetzt der Jemeinigkeit vorbehalten wurde –; aber diese Frage muss zunächst beiseitegelassen werden.

4.

Die entgegengesetzte Dynamik der Ruinanz– Philosophieren

Es stellt sich nun die folgende Frage: Wie ist die »Eroberung« der hermeneutischen Situation zu vollziehen, wie kann man das Gravitationsfeld der Ruinanz verlassen, wenn diese Bewegtheit das Leben selbst ›ist‹ ? Die Antwort Heideggers lautet: durch Philosophieren. Er unterscheidet wesentlich zwischen Philosophieren als akademische Tätigkeit und Philosophieren als »erkennendes Verhalten zu Seiendem als Sein (Seinssinn), so zwar, daß es im Verhalten und für es auf das jeweilige Sein (Seinssinn) des Habens des Verhaltens entscheidend mit ankommt.« 20 Das faktische Leben vollzieht sich in einer Indifferenz »in Bezug auf die Weise des Erfahrens« 21, und deshalb ist es die Rolle des Philosophierens, diesen Bezug ausdrücklich zu machen. Diese gegenruinante Bewegung ist eine sekundäre Bewegung, die die primäre Bewegung der Ruinanz voraussetzt und die nie vollkommen aus ihr herauskommen kann, denn das Leben existiert immer faktisch und kann nie aus seiner Existenz heraus, nicht einmal, wenn es sich als Philosophieren vollzieht. Obwohl Heidegger nie eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen der Philosophie und des Philosophierens gemacht hat, setzen die Behauptungen und verschiedeHeidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung, GA 61, 60. 21 Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 12. 20

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nen Definitionen der Philosophie, die er gibt, eine solche Unterscheidung voraus. Heidegger behauptet zuerst, dass »Philosophie ›Ontologie‹, und zwar radikale, und zwar als solche phänomenologische […] bzw. ontologische Phänomenologie sei.« 22 Diese anzeigende Definition ist einleuchtend genug, denn sofern Philosophie sich mit dem »Sein des Seienden« beschäftigen muss, kann sie nur Ontologie sein. Aber insofern ist sie keine beliebige Weise, in der man sich mit dem Sein des Seienden beschäftigt, sondern sie konzentriert sich auf das Sein des Bezuges zu diesem Seienden; auf die Art und Weise wie das Seiende sich offenbart, ist sie Phänomenologie. In demselben Text aber haben wir es, ein bisschen später, mit einer anderen Definition der Philosophie zu tun: »Philosophie ist ein Grundwie des Lebens selbst, so daß sie es eigentlich je wiederholt, aus dem Abfall zurücknimmt, welche Zurücknahme selbst, als radikales Forschen, Leben ist.« 23 In dieser Weise verstanden, ist Philosophie keine phänomenologische Ontologie mehr, sondern eine Lebensweise. Sie ist eine Wiederholung des verfallenden Lebens, ein Sichzurück-nehmen, eine Hermeneutik, die sich faktisch vollzieht, eine Hermeneutik der Faktizität in dem doppelten Sinne des Genitivus Subjektivus/Objektivus, die sich als gegenruinante Bewegung vollzieht. Der Ansatzpunkt dieses Wiederholens ist die Erhellungstendenz des faktischen Lebens, die die Fraglichkeit seiner selbst ans Licht bringt. Diese Erhellungstendenz, die den Ansatzpunkt der Philosophie ausmacht, ist eine flüchtige Tendenz des faktischen Lebens, die oft von dem beruhigenden Charakter der Ruinanz getilgt worden ist. Aber dort, wo sie explizit geworden ist, ist der Ansatz zur Philosophie vollzogen: »Eine gegenruinante Bewegtheit ist die des philosophischen Interpretationsvollzugs, und zwar so, daß sie sich vollzieht in der angeeigneten Zugangsweise der Fraglichkeit.« 24 Philosophie, als gegenruinante Bewegung, ist nichts anderes als die Hermeneutik der Faktizität, die Aneignung der »hermeneutischen Situation«, die den Titel des »Natorp Berichtes« ausmacht. Das Wichtigste hier ist, dass – um die Terminologie von Sein und Zeit zu verwenden – die Bedingung der Möglichkeit des eigentlichen Lebens die Ruinanz ist, als Grundbewegung des faktischen Lebens, die sich immer schon vollzieht und die nie zu beseitigen ist. 22 23 24

Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 60. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 80. Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, GA 60, 153.

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Aber würde das heißen, dass nur die Philosophen und das philosophische Leben in einen vollkommenen Besitz seines selbst gelangen können? Um diese Frage zu beantworten, müssen die zwei Bedeutungen der Philosophie noch einmal in Betracht gezogen werden. Diese zwei Bedeutungen sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in einer engen Beziehung, sodass die eine – die Philosophie als »Grundwie des faktischen Lebens« – der Grund für die andere – Philosophie als phänomenologische Ontologie – ist. Anders gesagt, jede Hermeneutik des eigenen Lebens, jede Antwort auf den »Ruf des Gewissens«, jeder bewusste Entwurf ist Philosophieren. Es ist nicht notwendig, dass dieses Philosophieren selbst thematisiert wird und eine begriffliche Ausrüstung bekommt, aber es ist die Voraussetzung dafür. Das faktische Dasein (der Terminus wurde schon in dieser Vorlesung benutzt) philosophiert jedes Mal, wenn es sich verstehend über seine eigene Existenz, über seine eigene Faktizität befragt, sodass die Hermeneutik die Dynamik des eigenen Lebens wird. Die fundamentale Ontologie ist zwar eine der eigentlichsten Möglichkeiten des Daseins, aber sie folgt nicht notwendig daraus. Sie ist vielmehr eine Hermeneutik zweiter Stufe, eine Intensivierung und Präzisierung dieses faktischen Verstehens, denn sie hermeneutisiert gerade die Hermeneutik der Faktizität, sie stellt die Fraglichkeit des Lebens selbst in Frage.

5.

Das Verfallen als »ontologischer Bewegungsbegriff«

Alle Phänomene, die zur Bewegtheit des faktischen Lebens gehören und die bisher ans Licht gebracht wurden, sind in Sein und Zeit unter den Namen des Verfallens gefasst, das »sich [als] eine Grundart des Seins der Alltäglichkeit [enthüllt].« 25 Nicht nur die vorher analysierten Phänomene der Neugier und des Geredes gehören zu der Konstitution dieser ontologisch verstandenen Bewegung des Daseins, sondern sogar drei von den vier Grundcharakteren der Ruinanz 26 und ihr Sturzcharakter, der jetzt als zur Verfallenheit des Daseins gehörender Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 175. Auch wenn hier über »die Bodenlosigkeit und Nichtigkeit der uneigentlichen Alltäglichkeit« gesprochen wird, wird das Vernichtende nicht mehr als ein Charakter des Verfallens gesehen. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 178.

25 26

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Charakter erläutert wird. Weil diese Charaktere in verschiedenen Zusammenhängen bereits angesprochen wurden, gilt es nun, einige neue Elemente, die Heidegger in der Konstellation des Verfallens aufnimmt, in die Diskussion zu bringen. Den drei schon bekannten Strukturmomenten des Verfallens – dem Versucherischen, dem Beruhigenden und dem Entfremdenden – kommt ein viertes hinzu: das Verfängnis, das vielmehr das Zusammengehören der anderen drei Charaktere, die eigene Bewegtheit derselben, auszuzeichnen scheint. »Die versuchend-beruhigende Entfremdung des Verfallens führt in ihrer eigenen Bewegtheit dazu, dass sich das Dasein in ihm selbst verfängt.« 27 Das Dasein verwickelt sich, anders gesagt, in das vom Man-Selbst geregelte befindliche Verstehen, ergreift nur die ihm schon zur Verfügung gestellten Möglichkeiten, bis es zum Gefangenen seiner eigenen Existenz wird. Die Entfremdung »gegenüber seinem eigentlichen Selbstsein zugunsten seines uneigentlichen Selbstseins« 28 wird demnach schärfer als Selbstentfremdung gefasst. Dieses »Sich-in-ihm-selbst-verfangensein« soll nicht als etwas Unfallartiges verstanden werden, das bei reichlicher Überlegung zu vermeiden wäre, sondern eben als Dynamik der Existenz, oder, um mit Heidegger zu sprechen, als »die verfallende Seinsbewegung der Existenz.« 29 Es ist jedoch nicht ganz klar, ob »das Dasein […] aus der modalen Seinsart der Eigentlichkeit in seine ihm mögliche Seinsart der Uneigentlichkeit [fällt] und [sich] in dieser Seinsart der Uneigentlichkeit [verfängt und verwickelt].« 30 Es ist nämlich fragwürdig, inwiefern gesagt werden kann, dass das Dasein »aus der Seinsart der Eigentlichkeit« fällt, denn das könnte in dem (unangemessen) Sinne verstanden werden, dass das Dasein zunächst doch eigentlich existiert – eine Behauptung, die von Heidegger ständig verneint wird. Zwar verfehlt das uneigentlich entworfene Dasein seine eigenen Möglichkeiten, es verfehlt sein mögliches eigentliches Selbst, aber das heißt noch nicht, dass es aus diesem schlicht möglichen Selbst gefallen ist. Wie Figal bemerkt hat, »ist das Möglichsein kein ›Urstand‹, dem man das bestimmte Verhalten als ›Abfall‹ entgegensetzen könnte. Sofern im Dasein die Möglichkeit des wirkHeidegger, Sein und Zeit, GA 2, 178. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins, Band III, Frankfurt am Main, Klostermann, 2008, 152. 29 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 178. 30 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 178. 27 28

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Paul-Gabriel Sandu

lichen Verhaltens erschlossen ist, ist die Erschlossenheit auch vom wirklichen Verhalten nicht strikt zu trennen. […] Auch wenn man das Verfallen als das Aufgehen im Miteinandersein unter der Dominanz des Geredes begreift, lässt sich die Erschlossenheit nicht als ein ›Urstand‹ denken« 31.

Das Verfallen soll demnach nicht als ein »Verfallen aus …« 32 begriffen werden, sondern vielmehr als eine Dynamik des faktischen Daseins, die unvermeidbar ist. Wie die ruinante Bewegtheit des Lebens wird zwar auch die Verfallensbewegtheit in seinen Charakteren als Absturz gefasst: »Das Dasein stürzt aus ihm selbst in es selbst, in die Bodenlosigkeit und Nichtigkeit der uneigentlichen Alltäglichkeit. Dieser Sturz bleibt ihm aber durch die öffentliche Ausgelegtheit verborgen, so zwar, dass er als ›Aufstieg‹ und ›konkretes Leben‹« 33 ausgelegt wird. Aber im Gegensatz zur Ruinanz – und das ist der entscheidende Punkt – ist die Sturzbewegung des Verfallens nicht mehr als das, was »das faktisches Leben ›ist‹« 34, konzipiert, sie wird nicht mehr als Grundbewegung des Lebens gesehen, sondern »das ›Abstürzen‹ ist eine Sturzbewegung, die innerhalb der Existenz und innerhalb des Daseins, des Sein des Da, verbleibt« 35, die nur von der Erschlossenheit her verständlich gemacht werden kann. 36 Heidegger ist es eben deshalb wichtig, das Verfallen als ein in der Erschlossenheit begründetes Phänomen zu verstehen; denn »wenn es ihm nicht gelingt, das Verfallen aus der Erschlossenheit selbst einsichtig zu machen, ist man gezwungen, die Erschlossenheit einerseits und das Verfallen andererseits als zwei heterogene Strukturmomente von Dasein zu verstehen, und das wiederum führt dazu, dass man von der Uneigentlichkeit sagen muss, sie sei nicht in der Struktur von Dasein selbst fundiert.« 37 Die Verfallensbewegtheit, die als Sturz charakterisiert wurde, ist näher in ihrem wirbelhaften Charakter erörtert: »Dieses ständige Losreißen von der Eigentlichkeit und doch immer Vortäuschen derselben, in eins mit dem Hineinreißen in das Man charakterisiert die Bewegtheit des Verfallens als Wirbel.« 38 Das Abstürzen erweist sich nicht als ein lineares Fallen, sondern als ein stän31 32 33 34 35 36 37 38

Figal, Phänomenologie der Freiheit, Frankfurt am Main, Athenäum, 1988, 183. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 176. Heidegger, Sein und Zeit, GA, 2, 178. Vgl. Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, GA 61, 131. Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins, Band III, 153. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 179. Figal, Phänomenologie der Freiheit, 191. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 178.

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Die Dynamik des Verfallens

dig wiederholter (uneigentlicher) Entwurf des Daseins, ein ständiges seinsmäßiges Fliehen vor seinen eigenen Möglichkeiten. Das Verfallen des Daseins heißt nicht, dass es »einfach verschlossen ist, sondern immer aufs Neue verschlossen wird.« 39 Dieses ständige Sichverschließen des Daseins wird von Heidegger anhand einer Engführung des Wirbels und der Geworfenheit des Daseins verdeutlicht. Der Wirbel solle, so Heidegger, »zugleich den Wurf- und Bewegtheitscharakter der Geworfenheit, die in der Befindlichkeit des Daseins ihm selbst sich aufdrängen kann, [offenbaren].« 40 Auch wenn Heidegger hier nirgendwo von einer der Verfallenheit entgegengesetzten Bewegung spricht, ist klar, dass das erschließende Entwerfen des Entschlusses den Namen dieser Gegenbewegung tragen könnte, denn jeder Entwurf vollzieht sich notwendigerweise gegen die inertiale Bewegung der Geworfenheit, und bleibt immer ein Stück weit hinter ihr zurück. Der Vorrang der Geworfenheit über den erschließenden Entwurf wird von Heidegger selbst sehr scharf formuliert, indem er behauptet, dass »das Dasein […] ständig hinter seinen Möglichkeiten zurück[bleibt]. Es ist nie existent vor seinem Grunde, sondern je nur aus ihm und als dieser. Grundsein besagt demnach, des eigensten Seins von Grund auf nie mächtig zu sein. Dieses Nicht gehört zum existenzialen Sinn der Geworfenheit. Grundseiend ist es selbst eine Nichtigkeit seiner selbst.« 41 Die Erfahrung und das »Übernehmen der Schuld«, die das Dasein in die Situation seiner Entschlossenheit versetzt, bringt das Dasein vor die Nichtigkeit seines eigenen Seins. Die äußerste, eigentlichste Erfahrung des Sich-selbst-Habens ist eine Erfahrung der Abgründigkeit des eigenen Seins. Das eigentliche Dasein, das sich in die Situation seiner vorlaufenden Entschlossenheit versetzt, kann die Dynamik seines Verfallens weder vollkommen noch endgültig überwältigen. Das Verfallen als ontologischen Bewegungsbegriff zu verstehen, heißt, das Sein des Daseins in seiner Bewegtheit als Verfallen zu begreifen. Das Dasein ist in seinem Sein durch die Bewegtheit des Verfallens so determiniert, dass es ihm nur teilweise und augenblicklich möglich ist, sie zu überwinden oder ihr zu entgehen, und wird dagegen ständig von dem Verfallen überfallen und zurückgeholt.

39 40 41

Figal, Phänomenologie der Freiheit, 190. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 179. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 284.

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Paul-Gabriel Sandu

6.

Abschließende Bemerkungen

Die Möglichkeit des Daseins, sich selbst zu wiederholen hängt sehr eng mit dem Verfallen zusammen. Das Verfallen ist aber kein viertes Existenzial der Sorge, das keinen Platz mehr in der Struktur dieser haben kann, sondern es ist viel mehr als das und gleichzeitig etwas wesentlich anderes. Das Verfallen ist gerade die Dynamik, »das Leben« dieser Existenzialien selbst, die Weise wie sie »im Leben am Leben« sind, die Dynamik der Sorge selbst. Nur auf Basis dieser Dynamik ist so etwas wie eine entgegengesetzte Dynamik möglich. Aber diese entgegengesetzte Dynamik (das Philosophieren) ist eine abgeleitete und nachträgliche Dynamik. Der wechselseitige Bezug zwischen Verfallen und Philosophieren ist vielleicht am besten durch den Ausdruck »zunächst und zumeist« gefasst. Denn »zunächst« indiziert gerade diesen faktischen Vorrang des Verfallens. »Zumeist« aber, das kein synonymischer Ausdruck ist, heißt vielmehr, dass, auch wenn diese Bewegung primär ist, das Dasein ihr nicht immer verhaftet bleibt, sondern sich ihr entziehen kann, indem es sie in Frage stellt. Schließlich und endlich aber ist es dem Dasein unmöglich, sich dieser Dynamik vollkommen zu entziehen, um ein für allemal »eigentlich« zu sein. Reine Eigentlichkeit gibt es gar nicht, und das wird von Heidegger selbst auf eine Weise gesagt, wenn er behauptet, dass die Geworfenheit unhintergehbar ist, dass also die Wiederholung des Selbst nie vollkommen zu vollziehen ist. Die kantische Metapher des Vogels, der viel leichter durch die Hohlräume hindurch zu fliegen glaubt, passt auch sehr gut in diesen Zusammenhang; denn das Verfallen ist gerade die Bedingung der Möglichkeit einer Interpretation seiner selbst, es ist die Bedingung der Möglichkeit eines eigentlichen Lebens. Das Dasein kann nämlich nur zu sich selbst kommen, indem es grundsätzlich, »zunächst und zumeist« nicht bei sich selbst ist, sondern an die »Welt« verfallen. Die Selbstzurücknahme ist aber nie vollkommen, weil jede Gegen-Bewegung gleichzeitig ein Mitmachen und Mitgehen in der ontisch ursprünglicheren Bewegung selbst ist.

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Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition? A Response To Iain Thomson Johannes Achill Niederhauser 1

Abstract: In this paper I critically assess Iain Thomson’s recent paper on death and demise in Being and Time. Thomson argues that death in Being and Time represents momentary global world collapse. As such, Thomson argues, death is a deeper-level ontological phenomenon similar to the ontic phenomenon of demise. He claims that this ontic phenomenon of world collapse is repeated on the ontological level. This is his understanding of formal indication. Thomson then infers that Dasein must experience the ›ontological‹ phenomenon death in order to abandon its fear of demise – ultimately an Epicurean position, which, I claim and show here, is not Heidegger’s. Thomson’s account, moreover, appears to neglect important concepts in regards to death such as being-towards-death, care and Ganzseinkönnen (being-able-to-be-whole). It might be for this reason that death is not considered to be Dasein’s ownmost possibility and world-constituting phenomenon, but a catastrophic experience. On the background of my critique I provide an interpretation of death as based in care and as worldenabling condition. This paper overall aims to contribute to a better understanding of Being and Time’s method of formal indication and the distinction of the ontic and the ontological. Zusammenfassung: In diesem Aufsatz versuche ich Iain Thomsons kürzlich erschienenen Beitrag zu Tod und Ableben in Sein und Zeit kritisch zu beurteilen. Dies ist notwendig, wie ich meine, da Thomson behauptet, das Todesphänomen in Sein und Zeit repräsentiere etwas wie einen momentanen globalen Weltzusammenbruch. Der Tod, so Thomson, ist primär eine Kopie des ontischen Phänomens Ableben. So wie man das Ableben erleben kann, so kann man auch den Tod ontologisch erleben. So wie das Ableben wohl einem Weltzusammenbruch gleichkommt, muss auch der ontologische Tod ein Weltzusammenbruch sein. Das ist Thomsons Verständnis der formalen Anzeige. Thomson schlussfolgert sodann, dass das Dasein, da es ja

I am indebted to Giovanna Caruso and Karl Kraatz for their helpful comments. Special thanks to Gerhard Thonhauser for organising the conference, editing this volume, and for his helpful feedback. Research for this paper was partially done in Freiburg during my doctoral research fellowship with the Muße Projekt SFB 1015.

1

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sein Ableben schlecht erleben und zurückkehren kann, den ›ontologischen‹ Tod erleben muss, um seine Furcht vor dem Ableben loszuwerden. Letztendlich wird Heidegger also eine Epikureische Position zugeschrieben, die jedoch nicht Heideggers sein kann. Thomsons Interpretation scheint überdies auch die wichtigen Begriffe des Seins zum Tode, der Sorge und des Ganzseinkönnens zu ignorieren. Es mag dies der Grund sein, wie ich zu zeigen versuche, dass der Tod hier nicht als eigenste, gründende Möglichkeit, sondern als katastrophales Erlebnis aufgefasst wird. Vor dem Hintergrund meiner Kritik interpretiere ich den Tod mit Hinblick auf seine Verankerung in der Sorge und versuche zu zeigen, dass der Tod notwendige Bedingung für Welthaftigkeit ist. Dieser Aufsatz versucht insgesamt, zur Klärung der Methode von Sein und Zeit beizutragen.

1.

The Role of Death in Being and Time

There is a contested debate on the role of the phenomenon of death in Being and Time. Questions include whether death has anything to do with mortality or whether it is merely metaphorical. Whether every Dasein has to perform being-towards-death, and if so, how Dasein can do that. Would Dasein have to experience death one way or another? What are we to make of such claims that »[d]eath is a way to be, which Dasein takes over as soon as it is« 2? Does this mean that Dasein is just born to die and that it has to accept it at some point in life? Or is this an ontological claim about Dasein’s structure? Would one then rather have to ask what the function of death is in Dasein’s ontology? These controversial questions point to both the problem of the methodology of Being and Time and the question of transformation. It is these questions I shall address in this paper. I shall argue in favour of a reading of Being and Time that views it as a descriptive work of Dasein’s ontology. This should add to a sounder understanding of the method of Being and Time, in particular of formal indication. I shall follow Heidegger’s suggestion that any »[…] ontological investigation of phenomena such as […] death has to begin with what everyday interpretation of Dasein has to ›say‹ about them.« 3 That is, they begin on the ontic level from a certain vagueness of everyday speech. The language on the ontological level, Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 326. All texts by Heidegger my translation until further notice. 3 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 373. 2

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Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition?

I shall suggest, is performative. That is, it is not a call to some Dasein to act, but wishes to express the dynamic nature of the ontological. Furthermore, I aim to demystify Heidegger by paying careful attention to language and method. Based on this I also want to show that Heidegger’s project of the transformation of the human being is intimately related to death. The transformation can be formulated as follows: either man moves further into worldless enclosedness of (Cartesian) subjectivity or towards the disclosedness of mortal Dasein qua being-in-the-world. The project of Being and Time is just this: to disclose the ontological structures of Dasein in order to thereby transform the human being. Yet, this does not mean that Dasein becomes perfectly transparent to itself. For its worldlessness, the subject is essentially un-whole for Heidegger. Dasein, however, is in the possibility of Ganzseinkönnen, being-able-to-be-whole, because it is towards its death. There is a »certain wholeness,« »a certain unity« 4 of Dasein in its authentic being-towards-death: »Only in forerunning [towards its ownmost possibility: death] Dasein is able to assure itself of its unsurpassable wholeness.« 5 As such being mortal »[…] is the privilege and the joy of being human: to be able to be (being): Sein-können.« 6 Thus, the phenomenon death qua mortal finitude is not a »deficiency«, but »acting force.« 7 Readings of death in Being and Time often focus on the relation of angst and death 8 but ignore the relation of death and care, Sorge. Hence I shall here focus on that ignored relation, for death is »[…] anchored in care.« 9 It is only in respecting this relation that one can understand how death lets world arise and allows for Dasein’s Ganzseinkönnen.

John Sallis, Echoes: After Heidegger, Indianapolis, Indiana University Press, 1990, 129. 5 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 352. 6 Miguel de Beistegui, Thinking with Heidegger: Displacements, Bloomington, Indiana University Press, 2003, 31–32. 7 Martin Heidegger, Grundbegriffe der Metaphysik. Welt, Endlichkeit, Einsamkeit GA 29/30, 306. 8 Cf. Hassan Givsan, Zu Heidegger. Ein Nachtrag zu »Heidegger – das Denken der Inhumanität«, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2011. 9 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 420. 4

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2.

Thomson on Death and Demise

One recent account that neatly embodies the problems raised in the introduction is a paper by Iain Thomson on death and demise. 10 Thomson is a most prolific writer who has helped introduce and appreciate especially later texts by Heidegger like Contributions and The Origin of the Work of Art 11 to recent Anglophone Academia. In his paper on death he follows other Dreyfusian Heidegger scholars such as Blattner, 12 Haugeland, 13 and White 14 in their claim that death is a catastrophic event of world collapse. »Death« seems to have nearly no relation to Dasein’s mortal finitude. For ease of understanding I shall write »death« whenever I refer to the Dreyfusian account, and death whenever I refer to what I think is closer to Heidegger. Thomson has taken a slightly different route by appreciating »death’s« relation to mortality. Thus Thomson does not argue »death« to have merely metaphorical meaning. He is right to criticise Dreyfusian accounts that have neglected the aspect of mortality. He is also right to argue that death in Being and Time cannot simply mean demise or passing. Thomson appears to wish to cater to both sides of the debate by establishing a connection between the ontic phenomenon demise and the ontological phenomenon »death.« Nonetheless, he sticks to Dreyfusian orthodoxy and claims that »death« is »[…] an existential phenomenon that stands revealed when our everyday worlds collapse.« 15 Due to the brevity of this format, I shall extract only what I find to be the most problematic methodological and textual problems of Thomson’s reading. Thomson’s argument appears to operate on the ground of the Cf. Iain Thomson, »Death and Demise in Being and Time«, in: Mark A. Wrathall (ed.), The Cambridge Companion to Heidegger’s ›Being and Time‹, Cambridge, Cambridge University Press, 2013. 11 Cf. Iain Thomson, Heidegger, Art, and Postmodernity, Cambridge, Cambridge University Press, 2011. 12 Cf. William, Blattner, Heidegger’s Temporal Idealism, Cambridge, Cambridge University Press, 1999, 77. 13 Cf. Carol J. White, Time and Death: Heidegger’s Analysis of Finitude, Aldershot, Ashgate, 2005. 14 Cf. John Haugeland, »Truth and Finitude: Heidegger’s Transcendental Existentialism,« in: Mark Wrathall and Jeff Malpas (eds.), Heidegger, Authenticity, and Modernity: Essays in Honor of Hubert L. Dreyfus, Volume 1, Cambridge, MIT Press, 2000, 43–78. 15 Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 263. 10

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following set of silent assumptions: Dasein can be perfectly transparent to itself, it is a Crypto-Cartesian subject. That is, each Dasein has at will access to its ontological constiution. Instead of aiming to overcome worldless subjectivity by grounding Dasein in death, Thomson’s reading thus rather enforces it. The implicit focus on the cognitive reduces ontological phenomena such as angst to psychiatric states. All phenomena, ontic and ontological, can be experienced. Moreover, Being and Time is not primarily descriptive but prescriptive and normative. In what follows I first address the three pillars of his argument. Then I summarise and test Thomson’s main argument on the supposed relation of demise and »death« and his claim that Dasein can make ontological experiences. Against the background of my critique of Thomson’s I shall provide my own reading of death throughout the paper.

3.

Three Pillars

Thomson’s argument rests on three pillars. The first is the supposed theological influence on Heidegger. The second concerns the alleged Epicurean influence. The third is Thomson’s understanding of formal indication. I shall address each of them shortly. First, on the theological influence: This will prove to be a rather puzzling aspect of Thomson’s paper. As is well known, Heidegger quotes from Johannes von Tepl’s Ackermann aus Böhmen after defining death as a way of being that pertains to every Dasein: »Sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben.« 16 Tepl’s Ackermann is a dialogue between Death and a farmer who bemoans his wife’s recent passing. Death himself utters the just quoted proposition to make clear that everyone owes him their demise, in fact as soon as one is born. Heidegger appears to quote Tepl simply to emphasise that death, properly understood, is a fundamental way of Dasein to be in the world. Thus death itself is primarily not some external event, but

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 326. English translation: »As soon as a man is born he is old enough to die.« The original version is »als schiere ein mensche lebendig wirt, als schiere ist er alt genug zu sterben.« The text can be found online at: Projekt Gutenberg, http://gutenberg.spiegel.de/buch/–4255/1, accessed 04 April 2016. Note that Heidegger does not quote from Tepl directly.

16

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in order to at all being able to experience the demise of other Dasein »already presupposes the [ontological] concept death.« 17 Dastur puts it as follows: »If Dasein as such did not already have an inherent relation to death, it could never be put in such relation by any event in the world.« 18 Thomson refers to this quote and claims that Heidegger by »zum Leben kommt« does not mean »being born,« but that one must first become »[…] a full-fledged Dasein« 19 by experiencing »death,« which amounts to being reborn. Thomson appears to arrive at this claim because he believes that Heidegger here quotes Jakob Böhme. He even claims that Heidegger stands in the theological tradition of Böhme (who apparently influenced Kierkegaard’s theology) according to whom, allegedly, man is born again during his lifetime, when he becomes a man by dying death in life. That kind of rebirth for Heidegger, Thomson alleges, takes place by living through a state of global world collapse: »death.« Besides the obvious historical inaccuracy, these claims are philosophically wrong, too. For Thomson, one would have to become a full Dasein by experiencing »death«. This is certainly not true for Heidegger: »In death Dasein is [not] fulfilled.« 20 To characterise Dasein as something that can be fulfilled like a painting or a flower that finally blossoms would turn Dasein into just that: something present-athand. 21 Moreover, it would turn the analysis of ontological death into a normative demand. Second, on the influence of Epicurus: This leads me to Thomson’s assertion that Heidegger holds an implicit Epicurean standpoint on death. Thomson claims that after having experienced ontological »death«, by which we recognise we are but »brute projecting« 22, we can overcome our ontic fear of demise and live in Epicurean indifference towards our mortality – notwithstanding the fact that death qua demise is an ethical question for Epicurus relating to his hedonism. For Epicurus, one ought not to worry about demise, since this would reduce one’s pleasure. Heidegger however tries to describe Dasein’s Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 329. Françoise Dastur, Death: An Essay on Finitude, translated by John Llewelyn, London, Bloomsbury Academic, 2002, 51. 19 Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 267. 20 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 326. 21 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 326. 22 Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 269. 17 18

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fundamental ontology of death. It is exclusively an ontological concern. He does not demand how to live one’s life. The aim of Being and Time is precisely not to suggest »[…] norms and rules of conduct towards death to provide ›edification‹,« 23 as Thomson does. Moreover, death for Epicurus is only when man is not. Death does not concern us. To claim that death does not concern us could not be further from Heidegger: »Death does not indifferently ›belong‹ to one’s own Dasein, but death claims Dasein as individual.« 24 For Heidegger, death is thus not the epicurean οὐδὲν, some external event depriving the human from enjoyment. Death always already concerns Dasein insofar as it belongs to Dasein’s finite essence. Thomson’s mistaken references to Böhme and Epicurus point to the problem of the performance of transformation. Yet, in order to properly understand that the transformation has nothing to do with some personal readjustment by investigating one’s ontological structures, I need to first clarify what formal indication does. Thomson’s third pillar is his understanding of formal indication. In a nutshell, Thomson claims that formal indication allegedly allows the move from any ontic experience to an ontological experience simply by applying ontic observations to the ontological level. 25 Thus the ontological level appears to be a deeper-level imitation of the ontic. Note also that phenomena are here flatly equated with lived experiences. It is for this reason, I argue below, that he needs to establish the possibility of ontological experiences, which seem all-too similar to ontic ones. Let me withhold for now how this plays out in Thomson’s argument so I can expand here on what was outlined on formal indication in the introduction. This is what I think formal indication allows us to do: Any ontological investigation begins with everyday language. Thus it begins on the ontic level, if such a sharp distinction between ontic and ontological is at all in order. It begins with what we immediately say about phenomena. Everyday speech is repetitive. We can get by with clichés and set phrases. It is inauthentic in the sense that it is immediate and often repeated. It is what every-one says. Nonetheless, precisely this vagueness of the everyday discloses the ontological dimension. Death in everyday language is of course the end of some23 24 25

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 329. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 349. Cf. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 274–276.

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one’s life. Thus Heidegger’s ontological investigation into the phenomenon death begins with the everyday. 26 It moves back and forth through all kinds of possibilities of discourse about death, from biology to psychology to metaphysics. Even though none of them are satisfying, they still allow us to leap ever deeper into the ontological, to move closer to the very ground of the phenomenon. This is how Heidegger moves from ontic speech about death as the end of life to Dasein as being essentially finite, that is Dasein’s being is constituted by its very finitude. Therefore, neither is the ontological a deeperlevel-imitation of the ontic nor vice versa. There is not, I suggest, such a clear-cut distinction between ontic and ontological as often assumed. The ontic always indicates, points to the ontological and vaguely so. It can do so only because any ontic relation or speech are themselves possible on the ground of Dasein’s ontological relations. From several movements through ontic examples, possibilities of thinking death, the text leaps into the ontological and tries to uncover Dasein’s structures. The language Heidegger uses on the ontological level is dynamic and performative, which can mislead readers into thinking Heidegger is here describing actual experiences of some Dasein. On the ontological level Heidegger only describes the necessary conditions of experience. But the ontological would be empty without the ontic. Hence both the ontic and the ontological interrelate, intermingle, flow into each other. They are not absolutely different levels, but essentially belong to each other. The transformation of man is thus the uncovering, the unconcealing of what is concealed in the melange of the everyday. Becoming perfectly authentic is neither the demand nor even the attempt. Unconcealing does not mean that we completely know and see what we fundamentally are. What is unconcealed covers other aspects. The transformation itself takes place in asking the Seinsfrage in relation to death: being-towards-death, das Sein selbst zum Tode. Maybe this is the reason why Thomson does not treat being-towards-death, Dasein’s innermost relation. The transformation is the unconcealing of Dasein’s ontological structures in the text. That is to say, it is in such texts that another possibility, another dimension for Dasein is opened up – similar to works of art spanning open a world, or in fact like Descartes’ definition of man as self-referential, enclosed subject has

26

Cf. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 47–52.

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sparked and still influences modernity. We can see here already a first hint at what Heidegger would later call Seinsgeschichte. The task, as it were, of Being and Time is to provide but one »existential project of an authentic being-towards-death,« 27 and from there prepare the move away from subjectivism.

4.

Death as Experienceable World Collapse

Thomson bases the main part of his argument that views »death« as temporary world collapse on a single excerpt from Being and Time § 49. Heidegger there allegedly distinguishes between the ontological phenomenon »death« and the ontic phenomenon »demise«. Thomson takes this passage to be the defining moment of Heidegger’s analysis of death in Being and Time. 28 He claims that Heidegger in this passage allegedly defines demise as »[…] our experience of [our] end as a collapse of our intelligible worlds,« 29 and as such as »terminal collapse.« 30 There is no textual evidence for this. However, Heidegger in that passage does call demise an »intermediary phenomenon« in an ontology of life. Thomson does not problematise that nor does he respect that Heidegger here classifies what would be an ontology of life. Yet, Heidegger is interested in an existential-ontological »[…] interpretation of death [which] lies before all biology and ontology of life.« 31 Thus the supposed relation of demise and »death« is not as clearly given in Being and Time as Thomson claims. Yet, for the sake of argument, let us follow Thomson’s further suggestion that Heidegger moves from ontic demise »to that ontological phenomenon ›death.‹« 32 As demise is world collapse, »death« must also be some sort of world collapse, Thomson argues. Yet, »death« is not terminal because, as outlined above, Dasein must experience its »death« in life to become »full-fledged Dasein.« Note that this supposed move from »our experience« of demise to »death« leads Thomson to suggest that Dasein must first experience its own demise

27 28 29 30 31 32

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 345. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 264. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 264. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 264. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 329. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 263.

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in order to arrive at ontological »death.« Thomson thus infers Heidegger’s position to be »paradoxical.« 33 One can hardly experience one’s own demise and then return to talk about it. This misreading is due to Thomson’s understanding of formal indication. Formal indication allegedly allows the move from any ontic experience to an ontological experience simply by applying ontic observations to the ontological level. Note that Heidegger nowhere demands that some Dasein experience its demise in order to know what »death« is like. Based on his assumptions, Thomson concludes that Dasein can make ontological experiences of such phenomena as »death« and ontological »anxiety before death« 34 at a definite point in time just like we can use a hammer. 35 We can and should »[…] live through […]« 36 »death«, Thomson demands, by projecting ourselves into these ontological experiences. How we live through them, Thomson continues, conditions our ontic behaviour. Both ontological anxiety and »death«, which are flatly and wrongly so equated, are thus for Thomson experienceable psychological states. Anxiety, he claims, »[…] stems from the basic lack of fit between Dasein and its world.« 37 This appears to situate Dasein in precarious vicinity to a worldless subject. Is there really for Dasein, the being that is in the world, a gap between it and its world, a gap that it realises in catastrophic »death«? This accusation jeopardises the entire project of Being and Time if we want to take seriously the claim to transformation. Angst is, of course, neither a psychological state nor in any way similar to psychiatrically measurable anxiety. It is a fundamental attunement of Dasein and as such always structurally there in Dasein. Angst »[…] is not an arbitrary or accidental ›weak‹ mood of the individual, but, as fundamental attunement of Dasein […]« 38 discloses that Dasein is towards its end. There are, consequently, no experiences of existential-ontological phenomena.

33 34 35 36 37 38

Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 277. Cf. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 270–271 and 274. Cf. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 271. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 275. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 274. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 334.

186 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition?

5.

Ganzseinkönnen and World from Death

In what follows I conclude the paper on the rather ignored relation of death, care, and Ganzseinkönnen. Even though Heidegger clearly connects being-able-to-be-whole with death 39, Thomson attributes an »inability-to-be« 40 to »death.« Presumably because of the focus on anxiety both care and the vital notion being-able-to-be-whole, in which the analysis of death in Being and Time culminates, are left out. Nor does Thomson illuminate Heidegger’s notion of being-towards-death. Thomson even calls »mysterious« 41 Heidegger’s ontological concept of death qua »[…] Dasein’s ownmost, non-relational, certain and as such indefinite, and unsurpassable possibility.« 42 Again we find the old charges of Heidegger’s alleged mysticism. Yet, only when appreciating the full concept of death in relation to care can we understand why world springs from death and in how far Dasein is whole in its being-toward-death. None of this is mysterious. Quoted formula is Heidegger’s attempt to conceptualise the phenomenon death as a structural component of Dasein. From ontic observations of the dying of others, from everyday speech about the end that is death, from clear differentiations from other interpretations of death, from the inauthentic and the immediate – bearing in mind that »[i]nauthenticity of Dasein does not mean a ›lesser‹ or ›inferior‹ degree of being« 43 – the text is able to move to the full ontological phenomenon death. The full existential-ontological concept of death aims to unify how the phenomenon death has shown itself in various vague indications without fully showing itself. The phenomenon death appears by not showing itself. This »not« is not a privative not, but itself part of »[…] the structure of appearing.« 44 That is, even though other interpretations, discourse, and experience of the dying of the other to some degree fail, they still bring crucial aspects to light, which are then, after the leap into the ontological, grasped in the full concept. Death in Being and Time hence cannot be a lived experienced. Rather death is shown

39 40 41 42 43 44

Cf. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 62. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 271. Thomson, »Death and Demise in Being and Time,« 260. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 343, italics in original. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 57. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 39–40.

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Johannes Achill Niederhauser

to be constitutive of Dasein and a necessary condition for world to arise. Death as ownmost possibility does not mean that it must be actualised. It does not mean that it is the last possibility on a straight timeline of possibilities waiting to be actualised. Dasein is always already in a relation to its ownmost possibility, and it is this relation that opens up any other possibility of Dasein. 45 The »not« of death is now, as it were, and it is this »not« that limits Dasein’s horizon of possibilities. Dasein itself is not a collection of the possibilities it actualises linearly. Rather Dasein exists ecstatically in (the direction of) manifold ways unfolding, which are, however, bound up, limited by its utmost possibility that is not there only at the end of Dasein’s life, but a way of being, and in that sense allowing for all other possibilities. The ownmost indicates that this is an inherent relation. The phenomenon death is thus pulled into Dasein, shown to be integral to it and as such death is »[…] grounded in care.« 46 There is not enough space to properly develop in how far ontological care is Dasein’s self. It may suffice to show that the concept care, denoting Dasein’s »Umzu« [in-order-to, around-with], is »[t]he being of Dasein: beingahead-of-oneself-in-(the-world) as being-alongside (innerworldly meeting beings).« 47 As such »[…] being-in-the-world is essentially care.« 48 Dasein is always already in the world with others. Dasein is thus not »brute projecting«, but care, which death is enshrined in. Hence there is an intimate relation of being-in-the-world and beingtowards-death, both of which are care. It is for death as Dasein’s ownmost possibility, that any relation with others and being-in-the-world is possible: »In its average everydayness Dasein is constantly concerned [es geht um] with this ownmost, non-relational and unsurpassable Seinkönnen, even if only in the mode of concern [Be-sorgen] with undisturbed indifference t o w a r d s the utmost possibility of its existence.« 49 This is not a normative call to abandon indifference to mortality and to make Dasein continuously think of its own demise. Rather, for this is an ontological investigation, it means that any acNote also the relation between Möglichkeit, mögen, and Vermögen Heidegger would later work out. 46 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 344. 47 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 256. 48 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 256. 49 Heidegger, Sein und Zeit, GA2, 338. italics in original. 45

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Death as World Collapse or Death as World Enabling Condition?

cess to world is possible on the ground of Dasein’s ownmost possibility: death. Death is the necessary condition for world as horizon to arise. Thus unsurpassable indicates that death qua onwmost possibility is Dasein’s inner limit, its inner mortal finitude, itself the ground for finite temporality. Human beings are essentially finite beings, that is they are finite as soon as they are: they exist finitely. A finite being is a limited being. Only what has a limit can be whole. For this inherent relation Dasein is in the possibility to be whole. This possibility does not call to be actualised. It is itself an expression of Dasein’s fundamental dynamic nature. The limit or horizon throws Dasein back onto itself, lets it be in the world. How? Dasein and world are not divided from one another. Dasein is in the world and world »[…] is not the totality of beings, but the horizon in terms of which beings may be comprehended as what they are. It is therefore a constitutive moment of Dasein itself, not a receptacle into which the latter may be inserted.« 50 Moreover, the »existential-ontological constitution of Dasein’s wholeness [Daseinsganzheit] grounds in [finite] temporality.« 51 Dasein is towards its end, and as this end is always already, not at some future point in time, Dasein is temporally dedicated [zugeeignet] to its death, and as such is whole. Put differently, Dasein’s existence is mediated by an esse in futuro that in turn is informed from what has been. Dasein’s world, a horizon, thus arises out of the temporal limit that is death. World is, »[i]nsofar as Dasein temporalises itself [sich zeitigt],« 52 that is insofar as Dasein is ahead of itself by being towards its death: »Temporalising itself according to its being qua temporality, Dasein is essentially ›in a world‹ on the ground of the ecstatic-horizonal constitution of world. World is neither present-at-hand nor ready-at-hand, but it temporalises itself in temporality.« 53 There is world, because Dasein is appropriated by the ecstatic-temporal structure of death as soon as it is.

50 51 52 53

Dastur, Death: An Essay on Finitude, 43. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 577. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 483. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 483.

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Johannes Achill Niederhauser

6.

Unity

The question of death remains central throughout Heidegger’s philosophy. Death might hence be a key to understand the unity of the Denkweg. Death is of such importance since it is most intimately related to the Seinsfrage, that is to the finitude of being itself. Heidegger would later call »[d]eath the utmost witness of being [Seyn].« 54 Thomson’s reading points to a critical problem of Being and Time Heidegger is himself aware of: »Can Dasein […] be in an authentic being towards its end?« 55 De Gennaro suggests that it is in a »[…] bearing of the finiteness of being« 56 that the transformation of man is set forth: »only through such bearing man is cast into his nativity.« 57 The diagnosis of death then in Being and Time is just that: a first attempt to arrive at Dasein’s originality and understanding of being. The »experience« of death then that one can make, as odd and uncommon as this may seem to a contemporary ear, is not one that I can choose to consume at any given point in time. Rather it is an experience in thinking taking place in a proper reading of Being and Time and letting time do the rest.

Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), GA 65, 230. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 345. 56 Ivo De Gennaro, The Weirdness of Being: Heidegger’s Unheard Answer to the Seinsfrage, New York, Routledge, 2014, xiii. 57 De Gennaro, The Weirdness of Being, xiii. 54 55

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Sein als Medialität Andreas Beinsteiner 1

Zusammenfassung: Der Begriff »Sein« bleibt bei Heidegger keineswegs unbestimmt, sondern wird als Anwesen beziehungsweise Anwesenlassen des Anwesenden gedacht. Im vorliegenden Text wird vorgeschlagen, dieses Anwesenlassen im Sinne einer irreduziblen, geschichtlich variablen und stets selektiven Medialität zu interpretieren, der der Mensch immer ausgesetzt bleibt. Seinsvergessenheit bedeutet somit Medialitätsvergessenheit und verweist nicht auf eine menschliche Verfehlung, sondern auf den konstitutiven Selbstentzug des Medialen. Der metaphysischen Erklärung der Vorhandenheit des Seienden aus einer obersten Ursache setzt Heidegger ein medienphilosophisches Denken entgegen, das thematisiert, wie Seiendes für uns anwest, das heißt zugänglich wird. Medien werden in diesem Zusammenhang konzipiert als Weisen des Zugänglich-Machens. Zur Verdeutlichung der vorgelegten Interpretation werden drei Bestimmungen nachvollzogen, anhand derer Heidegger das Sein charakterisiert: Element beziehungsweise Dimension, Vermittlung und Zwischen. Abstract: The concept »being« does not remain undetermined in Heidegger, but is understood as the presence, or the making-present, of that which is present. My text proposes to interpret this making-present in terms of an irreducible, historically variable and always selective mediality, to which humans are constantly exposed. Hence, oblivion of being is a forgetting of mediality and does not refer to a human fault, but to the constitutive selfwithdrawal of the medial. Heidegger confronts the metaphysical explanation of the objective presence of beings on the basis of a highest cause with a philosophy of media which asks how beings come into presence, that is how they become accessible for us. In this context, media are conceptualized as modes of making-accessible. For further clarification, three determinations will be traced that Heidegger uses to characterize being: element or dimension, mediation, and the between.

Die Forschungsarbeit zu diesem Text wurde vom Tiroler Wissenschaftsfonds mitfinanziert.

1

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Andreas Beinsteiner

1.

Per-Spektiven

Das Thema des vorliegenden Bandes sind »Perspektiven mit Heidegger«. Je nach Perspektive sieht nicht nur das, was sich zeigt, anders aus, es zeigt sich vielleicht sogar etwas anderes. Die Einsicht, dass das, was uns zugänglich wird, uns stets in perspektivischer Weise zugänglich wird, hat die Philosophie seit Beginn der Neuzeit in entscheidender Weise geprägt; von der Perspektivität der Monaden bei Leibniz über Nietzsches Perspektivismus des Lebendigen bis zur perspektivischen Abschattung der Raumgegenstände bei Husserl. Heidegger jedoch versucht unseren Zugang zum Wirklichen in grundsätzlicherer Weise zu problematisieren als der Perspektivismus in seinen diversen Spielarten, wenn er darauf hinweist, dass »jede Per-spektive […] schon das Durchgängige für ihre Blickbahn in Anspruch« nehme. 2 Vor aller perspektivischen Situiertheit des Blickenden in Bezug auf das Erblickte sucht er in Rechnung zu stellen, dass jede Durch-Sicht zunächst ein Durchsichtiges zu durchmessen habe, um etwas zu erblicken. Mit dem Durchsichtigen hat sich Heidegger in der Phase des Umbruchs hin zum seinsgeschichtlichen Denken intensiv befasst. »Die Kreide ist nicht durchsichtig«, lesen wir etwa in der Vorlesung vom Sommersemester 1933, »Glas und Wasser sind durchsichtig.« 3 Durchsichtig in einem anderen, emphatischeren Sinne sei jedoch das Licht. Denn »für den Tatbestand, daß ein Glas durchsichtig ist, ist Licht erforderlich, er verlangt noch das Licht und seine ›Durchsichtigkeit‹. Licht und Helle ist eine ursprünglichere Form des Durchsichtigen, ist dasjenige, was Durchsicht ermöglicht.« 4 Das was Durchsicht ermöglicht, könnte man – mit einem Terminus, den Heidegger an dieser Stelle nicht verwendet – als Medium bezeichnen: Licht als das Medium des Sehens. Das Sehen ist, spätestens seit Platon, die leitende Metapher, anhand derer die Philosophie die Zugänglichkeit von Seiendem überhaupt denkt. Was ist das Licht im übertragenen Sinne, das Medium, das diese Zugänglichkeit gewährt? Heideggers Antwort lässt sich an zahlreichen Stellen nachlesen: das Seiende »erscheint

Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), GA 65, 363. Heidegger, 1. Die Grundfrage der Philosophie, 2. Vom Wesen der Wahrheit, GA 36/ 37, 155. 4 Heidegger, 1. Die Grundfrage der Philosophie, 2. Vom Wesen der Wahrheit, GA 36/ 37, 156. 2 3

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Sein als Medialität

[…] im Lichte des Seins« 5; »im Lichte des Seins steht schon jeder Ausgang vom Seienden und jede Rückkehr zu ihm.« 6 Nicht selten wird Heideggers Denken so dargestellt, als bleibe dieser zentrale Begriff des Seins völlig im Dunkeln. »Heidegger goes on and on about ›the question about Being‹ without ever answering it« 7, stellt etwa Richard Rorty fest, den ich hier stellvertretend zitiere für eine Unzahl ähnlich lautender Einschätzungen. Und doch gibt Heidegger von Sein und Zeit bis zu den spätesten Texten eine klare und kohärente Antwort: »Sein heißt: Anwesen, Anwesen-lassen: Anwesenheit.« 8 Der Begriff verweist auf solches, was einem Anwesenden seine Anwesenheit, einem Zugänglichen seine Zugänglichkeit gewährt. 9 Was dergestalt etwas anwesen lässt und somit dessen Zugänglichkeit beziehungsweise Vernehmbarkeit ermöglicht, könnte man auch als Medialität bezeichnen. Dies ist die These, die ich hier zur Diskussion stellen möchte: Das Sein, sowie der synonym gebrauchte Begriff der Lichtung des Seins 10 benennen bei Heidegger eine irreduzible, geschichtlich variable und stets selektive Medialität, die uns erst die Zugänglichkeit von Seiendem einräumt. Die These mag sofort Bedenken hervorrufen. Haben wir es bei Heidegger nicht mit einem kulturkonservativen und technikfeindlichen »Schwarzwald redneck« 11 zu tun, der für Medien nur Verachtung übrig hatte? Sind nicht sein Unmittelbarkeits- und Ursprungsdenken oft genug gebrandmarkt worden? Anführen könnte man hier auch jenes Bild von Heidegger, das seit der Publikation der sogenannten »Schwarzen Hefte« die Feuilletons mehr oder weniger geschlossen der interessierten Öffentlichkeit darbieten; dabei geht es hauptHeidegger, Wegmarken, GA 9, 366. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 331. 7 Richard Rorty, »Heidegger, Contingency, and Pragmatism«, in: Hubert Dreyfus und Mark Wrathall (Hg.): A Companion to Heidegger, Malden/Oxford/Victoria, Blackwell, 2005, 511–531, 517. 8 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 14. 9 Völlig zu Recht betont Thomas Sheehan, dass Sein als »meaningful presence of things to man« zu interpretieren sei. Thomas Sheehan, »What, after all, was Heidegger about?«, Continental Philosophy Review, 47, 2014, 249–274, 249. Wenn in dieser Einsicht allein tatsächlich jener »paradigm shift in how to read Heidegger« läge, den Sheehan für sie reklamiert, befände sich die Heideggerforschung allerdings in einem bedenklichen Zustand. Sheehan, »What, after all, was Heidegger about?«, 251. 10 »Die Lichtung selber aber ist das Sein.« Heidegger, Wegmarken, GA 9, 332. 11 Richard Rorty, Contingency, Irony, and Solidarity, Cambridge, Cambridge University Press, 1989, 110. 5 6

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Andreas Beinsteiner

sächlich um die Frage, ob und in welchem Umfang der notorische Nazi und Antisemit Heidegger überhaupt noch als Philosoph ernst genommen werden könne und Teil des diesbezüglichen Kanons bleiben solle. Vor diesem Hintergrund ist auch der (seine ideologischen Ambitionen nicht einmal verbergende) Versuch 12 unternommen worden, Heidegger aus dem technik- und medienphilosophischen Diskurs zu verdrängen, wo er – trotz all des gerade Genannten – eine beträchtliche Rolle spielt: Nicht nur zahlreiche Gründungsfiguren der amerikanischen Technikphilosophie – Albert Borgmann 13, Hubert Dreyfus 14, Andrew Feenberg 15 und Don Ihde 16, um nur die meistrezipierten zu nennen – haben ihre Positionen in expliziter Auseinandersetzung mit Heidegger entwickelt, sodass die diesbezügliche Debatte immer noch maßgeblich von jener Auseinandersetzung geprägt ist. Auch Friedrich Kittler, der Begründer der deutschen Medienwissenschaft, hat diese in direkter Anknüpfung an das seinsgeschichtliche Denken Heideggers entwickelt. 17 Auch die Medienphilosophie im deutschen Sprachraum – man denke etwa an die Kontroversen zwischen Erich Hörl 18 und Dieter Mersch 19 zur Frage der Möglichkeit einer postmetaphysischen Technizität – orientiert sich an Fragestellungen und Figuren Heideggers. 2014 haben schließlich David Gunkel und Paul Taylor eine Monographie herausgebracht, die sich darum bemüht, Heideggers Relevanz für die media studies zu entfalten. 20 Vgl. Christian Fuchs, »Martin Heidegger’s Anti-Semitism: Philosophy of Technology and the Media in the Light of the Black Notebooks«, tripleC, 13 (1), 2015, 55–78. 13 Vgl. Albert Borgman, »Technology«, in: Hubert Dreyfus und Mark Wrathall (Hg.): A Companion to Heidegger, 420–432. 14 Vgl. Hubert Dreyfus, »Heidegger on gaining a free relationship to technology«, in: Andrew Feenberg und Alastair Hannay (Hg.): Technology and the Politics of Knowledge, Bloomington, Indiana University Press, 1995, 97–107. 15 Vgl. Andrew Feenberg, Questioning Technology, London/New York, Routledge, 1999. 16 Vgl. Don Ihde, Heidegger’s Technologies. Postphenomenological Perspectives, New York, Fordham University Press, 2010. 17 Vgl. Friedrich Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München, Fink, 2001. 18 Vgl. Erich Hörl, »Die technologische Bedingung«, in: Erich Hörl. (Hg.): Die technologische Bedingung, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2011, 7–53. 19 Vgl. Dieter Mersch, Ordo ab chao – Order from Noise, Zürich, Diaphanes, 2013. 20 Vgl. David Gunkel und Paul Taylor, Heidegger and the Media, Cambridge/Malden, Polity, 2014. 12

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Sein als Medialität

Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die Anknüpfung an Heidegger in einigen der genannten Ansätze kritisch erfolgt und Heideggers Philosophie vielfach medien- und technikphilosophisch dezidiert als defizitär eingestuft wird. Allerdings beruhen diese Einschätzungen auf Aneignungen Heideggers, die dessen Philosophie nicht in einer so grundsätzlichen Weise als Medienphilosophie auffassen, wie ich es hier vorschlagen möchte. Der Einsatz meiner Interpretation liegt also auch darin, dass sich der Stand der medien- und technikphilosophischen Forschung zu Heidegger als teilweise revisionsbedürftig herausstellen könnte, sofern sich diese Interpretation bewährt. Diese Implikationen zu entfalten, kann hier nicht geleistet werden, im vorliegenden Rahmen soll nur die These vom Sein als Medialität dargestellt und plausibilisiert werden.

