Periculum emptoris.: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung zur Gefahrtragung beim Kauf.. Dissertationsschrift. Dissertationsschrift 3428094964, 9783428094967

Das Problem der Gefahrtragung beim Kauf wurde in der europäischen Rechtsgeschichte immer wieder heftig diskutiert. Der G

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
§ 2 Das klassische römische Recht
I. Periculum est emptoris
II. Emptio perfecta
1. Der bedingte Kauf
2. Der Kauf aus konkretem Vorrat
3. Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram
4. Der Wahlkauf
5. Der Weinkauf, insbesondere der Degustationsvorbehalt
6. Die publicatio der Kaufsache vor der Übergabe
III. Die Haftung des Verkäufers für custodia
IV. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug
V. Commoda und incommoda
VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel
§ 3 Das justinianische Recht
I. Kontinuität zum klassischen Recht
II. Veränderungen im Bereich der Verkäuferhaftung
1. Das Verschuldensprinzip
2. Das Utilitätsprinzip
3. Das Gesamtbild der Verkäuferhaftung im Corpus Iuris
§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht
I. Die scholastische Präsentation der Gefahrtragungsregeln
II. Die Entwicklung des Gattungskaufs
III. Die Konsolidierung des Utilitätsprinzips
§ 5 Das römisch-holländische Recht
I. Die Bedeutung und Beschaffenheit des römisch-holländischen Rechts
II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf
1. Das Erbe des mos italicus: Periculum est emptoris
2. Der Einfluß des Humanismus: Begründungszwang
3. Der Einfluß des Naturrechts: überpositive Legitimationsbestrebungen
4. Der Praxisbezug: Integration von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht
a) Der Verkauf von Immobilien
b) Der Hauskauf im Winter
5. Zwischenbetrachtung
III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts
1. Perfektion als Voraussetzung für den Gefahrübergang
2. Der bedingte Kauf
3. Die emptio ad quantitatem und ihre Untergruppen
a) Die Lehr-und Handbuchliteratur
b) Die forensische Praxis
c) Die wissenschaftlichen Abhandlungen
aa) Der reine Gattungskauf
bb) Der Kauf aus konkretem Vorrat
cc) Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram
4. Die emptio ad gustum
IV. Die Haftung des Verkäufers
1. Die Haftung für dolus und culpa
2. Die Nachwirkungen der custodia-Haftung
a) Custodia als diligentia exactissima
b) Custodia als besondere Haftungsvereinbarung
c) Die Abgrenzung zwischen Haftung und Gefahr mit Hilfe objektiver Typologie
V. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug
VI. Commoda und incommoda
VII. Kurze Bilanz
§ 6 Das südafrikanische Recht
I. Die Elemente des südafrikanischen Rechts
II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf
1. Periculum est emptoris
2. Dogmatische Rechtfertigung und Kritik
3. Die Geltung der periculum-Regel beim Kauf von Immobilien
4. Die Abdingbarkeit der periculum-Regel
III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts
1. Perfektion als Voraussetzung für den Gefahrübergang
2. Der bedingte Kauf
3. Der Kauf auf Probe
4. Die Auflösung der gemeinrechtlichen emptio ad quantitatem in ihre Untergruppen
5. Der Gattungskauf
a) Die Leistungsgefahr
b) Die Preisgefahr
6. Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram
7. Der Versendungskauf
IV. Die Haftung des Verkäufers
V. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug
VI. Commoda und incommoda
§ 7 Zusammenfassung
I. Das klassische römische Recht
II. Das justinianische Recht
III. Das mittelalterliche Recht
IV. Das römisch-holländische Recht
V. Das südafrikanische Recht
VI. Schluß
Literaturverzeichnis
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Periculum emptoris.: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung zur Gefahrtragung beim Kauf.. Dissertationsschrift. Dissertationsschrift
 3428094964, 9783428094967

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Martin Bauer · Periculum emptoris

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster, Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Regensburg

Band 23

Periculum emptoris Eine dogmengeschichtliche Untersuchung zur Gefahrtragung beim Kauf

Von

Martin Bauer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bauer, Martin: Periculum emptoris : eine dogmengeschichtliche Untersuchung zur Gefahrtragung beim Kauf / von Martin Bauer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte ; Bd. 23) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09496-4

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-09496-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Historische Rechtsvergleichung an der Universität Regensburg. An erster Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Reinhard Zimmermann, für die intensive Betreuung der Arbeit, insbesondere für die zahlreichen Anregungen, die interessierten Gespräche und das angenehme Arbeitsklima am Lehrstuhl, bedanken. Desweiteren gilt mein Dank dem Cusanuswerk für die ideelle und finanzielle Förderung in Form eines Promotionsstipendiums. Schließlich möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Hans-Jürgen Becker für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und bei Herrn Johann Andreas Dieckmann für die sorgfältige Korrektur des Manuskripts bedanken. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Ende August 1997 berücksichtigt werden.

München, im Mai 1998

Martin Bauer

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung § 2 Das klassische römische Recht I. Periculum est emptoris II. Emptio perfecta

^ 26 26 27

1. Der bedingte Kauf

31

2. Der Kauf aus konkretem Vorrat

38

3. Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram

41

4. Der Wahlkauf

46

5. Der Weinkauf, insbesondere der Degustationsvorbehalt

48

6. Die publicatio der Kaufsache vor der Übergabe

55

III. Die Haftung des Verkäufers fur custodia

59

IV. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug

64

V. Commoda und incommoda VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel

§ 3 Das justinianische Recht I. Kontinuität zum klassischen Recht II. Veränderungen im Bereich der Verkäuferhaftung

68 72

80 80 81

1. Das Verschuldensprinzip

81

2. Das Utilitätsprinzip

86

3. Das Gesamtbild der Verkäuferhaftung im Corpus Iuris

90

8

nsverzeichnis

§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht

93

I. Die scholastische Präsentation der Gefahrtragungsregeln

93

II. Die Entwicklung des Gattungskaufs

98

III. Die Konsolidierung des Utilitätsprinzips

107

§ 5 Das römisch-holländische Recht

113

I. Die Bedeutung und Beschaffenheit des römisch-holländischen Rechts

113

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

117

1. Das Erbe des mos italicus: Periculum est emptoris 2. Der Einfluß des Humanismus: Begründungszwang

117 u.

121

3. Der Einfluß des Naturrechts: überpositive Legitimationsbestrebungen..

133

4. Der Praxisbezug: Integration von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht

136

a) Der Verkauf von Immobilien

136

b) Der Hauskauf im Winter

141

5. Zwischenbetrachtung III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts

142 143

1. Perfektion als Voraussetzung für den Gefahrübergang

143

2. Der bedingte Kauf

144

3. Die emptio ad quantitatem und ihre Untergruppen

146

a) Die Lehr-und Handbuchliteratur

147

b) Die forensische Praxis

151

c) Die wissenschaftlichen Abhandlungen

157

aa) Der reine Gattungskauf

157

bb) Der Kauf aus konkretem Vorrat

158

cc) Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram

159

4. Die emptio ad gustum IV. Die Haftung des Verkäufers

162 167

1. Die Haftung für dolus und culpa

167

2. Die Nachwirkungen der custodia-Haftung

169

a) Custodia als diligentia exactissima

169

nsverzeichnis

b) Custodia als besondere Haftungsvereinbarung

173

c) Die Abgrenzung zwischen Haftung und Gefahr mit Hilfe objektiver Typologie

174

V. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug VI. Commoda und incommoda VII. Kurze Bilanz

176 177 180

§ 6 Das südafrikanische Recht I. Die Elemente des südafrikanischen Rechts II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

182 182 185

1. Periculum est emptoris

186

2. Dogmatische Rechtfertigung und Kritik

191

3. Die Geltung der periculum-Regel beim Kauf von Immobilien

198

4. Die Abdingbarkeit der periculum-Regel

199

III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts

202

1. Perfektion als Voraussetzung für den Gefahrübergang

203

2. Der bedingte Kauf

203

3. Der Kauf auf Probe

206

4. Die Auflösung der gemeinrechtlichen emptio ad quantitatem in ihre Untergruppen

208

5. Der Gattungskauf

213

a) Die Leistungsgefahr

215

b) Die Preisgefahr

221

6. Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram

229

7. Der Versendungskauf

236

IV. Die Haftung des Verkäufers V. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug VI. Commoda und incommoda

243 246 247

10

nsverzeichnis

§ 7 Zusammenfassung I. Das klassische römische Recht

253 253

II. Das justinianische Recht

255

III. Das mittelalterliche Recht

257

IV. Das römisch-holländische Recht

258

V. Das südafrikanische Recht VI. Schluß Literaturverzeichnis

261 265 268

Abkürzungsverzeichnis A

Appellate Division

a.Α.

andere Ansicht

A.C.J.

Acting Chief Justice

a.E.

am Ende

A.J.

Acting Judge

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

Abs.

Absatz

Abt.

Abteilung

AC

Law Reports, Appeal Cases

AcP

Archiv fur die civilistische Praxis

AD

Reports of the Appellate Division of the Supreme Court of South Africa

Ad & E

Adolphus and Ellis' Reports, Queen's Bench

Afr.

Africanus

AJP

Aktuelle Juristische Praxis

Aleyn

Aleyn's Reports, King's Bench

Alf.

Alfenus

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

Annual Survey

Annual Survey of South African Law

App Cas

Law Reports, Appeal Cases

arg.

argumentum

Art.

Artikel

Artt.

Artikel (Plural)

B.

Baron

Β & Ad

Barnewall and Adolphus' Reports, King's Bench

12

Abkürzungsverzeichnis

Β&C

Barnewall and Cresswell's Reports, King's Bench

Β& S

Best and Smith's Reports, Queen's Bench

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BIDR

Bullettino dell'Istituto di Diritto Romano

Bing (NC)

Bingham's New Cases, Common Pleas

Buch

Buchanan's Reports, Cape Supreme Court

bzw.

beziehungsweise

C

Cape Provincial Division

C.

Codex Iustinianus

c.c.

code civil

C.J.

Chief Justice

Camp

Campbell's Reports, (Nisi Prius) King's Bench, Common Pleas, Home Circuit

Cass. req.

Cour de Cassation, Chambre des Requêtes

CB

Common Bench Reports, Common Pleas, By John Scott

CISG

United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods

CMBC

Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis

Co.

Company

Coll.

Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum

Cowp

Cowper's Reports, King's Bench

CPD

Reports of the Cape Provincial Division

D

Durban and Coast Local Division

D.

Digesta

d.h.

das heißt

Dali.

Dalloz

Dig.

Digesta

Diss.

Dissertation

Dunl

Dunlop, Bell & Murray's Reports, Second Series Session Cases

E

Eastern Cape (Local) Division

E& Β

Ellis and Blackburn's Reports, Queen's Bench

Abkürzungsverzeichnis

East

East's Reports, King's Bench

EDC

Reports of the Eastern Districts Court of the Cape of Good Hope

EDL

Reports of the Eastern Districts Local Division

EKG

Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen

ER

English Reports

etc.

et cetera

f.

folgende Seite

ff.

folgende Seiten

FIRA II

Fontes iuris Romani anteiustiniani, Pars Altera, Auetores

Fn.

Fußnote

fr.

fragmentum

Fr. Vat.

Fragmenta Vaticana

Gai.

Gaius

Gai. Inst.

Gaius, Institutiones



Giurisprudenza Italiana

gl.

glossa

griech. ZGB

griechisches Zivilgesetzbuch

Grot.

Grotius

GrünhZ

Zeitschrift ftir das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (Hrsg.: Grünhut, Wien)

h.M.

herrschende Meinung

h.L.

herrschende Lehre

H&C

Huristone and Coltman's Reports, Exchequer and Exchequer Chamber

HCG

Reports of the High Court of Griqualand

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

Hrsg.

Herausgeber

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

insb.

insbesondere

14

Abkürzungsverzeichnis

Inst.

Institutiones Iustiniani

IRMAE

lus Romanum Medii Aevi

it. c.c.

italienischer codice civile

Iul.

Iulianus

Iura

Rivista internazionale di diritto romano e antico

J.

Judge

J.A.

Judge of Appeal

J.P.

Judge President

JhJb

Jherings Jahrbücher fur die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (bzw.: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts)

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KB

Law Reports, King's Bench Division

1.

lex

Lab.

Labeo

Lit.

Literatur

LQR

The Law Quarterly Review

LR CP

Law Reports, Common Pleas Cases

LR QB

Law Reports, Queen's Bench

Ltd.

Limited

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Maec.

Maecianus

Matth.

Matthäus

Menz

Menzies' Reports, Cape Supreme Court

Mod.

Modestinus

Moore PC

Moore's Privy Council Cases

Ν

Natal Provincial Division

η.

nota

NBW

Nieuwe Burgerlijk Wetboek

NC

Northern Cape Division

Ner.

Neratius

Abkürzungsverzeichnis

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NLR

Natal Law Reports

NPD

Reports of the Natal Provincial Division

NRH

Nouvelle revue historique de droit français et étranger

Ο

Orange Free State Provincial Division

OIR

Orbis Iuris Romani

OR

schweizerisches Obligationenrecht

OR

Official Reports, High Court of the South African Republic

P.S.

Pauli Sententiae

Pap.

Papinianus

Paul.

Paulus

Pomp.

Pomponius

pr.

principium

PrALR

preußisches Allgemeines Landrecht

Pty.

Proprietary

QB

Law Reports, Queen's Bench Division

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel

RH

Revue historique de droit français et étranger

RIDA

Revue internationale des droits de l'antiquité

Rn.

Randnummer

Roscoe

Roscoe's Reports, Cape Supreme Court

S.

Seite

SA

South African Law Reports

SALJ

South African Law Journal

SC

Reports of the Supreme Court of the Cape of Good Hope

SDHI

Studia et documenta historiae et iuris

Searle

Searle's Reports, Cape Supreme Court

sec.

section

SECL

South-Eastern Cape Locai Division

span. c.c.

spanischer código civil

16

Abkürzungsverzeichnis

span, c.com.

spanischer código de comercio

Τ

Transvaal Provincial Division

ΤΗ

Reports of the Witwatersrand High Court

THRHR

Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg

TPD

Reports of the Transvaal Provincial Division

TR

Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis

TS

Reports of the Transvaal Supreme Court

u.a.

und andere

UCC

Uniform Commercial Code

Ulp.

Ulpian

v.

versus

vgl.

vergleiche

W

Witwatersrand Local Division

WEX

Wahlfach Examinatorium

WLD

Reports of the Witwatersrand Local Division

z.B.

zum Beispiel

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZfRV

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZSS

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (romanistische Abteilung)

§ 1 Einleitung Mit dem Begriff der Gefahr wird im Kaufrecht das Risiko des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Kaufsache bezeichnet. Gegenstand des Konzepts der Gefahrtragung ist die Rechtsfrage, ob der durch einen solchen Schadensfall entstandene wirtschaftliche Verlust vom Verkäufer oder vom Käufer zu tragen ist. Der für die Gefahrtragung maßgebliche Zeitraum beginnt mit dem Abschluß des Kaufvertrages und endet mit dessen Erfüllung. Die Frage der Gefahr stellt sich somit nie beim Barkauf, sondern immer nur beim gestreckten Kauf. Die Gefahrtragung bedarf aber nicht nur einer zeitlichen Fixierung, sondern muß auch inhaltlich, und zwar von dem Bereich der Haftung, abgegrenzt werden. Die Gefahrtragungsregeln nehmen eine Risikozuweisung für zufällige Ereignisse vor. Ein Schaden wird jedoch nur dann als zufällig eingestuft, wenn er von keiner der Vertragsparteien zu vertreten ist. Die Haftungsregeln beschränken folglich den Bereich der Gefahrtragung. Wo die Grenzlinie zwischen Haftung und Gefahr verläuft, hängt davon ab, wie streng oder milde der im Kaufrecht geltende Haftungsmaßstab ausgestaltet ist. Da der Kauf ein Austauschvertrag mit wechselseitigen Leistungspflichten ist, kann sich das wirtschaftliche Risiko des zufalligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Kaufsache sowohl im Rahmen der Leistungspflicht des Verkäufers (Leistungs-, Sachgefahr) als auch in Hinblick auf die Pflicht des Käufers zur Gegenleistung (Gegenleistungs-, Preisgefahr) realisieren. Unter dem Begriff der Leistungs- oder Sachgefahr versteht man das Beschaffungsrisiko des Verkäufers. Dieses Risiko existiert als rechtliches Wertungsproblem nur beim Gattungskauf. Es geht dabei um die Frage, ob der Verkäufer im Falle der Vernichtung oder Beschädigung der von ihm zur Erfüllung des Kaufvertrags vorgesehenen Waren weiterhin zur Leistung vertragsgemäßer Stücke aus der Gattung verpflichtet bleibt. Beim Stückkauf dagegen ist die Kaufsache individuell bestimmt. Eine rechtliche Beurteilung der Leistungsgefahr erübrigt sich, da die Nachbeschaffung einer einzigartigen Sache per definitionem ausgeschlossen ist. Wenn ein irreparabler Schaden die Kaufsache befallt, dann ist eine vertragsgemäße Leistung faktisch nicht mehr möglich. Die rechtliche Entscheidung, ob der Verkäufer in diesem Fall eine Sekundärleistung - Schadensersatz wegen Nichterfüllung - erbringen muß, gehört nicht zum Gefahrtragungs-, sondern zum Haftungsbereich. Beim Stückkauf kann sich ein Gefahrtragungsproblem also nur auf Seiten der Gegenleistungs- oder Preisgefahr stellen. Die Gegenleistungsgefahr betrifft die Frage, ob der Verkäu2 Bauer

18

§ 1 Einleitung

fer im Falle des Untergangs oder der Verschlechterung der Kaufsache den Anspruch auf den Kaufipreis ganz oder teilweise verliert, oder ob der Käufer zur Zahlung des vollen Kaufpreises verpflichtet bleibt, obwohl er die von ihm gewünschte Leistung nicht oder nicht vollständig erhält. Mit anderen Worten: das Risiko des Wegfalls oder Fortbestands der Gegenleistung. Die Diskussion über die Zuweisung der Gefahr ist in den vergangenen 2000 Jahren nie zum Erliegen gekommen. Das hängt allgemein damit zusammen, daß die Entscheidung über das Schicksal von Leistung und Gegenleistung von zentraler Bedeutung für das Kaufrecht ist. Je nachdem wie sie ausfällt, werden die von der einen oder der anderen Vertragspartei in das Geschäft gesetzten Erwartungen erfüllt oder enttäuscht. Das rege Interesse an der Gefahrtragung beim Kauf hat aber auch eine besondere Ursache, die weit zurück in der Rechtsgeschichte liegt. Es handelt sich um die eigenartige und berüchtigte Gefahrtragungsregel des antiken römischen Rechts, die bis heute das europäische Vertragsrecht beeinflußt. Im römischen Recht1 galt der Satz periculum est emptoris. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Käufer schon ab Vertragsschluß die Gefahr (periculum) der Kaufsache zu tragen hatte. Das Eigentum erlangte er aber erst mit der Übergabe. Der römische Kaufvertrag (emptio venditio) hatte seine Wurzeln im Barkauf. Der Barkaufgedanke wirkte noch in den Strukturen des klassischen obligatorischen Kaufs fort. Eine Konsequenz davon war, daß der Vertragstyp der emptio venditio nur den Stückkauf beheimaten konnte. Gattungsschulden mußten durch andere rechtliche Formen, wie etwa die Stipulation, begründet werden. Deshalb spielte beim römischen Stückkauf die Leistungsgefahr keine Rolle. Der Begriff periculum bezog sich nur auf die Preisgefahr. Die Regel periculum est emptoris zielte darauf, eben dieses Risiko zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also ab Vertragsschluß, dem Käufer zuzuweisen. Somit gehörte der Übergang der Preisgefahr zu den regulären Wirkungen des Kaufvertrags. Gleichzeitig ergab sich daraus aber auch eine Reihe von Ausnahmefallen, in denen der Kaufvertrag seine vollen Rechtswirkungen erst dann entfalten konnte, wenn bestimmte, für den Gefahrübergang zwingend erforderliche Voraussetzungen erfüllt waren. Die Römer unterschieden in diesen Fällen zwischen dem Abschluß (emptio contracta) und der Perfektion des Kaufs (emptio perfecta). Zu einem Auseinanderfallen von Vertragsschluß und Perfektion oder - anders ausgedrückt - zu einer Verzögerung des Gefahrübergangs kam es, wenn der Vertrag unter einer aufschiebenden Bedingung stand; denn bis zum Bedingungseintritt war noch nicht sicher, ob die Sache wirklich verkauft war. Desweiteren war eine Belastung des Käufers mit der Gefahr erst dann möglich, wenn das verkaufte Stück eindeutig individualisiert war. Hatte der Käufer zehn Amphoren Wein aus dem Weinkeller des Verkäufers erstan1

Unten § 2 und § 3.

§ 1 Einleitung

19

den, so konnte man erst dann mit Sicherheit sagen, für welche zehn Amphoren er die Gefahr trug, wenn sie von den anderen abgesondert waren. Darüber hinaus war es ausgeschlossen, dem Käufer die Preisgefahr aufzubürden, solange die Höhe des Kaufpreises nicht ohne weiteres bestimmt werden konnte. War zum Beispiel ein ganzer Speicher voll Getreide zu einem Preis pro Scheffel verkauft, so stand zwar die Kaufsache fest, doch konnte man die Preisgefahr nicht beziffern, solange man nicht durch Zumessung ermittelt hatte, wie viel Scheffel Getreide der Speicher tatsächlich enthielt. Das gemeineuropäische Recht des Mittelalters 2 und der Neuzeit3 übernahm die im Corpus Iuris Civilis überlieferten römischen Gefahrtragungsregeln im wesentlichen unverändert. Allerdings interpretierte man schon seit der Zeit der Glossatoren die Quellen in einem Punkt neu. Man sah nunmehr den Kauf lediglich gattungsmäßig bestimmter Sachen als eine mögliche Variante der emptio venditio an. Dadurch entstand zum ersten Mal das Problem der Leistungsgefahr beim Kauf. Der Gattungskauf und damit die Leistungsgefahr wurden jedoch recht stiefmütterlich behandelt. Der Stückkaufcharakter der römischen Texte ließ sich nämlich nicht unterdrücken; vielmehr forderte er unterschwellig die Tendenz, die systemfremde Gattungsschuld im erstbesten Moment in die geordneten Bahnen der Stückschuld zurückzuführen. Sobald der Gattungskauf das Stadium erreicht hatte, in dem bestimmte Waren aus der Gattung individualisiert waren, wurde das Geschäft von da an als Stückkauf betrachtet und der vertrauten Regel periculum est emptoris unterworfen. Auf diese Weise blieben der Stückkauf und die Preisgefahr auch im ius commune im Vordergrund. Die Struktur des Kaufrechts wurde nach wie vor von der römischen Gefahrtragungsregel regiert, insbesondere was die regulären Rechtswirkungen des Vertragsschlusses, aber auch das ausnahmsweise Auseinanderfallen von Vertragsschluß und Perfektion betrifft. Der Bruch mit der gemeinrechtlichen Tradition wurde durch das Naturrecht 4 vorbereitet. Die Naturrechtler hielten die Gefahr für einen notwendigerweise mit dem Eigentum verbundenen Nachteil der Sache: res périt domino. Aus diesem Grund kritisierten sie das römische Kaufrecht, das den Gefahrübergang regelmäßig auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses legte, obwohl das Eigentum erst mit der Übergabe übertragen wurde. Der Gedanke der Untrennbarkeit von Eigentum und Gefahr fand schon bei den gemeinrechtlichen Autoren große Beachtung, wurde aber erst im Zeitalter der Partikularisierung des europäischen Rechts tatsächlich in geltendes Recht umgesetzt. Die frühen Naturrechtskodifikationen5 wandten sich bewußt von der gemeinrechtlichen Regel periculum est 2 3 4 5

2*

Unten § 4. Unten § 5 für die niederländische Ausprägung des ius commune. Unten § 5, II, 3. Siehe dazu Hager, Gefahrtragung, S. 39 ff.

20

§ 1 Einleitung

emptoris ab und verknüpften die Gefahr mit der Eigentumslage. Paradoxerweise führte dies aber nicht zu einer einheitlichen, sondern zu zwei diametral entgegengesetzten Lösungen der Gefahrtragungsproblematik. Dies lag daran, daß die neuen territorialen Rechtsordnungen unterschiedliche Konzepte der Eigentumsübertragung beim Kauf favorisierten und verwirklichten: das Konsensprinzip einerseits und das Traditionsprinzip andererseits. Der französische code civil 6 und die darauf aufbauenden Kodifikationen 7 folgten dem Konsensprinzip, wonach durch den bloßen Abschluß des Kaufvertrags das Eigentum an der Kaufsache und damit auch die Gefahr auf den Käufer überging 8. Ebenso ist obgleich mit anderem historischen Hintergrund 9- das englische Kaufrecht strukturiert 10. Im Gegensatz dazu hielten sich die deutschsprachigen Naturrechtsgesetzbücher, das preußische Allgemeine Landrecht 11 und das österreichische ABGB 1 2 , an das hergebrachte Traditionsprinzip und verlangten für die Eigentumsübertragung die Übergabe der Kaufsache; parallel dazu wurde der Gefahrübergang von der Verschaffung des Besitzes abhängig gemacht13. Die neuere Gesetzgebung14 knüpft den Gefahrübergang ebenfalls an die Übergabe der Kaufsache, allerdings nunmehr ohne Rücksicht auf die Eigentumslage. Das naturrechtliche Dogma res perit domino wurde überwunden. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Eigentum und Gefahr voneinander

6

Artt. 1138, 1583 c.c. Vgl. etwa Artt. 1465 i.V.m. 1376-1378 it. c.c. 8 Hierher gehört unter dem Gesichtspunkt der Gefahrtragung auch Art. 185 I OR. Das schweizerische Recht nahm eine merkwürdige Mittelstellung zwischen den beiden großen Lagern ein. Hinsichtlich der Übereignung richtete es sich nach dem Traditionsprinzip, hinsichtlich des Gefahrübergangs nach der aus dem Konsensprinzip folgenden Lösung. Dies entsprach im Ergebnis dem römischen Recht. Die Schweiz wollte damit aber keineswegs die einsame Nachfolge des ius commune antreten, vielmehr handelte es sich um einen unglücklichen kodifikatorischen Kompromiß, der die Kontroverse zwischen den Anhängern der französischen und den Befürwortern der deutschen Übereignungsregelung beenden sollte; siehe dazu Bucher, AJP 1997, 936; demnächst idem, ZEuP 1998, Heft 1 oder 2. 9 Scrutton, The Influence of Roman Law, S. 93 f.; Pollock and Maitland, The History of English Law, S. 209 ff.; Rheinstein, Schuldverhältnis, S. 18 f.; Hager, Gefahrtragung, S. 58 ff.; Marsh, Comparative Contract Law, S. 238 f. 10 Sec. 20 i.V.m. sec. 18, rule 1 Sale of Goods Act 1893/1979. 11 Erster Teil, 9. Titel, § 3; Erster Teil, 11. Titel, §§ 95, 100; Erster Teil, 5. Titel, § 364 PrALR 12 §§ 425, 1064, 1048, 1051 ABGB. 13 Das spanische Recht folgte in Hinblick auf Eigentums- und Gefahrübergang nicht dem Konsensprinzip, sondern dem Traditionsprinzip, Artt. 609, 1095 span, c.c.; Art. 333 span. c. com. 14 § 446 Abs. 1 BGB; Art. 522 griech. ZGB; §13 1 der nordischen Kaufgesetze; Art. 7: 10INBW (= Buch 7, Art. 10, Abs. 1 NBW), « 2-509, 2-510 UCC; Artt. 97 Abs. 1,19 Abs. 1 EKG; Art. 69 Abs. 1 CISG. 7

§ 1 Einleitung

unabhängig sind 15 . Der Übergang des Eigentums spielt nur im Verhältnis der Vertragsparteien zu Dritten, also auf der delikts- oder sachenrechtlichen Ebene, eine Rolle, während der Gefahrübergang eine ausschließlich schuldrechtliche Angelegenheit zwischen Käufer und Verkäufer ist. Die entscheidenden Kriterien für die Festlegung des Gefahrübergangs sind die synallagmatische Natur des Kaufs und der Gesichtspunkt der Gefahrenbeherrschung 16. Als Anknüpfungspunkt bietet sich folglich der Zeitpunkt der Verschaffung der Ware an. Dieser kurze Überblick über die Geschichte der Gefahrtragung beim Kauf vermittelt den Eindruck, als wären mit der Kodifikationszäsur alle Brücken zu dem Kaufrecht des ius commune abgebrochen worden. Rein äußerlich gab es in der Tat einen Bruch mit der gemeineuropäischen Rechtstradition. Die großen territorialen Gesetzgebungsvorhaben waren eng mit der Idee des Nationalstaats verbunden und führten zwangsläufig zu einer national-verengten Betrachtungsweise des Rechts. Vor allem aber trat die Kodifikationsidee mit dem Anspruch der Abgeschlossenheit auf. Man wollte die jeweilige Rechtsmaterie erschöpfend regeln und den Rückgriff auf andere, frühere Rechtsquellen ausschließen. Das europäische Privatrecht erlebte eine Revolution - eine Revolution jedoch, die sich hauptsächlich auf der politischen und rechtstheoretischen Bühne abspielte. Das materielle Recht, den gewaltigen, in Jahrhunderten gewachsenen Fundus von institutionalisierten Konfliktlösungen, haben die nationalen Rechtsordnungen freilich nicht neu erfunden; vielmehr bauten sie allesamt auf der Grundlage des ius commune auf. Aus der langfristigen dogmengeschichtlichen Perspektive stellen sich die verschiedenen Kodifikationen nur als besondere Ausprägungen und Entwicklungsstufen einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur dar 17 . Diesem Aspekt wurde unter den Vorzeichen der europäischen Integration und Rechtsangleichung in den letzten Jahren wieder die gebührende Aufmerksamkeit verschafft 18. 15

Von Caemmerer, in: Festschrift Rabel I, S. 387; Hager, Gefahrtragung, S. 67 f.; idem , in: Schlechtriem (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht, S. 388. 16 Hager, Gefahrtragung, S. 68 ff.; zur synallagmatischen Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung als einem Prinzip des europäischen Vertragsrechts siehe Flessner, ZEuP 5 (1997) 296 ff; zum Aspekt der Gefahrenbeherrschung siehe Koller, Risikozurechnung, 78 ff., 89 ff., 152 ff., 302 ff. 17 Coing, , EuPR I, S. 2. 18 Den allgemeinen rechtshistorischen Rahmen hat Wieacker schon 1952 in seiner „Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" abgesteckt. Die Bedeutung dieses Werks wird nicht zuletzt deutlich durch die kürzlich erfolgte Übersetzung in das Englische von Tony Weir: Wieacker, A History of Private Law in Europe, 1995. Die grundlegenden Werke zur Institutionengeschichte, Coing , Europäisches Privatrecht, Bandi, 1985, Band II, 1989, und Zimmermann, The Law of Obligations, 1. Auflage, 1990, sind jüngeren Datums. Zu dem Forschungskomplex des Europäischen Privatrechts siehe auch das Editorial der 1993 begründeten Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, ZEuP 1 (1993) 1 ff.; Coing , NJW 1990, 939; Ulmer, JZ 1992, 7 f.; Zimmermann, JZ 1992, 10 ff.; Schulze, ZEuP 1 (1993) 442 f.; Zimmermann, in: A. S. Hartkamp u.a.

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§ 1 Einleitung

Nun kann man sich aber fragen, ob denn die Gefahrtragung beim Kauf nicht gerade eine besonders prägnante Ausnahme zu der eben angesprochenen materiellen Kontinuität des europäischen Privatrechts bildet. In den gesetzgeberischen Entscheidungen der letzten 200 Jahre wurde die Regel periculum est emptoris einhellig verworfen. Sieht man aber genauer hin, so stellt man fest, daß damit häufig nur eine isolierte Rechtsfolge, nämlich die Käufergefahr, zum Teil sogar nur deren äußeres Erscheinungsbild beseitigt wurde. Die kaufrechtlichen Begriffe und Strukturen haben jedoch insgesamt eine dauerhafte Prägung durch das römische Gefahrtragungsrecht erhalten; insofern ist periculum emptoris auch im modernen Recht noch gegenwärtig. Dies kann man schon erahnen, wenn man die „Gefahr" nur beim Namen nennt. Die wissenschaftlich-dogmatischen Rechtsordnungen des 20. Jahrhunderts verwenden den spannungsgeladenen Begriff „Gefahr", „risk", „risque" etc. zur Bezeichnung eines so nüchternen Sachverhalts wie dem Wegfall oder Fortbestand der Pflicht zur Leistung oder Gegenleistung; eine Gleichsetzung, die der juristische Laie nicht leicht nachvollziehen kann. Diese Diskrepanz ergab sich durch die wörtliche Übersetzung des lateinischen Rechtsterminus „periculum", der natürlich nur in einem kasuistischen Recht wie dem römischen in Einklang mit dem allgemeinen Wortsinn stehen konnte. Dort gab es nämlich noch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den „gefährlichen" schadensauslösenden Ereignissen wie Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Feuersbrünsten, Plünderungen durch Feinde oder Räuberbanden und deren schuldrechtlichen Auswirkungen auf den Vertrag 19 . Vom Begriff ist es nicht weit zu den materiellen Nachwirkungen des alten Gefahrtragungsrechts. Unter „Gefahr" verstehen fast alle modernen Rechtsordnungen, ebenso wie das römische Recht, nur die Preisgefahr 20. Lediglich das deutsche Recht differenziert ausdrücklich zwischen Leistungs- und Preisgefahr, doch auch hier steht die Preisgefahr eindeutig im Vordergrund. Das liegt daran, daß die Gesetze des Kodifikationszeitalters nach wie vor den Stückkauf als den Inbegriff und Musterfall des Kaufs behandelten. Der Gattungskauf war zwar in der Rechtswirklichkeit längst zum weitaus wichtigsten Vertragstypus avanciert, doch wurde er - genau wie im gemeinen Recht - als ungebetener Gast zusammen mit der Leistungsgefahr am Katzentischchen piaziert und mit ein paar

(Hrsg.), Towards a European Civil Code, S. 65 ff.; Berman/Reid, ZEuP 3 (1995) 3 ff.; Landò, Beale (Hrsg.), European Contract Law, 1995; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, 1996; zuletzt Zimmermann, in: Carey Miller, Zimmermann (Hrsg.), The Civilian Tradition and Scots Law, S. 259. 19 Vgl. etwa Inst. 3, 23, 3 und Ulp. D. 50, 17, 23. 20 Hager, Gefahrtragung, S. 12.

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vereinzelten, in das Kaufrecht eingestreuten Normen abgespeist21. Darüber hinaus gibt es immer noch die schon seit dem Mittelalter bestehende Tendenz, den Gattungskauf noch vor der Erfüllung des Vertrags in einen Stückkauf umzuwandeln, indem man der Individualisierung der Ware entsprechende Wirkung beimißt 22 . Am deutlichsten sind die Parallelen in denjenigen Rechtsordnungen, die den Eigentums- und Gefahrübergang nach dem Konsensprinzip regeln. Sie verwirklichen im Ergebnis nichts anderes als periculum emptoris, mit dem einzigen Unterschied, daß die Gefahr nicht isoliert, sondern als Konsequenz des Eigentumsübergangs auf den Käufer übertragen wird 2 3 . Die kaufrechtliche Übereignungsdogmatik jedoch stimmt genau mit den Gefahrtragungsregeln des ius commune überein. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Wenn Eigentums- und Gefahrübergang zu den regulären Rechtswirkungen des Kaufabschlusses gehören, dann ergeben sich zwangsläufig dieselben Ausnahmetatbestände - oder anders gewendet: dieselben Perfektionsvoraussetzungen- wie im gemeinen Recht. Die bei gewissen Fallkonstellationen notwendige Unterscheidung zwischen Abschluß und Perfektion des Vertrags bleibt weiterhin charakteristisch für das Kaufrecht. Die wichtigsten Beispiele sind der aufschiebend bedingte Kauf, bei dem die Wirksamkeit des Geschäfts bis zum Bedingungseintritt noch ungewiß ist 24 . der reine oder beschränkte Gattungskauf, bei dem die Kaufsachen erst noch individualisiert werden müssen25, und nicht zuletzt der Kauf einer körperlich bestimmten Warenmenge zu einem Preis pro Maßeinheit, bei

21 Für das deutsche Recht vgl. etwa §§ 243, 279, 300 Abs. 2; für das englische Recht siehe sec. 16 und sec. 18, rule 5 Sale of Goods Act 1893/1979. Im französischen code civil fehlen gesetzliche Bestimmungen für den Eigentums- und Gefahrübergang beim reinen Gattungskauf völlig. Rechtsprechung und Literatur entwickelten entsprechende Regeln in Anlehnung an die aus dem gemeinen Recht (Pothier) übernommene vente à la mesure, Art. 1585 c.c. (Kauf aus konkretem Vorrat); siehe dazu Hager, Gefahrtragung, S. 44 ff.; Ferid/Sonnenberger, FrZivR II, Rn. 2 G 210 ff. 22 Art. 1585 c.c.; sec. 18, rule 5 Sale of Goods Act 1893/1979; im französischen und englischen Recht ist dies eine Folge des Konsensprinzips; dazu sogleich. Für das deutsche Recht siehe §§ 243 Abs. 2, 300 Abs. 2 bzw. die dazu vertretenen Literaturmeinungen; siehe dazu Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 57 ff. 23 Bucher, AJP 1997, 936, und demächst ZEuP 1998, Heft 1 oder 2, vertritt die These, daß es sich bei dem Konsensprinzip im französischen Recht um einen „legislatorischen Einfall der letzten Minute" handelte, der nur dazu diente, die Regel periculum est emptoris aufrechtzuerhalten und gleichzeitig mit der naturrechtlichen Maxime res perit domino zu vereinbaren. 24 Französisches Recht: Art. 1182 c.c.; englisches Recht: sec. 18, rule 1 Sale of Goods Act 1893/1979. 25 Französisches Recht: Art. 1585 c.c.; aufschlußreich ist ein Vergleich dieser Norm mit der Behandlung der emptio ad quantitatem bei Pothier, Contrat de Vente, § 309, S. 141 f., und mit Gai. D. 18, 1, 35, 5. Die englische Regel zum Gattungskauf findet sich in sec. 18, rule 5 Sale of Goods Act 1893/1979.

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§ 1 Einleitung

dem Maß, Zahl oder Gewicht der verkauften Sachen und damit der Ge26

samtpreis bis zur Zumessung noch nicht feststehen . Aber auch in denjenigen Rechtsordnungen, die dem Traditionsprinzip folgen, gibt es Spuren der mit dem periculum emptoris verbundenen gemeinrechtlichen Dogmatik. Wenn, wie etwa im deutschen BGB, der Eigentums- und der Gefahrübergang regelmäßig mit der Übergabe der verkauften Ware eintritt, dann dürften sich eigentlich die für die Translativsysteme typischen Schwierigkeiten mit dem Gattungskauf nicht ergeben. Es besteht weder in Hinblick auf den sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz noch bezüglich der Zuordnung der Preisgefahr eine Notwendigkeit für besondere Vorschriften über die Individalisierung nur gattungsmäßig bestimmter Sachen bzw. über die Umwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld. Im entscheidenden Moment der Übergabe sind die Waren naturgemäß körperlich bestimmt, so daß klar ist, welche Sachen übereignet werden oder für welche Sachen der Käufer nunmehr die Preisgefahr trägt. Gleichwohl gibt es im BGB Regeln für die Konkretisierung der Gattungsschuld. Die §§ 243 Abs. 2 und 300 Abs. 2 BGB haben die Leistungsgefahr zum Gegenstand. Hinter den beiden Normen, besser gesagt, hinter den gegenwärtig dazu vertretenen Literaturmeinungen, steht jedoch die gemeinrechtliche, seinerzeit noch auf die Preisgefahr gerichtete Kontroverse zwi27

sehen der Ausscheidungstheorie Thöls und der Lieferungstheorie Jherings . Für einen ausländischen Beobachter sind die deutschen Konkretisierungsvorschriften besonders verwirrend. Aus dessen Blickwinkel liegt es nahe, die Paragraphen 243 Abs. 2 BGB (Konkretisierung durch Individualisierung vertragsgemäßer Gattungsstücke sowie Vornahme der geschuldeten Leistungshandlung) und 300 Abs. 2 BGB (Konkretisierung durch Annahmeverzug) als ein Regelungsschema für die Preisgefahr beim Gattungskauf zu lesen28. Diese Beispiele sollen verdeutlichen, wie sehr die modernen Rechtsordnungen Europas - auch und gerade in dem Bereich der ungeliebten Regel periculum est emptoris - immer noch in den traditionellen Strukturen des ius commune verhaftet sind. Die Kenntnis dieser gemeinsamen Grundlage ist deshalb unentbehrlich für die wissenschaftliche Dogmatik, vor allem aber für die rechtsvergleichende Analyse und Gegenüberstellung der verschiedenen nationalen 26

Französisches Recht: Art. 1586 c.c.; bei der Auslegung dieser Vorschrift brach der alte gemeinrechtliche Streit (unten § 5, III, 3, c), cc)) wieder auf, ob ein solcher Kauf sofort oder erst mit der Zumessung volle Wirksamkeit erlange; vgl. Cass. req. 26.04.1870, Dali. 1871, 1, 11; Cass. req. 18.03.1902, Dali. 1902, 1, 190; siehe dazu Hager, Gefahrtragung, S. 45. - Im englischen Recht ist der Kauf mit Preisbestimmung durch Zumessung in sec. 18, rule 3 Sale of Goods Act 1893/1979 geregelt; zu dessen gemeinrechtlicher Herkunft siehe Blackburn , Sale, S. 150 ff. 27 Siehe dazu Huber, in: Festschrift Beierstedt, S. 327 ff.; Hager, Gefahrtragung, S. 225 ff.; Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 67 ff. 28 So etwa Marsh, Comparative Contract Law, S. 247.

§ 1 Einleitung

Rechtssysteme29. Ohne die historische Perspektive fehlte dem Gesamtbild der geltenden europäischen Rechte die Tiefenschärfe. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, durch eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der Gefahrtragung beim Kauf einen Beitrag zur Erforschung des europäischen Privatrechts in seiner historischen Dimension zu leisten. Die Darstellung beginnt mit dem klassischen römischen Recht und fuhrt über das justinianische Recht zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft. Die anschließende Behandlung des älteren gemeinen Rechts beschränkt sich auf dessen niederländische Spielart. Dies hat zwei Gründe: Zum einen war das römisch-holländische Recht beispielhaft und führend im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts 30. Zum anderen wurde es durch die Kodifikationszäsur nicht vollständig in das Reich der Rechtsgeschichte verbannt, sondern existiert bis heute als unkodifiziertes gemeines Recht in Südafrika 31 . Es bietet sich also an, in einem abschließenden Kapitel zum südafrikanischen Recht die Gestalt und Funktionsweise der gemeinrechtlichen Gefahrtragungsregeln in einer modernen Verkehrsgesellschaft zu untersuchen. Dies erscheint auch unter einem weiteren Aspekt besonders interessant: Das römisch-holländische Recht in Südafrika ist während der britischen Kolonialherrschaft mit dem englischen Recht eine organische Verbindung eingegangen32. In einer unkodifizierten Mischrechtsordnung wie der südafrikanischen muß also eine Zusammenarbeit von Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtsdogmatik nicht erst propagiert werden, sondern gehört zum juristischen Alltagsgeschäft.

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Coing, EuPR I, S. 2; Kötz, JZ 1992, 20 ff.; Zimmermann, (1996) 112 LQR 576 ff., insb. 598 ff. 30 Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 247; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 168 f., 222; Söllner, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 522; Zimmermann, JZ 1990, 825 ff.; idem, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 9 ff.; Stein, Römisches Recht, S. 160 ff. 31 Siehe dazu Käser, ZSS 81 (1964) 1 ff.; von Bar, RabelsZ 42 (1978) 87 ff.; Zimmermann, ZfRV 26 (1985) 111 ff.; idem, (1986) 103 S AL J 259 ff.; idem, in: Schulze (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, S. 61 ff.; idem, in: EvansJones (Hrsg.), The Civil Law Tradition, S. 41 ff.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 227 ff; Fagan, in: Zimmermann, Visser (Hrsg.), Southern Cross, S. 33 ff. 32 Zimmermann/Visser, in: Zimmermann, Visser (Hrsg.), Southern Cross, S. 1 ff.

§ 2 Das klassische römische Recht I. Periculum est emptoris Wie im klassischen römischen Recht das Problem der Gefahrtragung gelöst wurde, war lange Zeit heftig umstritten. In dieser Kontroverse standen sich im wesentlichen drei Theorien gegenüber. Nach der Seckel-Levy'sehen Lehre vom periculum emptoris 1 lag die Gefahr schon ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses beim Käufer. Die vor allem von Franz Haymann forcierte Gegenansicht2 trat für periculum venditoris bis zur Übergabe der Kaufsache ein. Der vermittelnde Ansatz Rabeis3 ließ die Vorstellung von einem allgemeinen Gefahrtragungsprinzip fallen und ging von einer kasuistischen Zuweisung der Preisgefahr aus. Durchgesetzt hat sich aber schließlich die Lehre von der allgemeinen Geltung des Satzes periculum est emptoris 4. Die verschiedenen Lehren zur Gefahrtragung können nicht abstrakt diskutiert werden. Ebensowenig ist es möglich, das klassische Recht der Gefahrtragung darzustellen, indem man von einem allgemeinen Prinzip ausgehend zur Lösung besonderer Fallkonstellationen schreitet. Dem klassischen Recht waren 1

Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 117 ff. Amò, Gl 49 (1897), parte IV, 209 ff.; Haymann, ZSS 41 (1920) 44 ff.; idem , ZSS 48 (1928) 314 ff.; Betti, in: Festschrift De Francisci, S. 131 ff.; idem, ZSS 82 (1965) 1 ff. 3 Rabel, ZSS 42 (1921) 543 ff. - Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere differenzierende Ansätze, die aber auf weniger Resonanz in der Literatur gestoßen sind: Meylan, RIDA 3 (1949) 193 ff.; idem, in: Festschrift Guhl, S. 9 ff., gelangt zu dem Ergebnis, daß der Käufer die Gefahr der Verschlechterung grundsätzlich ab Vertragsschluß zu tragen hat. Dagegen sei die Gefahr des Totalverlusts mit dem Eigentum verknüpft gewesen, so daß zwischen res mancipi und res nec mancipi unterschieden werden müsse. Somit sei für den Gefahrübergang im einen Fall der Zeitpunkt der mancipatio, im anderen Fall der Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung entscheidend. Für eine andere differenzierende Meinung siehe Sargenti, SDHI 20 (1954) 211 ff. 4 Appleton, RH 5 (1926) 375 ff.; Hoetink, Periculum est emptoris, passim; Krückmann, ZSS 60 (1940) 1 ff.; idem, Randfragen, S. 1 ff.; De Zulueta, Sale, S. 30 ff.; Schulz, CRL, S. 532 f.; Arangio-Ruiz, Compravendita, S. 250 ff; Benöhr, Synallagma, S. 86 ff.; Käser, RP I, S. 552 f.; Thomas, Textbook, S. 289; Ernst, Gefahrtragung, passim; idem, ZSS 99 (1982) 216 ff.; Molnär, in: Festschrift Guarino, S. 2227 ff.; Peters, in: Festgabe Käser, S. 221 ff.; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 309 ff; Thielmann, ZSS 106 (1989) 292 ff.; Hausmaninger/Selb, RPR, S. 304 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 281 ff.; Honseil, RR, S. 111 f.; Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung, S. 125 f.; Pennitz, TR 62 (1994) 251 ff. 2

II. Emptio perfecta

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theoretische Abhandlungen über juristische Konzepte fremd; die Konzepte kristallisierten sich erst aus einer Vielzahl von Einzelfallentscheidungen in Form von Erfahrungssätzen heraus5. Dementsprechend finden wir Aussagen der Klassiker zur Gefahrtragung nur bei der Beurteilung konkreter Fälle bzw. typischer Fallgruppen, zumeist in Verbindung mit Fragen zur Perfektion des Kaufvertrags, vereinzelt auch im Zusammenhang mit der traditio. Erkenntnisse über das Recht der Gefahrtragung kann man darüber hinaus aus den Quellen zu den mit der Gefahrtragung eng verflochtenen Gebieten der Haftung, des Verzugs und der Zuweisung der commoda und incommoda gewinnen. In dieser Reihenfolge werden im folgenden die für die Gefahrtragung relevanten Texte behandelt: Durch die Auswertung der Quellen zur emptio perfecta 6 und zur Übergabe7 wird zunächst der zeitliche Rahmen der Gefahrtragung abgesteckt. Es folgt die Bestimmung des Risikos in materieller Hinsicht durch die Ermittlung des Haftungsmaßstabs für die Verkäuferhaftung 8. Sodann werden die gefundenen Ergebnisse anhand der Verzugsregeln überprüft, denn Leistungs- und Annahmeverzug beeinflussen grundsätzlich Gefahrtragung und Haftung 9. Schließlich wird die Gefahr in den größeren Zusammenhang der mit der Kaufsache verbundenen commoda und incommoda gestellt10. Erst aus der Gesamtheit der Einzelregelungen kann dann ein allgemeines, die Gefahrtragung leitendes Grundprinzip gefolgert werden 11 .

I I . Emptio perfecta Die Frage, ab wann die Gefahr vom Verkäufer auf den Käufer übergeht, wird in Paul. D. 18, 6, 8 pr. behandelt: „Necessario sciendum est, quando perfecta sit emptio: tunc enim sciemus, cuius periculum sit: nam perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet. et si id quod venierit appareat quid quale quantum sit, sit et pretium, et pure venit, perfecta est emptio..." Erst wenn wir wissen, wann der Kauf perfekt ist, können wir sagen, wer die Gefahr trägt. Der Kauf ist perfekt, wenn das quid, das quale und das quantum bestimmt sind, der Kaufpreis feststeht und der Kauf ohne Bedingungen ge-

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Käser, in: La critica del testo, S. 330; idem , ZSS 96 (1979) 91 ff. Siehe unten § 2, II. 7 Siehe unten § 2, II, 6 und § 2, IV. 8 Siehe unten § 2, III. 9 Siehe unten § 2, IV. 10 Siehe unten § 2, V. 11 Siehe unten § 2, VI.

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§ 2 Das klassische römische Recht

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schlossen wurde. Sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat nach dem Paulusfragment der Käufer die Gefahr zu tragen. Dies ist die wichtigste und zugleich deutlichste Digestenstelle, in der die Regel periculum est emptoris niedergelegt ist. Allerdings wurde das Fragment einer umfangreichen Textkritik 12 unterzogen. In der Tat wurde der Urtext stark überarbeitet. So handelt es sich bei dem Anfang des Fragments bis „nam" wahrscheinlich um eine jener kurzen Einleitungen, die von den Kompilatoren vor ein aus seinem ursprünglichen Kontext gelöstes klassisches Textstück gestellt wurden, um so auf das jeweilige Rechtsproblem hinzuführen 13 . Nach der byzantinischen Einleitung setzt der eigentliche Paulustext ein: „perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet". Die Klassizität dieser berühmten Digestenstelle wurde von Haymann vehement bestritten: Erstens gebe es eine Reihe von Texten zur Perfektion des Kaufs (Paul. D. 21, 1, 43, 9; Paul. D. 41, 4, 2, 4; Paul. D. 50, 1, 21, 7), in denen derselbe Paulus den Terminus der emptio perfecta überhaupt nicht mit periculum emptoris in Verbindung bringe, ja er verliere kein einziges Wort über die Gefahrtragung 14. Zweitens erwähne er auch umgekehrt bei Texten zur Gefahrtragung, wie z.B. Paul. D. 18, 6, 13 u. 15, die emptio perfecta nicht mehr 15 . Drittens sei auffällig, daß das Problem der Gefahr in D. 18, 6, 8 pr. so „bombastisch" 16 angekündigt, dann aber der Begriff weder definiert noch durch praktische Beispiele erläutert werde; damit bleibe er ein gänzlich unklassisches, „blutleeres Theorem" 17 . Diese drei Argumente sind indes nicht stichhaltig: In den zunächst von Haymann ins Feld geführten Paulusfragmenten erscheint zwar der Begriff der emptio perfecta; allerdings geht es um Rechtsfragen, die mit der Gefahrtragung nichts zu tun haben18. Warum hätte Paulus die Frage von periculum emptoris also ansprechen sollen? Das zweite Argument, bei Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 werde der Begriff der emptio perfecta nicht einmal erwähnt, kann man nicht gelten lassen, da es sich hierbei nicht um einen Fall aus dem Problemkreis der Gefahrtragung, sondern dem der Verkäuferhaftung handelt 19 . Schließlich geht auch der Vorwurf ins Leere, der Begriff periculum werde in D. 18, 6, 8 pr. zwar eingeführt, aber nicht definiert, denn das Fragment behandelt in erster Linie die Perfektion von Kaufverträgen. Paulus verwendet 12

Haymann, ZSS 41 (1920) 78 ff.; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 154 ff. Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 156. 14 Haymann, ZSS 41 (1920) 80. 15 Haymann, ZSS 41 (1920) 80. 16 Haymann, ZSS 41 (1920) 82. 17 Haymann, ZSS 41 (1920) 82. 18 Erhebung einer actio redibitoria bei einem aufschiebend bedingten Kauf (D. 21, 1, 43, 9); Nutzungen und usucapio beim Kauf unter Vorbehalt eines besseren Gebots (D. 41, 4, 2, 4); Zulässigkeit von Nachgeboten (D. 50, 1, 21, 7). 19 Zu Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 siehe unten § 2, IV. 13

II. Emptio perfecta

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hier den Terminus periculum lediglich im Sinne einer nicht weiter klärungsbedürftigen Rechtsfolge 20 der Perfektion, um damit zu zeigen, warum die Bestimmung des Zeitpunkts der emptio perfecta rechtserheblich ist. Dementsprechend geht er im folgenden Satz unmittelbar dazu über, die Voraussetzungen für die Perfektion der emptio venditio darzulegen. Auch dieser Passus, beginnend mit „et si id quod venierit", ist in seinem Kern klassisch21. Der Satzteil „et si id quod venierit appareat quid quale quantum sit, ... perfecta est emptio" ist mit Sicherheit echt 22 , findet man doch die Trias des „quid quale quantum" auch bei Gaius23 und Ulpian 24 . Perfektionsvoraussetzung für einen Kaufvertrag ist also die Bestimmtheit des Kaufgegenstandes nach Identität, Qualität und Quantität. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Wort „appareat" 25 . Für die Perfektion des Kaufes reicht es nicht, daß die Kaufsache wie beim modernen Gattungskauf nur abstrakt bestimmt ist 26 , sie muß tatsächlich zum Vorschein kommen, sichtbar werden. Noch deutlicher als Paulus in D. 18, 6, 8 pr. äußert sich Papinian in Fr. Vat. 16 mit der Wendung „corpore ... demonstrato" 27: Die Kaufsache muß körperlich erkennbar, handfest sein. Darüber hinaus muß ein Kaufpreis („sit et pretium") vereinbart und der

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Die römischen Juristen gebrauchten den Begriff periculum nicht einheitlich. Zwar gab es in dem kasuistischen Recht der Römer keine begriffliche Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, doch konnte der Begriff in den entsprechenden Funktionen verwendet werden. So konnte er einerseits die Umstände bezeichnen, welche die Risikozuweisung auslösen. In dieser tatbestandsähnlichen Funktion bedarf er natürlich - wie Haymann, ZSS 41 (1920) 82, fordert - umfassender Auslegung und Erörterung, insbesondere in Hinblick auf die Abgrenzung von casus minor und vis maior. Andererseits war der Begriff periculum, wenn er so wie hier im Sinne einer Rechtsfolge verwendet wurde, ein für jeden Juristen verständliches Kürzel, mit dem das finanzielle Risiko des Verlusts oder der Verschlechterung der Kaufsache bezeichnet wurde. Allgemein zur uneinheitlichen Verwendung des Begriffs MacCormack, ZSS 96 (1979) 129 ff; Käser, ZSS 96 (1979) 111 ff.; insbesondere zur Verwendung als Tatbestand und Rechtsfolge siehe MacCormack, ZSS 96 (1979) 131 f. und 140 f. 21 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 157 f.; dies wird heftig bestritten von Haymann, ZSS 41 (1920) 80 ff.; idem , ZSS 48 (1928) 343 ff. 22 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 158. 23 D. 45, 1,74. 24 D. 45, 1,75 pr. 25 Für die Klassizität des „appareat" spricht die Verwendung dieses Begriffes in der gleichen syntaktischen Stellung durch Paulus selbst in D. 40, 4, 31 und durch Gaius in D. 45, 1,74. 26 Siehe dazu zuletzt Ernst, ZSS 114 (1997) 300 ff., und unten § 2, II, 2. 27 Der zweite Satz von Pap. Fr. Vat. 16 handelt vom Weinkauf aus beschränktem Vorrat und bürdet dem Verkäufer das periculum rei venditae auf, solange die Amphoren noch nicht konkretisiert („corpore non demonstrato") wurden; siehe aber dazu zuletzt Ernst, ZSS 114 (1997) 320 ff., und unten § 2, II, 2.

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§ 2 Das klassische römische Recht

Kauf unbedingt geschlossen („et pure venit") sein 28 . Diese Anforderungen an die Perfektion, insbesondere das Erfordernis der körperlichen Bestimmtheit der Kaufsache, sind - wie viele andere Charakteristika des römischen Kaufrechts Ausprägungen des Barkaufgedankens 29. Die Vorstellung von dem unmittelbaren Austausch von Ware gegen Geld spiegelt sich insofern in den von Paulus aufgelisteten allgemeinen Perfektionsvoraussetzungen wider, als der Kauf erst dann seine vollen Rechtswirkungen entfaltet, wenn er auch als Bargeschäft sofort vollzogen werden könnte. Paulus geht also von einem unbedingten Stückkauf mit res certa und certum pretium als dem Standardfall des Kaufs aus. Hierbei fallen Vertragsschluß (emptio contracta) und Perfektion (emptio perfecta) zusammen30. Der Käufer hat also im klassischen Recht grundsätzlich ab Kaufabschluß die Gefahr zu tragen. Schwieriger wird die Rechtslage, wenn die Perfektion erst nach dem Vertragsschluß eintritt. Der Aufschub der Perfektion kann verschiedene Gründe haben. Deshalb wird im folgenden das Problem der emptio perfecta und der Beginn der Gefahrtragung des Käufers für die einzelnen Fallgruppen gesondert dargestellt. Die Regel „perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet", die geforderte Bestimmtheit des „quid 3 1 quale 32 quantum 33 ", das „sit et pretium" 3 4 und das „et pure venit" 35 können aber als Leitfaden für sämtliche Fallgruppen dienen.

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Wenn auch in formaler Hinsicht Zweifel an der Echtheit der beiden Satzteile „sit et pretium" und „et pure venit" bestehen (.Haymann, ZSS 41 (1920) 81; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 158), so entsprechen sie jedenfalls sachlich dem klassischen Recht; siehe unten § 2, II, 1 für den bedingten Kauf und unten § 2, II, 3 für den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram. 29 Käser, RP I, S. 547; Zimmermann, Law of Obligations, S. 238. 30 Von eben diesem Standardfall geht auch Inst. 3, 23, 3 init. aus und legt im Stil einer Elementardarstellung den Zeitpunkt der emptio perfecta mit dem Zeitpunkt der emptio contracta aus pädagogischen Gründen zusammen. Da im folgenden nicht die emptio perfecta, sondern der Umfang des periculum problematisiert wird, reicht die Erwähnung der emptio contracta ohne weitere Differenzierung aus. Siehe dazu Sekkel/Levy, ZSS 47 (1927) 143, Fn. 5 u. 153 f. 31 Beim Kauf aus beschränktem Vorrat, siehe dazu unten § 2, II, 2, und beim Wahlkauf, siehe dazu unten § 2, II, 4. 32 Beim Weinkauf, siehe unten § 2, II, 5. 33 Beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram, siehe unten § 2, II, 3. 34 Ebenfalls beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram, siehe unten § 2, II, 3. 35 Beim bedingten Kauf, siehe unten § 2, II, 1.

II. Emptio perfecta

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1. Der bedingte Kauf Unter dem Begriff condicio verstanden die Römer zumeist die aufschiebende Bedingung 36 . Die auflösende Bedingung war zwar bekannt37, spielte aber 38

beim Kauf hauptsächlich im Rahmen von Rücktrittsvorbehalten eine Rolle und ist im Zusammenhang mit der emptio perfecta unproblematisch, da die Perfektion sofort mit Vertragsabschluß eintritt 39 . Relevant ist daher nur die aufschiebende Bedingung wegen ihrer suspendierenden Wirkung und der dadurch entstehenden Schwebezeit. Der Zeitpunkt der emptio perfecta und der damit verbundene Gefahrübergang lassen sich beim aufschiebend bedingten Kauf nicht ermitteln, ohne daß die kontrovers diskutierte Vorfrage der Rückwirkung des Bedingungseintritts mit in Betracht gezogen wird. Durch das jeweilige Vorverständnis von der Wirkung des Bedingungseintritts werden bereits im Vorfeld die Weichen für die Gefahrtragung gestellt. Ausgangspunkt der Darstellung ist wiederum D. 18, 6, 8 pr., wo Paulus nach der eben besprochenen allgemeinen Behandlung der emptio perfecta mit dem Sonderfall des bedingten Kaufs fortfährt: ,,[Q]uod si sub condicione res venierit, si quidem defecerit condicio, nulla est emptio, sicuti nec stipulatio: quod si exstiterit, Proculus et Octavenus emptoris esse periculum aiunt: idem Pomponius libro nono probat. ... et quod pretii solutum est repetetur et fructus medii temporis venditoris sunt... si pendente condicione res exstincta fuerit: sane si exstet res, licet deterior effecta, potest dici esse damnum emptoris." Vorangestellt wird der einfache Fall des Bedingungsausfalles, der keinerlei Komplikationen für die Gefahrtragung mit sich bringt, aus dem einfachen Grund, daß überhaupt kein Kaufvertrag vorliegt: „nulla est emptio" 40 . Sekkel/Levy 41 möchten den ersten Satz um den Passus „et pendente condicione exstincta fuerit" erweitern, um so den Bezug zur Gefahrtragung herauszuheben. 36 Käser, RP I, S. 253; De Zulueta, Sale, S. 32; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 718 ff. 37 Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 92; Käser, RP I, S. 253; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 731 ff. 38 Peters, Rücktrittsvorbehalte, S. 93 ff.; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 93 m.w.N. 39 Deshalb geht auch die Gefahr sofort auf den Käufer über; siehe Ulp. (Jul.) D. 18, 2, 2, 1 für Untergang und Pomp. D. 18, 3, 2 für Verschlechterung; dazu Zimmermann, The Law of Obligations, S. 733; Peters, Rücktrittsvorbehalte, S. 156. 40 Haymann, ZSS 41 (1920) 82, lehnt diesen ersten Satz als unklassisch ab, weil er eine für Paulus unmögliche Plattheit enthalte. Indes ist es nicht trivial, Fallgruppen zu bilden und die einfachste Variante an den Anfang einer differenzierten Fallunterscheidung zu stellen. Allerdings bedurfte es keiner weiteren Bestätigung dieses eindeutigen Ergebnisses durch das - obendrein verbumlose- „sicuti nec stipulatio"; höchstwahrscheinlich ein justinianisches Randglossem; siehe dazu Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 164. 41 ZSS 47(1927) 163.

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§ 2 Das klassische römische Recht

Es ist aber bei dieser ersten Fallvariante gar nicht nötig, die Gefahr des Sachuntergangs anzusprechen. Durch das „nulla est emptio" ist die Rechtslage erschöpfend beschrieben. Es wäre falsch, jeden Satz des Fragments nur unter dem Aspekt der Gefahrtragung zu sehen, ist doch das Grundthema des Fragments die emptio perfecta und erst sekundär der daran geknüpfte Gefahrübergang. Paulus will folglich mit dem ersten quod si-Satz nicht ein erklärungsbedürftiges periculum venditoris diskutieren, sondern lediglich klarstellen, daß bei Bedingungsausfall mangels eines wirksamen Kaufvertrages sich das allgemeine periculum rei des Eigentümers verwirklicht 42 . Paulus fährt fort mit der Rechtslage bei Bedingungseintritt. Zunächst zitiert er Proculus, Octavenus und Pomponius, die in diesem Fall ganz allgemein die Gefahr dem Käufer zuweisen („Proculus et Octavenus emptoris esse periculum aiunt: idem Pomponius libro nono probat."). Paulus selbst aber differenziert im weiteren zwischen Sachuntergang und bloßer Verschlechterung. Wenn pendente condicione die Kaufsache untergeht, so soll der Käufer den bereits gezahlten Kaufpreis zurückfordern können, die Früchte aber sollen dem Verkäufer zustehen („et quod pretii solutum est repetetur et fructus medii temporis venditoris sunt ... si pendente condicione res exstincta fuerit"); im Ergebnis also periculum venditoris. Kommt es dagegen nur zu einer Verschlechterung, geht dies zu Lasten des Käufers („sane si exstet res, licet deterior effecta, potest dici esse damnum emptoris"). Die gesamte Stelle ist offensichtlich von den Kompilatoren überarbeitet und gekürzt worden 43 . Besonders auffällig ist, daß Paulus zu Anfang gleich drei Juristen zitiert, nur um die äußerst knappe und undifferenzierte Aussage zu belegen, daß im Falle des Bedingungseintritts den Käufer die Gefahr treffe. Die Bedeutung dieser Feststellung kann sich unmöglich darin erschöpfen, daß jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Bedingungseintritts der Kauf perfekt sei und der Käufer von da an die Gefahr trage. Für eine solche Selbstverständlichkeit hätte Paulus nicht gleich drei Juristen bemühen müssen44. Wahrscheinlicher ist, daß Proculus, Octavenus und Pomponius den Kauf im Falle des Bedingungseintritts mit ex tunc-Wirkung als perfekt ansahen und

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Ernst, ZSS 99 (1982) 226 f.; Pennitz, TR 62 (1994) 268. Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 164 ff. 44 Eine juristische Erörterung wäre nur dann nötig, wenn die Bedingung selbst auslegungsbedürftig wäre und deshalb der Zeitpunkt des Bedingungseintritts geklärt werden müßte. Dieses Problem wird gleich im Anschluß an das principium in D. 18, 6, 8, 1 behandelt. Die Bedingung lautete: „... sive navis ex Asia venerit sive non v e n e r i t E s bestanden berechtigte Zweifel, ob es sich dabei überhaupt um eine Bedingung handelte, da doch sicher ist, daß entweder die eine oder die andere Alternative eintreten wird. Für eine Deutung des Fragments im Sinne von Kauf mit dies incertus siehe Rodger, TR 50 (1982) 337 ff, der sich eingangs bei allen Studenten des römischen Rechts entschuldigt, die schon überreiche Bekanntschaft mit dem notorischen Schiff aus Asien gemacht haben: „... it is with due hesitation that I propose to discuss one of the texts in which its travels are recorded". 43

II. Emptio perfecta

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konsequenterweise auch den Gefahrübergang auf den Zeitpunkt des Kaufabschlusses zurückbezogen 45. Der nachfolgende Lösungsansatz des Paulus wird dann als Gegenmeinung zu der Ansicht der zitierten Juristen verständlich 46. In der Tat bietet das Problem der Gefahrtragung pendente condicione ein ideales Terrain für einen Schulenstreit 47 hinsichtlich der komplexen Vorfrage der Rückwirkung des Bedingungseintritts. Die Vermutung, daß sich eine solche Kontroverse hinter dem Paulusfragment verbirgt, wird durch einen Bericht des Gaius 48 zur bedingten Stipulation erhärtet 49. Gaius referiert die Ansicht des republikanischen Juristen Servius Sulpicius, nach der eine bedingte Stipulation von ihrem Abschluß an (ex tunc) wirksam sei, wenn nur die Bedingung später eintrete. Nach der Meinung des Gaius dagegen entfaltet die Stipulation ihre Wirkungen erst (ex nunc) ab Bedingungseintritt, sie existiert als Rechtsakt noch gar nicht vor diesem Zeitpunkt 50 . Die Stelle beweist zum einen, daß der Gedanke der Rückwirkung des Bedingungseintritts schon im vorklassischen Recht bekannt war, und zum anderen, daß er auch noch in der Klassik eine Rolle spielte. Ansonsten hätte Gaius wohl nicht die beiden Meinungen gegenübergestellt. Es gibt darüber hinaus Anhaltspunkte, die auf einen Schulenstreit hindeuten, in dem die Prokulianer für und die Sabinianer gegen die Rückwirkung des Bedingungseintritts Stellung bezogen51. Durchgesetzt hat sich letztlich die Lehre des Sabinus52.

45 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 164 ff.; Ernst, ZSS 99 (1982) 228 f.; Peters, in: Festgabe Käser, S. 231.; Pennitz, TR 62 (1994) 268. 46 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 164 ff.; a.A. Pennitz, TR 62 (1994) 267 ff. 47 Gegen einen Schulenstreit und für einen kasuistischen Ansatz Krückmann, ZSS 59 (1939) 18 ff, insb. 24: Beim bedingten Kauf soll nach klassischem Recht diejenige Partei die Gefahr zu tragen haben, in deren Interesse die Bedingung eingefugt wurde (cui bono?). Aus dem „solutum repetetur" ergebe sich, daß die Bedingung im Interesse des Verkäufers liegen müsse, da der Käufer schon gezahlt habe, der Aufschub also nicht seiner Sphäre (z.B. Zahlungsfähigkeit) entspringe. 48 Gai. Inst. 3, 179. 49 Allgemein zur bedingten Stipulation siehe Flume , ZSS 92 (1975) 73 ff; zur Verknüpfung der Rechtslage bei der bedingten Stipulation mit der Situation beim bedingten Kauf siehe Ernst, ZSS 99 (1982) 228 f.; Flume, ZSS 92 (1975) 80. 50 Weder Servius noch Gaius artikulieren ihre Ansicht in der Form abstrakter Rechtssätze. Diese liegen jedoch unausgesprochen der unterschiedlichen Fallösung in Gai. Inst. 3, 179 zugrunde; siehe dazu De Zulueta, Institutes, S. 194; Ernst, ZSS 99 (1982) 228 f.; Flume , ZSS 92 (1975) 74.; Pennitz, TR 62 (1994) 268. 51 Ausführliche Quellenbelege insbesondere zum Vindikations- und Damnationslegat bei Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 166 ff.; bezeichnend ist auch, daß Sabinus und Cassius in Gai. D. 18, 1, 35, 5 den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram erst im Zeitpunkt der mensura als wirksam geschlossen ansehen, mit der Begründung, der Kauf sei gleichsam unter der aufschiebenden Bedingung der mensura geschlossen: „... quia venditio quasi sub hac conditione videtur fieri ...". 52 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 167 ff.; Ernst, ZSS 99 (1982) 229. 3 Bauer

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§ 2 Das klassische römische Recht

Zurück zu D. 18, 6, 8 pr.: Es liegt also nahe, daß Paulus im Anschluß an das Proculuszitat die herrschende Meinung zur Wirkung des Bedingungseintritts auf den Fall des Sachuntergangs anwendet53: Geht die Kaufsache condicione pendente unter, so hat der Verkäufer einen etwa schon gezahlten Kaufpreis zurückzuerstatten („et quod pretii solutum est repetetur ... si pendente condicione res exstincta fuerit"). Der Käufer trägt also nicht die Preisgefahr. Dieses Ergebnis beruht auf der Überlegung, daß durch den Bedingungseintritt der Kauf nicht ex tunc, sondern ex nunc wirksam wird. Nur nach der Auffassung des Proculus und seiner Anhänger könnte der Untergang der Kaufsache während der Schwebezeit zu Lasten des Käufers gehen. Durch die Rückwirkung würde ein späterer Bedingungseintritt den Kauf zum Zeitpunkt des Abschlusses zu voller Wirksamkeit erstarken lassen, so daß sich der Untergang der Sache als ein nach emptio perfecta eingetretenes Unglück darstellen würde. Folgt man aber, wie Paulus, der herrschenden Lehre der Sabinianer, so gelangt der Kauf erst im Moment des Bedingungseintritts mit Wirkung ex nunc zur Perfektion. Der Sachuntergang pendente condicione liegt dann zeitlich vor der emptio perfecta, also noch vor dem Gefahrübergang. Schließlich geht Paulus noch auf den Fall der bloßen Verschlechterung der Sache ein. Wenn die Sache bei Bedingungseintritt noch existiert, sich aber in der Zwischenzeit verschlechtert hat, so geht das zu Lasten des Käufers: ,,[S]ane si exstet res, licet deterior effecta, potest dici esse damnum emptoris". Worin aber liegt der Grund für die unterschiedliche Behandlung der Verschlechterungsgefahr im Vergleich zur Untergangsgefahr? Warum soll der Käufer die Gefahr einer Verschlechterung bereits während der Schwebezeit tragen und nicht erst ab Bedingungseintritt? Eine solche Risikozuweisung paßte doch auf den ersten Blick eher zu der Mindermeinung des Proculus. Wäre es nicht erstaunlich, wenn gerade Paulus und die herrschende Lehre, die eine Rückwirkung des Bedingungseintritts im Fall des Sachuntergangs ablehnen, bei der bloßen Verschlechterung eine rückwirkende Perfektion des Kaufes zum Zeitpunkt der emptio contracta annähmen54? Oder durchbricht Paulus mit dieser Entscheidung die eingangs von ihm proklamierte Maxime „perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet" und läßt bei bloßer Verschlechterung den Gefahrübergang schon mit emptio contracta eintreten, obwohl der Kauf noch nicht perfekt ist? 53 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 164 ff.; anders Pennitz, TR 62 (1994) 267 ff., der zu dem Ergebnis kommt, daß Paulus grundsätzlich der Bedingungslehre des Proculus folgte, für den Fall des Sachuntergangs pendente conditione aber zu einer eigenständigen Lösung gefunden hat. 54 Pennitz, TR 62 (1994) 267 ff, geht davon aus, daß Paulus und Papinian grundsätzlich der prokulianischen Bedingungslehre folgen; er kann deshalb sowohl bei Paul. D. 18, 6, 8 pr. als auch bei Pap. Fr. Vat. 16, erster Satz, die Belastung des Käufers mit der Verschlechterungsgefahr auf eine Rückwirkung der Perfektion auf den Zeitpunkt des Kaufabschlusses zurückfuhren.

II. Emptio perfecta

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Diese unterschiedliche Behandlung von Untergang und Verschlechterung war schon immer die Achillesferse der Lehre vom periculum est emptoris. Ihr größter Gegner, Haymann, hielt diese Unterscheidung für eine gänzlich unrömische Erfindung der Byzantiner 55 . Sie beruhe auf lebensfremden logischscholastischen Erwägungen, die im Ergebnis zu einer den römischen Juristen unwürdigen sachlichen Ungeheuerlichkeit führten 56 : So sei es mit dem hochentwickelten Sinn der Römer für praktische Gerechtigkeit unvereinbar, wenn der Käufer, z.B. eines Pferdes, nichts schulde, falls das Pferd pendente condicione eingehe, dagegen den vollen Kaufpreis zahlen müsse, wenn es etwa erblinde und damit gleichermaßen unbrauchbar werde 57 . Dieses Ergebnis widerspreche in eklatanter Weise der „Handhabung der formularen bona fides durch die Klassiker" 58 und gewähre dem Käufer „Steine statt Brot" 59 . Gleichwohl bestätigen die Quellen die ungleiche Behandlung von Untergang und Verschlechterung. Die Regel hinsichtlich des Sachuntergangs wird durch eine etwas entlegene Stelle im Familienrecht, Ulp. D. 23, 3, 10,4 u. 5, belegt: Ulpian behandelt hier den Fall, daß die zur Mitgift einer Frau gehörenden Sklaven noch vor der Eheschließung versterben. Dabei stellt er einen Vergleich mit der Situation beim bedingten Kauf an: ,,[N]am cum sit condicionalis venditio, pendente autem condicione mors contingens exstinguat venditionem ..." 60 . Denselben Tenor enthalten das Reskript C. 4,48, 5 der Kaiser Diocletianus und Maximianus und das korrespondierende Fr. Vat. 23: Der Verkäufer einer Sache wird instruiert, daß er den durch einen Brand verursachten Sachverlust nicht zu tragen hat, sofern der Kauf nicht bedingt war. Die Regel für die bloße Verschlechterung der Kaufsache findet man an zyvei Stellen. Paulus weist in dem eben besprochenen Text D. 18, 6, 8 pr. den Verschlechterungsschaden eindeutig dem Käufer zu: ,,[S]ane si exstet res, licet deterior effecta, potest dici esse damnum emptoris". Diese Passage mag zwar von den Kompilatoren sprachlich überarbeitet worden sein 61 , im Kern ist sie jedenfalls klassisch. Dies zeigt der Vergleich mit einer außerjustinianischen Quelle, Pap. Fr. Vat. 16, erster Satz:

55

Haymann, ZSS 41 (1920) 98; idem, ZSS 48 (1928) 370. Haymann, ZSS 48 (1928) 373; idem, ZSS 41 (1920) 98. 57 Haymann, ZSS 41 (1920) 98; idem, ZSS 48 (1928) 370. 58 Haymann, ZSS 48 (1928) 376. 59 Haymann, ZSS 48 (1928) 373. 60 Ulp. D. 23,3, 10, 5; Haymann, ZSS 41 (1920) 85 f., hält jedoch das gesamte Fragment für ein Werk der Byzantiner. 61 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 173. 56

3*

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§ 2 Das klassische römische Recht

„Vino mutato periculum emptorem spectat, quamvis ante diem pretii solvendi vel condicionem emptionis impletam id evenerit." Der Käufer trägt also auch in dem Papinianfragment die Gefahr der Verschlechterung der gekauften Ware schon bevor die Bedingung erfüllt ist 62 . Daneben sprechen aber auch sachliche Argumente fur die Klassizität dieser Unterscheidung. Die Kritik, es handle sich um eine unrömische Aufspaltung des periculum in Untergangs- und Verschlechterungsgefahr, geht an dem Kern der Rechtsfrage vorbei. Die Unterscheidung wird nämlich nicht auf der Ebene der Gefahrtragung vorgenommen, sondern ist schon in den allgemeinen Lehren zum Zustandekommen des Kaufvertrages und zum Bedingungsrecht angelegt. Flume 63 hat anhand der Novationsstipulation nachgewiesen, daß im klassischen Recht beim bedingten Rechtsgeschäft nicht lediglich die Rechtswirkungen suspendiert waren, sondern das Rechtsgeschäft selbst. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß der Sachuntergang zwingend perfektionshindernd wirken mußte. Wenn die Existenz des Kaufs als Rechtsakt erst mit dem Bedingungseintritt beginnt, dann muß der Untergang der Kaufsache pendente condicione als ein Fall anfanglicher Unmöglichkeit qualifiziert werden. In dem Moment, in dem der Kauf zustande kommt, gibt es keine Kaufsache. Der Kauf kann nach allgemeinen Prinzipien nicht mehr zur Perfektion gelangen64: „nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi" 65 . Bei der von Paulus angesprochenen Rückforderung des bereits gezahlten Kaufpreises („et quod pretii solutum est repetetur") handelt es sich demnach nicht um ein Recht aus dem Kaufvertrag, sondern um einen Anspruch wegen rechtsgrundloser Leistung 66 . Bezeichnenderweise verwendet Paulus den Begriff periculum nicht in diesem Zusammenhang. Dagegen konnte bei einer bloßen Verschlechterung der Kaufsache ein Kaufvertrag wirksam entstehen. Auch die Frage, warum die Verschlechterung pendente condicione - also noch vor emptio perfecta - zu Lasten des Käufers gehen soll, erklärt sich aus der Rechtsaktbezogenheit der Bedingung. Wenn die Parteien einen bedingten Kauf vereinbaren, dann legen sie damit Kaufsache und Kaufpreis verbindlich fest. Sie bestimmen dadurch allerdings nicht die essen-

62

Siehe dazu Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 173 ff., 194 f.; Ernst, ZSS 99 (1982) 218 ff.; Pennitz, TR 62 (1994) 270 ff. - Ganz anders Haymann, ZSS 48 (1928) 369 f., der bezweifelt, daß das Fragment einen Rechtssatz von allgemeiner Gültigkeit für den bedingten Kauf wiedergibt und es als eine auf die besondere Gefahr des Umschlagens von jungem Faßwein beschränkte Einzelfallentscheidung interpretiert. 63 Flume , ZSS 92 (1975) 69 ff. 64 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 174; Ernst, ZSS 99 (1982) 222 f. u. 225 f.; im Ergebnis ebenso Pennitz, TR 62 (1994) 269. 65 Pomp. D. 18, l,8pr. 66 Ernst, ZSS 99(1982) 222.

II. Emptio perfecta

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tialia eines aktuellen, sondern eines zukünftigen Kaufvertrags, dessen Schicksal wegen der Bedingung noch unsicher ist. Wenn aber die Bedingung eintritt und in diesem Moment die res certa, die Gegenstand der Vereinbarung war, noch vorhanden ist, kommt damit ein Kaufvertrag genau über diese Sache zustande 67 . Die zwischenzeitliche Verschlechterung trifft den Käufer nicht als eine Folge der Gefahrtragung, sondern als Folge eines unvorteilhaften Vertragsschlusses, also nicht periculum, sondern damnum 68 . Das Prinzip „perfecta emptione periculum ad emptorem respiciet" wird nicht durchbrochen, ebensowenig wie der Zeitpunkt der emptio perfecta durch eine Rückwirkung des Bedingungseintritts vorverlegt wird 6 9 . Der Käufer erhält schlicht und einfach nicht mehr als er gekauft hat. Er muß die Verschlechterung der Sache hinnehmen, genauso wie er sich damit abfinden müßte, wenn er aus irgendeinem anderen 70

Grund zu teuer gekauft hätte . Aus dieser Perspektive wird die Schlechterstellung des Käufers im Vergleich zum Fall des Sachuntergangs nachvollziehbar. Beim Untergang der Kaufsache fehlt dem Geschäft von vornherein eines seiner essentialia. Die Verschlechterung dagegen fuhrt lediglich zu einem Mißverhältnis zwischen dem Wert der Kaufsache und dem Preis. Reine Äquivalenzstörungen sind aber im Zivilrecht regelmäßig unbeachtlich71. Das gilt gerade in dem von dem Gedanken der Privatautonomie durchdrungenen Recht der Römer. Im Ergebnis kann festgehalten werden: Beim aufschiebend bedingten Kauf geht Sachverlust und -Verschlechterung zu Lasten des Verkäufers, wenn die Bedingung ausfällt. Tritt die Bedingung ein, so wird in diesem Moment (ex nunc) der Kauf perfekt; der Käufer trägt nach der allgemeinen Gefahrtragungsregel „emptione perfecta periculum est emptoris" ab diesem Zeitpunkt die Gefahr. Davor, also in der Phase schwebender Unwirksamkeit vom Vertragsschluß bis zum Bedingungseintritt, geht - als Folge der Rechtsaktbezogenheit der Bedingung - der Untergang der Sache zu Lasten des Verkäufers, die bloße Verschlechterung dagegen zu Lasten des Käufers.

67

Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 174. Paul. D. 18, 6, 8 pr., letzter Satz. 69 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 174. 70 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 174. - Auf demselben Grundverständnis beruht auch die Tatsache, daß der Gedanke einer allgemeinen Sachmängelhaftung dem ius civile fremd war und sich erst auf verschiedenen Umwegen eine Bahn brechen konnte; siehe dazu Käser, RP I, S. 557 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 305 ff., insbesondere S. 319: „Caveat emptor still prevailed to a large extent". 71 Dieses Argument hat auch Haymann , ZSS 48 (1928) 376 m.w.N., beschäftigt, wird von ihm aber mit Hinweis auf den synallagmatischen Charakter des Geschäfts abgelehnt; - zum Synallagma siehe unten § 2, VI. 68

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§ 2 Das klassische römische Recht

2. Der Kauf aus konkretem Vorrat Schwierigkeiten in Hinblick auf die Perfektion des Kaufs mußten sich bei dem auf den Spezieskauf ausgerichteten Vertragstyp der emptio venditio zwangsläufig dort ergeben, wo die Kaufsache nicht hinreichend bestimmt war. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß die Quellen diesen Problemkreis thematisieren. Eines der wichtigsten Zeugnisse ist der zweite Satz von Pap. Fr. Vat. 16: ,,[Q]uod si mille amphoras certo pretio corpore non demonstrato vini vendidit, nullum emptoris interea periculum erit." Wenn 1.000 Amphoren Wein zu einem bestimmten Preis verkauft wurden, ohne daß sie körperlich spezifiziert worden wären, so trifft den Käufer keine Gefahr. Dieses Fragment war Ausgangspunkt für den Streit, ob es einen reinen Gattungskauf im klassischen römischen Recht gab. Von den Befürwortern 72 des Genuskaufs wird das „mille amphoras ... corpore non demonstrato" im Sinne einer nur nach Gattungsmerkmalen bestimmten Sache ausgelegt. Dagegen lehnt die herrschende Meinung 73 die Existenz des Gattungskaufs im Rahmen der emptio venditio ab und erkennt in dem Fragment lediglich die Zulässigkeit des Kaufs einer noch zu individualisierenden Menge aus einem konkreten Vorrat 74 . Die vom Barkaufgedanken geprägte Struktur der emptio venditio war als Vertragstyp für eine reine Beschaffungsschuld nicht geeignet75. Die praktische Notwendigkeit 76 rechtlicher Anerkennung von reinen Gattungsschulden in einer hochentwickelten Wirtschaft wurde durch wechselseitige Stipulationen77 oder durch nachgeformte, fingierte bzw. simulierte Geschäfte 78 befriedigt. Neben diesen allgemeinen Erwägungen kann insbesondere aus Pap. Fr. Vat. 16, zweiter Satz, nicht auf die Existenz des reinen Genuskaufs geschlossen werden.

72

Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 305 f.; Haymann, JhJb 79 (1928/1929) 95 ff., 114 ff. 73 Käser, RP I, S. 548; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 236 ff.; Sekkel/Levy, ZSS 47 (1927) 122 ff. u. 195 f.; Arangio-Ruiz, Compravendita, S. 121 ff.; ausführlich Ernst, ZSS 114 (1997) 300 ff. 74 Für eine andere Interpretation siehe Ernst, ZSS 114 (1997) 320 ff., der eine Festlegung des Fragments auf eine bestimmte Kaufvariante wie den Kauf aus konkretem Vorrat ablehnt. 75 Käser, RP I, S. 548; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 237 f. 76 Zu den Einsatzzwecken rein generischer Verpflichtungen im römischen Wirtschaftsleben siehe Ernst, ZSS 114 (1997) 339 ff., der zu dem Ergebnis gelangt, daß der reine Gattungskauf nur sehr begrenzte wirtschaftliche Funktionen hatte. 77 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 128 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 238 f.; jedoch läßt Ernst, ZSS 114 (1997) 276 ff., insb. 299, die These von den wechselseitigen Stipulationen nur eingeschränkt gelten. 78 Siehe dazu Ernst, ZSS 114 (1997) 277 ff.

II. Emptio perfecta

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Papinian wird in seinem Responsum wohl nicht über die Gefahr der Verschlechterung oder des Untergangs der gesamten Gattung Wein Auskunft gegeben haben. Wahrscheinlicher ist, daß es in dem Fall um einen bestimmten Vorrat ging 79 . Wir gehen also davon aus, daß Pap. Fr. Vat. 16, zweiter Satz, den Kauf aus konkretem Vorrat 80 betrifft. Wenn wir demnach dem Fragment entnehmen, daß bei dieser Kaufvariante den Käufer „interea" keine Gefahr trifft, so schließen sich zwei Fragen an: A u f welchen Zeitraum bezieht sich das „interea", und warum soll der Käufer keine Gefahr tragen? Die Antwort auf beide Fragen gibt die Wendung „corpore non demonstrato". Die Gefahr bleibt solange beim Verkäufer, bis die Kaufsache körperlich sichtbar und identifizierbar geworden ist. Denn solange die Kaufsache nicht individualisiert ist, gibt es keinen bestimmten Gegenstand, für den der Käufer die Gefahr tragen könnte 81 . Dies ergibt sich schon aus den Grundsätzen von Paul. D. 18, 6, 8 pr. zu der Perfektion des Kaufes und dem daran geknüpften Gefahrübergang: „et si id quod venierit appareat quid quale quantum sit,..., perfecta est emptio" 82 . Das „quid", also die aus dem Vorrat verkaufte Teilmenge, muß durch Aussonderung der Ware erst erzeugt werden 83 . Verdeutlicht wird dies durch die Gegenüberstellung des Kaufs aus beschränktem Vorrat mit dem Kauf per aversionem in C. 4, 48, 2: Wäre nur eine Teilmenge 84 aus dem Weinlager verkauft worden, so hätte der Käufer die Gefahr nicht zu tragen gehabt. Da aber in dem zur Entscheidung anstehenden Fall der gesamte im Speicher lagernde Wein in Bausch und Bogen verkauft wurde, geht die Gefahr sofort über 85 . Der Unterschied ist augenfällig. Beim Kauf per aversionem handelt es sich von vornherein um einen Spezieskauf, die Kaufsache, nämlich der gesamte Wein im Lager, ist eindeutig identifizierbar. Dagegen ist die res empta noch nicht körperlich bestimmt, wenn es sich um eine Anzahl von Amphoren aus dem Vorrat, also lediglich um eine Teilmenge, handelt. Man mag einen Wertungswiderspruch in der Schlechterstellung des

79

Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 196. Zur Natur des Kaufs aus konkretem Vorrat siehe Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk; S. 51 ff.; idem , ZSS 114 (1997) 305 ff. 81 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 195; siehe dazu aber auch Pennitz, TR 62 (1994) 273 f. 82 Siehe oben § 2, II. 83 Siehe Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 54 ff.; idem , ZSS 114 (1997) 305 ff., 311 ff. 84 Mit „singulae amphorae" sind hier nicht einzelne Gefäße, sondern eine Maßeinheit gemeint; siehe Pennitz, TR 62 (1994) 275 u. 262, Fn. 50. 85 Siehe dazu Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 197 ff.; Ernst, ZSS 99 (1982) 232 f.; Pennitz, TR 62 (1994) 274 ff; anders Haymann, ZSS 41 (1920) 116 ff.; noch anders Krückmann, ZSS 60 (1940) 38 ff. 80

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§ 2 Das klassische römische Recht

Käufers eines gesamten Vorrats gegenüber dem Käufer eines Teils sehen86, letztlich hat sich jedoch die aus dem Barkauf überkommene Objektbezogenheit der emptio venditio durchgesetzt. Bezeichnenderweise gibt es die Möglichkeit eines Kaufs aus konkretem Vorrat nur bei vertretbaren Sachen87. Man billigte dem Kauf einer noch unbestimmten Quantität aus einem bestimmten Vorrat nur deshalb rechtliche Verbindlichkeit zu, weil die in dem Vorrat enthaltenen Waren wegen ihrer Vertretbarkeit als gleichwertig angesehen wurden und somit jede später auszuscheidende „... Teilmenge mit jeder anderen möglichen Teilmenge gleichen Maßes für die rechtliche Betrachtung identisch ..." ist 88 . Die Ausscheidung bestimmter Sachen konnte schon in einem frühen Stadium des Kaufs durch demonstratio erfolgen; mit dieser Möglichkeit beschäftigt sich Pap. Fr. Vat. 16, zweiter Satz89. Dabei zeigte der Verkäufer dem Käufer diejenigen Stücke, mit denen er seinen Vertrag später zu erfüllen gedachte. Üblicherweiser wurde die Individualisierung aber erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Leistung vollzogen, das heißt, wenn die Waren dem Käufer zugemessen, zugewogen oder zugezählt wurden. Die Zumessung (mensura) war damit Dreh- und Angelpunkt für Perfektion und Gefahrübergang beim Kauf aus konkretem Vorrat. Ein besonders wichtiges Zeugnis dafür ist Gai. D. 18, 1, 35, 7: „Sed et si ex doleario pars vini venierit, veluti metretae centum, verissimum est (quod et constare videtur) antequam admetiatur, omne periculum ad venditorem pertinere: nec interest, unum pretium omnium centum metretarum in semel dictum sit an in singulos eos." Wenn eine Teilmenge aus einem Faß Wein verkauft wird, trägt der Verkäufer bis zum Zumessen alle Gefahr, gleich ob ein Gesamtpreis oder ein Preis pro Maßeinheit vereinbart wurde. Bedenken hinsichtlich der Echtheit des Texts 90 werden durch ein in Aufbau und Wortlaut überraschend ähnliches Paulusfragment, D. 18, 6, 5, zerstreut 91. Auffällig ist sowohl bei Gai. D. 18, 1, 35, 7 als auch bei Paul. D. 18, 6, 5 der Begriff des „omne periculum" des Verkäufers, der sein Pendant in dem „nullum periculum" des Käufers in Pap. Fr. Vat. 16, zweiter Satz, hat. „Omne" und „nullum" kann nur als ausdrückliche Abgren86 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 201 f., vermuten, daß es diesbezüglich eine Kontroverse gab, da noch am Ende der klassischen Epoche ein Responsum (Pap. Fr. Vat. 16) und das eben angesprochene Reskript (C. 4, 48, 2) zur Klärung der Rechtslage notwendig waren. 87 Ernst, ZSS 114 (1997) 315 ff. 88 Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 55; idem , ZSS 114 (1997) 315 ff. 89 Siehe Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 57; idem , ZSS 114 (1997) 320 ff. 90 Haymann, ZSS 41 (1920) 100 f. u. 107 ff. 91 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 191; siehe dazu aber auch Pennitz, TR 62 (1994) 273, Fn. 100.

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zung zur Situation beim bedingten Kauf verstanden werden 92. Anders als dort wird hier nicht zwischen Untergang und bloßer Verschlechterung unterschieden 93 . Das feine Gespür der römischen Juristen für Distinktionen legte es ihnen nahe, „omne periculum" besonders zu betonen; denn einerseits sind Kauf aus konkretem Vorrat und bedingter Kauf zwar insofern vergleichbar, als in beiden Fällen die emptio perfecta der emptio contracta zeitlich nachfolgt und die Perfektion jeweils durch ein bestimmtes Ereignis (Bedingungseintritt bzw. Zumessung) ausgelöst wird, andererseits sind sie aber in Hinblick auf die Bestimmtheit des Kaufgegenstandes grundverschieden. Der bedingte Kauf ist von vornherein Spezieskauf. Eine Verschlechterung der von Anfang an bestimmten Kaufsache während der Schwebezeit kann die Perfektion nicht verhindern und geht zu Lasten des Käufers. Dagegen existiert beim Kauf aus beschränktem Vorrat bis zum Zeitpunkt der Aussonderung noch keine res certa, der verkaufte Gegenstand steht bis zum Moment der Perfektion noch gar nicht fest. Es kann festgehalten werden: Der Kauf aus konkretem Vorrat wird erst mit Individualisierung der Ware „perfecta". Vor diesem Zeitpunkt trägt der Käufer weder die Untergangs- noch die Verschlechterungsgefahr. Die Individualisierung kann durch demonstratio oder mensura erfolgen.

3. Der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram Bei Kaufverträgen mit Preisbestimmung ad mensuram ist, anders als beim Kauf aus konkretem Vorrat, die Kaufsache bestimmt. Es handelt sich hierbei um Geschäfte, bei denen eine körperlich identifizierbare Warenmenge in ihrer Gesamtheit verkauft wird, wobei den Parteien aber deren Maß, Zahl oder Gewicht noch nicht genau bekannt ist. Aus diesem Grund vereinbaren sie keinen Pauschalpreis, sondern einen Preis pro Maßeinheit. Der Endpreis kann dann erst durch Zumessung der Waren und Addition der zugemessenen Einheiten ermittelt werden. Diesen Fall behandelt Gaius in D. 18, 1, 35, 5 u. 6 9 4 : (5) ,,[N]am si omne vinum vel oleum vel frumentum vel argentum quantumcumque esset uno pretio venierit, idem iuris est quod in ceteris rebus, quod si vinum ita venierit, ut in singulas amphoras, item oleum, ut in singulos metretas, item frumentum, ut in singulos modios, item argentum, ut in singulas libras certum pretium diceretur,

92 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 192 ff.; Emst, ZSS 114 (1997) 305 ff.; einschränkend Pennitz, TR 62 (1994) 264, Fn. 59, der aber schon im Ansatz nicht der These von Sekkel/Levy folgt, daß die aus dem Recht des bedingten Kaufs stammende Differenzierung zwischen Untergangs- und Verschlechterungsgefahr auch auf die dem § 7 vorausgehenden Fälle der §§ 5 u. 6 ausgedehnt wurden; siehe dazu unten § 2, II, 3. 93 Zu der Differenzierung beim bedingten Kauf siehe oben § 2, II, 1. 94 Zur Echtheit des Fragments siehe Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 179 ff.; Haymann, ZSS 41 (1920) 99 ff.; idem, ZSS 48 (1928) 377 ff.

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quaeritur, quando videatur emptio perfici. quod similiter scilicet quaeritur et de his quae numero constant, si pro numero corporum pretium fuerit statutum. Sabinus et Cassius tunc perfici emptionem existimant, cum adnumerata admensa adpensave sint, quia venditio quasi sub hac condicione videtur fieri, ut in singulos metretas aut in singulos modios quos quasve admensus eris, aut in singulas libras quas adpenderis, aut in singula corpora quae adnumeraveris " (6) „Ergo et si grex venierit, si quidem universaliter uno pretio, perfecta videtur, postquam de pretio convenerit: si vero in singula corpora certo pretio, eadem erunt, quae proxime tractavimus." § 5 handelt vom Verkauf vertretbarer Sachen, wie Wein, Öl, Getreide oder Silber, § 6 vom Verkauf einer Viehherde. Daß es in beiden Fällen nicht um einen Kauf einer Teilmenge aus einem bestimmten Vorrat, sondern um einen Kauf der gesamten vorhandenen Warenmenge geht 95 , macht Gaius dadurch klar, daß er sowohl bei § 5 als auch bei § 6 als Ausgangssituation den Kauf per aversionem (Kauf in Bausch und Bogen) voranstellt: Wenn demnach der gesamte Wein in dem Faß oder die gesamte Herde zu einem Pauschalpreis verkauft sind, greift die für den Spezieskauf geltende Regel, nämlich sofortige Perfektion bei Abschluß des Vertrags („si omne vinum ... quantumcumque esset uno pretio venierit, idem iuris est quod in ceteris rebus" und „si grex venierit, si quidem universaliter uno pretio, perfecta videtur"). Von dieser Konstellation ausgehend wird sodann der problematische Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram geschildert: § 5 wird dahingehend abgewandelt, daß zwar nach wie vor der gesamte Wein in dem Faß oder das gesamte Getreide im Speicher verkauft sind 96 , nun aber kein Gesamtpreis, sondern ein Preis pro zugemessener Amphore bzw. Scheffel vereinbart ist. Für diesen Fall deutet Gaius unter Berufung auf Sabinus und Cassius an, daß der Kauf erst durch die mensura perfekt wird, mit der Begründung, der Kauf sei „quasi" unter der Bedingung der noch vorzunehmenden Zumessung geschlossen („Sabinus et Cassius tunc perfici emptionem existimant, cum ... admensa ... sint, quia venditio quasi sub hac condicione videtur fieri, ut ... admensus eris"). Bei dem Verkauf der gesamten Herde zu einem Festpreis pro Stück in dem ebenso aufgebauten § 6 wird bezüglich der Perfektion lediglich auf die Rechtslage bei § 5 verwiesen. Damit ist bislang aber nur der von Gaius favorisierte Standpunkt erörtert worden. Das Fragment enthält jedoch Anhaltspunkte dafür, daß die Frage des Perfektionszeitpunkts bei der hier behandelten Kaufvariante Gegenstand eines Schulenstreits gewesen war (arg. quaeritur ... Sabinus et Cassius ... existimant). Erhalten geblieben ist in dem Fragment allerdings nur noch die Lehrmeinung der Sabinianer bzw. Cassianer, die im weiteren als cassianische Quasi95 So Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 182, und Pennitz, TR 62 (1994) 260 ff; anders Emst, ZSS 99 (1982) 235 f. m.w.N.; dazu aber Pennitz, TR 62 (1994) 262, Fn. 49. 96 Arg. „omne vinum" (§ 5) als bewußte und pointierte Gegenüberstellung zu „pars vini" (§ 7).