2.

Selbstentzug des Medialen

Ich möchte dazu zunächst auf eine der Textstellen eingehen, in denen Heidegger sich mit Medien befasst, und zwar in Sein und Zeit in § 23 (über »die Räumlichkeit des In-der-Welt-seins«). Den Kontext bildet der Aufweis dessen, was Heidegger das »Überspringen der Welt« 21 nennt: die Abstraktion von jenem Bezugsgefüge, aus dem heraus uns Seiendes jeweils als Bedeutsames, genauer als Zuhandenes (also als sich seiner Ingebrauchnahme Darbietendes) zugänglich wird – um es dann als bloß Vorhandenes, als rein materielles Ding ohne jeglichen Bezug zu uns zu deuten. Exemplarisch vollzieht sich diese Abstraktion in der Philosophiegeschichte in Descartes’ Konzeption der res extensa. Hier erfolgt Heidegger zufolge jene Subjekt-ObjektSpaltung, gemäß der dann jegliches Seiende objektiv als raumzeitliche Masseansammlung genommen wird, der dann in einem zweiten Schritt subjektiv Werte und dergleichen zugeschrieben werden. Heidegger geht es darum, auf jenes hinzuweisen, was hierbei übersprungen wird: nämlich die Zuhandenheit des Zuhandenen mit seinem »Charakter der unauffälligen Vertrautheit« 22. Wie schon im Terminus Zuhandenheit anklingt, ist das »›zur Hand‹ Seiende«, insofern es zur Hand ist, durch Nähe gekennzeichnet. 23 Weil Nähe in 21 22 23

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 134. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 139. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 137.

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Andreas Beinsteiner

diesem Sinn des Zur-Hand-Seins jedoch insbesondere solches auszeichnet, »was in einer durchschnittlichen Reich-, Greif- und Blickweite entfernt ist«, so Heidegger, »hören und sehen wir zunächst über das abstandmäßig ›Nächste‹ immer weg« 24. Diese Beobachtung wird nun illustriert an drei Gebrauchsdingen, die sich aber präziser als Medien bezeichnen ließen: Für den, der zum Beispiel eine Brille trägt, die abstandmäßig so nahe ist, daß sie ihm auf der ›Nase sitzt‹, ist dieses gebrauchte Zeug umweltlich weiter entfernt als das Bild an der gegenüber befindlichen Wand. Dieses Zeug hat so wenig Nähe, daß es oft zunächst gar nicht auffindbar wird. Das Zeug zum Sehen, desgleichen solches zum Hören, zum Beispiel der Hörer am Telephon, hat die gekennzeichnete Unauffälligkeit des zunächst Zuhandenen. Das gilt zum Beispiel auch von der Straße, dem Zeug zum Gehen. Beim Gehen ist sie mit jedem Schritt betastet und scheinbar das Nächste und Realste des überhaupt Zuhandenen, sie schiebt sich gleichsam an bestimmten Leibteilen, den Fußsohlen, entlang. Und doch ist sie weiter entfernt als der Bekannte, der einem bei solchem Gehen in der ›Entfernung‹ von zwanzig Schritten ›auf der Straße‹ begegnet. 25

Brille, Telephon und Straße als Zeug zum Sehen, zum Hören und zum Gehen – was diesen dreien hier als Zeug konzipierten Medien gemeinsam ist: Das Medium selbst entzieht sich zugunsten dessen, was es zugänglich macht. Unsere Aufmerksamkeit ist nicht beim Allernächsten, beim Medium, sondern bei solchem, dessen Zugänglichkeit im Durchgang durch das Medium erst gewährt wird und das folglich ein Übernächstes ist. 26 Was Heidegger hier 1927 diagnostiziert, ist nichts anderes als der Selbstentzug des Medialen – eine Figur, die später zum Standardrepertoire diverser medientheoretischer Ansätze zählen wird. Ich verweise nur auf den meist als Begründer der Medientheorie gehandelten Marshall McLuhan, der in seinem 1964 erschienenen Klassiker Understanding Media den Anspruch erhob, erstmals das Medium selbst zu thematisieren, anstatt der gewöhnlichen Tendenz nachzugeben, sich lediglich mit den von diesem Medium präsentierten Inhalten zu befassen. Diese Tendenz, so McLuhan, Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 143. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 143. 26 Insofern steht das Medium in Kontrast zum Zeichen, das anderes gerade anwesen lässt, indem es selbst erscheint: »Zum Wesen des σήμα, des Zeichens, gehört es, daß es selbst erscheint (sich zeigt) und in diesem Erscheinen zugleich auf etwas anderes weist: das Zeichen läßt, indem es selbst erscheint, ein anderes erscheinen.« Heidegger, Parmenides, GA 54, 46. 24 25

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Sein als Medialität

sei jedoch in der Struktur des Medialen selbst angelegt, denn »it is only too typical that the ›content‹ of any medium blinds us to the character of the medium« 27. Den Inhalt, den ein Medium darbietet, vergleicht er mit einem »juicy piece of meat carried by the burglar to distract the watchdog of the mind« 28. Mir geht es hier nicht nur darum, dass Heidegger diese Struktur des Sich-selbst-Entziehens, um anderes erscheinen zu lassen, Medien 37 Jahre vor McLuhan zugeschrieben hat, sondern vor allem darum, dass es exakt dieselbe Struktur ist, die in seinem Denken das Verhältnis von Sein und Seiendem kennzeichnet. Im »Humanismusbrief« finden wir das Sein hinsichtlich seiner Nähe in einer Weise charakterisiert, die den oben zitierten Beschreibungen von Brille, Telephon und Straße analog ist: »Das Sein ist […] dem Menschen näher als jedes Seiende, sei dies ein Fels, ein Tier, ein Kunstwerk, eine Maschine, sei es ein Engel oder Gott. Das Sein ist das Nächste. Doch die Nähe bleibt dem Menschen am fernsten. Der Mensch hält sich zunächst immer schon und nur an das Seiende.« 29 Der Terminus für diese ausschließliche Orientierung am Seienden, der das abendländische Denken spätestens seit Platon verfallen sei, ist Seinsvergessenheit. Insofern mit Sein jenes gemeint ist, was Anwesendes anwesen lässt, kann Seinsvergessenheit als Medialitätsvergessenheit verstanden werden: als das Nichtbeachten des Umstandes, dass das, was sich uns zeigt, das Gegebene, sich stets einem Geben verdankt, einer Medialität, die es erst zugänglich macht. In Heideggers Metaphysikkonzeption bildet diese Medialitätsvergessenheit das definitorische Merkmal: Sie ist kein Charakteristikum der Metaphysik unter anderen, sondern mit ihr koextensiv, weil für sie konstitutiv. Sie bestimmt das abendländische Denken von Anfang an. Denn obwohl die griechische Philosophie Sein als Anwesenheit erfahren hatte, ist sie »in diesen Grund des Seins, in das, was er birgt, nicht mehr zurückgegangen. Sie blieb im Vordergrund des Anwesenden selbst« 30, ohne das Anwesen dieses Anwesenden näher zu befragen. Die Lichtung beziehungsweise, wie Heidegger mit Bezug auf die griechische άλήθεια auch sagt, die Wahrheit oder Unverborgen-

Marshall McLuhan, Understanding Media. The Extensions of Man, Corte Madera, Ginko Press, 2003, 20. 28 McLuhan, Understanding Media, 31. 29 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 331. 30 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 65. 27

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Andreas Beinsteiner

heit des Seins bleibt selbst unthematisch, »die Betrachtung richtet sich auf das, was jeweils in der Unverborgenheit steht« 31. Dass die abendländische Geschichte von Anfang an von dieser Seinsvergessenheit geprägt war, sei aber nicht auf menschliches Versagen zurückzuführen. »Vergessenheit«, so Heidegger, sei »im griechischen Sinne« zu verstehen als »Verborgenheit und Sichverbergen« 32. Sie sei folglich »kein Versäumnis […], sondern als Folge des Sichverbergens des Seins zu denken« 33, weshalb Heidegger auch von Seinsverlassenheit spricht. Dies könnte den Vorwurf nahelegen, »das Sein« werde hier zur Entität oder gar zum Akteur hypostasiert; gemeint ist jedoch nichts anderes als der konstitutive Selbstentzug des Medialen: 34 »Ein Geben, das nur seine Gabe gibt, sich selbst jedoch dabei zurückhält und entzieht.« 35

3.

Von der Produktion zur Medialität

Der Umstand, »daß Seiendes ist und nicht vielmehr nicht« 36, die Rätselhaftigkeit der Gegebenheit des Gegebenen irritiert die Metaphysik. Doch es bleibt ihr verwehrt, das Geben im Sinne einer Medialität, die Anwesendes anwesen lässt, zu verstehen. Aufgrund ihrer Medialitätsvergessenheit verlegt sich die Metaphysik folglich darauf, die Gegebenheit des Seienden durch die Ableitung aus einer obersten Ursache zu erklären. »Diese höchste und erste Ursache wird von Platon und entsprechend von Aristoteles τό θεΰον, das Göttliche, genannt.« 37 So entwickelt sich, was Heidegger den onto-theologischen Charakter der Metaphysik nennt: »Theologie bedeutet hier die Auslegung der ›Ursache‹ des Seienden als Gott und die Verlegung des

Heidegger, 1. Die Grundfrage der Philosophie, 2. Vom Wesen der Wahrheit, GA 36/37, 222. 32 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 37. 33 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 37. 34 »Das Mediale büßt in dem Maße, wie es etwas zur Erscheinung verhilft, sein eigenes Erscheinen mit ein.« Dieter Mersch, Posthermeneutik. Berlin, Akademie Verlag, 2010, 154. Dieser konstitutive Entzug des Medialen motiviert bei Mersch eine negative Medientheorie. 35 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 12. 36 Heidegger, Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte »Probleme« der »Logik«, GA 45, 2. 37 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 236. 31

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Seins in diese Ursache, die das Sein in sich enthält und aus sich entläßt, weil sie das Seiendste des Seienden ist.« 38 Die Metaphysik wird somit zur Metaphysik der Produktion: Das Seiende wird in seiner Vorhandenheit dadurch erklärt, dass es hergestellt worden ist. Diese Erklärung war dann »trotz anderer Ursprünge der christlichen Weltauffassung und Auffassung des Seienden als ens creatum gleichsam auf den Leib zugeschnitten. Gott ist als das ens in-creatum das herstellungsunbedürftige Seiende schlechthin und für alles andere Seiende die causa prima.« 39 Mit der Ablösung von der christlichen Offenbarungswahrheit geht schließlich in der Neuzeit die Aufgabe, herstellend in das Seiende einzugreifen, an den Menschen über: Ein Verständnis des Wirklichen als bloßem Rohstoff bahnt sich an, wie es im Technikaufsatz der Terminus Bestand charakterisiert. Heidegger kontrastiert die Metaphysik der Produktion mit seinem eigenen medienphilosophischen Denken, indem er die Herstellung im Sinne des Verfertigens als die nivellierte Variante einer weit gedachten Her-Stellung (mit Bindestrich) fasst: »Das Her-vor-bringen bringt aus der Verborgenheit her in die Unverborgenheit vor« 40, es macht zugänglich. In ihrer vollen Weite ist Her-Stellung als das Anwesenlassen beziehungsweise Zugänglichmachen von Anwesendem zu verstehen, das heißt als Medialität. Dies ist die Pointe von Heideggers Technikaufsatz: Die faktische Verfertigung, der bewirkende Eingriff ins Wirkliche ist nur eine Option in einem weiten Feld von Weisen des Anwesenlassens. Es ist innerhalb dieses Feldes, dass Heidegger nicht nur der Sache nach, sondern auch dem Wort nach auf Medien zu sprechen kommt. Er versucht aufzuzeigen, dass der Begriff der ποίησις bei Platon und Aristoteles nicht völlig in der Metaphysik der Produktion aufgehe. Die Orientierung an der Verfertigung verrate zwar die Unterscheidung von ὓλη und μορφή, und insbesondere den Vorrang der ἰδέα als dem Aussehen beziehungsweise Anblick, der die Herstellung des zu verfertigenden Seienden im Vorhinein leitet. 41 Dass sich ποίησις hier dennoch nicht in der Verfertigung erschöpft, dafür findet Hei-

Heidegger, Wegmarken, GA 9, 236. Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 168. 40 Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 13. 41 In diesem Sinne interpretiert Heidegger die aristotelischen vier Ursachen, vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 9–13. 38 39

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degger Evidenz im 10. Buch von Platons Politeia. Dort ist die Rede davon, dass jeder Mensch nicht nur wie die Handwerker Gerätschaften herzustellen vermöge, sondern auch Pflanzen und Tiere, die Erde und den Himmel, ja sogar die Götter. Es komme nur auf den τρόπος, die Weise der ποίησις an. 42 Dieses überraschende Postulat wird in Platons Dialog dann sogleich in einem noch überraschenderen aufgelöst: Man brauche nämlich nur einen Spiegel mit sich herumzuführen, um solches Herstellen zu leisten. Heidegger kommentiert: »Wir sehen an dieser Wendung des Gespräches, wie wesentlich es ist, sich im Voraus das ποιεῖν – das ›Machen‹ – als Her-stellen im griechischen Sinne zu denken. Solches Her-stellen des Aussehens leistet der Spiegel, er läßt alles Seiende, so wie es aussieht, anwesend sein.« 43 Zum Beispiel würde ein Haus zwar durch den Spiegel nicht angefertigt, aber er lasse es anwesen. Das gebaute Haus wie das gespiegelte Haus seien »›Anwesendes‹, aber in verschiedener Weise des Anwesens. […] Das Selbe als das, was anwest (Haus), und das Selbe, sofern es jedesmal ein Anwesen ist, wobei jedoch der τρόπος verschieden ist. Das eine Mal ist das ›Haus‹ anwesend im sich Zeigen, erscheinend auf der und durch die Metallfläche des Spiegels; das andere Mal ist das ›Haus‹ anwesend, im Stein und Holz sich zeigend.« 44 Eine vergleichbare Weise des ins-Anwesen-Bringens sieht Platon auch im Malen eines Bildes. »Der τρόπος ist einmal der Spiegel, das andere Mal die bemalte Fläche, das andere Mal das Holz, worin der Tisch zur Anwesenheit kommt. Man ist schnell bei der Hand und sagt: die einen machen ›scheinbare‹ Dinge, die anderen ›wirkliche‹.« 45 Doch genau gegen dieses Hineinlesen der modernen Unterscheidung von Wirklichem und bloß Scheinbarem in Platons Denken verwahrt sich Heidegger – »die Frage ist: was heißt da wirklich?« 46 Im platonischen Verständnis sei das wahrhaft Seiende gerade nicht der benutzbare Tisch, sondern die Idee als das von Gott hergestellte, reine Aussehen, an dem sich dann der Handwerker bei seiner Verfertigung orientieren könne, und an dessen Produkt schließlich auch der Maler. »Im gemalten Tisch zeigt sich irgendwie Tisch Vgl. Platon, Politeia (Der Staat) (Werke IV), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011, 596c. 43 Heidegger, Nietzsche I, GA 6.1, 179. 44 Heidegger, Nietzsche I, GA 6.1, 180. 45 Heidegger, Nietzsche I, GA 6.1, 181. 46 Heidegger, Nietzsche I, GA 6.1, 181. 42

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überhaupt, also doch irgendwie dessen ἰδέα; und es zeigt sich auch ein einzelnes hölzernes Gestell, also doch irgendwie solches, was eigentlich der Handwerker macht: beides aber in einem Anderen, in der Farbe, in einem Dritten. In diesem Medium kann weder ein benutzbarer Tisch vorkommen, noch kann sich darin das Aussehen rein als solches zeigen.« 47 Man könnte es für eine Überinterpretation halten, hier dem Wort »Medium« besonderes Gewicht beizumessen – wenn es Heidegger an dieser Stelle nicht gerade darum ginge, 1. die Interpretation der ποίησις als Zugänglichmachen im weiten Sinne zu rechtfertigen und dabei 2. die Unterscheidung des Wirklichen und des Scheinbaren im modernen Sinne zu problematisieren. Was in irgendeiner Weise einem τρόπος anwest, das ist auch in gewisser Weise. Wenn Sein jene Medialität meint, welche die Anwesenheit eines Anwesenden gewährt, so ist es nur konsequent, ein einzelnes Medium als eine Weise des Anwesenlassens zu verstehen.

4.

Momente des Medialen: Element und Dimension – Vermittlung – Zwischen

Um die Interpretation von Sein als Medialität weiter zu verdeutlichen, möchte ich im Folgenden auf einige Bestimmungen eingehen, anhand derer Heidegger das Sein charakterisiert und die im hohen Maße anschlussfähig sind für medienphilosophische Diskurse. Es geht dabei um das Sein als Element und Dimension, als Vermittlung sowie als Zwischen. Wenden wir uns zunächst noch einer weiteren Stelle zu, bei der Heidegger – wie so oft, wenn er sich explizit mit Medialität befasst – Platon kommentiert, und zwar in diesem Fall den Begriff der χώρα aus dem Timaios. Es geht dabei um »das Wesen des Werdens des Werdenden. Werden heißt: zum Sein kommen« 48, und wie wir wissen, bedeutet das für Heidegger: ins Anwesen kommen. »Platon unterscheidet ein Dreifaches: 1. τὸ γιγνόμενον, das Werdende; 2. τὸ ἐν ᾧ γίγνεται, das, worin es wird, das Medium, in das ein Werdendes sich hineinbildet, aus dem es dann, geworden, heraussteht; 3. τὸ ὅθεν ἀφομοιούμενον, das, von woher das Werdende den Maßstab der Angleichung nimmt; denn alles Werdende, das etwas wird, nimmt das, 47 48

Heidegger, Nietzsche I, GA 6.1, 187–188. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 70.

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was es wird, im voraus zum Vorbild.« 49 Hinsichtlich des zweiten, also des Mediums, erläutert Heidegger: »Das, worin etwas wird, meint jenes, was wir ›Raum‹ nennen. Die Griechen haben kein Wort für ›Raum‹. Das ist kein Zufall; denn sie erfahren das Räumliche nicht von der extensio her, sondern aus dem Ort (τόπος) als χώρα, was weder Ort noch Raum bedeutet, was aber durch das Dastehende eingenommen, besetzt wird.« 50 Die Anführungszeichen, in die Heidegger das Wort »Raum« setzt, zeigen deutlich die Stoßrichtung seiner Überlegung an: »[V]on der platonischen Philosophie her« werde eine »Umbildung des kaum gefaßten Wesens des Ortes (τόπος) und der χώρα in den durch die Ausdehnung bestimmten ›Raum‹ vorbereitet.« 51 Heideggers eigener Gegenvorschlag einer weit gefassten Interpretation der χώρα, die diese nicht zum Raum nivelliere, folgt sogleich. »Könnte χώρα nicht bedeuten: das Sichabsondernde von jedem Besonderen, das Ausweichende, das auf solche Weise gerade anderes zuläßt und ihm ›Platz macht‹ ?« 52 Wieder treffen wir hier also auf die Struktur des Selbstentzugs des Medialen, das sich auch als das Element oder die Dimension bezeichnen ließe, welche das Anwesen des Ins-Anwesen-Kommenden trägt. Ein Verständnis von Sein im Sinne der physischen Vorhandenheit eines Seienden im Raum reiht Heidegger hier also wieder ein als bloß eine Option unter anderen im Rahmen seiner weit gefassten Auffassung von Sein als Anwesenlassen. 53 Element und Dimension sind Termini, die Heidegger selbst heranzieht. So charakterisiert er die Seinsvergessenheit dahingehend, dass in ihr »[d]as Sein als das Element des Denkens […] preisge-

Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 70. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 70. 51 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 71. 52 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 71. 53 Günter Figal hat jüngst eine entgegen Heideggers eigenen Intentionen konzipierte Aneignung der Lichtung als Raum vorgelegt. Vgl. Günter Figal, Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie, Tübingen, Mohr Siebeck, 2015. Für diejenigen Phänomenbereiche, denen sich Figals deskriptive Phänomenologie widmet (z. B. Architektur), ist dies zweifellos ergiebig; will man jedoch in medienphilosophischen Zusammenhängen Weisen des Zugänglichwerdens von Zugänglichem in ihrer ganzen Weite untersuchen, die Erinnerung, sprachliche Medialität, Schrift in ihren diversen Konkretionen, technische Speicher- und Übertragungsmedien, algorithmische Verfahren usw. umfasst, so stellt sich die Frage, ob diese nicht durch die Ausgangnahme bei extensionaler Räumlichkeit unzulässig präjudiziert würden. 49 50

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geben« 54 sei, und nimmt für sich »das Bemühen« in Anspruch, »das Denken wieder in sein Element zu bringen« 55. Dies kann freilich nur bedeuten, »eigens dorthin [zu] gelangen, wo wir uns schon aufhalten« 56. Denn die »Wahrheit [die Lichtung, A. B.] des Seins« ist »das anfängliche Element des Menschen als eines eksistierenden« 57. Die Ek-sistenz des Menschen bedeutet gerade sein Hinausstehen, seine Ausgesetztheit in die Lichtung des Seins, in jene Medialität, die uns alles uns Zugängliche erst zugänglich macht. Heidegger bezeichnet die Lichtung deshalb auch als die »das Wesen des Menschen […] durchwaltende Dimension« 58. Eine Dimension wird von Heidegger – wieder unter Zurückweisung einer Einschränkung auf das Räumliche – als »Bezirk einer Maßgabe« 59 bestimmt. Das Sein ist der Bezirk, der dem Menschen das Maß gibt, insofern es die Zugänglichkeit des uns Zugänglichen gewährt und somit entscheidet, worauf wir uns unsererseits überhaupt zu beziehen vermögen. Der vom Sein gewährte »Anblick erst zieht Hin-sicht auf sich« 60. Ein weiteres Wort, das Heidegger synonym mit dem Sein beziehungsweise seiner Lichtung gebraucht, ist die altgriechische φύσις. Gemeint ist damit »das Sein selbst, kraft dessen das Seiende erst beobachtbar wird und bleibt« 61. Insofern sie also die Zugänglichkeit jegliches Seienden gewährt, ist die φύσις »das in allem Gegenwärtige« 62: Sie verschenkt »zuvor schon allem Wirklichen die Lichtung […], in deren Offenes hinein erst alles zu erscheinen vermag, was ein Wirkliches ist« 63. Dieses Offene der Lichtung beziehungsweise φύσις wird von Heidegger als Vermittelung charakterisiert: Sie »versammelt alles Vereinzelte in die eine Anwesenheit und vermittelt Jeglichem das Erscheinen« 64. Das Wirkliche »besteht nur aus solcher Vermittelung Heidegger, Wegmarken, GA 9, 315. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 315. 56 Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 10. 57 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 356. 58 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 329. 59 Heidegger, Identität und Differenz, GA 11, 130. 60 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 332. 61 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 17. Interpretatoren tendieren immer wieder dazu, die φύσις fälschlicherweise mit dem Begriff der Erde zu identifizieren: Φύσις ist nicht selbst die Erde, sondern dasjenige, was die Erde lichtet, also zugänglich macht. Vgl. Heidegger, Holzwege, GA 5, 28. 62 Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4, 57. 63 Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4, 59. 64 Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4, 62. 54 55

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und ist daher ein vermitteltes. Das also Mittelbare ist nur kraft der Mittelbarkeit. Daher muß die Mittelbarkeit in allem gegenwärtig sein. Das Offene selbst jedoch, das allem Zu- und Miteinander erst den Bereich gibt, darin sie sich gehören, entstammt keiner Vermittelung. Das Offene selbst ist das Unmittelbare.« 65 Jeglichen Unmittelbarkeitspostulaten erteilt Heidegger hier also – entgegen kursierender Klischees – eine Absage: Nichts ist unmittelbar, außer jener Medialität, der wir stets schon ausgesetzt sind und die uns alles uns Zugängliche erst vermittelt. Denn »das Seiende kann als Seiendes nur sein, wenn es in das Gelichtete dieser Lichtung herein- und hinaussteht. Nur diese Lichtung schenkt und verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst nicht sind, und den Zugang zu dem Seienden, das wir selbst sind.« 66 Die Struktur der Vermittlung ist also wieder die bereits angetroffene: Medialität ist das sich uns gerade aufgrund seiner Allgegenwart entziehende Nächste. Der Mensch, so Heidegger, verkennt »zunächst das Nächste und hält sich an das Übernächste. Er meint sogar, dieses sei das Nächste. Doch näher als das Nächste, das Seiende, und zugleich für das gewöhnliche Denken ferner als sein Fernstes ist die Nähe selbst: die Wahrheit des Seins.« 67 Aus dieser Bestimmung ergibt sich eine weitere: die Medialität ist als das Nächste zwischen uns und dem Übernächsten, dem Seienden. Das Sein ist jenes Zwischen, das erst die Zugänglichkeit jener beiden Pole füreinander stiftet, die das neuzeitliche Denken als Subjekt und Objekt vorstellt: Der Mensch ist »nie erst nur Subjekt, das sich, zwar immer zugleich auch auf Objekte bezieht, so dass sein Wesen in der Subjekt-Objekt-Beziehung läge. Vielmehr ist der Mensch zuvor in seinem Wesen ek-sistent in die Offenheit des Seins, welches Offene erst das ›Zwischen‹ lichtet, innerhalb dessen eine ›Beziehung‹ vom Subjekt zum Objekt ›sein‹ kann.« 68 Das Wort »Zwischen« (wie auch »Beziehung«) setzt Heidegger dabei allerdings in Anführungszeichen, insofern von einem Zwischen immer nur in Bezugnahme auf zwei bereits bestehende Pole gesprochen werden kann. Das Sein allerdings, insofern es Zugänglichkeit erst gewährt, geht diesen Polen jedoch voraus. 69 Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA 4, 61. Heidegger, Holzwege, GA 5, 40. 67 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 332. 68 Heidegger, Wegmarken, GA 9, 350. 69 Auch »sein« ist in Anführungszeichen gesetzt, weil das Sein selbst kein Seiendes, das heißt die Zugänglichkeit kein ihrerseits Zugängliches ist. 65 66

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Sein als Medialität

5.

Ausblick: Geschichtlichkeit und Selektivität des Medialen

Soweit ist die Bestimmung des Seins als Medialität im Sinne von Element, Vermittlung und Zwischen relativ abstrakt geblieben. Es soll zumindest noch angedeutet werden, dass diese Medialität, in die ausgesetzt zu sein nach Heidegger das Spezifikum menschlicher Ek-sistenz bildet, 70 deutlich konkreter beschrieben wird. In Sein und Zeit ist das Dasein gleichursprünglich durch die drei Existenzialien des Verstehens, der Rede und der Befindlichkeit bestimmt 71; damit sind zugleich jene integralen Komponenten genannt, die in Heideggers späteren Texten die Zugänglichkeit von Seiendem für den Menschen prägen: (1) das von den uns umgebenden Dingen aufgespannte Bezugsgefüge, aus dem heraus erst dem einzelnen Seienden seine Bedeutsamkeit zukommt, (2) die Sprache als dasjenige, was uns erst etwas als dieses und jenes zugänglich macht, und schließlich (3) die Stimmung, in der sich eine je spezifische Weise der Hineingehobenheit in das Seiende im Ganzen manifestiert. Abschließend sollen zwei Eigenschaften der Medialität genannt werden, die für Heideggers Philosophie von zentraler Bedeutung sind: Erstens ist die Lichtung des Seins »niemals eine starre Bühne mit ständig aufgezogenem Vorhang, auf der sich das Spiel des Seienden abspielt« 72; sie unterliegt vielmehr einer geschichtlichen Dynamik. Die Einsicht in die Geschichtlichkeit der Zugänglichkeit des SeiHeideggers vielfach kritisierte Konzeption einer radikalen Mensch-Tier-Differenz zielt gerade auf die Spezifizität dieser Zugänglichkeitsstruktur. Vgl. dazu näher Andreas Beinsteiner, »Heideggers Anthropozentrismus: Methodologische Überlegungen«, in: Reinhard Heuberger et al. (Hg.): Tiere Texte Transformationen, Bielefeld, transcript, 2015, 141–156. 71 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 213. Das Abrücken von den Existenzialien und damit von einer als transzendentalphilosophisch interpretierbaren Konzeption kann als Hinwendung zu einer anderen Art des Denkens gedeutet werden, die gemäß dem hier vorgelegten Vorschlag als medienphilosophisch zu charakterisieren wäre. Nicht zufällig war die Abgrenzung zu transzendentalphilosophischen Ansätzen Teil medienphilosophischer Debatten, wobei insbesondere der Anspruch reflexiver Selbsttransparenz eines Subjekts problematisiert wurde: Weder haben wir es bei Medialität mit invarianten, überzeitlichen Strukturen zu tun, noch wäre irgendeine Form von Medialität imstande, sich selbst zum Gegenstand zu machen. Wollte man »an der Kategorie des Transzendentalen festhalten«, so ließe sich nach einem Vorschlag von Mersch »allenfalls eine ›negative Transzendentalität‹ konstatieren.« Dieter Mersch, »Wozu Medienphilosophie? Eine programmatische Einleitung«, in Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie, 1, 2015, 13–48, 37. 72 Heidegger, Holzwege, GA 5, 41. 70

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enden relativiert den Absolutheitsanspruch jener Weise, wie uns heute Wirklichkeit gegenübertritt. Möglich wird diese geschichtliche Variabilität ihrerseits aber durch eine zweite zentrale Eigenschaft: durch die irreduzible Selektivität des Medialen. »Jegliches Seiende, das begegnet und mitgegnet, hält diese seltsame Gegnerschaft des Anwesens inne, indem es sich zugleich immer in eine Verborgenheit zurückhält. Die Lichtung, in die das Seiende hereinsteht, ist in sich zugleich Verbergung.« 73 Erst diese Einsicht in die Selektivität des Medialen verleiht Heideggers Medienphilosophie ihre Brisanz: Sie verweist uns auf eine unbehebbare Partikularität unseres Verhaltens und Denkens – eine Partikularität, die fundamentaler ist als die behebbare einer Perspektive.

Heidegger, Holzwege, GA 5, 40. Zu den Implikationen dieser irreduziblen Selektivität vgl. Andreas Beinsteiner, »Ontoludologie: Zum medial-agonalen Charakter von Phänomenalität nach Heidegger«, in: Astrid Deuber-Mankowski und Reinhold Görling (Hg.), Denkweisen des Spiels, Wien, Turia + Kant, im Erscheinen.

73

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Sinn und Verbergung Heideggers Theorie über die Konstitution von Bedeutsamkeit Lucian Ionel

Zusammenfassung: Die Grundfrage von Heideggers Denken betrifft die Art, in der sich Weltbedeutsamkeit konstituiert. Heidegger entwickelt zu diesem Zweck eine Theorie der Sinnkonstitution, die sich vom transzendentalen Ansatz einer kategorial konstituierten Gegenständlichkeit abhebt. Diese Abhebung bedeutet nicht, dass Heidegger die Frage, woraus Sinn entspringt, mit dem apophatischen Appell an einen unbegreifbaren Abgrund beantwortet. In dieser häufig vertretenen Lesart verhilft das Sein dem Seienden in seiner jeweiligen Bedeutung zum Erscheinen, ohne selbst zu erscheinen oder begrifflich bestimmbar zu sein. Gegen eine solche dualisierende Deutung argumentiert der folgende Beitrag, dass Heidegger durch die emblematische ontologische Differenz einen immanenten Unterschied im Seinsverständnis denkt. Der Schlüsselbegriff für seine Theorie der Sinnkonstituton ist die Verbergung, die nicht von occultatio her, sondern erst als dissimulatio zu verstehen ist. Die Verbergung verweist auf keine Dimension jenseits des hermeneutischen Horizontes, sondern auf eine Paradoxie des Verstehens selbst, auf einen Riss im Sinngeschehen, auf einen Zwiespalt zwischen φαίνεσται und ἑρμενεύειν. Abstract: The main question Heidegger is concerned with relates to the way in which the significance of the world is constituted. Although Heidegger opposes the transcendental approach to a categorically constituted objectivity, this refusal does not mean that he instead proposes an apophatic theory of an ungraspable ground of meaning. In this reading, Being would make it possible for beings to appear meaningful, without appearing itself and without being conceptually accessible. Against such a dualistic approach, I argue that the ontological difference is to be thought of as an immanent tension in the understanding of Being. The key concept in Heidegger’s theory of the constitution of meaning is the concealment, which is not to be understood in the sense of occultatio, but rather of dissimulatio. Concealment does not refer to a dimension beyond the hermeneutical horizon, but points to a cleavage within meaning itself.

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1.

Zu einer Theorie der Sinnkonstitution

In einem 1927 an Husserl geschriebenen Brief behauptet Heidegger, dass das zentrale Problem von Sein und Zeit sich auf die Art, in der sich Welt konstituiert, bezieht. 1 Unter Welt versteht Heidegger zunächst eine Ganzheit von Bedeutungszusammenhängen, die weder auf ein Netz von kategorialen Prädikaten vorhandener Gegenstände zurückführbar sind, noch in der synthetisierenden Konstitutionsleistung eines transzendentalen Subjektes gründen. Die überlieferte transzendentale Erklärung der Gegenständlichkeit beschränkt sich laut Heidegger auf den Erfahrungshorizont der Wahrnehmbarkeit, während das Kategoriale wiederum auf das zeit-räumlich Gegebene begrenzt ist. Im Gegenzug definiert Heidegger das Seiende bereits in seiner frühesten Freiburger Vorlesung (1919) als das Umweltliche und Bedeutsame, das uns im Ereignis begegnet. 2 Diese Art von Begegnung geht über eine kategorial konstituierte Wahrnehmung von vorhandenen Objekten hinaus und deutet auf eine eigentümliche Dimension von Bedeutsamkeit hin. Um diese Eigentümlichkeit herauszuheben, bezeichnet Heidegger all das, was derart erfahren wird, als »welthaft, ›es weltet‹«. 3 Welt verweist bei Heidegger auf den Sinnhorizont, innerhalb dessen das Seiende erst als solches erscheinen kann. Der Ausdruck »als solches« betont, dass das Seiende ist, was es ist, insofern es bedeutet, was es bedeutet. Der Tisch ist kein Tisch aufgrund einer Anhäufung von erforderlichen physikalischen Eigenschaften, sondern allein insofern er uns als Tisch erscheint. Ein Seiendes ist als solches allein durch die hermeneutische Als-Struktur. Der neuerlich auch von Thomas Sheehan (2015) vertretene Ansatz, dass Sein in Heideggers Werk mit Weltbedeutsamkeit synonym ist, ermöglicht eine gewisse Deontologisierung der heideggerschen Philosophie und damit eine Verschiebung der Aufmerksamkeit auf die wesentliche Frage nach der Konstitution der Bedeutsamkeit. 4 Man tritt mit diesem AnVgl. Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 131. Heidegger, Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem, GA 56/57, 75. 3 Heidegger, Die Idee der Philosophie und das Weltanschauungsproblem, GA 56/57, 73. 4 »I try to make sense of Heidegger by showing that his work, both early and late, was not about ›being‹ as Western philosophy has understood that term for over twentyfive hundred years, but rather about sense itself: meaningfulness and its source.« 1 2

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Sinn und Verbergung

satz nicht nur aus der Selbstreferenzialität seines Werkes heraus, sondern gelangt so auch zu seiner Kernfrage: Wie konstituiert sich der Sinn von welthaften Phänomenen? Radikalisiert man diese Annahme, so kann sie unter die Formel gebracht werden: Sein ist Sinngeschehen. Die Frage nach dem Sinn von Sein ist in der Tat die Frage nach der Konstitution der Bedeutsamkeit. In den Beiträgen zur Philosophie (1936–38) behauptet Heidegger beispielsweise, dass die Frage nach dem Sinn mit der Frage nach der Wahrheit des Seins identisch ist: Sie »bleibt meine Frage und ist meine einzige« 5. Diese Frage soll nämlich bestimmen, »was da ›Sinn‹ benennt«, nämlich »die Offenheit für das Sichverbergen, d. h. die Wahrheit« 6. Die Wahrheit des Seins bezeichnet die interne Struktur des Sinngeschehens. Sie bleibt nicht eine unbestimmte Zauberformel der heideggerschen Philosophie, sondern wird in den Beiträgen als »lichtende Verbergung« 7 definiert. Diese Konzeption bahnt sich in Vom Wesen der Wahrheit (1930) an, resultiert aber aus Sein und Zeit (1927). Ihr Kernanliegen wird indessen von zwei geläufigen Lesarten versäumt. Eine erste Tendenz betont die Semantik der Offenheit im Begriff der Lichtung, preist die Offenbarkeit der Bedeutsamkeit und endet in jenem Spruch »es gibt Sein« 8, den man dem Spätvortrag Zeit und Sein (1962) ohne Weiteres entnimmt. Eine andere Lesart versteht Heideggers Projekt als Hervorhebung einer sich der begrifflichen Philosophie entziehenden Erfahrungsdimension. Die Verbergung wird in dieser Lesart buchstäblich verstanden und im Namen eines Neuanfangs des Denkens gepriesen, welches nun nur noch denke und nicht mehr begreife. Ein solches Denken, das nur noch das Unbegreifbare zum Gegenstand hat, riskiert jedoch aufzugeben, was es in Anspruch nimmt. Sheehan, Thomas, Making sense of Heidegger. A paradigm shift, New York, Rowman & Littlefield, 2015, xi. Sheehan kommt der Verdienst zu, eingesehen zu haben, dass Heideggers fundamentale Frage den Entstehungsgrund der Bedeutsamkeit betrifft. Er übersieht dennoch Heideggers vielfältige Strategien, diese Frage zu beantworten, und vor allem die zentrale Rolle des Verbergung-Begriffs. Ohne gründlich zu untersuchen, was und wie Sinn ist, definiert Sheehan das Sein wie folgt: »Being is the meaningful presence of things to man.« Thomas Sheehan, »What, after all, was Heidegger about?«, Continental Philosophical Revue, 47, 2014, 249–274. 5 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 10. 6 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 11. 7 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 30. 8 Heidegger, Zeit und Sein, GA 14, 10.

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Lucian Ionel

Der Begriff der lichtenden Verbergung ist die zentrale Chiffre für Heideggers Theorie über die Konstitution der Bedeutsamkeit. Der Ausdruck spricht nicht von einer »verborgenen Lichtung«, wie man Heideggers Leitgedanken oft wiedergibt, sondern vom Sachverhalt, dass die Verbergung lichtet – dass somit die Erschließung der Weltbedeutsamkeit mit einem Geschehen der Verbergung wesentlich zusammenhängt. Wenn dem so ist, dann besteht die Aufgabe einer Konfrontation mit Heideggers Denken in der Aufklärung dessen, was mit dem Begriff der Verbergung gemeint ist. Inwiefern ist die Sinnentstehung mit einem Geschehen der Verbergung zusammenzudenken und inwiefern prägt die Verbergung jede Konstitution von Sinn? Heideggers Werk enthält vielfältige Tendenzen zu diesen Fragen. So repräsentieren beispielsweise der Vorrang der Ursprünglichkeit, das Verständnis des λόγος als eines genetischen Prozesses der Versammlung und der wesentliche Stellenwert des Nichts und der Endlichkeit in der Sinnkonstitution zentrale Züge, aber auch verschiedene Akzente dieses Entwurfes. Der Begriff der Verbergung kann trotzdem als eine heuristische Konstante betrachtet werden, die den erwähnten Themenbereichen einen gewissen theoretischen und ontologischen Freiraum schafft. Wie ein Phänomen ursprünglich entsteht, was sich unter einem Wort anfänglich versammelt, und wie das Nichts Bedeutsamkeit zu stiften vermag, gehören in die Dimension der Verbergung hinein. Die Verbergung hat dabei nicht immer die gleiche Bedeutung, stellt dennoch dasselbe Leitmotiv dar. So kann der Verbergungsbegriff auch mit Heideggers Spätwerk assoziiert werden, wo er an Schweigen und Dichtung als Zugangsweisen zum Wahren appelliert und auf die begriffliche Philosophie vermeintlich verzichtet. Die Mehrdeutigkeit der Verbergung kann durch zwei dem Begriff inhärente Tendenzen erklärt werden. Einerseits bezieht sich der Verbergungsbegriff auf eine strukturelle Paradoxie der Sinnkonstitution: Insofern sich eine ursprüngliche Sinnkonstellation in einer einheitlichen Gestalt verfestigt, wird ihre Sinnhaftigkeit als solche – und damit ihr wesentlicher Möglichkeitscharakter – vergessen. Andererseits erweist Heideggers Konzeption eine genetische Semantik: Die konstitutiven Schichten, die zur Gestaltung einer Sinneinheit beitragen, verbergen sich in der so versammelten Einheit. Mit Heideggers Worten: Was in einem Gefüge – wie beispielsweise im »Krug« –

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Sinn und Verbergung

versammelt wird, verbirgt sich, um gerade jenes Seiende als solches anwesen zu lassen. 9 Im Folgenden werden Züge des Verbergungs-Begriffs an vier Orten des heideggerschen Werkes kurz aufgezeigt: Sein und Zeit (1927), Vom Wesen der Wahrheit (1930), Der Ursprung des Kunstwerkes (1935–36) und die Beiträge zur Philosophie (1936–38). Die Vorgehensweise versteht sich nur als ein Umreißen dessen, was Heidegger als die Sache des Denkens bezeichnet, nämlich die Zusammengehörigkeit von Lichtung und Verbergung. 10

2.

Welt und Verbergung: Sein und Zeit (1927)

Der Gedanke, dass die Verbergung eine wesentliche Dimension der Sinnkonstitution repräsentiert, ist bereits in Sein und Zeit angelegt. Dort hat die Verbergung zunächst drei zentrale Bedeutungen: (a) eine erste bezieht sich auf die Verdeckungen und Verstellungen, die der Alltäglichkeit des Daseins inhärent sind und dem Modus des Man entsprechen; (b) eine zweite Verdeckungsart entspringt aus dem erkenntnistheoretischen Paradigma der Vorhandenheit und verfestigt sich im apophantischen Als des Urteils; (c) eine dritte Art der Verbergung ist dem hermeneutischen Als selbst, beziehungsweise dem Erschließen der Bedeutsamkeit immanent und deutet daher auf einen Zwiespalt im Sinnvollzug selbst. 11

Dahingehend ist der Text Das Ding (1950) maßgeblich: Was dort unter Göttern und Sterblichen, Himmel und Erde am Beispiel des Kruges gemeint wird, entspricht gewissermaßen dem, was wir als konstitutive semantische Schichten bezeichnen möchten. Heidegger, Das Ding, GA 7, 173–175. 10 Im späteren Vortrag Mein Weg in die Phänomenologie (1963) formuliert Heidegger seine anfängliche Frage wie folgt: »Woher und wie bestimmt sich, was nach dem Prinzip der Phänomenologie als ›die Sache selbst‹ erfahren werden muß? Ist es das Bewußtsein und seine Gegenständlichkeit, oder ist es das Sein des Seienden in seiner Unverborgenheit und Verbergung?« Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 99. 11 Jean-Francoise Courtine hat argumentiert, dass Heidegger die Zugehörigkeit der Verbergung zur Welterschlossenheit in Sein und Zeit noch nicht einsieht. Heidegger begreife laut Courtine in Sein und Zeit nicht, dass das Herz der Wahrheit die Verbergung (die λήθη) sei. Wir möchten im Folgenden aufzeigen, dass der Ursprung des Verbergungsbegriffs bereits in Sein und Zeit angelegt ist. Die Verbergung hat aber nicht die Bedeutung, dass das Sein sich selbst entziehe, wie Courtine den Gedanken interpretiert. Die Verbergung liegt vielmehr in der Paradoxie des Sinngeschehens selbst. Vgl. Jean-Francois Courtine, »Le préconcept de la phénoménologie et la pro9

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Haben die ersten zwei Verbergungsarten hinreichende Aufmerksamkeit in der Forschung bekommen, so ist der letzte Sinn der Verbergung entscheidend. In den Paragraphen zur Analyse der Weltlichkeit (§ 12 – § 18, insbesondere § 15 und § 16) 12 stellt Heidegger den Sachverhalt vor, ohne ihn jedoch ausdrücklich zu artikulieren, dass die Erschließung der Weltbedeutsamkeit in eins mit der Verbergung ihrer Sinnhaftigkeit geschieht. Das ausschlaggebende Beispiel für dieses Paradox findet sich in seiner Analyse der Zuhandenheit. Das Zuhandene ist in Sein und Zeit für das welthafte Seiende paradigmatisch. Heidegger beschreibt, wie die Zuhandenheit insofern wirksam ist, als sie sich als solche verbirgt: »Das Eigentümliche des zunächst Zuhandenen ist es, in seiner Zuhandenheit sich gleichsam zurückzuziehen, um gerade eigentlich zuhanden zu sein« 13. Der Sinn eines Zeuges wird dann wahrhaft vollzogen, wenn das Zeug nicht als solches thematisch wird. Im Hämmern, wo die Bedeutsamkeit des Hammers erst zum Tragen kommt, bleibt diese als Bedeutsamkeit verborgen. Heidegger verstärkt diesen Ansatz, wenn er behauptet: »[J]e weniger das Hammerding nur begafft wird, je zugreifender es gebraucht wird, um so ursprünglicher wird das Verhältnis zu ihm, um so unverhüllter begegnet es als das, was es ist, als Zeug«. 14 Das ursprüngliche Als eines Seienden kommt eigentlich dann zum Tragen, wenn es nicht in seinem Als erfahren wird. An einer entscheidenden Stelle lautet dieser Gedanke: »Das Sich-nicht-melden der Welt ist die Bedingung der Möglichkeit des Nichtheraustretens des Zuhandenen aus seiner Unauffälligkeit« 15. Wenn man diese für das Zuhandensein charakteristische Unauffälligkeit auf das Weltbedeutsame überträgt, so würde es heißen, dass die Sinnhaftigkeit im Umgang mit den welthaften Dingen verborgen bleibt. Die Welt waltet somit als solche, wenn sie nicht als Welt auffällt. Der tiefliegende Grund für diesen Gedanken liegt im zwiespältigen Stellenwert des Verstehens und der Als-Struktur. Die Problematik des Verstehens betrifft nicht nur den erkennenden, explizit auslegenden Zugang zum Weltphänomen, sondern auch die Konstiblématique de la vérité dans Sein und Zeit«, in: Jean-Francois Courtine: Heidegger et la phénoménologie, Paris, VRIN, 1990, 249–279. 12 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 90–102. 13 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 93. 14 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 93. 15 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 101.

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Sinn und Verbergung

tution der Weltbedeutsamkeit selbst. Verstehen bedeutet, etwas als etwas, das heißt in seinem jeweiligen Sinn, ursprünglich zu erschließen. Beruht das Weltphänomen als Ganzes auf einem grundlegenden Seinsverständnis, so ist das Verstehen von Sein, wie Heidegger in Vom Wesen des Grundes (1929) behauptet, »die Urhandlung menschlicher Existenz« 16. In Sein und Zeit heißt es: »Das Erkennen von Welt (νοεῖν), bzw. das Ansprechen und Besprechen von ›Welt‹ (λόγος) fungiert als der primäre Modus des In-der-Welt-seins.« 17 Der Mensch ist deswegen Dasein, weil er als verstehendes Wesen der Austragungsort des Seinsgeschehens ist – das heißt der Ort, an dem Sinn geschieht, an dem etwas als etwas erschlossen wird. Die Als-Struktur fundiert demnach die Phänomenalität des Seins: Sein gibt es nur in einem Seinsverständnis. 18 Das Als ist aber zugleich der Grund für die unhintergehbare Verbergung des Seins. Im vielzitierten Paragraph 7 heißt es, dass das Phänomen des Seins wesentlich nicht offenbar, sondern gerade das ist, »was sich zunächst und zumeist nicht zeigt«, das, »was verborgen ist« 19. Trotz des regulativen Begriffs der Phänomenalität, dementsprechend das Phänomen sich von sich selbst aus zeigen soll, ist Sein das, was »in einem ausnehmenden Sinne verborgen bleibt«, was »nur ›verstellt‹ sich zeigt« 20. Warum wird aber von Anfang an eine inhärente Verbergung der Phänomenalität postuliert? Das Projekt von Sein und Zeit tendiert dazu, die Verbergung des Seins vor allem im apophantischen Als zu verorten. Deshalb besteht die Aufgabe der Fundamentalontologie vor allem darin, das im Alltag des Daseins verborgene Seinsverständnis zu entschlüsseln, die Verhärtungen der Begriffe zu destruieren und die Verdeckungen der Aussagen zu beseitigen. Die Verbergung des Weltphänomens hat aber nicht nur damit zu tun, dass das Als des Urteils die Weltbedeutsamkeit auf das Kategoriale reduziert und die Phänomenalität zur Vorhandenheitsontologie verpflichtet. Der Grund für die Verbergung des erschlossenen Seins liegt vielmehr in der Als-Struktur selbst. 21 Im Als des Seienden als Seiendem Heidegger, Wegmarken, GA 9, 158. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 79. 18 »Allerdings nur solange Dasein ist, das heißt die ontische Möglichkeit von Seinsverständnis, ›gibt es‹ Sein.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 281. 19 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 67. 20 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 67. 21 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 39. 16 17

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wird der Sinn von Sein erschlossen, aber zugleich eine immanente Differenz im Erschlossenen gegründet: Insofern das Seinsverständnis Sein erschließt, verweist es zugleich auf dieses als sein immanent Anderes. Die ontologische Differenz ist als dieser immanente Unterschied innerhalb des Seinsverständnisses zu denken. Φαίνεσθαι wird allein vom ἑρμενεύειν erschlossen, ist aber zugleich die Spur eines Anderen im ἑρμενεύειν – die Spur des Gezeigten und Gedeuteten im Zeigen und Deuten. Die Verbergung des Seins ist daher keineswegs vorübergehend, sondern ist der Phänomenalität des Seins konstitutiv. Das hermeneutische Als selbst erschließt und verbirgt zugleich das, was ist. Diese Paradoxie des Als, des ᾔ im ὄν ᾔ ὄν, zugleich erschließend und verbergend zu sein, ist gerade das, was die Metaphysik nicht gedacht hat, wie Heidegger zwischen 1944 und 1946 seine Kritik an der abendländischen Philosophie resümiert. Die Metaphysik denkt »zwar das Seiende als solches, aber das ›als solches‹ selbst bedenkt sie nicht« 22. Im Als liegt laut Heidegger die »ungedachte Unverborgenheit« – und zugleich die ungedachte, innewohnende Verbergung, die λήθη in der ἀλήθεια. 23 Der Ansatz, dass die Verbergung zur Konstitution von Weltbedeutsamkeit gehört, ist folglich bereits in Sein und Zeit erkennbar. Nichtsdestoweniger bleibt dabei der Sinn der Verbergung zweideutig: Ob die Verbergung sich auf eine strukturelle Paradoxie der Bedeutsamkeit oder auf das ursprüngliche Sein eines Seienden bezieht, bleibt in Sein und Zeit offen. Diese Ambiguität wird aber auch Heideggers ganzes Werk prägen.

3.

Wahrheit und Verbergung (1930–1936)

Die in Sein und Zeit erworbene Einsicht radikalisiert sich in Vom Wesen der Wahrheit (1930), wo der Grundgedanke, dass die Entstehung der Weltbedeutsamkeit zugleich ein Geschehen der Verbergung bedeutet, zum ersten Mal artikuliert wird. Heidegger bestärkt die These, dass das Erschließen des Seienden als eines solchen »in sich zugleich ein Verbergen« 24 ist. Was dabei verborgen wird, ist der über22 23 24

Heidegger, Die seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus, GA 6.2, 317. Heidegger, Die seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus, GA 6.2, 317. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 193. An einer anderen Stelle lautet

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Sinn und Verbergung

greifende Sinnhorizont, der die Seienden in ihrer jeweiligen Bedeutung erschließt. Dem überlieferten Paradigma der Wahrheit als adaequatio intellectus et rei entnimmt Heidegger den Sinn der Wahrheit als ursprünglichen Entstehungshorizont der Weltbedeutsamkeit. Sein Argument besteht darin, dass, bevor eine Aussage auf einen Sachverhalt Bezug nehmen kann, sowohl der referierte Sachverhalt als auch der Maßstab des Urteils in einer bestimmten Sinnkonstellation bereits erschlossen werden müssen. Die Thematisierung dieses immer schon erschlossenen Horizontes, der das Grundthema der mittleren Schaffensphase Heideggers ausmacht, hängt mit Entscheidungen zusammen, die er ab 1930 trifft: die Depotenzierung der Subjektivität in der Sinnkonstitution beziehungsweise der Vorrang der Geworfenheit des Daseins über den Entwurf, die Akzentverschiebung auf die Geschichtlichkeit als Fundierung des Seinsverständnisses und die Zurückführung der Quelle der Bedeutsamkeit auf einen abgründigen Grund der Sprache. Hinsichtlich dieser Entscheidungen ist der in Vom Wesen der Wahrheit dargelegte Gedanke verständlich, dass nämlich die Sinnerschlossenheit nicht »in menschlicher Verfügung« steht. Die Wahrheit unterliegt nicht dem »Belieben des Menschen«, sondern waltet über den Menschen. 25 Der Mensch ist so »Eigentum« eines entbergenden Sinngeschehens, das verborgen bleibt. 26 Selbst diese Verbergung entspricht »nicht erst nachträglich dem bloßen Unvermögen und der Nachlässigkeit des Menschen«, sondern kommt »aus dem Wesen der Wahrheit« 27. Die Verbergung der Sinnerschlossenheit als solcher gehört somit wesentlich zur Erschließung des Seins. Wird das Seiende im Als der Ansatz: »Die Entbergung des Seienden als eines solchen ist in sich zugleich die Verbergung des Seienden im Ganzen« Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 198. Der Ausdruck »im Ganzen« soll nicht in Richtung einer Mereologie täuschen, als ob der Bezug auf ein Einzelnes das Ganze aus dem Blick verliert. Am Ende des Vortrages unterstreicht diesbezüglich Heidegger, dass es um »das sich verbergende Einzige der einmaligen Geschichte der Entbergung des ›Sinns‹ dessen [geht], was wir Sein nennen und seit langem nur als das Seiende im Ganzen zu bedenken gewohnt sind«. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 200. Das Ganze ist folglich Ausdruck für den grundlegenden und übergreifenden Sinnhorizont, der ein einzelnes Seiendes in seinem Als erschließt. 25 Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 186. 26 Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 191. 27 Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 191.