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Bedingungslehre bezeichnet wird 9 7 . Die Gegenansicht der Prokulianer muß im Zuge der Kompilation unterdrückt worden sein 98 . Wenn nun nach der cassianischen Lehre der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram analog zum bedingten Kauf behandelt wurde und somit erst zum Zeitpunkt der Zumessung perfekt werden konnte, so wird die Gegenposition der Prokulianer darin bestanden haben, daß der Kauf schon beim Abschluß als perfekt anzusehen war 99 . Diese Auffassung könnte sich darauf stützen, daß die Kaufsache, also der Gegenstand der Gefahrtragung, eindeutig bestimmt ist. Anders als beim Kauf aus konkretem Vorrat dient die Zumessung beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram nicht der Individualisierung der Kaufsache. Die verkauften vertretbaren Sachen sind in ihrer Gesamtheit von Anfang an körperlich greifbar. Weshalb sollte also eine noch ausstehende mensura die Perfektion aufschieben? Die Cassianer könnten darauf erwidert haben, daß für die Perfektion des Kaufs nicht nur die Bestimmtheit der Kaufsache, sondern auch die Bezifferbarkeit des Kaufpreises erforderlich ist. In diesem Sinne dürften wohl auch die in Paul. D. 18, 6, 8 pr. aufgelisteten Perfektionsvoraussetzungen 100 zu verstehen sein: Ebenso wie das „quid" müssen das „quantum" und „pretium" bestimmt sein. In dem Fall des § 6 des Gaiustexts ist zwar der Kaufgegenstand („quid"), nämlich die gesamte Herde, eindeutig identifiziert und körperlich greifbar, jedoch kann das „quantum" und damit der Gesamtkaufpreis erst durch Zählen der einzelnen Tiere ermittelt werden 101 . Gleichermaßen kann bei § 5 erst durch Zumessung des Weines in dem verkauften Faß die Menge und der Kaufpreis festgestellt werden 102 . Die Bestimmtheit der Kaufsache reicht allein nicht aus, denn ohne „quantum" und „pretium" bliebe der Begriff der Gefahr leer; die Parteien würden zwar wissen, welche Sache Gegenstand der Gefahrtragung ist, könnten aber ohne den Kaufpreis das finanzielle Risiko des Käufers, die Preisgefahr, nicht beziffern. Wie sollte man denn herausfinden, wieviel der Käufer dem Verkäufer schuldet, wenn die Kaufsachen vor der Zumessung untergingen? Nach diesen Erwägungen ist man - wie auch schon Gaius - geneigt, der cassianischen Quasi-Bedingungslehre den Vorzug zu geben und beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram die Perfektion generell erst mit der Zumessung eintreten zu lassen103. Man darf aber nicht vergessen, daß bei dieser Kaufvari97

Dazu Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 184 ff.; Pennitz, TR 62 (1994) 262 ff. So schon Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 184 ff.; zuletzt Pennitz, TR 62 (1994) 262 ff., insb. 262, Fn. 48 m.w.N. 99 Pennitz, TR 62 (1994) 265 ff. 100 Siehe oben § 2, II. 101 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 188 f. 102 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 186. 103 In diesem Sinne auch Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 152, 186; Käser, RP I, S. 553, Fn. 69; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 286 f.; anders Pennitz, TR 92 (1994) 265 f., für den das bloße „Errechnen des Kaufpreises" durch die mensura nicht als selb98

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ante eine Vielzahl von unterschiedlichen Sachverhalten denkbar ist. Im einen Fall kann der cassianische, im anderen der prokulianische Ansatz die bessere Lösung bieten. So läßt sich beim Verkauf des gesamten Weines in einem bis zum Rand gefüllten Faß die Preisgefahr sehr wohl bestimmen, auch wenn der Wein durch ein Leck ausgelaufen ist. Man muß nur das Leck abdichten und das Faß mit Wasser füllen. Dann kann man durch Zumessung des Wassers die ursprünglich enthaltene Weinmenge bestimmen und daraus den Kaufpreis errechnen. Bei dieser Konstellation spricht nichts gegen eine Perfektion des Kaufs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, wie von den Prokulianern gefordert. Wenn dagegen das Faß beim Verkauf nicht ganz voll war, kann im nachhinein die Zumessung nicht simuliert und der Kaufpreis nicht mehr beziffert werden. Hier ist die cassianische Ansicht die einzig sachgerechte. Jede der beiden Lehren hat also, je nach Situation, gute Argumente auf ihrer Seite. Die Frage, welcher Ansatz sich letztlich durchgesetzt hat, muß differenziert betrachtet werden. Pennitz 104 hat gezeigt, daß der prokulianische Standpunkt in der weiteren Entwicklung bis zur Spätklassik zur herrschenden Meinung erstarkte. Für die Dogmengeschichte jedoch ist entscheidend, daß in das Corpus Iuris allein die von Gaius unterstützte cassianische Quasi-Bedingungslehre aufgenommen wurde. Es soll deshalb im folgenden nur auf diese Lehrmeinung näher eingegangen werden. Hier ist insbesondere noch zu klären, ob in dem Zeitraum zwischen emptio contracta und emptio perfecta das gesamte Risiko auf dem Verkäufer lastete oder ob nicht etwa eine differenzierte Risikoverteilung wie beim bedingten Kauf 1 0 5 vorgenommen wurde. Gaius äußert sich in § 5 und § 6 leider nur zur Perfektion, nicht aber zur Gefahrtragung 106. Allerdings könnte das „quasi sub hac condicione" in § 5 einen generellen Verweis auf die Rechtslage beim bedingten Kauf darstellen 107 . Eine solche Deutung würde formal sehr gut mit

ständige Perfektionsvoraussetzung anzusehen ist; vielmehr sei die Perfektion beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram nur dann bis zur Zumessung aufgeschoben, wenn sich aus dem Wortlaut der Kaufpreisabrede ergebe, daß die Ausführung der mensura den Stellenwert einer Quasi-Bedingung haben solle, wenn es den Parteien also maßgeblich auf die „Tätigkeit des Zumessens" ankomme. Gaius stütze sich also - in der Terminologie der allgemeinen Perfektionsvoraussetzungen von Paul. D. 18, 6, 8 pr. - nicht auf die Erfordernisse „quantum" und „pretium", sondern auf „(non) pure/sub condicione venire". 104 Siehe die ausführliche Beweisführung im Zusammenhang mit dem Weinverkauf ab Hof in TR 62 (1994) 265 ff.; 274 ff; insb. 277 ff. 105 Siehe dazu oben § 2, II, 1. 106 Auch sonst schweigen die Quellen, was den Kauf mit Preisbestimmung durch Zumessung betrifft. 107 So Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 184 ff.; einschränkend Pennitz, TR 62 (1994) 260 ff, nach dem die Durchführung der Zumessung nach cassianischer Lehre zwar eine Quasi-Bedingung darstellt (S. 265), was aber nicht notwendigerweise eine Unterschei-

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dem Aufbau des Gaiusfragments harmonieren: Bei § 5 und § 6 begnügt sich Gaius mit dem Hinweis, daß der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram Sabinus und Cassius zufolge - wegen der bedingungsähnlichen Funktion der mensura bis zur Zumessung nicht perfekt sei; die Gefahrtragung erwähnt er darüber hinaus nicht. Man könnte dies so verstehen, daß Gaius hier bewußt auf eine ausführliche Erörterung der Gefahrtragung verzichtet hat, da sich der Leser ja über alle Einzelheiten bei der Darstellung des bedingten Kaufs kundig machen kann. Im folgenden § 7 zum Kauf aus konkretem Vorrat 108 hält er es dann aber für nötig, ausdrücklich auf die Gefahrtragung einzugehen und mit dem „omne periculum" eine klare Abgrenzung zu der differenzierten Risikoverteilung beim bedingten Kauf vorzunehmen. Dies wäre nur um so verständlicher, wenn er bei den vorausgegangenen §§ 5, 6 von eben dieser Risikoaufteilung ausgegangen wäre. Man könnte aus dem äußeren Aufbau des Gaiusfragments aber auch das genaue Gegenteil herauslesen 109: Sowohl für den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram als auch für den Kauf aus konkretem Vorrat ist die Zumessung das entscheidende Perfektionskriterium. Es könnte also die Vergleichbarkeit in diesem Punkt sein, die Gaius bewogen hat, beide Fälle in einem Zug zu behandeln. Das „omne periculum ad venditorem pertinere" in § 7 könnte sich dann als abschließende Entscheidung zur Gefahrtragung auf beide Fälle beziehen. Damit wäre aber das Fragment weder formal noch sachlich erschöpfend gewürdigt. Zum einen darf die auffällige Bezugnahme auf den bedingten Kauf in § 5 nicht unbeachtet bleiben. Zum anderen fehlt es bei genauerer Betrachtung an der inhaltlichen Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen von § 5 und § 6 einerseits und § 7 andererseits 110. Beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram ist wie beim reinen Spezieskauf von Anfang an das Objekt des Kaufs körperlich identifizierbar, während beim Kauf aus Vorrat bis zur emptio perfecta keine res certa existiert. Was also die Bestimmtheit der Kaufsache, das „quid", betrifft, läßt sich der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram eher mit dem bedingten Kauf vergleichen. Aber auch in einem weiteren Punkt liegt eine Analogie zum bedingten Kauf nahe: Für die Fälle der §§ 5, 6 böte sich nämlich ebenso wie beim bedingten Kauf eine Unterscheidung zwischen Untergangsund Verschlechterungsgefahr an 1 1 1 . Bei Totaluntergang der verkauften Waren ist eine Zumessung häufig nicht mehr möglich, so daß der Kauf nicht mehr zur Perfektion gelangen kann. Dagegen kann der Verkäufer lediglich verschlechter-

dung zwischen Untergangs- und Verschlechterungsgefahr nach sich ziehen müsse (S. 263, Fn. 52). 108 Siehe oben § 2, II, 2. 109 Für eine Analogie zum Kauf aus konkretem Vorrat Ernst , ZSS 99 (1982) 235 f. 110 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 200 f. 111 So schon Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 185 f.

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te Ware in jedem Fall noch zumessen und damit die für die Perfektion notwendige Preisbezifferung (Paul. D. 18, 6, 8 pr.: „... appareat... quantum sit, sit et pretium ... perfecta est emptio ...") vornehmen. Warum sollte also nicht, wie beim bedingten Kauf, das Risiko für ersteren Fall vom Verkäufer, für letzteren vom Käufer getragen werden? Mit größter Wahrscheinlichkeit wollte Gaius also das „quasi sub hac condicione" in § 5 so verstanden wissen, daß der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram hinsichtlich der Gefahrtragung behandelt werden sollte wie der bedingte Kauf. Es läßt sich also festhalten: Im klassischen Recht gab es eine fondamentale Unterscheidung zwischen dem Verkauf einer Sachgesamtheit (in der Regel vertretbare Sachen) und dem Verkauf einer Teilmenge aus einem konkreten Vorrat vertretbarer Sachen112. Im letzteren Fall ging „omne periculum" erst mit der Zumessung auf den Käufer über, weil dadurch erst die res empta „erzeugt" wurde. Beim Kauf einer Sachgesamtheit dagegen wurde unterschieden: Die den Gegenstand des Geschäfts bildende Warenmenge konnte entweder per aversionem, also zu einem Pauschalpreis verkauft werden; dann fanden die Regeln des Spezieskaufs Anwendung, d.h. sofortige Perfektion und sofortiger Gefahrübergang. Oder aber es wurde ein Preis pro Maßeinheit (Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram) vereinbart. Hier war die Frage des Perfektionszeitpunkts umstritten. Nach prokulianischer Lehre war der Kauf schon mit Abschluß perfekt, nach der in der sabinianischen Tradition stehenden Auffassung des Gaius trat die Perfektion und damit der Gefahrübergang erst mit der als Quasi-Bedingung geltenden Zumessung ein. Für die weitere Entwicklung ist von großer Bedeutung, daß nur die Quasi-Bedingungslehre ausdrücklich überliefert ist 1 1 3 .

4. Der Wahlkauf Der alternative Kauf erinnert auf den ersten Blick an den Kauf aus konkretem Vorrat, denn die Kaufsache entstammt einer bei Vertragsschluß bestimmten Menge von möglichen Kaufgegenständen. Daß es sich gleichwohl um eine eigenständige Art des Kaufs handelt, zeigt Paul. D. 18, 1, 34, 6: „Si emptio ita facta fuerit: ,est mihi emptus Stichus aut Pamphilus4, in potestate est venditoris, quem velit dare, sicut in stipulationibus, sed uno mortuo qui superest dandus est: et ideo prioris periculum ad venditorem, posterions ad emptorem respicit. sed et si pariter decesserunt, pretium debebitur: unus enim utique periculo emptoris vixit."

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Siehe oben § 2, II, 2. Siehe unten § 5, III, 3, a) u. c), cc); § 6, III, 6.

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Wenn alternativ entweder Stichus oder Pamphilus 114 verkauft sind, hat der Verkäufer, falls Stichus stirbt, den Pamphilus zu übergeben. Er kann sein Wahlrecht also nicht dahingehend ausüben, den verstorbenen Stichus zu wählen. Die Gefahrtragung faßt Paulus in dem eleganten Satz „prioris periculum ad venditorem, posterioris ad emptorem respicit" zusammen. Die Klassizität dieser Stelle wird nicht nur durch die sprachliche, sondern auch durch die sachliche Übereinstimmung mit Paul. D. 18, 6, 8 pr. bestätigt. Die Gefahr kann erst mit der Individualisierung des Kaufobjekts auf den Käufer übergehen, also entweder durch Ausübung des Wahlrechts oder durch Wegfall der Alternative. Solange Stichus noch lebt, ist mangels bestimmten Kaufobjekts der Kauf noch nicht perfekt, der Verkäufer trägt für ihn die Gefahr. Sobald nur noch die Alternative Pamphilus bleibt, trägt wie beim normalen Stückkauf der Käufer die Gefahr. In der Formulierung, der Verkäufer trage bezüglich des einen, der Käufer hinsichtlich des anderen die Gefahr, liegt aber noch eine weitergehende Bedeutung, die im darauffolgenden Satz entwickelt wird. Sterben nämlich beide gleichzeitig, schuldet der Käufer dennoch den Kaufpreis, da er jedenfalls für einen die Gefahr trägt: ,,[U]nus enim utique periculo emptoris vixit". Das ist erstaunlich. Sollte beim Wahlkauf ein spezielle Regel gegolten haben 115 , nach der ein periculum emptoris ohne Perfektion 116 des Kaufs möglich ist? Dabei möchte man doch bei dem Szenario des gleichzeitigen Todes von Stichus und Pamphilus unwillkürlich die Parallele zum Untergang der gesamten vorhandenen Warenmenge beim Kauf aus konkretem Vorrat 117 ziehen. Wenn der Quantitätskäufer nicht anteilsmäßig an dem Risiko hinsichtlich des gesamten Vorrats beteiligt ist, warum trägt der Wahlkäufer jedenfalls für eines der alternativ verkauften Objekte die Gefahr? Die Lösung liegt in der Figur der juristischen Sekunde 118 . In der „Sekunde" des gleichzeitigen Todes laufen zwei verschiedene rechtliche Vorgänge nacheinander ab: Der Tod des Stichus, der noch zu Lasten des Verkäufers geht, löst die Konkretisierung der Wahlschuld, damit die Perfektion des Kaufes, aus. Der Tod des Pamphilus befreit sodann den Verkäufer von seiner Schuld, ohne daß er die Gegenleistung verliert, da der Ge-

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Der Einsatz von Sklaven in großem Umfang begann mit dem 1. und 2. Punischen Krieg und resultiert aus Strukturveränderungen von Landwirtschaft und Handel; siehe dazu De Martino , Wirtschaftsgeschichte, S. 85 ff 115 So Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 216 ff., die einen Schulenstreit vermuten: Die eine Ansicht habe in Einklang mit der Perfektionslehre dem Verkäufer die Gefahr aufgebürdet; durchgesetzt habe sich aber die andere Ansicht, die sich aus Billigkeitsgründen für ein periculum emptoris entschieden habe. 116 Haymann, ZSS 41 (1920) 136 f., sieht in diesem Widerspruch zu Paul. D. 18, 6, 8 pr. ein Argument gegen die Stringenz der Lehre vom periculum emptoris. Ernst, ZSS 99 (1982) 234, dagegen geht davon aus, daß der Alternativkauf ungeachtet des Wahlrechts ab Vertragsschluß schon perfekt ist. 1,7 Siehe oben § 2, II, 2. 118 Dazu allgemein Wieacker, in: Festschrift Wolf, S. 421 ff.

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§ 2 Das klassische römische Recht

fahrübergang durch den Tod des Stichus bereits eingetreten war 1 1 9 . Somit bewegt sich auch der Wahlkauf im Rahmen der allgemeinen Grundsätze zur Perfektion und Gefahrtragung.

5. Der Weinkauf, insbesondere der Degustationsvorbehalt Ein außergewöhnlich großer Teil der Texte 120 in dem für die Gefahrtragung maßgeblichen Digestentitel „De periculo et commodo rei venditae" befaßt sich mit dem Verkauf von Wein 1 2 1 . Das liegt zum einen an der enormen Bedeutung, die der Weinhandel als Wirtschaftsfaktor für Rom hatte 122 . Zum anderen traten bei dem praktisch bedeutsamen Verkauf „ab Hof 4 besonders häufig Gefahrtragungsprobleme auf; hier wurde der Wein zum Teil schon während des Produktionsprozesses verkauft, so daß eine entsprechend lange Zeitspanne zwischen 123

Vertragsschluß und Ubergabe lag . Und schließlich führte der beim Weinkauf übliche Degustationsvorbehalt zu zusätzlichen Komplikationen, die einer rechtlichen Klärung bedurften. Im Prinzip trägt, wie Ulpian gleich zu Anfang von D. 18, 6, 1 pr. klarstellt, auch beim Weinkauf der Käufer die Gefahr, gleich ob es sich um die spezifische Gefahr des Umschlagens oder Schimmeins (periculum acoris et mucons , 2 4 ) 1 2 5 oder um Auslaufen des Weines oder Zerbrechen der Gefäße (also 119 Wieacker, in: Festschrift Wolf, S. 432 ff.; siehe aber Knütel, Ergänzungsband zu RIDA 61 (1994) 204; Bessenyö, OIR 1 (1996) 63 ff.; siehe auch Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 56; idem, , ZSS 114 (1997) 307 f. 120 Vor allem die ausfuhrlichen Ulpianstellen aus dem Sabinuskommentar, D. 18, 6, 1 u. D. 18, 6, 4. 121 Der Weinkauf ist in der Literatur eingehend behandelt worden; siehe Pennitz, TR 62 (1994) 251 ff.; Frier, ZSS 100 (1983) 257 ff.; Harder, in: Festschrift Bärmann, S. 17 ff; Yaron, in: Daube (Hrsg.), Studies in the Roman Law of Sale, S. 71 ff.; Sekkel/Levy, ZSS 47 (1927) 204 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 284 ff.; Krückmann, ZSS 60 (1940) 24 ff.; Molnär, in: Festschrift Guarino, S. 2236 ff.; Wolf, Error, S. 128 ff; Peters, in: Festgabe Käser, S. 225 ff. 122 Das stellt insbesondere Frier, ZSS 100 (1983) 256 ff.; 275, Fn. 73; 289 ff., heraus. 123 Pennitz, TR 62 (1994) 251 ff, hat gezeigt, daß den meisten Quellen zum Weinkauf ein solcher Verkauf „ab Hof 4 zugrunde liegt und rückt dementsprechend bei seiner Würdigung der Texte diesen Aspekt in den Vordergrund. Andeutungen in diese Richtung finden sich schon bei Peters, in: Festgabe Käser, S. 225: „Einerseits will sich der Käufer möglichst bald seinen Anteil an der guten Ernte des Verkäufers sichern, andererseits soll der Wein aber doch zunächst beim Verkäufer lagern, weil dieser die besseren Lagerungsmöglichkeiten hat", und Harder, in: Festschrift Bärmann, S. 21: „Den meisten römischen Quellen liegt der Weinkauf vom Weingutsbesitzer an den Zwischenhändler, den Gast- und Schankwirt, bisweilen wohl auch an den begüterten Endverbraucher zugrunde, der den Wein in größeren Mengen abnimmt". 124 Zu acor und mucor ausführlich Frier, ZSS 100 (1983) 258 f. m.w.N.

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Sachuntergang) handelt. Das gilt nach allgemeinen Grundsätzen 126 jedoch nur ab emptio perfecta. Doch gerade beim Weinkauf können verschiedene Perfektionshindernisse auftreten 127 . Für das Verständnis der ohnehin nur bruchstückhaft erhaltenen Texte 128 ist es daher wichtig, die einzelnen Perfektionskriterien genau zu unterscheiden 129. Häufig wird eine noch vorzunehmende mensura der Perfektion des Kaufs im Wege stehen 130 , handelte es sich doch bei den rechtlich interessanten Fällen in der Regel um Großverkäufe aus dem Faß 131 . Die mensura kann entweder im Rahmen eines Kaufs aus konkretem Vorrat der Individualisierung der Kaufsache 132 oder beim Kauf des gesamten Vorrats der Kaufpreisbestimmung 133 dienen. Steht eine perfektionshindernde 134 mensura noch aus, fehlt dem Käufer das rechtliche Interesse, sich die Degustation des Weines ausdrücklich vorzubehalten, da er bis zur Zumessung noch keinerlei Risiko trägt, gegen das er sich schützen müßte. Das erklärt, warum die Quellen mensura und degustatio immer getrennt problematisieren 135.

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Es ist dies das einzige in der Literatur nicht bestrittene periculum emptoris. Haymann, ZSS 41 (1920) 98 f., 108 f., hält das periculum acoris et mucoris zwar für klassisch, aber doch für einen Ausnahmetatbestand: Wegen der dem Käufer bekannten, besonders großen Gefahr des Umschlagens jungen Faßweins trage das Geschäft ein aleatorisches Moment für den Käufer in sich (Haymann, ZSS 48 (1928) 390 ff.); erst durch die Byzantiner sei der Tatbestand verallgemeinert worden {Haymann, ZSS 41 (1920) 114 f.); so auch im Ergebnis Betti, ZSS 82 (1965) 8. Für kasuistische Erfassung wiederum Rabel, ZSS 42 (1921) 550 f., 554 f. 126 Siehe oben § 2, II. 127 Pennitz, TR 62 (1994) 281 ff. 128 Textkritik und Rekonstruktionsversuche bei Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 207 ff. 129 Paul. D. 18, 1, 34, 5 legt besonderen Wert auf die Unterscheidung von Degustation und Zumessung: „Alia causa est degustandi, alia metiendi: gustus enim ad hoc proficit, ut improbare liceat, mensura vero non eo proficit, ut aut plus aut minus veneat, sed ut appareat, quantum ematur ..."; siehe dazu Pennitz, TR 62 (1994) 281 ff. 130 Diesen Fall behandelt Ulp. D. 18,6, 1, 1 (siehe dazu Pennitz, TR 62 (1994) 290 ff.) und Gai. D. 18, 1, 35, 7 (siehe oben § 2, II, 2). 131 Die Fässer (dolia) hatten ein Volumen von mehr als 1.000 Litern; detailliert dazu Zimmermann, The Law of Obligations, S. 284 f.; Harder , in: Festschrift Bärmann, S. 21 ff. 132 Siehe oben § 2, II, 2. 133 Siehe oben § 2, II, 3. 134 Pennitz, TR 62 (1994) 260 ff., 277 ff., 292 f., hat nachgewiesen, daß in der spätklassischen Zeit die mensura nur noch dann ein Perfektionshindernis darstellte, wenn sie der Individualisierung der Kaufsache diente. Hinsichtlich einer reinen Preisermittlung ad mensuram hat sich die prokulianische Meinung gegen die noch von Gaius bevorzugte Quasi-Bedingungslehre durchgesetzt, mit der Folge, daß in der Spätklassik der Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram schon beim Abschluß als perfekt angesehen wurde; siehe oben § 2, II, 3. 135 Pennitz, TR 62 (1994) 278, 282 f.; so schon Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 206. 4 Bauer

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§ 2 Das klassische römische Recht

Damit ist aber noch nicht die Frage nach der Rechtsnatur und den Wirkungen des Degustationsvorbehalts geklärt. Die Quellen geben keine allgemeine und erschöpfende Definition 136 . Man findet aber zumindest Anhaltspunkte in Ulp. D. 18, 6, 4 pr.: „Si quis vina vendiderit et intra diem certum degustanda dixerit, deinde per venditorem steterit, quo minus degustarentur, utrum praeteritum dumtaxat periculum acoris et mucoris venditor praestare debet, an vero etiam die praeterito ... an vero magis emptio sit soluta (quasi sub condicione venierint, hoc est si ante diem illum fuissent degustata)? et intererit, quid actum sit: ego autem arbitror, si hoc in occulto sit, debere dici emptionem manere, periculum autem ad venditorem respicere etiam ultra diem degustando praefinitum, quia per ipsum factum est." Der zur Degustation bestimmte Termin konnte aus vom Verkäufer zu vertretenden Gründen nicht wahrgenommen werden. Nun stellt sich fur Ulpian die Frage, ob der Verkäufer das Risiko von acor und mucor nur bis zu dem vereinbarten Stichtag oder auch darüber hinaus zu tragen habe oder ob nicht etwa der Kaufvertrag aufgelöst sei, denn er könne ja gleichsam unter der Bedingung termingerechter Degustation stehen. Ulpian entscheidet, daß im Zweifel der Kauf Bestand hat und die Gefahr weiterhin auf dem Verkäufer lastet, da er die degustatio verhindert hat. Zunächst einmal kann man dem Fragment entnehmen, daß der Degustationsvorbehalt primär auf die für den Weinkauf charakteristische Gefahr des Umschlagens und Schimmeins zielte („periculum acoris et mucoris venditor praestare debet"). Dieses spezifische Risiko verblieb abweichend von der im Grundsatz auch beim Weinkauf gültigen Regel periculum est emptoris (siehe Ulp. D. 18, 6, 1 pr.) bis zum Zeitpunkt der degustatio beim Verkäufer. Üblicherweise wurde deshalb, wie auch hier geschehen, im Interesse des Verkäu137

fers ein Termin zur Degustation bestimmt . Es oblag dann dem Käufer, den Wein rechtzeitig zu testen. Tat er dies nicht oder nicht gewissenhaft, dann galt die Verkostung gleichwohl als durchgeführt, und die Gefahr ging auf ihn 136

Die Wendung „gustus enim ad hoc proficit, ut improbare liceat" in Paul. D. 18, 1, 34, 5 ist zu allgemein und unpräzise, als daß man allein daraus Schlüsse auf die Rechtsnatur der degustatio ziehen könnte. 137 Cato erwähnt in Kap. 148 seiner Schrift „De agri cultura" eine Drei-Tages-Frist: „in triduo proxumo ... degustato"; darauf berufen sich Zimmermann, The Law of Obligations, S. 285; Harder , in: Festschrift Bärmann, S. 23 ff; Yaron, in: Daube (Hrsg.), Studies in the Roman Law of Sale, S. 72. - Dagegen weist Pennitz, TR 62 (1994) 283, Fn. 140, darauf hin, daß gerade beim Ab-Hof-Verkauf weitaus längere Fristen üblich gewesen sein müssen, da sich der Wein noch in Produktion befand. Er schlägt auf S. 294 ff. eine überzeugendere andere Interpretation des Catotexts vor. Diese beziehe sich auf den Fall, daß die Parteien sich bei der Degustation nicht einigen können, ob der Wein in Ordnung ist: „Bei einer solchen Pattsituation ... wird es dem Käufer innerhalb einer Frist von drei Tagen eingeräumt, einen fachkundigen Dritten zuzuziehen, der den Streitfall dann entscheiden soll." (S. 296).

II. Emptio perfecta

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über 138 . Ulpian hatte wohl diese Obliegenheit des Käufers im Auge, als er bei der Diskussion seines Falles zunächst die Möglichkeit erwog, den Verkäufer nur bis zum Degustationstermin mit der Gefahr zu belasten. Andererseits, räsonierte Ulpian, könnte es sich um einen bedingten Kauf handeln, der nun hinfällig sei, nachdem die degustatio nicht termingerecht durchgeführt worden sei. Das „quasi sub condicione venierint" erinnert stark an die cassianische Quasi-Bedingungslehre beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram 139 , und so liegt der Schluß nahe, daß Ulpian eine Meinung referiert, die den Degustationsvorbehalt wie eine aufschiebende Bedingung behandelte140. Denkbar wäre darüber hinaus auch die Einstufung der degustatio als Resolutivbedingung oder Rücktrittsvorbehalt 141 . Dafür spräche der Passus „gustus enim ad hoc proficit, ut improbare liceat..." in Paul. D. 18, 1, 34, 5. Die degustatio entzieht sich offensichtlich einer dogmatischen Einordnung, die allgemein gültig wäre. Den Grund hierfür liefert Ulpian sogleich mit dem Hinweis auf den Parteiwillen: ,,[E]t intererit, quid actum sit...". Den Parteien steht es also frei, den Degustationsvorbehalt in diejenige rechtliche Form zu kleiden, die ihnen für ihr Geschäft angemessen erscheint, sei es nun Rücktrittsvorbehalt, Resolutiv- oder Suspensivbedingung. Die Rechtsfolgen hinsichtlich der Gefahrtragung richten sich dann nach der von den Vertragspartnern getroffenen Wahl. Was aber gilt, wenn sich ein bestimmter Parteiwille nicht ermitteln läßt? Ulpian entscheidet, daß der Kaufvertrag bestehen bleibt und der Verkäufer bis zum Tag der tatsächlichen Degustation die Gefahr zu tragen hat. Auch wenn für die Entscheidung ausschlaggebend war, daß der Verkäufer im konkreten Fall die Versäumnis des Termins zu verantworten hatte, lassen sich daraus dennoch einige allgemeine Erkenntnisse bezüglich Rechtsnatur und Wirkungen des „reinen" Dégustations Vorbehalts gewinnen: In Ermangelung spezieller Abreden wirkt der Degustationsvorbehalt schlicht perfektionshindernd. Die Einhaltung des zur Verkostung bestimmten Termins berührt nicht den Bestand des Kaufvertrags, sondern entscheidet lediglich über die mit der degustatio verbundenen Vorteile des Käufers. Lassen die Parteien den vereinbarten Stichtag ungenutzt verstreichen, so ist im Rahmen der formularen bona fides zu beurteilen, ob dem Käufer seine Rechte aus dem Degustationsvorbehalt verloren gehen oder nicht.

138 Auf eine solche Obliegenheit des Käufers deutet Gai. D. 18, 6, 16 hin: „... emptoris erit periculum, quia sive non degustavit sive degustando male probavit, de se queri debet"; vgl. auch Cato, De agri cultura, Kap. 148: „si non ita fecerit, vinum pro degustato erit...". 139 Siehe oben § 2,11,3. 140 Pennitz, TR 62 (1994) 284, sieht darin eine von mehreren Ansichten, die zur Rechtsnatur der degustatio vertreten wurden. Dagegen hält De Zulueta, Sale, S. 58, den Degustationsvorbehalt im klassischen Recht generell fur eine aufschiebende Bedingung; so offensichtlich auch Molnär, in: Festschrift Guarino, S. 2247. 141 So Frier, ZSS 100 (1983) 281, 289.

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§ 2 Das klassische römische Recht

Dabei ist zu beachten, daß die Weinprobe grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Käufers fällt; wenn aber den Verkäufer die Schuld am Verstreichen der Frist trifft, darf der Käufer die Degustation nachholen. Bis zu ihrer tatsächlichen Durchführung trägt dann der Verkäufer das Risiko für den Wein. Dies ist die typische Fallkonstellation eines wirksam abgeschlossenen, nur hinsichtlich des Gefahrübergangs noch nicht perfekten Kaufs. Die degustatio stellt also in Abwesenheit anderslautender Parteiabreden eine Perfektionsvoraussetzung 142 sui generis dar. Dieser Fall ist es wohl, den Paulus vor Augen hat, wenn er in D. 18, 6, 8 pr. darlegt, daß die emptio erst perfekt wird, wenn die Qualität („quäle") der Kaufsache bestimmt ist 1 4 3 . Daraus wiederum ergibt sich zwangsläufig, daß der Verkäufer bis zur Degustation auch die Untergangsgefahr trägt, obwohl der Degustationsvorbehalt in erster Linie auf das periculum acoris et mucoris gerichtet ist; denn ohne emptio perfecta ist kein Gefahrübergang denkbar. Der Untergang des Weines macht aber die degustatio, damit die Perfektion unmöglich 144 . Es bleibt die Frage, ob der Degustationsvorbehalt ausdrücklich vereinbart werden mußte oder ob die Perfektion beim Weinkauf grundsätzlich von einer degustatio abhängig war. Ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, daß der Degustationsvorbehalt für den Kauf von Faßwein (vinum doliare) mit der Zeit zu einer Verkehrssitte erstarkt sei, für den Kauf von Kannenwein (vinum amphorarium) aber nach wie vor stipuliert werden mußte 145 . Diese These beruht auf einer spekulativen Textergänzung von Ulp. D. 18, 6,1 pr.: „Si vinum 146 venditum acuerit vel quid aliud vitii sustinuerit, emptoris erit damnum, quemadmodum si vinum esset effusum vel vasis contusis vel qua alia ex causa, sed si venditor se periculo subiecit, in id tempus periculum sustinebit, quoad se subiecit: quod si non designavit tempus, eatenus periculum sustinere debet, quoad degustetur vinum, videlicet quasi tunc pienissime veneat, cum fuerit degustatum." Eigentlich legt der Text, so wie er steht, nahe, daß bei jeder Art des Weinverkaufs („vinum venditum") die mit dem Degustationsvorbehalt verbundene Risikoübernahme durch den Verkäufer ausdrücklich vereinbart werden mußte

142 In diesem Sinne auch Käser, RP I, S. 553; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 212; Peters, in: Festgabe Käser, S. 229; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 284 ff; für eine bloße Garantieabrede dagegen Pennitz, TR 62 (1994) 294. 143 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 159; so argumentiert auch Ernst, ZSS 99 (1982) 237, kommt im Ergebnis aber zu einer Analogie zum bedingten Kauf. 144 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 213. 145 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 206, 207 ff.; Krückmann, ZSS 60 (1940) 24; Käser, RP I, S. 553, Fn. 68. 146 Textergänzung von Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 207.

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(arg. „sed si venditor se periculum subiecit") 147 . Damit steht er der Annahme einer Verkehrssitte beim Kauf von Faßwein eigentlich im Wege. Durch die Einfügung des Wortes „amphorarium" jedoch liest sich das Fragment ausschließlich als ein Fall des Kaufs von Kannenwein. Aus der Luft gegriffen ist diese Ergänzung nicht, denn sie trägt zumindest formal dem folgenden „vasis contusis" Rechnung. Allerdings ist eine solche Deutung des Fragments in der Sache selbst unwahrscheinlich, da gerade beim Kauf von vinum amphorarium eine degustatio zur Bestimmung der Weinqualität regelmäßig ungeeignet war 1 4 8 . Wenn nämlich der gekaufte Wein auf viele verschiedene Amphoren verteilt ist, so kann der Käufer allenfalls Stichproben durchführen. Jedoch läßt die Qualität des Weines in einer Amphore keine Rückschlüsse auf die anderen zu; entscheidend ist allein, ob jede einzelne sorgfältig verkorkt wurde 149 . Wahrscheinlicher ist deshalb, daß Ulp. D. 18, 6, 1 pr. - ganz im Gegenteil - nur den Kauf von vinum doliare zum Gegenstand hatte, zumal das Problem von acor und mucor wegen der unzureichenden Abdichtbarkeit der dolia im Vergleich zu den amphorae hauptsächlich bei Faßwein auftrat 150 . Das bedeutet nun aber nicht, daß deswegen die Vermutung eines stillschweigenden oder fingierten Degustationsvorbehalts beim Kauf von vinum doliare völlig revidiert werden müßte 151 , denn ein anderer Ulpiantext aus demselben Buch des Sabinuskommentars bietet eine Reihe von Indizien für eine solche Verkehrssitte beim Verkauf „ab H o f t 1 5 2 , Ulp. D. 18, 6, 4, 1: „Si aversione vinum venit, custodia tantum praestanda est. ex hoc apparet, si non ita vinum venit, ut degustaretur, neque acorem neque mucorem venditorem praestare debere, sed omne periculum ad emptorem pertinere: difficile autem est, ut quisquam sic emat, ut ne degustet. Quare si dies degustationi adiectus non erit, quandoque degustare emptor poterit et quoad degustaverit, periculum acoris et mueoris ad vendito147 Yaron, in: Daube (Hrsg.), Studies in the Roman Law of Sale, S. 76, allerdings erblickt in dem Fragment eine von dem Degustationsvorbehalt wesensverschiedene, selbständige Garantieübernahme, die den Zweck hatte, auch über den Zeitpunkt der degustatio (emptio perfecta) hinaus den Käufer gegen das Risiko der Weinverschlechterung zu schützen. 148 So Harder , in: Festschrift Bärmann, S. 17 ff., 29 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 286; Peters, in: Festgabe Käser, S. 229; Frier, ZSS 100 (1983) 282 u. Fn. 101; Yaron, in: Daube (Hrsg.), Studies in the Roman Law of Sale, S. 71 f., die alle davon ausgehen, daß der Käufer sich die degustatio explizit vorbehalten mußte. 149 Wolf, Error, S. 131, Fn. 73; Harder , in: Festschrift Bärmann, S. 29; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 286. 150 Zu den verschiedenen Verschlußtechniken siehe Zimmermann, The Law of Obligations, S. 285 m.w.N. 151 So aber Harder, in: Festschrift Bärmann, S. 17 ff, 29 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 286; Peters, in: Festgabe Käser, S. 229; Frier, ZSS 100 (1983) 282 u. Fn. 101; Yaron, in: Daube (Hrsg.), Studies in the Roman Law of Sale, S. 71 f. 152 So mit überzeugenden Argumenten gegen die h.L. Pennitz, TR 62 (1994) 285 ff., 279, Fn. 127.

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§ 2 Das klassische römische Recht

rem pertinebit: dies enim degustationi praestitutus meliorem condicionem emptoris facit." Man wird davon ausgehen können, daß Ulpian hier einen Großverkauf durch den Weingutsbesitzer behandelt, möglicherweise den Verkauf der gesamten noch im Produktionsprozeß befindlichen Ernte 153 . Der Wein wurde per aversionem verkauft. Im allgemeinen bezeichneten die römischen Juristen damit eine Kaufvariante, bei der die gesamte vorhandene Warenmenge den Gegenstand des Geschäfts bildete 154 und ein Gesamtpreis dafür vereinbart worden ist 1 5 5 . In dem speziellen Kontext des Weinkaufs trat aber noch eine dritte Bedeutung hinzu, nämlich daß die Degustationsbefugnis des Käufers ausgeschlossen war („si non ita vinum venit, ut degustaretur") und damit die Gefahr schon mit dem Vertragsschluß überging („neque acorem neque mucorem venditorem praestare debere, sed omne periculum ad emptorem pertinere") 156 . A u f diese Weise konnte der Käufer Einfluß auf die Preisgestaltung nehmen, insbesondere, wenn die Qualität des Weins keine Rolle für ihn spielte 157 . Ul158

pian stellt aber klar, daß ein solcher Weinkauf per aversionem die Ausnahme war („difficile autem est, ut quisquam sic emat, ut ne degustet."). Auch wenn ein Degustationstermin nicht ausdrücklich bestimmt worden war („si dies degustationi adiectus non erit"), darf im Regelfall nicht vermutet werden, daß der Käufer deswegen auf eine Verkostung verzichtet hat; vielmehr trägt der Verkäufer dann die Verschlechterungsgefahr bis zur tatsächlichen Durchführung der degustatio („quoad degustaverit, periculum acoris et mucoris ad venditorem pertinebit") 159 . Der Käufer hatte also beim Verkauf „ab Hof' grundsätzlich ein Degustationsrecht 160. Damit war es allerdings ins Belieben des Käufers gestellt, wann er die Perfektion des Vertrages und damit den Gefahrübergang herbeiführte 161 . In der Regel wird deshalb der Verkäufer im eigenen Interesse darauf

153 154 155

3.

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Pennitz, TR 62 (1994) 285 ff., insb. Fn. 147 u. 151. In Abgrenzung zum Kauf aus konkretem Vorrat; siehe oben § 2, II, 2. In Abgrenzung zum Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram; siehe oben § 2, II,

Pennitz, TR 62(1994) 286. So beim Kauf großer Mengen minderwertigen Weins, der als Getränk ftir die Sklavenschaft (vinum familiae) aufbereitet wurde; siehe dazu Zimmermann, The Law of Obligations, S. 286; Harder , in: Festschrift Bärmann, S. 28, m.w.N. 158 Pennitz, TR 62 (1994) 286; anders Harder, in: Festschrift Bärmann, S. 28; Frier, ZSS 100 (1983) 280 f. 159 Siehe dazu Pennitz, TR 62 (1994) 286 f. 160 Zu der Frage, ob sich die Annahme eines stillschweigenden Degustationsvorbehalts erst in der Spätklassik durchgesetzt hat oder bereits im hochklassischen Recht üblich war, siehe die Exegese von Gai. D. 18, 6, 16 bei Pennitz, TR 62 (1994) 288 ff. 161 Bzw. wann die Garantiepflicht des Verkäufers endet, siehe Pennitz, TR 62 (1994) 287. 157

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gedrängt haben, daß ein Tag zur Verkostung des Weins bestimmt wurde 162 . Darauf bezieht sich denn auch der letzte Satz der Ulpianstelle, wo die Vereinbarung eines Degustationstermins als eine „bessere vertragliche Kondition, die 163 der Käufer (dem Verkäufer) einräumt" bezeichnet wird („dies enim degustationi praestitutus meliorem condicionem emptoris facit."). Zusammenfassend läßt sich sagen: Der Weinkauf richtete sich grundsätzlich nach denselben Regeln wie der Kauf anderer Waren. Perfektion und Gefahrübergang traten beim Stückkauf (einzelne Fässer oder Amphoren) sofort mit Vertragsabschluß ein, beim Kauf aus konkretem Vorrat zum Zeitpunkt der Individualisierung der Ware und beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram mit der Zumessung 164 . Der Käufer hatte aber die Möglichkeit, sich die Verkostung des Weines vorzubehalten. Wenn die Parteien dafür keine bestimmte rechtliche Form (aufschiebende, auflösende Bedingung, Rücktrittsvorbehalt) gewählt hatten, so stellte der Degustationsvorbehalt ein Perfektionshindernis sui generis dar, mit der Folge, daß weder das spezifische Risiko von acor und mucor noch die Untergangsgefahr übergingen. Zumeist wurde ein Termin für die degustatio vereinbart. Wurde dieser nicht eingehalten, so mußte im Rahmen der formularen bona fides entschieden werden, ob dem Käufer seine Rechte aus dem Degustationsvorbehalt verloren gingen. Bei dem praktisch besonders wichtigen Verkauf „ab H o f galt die degustatio im Sinne einer Verkehrsitte als stillschweigend verabredet; sie konnte aber ausdrücklich abbedungen werden (Weinkauf per aversionem). 6. Die publicatio der Kaufsache vor der Übergabe Das Hauptargument der Gegner von periculum emptoris war seit jeher Afr. D. 19, 2, 33 1 6 5 , eines der wenigen Fragmente, die im Zusammenhang mit der Frage des Gefahrübergangs die traditio und nicht die emptio perfecta erwähnen:

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So wie in dem oben besprochenen Fall von Ulp. D. 18, 6, 4 pr. geschehen. Pennitz, TR 62 (1994) 287. 164 Im letzten Fall wirkte eine noch ausstehende mensura aber nur dann perfektionshindernd, wenn man der cassianischen Quasi-Bedingungslehre (Gai. D. 18, 1, 35, 5; siehe oben § 2, II, 3) folgte. Bis zur Spätklassik hatte sich aber bereits der prokulianische Standpunkt, nämlich sofortige Perfektion, durchgesetzt, so daß dem Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram hinsichtlich der Gefahrtragung keine Sonderstellung mehr zukam; siehe die Beweisführung bei Pennitz, TR 62 (1994) 265 ff, 274 ff., insb. 277 ff. 165 Schon Cuiacius, der erste Kritiker der Regel periculum est emptoris, nahm dieses Fragment zum Ausgangspunkt seiner Argumentation; siehe unten § 5, II, 2. 163

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§ 2 Das klassische römische Recht

„Si fundus quem mihi locaveris publicatus sit, teneri te actione ex conducto, ut mihi frui liceat, quamvis per te non stet, quo minus id praestes: quemadmodum, inquit, si insulam aedificandam locasses et solum corruisset, nihilo minus teneberis. nam et si vendideris mihi fundum isque priusquam vacuus traderetur publicatus fuerit, tenearis ex empto: quod hactenus verum erit, ut pretium restituas, non ut etiam id praestes, si quid pluris mea intersit eum vacuum mihi tradì." Der Verkäufer hat den Kaufpreis zurückzuerstatten („pretium restituas"), wenn das verkaufte Grundstück noch vor der Übergabe („priusquam ... traderetur") durch staatlichen Zugriff entzogen wird („publicatus fuerit"). Somit muß, argumentieren die Verfechter des periculum venditoris 166 , die Preisgefahr bis zur traditio beim Verkäufer gelegen haben. Die Deutung des Fragments im Sinne einer Gefahrtragung des Verkäufers wurde indes mit den unterschiedlichsten Begründungen abgelehnt: Einige 167 setzen den Hebel bei dem „publicatus fuerit" an und messen der publicatio im vorliegenden Fall die Bedeutung einer strafrechtlichen Vermögenseinziehung bei 1 6 8 . Für diese von dem Verkäufer selbst veranlaßte. Konfiskation müsse er dann im Rahmen seiner Haftung für custodia 169 einstehen170. Andere 171 sehen in dem „publicare" eine Enteignung, also den zwangsweisen Verkauf des Grundstücks für öffentliche Zwecke, damit vis maior. Dann stellt sich aber die Frage, wie fr. 33 mit der Theorie des periculum emptoris vereinbar ist. Nach Ankum 1 7 2 , der die Enteignung im römischen Recht für juristisch unzulässig hält, handelt es sich um einen „formell freien, faktisch durch die Machtlage der kaufenden Obrigkeit diktierten Kauf' 1 7 3 . Diese Ambivalenz der publicatio habe Anlaß gegeben zu einer in fr. 33 dokumentierten Kontroverse zwischen Julian 174 und seinem Schüler Afrikan: Während Julian - dogmatisch 166 Haymann, ZSS 41 (1920) 63 ff.; idem , ZSS 48 (1928) 406 ff.; Betti, , in: Festschrift De Francisci, S. 172 ff.; idem, ZSS 82 (1965) 6 f. - Vom Standpunkt dieser Lehre aus, die periculum emptoris für ein Werk der Byzantiner hält, mußte der kurze kaufrechtliche Exkurs inmitten des Mietrechts natürlich als ein von den Kompilatoren übersehenes Bruchstück des klassischen Rechts erscheinen. 167 Appleton, RH 5 (1926) 405; Krückmann, ZSS 60 (1940) 77. 168 Dazu ausführlich Ankum, ZSS 97 (1980) 165 ff.; Wacke, in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 15, S. 466 ff. m.w.N. 169 Siehe unten § 2, III. 170 Gegen diese These spricht, daß der Ausgangsfall von fr. 33 ein Vertretenmüssen ausdrücklich ausschließt: „... quamvis per te non stet, quo minus id praestes ...". 171 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 221; Hoetink, Periculum est emptoris, S. 104 ff.; Käser, ZSS 74 (1957) 178. 172 ZSS 97(1980) 169 ff. 173 ZSS 97 (1980) 175; vgl. auch Käser, RP I, S. 405, der allgemein den Usus eines regulären Kaufs unter politischem Druck konstatiert. 174 Mit dem „inquit" läßt Afrikan seinen Lehrer Julian zu Wort kommen, auf dessen Digesten die quaestiones Afrikans sich durchweg beziehen; vgl. Ernst, Gefahrtragung, S. 8.

II. Emptio perfecta

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einwandfrei - den Verkäufer wegen des aus rechtlicher Sicht freiwilligen Verkaufs auf das Interesse haften lasse 175 , beschränke Afrikan - realitätsnäher - die Haftung auf bloße Rückzahlung des Kaufpreises 176. Ernst 177 geht zwar auch von divergierenden Auffassungen der beiden Juristen aus, jedoch habe Julian die publicatio generell für einen Fall von casus minor gehalten (daher die Haftung auf das volle Interesse); Afrikan, der sie der vis maior zuordne, habe, um sich nicht zu weit von seinem Lehrer zu entfernen, zu einer Kompromißlösung gegriffen und anstelle eines konsequenten periculum emptoris die Rückzahlung des Kaufpreises angeordnet. Während Rabel 178 , getreu seinem kasuistischen Ansatz, in dem Fragment eine Einzelfallentscheidung erblickt, interpretieren schließlich Honseil und Pennitz die Stelle als Ausnahmeregel zum allgemeinen periculum emptoris für den speziellen Fall des Sachentzugs durch staatlichen Hoheitsakt 179 . Auffällig ist, daß die vielfältigen Versuche, die Afrikanstelle der Theorie eines allgemeinen periculum venditoris zu entziehen, ausnahmslos bei der publicatio ansetzen, dem Wort „vacuus" hingegen keinerlei Aufmerksamkeit schenken. Dabei sticht es durch die Satzstellung in „priusquam vacuus traderetur" und die Wiederholung in „eum vacuum mihi tradi" besonders hervor 180 . Dadurch erhält der Fall seine entscheidende Wendung: Es geht um die Übertragung der vacua possessio. Es kam zur publicatio, noch bevor der Verkäufer überhaupt in der Lage war, freien Besitz zu leisten, wahrscheinlich weil ein Dritter im Besitz des Grundstücks war 1 8 1 . Zwar war der Verkäufer nach römi-

175 „... teneri te actione ex conducto, ut mihi frui liceat..." für den Fall der Miete und „... si quid pluris mea intersit eum vacuum mihi tradi." für den Fall des Kaufs. 176 ,,[Q]uod hactenus verum erit, ut pretium restituas ..." 177 Gefahrtragung, S. 7 ff. 178 ZSS 42 (1921) 555 f.; idem, Warenkauf II, S. 306; scheinbar zustimmend Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310, siehe aber auch S. 310, Fn. 50. 179 Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310; Pennitz, Der „Enteignungsfall", S. 230, der die Ratio der Ausnahmeregel darin sieht, daß der Verkäufer nicht zusätzlich zu dem für die Enteigung amtlicherseits ausbezahlten Schätzwert auch noch den Kaufpreis bekommen soll. Für eine Spezialregel auch Siber, Römisches Recht II, S. 197. Honseil hält es darüber hinaus für möglich, daß hinsichtlich der Gefahrtragung allgemein zwischen Rechtsentzug und Sachuntergang unterschieden wurde; siehe Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310, Fn. 50; Honseil, Quod interest, S. 175; so auch Molnàr , in: Festschrift Guarino, S. 2252 ff. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da in fr. 33 ja gerade ein Fall des Sachuntergangs („... si insulam aedificandam locasses et solum corruisset...") dem „fundum publicari" gleichgestellt wird. 180 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 226; Krückmann, ZSS 60 (1940) 75; wäre das „vacuus" bedeutungslos, hätte es in fr. 33 schlichtweg „priusquam traderetur" heißen müssen. 181 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 226 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 288; Käser, ZSS 74 (1957) 181; Benöhr, Synallagma, S. 87; Wacke, in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 15, S. 484.

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§ 2 Das klassische römische Recht

schem Kaufrecht nicht zur Verschaffung des Eigentums verpflichtet, weshalb ein Rechtsmangel der Perfektion des Kaufs nicht entgegenstand. Der Käufer konnte den Kaufpreis nicht verweigern, solange die Kaufsache nicht evinziert war 1 8 2 . Wohl aber mußte der Verkäufer dem Käufer vacuam possessionem an der Kaufsache einräumen 183 . Genau das war dem Verkäufer in fr. 33 nicht möglich 184 . Solange aber der Verkäufer seine Pflicht aus dem Kaufvertrag nicht erfüllen konnte, durfte er auch nicht den Kaufpreis verlangen. Hatte der Käufer bereits gezahlt, konnte er den Kaufpreis mit der actio empti zurückfordern 185. Die Preisgefahr lag somit beim Verkäufer, im Ergebnis also eine Situation, wie beim noch nicht perfekten Kauf 1 8 6 . Dogmatische Unterstützung erfährt diese Auslegung des Afrikantexts durch eine Parallele bei der Sachmängelhaftung nach dem ädilizischen Edikt 1 8 7 . Besteht bei Vertragsschluß ein die ädilizische Haftung auslösender Sachmangel, so kann der Verkäufer den Kaufpreis nicht 188

verlangen

189

und die Preisgefahr bleibt bei ihm

182 Zur Eviktionshaftung siehe Käser, RP I, S. 553 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 293 ff. 183 Zu den Pflichten des Verkäufers siehe Käser, RP I, S. 550 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 278 ff. 184 Dagegen konnte in Paul. D. 21,2, 11 pr. der Verkäufer zunächst dem Käufer vacuam possessionem an den berühmten „praedia in Germania" einräumen. Nach der traditio wurden die Grundstücke durch die öffentliche Hand entzogen. Daß der Käufer trotzdem zahlen muß, hat aber nichts mit der traditio zu tun - sie wird nicht einmal erwähnt -, sondern beruht auf dem Umstand, daß die emptio aufgrund der ursprünglichen Leistungsfähigkeit des Verkäufers von Anfang an perfecta war, der Käufer von da an schon die Gefahr trug. Vgl. Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 231 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 288 f.; Benöhr, Synallagma, S. 88; anders Betti , in: Festschrift De Francisci, S. 183 f.; noch anders Meylan, RIDA 3 (1949) 197 ff.; wieder anders Ankum, ZSS 97(1980) 167 ff. 185 Käser, ZSS 74(1957) 181. 186 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 228 ff; so auch Zimmermann, The Law of Obligations, S. 288; Käser, ZSS 74 (1957) 181; Benöhr, Synallagma, S. 87; Wache, in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 15, S. 484. 187 Zu den ädilizischen Rechtsbehelfen siehe Käser, RP I, S. 558 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 311 ff. 188 Ulp. D. 21, 1,59 pr. 189 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 237 ff; Weyand, TR 51 (1983) 248 f. -Hier zeigt sich besonders deutlich die innere Verbundenheit der Haftungs- und der Gefahrtragungsregeln: Die Entscheidung, ob ein Haftungs- oder ein Gefahrtragungsfall vorliegt, muß notwendigerweise denselben Stichtag haben. Im römischen Recht ist das der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Der Verkäufer haftet nur fur Schäden, die bei Vertragsschluß vorhanden sind. Eine Fortschreibung der ädilizischen Garantiehaftung über diesen Zeitpunkt hinaus würde in Konflikt mit der Verschlechterungsgefahr des Käufers kommen. Der innere Zusammenhang zwischen Haftung und Gefahrtragung manifestiert sich aber auch in einem System, daß die Übergabe als den maßgeblichen Zeitpunkt definiert, vgl. § 459 Abs. 1, Satz 1 BGB: „Der Verkäufer einer Sache haftet dem Käufer dafür, daß sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist...".

III. Die Haftung des Verkäufers für custodia

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Also gilt: Wenn der Verkäufer bei Vertragsschluß die vertragsmäßig geschuldete Leistung nicht erbringen kann, geht die Gefahr nicht auf den Käufer über.

I I I . Die Haftung des Verkäufers für custodia Während periculum emptoris durch das Konzept der emptio perfecta in zeitlicher Hinsicht beschränkt wird, kommt es durch die custodia-Haflung des Verkäufers auch zu einer materiellen Begrenzung des Käuferrisikos. Je strenger nämlich eine Rechtsordnung die Verkäuferhaftung ausgestaltet, desto kleiner wird der Gefahrtragungsbereich. Um die Balance von Käufer- und Verkäuferinteresse in der Struktur der emptio venditio zu wahren, setzte das klassische Recht dem Risiko des Käufers die strikte custodia-Haflung des Verkäufers als Gegengewicht entgegen. Zunächst ist zu klären, was unter custodia überhaupt zu verstehen ist. Zur Frage der Rechtsnatur der custodia gab und gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Auffassungen: Die Ära der Begriffsjurisprudenz 190 im 19. Jahrhundert hat das Verständnis der custodia für lange Zeit entscheidend geprägt. Man erhob - verhaftet in der systematisch-konstruktiven Denkweise - die custodia in den Juristischen Begriffshimmel" 191 und erklärte sie als „custodia im technischen Sinne" 192 zu einem reinen Haftungsmaßstab 193. Demgegenüber legt ein Teil der neueren Literatur 194 den Terminus wörtlich aus und erblickt darin

190

Siehe dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 348 ff.; Coing , EuPR II, S. 39 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 127 ff. 191 So kritisiert der bekehrte Jhering die Realitätsferne der Begriffsjurisprudenz; Jhering, Scherz und Ernst, S. 337 f. 192 Heumann/Seckel, Handlexikon, S. 116. 193 Hasse, Culpa, S. 281 ff.; Baron, AcP 78 (1892) 203 ff.; Heumann/Seckel, Handlexikon, S. 116 ff.; selbst Kunkel, ZSS 45 (1925) 266 ff., insb. 268, stellt die custodia noch ohne weiteres in eine Reihe mit den Haftungsmaßstäben diligentia, culpa, neglegentia. 194 Cannata , Responsabilità contrattuale, S. 39 ff., insb. S. 128: ,„Custodiam praestare4 non esprime un criterio di responsabilità, ma un'obbligazione contrattuale ..."; MacCormack, ZSS 89 (1972) 149 ff., insb. S. 155: „Custodiam praestare means not ,to be liable for custodia4 but ,to show, furnish custodia4 44; siehe auch MacCormack , Index 22 (1994) 189 ff.; Van den Bergh, TR 43 (1975) 59 ff., insb. S. 67: „As a matter of fact custodia could never develop into such a general, abstract category ... [i.e. category of liability] ... because its literal meaning (guard, watch, care, trust) remained too prominent ...44; Van den Bergh , in: Festschrift Sanfilippo, S. 601 ff.; Kaser, ZSS 96 (1979) 99 f.