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erschlossen, so wird der so erschlossene Sinn nicht mehr als Sinn erfahren, sondern als Gegebenheit. Damit verbirgt sich ebenfalls sein Möglichkeitscharakter – nämlich die Tatsache, dass das Erschlossene hätte anders sein können. 28 Das Verhältnis von Sinnerschlossenheit und Verbergung geht aber über eine reine Zusammengehörigkeit hinaus. Die Verbergung kommt nicht der Sinnkonstitution als addiertes Prädikat hinzu, sondern wird vielmehr als »Grundgeschehnis« beschrieben, das geradezu »älter als jede Offenbarkeit von diesem und jenem Seienden« und »älter auch als das Seinlassen selbst« 29 sei. Der Ausdruck »älter« soll dabei nicht zeitlich gedeutet werden, sondern er verweist auf die Vorrangigkeit der Verbergung in der Sinnkonstitution: Nur insofern der sinnstiftende Horizont sich verbirgt, kann Sinn überhaupt gestiftet werden. Sinn geschieht derart, dass die bedeutsamen Dinge nicht als gestiftete, mögliche Sinnkonstellationen erfahren werden. Die Welt waltet, insofern sie nicht als eine mögliche, sondern als eine gegebene angenommen wird. 30 Allerdings hat das Verbergen dabei den Sinn von einer immanenten occultatio. Verbergen besagt Zurücktreten, Unauffälligkeit, Entzug. 31 Das Verhältnis zwischen der Verbergung und der Sinnkonstitution wird hier strukturell und nicht genetisch gedacht. Erst in Der Ursprung des Kunstwerkes (1935–36) übernimmt die Verbergung den Sinn der dissimulatio. Das Sich-Verbergende bezieht sich dort eher auf die genetischen Schichten, die einen Sinnzusammenhang ursprünglich konstituieren: Sie sind latent manifest, dennoch unsichtbar. Es wäre indessen eine irreführende Lesart, das Konzept der Verbergung als Grenze der Erkenntnis oder als Signum der Unerkennbarkeit zu interpretieren. Heidegger sagt dahingehend: »Wo die Verborgenheit des Seienden im Ganzen nur wie eine zuweilen sich meldende Grenze beiher zugelassen wird, ist die Verbergung als Grundgeschehnis in der Vergessenheit versunken.« Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 195. 29 Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 193–195. 30 Diese inhärente Verbergung der Welt wird wiederum vergessen. Dadurch potenziert sich die Verbergung – sie verbirgt sich selbst.«Die Ansässigkeit im Gängigen ist aber in sich das Nichtwaltenlassen der Verbergung des Verborgenen.« Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 195. 31 Eine andere Lesart schlägt David Farell Krell vor, der die Verbergung in Vom Wesen der Wahrheit nicht als Verdeckung, sondern von Bergen (shelter) her liest. Vgl. David Farrell Krell, Intimations of Mortality. Time, Truth, and Finitude in Heidegger’s Thinking of Being, University Park, Pennsylvania State University Press, 1986. 28

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Sinn und Verbergung

Im Kunstwerk-Aufsatz wird die Wahrheit wiederum als Urstreit zwischen Lichtung und Verbergung beschrieben, aber die Artikulation dieses Streites anhand der Begriffe von Erde und Welt ergänzt und verwandelt Heideggers Konzeption der Sinnkonstitution. Eine dafür entscheidende Passage lautet: »Die Welt ist nicht einfach das Offene, was der Lichtung, die Erde nicht das Verschlossene, was der Verbergung entspricht […]. Jede Entscheidung aber gründet sich auf ein Nichtbewältigtes, Verborgenes, Beirrendes, sonst wäre sie nie Entscheidung. Die Erde ist nicht einfach das Verschlossene, sondern das, was als Sichverschließendes aufgeht.« 32 Die »Entscheidung« ist an dieser Stelle ein Äquivalent für die Sinnerschließung. Sie beruht insofern auf einem Verborgenen, als dieses darin aufgeht. Das Verborgene ist somit nicht ein bloß Entzogenes, sondern manifestiert sich in der Konstitution der Bedeutsamkeit. Die Erde steht nicht hinter oder unter der Welt, sondern, mit Heideggers Worten, »durchragt die Welt« 33. Die Erde wird gewissermaßen in eine Welt übertragen und dissimuliert sich in der Gestaltung der Weltbedeutsamkeit. Der Streitcharakter dieser translatio der Erde in die Welt wird aber allein innerhalb des Welthorizontes sichtbar. Die Erde wird als solche erst in einer Welt offenbar und von der Welt »hergestellt«: Erst »das Werk läßt die Erde eine Erde sein« 34. Die Erde manifestiert sich demnach in der Welt als die Spur der Andersheit, welche die Sinnerschlossenheit zwar von vornherein mitkonstituiert, aber ihrerseits als solche nur von dieser erschlossen wird. 35 Die zwei genannten Texte konturieren schließlich eine Theorie der Sinnkonstitution, die in den Beiträgen zur Philosophie ihren Gipfel erreicht. Es gibt eine strukturelle gegenseitige Bedingung zwischen der Sinnentstehung und der Verbergung: Das, was in Wort und Begriff versammelt wird und zum Ausdruck kommt, tritt mit der Entstehung der Sinneinheit zurück. 36

Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 42. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 42. 34 Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 32. 35 An einer Stelle in den Beiträgen zur Philosophie wird diese Verflechtung derart formulier: »Welt ist ›irdisch‹ (erdhaft), Erde ist welthaft«. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 275. 36 Diese Erläuterungen werden von Heidegger im Satz zusammengefasst, den man in der später hinzugefügten Anmerkung lesen kann: »Wahrheit bedeutet lichtendes Bergen als Grundzug des Seyns.« Heidegger, Wegmarken, GA 9, 198. 32 33

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4.

Verbergung und Gründung (1936–1938)

In den Beiträgen zur Philosophie (1936–38) übernimmt das Konzept der Verbergung ausdrücklich die zentrale Stelle in Heideggers Denken. Das Leitmotiv des Werkes lautet: »Im Sichverbergen west das Seyn.« 37 Heidegger liest sein ganzes bisheriges Werk als den Versuch, »die Weisen der Lichtung und die Abwandlungen der Verbergungen und ihre wesentliche Zusammengehörigkeit deutlich zu machen« 38. Die in diesem Werk anvisierte Theorie der Sinnkonstitution beruht zunächst auf der Annahme, dass die Entstehung und die Struktur der Bedeutsamkeit von einer inhärenten Verbergung bestimmt wird. Dahingehend ist der Grundsatz zu verstehen: Die Wahrheit »geschieht als die lichtende Verbergung« 39. Über die tatsächliche Art und Weise, in der dieses Verbergungsgeschehen geschichtliche Weltbedeutsamkeit stiften kann – was übrigens Ereignis genannt wird –, liefert Heidegger keine inhaltliche Darstellung. Indessen bringt er den sinnstiftenden Entzug mit dem Nichts und dem Abgrund in Verbindung. 40 Die Ursache für die Vergessenheit der Verbergung sei in der fundamentalen Denkart zu verorten, die die abendländische Ontologie durch den Vorrang der Anwesenheit – das heißt des Wahrnehmbaren, des Begreifbaren, des Messbaren – geprägt hat. Der Einwand gegen die Metaphysik bedeutet aber keineswegs, dass das Konzept der Verbergung im Gegenzug auf einen unverfügbaren und mysteriösen Grund verweist. 41 Das Geschehen der Verbergung ist nur innerhalb der Verflechtung mit der Lichtung zu denken. 42 Der Verbergungsbegriff bringt keine bloße Abwesenheit ins Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 342. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 352. 39 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 29–30. 40 Redewendungen wie »das Seyn west als nichthaft« und »die Innigkeit des Nicht im Seyn« wiederholen sich im Werk. Entscheidender ist, dass »das Nichtende im Seyn selbst (…) als verborgenstes Geschenk zu erfahren« ist. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 267. 41 Im Gegenteil gibt es selbst in der Metaphysik der Vorstellbarkeit und der Verfügbarkeit Raum für das Unverständliche, Unzugängliche und Geheimnisvolle. Vgl. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 109. In Vom Wesen der Wahrheit heißt es: »Es [gibt] auch im Gangbaren Rätsel, Unaufgeklärtes, Unentschiedenes, Fragliches.« Heidegger, Wegmarken, GA 9, 195. 42 »Wahrheit ist also niemals nur Lichtung, sondern west als Verbergung ebenso ursprünglich und innig mit der Lichtung. Beide, Lichtung und Verbergung, sind nicht 37 38

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Sinn und Verbergung

Spiel, sondern geradezu eine ausgezeichnete Form von Anwesen. 43 »Das Verborgene zum Abwesenden« zu bestimmen, ist gerade der Irrtum des griechischen Denkens, wodurch »das Geschehnis der Verbergung […] verloren« 44 ging. »Seyn« ist daher kein Name für eine entzogene Entität, sondern allein das Geschehen der Verbergung, das sich erst als solches entziehen kann: »Daß das Sein das Seiende verläßt, besagt: das Seyn verbirgt sich in der Offenbarkeit des Seienden. Und das Seyn wird selbst wesentlich als dieses sichentziehende Verbergen bestimmt.« 45 Heidegger erkennt erst in der paradoxen Struktur, dass das Sinngeschehen von einer immanenten Verbergung bedingt ist, ein Rätsel. Die Tragweite dieser Fragestellung nach der Entstehung von Sinn betrifft aber nicht so sehr den theoretischen Gehalt einer Konzeption über den Ursprung der Bedeutsamkeit, sondern vielmehr die Verwertung dieser Paradoxie für den Entwurf eines anderen Anfangs des Denkens. Mit anderen Worten, Heidegger geht es letztlich nicht so sehr um eine deskriptive Darstellung der verbergenden Konstitution von Sinn, sondern vielmehr um eine normative Wende der Verbergung für eine Neustiftung. In den Beiträgen kommt es hauptsächlich darauf an, »die Verbergung und so die Verweigerung zu offenbaren« 46. Im anderen Anfang des Denkens soll die Verbergung als solche gewusst und aufbewahrt werden. 47 Das »Wesen der Zukünftigen« besteht darin, »das Verborgenste verborgen zu halten« 48. Die Konstitution der Wahrheit als Ereignis – das heißt als lichtende Verbergung – zu wissen, bedeutet ferner, »zur Überwindung bereit sein« 49. Der andere Anfang des Denkens beruht aber nicht auf der Enthüllung des Verborgenen, sondern auf der Anerkennung der Verbergung als solcher – das heißt als

zwei, sondern die Wesung des Einen, der Wahrheit selbst.« Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 347 43 Als reines Abwesen gäbe es allerdings nichts zu denken. Vgl. Jacques Derrida, »Ousia und gramme«, in: Jacques Derrida: Randgänge der Philosophie, übersetzt von Gerhard Ahrens, Wien, Passagen-Verlag, 1976, 85. 44 Vgl. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 340. 45 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 111. 46 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 448. 47 Das Ziel des anderen Anfangs liegt nämlich im »Bergen der Entbergung des Verborgenen als solchem.« Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 22. 48 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 396. 49 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 8.

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Grundzug des Sinngeschehens. 50 Der Neuanfang des Denkens gründet in der Annahme, dass die Erfahrung und die Aufbewahrung der Verbergung einen produktiven Funken enthalten, der eine Neustiftung ermöglicht. Die Gründung des anderen Anfangs beruht auf dem »schaffenden Aushalten im Abgrund« und auf dem »Mut zum Abgrund« 51. Das Wissen um den Abgrund als Quelle jeder Sinnkonstitution soll demnach einer Neugründung dienen. Die Stiftung des anderen Anfangs beruht auf einem strukturellen Umschlag des Abgrundes in eine Gründung. Die Erfahrung der Verbergung als solcher scheint hier für eine neugestiftete Welt potenziert zu werden. Heidegger nennt diese Potenzierung die »Lichtung für die Verbergung« 52. In dieser Formel zeigt sich, wie Gadamer es einmal formuliert hat, »die geheime und undurchschaubare Dialektik, die allen wesentlichen Heideggerschen Aussagen anhaftet« 53. Heidegger ist sich jedoch dieser Gefahr bewusst und wehrt sich wiederholt in den Beiträgen gegen eine dialektische Interpretation seiner Auffassung des anderen Anfangs: »Die Lichtung der Verbergung meint nicht die Aufhebung des Verborgenen und seine Freistellung und Umwandlung ins Unverborgene, sondern gerade die Gründung des abgründigen Grundes für die Verbergung.« 54 Jedoch rückt er gerade durch eine solche Abgrenzung in die Nähe von einer hegelschen Aufhebungsfigur: Einen Sinnhorizont im Hinblick auf die unhintergehbare Abgründigkeit zu gründen, scheint nämlich die Verbergung in einen produktiven Antrieb zu verwandeln und zu positivieren. Heideggers Werk nach den Beiträgen entwickelt sich aus dem Bedürfnis heraus, diese hier nur kurz skizzierte Aufhebungsgefahr zu vermeiden. Nicht nur die dreijährige Konfrontation mit Hegels

Wenn das Seyn als »Verweigerung« west, dann wird diese »in ihre Lichtung hineinragen und als Verweigerung bewahrt werden«. Dies setze eine »Bereitschaft für die Verweigerung« voraus. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 22. 51 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 36. Er spricht an anderen Stellen von den Zukünftigen, die den Abgrund lieben oder den Mut zum Abgrund haben. Vgl. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 13 und 15. 52 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 343. 53 Hans-Georg Gadamer, »Die Sprache der Metaphysik«, in Hans-Georg Gadamer, Neuere Philosophie I, Gesammelte Werke, Band 3, Tübingen, Mohr Siebeck, 1987, 230. 54 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 352. 50

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Sinn und Verbergung

Begriff der Negativität (1938–1941) im Anschluss an die Beiträge, sondern auch die späten Vorträge nehmen einen direkten Bezug auf diese Problematik. Von dieser Auseinandersetzung ausgehend heißt es im späten Seminar zum Vortrag Zeit und Sein (1962): »Die Seinsvergessenheit ›hebt‹ sich ›auf‹ mit dem Entwachen in das Ereignis. Die Verbergung aber, die zur Metaphysik als Grenze gehört, muß dem Ereignis selbst zueigen sein.« 55 Die Schwierigkeit, dass das Auffassen der Verbergung als solcher diese zum Begriff aufhebt, bedingt auch den späteren Verzicht des heideggerschen Denkens auf Begrifflichkeit. Das Grundproblem ist bereits in der ersten Formulierung der Einheit von Wahrheit und Verbergung manifest. In Vom Wesen der Wahrheit (1930) heißt es: weil aber das volle Wesen der Wahrheit das Unwesen einschließt und allem zuvor als Verbergung waltet, ist die Philosophie als das Erfragen dieser Wahrheit in sich zwiespältig. Ihr Denken ist die Gelassenheit der Milde, die der Verborgenheit des Seienden im Ganzen sich nicht versagt. Ihr Denken ist zumal die Ent-schlossenheit der Strenge, die nicht die Verbergung sprengt, aber ihr unversehrtes Wesen ins Offene des Begreifens und so in ihre eigene Wahrheit nötigt. 56

Das philosophische Denken soll einerseits der Verbergung nicht entsagen, anderseits die Sorgfalt des Begreifens nicht aufgeben. Die Verbergung zu begreifen, kann das Geheimnis der Verbergung und deren Entzugscharakter auflösen. Sich aber im Gegenzug dem Geheimnis auszuliefern und auf Begrifflichkeit zu verzichten, kann schnell in leeres Staunen umschlagen.

5.

Fazit: Denken und Begreifen

Der Begriff der Verbergung verweist nicht nur auf ein strukturelles Moment der Sinnkonstitution, sondern auch auf eine Paradoxie im Begreifen selbst. Bedeutet Begreifen Bestimmen, so verbirgt sich im Bestimmten sowohl das Bestimmende als auch die Bestimmung als solche. Wie ist aber das Verbergungsgeschehen selbst zu begreifen, wenn der Begriff als solcher verbergend ist?

55 56

Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 50. Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit, GA 9, 197.

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Die Konstitution der Bedeutsamkeit verdankt sich nicht der Leistung der Begrifflichkeit, wie Heideggers Kritik an kantischen, transzendentalphilosophischen Modellen lautet. Wiederum können Begriffe die Dimension der Verbergung nicht darlegen. Die Erde, der Abgrund und das Nichts sind zwar ihrerseits Begriffe, sie sind aber in sich nicht begrifflich strukturiert, sondern der Platzhalter für eine offene Stelle. Sie verweisen nämlich auf die nichtbegriffliche Konstitution der Weltbedeutsamkeit und auf den Möglichkeitscharakter jeder Welt. Im späten Vortrag Zeit und Sein (1962) beschreibt Heidegger seine Rede als einen Gang des Zeigens, der keine Reihe von Aussagesätzen darstellt. In der Randbemerkung zum Ausdruck »Zeigen« schreibt er: »Das Verschwinden des Als.« 57 Das Als – hier das apophantische Als, aber ebenso das Als der Verbergung als Verbergung – muss letztlich verschwinden, und damit auch der Begriff selbst, um die Verbergung nicht wiederum bestimmend zu verbergen. Der Anspruch von Sein und Zeit war indessen, den Begriff des Seins auszubilden. 58 Das Sein war »in aller bisherigen Ontologie ›vorausgesetzt‹, aber nicht als verfügbarer Begriff – nicht als das, als welches es Gesuchtes ist« 59. Heidegger beteuert erneut in Vom Wesen des Grundes, dass der Seinsbegriff sich »als Begriff philosophisch begründen« 60 lassen muss. In den Beiträgen heißt es, dass im ›anfänglichen Denken‹ etwas begriffen wird, was sich nicht in einem Satz sagen lässt. ›Begriff‹ bedeutet »ursprünglich ›Inbegriff‹«, nämlich das »in die lichtende Verbergung hebende Wissen« 61. Heideggers Denken wird das Sein dennoch niemals begreifen – hingegen behaupten, dass es gerade der Begriff ist, der die Sache des Denkens verfehlt. 1962 wendet Heidegger der Metaphysik ein, sie habe das »Sein im Hinblick auf das Seiende gedacht und in einen Begriff gebracht« 62. Um 1945 heißt es bereits: »In der Metaphysik ist das Sein weder übergangen noch übersehen. (…) Das Sein bleibt Heidegger, Zeit und Sein, GA 14, 6. Am Anfang von Sein und Zeit liest man, dass der Sinn des Seins »eine eigene Begrifflichkeit verlangen [wird], die sich wieder wesenhaft abhebt gegen die Begriffe, in denen Seiendes seine bedeutungsmäßige Bestimmtheit erreicht«. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 6. 59 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 8. 60 Heidegger, Vom Wesen des Grundes, GA 9, 162. 61 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 65. 62 Heidegger, Zeit und Sein, GA 14, 12. 57 58

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Sinn und Verbergung

in der Sicht von Begriffen, sogar im Scheinen des absoluten Begriffes durch die spekulative Dialektik – und bleibt dennoch ungedacht« 63. Was ist jedoch im Gegenteil ein Denken ohne Begreifen? Eine Kritik an Heideggers Philosophie soll von diesem ihrem Ende her anfangen und die Entwicklung ihrer Schlussfolgerung rekonstruieren. Dabei muss nicht nur die Frage gestellt werden, inwiefern Heideggers Verständnis des Begriffs begrenzt ist, sondern auch inwiefern das Begreifen dennoch vermag, das als Einheit von Lichtung und Verbergung und als Streit von Erde und Welt Bezeichnete zu artikulieren. Dies allerdings nur, wenn das Begreifen nicht nur Festlegen und Einschränken bedeutet – wenn der Begriff nicht nur Kategorie und endliche Verstandesbestimmung, sondern unaufhörlicher Prozess der Sinnartikulation ist.

63

Heidegger, Die seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus, GA 6.2, 352.

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Heidegger, the Wallflower in Günter Figal’s Unscheinbarkeit Jason W. Alvis 1

Abstract: The most recent phenomenological engagement with inconspicuousness came from Günter Figal in his Unscheinbarkeit (2015). Yet despite clearly being inspired by Heidegger, it lacks any careful attention to his position. For example, Heidegger’s name is not once mentioned in the introduction to the book. In an attempt to attend to this lacuna, this paper turns to Heidegger’s »Phänomenologie des Unscheinbaren« in the framework of the 1973 Zähringen Seminar, and develops three potential interpretations of this concept. A first interpretation could be that the »unscheinbar« is intertwined with the »scheinbar« as a type of »hiddenness« (Λήθη, lethe), and can be contextualized generally within Heidegger’s overall approach. A second view would be that »unscheinbar« is being developed by Heidegger as a new concept, and can therefore be thought as a specific phenomenological approach. And a third interpretation would be that there are phenomena characterizable as inconspicuous for their seemingly elusive strata of intelligibility that avoid direct apprehension. While this is not a critique of Figal’s work, it does point to the necessity of addressing Heidegger’s use of this term. Zusammenfassung: Obwohl es offensichtlich ist, dass der Ansatz in seinem Werk Unscheinbarkeit (2015) stark von Heidegger beinflusst ist, schenkt Günter Figal dessen Position kaum Beachtung. Zum Beispiel findet sich in der Einleitung kein einziger expliziter Verweis auf Heidegger. Als Antwort auf diesen Mangel an Auseinandersetzung entwickle ich in meinem Text drei Interpretationen von Heideggers »Phänomenologie des Unscheinbaren«, die dieser in den Zähringer Seminaren (1973) in die Diskussion einführte. Einer ersten Interpretation zufolge können wir das »Unscheinbaren« als mit dem »Scheinbaren« verflochten denken. Zweitens könnte man This essay was written with the generous support of two research grants from the Austrian Science Fund (FWF). It was conceived in framework of the project »Religion beyond myth and Enlightenment« (P 23255), and concluded in the bilateral project »The Return of Religion as a Challenge to Thought« (I 2785). Portions of this essay and further developments of its arguments can be found in the forthcoming book: Jason Alvis, The Inconspicuous God: Heidegger, French Phenomenology, and The Theological Turn, Bloomington, Indiana University Press, 2018.

1

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das »Unscheinbare« als einen methodischen Grundbegriff Heideggers auffassen. Schließlich gäbe es einige Phänomene, die dadurch ausgezeichnet sind, dass sie sich auf unscheinbare Weise geben. Obwohl dies keine Kritik an Figals Buch ist, soll auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Heideggers Verwendung dieses Begriffs aufmerksam gemacht werden.

1.

Introduction

This paper deals with the topic and question of the inconspicuous, the significance of which largely has been overlooked in Heidegger scholarship. The word inconspicuous (unscheinbar) is generally used in reference to what is marginal or latent, like a wallflower that is present yet quickly overlooked, and indicates a kind of experience with the unobtrusive (unauffällig) or what has the tendency to make no special impressions upon us (keinen besonderen Eindruck machend). It is irreducible to being visible or invisible (unsichtbar) for in its being given to conscious experience, it is presented as something with which one can be in relation, yet simultaneously gives itself as absent and non-illuminative. This already implicates an inquiry into phenomenology itself, for as the study of the how structure of appearance, it gains its namesake from phaeithein, or what obviously shines or burns as it is illuminated or brought into the open. One most recent attempt at a phenomenological engagement with inconspicuousness came from Günter Figal in his book Unscheinbarkeit (2015), 2 in which he more constructively develops this notion, which was first introduced into phenomenology by Heidegger. Figal assigns a major place in phenomenology for such a concept, even asserting that phenomena ultimately can »only be adequately understood in their unison with the inconspicuous« (»wären Phänomene im skizzierten Phänomenologischen Sinne also nur angemessen in ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Unscheinbaren zu verstehen«). 3 This is a bold claim that underwrites the necessity of addressing instances in

Günter Figal, Unscheinbarkeit: Der Raum der Phänomenologie, Tübingen, Mohr Siebeck, 2015. 3 Figal, Unscheinbarkeit, 11. For Figal, »Wenn die bisher entwickelten Überlegungen zum Verhältnis von Erscheinung und Unscheinbarkeit überzeugend sind, wären Phänomene im skizzierten Phänomenologischen Sinne also nur angemessen in ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Unscheinbaren zu verstehen.« 2

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which the inconspicuous has already appeared in the phenomenological tradition. In particular, Figal names inconspicuousness the primary characteristic of space (Raum), which is the fundament of all that appears in its possibility for being given, and is in some sense also phenomenal. Space does not appear like other phenomena (»Raum … erscheint nicht, sondern ist unscheinbar.«), and this changes phenomenology in toto. 4 Yet despite clearly being inspired by Heidegger’s work in these regards (Figal even suggests that he was led to the question of space through Heidegger’s Freiraum or openness which is not unlike the Lichtung or clearing), Figal only very briefly engages Heidegger’s treatment of the concept, and is instead devoted to developing his own approach to space. Heidegger’s name, for example, is not once mentioned in the introduction to the book. Granted, Figal likely has good reason for this; since the recent publication of Heidegger’s clearly anti-Semitic Black Books, Figal has chosen to distance himself from being a public Heidegger promoter, even recently resigning from the role of President at the German Heidegger Society. Although Figal recognizes that Heidegger was the one who initiated inconspicuousness into phenomenological thinking (»Dass es Phänomenologie, die von Unscheinbaren her denkt, bisher noch nicht gab, könnte eine voreilige Behauptung sein … Heidegger hat ihn geprägt« 5), his engagement with Heidegger on this topic is limited to but a few pages, which in this instance contains little substantive investigation into Heidegger, who at times seems to serve more as a foil for Figal to introduce his own development of inconspicuousness, which is substantive in its own right. In the final analysis, an explication of Hei-

For Figal, »Raum, so lässt diese Überlegung sich zusammenfassen, erscheint nicht, sondern ist unscheinbar, sodass eine Phänomenologie der Äußerlichkeit, eine realistische Phänomenologie, also eine Phänomenologie der Unscheinbarkeit ist.« And: »Space, to sum it all up, does not appear, but is inconspicuous, thus the phenomenology of externality, which is a realistic phenomenology, is a phenomenology of the inconspicuous.« Figal, Unscheinbarkeit, 4. 5 Figal, Unscheinbarkeit, 11. »Dass es Phänomenologie, die von Unscheinbarem her denkt, bisher noch nicht gab, könnte eine voreilige Behauptung sein, denn in jedem Fall gibt es einen auf sie hindeutenden Titel. Heidegger hat ihn geprägt; die spätesten Zeugnisse seines Denkens dokumentieren ihn.« And: »[t]he claim that there has not yet been any thinking of a phenomenology of the inconspicuous would be a hasty assertion, because the title has definitely already been suggested. Heidegger has crafted it; the latest testimony of his thinking documents it.« 4

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degger’s concept was never Figal’s goal, yet this has left a gap in understanding Heidegger on this topic of the inconspicuous. This paper proposes a few directions Heidegger could be going with his »Phänomenologie des Unscheinbaren.« After contextualizating the phrase/concept in the framework of the 1973 Zähringen Seminar, a determination is made as to how we can interpret it in light of what we already know to be some of Heidegger’s overall interests (which are not without controversy). It is also pertinent to note that the attention this paper pays to this concept of Heidegger’s should not be misunderstood as a central concept for Heidegger, as he drew attention to the word only a few times throughout his oeuvre. The earliest meaningful references to the word unscheinbar are found in the Parmenides Seminar, winter semester of 1942/43, appearing in the context of reiterating the false dialectic between unconcealedness and concealment, especially when thinking of mysteriousness, which is characterized there according to its Unscheinbarkeit – one of the characterizations of concealment. For Heidegger, »The secret in/of mystery [Das Geheime des Geheimnisvollen] is a kind of concealment [Verbergung], characterized by its inconspicuousness [Unscheinbarkeit] by virtue of which the mystery is open.« 6 And he refers similarly to how, for the Greeks, »The astounding« and »The uncanny is the simple, the inconspicuous [unscheinbar] Being itself.« 7 With this background in mind, it is possible to interpret his references to inconspicuousness in the Zähringen Seminar in at least three different ways: 1. The Unscheinbare is intertwined with the Scheinbare as one particular form of hiddenness (Λήθη, lethe) that lets things be brought into presence. This would make the Unscheinbare inherent within all of Heidegger’s phenomenological approach. 2. Or, Heidegger is introducing »inconspicuousness« as a form, mode, or »manifestation« among the various modes of potential hiddenness (Verborgenheit), and is introducing a particular step into all of phenomenology that calls for a particular kind of attunement. 3. And thirdly, it could be that references to inconspicuousness are meant to

Heidegger, Parmenides, GA 54, 93 / Martin Heidegger, Parmenides, translated by André Schuwer and Richard Rojcewicz, Bloomington, Indiana University Press, 1992, 63. »Das Geheime des Geheimnisvollen ist eine Art der Verbergung, die sich durch ihre Unscheinbarkeit auszeichnet, kraft deren das Geheimnis ein offenes ist.« 7 Heidegger, Parmenides, 101. 6

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highlight the necessity of a particular and specific sort of phenomenological approach to distinctly inconspicuous phenomena. Although there is a level of ambiguity (even to the point of seeming sophistical) to Heidegger’s references to das Unscheinbare in the Zähringen Seminar, it seems they can play a role (and be contextualized) in the broader interests of Heidegger’s concerning the oscillatory movement of phenomena between presence and absence, the status and interests of Da-sein, and the how of the appearance of Being as it relates to the clearing. 8

2.

Inconspicuousness in the 1973 Zähringen Seminar

In an embrace of Heraclitus’ emphasis on becoming and Parmenides’ Being, Heidegger often laid emphasis upon what Dreyfus once called the »saving power of insignificant things« so that the ordinary, marginal, and bare things of experience can be seen as indeed meaningful. 9 Despite their not drawing immediate attention within conscious experience, things that hold strata of ordinariness are not necessarily lacking in signification. For something to be in-significant in these terms is for such a thing to actually and paradoxically bear great significance, despite being easily overlooked. The most explicit attention paid by Heidegger to inconspicuousness which was in the Zähringen Seminar attends to such a notion: thus understood, phenomenology is a path that leads away to come before …, and it lets that before which it is led show itself. This phenomenology is a phenomenology of the inapparent [Unscheinbare]. Only now can one understand that there were no concepts for the Greeks. Indeed, in conSee Heidegger, Wegmarken, GA 9, 325 and 248, and Medard Boss (ed.), Zollikoner Seminare: Protokolle, Gespräche, Briefe, Frankfurt am Main, Vittorio Klostermann, 1987, 351 / Medard Boss (ed.), Zollikon Seminars: Protocols, Conversations, Letters, transated by Franz Mayr and Richard Askay, Evanston, IL, Northwestern University Press, 2001. 9 For Dreyfus, »Heidegger holds that we must learn to appreciate marginal practices – what Heidegger calls the saving power of insignificant things – practices such as friendship, backpacking in the wilderness, and drinking local wine with friends. All these practices remain marginal precisely because they resist efficiency.« Yet it is of note that for Heidegger, »the greatest danger is that even the marginal practices will be mobilized as resources.« Hubert L. Dreyfus, »Nihilism, Art, Technology, and Politics«, in: Charles B Guignon (ed.), Cambridge Companion to Heidegger, Cambridge, Cambridge University Press, 1993, 310. 8

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ceiving [Be-greifen], there is the gesture of taking possession. The Greek … on the contrary surrounds firmly and delicately [that] which sight takes into view, it does not conceive. 10

There is a way (Weg) in which one is to think how distance creates nearness (»der hinführt vor … und sich das zeigen läßt«), a means by which the thing shows or bears its intelligibility. This (diese, that is, something particular) phenomenology is »a phenomenology of the inconspicuous.« 11 In general, the Zähringen Seminar offers a final reflection back on what Heidegger thinks the original merit of Sein und Zeit to be. Husserl had neglected to attend to the non-metaphysical »meaning« of Being itself, and focused instead on the acts of being-conscious (Begreifen, conceiving). Yet »Being in the world,« (Dasein, being-open, Ex-sistence,) is to experience oneself more originarily in that it somehow allows access to what is persistently taken for granted: the everhiding clearing work of Being. Being is the basic way in which things reveal themselves and their intelligibility. The truthing or discovery of Being is essential to one’s most fundamental experience with things. As he refers to ἀλήϑεια in Sein und Zeit, »unconcealment« has a »self evident« and »pre-philosophical basis« that exceeds beingconscious. 12 Thus, the worldhood of the world is but a means to »raise anew« the question of being (and the clearing of Being), which is to be understood in its pre-conscious and pre-philosophical truth (or clearing). Next, Heidegger attends to the differences between sensuous and categorial intuition, and the ways in which one’s categorial projections upon objects precedes that of sense data. Despite one’s experience with a square, flat top and four posts, one sees a table because it is of particular interest in that given moment in time, such as a place for me to eat. It is pertinent to one’s present involvement in the world. Although sense data bring things to appearance, they most often do Heidegger, Zähringen Seminare, GA 15, 377 / Martin Heidegger, »The Zähringen Seminar«, in: Four Seminars, Bloomington, Indiana University Press, 2003, 80. »So verstanden ist die Phänomenologie ein Weg, der hinführt vor … und sich das zeigen läßt, wovor er geführt wird. Diese Phänomenologie ist eine Phänomenologie des Unscheinbaren.« 11 Heidegger, Zähringen Seminare, GA 15, 377. 12 Heidegger, Sein und Zeit. GA 2, 262 / Martin Heidegger, Being and Time, translated by John Macquarrie and Edward Robinson, New York, Harper and Row, 1962, 219. 10

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not manifest themselves. The hyle, or building blocks of sensuous perception (for instance hardness, shape, color) make objects’ appearance possible, yet their data elusively disappear or become inconspicuous in preference for the things we wish to see insofar as such data is effective upon the changing structure of consciousness as well as the object itself. In another sense, the categorial/sensuous relation is indeed mediated in a way that the appearances of things might make semipermanent impressions that fix phenomena into place without the active movement of taking »things as,« which entails that one engages this unfixed relation in a discursive (dis-currere) way by reflecting back and forth between one’s thoughts about the matter at hand, and the content of the things that appear. 13 Heideggerian Being operates in a way that allows going beyond the distinction between the sensuous and categorial, and for relating with what we take to be seemingly ideal preferences for what straightforwardly appears to us as obvious and clear. In Sein und Zeit, the thing is in the world, and Dasein becomes the ek-statically outside and open or appropriated (ereignet) beyond the stationary immobility. 14 Here, in Being »immanence is broken through and through« despite instantaneously relating with things via a going »out of oneself.« As thrown-open and appropriated to such a state of ex-sistence, one is always already in this state of being-in-the-clearing outside of oneself. This relation is instantaneous by merit of its attunement, not to the mere presence of a thing, but with presencing itself (Anwesenheit). 15 The »here and now« and the »sensical« are brought into presence, into a giving of sense in the distant reach of what seems in a certain immediacy. The present, in and of itself, is brought into manifestation or presence. Yet how might the present be presenced? In order to access the Sheehan interprets that »[f]or us, the Sein of something shows up only in discursive thinking and acting—that is, only when we take a thing as such-and-so, or in terms of this or that possibility. When I take something as, whether in theory or praxis, I understand the Sein of the thing, whether correctly or incorrectly.« Thomas Sheehan, Making Sense of Heidegger: A Paradigm Shift, London, Rowman and Littlefield International, 2014, 21. 14 Heidegger, Zähringen Seminare, GA 15 / Heidegger, »The Zähringen Seminar«, 70. 15 Heidegger also makes reference to Abwesenheit, which is associable with das Nichts. He refers to a »mögliche Abwesenheit« or dynamic »possible absence« in Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie, GA 18, 376. 13

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present (as a kind of truth-being) one must follow a certain inconspicuous path of going away in order to relate with that which is before oneself. No such kind of paradoxical presence was thought by Husserl, yet for Heidegger such absence or awayness is essential to thinking Being, and these general interpretations of Heidegger’s »inconspicuous« in relation to categorial intuition and presencing are further confirmed in a letter to Roger Munier shortly after the seminar at Zähringen in which he wrote that an approach to the inconspicuous allows for the arrival at a »phenomenological ›seeing,‹« according to which one performs an »exercise,« that is, a study of the howstructure of the appearance, of that which is present-absent or »inconspicuous.« 16 This would lend further understanding to how and why, in the Zähringen Seminar, Heidegger argues tautologically that »presence presences.« Presence is presented (anwest nämlich Anwesen) in a way that its active presencing can be bracketed long enough for one to think beyond the distinction between presence and absence. This is an inconspicuous operation in that it is capable of being indicated (as it protrudes into the visible, hervortreten) or sketched (in distinction from indication as a straightforward signaling or pointing). This becomes tautological when awayness and beforeness of the phenomenal intelligibility of presence are both given simultaneously. This is not only on temporal grounds, but also in spatial dimensions. In the appendix to the Four Seminars, Heidegger adds that the space in which presencing presences is »right ›at‹ and in unconcealment …« within αληθεια, which makes presence not simply a direct »openness,« but an indirect »… fitting, encircling revelation.« 17 Inconspicuousness is marked by such an encircling and of presence tautologically presencing itself. Is this tautology-speak mere sophistry, or is it actually a helpful means of fulfilling the tasks of phenomenology to sift through the differences between appearance and non-appearance? For Heidegger, this inconspicuousness is »clearly a tautology«: On April 16, 1973 Heidegger writes »[f]or me it is a matter of actually performing an exercise in a phenomenology of the inapparent; by the reading of books, no one ever arrives at phenomenological ›seeing.‹« Martin Heidegger, »the Appendix« to Four Seminars, Bloomington, Indiana University Press, 2003, 89. Thought must be brought »into the clearing of the appearing of the unapparent.« Martin Heidegger, »Letters to Roger Munier« (dated Feb 22, 1974) in: Michel Haar (ed.), Martin Heidegger, Paris, Editions de l’Herne, 1983, 115. 17 Heidegger, »The Zähringen Seminar«, 96. 16

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»We are here [at the aforementioned tautology] in the domain of the inconspicuous: presencing itself presences. The name for what is addressed in this state of affairs is: to eon, which neither beings, nor simply being, but to eon: presencing: presencing itself. In this domain of the inapparent, [and] ›along this path there are a great number of indications.‹« 18 That which occurs in this domain is indicated, and as central to the Greek understanding of truth, »Indication is what shows and lets be seen, in that it depicts what is to be seen.« 19 Indication works by actively depicting something as meaningfully present, with the depiction drawing attention to one’s presently given (and short-lived) context. The multiformity of a thing’s being indicated lends to a partial, yet sufficient unconcealment to which one might attend. It is very likely the seemingly sophistical elements of Heidegger’s tautology here that recently led Figal to wonder if Heidegger’s »tautologisches Denken« is not »wirklich eine Phänomenologie des Unscheinbaren« (not »really a phenomenology of the inconspicuous«). 20 The tautology of presence getting presenced appears to be mere sophistry; yet, is tautology not one of the necessary phenomenological doors through which one must enter in order to go beyond the dialectic? Thinking tautologically may operate as a form of involution in that it initiates a thought process whereby one inverts a construction of thought, then determines its inverse claim is equal to the original claim, although arrived at differently. Yet this indeed marks the most »extreme« of phenomenologies, and this is why »in this regard we must thoroughly recognize that tautology is the only possibility for thinking what dialectic can only veil.« 21 Therefore, what is necessary are new attunements to the unconcealment of concealment and the specific modes and forms of concealment. It is not to

Heidegger, »The Zähringen Seminar«, 79. Heidegger, »The Zähringen Seminar«, 79. 20 Figal, Unscheinbarkeit, 15. »Ist Heideggers tautologisches Denken, wie es skizziert und aus seiner Entwicklungsgeschichte erläutert wurde, wirklich eine Phänomenologie des Unscheinbaren? Wenn das tautologische Denken so zu verstehen ist, wie es dargestellt wurde, darf die Frage mit ›nein‹ beantwortet werden.« »Is Heidegger’s tautological thinking, as outlined and explained in its developmental history, truly a phenomenology of the inconspicuous? If his tautological thinking is to be understood in its presentation, the question may merit the answer ›no.‹« 21 Heidegger, »The Zähringen Seminar«, 81. 18 19

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presence itself that attention is to be directed, but rather the temporal and spatial gap between presence and absence, which is inconspicuous.

3.

Three Interpretations

Given its brevity, this essay is hardly comprehensive, even in reference to the Zähringen Seminar. And given the number of other places in his work in which he engages in this topic, the essay can only be seen as prolegomenous. Yet it remains necessary to try to now make sense of these references, at least in the context of the Zähringen Seminar. It may be that the following three interpretations, in the final analysis, are not mutually exclusive. 1.) A first interpretation entails that Unscheinbarkeit is a character trait of all phenomena, and therefore one means of interpreting a phenomenological approach to Being. Phenomenology is a means of »uncovering« the hidden (Λήθη) in its many forms, namely, the hiddenness inherent within an interminability that reveals that and how there is always-more-to-be-disclosed. Dasein’s being appropriated (ereignetes Dasein) or a moment of appropriation (Ereignis) could mark the moment at which Dasein becomes aware of the paradoxical inconspicuousness of phenomena. Despite this awareness and appropriation, the intricacies of possible intelligibility are obscure. Inconspicuousness can be thought to reside in any phenomenal appearance, and the task is to respond to the uncovering of that which is covered by trying continuously to make Being intelligible. Most scholars who have offered at least some interpretation of Heidegger’s inconspicuousness (for example Dastur, Taminiaux, Gonzalez, Benson, and Simmons) tend to interpret it this way. As Dastur notes, the inconspicuous is »the nonappearance that resides in all appearing, the event itself of apparition and the giving of being.« 22 This view fits quite consistently within Heidegger’s overall project. It is seemingly clear that the a priori of appearance can never be brought fully to light. The inner oscillation at work in a-lethia Françoise Dastur, »La pensée à venir: une phénoménologie de l’inapparent?« in: Catherine Collobert (ed.), L’avenir de la philosophie est-il grec?, Saint-Laurent, Quebec, Fides, 2002, 146. See also Miguel de Beistegui, Truth and Genesis: Philosophy as Differential Ontology, Bloomington, Indiana University Press, 2004, 115–116, and 127. See also Gérard Guest, »Aux confins de l’inapparent: l’extrême phénomenénologie de Heidegger,« Existentia, 12, 2002, 123.

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between unconcealment and concealment is in some way operatively inconspicuous. Being necessarily transcends the ordinary phenomenal entities through and in which it shines, illuminates and gives itself. Indeed and after all, it was Jean Beaufret’s question concerning the Seinsfrage and the way in which the transcendens of Being is phenomenology’s most primal quest, that inspired the Zähringen Seminar. 23 2.) A second way to interpret Heidegger’s phenomenology of the inconspicuous is to more specifically suggest that there is a kind of phenomenology or reduction that involves the study of the stratification and lamination of the inconspicuous within the everyday. Heidegger indeed appears to be introducing something new into phenomenology, what Janicaud wagered to be a »new form of thought.« 24 What could, for now, be called a particular step in phenomenology is being introduced. This step would involve the active attuning of oneself to the many strata of various modes of potential hiddenness (Verborgenheit and its cognates, from deception to treasuring) within all phenomena, and »inconspicuousness« is now to be included as a form, mode, or »manifestation« among them. In which case, one can only get at the particularly un-shiny corners of experience within intuition through actually performing the exercises of such a phenomenology. How might one access that which hides inconspicuously? There is significant precedence for this interpretation, so long as one takes seriously Heidegger’s reference to the performance of an »exercise in the phenomenology of the inconspicuous.« In this case, the adjective inconspicuous directly refers to the phenomenology itself. Such an exercise, it seems, would necessarily involve becoming more attuned to the oscillation between the present and absent. The effort that one would make in such an exercise would involve attending to movements; namely, to the presencing and withdrawal of As Taminiaux put it, »Heidegger’s fascinated gaze found in the Logical Investigations the emergence of a group of themes which incite the Seinsfrage in Sein und Zeit: namely that being transcends the entity, that being is the transcendens par excellence, that being is in a special sense the phenomenon of phenomenology, that the entity’s coming-into-appearance requires a prior understanding of being, that this understanding, to the extent to which it is beyond, is nonetheless inseparable from an exposition of an entity, that the excessiveness of being is the cradle of truth.« Jacques Taminiaux, »Heidegger and Husserl’s Logical Investigations in Remembrance of Heidegger’s last Seminar (Zähringen, 1973),« Research in Phenomenology, 7:1, 1977, 79. 24 Dominique Janicaud, Phenomenology »Wide Open:« After the French Debate, New York, Fordham University Press, 2005, 75. 23

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things as they are taken up and dropped by conscious awareness. Since phenomenology cannot occur »through the reading of books,« then a phenomenology of the inconspicuous is therefore enacted, perhaps much like a rack and pinion, by actively attending to the profound potentia according to which non-spectactular phenomena might give themselves. Under this interpretation, all phenomena, no matter how ordinary, are capable of bearing the traits of inconspicuousness; yet, as an exercise, it entails some volitional and determinative effort in order to arrive at phenomenological reflection. 3.) The third interpretation is that Heidegger conceives of unscheinbar as a direct reference to specific phenomena that paradoxically exceed the visible/invisible (sichtbar/ unsichtbar) polarity by having a unique set of traits that are present yet absent. This would likely also entail a corresponding means to accessing their specific modes of givenness. As inconspicuous, these phenomena would forfeit their phenomenality in a unique way, yet still remain qualified as phenomena with which one might have some relation. The intelligible data of these phenomena would need to be overlooked by cognition in ways that other phenomena are not, namely, by harboring a unique mode of accessibility according to which a traditional means of access would foreclose their access. Through an engagement of tautological thinking, the presencing (das Anwesen) of the presence (die Anwesenheit) of inconspicuous phenomena would entail an establishment of, and engagement with multivalent forms of withdrawal, to which Heidegger attends in Poetry, Language, Thought. This interpretation is not without some concern, however: If these phenomena are to remain inconspicuous, then how might they be accessed or referenced? Is only one aspect of inconspicuousness sufficient for one to have had an experience with that which is presented to experience as inconspicuous, or must one experience an inconspicuous thing in its fullness? 25 It may be that specific phenomena which harbor the traits and tendencies of inconspicuousness may ultimately undermine, or worst, contradict themselves. A further worGonzales wonders if such an approach is »a continually self-deconstructing attempt to bring into view what can never be brought into view but where the always inapparent could nevertheless be indicated in the very process of self-deconstruction.« Perhaps this concept is left ambiguous »precisely in order to be able to practice dialectic while insisting on and aspiring to something else which this very practice undermines.« Francisco J. Gonzales, Plato and Heidegger: A Question of Dialogue, College Station, Penn State Press, 2011, 308.

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ry for this position is that it does not become reducible to invisibility (Unsichtbarkeit), and therefore a new, inaccessible and metaphysical eidos; one Heidegger already banished in his critique of ontotheology. Such inconspicuous phenomena must be a part of this world, not any other, and inconspicuousness would need to be the character trait of/ within that which is presented by indicating unique movements of intelligibility that seek to dissolve the »embarrassing« dialectic to which Heidegger referred in Sein und Zeit.

4.

Being, Overlooked: The Inconspicuousness of Heidegger

What remains essential to any interpretation of inconspicuousness is that it is not reduced to invisibility. In reference to φύσις, which in the course on Heraklit in the summer semester of 1943 was referred to directly as inconspicuous, Heidegger notes that das Unscheinbare is in no instance the unseen or invisible (keineswegs ›das Unsichtbare‹), as some »philological translations incorrectly render it.« 26 A thing that is »inconspicuous« (unscheinbar) is unobtrusive, like a wallflower that is present yet quickly overlooked. It therefore is irreducible to being visible or invisible (unsichtbar) for in its being given to conscious experience it is presented as something with which one can be in relation, yet simultaneously, is absent and not »shining« (phaeithein) or illuminative. There are likely good reasons as to why Figal recently opted not to provide a deeper investigation into this concept of Heidegger’s. And certainly there are good reasons why Heidegger, after his last seminar in 1973, left his treatment (collected in a series of protocols) of inconspicuousness slightly ambiguous. It is believed that each of the aforementioned interpretations reflects some interest of Heidegger; yet, it is a version of the third interpretation that may be found the most original. To temper this claim, one might suggest that there are phenomena that have a greater tendency to inconspicuousness Heidegger, Heraklit. 1. Der Anfang des abendländischen Denkens, GA 55, 143. For Heidegger »Die φύσις kommt nicht innerhalb des Aufgehenden und Aufgegangenen auch vor, so wie ein Erscheinendes, sondern sie ist in allem Erscheinenden das Unscheinbare, aber keineswegs »das Unsichtbare«, wie die schon genannten philologischen Übersetzungen fälschlicherweise wiedergeben. Die φύσις ist nicht das Unsichbare, sie ist im Gegenteil gerade das anfänglich Gesichtete, das, obzwar zunächst und zumeist, ja oft überhaupt nie eigens Erblickte.«

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Heidegger, the Wallflower in Günter Figal’s Unscheinbarkeit

than others; certain phenomena that are more likely to present traits or varying degrees of inapparency. There are things that are mysterious in the colloquial sense of their not being intelligible or knowable to/by us, yet there is also a sense of the mysterious in which inconspicuousness is a primary characteristic, as Heidegger put it in the Parmenides Seminars. Even if all ordinary phenomena are capable of bearing, sending, or presenting uncanny mysteriousness, some phenomena will take on more profound layers of intelligibility as they are made meaningful by me as I relate with the world and its constant stream of intelligible data. Thus understood, inconspicuous phenomena (and their ensuing phenomenologies or steps) lead one to a particular path: One that »leads [one] away in order to [truly] come before [a phenomenon].« One nearly inarguable and consistent thread that runs throughout Heidegger’s references to the inconspicuous is that it must have some relation with the ordinary. Anything can become ordinary, and that is a fundamental insight that phenomenology teaches. The paradox of inconspicuousness is that what I think and presume to be clear is precisely, in that moment, the most unclear of all things. An approach that allows for the experience of something inconspicuous involves the active being-caught-up in the ordinary in such a way that something mysterious can shine through it. Inconspicuousness is fundamentally sutured to that which is overlooked, which implies that something has taken the status of being ordinary. This is why one element of the functioning of truth and one’s realization of the inconspicuous is a part of the very nature of the act of unconcealment; an unconcealment that is a phenomenological seeing at which one might arrive, which is a contested presencing that transcends what the fangs of the will could apprehend. Seeing things inconspicuously could refer to modes of apprehension that elude the conceptual grasp of consciousness, by guiding one to seeing anew things at-hand that are so easily overlooked and in our direct proximity. Instead of favoring shinier things whose celebrity or spectacle (conspicere relates to specere) steal away our attention, a phenomenology of the inconspicuous could be a way of actively making such spectacle phenomena insignificant through dis-recognition. This kind of thinking may be of use today for phenomenology in providing one more tool capable of sharpening one’s ability to study the intricate relations between lethe and aletheia, between the concealment of oblivion (λήθη) and the discovery (ἀ-λήθεια) of that which is inconspicuously given over 237 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Jason W. Alvis

to experience. If the uncanny (das Unheimliche) »itself in its essence is the inconspicuous, the simple, the insignificant, which nevertheless shines in all beings«, then it is according to a unique operation that the uncanny reveals itself from out of the ordinary, and there must be some means by which this unique form of illumination might be engaged or studied. 27 And if, as the Presocratics understood quite well, we can become oblivious to ourselves (and even our having-been-appropriated), overlooking the intelligibilities of that which is the nearest of all things, then it makes even more sense to conclude that there must be some means by which the husk of ordinariness that houses the uncanny or to deinon of Being can be made intelligible. It is in these regards that a phenomenology of the inconspicuous may prove helpful.