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§ 2 Das klassische römische Recht

den Inhalt einer Obligation, nämlich eine Bewachungspflicht. Die h.M. 1 9 5 sucht die Wahrheit in der Mitte: Mit größter Wahrscheinlichkeit ist die custodiaHaftung aus einer ursprünglich zu vereinbarenden, später stillschweigend übernommenen Bewachungspflicht entstanden und hat sich in klassischer Zeit zu einer Garantiehaftung für einen bestimmten Bewachungserfolg entwickelt; dadurch erhielt sie - gleichsam als Reflex dieser Leistungspflicht - im Ergebnis die Funktion eines Haftungsmaßstabes. Mit der Kontroverse über die dogmatische Natur der custodia-Haftung eng verflochten ist die Frage, ob es sich um Verschuldens- oder Zufallshaftung handelt. Die durch Liberalismus und Individualismus fest im Verschuldensprinzip verwurzelte Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts 196 interpretierte custodia im Sinne einer - wenn auch strengen - Haftung für subjektives Verschulden 197 . Als Gegenreaktion darauf wurde zunächst eine an objektiven Umständen anknüpfende Zufallshaftung vertreten 198 . Diejenigen, die in der custodia eine selbständige Obligation sehen, wehren sich gegen beide Positionen: Im Falle der Nichterfüllung der Bewachungspflicht greife nicht ein einheitlicher Haftungsmaßstab; ein Maßstab sei vielmehr anhand von Utilitätsgesichtspunkten für jeden Vertragstyp gesondert zu ermitteln und variiere dementsprechend 199

200

von verschiedenen Verschuldensgraden bis zur Zufallshaftung . Die h.M. hat wiederum einen Mittelweg beschritten: Danach entwickelte die custodia auf dem Weg von der ursprünglichen Haftung für schuldhafte Verletzung der Bewachungspflicht zur Garantiehaftung typische haftungsauslösende Tatbestandsmerkmale. Es kam also im Laufe der Zeit zu einer Typisierung des Verschuldens und zwar in der Form, daß sich die Haftung auf den objektiven Ablauf von Ereignissen gründete, die in der Regel auf ein schuldhaftes Verhalten des Custodiapflichtigen zurückzuführen sind, mit der Folge, daß im Einzelfall auch bei subjektiv schuldlosem Verhalten eine Einstandspflicht bestehen 195 Metro, L'obbligazione di custodire, S. 96 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 194; Kaser , RP I, S. 507; Kunkel/Honsell , Römisches Recht, S. 234. 196 Siehe nur Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, passim. - Das Verschuldensprinzip wurde natürlich schon sehr viel früher zum beherrschenden Element des Haftungsrechts; dazu unten § 3, II, 1. Für die moderne Romanistik ist allerdings die Diskussion im 19. Jahrhundert besonders wichtig, da sie von dort eine Vielzahl von Anregungen bekam. 197 Hasse, Culpa, S. 281 ff; für Verschuldenshaftung auch noch viel später Krückmann, ZSS 63 (1943) 48 ff.; idem, ZSS 64 (1944) 1 ff. 198 Entwickelt von Baron, AcP 78 (1892) 203 ff.; etabliert durch Heumann/Seckel, Handbuch, S. 116 ff.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 266 ff. 199 MacCormack, ZSS 89 (1972) 155, 159 ff.; Van den Bergh, TR 43 (1975) 71 f.; idem, in: Festschrift Sanfilippo, S. 610. 200 Zum folgenden siehe Schulz, CRL, S. 515; Kaser, RP I, S. 507; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 234; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 194; Doli, Vis maior, S. 49 ff.; Hoffmann-Riem, ZSS 86 (1969) 395.

III. Die Haftung des Verkäufers für custodia

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konnte. Gleichzeitig machten bestimmte, regelmäßig nicht berechenbare Geschehensabläufe die Garantieverletzung zu einer typischerweise schuldlosen. Durch diese beiden Typisierungsprozesse entstanden die Bereiche von casus minor einerseits und vis maior andererseits. Die Abgrenzung wurde natürlich nicht abstrakt getroffen, sondern entwickelte sich kasuistisch: Der Hauptfall einer typischerweise zu vertretenden Garantieverletzung war ursprünglich der Diebstahl der Sache201. Dem Diebstahl wurde die Flucht des bewachungsbedürftigen Sklaven gleichgestellt 202 . In klassischer Zeit wurde die Haftung noch auf Sachbeschädigungen durch Dritte ausgedehnt203. Dagegen wurden als nicht beherrschbare Fälle höherer Gewalt qualifiziert: Feuer, Überschwemmung, Einsturz eines Gebäudes, Schiffbruch, Aufruhr, Plünderung durch Feinde oder Räuberbanden, aber auch innere Gründe wie der natürliche Tod eines Sklaven oder eines Tieres 204 . Bei allen Vertragstypen, für die eine custodia-Haftung besteht 205 , rechtfertigt sich die strenge Haftung aus dem Gesichtspunkt der Gefahrenbeherrschung 206. Dazu tritt regelmäßig der Utilitätsgedanke 207 , da der Schuldner zum eigenen 208

Vorteil im Besitz einer fremden Sache ist . Dieser zweite Aspekt kommt aber bei der emptio venditio nicht zum tragen. Der Umstand, daß der Verkäufer nicht eine fremde, sondern eine eigene Sache im Besitz hat und daraus auch keinen Vorteil zieht, mag der Grund sein, warum die custodia-Haftung des Verkäufers so heftig bestritten wurde 209 . Indes sprechen die Quellen für custodia 2 1 0 . Nach Paul. D. 18, 6, 3 haftet der Verkäufer für custodia und zwar wie ein Entleiher: 201

Gai. Inst. 3, 205 ff. Ulp. D. 13, 6, 5, 6. 203 Dies war bei den Klassikern umstritten: Für custodia-Haftung in Sonderfallen war Marcellus, dem sich Ulpian anschließt (Ulp. D. 19, 2, 41), gegen custodia-Haftung war Julian (Ulp. D. 19, 2, 41; lui. D. 13, 6, 19). 204 Gai. D. 13, 6, 18 pr.; Gai. D. 44, 7, 1, 4; Ulp. D. 50, 17, 23; Inst. 3, 14, 2; siehe dazu Mayer-Maly, in: Festschrift Steinwenter, S. 58 ff.; Molnâr , Iura 32 (1981) 73 ff.; Ernst, Index 22 (1994) 293 ff.; Doli, Vis maior, S. 1 ff. 205 Für custodia haften: Der Entleiher (Gai. Inst. 3, 206), der eigennützige inspector (Ulp. D. 13, 6, 10, 1), der Sachmieter (Inst. 3, 24, 5), der Speichervermieter (Lab. D. 19, 2, 60,9), gewisse Werkunternehmer (Gai. Inst. 3, 205 f.; Ulp. D. 47, 2, 14, 17), der nauta, caupo, stabularius (Gai. D. 4, 9, 5 pr.; Ulp. D. 47, 5, 1, 4), der Besitzpfandgläubiger (Ulp. D. 13, 7, 13, 1), der Gesellschafter (Ulp. D. 17, 2, 52, 2 f.), der Nießbraucher (Paul. D. 7, 9, 2), der Verkäufer (Ner. D. 19, 1,31 pr.; lui. D. 47, 2, 14pr. u. 1; etc.). 206 Hoffmann-Riem, ZSS 86 (1969) 395. 207 Siehe dazu Nörr, ZSS 73 (1956) 70 ff.; Wieacker, ZSS 54 (1934) 35 ff, insb. 60 ff. 208 Käser, RP I, S. 506; Kunkel/H'onsell, Römisches Recht, S. 233. 209 Zum Streitstand sogleich. 210 Gai. D. 18,6,2, 1; Paul. D. 18, 6, 3; Ulp. D. 18, 6, 4, 1; Ner. D. 19, 1, 31 pr.; Paul. D. 19, 1, 36; Paul. D. 39, 2, 38 pr.; Ulp. D. 47, 2, 14 pr.; siehe dazu Heu202

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§ 2 Das klassische römische Recht

„Custodiam autem venditor talem praestare debet, quam praestant hi quibus res commodata est, [ut diligentiam praestet exactiorem, quam in suis rebus adhiberet 211 .]" Die strenge Haftung des Verkäufers fur eine eigene Sache und die Analogie zum Kommodatar ist auf den ersten Blick verblüffend. Der Hintergrund ist, daß das frühe römische Recht noch nicht konsequent zwischen obligatorischem Kaufgeschäft und dinglicher Übereignung unterschieden hat 212 . Eine solche Unterscheidung war beim frühen Barkauf nicht nötig, denn der Käufer wurde sofort Eigentümer. Die Vorstellung von dem unmittelbaren Vollzug des Geschäfts wirkte noch im klassischen Verpflichtungskauf bei der Gestaltung der Verkäuferhaftung fort 2 1 3 : Ab Vertragsabschluß war die Kaufsache wirtschaftlich dem Vermögen des Käufers zugeordnet, sie galt inter partes als eine Sache des Käufers 214 , so daß der Verkäufer tatsächlich eine - untechnisch gesprochen - fremde Sache besaß und dementsprechend bezüglich seiner Haftung wie ein Entleiher behandelt werden konnte. Die weitere Frage, welchen Vorteil der Verkäufer wohl aus dem Besitz der Sache ziehe, erübrigt sich, denn die Rechtfertigung für die custodia-Haftung des Verkäufers ergibt sich nicht aus dem Utilitätsgedanken. Vielmehr besteht die custodia-Haftung im Interesse des inneren Gleichgewichts des kaufrechtli215

chen Regelungsgefüges . Dies ergibt sich deutlich aus Ulp. D. 47, 2, 14 pr.: ,,[E]t sane periculum rei ad emptorem pertinet, dummodo216 custodiam venditor ante traditionem praestet." Die Gegenüberstellung und Verknüpfung von periculum emptoris und custodia in dem Fragment zeigt, daß die custodia-Haftung als notwendiges Gegengewicht zu der den Käufer stark belastenden Gefahrtragungsregel angesehen wurde.

mann/Seckel, Handlexikon, S. 117 f.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 268 ff.; Käser, RPI, S. 508, Fn. 39; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 235, Fn. 31; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 287; Arangio-Ruiz, Responsabilità contrattuale, S. 147 ff.; Thielmann, ZSS 106 (1989) 294 ff. 211 Dieses Textstück ist interpoliert; die ursprüngliche strenge custodia-Haftung wurde durch die Kompilatoren in eine Verschuldenshaftung umgewandelt; siehe dazu unten §3,11,1. 212 Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 235. 213 Harder, in: Festschrift Käser, S. 352 f.; Käser, RP I, S. 547. 214 Siehe unten § 2, V u. VI. 215 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 149; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310; Schulz, CLR, S. 533; Thielmann, ZSS 106 (1989) 294. 216 Bei dem Wort „dummodo" handelt es sich wahrscheinlich um ein Abschreibeversehen; ursprünglich stand wohl „dum", denn zwischen custodia-Haftung und periculum emptoris besteht ja kein kausaler Zusammenhang, beide Konzepte stehen vielmehr nebeneinander und ergänzen sich. Siehe dazu Käser, ZSS 96 (1979) 121 f.

III. Die Haftung des Verkäufers f r custodia

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Konsequenterweise wandten sich die Gegner der Lehre vom periculum emptoris auch gegen die custodia-Haftung. So kommt Haymann 217 in seiner Textkritik zu dem Ergebnis einer reinen dolus-Haftung des Verkäufers; die wiederholte Erwähnung der custodia in den Quellen gehe auf die Byzantiner zurück. Aber sollten ausgerechnet die Kompilatoren die Figur der custodia, die sie ansonsten zu beseitigen trachteten 218 , in das Kaufrecht eingearbeitet haben? 219

Auch Betti verneint einen inneren Zusammenhang zwischen custodiaHaftung und periculum emptoris, indem er mit Gai. D. 18, 1,35,4 und Inst. 3, 23, 3a argumentiert, daß für custodia-Haftung immer eine besondere Abrede erforderlich war, custodia also die Ausnahme war. Diese Stellen sind jedoch interpoliert und dokumentieren die Bemühungen der Kompilatoren, die klassische custodia auch aus dem Kaufrecht zu tilgen 220 . Den Verkäufer trifft also hinsichtlich der verkauften Sache über die Haftung für dolus und culpa hinaus 221 eine Garantiehaftung mit typisiertem Verschulden. Er muß für casus minor, nicht aber für vis maior einstehen. Das periculum emptoris wird deshalb auch periculum vis maioris 222 genannt. Kommt es zu einem vom Verkäufer zu vertretenden Schadensfall, werden der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz und der Kaufpreisanspruch des Verkäufers, soweit sie sich decken, saldiert 223 . Im Ergebnis wird dadurch das Käuferrisiko stark beschränkt.

217

ZSS 40(1919) 254 ff. Käser, RP II, S. 352 ff., und unten § 3, II, 1. 219 In: Festschrift De Francisci, S. 138 ff; gegen custodia auch Rosenthal, ZSS 68 (1951) 243 f.; noch anders Sargenti , SDHI 20 (1954) 200 ff. u. 241 f., der eine Haftung nur für positives Tun vertritt. 220 Siehe unten § 3, II, 2. 221 Nach Käser, RP I, S. 509 ff, bildete die dolus-Haftung den Ausgangspunkt; daneben entwickelten die jüngeren Klassiker eine Haftung auch für culpa. - Für eine Haftung des Verkäufers für dolus, culpa, diligentia und custodia ist Pflüger, ZSS 65 (1947) 205. - Nach Kunkel, ZSS 45 (1925) 266 ff., ist die diligentia-Haftung unklassisch, der Verkäufer haftet nur für dolus, culpa und custodia. - Jedenfalls aber schließt die custodia-Haftung dolus und culpa mit ein; vgl. Käser, RP I, S. 511. 222 C. 4, 65, 1 = Coli. 10, 9, 1 (in: FIRA II, S. 570), allerdings für die locatio conducilo. 223 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 287; Käser, RP I, S. 644 f.; Harder , in: Festschrift Käser, S. 353; anders Thielmann, ZSS 106 (1989) 309 ff., nach dem culpa oder custodia-Verletzung des Verkäufers auch fiir die Preisgefahr Konsequenzen haben soll, dergestalt daß der Verkäufer in diesen Fällen den Kaufpreisanspruch verliert. Thielmann vertritt also ein periculum vis maioris im strengen Wortsinne. Wenn demnach der Käufer die Preisgefahr nur bei höherer Gewalt tragen soll, bleibt konsequenterweise kein Raum für eine Saldierung von Ansprüchen. 218

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§ 2 Das klassische römische Recht

IV. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug Die Verzugsregeln liefern nun die Gegenprobe für das bislang gefundene Ergebnis, denn der Verzug des Verkäufers einerseits kann nicht ohne Einfluß auf die Regel periculum emptoris gewesen sein, der Annahmeverzug des Käufers andererseits muß sich auf die custodia-Haftung des Verkäufers ausgewirkt haben. Für den Leistungsverzug bringt C. 4, 48, 4 die Rechtslage deutlich zum Ausdruck: „Cum inter emptorem et venditorem [contractu sine scriptis initio 224 ] de pretio convenit moraque venditoris in traditione non intercessit, periculo emptoris rem distractam esse in dubium non venit." 225 Der Verzug des Verkäufers erweist sich als Ausnahmetatbestand zu der Regel periculum est emptoris und bestätigt so deren allgemeine Geltung. Hätte nämlich ein periculum venditoris gegolten, wäre der Leistungsverzug für die Gefahrtragung irrelevant und hätte als nicht rechtserheblich unerwähnt bleiben müssen. C. 4, 48, 4 2 2 6 ist damit nur vor dem Hintergrund der Käufergefahr verständlich und bietet so auch die einzig sachgemäße Lösung: Rückfall der Gefahr auf den Verkäufer 227 . Beim Annahmeverzug des Käufers dagegen ist die Quellenlage mehrdeutig. Insbesondere der kompromißlose Ädil in Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 pr. hat Generationen von Juristen zu vielfältigen Deutungsversuchen inspiriert: fr. 13: „Lectos emptos aedilis, cum in via publica positi essent, concidit: si traditi essent emptori aut per eum stetisset quo minus traderentur, emptoris periculum esse placet." fr. 15 pr.: „Quod si neque traditi essent neque emptor in mora fuisset quo minus traderentur, venditoris periculum erit."

224

Die Unterscheidung zwischen schriftlichem und formlosem Kauf ist justinianisch; zu der Interpolation siehe Haymann, ZSS 41 (1920) 145, Fn. 1; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927)259, Fn. 1. 225 Vgl. auch das fast identische Reskript C. 4, 48, 6: „... etiam ante traditionem sine mora venditoris dilatam...". 226 Und natürlich auch C. 4, 48, 6. 227 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 258 ff.; demgegenüber zieht sich Haymann, ZSS 41 (1920) 145 ff., für C. 4, 48, 4 u. 6 auf Interpolationsbehauptungen zurück und vermutet hinter den Reskripten das genaue Gegenteil ihrer Aussage, nämlich Annahmeverzug des Käufers.

IV. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug

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Der Ädil hat die vom Verkäufer auf eine öffentliche Straße hinausgestellten Betten zerschlagen lassen228. Geschah das nach traditio oder hat der Käufer der Betten durch Annahmeverzug die traditio verhindert, trägt dieser das periculum. Dagegen trifft es vor traditio und ohne Käuferverzug den Verkäufer. Die Entscheidung erscheint auf den ersten Blick beispielhaft für ein System, in dem der Gefahrübergang auf den Zeitpunkt der Übergabe gelegt wird. Konsequenterweise käme dann dem Annahmeverzug die gleiche Wirkung wie der traditio 229

zu . In diesem Sinne verstanden, wurde das Fragment natürlich als Eckpfeiler für die Lehre vom periculum venditoris verwendet 230 . Bei näherer Betrachtung der Geschichte des Fragments erweist es sich indes als brüchiges Baumaterial. Der Fall stammt nämlich nicht von Paulus selbst. Vielmehr epitomiert Paulus in D. 18, 6, 13 u. 15 pr. aus den Digesten des Alfenus Varus, der wiederum wahrscheinlich ein Responsum seines Lehrers Servius Sulpicius mitteilt 231 . Somit steht das Fundament des Fragments auf dem Boden der späten Republik. Allenfalls hierauf könnte man ein periculum venditoris, vertreten von Servius und Alfenus, noch stützen, zumal die emptio venditio noch nicht die entwickelten klassischen Strukturen hatte und einzelne Juristen möglicherweise den Gefahrübergang an den handfesteren Zeitpunkt der Übergabe knüpften 232 . Der Spätklassiker Paulus freilich konnte den Fall nicht mehr in diesem Sinne ausgelegt haben, widerspräche er doch damit seiner eigenen periculum emptorisLehre in D. 18, 6, 8 pr. 2 3 3 . Da auch die Möglichkeit ausscheidet, daß Paulus eine periculum venditoris-Doktrin des Alfenus aus rein rechtshistorischen Gründen referierte und dabei völlig unkommentiert ließ, mußte der Fall in seinen Augen einer gänzlich anderen Deutung zugänglich sein 234 . Welcher Art diese

228 Zu den Aufgaben und Befugnissen des Ädils siehe Mommsen, Römisches Staatsrecht II, S. 486 ff., insb. S. 505 ff.; Thielmann, ZSS 106 (1989) 307 f.; Mayer-Maly, ZSS 74 (1957) 364 ff. 229 Vgl. z.B. § 324 Abs. 2 BGB. 230 Haymann, ZSS 41 (1920) 72 ff.; Betti, in: Festschrift De Francisci, S. 174 f.; auch Rabel, ZSS 42 (1921) 555 f., sieht hier einen Fall von periculum venditoris, will daraus aber kein Prinzip ableiten, sondern folgt nach wie vor seinem kasuistischen Ansatz. 231 Emst, Gefahrtragung, S. 19, Fn. 45; MacCormack, (1985) 101 LQR 573 f.; allgemein dazu siehe Dulckeit/Schwarz/Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, S. 172. 232 MacCormack, (1985) 101 LQR 574 ff.; Pernice, Labeo I, S. 463: „Und so haben wir denn auch auf der anderen Seite Andeutungen, daß ältere Juristen den Gedanken hatten, den Übergang der Gefahr auf den Augenblick der Tradition zu verschieben ..."; gegen periculum venditoris während der Republik: Watson, Law of Obligations, S. 68 f. 233 Siehe oben § 2, II. 234 MacCormack, (1985) 101 LQR 576 u. 582 f. 5 Bauer

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§ 2 Das klassische römische Recht

Interpretation gewesen sein könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander 235 : Eine lange Tradition hat die Lösung des Falls über den Genuskauf 236. Wenn die Betten bei dem Verkäufer aus einem größeren Vorrat auszuwählen wären, ließe sich die Verkäufergefahr dadurch erklären, daß bis zur Übergabe mangels Individualisierung der Ware der Kauf noch nicht perfekt war. Gegen diese Version spricht aber eindeutig der Wortlaut des Fragments: Der Ädil hat nicht irgendwelche Betten zerschlagen, sondern „lectos emptos", die bereits wirksam verkauften Betten 237 . Eine weitere Ansicht 238 versucht das allgemeine Prinzip periculum emptoris dadurch zu retten, daß sie - wie schon bei Afr. D. 19, 2, 33 - Eingriffe der Staatsgewalt zu Ausnahmetatbeständen erklärt, die nicht dem periculum emptoris unterfallen. Doch handelt es sich dabei gerade um Musterfälle von vis maior, da die Eingriffe von einer Macht ausgehen, „cui resisti non 239

potest" . Deshalb geht die h.M. davon aus, daß Paulus bei seiner Entscheidung nicht an dem hoheitlichen Handeln des Ädils anknüpft, sondern an dem vorausgegangenen Verhalten des Verkäufers 240 . So entpuppt sich der Paulustext als Entscheidung über die Haftung des Verkäufers fur das Hinausstellen der Betten 241 . Ob dies als custodia-Verletzung oder als Fall von culpa zu quali-

235 Dabei differenzieren die im folgenden dargestellten Ansichten zumeist nicht zwischen dem Verständnis des Alfenus und dem des Paulus, was mir aber nach den überzeugenden Ergebnissen der Exegese von MacCormack, (1985) 101 LQR 573 ff, gerade in Hinblick auf die Deutung des Fragments im Sinne von Verkäuferhaftung wichtig erscheint. 236 So schon die Glosse: Accursius kommentiert in gl. lectos emptos zu D. 18, 6, 13 „in genere"; in gl. venditoris zu D. 18, 6, 15 pr. erklärt er, daß beim Spezieskauf der Verkäufer aufgrund besonderer Abrede („pacto suscepit") die Gefahr trage, beim Genuskauf („in genere") ohnehin, da die Gattung nicht untergehe („genus non périt"); so auch Jhering, JhJb 4 (1861) 415 ff ; ähnlich Krückmann, ZSS 60 (1940) 65 ff., der allerdings einen Werklieferungsvertrag annimmt, woraus er für D. 18, 6, 15 pr. ebenfalls die Konsequenz mangelnder Perfektion zieht. 237 Thielmann,, ZSS 106 (1989) 303 f.; Pernice , Labeo I, S. 463, Fn. 28; Hoetink, Periculum est emptoris, S. 127; Sargenti , SDHI 20 (1954) 248. 238 Siber, Römisches Recht II, S. 197; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310, siehe aber auch Fn. 50 a.E.; Vogt, in: Festschrift Koschaker, S. 163 f.; für Afr. D. 19, 2, 33 siehe oben § 2, II, 6. 239 Vgl. Gai. D. 13, 6, 18 pr.; Gai. D. 44, 7, 1, 4. 240 Diese Interpretation geht auf Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 246 zurück. Die darauf aufbauende Literatur differenziert noch weiter; siehe dafür die folgende Fußnote. 241 Wenn man die Haftung des Verkäufers an dem Hinausstellen der Betten festmacht, spielt es keine Rolle mehr, ob der Ädil danach rechtswidrig oder rechtmäßig gehandelt hat; so Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 246; Benöhr, Synallagma, S. 89; anders Thielmann, ZSS 106 (1989) 306 ff., der eine Haftungsbefreiung im Falle rechtswidrigen Eingreifens annimmt.

IV. Die Auswirkungen von Leistungs- und Annahmeverzug

67

fizieren ist, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen242. Eine custodia-Haftung ist insofern problematisch, als wir nicht wissen, welchen Standpunkt Paulus zu der unter den Klassikern umstrittenen Frage der Einbeziehung von Sachbeschädigungen durch Dritte 243 in den Bereich der custodia eingenommen hat 244 . Mit großer Wahrscheinlichkeit stand er aber auf der Seite der Befürworter der custodia-Haftung 245 , zumal er fr. 15 pr. im unmittelbaren Zusammenhang mit dem darauffolgenden § 1 (Diebstahl des verkauften Bauholzes) bringt, also einem Musterfall für custodia-Haftung 246. Eine genaue Festlegung auf custodia oder culpa ist indes nicht notwendig, da es in den Paulusfragmenten nicht um den genauen Haftungsmaßstab, sondern um die Auswirkungen der traditio und des Annahmeverzugs auf die Haftung des Verkäufers geht. Mit der Übergabe der Kaufsache endet die vertragliche Verkäuferhaftung, durch den Annahmeverzug wird sie auf dolus beschränkt 247. Genau darauf zielt die Entscheidung des Paulus. Er behandelt in den Fragmenten 13 und 15 pr. nicht die Preisgefahr, sondern das periculum culpae sive custodiae248, also das Risiko des Wegfalls der strengen Verkäuferhaftung. Vor Übergabe und vor Beginn des Annahmeverzugs kann der Käufer bei Sachuntergang oder - Verschlechterung dem Kaufpreisanspruch des Verkäufers regelmäßig einen Schadensersatzanspruch entgegenhalten. Dies ist die Bedeutung von „venditoris periculum" in fr. 15 pr.. Der Anspruch des Käufers auf das Interesse scheidet nur im Falle von höherer Gewalt aus. Nach Eintritt des Annahme Verzugs jedoch verliert der Käufer seine Gegenforderung gegen den Kaufpreisanspruch des Verkäufers nicht nur bei vis maior, sondern auch schon bei casus minor und sogar bei Fahrlässigkeit des 242

Für custodia: Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 246 ff.; Schulz, GrünhZ 38 (1911) 39; Hoetink, Periculum est emptoris, S. 126 ff.; Benöhr, Synallagma, S. 88 f.; idem, WEX, S. 52 f.; Käser, RP I, S. 512 u. Fn. 77, S. 553, Fn. 73; idem, ZSS 96 (1979) 113; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310, Fn. 50 a.E.; Molnâr, in: Festschrift Guarino, S. 2254 f.; Ernst, Gefahrtragung, S. 20 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 289. Für culpa: Bechmann, Kauf nach gemeinem Recht I, S. 594, Fn. 3; Pflüger, ZSS 65 (1947) 506 f.; Arangio-Ruiz, Compravendita, S. 270; Mayer-Maly, ZSS 4 (1957) 365 f.; Thomas, RIDA 26(1979)421; MacCormack, (1985) 101 LQR 582 ff.; Thielmann, ZSS 106(1989) 304 ff. 243 Hier: der Ädil. 244 Thielmann, ZSS 106 (1989) 305 f.; zu dem Streit bezüglich Sachbeschädigung siehe oben § 2, III. 245 Schulz, GrünhZ 38 (1911) 9 ff; Ernst, Gefahrtragung, S. 21, Fn. 48. 246 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 247; Ernst, Gefahrtragung, S. 20 f. 247 Paul. D. 18,6,5; Pomp. D. 18,6, 18; siehe dazu Thielmann, ZSS 106 (1989) 313 f.; Ernst, Gefahrtragung, S. 22; Käser, RP I, S. 517. 248 Die Quellen verwenden den Begriff periculum nicht einheitlich. Er bezeichnet zwar zumeist die Preisgefahr wird zuweilen aber auch synonym für custodia-Haftung gebraucht, so z.B. ausdrücklich in Gai. D. 19, 2, 40 und Ulp. D. 47, 5, 1, 4 (periculum custodiae). Siehe dazu MacCormack, ZSS 96 (1979) 129 ff.; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 249 f.; Käser, ZSS 96 (1979) 111 ff 5*

68

§ 2 Das klassische römische Recht

Verkäufers. Dieses Risiko bezeichnet das „emptoris periculum" in fr. 13 249 . Traditio bzw. Annahmeverzug erweitern also mittelbar das schon seit Vertragsschluß bestehende periculum vis maioris um das periculum culpae sive custodiae, indem sie die Verkäuferhaftung auf dolus reduzieren. Im Ergebnis hält also das balancierte System von periculum emptoris und custodia-Haftung einer Gegenprobe durch die Regeln des Verkäufer- und Käuferverzugs stand: Der Leistungsverzug fuhrt zum Rückfall der Gefahr auf den Verkäufer, der Annahmeverzug beschränkt die mit dem periculum emptoris korrespondierende strenge Verkäuferhaftung auf dolus.

V. Commoda und incommoda Für eine genaue Positionsbestimmung des Konzepts „periculum est emptoris" im Regelungsgefüge des Kaufrechts ist ein Blick auf die mit der Kaufsache verbundenen Vorteile und die neben dem periculum bestehenden weiteren Nachteile unumgänglich. Das legt schon der Titel „De periculo et commodo rei venditae" von D. 18, 6 und C. 4, 48 nahe. Mit Sicherheit besteht ein innerer 250

Zusammenhang zwischen periculum und commoda die Natur dieser dogmatischen Verknüpfung. Käser

. Nicht so eindeutig ist

251

sieht die Vorteile der

249 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 246 ff.; MacCormack, (1985) 101 LQR 583; Ernst, Gefahrtragung, S. 20 f.; anders Thielmann, ZSS 106 (1989) 309 ff., der für D. 18, 6, 13 u. 15 pr. den Begriff periculum wörtlich im Sinne von Preisgefahr auslegt, mit der Folge, daß bei Sachuntergang vor traditio bzw. Annahmeverzug (fr. 15 pr.) der Verkäufer den Kaufpreisanspruch verliert, dagegen bei Untergang nach diesem Zeitpunkt (fr. 13) den Kaufpreis fordern kann. Thielmann streitet damit dem Käufer im Fall des fr. 15 pr. nicht generell seinen Schadensersatzanspruch aus custodia-Haftung ab. Dieser könne, wie nach § 325 Abs. 1, Satz 1 1. Alt. BGB, auf das Interesse klagen. Wahlweise könne er aber auch von dem Vertrag zurücktreten (vgl. § 325 Abs. 1, Satz 1 2. Alt. BGB) oder Abstand nehmen (vgl. § 325 Abs. 1, Satz 3 BGB), wobei der Verkäufer den Anspruch auf den Kaufpreis verliere. Allein die beiden letzteren Varianten seien in fr. 15 pr. angesprochen. 250 Das zeigt für das römische Recht der Passus „commodum eius esse debet, cuius periculum est" in Inst. 3, 23, 3 a; die Aussage ist in ihrem Inhalt klassisch, vgl. Paul. D. 18, 6, 7 pr. und C. 4, 49, 13. Dieser Grundsatz wurde auch in die regulae iuris antiqui aufgenommen (Paul. D. 50, 17, 10; dazu insb. Van den Bergh, in: Flores Legum H. J. Scheltema, S. 21 ff.). Zur Klassizität der Regel siehe Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 147 f.; Haymann, ZSS 40 (1919) 316; Rabel, ZSS 42 (1921) 550, 560. - Auch in den modernen Rechtsordnungen gehen Gefahr und Vorteile grundsätzlich Hand in Hand: Siehe z.B. für das deutsche Recht § 446 Abs. 1, Satz 1 u. 2 BGB und für das südafrikanische Recht die Darstellung unten § 6, VI. 251 RP I, S. 553 für die akzessorischen commoda; idem, ZSS 96 (1979) 117 f. u. 122 für das stellvertretende commodum; in diesem Sinne auch Krückmann, ZSS 60 (1940) 5 ff.

V. Commoda und incommoda

69

Kaufsache „als eine Art Risikoprämie" für die Gefahrtragung. Weyand 252 dagegen hält die Annahme eines Kausalzusammenhanges i.S.v. „Vorteile, weil Gefahr" für zu oberflächlich und fuhrt die parallele Zuweisung von commoda und incommoda auf eine gemeinsame Ursache, nämlich das wertzuweisende Kaufverständnis des römischen Kaufrechts, zurück. Das muß anhand der verschiedenen commoda und incommoda im einzelnen geprüft werden. Bei den commoda ist zu unterscheiden zwischen akzessorischen und stellvertretenden 253

commoda , also zwischen Vorteilen, die zu der Kaufsache hinzutreten, und solchen, die an deren Stelle treten. Die akzessorischen commoda unterteilen sich wiederum in Naturalfrüchte, Zivilfrüchte und die Sonderfälle der alluvio und der insula in flumine nata. Die Naturalfrüchte entspringen der Kaufsache unmittelbar, sind aber sachenrechtlich von ihr trennbar. Wenn also der Verkäufer trotz seiner Eigentümerstellung die Früchte nicht behalten darf, sie vielmehr ab emptio perfecta dem Käufer gewähren muß, so ist das ein deutlicher Hinweis auf den Vorrang der schuldrechtlichen Zurechnungswirkung der emptio venditio vor dem sachenrechtlichen Normalfall 254 . Diese Besonderheit des römischen Kaufverständnisses tritt besonders klar in einem Vergleich mit der Fruchtzuweisung bei der Stipulation hervor, Pomp. D. 19, 1, 3, l 2 5 5 : „Si emptor vacuam possessionem tradi stipulatus sit et ex stipulatu agat, fructus non venient in earn actionem, quia et qui fundum dari stipularetur, vacuam quoque possessionem tradi oportere stipulari intellegitur nec tarnen fructuum praestatio ea stipulatone continetur, neque rursus plus debet esse in stipulatione. sed ex empto superasse ad fructuum praestationem." Während eine Stipulation auf Verschaffung des freien Besitzes oder auf Übergabe eines fundus nicht die Früchte umfaßt, kann der Käufer diese ex 256

empto gleichwohl verlangen

. Diese unterschiedliche Behandlung von Stipu-

252 TR 51 (1983) 228 ff. für die akzessorischen commoda und die incommoda; zur Kritik an Käser siehe insb. S. 245, Fn. 108. 253 Diese Begriffe wurden geprägt von Mommsen, Commodum, S. 2. 254 Weyand, TR 51 (1983) 229 ff.; siehe auch Van den Bergh, in: Flores Legum H. J. Scheltema, S. 21 ff. 255 Vgl. auch die gleich strukturierte Stelle Paul. D. 22, 1, 38, 7 u. 8, in der die emptio venditio zu allen anderen Verschaffungsansprüchen in Kontrast gestellt wird. 256 Haymann, ZSS 40 (1919) 342, hält den Schlußsatz für unklassisch. Die Motivation für diese Interpolationsannahme ist klar: Da Haymann, ZSS 40 (1919) 302 ff, die Klassizität der Regel „Commodus eius esse debet, cuius periculum est" anerkennt, gleichzeitig aber periculum venditoris lehrt, können für ihn die Früchte erst ab traditio dem Käufer gebühren, ausnahmsweise schon vorher, wenn der Kaufpreis bereits bezahlt ist. Indes weisen die Quellen (Pap. Fr. Vat. 2; Paul. D. 18, 4, 21; Pap. D. 22, 1, 4, 1; C. 4, 49, 13 u. 16) dem Käufer die Früchte eindeutig schon ab emptio perfecta zu. Desweiteren läßt sich aus Pap. Fr. Vat. 15 („ante diem solvendi pretii") und P.S. 2, 17, 7 („si pretium numeratum sit") nicht ein grundsätzliches Erfordernis der Kaufpreiszahlung

70

§ 2 Das klassische römische Recht

lation und Kauf läßt sich nur dadurch erklären, daß ab emptio perfecta die Kaufsache - und dementsprechend auch deren unmittelbarer wirtschaftlicher Ertrag - inter partes bereits dem Käufervermögen zugerechnet wird 2 5 7 . Dagegen wird man bei den Zivilfrüchten nur sehr zurückhaltend Schlüsse auf ein wertzuweisendes Kaufverständnis ziehen können. Der Wert der Kaufsache spielt zwar für die Höhe des in Form von Zivilfrüchten erzielten Ertrags eine große Rolle, doch stammt der Ertrag nicht unmittelbar aus der Kaufsache, sondern wird erst durch eine rechtsgeschäftliche Tätigkeit des Verkäufers ver258

wirklicht . Das römische Recht bietet eine differenzierte Lösung: Einnahmen aus Miet- oder Pachtverhältnissen an der Kaufsache gebühren dem Verkäufer, wenn die entsprechenden Verträge schon vor Kaufabschluß bestanden259, dagegen fließen Einnahmen aus nach diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Verträgen dem Käufer zu 2 6 0 . Die insula in flumine nata ist als isoliertes Grundstück eines selbständigen sachenrechtlichen Schicksals fähig und ist gerade deswegen für das Kaufverständnis besonders aufschlußreich 261. Während sie normalerweise vom Eigentümer des nächstliegenden Ufergrundstücks erworben wird 2 6 2 , fällt sie ab emptio perfecta direkt dem Käufer des entsprechenden Ufergrundstücks zu, obwohl dieser noch nicht Eigentum erworben hat 263 . Im Gegensatz zur Flußinsel folgt die alluvio zwingend der sachenrechtlichen Zuordnung des durch die Anlandung begünstigten Grundstückes. Die Tatsache, daß die alluvio also nicht dauerhaft im Eigentum des Verkäufers verbleiben kann, sondern - dem Schicksal des Grundstücks folgend - schließlich dem Käufer zugute kommen muß 264 , ist

folgern; es ist damit lediglich das Retentionsrecht des Verkäufers im Rahmen des funktionellen Synallagmas angesprochen. Siehe dazu Weyand, TR 51 (1983) 232 ff. 257 Weyand, TR 51 (1983) 245 f. 258 Weyand, TR 51 (1983)237. 259 Das ergibt sich aus Ulp. D. 19, 1, 13, 11 („Si in locatis ager fuit..."); siehe dazu Weyand, TR 51 (1983)238. 260 Nach Ulp. D. 19, 1, 13, 13 stehen dem Käufer die Einnahmen aus der Vermietung von Sklaven (vgl. auch § 18 des Fragments), Lasttieren und Schiffen zu, darüber hinaus auch der Zuwachs des peculium eines Sklaven, sofern dieser Vorteil nicht aus dem Vermögen des Verkäufers zugeflossen ist. - Mommsen, Commodum, S. 132, sieht den Grund fiir die Zuweisung der Zivilfrüchte an den Käufer in einer negotiorum gestio des Verkäufers. Nach Weyand, TR 51 (1983) 238 f., handelt es sich um einen Anwendungsfall der formularen bona fides, da der Käufer aufgrund des durch den Kaufvertrag entstandenen Treueverhältnisses nicht mehr „... über den Kaufgegenstand in einer dem Vertragszweck zuwiderlaufenden Weise ... disponieren ..." darf. 261 Weyand, TR 51 (1983) 239 f., 243. 262 Käser, RP I, S. 428. 263 Argumentum e contrario aus Pomp. D. 41, 1, 30 pr.; dazu Weyand, TR 51 (1983) 243. 264 Paul. D. 18, 6, 7 pr.

V. Commoda und incommoda

71

zwar eine sachenrechtliche Notwendigkeit 265 ; damit ist aber noch nicht gesagt, wem dieser Vorteil auf der Ebene des Schuldrechts zukommen soll 2 6 6 . Die Antwort gibt Paul. D. 18, 6, 7 pr.: Der Grundstückskäufer muß das durch die Anlandung zu seinen Gunsten gestörte Äquivalenzverhältnis nicht durch Aufzahlung des Kaufpreises wiederherstellen, genausowenig wie er bei einer Abschwemmung Minderung geltend machen könnte. Die alluvio wird also nicht allein wegen ihrer sachenrechtlichen Untrennbarkeit mit dem verkauften Grundstück dem Käufer zugeschlagen, vielmehr wird sie schon durch die Kaufabrede inter partes in das Käufervermögen eingegliedert 267. Der Schuldner erhält bei Verlust oder Beschädigung der Kaufsache in der Regel eine Reihe von Ersatz- und Herausgabeklagen 268 als stellvertretendes commodum gegen den Drittschädiger. Besonders interessant ist, gerade auch in Hinblick auf die custodia-Haftung des Verkäufers, der Fall des Diebstahls der Kaufsache vor traditio. Die einschlägigen Klagen der rei vindicatio, condictio ex causa furtiva und actio furti 2 6 9 stehen zunächst dem Verkäufer zu, da sich die Aktivlegitimation - selbst für die nicht sachverfolgende, sondern pönale Klage der actio furti - aus dem Eigentum ableitet 270 . Dies ist jedoch noch nicht die endgültige Zuordnung des stellvertretenden commodum: ,,[M]andare eum plane oportebit furti actionem et condictionem et vindicationem, et si quid ex his actionibus fuerit consecutus, id praestare eum emptori oportebit ..."2 1 Der Verkäufer ist dem Käufer zur Abtretung der Klagen bzw. zur Herausga272

be des daraus Erlangten verpflichtet 265

. Der Regel liegt die folgende Ratio zu-

Haymann, ZSS 40 (1919) 333, will mit diesem Argument begründen, daß der Anspruch des Käufers auf den nach dem Kaufabschluß eingetretenen Zuwachs nichts mit der Regel „commodum eius esse debet, cuius periculum est" zu tun hat, sondern lediglich auf der Untrennbarkeit von Urbestandteil und Zuwachs beruht. So auch Mommsen, Commodum, S. 17 ff. 266 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 147, Fn. 3; Weyand, TR 51 (1983) 240. 267 Weyand, TR 51 (1983)241 f. 268 Rei vindicatio, condictio ex causa furtiva, actio furti, cautio damni infecti, interdictum quod vi aut clam, actio legis Aquiliae; vgl. Harder , in: Festschrift Käser, S. 351. Zur cautio damni infecti siehe MacCormack, ZSS 88 (1971) 300 ff. 269 Ulp. D. 47, 2, 14 pr.; Gai. D. 18, 1, 35, 4; Inst. 3, 23, 3a. 270 So der neuere, im Vordringen begriffene Ansatz: Käser, ZSS 96 (1979) 118 ff.; Harder , in: Festschrift Käser, S. 352 ff.; Thielmann, ZSS 106 (1989) 318; so schon Buckland, NRH 41 (1917) 26 ff. - Dagegen aber noch für eine Ableitung der Aktivlegitimation zur actio furti aus der custodia-Haftung Heumann/Seckel, Handlexikon, S. 226; Schulz,, ZSS 32 (1911) 26 f., 71 f.; idem , CRL, S. 583 f.; Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 247 ff; Hoetink, Periculum est emptoris, S. 61 ff.; Arangio-Ruiz, Responsabilità contrattuale, S. 150 ff., Käser, Quanti ea res est, S. 147 ff.; Benöhr, Synallagma, S. 41. 271 Ulp. D. 47, 2, 14 pr. 272 Die Zessions- bzw. Herausgabepflicht findet sich auch in Gai. D. 18, 1,35,4; Pap. D. 47, 2, 81 pr.; Paul. D. 18, 4, 21; Ner. D. 19, 1, 31 pr. und Inst. 3, 23, 3a.

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§ 2 Das klassische römische Recht

gründe: Da der Verkäufer auf jeden Fall den Kaufpreis bekommt, muß er im Gegenzug alles, „was er rechtlich und faktisch vom Kaufgegenstand noch hat oder erhält", dem Käufer überlassen 273. Das stellvertretende commodum wird also auch nach der Maxime „Commodum eius esse debet, cuius periculum est" 274

zugewiesen Es ist gleichermaßen eine Konsequenz des wertzuweisenden Kaufverständnisses der Römer, daß nicht nur die commoda, sondern auch alle mit der Kaufsache verbundenen incommoda auf den Käufer fallen. Das wichtigste Beispiel ist natürlich die Gefahr der Sache. Daneben hat der Käufer ab emptio perfecta dem Verkäufer die notwendigen Verwendungen auf die Kaufsache zu ersetzen 275 und die auf der Sache ruhenden öffentlichen Lasten zu tragen 276 .

VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel Zieht man eine Quellenbilanz, so ergibt sich ein klares Übergewicht an Stellen, die periculum emptoris belegen. Haymanns 277 Zweifel an deren Klassizität konnten weder formal noch sachlich bestätigt werden. Darüber hinaus ist es angesichts der kurzen Redaktionszeit für das Corpus Iuris und der Arbeitsweise der Kompilatoren äußerst unwahrscheinlich, daß die justinianische Kommission „willkürlich im großen Zuge eine völlig neue, weder im römischen noch im griechischen Recht vorgebildete Theorie entworfen" 2 7 8 haben soll. Es gibt keine einzige Stelle, in der eine allgemeine und grundsätzliche

273

Käser, ZSS 96 (1979) 117; so auch Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 147 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 287, Fn. 104; - Das gilt nach Käser, ZSS 96 (1979) 117 f., selbst dann, wenn der Verkäufer aufgrund seiner custodia-Haftung dem Käufer auf das Interesse haftet. Anders in diesem Punkt Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 147, und neuerdings auch Thielmann, ZSS 106 (1989) 318 ff, was aber mit Thielmanns weiterer These zum Inhalt des Begriffs periculum zusammenhängt (siehe oben § 2, IV); wenn nämlich nach Thielmann der Verkäufer im Falle von casus minor den Kaufpreis verlieren soll, so wäre es in der Tat wider die bona fides, wenn er außerdem noch die Klagen gegen den Drittschädiger abtreten müßte. 274 Harder, in: Festschrift Käser, S. 362 ff., dagegen bezieht diese Regel lediglich auf die akzessorischen commoda und erklärt die Zuordnung des stellvertretenden commodum aus dem Synallagma. 275 Ulp. D. 19, 1, 13, 22; C. 4, 49, 16; siehe dazu Weyand, TR 51 (1983) 249 ff.; Sekkel/Levy, ZSS 47 (1927) 262, Fn. 3; Rabel, ZSS 42 (1921) 548 f.; Krückmann, ZSS 60 (1940) 8 ff.; a.A. Haymann, ZSS 48 (1928) 402 ff. 276 C. 4, 49, 13; siehe dazu Weyand, TR 51 (1983) 253 f. 277 Haymann, ZSS 41 (1920) 78 ff.; idem, ZSS 48 (1928) 330 ff. 278 Rabel, ZSS 42(1921) 563.

VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel

73

Geltung von periculum venditoris formuliert wäre 279 . Im wesentlichen bringt nur die Stellengruppe Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 pr. und Afr. D. 19, 2, 33 periculum und traditio in einen Zusammenhang. Bei näherer Betrachtung fügen sich auch diese Stellen zwanglos in das Konzept periculum est emptoris ein 280 . Damit ist aber noch nicht die Frage nach der Entstehung und der inneren Rechtfertigung dieser - auf den ersten Blick - eigenartigen Regel geklärt. Die moderne romanistische Literatur interpretiert sie aus historischer Sicht als Konsequenz des Barkaufgedankens 281: Beim alten römischen Barkauf, wo Vertragsschluß und Übergabe zusammenfielen, habe sich ein sofortiger Gefahrübergang ganz selbstverständlich ergeben. Dieser Gedanke habe in der Struktur der klassischen emptio venditio noch fortgewirkt. Den unmittelbaren Warenaustausch habe man noch im klassischen Recht als den Regelfall angesehen, so daß es auch beim gestreckten Kauf bei der Gefahrtragungsregel des Bargeschäfts blieb. Von einer ähnlichen Vorstellung war schon die in der Pandektenwissen282

schaft entwickelte Verschuldenstheorie geleitet, doch ging sie - auf der Suche nach einer dogmatischen Rechtfertigung - einen Schritt zu weit: Wenn der Käufer die Kaufsache nicht, wie beim Barkauf üblich, sofort an sich nimmt, wird ihm der Vorwurf gemacht, er habe den Erfüllungsaufschub und somit den dadurch erst ermöglichten Untergang oder die Verschlechterung der Sache selbst verschuldet. Jedenfalls wäre er, wenn er die Sache pflichtgemäß abgeholt hätte, bereits Eigentümer geworden und hätte dann - res périt domino! - die Gefahr ohnehin zu tragen gehabt. Auf diesem Grundgedanken beruht auch die 279

Haymann, ZSS 41 (1920) 150 ff., beruft sich jedoch auf Pap. D. 21, 2, 64. Hier geht es aber nicht um allgemeine Gefahrtragungsregeln, sondern um die mit der actio auctoritatis verbundenen Sonderprobleme; vgl. Rabel, ZSS 42 (1921) 552, Fn. 1. 280 Siehe oben § 2, II, 6 für D. 19, 2, 33 und oben § 2, IV für D. 18, 6, 13 u. 15 pr. 281 Käser, RP I, S. 547, 552; idem, ZSS 96 (1979) 114; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, S. 310; Benöhr, Synallagma, S. 93 f.; Watson, Law of Obligations, S. 69. - Auch Wolf, TR 45 (1977) 13 f., und Zimmermann, The Law of Obligations, S. 290, führen periculum emptoris auf den Barkaufgedanken zurück, bleiben dort aber richtigerweise nicht stehen; dazu sogleich. 282 Jhering, JhJb 3 (1859) 449 ff., insb. 465; Puchta, Pandekten, S. 439 (§ 302); Puntschart, Rechtsverhältnisse, S. 218 ff; auch Bechmann, Kauf nach gemeinem Recht I, S. 591 ff., 593; idem, Kauf nach gemeinem Recht II, S. 102 f.; idem, Kauf nach gemeinem Recht III 1, S. 171 ff, gehört in diese Tradition mit seiner Lehre von der auf bonafides beruhenden Pflicht des Käufers zur Initiative, auch wenn er dem Urteil seiner Zeitgenossen, er würde mit culpa und mora operieren, scharf entgegentrat: „Was soll man zu dieser Polemik sagen?" (Kauf nach gemeinem Recht III 1, S. 174, Fn. 3). Selbst Jhering, der gemeinhin als Begründer der Verschuldenstheorie betrachtet wird, ist nicht so weit von der Entäußerungstheorie Windscheids (dazu sogleich) entfernt (vgl. JhJb 3 (1859) 465); der scharfe Gegensatz zu Windscheids Lehre wurde wohl erst von nachfolgenden Juristengenerationen in Jherings Lehre hineininterpretiert; dazu Ernst, Gefahrtragung, S. 77 f.