Martin Heidegger, Parmenides, translated by André Schuwer and Richard Rojcewicz, Bloomington, Indiana University Press, 1992, 105. The uncanny reveals itself from within the ordinary: »the uncanny, or the extraordinary, shines throughout the familiar ambit of the being we deal with and know, beings we call ordinary.«

27

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Die Räumlichkeit des Daseins Der Versuch mit dem späten Heidegger, die Existenz vom Raum her zu denken Giovanna Caruso

Zusammenfassung: In Sein und Zeit ist die menschliche Lebensgestaltung auf den Umgang mit den Dingen angewiesen. Heidegger erklärt die Möglichkeitsbedingung der Dingbegegnung anhand einer dem Menschen eigentümlichen Räumlichkeit, die in Sein und Zeit in der konstitutiven Zeitlichkeit des Daseins existenzial fundiert ist. In Anlehnung an Heideggers spätere Texte, in denen sich die Frage nach dem Verhältnis von Raum und Mensch aufdrängt, wird es möglich, die Räumlichkeit des Daseins von ihrer Fundierung in der Zeitlichkeit abzulösen. Der Aufsatz zeichnet die Schritte dieser Ablösung auf, um eine dem Menschen eigentümliche Räumlichkeit, die – anders als in Sein und Zeit – vom Raum her gedacht wird, herauszuarbeiten. Diese Räumlichkeit wird sich als Möglichkeitsbedingung der Dingbegegnung und daher der menschlichen Lebensgestaltung herausstellen. Im Anschluss daran wird es notwendig, die menschliche Existenz anhand einer gegenseitigen Implikation von Zeit und Raum im Sinne konstitutiver, existenzialer und gleichursprünglicher Seinsweisen des Menschen neu zu denken. Abstract: In Being and Time, the human way of life is presented as dependent on interaction with things. Heidegger explains the condition of possibility of encountering things on the basis of a particularly human spatiality which in Being and Time is existentially grounded in the constitutive temporality of human existence. Following Heidegger’s later texts, it is possible to detach this existential spatiality from its foundation in temporality. The claim of the paper is to point out the most important steps of such a detachment of spatiality from temporality, and to elaborate a concept of human spatiality that is – in contrast to Being and Time’s conception – based on space and not on time. This spatiality will turn out to be a condition of possibility of human interaction with things and therefore of human lives in general. Hence building up on this, it becomes necessary to rethink human existence on the basis of a mutual implication of time and space in the sense of constitutive, existential and equally original ways of being human.

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Giovanna Caruso

1.

Einleitung

Die Frage nach dem menschlichen Leben, die in Sein und Zeit ihre ausführliche und systematische Herausarbeitung findet, wird von Heidegger im Versuch verortet, den Horizont für die Frage nach dem Sinn des Seins offenzulegen. 1 Dennoch soll die funktionale Rolle, die Heidegger daher der Bestimmung des menschlichen Lebens im Rahmen der Seinsfrage zuschreibt, nicht dazu führen, Heideggers Interesse am menschlichen Leben zu unterschätzen. Denn »in der existenzialen Analytik des Daseins [wird] eine Aufgabe mitgefördert […], deren Dringlichkeit kaum geringer ist als die der Seinsfrage selbst: Die Freilegung des Apriori, das sichtbar sein muß, soll die Frage, ›was der Mensch sei‹, philosophisch erörtert werden können« 2. Angesichts dieses Vorhabens bemüht sich Heidegger, das menschliche Leben vom Leben her zu bestimmen. Dabei definiert er als Existenz die dem Menschen eigentümliche Lebensform, 3 deren ursprünglicher Seinssinn in der Zeitlichkeit liegt. 4 Das Verlassen der fundamentalontologischen Perspektive zugunsten des seinsgeschichtlichen Horizonts für die Seinsfrage 5, unter der das gesamte Forschungsprojekt von Sein und Zeit gedacht und entwickelt wird, rückt das Denken des Seins aus dem Ereignis noch stärker in den Fokus des Forschungsinteresses Heideggers, wobei die Zeitlichkeit in Bezug auf das Seinsverständnis hervorgehoben wird. Entsprechend scheint die Frage nach dem menschlichen Leben unter der neuen seinsgeschichtlichen Dimension als belanglos. 6 Dennoch lässt sich in den Schriften der 40er und 50er Jahre ein zunehmendes Interesse am Leben feststellen. In Aufsätzen wie Bauen Wohnen Denken, 7 Die

Heidegger betont schon im einleitenden Teil von Sein und Zeit die funktionale Rolle der Analytik des Daseins bezüglich der Seinsfrage. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 21–26. Er wiederholt immer wieder, dass die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leben nur als Vorbereitung für die Frage nach dem Sein gelten soll. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 282 und 307. 2 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 60. 3 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 57. 4 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 312. 5 Für eine systematische Erörterung der seinsgeschichtlichen Perspektive vgl. Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65. 6 Vgl. Martin Nitsche, Die Ortschaft des Seins. Martin Heideggers phänomenologische Topologie, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2011, 17–32. 7 Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 145–164. 1

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Die Räumlichkeit des Daseins

Frage nach der Technik 8 oder den Bremer Vorträgen 9 drängt sich die Frage nach der Möglichkeit der tatsächlichen Lebensgestaltung in einer geschichtlich bestimmten Welt auf. Auch in diesen Texten zielt Heidegger darauf ab, die Frage nach dem Sein und präziser die Seinsvergessenheit und die daraus entstehende »höchste Gefahr« 10 für das menschliche Leben zu schildern. Ganz unabhängig von diesem Kontext arbeiten diese Texte einige dem Menschen eigentümliche Wesenszüge heraus, die jenseits von Heideggers fundamentalontologischem oder seinsgeschichtlichem Denkhorizont Geltung für die Möglichkeitsbedingung der tatsächlichen, menschlichen Lebensgestaltung haben. Dieses erneute Interesse an der menschlichen Existenz lässt sich bis zu den letzten Aufsätzen Heideggers explizit oder latent feststellen, vor allem wenn Heidegger sich die Frage nach der Bedeutung der Kunst oder der Technik als zwei gleichursprünglichen und doch unterschiedlichen Weisen der Hervorbringung des Seienden in der heutigen Zeit stellt. 11 Vor dem Hintergrund der Akzentverschiebung auf das Ereignis und auf den damit einhergehenden zeitlichen Charakter des Seins erweist sich als überraschend und daher bemerkenswert, dass der Raum mit Blick auf die Möglichkeit der konkreten, menschlichen Lebensgestaltung eben ab den 40er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wie Günther Neumann betont, 12 löst Heidegger schon in den Beiträgen zur Philosophie 13 den Raum von seiner starken Abhängigkeit von der Zeit ab. 1962 distanziert sich Heidegger eindeutig von dem in Sein und Zeit herausgearbeiteten Verhältnis von Zeitlichkeit und Räumlichkeit: »Der Versuch in ›Sein und Zeit‹ § 70, die Räumlichkeit des Daseins auf die Zeitlichkeit zurückzuführen, läßt sich nicht halten«. 14 Er revidiert seine Auffassung der Räumlichkeit des Daseins. Obwohl Heidegger weder ein neues Verhältnis von Zeit

Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, 9–40. Heidegger, Bremer und Freiburger Vorträge, GA 79, 1–78. 10 Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, 30. 11 Für die Gleichursprünglichkeit von Technik und Kunst als Weisen der Hervorbringung des Seienden vgl. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, GA 5, 1–66; Heidegger, Die Frage nach der Technik, GA 7, 9–18. 12 Vgl. Günther Neumann, Die Ursprungsordnung von Orten und mathematischen Räumen, Heidegger Studien, 21, 2005, 35–56, hier 39. 13 Heidegger, Beiträge zur Philosophie, GA 65, 377, 380, 383, 384, 385. 14 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 29. 8 9

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Giovanna Caruso

und Raum noch die Räumlichkeit hinsichtlich der menschlichen Lebensgestaltung ausführlich und systematisch herausarbeitet, lässt sich in seinen späteren Texten der Versuch erkennen, das menschliche Leben vom Raum her zu denken. Im Rahmen seines späten Versuchs, die Wahrheit als die »Ortschaft des Seins« 15 anhand einer »Topologie des Seyns« 16 zu erläutern, wird die konkrete Gestaltung des menschlichen Lebens in enger Verbindung mit einer dem Menschen eigentümlichen Räumlichkeit gedacht. In Anbetracht dessen kann die These gewagt werden, dass Räumlichkeit – als transzendentale Räumlichkeit und zugleich als dreidimensionaler, physischer Raum verstanden – die Möglichkeit für die Verwirklichung der ontologischen Endlichkeit des Menschen bereitstellt. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Spuren dieser Räumlichkeit in Heideggers Texten zu verfolgen, um ihre Tragweite für die Möglichkeit der Lebensgestaltung zu schildern. Dabei wird die Begegnung des Menschen mit den Dingen aus zwei Gründen eine zentrale Rolle spielen. Der erste Grund besteht darin, dass die Dinge trotz unterschiedlicher Definitionen Heideggers 17 in allen Phasen seines Denkens jene Bezugspunkte, an denen das menschliche Leben sich gestaltet, darstellen. Eng damit verbunden erschließt sich der zweite Grund, der darin liegt, dass Heidegger seine Bemerkungen über den Raum und sein Verhältnis zum menschlichen Leben stets anlässlich der Dingbegegnung entfaltet. 18 Angesichts des hier skizzierten Vorhabens, die Räumlichkeit des Daseins zu erkunden, stellen Sein und Zeit, Bauen Wohnen Denken und die kleineren Texte über die Kunst der 60er Jahre exemplarische Etappen der heideggerschen Herausarbeitung des Verhältnisses von Leben und Raum dar. Im Folgenden wird daher in drei Schritten, die sich jeweils auf die eben genannten drei Texte stützen und die daher zumindest in Blick auf das Verhältnis von Raum und Leben drei Pha-

Heidegger, Seminare, GA 15, 335. Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, GA 13, 84. 17 Für die verschiedenen Bedeutungen des Worts ›Ding‹ in der Entwicklung des Denkens von Heidegger vgl. vor allem Heidegger, Sein und Zeit, GA 2; Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, GA 5, 1–66; Heidegger, Die Frage nach dem Ding, GA 41; Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 145–164; Heidegger, Kunst und Raum, GA 74, 197–200. 18 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 85–118 und 135–151; Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 145–164; Heidegger, Kunst und Raum, GA 74, 197–200. 15 16

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Die Räumlichkeit des Daseins

sen des heideggerschen Denkens entsprechen, die Räumlichkeit des Daseins erläutert.

2.

Sein und Zeit. Das Leben entscheidet sich bei den Dingen

Wie schon vorweggenommen, hat die Analytik des Daseins in Sein und Zeit nur die Funktion, den Horizont für die Frage nach dem Sinn des Seins vorzubereiten. Dennoch gelingt es Heidegger in seiner Auseinandersetzung mit dem Dasein, jene Wesenszüge des menschlichen Lebens zu zeigen, die, von jeder ontologischen oder erkenntnistheoretischen Vorannahme abgesehen, das Leben auszeichnen. Denn Heidegger versucht, das menschliche Leben vom Lebensvollzug her zu denken und dessen grundlegende Strukturen aufzuzeigen. Indem er das menschliche Leben als Existenz bezeichnet, nimmt er eine deutliche Akzentverschiebung in der philosophischen Tradition vor, die das Leben als essentia stets im Sinne des bloßen Vorhanden-seins betrachtet hat. 19 Mit dieser Akzentverschiebung setzt er den Menschen dem Vollzug des Lebens gleich. Der Mensch lässt sich daher jenseits seines Lebens in keiner Weise bestimmen. Er ist – so könnte man sagen – immer schon sein geführtes Leben. Die Anstrengung Heideggers, das Leben in seiner prozesshaften, beweglichen Ganzheit zu fassen, konkretisiert sich im Strukturganzen der Sorge, 20 die Heidegger als »Sein des Daseins« 21 definiert, und die nach seiner Auffassung aus drei Wesensmomenten besteht: die Faktizität, das Sein-Können und das Sein-bei. 22 Damit bringt Heidegger die Spannung, die das Wesen des Menschen ausmacht, zum Ausdruck. Diese Spannung artikuliert sich zwischen der Verbindlichkeit der Bedeutungsstrukturen, zu der eine kulturell und geschichtlich bestimmte Welt den Menschen zwingt, 23 und der absoluten Jemeinigkeit, 24 die das menschliche Leben auszeichnet. Einerseits ist daher der Mensch »geworfener Entwurf« 25 und daher Produkt der Welt, in die er versetzt ist. Andererseits zeichnet das Existenziale des Sein-könnens 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 61–67. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 240–265. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 254. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 254. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 85–119. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 56. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 295.

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den Menschen als das Wesen aus, das über die eigene physisch-materielle Gegebenheit hinausgehen muss, um als verstehendes Wesen 26 bewusst einen Bezug zu sich selbst aufzubauen und die Verantwortung für die Gestaltung seines je eigenen Lebens zu übernehmen. Im Rahmen von Sein und Zeit und ausschließlich in Anlehnung an die heideggersche Entfaltung der Struktur der Sorge lässt sich behaupten, dass die Eigentümlichkeit des menschlichen Lebens in der Frage nach dem Sinn des Lebens besteht, aufgrund derer jeder Mensch auf das je eigene Selbst zurückgeführt wird. Diese das Wesen des Menschen auszeichnende Frage nach dem Sinn des Lebens überschreitet die Grenzen eines rein theoretischen Bereiches. Denn das menschliche Leben als Existenz ist immer schon ein bestimmtes, vollzogenes Leben. Es besteht im Vollzug selbst. Die Frage nach dem Sinn des Lebens lässt sich daher nur insofern beantworten, als der Mensch sein Leben tatsächlich gestaltet. Diese Gestaltung verwirklicht sich in der realen Welt, unter geschichtlich bestimmten, sozialen und politischen Verhältnissen, in all unseren Handlungen und Entscheidungen, ja sogar in all unseren Gedanken. Handlungen, Entscheidungen und Gedanken entfalten und verwirklichen sich anhand des dritten Moments, das die Sorge auszeichnet: das »Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seiendem)«, 27 das Heidegger im In-Sein fundiert wissen möchte: Das In-der-Welt-sein des Daseins hat sich mit dessen Faktizität je schon in bestimmte Weisen des In-Seins zerstreut oder gar zersplittert. Die Mannigfaltigkeit solcher Weisen des In-Seins läßt sich exemplarisch durch folgende Aufzählung anzeigen: zutunhaben mit etwas, herstellen von etwas, bestellen und pflegen von etwas, verwenden von etwas, aufgeben und in Verlust geraten lassen von etwas, unternehmen, durchsetzen, erkunden, befragen, betrachten, besprechen, bestimmen … 28

Aus diesem Zitat können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden, die für die Erschließung einer dem Menschen eigentümlichen Räumlichkeit und deren Tragweite für die Lebensgestaltung von besonderer Bedeutung sind. Erstens macht dieses Zitat deutlich, dass sich das Projekt unseres Lebens in unserem Umgang mit den Dingen realisiert. Durch unsere Einstellung zu den Dingen und durch die Begegnung mit den Dingen drückt sich aus, wer und wie wir sind. Zweitens 26 27 28

Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 190–213. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 256. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 76.

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knüpft Heidegger die Möglichkeitsbedingung der Dingbegegnung und daher der Lebensgestaltung zugleich an ein räumliches Existenzial: das In-sein. Der räumliche Charakter der Dingbegegnung wird außerdem durch die heideggersche Erschließung der Räumlichkeit des In-der-Welt-seins bestätigt und verstärkt, die, wie Helmuth Vetter zu Recht bemerkt, »durch Ent-fernung und Ausrichtung bestimmt wird« 29. Dennoch bleibt die existenziale Räumlichkeit des Daseins in Sein und Zeit in seiner konstitutiven Zeitlichkeit fundiert. 30 Räumliche Verhältnisse – seien sie existenzial oder physisch – treten nur anhand ursprünglicherer, dem Dasein konstitutiver, zeitlicher Bedeutungsstrukturen in Erscheinung. 31 Mit dem Wandel von der fundamentalontologischen zur seinsgeschichtlichen Ausarbeitung der Seinsfrage konzentriert sich Heideggers Interesse ab Ende der 20er Jahre vorwiegend auf das Ereignis. Konsequenterweise verliert das menschliche Leben seine zentrale Stellung in der heideggerschen Forschung. Trotzdem wird Heidegger durch das Denken des Ereignisses ab Ende der 40er Jahre erneut zu einer Auseinandersetzung mit der Lebensgestaltung des Menschen in der Welt geführt. Dies bringt ihn dazu, sich mit dem Verhältnis von Raum und Leben mit Blick auf besondere Dinge (die Bauten) zu konfrontieren.

3.

Bauen Wohnen Denken. Bauten als Orte

In Bauen Wohnen Denken bezeichnet Heidegger den Menschen als den Wohnenden: 32 »Grundzug des Wohnens […] ist das Schonen« 33. »Das Wohnen als Schonen verwahrt das Geviert (die Welt) in dem, wobei die Sterblichen sich aufhalten: in den Dingen.« 34 Die BegegHelmuth Vetter, Grundriss Heidegger, Hamburg, Meiner, 2015, 167. Vgl. auch Günter Figal, Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie, Tübingen, MohrSiebeck, 2015, 166. 30 Vgl. Vetter, Grundriss Heidegger, 485. 31 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, § 12 und § 70. Vgl. Vetter, Grundriss Heidegger, 167. 32 Heideggers Bestimmung des Menschen als Wohnender ist sehr komplex und hat Verbindungen auch mit der Dichtung, Hölderlin und der Sprache. Vgl. vor allem Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 313–364; Heidegger, »… dichterisch wohnet der Mensch …«, GA 7, 189–208. 33 Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 152. 34 Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 153. 29

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nung des Menschen mit den Dingen – und vor allem mit besonderen Dingen: den Bauten – greift viel tiefer als in Sein und Zeit in die Möglichkeit der Lebensführung und -gestaltung des Menschen ein und wird von Heidegger ausführlicher als in den 20er Jahren herausgearbeitet. Sie rückt deutlich in den Fokus seiner Überlegungen. Anhand des Beispiels einer Brücke verdeutlicht Heidegger, wie besondere Dinge – die Bauten – für den Menschen Ausgangspunkt eines Orientierungssystems werden: »Die Brücke […] verbindet nicht nur schon vorhandene Ufer. Im Übergang der Brücke treten die Ufer erst als Ufer hervor. […] Sie [die Brücke] bringt Strom und Ufer und Land in die wechselseitige Nachbarschaft. […] Die Brücke läßt dem Strom seine Bahn und gewährt zugleich den Sterblichen ihren Weg.« 35 Indem der Mensch einem Ding wie etwa der Brücke in vielfältiger Weise begegnet – indem er die Brücke baut, über die Brücke geht oder fährt, die Brücke als Teil einer Landschaft betrachtet, usw. – entstehen Bezugspunkte, Anhaltspunkte, die der Welt des Menschen eine Ordnung geben. Diese Bezugs- und Anhaltspunkte nennt Heidegger Orte. Er erläutert: »Der Ort ist nicht schon vor der Brücke vorhanden. Zwar gibt es, bevor die Brücke steht, den Strom entlang viele Stellen, die durch etwas besetzt werden können. Eine unter ihnen ergibt sich als Ort und zwar durch die Brücke. So kommt denn die Brücke nicht erst an einen Ort hin zu stehen, sondern von der Brücke selbst her entsteht erst ein Ort.« 36 Diese Orte werden Bezugspunkte für die Wahrnehmung und Einschätzung anderer Dinge. In Bezug auf die Brücke erscheint eine Stadt, die sich auf der anderen Seite der Brücke befindet, näher oder ferner; in Bezug auf die Brücke erscheint der Weg, der über die Brücke und zur Arbeit führt, länger oder kürzer, sodass der Umgang mit den Bauten – in diesem Fall das Errichten oder Überqueren einer Brücke – räumliche Bezugssysteme erst entstehen lässt. Dies führt Heidegger zu der Behauptung, dass der Mensch als Wohnender, insofern er sich bei den Dingen aufhält, die Dinge in Orte verwandelt, 37 und das heißt in Bezugspunkte der Gestaltung seiner Welt: »Die Sterblichen sind, das sagt: wohnend durchstehen sie Räume auf Grund ihres Aufenthaltes bei Dingen

35 36 37

Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 154. Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 156. Vgl. Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 158.

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und Orten. Und nur weil die Sterblichen ihrem Wesen gemäß Räume durchstehen, können sie Räume durchgehen« 38. Der Versuch Heideggers, jenseits der traditionell überlieferten Raumauslegungen das Verhältnis von Raum und Leben zu erschließen, gewinnt in diesem Text deutliche Konturen: »Die Frage nach dem Raum entfaltet Heidegger aus dem Wesen des Wohnens, dem vielfältigen Schonen des Gevierts.« 39 Diese Feststellung, die einerseits die Originalität des heideggerschen Zugangs zum Wesen des Raums betont, macht andererseits deutlich, dass Heidegger die Erschließung des Wesens des Raums und sein Verhältnis zum Leben in Bauen Wohnen Denken noch aus der ursprünglicheren Zeitlichkeit des Daseins herleitet. Denn die Orte, die der Mensch als Wohnender schafft, werden von Heidegger primär als Bedeutungsorte verstanden. Daher bleibt ihre Konstitution nur in einem abgeleiteten Sinne räumlich. Wie Heidegger selbst bemerkt, ist eine Brücke schon immer durch die Bedeutungsstruktur der Welt, in der sie gebaut wird, bestimmt. Sie ist kein neutraler Bau: Sie ist immer schon eine Stadtbrücke, eine Steinbrücke, eine Autobahnbrücke, 40 die Ausdruck einer geschichtlich und kulturell bestimmten Gestaltung der Welt als Bedeutungshorizont ist. Das Hervortreten eines reinen Raums bleibt an einen Abstraktionsprozess von Bedeutungsstrukturen gebunden. 41 Entsprechend bleibt die Möglichkeit der Begegnung des Menschen mit den Dingen für Heidegger von den Bedeutungsstrukturen abhängig, die die Lebenswelt des Menschen auszeichnen. Diese Bedeutungsstrukturen sind in der konstitutiven Zeitlichkeit des Menschen fundiert, der sein Leben als sinnvolles Projekt zu gestalten hat. Obwohl der Raum und die räumlichen Verhältnisse des Menschen mit den Dingen an Bedeutung gewinnen, bleibt die Verwandlung von Dingen in Orte nicht an eine Auseinandersetzung mit dem Raum, sondern primär an den konstitutiven zeitlichen Bedeutungsstrukturen, die das Wesen des Menschen ausmachen, gebunden. Erst in den 60er Jahren lässt sich ein radikaler Wandel bezüglich des Verhältnisses zwischen Raum und Leben feststellen. In einigen

Vgl. Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 159. Neumann, Die Ursprungsordnung von Orten und mathematischen Räumen, 38– 39. 40 Vgl. Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 147. 41 Vgl. Heidegger, Bauen Wohnen Denken, GA 7, 157–158. 38 39

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späteren kleinen Aufsätzen fragt Heidegger anlässlich seiner Überlegung zur Kunst explizit nach dem Wesen des Raums und dessen Verhältnis zum Menschen. Dieses Verhältnis wird nicht mehr nur von der konstitutiven Zeitlichkeit des Daseins her gedacht, sondern vom Raum her.

4.

Der Mensch als Raum-einräumend

Auch in den Texten, die im Folgenden betrachtet werden, verfolgen Heideggers Äußerungen über den Raum und über dessen Verhältnis zum Leben kein unmittelbares Interesse weder am Menschen noch am Raum. Wie schon bezüglich der Analytik des Daseins und der Bestimmung des Menschen als Wohnender bemerkt wurde, ergeben sich Heideggers Beobachtungen auch in diesen späten Texten im Rahmen einer Explikation der Stellung des Menschen zum Sein. Dennoch lässt sich aus einigen Textstellen ein Verweis auf einen Ur-Raum herauslesen, und aus diesem Ur-Raum eine dem Menschen eigentümliche Räumlichkeit. Denn in diesen Texten fragt Heidegger explizit nach dem Wesen des Raums: »Doch wie können wir das Eigentümliche des Raumes finden?« 42 Oder: »Was also ist der Raum als Raum?« 43 Die scheinbar tautologische Antwort, die Heidegger für diese Frage vorschlägt, ist alles andere als selbstverständlich. Sie stellt das bis dorthin immer wieder von Heidegger bestätigte Verhältnis von Raum und menschlichen, zeitlichen Strukturen in Frage. Heidegger schreibt: »Der Raum räumt. Was heißt Räumen? Es heißt roden – frei machen, frei geben. Der Raum kann nur deshalb etwas umfassen und es einbehalten – weil er räumt, freigibt in Offenes – und eingrenzt.« 44 Heidegger versucht hier den Raum vom Raum her zu denken und leitet ihn nicht von zeitlichen Strukturen ab. Er setzt hier einen Raum »an sich« voraus: Der Raum ist Raum, insofern er räumt. Heidegger gibt keine weitere Auskunft über die Beschaffenheit dieses Raums. Dennoch lassen sich aus seinen Texten einige Einsichten gewinnen, die zu einer, wenn auch sehr allgemeinen Charakterisierung dieses Heidegger, Die Kunst und der Raum, GA 13, 206. Martin Heidegger, Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum, St. Gallen, Erker-Verlag, 1969, 13. 44 Heidegger, Zur Frage nach der Kunst, GA 74, 194. 42 43

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Die Räumlichkeit des Daseins

Raums führen: Er ist weder als Behälter noch als messbarer Abstand zwischen zwei Dingen und auch nicht als allgemeine Dreidimensionalität, sondern als Bedingung der Möglichkeit all dieser verschiedenen Raumformen zu verstehen; und wiederum nicht im Sinne einer Kategorie der Anschauung a priori, sondern als etwas Reales. Der von Heidegger gedachte Raum lässt sich daher als transzendental und gleichzeitig als physisch charakterisieren: ein Ur-Raum; eine nicht weiter bestimmbare Weite, die alle möglichen physischen Raumbestimmungen ermöglicht. Entscheidend für die Erschließung einer dem Menschen eigentümlichen Räumlichkeit ist, dass die Dingbegegnung, und das heißt die Möglichkeit der Lebensgestaltung, von Heidegger in engem Zusammenhang mit diesem Ur-Raum, und präziser noch von diesem Raum her gedacht wird. Denn er schreibt weiter: Achten wir auf dieses Eigenste des Raumes, daß er räumt, dann sind wir erst imstande, einen Sachverhalt zu erblicken, der im Denken bisher nie gesehen wurde. Räumlich: räumend. Die Weise wie der Mensch im Raum ist – nicht so wie ein Körper, sondern der Mensch ist in der Weise im Raum, daß er den Raum einräumt, d. h. das Offene zuläßt und in ihm sich und seine Dinge einräumt – ordnet. […] Das menschliche Dasein ist in einem ausgezeichneten Sinne räumlich, einräumend den Raum und damit zulassend die im Offenen begegnenden Dinge. 45

Das hier angedeutete Verhältnis von Raum und Mensch wird in Anlehnung an eine andere Textstelle noch deutlicher: »Der Raum ist Raum, insofern er räumt (rodet), freigibt das Freie für Gegend und Orte und Wege. Aber der Raum räumt auch nur als Raum, insofern der Mensch den Raum einräumt« 46. Heidegger drückt mit dem Wort insofern das Verhältnis von Mensch und Raum aus und behauptet daher ihre gleichursprüngliche Gegebenheit und zugleich ihre gegenseitige Abhängigkeit. Der Raum verlangt vom Menschen, eingeräumt zu werden, und der Mensch nutzt den Raum, um sein Leben zu gestalten. Die zitierten Textstellen zeigen, dass Heidegger mehrmals versucht, den Bezug des Menschen zu sich selbst und sein Verhältnis zu den Dingen vom Raum her zu denken. Wie die Beschaffenheit des Raums an sich wird auch die dem Menschen eigentümliche Räum-

45 46

Heidegger, Zur Frage nach der Kunst, GA 74, 194–195. Heidegger, Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum, 14–15.

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lichkeit nur angedeutet und nicht ausführlich herausgearbeitet. Diesbezüglich scheint der Begriff der Unscheinbarkeit, anhand dessen Günter Figal den Raum bestimmt und beschreibt, von großer Bedeutung für die Charakterisierung einer ursprünglichen Räumlichkeit zu sein. 47 Denn dadurch gelingt es Figal, die phänomenale Natur des Raums zu fassen und dessen unbestrittene Gegebenheit zu behaupten, ohne den Raum in herkömmliche, begriffliche Kategorien zu zwängen. Dennoch will der hier unternommene Versuch, eine ursprüngliche Räumlichkeit des Daseins zu erläutern, anders als bei Figal weder zu einer Umkehrung des Fundierungsverhältnisses von Zeitlichkeit und Räumlichkeit des Daseins führen, noch einen Vorrang der Räumlichkeit gegenüber der Zeitlichkeit behaupten. 48 Auch die These von Charles Henry Seibert, der im späten Heidegger die Gleichursprünglichkeit von Zeit und Raum aufgrund ihrer Ununterscheidbarkeit erkennt, ist im Kontext der hier skizzierten daseinsmäßigen Räumlichkeit nicht haltbar. 49 Der zeitliche Charakter seines Existierens bleibt dem Menschen eigentümlich. Zu dieser Zeitlichkeit kommt – sozusagen – etwas hinzu. Denn Heidegger berücksichtigt hier über die Zeitlichkeit hinaus eine dem Menschen eigentümliche Räumlichkeit, die sich abgelöst von seiner Fundierung in der Zeitlichkeit behaupten lässt. Der Mensch begegnet Dingen und schafft Orte, nicht nur weil er sich schon immer in Bedeutungsstrukturen befindet und als zeitliches Wesen die Dinge in einen sinnvollen Zusammenhang integriert. Vielmehr schafft der Mensch Orte auch deshalb, weil ihm zugleich ein Raum gegeben ist, der die Bedingung der Möglichkeit jedes physischen und daher auch existenzialen Ortes ist. Das radikale Neue besteht darin, dass die physische Realität dieser Orte zugleich mit ihrer Bedeutungsstruktur gegeben ist und nicht von dieser abgeleitet wird.

Vgl. Figal, Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie, Tübingen, Mohr Siebeck, 2015, 76–87. 48 Für den Vorrang des Raums gegenüber der Zeit Vgl. Figal, Unscheinbarkeit. Der Raum der Phänomenologie, 171–190. 49 Vgl. Charles Henry Seibert, On Being and Space in Heidegger’s Thinking, Dissertation an der Chicago University, 1972, 262. 47

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Die Räumlichkeit des Daseins

5.

Fazit

Die Ablösung der Räumlichkeit von ihrer Fundierung in der Zeitlichkeit veranlasst zu einigen Bemerkungen, die die Möglichkeit der tatsächlichen Lebensgestaltung des Menschen und seine gesamte Existenz betreffen. Denn der Vorrang der Zeitlichkeit in der Struktur der Sorge, der in Sein und Zeit behauptet wird und den die Texte der 40er Jahren noch aufrecht erhalten, verwandelt sich nun mit der hier vertretenen These in eine Gleichberechtigung von Zeitlichkeit und Räumlichkeit. Was in Sein und Zeit nicht plausibel schien, wird vielleicht doch möglich: Die existenzial zeitliche Analyse kommt mit der Räumlichkeit des Daseins an ihre Grenzen. 50 Denn diese vom Raum her gedachte Räumlichkeit des Menschen stellt den totalitären Anspruch der Zeitlichkeit als Seinssinn der Sorge auf eine radikale Weise in Frage. Diese Feststellung verweist auf die Notwendigkeit, die Existenz des Menschen anhand einer gegenseitigen Implikation von Zeit und Raum im Sinne konstitutiver, existenzialer und gleichursprünglicher Seinsweisen des Menschen neu zu denken. Diesbezüglich lassen sich einige Fragen stellen, auf die es abschließend zu verweisen gilt. Wie lässt sich diese dem Menschen eigentümliche Räumlichkeit herausarbeiten, definieren, beschreiben? Welchen Beitrag kann eine so gedachte Räumlichkeit für die Frage nach der tatsächlichen Gestaltung des je eigenen Lebens leisten? Welche Konsequenzen hat sie für die Konstitution der kulturellen und geschichtlichen Welt, in der sich jeder Mensch schon immer befindet und die jeder Mensch mitgestaltet? Diese Fragen können Denkwege aufzeigen, durch die diese dem Menschen eigentümliche Räumlichkeit und ihre Tragweite für die menschliche Lebensgestaltung erschlossen werden kann. Denn eine Analyse des Lebens als Lebensvollzug, der sich in einer Welt bei den Dingen realisiert und gestaltet, kann von einer existenzialen Auseinandersetzung mit dem Raum nicht absehen. Die konstitutive Zeitlichkeit der Existenz muss mit der Gleichursprünglichkeit ihrer konstitutiven Räumlichkeit zu Rande kommen.

50

Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 485.

251 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Heidegger on Language, Thought, and the Human Being Umut Eldem 1

Abstract: In this paper I would like to inquire why the conceptions of man as rational animal and logos as human language are not adequate for Heidegger in terms of a proper way of thinking. In addition, I will investigate what Heidegger puts forward as an alternative. Doing so will require me to get into Heidegger’s idea of logos as gathering and his various definitions and statements about what being human consists in. I argue that these considerations will lead to an understanding of what Heidegger has in mind when talking about a new way of thinking which is neither metaphysical, nor techno-scientific. Zusammenfassung: In diesem Beitrag wird untersucht, weswegen der Begriff des Menschen als Vernunftwesen und der Begriff des Logos als menschliche Sprache laut Heidegger für das eigentliche Denken unzureichend sind, um anschließend die von ihm angebotene Alternative zu untersuchen. Zu diesem Zweck befasse ich mich zunächst mit seinem Begriff von Logos als Sammlung und mit seinen verschiedenen Bestimmungen des Menschen. Das Ziel des Beitrags ist es, zu einem besseren Verständnis des von Heidegger vorgeschlagenen neuen Denkens beizutragen; einem Denken, das weder metaphysisch noch wissenschaftlich-technisch verfasst ist.

1.

Introduction

Heidegger’s conception of the human being as something more than a rational animal is very prominent in his later writings. I will try to see what this »more« consists in and attempt to determine whether this conception is something worth pursuing. In order to bring out what I would like to thank Gerhard Thonhauser for organizing the conference entitled »Perspectives with Heidegger« and for his very helpful comments and feedback. I would also like to thank the participants of the conference for their comments and criticism.

1

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

he thinks is originary, Heidegger needs to show that, what is taken throughout the history of philosophy as granted or trivial about the human being and about knowledge, is but a superficial account of what it means to be a human being and what it means to think. This paper is structured in the following way: after these introductory remarks, I discuss Heidegger’s understanding of logos as gathering, as it relates to something more than human language and reason. This section focuses on some remarks that are found in Introduction to Metaphysics. In the next section I take a look at his definition of the human being as something more than a rational animal. The main text for this section is his Letter on Humanism. In the last section I close with a few remarks on thinking and see whether Heidegger’s approach to these concepts is viable and/or valuable. It is Heidegger’s assumption that the question of Being has been forgotten with the rise of metaphysics. This, in turn, has given way to a technical way of thinking and living, which has resulted in the current domination of techno-scientific thinking in all domains of thought. Heidegger wishes to prepare 2 for a way out of this mode of thought; that is why he wants to put forward a manner of thinking which is »neither metaphysical nor scientific.« 3 This new way of thinking is opened up by the fundamental question: »Why is there something rather than nothing?« Heidegger explains that »this why question does not seek causes for beings, causes of the same kind and on the same level as beings themselves.« 4 Metaphysics, presumably, seeks out causes; indeed, the principle causes, such as those that we come across since the beginning of philosophy (arche, matter, form etc.). Heidegger is not interested in the explanation of beings, but rather in the »questioning of Being«. According to him, rationalization of Being in terms of fundamental principles or causes (metaphysics), or the mastery over beings (techno-science) do not open up the way to this questioning but rather prevent it. Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, GA 14, 75 / Martin Heidegger, »The End of Philosophy and the Task of Thinking« in: Basic Writings from Being and Time (1927) to The Task of Thinking (1964), edited by David Farrell Krell, translated by Joan Stambaugh, New York, Harper Collins Publishers, 1993, 431–449. 3 Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, GA 14, 74. 4 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 2 / Martin Heidegger, Introduction to Metaphysics, translated by Richard Polt and Gregory Fried, New Haven and London, Yale University Press, 2000. 2

253 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Umut Eldem

2.

Logos as Gathering

Now let us try to get a glimpse of how this new way of thinking, which would neither be metaphysical nor scientific, could happen. This way of thinking would prepare the way for getting out of the sway of the current epoch that Heidegger calls »Enframing« (Gestell). One of the key concepts in this endeavor is logos. In this section I will try to flesh out what Heidegger wants to say about logos, or language, in the originary sense of the word. By originary I would venture to say that, in his conception, language is something more than a mere human invention for communication, as it is often thought. Heidegger claims that the dominant and traditional understanding of the notion of logos is »derivative« in the sense that it denotes a term that relates to human reason and/or language rather than the fundamental question of Being. According to his remarks in Introduction to Metaphysics, this has not always been the case: the PreSocratics had a different understanding of logos as something more than a tool for communication. After an interpretation of the second fragment of Heraclitus, Heidegger comments on what he takes to be the Pre-Socratic understanding of logos: »What is said of logos here corresponds exactly to the authentic meaning of the word »gathering«. But just as this word denotes both (1) to gather and (2) gatheredness, logos here means the gathering gatheredness, that which originally gathers.« 5 This definition points towards two main tenets of logos: a sense of »ordered unity« and »sociality«. One question we could ask is this: would a completely random event (Ereignis) of gathering give rise to any »structure« of knowledge, if it had no structure of its own? 6 Another question is this: what is being gathered? Where and according to what is it gathered? According to Heidegger, we have forgetten that language is what opens up beings as such, and this has resulted in the treatment of language as just another being among beings. 7 In order to ground a new way of thinking, it is essential that we try to revive the conception of language as something distinguished from, indeed, more than Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 98. Cf. John D. Caputo, »The Thought of Being and the Conversation of Mankind: The Case of Heidegger and Rorty«, The Review of Metaphysics, 36, 3, 1983, 661–685. 7 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 143. 5 6

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

words, utterances, sentences. One formulation for Heidegger would be this: truth is not a property of logos, truth, as aletheia (unconcealment) is logos. What is language, then, if it is not words, utterances, sentences? Perhaps it is that which makes a correspondence possible: that is, a correspondence between what we say and how the world is. What is »gathered« in this originary understanding of language would be the human being and the world. But then, have we really moved from thinking about language as yet another device to access reality and/ or to use in the acquisition of knowledge? Are we not caught up with metaphysical thinking once again? The other aspect of logos is sociality; what is gathered in logos is not only the human being and the world, but also the human being and other human beings. Language creates the space in which not only beings come to presence, but also the space in which human beings come together and recognize each other as human beings.

3.

Human as Rational Animal

I believe that in order to make sense of this conception of language, it is imperative that we get a sense of what being human means for Heidegger. Heidegger actually agrees with the statement that what separates human beings from animals is that the human being speaks. However, both his conception of language, as we have seen in the previous section, and his conception of the human being seem to stand outside the traditional views. The following passage from Introduction to Metaphysics points towards the link between being human and language: »Being human, according to its historical, historyopening essence, is logos, the gathering and apprehending of the Being of beings: the happening of what is most uncanny, in which, through doing violence, the overwhelming comes to appearance and is brought to stand.« 8 There are various clues in this passage that might give us an idea on a variety of concepts that Heidegger employs throughout his later writings. We may begin to see why the conception of the human being as rational animal is inadequate for Heidegger.

8

Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 130–131.

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In this passage, two particular words stand out: uncanny and overwhelming. I believe these adjectives are used by Heidegger to refer to the characteristics of the event (Ereignis) of language; a happening which opens up beings as beings. The fact that this event is uncanny and that it brings out the overwhelming, seems to point towards something that our ordinary rational capacities would be incapable of grasping. In other words, what is overwhelming, as such, is something that we cannot make sense of, rationalize, or know. Conversely, what we have made sense of, what we have grasped through rationality, would no longer be overwhelming or uncanny. It is the designation of the event of language as the uncanny which leads Heidegger to a more radical conception of language and the human being. This passage states that being human is logos, the event and the essence of humanity cannot be separated from each other. We might say that, for Heidegger, the human being is, indeed, zoon logon echon, but only if logos is understood in the sense that he puts forward. This emphasis on what is uncanny or overwhelming might lead us to a »mystical« domain. The rational faculty in question is not enough to put us in a relation with that which is uncanny. Rationality is not enough to enable us to think the uncanny or the overwhelming. This is simply where reasoning comes to an end. The situation is somewhat tragic: we stand in the middle of the uncanny, all the while remaining oblivious to it. We are near Being, indeed, it is what is most near to us, but it has turned its back on us and we have forgotten to think about it. We are within language, but the essence of language is hidden to us. We are amongst beings, without knowing the meaning of Being. Heidegger seems to suggest that in order to get out of this situation, we need a new understanding of language, thinking, and the human being as such: We usually think of language as corresponding to the essence of the human being represented as animal rationale, that is, as the unity of body-soulspirit. But just as eksistence – and through it the relation of the truth of Being to the human being – remains veiled in the humanitas of homo animalis, so does the metaphysical-animal explanation of language cover up the essence of language in the history of being. 9

Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 164 / Martin Heidegger, »Letter on Humanism«, in: Basic Writings, 213–267.

9

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

The misrepresentation of human beings solely as rational animals goes hand in hand with the misrepresentation of language as something merely present-at-hand. I believe that, for Heidegger, at the bottom of these misrepresentations lies a crucial forgetting, and the explication of this forgetting has been an unchanging thread of thought both in his early writings and his later ones. In that respect, Heidegger would say that at the moment we start to forget that the event of language is something uncanny, as soon as we start to think that we are able to make sense of the overwhelming, that is, with the beginning of metaphysics and the technical interpretation of Being as a whole, we get these misrepresentations of human beings and language. 10 What is needed to get out of this way of thinking and misrepresentation would be to find a new way of thinking that is neither metaphysical nor scientific. Here, we might get a sense of what it means for human beings to be more than rational animals. Heidegger explains this »more« thus: The essence of the human being consists in his being more than merely human, if this is represented as »being a rational creature«. More must not be understood here additively, as if the traditional definition of the human being were indeed to remain basic, only elaborated by means of an existential postscript. The »more« means: more originally and therefore more essentially in terms of his essence. 11

This essence or origin takes us back to the uncanny and the overwhelming. In this passage, it seems that Heidegger is making this point: merely rational animals are not able to think on this event as something uncanny/overwhelming. Being merely rational, they would not be overwhelmed, they would perhaps not even have the capacity to be overwhelmed. Human beings, however, can recognize what is uncanny, they can be overwhelmed, simply because they can discern the fact that the happening of language is something that lies outside the reach of rationality. Nevertheless, we do not stand far away from the uncanny, but rather, we live inside it. What is lacking for Heidegger is that we are no longer concerned with the uncanny, the overwhelming, even though we live in the middle of it. One reason for this is that we have become disinterested Cf. Jacques Derrida, »Ousia and Gramme« in: Margins of Philosophy, edited and translated by Alan Bass, Brighton Sussex, The Harvester Press Limited, 1982, 29–69. 11 Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 172. 10

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in Being through the technical interpretation of it. An interesting line of thought to be found with regard to disinterestedness in Heidegger’s texts is his criticism of the metaphor of »sight« as a signification for knowledge. Instead of this metaphor, in various texts Heidegger suggests other ones about being in a certain place (at home, dwelling), or the metaphor of hearing (harkening, listening to the call). 12 The problem is not about looking and seeing per se, but the attitude with which one looks and sees. What Heidegger seems to be critical about is a certain manner of objective, distant looking. Instead of obstinately pursuing this strict objectivity, we must realize that we have forgotten to question Being. We must engage in this questioning not because we want to know the ground of Being, but because we care about what it means to be a human being. For Heidegger, this ability to question Being is what is unique to the human being. It is important to note that trying to think of the human being as something more than a rational animal is by no means an anti-humanist project. 13 Heidegger’s worry is that the anthropological explanation of the human being does not give it its due. A scientific statement assumes, or presupposes, that what is being explicated is, indeed, something that can be explicated. But, Heidegger would exclaim, being human is that which is the most uncanny, it can not be explained by science, it is what grounds science in the first place. Thus, for Heidegger, it is a futile attempt to classify the human being as rational animal, or to classify it as such and think that this classification exhausts the essence of humanity; it will always remain as something which resists any definitive classification. A final proclamation of Heidegger might help us to move to the final section of this paper: »The human being is not the lord of beings. The human being is the shepherd of Being.« 14 I believe these two sentences relate to techno-scientific thinking, as well as to the concept of logos as gathering. The picture painted here shows that human beings should gather Being, make it accessible, sensible, open it up, without trying to dominate Being. This, in turn, would be possible only through a kind of thinking which is not technical and/or metaphysical. Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 145, 148 and Einführung in die Metaphysik, GA 40, 99. 13 Cf. Jacques Derrida, »The Ends of Man«, Philosophy and Phenomenological Research, 30 (1), 1969, 31–57, 52. 14 Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 172. 12

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

4.

Towards a New Way of Thinking

Up to this point we have glimpsed into some of the key aspects of what the main problem is for Heidegger. In this section I shall attempt to figure out whether Heidegger provides a solution for this problem. The question that guides this section could be formulated in this way: What kind of thinking is neither scientific nor metaphysical? We could say that objective thinking is one of the basic tenets of science. In that domain, a disinterested look can not be disregarded, it is necessary. However, as we saw in the previous chapter, this is something that Heidegger is critical about since it implies a distancing from Being. A new way of thinking has to be interested and not distant, right in the middle of what it purports to think. This thinking would relate to what grounds scientific endeavors as such. It starts with the acceptance of the fact that we primordially belong to Being, it does not start by way of explicating, interpreting, conceptualizing, judging or evaluating a given phenomena. In his Discourse on Thinking, Heidegger claims that man is in flight from thinking. He makes a distinction between calculative and meditative thinking and states that the latter has been totally forgot or turned away from. 15 The tragic is at play here as well, what we ought to think about has turned its back on us. For this reason, we need to think about why we are not thinking. 16 In his Introduction to Metaphysics, Heidegger puts forward the concept of apprehension. This activity refers to the essence of humanity and logos as gathering as well. According to Heidegger, »apprehension is a happening in which humanity itself happens.« 17 A passage I quoted earlier had the phrase: »the overwhelming comes to appearance and is brought to stand«. Heidegger thinks of apprehension as a »bringing to a stand« while defining Being as »that which comes to a stand«. Another formulation for this mutual activity between apprehension and Being is the kind of thinking that »lets beings be«. Simply put, Being is that which comes to a stand, and apprehension is that which brings Being to a stand. Of course, on this Heidegger, Gelassenheit, GA 16, 520 / Martin Heidegger, Discourse on Thinking, edited and translated by E. Hans Freund and John M. Anderson, New York, Harper & Row Publishers, 1955, 43–57. 16 Heidegger, Was Heißt Denken?, GA 8, 6 / Martin Heidegger, »What Calls For Thinking?«, in: Basic Writings, 369–391. 17 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 108. 15

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account, apprehension has nothing to do with ordinary rationality. This apprehension, then, is a lot less (or more) than something like conceptualization, it is even less (or more) than knowledge, it is closer to a kind of »listening«. At this point we might point towards poetry. Poetry is not about justification, conceptual schemes, argumentation and so on. It is more about our modes of attunement, or ways of thinking outside regular discourse. A good poem indeed carries us outside of our everydayness, it can overwhelm us, or give us a sense of the uncanny. One can see why Heidegger was so involved in the interpretation of poets. It must be his contention that there is some »truth« in poetry which we can not reach through our ordinary ways of thinking. It could be said that when we come across poetry, when we are affected by it, language becomes something more than words, and we, as human beings, perhaps become something more than rational animals. This is all too well. But it can not be the whole story. The poet and the thinker are not engaged in the same task. 18 Heidegger claims that the thinker »says Being« while the poet »names the holy«. Indeed, they »dwell near one another on mountains most separate«. 19 The nearness is due to language understood as logos, or gathering. Heidegger contends that this new kind of thinking will be »less than philosophy«, but it will also »review the entire history of philosophy«. 20 He draws a clear distinction between metaphysics (dealing with first causes, arche, form) and the thought that »says Being«. Is not this distinction metaphysical? As Derrida puts it: Now, is not the opposition of the primordial to the derivative still metaphysical? Is not the quest for an archia in general, no matter with what precautions one surrounds the concept, still the »essential« operation of metaphysics? Supposing, despite powerful presumptions, that one may eliminate it from any other provenance, is there not at least some Platonism in the Verfallen? 21

We can not bracket the entire Western history of philosophy as a sort of fallenness (Verfallen), as Heidegger does, based on the idea that it I would like to thank Gerhard Thonhauser for pointing this out. Heidegger, Nachwort zu »Was ist Metaphysik?«, GA 9, 107 /Martin Heidegger, »Postscript to What is Metaphysics?« in: Pathmarks, edited and translated by William McNeill, New York, Cambridge University Press, 1998, 231–239. 20 Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, GA 14, 74. 21 Derrida, Ousia and Gramme, 63. 18 19

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

focuses on what is derivative and not on what is primordial. Even though Heidegger contends that this falling is not a deliberate act on the part of thinkers per se, there is an unescapable hierarchical thinking involved in this talk of fallenness. One interesting claim that Heidegger makes about thinking is to be found in his famous interview with Der Spiegel: »In the domain of thinking there are no authoritative statements.« 22 However, especially in his »review« of the history of philosophy, Heidegger is often not careful enough to abstain from authoritative statements himself, and hence falls into hierarchical thinking. Indeed, even though Heidegger tries to transform some of the key concepts of philosophy, like logos, thought, Being and so on, he does not get out of the way of thinking which relates to »grounds« or »order« or »arche«. The difference is that, rather than trying to conceptualize, rationalize, evaluate the ground, we are called to »listen« to it. At one point Heidegger himself admits that he uses the language of metaphysics »knowingly«. 23 Here it could be argued that Heidegger is trying to use metaphysical language to get out of it. 24 The question then becomes how we are to realize when and whether we have crossed the line between the metaphysical thought and the thought that »says Being«. The need for a normative moment presents itself here. Now, what does it mean to listen to Being? I do not believe deriving a »destiny« from this listening activity would be a break away from metaphysics; it would be metaphysics proper. Deriving a destiny out of an act of listening sounds implausible. Instead, Heidegger’s project could be read as a »critique« of traditional concepts and ways of thinking, rather than a »destinal putting forward« of the »Truth of Being«. Can we separate his critical thinking from his destinal/metaphysical stance? At this point we can use Heidegger’s own method against him by »reading into him« an idea which he perhaps would have disliked: a thought that really lets beings be, rather than imposing the idea of a destiny. This idea would open up the way to an endless thinking and re-thinking of all grounds, all conceptual schemes, all rationalization. What needs to be done is to try to get rid of the domination of the technical, without being the victim of another kind of totalizing force. Heidegger, Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger (23. September 1966), GA 16, 681. 23 Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 145 (footnote). 24 I would like to thank Ian Alexander Moore for this objection. 22

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It is important to note that a thought that simply »lets beings be« does not eliminate the possibility of a hierarchical thinking. The question is still open as to who is doing the listening and what is being listened to. What are we to do about those beings which, in their own respect, do not let beings be? It is here that we need a sort of calculation, a reason, a normative moment, which would prevent those kinds of beings to remain unchanged. I am, of course, referring to a kind of political entity like the National Socialist Party, or any kind of oppressive force for that matter. Are we to let those kinds of beings be? Any and all kinds of thinking, whether poetical, rational, or scientific, or something else entirely, have to face the question of what we are to do with each other. Do we let everyone be as they wish, or do we interrupt some of them in their »being«, for the sake of the greater good, and thereby contradicting our conviction to let beings be? Do we listen to each and every voice in the same manner and with the same intensity? Or are we forced to make authoritative statements that carry with them some sort of normative criteria? In his paper entitled »What Must I do at the end of Metaphysics?« 25, Reiner Schürmann suggests that we need to recognize that we literally have no idea as to the »ought«. We have no definitive answers to the question: »What ought I do?«. Schürmann argues that we need to recognize this ignorance, indeed, embrace it. I find this thought too »luxurious«, we simply cannot afford this kind of ignorance for at least two reasons. First, we live in a century full of economic, political, and social crises; from a pragmatic point of view, we need urgent answers. Second, we need to be able to determine whether and how we can move beyond the ways of thought which have played a part in the formation of these crises or at least find a way of thought that is able to grasp their nature. If Heidegger’s whole project could be directed to this task, if the questioning of Being could show us a way out of these times, I believe it is worth pursuing. To the extent that it can lead us to a re-evaluation of the history of thought, a re-evaluation which could then lead to a better way of thinking, to a better understanding of ourselves and

Reiner Schürmann, »›What Must I Do?‹ at the End of Metaphysics: Ethical Norms and the Hypothesis of a Historical Closure« in: William L. McBride and Calvin O. Schrag (ed.): Phenomenology in a Pluralistic Context, New York, State University of New York Press, 1983, 49–65. I would like to thank Joseph Sta. Maria for recommending this article to me.

25

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Heidegger on Language, Thought, and the Human Being

the world, and the situation in which we find ourselves, I believe Heidegger’s project is both viable and valuable. We do require an alternative to techno-science. What must be emphasized in Heidegger’s thought is not making correct statements about the history of Being, but rather, opening up the way to a sober »listening«.

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Anknüpfungen

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Do We Identify Human Events with Kant’s Concept of Cause? A Defense of Heidegger’s Interpretation of Kant Morganna Lambeth 1

Abstract: While Kant’s term »experience« is usually interpreted to encompass any encounter we have with an object, Heidegger offers a narrower interpretation, arguing that we only have experience (in Kant’s sense) of the present-at-hand, objects considered in terms of their individual, physical properties. I argue that, by narrowing the scope of Kant’s claims, Heidegger’s unconventional interpretation allows Kant’s argument in the Second Analogy of Experience to avoid the counterexample of human events. While Kant’s argument claims that we must use the concept of cause to identify events, Heidegger suggests that this does not apply to historical events; rather than being identified in terms of what they follow according to a rule, Heidegger suggests that historical events are identified in terms of their consequences. I argue that the historical identification of events mirrors our identification of contemporaneous (not yet historical) human-initiated events: we do not understand human-initiated events as following necessarily from the perceived past, but as providing conditions for the anticipated future. Zusammenfassung: Kants Ausdruck »Erfahrung« wird üblicherweise so interpretiert, dass er jede Begegnung, die wir mit einem Objekt haben, umfasst. Heidegger schlägt dagegen eine engere Interpretation vor. Er behauptet, dass wir Erfahrung (in Kants Sinne) nur von Vorhandenem machen, das heißt von Objekten, die verstanden werden anhand ihrer individuellen, physikalischen Eigenschaften. Ich möchte zeigen, dass es Heideggers unkonventionelle Interpretation durch die Einschränkung der Anwendbarkeit von Kants These ermöglicht, ein Gegenbeispiel zu Kants Zweiter Analogie der Erfahrung zu vermeiden. Obwohl die Zweite Analogie behauptet, dass der Begriff der Kausalität zur Anwendung kommen muss, damit eine Veränderung identifiziert werden kann und somit eine zeitliche Ordnung sowie Erfahrung überhaupt möglich sei, erklärt Heidegger, dass dies für histori-

I would like to thank my audiences at Northwestern University, the UK Kant Society 2015 Annual Conference, and the Perspectives with Heidegger Conference for their helpful feedback on this paper. I would also like to thank Cristina Lafont, Rachel Zuckert, and Mark Alznauer for their crucial comments on earlier drafts.