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§ 2 Das klassische römische Recht

Theorie von Levy 2 8 3 , die den Begriff der Abholungsreife in den Vordergrund rückt und damit zugleich den für die Perfektion des Kaufvertrages maßgeblichen Zeitpunkt erklären möchte 284 . Der Verschuldensgedanke ist jedoch nicht geeignet, die Gefahr des Käufers zu erklären. Wendete man nämlich das Verschulden des Käufers als streng juristische Kategorie an, hätte der Käufer erst mit Annahmeverzug die Gefahr zu tragen 285 . Eine solche Konsequenz könnte aber nur mit exzessiver Textkritik in die Quellen hineingelesen werden 286 . Deshalb blieb die Verschuldenstheorie auf halbem Wege stehen und beschränkte sich auf den vagen Vorwurf, der Käufer habe die Sache trotz Abholungsreife grundlos beim Verkäufer belassen, was letztlich - paradoxerweise - nichts anderes bedeutet, als dem Gläubiger in einem obligatorischen Vertragsverhältnis vorzuwerfen, er verhalte sich nicht wie ein Barkäufer. Aber auch wenn man Verschuldenskriterien beiseite läßt und sich mit einer rein historischen Erklärung der Käufergefahr unter dem Gesichtspunkt des Barkaufgedankens zufrieden gibt, wird man der klassischen emptio venditio nicht ganz gerecht. Einerseits ist es zweifellos richtig, daß ihre Struktur in großen Teilen durch den Barkaufgedanken geprägt ist 2 8 7 , aber andererseits wird 283

Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 149 ff. Die Erklärung der emptio perfecta mit dem Konzept der Abholungsreife hat jedoch zu Recht keine Anhänger gefunden. Der Begriff wird weder in den Quellen erwähnt, noch läßt er sich aus den mit der Gefahrtragung befaßten Texten im Wege nachträglicher Abstraktion gewinnen. So ist z.B. beim Weinkauf die Ware schon vor einer vereinbarten degustatio, also vor emptio perfecta, abholungsreif, da es dem Käufer frei steht auf die Verkostung zu verzichten; dazu Pennitz, TR 62 (1994) 282, Fn. 137. Ebenso ist jeder der beiden potentiellen Kaufsklaven bei der Wahlschuld in Paul. D. 18, 1, 34, 6 prinzipiell abholungsreif, da der zahlungswillige Käufer jederzeit vom Verkäufer Ausübung des Wahlrechts verlangen kann bzw. sein eigenes Wahlrecht ausüben kann; dazu Ernst, Gefahrtragung, S. 51 f. Umgekehrt ist in Paul. D. 18, 6, 8, 1 so die Auslegung von Rodger, TR 50 (1982) 349 - der Kauf schon perfecta, ohne daß die Kaufsache abholungsreif wäre. - Nach Käser, ZSS 96 (1979) 91 ff., hat das Konzept der emptio perfecta gar keine eigene Ratio; sie ist vielmehr ein kasuistisch gewonnener Erfahrungssatz, mit dem der Zeitpunkt des Gefahrübergangs festgelegt wurde: So ist eben die Zuordnung und Bezifferung der Preisgefahr erst möglich, wenn die Kaufgegenstände individualisiert und zugemessen sind. - Noch anders Ernst, Gefahrtragung, S. 53 ff, der hinsichtlich der emptio perfecta auf die Existenz des Kaufs als rechtsgeschäftlichem Tatbestand abstellt. 285 Ernst, Gefahrtragung, S. 79. 286 So weit ist allerdings nur Beseler, TR 8 (1928) 290 ff., gegangen, indem er bei seinen Rekonstruktionen von Paul. D. 18, 1, 34, 6; Gai. D. 18, 1, 35, 4; Ulp. D. 18, 6, 1, 1/3; Ulp. D. 18, 6, 4 pr.; Pap. D. 18, 6, 18; Ulp. D. 19, 1, 13, 22; Ner. D. 19, 1, 31 pr.; Ulp. D. 47, 2, 14 pr.; C. 4, 48, 4 u. 6 jeweils den Käuferverzug einfugte. 287 Käser, RP I, S. 547, und Wolf, TR 45 (1977) 13, nennen neben dem periculum emptoris die Unbekanntheit des reinen Gattungskaufs, die Konkretisierung der Kaufsache als Perfektionsvoraussetzung, das Erfordernis eines pactum adiectum für vertragliche Nebenabreden, den Umstand, daß die Kaufsache nicht ex causa solutionis, sondern ex causa emptionis tradiert, manzipiert und ersessen wurde, desweiteren die Abhängigkeit des Eigentumserwerbs von der Wirksamkeit der Kaufvereinbarung („Kausalitäts284

VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel

75

doch gerade die Ausbildung des Kaufs zu einem zukunftsorientierten obligatorischen Vertrag zu den großen Leistungen der römischen Juristen gerechnet 288. Es reicht nicht aus, den Römern zu unterstellen, sie hätten aus bloßem Traditionalismus die Gefahrtragung weiterhin nach dem Muster des Barkaufs geregelt, denn der Barkauf gibt dem gestreckten Kauf gar kein eindeutig bestimmtes Gefahrtragungsschema vor. Beim Bargeschäft sind die beiden Elemente, Vertragsschluß und Übergabe, noch miteinander verbunden. Mit demselben Recht wie der Vertragsschluß hätte sich die handfestere Übergabe zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt für den Gefahrübergang entwickeln können 289 . Periculum emptoris ab Kaufabschluß kann also nicht allein als Reminiszenz an die Ursprünge der emptio venditio verstanden werden, sondern muß darüber hinaus - in moderner Terminologie gesprochen - einer dogmatischen Erklärung zugänglich sein. Der Kaufabrede muß eine bestimmte Qualität zukommen, die die Anknüpfung des Gefahrübergangs rechtfertigt. Es handelt sich hierbei um die schuldrechtliche Zurechnungswirkung der Kaufabrede. Diese Eigenheit des römischen Kaufrechts wurde schon in der Pandektistik erkannt und erhielt in Windscheids Entäußerungstheorie 290 dogmatische Konturen: „Der Grund ... [Anm.: für den Ausnahmecharakter des Kaufvertrags unter den obligatorischen Verträgen] ... ist darin zu suchen, daß die Verkaufserklärung eine Entäußerungserklärung ist. Das will sagen, daß ihr Inhalt nicht sowohl der ist, daß der Verkäufer sich verpflichte, die verkaufte Sache hinzugeben, als vielmehr, daß er sie hingebe. Infolge dieser Natur der Verkaufserklärung wird die verkaufte Sache vom Rechte, was das Verhältnis des Verkäufers zum Käufer angeht, behandelt als sei sie bereits aus dem Vermögen des Verkäufers ausgeschieden und in das Vermögen des Käufers übergetreten."2 Die h.M. 2 9 2 in der modernen Romanistik hat dieses Grundverständnis der emptio venditio für das klassische Recht im Ergebnis bestätigt, natürlich nicht mehr in der Form des für die Pandektistik typischen dogmatischen Postulats,

prinzip"), die Zuweisung der Nutzungen, den Aufwendungsersatzanspruch und die custodi a-Haftung des Verkäufers. 288 Weyand,, TR 51 (1983) 227; Liebs, Römisches Recht, S. 248. - Der äußerste Gegenpol zu den Barkaufelementen ist die emptio spei (Pomp. D. 18, 1,8, 1). Die Möglichkeit eines Kaufs sine re zeigt die Fähigkeit der Römer auch ein rein obligatorisches Kaufgeschäft in der Struktur der emptio venditio zu akkommodieren. 289 Peters, in: Festgabe Käser, S. 223. 290 Windscheid,, Pandektenrecht II, S. 330 (§ 321, 3.) u. S. 660 (§ 390); für einen Überblick über den gesamten Meinungsstand im gemeinen Recht siehe Windscheid, Pandektenrecht II, S. 330 ff., Fn. 19a. 291 Windscheid,, Pandektenrecht II, S. 330 (§ 321, 3.). 292 Wolf, TR 45 (1977) 13 ff.; Weyand, TR 51 (1983)225 ff.; Ernst, Gefahrtragung, S. 73 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 291; Krückmann, ZSS 60 (1940) 14 f.

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§ 2 Das klassische römische Recht

sondern im Wege induktiver Auswertung des römischen Fallrechts. J. G. Wolf 2 9 3 hat anhand einer Julian-Entscheidung zu einem das Erfüllungsinteresse übersteigenden Haftungsposten im Falle der Freilassung des verkauften Sklaven gezeigt, daß der Haftungsgrund weder in der interesse-Formel 295 noch im Privatstrafegedanken 296, sondern in der Freilassung selbst als einer vertragswidrigen Einwirkung auf die bereits dem Vermögen des Käufers zugehö297

rige Kaufsache liegt. Weyand folgert das wertzuweisende Kaufverständnis des klassischen Rechts aus der Zuweisung der mit der Kaufsache verbundenen 298

commoda und incommoda an den Käufer . Damit kommt dem Käufer die Stellung eines wirtschaftlichen Eigentümers zu. Der Verkäufer wird im Gegenzug trotz seiner dinglichen Eigentümerposition wie ein Fremdbesitzer behan299

delt. Er haftet für custodia, als hätte er die Sache vom Käufer geliehen . In der Zusammenschau der Rechtsverhältnisse zwischen Verkäufer und Käufer bezüglich der Kaufsache wird also deutlich, daß auf der Ebene des Schuldrechts die Kaufsache ab emptio perfecta ausschließlich dem Käufer zugewiesen ist. Die kaufvertragliche Einigung hat nicht lediglich obligatorischen Charakter 300 , sondern ist eine verbindliche Austauschentscheidung und bewirkt damit inter partes schon den mit dem Kaufgeschäft bezweckten Erfolg: den unmittelbaren Austausch von Ware gegen Geld. Hier schließt sich der Kreis mit dem Barkaufgedanken. Periculum emptoris ist also nicht eines von mehreren isolierten Barkaufrudimenten innerhalb eines rein obligatorischen Kaufs; vielmehr hat sich die Grundstruktur der emptio venditio nie völlig von der Vorstellung des sofortigen Vollzugs des Geschäfts gelöst. Es macht deshalb für den Inhalt der Kaufabrede keinen Unterschied, ob ein Barkauf oder ein gestreckter Kauf vorliegt. Neben ihrer schuldrechtlichen Zurechnungswirkung ist die Kaufabrede aber auch unter einem sachenrechtlichen Aspekt für die römische Gefahrtragungsregel bedeutsam301. Mit der wirksam abgeschlossenen emptio venditio ist bereits einer der beiden für den Eigentumserwerb konstitutiven Tatbestände, iusta cau293

TR 45 (1977) 1 ff. D. 19, 1,23. 295 So Medicus, Id quod interest, S. 41 ff., und Honsell, Quod interest, S. 16 ff. 296 So Liebs, Römisches Recht, S. 282 f. 297 TR 51 (1983) 228 ff. 298 Siehe oben § 2, V. 299 Das betonen insbesondere Schulz, CRL, S. 533, und Ernst, Gefahrtragung, S. 73; zur Stellung des Verkäufers als Kustodient siehe oben § 2, III. 300 So aber Betti, ZSS 82 (1965) 5. - Es zeigt sich, daß der Meinungsstreit über die periculum-Regel letzlich von unterschiedlichen Auffassungen von der Natur des Kaufs herrührt. 301 Auf diesen Gesichtspunkt weist erst die neuere Literatur hin: Peters, in: Festgabe Käser, S. 223 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 291. 294

VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel

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sa traditionis und traditio, erfüllt. Die causa ist nämlich keine selbständige, den Eigentumsübergang rechtfertigende Zweckvereinbarung, sondern liegt schon in dem die traditio veranlassenden Grundgeschäft 302. Die Kaufabrede hat demnach eine Doppelfunktion: Sie ist ein schuldrechtliches Geschäft und gleichzeitig in ihrer Funktion als causa traditionis auch dingliche Verfügung 303 . Sie enthält die verbindliche Einigung über den Eigentumsübergang 304, während die nachfolgende traditio nur noch ein bloßer - wenn auch notwendiger - Realakt ist. Damit löst sich der Widerspruch, daß mit dem Kauf zwar ein Eigentumserwerb durch den Käufer angestrebt wird 3 0 5 , eine Übereignungspflicht des Verkäufers aber fehlt 306 . Es wäre überflüssig, eine solche Pflicht durch den Kaufvertrag zu begründen, da der rechtsgeschäftliche Zuwendungsakt im Kaufvertrag selbst liegt 307 . Der sachenrechtliche Charakter des Kaufs wird darüber hinaus durch die Unbekanntheit des reinen Gattungskaufs 308 und die fehlende Perfektion des Vertrags vor Individualisierung der Waren beim Kauf aus konkretem Vorrat 309 bestätigt; denn die klassische emptio venditio unterlag wegen ihrer dinglichen Komponente dem sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz und bedurfte daher einer bestimmten Kaufsache 310. Wenn nun mit wirksamen Kaufabschluß der wichtigste Teilakt der Übereignung bereits vollzogen ist, so erscheint die Regel periculum est emptoris weniger als Abweichung von dem all-

302 So die heute h.M.: Käser, BIDR 64 (1961) 61 ff.; Jahr, ZSS 80 (1963) 141 ff.; Wesel, ZSS 85 (1968) 100 ff.; Evans-Jones, MacCormack, in: Essays for Barry Nicholas, S. 99 ff.; siehe aber auch Gordon, in: Essays for Barry Nicholas; S. 123 ff., insb. 135, der die praktische Bedeutung der emptio venditio als iusta causa bezweifelt; das zeige das völlige Fehlen jedweder Kontroverse in den Quellen über den Kauf als iusta causa einerseits und die Verfügbarkeit der usucapio in den problematischen Fällen andererseits. 303 Käser, BIDR 64 (1961) 61 ff.; idem , RP I, S. 417; Jahr, ZSS 80 (1963) 165 ff.; Wesel, ZSS 85 (1968) 104; Peters, in: Festgabe Käser, S. 223 f.; idem, ZSS 96 (1979) 185 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 239 f. 304 Vergleichbar mit der dinglichen Einigung, die im heutigen deutschen Recht in § 929 BGB geregelt ist, nur mit dem Unterschied, daß die Einigung im römischen Recht gerade nicht abstrakt, sondern der Kaufabrede inhärent war. 305 Zu der Zielrichtung des Kaufs, dem Käufer Eigentum zu verschaffen, siehe Peters, ZSS 96 (1979) 176 ff 306 Zu den Verkäuferpflichten siehe nur Zimmermann, The Law of Obligations, S. 278 ff. 307 Peters, ZSS 96(1979) 185 f. 308 Siehe oben § 2, II, 2. 309 Siehe oben § 2, II, 2; Peters, in: Festgabe Käser, S. 224 ff, erklärt auch das Konzept der emptio perfecta mit der sachenrechtlichen Natur des Kaufs. Demnach kann die emptio venditio erst dann perfecta sein, wenn alle für die Übereignung notwendigen Voraussetzungen bis auf die Übergabe vorliegen. 310 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 240.

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§ 2 Das klassische römische Recht

gemeinen Prinzip casum sentit dominus, denn als die kaufspezifische Ausformung dieses Grundsatzes 311. Die römische Gefahrtragungsregel ist aber nicht nur juristisch schlüssig, sondern kann auch in wirtschaftlicher und rechtspolitischer Hinsicht bestehen. Der Verkäufer hat im Verhältnis zum Käufer auf die Verfügung über die Kaufsache und deren Nutzungen verzichtet. Er hat kein wirtschaftliches Interesse mehr an den verkauften Waren, da Schwankungen des Marktpreises, sei es Preisanstieg oder -verfall, ihn nicht mehr treffen 1 2 . Es ist nun eine plausible Entscheidung, das Risiko von Verschlechterungen oder Verbesserungen tatsächlicher Art parallel zu der wirtschaftlichen Interessenstruktur zu regeln. Der Tatsache, daß der Verkäufer als Besitzer allein in der Lage ist, für die Sicherheit der Kaufsache zu sorgen, wird durch die strenge custodia-Haftung Rechnung getragen. Mit der Haftung auch für unverschuldeten Diebstahl war zudem sichergestellt, daß der Verkäufer nicht mit der im Prozeß schwer zu entkräftenden Behauptung, die Sache sei ihm gestohlen worden, sich selbst aus seiner Leistungspflicht stehlen und trotzdem den Kaufpreis fordern konnte 313 . Die strenge Verkäuferhaftung spielt schließlich für eine Bewertung der Regel periculum est emptoris anhand von Billigkeitskriterien die entscheidende Rolle. Sie bildet das notwendige Gegengewicht zu dem Risiko des Käufers und gewährleistet die Balance von Käufer- und Verkäuferinteresse. Das ist der Grund, warum sich periculum emptoris gegenüber dem konditioneilen Synallagma durchsetzen konnte. Haymann 314 lehnte freilich periculum emptoris allein schon wegen der damit verbundenen Durchbrechung der synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung kategorisch ab. Er übersah dabei, daß den Römern „dieser Begriff nicht aus dem Himmel zugefallen" 3 1 5 war. Das Synallagma war im klassischen Recht noch keine feste dogmatische Kategorie, es war nicht systematischer Selbstzweck, sondern eine Frage der Billigkeit von Fall zu Fall. Das Verhältnis der gegenseitigen Leistungen zueinander wurde erst schrittweise anhand der formularen bona fides entwickelt 3 1 6 . In diesem Prozeß der Abstimmung widerstreitender Parteiinteressen mußte das Gleichgewicht von Haftung und Risiko berücksichtigt werden. Es waren also Billigkeitserwägungen, die zu einer partiellen Verdrängung des konditioneilen Synallagmas im Punkt der Gefahrtragung gefuhrt haben 317 . 311

Peters, in: Festgabe Käser, S. 224. Nicholas , Introduction, S. 180; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 290 f.; Krückmann, ZSS 60 (1940) 3. 313 Weyand, TR 51 (1983) 247, Fn. 116. 314 ZSS 41 (1920) 49 ff., idem , ZSS 48 (1928) 325 ff. 315 Rabel, ZSS 42(1921)561. 316 Umfassend dazu Benöhr, Synallagma, passim. 317 Für eine andere Erklärung siehe Krückmann, ZSS 60 (1940) 2 ff. 312

VI. Evaluierung der römischen Gefahrtragungsregel

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Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die gesamte Konzeption der emptio venditio beruht auf dem Grundgedanken, daß die Kaufsache ab emptio perfecta Teil des Vermögens des Käufers geworden ist. Periculum est emptoris ist kein juristisches Kuriosum, sondern logische Konsequenz dieser Struktur des klassischen Kaufs. Ihre Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit erhält die Regel durch ihren Gegenpol, die custodia-Haftung.

§ 3 Das justinianische Recht I. Kontinuität zum klassischen Recht Das justinianische Kaufrecht orientiert sich im wesentlichen an dem klassischen Vorbild, insbesondere dort, wo die Strukturen vom Barkaufgedanken geprägt sind1. Grundtypus der emptio venditio bleibt der Spezieskauf, der reine Gattungskauf ist nach wie vor ausgeschlossen2, die Gefahr geht mit Abschluß des Kaufvertrags auf den Käufer über. Während die Klassikerfragmente in den Digesten keine allgemeine Erläuterung des periculum emptoris bieten, sondern den Begriff lediglich als Rechtfolge bei der Lösung mehr oder weniger komplexer Einzelfälle verwenden 3, wird in den justinianischen Institutionen das Konzept des Gefahrübergangs ausfuhrlich und lehrbuchhaft dargestellt: „Cum autem emptio et venditio contracta sit ... periculum rei venditae statim ad emptorem pertinet, tametsi adhuc ea res emptori tradita non sit. ... emptoris damnum est, cui necesse est, licet rem non fuerit nactus, pretium solvere."4 Anders als in den Digesten wird hier ausdrücklich klargestellt, daß die Gefahr ab Vertragsschluß sofort („statim") auf den Käufer übergeht, auch wenn ihm die Sache noch nicht übergeben worden ist („tametsi adhuc ea res emptori tradita non sit"). Desweiteren wird erklärt, worauf sich der Begriff Gefahr überhaupt bezieht; nämlich auf den Schaden („damnum"), der dem Käufer dadurch entsteht, daß er den Kaufpreis bezahlen muß („pretium solvere"), obgleich er die Sache nicht oder nicht vollständig erlangt. Nicht problematisiert wird dagegen die Frage der Perfektion des Kaufs. Der Grund dafür liegt darin, daß die Redaktoren des Corpus Iuris bei der Elementardarstellung des Rechts im Rahmen der Institutionen von dem Standardfall des unbedingten Stückkaufs ausgingen, bei dem die Perfektion mit dem Vertragsschluß zeitlich zusammenfallt 5 . Die Aufarbeitung der komplizierten Perfektionsfragen blieb dem um·

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Käser, RP II, S. 388. Allerdings wurden durch die justinianische Gesetzgebung die Grenzen zwischen Gattungs- und Speziesschuld verwischt, siehe dazu Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 52 und 57; idem , ZSS 114 (1997) 289 f., 343 f. 3 Siehe oben § 2, II. 4 Inst. 3,23, 3. 5 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 143, Fn. 5 u. 153 f. 2

II. Veränderungen im Bereich der Verkäuferhaftung

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fangreichen Fallrecht der Digesten überlassen, wobei die Kompilatoren die klassischen Texte in ihren Kernaussagen unverändert wiedergaben 6.

Π . Veränderungen im Bereich der Verkäuferhaftung Substantielle Änderungen brachte das Corpus Iuris dagegen im Bereich der mit der Gefahrtragung korrespondierenden Haftung des Verkäufers für Untergang und Verschlechterung der Kaufsache. Die Umgestaltungen waren Teil eines fundamentalen Wandels des gesamten Haftungsrechts, ausgelöst durch die Einführung des Verschuldensprinzips einerseits und die Entwicklung des Utilitätsprinzips als Schlüssel für die Verteilung von Haftungsmaßstäben andererseits. Die Widersprüchlichkeiten der justinianischen Verkäuferhaftung werden erst vor dem Hintergrund dieser beiden Entwicklungslinien verständlich.

1. Das Verschuldensprinzip Im klassischen Recht wurde die Haftung des Schuldners nicht in erster Linie von seinem subjektiven Verschulden, sondern von den objektiven Umständen des Falles abhängig gemacht. Das beste Beispiel dafür ist die custodia-Haftung, bei der die individuelle Vorwerfbarkeit keine Rolle spielte7. Doch auch der klassische culpa-Begriff war primär objektiv geprägt 8. Die culpa existierte nicht als abstraktes Konzept i.S.v. Fahrlässigkeit, sondern war untrennbar mit einer konkreten Handlung und einem daraus resultierenden schädigenden Ereignis verbunden 9. Die culpa als ein Maßstab für die Haftung für Verschulden wird also erst durch schrittweises Vortasten von Fall zu Fall greifbar. Dieses Fehlen eines allgemeinen, subjektiv ausgerichteten Fahrlässigkeitsbegriffs liegt zum einen an der kasuistischen Methode, zum anderen aber auch an der streng privatrechtlichen Denkweise der Klassiker, denen es mehr um gerechten Schadensausgleich als um die sittliche und moralische Qualität des Verhaltens der Parteien ging 10 . Diese beiden Charakterzüge des klassischen Rechts wurden durch die oströmischen Rechtsschulen des vierten und fünften Jahrhunderts in ihr Gegen-

6

Siehe oben § 2, II. Siehe oben § 2, III. 8 Kunkel, ZSS 45 (1925) 337 ff. 9 Käser, RPH, S. 346; Kunkel, Recht, S. 231. 10 Kunkel, ZSS 45(1925)339. 7

6 Bauer

ZSS 45 (1925) 338; Kunkel/Honsell,

Römisches

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§ 3 Das justinianische Recht

teil verkehrt 11 : Erstens wurde die fallbezogene Vorgehensweise von einer systematischen und theoretischen Schuldogmatik abgelöst12. Und zweitens wurde unter dem Einfluß von griechischer Philosophie und Christentum die Schuld in ihrer Dimension als individuelles Gesinnungsunrecht zum zentralen Begriff des Haftungsrechts erhoben 13. Die culpa wurde von den objektiven Umständen des Einzelfalls abgelöst und erhielt erstmals die Funktion eines abstrakten Schuldvorwurfs der Fahrlässigkeit 14. Dadurch entstand aber auch die Notwendigkeit, gleichsam als Gegenpart dazu das gebotene Verhalten positiv zu formulieren. Dies geschah durch die Einführung des Begriffs der diligentia, mit der die Sorgfaltspflicht des Schuldners bezeichnet wurde 15 . Der Grad der aufzuwendenden Sorgfalt wurde ermittelt anhand des Maßstabs des diligens paterfamilias, der aus der griechischen Sozialethik übernommen worden war 16 . Damit hatte die oströmische Wissenschaft ein auf individuelles Verschulden gegründetes Haftungssystem entwickelt, das mit abstrakten Begriffen operierte, namentlich mit diligentia als der einen Seite und culpa (oder nun als Synonym auch neglegentia17) als der anderen Seite derselben Medaille. Während die Byzantiner die klassischen Entscheidungen zur culpa-Haftung ohne weiteres als Fälle individueller Fahrlässigkeit erklären und so in ihr sub18

jektives Verschuldenskonzept integrieren konnten , sahen sie sich durch die 11

Kunkel, ZSS 45 (1925) 341 ff., insb. 347. Käser, RP II, S. 348 f.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 339; zur Methode der oströmischen Rechtsschulen siehe Käser, RP II, S. 32 f. 13 Käser, RP II, S. 325, 328, 346 ff., 356 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 192 f.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 337 ff.; zum Einfluß der griechischen Philosophie siehe insb. Kunkel, ZSS 45 (1925) 341 ff.; Coing, ZSS 69 (1952) 44 ff., 51 ff.; zu christlichen Einflüssen siehe insb. Kunkel, ZSS 45 (1925) 340; Biondi, DRC III, S. 430. 14 Kunkel, ZSS 45 (1925) 338 f.; anders Käser, RP II, S. 350 f., der die Wurzeln der culpa im Sinne eines Fahrlässigkeitstatbestandes schon im klassischen Recht sieht, wobei die Byzantiner lediglich den Gedanken der Pflichtwidrigkeit stärker betont hätten; ähnlich MacCormack, ZSS 89 (1972) 149 ff., 179 ff.; Kunkel/ Honsell, Römisches Recht, S. 232. 15 Kunkel, ZSS 45 (1925) 340 f.; dagegen geht Käser, RP I, S. 512, davon aus, daß auch die diligentia eine klassische Grundlage hat und in nachklassischer Zeit lediglich erweitert und vertieft werden mußte. Diese Ansicht hält aber der ausfuhrlichen Quellenkritik von Kunkel, ZSS 45 (1925) 286 ff., nicht stand. 16 Zu den Wurzeln dieses Haftungsmaßstabes in der aristotelischen und stoischen Philosophie siehe Käser, RPH, S. 351; Kunkel, ZSS 45 (1925) 285 f., 305, Fn. 2, 311 f., 344 f.; Coing, ZSS 69 (1952) 53 f. - Der Begriff des pater familias war auch in der kirchlichen Literatur bekannt; dazu Kunkel, ZSS 45 (1925) 311, Fn. 5. 17 Zur neglegentia als einer bloßen Spiegelung der nachklassischen diligentia siehe Kunkel, ZSS 45 (1925) 314 ff.; zur Bedeutung von culpa und neglegentia in den kirchlichen Quellen siehe Kunkel, ZSS 45 (1925) 340. 18 Ein gutes Beispiel dafür bietet Paul. D. 9, 2, 31, wo der nachklassische Bearbeiter in die kasuistischen Überlegungen des Paulus eine allgemeine culpa-Definition eingefügt hat; siehe dazu Kunkel, ZSS 45 (1925) 298 f. 12

II. Veränderungen im Bereich der Verkäuferhaftung

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rein objektive, verschuldensunabhängige custodia-Haftung vor größte Schwierigkeiten gestellt. Zu umfassenden Streichungen oder planmäßigen materiellen Änderungen der entsprechenden klassischen Texte waren die Rechtsschulen weder befugt 19 , noch hätte das deren scholastisch-spekulativer Methode 20 entsprochen. Es blieb also nur die Möglichkeit einer Umdeutung oder punktuellen Ergänzung der Texte, um sie zumindest formal mit dem Verschuldensprinzip kompatibel zu machen 21 : Der Begriff der custodia wurde durch culpa in custodiendo bzw. diligentia in custodiendo ersetzt 22. Die klassischen Entscheidungen aber blieben inhaltlich unangetastet, man versuchte lediglich, sie mit Verschuldenskriterien zu erklären 23. So blieben die langen Aufzählungen der vis maiorFälle erhalten 24, auch wenn die objektive Typologie der haftungsbefreienden Fallkonstellationen in einem auf positive Feststellung individuellen Verschuldens gerichteten Haftungsrecht system widrig erscheinen mußte 25 . Um den Widerspruch aufzulösen, betrachtete man sie jetzt als Ereignisse, bei denen die Schuldlosigkeit nicht weiter bewiesen werden mußte 26 . Noch bezeichnender ist allerdings, daß die byzantinische Wissenschaft auch für die Fälle von casus minor keine praktischen Konsequenzen aus dem Verschuldensprinzip gezogen hat 27 . Beim furtum als dem Standardfall für die klassische custodia-Haftung wurden nunmehr derart hohe Sorgfaltsanforderungen an den Schuldner gestellt, daß ein Diebstahl bei Einhaltung der diligentia in custodiendo schlichtweg ausgeschlossen sein sollte 28 . Der Gedanke, daß ein Verlust der Sache auch ohne das geringste Verschulden des Bewachers möglich sein könnte, scheint nur an einer einzigen Stelle auf 29 , regelmäßig aber haftet der Schuldner weiterhin für Diebstahl 30 . Die materiell unveränderten klassischen Entscheidungen zur custodia-Haflung konnten also nur mit Hilfe von Schuldfiktionen umgedeutet werden 31 . Dafür mußte der Haftungsmaßstab des diligens paterfamilias unrea-

19

Käser, RP II, S. 348. Käser, RP II, S. 33. 21 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 192 f.; Käser, RP II, S. 348; Kunkel, ZSS 45 (1925) 283 ff. 22 Vgl. Ulp. D. 13, 6, 5, 5; Alf. D. 18, 6, 12; Paul. D. 39, 2, 18, 9; Gai. D. 44, 7, 1, 4; Ulp. D. 47, 2, 14, 10; dazu Arangio-Ruiz, Responsabilità contrattuale, S. 100 f.; Käser, RP II, S. 352 f.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 268 ff.; Nörr, Fahrlässigkeit, S. 61 f. 23 Kunkel, ZSS 45 (1925) 283 ff.; Käser, RP II, S. 348. 24 Vgl. Ulp. D. 13, 6, 5, 4; Gai. D. 13, 6, 18 pr.; Ulp. D. 50, 17, 23. 25 Kunkel, ZSS 45 (1925) 284. 26 Käser, RP II, S. 353. 27 Nörr, Fahrlässigkeit, S. 61 f.; Kunkel, ZSS 45 (1925) 284 ff. 28 Kunkel, ZSS 45 (1925) 285 m.w.N. 29 Inst. 3, 24, 5. 30 Vgl. Gai. D. 4, 9, 5; Afr. D. 13, 6, 21; Ulp. D. 47, 2, 14, 17; Ulp. D. 47, 2, 48, 4. 31 Nörr, Fahrlässigkeit, S. 62; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 14 ff. 20

6*

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§ 3 Das justinianische Recht

listisch weit überspannt werden 32 . Das äußerte sich zum Teil auch begrifflich durch die Einführung der diligentia exactissima bei früheren custodiaSachverhalten 33. Die klassischen Texte zur custodia-Haftung des Verkäufers wurden nach dem soeben beschriebenen Muster von den Rechtsschulen bearbeitet und gelangten in dieser Form in die justinianische Kompilation 34 . Dabei sind drei Texte in Hinblick auf das Vorgehen der Bearbeiter sehr aufschlußreich und gleichzeitig für die weitere Entwicklung in Mittelalter und Neuzeit besonders wichtig. Die erste Stelle, Gai. D. 18, 6, 2, 1, stammt aus dem Recht des Weinkaufs: „Custodiam autem ante admetiendi diem qualem praestare venditorem oporteat, utrum plenam, ut et diligentiam praestet, an vero dolum dumtaxat, videamus. et puto earn diligentiam venditorem exhibere debere, ut fatale damnum vel vis magna sit excusatum." Vorwegzuschicken ist, daß der Text generell für die Verkäuferhaftung von Bedeutung ist und nicht nur eine ausnahmsweise Haftungssteigerung für den Zeitraum zwischen Vertragsschluß und Zumessung in dem speziellen Fall des Weinkaufs behandelt35. Mit dem Passus „ante admetiendi diem" soll lediglich klargestellt werden, daß die Verkäuferhaftung schon mit Vertragsschluß und nicht erst mit emptio perfecta einsetzt36. Der Text ist ein gutes Beispiel für die 32 Nach Kunkel, ZSS 45 (1925) 285 f., resultierte diese Überdehnung der Haftung hauptsächlich daraus, daß die Byzantiner die philosophische Idealfigur des sorgfältigen Hausvaters aus der aristotelischen Ethik in ihr Haftungsrecht übernommen hatten. Coing , ZSS 69 (1952) 54, dagegen sieht kein direktes aristotelisches Vorbild für die Übersteigerung der Haftung, sondern hält sie für eine selbständige Schöpfung der Byzantiner mit dem einzigen Ziel, die klassischen Entscheidungen beibehalten zu können. 33 Z.B.: Inst. 3, 24, 5; Gai. D. 13, 6, 18 pr.; Paul. D. 18, 6, 3; Gai. D. 44, 7, 1, 4; siehe dazu Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 14 ff.; Marion, AcP 162 (1963) 6 ff.; Nörr, Fahrlässigkeit, S. 64 ff.; kritisch Käser, RP II, S. 354, der daraufhinweist, daß allein aus dem Begriff der diligentia exactissima nicht notwendigerweise geschlossen werden kann, daß bei den früheren custodia-Fällen nunmehr ein besonders strenger Verschuldensmaßstab im Vergleich zur einfachen culpa-Haftung gegolten habe, da die diligentia exactissima auch bei Fällen auftauche, in denen keine custodia-Haftung bestanden hatte (z.B.: Inst. 3, 27, 1; Gai. D. 19, 2, 25, 7). Das ist sicherlich zutreffend, doch kann man aus der Behandlung der Diebstahlsfalle schließen, daß die Haftung bei den früheren custodia-Fällen sich materiell nicht verändert hat und insofern nun einem wesentlich strengeren Verschuldensmaßstab unterliegen mußte als die einfache culpa-Haftung. 34 Die Veränderungen der Texte sind also nicht erst von den Kompilatoren vorgenommen worden; diese machten sich vielmehr die Vorarbeiten der Wissenschaft des vierten und fünften Jahrhunderts zu eigen; dazu ausfuhrlich Kunkel, ZSS 45 (1925) 347 ff. 35 So aber Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 27. Die Einordnung der Stelle in einen solchen Sonderzusammenhang hat indes eine lange Tradition, die schon im ius commune begründet wurde; siehe unten § 5, IV, 2, a). 36 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 192, Fn. 4.

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Umdeutung der custodia in eine diligentia in custodiendo37: Der klassische Begriff der custodia, der wegen seiner klaren objektiven Konturen eigentlich keiner weiteren Erläuterung bedurft hätte, wurde entschärft durch die Frage nach der Art der custodia, für die der Verkäufer einzustehen habe („qualem praestare venditorem oporteat"). Dadurch eröffnete der Bearbeiter sich die Möglichkeit, verschiedene Verschuldensgrade zur Diskussion zu stellen („utrum plenam, ut et diligentiam praestet, an vero dolum dumtaxat"). Bei dieser Gelegenheit konnte er die diligentia als Haftungsmaßstab für custodia einbauen („Custodiam ... plenam, ut et diligentiam praestet"). Zum Schluß des Fragments gerät er aber wieder in die Bahnen der klassischen Entscheidung, wenn er den Verkäufer für solche Sorgfalt („eam diligentiam") haften läßt, daß nur „fatale damnum vel vis magna" 38 als Entschuldigungsgründe in Betracht kommen. Die zweite Stelle, Paul. D. 18, 6, 3, ist nach demselben Schema interpoliert: „Custodiam autem venditor talem praestare debet, quam praestant hi quibus res commodata est, ut diligentiam praestet exactiorem, quam in suis rebus adhiberet." Klassisch ist die Anordnung der custodia-Haftung für den Verkäufer und insbesondere der Vergleich mit dem Entleiher, der nach klassischem Recht ebenfalls für custodia einstehen mußte 39 . Der ut-Satz wurde nachträglich hinzugefügt, um auch hier als Maßstab die diligentia einzuführen 40. Interessant ist allerdings die Steigerung der Haftung („diligentiam ... exactiorem, quam in suis rebus 41 adhiberet"). Diese ist motiviert durch den Hinweis auf die Rechtslage bei der Leihe im klassischen Teil des Satzes. Dadurch sah sich der Bearbeiter genötigt, parallel zur Struktur des klassischen Satzes nun auch bei seiner Textergänzung die Verkäuferhaftung in Einklang mit der gesteigerten Haftung des Entleihers zu bringen. Über diese Gelenkstelle gewinnt ein letztes Beispiel, Gai. D. 13, 6, 18 pr., aus dem Recht des commodatum mittelbar auch für das Kaufrecht besondere Bedeutung: „In rebus commodatis talis diligentia praestanda est, qualem quisque diligentissimus pater familias suis rebus adhibet, ita ut tantum eos casus non praestet, quibus resisti 37

Käser, RP II, S. 353, Fn. 45; zum folgenden Kunkel, ZSS 45 (1925) 281. Dabei handelt es sich um Synonyme für vis maior; Käser, RP II, S. 353; Kunkel, ZSS 45 (1925) 281. 39 Siehe oben § 2, III. 40 Käser, RP II, S. 353, Fn. 45; Kunkel, ZSS 45 (1925) 280 f. 41 Dabei ist der Begriff der diligentia quam in suis nicht i.S.v. culpa lata als Haftungsmilderung gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit zu verstehen (so wie er in das deutsche BGB eingegangen ist: §§ 277, 690, 708, 1664, 2131 BGB); vielmehr erscheint er in der Nachklassik meist als die normale Haftungsstufe im Gegensatz zu der idealtypisch übersteigerten diligentia diligentis oder diligentia exactissima; dazu Kunkel, ZSS 45 (1925)301 ff. 38

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non possit, veluti mortes servorum quae sine dolo et culpa eius accidunt, latronum hostiumve incursus, piratarum insidias, naufragium, incendium, fugas servorum qui custodiri non soient." Hier wurde der Passus „talis diligentia ... qualem quisque diligentissimus pater familias suis rebus adhibet" eingeschoben und damit gleichzeitig die ursprüngliche custodia herausinterpoliert 42. Wiederum wurde durch die Einführung der diligentia der ehemalige custodia-Sachverhalt lediglich umetikettiert, denn die klassische Entscheidung blieb in ihrer Originalform erhalten. Typisch für Gaius ist die einleitende Umschreibung der höheren Gewalt mit „eos casus ... quibus resisti non possit" 43 und die anschließende Aufzählung der einzelnen vis maior-Fälle. Durch diese anhand objektiver Kriterien vorgenommene Grenzziehung zwischen Haftungs- und vis maior-Bereich ist die Haftung in materiell-rechtlicher Hinsicht definitiv festgelegt, und zwar auf den Umfang der klassischen custodia. Um die Entscheidung i.S.d. Verschuldensprinzips erklären zu können, mußte der Nachklassiker zu dem Superlativ „diligentissimus" 4 4 greifen. Genau dieselbe Funktion kommt auch dem Komparativ „exactiorem" in Paul. D. 18, 6, 3 zu. Es bleibt also festzuhalten, daß der Aufstieg des Verschuldensprinzips im byzantinischen Recht die klassischen Texte zur Haftung des Verkäufers in ihrer Substanz nicht verändert, ihnen allerdings mit der (exactissima) diligentia in custodiendo ein neues Gewand gegeben hat. 2. Das Utilitätsprinzip Demgegenüber hatte eine zweite, parallel verlaufende Entwicklung im Haftungsrecht auch inhaltliche Konsequenzen für die Verkäuferhaftung. Es handelt sich dabei um die zunehmende Tendenz, den einzelnen Schuldverhältnissen anhand von Utilitätserwägungen bestimmte Haftungsmaßstäbe zuzuweisen. Schon im klassischen Recht bildete der Utilitätsgedanke ein Leitmotiv für die Haftungsentscheidungen 45, auch wenn er sich in dem abstraktionsfeindlichen

42 Vgl. den echten Gaius in Gai. Inst. III, 206; siehe dazu Käser, RP II, S. 353, Fn. 43; Kunkel, ZSS 45 (1925) 271; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 192 f.; Kubier, in: Festgabe Gierke, S. 259 ff. 43 Vgl. auch Gai. D. 44, 7, 1,4: „... si maiore casu, cui humana infirmitas resistere non potest...". 44 Vgl. den ebenfalls interpolierten Superlativ in Gai. D. 44, 7, 1,4: „... exactissimam diligentiam custodiendae rei...". 45 Grundlegend dazu Kubier, in: Festgabe Gierke, S. 235 ff.; idem, ZSS 38 (1917) 73 ff, der das Utilitätsprinzip als eine bereits im klassischen Recht fest verankerte Regel sieht; dagegen einschränkend auf ein bloßes Utilitätsmotiv Käser, RP I, S. 512; Kunkel, ZSS 45 (1925) 312 ff.; Wieacker, ZSS 54 (1934) 57 ff.; Arangio-Ruiz, Responsabilità

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Fallrecht der Klassiker noch nicht zu einem Prinzip verdichten konnte 46 . Die Berücksichtigung der Utilität war unumgänglich, spätestens seitdem sich gegen Ende der Republik verschiedene Haftungsstufen herausgebildet hatten und zur Auswahl standen47. Verläßliche Zeugnisse fur einzelfallbezogene Utilitätserwägungen im klassischen Recht findet man in Gai. Inst. 3, 206 u. 207, Ulp. D. 11, 6, 1, 1, Ulp. D. 13, 6, 5, 10, Ulp. D. 13, 6, 10, 1, Ulp. D. 13, 6, 12 pr., Gai. D. 13, 6, 18 pr., Cels. D. 17, 2, 52, 2, Gai. D. 19, 2, 40 und Afr. D. 47, 2, 62, 5 u. 6 4 8 . Dagegen zeigen Texte wie Mod. Coll. 10, 2, 1-3, Ulp. D. 13, 6, 5, 2 und Ulp. D. 50, 17, 23, in denen der Utilitätsgedanke erstmals in Form eines beherrschenden Prinzips erscheint, deutliche Spuren einer großflächigen Überarbeitung 49. Verdächtig ist, daß der Nutzen der Parteien hier als abstrakter Verteiler von Haftungsmaßstäben auf mehr oder weniger vollständige Listen von Schuldverhältnissen dient und dabei das Gegensatzpaar dolus und culpa als konstantes Haftungsmaß verwendet wird. Dagegen war das klassische Vertragsrecht im wesentlichen von den Haftungsstufen dolus und custodia geprägt 50 ; die culpa drang erst schrittweise in das Vertragsrecht ein 51 . Bis zum Ende der Klassik läßt sich zwar die Haftung für dolus und culpa neben der custodia als eine Erfahrungsregel konstatieren, von einem allgemeinen System der Haftung nur für dolus und culpa ist dies aber noch weit entfernt 52. Die für die Verkäuferhaftung relevanten Passagen in Ulp. D. 13, 6, 5, 2 („sed ubi utriusque utilitas vertitur, ut in empto, ut in locato, ut in dote, ut in pignore, ut in societate, et dolus et culpa praestatur") und in Ulp. D. 50, 17, 23 („dolum et culpam mandatum, commodatum, venditum, pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae, negotia gesta") können also frühestens im Übergang von der Spätklassik zur Nachklassik entstanden sein 53 ; jedenfalls aber nahmen die

contrattuale, S. 92 ff; Nörr, ZSS 73 (1956) 68 ff.; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 16 ff.; Tafaro, Regula, S. 123 ff., 207 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 198 f. 46 Wieacker, ZSS 54 (1934) 59 f.; Nörr, ZSS 73 (1956) 69. 47 Nörr, ZSS 73 (1956) 114 f. 48 Dazu Nörr, ZSS 73 (1956) 70 ff. 49 Kunkel, ZSS 45 (1925) 312 u. Fn. 2; Wieacker, ZSS 54 (1934) 53 ff.; ArangioRuiz, Responsabilità contrattuale, S. 92 ff; Käser, RP I, S. 512, Fn. 74; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 16 ff; De Robertis, Responsabilità contrattuale, S. 13 ff; Nörr, ZSS 73 (1956) 97 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 198, Fn. 83; dagegen für Klassizität nur noch die ältere Literatur: siehe nur Kübler, in: Festgabe Gierke, S. 237 ff. 50 Arangio-Ruiz, Responsabilità contrattuale, S. 92 ff, 173 ff.; Wieacker, ZSS 54 (1934) 53 ff. 51 Käser, RP I, S. 504 ff. 52 Käser, RPl, S. 511. 53 Nörr, ZSS 73 (1956) 97 ff., 118, datiert die Entstehung der Texte schon auf auf diesen frühen Zeitpunkt; Wieacker, ZSS 54 (1934) 53 ff, dagegen schreibt deren endgültige Abfassung erst den Byzantinern zu.

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Kompilatoren diese Texte bereitwillig in das Corpus Iuris auf, da in ihnen die custodia-Haftung mit keinem Wort erwähnt wurde. Die Erhebung des Utilitätsgedankens zu einem allgemeinen Prinzip setzte die Kompilatoren unter Druck, nun auch an anderen Stellen inhaltliche Konsequenzen fur die Verkäuferhaftun| zu ziehen. Diesem Umstand wurde bei der Abfassung von Inst. 3, 23, 3 u. 3a 4 Rechnung getragen: (3) ,,[Q]uidquid enim sine dolo et culpa venditoris accidit, in eo venditor securus est." (3a) „Quod si fugerit homo qui veniit aut subreptus fuerit, ita ut neque dolus neque culpa venditoris interveniat, animadvertendum erit, an custodiam eius usque ad traditionem venditor susceperit. sane enim, si susceperit, ad ipsius periculum is casus pertinet: si non susceperit, securus erit. idem et in ceteris animalibus ceterisque rebus intellegimus." Im Einklang mit Ulp. D. 13, 6, 5, 2 und Ulp. D. 50, 17, 23 wird der für beide Seiten gleichermaßen nützlichen emptio venditio der allgemeine Haftungsmaßstab dolus und culpa zugewiesen („sine dolo et culpa venditoris" und „neque dolus neque culpa venditoris interveniat"). Im Gegensatz zu den bloßen begrifflichen Umdeutungen bei den für das Verschuldensprinzip relevanten Stellen55 wurde hier die ehemalige custodia-Haftung auch inhaltlich beseitigt. Dafür war allerdings ein Kunstgriff nötig 56 : Der Verkäufer soll nur dann für custodia einstehen müssen, wenn er sie durch besondere vertragliche Vereinbarung übernommen hat („an custodiam eius usque ad traditionem venditor susceperit"). Besteht eine solche Abrede, trägt er das „periculum". Aus dem Zusammenhang mit den einleitendenden Fallbeispielen („si fugerit homo qui veniit aut subreptus fuerit") ergibt sich, daß damit nicht eine vollständige Gefahrübernahme einschließlich der vis maior, sondern das periculum custodiae 57

für bestimmte Fälle von casus minor gemeint ist . Ist dagegen nichts besonderes vereinbart, so ist der Verkäufer in diesen Fällen vor Ansprüchen sicher („securus erit") und haftet lediglich nach den allgemeinen Regeln, also für dolus und culpa.

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Dazu Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 143 ff. Gai. D. 18, 6, 2, 1; Paul. D. 18, 6, 3; Gai. 13, 6, 18 pr.; siehe dazu oben § 3, II, 1. 56 Das zeigt, wie lebendig die Erinnerung an die klassische custodia-Haftung in der byzantinischen Rechtswelt war. 57 Vergleichbar einer Versicherungshaftung für niederen Zufall; so Seckel/Levy, ZSS 47(1927) 147. 55

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Diese Abschiebung der custodia in den Bereich spezieller Vertragsklauseln war aber kein gänzlich neues Produkt des Verfassers der Institutionenstelle, sondern hatte bereits ein klassisches Vorbild in Gai. D. 18, 1, 35, 4 5 8 : „Si res vendita per furtum perierit, prius animadvertendum erit, quid inter eos de custodia rei convenerat: si nihil appareat convenisse, talis custodia desideranda est a venditore, qualem bonus paterfamilias suis rebus adhibet: quam si praestiterit et tarnen rem perdidit, securus esse debet..." Daß Inst. 3, 23, 3a dem Gaiustext nachgebildet wurde, liegt schon wegen der Gemeinsamkeiten in der Wortwahl („animadvertendum erit" und „securus esse") nahe. Insbesondere aber fällt die Ähnlichkeit der Entscheidungsstruktur auf, denn auch hier bedarf die custodia einer besonderen Abrede („quid inter eos de custodia rei convenerat"). Zweifel an der Echtheit von Gai. D. 18, 1, 35, 4 bestehen nicht, sieht man von der üblichen Interpolation des Haftungsmaßstabs der culpa in custodiendo einmal ab („talis custodia ... qualem bonus paterfamilias suis rebus adhibet") 59 . Wenn aber der Text in seinem Kerngehalt klassisch ist, wie läßt sich dann die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Vereinbarung der custodia erklären? Die Antwort ist: Das Fragment hatte ursprünglich eine Sonderregel beim Sklavenkauf zum Gegenstand60. Hier traf den Verkäufer die ansonsten reguläre custodia-Haftung nur beim Verkauf eines servus custodiendus, also eines Sklaven, der wegen seiner Jugend oder einer besonderen Neigung zur Flucht besonders bewachungsbedürftig ist. Beim servus non custodiendus dagegen wurde die Flucht als ein der Sklavenhaltung inhärentes Risiko dem Bereich der vis maior zugerechnet 61. Da aber auch der Diebstahl eines Menschen ohne dessen Mitwirkung kaum denkbar ist, wurde dieser Fall dem der Flucht gleichgestellt62. Dies kommt in der Institutionenversion des Gaiusfragments deutlicher als in der Vorlage zum Ausdruck: 58

Käser, ZSS 96 (1979) 107 ff.; Thielmann, ZSS 106 (1989) 294 f.; ausführliche Hinweise auf interpolationenkritische Literatur bei Harder , in: Festschrift Käser, S. 356, Fn. 37. 59 Zur Umstellung der custodia in eine culpa in custodiendo durch die byzantinische Wissenschaft siehe oben §3,11,1; speziell zu Gai. D. 18, 1, 35,4 siehe Käser, ZSS 96 (1979) 108 f. 60 Käser, ZSS 96 (1979) 107 ff.; anders Harder, in: Festschrift Käser, S. 352, Fn. 6, nach dem weder Gai. D. 18, 1, 35, 4 noch Inst. 3, 23, 3a zu der Annahme zwängen, die custodia-Haftung habe immer nur kraft besonderer Vereinbarung gegolten, sondern vielmehr die Auslegung zuließen, der Verkäufer hafte regelmäßig für custodia, wenn keine entgegenstehende Abrede vorhanden sei; dagegen Thielmann, ZSS 106 (1989) 294. 61 Gai. D. 13, 6, 18 pr. und Ulp. D. 50, 17, 23: „... fugae servorum qui custodiri non soient..."; dazu Käser, ZSS 96 (1979) 110. 62 Der Diebstahl wurde regelrecht als Unterfall der Sklavenflucht angesehen; Käser, ZSS 96 (1979) 111.; siehe aber auch Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 145, Fn. 1, mit einer skizzierten Erläuterung, wann ein Diebstahl ohne Mitwirkung des Sklaven möglich sein könne.

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„Quod si fugerit homo qui veniit aut subreptus fuerit ,.." 63 . Zur Übernahme des Flucht- und Diebstahlsrisikos beim servus non custodiendus war also im klassischen Recht eine ausdrückliche custodia-Klausel nötig. Die Kompilatoren griffen diesen Sonderfall auf, lösten ihn aus seinem ursprünglichen Kontext des Sklavenkaufs und verallgemeinerten das Erfordernis der expliziten custodia-Übernahme 64. Diese Vorgehensweise bot sich an, weil marginale Eingriffe in den klassischen Text genügten, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. In Gai. D. 18, 1, 35, 4 konnte durch die bloße Umstellung von servus auf res vendita am Anfang des Textes ein allgemeiner Bezug hergestellt werden 65 . Bei Inst. 3, 23, 3a entschied man sich für eine andere Variante: Hier wurde die klassische Entscheidung zu furtum und fuga servi insgesamt unverändert wiedergegeben; im Anschluß daran aber wurde ihr Anwendungsbereich durch den Zusatz „idem et in ceteris animalibus ceterisque rebus intellegimus" auf alle übrigen Lebewesen und Sachen erweitert 66 . Der Hinweis auf die Sachen ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen beweist er, daß der Nachtrag einer späteren Textschicht angehören muß; denn angesichts der Tatsache, daß die Flucht einer unbelebten Kaufsache als ausgeschlossen gelten darf, ist es mehr als deutlich, daß hier die innere Geschlossenheit des Gedankengangs im Text abbricht. Zum anderen haben die Kompilatoren aber gerade dadurch ihr Ziel erreicht, den Schwerpunkt der Entscheidung zu verlagern. Das spezifische Risiko der Sklavenflucht, das die ratio decidendi des klassischen Vorbilds getragen hatte, trat nun in den Hintergrund. Der Diebstahl wurde so von seiner engen Bindung an den Fall der Sklavenflucht gelöst und dominierte fortan als allgemeiner Tatbestand für alle Arten von Kaufgegenständen die Entscheidung. Damit war das prominenteste Beispiel für die ursprüngliche verschuldensunabhängige custodia-Haftung eindeutig den Standardhaftungsmaßstäben dolus und culpa unterworfen und die custodia in den Bereich besonderer Parteivereinbarungen abgeschoben.

3. Das Gesamtbild der Verkäuferhaftung im Corpus Iuris Insgesamt bietet das Corpus Iuris dem Betrachter ein wirres und uneinheitliches Bild von der Haftung des Verkäufers für Untergang und Verschlechterung der Kaufsache. Dies ist ein typisches Produkt der Arbeitsweise der Redaktoren. Sie verfolgten ihr Ziel, die Beseitigung der custodia-Haftung, nicht durch eine

63 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 145, Fn. 1, bezweifeln die Echtheit des Passus „aut subreptus fuerit" aus formalen Gründen; für Echtheit aber Käser, ZSS 96 (1979) 110. 64 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 148 f. 65 Käser, ZSS 96 (1979) 109, Fn. 79. 66 Seckel/Levy, ZSS 47 (1927) 145, Fn.6 u. 149; Käser, ZSS 96 (1979) 109, Fn. 79.

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systematische Neufassung des Rechts, sondern durch gezielte Auswahl und punktuelle Änderung der ihnen vorliegenden Texte. Die von ihnen in das Corpus Iuris aufgenommenen Fragmente spiegeln die unterschiedlichen Einflüsse wider, denen das klassische Recht in den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Kompilation ausgesetzt war: Gai. D. 18, 6, 2, 1, Paul. 18, 6, 3 und Gai. D. 13, 6, 18 pr. sind geprägt von den scholastisch-harmonisierenden Bemühungen der oströmischen Schuldogmatik, dem aus der griechischen und der christlichen Ethik stammenden Verschuldensprinzip zum Durchbruch zu verhelfen. Das Ergebnis war die rein begriffliche Umdeutung der custodia in eine diligentia exactissima unter Beibehaltung der materiellen Rechtslage. Ulp. D. 13, 6, 5, 2 und Ulp. D. 50, 17, 23 zeugen von der Verdichtung des Utilitätsgedankens zu einem allgemeinen Prinzip in der frühen Nachklassik. Dementsprechend ist hier die emptio venditio unter die beiderseitig nützlichen Verträge eingeordnet und den allgemeinen Haftungsmaßstäben dolus und culpa unterstellt worden. Hierin liegt die eigentliche Kriegserklärung an die custodiaHaftung des Verkäufers. Um nicht in Widerspruch zum Utilitätsprinzip zu geraten, war es nämlich notwendig, die strenge Verkäuferhaftung auch inhaltlich zu beseitigen und nicht nur hinter der Maske der diligentia exactissima zu verbergen; denn anders als beim commodatum als einem lediglich einseitig vorteilhaften Geschäft, konnte man bei der emptio venditio die strenge Haftung nicht unter Utilitätsgesichtspunkten rechtfertigen. Der Konflikt war damit vorprogrammiert, kam aber in Ulp. D. 13, 6, 5, 2 und Ulp. D. 50, 17, 23 noch nicht zum Ausbruch, da die beiden Texte nur allgemeine Aussagen zum Haftungsmaßstab bei den verschiedenen Schuldverhältnissen enthalten und eine konkrete Anwendung des Utilitätsprinzips auf die kritischen Fälle von casus minor gar nicht leisten wollen. Erst die Kompilatoren stellten sich einer direkten Konfrontation mit der custodia-Haftung. In Gai. D. 18, 1, 35,4 und Inst. 3, 23, 3a verallgemeinerten sie durch geringfügige Manipulation einer klassischen Sonderregel beim Sklavenkauf das Erfordernis der besonderen Vereinbarung der custodia und machten so den Weg frei für die dem Utilitätsprinzip entsprechende Haftung nur für dolus und culpa. Das Corpus Iuris weist also die eindeutige Tendenz auf, die Verkäuferhaftung dem allgemeinen, subjektiv geprägten Haftungsmaßstab dolus und culpa zu unterstellen. Allerdings hatte man die custodia-Haftung nicht vollständig beseitigt. Sie wurde lediglich in das juristische Unterbewußtsein abgedrängt. Als hartnäckiges Schattenwesen trieb sie in der gesamten weiteren Entwicklung im Mittelalter und im ius commune bis hin zum usus hodiernus 67 die Juristen dazu, eine diligentia exactissima zu diskutieren 68 , wo sie dem Utilitätsprinzip stracks

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zuwiderlief, und umfangreiche Kataloge von vis maior-Fällen zum Zwecke einer objektiven, typisierenden Abgrenzung aufzustellen 69, wo eine konsequente Durchführung des Verschuldensprinzips den Blick auf das individuelle Verschulden des Verkäufers in der konkreten Situation hätte lenken müssen.

67 Zu diesem Begriff als Bezeichnung für das heutige südafrikanische Privatrecht siehe Zimmermann, Das römisch-holländische Recht in Südafrika, S. XIII; idem, (1986) 103 SALJ 259 ff. 68 Siehe unten § 4, III; § 5, IV, 2, a). 69 Siehe unten § 5, IV, 2, c); § 6, IV.

§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht Die mittelalterliche Rechtswissenschaft brachte im wesentlichen drei Neuerungen. Die erste war methodischer Art: Die über das ganze Corpus Iuris verstreuten Texte zur Gefahrtragung und Haftung wurden mit der scholastischen Methode durch glossae, summae und lecturae systematisiert 1. Das materielle Recht bekam neue Impulse zum einen durch die Einführung des reinen Genuskaufs 2, zum anderen durch die inhaltliche und auch terminologische Konsolidierung des dreiteiligen Utilitätsprinzips 3.

I. Die scholastische Präsentation der Gefahrtragungsregeln In den frühen summae zu Institutionen und Codex erkennt man schon deutlich den Versuch, den Grundsatz periculum est emptoris im Zusammenhang mit den problematischen Sonderfällen der Gefahrtragung und verwandten Rechtsfragen zu erörtern 4. So wird in Brachylogus, 3, 13, 9 nicht lediglich die Grundregel „Periculum vero rei emptae ante traditionem ... ad emptorem pertinet" niedergelegt, sondern auch die unterschiedliche Rechtslage bei Speziesund Gattungskauf sowie die Auswirkungen von culpa venditoris und mora creditoris erwähnt. In der Summa Trecensis, 4,44, 1-3 und in Lo Codi, 4, 58, 8-11 werden darüberhinaus noch die Bestimmtheit des Preises, spezielle Schriftformerfordernisse, die Wirkung von Bedingungen, der Degustationsvorbehalt, der Weinkauf überhaupt, die ausdrückliche custodia- und Gefahrübernahme und die commoda besprochen. Bei Azo, Summa Codicis, 4,48, findet man die erste ausführliche und systematische Darstellung der wichtigsten

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Siehe unten § 4,1. Siehe unten § 4, II. 3 Siehe unten § 4, III. 4 Dagegen spricht Dilcher, Leistungsstörungen, S. 192 f., von einer Behandlung der Gefahrtragungsmaxime in ihrer einfachsten Form. Dem ist entgegenzuhalten, daß schon in den frühen Glossatorenschriften fast alle Problemfälle angesprochen, wenn auch nicht ausführlich diskutiert werden; siehe sogleich im Text. 2

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§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht

Gefahrtragungsprobleme 5. Aufbauend auf diese Vorarbeiten gelangt Accursius in gl. statim zu Inst. 3, 23, 3 6 zu einer geschlossenen periculum-Dogmatik: „Sed certe imo non statim: sed IX. sunt necessaria. Primo, quod venditio fiat non in scriptis: alias, id est, si fiat in scriptis venditio, non transit ad emptorem periculum, nisi modus esset completus: ut hic et... [C. 4, 21, 17 et C. 4, 48, 4]. Item quod fiat pure, alias non périt emptori, licet secus si facta sit deterior: ut ... [D. 18, 6, 8 pr.] Item quod sit facta venditio in specie, nam si in genere: ut puta, vendo hominem: non perit emptori ante traditionem: ut... [D. 18, 6, 14 (13) et 15 (14)]. Item quod sit certa species: quia si sub incertitudine sit vendita, licet species, non tarnen spectabit semper periculum ad emptorem: puta vendo Stichum aut Pamphilum. primus enim moritur periculo venditoris: ut... [D. 18, 1, 34, 6]. Item quod alio modo pereat quam publicatione rei. nam tunc non perit emptori: ut... [D. 19, 2, 33]. Item quod nullum pactum sit insertum quod periculum venditoris respiciat. nam tunc non perirei emptori: ut... [D. 18, 6, 10]... Item quod venditor non fuerit in culpa vel dolo, quare res pereat: ut ... [D. 18, 6, 12(11)]. Item quod non sit in mora, nam tunc qui ultimam fecit moram, sibi perit: ut ... [D. 18, 6, 18(17)]... Item quod non sit res quae degustationem desideret, ut vinum et zinziber, et similia. nam tunc distinguitur an vendatur in specie: et tunc post degustationem est periculum emptoris ... hoc secundum Io. et B. et Pia. ut... [D. 18, 6, 1 pr. et 1]. Sed Azo dicit, quod in vino sit speciale, quod statim facta venditione etiam ante degustationem sit emptoris periculum, si sit in specie venditio: ut... [D. 18, 1, 35, 5]...." Der Text vermittelt ein gutes Bild von der typischen Arbeitsweise der Glossatoren. Der übliche Ort (locus Ordinarius) für eine solche Glosse, die sich nicht in einer kurzen erklärenden Randbemerkung erschöpft, sondern eine ausführliche, die Theoriebildung tragende Darstellung enthält, ist die sedes materiae 7. Dabei handelt es sich um die wichtigsten Textstellen des Corpus Iuris zu dem jeweiligen Problem. Für die Gefahrtragung beim Kauf sind dies Inst. 3,23, 3, D. 18, 6, 8 pr. und C. 4,48. Dementsprechend nahm Accursius als Ausgangspunkt den ersten Satz von Inst. 3, 23, 3, in dem das Prinzip des sofortigen Gefahrübergangs gelehrt wird, und machte seine Glosse an der dogmatisch richti5 Allerdings schon vorbereitet durch Placentinus, Summa Codicis, 4, 48, bei dem Azo anknüpft; siehe Dilcher, Leistungsstörungen, S. 193. 6 Siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 193 f. 7 Schräge, Utrumque ius, S. 50.

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gen Stelle, dem „statim", fest. Hier bedurfte der Grundsatz näherer Erläuterung: „Sed certe imo non statim". Die Erläuterungen wurden aber nicht mehr wie in den älteren summae durch bloße Sammlung problematischer Fälle, sondern in Form einer abschließenden Aufzählung der Voraussetzungen des Gefahrübergangs dargeboten: „sed IX. sunt necessaria". Diese neun Voraussetzungen greifen die verschiedenen, über das gesamte Corpus Iuris verteilten Einzelfallentscheidungen auf. Dadurch werden die einzelnen Regeln zunächst in Gestalt eines abstrakten Prüfungsprogramms an der sedes materiae konzentriert. Die Verweisungstechnik erleichtert sodann den Zugriff auf die einschlägigen Texte und Glossen an den jeweiligen Orten. Mit der Aufstellung allgemeiner Tatbestandsvoraussetzungen und der systematischen Verknüpfung des Quellenmaterials war der entscheidende Schritt zu einer dogmatischen Durchdringung des Gefahrtragungsrechts getan. Accursius benennt im einzelnen die folgenden positiven und negativen Voraussetzungen für den Gefahrübergang: Es darf keine Schriftform vereinbart sein, denn bevor nicht der modus erfüllt, d.h. die Kaufurkunde ausgefertigt und unterschrieben ist, ist der Vertrag nicht verbindlich 8 . Der Kauf muß unbedingt geschlossen sein; aber auch, wenn eine aufschiebende Bedingung vorliegt, hat der Käufer zumindest das periculum deteriorationis zu tragen. Die Teilung der Gefahr in Paul. D. 18, 6, 8 pr. wird also im Mittelalter fortgesetzt 9. Es muß ein Spezieskauf vorliegen. Wenn nämlich in genere verkauft ist, geht die Gefahr nicht vor der traditio über 10 . Desweiteren ist notwendig, daß es sich um eine certa species handelt, denn beim Alternativkauf trägt der Käufer nicht in jedem Fall die Gefahr 11. Auch die Enteignung der Kaufsache, Afr. D. 19, 2, 33, geht nicht zu Lasten des Käufers 12.

8 Accursius bezieht sich hier auf den von Justinian neben dem Konsensualkauf alternativ zur Wahl gestellten schriftlichen Kauf (Inst. 3, 23 pr.). Zum Niedergang des klassischen Konsensualkaufs und der damit zusammenhängenden Etablierung der Schriftform in der Nachklassik siehe Käser, RP II, S. 385 ff; Zimmermann, The Law of Obligations, S. 232 f. 9 Siehe auch Rogerius, Summa Codicis, 4, 48; Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 2; Accursius, gl. periculum zu D. 18, 6, 8 pr.; Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 5. 10 Dazu sogleich ausführlich; siehe unten § 4, II. 11 Der Stichus und Pamphilus-Fall aus D. 18, 1, 34, 6 (siehe oben § 2, II, 4) erfreut sich großer Beliebtheit: siehe auch Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 4; Accursius, gl. periculum zu D. 18, 6, 8 pr.; Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 6; Ravanis, Lectura, adC. 4, 48, 1.

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Der Verkäufer darf die Gefahr nicht durch besondere vertragliche Abrede übernommen haben13. Dolus und culpa des Verkäufers hinsichtlich des Untergangs der Sache müssen ausgeschlossen sein 14 . Die Gefahr geht nicht über, wenn der Verkäufer mit seiner Pflicht zur Leistung in Verzug kommt. Schließlich darf keine Degustation mehr erforderlich sein. Hierzu einige Bemerkungen: Die klassischen Texte zum Weinkauf spiegeln die große Vielfalt an unterschiedlichen Fallkonstellationen und rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien wider 15 . Die willkürliche Zusammenstellung und unübersichtliche Anordnung im Corpus Iuris aber führte zu einer Verschleierung des ausdifferenzierten klassischen Rechts. So gelangten die Glossatoren, je nachdem welchen Einzelfall sie zum Ausgangspunkt ihrer allgemeinen Überlegungen zur dogmatischen Einordnung der degustatio nahmen, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach Rogerius, Summa Codicis, 4, 48, trägt der Verkäufer die Gefahr grundsätzlich solange, bis eine degustatio durchgeführt ist, bei besonderer Abrede auch darüberhinaus 16. Eine Gefahrtragung des Käufers schon ab emptio perfecta solle auf Ausnahmen, wie den Kauf per aversionem beschränkt bleiben, wobei die degustatio ausdrücklich ausgeschlossen werden müsse17. Im Zweifel aber solle immer eine degustatio als vereinbart gelten 18 . Rogerius nimmt also den in Ulp. D. 18,6,4, l 1 9 angedeuteten, praktischen Ausnahme12 Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 7, erklärt diese Entscheidung mit einer vom Verkäufer verschuldeten strafrechtlichen Vermögenseinziehung: „... periculum publicationis pertinet ad te venditorem, non ad me emptorem: quia praesumitur, quod sit publicatum delicto venditoris...". Dagegen sieht Accursius hier einen Sonderfall und nicht einen Verschuldenstatbestand, denn sowohl in gl. statim zu Inst. 3, 23, 3 als auch in gl. periculum zu D. 18, 6, 8 pr. bildet die culpa des Verkäufers einen eigenen Prüfungspunkt in der Liste der Voraussetzungen des Gefahrübergangs; er hätte also D. 19, 2, 33 hier einordnen müssen, wenn er an ein Verschulden gedacht hätte. Eine vermittelnde Lösung bieten Bartolus, Commentarla, ad D 18, 6, 8 pr., n. 1, und Baldus, Commentarla, ad D 18, 6, 8 pr.; siehe Dilcher, Leistungsstörungen, S. 196 f. 13 So schon Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 5. 14 Zum Haftungsmaßstab sogleich ausfuhrlich; siehe unten § 4, III. 15 Siehe oben § 2, II, 5. 16 „... nam cum vinum venditur, si in specie venditur, nisi degustatum fuerit, spectat periculum ad venditorem. cum vero degustatum fuerit, quia licuit emptori probare vel improbare, spectat periculum ad emptorem, nisi venditor in se susceperit periculum ...". 17 „... sed cum per aversionem venditur vinum, et hoc specialiter agitur ne degustetur, periculum acoris et mucoris spectat ad emptorem". 18 „... si vero de degustatione nihil sit dictum, ante degustationem ad venditorem ...". 19 „[Difficile autem est, ut quisquam sic emat, ut ne degustet". Der Kauf per aversionem ohne Degustationsvorbehalt beschränkte sich im klassischen Recht im wesentlichen auf die Beschaffung billigen Sklavenweins in großen Mengen; siehe oben § 2, II, 5.

I. Die scholastische Präsentation der Gefahrtragungsregeln

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Charakter des Weinkaufs per aversionem zum Anlaß, um daraus die allgemeine Rechtsnorm eines regelmäßigen - wenn auch dispositiven - Degustationserfordernisses abzuleiten. Dagegen lehrt Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 5, daß beim Weinkauf in specie die Gefahr sofort auf den Käufer übergehe, sofern nicht eine anderslautende Abrede bestehe20, also das genaue Gegenteil. Das liegt daran, daß er seine Ansicht auf einen anderen Text als Rogerius stützt, nämlich Ulp. D. 18, 6, 1 pr.. Sowohl die Lehre des Azo als auch die des Rogerius fand Anhänger 21 . Bei dieser weiteren Entwicklung verlor man jedoch den eigentlichen Streitgegenstand aus den Augen und gab der Kontroverse eine andere Richtung: So spricht sich Accursius unter Punkt IX der gl. statim zu Inst. 3, 23, 3 für ein periculum emptoris erst nach der degustatio aus und beruft sich dafür auf Bassianus, Bulgarus und Placentinus22. Als Vertreter einer vermeintlichen Gegenmeinung führt er Azo an und unterstellt ihm, er plädiere für periculum emptoris schon vor der degustatio („Sed Azo dicit, quod in vino sit speciale, quod statim facta venditione etiam ante degustationem sit emptoris periculum, si sit in specie venditio"). Damit wird er Azo aber nicht gerecht, der lediglich einen ausdrücklichen Vorbehalt der Degustation für erforderlich hält, für den Fall aber, daß eine solche vereinbart ist, genauso wie Accursius entscheidet23. Nichtsdestotrotz prägte dieses MißVerständnis den weiteren Verlauf der Diskussion 24 . Im großen und ganzen lag der Erfolg der mittelalterlichen Scholastik also hauptsächlich in der Methode; sie ermöglichte eine systematische und wissenschaftliche Bearbeitung der Quellen. Inhaltlich dagegen blieb das Recht der Gefahrtragung in den meisten Punkten konstant, man beschränkte sich auf eine erklärende Kommentierung der einschlägigen Texte. Was aber die degustatio betrifft, so hat die scholastische Wissenschaft nicht für Klarheit gesorgt, sondern das ohnehin schon durch die justinianische Kompilation verschleierte Recht des Weinkaufs noch weiter verdunkelt.

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„Nam si nil de periculo convenisset venditor, spectaret periculum ad emptorem, cum in specie vinum emerit, sicut in qualibet specie vendita..." 21 Azo folgten: Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 7; Baldus, Commentarla, ad D 18, 6, 8 pr.; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 195 ff.; - Rogerius schlossen sich an: Placentinus, Summa Codicis, 4, 48; Accursius, gl. statim zu Inst. 3, 23, 3; Ravanis, Lectura, ad C. 4, 48, 1; Cinus, Commentarla, ad C. 4, 48, 2, n. 6; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 194 ff. 22 Zur Auflösung der Sigla Ιο., Β., Pia. in Punkt IX der gl. statim siehe Bryson, Dictionary of Sigla. 23 Siehe Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 5: „Si in specie, pertinet periculum ad emptorem post degustationem, non ante". 24 Siehe Ravanis, Lectura, ad C. 4, 48, 2: „... dominus Azo dicit contrarium et dicit quod si venditur vinum ut species, statim est periculum emptoris ...". 7 Bauer

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I I . Die Entwicklung des Gattungskaufs Einen kreativen Prozeß allerdings setzten die Glossatoren durch die Einbeziehung des Genuskaufs in den Vertragstyp der emptio venditio in Gang 25 . Zum besseren Verständnis dieses Vorgangs ist es nötig, sich kurz die Situation im antiken römischen Recht in Erinnerung zu rufen: Im Rahmen der klassischen römischen emptio venditio kam aufgrund ihrer vom Barkaufgedanken geprägten Struktur ein Verkauf nur gattungsmäßig bestimmter Sachen nicht in Betracht; Geschäfte dieser Art wurden über wechselseitige Stipulationen abgewickelt 26 . Spezieskauf und Genuskauf waren also schon durch ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Vertragstypen der emptio venditio einerseits und der stipulatio andererseits streng voneinander zu trennen. Darüberhinaus gehörte die emptio venditio den bonae fidei iudicia, die stipulatio dagegen den Obligationen stricti iuris an, weswegen sie von grundverschiedenen Klageformeln regiert wurden. Dies führte zur Ausbildung eines jeweils eigenständigen Leistungsstörungsrechts 27. Dementsprechend spielte das innerhalb der emptio venditio entwickelte periculum-Konzept bei einer Stipulation, die auf gattungsmäßig bestimmte certae res gerichtet war, keine Rolle, da Untergang oder Verschlechterung der gesamten Gattung regelmäßig ausgeschlossen waren. Aufgrund dieser Tatsache mutete man dem Stipulationsschuldner zu, weiterhin aus der Gattung zu leisten, auch wenn einzelne Stücke aus der Gattung, die er für die Erfüllung einer bestimmten Verbindlichkeit bereits ausgewählt und bereitgelegt hatte, untergegangen waren. Das Konzept der Konkretisierung war dem klassischen Stipulationsrecht unbekannt. Allerdings räumte man dem Schuldner die Möglichkeit ein, dem zwar weiterhin bestehenden Leistungsanspruch des Gläubigers vor Gericht die exceptio doli entgegenzuhalten, wenn sich der Gläubiger zur Zeit des Untergangs der bereitgestellten Waren im Annahmeverzug befunden hatte 28 . Die mittelalterliche Rechtswissenschaft hielt an der überkommenen äußeren Form des Vertragsrechts mit seinem Typenzwang fest 29 , unterschwellig ist aber schon ein Trend hin zu einem allgemeinen Vertragsrecht erkennbar 30. Das mag 25

Die Konturen von Gattungs- und Stückschuld waren schon im justinianischen Recht verwischt worden; siehe dazu Ernst, ZSS 114 (1997) 289 f., 343 f. ' 26 Siehe oben § 2, II, 2. 27 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 783 ff; Käser, RP I, S. 513 ff. 28 Siehe Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 51 ff.; Dilcher, Leistungsstörungen, S. 277. 29 Siehe dazu Dilcher, ZSS 77 (1960) 270 ff. 30 Mit den den Termini „pactum" und „conventio" hatten die Glossatoren und Kommentatoren zumindest schon einen Oberbegriff fur die verschiedenen Vertragstypen gefunden, die Kanonisten steuerten die Maxime „pacta sunt servanda" bei, und in der Praxis hatte sich im Rahmen der lex mercatoria die Klagbarkeit der pacta nuda bereits

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dazu beigetragen haben, daß man im Kaufrecht die strenge Trennung der Vertragstypen nicht mehr konsequent durchführte. So findet man nunmehr im Rahmen der emptio venditio unter der Rubrik „de periculo et commodo rei venditae" klare Hinweise auf einen reinen Gattungskauf 31. Die Gefahrtragung bei dieser neuen Kaufvariante richtet sich nach dem bei den Gattungsschulden stridi iuris entstandenen Leistungsstörungsschema: durchsetzbarer Leistungsanspruch bis zur tatsächlichen Erfüllung, es sei denn, es liegt Annahmeverzug vor. Diese Entwicklung läßt sich schon in den frühen Glossatorenschriften nachweisen, so z.B. in Brachylogus, 3, 13, 9 3 2 , aber erst Azo, Summa Codicis, 4,48, n. 3, nennt das Kind beim Namen: ,,[Q]uia si in genere sit facta, puta vendis mihi hominem, nunquam spectat periculum ad emptorem, etiam si omnes servi, quicunque sunt in mundo, perirent; quia quod in genere debetur, perire non potest,... [C. 4, 2, 11]. debetur enim incertum de incertis: et ita potest intellegi quod dicitur in venditione lectorum ... [D. 18, 6, 13 (12) et 14 (13) et 15 (14)]. vel venditor in se periculum susceperit, vel eius culpa perierunt. Secus, si debeatur incertum de certis: ut promitto unum de servis meis, vel decern corbes vini ex hoc dolio: tunc enim liberor, si omnes servi mei perierint, vel si omne vinum dolii sit effusum: ut... [D. 35, 2, 30, 5]. Vel forte alia est natura venditionis, alia legatorum. Legatarius autem non petit vinum, quia totum est effusum: neque pretium, quia legatum non est: emptor vero non vinum petit, sed repetit pretium quod dédit: quia sine causa est apud venditorem. Vel si non solvit, habet exceptionem in eo. et ideo dicitur non spedare periculum ad eum." Im ersten Abschnitt beschreibt Azo den reinen Gattungskauf („emptio in genere facta"), den er als Schuld eines „incertum de incertis" bezeichnet, im zweiten Abschnitt grenzt er den Kauf aus beschränktem Vorrat als Schuld eines „incertum de certis" davon ab 33 . Interessant ist in beiden Fällen die Vermengung des Rechts der Schuldverhältnisse stricti iuris, wie etwa stipulatio und le-

durchgesetzt; siehe zu alledem Zimmermann, The Law of Obligations, S. 537 ff; idem , JZ 1990, 827 ff. 31 Siehe dazu Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 57 ff. 32 „... at si quis incerta descriptione usus, veluti hominem aut decern modios tritici vel vini vendiderit, nec quem hominem vel quod vinum aut triticum adiecerit, et, ante quam tradatur, homo mortuus sit, vel vinum acidum vel mucidum, vel triticum quoquo modo corruptum sit, de quo ipse sentiebat, ad eum periculum pertinebit". Hier wird ganz deutlich gemacht, daß die Kaufsache nur anhand von allgemeinen Gattungsmerkmalen bestimmt ist. Die Tatsache, daß der Verfasser für den Gefahrübergang auf den Zeitpunkt der Übergabe abstellt, zeigt, daß er sich im Leistungsstörungsrecht der Stipulation bewegt, wo die Befreiung von der Gattungsschuld nur durch Erfüllung, also traditio, erfolgen kann. 33 Die gleiche Abgrenzung nimmt Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 6, vor, ordnet aber bei dieser Gelegenheit den Alternativkauf bei der Gruppe „incertam de certis" ein. Dieser Fall wurde im Mittelalter normalerweise als Sonderfall des Spezieskaufs betrachtet; siehe Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 4: „... si sub incertitudine sit vendita, licet sit species ..."; fast wortgleich Accursius, gl. statim zu Inst. 3, 23, 3. 7*

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gatum, mit den Regelungen der emptio venditio. Die ursprünglichen Elemente dieser neuen Verbindung sind aber sowohl in terminologischer als auch in dogmatischer Hinsicht noch deutlich erkennbar. Zunächst zum reinen Genuskauf: Azos Entscheidung zur Gefahrtragung beim Gattungskauf, „nunquam spectat periculum ad emptorem", stammt begrifflich aus dem Recht der emptio venditio und stellt lediglich eine negative Fassung des Satzes periculum est emptoris dar. Zur Begründung der Entscheidung aber wird das Leistungsstörungsrecht der Stipulation herangezogen: Was gattungsmäßig geschuldet wird, kann nicht untergehen („quia quod in genere debetur, perire non potest"), der Erfüllungsanspruch bleibt bestehen. In diesem Sinne deutet Azo nun Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 („et ita potest intellegi quod dicitur in venditione lectorum"). Die beiden Fragmente scheinen genau in das Schema eines Gattungskaufs, so wie es im Stipulationsrecht vorgebildet ist, zu passen: Der Käufer wird erst mit der Gefahr belastet, sobald ihm entweder die Sachen übergeben sind, also erfüllt ist, oder aber er in Annahmeverzug gerät. Es lag nahe, gerade diese Stelle als Präzedenzfall für den reinen Gattungskauf heranzuziehen, hatte man damit doch ein Beispiel direkt aus dem Recht der emptio venditio, wo allem Anschein nach der Begriff periculum mit der Leistungsstörungsdogmatik der Gattungsschuld verbunden ist. Nach herrschender Auffassung in der modernen Romanistik betrifft der Text jedoch nicht die Käufergefahr, sondern das periculum custodiae, also die strenge Verkäuferhaftung, die erst mit der Übergabe oder gegebenenfalls durch Annahmeverzug endet34. Ganz sicher war sich aber schon Azo nicht, daß hier ein reiner Gattungskauf behandelt wird, denn er stellte noch zwei weitere Erklärungsvarianten zur Debatte, und zwar einerseits eine eventuelle vertragliche Übernahme der Gefahr durch den Verkäufer („vel venditor in se periculum susceperit") und andererseits die Möglichkeit einer vom Verkäufer zu vertretenden Zerstörung der Betten („vel eius culpa perierunt"). Ungeachtet dieser obiter angemerkten Zweifel, war mit Hilfe der Paulusfragmente ein Konzept der Gefahrtragung beim reinen Gattungskauf in die Struktur der emptio venditio importiert worden. Accursius, gl. statim zu Inst. 3, 23, 3, machte sich diese Vorarbeiten zunutze und nahm die emptio in genere als eine (negative) Vorausetzung in seinen Katalog der neun Bedingungen des Gefahrübergangs auf: „Item quod sit facta venditio in specie, nam si in genere: ut puta, vendo hominem: non perit emptori ante traditionem: ut ... [D. 18, 6, 14 (13) et 1. 15 (14)] ...". Accursius präzisiert Azos Darstellung insoweit, als er ausdrücklich sagt, daß bis zur traditio den Käufer kein Risiko trifft 35 . Im Wege der Verweisung bezieht auch er Paul. D. 18, 6, 15 in sein Sy34

Siehe oben § 2, IV. Azo hatte die traditio noch nicht explizit erwähnt, sondern sich mit der Feststellung „... quod in genere debetur, perire non potest..." begnügt; durch den Verweis auf 35

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stem ein. Folgt man der Verweisung, so findet man in gl. venditoris zu D. 18, 6, 15 eine Fallunterscheidung; Accursius war sich also ebenfalls nicht ganz sicher, wie er das Fragment verstehen durfte: Falls es sich um einen Spezieskauf handeln sollte, müßte der Verkäufer die Gefahr vertraglich übernommen haben. Die Alternative Gattungskauf kommentiert er schlicht mit der Wendung „genus non perit" 36 . Diese Faustformel wurde im weiteren Verlauf von den mittelalterlichen Autoren als geläufiges juristisches Kürzel verwendet und ersparte ihnen eine ausfuhrliche Darlegung der Rechtslage37. Das mittelalterliche Konzept der Gefahrtragung beim reinen Gattungskauf ist also das Ergebnis eines produktiven Mißverständnisses. Es wurde aus zwei Elementen zusammengesetzt, die aus verschiedenen Rechtsgebieten stammten und nichts miteinander zu tun hatten. Die eine Komponente dieses Konzepts wurde dem Recht der Obligationen stricti iuris entnommen und betraf allein die Leistungsgefahr: Die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs bis zur tatsächlichen Erfüllung und die exceptio doli im Falle des Annahmeverzugs hatten ihre ursprüngliche Funktion bei einseitigen Schuldverhältnissen wie Stipulation und Legat. Damit zielen sie zwangsläufig nur auf die Regelung des Schicksals einer eingleisigen Leistungspflicht. Sie klären die Frage, ob der Schuldner leisten muß oder ob er befreit wird, sprich die Beschaffüngsgefahr. Da eine Gegenleistung nicht Teil eines solchen Schuldverhältnisses ist, werden darüber auch keine Aussagen gemacht. Diese Funktion kommt nun der aus der emptio venditio stammenden zweiten Komponente, der Gegenleistungsgefahr, zu: Bei der auf den Stückkauf beschränkten emptio venditio interessierte ausschließlich die Preisgefahr, denn beim Verkauf individuell bestimmter Sachen bedurfte die Leistungsgefahr keiner rechtlichen Klärung. Das verkaufte Stück ist einzigartig; es ist also entweder noch vorhanden oder eben nicht mehr. Geht es unter, kann niemand es mehr beschaffen. Die Frage, ob der Verkäufer von 38

der Leistung frei wird, entscheidet sich faktisch . Rechtlich zu beurteilen ist beim Stückkauf also immer nur das Risiko, daß der Käufer den vollen KaufD. 18,6, 15 hatte er aber die traditio wenigsten mittelbar in seine Darstellung einbezogen. 36 So auch in gl. lectos emptos zu D. 18, 6, 13. 37 Odofredus, Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 6; Ravanis, Lectura, ad C. 4, 48, 1 ; Bellapertica, Commentarla, ad D. 45, 1, 23, n. 5; Cinus, Commentarla, ad C. 5, 12, 10, n. 2; Bartolus, Commentarla, ad C. 4, 2, 11; Baldus, Commentarla, ad C. 8, 37, 8, n. 2; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 280. 38 Insofern enthält § 275 Abs. 1 BGB für den Fall der nachträglichen objektiven Unmöglichkeit beim Stückkauf keine echte juristische Regelung der Leistungsgefahr, sondern eine wertfreie Selbstverständlichkeit. Die Befreiung von der Primärleistungspflicht ergibt sich von selbst. Das Kriterium des Verschuldens spielt nur fiir die.Sekundärleistungspflicht - Schadensersatz wegen Nichterfüllung - eine Rolle. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Gefahrtragungsproblem, sondern um die Frage der Verkäuferhaftung.

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preis zahlen muß, obwohl er die Kaufsache nicht oder in verschlechtertem Zustand bekommt. Mit dem Begriff periculum bezeichneten die Römer also allein die Preisgefahr. Indem die Glossatoren den Stückkaufcharakter der römischen emptio venditio aufbrachen, spalteten sie gleichzeitig den Begriff periculum in zwei Bedeutungen. Das war nun auch nötig, denn mit der Einführung des Gattungskaufs stellte sich sowohl die Frage nach der Leistungs- oder Beschaffungsgefahr als auch nach der Gegenleistungsgefahr. Beide Komponenten wurden unter dem Dach der emptio venditio zusammengeführt. Und weil es sich dabei um einen unbewußten Vorgang handelte, übernahm man ohne weiteres die dort entwikkelte Terminologie. So wurde dem Leistungsstörungsrecht der Obligationen stricti iuris einfach der kaufrechtliche Begriff des periculum übergestülpt. Die Glossatoren und Kommentatoren sprachen von periculum, wenn sie erklärten, daß bei der emptio in genere der Leistungsanspruch bis zur Übergabe fortbesteht, weil die Gattung nicht untergehen kann 39 . Der Begriff wird hier also im Sinne von Leistungsgefahr verwendet. Materiellrechtlich ist dahinter die aus dem Stipulationsrecht importierte, bis zur Erfüllung fortdauernde Beschaffungsschuld immer noch deutlich erkennbar. Was aber ist aus der exceptio doli des Stipulationsschuldners bei Untergang der zwar gattungsmäßig geschuldeten, aber schon bereitgestellten Waren während des Annahmeverzugs geworden? Die mittelalterlichen Juristen entscheiden im Fall des Gläubigerverzugs beim Gattungskauf: periculum emptoris und meinen damit nun aber nicht nur das Beschaffungsrisiko, sondern auch die Preisgefahr 40. Man hatte also die auf einseitige Schuldverhältnisse ausgerichtete exceptio doli bei der zweigleisigen emptio venditio in einen Fall der Gegenleistungsgefahr umgewandelt. Wiederum muß betont werden, daß dies unwillkürlich vor sich gegangen war. Die Paulusfragmente D. 18, 6, 13 u. 15 stellten nun

39 Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 3: „... si in genere si facta... nunquam spectat periculum ad emptorem ... quia quod in genere debetur, perire non potest..."; Accursius , gl. statim zu Inst. 3, 23, 3: „nam si in genere: ut puta, vendo hominem: non périt emptori ante traditionem ..."; Odofredus , Praelectiones, ad C. 4, 48, 1, n. 6: „... si incertain de incertis, puta hominem in genere: tunc periculum erit venditoris"; Ravanis , Lectura, ad C. 4, 48, 1: „... si esset facta venditio in genere non esset periculum emptoris. quia genus perire non potest". 40 Z.B.: Lo Codi, 4, 58, n. 10: „Set si vendicio facta est illarum rerum que sunt in numero pondéré et mensura, et sunt deteriorate ante quam sint numerate vel ponderate vel mensurate, dampnum esse debet venditoris, nisi venditor semper fuit paratus ut rem traderet emptori et emptor fecit moram, quia tune totum dampnum debet esse emptoris, si remanet in eo quod non fuerunt ponderate vel mensurate vel numerate et res perdite sunt." („dampnum" wird hier als Synonym für periculum verwendet); Rogerius, Summa Codicis, 4, 48: „... periculum spectat ad venditorem, preterquam si emptor in mora fuit aeeipiendi. nam cum in mora est emptor, omne periculum spectat ad eum. ante moram emptoris omne periculum ad venditorem spectat".

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einmal nach ihrem Wortlaut ein Gefahrtragungsschema mit den Voraussetzungen Übergabe oder Annahmeverzug in den Raum. Und so faßten einflußreiche Juristen wie Azo und Accursius die Texte als genuin kaufrechtliche Entscheidungen zum Gefahrübergang beim Gattungskauf auf. Eine dogmatische Begründung, warum der Annahmeverzug für die Preisgefahr bei einer Gattungsschuld von Bedeutung sein soll, konnten und wollten die mittelalterlichen Juristen nicht geben. Für den modernen Dogmatiker aber wird gerade an dieser Stelle der Systembruch sichtbar, der durch die Zusammenführung zweier grundverschiedener Leistungsstörungsrechte entstanden war. Bei einer reinen Gattungsschuld ist die Befreiung des Schuldners wegen objektiver Unmöglichkeit der Leistung (Sachuntergang) nicht denkbar. Solange aber die Leistung noch möglich ist, gibt es keinen Anlaß zur Diskussion der Preisgefahr, als des Risikos, daß der Verkäufer nicht leisten kann, der Käufer aber trotzdem bezahlen muß. Es gibt also nur eine mögliche Erklärung für den Übergang der Preisgefahr bei Gattungsschulden: die bereits vorher eingetretene Konkretisierung der Gattungsschuld in eine Stückschuld und der damit verbundene Übergang der Leistungsgefahr. Dafür war jedoch ein Kunstgriff nötig. Man mußte dem Annahmeverzug konkretisierende Wirkung beimessen41. Hier taucht das Konzept der Konkretisierung zum ersten Mal in der Geschichte der emptio venditio auf; seine zentrale Bedeutung sollte es aber in dem Spannungsfeld zwischen Gattungskauf und Kauf aus konkretem Vorrat gewinnen, und zwar konzentriert in dem Begriff der mensura. Den Kauf aus konkretem Vorrat behandelt Azo unmittelbar im Anschluß an den Gattungskauf im zweiten Abschnitt des oben wiedergegebenen Texts: Auch hier ist eine Durchdringung des periculum emptoris mit der Leistungsstörungsdogmatik der Gattungsschuld feststellbar. Azo beschreibt den beschränkten Vorratskauf als ein Schuldverhältnis, das ein „incertum de certis" zum Gegenstand hat 42 . Als Beispiele führt er den Verkauf von „unum de servis meis" oder „decem corbes vini ex hoc dolio" an und kommt zu dem Ergebnis, daß im Falle des Untergangs all seiner Sklaven oder des gesamten Fasses Wein der Schuldner von der Leistung frei wird. Er betrachtet also auch den Vorratskauf aus der auf eine einseitige Leistungspflicht gerichteten Perspektive der Stipulation oder des Legats. Das spiegelt sich auch in der Terminologie wider. Er be-

41 Dies ist der dogmengeschichtliche Hintergrund und auch noch die heutige dogmatische Funktion des § 300 Abs. 2 BGB: „Wird eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, so geht die Gefahr [Anm.: die Leistungsgefahr] mit dem Zeitpunkt auf den Gläubiger über, in welchem er dadurch in Verzug kommt, daß er die angebotene Sache nicht annimmt". 42 Es ist also nicht erst Ravanis, Lectura, ad C. 4, 48, 2, der zwischen echter und beschränkter Gattungsschuld unterscheidet; so aber Dilcher, Leistungsstörungen, S. 195 u. 279.

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nutzt nämlich nicht das bei der emptio venditio übliche Vokabular 43 , sondern die typischerweise bei Obligationen stricti iuris verwendeten Begriffe „promitto - debeatur - liberor" 44 . Zur autoritativen Absicherung seiner Entscheidung verweist er darüberhinaus auf Maec. D. 35, 2, 30, 5, einen Text aus dem Recht des Legats. Dabei ist ihm aber bewußt, daß dieser Vergleich nicht ganz sauber ist: „Vel forte alia est natura venditionis, alia legatorum". Das liegt natürlich daran, daß bei der emptio venditio ursprünglich die entscheidende Frage nicht die Leistungsgefahr, sondern das Schicksal der Gegenleistung gewesen war. Dennoch fahrt er in dem Vergleich mit dem legatum fort und erklärt umständlich, daß der Käufer nach dem Untergang des gesamten Vorrats den nunmehr rechtsgrundlos beim Verkäufer liegenden Kaufpreis zurückfordern kann („repetit pretium quod dedit: quia sine causa est apud venditorem") und, falls er noch nicht gezahlt haben sollte, eine exceptio zur Seite habe („Vel si non solvit, habet exceptionem in eo"). Aus alledem folgert er schließlich, daß die Gefahr nicht beim Käufer liege („et ideo dicitur non spectare periculum ad eum"). Die durch den reinen Gattungskauf importierte Leistungsstörungsdogmatik brachte Azo also dazu, den Gaul von hinten aufzuzäumen. Hätte er nämlich den im römischen Recht zulässigen Fall des Kaufs aus konkretem Vorrat 45 auf traditionelle Weise gelöst, so hätte ein kurzer Hinweis darauf genügt, daß bis zur Zuzählung oder Zumessung (mensura) der Kauf mangels einer hinreichend bestimmten Kaufsache noch nicht perfekt und deshalb die Gefahr noch nicht auf den Käufer übergegangen war. Azo hatte damit die Grundlage für einen Wandel des Verständnisses von der Rechtsnatur des Kaufs aus konkretem Vorrat gelegt. Während er im römischen Recht eine Sonderform des Spezieskaufs darstellte, bei der Vertragsschluß und Vollwirksamkeit wegen des Perfektionserfordernisses der mensura lediglich zeitlich auseinanderfielen 46, wurde er im Mittelalter Schritt für Schritt in die Nähe des reinen Gattungskaufs gebracht 47. So führte Bellapertica, Institutionum Commentarli 4, 6, n. 14, die Begriffe „in genere generalissimo" für die reine Gattungsschuld und „in genere subalterno" für die beschränkte Gattungsschuld ein 48 . Der gemeinsame Oberbegriff war also venditio in genere, wodurch der

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Z.B.: emere oder vendere. Siehe zum Vergleich: Maec. D. 35, 2, 30, 4 u. 5; C. 4, 2, 11; Inst. 3, 15, 1. 45 Siehe oben § 2, II, 2. 46 Siehe Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 51 ff.; siehe auch oben § 2, II, 2. 47 Es gab aber auch Autoren, die den Kauf aus konkretem Vorrat dem Spezieskauf gleichstellen wollen, mit der Folge, daß der Käufer schon im Moment der emptio contracta die Gefahr trägt, so z.B. Ravanis, Lectura, ad C. 4, 48, 2; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 195 ff., 279 f. 48 Siehe dazu Dilcher Leistungsstörungen, S. 195 f.; Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 58. 44

II. Die Entwicklung des Gattungskaufs

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fundamentale Unterschied zwischen den beiden Unterfällen verwischt wurde. Der Vorratskauf wurde nicht mehr als Spezieskauf einer durch die mensura noch zu bestimmenden körperlichen Quantität angesehen, sondern von vornherein als Kauf nur gattungsmäßig bestimmter Sachen49. Der Unterschied zum reinen Genuskauf war lediglich, daß sich die Beschaffungsschuld auf einen konkreten Vorrat beschränkte. Die mensura erhielt nun die Funktion, die Gattungsschuld in eine Stückschuld zu verwandeln 50. Aufgrund der dogmatischen Vergleichbarkeit der beiden Unterfalle der venditio in genere konnte die mensura auch fur den reinen Genuskauf fruchtbar gemacht werden. Es entstand die Möglichkeit, die reine Gattungsschuld schon vor Erfüllung oder Annahmeverzug zu einer Stückschuld zu konkretisieren. Auch diesen Vorgang darf man sich nicht als eine bewußte und gezielte Rechtsfortbildung vorstellen. Es handelt sich nicht um eine lineare Entwicklung in dem Sinne, daß die Einführung einer einheitlichen Terminologie für Gattungsschulden die Ursache für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der mensura darstellte. Es ist vielmehr so, daß die römischen Texte zur mensura schon in den frühen mittelalterlichen Schriften durch unscharfe Vorstellungen von einem reinen Gattungskauf überlagert wurden. Die klassischen Entscheidungen zur Wirkung der Zumessung beim Kauf aus konkretem Vorrat 51 und beim Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram 52 konnten ohne größere Veränderungen auch in Hinblick auf einen Genuskauf ihre Gültigkeit behalten. Ein gutes Beispiel für ein solches Verständnis der Quellen findet man in Lo Codi, 4, 58, n. 10: „Set si vendicio facta est illarum rerum que sunt in numero pondéré et mensura, et sunt deteriorate ante quam sint numerate vel ponderate vel mensurate, dampnum esse debet venditoris, nisi venditor semper fuit paratus ut rem traderet emptori et emptor fecit moram, quia tune totum dampnum debet esse emptoris, si remanet in eo quod non fuerunt ponderate vel mensurate vel numerate et res perdite sunt." Das klassische Vorbild für diesen Text ist offensichtlich Gai. D. 18, 1, 35, 5 5 3 . Das zeigt die dreimalige Wiederkehr der gaianischen Trias des „pondere numero mensurave". Der originale Gaiustext behandelt den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram, also den Verkauf einer körperlich bestimmten Gesamtheit von vertretbaren Sachen, wobei aber nicht ein Pauschalpreis, sondern ein Preis pro Stück oder Einheit vereinbart ist, so daß zur genauen Ermittlung des quantum und des pretium noch eine mensura nötig ist. Der Verfasser der Lo Codi-Stelle dagegen löst sich vom Sachverhalt des Originals und gelangt zu 49 50 51 52 53

Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 57 ff. Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 66 f. Siehe oben § 2, II, 2. Siehe oben § 2,11,3. Siehe dazu oben § 2, II, 3.

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einer allgemein gehaltenen Rechtsregel, unter die man sowohl den reinen Gattungskauf als auch den Kauf aus konkretem Vorrat als auch den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram subsumieren kann. Daß er bei diesem Vorgehen hauptsächlich von der Vorstellung eines Genuskaufs geleitet war, zeigt die Einbeziehung des für die Gefahrtragung bei Gattungsschulden besonders bedeutsamen Käuferverzugs in seine Darstellung („nisi venditor semper fuit paratus ut rem traderet emptori et emptor fecit moram"). Für die mittelalterlichen Juristen ergab sich also das folgende Bild: Beim Verkauf vertretbarer Sachen trägt der Verkäufer die Gefahr. Jedoch geht die Gefahr auf den Käufer über durch Konkretisierung entweder im Wege der mensura oder durch Annahmeverzug. An demselben Muster orientiert sich Rogerius, Summa Codicis, 4, 48, nur daß er zur Beschreibung des Kaufgegenstandes nicht mehr auf die gaianische Trias zurückgreift, sondern noch weiter verallgemeinert: „... earum rerum que consistunt in quantitate...". Mit der emptio ad quantitatem54 stand damit ein Oberbegriff für den Verkauf von vertretbaren Sachen zur Verfügung, gleich ob es sich um eine Variante des Gattungskaufs oder um einen Spezieskauf mit Preisbestimmung ad mensuram handelte55. Die Unterschiede verloren an Bedeutung, hatte man doch in der mensura ein für alle Fälle einheitliches Kriterium für den Gefahrübergang gefunden. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die mittelalterlichen Autoren haben den reinen Gattungskauf in das Recht der emptio venditio hineingelesen. Dadurch wurde der Begriff der Gefahr in Leistungs- und Gegenleistungsgefahr aufgespalten. Beim Verkauf gattungsmäßig bestimmter Sachen trägt der Verkäufer bis zur traditio (Erfüllung) die Sachgefahr (genus non périt). Die Gattungsschuld kann aber bereits vorher durch mensura oder Annahmeverzug zu einer Stückschuld konkretisiert werden. Von da an läuft das Schuldverhältnis in den vertrauten Bahnen der emptio venditio. Der Käufer trägt die Preisgefahr (periculum est emptoris). Dieses Schema ist das Ergebnis einer Zusammenfuhrung des bei Stipulation und Legat entwickelten Leistungsstörungsrechts mit 54

Noch deutlicher zeigt sich die Entwicklung des mittelalterlichen Quantitätskaufs aus der klassischen emptio ad mensuram in Summa Trecensis, 4, 44, 3, wo die Diktion von Gai. D. 18, 1, 35, 5 mit dem neuen Begriff „in quantitate" verbunden wird: „Set si quantitas distracta est, veluti vino oleo frumento et cetera que in quantitate consistunt, nondum emptio perfecta est quantum ad periculum, nisi admetiatur seu pendatur vel adnumeretur...". 55 Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 57 ff., zeigt, daß im Mittelalter der Begriff des Quantitätskaufs schon bald mit dem Gattungskauf schlechthin gleichgesetzt wurde (insb. gl. vaeneant zu C. 4, 48, 2) und rückt dementsprechend diesen Aspekt in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Es muß aber betont werden, daß der („Spezies-") Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram nie in Vergessenheit geriet und gerade im römisch-holländischen Recht und in der Folge im südafrikanischen Recht wieder aufgegriffen werden konnte; siehe unten § 5, III, 3, c), cc); § 6, III, 6.

III. Die Konsolidierung des Utiitaritätsprinzips

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dem am Stückkauf orientierten Gefahrtragungsrecht der emptio venditio. Das Konzept ist nicht das Produkt einer bewußten und gezielten Rechtsfortbildung, sondern entstand nach scholastischer Manier durch Auslegung und Harmonisierung der klassischen Quellen. Dabei nahmen bestimmte Fragmente des Corpus Iuris Schlüsselpositionen ein: Zum einen ist das Paul. D. 18, 6, 13 u. 15, ein Text, der bei einem entsprechenden Vorverständnis eine Fortdauer des Leistungsanspruchs bis zur traditio bzw. bis zum Beginn des Annahmeverzugs anordnet und gleichzeitig dieses Schema mit dem Begriff periculum verbindet. Zum anderen sind das die Quellen zur Perfektion des Kaufs mit Preisbestimmung ad mensuram (insb. der elegante Gaiustext D. 18, 1, 35, 5) und des Kaufs aus konkretem Vorrat, in denen man das Perfektionskriterium der mensura herausstellte und für die Umwandlung der Gattungsschuld in eine Stückschuld instrumentalisierte. Dabei wurden neue Begriffe gebildet, die für die weitere Entwicklung wichtig sind: Der Terminus emptio in genere umfaßt den reinen und den beschränkten Gattungskauf. Als emptio ad quantitatem bezeichnete man ganz allgemein den Verkauf einer Menge vertretbarer Sachen, bei dem eine mensura nötig ist, gleich ob es sich um Gattungs56- oder Spezieskauf 57 handelt.