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Morganna Lambeth

sche Veränderungen nicht gilt; diese werden nicht dadurch identifiziert, dass sie gemäß einer Regel auf etwas folgen, sondern anhand ihrer Konsequenzen erkannt. Ich argumentiere dafür, dass die Identifikation historischer Veränderungen unsere Identifikation von zeitgleichen (noch nicht historischen) menschlichen Veränderungen spiegelt: wir verstehen menschliche Veränderungen nicht als notwendigerweise aus der wahrgenommenen Vergangenheit folgend, sondern als Bedingungen für die erwartete Zukunft bereitstellend.

1.

Introduction

Heidegger is not known for providing a particularly compelling interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason; indeed, Heidegger himself says that his interpretation will be »violent« 2 and »radical«, going »way beyond Kant.« 3 Apparently leaving Kant’s explicit claims aside, Heidegger says that his interpretation is intended to »understand [Kant] better than he understood himself« 4 and »relentlessly strive […] for what Kant wanted to say – or for what Kant should have said.« 5 Heidegger is quick to justify his interpretive approach by invoking Kant’s own remarks on philosophical interpretation, as Kant himself says that »it is by no means unusual … to find that we understand [an author] better than he understood himself,« 6 and laments that »many historians of philosophy … are thus incapable of recogHeidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 365 / Martin Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, translated by Parvis Emad and Kenneth Maly, Bloomington, Indiana University Press, 1997, 247. Cf. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 202 / Martin Heidegger, Kant and the Problem of Metaphysics, translated by James S. Churchill, Bloomington, Indiana University Press, 1962, 207. 3 Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 359 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 243. 4 Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 2–3 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 2. 5 Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 338 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 229. Cf. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 201 / Heidegger, Kant and the Problem of Metaphysics, 206. 6 Immanuel Kant, Critique of Pure Reason, translated by Norman Kemp-Smith, New York, Palgrave Macmillan, 2003, A314/B370. Cf. Heidegger, Phänomenologische In2

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nizing beyond what the philosophers actually said, what they really meant to say.« 7 While Heidegger may (with some justice) give Kant a taste of his own interpretive medicine, his approach to the first Critique does not seem to betray an overriding concern with textual accuracy. It is no wonder, then, that Heidegger’s interpretation is largely ignored in contemporary Kant scholarship. 8 Regardless, this paper attempts to partially redeem this interpretation. I inquire in particular into Heidegger’s atypical interpretation of Kant’s term »experience«, applying it to one of Kant’s arguments in the first Critique: the Second Analogy of Experience. Kantian experience is usually interpreted as a wide category encompassing every encounter we ever have with an object, but in his 1930 lecture series, The Essence of Human Freedom, Heidegger reads it more narrowly as only referring to a certain kind of encounter. In this paper, I motivate Heidegger’s reading by bringing out a shortcoming of the Second Analogy, where Kant analyzes our identification of events in order to make the claim that all events are caused: as Heidegger suggests terpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 3 / Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 2. 7 Immanuel Kant, »On a Discovery According to which Any New Critique of Pure Reason Has Been Made Superfluous by an Earlier One« in: Henry E. Allison, The Kant-Eberhard Controversy, Baltimore, John Hopkins University Press, 1973. Cf. Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 3 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 2; Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 202 / Heidegger, Kant and the Problem of Metaphysics, 207. 8 The most influential contemporary interpretations of the first Critique do not cite Heidegger’s reading. Cf. Henry Allison, Kant’s Transcendental Idealism, New Haven, Yale University Press, 2004; Allen Wood, Kant, Malden, MA, Blackwell Publishing, 2005; Graham Bird, The Revolutionary Kant: A Commentary on the Critique of Pure Reason, Peru, IL, Open Court, 2006; and Paul Guyer, Kant and the Claims of Knowledge, Cambridge, Cambridge University Press, 1987. Of the Kant scholarship that does cite Heidegger, much of it does not discuss his interpretation in depth. Cf. Wayne Waxman, Kant’s Model of the Mind. A New Interpretation of Transcendental Idealism, Oxford, Oxford University Press, 1991, 15; Otfried Höffe, Kant’s Critique of Pure Reason, New York, Springer, 2010; Béatrice Longuenesse, Kant and the Capacity to Judge, translated by Charles T. Wolfe, Princeton, Princeton University Press, 1998; Béatrice Longuenesse, Kant on the Human Standpoint, Cambridge, Cambridge University Press, 2005, 111–112. There are a few exceptions that discuss Heidegger’s arguments at length; however, contrary to my inquiry, they do not discuss it in relation to the Second Analogy. Cf. Avery Goldman, Kant and the Subject of Critique, Bloomington, Indiana University Press, 2012 and Gary Banham, Kant’s Transcendental Imagination, London, Palgrave Macmillan, 2005.

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in his 1930 lectures, Kant’s analysis of events does not apply to historical events. I build on this claim to argue that Kant’s analysis of events also does not apply to contemporaneous (not yet historical) human-initiated events. If we construe Kantian experience widely, then the Second Analogy is open to the counterexample of humaninitiated events. Construed narrowly, the Second Analogy argument works. Thus, while the consensus interpretation might be right about the intended scope of Kant’s argument – indeed, my aim is not to defend Heidegger as a faithful interpreter of Kant’s text – I argue that this counterexample pushes us to see the scope of Kant’s argument more narrowly. In effect, Kant’s claims about experience in the Second Analogy refer only to the subset of our encounters with objects that Heidegger identifies, rather than every single encounter. I proceed as follows: First, I contrast the consensus interpretation of Kant’s term »experience« with that of Heidegger, using the argument in the Second Analogy to elucidate these two competing interpretations. Next, I point to a class of events to which Kant’s Second Analogy argument does not apply, drawing on Heidegger’s assertion that Kant’s analysis of events does not apply to historical events. I conclude by reviewing the case for interpreting Kantian experience more narrowly, along with Heidegger, in regard to the Second Analogy argument.

2.

Two Interpretations of Kantian Experience

In this section, I take Henry Allison’s interpretation of experience to represent the consensus view, and I contrast it with Heidegger’s interpretation of the term. Since the Second Analogy will be the focus of my next section, I draw on this argument to elucidate these two interpretations. In general, the Analogies of Experience provide a priori principles that apply to all of experience. The Second Analogy argues in particular for the principle that every event has a cause. 9 Kant argues that we must draw on the concept of cause to distinguish between the arbitrarily changing perceptions we have of stable objects (for example, when we see the roof of a house, and then its basement) and the changing perceptions we have of changing objects (for example, when we see a 9

Cf. Kant, Critique of Pure Reason, B232.

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ship at point A, and then further downstream at point B). In the latter case, we take our changing perceptions to be in an irreversible order, representing an objective change in the world, by positing a causal relationship between the first state perceived and the second (for example, the first state is the cause of the second). 10 The concept of cause – our concept of one thing following another in time necessarily, according to a rule – allows us to objectively order our perceptions. Because the concept of cause is our point of entry into the objective time order, it is the condition for the possibility of experience. The principle »every event has a cause« applies to all of experience, because we only appreciate an event’s happening by way of the concept of cause. As we can see, understanding the scope of this argument rests crucially on how we interpret the term »experience.« Kant’s term »experience« is typically interpreted as encompassing every encounter we might have with an object. Allison, for example, claims that »experience involves the cognition of the objective temporal order of appearances.« 11 That is to say, whenever we appreciate that something is in an »objective temporal order« – persisting or changing in time beyond my subjective experience (for example, I appreciate the house is persisting in time and the ship is changing in time) – we are having Kantian experience. According to this wide interpretation of experience, I have experience when I see a cell change underneath a microscope, when I notice a car move past me on my way to school, and when I see a person hurry past me on the sidewalk. The Analogies of Experience, accordingly, are taken to provide the conditions of the possibility for all of these objective encounters, where I appreciate that an object is persisting or changing in time. Indeed, Allison offers a similarly wide interpretation of the Second Analogy, glossing it as »an argument from the nature of event perception to the conditions of its possibility.« 12 According to the wide interpretation, Kant’s Second Analogy argument that the concept of cause is the condition of the possibility of experience applies to any As Guyer emphasizes, the concept of cause can also enable one to objectively order perceptions if one takes it that the first thing perceived is simultaneous with the cause of the second (so it is not itself the cause). Cf. Paul Guyer, »Schopenhauer, Kant and the Methods of Philosophy« in: Christopher Janaway (ed.), The Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge, Cambridge University Press, 1999, 93–137. 11 Allison, Kant’s Transcendental Idealism, 236. 12 Allison, Kant’s Transcendental Idealism, 252. 10

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perception we would have of an objective change; the concept of cause is the condition of the possibility of our recognizing events in every context where we might perceptually recognize an event. The bounds of Kant’s argument are wide, as it treats all experience of change. 13 Now that we have reviewed the wide interpretation, we’ll consider Heidegger’s narrower interpretation. In order for us to appreciate Heidegger’s interpretation, I will first review some vocabulary. Above, I introduced the idea that I would have Kantian experience were I viewing something under a microscope, noticing something on my way to school (the car rushing past), and noticing someone on my way to school (the pedestrian rushing past). Heidegger draws an ontological distinction between these three kinds of examples. In Being and Time, he famously distinguishes between presentat-hand beings (Vorhandensein), ready-to-hand beings (Zuhandensein), and humans (Dasein). We take objects to be present-at-hand when we consider them in terms of their individual, physical properties; the scientist approaches the world as present-at-hand when she is trying to come up with her theories, as does the carpenter when he is trying to figure out why his hammer isn’t working properly. However, when nothing is going wrong, the practically engaged carpenter approaches his hammer as ready-to-hand, understanding it within a context of equipment that is oriented toward some goal (for example, these tools all contribute toward his table-making). Likewise, the car shows up as something for me to avoid as I try to make it to school in one piece (that is, as a potential hindrance to my goal). Finally, humans, or Dasein, are not understood primarily in terms of either of these categories; 14 instead of objectifying or instrumentalizing people, Because the Second Analogy comprises Kant’s response to Hume’s causal skepticism, it is worth noting that the typical interpretation of this response draws on the wide interpretation of experience. According to Beck, the Second Analogy shows that Hume must be in contradiction with himself because he takes it for granted that we can identify objective change, thereby assuming the legitimacy of the concept of cause, in an argument that is intended to question the legitimacy of this concept. For this reading, Hume is necessarily in contradiction with himself because the Second Analogy treats all experience of change; there is no alternate route to identifying objective change to which Hume could appeal. Cf. Lewis White Beck, »Once More Unto the Breach: Kant’s Response to Hume, Again« in: Hoke Robinson (ed.), Selected Essays on Kant, Rochester, University of Rochester Press, 2002. 14 Cf. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 158 / Martin Heidegger, Being and Time, translated by John Macquarrie and Edward Robinson, Malden, Blackwell Publishing, 1962, 118. 13

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we primarily appreciate them as special beings who organize the world, understanding the entities around themselves and even themselves in terms of past traditions and future projects. Indeed, Dasein has a unique temporal structure – we take up past traditions and orient ourselves toward future goals 15 – that allows us to understand entities and ourselves in these ways. For this reason, »Dasein«, as an ontological category, is not on par with the ready-to-hand or presentat-hand; rather, Dasein’s special temporal structure is the condition for the other two categories, allowing entities to be taken as presentat-hand or ready-to-hand. 16 A full understanding of another Dasein appreciates her as the kind of being who, like me, has this special structure. Thus, I understand the person who hurries past me on the sidewalk, as someone who, like me, is also involved in a goal, one that at the moment involves trying to get to her respective destination. These are the basic distinctions that Heidegger draws between the present-at-hand, ready-to-hand, and Dasein. In The Essence of Human Freedom, Heidegger indicates that Kant’s term »experience« only applies to one of these categories: the present-at-hand. 17 Heidegger explicitly defines »all experience« (in Kant’s sense) as »all theoretical knowledge of what is present[-athand] before us as nature (vorhandenen Natur).« 18 This interpretation reduces the scope of Kant’s claims about experience: for example, instead of the Second Analogy establishing that we must use the concept of cause whenever we appreciate any kind of objective change, it argues (according to this interpretation) that we must use it to apCf. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 255 / Heidegger, Being and Time, 192. I thank Lucian Ionel for raising this point. 17 To be sure, Heidegger does take Kant to offer a »structure of transcendence« that characterizes human understanding in general, going beyond understanding of the present-at-hand. Heidegger approvingly makes this structure – where we come to objects with a prior, ontological understanding that enables us to encounter those objects – the cornerstone of his account of the Kantian imagination. Cf. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 134 / Heidegger, Kant and the Problem of Metaphysics, 94–95. However, Kant (for instance, in his explications of the categories) outlines only the prior understanding that is brought to the present-at-hand. I thank Gerhard Thonhauser and Simon Truwant for discussion of this point. 18 Heidegger, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 31, 28 / Martin Heidegger, The Essence of Human Freedom, translated by Ted Sadler, London, Continuum, 2002, 20–21. I modify this and following quotations to reflect the typical English translation of Vorhandensein and related terms. Cf. Heidegger, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 31, 153 / Heidegger, The Essence of Human Freedom, 108. 15 16

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preciate change in objects that are theoretically considered in terms of their individual, physical properties. For Heidegger, then, the Second Analogy makes no claims about the changes we perceive when we are practically engaged, and the changes we perceive when encountering human activity (what I will call human-initiated events). 19 Heidegger’s interpretation of Kantian experience (and of the Second Analogy) is a departure from the consensus view, wherein experience includes any encounter with an object in an »objective temporal order.« In what follows, I will suggest that Heidegger is correct about the effective scope of Kant’s Second Analogy argument (even if Kant intended for a wider scope), due to a counterexample to which Heidegger directs us.

3.

A Counterexample to the Wide Interpretation

In this section, I will argue that human-initiated events do not fit Kant’s Second Analogy account of event identification. I will do this, first, by expanding on Heidegger’s claim that Kant’s analysis of events does not capture how we identify historical events. However, this claim does not yet pose a problem for the Second Analogy argument, because the Second Analogy discusses how we perceptually identify events that are before us (that is, contemporaneous events), while historical events might only be identified retrospectively. I will argue, though, that the historical identification of events mirrors our identification of contemporaneous (not-yet-historical) human-initiated events. The counterexample of human-initiated events, then, provides motivation to interpret the effective scope of Kant’s claims in

It should be noted that the interpretation of Kantian experience that I have outlined above is also reflected in Heidegger’s better-known interpretations of Kant: his 1929 book, Kant and the Problem of Metaphysics, and his 1927–1928 lecture series, The Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason. For example, Heidegger suggests in the 1927–1928 lecture series that Kant overlooks the world of practically-unified entities. Cf. Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 20 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 14. He also suggests that, in failing to inquire more fully into the imagination, Kant overlooks Dasein’s temporal structure. Cf. Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, GA 25, 342 / Heidegger, Phenomenological Interpretation of Kant’s Critique of Pure Reason, 232.

19

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the Second Analogy more narrowly, as only applying to present-athand events. In The Essence of Human Freedom, Heidegger briefly discusses a shortcoming of Kant’s analysis of events, namely that it does not apply to historical events. Heidegger mentions this shortcoming in the context of discussing Kant’s Third Antinomy claim that human cognizers are driven to search for complete grounds for an event – seeking out all the causes that preceded it – but not for completeness in its consequences. According to Kant, then, human cognition demands full information about the past, but not the future. Heidegger notes: Incidentally, while this applies to the processes of corporeal nature, it does not apply in history, for historical occurrence is understood essentially from its consequences. The consequences of a historical event cannot be understood merely as following on in time. This is because the historical past is not defined through its position in the bygone, but through its future [durch Möglichkeiten ihrer Zukunft]. 20

In this passage, Heidegger indicates an understanding of historical events that differs from the understanding of events that Kant offers in the Second Analogy. Recall that, in the Second Analogy, Kant has us identify events via the concept of cause, namely the concept that the present state follows necessarily from a past state; the ship moves from point A to B according to a law such that any ship in similar circumstances will move this way. This necessary following from the past allows us to take it that an event has occurred. Heidegger argues, though, that we do not identify a historical event this way, »through its position in the bygone.« Rather, the historical is a »differently constituted dimension of beings« (as Heidegger goes on to put it), wherein an event is defined »through its future.« 21 Heidegger goes on to suggest that Kant’s failure to capture historical events is one reason to accept his claim about the scope of Kantian experience: »Kant’s lack of attention to (and at bottom, his ignorance of) this differently constituted dimension of beings is indirect evidence for his taking the domain of appearances simply as the domain of pre-

Heidegger, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 31, 213 / Heidegger, The Essence of Human Freedom, 147. 21 Heidegger, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 31, 213 / Heidegger, The Essence of Human Freedom, 147. 20

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sent[-at-hand] things [Vorhandenen], i. e. nature in the broad sense.« 22 Because Heidegger does not further develop these claims about historical events, I will motivate his account by drawing on some examples from Danto, who defends a similar claim. Danto ascribes a class of sentences to historians – he calls them »narrative sentences« – that individuate an earlier event in terms of some later event. For example, »Petrarch opened the Renaissance« defines Petrarch’s intellectual work in terms of the Renaissance that followed. 23 Likewise, the claim that »Piero da Vinci begat a universal genius« defines Piero da Vinci’s begetting activities in terms of the genius that his son Leonardo later displayed. 24 Finally, identifying 1618 as the beginning of the Thirty Years War defines the year in terms of the thirty years of war that were to follow. 25 Danto maintains that even if an »ideal chronicler« were to have perfect information about past events, and the current event as it is happening, this ideal chronicler would not be able to identify events in these ways, which draw on knowledge of future consequences. To put this idea back into contact with Kant, Danto’s account suggests that identifying events via the route outlined in the Second Analogy – determining events, that is, in terms of a present state that followed some past state according to a rule – would not amount to these so-called »narrative« identifications of the event. Danto, then, would seem to agree with Heidegger that historians offer an alternate way to identify events, identifying them in regard to future consequences, rather than in regard to what they follow, according to a rule. However, this alternate account of event identification does not yet offer a counterexample to the Second Analogy, since Kant’s argument there is intended to analyze the present identification of an event (that is perceptually before oneself), and a historical identification of an event might only be done in retrospect. Therefore, Kant could be right that the concept of cause is the only way for us to identify a present event; only after it is long past can it be identified through this alternate method of identifying in regard to conseHeidegger, Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 31, 213 / Heidegger, The Essence of Human Freedom, 147. 23 Arthur C. Danto, Analytical Philosophy of History, Cambridge, Cambridge University Press, 1965, 157. 24 Danto, Analytical Philosophy of History, 157. 25 Cf. Danto, Analytical Philosophy of History, 152. 22

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quences. In other words, this way of rescuing Kant’s »wide« Second Analogy argument suggests that our identification of a contemporary event will be a mechanical one, where we appreciate it as following causally from past states, though we can identify the event historically once it is in the past. I will argue, though, that identifying events in terms of their future consequences is not only a retrospective kind of identification, but also a kind of event identification that can be done contemporaneously with the event. The need for this further step is sharpened by the fact that Heidegger seems to direct his complaints about Kant’s conception of history to the wrong text. Kant’s essays on history would seem to answer Heidegger’s objections, for one finds here that Kant attends to the historical, and claims that history is teleologically oriented toward a future »perfect state constitution.« 26 However, I will build on Heidegger’s account of the historical to argue that future-oriented modes of understanding play a direct role in our identification of perceptual phenomena, presenting a problem to Kant that his historical works cannot answer. After all, Kant offers teleology as a regulative idea, rather than one that is constitutive of our perceptual experience. 27 Contrary to this position, I will suggest that we can immediately appreciate certain perceptual phenomena as future-oriented. 28 Perceptually identifying events in terms of future consequences is a kind of event identification that can be done contemporaneously with the event. There are a few reasons to support this thesis. Indeed, two of Heidegger’s major philosophical influences – Husserl and Dilthey – already suggest that our expectations of the future can shape our present experience. Husserl, for example, suggests this about our experience of music: 29 the present moment is shaped, say, by our expectation of a crescendo. Dilthey, in turn, emphasizes how anticipation Immanuel Kant, »Idea for a Universal History from a Cosmopolitan Perspective« in: Pauline Kleingeld (ed.), translated by David L. Colclasure, Toward Perpetual Peace, New Haven, Yale University Press, 2006, 13. 27 Cf. Immanuel Kant, Critique of Judgment, translated by Paul Guyer, Cambridge, Cambridge University Press, 2000. 28 I thank Dieter Schoenecker for drawing my attention to the difficulties with the passage at GA 31, 213, and Diego D’Angelo and Simon Truwant for helpful discussion of these issues. 29 Cf. Edmund Husserl, Phenomenology of Internal Time-Consciousness, edited by Martin Heidegger, translated by James C. Churchill, Bloomington, Indiana University Press, 1964, 104–105. 26

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shapes our understanding of words in a sentence: 30 we make sense of the presently spoken word in light of our expectation of where the sentence is going. In these cases, our experience of the present event is determined by future expectations, rather than past perceived states. One way to appreciate these claims is to consider the phenomenon of failed expectations. Music and sentences can surprise us by going in a direction that we had not anticipated. What we thought was the start of an extended crescendo turns out to have preceded pianissimo music; when the end of the sentence is spoken, it forces us to revise the meaning of some homonym spoken earlier in the sentence. On occasion, then, we are forced to revise some contemporaneous identification of an event (and not just our predictions about the future), in light of what came to follow it. These cases point to an identification of present events that anticipates the future. We can imagine similar revision in regard to a not-yet-historical event; an onlooker might misidentify the Boston Tea Party, say, as a bump in the road toward happy British rule over the American colonies, later having to revise this identification and recognize the event as a revolutionary activity. This phenomenon of failed expectations, then, is the first reason to think that we can identify a contemporaneous event in terms of the (expected) future. Moreover, I suggest that we have reason to identify human-initiated events, in particular, in regard to the future. Humans have aims; we pursue goals, and this provides reason to identify our actions in terms of these future goals. This is, indeed, the structure of Dasein to which Heidegger directs us: we are oriented primarily toward the future, and we understand ourselves and the things around us in terms of future projects. In order to appreciate their special kind of being, we ought to understand other Dasein in these terms as well. 31 Cf. Wilhelm Dilthey, Selected Works, Volume III: The Formation of the Historical World in the Human Sciences, edited and translated by Rudolf A. Makkreel and Frithjof Rodi, Princeton, Princeton University Press, 2002, 254–255. 31 As with Kant’s historical works, one might suggest that this objection is directed at the wrong Kantian text. For Kant’s understanding of the human being, one ought to look to his practical philosophy. Cf. Immanuel Kant, Practical Philosophy, translated by Mary J. Gregor, Cambridge, Cambridge University Press, 1996. However, like Kant’s texts on teleology, his practical works do not suggest that this other mode of understanding will directly inform our perceptual experience. Although, if one were to offer a reading of these texts such that they were supposed to account for the perception of agents, whereas the first Critique accounts only for our perception of the corporeal objects of nature, this reading would in fact align with Heidegger’s 30

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Thus, we have principled reasons to understand Dasein- or humaninitiated events in terms of the future, rather than first identifying them mechanically, as being causally necessitated by some past state, and only in retrospect performing a forward-looking, historical identification. 32 Further, I argue that this forward-looking identification of events more accurately represents our ordinary understanding of human activity. Returning to the example of the carpenter, the carpenter does not understand himself as engaging in an activity that follows (necessarily) from the past. Rather, he understands himself as being engaged in the construction of a table – or, even more locally, driving a nail into a board – orienting himself toward a future state that has not yet come about and defining his present activity in terms of it. Third-personally, we also understand the carpenter in terms of his future project; when we see him hammering in his workshop, we define this event as work toward some future goal – his work on a table or, even more locally, his driving a nail into a board. As with historical events like the Boston Tea Party, we can misidentify, perhaps identifying his activity as work toward a canoe instead of a table. Regardless, seeing his activity as work toward some future goal shapes our identification of what we take the carpenter to be doing. To be sure, we are also able to provide a physicalistic description of his work – he is swinging his arm up and down – but I suggest that this mechanical identification is different from our ordinary understanding of the event, which draws on the carpenter’s projected aims to identify his activity, appreciating him as the sort of being who has aims. interpretation of experience outlined above. I thank Umut Eldem and Carlos Pereira Di Salvo for helpful discussion on these issues. 32 We might also understand some present-at-hand, natural objects in terms of the future, for example taking a seed to be on its way to becoming a tree. However, the ontological structure of these natural objects does not call for this sort of treatment in the way that the ontological structure of Dasein does; Dasein is oriented toward the future, while present-at-hand objects are just present. Perhaps these cases – where we look at natural objects as if they have an aim – involve projecting our own ontological structure onto the world. Indeed, Kant himself seems to suggest this in the third Critique: in judging a natural object teleologically, »we represent the possibility of the object in accordance with the analogy of such a [teleological] causality (like the kind we encounter in ourselves).« Kant, Critique of Judgment, 5: 360. Cf. Rachel Zuckert, Kant on Beauty and Biology, Cambridge, Cambridge University Press, 2007, 167.

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To attempt again to rescue Kant’s account of event identification, one might suggest that, even if our contemporaneous experience of human-initiated events in some way incorporates considerations about the future, this need not contradict Kant’s claim that the concept of cause allows us to identify these events; perhaps the concept of cause allows us to identify the brute fact that something has happened (that is, a present state followed necessarily from some past state), whereas, in some special cases, considerations of the future allow us to fill out which sort of event it was. However, this account overlooks the fact that approaching objects mechanically, as present-at-hand, results in a different individuation of events than when we approach objects as ready-to-hand equipment, or as Dasein. As Cristina Lafont points out, we individuate the ready-to-hand objects that we use for our practical projects in terms of their functions, as opposed to the merely physical individuations available to a present-at-hand approach; a functional approach, for example, can appreciate the unity of a keyboard, computer screen, and mouse despite little physical continuity. 33 A present-at-hand approach and ready-to-hand approach will individuate objects differently. I suggest that the same goes for human-initiated events; a physical approach will pick out different events than an approach that individuates in terms of aims or goals. For example, imagine an overworked carpenter who is simultaneously building a table and a canoe, hammering nails into the tabletop at one instant, and driving nails into the canoe bottom at the next. A present-at-hand approach would not differentiate between these two actions; physically, the carpenter has been moving his arm up and down at more or less the same rate over this stretch of time. Not until we move to consider the carpenter in terms of his aspirations can we draw the necessary distinction. Thus, the suggestion that we mechanically identify events, and then fill out our understanding of them by drawing on future goals, fails to recognize that mechanics do not pick out the same events that a future-oriented approach does. Let us more formally consider the points of difference between Kant’s account of event identification, and the account of human-initiated event identification that I have been developing, using reCf. Cristina Lafont, »Transcendental versus Hermeneutic Phenomenology in Being and Time« in: Sebastian Gardner and Matthew Grist (ed.), The Transcendental Turn, Oxford, Oxford University Press, 2015, 278–293, 288.

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Do We Identify Human Events with Kant’s Concept of Cause?

sources from Heidegger. First, the present event, for Kant, is identified in relation to a past state (that precedes it), whereas the present human-initiated event is identified in relation to a future state (that follows). Second, Kant has us identify an event through two states that have been perceived: the already-perceived state and the presently-perceived state. However, according to the identification of human-initiated events to which Heidegger directs us, the presentlyperceived state is defined in relation to a state that is only anticipated, a not-yet-perceived future state. The way we understand the presently-perceived state is related to what we expect to happen. Thus, Kant identifies events via two perceived states, whereas human-initiated events are identified through one perceived state and one potential state (the future anticipated table). Finally, Kant suggests that we take there to be a necessitating relationship between states when we identify an event. However, while we might sometimes understand a human-initiated event as the direct cause of some future state, this is not always the case; we often situate events, both human-initiated and historical, in relation to a future state that they did not necessitate, but merely conditioned. 34 For example, the Boston Tea Party was a contributor to the coming about of the Revolutionary War; it was one of the conditions for it, though it did not necessitate it. Likewise, the carpenter’s hammering is one step toward making the table, but one step of many; his hammering does not necessitate the coming about of a completed table. To be sure, the carpenter might engage in causal reasoning as he goes about his task; for example, he sands the tabletop to cause it to be smooth. However, the two states used to identify his human-initiated activity (hammering and the completed table) are not in a necessitating relationship, for he could fail at his task or even give up his profession. Indeed, this lack of necessity is often the case when it comes to identifying events that are but one step in the ongoing, complex projects with which humans engage. Thus, Kant’s emphasis on necessity also fails to capture the relationship between states defining human-initiated events. We cannot think of the human-initiated event as a necessitating cause for some future state. I have argued elsewhere that the concept of condition is also capable of doing the work that Kant attributes to the concept of cause in the Second Analogy, vis. irreversibly ordering perceptual states (that is, identifying an event). Cf. Morganna Lambeth, »An Objection to Kant’s Second Analogy«, Kant Yearbook, 7, 2015, 97–113.

34

281 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Morganna Lambeth

4.

Conclusion

Let us return to the two interpretations of experience. If we interpret experience widely (with Allison), then Kant’s claim in the Second Analogy that the concept of cause is the condition of the possibility of experience faces the counterexample of human-initiated events. Because Kant’s account of event identification does not apply to human-initiated events, I suggest that we should regard the effective scope of the Second Analogy to be our encounters with the presentat-hand – entities considered theoretically in terms of their individual, physical properties. Regardless, then, of the faithfulness of Heidegger’s interpretation, his interpretation and criticism of Kant’s first Critique reveals something novel about the Second Analogy. Because of the fruitfulness of this inquiry, it may well be worth asking elsewhere whether Heidegger’s interpretation is revelatory in regard to the other claims about experience in the first Critique.

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Is Heidegger Eurocentric? A Geography of Being Edward McDougall

Abstract: Heidegger is often presented as Eurocentric in the sense of giving the European or Greco-Germanic tradition a uniquely privileged position. In this paper I challenge such a reading of Heidegger’s thought, firstly by considering his history of western thought, noting that although Heidegger views metaphysical philosophy as European, this does not entail a unique European ascent. I will further contrast Heidegger’s understanding of history with Hegel’s linear view of history. While Hegel’s philosophy of history may appear universal in its scope, such Hegelian universality rests on a view of the ascent of European civilisations over non-European civilisations. I will argue that Heidegger’s later philosophy offers a direct critique of this Hegelian view of history based on the ascendancy of European hegemony. Highlighting Heidegger’s dialogue with the ›East Asian World‹, I will argue that Heidegger’s thought is pluralistic and his later work offers the foundation for a dialogue between worlds. Zusammenfassung: Heidegger wird oft als Eurozentrist präsentiert, in dem Sinn, dass er der europäischen oder griechisch-germanischenTradition eine einzigartig privilegierte Position gibt. In diesem Beitrag stelle ich eine solche Interpretation von Heideggers Denken infrage. Erstens stelle ich durch eine Untersuchung der Geschichte des westlichen Denkens fest, dass Heidegger die metaphysische Philosophie zwar als europäisch betrachtet, dies jedoch keine einzigartige europäische Entwicklung impliziert. Anschließend vergleiche ich Heideggers Verständnis der Geschichte mit Hegels linearer Sicht auf die Geschichte. Während Hegels Philosophie der Geschichte in ihrem Anspruch universal erscheinen mag, beruht diese Universalität auf einem Vorrang der europäischen Kultur über außereuropäische Kulturen. Ich argumentiere dafür, dass Heideggers spätere Philosophie eine direkte Kritik am hegelschen Bild der Geschichte bietet, das auf dem Aufstieg der europäischen Hegemonie gründet. Den Dialog Heideggers mit der »ostasiatischen Welt« betonend, argumentiere ich dafür, dass Heideggers Denken pluralistisch ist und sein Spätwerk die Grundlage für einen Dialog zwischen den Welten bietet.

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Edward McDougall

1.

Introduction

Heidegger’s thought is often presented as Eurocentric in the sense of believing in the unique ascent of the European tradition of thought and the exclusion of other traditions. Such an interpretation is notably advanced by J. D. Caputo, who views Heidegger’s thought as exclusively focused on the Greco-Germanic tradition, seeing his project as aiming to restore »the myth of the Great Beginning among the Greeks to which the Germans are the sole, appointed, destined heirs.« 1 In this presentation I will challenge such a view of Heidegger, emphasising and interpreting the importance of Heidegger’s statement: »to pursue more originally what the Greeks have thought, to see it in the source of its reality. To see it so is in its own way Greek, and yet in respect of what it sees is no longer, is never again, Greek.« 2 Although Heidegger is concerned with the history of European thought, the origin of which he traces back to Greece, there are further strands to his thinking. I will argue that Heidegger sets out the foundations for possible dialogue between European and nonEuropean traditions. To show this aspect of Heidegger’s thought, firstly I will begin by outlining what Heidegger aims to do by writing the history of western metaphysics. From this basis I will focus in particular on the implicit critique of Hegel’s history in Heidegger’s later writings, particularly ›A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer‹. Citing this critique of Hegel, who, as B. Davis states, is »in many ways the philosophical godfather of Eurocentrism,« 3 I aim to show that in this critique Heidegger is challenging any notion that European history has a positive, privileged position in global history. I will further argue that Heidegger’s conception of the ›East Asian World‹ demonstrates a pluralistic element in his thought allowing for multiple distinct worlds with different histories. Finally I will show that Heidegger presents his dialogue with the ›East Asian World‹ as preparation for a furthermore extensive dialogue

John D. Caputo, Demythologising Heidegger, Bloomington, Indiana University Press, 1993, 177. 2 Heidegger, The Nature of Language, GA 12, 135 / Martin Heidegger, On the Way to Language, translated by Peter D. Hertz, San Francisco, Harper & Row, 1971, 39. 3 Bret Davis, ›Dialogue and Appropriation: The Kyoto School as Cross-Cultural Philosophy,‹ in Bret W. Davis et al. (ed.), Japanese and Continental Philosophy: Conversations with the Kyoto School, Bloomington, Indiana University Press, 2011, 43. 1

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Is Heidegger Eurocentric?

that is yet to come, and that it is a call for those who are to come after him to continue his work. Thus far from being Eurocentric, I will show that Heidegger’s work offers the foundation for a radically non-Eurocentric approach to thought.

2.

Heidegger’s History of Western Thought and His Understanding of Philosophy

Central to the view of Heidegger as a Eurocentric thinker is his apparent neglect of non-European thought in his history of philosophy, which interprets a historical line of development from Plato to Nietzsche. This would appear to suggest that Heidegger is attempting to exclude non-Europeans from his history. There are indeed some limitations to Heidegger’s history of philosophy: such as for example his omission of the influence of Averroes or Maimonides on western thought. This, however, is an over-sight not limited to Heidegger’s thought while the Eurocentric view is a deeply caricatured reading of Heidegger’s thought that completely overlooks important aspects of his work. Firstly there is the interpretation that Heidegger’s history of western metaphysics is fundamentally a critical history of the forgetfulness of Being. Hence, while in Heidegger’s correspondence with J. Beaufret, he presents philosophy as something emerging uniquely in Greece, only being »exported very late in the day« 4 to China and potentially other non-western countries, it is important to note that for Heidegger the very notion of philosophy is tainted with metaphysics. Elsewhere in Heidegger’s writings he refers to »Laotse’s [Laozi’s] poetic thinking« 5, indicating that while he views metaphysical philosophy as something distinctively European in its origins, he does acknowledge the existence of a way of thought that is outside of the western tradition. This conception of ›poetic thinking‹ should not be thought of as in any sense deficient in comparison with philosophy. Indeed, ›poetic thinking‹ for Heidegger is a positive connotation set Jean Beaufret 2006, Dialogue with Heidegger: Greek Philosophy, translated by Mark Sinclair. Bloomington, Indiana University Press, 13. 5 Heidegger, The Nature of Language, GA 12, 198 / Heidegger, On the Way to Language, 92. 4

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against metaphysics, which offers a reification of Being by presenting Being as though it were ›a being‹. Heidegger crucially distinguishes ›poetic thinking‹ as resting on hints (Wink) and gestures (Gebärde) rather than the signs and chiffres that he sees as associated with metaphysics. He states that these hints and gestures »are enigmatic. They beckon to us. They beckon away. They beckon us toward that from which they unexpectedly bear themselves toward us«. 6 What distinguishes hints and gestures appears therefore to be their indirectness. ›Signs and chiffres‹ can be read as seeking to directly express something in language, whereas ›hints and gestures‹ seek to point towards something. This means that hints and gestures aim to evoke thoughts of something without being able to say exactly what it is, whilst western metaphysics denies a space for the mysterious by seeking always to portray it in graspable notions, thus denying a space for anything that cannot be represented in this way. This approach, that Heidegger associates with Laozi, who stands outside his history of western philosophy, he views as having equal, but radical distinct footing to the Pre-Socratics, while appearing in Heidegger’s thought to be superior to western metaphysics and globalised technology. Thus, fundamentally, there is no reason to assume from Heidegger’s history of European thought that he attributes any kind of privileged position to the European or western tradition of thought. Indeed, Europe has a uniquely negative role in Heidegger’s thought, »developed in the seventeenth century first [and crucially] only in Europe.« 7 Heidegger sees technology as emerging from the history of western metaphysics.

3.

Heidegger’s Critique of Hegel’s Eurocentric History

The non-Eurocentric nature of Heidegger’s thought can be further seen by comparing his position to Hegel. Hegel, in contrast to Hei-

Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 117 / Heidegger, On the Way to Language, 26. 7 Heidegger »Memorial Address,« GA 16, 152 / Martin Heidegger Discourse on Thinking, translated by John M. Anderson and E. Hans Freund, London, Harper & Row, 1966, 50. 6

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degger, attempts to write an all-encompassing history, which ties in with his own philosophical project. The Hegelian goal of philosophy is to gain total disclosure of the world when the ›Absolute Spirit‹ is able to contemplate itself. Hegel may superficially appear less Eurocentric than Heidegger in that his work seems from the outset to be universal and global in its scope. However, Hegel presents this history as linear development moving from east to west, in which »in the West this long process in the world’s history – necessary to the purification by which the Spirit in the concrete is realized – is commencing, the purification requisite for developing the Spirit in abstract which we observe carried on contemporaneously in the East.« 8 Thus, while eastern civilisations (which for Hegel can be defined as having spread across from Arab North Africa to China, including places such as India, Persia, and Syria) have their place in the Hegelian history of the Spirit, representing the early development, they will ultimately be surpassed by the western (European) civilisations. Thus as Davis states, »for Hegel there could be no reason to return to engage in a dialogue with the East« 9 from a western position as the East has already been surpassed, leaving nothing distinctive in eastern civilisations, which are only treated as less developed prototypes for Europe. This not only allows Hegel as a European to gain privileged access into non-western traditions. From such a view of history Hegel interprets European expansionism in positive terms as »the urging of the Spirit outwards« 10. Thus to Hegel universality is essentially the spread of the west across the globe and there is in effect no place for a distinctively non-European history. Heidegger’s position does not merely contrast with Hegel, but offers a direct critique, specifically in his work »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer«, where a crucial process referred to as Europeanisation (Europäisierung) is examined. Heidegger borrows this term from Husserl 11 to refer to the spread of the

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, The Philosophy of History, translated by John Sibree, New York, Dover Publications, 1956, 410. 9 Davis, »Dialogue and Appropriation: The Kyoto School as Cross-Cultural Philosophy,« 43. 10 Hegel, The Philosophy of History, 41. 11 Husserl calls for non-Europeans to »Europeanize themselves« in ›Vienna Lectures‹. Cf. appendix in Edmund Husserl, The Crisis in European Sciences and Transcendental 8

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European mode of existence, which for Heidegger is based on western metaphysics and the marginalisation or appropriation of non-European traditions. In the ›Dialogue‹ the Japanese interlocutor, however, directly alludes to Hegel concerning Europeanisation, stating that »many people consider this process [Europeanisation] the triumphal march of reason« 12, immediately implying the Hegelian philosophy of history, in particular the Hegelian conception of progress. Heidegger, however, inverts a conception commonly associated in western thought with progress in that, as Halbfass notes, for Heidegger Europeanisation is »rather a statement of global predicament.« 13 Hence, he states that »Europeanisation of man and of the earth attacks at the source everything that is of an essential nature.« 14 Thus, the Japanese interlocutor indicates a feeling of being overwhelmed by the Europeanisation, stating that »the incontestable dominance of your European reason is thought to be confirmed by the success of that rationality which technical advances set before us at every turn.« 15 Although Heidegger’s position is clearly not to affirm this, his thought is thus essential for its critique of this tradition that has now established such a global hegemony. Blocker and Starling take a somewhat idiosyncratic metaphor borrowed from H. G. Wells’ War of The Worlds, comparing westernisation to the Martian invasion of that novel, where »the earthlings [East Asians] are invaded by a seemingly unstoppable foe, but the Martians [the Westerners] are finally stricken where they stand by a microbe within [nihilism].« 16 Heidegger’s history of western metaphysics is precisely the working out of this microbe to undermine western thought from within to allow for non-western voices to be heard.

Phenomenology: An Introduction to Phenomenological Philosophy, translated by David Carr Evanston, Illinois, Northwestern University Press, 1970, 275. 12 Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 104 / Heidegger, On the Way to Language, 15. 13 Wilhelm Halbfass, India and Europe: An Essay in Understanding, Albany, State University of New York Press, 1988, 169. 14 Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 103 / Heidegger, On the Way to Language, 16. 15 Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 104 / Heidegger, On the Way to Language, 16. 16 Gene H. Blocker and Christopher L. Starling, Japanese Philosophy, New York, State University of New York Press, 2001, 163.

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Is Heidegger Eurocentric?

4.

Ancient Greek Encounters in Hegel and Heidegger

For Hegel, it is the progressive achievement of the Greek world that »begins with Nature, but transforms it into a mere objective form of its (Spirit’s) own existence.« 17 This Greek world Hegel contrasts with his understanding of the religion of the Syrians and Semitic Western Asians. Hegel speaks in a deeply negative way about the »worship of the Universal Power of Nature« represented by »Astarte, Cybele, Diana of Ephesus«, associating such worship with »sensuous intoxication, excess and revelry«. 18 This shows a marked contrast to Heidegger’s reverential tone towards Artemis. Hegel’s assessment is that, rather than »sheltering and concealment«, the worship of nature is associated with »destruction of its consciousness on the part of the Spirit in striving to identify itself with Nature, and the annihilation of the Spiritual in general.« 19 Hegel clearly sees such a position as deeply regressive and his analysis of the significance of nature in the Greek world differs radically from Heidegger’s reading of ancient Greece as fundamentally founded upon the primal strife between earth and world. Hegel states that, regarding »the Diana of Ephesus (that is nature as the universal mother), the Cybele and Astarte of Syria – such comprehensive conceptions remained Asiatic, and were not transmitted to Greece.« 20 This reading shows a clear difference from Heidegger’s understanding of Greek art as setting forth the earth. Heidegger’s Sojourns presents a contrasting understanding of Ancient Greece, particularly where Heidegger discusses Apollo and Artemis: »Apollo, the one with great and luminous gaze, the glowing one, who commands through splendour. Artemis, the archer, the one who finds home in the shelter of the wilderness – the two of them are siblings. The way of their presence is together the powerful nearness and sudden disappearance in farness.« 21 For Heidegger, unlike Hegel, the »Asiatic [ancient near eastern] element once brought to the Greeks a dark fire, a flame that their

Hegel, The Philosophy of History, 234. Hegel, The Philosophy of History, 192. 19 Hegel, The Philosophy of History, 192–193. 20 Hegel, The Philosophy of History, 234. 21 Martin Heidegger, Sojourns: The Journey to Greece, translated by John-Panteleimon Manoussakis, Albany, State University of New York Press, 2005, 31. 17 18

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poetry and thought reorder with light and measure.« 22 Heidegger views such an encounter (Auseinandersetzung) as a »fruitful necessity« 23 for Ancient Greece. This dynamic relationship differs from Hegel’s interpretation in so far as the Greek world does not simply transcend the near eastern Asiatic world. Indeed, considering Heidegger’s history of western thought, it is precisely when the ›dark flame‹, which Heidegger associates with the ›Asiatic element‹, is lost from Greek thought that forgetfulness of Being, seen as emanating from western metaphysics, begins with Plato for whom darkness is implicitly negative, associated with the shadows on the cave that have to be transcended with the form of the good which is identified with the light. Hence Heidegger states »that the beingness of whatever is, defined for Plato as eidos (aspect, view) is the presupposition, destined far in advance and long ruling indirectly in concealment, for the world’s having to become a picture.« 24 As Heidegger understands it, western metaphysics continues this underlying Platonic project which is forgetful of the ›dark flame‹, of the encounter between Greece and Asia. In Sojourns Heidegger implicitly links this Ancient Greek encounter with another possible dialogue between the European and Asiatic, asking »whether the East could be for us another sun-rising of light clarity.« 25 Whilst there is an obvious contrast in Heidegger’s language between ›sun rising‹ and ›dark flame‹, there is a clear link in such positive encounters.

5.

The East Asian World as a Separate House of Being: Heidegger’s Ontological Pluralism

What, however, is this potential encounter that Heidegger is referring to? ›A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer‹ is notable as a work which appears to deal with the possibility of such an encounter. Crucial to this dialogue is a notion that Heidegger refers to as the East Asian world (ostasiatische Welt) which he mentions a number of times in statements such as »Count Kuki occasionally brought his wife along who then wore festive Japanese garments. 22 23 24 25

Heidegger, Sojourns: The Journey to Greece, 27. Heidegger, Sojourns: The Journey to Greece, 25. Heidegger, »The Age of the World Picture,« GA 5, 85. Heidegger, Sojourns: The Journey to Greece, 26.

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They made the whole East Asian world [ostasiatische Welt] more luminously present.« 26 Although he never clearly defines exactly what the ›East Asian world‹ means, from Heidegger’s wider thought this world can be thought of as a horizon of disclosure, comparable to how he refers to the Greek world in ›The Origin of the Work of Art‹. Particular entities are made intelligible by the world. 27 Thus Heidegger’s apparently casual remark appears to link strongly with the idea of world gathering in ›The Thing‹, where Heidegger draws attention to the significance of ›a wine jug‹ as a thing within a particular world. He does not enter into further discussion of the festive Japanese garments, unlike the wine jug in ›The Thing‹. However, in some respects the two are similar in that they are relatively simple in appearance on the surface and can be easily overlooked. They both have the quality of nearness and demonstrate the importance of such relatively ordinary things in world-gathering for Heidegger. What is of further significance for Heidegger, however, is that the East Asian world as a radically distinct tradition, dwelling in Heidegger’s terms in a separate House of Being, stands outside of this history of western thought. The figure of ›an Inquirer‹ in the ›Dialogue‹ states that if »man by virtue of his language dwells within the claim and call of Being, then we Europeans presumably dwell in an entirely different house than the East Asian man.« 28 This should not be thought of simply as a trivial linguistic claim that people in China or Japan speak different languages from Europeans, but rather that East Asian languages have been shaped by a history of thought that is radically distinct from that of the West and as such provides a distinct conceptual framework that cannot be readily understood by a westerner. A world for Heidegger is marked out by history and is often linked to a particular place, although it is possible for completely different worlds to exist alongside each other. The ›East Asian world‹ should be thought of as a horizon of disclosure, based on the East Asian tradition of thought, religion, and art, while the western world Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 89 / Heidegger, On the Way to Language, 4. 27 The East Asian world thus should not be thought of as a basic geographic concept. It may be possible for a westerner to visit countries that would be considered East Asian, but never to enter the ›East Asian World‹ in Heidegger’s sense. 28 Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 90 / Heidegger, On the Way to Language, 5. 26

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as a horizon of disclosure is based on the history of western thought. Thus the East Asian world should be seen as a distinct tradition rather than a more general notion of ›Eastern‹ as it is commonly used. The East Asian world, as Heidegger conceives of, encompasses a broad range of different but historically interconnected traditions, including Daoism, both religious and philosophical, Confucianism, Shinto as well as Pure Land, Zen, and Tiendai Buddhism. Historically, the East Asian world clearly includes Ancient China and Japan, 29 but it might be said to have included Korea and Vietnam, although its geographical boundaries should not be thought of as fixed. What marks out a world, as Heidegger understands it, is a horizon of understanding, the East Asian world having a distinct intelligibility that cannot be readily interpreted by westerners. He demonstrates the danger of applying western thought to Japanese principles with his discussion of iki, which describes a certain quality, in the ›Dialogue‹. Heidegger’s concern is that the true significance within the Japanese world of the Edo period might be lost. Thus iki would easily be interpreted as a western aesthetic concept and as such made into an object of western appreciation in a way similar to the statue of the Greek goddess on display in a modern museum referred to in ›The Origin of the Work of Art‹. 30 Thus, when the Japanese in the ›Dialogue‹ proposes a translation of iki as ›the gracious‹ 31, Heidegger is critical, stating that, »as soon as you say this, we are at once in the midst of aesthetics – think of Schiller’s treatise.« 32 Words such as gracious already have a prior history and meaning in western aesthetics. This is similar to Kuki Shuzo’s own rejection of the conventional translation of iki as ›chic‹. 33 Accordingly, a mistranslation of terms such as iki is for Heidegger more than a matter of simple misunderstanding or These are two East Asian countries that Heidegger’s interest in can be directly attested to: with Japan it can be seen in Heidegger’s work ›A Dialogue on Language between a Japanese an Inquirer‹ and with China it is most directly found in Paul Shihyi Hsiao’s account of his encounter with Heidegger. See Paul Shih-yi Hsiao, »Heidegger and Our Translation of the Tao Te Ching,« in: Graham Parkes (ed.), Heidegger and Asian Thought, Honolulu, University of Hawaii Press, 1987, 93–101. 30 Martin Heidegger, »The Origin of the Work of Art,« GA 5, 132. 31 Martin Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 140 / Heidegger, On the Way to Language, 43. 32 Martin Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 140 / Heidegger, On the Way to Language, 44. 33 Hiroshi Nara, The Structure of Detachment: The Aesthetic Vision of Kuki Shuzo: With a Translation of Iki no kōzō, Honolulu, University of Hawaii Press, 2004, 16. 29

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misinterpretation; it threatens the loss of the whole nature of iki by submerging it under European aesthetics. In this respect Heidegger’s approach further differs from Hegel’s in so far as he radically rejects any claim that the western tradition can claim a privileged position relative to non-western traditions. The crucial danger that Heidegger sees is that such readings of non-western traditions will potentially impose meanings taken from other traditions. It is for this reason that Heidegger often appears hesitant about interpreting the Japanese and Chinese traditions of thought. Hence, the East Asian world as Heidegger presents it is defined as a radically distinct tradition with its own history, rather than simply one stage in a universal history as Hegel presents it.

6.

Heidegger’s Thought as a Preparation for Dialogue

›A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer‹ ends inconclusively with the claim that they have »tried to take some steps along the course.« 34 What Heidegger aims to do is not to provide answers to the questions of the figure of the inquirer, but rather to lay the foundation for a future, further dialogue. Both the Japanese and the inquirer talk about dialogue as that which »endures« 35. The dialogue thus does not offer answers or conclusions about the East Asian world. What Heidegger has bequeathed to us is rather the possibility of a further dialogue. Heidegger’s dialogue with the East Asian world, far from being a completed act, is as a foundation for an on-going process of dialogue which is yet to take place. Therefore, the work should not be read as an attempt to offer answers to the particular questions asked by the inquirer but as a call to continue the dialogue. Hence, while the work of tracing non-western influences upon Heidegger’s work as presented by R. May and G. Parkes among others is certainly important, what is perhaps a greater task is that of continuing Heidegger’s dialogue. As post-Heideggerians, we may therefore consider some further problems left by Heidegger’s dialoHeidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 154 / Heidegger, On the Way to Language, 54. 35 Heidegger, »A Dialogue on Language between a Japanese and an Inquirer,« GA 12, 155 / Heidegger, On the Way to Language, 54. 34

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gue, such as for example, one may claim, as S. Sandford does in ›Going Back: Heidegger, East Asia, and ›The West‹‹ 36 that Heidegger’s central focus on Being (as Sein or Seyn) still remains Eurocentric or rather Indio-European-centric. This exclusive categorisation rests on the fact that this particular form of the verb ›to be‹ appears to be absent from many non-Indo-European languages. This, however, need not necessarily be interpreted as residual Eurocentrism in Heidegger’s thought. Given that Heidegger treats language as the »House of Being« 37, he would acknowledge that thinking within a European language one must conceptualise Being in a European way. However, what he seeks to conceptualise through Being is something beyond language: this presents the possibility that Being may indeed be understood differently within a different language, as for example through the Dao in Chinese thought. This possibility is worthy of further consideration. Although Heidegger presents the possibility of an East Asian history of thought that is radically distinct from western history, he never develops such a conception. The nature of such an East Asian history, which may potentially be considered as the history of the Dao rather than Being, is something that needs to be considered by post-Heideggerian thought, while Heidegger’s conception of different worlds, with different histories, may be further extended to include any number of other worlds beyond East Asia and Europe including African worlds or an Indian world. This raises a literally unlimited possibility of further dialogues based on Heidegger’s thought.

7.

Conclusion

The interpretation of Heidegger’s thought as Eurocentric is thus fundamentally misrepresentative, overlooking an important part of his work. Whilst it is true that his history of metaphysics does focus on European thinkers, this is only part of Heidegger’s thought with his dialogue standing as another crucial part of his project. Furthermore it is important to note that, in contrast to Hegel’s attempt to create an all-encompassing history based on the ascent of Europe over and Stella Sandford, »Going back: Heidegger, East Asia, and ›The West‹«, in Radical Philosophy, 120, 2003, 16. 37 Heidegger, Letter on Humanism, GA 9, 145. 36

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above the various eastern civilisations, granting Europeans privileged knowledge, Heidegger’s history is pluralistic in the sense that it focuses on the history of western thought, but leaves open the possibility of other histories in other worlds. On this basis Heidegger is not merely allowing for but actively calling for the possibility of encounters between radically different worlds. His contribution to such encounters, appearing negative in the sense that he rejects the basic comparative approach as a true encounter between worlds, must respect the fundamental difference between worlds. However, Heidegger’s further contribution in his later writings is to undermine the European tradition’s claim to a privileged position from within, with his critique of western metaphysics. While in an epoch which he associates with the globalisation of technology founded on the European tradition, his call is to recover marginalised traditions such as East Asian thought in order to challenge this hegemony. There are of course limitations in Heidegger’s work. As noted, he fails to consider the further possibility of a fruitful dialogue with the Indian or African worlds. Heidegger indeed may not have been completely immune to prejudice. However, in spite of these limitations, his later work, far from being simply a statement of Eurocentrism or indeed crude Greek-centeredness as is often presented, lays the foundation for a radically non-Eurocentric approach to philosophy, while Heidegger directly critiques the global European hegemony which he calls Europeanisation. Thus Heidegger’s dialogue with the Greek world should not be understood as an attempt to revert to a purified Greek beginning; it should be interpreted according to Heidegger’s claim of his dialogue with the Greek world as »the precondition of the inevitable dialogue with the East Asian World.« 38 Such a dialogue with the East Asian world is often interpreted as a marginal aspect of Heidegger’s thought, receiving far less attention than his work on the Greeks. However, rather than simply being presented as an afterthought, the dialogue is an embryo with its own potential. It is a challenge set for post-Heideggerians to continue and extend this dialogue.

Heidegger, Science and Reflection, GA 7, 41 / Martin Heidegger, Question Concerning Technology and Other Essays, translated by William Lovitt, New York, Harper and Row 1977, 158.

38

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Der Ort der Wahrheit Heideggers Ortsdenken mit Blick auf die Philosophie Nishidas Francesca Greco

Zusammenfassung: Aufgabenstellung des vorliegenden Aufsatzes ist es, auf die grundlegende Vielfalt der Struktur der Wahrheit hinzuweisen, deren Ortschaft uns zu ihrer phänomenologischen Erörterung führt. Zu diesem Zweck werde ich auf der Grundlage von Heideggers Verständnis der ἀλήθεια Beiträge Nishidas (西田幾多郎 Kitarō Nishida) zum Ortsdenken und zur Nichts-Auffassung einbeziehen in der Hoffnung, damit einen reizvollen Dialog zu stimulieren. Aufgrund der Einräumung eines Ortes durch seine Grenzen und aufgrund des Bezugscharakters der Grenzen wird das Spiel des Sich-Gebens und -Entziehens enthüllt, und dadurch drängt sich die Notwendigkeit einer Negativitätshermeneutik auf. Diese wird anhand von Nishidas Analyse des Ortes des absoluten Nichts (絶対無の場所 zettai mu no basho) und Heideggers Bild der Lichtung vorgeschlagen. Schlussfolgerung dieser Auseinandersetzung ist die Auslegung des Schattenspiels der ἀλήθεια als durchdringliche Wechselbeziehung (即 soku), in deren Bezugsrahmen wir in der Wahrheit wie an einem Ort wohnen können. Abstract: The aim of this essay is to exhibit the fundamental structure of truth in its various manifestations, whose character as a place leads us to its phenomenological discussion as »Erörterung«. For this purpose, I will draw upon Nishida’s (西田幾多郎 Kitarō Nishida) thought about place against the background of the conception of nothingness present in Heidegger’s understanding of ἀλήθεια, with the intention of stimulating a dialogue about the relationship between western and eastern philosophy. By examining the phenomenon through which room is made for a place by setting out its borders and the signifying nature of this occurrence, we discover the play of giving and withdrawing that defines Being and thus also the unavoidability of pursuing a hermeneutics of negativity. This article is based on Nishida’s analysis of the place of absolute nothingness (絶対無の場所 zettai mu no basho) and Heidegger’s picture of clearing. The outcome of this inquiry is an interpretation of ἀλήθεια and its play between shadow and light as a pervasive and reciprocal (即 soku) relation, in the context of which we can dwell in truth as a place.

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Der Ort der Wahrheit

1.

Die Frage nach der Wahrheit

In diesem Beitrag geht es um die durch Heideggers Deutung der Wahrheit als ἀλήθεια gegebene Möglichkeit des Umdenkens. Der Weg, den ich vorschlagen möchte, folgt einer hermeneutisch-phänomenologischen Erörterung, 1 die uns ermöglicht, den Ort der Wahrheit zu erkunden. Eine derartige Erörterung soll dazu führen, dass die Wahrheit nicht mehr als vor- oder zuhandenes Objekt verstanden wird, welches einem Subjekt zur Verfügung steht. Vielmehr ist es meine Absicht, die Wahrheit als Phänomen zu betrachten, das in der wesentlichen Räumlichkeit des In-der-Welt-seins des Daseins fundiert ist. Auf diesem Phänomen verwurzelt sich auch die Erfahrung des Wohnens 2 an dem Ort, wohin uns die Erörterung geführt hat. Die gewohnte Wahrheit nimmt hier eine breitere Bedeutung an: Das Inder-Wahrheit-wohnen, statt eine gewöhnliche Wahrheit zu besitzen, besagt, dass der Mensch gemäß der Struktur des heideggerschen Daseins sich in der Wahrheit heimisch oder unheimlich fühlen kann. Damit wird die Wahrheit als Ort entworfen, in dessen Rahmen sich der Mensch eigentlich schon immer befindet und ihn trotzdem immer wieder entdeckt. Damit reihe ich mich in die Denkrichtung Heideggers 3 ein, um mich mit ihr in einer konstruktiven und kritischen Weise auseinanderzusetzten, weil sie mir als anregende Grundlage erscheint, um die fernöstliche Denktradition mit der tausendjährigen abendländischen Philosophieüberlieferung in Dialog zu bringen. Insbesondere werden hier Beiträge aus der Kyoto-Schule (京都派 Kyōto ha) berücksichtigt, und zwar im Bereich des phänomenologischen Ortsdenkens und der Nichts-Auffassung in Nishidas Philosophie. Mein Vorhaben in diesem Kontext ist, die Deutung der Wahrheit in Frage zu stellen, welche Wahrheit gewöhnlich durch Positivität, Beständigkeit und Festigkeit kennzeichnet. Sie ist als Besitz beziehungsweise Menschenbesitz dargestellt und wird in der Form der Aussage ausgesprochen. Die Wahrheit, auf diese Weise verstanden, Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 31–78. Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 45–164. 3 In diesem Beitrag beziehe ich mich auf Heideggers Philosophie im Ganzen, ohne näher zwischen seiner früheren und späteren Philosophie zu unterscheiden. Das Denken Heideggers wird hier als einheitlich erfasst, mit besonderem Rückblick auf den Leitbegriff der Räumlichkeit des Da-Seins, welcher sich im Lauf seines Denkens entwickelt hat. 1 2

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ist eine schon gegebene, verfügbare Wahrheit, welche die Grundlage für eine zu stark objekt- oder subjektgebundene Philosophie wäre, die sich somit in ihren Gemäuern einschlösse. Sowohl Heidegger als auch Nishida verstehen die Wahrheit als Offenheit und richten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise gegen solche Wahrheitsverständnisse. Laut Heidegger entspricht der Kern der sogenannten positiven Wissenschaften der kantischen Definition von Wahrheit als »Übereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstande« 4 oder als »adæquatio rei et intellectus« 5 wie bei Thomas von Aquin, die beide nach der Relation zweier Größen oder Gegenstände fragen. 6 Für Nishida 7 bleibt sogar Hegel mit seiner prozessualen Philosophie ein Vertreter der einseitigen Positivität beziehungsweise Subjektivität, die das Fragen jedes Mal anhält und auflöst gemäß dem »Prozess, der sich seine Momente erzeugt und durchläuft, und diese ganze Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit aus« 8. Demgegenüber hält sich die Wahrheit in ihrer Geschmeidigkeit ständig im Unterwegs auf, dort, wo sie vom Spiel des Fragen-Antwortens nicht loskommen kann. Im Grunde genommen antwortet das Denken der Wahrheit sogar nie, da das wahrhafte Fragen die Antwort in sich schon enthält und trotzdem sich vom Hören jener Antwort überraschen lässt. Mit andern Worten: Sie überantwortet sich, »und dies nicht, weil die Antwort immer weiter hinausgeschoben werden soll durch ein endloses Fragen, das, man weiß nicht wie, nur aus einer verdächtigen Lust an sich selbst sich in sich selbst bewegt »Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstande besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte.« Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg, Meiner, 1998, 136 [AA 03:79]. 5 »Respondeo dicendum quod veritas consistit in adæquatione intellectus et rei« S. Thomæ Aquinatis, Summa Theologica I, Augustæ Taurinorum Typographia Pontificia, 1901, 158 [q. 21, a. 3.]. »Prima ergo comparatio entis ad intellectum es ut ens intellectu concordet, quae quidem concordia adaequatio intellectus et rei diciur, et in hoc formaliter ratio veri perficitur.« Thomas von Aquin, Von der Wahrheit, Hamburg, Meiner, 1986, 8–9. 6 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 282–305. 7 Kitarō Nishida, Luogo, herausgegeben und übersetzt (ins Italienische) von Enrico Fongaro, Milano, Mimesis, 2012, 31–93. 8 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke, Band 3, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1989, 24. 4

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und verfängt« 9, sondern wesentlich, weil für das denkerische Fragen die Antwort »die Stimme der Stille« 10 ist. Die eigentlichen Forscher sind Fragende, die keine Antwort suchen, 11 welche die Wahrheit in der Form einer klaren, bestimmten und festen, in einem Wort positiven Aussage darstellt. 12 Im Unterwegs des Fragens erfahren wir eine Art Nichtigkeit beziehungsweise Negativität, und zwar den unheimlichen Mangel oder das Verfehlen der Bestimmung von etwas, das sich nun zum Teil im Schatten geheim hält und doch gleichzeitig zum Teil ans Licht kommt. Vor allem soll eine solche Negativität berücksichtigt und nicht vermieden werden, hauptsächlich in Anbetracht dessen, dass sie anscheinend wesentlich zur Frage und deswegen auch zur Erörterung der Wahrheit gehört. Dazu drängt sich eine Analyse der Negativität auf, die uns gestattet, die enge Zusammengehörigkeit des Positiven und Negativen nicht aus den Augen zu verlieren, welche Heidegger und Nishida andeutungsweise in der ἀλήθεια beziehungsweise im absoluten Nichts (絶対無 zettai mu) erblickt haben. Die Wahrheit, als Ort verstanden, stellt den Bezug zwischen diesen beiden Auffassungen her und damit den Rahmen, in dem die Wahrheit erst erfahren und ausgelegt werden kann. Wenn wir versehentlich den Bezugsrahmen missachten, verlieren wir damit das Wesen der Wahrheit selbst. Betrachten wir beispielsweise den Fall eines Textes oder eines Diskurses: Wenn wir einen Text lesen oder einen Diskurs hören, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Worte, die geschrieben oder ausgesprochen werden. Damit missachten wir etwas, das die Ganzheit des Textes oder des Diskurses ausmacht, das heißt wir verlieren den Ort aus den Augen, an den uns die Erörterung solcher Worte leitet. Heidegger, Besinnung, GA 66, 358. Vgl. GA 66, 357–361. Heidegger, Besinnung, GA 66, 358. Vgl. GA 66, 357–361. 11 »Doch handelt es sich beim Finden dessen, was wir miteinander suchen, nicht um ein Entdecken. […] und die Art des Findens wird durch die Weise des Suchens bestimmt […] Und das Suchen? […] Durch die Art des Findens … Die Art des Findens wird wohl durch das Wesen des möglichen Fundes bestimmt werden, d. h. durch die Weise, wie das Zufindende verborgen ist. Etwas kann z. B. so verborgen sein, dass es verdeckt ist.« Heidegger, Feldweg-Gespräche, GA 77, 80–81. 12 Die Wahrheit kann keine Aussage sein, weil sie die Sicherheit der Positivität der Wahrheit voraussetzen würde: »Wer jedoch vom Denken nur eine Versicherung erwartet und den Tag errechnet, an dem es ungebraucht übergangen werden kann, der fordert dem Denken die Selbstvernichtung ab.« Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 261. 9

10

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Grundbedingung dafür, die geschriebenen Worte zu bestimmen und die gesprochenen Worte zu hören, ist nämlich die Anwesenheit vom leeren Raum zwischen dem Geschriebenen und der Stille oder der Pause zwischen dem Gesagten. Diese Leere und diese Stille bleiben unbedacht, aber verbleiben trotzdem im Rahmen der Rede und gehören sogar wesentlich zur Redeganzheit dazu, da wir ohne Zwischenraum oder Stille die Worte selbst nicht bestimmen können. Falls und wenn wir diese Leere überhaupt wahrnehmen, ist sie bloßer Mangel, Fehlen, Defizit oder Abwesenheit an Worten oder Lauten und eigentlich nicht wesentlicher Teil oder sogar Grund 13 dieser Wahrnehmung. Da es unheimlich ist, bleibt es geheim. 14 Fragender sein bedeutet hier, offen zu bleiben für dieses Geheimnis und dieser Negativität zuzustimmen. Mit anderen Worten: Wir sollen die Suche mit der Ehrlichkeit und Einfältigkeit eines Kindes unternehmen, um nicht zu eng an unseren Vorstellungen haften zu bleiben und uns stets zu be-wegen 15. Für das Geheimnis 16 offen bleiben heißt aber nicht, die Orientierungspunkte zu verlieren und uns komplett zu verlaufen. Letztere haben nur eine Versammlungsund Leitungsfunktion, statt unbeirrbare und unerschütterliche Standpunkte zu sein. Indem sie sich aufeinander beziehen, bilden sie eine Struktur, innerhalb deren Bezugsrahmen wir eine gewisse Stabilität erhalten im Unterwegsbleiben. Diese Struktur bildet das tragende Gerüst des Wahrheitsverständnisses als Ort, an dem wir wohnen können. 17 Vgl. Heidegger, Der Satz vom Grund, GA 10, 49–61, 87–99, 153–169. Bei den vorgezogenen Beispielen können Ähnlichkeiten mit dem Beispiel des Kruges aufgefunden werden. Vgl. Heidegger, Feldweg-Gespräche, GA 77, 1–159. 15 Wie Heidegger ihn selber verwendet, dient der Bindestrich der Betonung des Wegcharakters seines Denkens, das von der Bewegung und dem Sich-aufmachen auf den Weg gekennzeichnet ist. Für eine ausführliche Untersuchung zur Weghaftigkeit verweise ich auf Otto Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen, Neske, 1963. 16 »Die Berechenbarkeit und Technik der Natur in das offene Geheimnis einer neu erfahrenen Natürlichkeit der Natur zurückzubergen.« Heidegger, Aus der Erfahrung des Denkens, GA 13, 146. 17 Dieses »Können« entspricht keiner Fähigkeit oder Potenzialität, die dem Dasein gegeben ist, sondern der Existenz des Daseins selber, das es sich in ihr schon immer als geworfen befindet. Die Existenz wird bei Heidegger zur Möglichkeit, nicht es selbst zu sein: »Das Dasein versteht sich selbst immer aus seiner Existenz, einer Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein. Diese Möglichkeiten hat das Dasein entweder selbst gewählt, oder es ist in sie hineingeraten oder je schon darin aufgewachsen.« Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 17. Vgl. Christoph Demmerling, 13 14

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2.

Ein phänomenologischer Versuch

Bis hierhin sollte deutlich geworden sein, dass die Wahrheit eine enge Beziehung mit den Sinnen hat, und hier würde ich gerne beim Sehen verweilen. Das erlaubt uns, den Weg der Phänomenologie 18 zu gehen und die Wahrheit als Phänomen 19 zu betrachten. In Sein und Zeit nimmt Heidegger den Ausdruck in seiner ursprünglichen griechischen Bedeutung auf und versteht Phänomen 20 als »das Sich-anihm-selbst-zeigende, das Offenbare« 21. Daraus folgt, dass sich das, was sich zeigt, auch sehen lässt. Das Sehenlassen 22 bestimmt das Wahr- oder Falschsein des Phänomens, aber nicht nach Übereinstimmung, sondern, um es mit Heideggers Worten zu sagen, nach Entdecktheit 23 und Verborgenheit. Wahrsein meint hier »aus der Verborgenheit herausnehmen« 24, nämlich un-verborgen sein. Unverborgenheit ist nach Heidegger die angemessenste Übersetzung des Griechischen ἀ-λήθεια, dessen ursprüngliche Bedeutung nicht »zu übersetzen« 25 ist. Die Phänomenologie, wie er sie versteht, stellt nach Heidegger den wichtigeren Ausgangspunkt für die Frage nach dem Sein dar, »Hermeneutik der ›Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein‹«, in: Thomas Rentsch (Hg.), Martin Heidegger: Sein und Zeit, Berlin/München/Boston, De Gruyter, 2015, 94– 100. 18 Hier ist zu beachten, dass das, was wir unter Phänomenologie verstehen, im Bezug steht mit dem, was Heidegger damit gemeint hat beziehungsweise auch mit der Kritik an Husserls Phänomenologie-Begriff. 19 Oder als Ereignis, wie es Heidegger später beschreiben wird. Hier jedoch bevorzugt man den Terminus Phänomen, um den phänomenologischen Blick zu betonen. 20 »Φαίνω inf. Φανήμεναι: bring to light, in physical sense, show by baring, uncover, disclose, to be seen, of event come about, to be manifest, of what appears to the senses, of what is mentally manifest, what is to be seen (Arist.Rh.1402a28), ὄντα τῇ ἀληθείᾳ, (Pl.R.596e, cf. Arist.Top.100b24).« Liddell Scott Jones, Greek-English Lexikon, Oxford, Claredon Press, 1996, 1912–13. 21 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 38. 22 Das Sehenlassen ist für Heidegger Logos. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 36– 52. 23 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 290. 24 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 40. 25 »Das griechische Hauptwort λόγος gehört zum Zeitwort λέγειν. Dies besagt: sammeln, eines zum anderen legen. Hierbei kann es geschehen, daß das eine so zum anderen gelegt wird, daß eines nach dem anderen sich richtet. Solches Richten ist jenes Rechnen, das durch das lateinische reor und ratio vorgestellt wird, weshalb das römische Wort ratio geeignet ist, das griechische Wort λόγος ins römische Denken überzusetzen.«, Heidegger, Der Satz vom Grund, GA 10, 160.

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während sie in Nishidas Philosophie meines Erachtens der implizite Grundpfeiler seines Denkens bleibt. 26 Tatsächlich strebt Nishida durch die Leitidee der »reinen Erfahrung« (純粋経験 junsui keiken) 27 nach der unmittelbaren Wahrnehmung der Wirklichkeit, so wie sie sich gibt, ohne dass die Tätigkeit des Selbst (自己 jiko) in der Reflexion (反省 hansei) vonseiten des Bewusstseins 28 (意識 ishiki) ins Spiel kommt. Bei Nishida gerät der Begriff von reiner Erfahrung von seinem ersten 29 bis zum letzten veröffentlichten Werk 30 nie in Vergessenheit. Die aus dem Buddhismus stammende Konzeption von Tathata 31, oder »Sosein der wahren Wirklichkeit«, führt auf die Möglichkeit einer Erfahrung zurück, in der es noch kein Subjekt und kein Objekt gibt, und genau das spiegelt sich in der reinen Erfahrung wieder. Tatsächlich zeigt es, dass Nishida in seinem philosophischen Denken seiner buddhistischen Herkunft immer treu geblieben ist. 32 Die Quelle der reinen Erfahrung sowie die Möglichkeit der phänomenologischen Auslegung von Nishidas Philosophie haben ihre Wurzeln in den Zen-buddhistischen Grundgedanken von kensho 33 Vgl. Kitarō Nishida, Logik des Ortes, herausgegeben und übersetzt von Rolf Elberfeld, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999. 27 Vgl. NZK [Nishida Kitarō Zenshū] I, Tōkyō, Iwanami Shoten, 2002–2009. 28 意識 (ishiki) wird auf Deutsch mit Bewusstsein übersetzt und spielt in der Philosophie Nishidas eine besondere Rolle gegenüber dem Begriff 自覚 (jikaku), der in seinem Spätdenken als Erweiterung der reinen Erfahrung gilt. 自覚 (jikaku) wird im Deutschen auf zweierlei Art übersetzt: mit Selbstbewusstsein oder Selbstgewahren; im ersten Fall wird der Einfluss des Deutschen Idealismus hervorgehoben, während in der zweiten Übersetzungsmöglichkeit die buddhistische Grundlage Nishidas Denkens betont wird. Im Italienischen werden die Worte coscienza für 意識 (ishiki) und consapevolezza für 自覚 (jikaku) verwendet. Meines Erachtens bleibt in diesem Fall die italienische Übersetzung Nishidas Absicht treuer, darum würde ich dazu tendieren, 自覚 (jikaku) mit Selbstgewahren zu übersetzen. Mithin wird nicht nur die Unterschiedlichkeit zwischen den zwei Termini bewahrt, sondern auch die innerliche Entwicklung seines Denkens betont. Vgl. Elberfeld, Kitarō Nishida (1870–1945). Das Verstehen der Kulturen, Amsterdam-Atlanta, Edition Rodopi B. V., 1999, 74–76. 29 NKZ I, Zen no kenkyū, (1911). Kitarō Nishida, Über das Gute, herausgeben und übersetzt (ins Deutsche) von Peter Pörtner, Frankfurt am Main, Insel Verlag, 1993. Kitarō Nishida, Uno studio sul bene, herausgegeben und übersetzt (ins Italienische) von Enrico Fongaro, Torino, Bollati Boringhieri, 2007. 30 Vgl. Kitarō Nishida, La visione religiosa del mondo, herausgeben und übersetzt (ins Italienische) von Tiziano Tosolini, Palermo, L’Epos, 2005. 31 Vgl. Kitarō Nishida, Problemi fondamentali della filosofia, herausgegeben und übersetzt (ins Italienische) von Enrico Fongaro, Venezia, Marsilio, 2014, 7–52. 32 Vgl. Nishida, Über das Gute. 33 Vgl. Daisetz Teitaro Suzuki, Saggi sul Buddhismo Zen II, Roma, Edizioni Mediter26

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(見性) und satori (悟りoder 覚り). 34 Das Wort kensho besteht aus dem Kanji von Sehen (見 ken oder mi) und dem Kanji von Natur oder Wesen (性 sho) und wird wörtlich mit »die eigene Natur sehen« übersetzt. Satori wird meistens mit Erleuchtung übersetzt und kommt vom japanischen Zeitwort satoru (覚る), das das Erwachen oder das Wahrnehmen bezeichnet. Somit können wir sagen, dass Erleuchtetsein besagt, die eigene Natur zu sehen. Dies offenbart die Sonderbeziehung, die satori und kensho mit dem Sehen (見 mi) und mit dem Auge (目 me) haben und sogar noch mehr, da das Zeigen selbst (見せる miseru) denselben Radikal enthält, sodass die phänomenologische Zusammengehörigkeit von Sehen und Zeigen noch deutlicher wird. Bemerkenswert ist außerdem, dass im Japanischen der Radikal mi 見, beziehungsweise sato oder kaku 覚, auch in den beiden häufig von Nishida verwendeten Wörtern Selbstbewusstsein oder Selbstgewahren (自覚 jikaku) 35 und Wahrnehmung (知覚 chicaku) sowie darüber hinaus auch in satori (覚り) enthalten ist. Bisher wurde kurz umrissen, dass sowohl die phänomenologische Methode als auch der Zen-Buddhismus 36 Grundsteine des Denkens Nishidas bilden. Nachdem nun die Methode der Phänomenologie dargelegt und ein Überblick gegeben wurde, machen wir uns auf den Weg zur Erörterung des Ortes der Wahrheit.

ranee, 1977, 29. Das kensho ist nämlich der privilegierte Zugangspunkt, der zur Realisierung des satori (悟り) oder Erleuchtung führt. 34 Vgl. Suzuki, Saggi sul Buddhismo Zen I – II – III, Roma, Edizioni Mediterranee, 1977. 35 In der Wende in Nishidas Denken mit dem Werk Intuition und Reflexion im Selbstbewusstsein (1917) stellt der Begriff Selbstbewusstsein (自覚 jikaku) eine Entwicklung der reinen Erfahrung dar. Vgl. Nishida, Problemi fondamentali della filosofia, 53–64. 36 Der implizite Verweis auf den Zen-Buddhismus wird vor allem deutlich, als Nishida in eine Sackgasse gerät und es ihm durch die Grundgedanken des Zen-Buddhismus gelingt, neue Lösungen und Wege des Denkens zu finden »Ora, se sei tu va bene, ma se i soliti ignoranti dicono che io sono lo zen ecco io mi oppongo con tutte le forze. Chi dice così non conosce lo zen e non capisce la mia filosofia, dice semplicemente x = y e fraintende sia la mia filosofia che lo zen.« NKZ XXIII, 72–73; zitiert in Nishida, Luogo, 11.

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3.

Eine Erörterung

Absichtlich wird hier das Wort Erörterung 37 verwendet, wie es Heidegger versteht: Erörtern meint hier zunächst: in den Ort weisen. Es heißt dann: den Ort beachten. Beides, das Weisen in den Ort und das Beachten des Ortes, sind die vorbereitenden Schritte einer Erörterung. Doch wagen wir schon genug, wenn wir uns im Folgenden mit den vorbereitenden Schritten begnügen. Die Erörterung endet, wie es einem Denkweg entspricht, in einer Frage. Sie fragt nach der Ortschaft des Ortes. […] Der Ort versammelt zu sich ins Höchste und Äußerste. Das Versammelnde durchdringt und durchwest alles. Der Ort, das Versammelnde, holt zu sich ein, verwahrt das Eingeholte, aber nicht wie eine abschließende Kapsel, sondern so, daß er das Versammelte durchscheint und durchleuchtet und dadurch erst in sein Wesen entläßt. 38

So schreibt Heidegger an einer Stelle über die Erörterung des dichtenden Sagens von Georg Trakl. Sein Ziel ist es, einen Ort im Gedicht 39 Trakls zu finden, in dem seine Dichtungen versammelt werden. Das Erörtern entspricht hier dem Lateinischen collocare, das heißt etwas an einen beziehungsweise seinen Platz bringen, dort wo die Dichtungen im Gedicht versammelt werden. An diesem Ort der Erörterung wird die Wahrheit des Gedichtes und der einzelnen Dichtungen offenbart im Sinne von freigegeben. Gleich zu Beginn des oben genannten Aufsatzes weist Heidegger auf die Grundbedeutung des Wortes Ort als Spitze des Speeres hin. Wenn wir uns das Deutsche Wörterbuch anschauen, finden wir noch weitere Hinweise auf die vielfältige Bedeutung des Wortes Ort. Neben der Bezeichnung des Ortes als Schneide einer Waffe steht die Bezeichnung als Treffpunkt zweier Linien, die sich entweder in einem Hier verweist man zur Etymologie der Worten Erörterung und Erörten: »Erörterung: Ich verstehe unter erörterung die deutliche, wenn gleich nicht ausführliche vorstellung dessen, was zu einem begriffe gehört. Kant 2, 62.« »Erörtern: dijudicare, desceplare, eine sache, ein recht erörtern, nach allen seiten, in ort und ecken messen […] STIELER 1396; grenzirrungen erörtern; wo mans recht ansicht und erörtet.« Grimm’s Deutsches Wörterbuch, Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1862, 935. 38 Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 33. 39 In diesem Aufsatz unterscheidet Heidegger zwischen Gedicht und Dichtung, wobei das erste den einheitlichen Geist aller Dichtungen meint und die zweite die verschiedenen Dichtungen. Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 31–78. Vgl. Jacques Derrida, »Heideggers Hand«, in: Jacques Derrida, Geschlecht (Heidegger), Wien, Passagen-Verlag, 1988, 45–99. 37

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Winkel oder einer Kreuzung mit vier Winkeln treffen können. 40 Die Erörterung eines Phänomens räumt gleichzeitig diesen Ort ein; sie baut ihn auf, indem sie ihn (auf)zeigt. An diesem Versammlungsort werden die Unterschiede nicht nivelliert, vielmehr gewährt dieser Ort die verschiedenen Bedeutungen in sich und ermöglicht ihre Mehrdeutigkeit 41, die »die Strenge des Lassenden« 42 verfolgt. Der Ort der Wahrheit, an dem sich die verschiedenen Bedeutungen versammeln, kann kein ruhiger sein und de facto »ist [die Wahrheit] Entgegnung und Streit in das Offene ihrer Kreuzung« 43. Der Aufbau eines Ortes ist ein Verfahren, da der Ort nicht schon immer vorhanden ist. Ein Ort entsteht durch das Einräumen eines Raums, und bevor es einen Ort gibt, gibt es allein Stellen 44 und Stätten 45. Einen Raum einräumen bedeutet, den freigemachten Platz für die Siedlung eingrenzen: Wie Aristoteles in der Physik bereits angibt, geht das Wort τόπος (Ort) aus dem Begriff πέρας (Grenze) hervor. 46 Erst durch das Wohnen und die Grenzen, das heißt durch das Lokalisieren und Eingrenzen eines Raumes für die Siedlung der Menschen, entsteht ein Ort. Der Mensch ist zunächst und zumeist räumlich, in dem Sinne, dass er sich schon immer in der Welt befindet und schon immer mit Dingen umgeht. Bereits in Sein und Zeit wird der Raum nicht als verdinglicht gesehen, da Heidegger die Räumlichkeit fest an die Daseinsstruktur als In-der-Welt-sein 47 bindet; insbesondere verweist er in seiner Darlegung auf den Stamm der Worte in und bei: »›in‹ stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten … Der Ausdruck ›bin‹ hängt zusammen mit ›bei‹ ; ›ich bin‹ besagt wiederum: ich wohne, halte mich auf bei … der Welt, als dem so und so Ver-

Je nachdem, wo sich die Strecken treffen. Meines Erachtens könnte das für die Interpretation des Begriffs Geviert hilfreich sein. 41 Die Mehrdeutigkeit, von der Heidegger spricht, ist wesentlich anders als die Zweideutigkeit der Unbestimmtheit. Vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 71. 42 Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 71. 43 Heidegger, Besinnung, GA 66, 314. 44 Eine Stelle kann »durch etwas besetzt werden«; Beispiele dafür sind die Strömung, das Wasser, die Steine usw. Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 156. 45 Die Stätte ist eine Oberfläche, über die sich Dinge wie eine Brücke erheben. Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 156. 46 »τόπος πέρας τοῦ περιέχοντος σώματος ἀκίνητον – ὁ τόπος ἀγγεῖον ἀμετακίνητον.« Aristoteles, Physik, Hamburg, Meiner, 1987, 86 [212 a 5]. 47 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 71–90. 40

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trauten. Sein als Infinitiv des ›ich bin‹, d. h. als Existenzial verstanden, bedeutet wohnen bei …, vertraut sein mit …« 48. Das In-Sein des Daseins ist also kein Ineinander-Sein, sondern vielmehr ein Existenzial, welches zum Sein des Daseins grundlegend gehört. In seinen späteren Werken wie beispielsweise Bauen Wohnen Denken knüpft Heidegger das Sein der Menschen, als ihren Grundzug, noch enger an das Wohnen und schreibt: »Doch der Raum ist kein Gegenüber für den Menschen. […] Es gibt nicht die Menschen und außerdem Raum; denn sage ich ›ein Mensch‹ und denke ich mit diesem Wort denjenigen, der menschlicher Weise ist, das heißt wohnt, dann nenne ich mit dem Namen ›ein Mensch‹ bereits den Aufenthalt im Geviert bei den Dingen.« 49 Tatsächlich scheint es so, dass alle Menschen in irgendeiner Weise wohnen und das Wohnen eine Selbstverständlichkeit ist, da wir tatsächlich daran gewöhnt sind. Nun wäre es schon nicht wenig, als Fragende das Wohnen denk- und fragwürdig zu machen.

4.

Der Ort

Durch das Einräumen eines Raums ziehen wir Grenzen und Schranken. Dadurch ist für den Menschen ein Ort gewonnen, der dem Menschsein einen Platz auf der Erde gewährt und in dessen Grenze die Menschen behütet wohnen können: »Zum Wohnen, so scheint es, gelangen wir erst durch das Bauen« 50. Das bedeutet nicht, dass alle Bauten zum Wohnen angemessen sind oder dass das Wohnen nur in Wohnungen möglich ist. Erst recht können wir nicht behaupten, dass alle Wohnungen den Menschen eigentlich behausen, sondern vielmehr, dass die Wohnstätten das Heimliche hineinlassen, und dadurch entdecken die Menschen das eigentliche Wohnen wieder. 51 In dem »Wozu« 52 des Bauens bringen die Menschen ein Ding hervor. Eine solche Hervorbringung 53, die wir infolge der Herstellung eines gebauten Dinges erfahren können, stellt eine besondere phänoHeidegger, Sein und Zeit, GA 2, 71–80. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 158. 50 Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 147. 51 Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 148. Heidegger verweist auf das althochdeutsche Wort buan, das ursprünglich ›wohnen‹ bedeutet. 52 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 15. 53 Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 161. Ein Ding bauen bedeutet, das Ding 48 49

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menologische Erfahrung dar. Im Anschluss daran wird das Wohnen als Aufenthalt 54 bei den Dingen entdeckt. Ein Ding bauen bedeutet zuerst sein Wesen 55 herbringen, und zwar dahin, wo der eigene Ort des Wesens ist. Gleichzeitig bringt das Bauen eines Dings das Ding selbst »als einen Ort vor in das schon Anwesende, das jetzt erst durch diesen Ort eingeräumt ist« 56. In dieser Beweglichkeit von Herbringen und Vorbringen zeigt sich die Besonderheit der ›Hervorbringung‹. Dazu nennt Heidegger ein bestimmtes Ding als Beispiel: die Brücke. Das Ding Brücke öffnet die Tore der Stadt zur Welt, und doch schließt es die Stadt in ihren Grenzen ein. In der Bestimmung durch die Brücke öffnet sich eine Gegend 57, innerhalb derer das Wesen des Dings ›Brücke‹ und dessen Eigenheit gegenüber der umgebenden Welt ans Licht kommt. Durch die Brücke als Grenze entsteht für die Stadt zum einen ihre eigene Identität und zum anderen die Differenz von der Welt, die beide von der Grenze in Zusammenhang gesetzt werden. 58 Das Zweierlei der Brücke äußert sich gleichzeitig als Trennungsund Verbindungsmittel. Hauptsächlich entstehen Nähe und Ferne bezogen auf den Ort und seine Grenzen, an dem ein Ding der Art der Brücke für das Wohnen gebaut wurde. Dieser Ort ergibt sich als ein Raum eigener Art, der zwischen Da und Dort liegt und diese erstmals bestimmt und unterscheidet: Das ist ein Zwischenraum. 59 Der Zwischenraum stellt keinen bloßen Abstand zwischen zwei oder mehreren Gegenständen dar, da erst dadurch, dass es einen Zwischenraum gibt, die Gegenstände als zueinander unterschiedlich erscheinen. Das Zwischen ist auch nicht lediglich die Ausdehnung eines Raums, weil wir dadurch den Raum ontisch vergegenständlichen würden. Ausdehnung reicht also nicht aus, um den Zwischenraum zu erfassen. 60 Der Zwischenraum entfernt das Da vom Dort, die erst dadurch an einen Ort herbringen und dort sein Wesen vorbringen. In diesem Sinne besagt »ein Ding bauen« vielmehr ein Ding hervorbringen und nicht nur produzieren. 54 Vgl. Heidegger, Feldweg-Gespräche, GA 77, 181–183. 55 Nämlich das Geviert. Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 161. 56 Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 161. 57 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 135–151. 58 Vgl. Heidegger, Identität und Differenz, GA 11, 37–39. 59 Vgl. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA7, 145–164. 60 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 102–119.

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als Da und Dort entstehen, wobei das Ent-fernen, das »Verschwindenmachen der Ferne« 61, wörtlich zu verstehen ist, nämlich als in die Nähe bringen, in der Nähe begegnen. Außerdem ist das Entfernen keine Näherung, denn das Phänomen des In-die-Nähe-Bringens enthält eine andere Beweglichkeit als die Annäherung, weil das Ent-fernen sichtbar macht, dass das »Ent« seine Wurzel in der Negativität hat. Die Einräumung eines Raums beginnt damit, dass eine Grenze als Orientierungspunkt gezogen wird, der den ursprünglichen Bezugspunkt für Da und Dort, Darin und Daraus, Nähe und Ferne bildet. Die Grenze kommt in ihrer ganzen Hybridprägung ans Licht: Sie ist entscheidender Bezugsort für Identität und Differenz. Die Grenze in ihrem grundsätzlichen Bezugscharakter zeigt sich als Ursprungspunkt für das Wohnen, im Verhältnis zu welchem die Menschen anfangen, sich zu versammeln, zu bauen und zu gewähren. »Die Grenze ist nicht das, wobei etwas aufhört, sondern, wie die Griechen es erkannten, die Grenze ist jenes, von woher etwas sein Wesen beginnt« 62 – also das Wesen des Menschen als wohnend und das Wesen der Dinge als Bauten. Durch die Grenzen gewinnt ein Ort seine positive Bestimmung als Gegend; gleichzeitig entzieht er sich aber als Ort, indem er als abgründiges(r) Zwischen(raum) auftaucht, welches(r) nicht Da und nicht Dort ist und doch sowohl Dort als auch Da. Der Ort, durch die Grenzen entstanden, ergibt sich zugleich (即 soku) 63 als Ort und als Nicht-Ort, und zwar erscheint er als Ort, während er sich gleichzeitig als derselbe entzieht. Die Grenze ist das, was stets überschritten wird, und in dem Überschreiten lassen wir den Ort ein und zugleich los. Vorteil der Grenzen-Analyse in ihrem räumlichen Grundzug ist es, den strukturellen Zwiespalt zu offenbaren und nebenbei die Ne-

Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 140; vgl. GA 2, 135–151. Heidegger, Vorträge und Aufsätze, GA 7, 156. 63 In Nishidas Wortschatz spielt das Kanji soku (即) eine bedeutende Rolle. Es wird mit ›zugleich‹ übersetzt, vertritt aber keine bloße Identität. Es steht für zwei unterschiedliche oder sogar widersprüchliche Bestimmungen und spricht die wechselseitige Durchdringlichkeit vor dem Hintergrund des Basho an. Vgl. Nishida, Logik des Ortes. Dieselbe Logikform wird im Japanischen für die Übersetzung eines der wichtigsten Sūtra des Mahayama-Buddhismus verwendet, nämlich des Herz-Sūtra, in dem es u. a. heißt: »Die Form ist Leere, die Leere ist Form«. Vgl. Nagarjuna, Die Philosophie der Leere, herausgeben und übersetzt (ins Deutsche) von Dieter Back, Bernhard WeberBrosamer, Wiesbaden, Harrassowitz, 1997, 95. Vgl. Edward Conze, I libri buddhisti della sapienza, Roma, Astrolabio Ubaldini, 1976, 73. 61 62

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Der Ort der Wahrheit

gativität des Entzugs, Verbergens, Versagens, Rückkehrens des Phänomens festzustellen.

5.

Die Negativität

Die Negativität in ihren verschiedenen Modi wurde von Heidegger erst in dem Vortrag Was ist Metaphysik? angesprochen, in dem ihre Bedeutung bis zum Gipfel ihrer Darstellung als Lichtung der ἀ-λήθεια wächst: weil das Sichverbergen, die Verborgenheit, die Ἀήθη zur A-Ἀήθεια gehört, nicht als eine bloße Zugabe, nicht so wie der Schatten zum Licht, sondern als das Herz der Ἀλήθεια? Und waltet in diesem Sichverbergen der Lichtung der Anwesenheit sogar noch ein Bergen und Verwahren, aus dem erst Unverborgenheit gewährt werden und so Anwesendes in seiner Anwesenheit erscheinen kann? Wenn es so stünde, dann wäre die Lichtung nicht bloße Lichtung von Anwesenheit, sondern Lichtung der sich verbergenden Anwesenheit, Lichtung des sich verbergenden Bergens. Wenn es so stünde, dann gelangten wir erst mit diesen Fragen auf einen Weg zur Aufgabe des Denkens am Ende der Philosophie. 64

Die Negativität des α-Privativums und das, was daraus folgt, ist hier kurz zu erläutern. Dafür beziehe ich mich auf die Tradition der Kyoto-Schule und besonders auf Nishidas Abhandlung des Nichts (無 mu) und des Zugleichs (即 soku), welche beide stark vom ZenBuddhismus geprägt sind. Auf der Grundlage seiner Logik des Ortes (場所の論理 basho no ronri) unterscheidet Nishida in seinen späteren Werken hauptsächlich zwei Modi der Negativität, die im Zusammenhang mit dem Ort des Seins drei verschiedene Niveaus des Wirklichkeitsverstehens darstellen. Sie entsprechen dem Ort des relativen Nichts (相対無の場所 sōtai mu no basho) und dem Ort des absoluten Nichts (絶対無の場 所 zettai mu no basho). Das relative Nichts bezieht sich stets auf das Sein, gegenüber dem es leer 65 ist. 66 In der Bezeichnung des absoluten 67 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 88. In diesem Sinne entspricht das absolute Nichts dem Leer-Sein oder dem Mangel an etwas. Linguistisch gesehen entspricht es der Verneinungsfunktion von »nicht«. Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 103–121. 66 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 248–249; vgl. GA 2, 244–253, 404–411, 444– 463. 67 Im Attribut ›absolut‹ schwingt ein hegelsches Echo mit, und tatsächlich war Ni64 65

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Nichts fehlt die Beziehung zum Sein ganz und gar, sie drückt pures Privativum 68 aus als höchste und ureigene Möglichkeit der Möglichkeit 69. Zum Wesen dieses absoluten Nichts gehört das Loslassen jeglichen Anspruchs, etwas zu sein, so dass das Nichts uns sein ureigenes Wesen als Leere (空 kū) 70 zeigt. Der Ort des absoluten Nichts beziehungsweise der Leere als Ort schlechthin wird von Nishida schlicht Basho 71 (場所) genannt. Basho ist für Nishida die Quelle der reinen Erfahrung und der allerletzte Hintergrund der Wirklichkeit, der noch vor der Subjekt-Objekt-Spaltung kommt. Als Privativum ist Basho aufgrund der Leere 72 empfangend und hervorbringend zugleich. Meines Erachtens nach stellt die Basho-Logik den Schlüssel dar, das Sich-Entziehen und das Versagen der Unverborgenheit deuten und ein tiefes Verständnis der Wahrheit (ἀλήθεια) in ihrer Ortschaft gewinnen zu können. Basho bezieht sich auf die Fülle des Seins, indem es sich vom Sein entzieht. Der einzig mögliche Bezug im Basho ist der Bezug des Entzugs, der sich nun sogar in seiner Positivität 73 zeigt. Hier kann uns die italienische Sprache helfen, die Deutung zweier Termini zu unterscheiden, weil in ihr bereits zwei verschiedene Wörter gegeben sind, um das Nichts auszudrücken. Das eine, Niente, bezieht sich auf die gewöhnliche, negative Bedeutung von entziehen als entgehen oder wegnehmen und ist damit die Verneinung des Seienden, nämlich non-ente, nicht-Seiendes. Das andere Wort ist Nulla, es ergibt sich als schlichte Leerheit in ihrer sozusagen positiven Bestimmung und ist eng verwandt mit dem Nichts (無 mu) bei Nis-

shida stark von Hegel beeinflusst. Nicht vergessen werden darf hier, dass Nishidas Begriff Basho vom platonischen Chōra und aristotelischen Topos geprägt ist. 68 Im Sinne des α-Privativum. 69 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 371–383. 70 Der Ausdruck stammt aus dem Zen-Buddhismus. Dieses Kanji bedeutet auch Himmel. 71 Wörtlich ›Ort‹ auf Japanisch. 72 Die Leere ist hier nicht als Vernichtung zu verstehen, weil sie kein Thema hat und Vernichtung eigentlich ein Objekt benötigt. Die buddhistische Leere als Basho meint keinen Gegensatz zur Fülle bzw. zum Sein. 73 Durch die Bestimmung der Leere des Nichts als Positivität, nämlich durch den Versuch das Nichts zu definieren, laufen wir stets Gefahr, uns über ihr tiefstes Wesen zu täuschen, da sich die Leere der Definition schlichtweg entzieht. Damit führt jede Definition der ›Leere‹ zu ihrer Verfälschung und jeder Versuch schlägt fehl und versperrt uns den Weg zu ihrem Verständnis.

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hida. 74 Die Komplexität der Negativität besteht nicht nur darin, dass wir sie zur Kenntnis nehmen, sondern sie auch als wesentlichen Teil der Wahrheit des Seins berücksichtigen sollen, da sie in der Daseinsgeschichte neben der Positivität des Seins eine wichtige Rolle bei der Auffassung der Wahrheit spielt.

6.

Resümee

In diesem Beitrag wurde auf die fundamentale Struktur der Wahrheit unter phänomenologischer Berücksichtigung des Ortes in seiner Mehrentfaltung hingewiesen: Die Ortschaft der Wahrheit mit ihrem Spiel des Beziehens-Entziehens macht auf die Unvermeidlichkeit einer Negativitätshermeneutik mit Blick auf das Verständnis der Wahrheit aufmerksam. Die Bewegung dieses Spiels scheint prima facie eine doppelte und sogar eine widersprüchliche zu sein, wie es am Fall der Grenze beziehungsweise des Ortes gezeigt wurde. Bei näherer Betrachtung wird jedoch offensichtlich, dass dieses Spiel kein Kräftespiel ist, sondern eher eine durchdringliche 75 gegenseitige Beziehung 76 verkörpert. In einem solchen Wechselverhältnis 77 kann jedes Element ohne das andere gar nicht existieren. Die Dynamik dieser Beziehung wird von Nishida mit dem Kanji soku (即) ausgedrückt, wörtlich »nicht anders als« oder »nämlich« oder »unverzügVgl. Carlo Saviani, L’oriente di Heidegger, Genova, Il Melangolo, 1998. Dies erinnert an das von Heidegger verwendete Adjektiv in Die Sprache im Gedicht: »Das Versammelnde durchdringt und durchwest alles.« Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 33. 76 Die gegenseitige Beziehung wird nachträglich gelöst und in diesem Sinne ist die Beziehung abgeschieden; vgl. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, GA 12, 48, 31–78. Die Elemente der Beziehung werden zu Beginn aus Ordnungs- und Analysegründen separat betrachtet. 77 »Wechselverhältnis […], in dem jede Seite nur ist, was sie ist, weil auch die andere ist, was sie ist. Das Ganze des Wechselverhältnisses ist der Diskurs (das Sprachspiel).« Vgl. Anton Friedrich Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, Mentis, Paderborn, 2006, 165. »Sobald hingegen das Wechselverhältnis von Unverborgenheit und Verborgenheit anerkannt wird, erweisen sich die vollkommene Präsenz des Seins und die vollkommene Absenz des Nichts als irreale Grenzfälle von Wahrheit und Bedeutung. […] Und es gibt erst recht keine reine Absenz, weil diese kein Fall von Geben und Sein mehr wäre; vielmehr muß sogar das Nichts, wie Heidegger sich, in der Not sprachschöpferisch werdend, ausdrückt, ßanf1lßnichtenßanf1rß, wenn es uns irgendwie angehen und zum logisch abwesenden Signifikat des Signifikanten werden soll, welches die Antinomie ist«. Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, 296; Vgl. 364–375. 74 75

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lich«. Wir finden ein erstes Beispiel der Verwendung dieses Kanji im Herz-Sutra 78 des Mahayana-Buddhismus. Diese Bewegung nennt Heidegger das »Heimisch werden im Unheimlich sein« 79, was dem im Halbschatten der Waldlichtung Sein beziehungsweise Wohnen entspricht. Dort, in dem Ort, wo wir eigentlich schon immer wohnen, wird das Geheimnis des sich verbergenden Bergens der Wahrheit preisgegeben. 80

Das Herz-Sutra oder Sutra der höchsten Weisheit gilt als Essenz der kürzesten der Prajnaparamita-Texte; laut dieser ist die Form leer und die Leere ist Form: shiki soku ze kū, kū soku ze shiki (色即是空・空即是色). Vgl. Zenrin R. Lewis (Hg.), Der ZenWald, Frankfurt, Angkor, 2012, 406. 79 Heidegger, Hölderlins Hymne »Der Ister«, GA 53, 143. 80 Vgl. Heidegger, Wegmarken, GA 9, 103–121. 78

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Human Nature’s Self-Revealing A Rapport Between Heideggerian physis and techne, and Classical Chinese Philosophy Joseph Emmanuel Sta. Maria

Abstract: This paper aims to establish a rapport between Heideggerian and Classical Chinese philosophy by comparing Heidegger’s notion of physis and techne, as gleaned from »The Question Concerning Technology,« with the understanding of human nature according to the Daoist philosophers and the Confucian thinker Mencius. Specifically, I will show that the Daoist idea of ziran or a thing being »so-of-itself,« is similar to Heidegger’s understanding of physis as the bringing-forth of a thing in itself. Likewise, I will attempt to show how Mencius’ conception of the complementariness between human nature and Confucian praxis resonates with Heidegger’s understanding of techne as a way of revealing that is in harmony with beings. Through this, I hope to contribute to the on-going dialogue between Heidegger and Eastern thought. Zusammenfassung: Der Beitrag hat das Ziel, einen Zusammenhang zwischen Heidegger und der klassischen chinesischen Philosophie zu entwickeln, indem Heideggers Begriffe von physis und techne, wie sie in »Die Frage nach der Technik« entfaltet werden, mit dem Verständnis des Wesens des Menschen bei daoistischen Philosophen wie Laozi und Zhuangzi und dem konfuzianischem Denker Mencius verglichen werden. Ich werde insbesondere zeigen, dass die daoistische Idee von ziran – ein Ding ist »so-aussich-selbst« – Ähnlichkeiten hat mit Heideggers Verständnis der physis als dem Hervorbringen eines Dinges in sich selbst. In ähnlicher Weise werde ich zeigen, dass Mencius’ Konzeption der Komplementarität von menschlicher Natur und konfuzianischer Praxis – als Verteidigung des Konfuzianismus gegen den Daoismus – widerhallt in Heideggers Verständnis der techne als einer Form der Entbergung in Harmonie mit den Dingen. Mit diesen Ausführungen hoffe ich einen Beitrag zum bestehenden Dialog zwischen Heidegger und dem östlichen Denken zu leisten.

1.

Introduction

Dialogue between Heideggerian and Eastern philosophy has been a subject that has garnered considerable attention from scholars. Ac313 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Joseph Emmanuel Sta. Maria

cording to Lin Ma and Jaap van Brakel, there have been three ways to approach Heidegger’s relationship with Eastern philosophy. 1 One is to study the influence of Eastern Philosophy in Heidegger’s own thoughts. The second is to find rapport between Heidegger and Eastern philosophy through comparing the similarities between the two. The third is to explore the significance of Heidegger’s thought when it comes to the very exercise of comparative philosophy. In this paper, I will attempt the second approach by trying to elucidate the similarities between Heidegger’s conception of physis and techne, as articulated in his essay »The Question Concerning Technology,« with the conceptions of human nature found among the Daoist philosophers and Mencius. Specifically, I wish to show that the Heideggerian concept of physis resonates with the Daoist idea of ziran, and that his understanding of techne has certain similarities to how Mencius understands the Confucian rituals or li. Through this, I aim to contribute to the growing literature of comparative work between Heidegger and Chinese philosophy, which according to Ma and Brakel seems to be limited to comparison between Heidegger and Daoism. 2 By including the Confucian Mencius, I hope to show that Heidegger’s thoughts can resonate with a broader range of Chinese thinkers.

2.