I I I . Die Konsolidierung des Utilitätsprinzips Im Bereich des Haftungsrechts sorgten die Glossatoren und Kommentatoren für ein größeres Maß an Rechtssicherheit, indem sie dem im Corpus Iuris bereits angelegten Haftungssystem durch gezielte Harmonisierung einzelner Texte deutlichere Konturen gaben. Ausgangspunkt und sedes materiae ihrer Systematisierungsbemühungen war das Utilitätsprinzip, zunächst so wie es ihnen aus Ulp. D. 50, 17, 23 und Ulp. D. 13, 6, 5, 2 u. 3 entgegentrat. Allerdings wird in Ulp. D. 50, 17, 23 nur zwischen zwei Utilitätskonstellationen unterschieden58. In Ulp. D. 13, 6, 5, 2 u. 3 dagegen finden sich bereits Ansätze eines dreiteiligen Utilitätsprinzips: Nutzen nur der einen Partei - Nutzen beider Parteien - alleiniger Nutzen der anderen Partei. Die Durchführung blieb im römischen Recht indes unvollkommen, da den drei Utilitätsgruppen nicht drei entsprechend abgestufte Haftungsmaßstäbe gegenüberstanden59. So haftet der Verwahrer für dolus solus, weil das depositum ein in der Regel nur für den

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Hier dient die Zumessung der Ermittlung des Kaufgegenstandes. Das ist der Fall des Kaufs mit Preisbestimmung ad mensuram, wo der Kaufgegenstand von Anfang an körperlich bestimmt ist, eine Zumessung aber zur Bestimmung von quantum und pretium notwendig ist. 58 Ebenso in Mod. Coll. 10, 2, 1-3. 59 Nörr, ZSS 73 (1956) 103 ff.; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 17 ff. 57

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Hinterleger nützliches Geschäft ist. Bei den beiderseitig vorteilhaften Verträgen wie emptio venditio, locatio conducilo, etc. hatte der Schuldner dolus und culpa zu vertreten. Bei der dritten Konstellation, namentlich dem lediglich für den Entleiher nützlichen commodatum, kam man in die Verlegenheit, keine weitere Haftungsstufe zur Verfügung zu haben. Ob mit dem Hendiadyoin culpa et diligentia in Ulp. D. 13, 6, 5, 3 eine Haftungssteigerung zum Ausdruck gebracht werden sollte 60 , kann dahingestellt bleiben, jedenfalls aber fehlte ein technischer Begriff der culpa levissima. Ein Vorbild für eine culpa levissima gab es dagegen in anderen Quellen, wie Gai. D. 13, 6, 18 pr., wo die klassische custodia-Haftung bereits durch die byzantinischen Rechtsschulen in eine diligentia exactissima umgedeutet worden war 61 . Diese Texte gehörten aber der vom Verschuldensprinzip inspirierten entwicklungsgeschichtlichen Linie an und wurden bei den vorjustinianischen Überarbeitungen von Ulp. D. 13, 6, 5, 2 u. 3 im Sinne des Utilitätsprinzips nicht berücksichtigt 62. Aber auch im Zuge der Kompilation wurden die Stellen zum Utilitätsprinzip einerseits und zur diligentia exactissima andererseits nicht verbunden, obwohl damit die Lücke im Utilitätsschema hätte geschlossen werden können 63 . Es fehlte bei dem gewaltigen Gesetzgebungsvorhaben schlichtweg die Zeit, die einzelnen Fragmente, die in das Corpus Iuris aufgenommen wurden, aufeinander abzustimmen. Diesem Projekt widmete sich die mittelalterliche Rechtswissenschaft. Voraussetzung für eine wissenschaftliche Durchdringung des Haftungsrechts war eine einheitliche Terminologie. An die Stelle der Begriffsvielfalt des Corpus Iuris (custodia, culpa, diligentia, neglegentia, diligentia quam in suis, diligentia exacta, diligentia exactissima, etc.) trat nun die Dreiteilung der Fahrlässigkeit in culpa lata, culpa levis und culpa levissima64. Auf der Skala der Haftungsmaßstäbe innerhalb des dreigliedrigen Utilitätsprinzips standen dolus und culpa lata auf der ersten Stufe, culpa levis auf der zweiten und die culpa levissima auf der dritten. Neben einer begrifflichen Vereinheitlichung erforderte die Systematisierung des Haftungsrechts die Zusammenführung der bislang isolierten Texte mit Hilfe der Verweisungstechnik. Damit wurden auch die Stellen zur 60

Zweifelnd Nörr, ZSS 73 (1956) 106; dagegen ist Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 19, für eine Haftungssteigerung, jedoch nicht im Sinne einer technischen culpa levissima, sondern in Form einer verschärften aestimatio der culpa im Vergleich zu den negotia gratia utriusque. 61 Siehe oben § 3, II, 1; vgl. auch Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 14 ff. 62 Siehe oben § 3, II, 2. 63 Zur weiteren Entwicklung im spätbyzantinischen Recht siehe Nörr, Fahrlässigkeit, S. 26 ff.; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 31; Nörr, ZSS 73 (1956) 107 ff. 64 Z.B. Accursius, gl. culpa zu Ulp. D. 13, 6, 5, 2: „aliqua lata levis, et levissima"; siehe dazu ausführlich Dilcher, Leistungsstörungen, S. 53 ff.; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 35 ff.

III. Die Konsolidierung des Uti 1 itaritätsprinzips

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diligentia exactissima in das Utilitätsschema einbezogen. Genau hier ist der Punkt, wo - über eine bloße Systematisierung hinaus - die rechtsgestaltende Tätigkeit der Glossatoren einsetzte. Sie ordneten nämlich nicht sämtliche Vertragstypen, bei denen in den Quellen von diligentia exactissima die Rede war, automatisch dem Haftungsmaßstab der culpa levissima zu. Es kam also nicht zu einer zweiten, rein begrifflich-formalen Umbenennung der ehemaligen custodia-Sachverhalte nach dem Vorbild der byzantinischen Wissenschaft. Vielmehr versuchten die mittelalterlichen Autoren, die Haftungsmaßstäbe ausschließlich und überall einheitlich anhand des Utilitätsprinzips zu verteilen 65 . Hierfür ist ein Vergleich von commodatum und emptio venditio besonders aufschlußreich. Die Leihe ist das Musterbeispiel fur einen in der Regel nur dem Sachempfänger nützlichen Vertrag. Deshalb übernahm die diligentia exactissima in Gai. D. 13, 6, 18 pr. nunmehr unter dem Namen culpa levissima die Funktion der bislang fehlenden dritten Haftungsstufe im dreiseitigen Utilitätsprinzip 66 . Stellen, die den haftungssteigernden Superlativ nicht enthielten, wurden mit einer harmonisierenden Glosse versehen, so z.B. Accursius, gl. exactam zu Inst. 3, 14, 2: „exactissimam. et sie ponitur positivus pro superlativo ...." 67 Größere Schwierigkeiten bereitete dagegen der Kauf. Zwar war die emptio venditio bei den für das Utilitätsprinzip relevanten Quellen, Ulp. D. 50, 17, 23 und Ulp. D. 13, 6, 5, 2 u. 3, bereits eindeutig in der zweiten Haftungsstufe dolus und culpa angesiedelt, doch spürten die Glossatoren die von der ehemaligen custodia-Haftung herrührende Tendenz der emptio venditio, entgegen dem Utilitätsprinzip in die dritte Stufe durchzubrechen. So sah man selbst bei dem unmißverständlichen Wortlaut von Ulp. D. 50, 17,23 und Ulp. D. 13, 6, 5, 2 u. 3 die Notwendigkeit, die Position des Kaufs im Utilitätsschema klarzustellen, z.B. Odofredus, Praelectiones, ad D. 50, 17, 23:

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Trotz dieser Vereinheitlichungsbemühungen gelang es den Autoren aber nicht, das Prinzip bei allen Vertragstypen konsequent und ausnahmslos durchzusetzen; siehe Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 42 ff, 60 ff. 66 Als diligentia exactissima noch in: Brachylogus, 3, 5; Summa Trecensis, 4, 23, 6; Lo Codi, 4, 35, 6; Rogerius, Summa Codicis, 4, 24, 4; als culpa levissima bereits bei: Placentinus, Summa Codicis, 4, 23; Azo, Summa Codicis, 4, 23, n. 10; Accursius, gl. diligentem zu D. 13, 6, 5, 5; Ravanis, Lectura, ad C. 4, 23, 1; Bartolus, Commentarla, ad D. 16, 3, 32, n. 35; Baldus, Commentarla, ad C. 4, 24, 6, n. 54; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 74 ff; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 42 f., 61. 67 Nach demselben Muster wurde umgekehrt aber auch ein Superlativ in einen Positiv umgewandelt, wenn das Utilitätsprinzip dies verlangte; fur den Fall der locatio conducilo siehe Accursius, gl. diligentissimus zu D. 19, 2, 25, 7: „Id est diligens: ut ponatur superlativus pro positivo, ut econtra saepe contingit. nec enim dubium est locatorem operae non teneri de levissima culpa: ut argu.... [D. 13, 6, 5, 2 et D. 50, 17, 23]..."; vgl. Dilcher, Leistungsstörungen, S. 77; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 35, Fn. 215, S. 42, Fn. 264.

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§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht

„Sunt quidam contractus qui contrahuntur gratia, ut emptio et venditio: quia emptio contrahitur gratia emptoris, ut habeat rem, et gratia venditoris, ut habeat pretium: ... Et in his contractibus haec est régula quod in eis venit et dolus, et lata culpa, et levis, non levissima, non casus fortuitus ..." Die Anwendung des Utilitätsprinzips, sprich: ein Vergleich des Interesses des Käufers an der Sache einerseits mit dem des Verkäufers an dem Preis andererseits führte zwingend zu einer Haftung des Verkäufers nur bis zur culpa levis, nicht auch bis zur dritten Stufe der culpa levissima68. Die wirklich problematische Aufgabe war freilich die Anpassung derjenigen kaufrechtlichen Texte, die Reste der custodia-Haftung enthielten und eine diligentia exactissima nahelegten. Dabei wurde Paul. 18, 6, 3 zum Dreh- und Angelpunkt des Harmonisierungsstrebens, denn dort war die Verkäuferhaftung ausdrücklich mit dem für den Entleiher geltenden, strengeren Haftungsmaßstab verbunden worden 69 . Da die Glosse die Autorität des Texts nicht in Zweifel ziehen konnte, mußte sie einen anderen Ausweg finden, Accursius, gl. res commodata est zu D. 18, 6, 3: „cum gratia utriusque commodatur ut ... [D. 13, 6, 5, 10]. alioquin contra, ut ... [D. 13,6, 18 pr. et Inst. 3, 14, 2]70...." Accursius zieht mit seiner einleitenden Bemerkung die Gleichstellung von Verkäufer- und Entleiherhaftung in Paul. D. 18, 6, 3 einfach auf die Ebene der negotia utriusque gratia herab 71 . Er behauptet, daß der von ihm glossierten Text einen Leihvertrag behandle, der im beiderseitigen Interesse abgeschlossen wurde. Damit will er aber die Leihe nicht generell als einen für beide Seiten gleichermaßen nützlichen Vertrag einstufen; vielmehr bedient er sich des gebräuchlichen Verfahrens, auch innerhalb eines bestimmten Vertragstyps verschiedene Utilitätskonstellationen zu unterscheiden. Diese Technik war gerade in Hinblick auf die Leihe bereits im römischen Recht bekannt72 und wurde im Mittelalter verstärkt eingesetzt73. Dementsprechend verweist Accursius auf 68 Zur Haftung des Verkäufers nur bis zur culpa levis siehe auch Brachylogus, 4, 23, 1; Summa Trecensis, 4, 45, 4; Lo Codi, 4, 58, 9; Rogerius, Summa Codicis, 4, 49, n. 2; Azo, Summa Codicis, 4, 48, n. 8; Accursius, gl. contractus zu D. 50, 17, 23; Odofredus, Praelectiones, ad D. 18, 6, 2, 1 u. 18, 6, 3; vgl. Dilcher, Leistungsstörungen, S. 62, Fn. 220; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 47, Fn. 301. 69 Siehe oben § 3, II, 1. 70 In der hier benützten Ausgabe lautet der Verweis auf die Institutionenstelle: „isti, q. mo. re. contra, ob. § fi."; bei dem „§ fi." handelt es sich wahrscheinlich um ein Versehen oder einen Abschreibfehler, denn Inst. 3, 14, 4 behandelt das Pfand. Es sollte wohl ursprünglich Inst. 3, 14, 2 zitiert werden, wo die Leihe besprochen wird. 71 Genauso argumentiert Odofredus, Praelectiones, ad. D. 18, 6, 2, 1 u. 18, 6, 3. 72 Gai. D. 13, 6, 18 pr., Ulp. D. 13, 6, 5, 2 ff.; siehe dazu Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 16 ff. 73 Azo, Summa Codicis, 4, 23, n. 10: „Item venit dolus, et lata culpa, et levis, et etiam levissima si commodavi tibi gratia tua tantum. Si autem commodaverim gratia mea

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Ulp. 13, 6, 5, 10, wo Fälle eines besonderen Interesses des Verleihers an dem Vertrag besprochen werden, z.B. die bestechungsähnliche Situation, daß der Verleiher sich nur zu bereitwillig dem Prätor gefällig erweisen will und ihm deshalb eine Sache leiht, weil er sich dadurch Vorteile verspricht. Konsequenterweise wird dann der Haftungsmaßstab gemildert. Es handelt sich hierbei allerdings um eine Argumentation mit dem Ausnahmefall. Deshalb sah sich Accursius zu weiteren Erklärungen veranlaßt. Mit dem „alioquin contra" und dem Hinweis auf Gai. D. 13, 6, 18 pr. und Inst. 3, 14, 2 stellt er seinem Ausganjpargument den Regelfall 74 der Entleiherhaftung für culpa levissima gegenüber 5 . Trotz dieser Auslegung blieb Paul. D. 18, 6, 3 den Glossatoren ein Dorn im Auge, den sie selbst bei Inst. 3, 23, 3a noch spürten, obwohl dort eindeutiger als in jedem anderen Fragment des Corpus Iuris die Haftung des Verkäufers nur für dolus und culpa darlegt wird. So kommentiert Accursius in gl. neque culpa zu Inst. 3, 23, 3a: „etiam talis qualis in commodato gratia utriusque partis contracto venit. ut ... [D. 18, 6, 3 et D. 13,6, 5, 10]." Es ist alles andere als naheliegend, ausgerechnet das regelmäßig einseitige commodatum als Vergleichsfall für die Verkäuferhaftung bei Inst. 3, 23, 3a heranzuziehen. Das einzige Ziel, das Accursius damit verfolgt haben kann, ist, Paul. D. 18, 6, 3 noch fester in die allgemeine Haftung für dolus und culpa einzubinden. Nachdem nun die dem Utilitätsprinzip zuwiderlaufende Gleichsetzung von Verkäufer- und Entleiherhaftung mit Hilfe des commodatum gratia utriusque harmonisiert war, blieben aber noch einige weitere Texte, die Reste der vormaligen custodia-Haftung enthielten. Diese Schloß Accursius ohne größere Erläuterungen 76 mit Verweisungsketten an die beiden Hauptstellen Inst. 3, 23, 3a tantum ... veniet dolus tantum, et lata culpa. Si autem commodaverim tibi gratia tua, et mea ... veniet dolus tantum, et lata culpa, et levis..."; Accursius, gl. convenit zu D. 13, 6, 5, 10: „Et distingue: quia quandoque dolum tantum praestabit, ut si gratia dantis tantum fit commodata: quandoque de lata, et de levi, ut si utriusque gratia: quandoque et de levissima, ut regulariter: ut hic et... [D. 13, 6, 10, 1 et D. 13, 6, 18 pr.]"; vgl. Dilcher, Leistungsstörungen, S. 20 f., 77; Hoffmann, Fahrlässigkeit, S. 42 f., 61. 74 Daß Accursius die Haftung bis zur culpa levissima, also das nur für den Entleiher nützliche Kommodat, als den Regelfall ansieht, ergibt sich aus gl. diligentem zu D. 13, 6, 5, 5: „Tenetur enim regulariter omnis commodatarius de lata, levi et levissima culpa ..."; gl. convenit zu D. 13, 6, 5, 10: „... quandoque et de levissima, ut regulariter ...". 75 Zum Schluß erscheint in der Glosse noch ein Bibelzitat: „Estote perfecti, ut pater vester, qui in coelis est"; es handelt sich hierbei um eine fast wörtlich wiedergegebene (ausgelassen wurde lediglich „ergo vos") Stelle aus der Bergpredigt, Matth. 5, 48; damit soll wohl illustriert werden, daß beim Kommodat der Schuldner im Regelfall höchsten Sorgfaltsanforderungen gerecht werden muß. 76 Lediglich in gl. custodiam zu D. 47, 2, 14 pr. findet man einen kurzen Hinweis auf die Art des Haftungsmaßstabs: „Qualem bonus pater familias ...".

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§ 4 Das gelehrte mittelalterliche Recht

und Paul. D. 18, 6, 3 an. So verweist gl. quia custodia zu D. 19, 1,31 pr. auf Paul. D. 19, 1, 36, sodann gl. debet zu D. 19, 1, 36 7 7 auf Gai. D. 18, 1, 35, 4 und schließlich gl. adhib[er]et zu D. 18, 1,35,4 auf Inst. 3,23,3 und Paul. D. 18, 6, 3. Dagegen gelangt man über gl. custodiam zu D. 47, 2, 14 pr. ohne einen solchen Umweg zum selben Endpunkt. Allein gl. custodiam zu D. 18, 6, 2, l 7 8 fällt aus dem Rahmen: Hier assoziiert Accursius mit dem Begriff custodia zunächst eine Ausnahmeregelung für den Kauf ad mensuram („hoc innuit ad mensuram venditionem factam"), verwirft aber dann diese Möglichkeit mit dem Argument, daß der Verkäufer vor der Zumessung ja ohnehin für jeden Zufall einstehen muß („sed non est ita quia tunc venditor de omni casu tenetur ante mensuram"). Also entscheidet er sich bei Gai. D. 18, 6, 2, 1 für die Variante Spezieskauf („Die ergo quod in specie erat hic venditum"), unterläßt es aber, das custodia-Rudiment wie sonst mittels Verweisung in die bekannten Bahnen der Haftung bis zur culpa levis zu lenken. Bei den Kommentatoren verfestigte sich die Haftung des Verkäufers für dolus, culpa lata und levis 79 . Die custodia-Stellen bereiteten im allgemeinen keine Schwierigkeiten mehr, wenn auch vereinzelt - ausgelöst durch Paul. D. 18, 6, 3 - die culpa levissima nochmals durchbrach 80. Abschließend können im Bereich des Haftungsrechts drei für die weitere Entwicklung wichtige Neuerungen durch die mittelalterliche Rechtswissenschaft festgestellt werden: Erstens die Einführung einer einheitlichen Terminologie der Haftungsmaßstäbe (dolus, culpa lata, culpa levis, culpa levissima), zweitens die Ausbildung eines geschlossenen dreiteiligen Utilitätsprinzips und drittens die konsequente und systematische Anwendung des Utilitätsprinzips mit der Folge, daß Widersprüche (commodatum - emptio venditio) ausgeräumt wurden, die aufgrund der nur unvollständigen Beseitigung der klassischen custodia-Haflung in das Corpus Iuris geraten waren.

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Daneben verweist gl. debet auch direkt nach Inst. 3, 23, 3 u. 3a. „hoc innuit ad mensuram venditionem factam. sed non est ita quia tunc venditor de omni casu tenetur ante mensuram. ut... [D. 18, 1, 35, 5] quod in fin. huius legis negatur. Die ergo quod in specie erat hic venditum. sed emptor ut sciret quantum esset metiri volebat". 79 Z.B. Baldus, Commentarla, ad D. 18, 6, 2, 1 u. D. 18, 6, 3. 80 Siehe Hoffmann , Fahrlässigkeit, S. 64, Fn. 420. 78

§ 5 Das römisch-holländische Recht I. Die Bedeutung und Beschaffenheit des römisch-holländischen Rechts Mit dem ausgehenden Mittelalter verlor der mos italicus allmählich seine schöpferische Kraft. Zum einen war durch den Zusammenbruch des mittelalterlichen Weltbilds, der Einheit von göttlicher und weltlicher Ordnung, die geistige Grundlage für eine scholastisch-autoritative Beschäftigung mit den Texten weggefallen, zum anderen war das Recht der Glossatoren und Kommentatoren im Laufe der Jahrhunderte durch Häufung von Kontroversen 1 und zunehmende Konzentration auf Subtilitäten schwerfällig und unübersichtlich geworden 2. Die Führungsrolle in der europäischen Rechtswissenschaft übernahm nun die französische „elegante" Schule des 16. Jahrhunderts mit ihrem Zentrum in Bourges 3. Durch einen Brückenschlag zwischen Humanismus und Jurisprudenz entwickelten Gelehrte wie Alciatus (1492-1550), Cuiacius (15521590) und Donellus (1527-1591) - um nur drei der berühmtesten zu nennen einen neuen methodischen Ansatz. Sie betrachteten das Corpus Iuris nicht mehr als verbindliche Autorität und alleinige Quelle der Rechtsfindung, sondern nur noch als einen unter den vielen Gegenständen ihrer philologischen und historischen Forschungen. Ihr Ziel war es, mit Hilfe von Textkritik und Palingenesie das unter justinianischen Interpolationen und „uneleganten" mittelalterlichen Glossen verschüttete antike Recht wiedererstehen zu lassen; denn nur in der unmittelbaren Anschauung des klassischen römischen Rechts erschien es den

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Ein gutes Beispiel hierfür bietet die aus den Fugen geratene Diskussion um die Rechtsnatur und Wirkung des Degustationsvorbehalts; siehe oben § 4,1. 2 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 88 ff.; Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 51, spricht von einer „Verknöcherung des mos italicus". Freilich blieb der mos italicus die praktisch wichtigste Stilrichtung; dazu sogleich. 3 Siehe dazu und zum folgenden Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 105 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 88 ff., 167 f.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 62 ff; Troje, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 615 ff; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 41 ff ; Stein, Römisches Recht, S. 123 ff; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 366 ff; Luig, in: Festschrift Wesener, S. 285 ff. 8 Bauer

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

französischen Humanisten möglich, den dogmatischen Blick verläßlich zu schulen4. Neben dem mos gallicus bildete sich im 16. Jahrhundert mit dem beginnenden Naturrecht ein zweiter wichtiger Entwicklungsstrang heraus. Die spanischen Spätscholastiker, zum einen Dominikaner wie deVitoria (um 14831546) und de Soto (1494-1560), zum anderen Jesuiten wie de Molina (15351600), Suarez (1548-1617) und Lessius (1554-1623), griffen die Rechtsphilosophie und Moraltheologie des Thomas von Aquin (1225-1274) wieder auf und bauten sie zu einem naturrechtlichen Normensystem aus5. Während bei Thomas von Aquin die lex naturalis im wesentlichen noch auf der Grundsatzebene des Dekalogs angesiedelt war 6 , leiteten die Spätscholastiker aus diesen obersten Prinzipien gerade im Bereich des Vertragsrechts eine Fülle von konkreten und detaillierten Naturrechtssätzen ab7. Im 17. Jahrhundert brachte Grotius (15831645) die gesamte Rechtskonzeption der Spätscholastiker in eine säkularisierte Fassung und rückte sie in den Gesichtskreis der weltlichen Rechtswissenschaft 8. So entstand zum ersten Mal 9 in der Geschichte des europäischen Verlagsrechts eine den positiven Rechtssätzen übergeordnete, geschlossene Doktrin 1 0 . Sowohl die französische „elegante" Jurisprudenz als auch das beginnende Naturrecht war Professorenrecht von geringer praktischer Bedeutung11. Anders 4 Den mos italicus hingegen verachteten die Humanisten und machten auch kein Hehl daraus: So vergleicht Rabelais in seinem Roman Pantagruel, die justinianischen Gesetzbücher mit einem Triumphgewand, das durch die glossa Accursiana mit Dreck beschmutzt wurde. Cujaz bezeichnet die Bartolisten als „verbosi in re facili, in difficili muti, in angusta diffusi"; siehe dazu Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 109 f. 5 Gordley, Philosophical Origins, S. 69 ff.; Bergfeld, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 1016 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 76 f. 6 Zum Naturrecht bei Thomas von Aquin siehe Lisska, Natural Law, S. 82 ff. 7 Gordley, Philosophical Origins, S. 71 ff.; Stein, Römisches Recht, S. 156 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 76 f. 8 Gordley, Philosophical Origins, S. 71. 9 Vor diesem Zeitpunkt war eine Theorie von der Art des säkularen Naturrechts nicht nötig gewesen: Die römischen Juristen vertrauten ihrem kasuistischen Feingefühl; die Ausbildung von übergreifenden Theorien war ihnen fremd. Die mittelalterlichen Autoren betrachteten die Regeln des Corpus Iuris als autoritative Rechtsquellen und beschränkten sich auf deren Bewahrheitung mit Mitteln der Logik. 10 Gordley, Philosophical Origins, S. 230 f. 11 Den französischen Humanisten ging es um das historisch richtige Verständnis des römischen Rechts. Sie wollten die praktische Jurisprudenz nicht ersetzen, sondern traten neben sie als eine elitäre Gruppe, die juristische Antiquitäten auf höchstem Niveau produzierte; siehe dazu Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 111 ff; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 44; siehe aber auch Troje, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 615 ff; Luig, in: Festschrift Wesener, S. 285 ff. - Auch das Naturrecht war Professorenrecht. Dies zeigt schon die Tatsache, daß es großflächigen Einfluß auf die

I. Die Bedeutung und Beschaffenheit des römisch-holländischen Rechts

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als der mos italicus konnten und wollten die beiden neuen Schulen wegen ihres rein akademischen Ansatzes das für die Praxis wichtige örtliche Statutar- und Gewohnheitsrecht nicht berücksichtigen 12. In dieser Hinsicht knüpfte der europäische Usus modernus pandectarum 13 des 17. und 18. Jahrhunderts an der „uneleganten", aber lebendigen Tradition der Bartolisten wieder an 14 und brachte eine jurisprudentia forensis hervor, in der die Praxis und das gelehrte Recht verbunden waren. Bei dieser Verbindung handelte es sich aber, verglichen mit dem mos italicus, um eine modernisierte Version einer praktischen Rechtswissenschaft, die erst durch den von Humanismus und Naturrecht geschaffenen Rationalitätszuwachs15 in Hinblick auf Rechtsquellen und Methode ermöglicht wurde 16 . In dieser Epoche der Geschichte des ius commune übernahm die niederländische Rechtswissenschaft die Führungsrolle in Europa 17 . Die Blüte des römisch-holländischen Rechts im 17. und 18. Jahrhunderts ging Hand in Hand mit einem wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Aufschwung, den die Vereinigten Niederlande seit ihrem Zusammenschluß in der Union von Utrecht (1579) und der Trennung vom spanischen Königshaus (1581) genommen hatten 18 . Begünstigt durch die florierende Wirtschaft und

Praxis erst durch die späteren Kodifikationen, also den Umweg über die Gesetzgebung, gewann; siehe dazu Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 245 ff, insb. 251. 12 Die Bedeutung des mos italicus als einer gerichtstauglichen Rechtswissenschaft ist geradezu sprichwörtlich geworden: „Chi non ha Azzo, non vada al palazzo" (wer Azo nicht auf seiner Seite hat, gehe nicht zum Justizpalast); „quidquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia"; „Nemo jurista nisi bartolista"; siehe dazu Schräge, Utrumque ius, S. 59; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 86, Fn. 4 u. S. 104. 13 Der Begriff des Usus modernus pandectarum wurde dem Titel eines Lehrbuchs des deutschen Juristen Samuel Stryk (1640-1710) entlehnt und bezeichnet die praxisorientierte, zeitgemäße Beschäftigung mit dem römischen Recht. Es handelt sich dabei aber nicht um ein spezifisch deutsches, sondern ein gemeineuropäisches Phänomen; siehe dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 206 f., 214 f.; Söllner, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 501 ff. 14 Coing , EuPR I, S. 68; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 206 f.; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 115 ff, 161 ff, 223 ff.; Stein, Römisches Recht, S. 135 ff. 15 Luig, in: Festschrift Wesener, S. 285 ff., 301. 16 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 204 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 60 ff; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 112 ff.; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 115 ff., 223 ff.; Coing, EuPR I, S. 67 ff.; Stein, Römisches Recht, S. 150 ff; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 369 ff 17 Zimmermann, JZ 1990, 825 ff; idem, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 9 ff; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 168 f., 222; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 247; Söllner, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 522. 18 Allgemein zur niederländischen Geschichte siehe Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 14 ff; Lademacher, Geschichte der Niederlande, passim, umfassende bibliographische Angaben auf S. 519 ff. Für einen Überblick über die Geschichte des römisch-holländischen Rechts siehe Zim8*

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

das stimulierende geistige Klima wurde die für den Usus modernus charakteristische Verbindung der alten und neuen Schulen mit der Rechtspraxis auf besonders hohem Niveau verwirklicht 19 . In den Niederlanden liefen die für die Modernisierung des europäischen ius commune maßgeblichen Entwicklungsstränge zusammen20: So gab es zum einen Gelehrte, wie Donellus (1527-1591), Merula (1558-1607) und Noodt (1647-1725), die die Tradition des französischen Humanismus in der „eleganten" niederländischen Schule fortführten 21. Zum anderen hatte man mit Hugo Grotius sozusagen in Personalunion den Vater des säkularen Naturrechts und des römisch-holländischen Rechts22. Der wichtigste Faktor aber war der rege Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, der sich in den Juristenbiographien 23 jener Zeit widerspiegelt. Praktiker, wie Van Leeuwen (1626-1682), Van Bynkershoek (1673-1743) und Van der Linden (1756-1835), verfaßten auch wissenschaftliche Traktate, Lehrbücher und Entscheidungssammlungen; umgekehrt waren Universitätsprofessoren, wie Neostadius (1549-1606), Ulrich Huber (1636-1694), Voet (1647-1713) und Noodt, im Laufe ihrer Karriere auch als Richter oder Advokaten tätig gewesen24. Ein Dokument für die Synthese von gelehrtem römischen Recht und den praxisrelevanten „consuetudines" oder „mores hodierni" ist Groenewegens (1613-1652) Tractatus de legibus abrogatis et inusitatis in Hollandia vicinisque regionibus, eine Bestandsaufnahme des gesamten Rechts des Corpus Iuris unter

mermann , JZ 1990, 825 ff; idem , in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 9 ff; ausführlich Wessels , History of the Roman-Dutch Law, passim; Van Zyl , Geskiedenis van die Romeins-Hollandse Reg, passim; De Vos , Regsgeskiedenis, S. 140 ff.; Hosten/Edwards/N athan/Bosman , South African Law, S. 141 ff.; Hahlo/Kahn, Legal System, S. 329 ff.; Feenstra, in: Studi Koschaker, S. 243 ff.; Hermesdorf, IRMAE V, 5a, passim. 19 Zimmermann, JZ 1990, 834 ff; idem, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 49 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 168 f. 20 Zimmermann, JZ 1990, 837; idem, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 57. 21 Van Warmelo, 1961 Acta Juridica43 ff; Zimmermann, JZ 1990, 835; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 117 f.; speziell zu Noodt siehe Van den Bergh, Gerard Noodt, passim. 22 Zimmermann, JZ 1990, 837: „Es wäre erstaunlich, wenn nicht auch seine Inleiding Einflüsse der neuen, naturrechtlichen Denkweise aufwiese, und in der Tat stehen Inleiding und De jure belli ac pacis denn auch keineswegs vollkommen isoliert nebeneinander"; siehe dazu Wellschmied, Grotius' Inieidinge, S. 57 ff. 23 Siehe dazu Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 26 ff. m.w.N.; Walter, Actio iniuriarum, S. 26 ff. m.w.N.; Feenstra/Waal, Ley den Law Professors, passim; De Vos, Regsgeskiedenis, S. 162 ff; De Wet, Die Ou Skrywers, S. 125 ff., 159 ff. 24 Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 51 f.; idem , JZ 1990, 835; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 118.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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dem Gesichtspunkt seiner Geltung gegenüber einheimischem Gesetzes- und Gewohnheitsrecht 25.

I I . Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf Die Behandlung der Gefahrtragung beim Kauf im römisch-holländischen Recht 26 reflektiert im kleinen die soeben skizzierten rechtsgeschichtlichen Entwicklungen: Hinsichtlich des materiellen Rechts der Gefahrtragung wurde die Tradition des mos italicus fortgeführt 27. Dagegen ist die Methode, der Prozeß der Rechtsfindung und Begründung, durch humanistische Einflüsse wesentlich verändert worden 28 . Für eine zusätzliche Legitimation der Rechtssätze wurde zum Teil auf das neuerdings verfügbare, über dem positiven Recht stehende Normensystem des Naturrechts rekurriert 29 . Und schließlich ist eine zunehmende Durchdringung der römischen Gefahrtragungsregeln mit örtlichem Gewohnheits- und Gesetzesrecht feststellbar 30.

1. Das Erbe des mos italicus: Periculum est emptoris Der Grundsatz periculum est emptoris wurde im römisch-holländischen Recht sowohl auf akademischer Ebene31 als auch in der Praxis 32 rezipiert. 25 Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 43 f. 26 Siehe dazu Hamman, Risiko, S. 75 ff; Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 168 ff. 27 Siehe unten § 5, II, 1. 28 Siehe unten § 5, II, 2. 29 Siehe unten § 5, II, 3. 30 Siehe unten § 5, II, 4. 31 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34: „De koop van eenige zaken voltrocken zijnde sulcs als vooren is gheseit, hoe-wel den kooper noch gheen eigenaer en is, ende noch geen levering en is geschied, so staet de saecke tot baet ende schade van den kooper ..."; Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 1: „Placet, simul atque emptio perfecta est, licet res nondum tradita sit, omne commodum, et vicissim omne periculum atque incommodum rei, quod sine facto venditoris contingit, emptorem sequi"; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1: „Spectat autem regulariter ad emptorem omne periculum, quam primum consensu venditio perfecta est, etiamsi res vendita necdum sit tradita, aut pretium numeratum; quippe quod et post interitum rei ab emptore numerandum foret"; Groenewegen, De legibus abrogatis, ad Inst., 3, 24, 3, 1; Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1 u. 2; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 22 u. 23; idem, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9 und Dig. 18, 6, 3; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34; idem, Dictata, 3, 24, 11; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 9.

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

In der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde - nach dem Vorbild der justinianischen Institutionenen33 - das Prinzip der Gefahrtragung ausfuhrlich und lehrbuchhaft dargestellt: Sobald der Kauf durch beiderseitigen Konsens über Kaufsache und Preis zur Perfektion gelangt ist, geht das Risiko der zufälligen Verschlechterung oder des zufälligen Unterganges auf den Käufer über 34 , auch wenn die Sache noch nicht übergeben 35 und der Kaufpreis noch nicht bezahlt ist 36 . Die Tatsache, daß der Käufer noch nicht Eigentümer ist, steht dem Gefahrübergang nicht entgegen, wie nunmehr ausdrücklich betont wird 3 7 . Konsequenz des Gefahrübergangs ist, daß der Käufer den Kaufpreis bezahlen muß, auch wenn er die Sache in verschlechtertem Zustand oder überhaupt nicht erhält 38 . In der forensischen Praxis setzte man die römische periculum-Regel als bekannt voraus und wandte sie ohne weitere Erklärung an 39 . In einem Fall vor dem Hooge Raad 40 aus dem Jahre 170541 hatte jemand einen Posten von 200 Pfund Tee („herbae Orientalis [sie], quam thee vocant") gekauft. Ein erster 32 Van Bynkershoek, Observations Tumultuariae, Fälle 92, 1326, 1665, 2098, 2956; Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fälle 578, 1304. 33 Siehe oben § 3,1. 34 Mit besonderer Betonung des beiderseitigen Konsenses: VanLeeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 22; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 9. 35 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34; Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 1; Paulus Voet, Institutions, 3, 24, 3, 1; VanLeeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5; idem, Rooms-HollandsRegt, 4, 17, 1 u. 2; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 22; idem, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 9. 36 VanLeeuwen, Censura Forensis, 4, 19,5; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1. 37 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34; Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 22 u. 23; idem, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9; Van der Keessel, Dictata, 3, 24, 11. 38 Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1; Van der Keessel, Dictata, 3, 24, 11. 39 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 92 (anno 1705): „... si vel decrevisset conditio ejus herbae, ad periculum id emptoris pertinere"; Fall 1326 (anno 1723): „... quia scilicet periculum rei venditae et nondum traditae ad emptorem pertinet"; Fall 1665 (anno 1720); Fall 2098 (anno 1724): „... ex régula juris, periculum rei venditae et needum traditae, pertinet ad emptorem"; obs2956 (anno 1736); Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 578 (anno 1756): „... venditionis periculum in se reeipisset Sejus [Anm.: Verkäufer], si quando istae vaccae ex eo morbo morerentur..."; Fall 1304 (anno 1775): „Cum periculum et commodum rei venditae, etiamsi nondum traditae, pertineat ad emptorem ..." 40 Zur der Gerichtsverfassung in den Niederlanden siehe Dolezalek, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 63 ff. 41 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 92.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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Teil von 90 Pfund Tee wurde sofort übergeben, die restlichen 110 Pfund sollten zunächst in der Obhut des Verkäufers bleiben und drei Monate später geliefert und bezahlt werden. Als die Zeit gekommen war, weigerte sich der Käufer, den restlichen Tee abzunehmen und zu bezahlen. Er brachte vor, die nunmehr angebotene Ware sei von minderer Qualität als die bereits erhaltene. Um aber nicht geradewegs in die Sackgasse des periculum emptoris zu laufen, unterstellte er dem Verkäufer, dieser habe den zweiten Teil des Postens nachträglich vertauscht 42. Der Verkäufer jedoch konnte den Vorwurf einer vorsätzlichen Schädigung des Käufers entkräften, indem er - als ein Mann von untadeligem Lebenswandel - einen Eid anbot 43 . Darüber hinaus lenkte er die Aufmerksamkeit des Gerichts auf den Umstand, daß in den besagten drei Monaten der Teepreis drastisch gesunken war, was die eigentliche Ursache für das Verhalten des Käufers gewesen sein dürfte 44 . Aber selbst wenn sich der tatsächliche Zustand der „herbae" verschlechtert haben sollte, so argumentierte der Verkäufer, hätte der Käufer die Gefahr dafür zu tragen gehabt45. Der Hooge Raad bestätigte in letzter Instanz 46 die Rechtsansicht des Verkäufers und verurteilte den Käufer zur Abnahme der restlichen 110 Pfund Tee und Zahlung des vollen Kaufpreises47. Eine anschließende, kurze Nachbetrachtung des Falles durch Van Bynkershoek läßt erkennen, daß sich für das Gericht weniger die Frage nach dem ohnehin selbstverständlichen periculum emptoris gestellt hatte, als nach der rechtlichen Würdigung der unsubstantiierten dolus-Behauptung des Käufers. Der Berichterstatter gab zu bedenken, daß der Käufer die Möglichkeit gehabt hätte, sich durch Anbringung seines Siegels an den Kaufsachen gegen einen möglichen Betrug zu schützen48.

42 Dieses Vorbringen scheint wenig überzeugend gewesen zu sein, wie man Bynkershoeks spitzer Bemerkung entnehmen kann: „... quin et doli accusabat venditorem, sed solis verbis, nullo argumento ..." 43 „Praeterea venditor, integrae vitae homo, jurejurando affirmare paratus erat...". 44 „Addebat, quod res erat, pretium ejus herbae per très illos menses immane decrevisse, et non aliunde oriri pertinaciam emptoris ..." 45 „... imo, si vel decrevisset conditio ejus herbae, ad periculum id emptoris pertinere". 46 Zuvor hatten schon die „Judices Delfenses" (zu den unteren Gerichten siehe Dolezalek, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 67 ff.) und die „Curia provincialis" (damit ist der Hof van Holland, Zeeland en Vriesland gemeint; siehe dazu Dolezalek, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 71) im Sinne von periculum emptoris entschieden. 47 „Igitur... Senatus Supr. 23 Maj. 1705 emptorem damnarunt reliquas libras CX tollere, et statutum pretium solvere". 48 „... potuisset alioquin emptor et debuisset lagenas sigillo suo munire, atque ita occasionem fraudis, si quam praesumeret, tollere"; und so bringt Van Bynkershoek den Fall mit einer rechtspolitischen Überlegung zum Abschluß: „Si sufficeret negare eandem esse, quae veniit, rem, multae repente emptiones redderentur irritae".

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

Die römische Gefahrtragungsregel hat also das Mittelalter überdauert und lebte in der Wissenschaft und Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts weiter. Was aber ist nunmehr ihr Geltungsgrund? Die Antwort ist angesichts der gewaltigen politischen und geistesgeschichtlichen Umwälzungen beim Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit auf den ersten Blick verblüffend: Periculum est emptoris galt, weil es schon immer gegolten hatte! Es war weiterhin die Autorität des Corpus Iuris, die die Regel stützte, auch wenn das justinianische Gesetzbuch seinen Geltungsanspruch nicht mehr allgemein aus der politischen und kulturellen Romidee des Mittelalters herleiten 49, sondern nur noch aufgrund der Rationalität und Stimmigkeit der in den Texten angebotenen Problemlösungen behaupten konnte 50 . Nach wie vor zitierten die Juristen die römischen Quellen zur autoritativen Untermauerung von periculum emptoris, und zwar regelmäßig die aus der mittelalterlichen Rechtswissenschaft wohlbekannten loci ordinarli: Inst. 3, 23, 3, D. 18, 6, 8 pr. und C. 4, 48 51 . Auch die äußere Form der Darstellung, nämlich Erläuterung des Grundprinzips der Gefahrtragung an der sedes materiae, gefolgt von einer Liste zahlreicher Voraussetzungen und Ausnahmen 52, brachte keine Neuerungen gegenüber dem mos italicus 53 . Letztlich sorgten also der Konservativismus der Juristen und die Trägheit der gewaltigen Rechtsmasse des Corpus Iuris für Kontinuität 54 . Die justinianische Kompilation und die dazugehörige Kommentarliteratur boten einen unersetzlichen Fundus von juristischen Problemlösungen, sie waren weit ver-

49 Siehe dazu Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 38 ff, 69 ff; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 47 ff 50 Zu dem Phänomen, daß der Glaube an die ratio scripta der römischen Quellen den Zusammenbruch der mittelalterlichen Universalmächte überlebt hat, siehe Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 55 m.w.N. 51 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 1; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1 u. 2; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 23; idem, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34; idem, Dictata, 3, 24, 11; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15,9; einen interessanten Kontrast zu den traditionellen Zitiergewohnheiten findet man in den naturrechtlichen Schriften; siehe Grotius, De iure belli ac pacis, 2, 12, 15, 1: Hier beruft sich Grotius bei der Behandlung der Gefahrtragung auf antike Schriftsteller wie Seneca und Theophrast. 52 Siehe Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34 u. 35; Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 1 bis 6; Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1 u. 2; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5 bis 9; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1 u. 2; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 23 bis 27; idem, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9 und Dig., 18, 6, 5 bis 8; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6, 1 bis 5; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 9. 53 Siehe oben § 4,1. 54 Die Kontinuität der Privatrechtsentwicklung vom Mittelalter in die Neuzeit bis zur französischen Revolution betont besonders Van Caenegem, Historical Introduction, S. 31 ff., 45 ff.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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breitet, leicht zugänglich und nicht zuletzt gerichtstauglich 55. Der Geltungsgrund der periculum - Regel im römisch-holländischen Recht ist also seine lange ungebrochene Tradition. Vinnius bringt dies auf den Punkt, wenn er in Institutiones, 3, 24, 7 lakonisch schreibt: „Periculum rei venditae ad emptorem statim pertinet. Hoc constanter a veteribus traditum est..."

2. Der Einfluß des Humanismus: Begründungszwang Allerdings hat sich dem Grundsatz periculum est emptoris auf seinem Weg in das neuzeitliche Recht ein Gefährte angeschlossen, der ihn nicht mehr verlassen sollte: der Zweifel. Verantwortlich dafür ist die französische humanistische Jurisprudenz, namentlich Cuiacius. In seiner Schrift „ A d Africanum Tractatus V I I I " griff er erstmals in der Geschichte der periculum-Regel deren Klassizität an und legte die Grundlage für alle zukünftige Kritik 5 6 . Ausgangspunkt seiner Argumentation ist Afr. D. 19,2,33 5 7 : Jemand verkauft ein Grundstück. Vor der Übergabe wird es enteignet, ohne daß Verschulden oder Verzug des Verkäufers vorläge. Bei dieser Sachlage hat der Käufer zwar die actio empti, jedoch nicht auf das Erfüllungsinteresse, sondern auf Erlaß der Kaufpreisforderung oder gegebenfalls Rückerstattung des bereits gezahlten Kaufjpreises. Daraus Schloß Cuiacius: ,,[E]x quo intelligitur post perfectam venditionem periculum non respicere ad emptorem."5* Die hiermit vorgebrachte These eines periculum venditoris 59 im römischen Recht stützte er mit Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 pr. In dem Fall der von dem Ädilen

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Stein, Römisches Recht, S. 135 ff.; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 117 ff. 56 Cuiacius' Vorbild und Thesen haben bis in das 20. Jahrhundert hinein nichts von ihrer Wirkung verloren. So finden sich interessante Parallelen zu dem von Haymann ausgelösten, heftigen Streit um die Klassizität des periculum emptoris in der modernen Romanistik: Zum einen läßt sich das Selbstverständnis der philologisch-textkritisch arbeitenden Interpolationenjäger des frühen 20. Jahrhunderts sehr gut mit dem der Humanisten vergleichen. Es muß für Haymann wie schon für Cuiacius eine akademische Herausforderung besonderer Art gewesen sein, allein gegen den Rest der juristischen Welt ein etabliertes Prinzip vom Sockel zu stoßen. Zum anderen sind die Eckpfeiler von Haymanns Theorie im wesentlichen schon in Cuiacius' Tractatus ad Africanum vorgebildet. 57 Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33. 58 Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33. 59 I.S.v. periculum venditoris auch Cuiacius, Observationes, 23, 29. An anderer Stelle jedoch nimmt Cuiacius die Regel periculum est emptoris ohne weitere Kritik zur Kenntnis; vgl. Cuiacius, Recitationes solemnes, ad Lib. XXXIII. Pauli ad edictum, zu

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zerschlagenen Betten werde nämlich klargestellt, daß vor der Übergabe den Verkäufer die Gefahr treffe, dieser also keinen Kaufpreisanspruch habe, ebensowenig wie er eine bereits erfolgte Zahlung behalten dürfe 60 . Natürlich war Cuiacius nicht entgangen, daß seine These im Widerspruch zu dem stand, was man - eine Spur akademischen Dünkels ist nicht zu überhören - gemeinhin für Recht hielt, nämlich Gefahrübergang mit Perfektion des Kaufs 61 . Doch er hatte auch auf die wichtigsten für periculum emptoris sprechenden Texte eine Antwort. Paul. D. 18, 6, 7 u. 8 pr. seien so zu verstehen, daß den Käufer ab emptio perfecta nicht die Preisgefahr, sondern die Leistungsgefahr treffe 62 . Wenn also die Kaufsache vor Übergabe untergehe, so trage der Käufer nicht das Risiko, dennoch auf den Kaufpreis verklagt werden zu können bzw. den bereits gezahlten Kaufpreis nicht zurückverlangen zu können 63 . Diese gewagte Interpretation war nur möglich, weil in keiner der einschlägigen Digestenstellen das Konzept der Gefahrtragung ausführlich und unmißverständlich erklärt wird 6 4 . Dagegen bot die unzweideutige Institutionenstelle 3, 23, 3 nicht die Spur einer Deutungsmöglichkeit im Sinne von periculum venditoris. Dies war auch Cuiacius bewußt 65 . Doch war der justinianische Institutionentext, verglichen mit der Kompilation der Klassikerschriften in den Digesten, für den Humanisten von nur sehr begrenzter Überzeugungskraft:

D. 18, 1, 34, 5: „Certum est, quod etiam hoc ipso libro Paulus scripsit in 1. 8. de peric. et comm. rei venditae: post perfectam emtionem periculum sive incommodum et commodum omne rei venditae, ad emtorem pertinere, id est, post perfectam venditionem rem venditam, nec dum traditam, si forte perierit emtori perire, et nihilominus pretium ab eo peti posse." und zu D. 18, 6, 8: „Initio huius legis proponitur régula iuris notissima, perfecta emtione, periculum rei emtae ad emtorem respicere, et commodum similiter, etiamsi nondum res ei tradita fuerit...". 60 Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33: „Quod confirmât 1. quod si neque, de per. et com. rei vend, quae lectis venditis si ante traditionem eos aedilis plebis cum in via publica positi essent consciderit, venditoris periculum esse ait, quia scilicet pretii petitionem non habet, quinimo restituii pretium si quod acceperit". 61 Cuiacius , Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33: „Quod est contra id quod vulgo dici solet, perfecta emptione periculum omne pertinere ad emptorem, 1. id quod, et 1. seq. de peric. et commod. rei vend....". 62 Cuiacius , Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33: „Verum ita accipienda ea régula est ut pereat res emptori non pretium, id est si res perierit ante traditionem ...". 63 Cuiacius , Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33: „... ut pereat emptori ne id quod interest supra pretium rei consequatur, non etiam ut vel pretium non repetat quod solvit vel quod non solvit venditori solvere compellatur". 64 Der Begriff der Gefahr wird vielmehr immer nur als Kürzel für eine den römischen Juristen geläufige Rechtsfolge verwendet. 65 Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33: „At rursus huic distinctioni obiicitur §. cum autem, de empt. et vend, in quo perspicue traditur, perfecta emptione periculum rei venditae statim ad emptorem pertinere, tametsi adhuc ea res emptori tradita non sit, et compelli emptorem solvere pretium".

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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„Sed iuris regulae in Institutionibus proponuntur, quae omnes sunt ex summo iure, et rudimenta: In Digestis incrementa iuris et diligentius exacte res ad aequitatem."66 Und da Cuiacius die Frage der Billigkeit schon einmal angeschnitten hatte, stellte er nun auch klar, welche Lösung des Gefahrtragungsproblems er fur die gerechtere hielt: „Et vero aequius est ut qui rem non est nactus emptor pretium non solvat."67 Damit war ein Meilenstein in der Geschichte des Gefahrtragungsrechts gesetzt worden, an dem die nachfolgenden Generationen nicht achtlos vorübergehen konnten, schon gar nicht die niederländischen Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts, die die französische Tradition einer „Gelehrsamkeit auf höchstem Niveau" 68 fortführten. Sie befanden sich in einem Dilemma: Einerseits mußten sie als praktisch orientierte Juristen das geltende Recht, also periculum emptoris, darstellen und anwenden, andererseits konnten sie als Gelehrte die Ansicht des großen Cuiacius nicht einfach übergehen. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Echte Gefolgschaft fand Cuiacius kaum 69 . In den Vereinigten Niederlanden war es allein der in Deutschland gebürtige, aber an der friesischen Universität Franeker lehrende Johannes Jacobus Wissenbach, der Cuiacius' Argumentation aufgriff 70 und sich darüber hinaus zu erinnern glaubte, daß der Hof van Friesland im Sinne von periculum venditoris judiziert habe71. Paulus Voet kolportierte die Behauptung Wissenbachs in seinem Institutionenkommentar unter der Rubrik „moribus" und sprach - ebenfalls recht vage - von einem die Lehre des Cuiacius favorisierenden Gerichtsgebrauch in Friesland 72. Doch schon Wissenbachs berühmtester Schüler, Ulrich Huber, beendete diese kurze Episode des 66

Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33. Cuiacius, Ad Africanum Tractatus VIII, zu D. 19, 2, 33. 68 Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 52; siehe auch Van Warmelo, 1961 Acta Juridica 43 ff. 69 In Deutschland folgten nur Johann Borcholten (1535-1593) und Hermann Vultejus (1555-1634) der These des Cuiacius; siehe Borcholten, Institutiones, 3, 24, 3, 3 u. 4; Vultejus, Institutiones, 3, 24, 71. 70 Wissenbach, Exercitationes, 1, 35, 27: „Locus hic [Anm.: D. 18, 6, 8 pr.] manifeste répugnât Cujacio, affirmanti, tract. 8. ad Afric. rei necdum traditae, periculum ad emptorem pertinere jure tantum Institutionum, §. cum autem. 3. Inst, de empt. vend, vend, in quibus juris regulae, quae omnes sint summo jure, et rudimenta proponantur: non etiam Digestorum, in quibus tradantur incrementa juris, et diligentius exigantur res ad aequitatem". 71 Wissenbach, Exercitationes, 1, 35, 27: „Atque hanc sententiam, Rem venditam ante traditionem perire Venditori, Amplissimis Supremae Frisiorum Curiae Consiliariis ante annos non ita multos, ex facto incidente, placuisse, me audivisse memini". 72 Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 3: „Quod spectat rei venditae periculum, mores sententiae Cujacii favere videntur, ut periculum rei venditae non statim spectet emptorem, sicque in Frisia judicatum fuisse scribit Wissemb. disp. P. 35. n. 27". 67

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periculum venditoris im friesischen Recht 73 . Gegen die Behauptung Wissenbachs hinsichtlich der Rechtsprechung des Hof van Friesland trat Huber, mit allem Respekt vor dem Lehrer 74 , den Gegenbeweis an. Er schildert einen Fall, in dem jemand im Januar ein Grundstück verkauft hatte, das erst im Mai übergeben werden sollte. Als im März die darauf stehenden Gebäude und Gärten durch ein Feuer zerstört wurden, wollte der Käufer den Kaufpreis mindern. Die obersten friesischen Richter und der besonders angesehene Generalprokurator von Friesland, Antonius Kann, entschieden einhellig, daß dieser Schaden vom Käufer zu tragen sei, obwohl die Kaufsache noch nicht übergeben war 75 . Damit war die Vorstellung von einem periculum venditoris in Friesland ausgeräumt und wurde von keinem der späteren Autoren mehr erwähnt 76 . Abgesehen von dem friesischen Intermezzo hielt man in allen Teilen der Niederlande an dem überkommenen Grundsatz periculum est emptoris fest 77 . Freilich konnte man nicht so tun, als hätte es den Humanismus nicht gegeben. Cuiacius' Kritik fand große Beachtung. Auch wenn dadurch das materielle Recht nicht verändert wurde, so kam es doch zu einem fundamentalen Wandel im Verständnis der Rechtsquellen und in der Methode. Durch den Angriff auf die Klassizität der einschlägigen Texte bzw. ihrer bisherigen Auslegung hatte 73

Ihm war wohl bewußt, welche Autoren dafür verantwortlich waren; siehe Huber, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 4: „Quod jus non modo secundum Leges pro certo habetur, etsi dissentit Cujacius tract, ad African, de quo Wissenbachius heic num. 27"; Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „Sunt et alii casus excepti, quibus periculum ad emptorem non pertinet, quos enumerat D. Voetius Comment, ad hunc tit. § 3. η. 2. Idemque η. 3 scribit, in Frisia, teste Wissenbachio, judicatum esse, periculum rei venditae ante traditionem venditori, non emptori incumbere: Sane Wissenbachius noster ita tradit sibi esse commemoratum, parte 1. ad Pand. disp. 35. th. ult...." 74 Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „... Wissenbachius noster..."; Huber, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 4: „Testimonio D. Wissenbachii nihil detrahimus; Sed hoc scimus, de Curiarum Decisionibus non esse ex auditu judicandum; nec quidem tuto semper ab aliis, quam qui interfuerunt". 75 Huber, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 4: „Nominatim in hac sententia conspiratum est in frequenti consultatione, quam ante aliquot annos instituit Jarichius Fennema Civitatis hujus Decurio, qui, cum mense Januario vendidisset praedium kalendis Maji tradendum, cujus domus et horrea mense Martio igne caelesti arserant et consumpta fuerant, Emptor aedium horreique aestimationem de pretio deducere volebat; Responsum est ab omnibus fori Primoribus, interque eos a Viro Amplissimo nostraeque praxeos peritissimo Antonio KANN, Procuratore Frisiae Generali; Non dari a pretio deductionem ex incendio aedium venditarum necdum traditarum, sed hoc damnum emptori esse infligendum". 76 Huber scheint so gründliche Arbeit geleistet zu haben, daß nur wenige Jahre später die Erinnerung an den Disput um das friesische Gefahrtragungsrecht schon verblaßt war; der jüngere Voet zitiert in seinem Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1, neben anderen Gelehrten auch Wissenbach („... ad Pand. vol. 1. disput. 35. n. 27 ...") als Autorität für die Regel periculum est emptoris. 77 Siehe oben §5, II, 1.