Physis, Techne in »The Question Concerning Technology«

In his essay »The Question Concerning Technology,« Heidegger’s concern is not directly with the meaning of physis or techne but rather with the essence of modern technology. Nevertheless, in attempting to describe this essence, Heidegger compares it with the aforesaid physis and techne, since physis and techne are both similar and different to the essence of modern technology. Let us then begin with their similarity. For Heidegger, the essence of modern technology, physis, and techne are all ways in which being reveals itself. This is in line with a general theme that informs his work, namely, the theme that being (Sein) discloses or reveals beings (Seiende) in different ways throughout history. 3 Heidegger believes that the manner in Lin Ma and Jaap van Brakel, »Heidegger’s Comportment toward East-West Dialogue,« Philosophy East and West, 56 (4), 2006, 519–566, 519–520. 2 Ma and Brakel, »East-West Dialogue,« 520. 3 Cf. Edward Craig, Encyclopedia of Philosophy, London, Routledge, 1998, 316. 1

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Human Nature’s Self-Revealing

which beings are revealed in contemporary times consists precisely in the essence of modern technology. What then is the essence of modern technology? For Heidegger, the essence of modern technology reveals beings by a »challenging-forth (herausfordern).« 4 This entails a revealing of beings that is not in accordance with the way beings present themselves. In other words, modern technology forces beings to reveal themselves merely as Bestand or »standing reserve.« 5 Beings are seen only as stockpiles—an endless reserve of resources that are ready at hand for one’s use. However, physis and techne differ with the essence of technology in that they reveal beings by »bringing-forth (Her-vor-bringen),« 6 which the Ancient Greeks called poiesis. Poiesis entails that the manner in which beings are revealed is in harmony or in conformity with the presencing of these beings themselves. It does not reduce them to standing reserves as the essence of technology does, but rather allows them to be as they are. For Heidegger, physis is the paragon of poiesis since it is what most characterizes bringing-forth. 7 He defines physis as »the arising of something from out of itself (das von-sich-her Aufgehen).« 8 The example he gives of this is when a blossom bursts open into bloom due to itself or its own initiative, instead of being due to any external influence. 9 From this we can infer that physis is the way of revealing that is typical of the things of the natural world. The things of nature make themselves present out of their own accord, such as in »the emergence of the corn in the field, [and] the rising of the sun and moon in the sky.« 10 Techne on the other hand is also poiesis, but not as something arising from out of itself but from out of another. 11 Simply said, techne is manifest when humans produce or derive something out of nature, in a way that is respectful of nature’s presencing. This can be seen in the examples that Heidegger gives of those technologies that represent techne such as the windmill which, although deriving energy from the wind, does not store it and therefore does not reduce it Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 15. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 17. 6 Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 12. 7 Cf. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 12. 8 Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 12. 9 Cf. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 12. 10 Cf. Bruce Foltz, Inhabiting the Earth, New Jersey, Humanities Press, 1995, 96. 11 Cf. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 13. 4 5

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merely to a power source ever-ready to be used. Another example of techne is traditional farming which depends and must conform to the natural »forces of growth (Wachstumskräfte)« of the earth, in order to bear fruit. 12 More specifically however, techne is not in the production itself but in the knowledge of what is to be produced. Such knowledge consists of being an expert at or being at home in something (Sichauskennen in etwas). 13 What is implied in this knowledge is that the knower has a certain deferential and conforming disposition towards the material to be made. Indeed, it is only by having such a disposition that the knower can have the knowledge of what the material is naturally capable of becoming. As Bruce Foltz says, the craftsman who wishes to make a bed out of the wood of a tree must be »attuned to the ongoing manner of self-emergence of the wood itself.« 14 The craftsman must have a respectful orientation towards the wood if he is to know whether the wood has the capacity of being a bed or not. And he must have the same orientation in order to know how to bring this capacity to fulfillment. It is this »bringing-to-fulfillment« in turn which is the »bringing-forth« of techne. Techne therefore can be said to bring-forth nature’s inherent capacity which nature itself cannot bring-forth on its own. Or, to borrow Heidegger’s wording, techne simply allows what is already on its way, to arrive. 15 From these considerations then, it can be concluded that physis and techne, although different, are nevertheless complementary. Both are poiesis, or a bringing-forth, that is to say, a revealing of beings that is non-coercive or domineering, but rather harmonious with the presencing of these beings. This is true for physis because in physis it is the beings themselves who reveal themselves. It is also true for techne since, although beings are revealed through human intervention, the intervention is such that it has a conforming orientation towards the beings’ own way of presencing. In the following section, I shall discuss the philosophies of the Daoists and Mencius. Although not explicit, one may already see in my discussion that the views that these philosophies have resonates with Heidegger’s conception of physis and techne. To be specific, the

Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 16. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 14. 14 Foltz, Inhabiting the Earth, 96. 15 To allow something to arrive is the way Heidegger describes the making of the silver chalice. Cf. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 9–10. 12 13

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Daoist view of human nature has similarities with physis while the Mencian view of the complementarity between human nature and Confucian rituals resonates with that of techne.

3.

The Philosophies of Daoism and of Mencius

In order to put the philosophies of the Daoists and of Mencius in context, it might be good to understand the Confucian vision of moral development. This is because Confucius’ idea of moral development is what the Daoists criticize, and what Mencius tries to defend. To put it simply, Confucius’ way of moral development is through attaining moral virtues, and one crucial way to attain these is through sincere engagement in the various social and religious rituals which pervaded his society. 16 These rituals were collectively called »li« and included not only formal ceremonies but, as Edward Slingerland says, what »we might be tempted to label as ›etiquette,‹ the manner in which one dressed, took one’s meal, approached one’s ministers, etc.« 17 As such, the life of the ancient Chinese that lived in Confucius’ time was imbued by the li. Moreover, Confucius himself was a technical expert or specialist when it came to performing the li. 18 However, he went beyond the technical aspect of the li, and this can be seen in his understanding of it as having a dual role in morality. 19 One was that it expressed sentiments indicative of moral virtues, and the second was that it actually developed these virtues by inculcating the aforesaid sentiments within a person. 20 Thus, for example, offering sacrifices to Heaven was an expression of piety and thanksgiving to Heaven because it is the origin and sustainer of the world. 21 At the same time, this ceremony would help people imbibe precisely these virtues of piety and thanksgiving towards the aforesaid deity. Cf. Phillip Ivanhoe, »Character Consequentialism: An Early Confucian Contribution to Contemporary Ethical Theory,« The Journal of Religious Ethics, 19 (1), 1991, 55–70, 57. 17 Edward Slingerland, Confucius: Analects, Indianapolis, Hackett Publishing Company, Inc., 2003, 241. 18 Cf. Slingerland, Confucius: Analects, xxi. 19 Cf. Ivanhoe, »Character Consequentialism,« 57. 20 Cf. Ivanhoe, »Character Consequentialism,« 57. 21 Cf. Shu-Hsien Liu, Understanding Confucian Philosophy, Westport, Greenwood Press, 1998, 24. 16

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As to whether human nature was originally good or bad, Confucius believed it was neither and that it could become either good or bad depending on the person’s environment. 22 And that is precisely why it was important for Confucius that human beings be morally cultivated according to his program of education which included the li. However, other rival philosophical schools were not so optimistic in their understanding of the relationship between Confucian li and human nature. The Daoists in particular viewed Confucian li as a harmful and unnatural imposition on human beings. At the risk of oversimplification, it might be said that Daoism exalts the natural and spontaneous. The »Dao,« the supreme principle that spontaneously gives birth to and continually sustains all beings, is the exemplar that Daoists believe man should emulate. 23 That the Dao is spontaneous in its nourishing of all things can be seen in Laozi’s Daodejing where the Dao is often symbolized as a mother who instinctively cares for her young without any ulterior motivations. 24 However, to emulate the Dao does not mean following an external model. Rather, it means being actually true to one’s nature. This is because the Dao is immanent in all creatures as their very essences. This manifestation of the Dao as the essence of things is what is called ziran, literally, »so-ofitself.« 25 As Slingerland says, »ziran refers to the way a thing is when its actions spring from its own internal Essence […] the myriad things are containers that have within them some behavior-determining essence that naturally ›comes out.‹« 26 Thus, for example, when water naturally flows downward such is the manifestation of the water’s ziran. 27 It is, however, with regards to this project of allowing one’s inner essence to come forth that Daoism criticizes Confucianism. For the Daoists, human beings in their original ziran state were naturally good without being conscious of it. 28 However, for some unknown reason, human beings began to create distinctions among things in Cf. Edward Slingerland, Effortless Action, Oxford, Oxford University Press, 2007, 47. 23 Cf. Slingerland, Effortless Action, 80. 24 Cf. Slingerland, Effortless Action, 90–91. 25 Slingerland, Effortless Action, 97. 26 Slingerland, Effortless Action, 97. 27 Cf. Slingerland, Effortless Action, 97. 28 Cf. Zhuangzi, The Book of Chuang Tzu, translated by Martin Palmer, London, Penguin Books, 1996, 73. 22

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their mind. In this way, they began to prefer certain things over others and with this came the excessive desire to obtain the preferred things, as well as the discontent and conflict that it engendered. For the Daoists, the human society that they lived in was rife with these »distinguished« things, such as riches, wisdom, and prestige. 29 Confucianism was part, and a perpetuator, of these things because of how it exalted artificial objects of desires such as moral virtues and the participation in rituals. Instead of transforming human beings towards becoming their truer selves, Confucianism forced people to act artificially and to desire artificial things. This can be poignantly seen in the ninth chapter of the Zhuangzi where the author says that in ancient times, The people stayed at home without knowing what they were doing, ventured out without knowing where they were going. Filling their mouths they were merry; drumming their bellies they amused themselves … Then along came the sage, bending and twisting over ritual and music to reform the bodies of the world, dangling Humanity and Responsibility overhead »to comfort the hearts of everyone in the world.« Only then did people begin groping on tiptoe in their eagerness for knowledge. From there it was inevitable that they would end up struggling for profit and advantage above all. And this, all this, is really the fault of the sages. 30

The sages mentioned in the above are most likely the legendary »sage-kings« whom the Confucians, like Mencius, believed as having originated the li. 31 Unlike the Confucians however, the Daoist author of the above did not see these sage-kings as saviors who by instituting the li provided the means for attaining human perfection. Rather, he saw them as disturbers of the natural order who brought extraneous burdens upon human beings by making them desire unnatural things. Now, the defense of Confucianism from the Daoist critique would be launched by the second great Confucian after Confucius, namely Mencius. Although Mencius was never recorded to have argued explicitly with Daoists, his own philosophy clearly attempts to respond to the Daoist criticism of Confucianism as contrary to human

Cf. Slingerland, Effortless Action, 80. Brook Ziporyn, Zhuangzi, Indianapolis, Hackett Publishing Company, Inc., 2009, 62. 31 Cf. Gopal Sukhu, The Shaman and the Heresiarch: A New Interpretation of the Li sao, New York, State University of New York Press, 2012, 119. 29 30

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nature. Unlike the Daoists who understood human nature as already wholly good in its original and primordial state, Mencius saw human nature as only having the potential for goodness. However, unlike Confucius who saw human nature as neutral and somewhat inert because of simply being the passive matter that can be molded towards good or evil, Mencius believed that human nature inherently tended towards goodness. Moreover, it was his contention that the Confucian program of moral education, which included the li, was simply an expression of, and a way to consummate, this tendency of human nature towards the good. 32 To clarify, Mencius argues that all human beings have natural moral inclinations or emotions, which he metaphorically called sprouts. 33 Mencius classifies these sprouts into four, namely the sprout of compassion, shame, deference, and knowledge of right and wrong. 34 If properly developed, these inborn inclinations could become full-fledged moral virtues. Or to speak metaphorically, given proper cultivation, these sprouts could become fullgrown plants. And »cultivation« here of course means Confucian moral education which includes the li. Now, to support his claim that human beings have these sprouts, Mencius gives the famous example of the child falling in a well. 35 Mencius says that a person who sees a child about to fall into a well cannot help but feel a sense of alarm and compassion. She will naturally be inclined to save the child, and this is not due to the desire for praise nor the fear of censure. This reaction then for Mencius is indicative precisely of the natural »sprout« of compassion, which if cultivated may become the virtue of benevolence. 36 But how does Mencius show that Confucian moral education and the li are merely meant to manifest and develop these sprouts in such a way that is aligned with these sprouts’ nature? One example he gives to show this is his response to Yi Zhi. 37 Yi Zhi was an opponent of Mencius that went against the Confucian principle of prioritizing love of family. He instead believed that all people should be loved equally, although such love does start in the family setting. Cf. Slingerland, Effortless Action, 131–132. Cf. Slingerland, Effortless Action, 141. 34 Cf. Slingerland, Effortless Action, 141. 35 Cf. Joel Kupperman, Classic Asian Philosophy, Oxford, Oxford University Press, 2007, 97–98. 36 Cf. Slingerland, Effortless Action, 139. 37 Cf. Slingerland, Effortless Action, 148–149. 32 33

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Human Nature’s Self-Revealing

Mencius replies quite cryptically that Yi Zhi believes wrongly that things have »two roots,« although in reality Heaven gave them only one. According to Slingerland, these »two roots« mean that Yi Zhi believed that there are two sources of morality. 38 One is the natural affection of human beings, while the other is external beliefs or standards. Becoming moral then is a matter of molding the natural emotions so that they align with external beliefs. Therefore, for Yi Zhi, one’s natural affections as expressed towards the family should be molded by the external belief that one should love all people equally, so that such affection would become universal. Mencius, however, disagrees, and believes that there is indeed only one origin of morality, namely human nature. He then goes on to show how even external beliefs and practices originate from human nature. This he does by giving a hypothesis on the origins of the practice of burying one’s parents. Mencius says: Presumably in previous ages there were once cultures where the people did not bury their parents—when their parents died, they just picked up the bodies and tossed them into drainage ditches. Subsequently, though, when they passed by the ditches and noticed the foxes feeding on and the flies swarming over the corpses, sweat would break out on their foreheads and they would turn away, unable to bear the sight. This reaction was not an outward show put on for other people—it was a case of that which was in their hearts spontaneously welling up … and manifesting itself in their countenance. Presumably they were eventually moved to return home for shovels and baskets in order to bury the remains. 39

From here one can see clearly that, for Mencius, ritual practices originated themselves from human nature and are moreover manifestations of this nature. Now, as said above, the sage-kings were believed by the Confucians to have instituted the li. However, for Mencius, what this arguably means is that the sage-kings merely actualized in its most ideal form those already existing practices that really originated from human nature. 40 Indeed, Mencius believes that the genius of the sage-kings was in precisely their way of working with nature instead of against it. This can be seen in the passage where Mencius praises the sage-king Yu, who, in regulating the flow of the river, worked with the river’s natural course and therefore prevented the 38 39 40

Cf. Slingerland, Effortless Action, 148–149. Slingerland, Effortless Action, 149. Cf. Sukhu, The Shaman and the Heresiarch, 119.

321 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

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overflow of water, which would have happened if the river was dammed in a way that precisely went against its natural course. 41 For Mencius, therefore, the li are ultimately not alien impositions on people which force them to act unnaturally, but rather the perfected expressions of humanity’s natural inclinations.

4.

Comparison of Heidegger’s Modes of Revealing with Daoist and Mencian Thought

From what has been said above, it can be seen that there are affinities between Heidegger’s concepts of physis and techne and the philosophical thoughts of the Daoists, and of Mencius respectively. Let me begin by juxtaposing Heidegger’s understanding of physis with Daoist thought. The specific concept that seems to resonate with physis in Daoist thought is that of ziran. Indeed such a comparison has already been made by Graham Parkes and company. 42 As said above, physis for Heidegger is what emerges out of itself, and this is exemplified in the things of the natural world such as when a blossom bursts forth into bloom. Now the Daoists also believe ziran to be the spontaneous »self-so-ing« of a thing. Furthermore, for the Daoists, to be ziran is the ideal state of all things since the Dao itself is ziran because of how it naturally and spontaneously sustains the world without any contrivance. Similarly, according to Parkes, Heidegger believes that physis is the ideal way of presencing of beings, and of being itself. 43 This has already been alluded to above in Heidegger’s remark that physis is the highest form of poiesis. On the other hand, I believe that there are similarities as well between the Heideggerian concept of techne and Mencius’ understanding of the li. To review, techne for Heidegger is way of revealing that has a respectful orientation towards beings and actually helps them reveal themselves in the way that they really are. As Diarmuid Costello says, techne is »responsive to nature’s inherent capacity for self-disclosure« 44 and therefore it »lets what is already coming into

Cf. Slingerland, Effortless Action, 152. Cf. Parkes, »Lao-Zhuang and Heidegger on Nature and Technology,« Journal of Chinese Philosophy, 39, 2012, 112–133. 43 Cf. Parkes, »Lao-Zhuang and Heidegger,« 116. 44 Diarmuid Castello, »›Leaning into the Wind‹ : Poiesis in Richard Long,« in: Aman41 42

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presence arrive.« 45 Again, to say it in somewhat Aristotelian terms, techne allows the potential that beings already have to be broughtforth into actuality. I think this resonates with Mencius’ understanding of the li as that which reveals and develops human nature. Let us review Mencius’ example of the origin of burial. For Mencius, such a practice emerged due to the feeling of compassion that human beings have. In seeing the decaying corpse of their parents, the peoples’ natural feeling of compassion was activated and it was that which led them to the practice of burying these corpses. To put it alternatively, the practice of burial merely allows the naturally human feeling of compassion—already »welling up« inside the heart, as Mencius says —to concretely manifest itself in the world. It was these primitive practices that emerged from and manifested the promptings of human nature which in turn were perfected by the sage-kings and made into the li. The li then, like techne, might ultimately be understood as a way of revealing that allows what is already coming into presence to arrive. In the case of the burial ritual, what is allowed to »arrive« is precisely the distinctive way that human beings express compassion for the deceased. Or to put it more broadly, what is disclosed by the burial ritual is humanity itself or the unique way that human beings are present in the world. The li therefore, or more specifically, the knowledge of li and how to perform them, helps bring forth the potential presencing of human beings just as the knowledge that is techne helps bring forth the potential presencing of the things of nature. Despite these similarities however, it must be pointed out that techne and li still differ. Although there is not enough space in this paper to comprehensively go through their dissimilarities, I wish to point out two such differences because of how apparent they might be. The first is that techne does not appear to be anthropocentric while li is specifically anthropocentric. In »The Question Concerning Technology«, techne is represented by those technologies that are in harmony with nature. This can be seen in Heidegger’s examples of techne such as the silver chalice, the windmill, and traditional farm-

da Boetzkes and Aron Vinegar (eds.), Heidegger and the Work of Art History, Farnham, Ashgate, 2014, 141–169, 143. 45 Castello, »›Leaning into the Wind,‹« 143.

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ing. All these suppose that the »objects« of techne are things of the environment, like earth and air. On the other hand, Confucian li is mainly, if not only, concerned with human conduct and ethical development. Plants, animals, and the elements of nature cannot participate in li and consequently li cannot bring forth the further potential of their presencing. Now, connected to this first difference is the second one which is that the Confucians understood li in terms of morality, whereas it seems clear that Heidegger discusses techne not in any context of morality. I have a response for each of these differences, although it must be noted that these responses are not meant to totally deny the differences. My response to the first difference is that even though techne is not shown by Heidegger in »The Question Concerning Technology« as pertaining to humans, nothing seems to prevent techne in being applied to humans. Techne after all is defined as a way of revealing beings, and humans are still beings. That humans can be the object of the way of revealing can even be seen itself in »The Question Concerning Technology« where Heidegger says that humans have become standing reserve due to the way that the essence of technology reveals them. 46 My response to the second difference is that although Heidegger may not explicitly discuss techne in terms of ethics or morality, there is nevertheless an implied normative value he assigns to it. It does not seem difficult to see how Heidegger has a negative view of the way that the essence of modern technology reveals beings, while at the same time having a more positive appreciation for poiesis, which includes techne. Indeed, near the conclusion of »The Question Concerning Technology,« Heidegger posits that techne, understood as art, might just hold the »saving power (Rettende)« 47 that can free beings from the grip of enframing. Although this does not equate to making techne an essential element of a moral theory like the li, the fact that Heidegger assigns positive normative value to techne makes it at least less dissimilar from the Confucian appreciation of li as also something with normative worth.

46 47

Cf. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 18. Heidegger, »Die Frage nach der Technik«, GA 7, 36.

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Human Nature’s Self-Revealing

5.

Conclusion

In this paper I have shown how the views on human nature that the classical Chinese philosophers had, resonate with Heidegger’s notion of physis, techne, and the essence of modern technology. The Daoists saw ideal human existence as similar to physis, in that such existence should be natural and spontaneous. On the other hand, by saying that human nature and the Confucian li are complementary, and that the latter emerge from and are an expression of the former, Mencius’ view of Confucianism seems analogous with Heidegger’s notion of techne. This is because both the aforesaid Confucian li and techne are ways of revealing beings that conforms to the presencing of these beings themselves. In short, both techne and li are ways that harmoniously bring forth beings instead of coercively challenging them forth.

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Heideggers Rezeption des Taoismus Die Notwendigkeit des Unnötigen (無用之用) in der Leistungsgesellschaft Choong-Su Han 1

Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag widmet sich zwei Schriften Heideggers, die bisher kaum untersucht worden sind, nämlich Die Einzigkeit des Dichters (1943) und Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren (1945). Diese Schriften sind vor allem insofern bemerkenswert, als der taoistische Gedanke der Notwendigkeit des Unnötigen (無用之用, wuyongzhiyong) in ihrem Zentrum steht. Heideggers Rezeption dieses Gedankens ist, wie im vorliegenden Beitrag gezeigt wird, aber keine bloße Aufnahme, sondern vielmehr eine schöpferische Aneignung des ostasiatischen Gedankengutes für sein eigenes Seinsdenken. Zunächst wird Heideggers Auseinandersetzung mit dem Gedanken der Notwendigkeit des Unnötigen dargestellt. Danach wird versucht, im Anschluss an Heideggers Kunstphilosophie darüber nachzudenken, inwiefern das Kunstwerk als das Unnötige in der Leistungsgesellschaft notwendig ist. Abstract: The present contribution analyses two writings of Heidegger which have hardly been examined until now: The Uniqueness of the Poet (1943) and Evening Conversation in a Prisoner of War Camp in Russia between a Younger and an Older Man (1945). These writings are very important for the comparative study of Heidegger’s philosophy and East Asian thinking, not least because they are based on the Daoist idea of the necessity of the unnecessary (無用之用, wuyongzhiyong). Heidegger’s reception of this idea is, as shown in this contribution, not simply a bare adoption, but rather a creative appropriation of East Asian thought for his own thinking of Being. First, this contribution shows Heidegger’s confrontation with the idea of ›wuyongzhiyong‹. It then attempts to reflect on the extent to which the artwork, as that which seems to be useless, is necessary in a results-oriented society by looking at Heidegger’s philosophy of art.

Research support for this work was provided by the Institute of Philosophy at Seoul National University.

1

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Heideggers Rezeption des Taoismus

1.

Heidegger und die Schrift Tao Te King

Es ist bekannt, dass sich Heidegger mit dem taoistischen Denker Laozi (老子) auseinandergesetzt hat. Eine explizite Auseinandersetzung findet sich in dem Vortrag Das Wesen der Sprache (1957/58). Dort unternimmt Heidegger den Versuch, »uns [die Zuhörer des Vortrages] vor eine Möglichkeit zu bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen« 2. Dabei untersucht er die »Nachbarschaft von Dichten und Denken« 3, indem er sich zwischen ihnen hin und her bewegt. Heidegger wird aufmerksam auf diese Bewegung und richtet sein Augenmerk auf das Wort »Weg«. Im Anschluss daran erwähnt und erklärt er das Wort »Tao« folgendermaßen: »Das Leitwort im dichtenden Denken des Laotse [老子] lautet Tao und bedeutet ›eigentlich‹ Weg.« 4Anscheinend kennt sich Heidegger mit dem Taoismus und der altchinesischen Sprache gut aus. Bereits früher hat er sich auf implizite Weise mit der taoistischen Schrift Tao Te King (道德經) beschäftigt, und zwar im Vortrag Einblick in das was ist (1949). Die Beschäftigung kennzeichnen wir 5 als implizit, denn dort liegt kein Hinweis auf den Taoismus vor. Am Anfang des Vortrages wird problematisiert, dass »trotz allem Überwinden der Entfernungen die Nähe dessen, was ist, ausbleibt« 6. Heidegger zufolge lässt sich die Nähe mit dem in der Nähe Seienden vorfinden. Daher führt er einen Gebrauchsgegenstand (Krug) als Beispiel an, um dadurch das Wesen der Nähe zu erfahren. Bevor Heidegger auf das Phänomen der Nähe eingeht, untersucht und bestimmt er das Wesen des Kruges mit folgenden Worten: »Die Leere, dieses Nichts am Krug, ist das, was der Krug als das fassende Gefäß ist.« 7 Nirgendwo im Kontext dieser Aussage beruft sich Heidegger auf Laozi oder Zhuangzi (莊 子). Daher hat seine Wesensbestimmung des Kruges als Leere scheinbar nichts mit dem Taoismus zu tun. Aber diejenigen, denen das ostasiatische Denken vertraut ist, verstehen unschwer, dass der Ausdruck »Nichts am Krug« aus dem Heidegger, »Das Wesen der Sprache«, GA 12, 185. Heidegger, »Das Wesen der Sprache«, GA 12, 185. 4 Heidegger, »Das Wesen der Sprache«, GA 12, 187. 5 Der Autor der vorliegenden Arbeit verwendet nicht »ich«, sondern »wir«, um dadurch die Leser in seinen Gedankengang einzubeziehen. Dazu vgl. Hadumod Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart: Kröner 1983, 395. 6 Heidegger, »Einblick in das was ist«, GA 79, 4. 7 Heidegger, »Einblick in das was ist«, GA 79, 7–8. 2 3

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elften Kapitel der Schrift Tao Te King stammt. In diesem Kapitel geht es um den Gedanken, dass »was nicht ist [無]«, »zum Werk dient« 8. Dieser Gedanke wird dort mit drei Beispielen veranschaulicht, nämlich mit »Wagen [車]«, »Topf [器]« und »Kammer [室]«. Das altchinesische Zeichen »器« bedeutet aber auch »Krug«, »Gerät« und »Werkzeug«. Die Stelle, die für Heideggers Wesensbestimmung des Kruges relevant ist, übersetzt Richard Wilhelm folgendermaßen ins Deutsche: »Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen: In ihrem Nichts [無] besteht der Töpfe Werk.« 9 Damit meint Laozi ebenfalls, dass die Höhle (wortwörtlich übersetzt: das Nichts) den Topf nutzbar macht. Wenn die Nützlichkeit das Wesen des Gebrauchsgegenstandes ausmacht, dann besteht das Wesen des Topfes eigentlich in dessen Nichts. Dementsprechend bestimmen sowohl Laozi als auch Heidegger das Wesen von 器 (Topf bzw. Krug) als dessen Nichts (無). 10

2.

Fragestellung und Skizze des vorliegenden Beitrages

Der Vortrag Einblick in das was ist bezieht sich offenbar nicht auf die Schrift Tao Te King. Daher stellt sich die Frage, ob Heidegger seine Wesensbestimmung des Kruges wirklich aus dem Taoismus übernommen hat. Unsere Antwort auf diese Frage ist positiv. Um sie zu begründen, werden wir zwei Schriften Heideggers betrachten, denen jeweils ein taoistischer Gedanke zugrunde liegt. Die erste Schrift heißt Die Einzigkeit des Dichters (1943) und ist für die interkulturelle Heidegger-Forschung insofern entscheidend, als der ganze Text des elften Kapitels der Schrift Tao Te King dort zitiert ist. Dabei gibt Heidegger die Quelle des Zitats ausdrücklich an. 11 Die Schrift Die Einzigkeit des Dichters weist also eine eindeutige Verbindung zwischen

Laotse, Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben, übersetzt von Richard Wilhelm, Jena, Diederichs 1919, 13. 9 Laotse, Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben, 13. 10 Reinhard May weist darauf hin, dass Heideggers Wesensbestimmung des Kruges als Leere unter dem Einfluss des elften Kapitels von Tao Te King steht. Vgl. Reinhard May/Tomio Tezuka, Heidegger’s Hidden Sources. East Asian Influences on his Work, übersetzt von Graham Parkes, London/New York, Routledge 1996, 30. Auch Kah Kyung Cho sagt, dass die Leere des Kruges an die Zeilen von Laozi anklingt. Vgl. Kah Kyung Cho, Bewusstsein und Natursein: Phänomenologischer West-Ost-Diwan, Freiburg/München, Alber 1987, 92/302. 11 Vgl. Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 43. 8

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Heideggers Rezeption des Taoismus

Heidegger und Laozi nach. Die zweite Schrift heißt Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren (1945) 12 und beinhaltet Zhuangzis Worte, deren Quelle aber nicht klar angegeben ist. Bevor sie ein Gesprächspartner anführt, sagt er: »Aber zur guten Nacht und vielleicht auch zum Dank möchte ich [der Ältere] Dir [dem Jüngeren] doch sogleich noch ein kurzes Gespräch zweier Denker erzählen, das ich mir in meiner Studentenzeit aus einer historischen Darstellung der chinesischen Philosophie abgeschrieben habe […]. Die Namen der beiden Denker sind mir entfallen.« 13 Aber für diejenigen, die sich mit dem Taoismus gut auskennen, ist offenkundig, dass das zitierte Gespräch aus dem 26. Kapitel der Schrift Zhuangzi (莊子) stammt. 14 Da es eine grundlegende Rolle in der Abendgespräch-Schrift spielt, steht diese unter dem großen Einfluss von Zhuangzi. Diese beiden Schriften Heideggers sind im Hinblick auf das ostasiatische Denken noch kaum untersucht worden. 15 Der Grund für diese Unbekanntheit liegt wohl darin, dass sie jeweils erst vor relativ kurzer Zeit erschienen sind. Die Schrift Die Einzigkeit des Dichters gehört zum Band Zu Hölderlin/Griechenlandreisen, der erst im Jahr 2000 veröffentlicht wurde. Die Abendgespräch-Schrift gehört zum Band Feldweg-Gespräche (1944/45). Dieser Band besteht aus drei fiktiven Gesprächen. Einen Teil des ersten Gespräches publizierte Heidegger unter dem Namen Gelassenheit bereits im Jahr 1959. Das zweite und das dritte Gespräch erschienen im Jahr 1995. Außerdem

Im weiteren Verlauf des vorliegenden Vortrages nennen wir die Schrift Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren die Abendgespräch-Schrift. 13 Heidegger, Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren, GA 77, 239. 14 Dschuang Dsï, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, übersetzt von Richard Wilhelm, Düsseldorf/Köln, Diederichs 1972, 281. 15 Im Hinblick auf den Taoismus wurden die beiden Texte Heideggers von den folgenden Untersuchungen nicht berücksichtigt: Reinhard May/Tomio Tezuka, Ex oriente lux: Heideggers Werk unter ostasiatischem Einfluß, Stuttgart, Steiner-Verlag, 1989; Graham Parkes (Hg.), Heidegger and Asian Thought, Honolulu: University of Hawaii Press 1987; Katrin Froese, Nietzsche, Heidegger, and Daoist Thought: Crossing Paths In-Between, Albany, State University of New York Press 2006; Günter Wohlfart, Der philosophische Daoismus: philosophische Untersuchungen zu Grundbegriffen und komparative Studien mit besonderer Berücksichtigung des Laozi (Laotse), Köln, Edition Chora 2001; Lin Ma/Jaap van Brakel, »Heidegger’s Comportment Toward East-West Dialogue«, Philosophy East and West, 56 (4), 2006, 519–566. 12

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wurde der Band Feldweg-Gespräche erst im Jahr 2010 ins Englische übersetzt. 16 Zunächst werden wir Heideggers Rezeption des Taoismus darstellen, und zwar aufgrund der beiden genannten Schriften. Diese Darstellung wird die beiden Schriften, die bisher unberührt sind, für die Heidegger-Forschung zugänglich machen. Dabei werden wir uns klarmachen, dass seine Rezeption keine bloße Aufnahme, sondern insofern eine schöpferische Aneignung des ostasiatischen Gedankengutes ist, als er im Anschluss an Zhuangzi die »ungehemmte Leistungssteigerung« einer radikalen Kritik unterzieht. 17 So überbrückt Heidegger eine zeitlich und räumlich große Entfernung zwischen der antiken östlichen Denktradition und der modernen westlichen Leistungsgesellschaft. Zum Schluss werden wir im Anschluss an Heidegger darüber nachdenken, inwiefern die Kunst als das Unnötige in der Leistungsgesellschaft notwendig ist.

3.

Tao Te King und Die Einzigkeit des Dichters

Die Schrift Die Einzigkeit des Dichters beginnt damit, im Hinblick auf das Wesen der Dichtung zwischen historischem Nachdenken und geschichtlicher Besinnung zu unterscheiden. Mit dem historischen Nachdenken meint Heidegger, dass die Dichter untereinander verglichen und damit gleichgemacht werden. 18 Im Gegensatz dazu beachtet die geschichtliche Besinnung das »Gedichtete«, denn »[d]er Dichter selbst sagt es, was Dichtung ist« 19. Für Heidegger ist dieser Dichter Hölderlin. 20 Für die Besinnung auf Hölderlins Dichtung bedarf es Heidegger zufolge der Übung, die darin besteht, die »Achtsamkeit« zu »lernen«. 21 Demnach stellt sich folgende Frage: »Wie lernen wir aber die Achtsamkeit, wir, die Spätgeborenen einer seit Jahrhunderten wäh-

Martin Heidegger, Country Path Conversations, übersetzt von Bret W. Davis, Bloomington, Indiana University Press 2010. 17 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 211. 18 Vgl. Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 35. 19 Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 36. 20 Vgl. Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 37. 21 Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 42. 16

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Heideggers Rezeption des Taoismus

renden Achtlosigkeit?« 22 Darauf antwortet Heidegger: »Wir lernen die Achtsamkeit, indem wir in das unscheinbare Einfache blicken, es je und je ursprünglicher aneignen und vor ihm scheuer und scheuer werden.« 23 Da das unscheinbare Einfache schlicht und unauffällig ist, macht es uns keinen besonderen Eindruck. Wir müssen uns darum bemühen, es anzuschauen. Dabei erlernen wir die Achtsamkeit. Mit dem »unscheinbaren Einfachen« ist das »Sein« gemeint, das »im Unterschied zum Seienden« genannt wird. 24 »In diesem Unterschied« kommt das Sein, so Heidegger, auch bei Lao-Tse vor, deswegen wird der ganze »elfte Spruch seines Tao-Te-King« zitiert. 25 Im Hinblick auf die oben zitierte Übersetzung Heideggers ist bemerkenswert, dass sie nicht mit der damaligen bekannten Übersetzung von Richard Wilhelm übereinstimmt. Die Stelle, die relevant für Heideggers Wesensbestimmung des Kruges und somit auch für unsere Forschung ist, übersetzt Wilhelm folgendermaßen: »Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen: In ihrem Nichts [無] besteht [有] der Töpfe [器] Werk [用].« 26 Die Übersetzung, die in der Schrift Die Einzigkeit des Dichters vorkommt, lautet: »Aus dem Ton entstehen die Gefäße, / Aber das Leere [無] in ihnen gewährt das Sein [有] des Gefäßes [器].« 27 Die beiden Versionen sind zwar nicht gleich, drücken aber denselben Gedanken aus, dass das Nichts und die Leere des Topfes oder Gefäßes dessen Nutzen bestehen/existieren/sein lässt (»當其無有器之用«). 28 Die äußerliche Verschiedenheit zwischen den beiden Übersetzungen lässt uns die Frage stellen, welche oder wessen Übersetzung Heidegger zur Verfügung hatte. Oder sollten wir auch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass er das elfte Kapitel der Schrift Tao Te King vielleicht selbst ins Deutsche übersetzen konnte? Es ist bekannt, dass Heidegger mit dem Sinologen Paul Shih-Yi Hsiao den Versuch unternahm, diese Schrift aus dem Altchinesischen ins Deutsche zu übersetzen; aber nicht alle Kapitel, sondern nur die ersten acht stell-

Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 42. Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 42–43. 24 Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 43. 25 Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 43. 26 Laotse, Tao Te King, 13. 27 Heidegger, »Die Einzigkeit des Dichters«, GA 75, 43. 28 노자 [Laozi], 도덕경 [Tao Te King] (zweisprachige Ausgabe), übersetzt von 오강남 [Kang-Nam Oh], 서울 [Seoul], 현암사 [Hyeonamsa] 2012, 43. 22 23

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ten sie fertig. 29 Diesem Bericht zufolge gehört das elfte Kapitel zwar nicht zu den übersetzten Kapiteln; er gibt aber Heideggers Interesse daran zu erkennen, die Schrift Tao Te King persönlich weiter zu übersetzen. Demnach kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass auch die in der Schrift Die Einzigkeit des Dichters angeführte Übersetzung von Heidegger selbst vorgenommen wurde. In der Übersetzung Heideggers sind zwei Wörter bemerkenswert, nämlich »Leere« und »Gefäßes«, und zwar zunächst deswegen, weil sie nicht in der Übersetzung Wilhelms vorkommen. Außerdem fungieren sie als Grundbegriffe im Vortrag Einblick in das was ist, den Heidegger sechs Jahre nach der Abfassung der Schrift Die Einzigkeit des Dichters hielt. 30 Daraus ergibt sich klar, dass die dem besagten Vortrag zugrunde liegende Wesensbestimmung des Gefäßes als Leere unter dem Einfluss des elften Kapitels der Schrift Tao Te King steht. Ein weiteres Wort, »Sein«, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Dieses Wort ist die Übersetzung des altchinesischen Zeichens »有«, das viele Bedeutungen hat: unter anderem »sein«, »haben«, »besitzen«, »vorhanden sein«, »existieren«, »vorliegen«, »bestehen«. Während Wilhelm dieses Zeichen mit »bestehen« übersetzt, ist es bei Heidegger mit »Sein« wiedergegeben. Heideggers Wortwahl ist einerseits eine einfache und treue Übersetzung, weil »das Sein« oder, genauer gesagt, »zu sein« die Grundbedeutung von 有 ist. Andererseits ist sie insofern eine kreative Übersetzung, als Heidegger mit dieser Wortwahl Laozis Denken in Verbindung mit dem eigenen Seinsdenken bringt. Demnach ist Heideggers Rezeption der Schrift Tao Te King auch eine schöpferische Aneignung des Taoismus. Um die Behauptung zu untermauern, dass die taoistischen Gedanken durch das und im Denken Heideggers variiert werden, ziehen wir eine weitere Schrift heran, nämlich Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren. Diese Schrift wurde zwei Jahre nach der Entstehung der Schrift Die Einzigkeit des Dichters verfasst. In diesen zwei Jahren geschah eine Veränderung im Denken Heideggers. Als er das elfte Kapitel der Schrift Tao Te King in seiner Schrift Die Einzigkeit des Dichters übersetzte, überging er dabei das altchinesische Zeichen

Vgl. Günther Neske (Hg.), Erinnerung an Martin Heidegger, Pfullingen, Neske 1977, 326. 30 Heidegger, »Einblick in das was ist«, GA 79, 7–8. 29

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Heideggers Rezeption des Taoismus

»用« (benutzen), das Wilhelm mit »Werk« übersetzte. Aber in der Abendgespräch-Schrift spielt dieses Zeichen eine grundlegende Rolle.

4.

Zhuangzi und Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren

Im Zentrum der Abendgespräch-Schrift steht der Gedanke der »Notwendigkeit des Unnötigen«. Er kommt erstmals in den Worten des Jüngeren vor: »Erst wer die Notwendigkeit des Unnötigen wissen gelernt hat, kann ungefähr wenigstens den Schmerz ermessen, der damit entspringt, daß dem Menschen das Denken verwehrt ist.« 31 Der Jüngere offenbart jedoch nicht, woher er den Ausdruck »die Notwendigkeit des Unnötigen« genommen hat. Erst am Ende des Gespräches wird angedeutet, dass dieser Ausdruck etwas mit der altchinesischen Philosophie zu tun hat. 32 Der Ältere führt nämlich einen kurzen Dialog zwischen zwei altchinesischen Denkern an, dessen Lehre darin bestehe, dass das Unnötige notwendig sei. Da ihre Namen angeblich aus seinem Gedächtnis geschwunden sind, bleibt unbekannt, woher der Dialog stammt. Aber für diejenigen, denen der Taoismus vertraut ist, liegt es klar vor Augen, dass der Dialog seinen Ursprung in der Schrift Zhuangzi hat. 33 Die von Heidegger angeführte Übersetzung lautet: Der Eine sagte: ›Ihr redet vom Unnötigen‹. / Der Andere sprach: ›Erst muß einer das Unnötige erkennen, ehe man mit ihm vom Nötigen reden kann. Die Erde ist ja weit und groß, und doch braucht der Mensch, um zu stehen, nur so viel Platz, daß er seinen Fuß darauf setzen kann. Wenn aber unmittelbar neben dem Fuß ein Riß entstände bis hinab zu der Unterwelt, wäre ihm dann der Platz, worauf er steht, noch zu etwas nütze?‹ / Der Eine sprach: ›Er wäre ihm nichts mehr nütze‹. / Der Andere sprach: ›Daraus ergibt sich klar die Notwendigkeit des Unnötigen‹. 34 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 221. 32 Vgl. Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 239. 33 장자 [Zhuangzi], 장자 [Zhuangzi], (zweisprachige Ausgabe), übersetzt von 오강남 [Kang-Nam Oh], 서울 [Seoul], 현암사 [Hyeonamsa] 1999, 411 (Kap. 26). In der ostasiatischen Antike musste keine Quellenangabe beim Zitieren der Klassiker gemacht werden, und zwar angeblich deswegen, weil sie jeder auswendig lernte. 34 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 239. 31

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Diese Übersetzung stimmt mit der Übersetzung Wilhelms überein. 35 Außerdem versieht dieser den Dialog mit der Überschrift »Die Notwendigkeit des Unnötigen« 36. Demnach liegt die Vermutung nahe, dass Heidegger seinen Ausdruck »die Notwendigkeit des Unnötigen« aus der taoistischen Schrift Zhuangzi übernahm, und zwar mithilfe der Übersetzung Wilhelms. Was am Ende des Dialoges gesprochen wird, lautet im Original: »然則無用之爲用也«. 37 Diese Worte werden abgekürzt »無用之用« (wuyongzhiyong) genannt. Das erste Zeichen »無« fungiert als Negation des nachfolgenden Zeichens. Das zweite Zeichen »用« bedeutet »benutzen« oder »Nutzen«. Das dritte Zeichen »之« ist die Präposition, die die Zugehörigkeit des nachfolgenden Zeichens zum vorausliegenden Zeichen angibt. Das vierte Zeichen ist gleich dem zweiten. Dementsprechend kann der taoistische Gedanke »無用之用« mit dem Ausdruck »Nutzen des Nutzlosen« wiedergegeben werden. Der Ausdruck »Notwendigkeit des Unnötigen« ist auch eine angemessene Übersetzung. Um zu verstehen, was Heidegger mit diesem Ausdruck meint, betrachten wir die Abendgespräch-Schrift. Sie beginnt mit der Erzählung der morgendlichen Erfahrung mit »etwas Heilsame[m]«. 38 Wer geheilt werden kann, muss vorher verletzt worden sein. Die Gesprächspartner, nämlich der Jüngere und der Ältere, sind verletzt und »zerrissen«. 39 Ihre »Wunde« besteht darin, dass ihr Wesen »aus der freien Weite des Denkens« »ausgestoßen« ist. 40 Mit dieser Wunde meinen sie nicht den »Verzicht auf die Beschäftigung mit geistigen Sachen«, sondern vielmehr den »Entzug des Daseins, das auf dem Wilhelms Übersetzung lautet: »Hui Dsï sprach zu Dschuang Dsï: ›Ihr redet von Unnötigem.‹ / Dschuang Dsï sprach: ›Erst muß einer das Unnötige erkennen, ehe man mit ihm vom Nötigen reden kann. Die Erde ist ja weit und groß, und doch braucht der Mensch, um zu stehen, nur soviel Platz, daß er seinen Fuß darauf setzen kann. Wenn aber unmittelbar neben dem Fuß ein Riß entstünde bis hinab zu der Unterwelt, wäre ihm dann der Platz, worauf er steht, noch zu etwas nütze?‹ / Hui Dsï sprach: ›Er wäre ihm nichts mehr nütze.‹ / Dschuang Dsï sprach: ›Daraus ergibt sich klar die Notwendigkeit des Unnötigen.‹« Dschuang Dsï, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, 281. 36 Dschuang Dsï, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, 281. 37 장자 [Zhuangzi], 장자 [Zhuangzi], 411. 38 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 205. 39 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 206. 40 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 219. 35

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Grunde des Denkens beruht« 41. Also wird ihnen das denkende Dasein (vita contemplativa) nicht mehr gegeben, deswegen leiden sie innerlich schwer: »Der brennende Schmerz ist, daß wir nicht für das Unnötige [das Denken] da sein durften.« 42 Hierin sehen wir schon Heideggers Variation des taoistischen Gedankens. Dieser Gedanke wird in der Schrift Zhuangzi anhand verschiedener Beispiele (Menschen und Dingen) veranschaulicht. Für die Darstellung eines Beispiels ziehen wir ein Gespräch aus dieser Schrift heran: In diesem Gespräch geht es um einen riesigen Baum, der so verwachsen und verkrüppelt ist, dass sich kein Tischler für ihn interessiert. Dieser Baum ist scheinbar zu nichts zu gebrauchen. Sein Besitzer beschwert sich bei Zhuangzi über diese Nutzlosigkeit. Dieser sagt aber, dass der Baum so lange hat leben können, gerade weil er eben keinen Nutzen gebracht hat. Zhuangzi fügt gleich hinzu, dass wir jedoch um den nutzlosen Baum herum spazieren gehen und in seinem Schatten ruhen können. 43 Der Spaziergang und die Ruhe unterscheiden sich von der Arbeit, die unmittelbar Nutzen bringen soll. Aber ohne Pause wäre die alltägliche Arbeit nicht mehr möglich, geschweige denn die schöpferische. Die Auszeit ist also notwendig. Mit dem Gespräch über den scheinbar unnötigen Baum macht Zhunagzi seine Lehre der Notwendigkeit des Unnötigen anschaulich. 44 Was Heidegger mit dem »Unnötigen« in der AbendgesprächSchrift meint, ist aber weder Mensch noch Ding, sondern das Denken. Dieses scheint unnötig zu sein, deswegen beschäftigen wir uns nicht mehr mit dem Denken. Vielmehr treiben wir viele angeblich wichtige Beschäftigungen (vita activa). Diese sind dem Jüngeren zufolge aber das »vermeintliche Nötige«, das »das Auge unseres Wesens blind für das Unnötige« macht; der Ältere fügt gleich hinzu, »daß das Unnötige jederzeit das Nötigste von allem bleibt« 45. Im Anschluss daran spricht Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 219. 42 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 219. 43 Vgl. 장자 [Zhuangzi], 장자 [Zhuangzi], 53–54 (Kap. 1). 44 Interessanterweise veranschaulicht Zhuangzi diese Notwendigkeit mit dem Baum, weil das altchinesische Zeichen für das Pausieren (休) mit dem altchinesische Zeichen für den Baum (木) zusammenhängt. Der rechte Teil »亻« von »休« bezeichnet den Menschen. Daher geschieht die Pause, wenn ein Mensch einen Baum trifft und sich in dessen Schatten befindet. 45 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 220. 41

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der Jüngere die Worte aus, die wir bereits oben erwähnt haben: »Erst wer die Notwendigkeit des Unnötigen wissen gelernt hat, kann ungefähr wenigstens den Schmerz ermessen, der damit entspringt, daß dem Menschen das Denken verwehrt ist.« 46 Diese Worte, in denen der taoistische Gedanke erstmals vorkommt, machen deutlich, dass Heidegger mit dem Unnötigen das Denken meint. »Das Denken ist somit das Unnötige« 47, sagt der Ältere. Indem Heidegger das Denken das Unnötige nennt, eröffnet er die Möglichkeit, den taoistischen Gedanken in Verbindung zur Leistungsgesellschaft zu bringen, in der wir uns nämlich nur mit dem scheinbar Nötigen beschäftigen. Diese Beschäftigung rottet »etwas Wesenhaftes« aus, damit es nicht mehr »aufgehe und erblühe« 48. Aber diese Ausrottung »versteckt sich hinter einem Verfänglichen, das sich in der Gestalt der angeblich höchsten Menschheitsideale kundgibt« 49. Eines dieser Ideale ist für Heidegger die »ungehemmte Leistungssteigerung auf allen Gebieten des Schaffens« 50. In dieser Leistungsgesellschaft, »[w]o also die Welt im Glanz des Aufstiegs, der Vorteile und der Glücksgüter erstrahlt«, wird alles Seiende »ins Nützliche« »verrechnet und eingerichtet« 51. Der Lauf der Leistungsgesellschaft kann durch das Unnötige gehemmt werden, weil dieses ihrem »einzigen Gesetz« widerspricht, das darin besteht, »daß das Nötige das Nötigste und das allein Nötige sei« 52. Für die Überwindung der Leistungsgesellschaft ist das Unnötige (das Denken) also notwendig. Die von Heidegger in der Abendgespräch-Schrift vorgenommene Variation des Taoismus bringt, wie gerade gezeigt, die antike östliche Denktradition und die moderne westliche (aber auch ostasiatiHeidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 221. 47 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 221. 48 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 211. 49 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 211. 50 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 211. 51 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 216. 52 Heidegger, »Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren«, GA 77, 236. 46

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Heideggers Rezeption des Taoismus

sche) Leistungsgesellschaft in innige Verbindung miteinander. Darüber hinaus erinnert uns seine Interpretation des Unnötigen als Denken daran, dass er die Philosophie als das »unmittelbar nutzlose, gleichwohl herrschaftliche Wissen vom Wesen des Seienden« bezeichnet hat, und zwar in der Vorlesung Grundfragen der Philosophie: Ausgewählte »Probleme« der »Logik«, die er im Wintersemester 1937/38 an der Universität Freiburg hielt. 53 Mit dieser Bezeichnung meint Heidegger, Philosophie nütze uns zwar unmittelbar nichts, weil sie »weder die Weltanschauung noch die Wissenschaft« ersetzen könne; sie sei aber das »vorausspringende, neue Fragebereiche und Fragehinsichten eröffnende Wissen vom stets sich neu verbergenden Wesen der Dinge«. 54 Die Philosophie wirkt also nur mittelbar, indem sie die Fragen nach dem Wesen des Dinges für die Wissenschaftler zugänglich macht. Dementsprechend können wir sagen, dass sie (das Unnötige) durchaus notwendig für die Erschließung der Wissenschaft ist. Heidegger veranschaulicht die Notwendigkeit des Unnötigen am Beispiel der Philosophie. Das Wesen der Philosophie kommt mithilfe des taoistischen Gedankens zum Vorschein. Diese gedankliche Verwandtschaft zwischen Heidegger und Zhuangzi kann eine bemerkenswerte Koinzidenz sein. Oder sie besteht, weil sich Heidegger mit dem Taoismus auseinandergesetzt hat. Dann stellt sich folgende Frage, ob ihm die Schrift Zhuangzi bereits in den 1930er Jahren vertraut war. Auf diese Frage können wir noch nicht antworten, weil wir bisher nur die Schriften untersucht haben, die er in den 1940er Jahren verfasste: Die Einzigkeit des Dichters (1943), Abendgespräch in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland zwischen einem Jüngeren und einem Älteren (1945) und Einblick in das was ist (1949). Die Antwort auf die genannte Frage ist wohl positiv, weil darüber berichtet wurde, dass sich Heidegger auf ein Gespräch aus der Schrift Zhuangzi berief, und zwar im Jahr 1930, um damit das Phänomen der Intersubjektivität anschaulich zu machen. 55 Diese frühere Rezeption des Taoismus ist bemerkenswert, weil Heidegger, Grundfragen der Philosophie: Ausgewählte »Probleme« der »Logik«, GA 45, 2. 54 Heidegger, Grundfragen der Philosophie: Ausgewählte »Probleme« der »Logik«, GA 45, 3. 55 Vgl. Heinrich Wiegand Petzet, Auf einen Stern zugehen. Begegnungen und Gespräche mit Martin Heidegger 1929–1976, Frankfurt am Main, Societaets-Verlag 1983, 24. 53

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sie uns dazu auffordert, nach weiteren gedanklichen Verwandtschaften zu suchen. Aus einem Brief Heideggers an Elisabeth Blochmann geht hervor, dass die Vorarbeit für den Aufsatz Der Ursprung des Kunstwerkes in den Jahren 1931 und 1932 geleistet wurde, welche er überarbeitete, erweiterte und in den Jahren 1935 und 1936 vortrug. 56 Offenbar widmete sich Heidegger der Besinnung auf das Wesen der Kunst bzw. des Kunstwerkes nach seiner Rezeption des Taoismus. Wir unternehmen den Versuch, seine Kunstphilosophie im Hinblick auf den taoistischen Gedanken der Notwendigkeit des Unnötigen zu betrachten.

5.

Kunst im Hinblick auf die Notwendigkeit des Unnötigen in der Leistungsgesellschaft

Der Abendgespräch-Schrift entsprechend haben wir keinen Zugang mehr zur freien Weite des Denkens. In diesem Ausgestoßensein besteht unsere Wunde. Wenn diese nicht eine körperliche, sondern eine metaphysische ist, dann kann sie durch die Kunst als »eigentlich metaphysische Tätigkeit« und »rettende, heilkundige Zauberin« geheilt werden. 57 Die ungehemmte Leistungssteigerung war, wie oben gezeigt, ein Ideal, in deren Namen alles Seiende nur hinsichtlich seiner Nützlichkeit beurteilt, benutzt und verbraucht wurde. Dieses Ideal wird 70 Jahre nach der Abfassung der Abendgespräch-Schrift aber immer noch hochgehalten. Im Hinblick auf die Problematik der Leistungsgesellschaft macht Gernot Böhme folgende Bemerkung: »Wir leben in der BRD in einer Gesellschaft mit hervorragenden Einrichtungen […]. Im Gegenteil sind alle Bürger im Stress und in einem Denken befangen, das ihnen auf allen Gebieten immer mehr Leistung abverlangt – und zwar nicht nur im Bereich der Arbeit, sondern auch in Konsum und Freizeit«. 58 Diese Diagnose bestätigt sich auch in Korea.

Vgl. Heidegger, »Nachweise«, GA 5, 375. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, Kritische Studienausgabe, Band 1, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin/München, Deutscher Taschenbuch-Verlag 1980, 24/57. 58 Gernot Böhme, Kritik der Leistungsgesellschaft, Bielefeld/Basel, Aisthesis-Verlag 2010, 7. 56 57

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Heideggers Rezeption des Taoismus

Im Aufsatz Der Ursprung des Kunstwerkes erklärt Heidegger die Kunsterfahrung in zweierlei Hinsicht. Einerseits schaffen wir das Kunstwerk; andererseits bewahren wir es. Sowohl das Schaffen als auch das Bewahren stehen allerdings in einem engen Zusammenhang mit der Wahrheit des Seienden. Die bewahrende Erfahrung des Kunstwerkes ist insofern bemerkenswert, als sie uns aus der alltäglichen Welt herausreißt. Das Kunstwerk rückt uns aus dem Gewöhnlichen heraus und in die »Offenheit« (die Wahrheit) hinein, die »durch es selbst eröffnet« wurde. 59 In dieser Offenheit stehen wir außerhalb des Nutzungszusammenhanges. Dabei verwandeln sich unsere »gewohnten Bezüge zur Welt und zur Erde«, sodass wir uns »mit allem geläufigen Tun und Schätzen, Kennen und Blicken« zurückhalten und »in der im Werk geschehenden Wahrheit« verweilen. 60 Dieses ruhende Verweilen hat seine Grundlage im Wesen des Kunstwerkes, nämlich in der »Bestreitung des Streites zwischen Welt und Erde« 61. Diese Bestreitung als die höchste Bewegtheit schließt ja die Ruhe nicht aus, sondern ein. Diese dynamische Ruhe ermöglicht das »Insichruhen des Werkes« und ferner unser Verweilen in seiner Offenheit (Lichtung). 62 Die Bewahrung des Kunstwerkes ist zwar keine Tätigkeit, die unmittelbar Nutzen bringt, kann aber als Ruhepol in der Leistungsgesellschaft dienen. Wie der unnötige Baum den Schatten schenkt, so lässt uns das Kunstwerk auf seiner Lichtung verweilen. Bisher haben wir Heideggers schöpferische Aneignung des Taoismus aufgezeigt und auf die gedankliche Verwandtschaft zwischen Heidegger und Zhuangzi hingewiesen. Daraus ergibt sich, dass wohl noch viele gedankliche Verwandtschaften zu entdecken bleiben. Das Ost-West-Gespräch ist für die Heidegger-Forschung noch lange nicht zu Ende, sondern hat gerade erst begonnen. Diese künftige Konversation wird keine bloße vergleichende historische Untersuchung sein, sondern sie wird als interkultureller Dialog zur Konversion der globalen Gesellschaft dienen.

59 60 61 62

Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, GA 5, 54. Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, GA 5, 54. Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, GA 5, 45. Heidegger, »Der Ursprung des Kunstwerkes«, GA 5, 45.

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Das Tier zwischen Organismus und Maschine Ernst Kapp und Martin Heidegger zur Mensch-Tier-Differenz Maria Agustina Sforza 1

Zusammenfassung: Die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zum Tier ist in den vergangenen Jahren zum philosophischen Thema geworden. In der aktuellen Tierphilosophie herrscht die Tendenz vor, Heideggers Diskurs über das Tier als anthropozentrisch und dogmatisch zu kategorisieren. Der vorliegende Beitrag hat hingegen zum Ziel, seinen Denkansatz zur Tierfrage zu rehabilitieren. Hierfür wird zunächst der Unterschied zwischen Mensch und Tier im Rahmen von Kapps Organprojektionstheorie rekonstruiert und im Kontext der aktuellen Diskussion zur Mensch-Tier-Differenz verortet. Die Problematisierung einiger Elemente des kappschen Denkens wird uns schließlich dazu führen, einen Vergleich mit Heidegger zu ziehen. Im Kontext von Heideggers Bestimmungsversuch des Lebendigen in seiner Freiburger Vorlesung vom Wintersemester 1929/30 werden anschließend die Folgen seiner Position in die Diskussion eingebracht. Abstract: The question of the relationship between humans and animals has become a philosophical topic in recent years. The prevailing trend in animal philosophy is to categorize Heidegger’s discourse on the animal as anthropocentric and dogmatic. This paper, however, has the goal to rehabilitate his approach to the ›question of the animal‹. Therefore, the article reconstructs the difference between humans and animals under Kapp’s theory of organ projection and classifies it in the context of the current discussion on human-animal difference. The problematization of some elements of Kapp’s theory links to a comparison with Heidegger. In the context of Heidegger’s determination of the living, which he introduced in his Freiburg lecture course during winter semester 1929/30, consequences of his position are discussed.

Ich möchte mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. Luckner und Frau Dr. Annika Hand für die hilfreichen Anmerkungen zu früheren Versionen des vorliegenden Textes bedanken.

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Das Tier zwischen Organismus und Maschine

1.

Anthropologische Denkansätze in der Technikphilosophie: Der Mensch, das unfertige Tier

Im letzten Jahrzehnt ist die Frage nach unserem Verhältnis zum Tier verstärkt zum philosophischen Thema geworden. Im deutschsprachigen Raum haben sich eine Vielzahl von Positionen und selbst einige Forschungsfelder herausgebildet, die sich kritisch mit den Diskursen der Grenzziehung zwischen Mensch und Tier in der Philosophiegeschichte auseinandersetzen. 2 Eine der leitenden Annahmen dieser Debatte ist der Gedanke, dass bestimmte philosophische Ansätze gewaltförmige Verhältnisse zu nichtmenschlichem Lebendigen legitimieren. 3 Im Zeitalter der Herabwürdigung des Tiers auf den Status einer Ressource sei die Philosophie dazu aufgerufen, den geläufigen Diskurs über das Tier zum Problem zu machen, wenn sie nicht als »geistige Stütze« dieser Gewalt fungieren wolle. 4 Im Zuge dieser kritischen Revision der Diskurse der Philosophie sind anthropologisch orientierte Denkansätze ins Blickfeld der Diskussion gerückt. Von der Antike über das Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert ist die Frage nach dem Menschen mit der Frage nach seiner Abgrenzung vom Tier verknüpft. Innerhalb der klassischen Theorien der Technikphilosophie wird beispielsweise der Mensch als dasjenige Tier aufgefasst, welches sich von anderen Tieren durch die Erfindung der Technik unterscheidet. Diese kann entweder die Form einer Prothese annehmen, mit der der Mensch seine defizitäre biologische Ausstattung kompensiert, oder die einer unbewussten Verlän-

Vgl. u. a. folgende Veröffentlichungen: Markus Wild, Tierphilosophie zur Einführung, Hamburg, Junius Verlag, 2008; Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.), Tiere Bilder Ökonomien. Aktuelle Forschungsfragen der Human-Animal Studies, Bielefeld, transcript, 2013; sowie die Zeitschrift für Animal Studies »Tierstudien«, herausgegeben von Jessica Ullrich, Berlin, Neofelis; zudem u. a. bis dato aktive Forschungsgruppe und Netzwerke: LOEWE-Schwerpunkt »Tier – Mensch – Gesellschaft. Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung« an der Universität Kassel; DFG-Projekt »Das verdatete Tier. Zum Animal Turn in der Medienwissenschaft« an der Rühr Universität Bochum; Nachwuchsforschernetzwerk »Cultural and Literary Animal Studies« (CLAS) an der Universität Würzburg; Forschungsgruppe »Mensch-Tier-Beziehung« an der Universität Wien. 3 Vgl. dazu Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.), Tiere Bilder Ökonomien. Aktuelle Forschungsfragen der Human-Animal Studies, 13. 4 Vgl. dazu Christian Sternad, »Den Tod als Tod vermögen. Zum Tod des Tieres aus phänomenologischer Sicht«, Tierstudien, 5, 2014, 58. 2

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gerung der leiblichen Organe, durch welche sich der Mensch selbst als Krone der Schöpfung erfährt. Aus der Perspektive der Tierphilosophie verbirgt dieser technisch-anthropologische Ansatz eine unzulässige Legitimation der Instrumentalisierung der Tiere zu menschlichen Zwecken. 5 Diese Erkenntnis ließe sich zwar bereits in der vorindustriellen Zeit aufzeigen, als der Mensch seine Langsamkeit durch die Domestizierung des Pferdes, Nacktheit durch die Wolle des Schafs und Nahrung durch Abrichtung des Rindes zum Ackerbau ersetzte. 6 Tierphilosophen stimmen jedoch überein, dass diese Instrumentalisierung durch die technische Entwicklung der Industriegesellschaft bis zum Äußersten getrieben wird. 7 Die meisten kritischen Überlegungen der aktuellen tierphilosophischen Ansätze sind jedoch im Grunde genommen nicht neu. Bereits am Ende des 20. Jahrhunderts rückten die negativen Konsequenzen der Instrumentalisierung des Lebendigen in den Vordergrund des philosophischen Interesses, und der Herrschaftsanspruch des Menschen – durch die Technik erfüllt – stellte sich erstmals infrage. Kapp als Vertreter des traditionellen anthropologischen Paradigmas der Technikphilosophie und Heidegger als Technik- und Humanismuskritiker repräsentieren jeweils zwei gegensätzliche Positionen und sind daher für eine Auseinandersetzung mit der sogenannten Tierfrage von besonderer Bedeutung. Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, Kapps technikanthropologischen Ansatz in Bezug auf die Tierfrage herauszuarbeiten und einen Vergleich mit Heideggers Denken über das Lebendige durchzuführen. Dafür werden die scheinbaren Gemeinsamkeiten ihrer Standpunkte sowie die Differenzen aufgezeigt. Obwohl auch Heideggers Spätphilosophie Möglichkeiten für die Auseinandersetzung mit der Tierfrage bietet, wird diese im Folgenden außerhalb des Blickes Vgl. dazu Ariana Ferrari und Klaus Petrus (Hg.), Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen, Bielefeld, transcript, 2015, 334. 6 Vgl. Udo Friedrich, Menschentier und Tiermensch: Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, 52 und Mathias Mayer, »Papiertiger im bissigen Text. Das Tier, die Literatur und der Respekt«, in: Stephanie Waldow (Hg.), Von armen Schweinen und bunten Vögeln. Tierethik im kulturgeschichtlichen Kontext, Paderborn, Wilhelm Fink Verlag, 2014, 18. 7 Vgl. dazu Peter Schaber, »Instrumentalisierung«, in: Ariana Ferrari und Klaus Petrus (Hg.), Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen, 167. 5

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Das Tier zwischen Organismus und Maschine

bleiben müssen. Stattdessen werden Heideggers Schriften aus dem Umfeld von Sein und Zeit aufgegriffen, insofern sie eine fruchtbare Gegenüberstellung mit Kapp ermöglichen. Durch diesen Vergleich soll schließlich die Grundlage für eine Beantwortung der Frage gelegt werden, ob es überhaupt möglich ist, entgegen der heute vorherrschenden Tendenz in der Tierphilosophie, Heideggers Diskurs über das Tier zu rehabilitieren und dadurch seine Philosophie als Beitrag für eine der wichtigsten Diskussionen unserer Zeit zu verstehen.

2.

Anthropologische Differenz bei Kapp: Der Mensch, das Idealtier

In der abendländischen Philosophiegeschichte wurde der Organismus häufig durch seine Assimilation in eine bereits gebaute Maschine definiert. Hierfür ist die mechanistische Wahrnehmung des Lebewesens im Sinne der kartesianischen Theorie sein paradigmatisches Beispiel. 8 Selten wurde jedoch eine Prozessumkehr durchgeführt, also die Konstruktion der Maschine ausgehend von der Struktur und Funktion des Organismus erklärt. Ernst Kapp entwickelte erst in seinen Grundlinien einer Philosophie der Technik (1877) ein anthropologisches Verständnis von Technik in organischer Hinsicht und stellte somit eine neuartige Form des Zusammenhangs zwischen Maschine und Organismus her. Die grundlegende These von Kapp besagt, dass der Mensch »Funktionsbeziehung und Normalverhältnis seiner leiblichen Organe auf die Werke seiner Hand überträgt.« 9 Kapp behauptet, dass alle aus der Hand des Menschen stammenden technischen Artefakte ihre kulturgeschichtliche Legitimation durch den Organismus finden: Die Entstehung der primitiven Werkzeuge im Altertum sei ein Beweis dafür. So erweise sich beispielsweise der Hammer als eine mechanische Nachformung der organischen Form des Unterarms und der Faust und der Bohrer als eine Projektion des versteiften Zeigefingers. Der Telegraf sei auch als eine Übertragung des Nervensystems zu

Vgl. dazu Georges Canguilhem, Die Erkenntnis des Lebens, Berlin, August Verlag, 2008, 184. 9 Ernst Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig, Westermann, 1877, v. 8

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verstehen und selbst der Staat wird von Kapp als Projektion der Menschennatur aufgefasst. 10 Wie aber geschieht nach Kapp diese Organprojektion? Und was sind die Bedingungen der Möglichkeit dieses Projizierens? Welche Voraussetzungen sind demnach notwendig, um mittels der Organprojektion Artefakte herstellen zu können? Sind diese ausschließlich durch den Menschen zu erfüllen? Was ist nach Kapp genau das, was den Menschen zum Menschen macht und ihn von anderen nichtmenschlichen Lebendigen unterscheidet? Und was hat diese Abgrenzung schließlich für das Mensch-Tier-Verhältnis zur Folge? Die Herstellung von Werkzeugen durch die Organprojektion geschieht nach Kapp nicht durch einen bewussten Erfindungsprozess, sondern vielmehr unbewusst. 11 Der Mensch zeichnet sich im Gegensatz zum Tier durch die Fähigkeit aus, Artefakte aus sich heraus zu entwickeln, indem er die innere Konzeption seiner Herstellung unbewusst überträgt. Einsichtig ist dem Menschen aber dessen Charakter der Zweckmäßigkeit. Jedes Werkzeug ist hinsichtlich seines äußeren Zwecks für den Menschen eine Möglichkeit, »über die unmittelbare oberflächliche Wahrnehmung der Dinge hinauszugelangen« 12. Man kann sich nun fragen: Stellen manche Tiere nicht auch Werkzeuge selber her? Und ist generell die Zweckmäßigkeit der Werkzeuge den Tieren unbekannt? Gestalten Tiere nicht etwa auch ihr unmittelbares Lebensumfeld, indem sie mithilfe von externen Objekten ihre eigenen Kapazitäten erweitern? Eine Reihe von ethologischen Untersuchungen scheint dabei den Beweis erbracht zu haben, dass bestimmte Tiere analog zu den Menschen die Werkzeugherstellung und den Werkzeuggebrauch für sich beanspruchen können. 13 Kapps Antwort auf diese Fragen würde aber lauten: Tiere schaffen sich zwar Artefakte und benutzen Werkzeuge, tun dies jedoch in einer ganz anderen Weise als die Menschen. Tiere haben eine sinnliche Wahrnehmung der Dinge ihrer Außenwelt und besitzen ein ge-

Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 27–28. Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 24. 12 Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 26. 13 Vgl. dazu Robert W. Shumaker, Kristina R. Walkup und Benjamin B. Beck (Hg.), Animal Tool Behavior: The Use and Manufacture of Tools by Animals, Baltimore, The Johns Hopkins University Press, 2011, 204–225. 10 11

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Das Tier zwischen Organismus und Maschine

wisses Empfindungsbewusstsein. Doch der »tiefere« Sinn dieser Dinge bleibe ihnen verborgen. 14 Das Tier sei Kapp zufolge unfähig, die Gegenstände, die ihm in seiner Umwelt begegnen – welche es als Werkzeug, Waffe oder Schutz verwenden kann – als solche zu begreifen. Im Gegensatz dazu erlange der Mensch ein gründliches Verständnis dieser Außendinge, die er aus ihm und von ihm nach dem Maß seiner Organe selbst produziert hat. 15 Dies geschehe, indem der Mensch die innere Konzeption der Herstellung des Werkzeugs »als Nachbild seines Inneren« erkenne und infolgedessen zum Bewusstsein komme. 16 Es sei gerade diese Bewegung »aus dem Äußeren in das Innere«, die den Menschen zur Selbsterkenntnis führe und für das Tier unmöglich zu vollziehen sei. Entsprechend lässt sich behaupten, dass die entscheidende Differenz zwischen Mensch und Tier bei Kapp nicht in der Fähigkeit zur Werkzeugherstellung und zum Werkzeuggebrauch liegt, sondern gerade in der Möglichkeit, sich selbst zu erkennen, sich zu finden und ein Bild seiner selbst in der Widerspiegelung seiner Welt und seiner Werke zu erschaffen. Es handelt sich daher nicht um eine graduelle, sondern um eine konstitutive, unüberwindbare Differenz. 17 Was lässt sich nun aus Kapps Bestimmung der Mensch-Tier-Differenz schlussfolgern? Inwiefern ist es plausibel, aus Kapps anthropologischer Darstellung der Technikerfindung die Grundlagen eines sogenannten »hegemonialen Diskurses des Mensch-Tier-Verhältnisses« herzuleiten? Folgt aus der Sonderstellung des Menschen in der Natur zwangsläufig eine Legitimation seiner Herrschaft über das Lebendige? Wir können einen Antwortversuch wagen, indem wir uns Kapps Auseinandersetzung mit dem Ethnologen Adolph Bastian und seinem Werk über Die Rechtsverhältnisse bei verschiedenen Völkern der Erde (1872) widmen 18. Um die innere Gemeinschaft zwischen »Was Das Tier sieht und hört, wittert und verzehrt, bleibt ihm unbegriffen, ein schlechthin Anderes und Fremdes, ein Gegensatz, in welchem es ewig verharrt«. Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 24. 15 »Denn zur Natur, zum Kosmos, würde der Mensch sich nie anders verhalten, als das Thier, dem als solchem die Außenwelt ewig unbegriffen bleibt, wenn er sich nicht für das Verständnis der von außen ihn treffenden Reize in seinen Werkzeugen künstliche Organe zu schaffen die Uranlage besäße.« Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 125. 16 Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 25. 17 Vgl. dazu Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 22. 18 Adolf Bastian, Die Rechtsverhältnisse bei verschiedenen Völkern der Erde: Ein Beitrag zur vergleichenden Ethnologie, Berlin, G. Reimer, 1872, 1. 14

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dem Menschen und die von ihm hergestellten Werkzeuge zu bekräftigen, greift Kapp auf die »schlagende Beweiskraft« von Bastians Beitrag zur vergleichenden Ethnologie wie folgt zurück: ›Aus dem Besitz der Waffen als solcher leitet sich […] ein unwillkürliches Recht ab auf die Jagd, den Fischfang, sowie die Thiere, die denselben ermöglichen‹. So erscheint die Waffe, ihr Besitz, und der sich erst dadurch documentirende Besitz, dass sie in Congruenz mit der Hand des Menschen in Bewegung gesetzt wird, gewissermaßen als ein Rechtstitel auf die ganze belebte Schöpfung. Das Verwachsensein des Werkzeuges mit dem menschlichen Selbst geistvoller aufzufassen, ist kaum denkbar. 19

Kapp gibt uns somit nicht allein Auskunft darüber, was den Menschen als solchen ausmacht bzw. was ihn vom Tier unterscheidet. Er begründet vielmehr ein bestimmtes Machtverhältnis, indem er dem Menschen einen Rechtstitel über das Tier zuschreibt. So lässt sich Kapps Ansatz inmitten der heutigen Diskussion rund um die Mensch/Tier-Dichotomie platzieren, insofern dieser durch die Projektionsthese eine rücksichtlose Ausbeutung der Tiere legitimiert. 20 Inwieweit lassen sich nun Kapps und Heideggers Position hinsichtlich der Mensch-Tier-Differenz gegenüberstellen? Heidegger zieht bekanntermaßen auch eine unüberwindbare Grenzlinie zwischen Dasein und Lebewesen, indem er dem Tier eine radikale Andersartigkeit seines Seins zuschreibt. Ähnlich wie Kapp spricht er über das Unvermögen des Tieres, Dinge seiner Umwelt als solche wahrzunehmen. Daher halte Heidegger, so wie in zahlreichen aktuellen tierphilosophischen Beiträgen zu dieser Debatte zu lesen ist, einen anthropozentrischen, mit Kapp vergleichbaren Diskurs aufrecht, der kritisch hinterfragt werden solle. 21 Im Gegensatz zu Kapp stellt jedoch Heidegger die philosophischanthropologische Vorstellung des Menschen infrage: Anthropologie sei, so Heidegger, jene Deutung des Menschen, die im Grunde schon

Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 60. Chimaira Arbeitskreis, »Eine Einführung in Gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse und Human-Animal Studies«, in: Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.), Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen, Bielefeld, transcript, 2011, 8. 21 Vgl. dazu u. a. Alasdair MacIntyre, Die Anerkennung der Abhängigkeit, Hamburg, Rotbuch, 2001, 24; Jacques Derrida, Das Tier, das ich also bin, Wien, Passagen, 2010, und Markus Wild, »Tierphilosophie bei Heidegger, Agamben, Derrida«, Journal Phänomenologie, 40, 2013, 28. 19 20

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weiß, was der Mensch ist und daher nie fragen kann, wer er sei. 22 Des Weiteren erblickt Heidegger in der modernen Technik die Gefahr einer Herrschaftslogik, deren Folgen zu einer Verzweckung alles Seienden führe. Allein schon aus diesen Gründen lässt sich Heideggers Diskurs über das Tier, wie im Folgenden gezeigt werden soll, nicht kontroversfrei in die abendländische Philosophietradition einreihen.

3.

Organprojektion und Zeuganalyse: Ein Vergleich

In welchem Zusammenhang stehen für Heidegger das Dasein und die von ihm gebrauchten Artefakte? Wo liegt der Unterschied zwischen diesem und der Art, in der die Tiere zu den Gegenständen in ihrer Welt in Beziehung stehen? Oder, anders gefragt: Wie ist die Welt dem Tier gegeben? 23 Die Antwort auf die Frage, wie uns die Welt primär gegeben sei, können wir erst skizzieren, wenn wir einen Blick auf Heideggers Weltlichkeitsanalyse in Sein und Zeit geworfen haben. In § 15 hält Heidegger an seiner These fest, dass das Dasein zunächst nicht einem Objekt eines theoretischen Welt-Erkennens, sondern einem phänomenologisch-vorthematischen Seienden begegne. Die ontologische Struktur dieses Seienden sei, so Heidegger, die Zuhandenheit. Damit sein pragmatischer Charakter nicht verloren geht, wird es mit dem Terminus Zeug bezeichnet. 24 Das Zeug sei wesenhaft »etwas, um zu …«, ein Gegenstand, der Verweisungen in sich trägt. Die atheoretische Erfahrung des Daseins mit dem Zeug, die seine Alltäglichkeit beherrscht, charakterisiere sich durch eine Art unbewusste mechanische Kopplung: Das Zeug bleibt als solches völlig unauffällig, insofern es sich in unsere Absichten eingliedert. 25 Heideggers Behauptung, dass das Zeug nicht von dem Nutzer zu trennen sei, sondern Heidegger, Holzwege, GA 5, 111. Im Folgenden wird der Weltbegriff in Bezug auf die Tiere nur im Sinne der Vorlesung vom Wintersemester 1929/30 aufgegriffen, nämlich im Sinne der Zugänglichkeit vom Seienden als solchem. Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 391. Die Entwicklung von Heideggers Position hinsichtlich des Tier-Welt-Zusammenhangs – Tiere hätten eine Welt (1925), Tiere seien weltarm (1929/30), Tiere seien weltlos (1938/39) – muss hier aus Platzgründen unberücksichtigt bleiben. 24 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 91. 25 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, GA 24, 232. 22 23

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in einer kontinuierlichen Beziehung zu ihm stehe, nämlich bezogen auf das, was man mit ihm tut, scheint zunächst wie eine phänomenologische Aneignung von Kapps Organprojektion. Denn für Kapp sind die Werkzeuge ebenso nichts anderes als jene Gegenstände, die sich in der unmittelbaren Umgebung nächst »zur Hand« befinden und unsere leiblichen Organe verlängern bzw. verstärken. 26 Entsprechend lässt sich auf den ersten Blick Heideggers Weltlichkeitsanalye in Hinblick auf Kapps Organprojektionstheorie verstehen. Trotz der starken begrifflichen Ähnlichkeit zwischen beiden Positionen sollen hier aber einige wichtige Differenzierungen aufgeführt werden. Erstens: Der alltägliche Umgang mit dem Zeug gehorcht einer Existenzmöglichkeit des Daseins, begrifflich als Uneigentlichkeit gefasst, die nicht mit Kapps anthropologischer Bestimmung des Menschen vergleichbar ist. Die Umstellung zu dem, was Heidegger unter Eigentlichkeit versteht, besteht ebensowenig in einem »Sich-selbst-in-seinem-Werk-Erkennen« im kappschen Sinne, sondern in einer bestimmten Weise des Existierens. Beide Arten von Umstellungen sind allerdings, wie im Weiteren gezeigt werden soll, für das Tier unmöglich zu vollziehen. Zweitens: Die Tatsache, dass das Zeug im praktischen Um-zu für Heidegger primär als solches »verschwindet«, um sich in unsere Absichten einzugliedern, bedeutet keinesfalls, dass sich das Zeug als Organ im Sinne Kapps betrachten lässt. Ganz im Gegenteil: Heidegger lehnt sowohl die Idee einer Gleichsetzung des Organismus mit einer Maschine als auch einer übermechanischen Lebenskraft ab. Weder das eine noch das andere, wie im Folgenden dargelegt wird, ließe die ursprüngliche Eigenwesentlichkeit des Lebenden aufkommen. Was die zweite unserer leitenden Fragen anbelangt, also die Frage nach der Art, in der nun Tiere im Vergleich zu den Menschen zu den Gegenständen in ihrer Welt stehen, soll im Rahmen von Heideggers Vorlesung vom Wintersemester 1929/30, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, eine mögliche Antwort gegeben werden.

26

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4.

Der tierische Organismus und seine Welt: Das Tier, das Möglichsein

Im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung zwischen Mensch, Tier und materiellem Ding bezüglich ihres Zugangs zur Welt stellt Heidegger in seiner Freiburger Vorlesung folgende dreifache These auf: Der Stein ist weltlos, das Tier ist weltarm, der Mensch ist weltbildend. Um begreifen zu können, was Heidegger unter dem Titel der Weltarmut versteht, konzentrieren wir uns vorab auf ein wichtiges Element seiner Charakterisierung des Lebendigen gegenüber dem Dasein, nämlich auf seine Bestimmung als Möglichsein. Gegen die Paradigmen des Mechanismus und des Vitalismus fragt sich Heidegger, inwiefern das Organ kein Werkzeug ist und inwiefern dieses auch nicht ein übermaschinelles Gefüge sein sollte. Als Antipode zu Kapps Position hält Heidegger daran fest, dass die These, den Organismus als einen Komplex von Werkzeugen zu verstehen, fragwürdig sei. Zum einen, weil die Entstehung des Zeugs geschichtlich bedingt ist: Das Zeug ist – im Gegensatz zu einem Organ – nur, was es ist und wie es ist, so Heidegger, als Erzeugnis von Menschen. 27 Zum anderen stellt Heidegger fest, dass, obwohl Zeug und Organ sich durch eine bestimmte Art der »Dienlichkeit zu …« auszeichnen, zwischen beiden ein Unterschied in Hinsicht auf ihre ontologische Struktur besteht: Während das Zeug »für sich vorhanden« bzw. für den Gebrauch mehrerer verschiedener Menschen vorhanden ist, ist das Organ in den Organismus »eingebaut«. 28 Weiterhin stellt Heidegger heraus, dass die Fähigkeiten des Zeugs schon bei seiner Herstellung bestimmt werden. Das Zeugsein charakterisiert sich gerade dadurch, dass es als Hergestelltes brauchbar ist und so bleibt. 29 Nur in dem spezifischen Sinn, dass es eine Möglichkeit des »Dienens zu …« bietet, lässt sich behaupten, dass das Zeug »fähig zu« etwas ist. Das Organ scheint aber zunächst auch dienlich zu sein. Heidegger stellt jedoch fest, dass derartige Gleichsetzung uns zu wenig über die Ermöglichung dieser spezifischen Weise Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 313. 28 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 321. 29 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 330. 27

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des Könnens sagt. 30 Die faktische Möglichkeit des Sehen-, Hören-, Riechen- und Tastenkönnens gründen in einem wesentlichen Fähigkeitscharakter des Organismus. Dies heißt wiederum, dass das Organ an sich keine Fähigkeit hat, insofern die Möglichkeit seines Könnens auf die Zugehörigkeit zum Organismus angewiesen ist. 31 Das Tier, so Heidegger, ist nicht Organismus und dazu noch versehen mit Organen, sondern es ist organisiert. So wird Heideggers Aussage klar, dass nicht das Organ eine Fähigkeit habe, sondern lediglich der Organismus befähigt sei. 32 Gerade das Befähigtsein bestimme die Grundart seines Seins, die das Tier als solches kennzeichnet. Dies erklärt Heidegger wie folgt: »Das Fähigsein ist nicht etwa die Möglichkeit des Organismus gegenüber dem Wirklichen, sondern ist ein konstitutives Moment der Art, wie das Tier als solches ist – seines Seins.« 33 Diese Zuschreibung entspricht grundsätzlich der wichtigen Annahme, dass das Tier in der Lage ist, einen bestimmten ontologischen Bezug zur Möglichkeit zu haben. Diese Erkenntnis führt uns wiederum zur Definition des Daseins. Bereits in Sein und Zeit wird das Dasein durch das Möglichsein bestimmt. Das Dasein, so Heidegger, sei nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch die Eigenschaft besitzt, etwas zu können, sondern primär Möglichsein: »[Es] ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist.« 34 Auf den ersten Blick könnte man behaupten, dass gerade jener existenziale, dem menschlichen Dasein zugeschriebene Möglichkeitscharakter nun zur Wesensbestimmung des Tieres gehört. Dasein und Tier sind grundsätzlich in der Weise des Möglichseins. Wodurch zeichnet sich jedoch der Möglichkeitscharakter des Daseins gegenüber dem Tier aus? Und welche Rolle spielt dieser Unterschied für die Aufklärung dessen, was Heidegger als »Weltarmut des Tieres« bezeichnet? Um diese Fragen angehen zu können, widmen wir uns erneut der Weltlichkeitsanalyse. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 319. 31 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 323–332. 32 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 342 (Hervorhebung i. O.). 33 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 343. 34 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 190. 30

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5.

Zwei Modi des Sein-Könnens

Heidegger differenziert zwischen zwei Arten des Fähigseins bei Tieren und Menschen. Das Fähigsein als Sein-Können des Tiers sei, so Heidegger, Fähigsein zum Benehmen. Der Mensch hingegen »verhält sich zu …« und sein Verhalten wird als »Tun und Handeln« charakterisiert. 35 Heidegger erklärt diesen terminologischen Unterschied, indem er das Sich-Benehmen des Tiers auf eine strukturelle »Benommenheit« zurückführt. Die Benommenheit wird weiterhin definiert als »die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das Tier seinem Wesen nach in einer Umgebung sich benimmt, aber nie in einer Welt«. 36 Das Tier, so Heidegger, sei dergestalt benommen von seiner nächsten Umgebung, dass es sich nur innerhalb des geschlossenen Umkreises seiner Triebe, auch »Enthemmungsring« genannt, bewege, und eben nur innerhalb dessen ihm etwas »offen« stehe. 37 Die positive Bestimmung des Möglichseins, unter der die Wesensstruktur des Tiers im vorherigen Abschnitt parallel zum Dasein definiert wurde, ist folglich innerhalb der Grundstruktur des Benommenseins zu verstehen. Wie lässt sich nun die durch diese Struktur »begrenzte« Art des Könnens verstehen? In welchem Sinne wäre das Tier in der Wahl dieser oder jener Möglichkeit »beschränkt«? Meint Heidegger damit, dass das Tier aufgrund seiner Benommenheit zwar Möglichkeiten hat und sie ergreift, doch sie nicht als solche versteht? Insofern Heidegger behauptet, dass das Tier sich zwar auf das Nächstgegebene innerhalb seiner faktischen Möglichkeiten beziehe, ihm jedoch das Seiende als solches nicht offen stehe, 38 gewinnt diese Interpretation besondere Bedeutung. Eine solche Erklärung würde uns dazu führen, einen Parallele mit Kapp zu ziehen, wenn wir uns Kapps Passage über die Unfähigkeit des Tieres, den »tieferen« Sinn der Dinge seiner Welt als solche wahrzunehmen, in Erinnerung rufen. 39

Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 346–347. 36 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 347–348. 37 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 371. 38 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 493. 39 Vgl. dazu Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 24. 35

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Ist jedoch der Vergleich beider Denker in dieser Hinsicht überhaupt zulässig? Kann man Heidegger unterstellen, mit seiner These eine Rechtfertigung der Herrschaftsausübung über die Tiere vollzogen zu haben? Können wir uns Derridas Behauptung anschließen, dass Heideggers Diskurs über das Tier den »tiefsten metaphysischen Humanismus« aufzeige? 40 Gerade diese Interpretation herrscht in der aktuellen tierphilosophischen Diskussion vor. 41 Diese gängige Lektüre orientiert sich meist an einer Interpretation der Armut als ein Wertprädikat und des Benommenseins als ein fehlerhafter Zustand beziehungsweise als eine Bezogenheit zur Umgebung, die stets unvollkommen ist. Um von dieser Interpretation Abstand zu nehmen, fragen wir uns erneut, welche Rolle diese Grundstruktur der Benommenheit bei der Art, in der dem Tier im Gegensatz zum Dasein etwas möglich ist, spielt. Wenn wir zurück auf Sein und Zeit blicken, fällt uns zunächst auf, dass der Begriff von Benommenheit dem Dasein nicht fremd zu sein scheint: Diese galt bisher als eine seiner Existenzmöglichkeiten. »Benommen zu sein« war gerade das Kennzeichen des an die Welt »verlorenen Daseins«. 42 Das Dasein, so Heidegger, existiere primär in derjenigen Weise, in der es sich aufgrund seiner Vertrautheit mit der Welt verlieren und von dem Innerweltlichen benommen werden kann. 43 Laut der Philosophin Iris Därmann ist die Tatsache, dass Heidegger die Verwendung des Begriffes der Benommenheit sowohl zur Kennzeichnung des Wesens der Tierheit als auch zur Kennzeichnung des durchschnittlichen Seinsverständnisses nutzt, ein Zeichen dafür, dass das Tier in einer »ununterbrochen[en] und übermächtigen« uneigentlichen Art zu sein gefangen ist, und sich folglich nur in den Bahnen der Unvollkommenheit bewegt. 44 Diese Interpretation erweist sich jedoch aus zweierlei Gründen als problematisch: Erstens, weil Heidegger unter dem Benommenheitsbegriff keinen aus der

Jacques Derrida, Vom Geist. Heidegger und die Frage, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, 20. 41 Markus Wild, »Tierphilosophie bei Heidegger, Agamben, Derrida«, Journal Phänomenologie, 40, 2013. 42 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 448. 43 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 101. 44 Iris Därmann, »Von Tieren und Menschen. Martin Heidegger, Jacques Derrida und die zoologische Frage«, Zeitschrift für Kulturphilosophie, 5 (2), 2011, 319. 40

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menschlichen Selbsterfahrung hergeleiteten Zustand wissen will, sondern »die innere Möglichkeit« des Tierseins selbst. 45 Zweitens, weil die Termini »Eigentlichkeit« und »Uneigentlichkeit« mit Modifikationen des Vollzugs der Existenz verbunden sind, also mit Seinsmöglichkeiten, von denen das Tier im Grunde ausgeschlossen ist. Wie ist dann Heideggers Doppelverwendung des Begriffs zu rechtfertigen? Wie kann Heidegger Mensch und Tier einerseits radikal verschiedene Seinsweisen zuschreiben und andererseits doch bei beiden von Benommenheit sprechen? Eine mögliche Antwort liegt in der Annahme, dass das Dasein zunächst und zumeist von seiner Welt benommen ist, im Gegensatz zum Tier jedoch in der Lage ist, diese Benommenheit zu unterbrechen. Diese Aussage tritt gerade im Rahmen von Heideggers Analyse in Sein und Zeit § 16 bezüglich der Störung der Verweisung in den Vordergrund: In der »Unverwendbarkeit für …« des Zeugs beziehungsweise in seiner Dysfunktionalität wird dem alltäglichen Dasein das nächstzuhandene Seiende als solches offensichtlich und die Verweisung ausdrücklich. 46 Durch den Bruch des Verweisungszusammenhangs wird für das Dasein die Welt, die ihm unabhängig davon bereits offen steht, als solche thematisch. Die Frage wäre daher nicht, ob das Dasein in irgendeiner Weise auch benommen in der Welt existiert, beziehungsweise ob es wie das Tier im praktischen Umgang mit der nächstgegebenen Umwelt steht, sondern ob es über die Möglichkeit verfügt, über diese Benommenheit hinauszugehen, sie zu unterbrechen. Gerade diese Möglichkeit sei laut Heidegger dem Tier nicht gegeben: Das Tier, gefangen in seiner Umgebung, ist im Gegensatz zum Dasein unfähig, der Verweisung zu entkommen. Was hieße aber konkret, dass Tiere der Verweisung zu den Dingen ihrer Welt, mit denen sie in unmittelbarer Beziehung stehen, nicht entkommen können? Ist daraus zu schließen, dass dem Tier im Gegensatz zum Dasein das Seiende, auf das es sich faktisch bezieht, verschlossen ist? Bei dieser Fragestellung treten viele Schwierigkeiten auf. Allein die Rede von Verschlossenheit und Offenbarkeit ist grundsätzlich irreführend, denn dem Tier kann nichts verschlossen sein, weil es eben nicht in einer Offenbarkeit Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 349. 46 Vgl. dazu. Andreas Luckner, Heidegger und das Denken der Technik, Bielefeld, transcript, 2008, 51. 45

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vom Seienden steht. 47 Das bedeute aber keineswegs, so Heidegger, dass wir etwas sagen dürften wie: »Das Seiende ist zwar für das Tier da, aber es kann, weil es nicht denkt, keine Vernunft hat, das Seiende nicht erfassen«. 48 Die Bezugsmöglichkeiten des Tiers auf das Seiende sind nicht einfach blind, sondern triebhaft. Und das wiederum heißt nicht, dass das Tier als ein »Bündel von Trieben« zu verstehen sei. 49 Das Tier sei, so Heidegger, jenes Fähigsein zum Benehmen, jene Bewegtheit innerhalb einer ganz bestimmten Umringung möglicher Enthemmungen, folglich für eine Enthemmungsmannigfaltigkeit offen – und darin liege gerade sein Reichtum. 50 Dass Tiere »der Verweisung nicht entkommen können«, heißt daher nichts anderes, als dass sie aufgrund der Benommenheit, die ihre Seinsweise begründet, nicht aus dem funktionalen Zusammenhang heraustreten können. »Benommenheit« kann sich folglich als die Festlegung auf ein bestimmtes Spektrum von Möglichkeiten verstehen, innerhalb dessen das Tier »eingespannt«, »offen« und »fähig zu« ist. 51 Das Dasein hat im Gegensatz dazu die Möglichkeit des Entfunktionalisierens beziehungsweise über den Verweisungszusammenhang Hinausgehens. Es ist ihm daher möglich, sich selbst und die Welt infrage zu stellen. 52 Gerade in diesem Spannungsfeld sollte überhaupt die Unterscheidung zwischen der Weltarmut und der Weltbildung gelesen werden: Insofern der Mensch durch die Möglichkeit des Infrage-Stellens charakterisiert ist, unterscheidet sich sein Tun vom tierischen Instinkt. Das Weltbilden hat folglich nicht zu tun mit der Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt zu gestalten, indem er – so wie bei Kapp – Werkzeuge herstellt, sondern vielmehr mit dem Fragenkönnen, als was beziehungsweise wie er sich selbst in dieser Gestaltung begreift. 53 Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 361. 48 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 368. 49 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 374. 50 Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 371. 51 Vgl. dazu Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 326. 52 Heidegger, Zur Sache des Denkens, GA 14, 81. 53 Ähnlich in Bezug auf Cassirers Anthropologie der Technik vgl. Christian Bermes, »Technik als Provokation zur Freiheit. Cassirers Konzeption einer Anthropologie der Technik«, in: Birgit Recki (Hg.), Philosophie der Kultur – Kultur des Philosophierens, Hamburg, Felix Meiner, 2012, 589. 47

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Und dies besagt nichts anderes als das, was Heidegger unter Philosophieren versteht: Eine Zwiesprache des Menschen mit sich selbst, ein ausdrückliches Fragen nach dem Sein als solchem. 54 Diese Erkenntnis dürfte uns eigentlich nicht überraschen, wenn wir einen Blick auf die Definition des Daseins in Sein und Zeit werfen und den Transzendenzbegriff beachten. Mit »Transzendenz des Daseins« meint Heidegger die Voraussetzung für die Thematisierung des Seienden. 55 Auch wenn sich das faktische Dasein, genau wie das Tier, unthematisch auf die Dinge seiner Welt bezieht, beispielsweise beim Gebrauch von Werkzeugen, kann es aufgrund seiner Erschlossenheit über das nächstgegebene Innerweltliche hinausgehen. Allein daraus wird verständlich, warum das Dasein einerseits genau wie das Tier als »Körper, Leib und Leben« definiert, jedoch andererseits als »transzendierendes Seiendes« vom Tier differenziert ist: 56 Nur so, sagt Heidegger, sei für es die Entriegelung der Natur aus der Welt möglich. 57 Wir stehen bei Heidegger also vor einer Kluft zwischen Tier und Mensch, welche sich nicht ontisch-anthropologisch, sondern lediglich ontologisch, bzw. den Charakter des Seins betreffend, interpretieren lässt. In diesem Zusammenhang werden biologische Kontinuitäten nicht verschwiegen: Sie stehen nur im Hintergrund. Obwohl das Tier mit uns in gewisser Weise »am nächsten verwandt ist«, behauptet Heidegger im Humanismusbrief, ist es andererseits doch zugleich von unserer Eksistenz durch einen Abgrund getrennt. 58 Die Frage wäre nun, ob sich aus Heideggers Bestimmung der Mensch-Tier-Differenz eine anthropozentrische Sonderstellung des Menschen gegenüber dem Tier schlussfolgern lässt. Das heißt, ob sich, wie in Kapps Fall, eine Legitimierung der menschlichen Herrschaft über das Lebendige herleiten lässt oder ob stattdessen die Einordnung Heideggers in jene metaphysische Tradition, die die VerVgl. dazu Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 213 und Heidegger, Überlegungen II–VI, GA 94, 1. 55 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 481. 56 Heidegger, Einleitung in die Philosophie, GA 27, 328. 57 Vgl. dazu Heidegger, »Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung. 10 Vorträge (Gehalten in Kassel vom 16. IV.–21. IV. 1925)« in V. Frithjof Rodi (Hg.): Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaft, Band 8, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, 163–164. 58 Heidegger, Brief über den Humanismus, GA 9, 326. 54

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fügungsgewalt des Menschen über die Tiere rechtfertigt, in Frage gestellt werden sollte, um Heideggers Anspruch gerecht werden zu können. Heidegger demontiert sowohl die klassische mechanistische Auffassung des Lebens als auch Kapps Organprojektionsthese. Er distanziert sich ebenfalls von den Leitbegriffen der neuzeitlichen Biologie, um die Frage nach der Wesensbestimmung des Lebendigen erneut zu stellen und der verdächtigen »Klarheit des Selbstverständlichen« zu entkommen. Gegen die Herrschaft der mechanisch-physikalischen Naturbetrachtung des 19. Jahrhunderts stellt er deutlich die Forderung, das Wesen des Lebens in seinem genuinen Reichtum zu entfalten. 59 »Was ist uns Tier«, fragt sich Heidegger, »wenn wir den Nutzen und die Verschönerung und Unterhaltung abziehen? […] Ist das Lebendige das Mühelose, am schwersten dann zu sehen, wenn alles auf das Mühsame und dessen Überwindung abgestellt ist und in der Machenschaft sich bewegt?« 60 Gerade eine solche Passage führt uns zu der Frage, ob Heideggers Anliegen, das Lebendige jenseits seiner klassischen Charakterisierung zu fassen, sich überhaupt – wie häufig unterstellt wird – als anthropozentrisch kategorisieren lässt, oder ob sich hinter den Bemühungen mancher tierphilosophischen Ansätze, die Grenze zwischen Mensch und Tier aufzulösen, der Anspruch einer unmöglichen Erfahrung verbirgt, die dazu tendiert, das Tier verständlich und dementsprechend berechenbar zu machen. 61 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung sollte in künftigen Diskussionen geführt werden.

Vgl. dazu Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, GA 29/30, 37. 60 Heidegger, Beiträge zur Philosophie: Vom Ereignis, GA 65, 276. 61 Vgl. dazu beispielsweise die Kritik von Jacques Derrida und Elisabeth Roudinesco an der Gewährung von Rechten an Tieren, analog zu den Menschenrechten. Dieser als »ruinöser Widerspruch« bezeichnete Vorgang sei deutlich in manchen utilitaristischen und kognitivistischen Positionen der aktuellen Tierphilosophie zu sehen. Siehe: Woraus wird Morgen gemacht sein? Ein Dialog, Klett-Cotta, Stuttgart 2006, 109– 133. 59

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Die Autoren

Jason W. Alvis is currently an FWF Research Fellow and Lecturer at the University of Vienna in the Department of Philosophy. He was recently Visiting Research Scholar at Stanford University, and completed his PhD (2013) at the University of Denver. He is author of »The Inconspicuous God: Heidegger, French Phenomenology, and the Theological Turn« (Indiana University Press, forthcoming 2018) and »Debating the Generosity of Things: Marion and Derrida on the Gift and Desire« (Springer 2016). Andreas Beinsteiner studierte Philosophie und Informatik in Innsbruck und Bergen. 2017 promovierte er mit einer medienphilosophischen Rekonstruktion Heideggers. Im Laufe seines Doktoratsstudiums absolvierte er Forschungsaufenthalte in Freiburg im Breisgau am philosophischen Seminar (2012–13) sowie im Sonderforschungsbereich 1015 »Muße« (2015). Gegenwärtig ist er Lehrbeauftragter an der Universität Wien sowie an der Pädagogischen Hochschule Tirol. Diego D’Angelo hat Philosophie an der »Statale« Universität in Mailand studiert. 2015 hat er sein Promotionsstudium an der Universität Freiburg im Breisgau abgeschlossen: Die Dissertation über Semiotik und Wahrnehmung in der Phänomenologie Husserls wird demnächst veröffentlicht. 2014–2016 war er Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg, 2015–2016 Stipendiat und Lehrbeauftragter an der Universität Würzburg; ab Herbst 2016 ist er Postdoctoral Fellow an den Husserl Archives der Katholieke Universiteit Leuven. Giovanna Caruso studierte Philosophie an der Universität Tor Vergata in Rom und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2013– 2015 war sie Stipendiatin der Graduiertenschule »Herausforderung Leben. Gestaltung-Kreativität-Bildung« an der Universität KoblenzLandau, Campus Landau mit einer Arbeit zur Bedeutung der ästheti357 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Die Autoren

schen Erfahrung in Anschluss an Martin Heidegger, Walter Benjamin und Theodor Adorno. Derzeit ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Umut Eldem has received his Masters degree from the Philosophy Department of Boğaziçi University in İstanbul, and is currently enrolled in the PhD program at the same institution. His Masters thesis was on Descartes and the problem of free will. His dissertation is on Kant’s Account of Conscience and Reflexive Judgment. He is also working as an assistant in a research project entitled »Transcendental Critique and Pragmatic Realism« with Prof. Kenneth Westphal. Gregory Floyd studied philosophy at Boston College where he received his PhD in 2016. His research focuses on the historical and philosophical relationships between phenomenology and religion in the thought of Husserl, Heidegger, and Kierkegaard. He spent a year as a sponsored researcher in St. Andrews, Scotland, and now works as a Postdoctoral Fellow at Seton Hall University, USA. Francesca Greco studierte Philosophie und Geschichte an der Università degli Studi di Catania. Von 2014 bis 2017 promovierte sie in Philosophie an der Universität Heidelberg, wo sie im Rahmen des Lehrangebots beschäftigt war. Derzeit schließt sie ihre Promotion an der Universität Hildesheim ab, wo sie als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet. Ihre Promotionsarbeit zielt darauf, Negativität und Räumlichkeit im Rahmen von Phänomenologie und Interkulturalität mit Schwerpunkt auf Heideggers und Nishidas Denken zu entfalten. Sie ist Mitglied des European Network of Japanese Philosophy (ENOJP), des Clusters Kulturelles Erbe (HSE) und von Hercritia. Lucilla Guidi studierte Philosophie und Erkenntnistheorie an der Universität La Sapienza in Rom und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie hat ihre Dissertation im Rahmen einer binationalen Promotion zwischen Deutschland und Italien geschrieben. Die Doktorarbeit über die performative Dimension von Heideggers Phänomenologie wurde 2014 an der Technischen Universität Dresden verteidigt. Nach einem Jahr als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dresden ist sie zurzeit Habilitations-

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Die Autoren

stipendiatin und Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Praktische Philosophie/Ethik der Technischen Universität Dresden. Choong-Su Han studierte Maschinenbau und Philosophie in Seoul. 2015 promovierte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit der Arbeit zum Verhältnis von Erfahrung und Atmung bei Heidegger. Nach der Promotion arbeitete er als Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz-Landau sowie an der Universität Freiburg. Seit seiner Heimkehr nach Korea lehrt er an der Seoul National University sowie an der Seoul National University of Science and Technology. Seit September 2017 ist er als Professor im philosophischen Seminar an der Ewha Womans University in Seoul tätig. Lucian Ionel promoviert zurzeit an den Universitäten Freiburg und Strasbourg mit einer Arbeit über den Begriff der Negativität bei Hegel und Heidegger. Seine Schwerpunkte sind der Deutsche Idealismus, die Phänomenologie und die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Unter anderem hat er Heidegger ins Rumänische übersetzt. Er ist Stipendiat des DAAD, der Alfred-Toepfer-Stiftung und der Deutsch-Französischen-Hochschule. Anna Jani studierte ungarische Literatur und Ästhetik an der Pázmány Péter Katholische Universität in Piliscsaba. Nach längerem Forschungsaufenthalt in Köln wurde sie im Jahr 2013 an der Eötvös Lorand Universität Budapest mit einer Arbeit über Edith Steins Denkweg von der Phänomenologie zur Seinsphilosophie promoviert. Sie arbeitete zwischen 2012 und 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe für Hermeneutik der Eötvös Universität und der Akademie für Wissenschaften (MTA-ELTE Forschungsgruppe für Hermeneutik). Ab Winter 2017 ist sie Postdoktorandin am Institut für Philosophie der Pázmány Péter Katholische Universität mit dem Projekt »Die ontologischen Wurzeln der Phänomenologie« (PD 123883). Karl Kraatz studierte Philosophie, Chinastudien und Ostasienwissenschaften in Berlin und Marburg. Derzeit promoviert er über die Methodologie Martin Heideggers an der Technischen Universität Dresden bei Prof. Dr. Thomas Rentsch.

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Die Autoren

Morganna Lambeth is a doctoral candidate in the department of philosophy at Northwestern University. Before her time at Northwestern, she received a B.A. in philosophy from the University of Chicago, and an M.A. in philosophy from the University of California at Riverside. She is currently completing her dissertation on Heidegger’s interpretation of Kant. Her work has been published in Inquiry and Kant Yearbook. Giulia Lanzirotti is a PhD student in theoretical philosophy at the Univeristy of Turin-Genova (Consortum FI.NO), Italy. She has previously studied philosophy at the Univeristy of Florence, focusing on phenomenology, especially Husserl, Heidegger, and Merleau-Ponty. Her current research concerns Heidegger’s categories and normativity, and the relation between the continental tradition and the analytical and neo-pragmatist one. Manuela Massa studierte Philosophie und Geschichte der Philosophie in Rom und Halle (Saale). Seit 2012 promoviert sie an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale) mit einer Arbeit über Sprache, Ethik und Leben bei Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein. Sie arbeitete zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Halle und dann als DOC-Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Sachsen-Anhalt. Derzeit ist sie im Rahmen ihrer Dissertation und ihres DAAD-Stipendiums im Husserl-Archive in Leuven als Gastforscherin tätig. Edward McDougall took an undergraduate degree in philosophy at the University of Cambridge and an M.A. in European philosophy at the University of Warwick. In 2013, he received his PhD from the University of Durham for a thesis that examined Heidegger’s dialogue with the ›East Asian World‹. He has continued research in this sphere, having published work on Heidegger and Shinto entitled »Everydayness, Divinity, and the Sacred in Heidegger and Shinto« (Philosophy East and West, 66 (3), 2016, 883–902). He is currently an academic tutor in the Philosophy Department at Durham University. Ian Alexander Moore earned his PhD in Philosophy from DePaul University in 2016 with a dissertation on being and method in Meister Eckhart and Heidegger. He is currently a faculty member at St. 360 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Die Autoren

John’s College in Santa Fe, New Mexico. He is Associate Editor of the journal Philosophy Today and Co-editor of Jean Wahl’s Transcendence and the Concrete: Selected Writings (New York, 2016). His research has been supported by the Fulbright Commission and the American Friends of Marbach. Johannes Achill Niederhauser studied Philosophy, Politics, and Economics at the Free University of Bolzano and the University of Washington, Seattle. After completing his Masters in Philosophy at King’s College London in 2014, where he focused on Kant and Nietzsche, he is now a PhD student at the University of Warwick. His thesis on Heidegger on death is supervised by Miguel de Beistegui and funded by a generous scholarship from the Warwick Faculty of the Arts (CADRE). In 2015, he was a doctoral research fellow with the ›Muße project‹ at the University of Freiburg (funded by DFG). Paul-Gabriel Sandu studierte Philosophie an den Universitäten Bukarest, Tübingen und Freiburg. Seit 2013 promoviert er im Rahmen eines DAAD Stipendiums an der Universität Freiburg mit einer Arbeit über das Thema der Alterität und Intersubjektivität in der Phänomenologie Husserls und Heideggers. Im Laufe seines Doktorstudiums absolvierte er Forschungsaufenthalte in Fribourg (WS 2015–16) – dank eines Forschungsstipendiums der Universite de Fribourg – und Hamburg (WS 2016). Zurzeit ist er Forschungsbeauftragter des philosophischen Instituts »Alexandru Dragomir« in Bukarest. Er hat Stein, Habermas, Schelling und Heidegger ins Rumänische übersetzt. Maria Agustina Sforza studierte Philosophie an der Universität von Buenos Aires und an der Leibniz Universität Hannover. Sie war zunächst Doktorandin am Institut für Philosophie der Universität Stuttgart. Derzeit ist sie Stipendiatin der Graduiertenschule »Herausforderung Leben – Dynamiken der Pluralisierung und Normalisierung« an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, und beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Tierfrage im Denken Martin Heideggers. Joseph Emmanuel D. Sta. Maria is a graduate student taking up Master of Arts in Philosophy at the Ateneo De Manila University, Philippines. He received his Bachelor of Arts degree in Philosophy 361 https://doi.org/10.5771/9783495813829 .

Die Autoren

from the same university in 2011; in 2012, he received his second Bachelor of Arts degree in Development Studies, as well as a minor degree in Development Management. He is currently working on his M.A. thesis which deals with Chinese philosophy in the Warring States period. Hongjian Wang studierte Philosophie in Hangzhou und Shanghai in China. Zurzeit promoviert er im Husserl-Archiv an der Universität Freiburg mit einer Arbeit zur praktischen Philosophie bei Heidegger mit dem Titel »Das Vortheoretische. Untersuchungen der Umbestimmung der Philosophie Heideggers im Lichte der Ontologisierung von Leben und Praxis«.

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