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Cuiacius das Vertrauen in deren natürliche Autorität als ratio scripta erschüttert und damit die Grundlage für die Geltung der periculum emptoris-Regel in Frage gestellt. Zwar hätte für eine nur forensisch ausgerichtete Jurisprudenz nach wie vor der bloße Hinweis auf die loci ordinarli, die Glosse, die Kommentierung, also die lange Tradition der Regel ausgereicht 78, doch spürten die wissenschaftlich ambitionierten niederländischen Juristen die Notwendigkeit einer rationalen Rechtfertigung von periculum emptoris. Ausgesprochen antiquarisch interessierte Gelehrte, wie Noodt, stellten sich der humanistischen Herausforderung mit denselben methodischen Waffen 79 : So unternahm Noodt einen Textvergleich zwischen Florentina und Vulgata, um seine wichtigste Quelle, Paul. D. 18, 6, 8 pr., auf eine sichere Textgrundlage zu stellen , er zitierte Cato, um ein anderes Fragment (Ulp. D. 18, 6, 1, 3) zur Gefahrtragung zu stützen81, er suchte die entlegeneren, damit weniger interpolationsträchtigen Digestenstellen für periculum emptoris zusammen und stellt sie den „kaiserlichen Worten" von Inst. 3, 23, 3 zur Seite, um die von Cuiacius behauptete Diskrepanz zwischen Institutionen und Digesten zu entkräften 82; und schließlich bot er seine ganze Interpretationskunst auf, um die beiden Hauptquellen in Cuiacius' Argumentation, Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 und Afr. D. 19, 2, 33, unschädlich zu machen83.

78 Bezeichnend für diese Grundtendenz im Usus modernus ist Alberico Gentiiis vehemente Verteidigung der bartolistischen Methode in seiner im englischen Exil entstandenen Schrift „De iuris interpretibus dialogi sex", wo er die Frage stellt, wohin denn nach den Vorstellungen der humanistischen Gelehrten die Studenten nach dem Studium gingen, etwa in den Staat Piatons oder nach Utopia; siehe dazu Stein, Römisches Recht, S. 137. 79 Insofern ist Noodts Behandlung der Gefahrtragung in seinem Commentarius, ad Dig., 18, 6, S. 412 ff, mit der Seckel/Levy'sehen Verteidigungsschrift gegen die Angriffe Haymanns in der modernen Romanistik vergleichbar. 80 Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6; S. 412 f.: „Initium sumam a 1. 8. D. h.t. cujus verba variant in Florentina et vulgata Accursii editione". 81 Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6; S. 413: „Hoc poni in lege vini, in doliis venditi, consuevisse, auetor Cato, De re rustica c. 148. quod autem moris, et consuetudinis est, in bonae fidei judieiis debet venire 1. 31. §. 20. D. de Aedilit. Edict....". 82 Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6; S. 412: „... auetor Justinianus §. 3. Inst, de empt. et vend, ac ne deessent exempla, apponit sequentia: ... [Anm.: Beispiele für vis maior]... In omnibus his emptoris damnum esse, Imperator ait: idque interpretatur; ut emptori adhuc necesse sit, licet rem non fuerit nactus, venditori pretium persolvere. Sic ille; et ante Julianus 1. 5. §. ult. D. de rescind, vendit. Pomponius 1. 15. D. de jur. dot. et Africanus 1. 39 D. de solutionibus, item Diocletianus et Maximianus 1. ult. C. h.t. ne quis putet, quod Cujacio sedet, aliud Institutionibus, aliud Pandectis, convenire. Sed fallitur vir ille sagacissimus ...". 83 Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6; S. 416 f.

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Die meisten der praxisorientierten Autoren waren nicht bereit, wie Noodt in die humanistische Arena zu steigen84. Periculum est emptoris als die klassische Regel erschien ihnen einfach deshalb plausibler, weil dieser Grundsatz in der ganz überwiegenden Zahl der Quellen überliefert war 85 , und so begnügten sie sich damit, die beiden entgegenstehenden Texte von Paulus und Africanus mit einer Reihe interessanter Auslegungsvariationen zu überspielen 86. Das antike römische Recht aus den Fragmenten zu rekonstruieren, war also nicht das vordringliche Anliegen dieser pragmatischen Juristen. Ganz im Gegenteil: Sie haben aus dem Humanismus die Lehre gezogen, daß der Text stets dem wissenschaftlichen Zweifel ausgesetzt und deshalb immer unsicher ist. Aus diesem Grund versuchten sie, die Gefahrtragung des Käufers nicht mehr nur auf die Autorität der loci ordinarli zu stützen, sondern erstmals auch sachlich zu begründen 87. Dies geschah mit Hilfe von Argumentationsmustern, die man nach

84 Das heißt natürlich nicht, daß sie sich nicht vereinzelt humanistischer Methoden bedient hätten; siehe z.B. die Textkritik und -ergänzung von Paul. D. 18, 6, 8 pr. bei Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 5. 85 Bezeichnend Vinnius, Institutiones, 3,24,3,1: „Sententia innumeris locis tradita ..."; idem, Institutiones, 3, 24, 3, 7: „Periculum rei venditae ad emptorem statim pertinet. Hoc constanter a veteribus traditum est, cum omnibus illis locis, quos superius in hanc sententiam allegavimus [Anm.: Verweis auf 3, 24, 3, 1], tum etiam pluribus aliis, ut...". 86 Damit beginnt die beeindruckende Karriere, die Paul. D. 18, 6, 13 u. 15 und Afr. D. 19, 2, 33 in der exegetischen Literatur bis heute gemacht haben. Zu den verschiedenen Deutungsversuchen in der modernen Romanistik siehe oben § 2, II, 6 und § 2, IV; die meisten Ideen in den Exegesen der modernen Romanistik findet man aber auch schon bei den Autoren des ius commune, insbesondere den niederländischen: siehe Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 8, der seine Besprechung von D. 19, 2, 33 mit einem kräftigen Seitenhieb auf Cuiacius einleitet: „Unus locus Africani in 1. si fundus 33. locat. turbavit summos viros, Cujac. tract. 8. ad African. Borcholt. Vultejum hic, ut contra tot expressos textus et manifestam rationem juris putarint, et docuerint, periculum rei venditae, usque dum tradita sit, ad venditorem pertinere. Ego vero nihil video apud Africanum, quod hanc sententiam juvet. Ait Africanus:..."; Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1, zitiert ebenfalls Cuiacius: „Nec quid in contrarium traxerit Cujacium tract. 8. ad Africanum ad 1. 33. D. locat. qui sequitur Azonem (sicuti in multis ex ilio sapere voluit, suppresso tarnen nomine) fateor me videre hactenus non potuisse, licet non propterea me credam ocultatissimum [Anm.: Nach Azo, Summa Codicis, 4, 48, 7, ist die 1.33 eine Ausnahme, nicht die Regel.]"; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 7; Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 10; idem, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 5; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1; für einen Überblick über die im gesamten gemeinen Recht vertretenen Meinungen siehe Glück, Pandecten, zu D. 18, 6, S. 135 ff. 87 Es kam also zu einer Aufspaltung der Normbegründung in einen autoritativen und einen rationalen Teil. Bezeichnenderweise lautet die Abschnittsüberschrift, die Vinnius für Institutiones, 3, 24, 3, 7 wählte: „Auctoritates et rationes, quibus evincitur, rei venditae periculum statim ad emptorem pertinere". Dementsprechend ist der Abschnitt 7 auch inhaltlich aufgebaut. Siehe auch Institutiones, 3, 24, 3, 8, wo Vinnius die autoritätsheischenden „expressos textus" und die durch innere Logik überzeugende „manifestam rationem juris" genau auseinanderhält. Auch Huber, Praelectiones, ad

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heutiger Terminologie dem Bereich der Dogmatik 88 zuordnen würde 89 . Man wollte also periculum emptoris durch seine Stellung und Funktion im System des Privatrechts erklären. Doch sollte sich der Weg der dogmatischen Rechtfertigung als besonders steinig erweisen. Das vermeintlich größte Hindernis, das es zu überwinden galt, war der Satz res perit domino 90 , der schon in den römischen Quellen 91 zu finden war, jedoch erst von den Naturrechtlern 92 zu einem Axiom erhoben wurde. Die Juristen waren der Meinung, daß jede systematische Erklärung hier ansetzen mußte: „Quamvis enim plerumque res suo pereat domino, 1. pignus 9. C. de pignorat. act. [C. 4, 24, 9] et a venditore ante traditionem dominium rei non cedat, ... non tarnen eo minus periculum ante traditionem ad emtorem pertinet ,.." 93 . Periculum est emptoris mußte also als Ausnahme 94 zu dem allgemeineren Prinzip res perit domino verständlich gemacht werden. Hierfür wurden im wesentlichen drei verschiedene Strategien eingesetzt: Eine Erklärungsvariante stellte dem Grundsatz res perit domino ein gleichwertiges allgemeines Rechtsprinzip entgegen: die régula iuris von Paul. D. 50, 17, 10 95 und ihre kaufrechtliche Ausprägung in Inst. 3,23, 3: „... commodum Dig., 18, 6, 3, widmet der Rechtfertigung der Regel einen eigenen Abschnitt: „Ratio singularis, cur periculum rei venditae ante traditionem emptori incumbat". 88 Zu Begriff und Wesen der Rechtsdogmatik siehe Larenz, Methodenlehre, S. 224 ff. 89 Dieses Bedürfnis nach dogmatischen Begründungen war natürlich nicht nur auf das Institut des Gefahrübergangs beschränkt. Vielmehr wurde im Usus modernus des 17. und 18. Jahrhunderts die breite Grundlage für eine europäische gemeinrechtliche Dogmatik gelegt, in der die kontinentalen Rechtordnungen bis heute fest verwurzelt sind; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 205; Söllner, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen, S. 501 f. 90 Vgl. schon Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 168. 91 Siehe C. 4, 24, 9. 92 Siehe dazu unten § 5, II, 3. 93 Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6, 1; siehe auch Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 8: „Objicitur tarnen huic sententiae 1. 9. C. de pign. act. ... quae ratio hanc includit sententiam, ut necesse sit rem perire ei, qui rei dominus est. Hoc autem si verum esse fatemur, eadem ratione dicendum videtur, rem venditam et nondum traditam periculo venditoris interim esse, eamque non emptori perire, sed venditori, utpote qui rei dominus maneat usquedum tradita, sit..."; Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1: „Neque obstabit, quod res dicatur perire suo domino, emptor vero ante traditionem dominus rei nondum sit factus"; Huber , Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „... non obstante, quod periculum cujusque rei pertinet ad Dominum, 1. 9. C. de pignor. Actione, atque venditor ante traditionem adhuc sit Dominus, d. § 3. inf...."; Voet , Compendium, 18, 6, 1: „Obst, res perit suo domino, qualis ante traditionem est venditor. 1. 9. C. de pignorat. act. junct. §.3. Inst. de. emt. vend....". 94 Vgl. Huber , Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „Nam haec régula cessât...". 95 „Secundum naturam est commoda cuiusque rei eum sequi, quem sequentur incommoda".

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eius esse debet, cuius periculum est". Im Falle des Kaufs komme es also zu einer Kollision der beiden Prinzipien, wobei dem Grundsatz des notwendigen Gleichlaufs von commoda und incommoda der Vorrang einzuräumen sei; da der Käufer schon vor dem Übergang des Eigentums alle Vorteile genieße, so müsse er konsequenterweise auch das Risiko der Kaufsache tragen 96. Die Gefahrtragung aus der Zuweisung der commoda ableiten zu wollen, war natürlich ein Zirkelschluß, da auch umgekehrt die Zuweisung der Vorteile mit der Käufergefahr begründet wurde 97 . Commoda und incommoda sind also nicht kausal verknüpft, ihre Zuordnung zum Käufer ist vielmehr in beiden Fällen die Folge eines wertzuweisenden Kaufverständnisses 98. Eine andere Theorie, für die sich vor allem Van Leeuwen stark machte, erklärte die Gefahrtragung des Käufers mit Verschuldenskriterien: „... consequens est omne periculum rei venditae statim ad emptorem pertinere, licet adhuc tradita non sit. ... quia nimirum emptor perfecta emptione, statim jus habet dominii nanciscendi, ac proinde haberi debeat ac si iam dominus esset, quum non stet, nisi per eum: arg. 1. 15. et 1. 174. ff. De Reg. Jur." In einem ersten Schritt wird das Recht des Käufers herausgestellt, sofort nach Abschluß des Vertrages Eigentum erlangen zu können. Das bedeute nun, 96

Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 7: „...efficiturque etiam his rationibus. ... Quia ad quem pertinet commodum, is secundum naturae regulam et incommodum ferre debet"; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6, 1 : „Quamvis enim plerumque res suo pereat domino ... et a venditore ante traditionem dominium rei non cedat,... non tarnen eo minus periculum ante traditionem ad emtorem pertinet; tum quia eum etiam omne rei commodum sequitur, d. 1. 7. ff. h.t. d. 1. 1. C. h.t. arg. 1. secundum naturam 10. ff. de reg. iuris...."; Voet, Compendium, 18, 6, 1: „Emtae autem rei uti omne commodum velut fructus, partus omnisque accessio ad emtorem pertinet. 1. 13. §. 20. ff. de act. emti. §.3. Inst, de emt. vend, ita quoque ad eundem spectat omne periculum, quam primum consensu perfecta fuerit venditio, etiamsi res vendita necdum sit tradita...". 97 Vinnius , Institutiones, 3, 24, 3, 9: „Secundum naturam est, commoda cujusque rei eum sequi, quem sequuntur incommoda, 1. 10. de reg. jur. proinde cum omne incommodum rei venditae, quod post perfectam venditionem contingit, ad emptorem pertineat, justum et aequum est, ut vicissim ex eo tempore commoda quoque rei omnia emptorem sequantur ..."; idem , Jurisprudentia contracta, 2, 15: „Emptione perfecta ... placuit omne periculum rei venditae statim ad emptorem pertinere, et propter periculum etiam omne commodum, secundum regulam juris"; Huber , Praelectiones, ad Dig., 18,6,9: „Habuimus primam Rubicae partem de Periculo: sequitur altera pars, de Commodo rei venditae, cujus eandem cum periculo damnoque rationem esse debere, notum est ex Regula Juris, quae est in 1. 10. de R. J. atque a Justiniano in § cum autem. de Empt. Venditene memoratur, Commodum ejus esse debet, cujus periculum est"; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 9: „Quia vero aequum natura est, commoda cuiusque rei eum sequi, quem incommoda sequuntur, 1. secundum 10. ff. de reg. iuris, hinc et omne rei venditae commodum post venditionem perfectam, etiam ante traditionem obveniens, ad emtorem pertinet...". 98 Siehe oben § 2, V. 99 Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 5, der sich hierfür auf Bronchorst, Bachovius, Gomezius, Carpzov u.a. beruft.

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daß der Käufer von diesem Moment an eigentlich schon als Eigentümer der Sache anzusehen sei 100 . Gestützt wird diese Argumentation mit dem Rechtsgedanken von Paul. D. 50, 17, 15 101 , wonach der schuldrechtliche Anspruch auf eine Sache dem Gläubiger bereits eine besitzerähnliche Stellung vermittle. In einem zweiten Schritt macht Van Leeuwen dem Käufer den Vorwurf, er trage selbst die Schuld, wenn er trotz dieser ihm günstigen Ausgangslage noch nicht Eigentümer geworden sei („quum non stet, nisi per eum"). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, der Käufer habe sich, indem er die Sache nicht unverzüglich an sich brachte, schuldhaft seiner Verantwortung für die Sachgefahr entzogen, die er von Rechts wegen - res perit domino - zu tragen gehabt hätte. Damit ist im wesentlichen Jherings Verschuldenstheorie 102 vorweggenommen. Wie aber bereits oben gezeigt, sind Verschuldensgesichtspunkte nicht geeignet, periculum emptoris begreiflich zu machen, da man damit letztlich dem Gläubiger eines obligatorischen Geschäfts den Vorwurf machte, er verhalte sich nicht wie ein Barkäufer. Mit der dritten und verbreitetsten dogmatischen Begründung versuchte man, wie auch schon mit der ersten, den Anwendungsbereich von res perit domino durch ein anderes allgemeines Prinzip zu beschränken. Besonders ausführlich widmete sich Vinnius dieser Variante. Er setzte bei C. 4, 24, 9 an, wo nach allgemeiner Ansicht 103 der Grundsatz res perit domino verankert ist: „Objicitur tarnen huic sententiae 1. 9. C. de pign. act. ubi Impp. consulti, si res pignori data casu perierit, utrius id detrimentum sit, debitorisne, an créditons? respondent pignus in bonis debitoris, addita hac ratione, quia pignus in bonis debitoris maneat, quae ratio hanc includit sententiam, ut necesse sit rem perire ei, qui rei dominus est. Hoc autem si verum esse fatemur, eadem ratione dicendum videtur, rem venditam et nondum traditam periculo venditoris interim esse, eamque non emptori perire, sed venditori, utpote qui rei dominus maneat usquedum tradita, sit, hoc §. in fin. Respondeo, male ex d. 1. 9. generaliter colligitur, rem semper perire suo domino; sed hoc recte, perire suo domino, si idem dominus sit et creditor in ea re, id est, cui res ex obligatione restituì debet: uti accidit in re deposita, commodata, locata, item in re pignori data. Nam qui pignus dedit, is quidem habita ratione fortis debitor dicitur, sed in repetenda re pignorata creditor est. In his, inquam, omnibus recte dicitur, si res debita casu pereat, earn perire domino; nimirum quia idem est creditor qui dominus: est autem régula certi et perpetui juris, si res debita sine culpa debitoris perierit, debitorem eo interitu liberari, 1. 5. de reb. cred. 1. 23. de verb. obi. At ex diverso, si idem

100 Siehe auch VanLeeuwen , Rooms-Hollands-Regt, 4, 17,2: „Om dat den koop voltrokken zijnde, den Köper regt heeft om aanstonds den eygendom te verkrygen, en derhalven gehouden werd, gelijk of hy al eygenaar was. arg. 1. 15. 1. 174. ff. de Regul. jur....". 101 „Is, qui actionem habet ad rem reciperandam, ipsam rem habere videtur". 102 Siehe oben § 2, VI. 103 Vinnius , Institutiones, 3, 24, 3, 8; Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6, 1. 9 Bauer

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

qui dominus rei est, sit et debitor ejusdam rei, puta ex causa legati, stipulationis aut venditionis, semper adversario res perit, domino nunquam ,..."1 Vinnius argumentierte, man könne dem Reskript der Kaiser Diocletianus und Maximianus entnehmen, daß der Schaden aus dem zufalligen Untergang des Pfandes den Verpfänder treffe, weil die als Sicherheit gegebene Sache in dessen Eigentum verblieben sei. Die hierin enthaltene Regel res perit domino könne aber nicht schrankenlos verallgemeinert, insbesondere nicht auf den Fall des Kaufs ausgedehnt werden. Sie gelte vielmehr immer nur unter der Voraussetzung, daß der Eigentümer gleichzeitig auch Gläubiger der Sache ist. Bei der Verpfändung werde der Sicherungsgeber zwar in Hinblick auf die zu sichernde Forderung mit Recht Schuldner genannt, doch was die Rückgabe der Pfandsache betrifft, sei er Gläubiger, wie auch bei der Verwahrung, Leihe oder Miete. Hier habe die Regel ihren Anwendungsbereich. Wenn dagegen wie beim Kauf der Eigentümer gleichzeitig Schuldner der Sache sei, so gelte ein anderes, gesichertes und allgemeingültiges Prinzip („regula certi et perpetui juris"), nämlich daß der Schuldner durch den unverschuldeten Untergang der Sache befreit werde („si res debita sine culpa debitoris perierit, debitorem eo interitu liberali"). Es drängt sich natürlich die Frage auf, woher diese „regula certi et perpetui juris" denn kommt. Zwei Hinweise gibt Vinnius selbst. Erstens zitiert er als Autorität für diese Regel Pomp. D. 12, 1, 5 und Pomp. D. 45, 1, 23 1 0 5 , wo es ausschließlich um den nachträglichen Untergang eines aufgrund einer obligatio stricti iuris geschuldeten Gegenstandes geht 106 . Zweitens nennt er als Beispielsfälle das Legat, die Stipulation und darüber hinaus den Kauf in einem Atemzug („puta ex causa legati, stipulationis aut venditionis"). Das legt den Verdacht nahe, daß hier Leistungsstörungsregeln aus dem Bereich der Schuldverhältnisse strengen Rechts in das Kaufrecht importiert wurden. Eine solche Entwicklung wäre nicht überraschend, wenn man bedenkt, auf welche Weise sich im Mittelalter der reine Gattungskauf und die emptio ad quantitatem im Recht der emptio venditio herausgebildet hatten 107 . In der Tat hat auch die Regel debitor

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Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 8. Siehe auch Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1, der neben Pomp. D. 45, 1, 23 auch noch Pomp. D. 46, 3, 107 zitiert. 106 Pomp. D. 12, 1,5: „Quod te mihi dare oporteat si id postea perierit, quam per te factum erit quominus id mihi dares, tuum fore id detrimentum constat"; Pomp. D. 45, 1, 23: „Si ex legati causa aut ex stipulatu hominem certum mihi debeas, non aliter post mortem eius tenearis mihi, quam si per te steterit, quo minus vivo eo eum mihi dares: quod ita fit, si aut interpellatus non dedisti aut occidisti eum"; Pomp. D. 46, 3, 107: „Verborum obligatio aut naturaliter resolvitur aut civiliter: naturaliter veluti solutione aut cum res in stipulationem deducta sine culpa promissoris in rebus humanis esse desiit...". 105

Siehe oben § , II.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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speeiei liberatur casuali interitu rei ihre Wurzeln in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft: Titelrubriken wie „quibus modis tollitur obligatio" (Inst. 3, 29) und „de solutionibus et liberationibus" (D. 46, 3; C. 8, 42) wurden schon in den frühen Glossatorenschriften zum Anlaß für eine abstrakte Beschäftigung mit dem Problem der Befreiung von der Obligation genommen 108 . Dadurch inspiriert, entwarfen Azo und im Anschluß daran Accursius eine Dogmatik der Befreiungsgründe 109. Einer dieser Gründe war der nachträgliche Untergang des körperlich und individuell bestimmten Schuldgegenstandes110. Vorbild und Legitimation dafür waren eine Reihe von Texten, namentlich Pomp. D. 45, 1, 23, Ulp. D. 45, 1, 82, 1, Pomp. D. 46, 3, 107 und Pomp. D. 12, 1, 5 1 1 1 , die jedoch ursprünglich allesamt auf die Stipulation und das Legat beschränkt waren. Nachdem aber der Katalog der Befreiungsgründe schon einmal auf eine abstrakte Ebene gehoben worden war, konnte man ihn auch für den Bereich der bonae fidei-Verträge, insbesondere für den Kauf, fruchtbar machen 112 . Bei den Kommentatoren etablierte sich der Sachuntergang als allgemeiner Befreiungsgrund 113 ; im neuzeitlichen gemeinen Recht wurde er bereits als selbstverständlich angesehen114. Vor diesem Hintergrund ist es nun nicht verwunderlich, daß Vinnius 115 und andere niederländische Juristen 116 in ihrem Bemühen um eine 108

Summa Trecensis, 8, 38; Rogerius, Summa Codicis, 8, 34; siehe dazu Wollschläger, Unmöglichkeitslehre, S. 42. 109 Azo, Summa Codicis, 8, 42 (43), 1 : „Videamus ergo, quibus modis liberetur quis ab obligatione, ut ea extinguatur ipro iure ..."; in der kurzen glossa in omnibus, liberationum zu D. 46, 3, 43 bezieht sich Accursius auf die zehn von Azo aufgeführten Befreiungsgründe, ohne diese aber ausdrücklich zu wiederholen: „ipso iure, quae sunt X. ut in summa..."; siehe dazu Wollschläger, Unmöglichkeitslehre, S. 42 f. 110 Azo, Summa Codicis, 8, 42 (43), 3 a.E.: „Item per interitum speciei, quae erat in obligatione nec praecesserit mora, nec debitor occidit: ut ff. eod. 1. verborum. et de verb, ob. si ex legati, et 1. nemo rem suam §. 1"; vgl. Wollschläger, Unmöglichkeitslehre, S. 42 f. 111 Siehe die Zitate bei Azo, Summa Codicis, 8, 42 (43), 3 a.E. 112 Gl. aere alieno zu C. 4, 2, 11; gl. mortis zu C. 4, 48, 6; siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 187; Wollschläger, Unmöglichkeitslehre, S. 43. 113 Siehe dazu Dilcher, Leistungsstörungen, S. 187 ff. 114 Für die deutsche Ausprägung des ius commune siehe die Nachweise bei Wollschläger, Unmöglichkeitslehre, S. 43, Fn. 47. 115 Siehe die oben im Text abgedruckte Passage aus Institutiones, 3, 24, 3, 8; vgl. darüber hinaus auch Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 7: „Quia omnes debitores certae rei liberantur, si ea res sine culpa eorum perierit, 1. si ex legati 23. de verb. obi. 1. 5. de reb. cred. ..." und idem, Institutionenedition, nota: Emptoris damnum est zu Inst. 3, 24, 3: „... res autem dicatur perire suo domino. 1. 9. C. de pign. act. Hoc enim verum est, nisi dominus rei idem sit et debitor ejusdem, ut in proposito venditor: qui ob id communi jure omnium debitorum certae rei utitur. 1. 23. de verb. obi.". 116 Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „... non obstante, quod periculum cujusque rei pertinet ad Dominum, 1. 9. C. de pignor. Actione, atque venditor ante traditionem adhuc sit Dominus, d. § 3. in f. Nam haec régula cessât, quando idem est debitor ejusdem rei, quemadmodum hic venditor est quidem dominus, at simul debitor rei 9*

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

dogmatische Rechtfertigung der Käufergefahr auf diese Regel zurückgriffen. Sie instrumentalisierten den Befreiungsgrund des Sachuntergangs, um die widerstreitenden Prinzipien res perit domino und periculum est emptoris miteinander zu vereinbaren. Vinnius faßte das Ergebnis dieser Strategie in eine elegante Formel: ,,[Q]uod efficitur ex eadem regula, secundum quam creditori res perit, etiamsi dominus non sit, debitori non perit, quamvis idem sit dominus ..." n 7 . Bei aller Eleganz konnte diese Argumentation jedoch im Kaufrecht nur auf Kosten eines logischen Bruchs durchgehalten werden: Der Satz debitor speciei liberatur casuali interitu rei regelt allein die Leistungspflicht. Periculum est emptoris dagegen betrifft das Schicksal der Gegenleistung. Die Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht im Falle des zufälligen Untergangs enthält aber keinerlei dogmatisch zwingende Vorentscheidung für die Preisgefahr 118 . Vielmehr bedarf die Beurteilung der Gegenleistungsgefahr einer eigenen rechtlichen Wertung 119 . Die Gefahrtragung des Käufers mit dem Befreiungsgrund des Sachuntergangs begründen zu wollen, war also ein untauglicher Versuch 120 . Warum wurde er trotzdem unternommen? Das liegt wohl daran, daß die Juristen, als sie die Regel aus dem Recht der obligationes stricti iuris in das Kaufrecht übernommen haben, sich deren Herkunft so genau nicht bewußt waren. Für sie war es ein Grundsatz von allgemeiner Gültigkeit („regula certi et perpetui juris"). Dadurch gerieten sie bei der Begründung der Preisgefahr unvenditae ..."; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1: , v .. tum quia statim a perfecta venditione venditor incipiat esse speciei debitor, quem rei interitu liberari placuit. 1. si ex legati 23. ff. de verb, oblig. 1. pen. ff. de solution. 1. 1. §. ult. in fine ff. h.t...."; Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6, S. 412: „... hac verissima ratione; quod emptor perfecta emptione, statim est creditor rei venditae: venditor contra est debitor, interitu autem naturali speciei debitae liberatur speciei debitor 1. 23. D. de verb, oblig...." 117 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 8. - Interessant ist auch die durch ihre Einfachheit und Kürze bestechende Variante von Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 1: „Quoniam in casu nostro et hoc verissimum est jus in re, id est, dominium perire domino, puta venditori, verum jus ad rem, id est, obligationem perire non domino, id est emptori". 118 Die einzig denkbare dogmatische Beziehung, die man zwischen der Unmöglichkeit der Leistung und dem Schicksal der Gegenleistung herstellen könnte, ergäbe sich aus dem Synallagma. Daraus folgte dann aber das genaue Gegenteil, nämlich periculum venditoris. Indes ist eine strenge synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung im Bereich der Gefahrtragung keine dogmatische Notwendigkeit. Wie man im klassischen römischen Recht beobachten konnte, ist die Durchbrechung des Synallagmas zugunsten eines wertzuweisenden Kaufverständnisses - also aufgrund einer juristischen Wertungsentscheidung - möglich, ohne daß deshalb das Synallagma insgesamt in Frage gestellt werden müßte; siehe oben § 2, VI und insbesondere Benöhr, Synallagma, passim. 119 Daß diese Wertung durchaus unterschiedlich ausfallen kann, zeigt ein Vergleich zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Recht; vgl. §§ 323 Abs. 1, Satz 1 i.V.m. 446 Abs. 1, Satz 1 BGB und Art. 185 Abs. 1 OR. 120 So schon Glück, Pandecten, zu D. 18, 6, S. 131 f.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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willkürlich in die dogmatische Fahrspur von Rechtsgeschäften, wie Stipulation und Legat, die auf eine einseitige Leistungspflicht gerichtet sind und deshalb notwendigerweise keine Aussagen über eine Gegenleistung treffen. Dies führte bei dem bilateralen Kaufvertrag zu einer einseitigen Fixierung auf die Lei121

stungspflicht des Verkäufers . Dieser Irrweg wird etwas leichter verständlich, wenn man ihn - wie oben schon angedeutet - im Zusammenhang mit der Entwicklung des Gattungskaufs im Mittelalter sieht 122 . Dort waren Anleihen aus dem Leistungsstörungsrecht der Stipulation sinnvoll und nötig, um die Gattungsschuld im Recht der emptio venditio zu integrieren. Die Verschmelzung von Stipulations- und Kaufrecht war den Juristen also nicht neu, was ihnen ein ähnliches Vorgehen beim Stückkauf sicherlich erleichtert hat. Ausschlaggebend für diese wenig glücklichen Versuche einer dogmatischen Begründung der Käufergefahr war der durch die subversive Kraft der eleganten Jurisprudenz entstandene Rechtfertigungszwang: Der juristische Humanismus hatte die Autorität des Corpus Iuris insgesamt untergraben. Ganz besonders gilt das für die von Cuiacius in Hinblick sowohl auf Klassizität als auch Gerechtigkeitsgehalt scharf kritisierte periculum-Regel. Das allgemeine geistige Klima und der besondere Druck auf periculum est emptoris nötigte die Juristen des modernen ius commune, jeden noch so entfernten Anhaltspunkt aufzugreifen, um eine von der Autorität der Quellen unabhängige, aus dem System des positiven Rechts heraus verständliche Erklärung für die Gefahrtragungsregel zu liefern. 3. Der Einfluß des Naturrechts: überpositive Legitimationsbestrebungen Neben diesen dogmatischen Begründungen auf der Ebene des geltenden Rechts findet man bei den niederländischen Autoren aber auch Bemühungen, periculum est emptoris mit Hilfe von Argumenten aus dem überpositiven Normensystem des Naturrechts zusätzliche Legitimation zu verschaffen. Das mag im ersten Moment befremdlich erscheinen, werden die Naturrechtler doch all-

121 Besonders deutlich ist das bei Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 7, und Noodt, Commentarius, ad Dig., 18, 6, S. 412: Beide rechtfertigen periculum est emptoris unter anderem mit der Tatsache, daß keine Sekundärleistungspflicht an die Stelle der zufällig unmöglich gewordenen Primärleistung tritt, mit anderen Worten, daß der Verkäufer bei zufälligem Untergang keinen Schadensersatz zu leisten hat. Das ist zwar richtig, sowohl nach Kaufrecht als auch nach dem allgemeinen Grundsatz debitor speciei liberatur casuali interitu rei, wie schon Donellus, De iure civili, 16, 1, 13, ausdrücklich betont hatte. Doch wird mit der Frage nach der Verkäuferhaftung wieder nur der eine Teil des bilateralen Kaufvertrages gewürdigt. 122

Siehe oben § 4, II.

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

gemein als Gegner der römischen Gefahrtragungsregel angesehen123. In der Tat geht Grotius bei der Behandlung des Gefahrübergangs in „De iure belli ac pacis" andere Wege als in seiner „Inieidinge": Nach Naturrecht bleibe Gefahr und Nutzen der Sache solange beim Verkäufer, bis das Eigentum auf den Käufer übergegangen ist 1 2 4 . Periculum emptoris sei lediglich eine Bestimmung des positiven Rechts der Römer und könne deshalb auch keine universelle Geltung beanspruchen, ja vielmehr sei - Theophrast zufolge - in den meisten anderen Rechtsordnungen die Gefahr bis zur Übergabe beim Verkäufer gewesen125. Auch bei Pufendorf kommt der Grundsatz res perit domino zu naturrechtlichen Ehren 126 . Er plädiert für periculum venditoris bis zur Übergabe der Sache127, sofern nicht Annahmeverzug dazwischentritt 128 . Man war sich also einig, daß Eigentum und Gefahr im Naturrecht untrennbar verbunden sind. Anders aber als Pufendorf knüpfte Grotius den Eigentumsübergang im Regelfall an den Vertragsschluß (Konsensprinzip), so daß im Ergebnis doch der Käufer die Gefahr trägt, nunmehr freilich als Eigentümer 129 . Den Grundgedanken dieser Konzeption griff Huber 130 auf und machte ihn für das gemeine Recht fruchtbar. Er rückt zunächst die Maxime res perit domino, die auch seiner Ansicht nach den Rang einer Naturrechtsnorm einnimmt, in den Vordergrund; doch sei es nicht nötig, periculum emptoris als Ausnahme dazu anzusehen: „Nam per venditionem consensu factam, Dominium jure Gentium transferri, adeoque per solam conventionem, sive declarationem de jure in alium transferendo,... Quod 123

Watson , Legal Transplants, S. 83 f.; Hager, Gefahrtragung, S. 39 f.; Coing , EuPR I, S. 455; Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römischholländische Recht, S. 168. 124 Grotius, De iure belli ac pacis, 2, 12, 15, 1: „Quod si actum sit ne statim dominium transeat, obligabitur venditor ad dandum dominium, atque interim res erit commodo et periculo venditoris...". 125 Grotius, De iure belli ac pacis, 2, 12, 15, 1: „... quare ... quod res periculo est emptoris, et ut fructus ad eum pertineant, antequam dominium transeat, commenta sunt juris civilis, quod nec ubique observatur: imo plerisque legum conditoribus placuisse, ut ad traditionem usque res commodo et periculo venditoris sit, notavit Theophrastus in loco qui apud Stobaeus est...". 126 Pufendorf, De Jure Naturae, 5, 5, 3; er zitiert dabei in Fn. d) auch ausdrücklich C. 4, 24, 9. 127 Pufendorf De Jure Naturae, 5, 5, 3: „... si ego ab aliquo pecora, in pascuis remotis agentia, emissem, eaque dum ad me a venditore adducuntur, a latronibus, lupis, aut alio casu sint intercepta. Hic quin ratio jubeat damnum esse venditoris, dubium non est". 128 Pufendorf De Jure Naturae, 5, 5, 3: „Ubi vero emtor in mora fuit, quo minus rem venditam acceperit, aequum fuerit ipsius periculo rem perire". 129 Grotius, De iure belli ac pacis, 2, 12, 15, 1: „De venditione et emptione notandum etiam sine traditione, ipso contractus momento, transferri dominium posse, atque id esse simplicissimum. ita Senecae venditio alienatio est, et rei suae jurisque sui in alium translatio ..."; siehe auch idem, De iure belli ac pacis, 2, 6, 1 u. 2, 8, 25; ebenso später Wolff, Institutiones Juris Naturae, 2, 5, 317 u. 2, 12, 613. 130 Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 3.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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igitur Juris Romani auctores ad Dominii translationem requirunt Traditionem, ultra illam hypothesin non opus est, nec debet extendi: In aliis capitibus sequi possunt juris Gentium rationem, quae cum supponat, Dominium conventione transferri, ad alios dominii effectus nihilo plus opus est. Ferre periculum est effectus Dominii; hoc per conventionem jure naturali habet suam perfectionem, Ergo supposita conventione, per quam id agitur, ut dominium transferatur, translatio periculi conventionem sequi debet. Sive igitur hac utaris ratione, sive ad exceptionem hunc casum referas, nihil est certius, quam Rei Venditae nec dum traditae, periculum ad emptorem pertinere, 1. 8. h.t." 131 Wenn also nach Naturrecht das Eigentum an der Kaufsache durch bloßen Vertrag übergehe 132 , so sei es nicht nötig, wie die Autoren des römischen Rechts die zusätzliche Voraussetzung der Übergabe zu fordern. Jedenfalls aber müsse man dieses Erfordernis nicht über den reinen Veräußerungstatbestand hinaus auf andere Bereiche des Rechts wie den Gefahrübergang ausdehnen. Hier könne man naturrechtlich argumentieren: Die Gefahrtragung folgt zwingend dem Eigentum. Das Eigentum geht indes schon durch den Vertrag über. Folglich steht periculum emptoris im Einklang mit naturrechtlichen Grundsätzen. Abschließend stellt Huber noch klar, daß er damit nicht die üblichen dogmatischen Begründungen ersetzen will, die periculum emptoris als Ausnahme 133

zu res perit domino definieren („sive ad exceptionem hunc casum referas") ; es geht ihm vielmehr um eine zusätzliche überpositive Verankerung der Regel 1 3 4 . Huber war nicht der einzige, der mit Hilfe naturrechtlicher Doktrin eine Gefahrtragungsregel zu rechtfertigen suchte, die gleichwohl auf der Trennung von Eigentums- und Gefahrübergang beruhte. Um die Wende zum 19. Jahrhundert griff Van der Keessel in seinen Vorlesungen zu den justinianischen Institu-

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Huber, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 3. Siehe dazu auch Huber, Praelectiones, ad Inst., 2, 1, 52 und Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 3, der sich mit Grotius auseinandersetzt. 133 Siehe auch den Verweis in Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 3: „At ea regula [Anm.: res perit domino] cur heic cesset, in tit. Inst, de Empt. Vend. η. 9. exposuimus ..." und die entsprechende Stelle, in der Huber selbst zu einer dogmatischen Begründung greift, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „Nam haec regula cessât, quando idem est debitor ejusdem rei, quemadmodum hic venditor est quidem dominus, at simul debitor rei venditae ...". 134 Siehe auch Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 23: „... en zeggen de Rechten, dat niet tegenstaende de eygendom eerst door leeveringe wordt overgedragen, nochtans het gevaer van het verkochte koomt tot laste van den kooper, om dat de oorsaek, waer door de kooper eygenaer kan ende sal worden voltrocken is"; idem , Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9: „... praeter quod causa dominii jam existit et perpetrata est". In beiden Stellen stützt Huber die Gefahrtragung des Käufers mit dem Argument, daß die „causa" bzw. „oorsaek" der Übereignung bereits vorliegt. 132

136

§ 5 Das römisch-holländische Recht

tionen diesen Gedanken wieder auf 135 . Dauerhafte Wirkung war dem Ansatz jedoch nicht beschieden, denn schon die frühen Kodifikationen setzten das naturrechtliche Axiom der Einheit von dominium und periculum konsequent um, 136

sei es nun im Sinne des Konsens-

137

oder des Traditionsprinzips

4. Der Praxisbezug: Integration von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht Neben ihrem lebhaften Interesse an der akademischen Kultivierung des Rechts durch elegante Jurisprudenz und Naturrechtsschule waren die niederländischen Juristen vor allem auch gegenüber dem für die Praxis bedeutsamen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht aufgeschlossen. In diesem Zusammenhang bedurften insbesondere zwei Fragen einer rechtlichen Klärung. a) Der Verkauf von Immobilien Ein Problem war die Anwendbarkeit des Grundsatzes periculum est emptoris auf den Verkauf von unbeweglichen Sachen. Nach einem Gesetz Kaiser Karls V. vom 10. Mai 1529 138 hatte jede Übereignung oder Belastung von Grundstücken „coram lege loci" zu erfolgen. Damit wurde zu einem allgemeinen Gesetz erhoben, was schon lange vorher in vielen Teilen Hollands gewohnheitsrechtlich gegolten hatte: Land konnte nur in einer förmlichen Prozedur vor dem Richter des Bezirks, in dem es belegen war, wirksam übereignet werden 139 . In der Regel überreichte der Verkäufer eine sogenannte „festuca" (in

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Van der Keessel, Dictata, 3, 24, 11 : „Videntur tarnen Romani in hac parte in hoc effectu contractus secuti esse simplicitatem juris naturalis et gentium quo dominium sola conventione transferier". 136 Vgl. Artt. 1138, 1583 c.c.; die Einführung des Konsensprinzips im französischen Recht berührte freilich in der Hauptsache nur die Regeln der Eigentumsübertragung, das Recht der Gefahrtragung blieb im wesentlichen konstant; vgl. Hager, Gefahrtragung, S. 43 ff. - Bucher, AJP 1997, 936, und demächst ZEuP 1998, Heft 1 oder 2, vertritt die These, daß es sich bei dem Konsensprinzip um einen „legislatorischen Einfall der letzten Minute" handelte, der nur dazu diente, die Regel periculum est emptoris aufrechtzuerhalten und gleichzeitig mit der naturrechtlichen Maxime res perit domino zu vereinbaren. Folgt man dieser These, so könnte man Hubers und Van der Keessels Argumentation als Pioniersarbeit betrachten. 137 Vgl. Erster Teil, 11. Titel, §§ 95, 100 und Erster Teil, 5. Titel, § 364 PrALR; §§ 1064, 1048, 1051 ABGB; dagegen war die bayerische Kodifikation von 1756 kaum von naturrechtlichem Gedankengut beeinflußt und übernahm periculum est emptoris, vgl. 4. Teil, 3. Kap., § 11 CMBC. 138 Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 373 f. 139 Grotius, Inieidinge, 2, 5, 13: „Maer ontilbaer goed als huizen, landen, erven, wierden oock van ouds in veele plaetsen van Holland niet gehouden voor gelevert, 't en waer de opdrachte geschiede voor 't gerechte van de plaetsen, waer onder 't goed is ge-

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holländischer Sprache „een halm"), woraufhin der Richter dem Käufer das Grundstück offiziell zusprach 140 . Dieser alte Brauch bezog sich ursprünglich nur auf den Akt der Übereignung 141 . Durch die Intervention des Gesetzgebers jedoch entstand schon bald Unsicherheit, ob sich aus der Pflicht zur förmlichen Übereignung nicht auch Konsequenzen für das Grundgeschäft und den Gefahrübergang ergäben. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts bekam der Hof van Holland diese Frage zur Entscheidung 142 : Ein Grundbesitzer hatte bestimmte Grundstücke und Häuser verkauft und daraufhin dem Käufer tatsächlich übergeben. Allerdings war die traditio nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form, „coram Magistratu loci", vorgenommen worden. Als die Häuser durch Feuersbrunst vernichtet und die Grundstücke überschwemmt wurden, verlangten die Parteien gerichtliche Klärung der Frage, zu wessen Lasten diese Schäden gingen. Das Gericht wog ab: Nach Zivilrecht habe der Käufer die Gefahr zu tragen, auch wenn die Sache noch nicht übergeben sei 143 . Nach dem Gesetz Karls V. aber scheine die Gefahr den Verkäufer zu treffen, weil er sich im Leistungsverzug befunden habe 144 . Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes sei jeder „Verkauf („verkoopinge") nichtig, der nicht der vorgeschriebenen Form entspreche; dies ergebe sich aber auch aus C. 1, 14,5, wo die Rechtsfolge der Nichtigkeit für gesetzwidrige Rechtsgeschäfte angeordnet werde 145 . Leider endet die Berichterstattung hier, und zwar mit den wenig aufschlußreichen Worten: „Sed opiniones variae, neque aliquid decisum". Der Fall blieb in mehrerlei Hinsicht unklar. Zum einen wußte man nicht mit Sicherheit, ob sich das Gericht letztlich für eine Lösung des Falls nach dem gelehrtem Recht (periculum emptoris) oder nach dem kaiserlichen Gesetz (Nichtigkeit, Leistungsverzug) entschieden hatte. Zum anderen stiftete die ungenaue Terminologie und die seltsame Vermischung von Leistungsverzug und Nichtigkeit des Geschäfts zusätzliche Verwirrung. In dem Urteil ist, wie auch

legen. De opdracht andersints zijnde ghedaen was van onwaerde: welck recht ten tijde van Keizer Karel gemeen is gemaeckt over deze landen..."; siehe auch Scheltinga, Dictata, ad Grot., 2, 5, 13; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 2, 5, 13; für eine Liste von Orten, in denen förmliche traditio in Gebrauch war, siehe Grotius, Inleidinge, 2, 7, 7. Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 2, 5, 13; siehe auch Ogris, in: HRG, Festuca, m.w.N. 141 Siehe Ogris, in: HRG, Auflassung, m.w.N. 142 Neostadius, Decisiones Curiae Hollandiae, Fall 32. 143 „De jure civili, emptoris periculo erit, etsi res tradita non fuisset...". 144 „... maar naar 't Plackaat voorsz. schijnt sulx, periculo venditoris te wesen, qui in mora fuit tradendi...". 145 „... quia illis verbis utitur Edictum; Verklärende de verkoopinge geen, ende van onwaarden te zijn: ergo quod sit lege prohibente, pro nullo habetur. 1. 5. C. de 11. ...".

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schon in dem kaiserlichen Gesetz, von der Nichtigkeit des „Verkaufs" die Rede 1 4 6 . Ist damit - untechnisch - nur der Rechtsakt der Übereignung gemeint, oder soll gar der Kaufvertrag insgesamt unwirksam sein? Die Argumentation des Gerichts mit dem Leistungsverzug legt die erste Variante, also Nichtigkeit der Übereignung, aber Gültigkeit des Kaufvertrags, nahe. Ohne wirksamen Kaufvertrag gäbe es nämlich keine Leistungspflicht, mit der der Verkäufer in Verzug kommen könnte. Darüber hinaus zeigt ein Blick in das Gesetz von 1529, daß der Begriff „verkoopinge" sich in der Tat allein auf das dingliche Geschäft der Übereignung beziehen sollte. Dies ergibt sich eindeutig aus der Natur der übrigen in dem Gesetz aufgelisteten Tatbestände, die allesamt Verfugungen über und Belastungen von Immobiliarsachenrechten betreffen: „Dat niemant ... hem voortaen en vervordere te verkoopen, belasten, transporterez vervreemden oft hypotheecqueren eenige Huysen, Landen, ... of andere immeuble goeden, dan voor den Rechter, ende ter Plecken daer die goeden gelegen zijn: Daer toe verklärende, dat alle verkoopingen, belastingen, vervreemdingen ende hypotheecqueringe anders ghedaen, ghehouden ende geacht sullen worden als nul, egeen ende van onwaerden ..." I 4 7 . Wenn demnach die Nichtigkeit der Übereignung den Kaufvertrag nicht erfaßte, dann kann das Urteil nur folgendermaßen verstanden werden: Indem der Verkäufer die Grundstücke und Häuser nicht in der gesetzlich gebotenen Form übereignete, geriet er mit seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Leistung in Verzug, mit der Folge, daß die Gefahr auf ihn zurückfiel. Das Gesetz Karls V. und das kryptische Urteil des Hof van Holland, wurden von der Wissenschaft zur Kenntnis genommen und gaben Anlaß zu einer regen Diskussion 148 . Voet 1 4 9 sah sich - zu Recht - genötigt, den fundamentalen Unterschied zwischen dem Kaufvertrag und der traditio herauszuheben. Eine Modifikation des römischen Rechts durch Gewohnheits- und Gesetzesrecht habe sich lediglich hinsichtlich der Art und Weise der Übereignung von Immobilien ergeben. Der Gefahrübergang habe damit nichts zu tun, sondern trete unab-

146 Neostadius, Decisiones Curiae Hollandiae, Fall 32: „... quia illis verbis utitur Edictum; Verklärende de verkoopinge geen, ende van onwaarden te zijn..."; vgl. den Wortlaut des Gesetzes, Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 374: „Daer toe verklärende, dat alle verkoopingen ... anders ghedaen, ghehouden ende geacht sullen worden als nul, egeen ende van onwaerden ...". 147 Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 373 f. 148 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 9; Groenewegen, De legibus abrogatis, ad Inst., 3, 24, 3; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 6; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 7 u. 8; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 6; Scheltinga, Dictata, ad Grot., 3, 14, 34; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34; siehe dazu Zimmermann, in: Feenstra, Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht, S. 171; Lee, Commentary, S. 294 f.; Hamman, Risiko, S. 85 ff. 149

Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 6; siehe auch Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34.

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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hängig von den Eigentumsverhältnissen immer zum Zeitpunkt der Perfektion des Kaufs ein. Es habe schon im römischen Recht für die Gefahrtragung keine Rolle gespielt, ob durch die Übergabe der Kaufsache das Eigentum auf den Käufer übergegangen sei oder nicht (arg.: Ulp. D. 19,1, 11,2; Inst. 2, 1, 41 ff.). Und so sei es nicht einzusehen, warum einer bloßen Änderung des „modus transferendi" plötzlich eine solche Bedeutung zukommen sollte. Damit war klargestellt, daß die zweideutige kaiserliche Konstitution die Wirkungen der emptio venditio im Grundsatz nicht verändert hatte, doch stand immer noch das Argument des Leistungsverzugs mit der Folge eines Rückfalls der Gefahr auf den Verkäufer im Raum. Dieses Problem wurde mit Hilfe teleologischer Auslegung gelöst: Sinn und Zweck des Gesetzes vom 10. Mai 1529 sei allein der Schutz der Drittgläubiger, es solle lediglich verhindert werden, daß ein Grundstückseigentümer durch heimliche Veräußerungen oder Belastungen die Pfandrechte oder sonstigen Rechtspositionen seiner Gläubiger beeinträchtigt 150 . Dies ergebe sich aus der Präambel des Gesetzes151, und so habe auch der Hooge Raad in einem Urteil vom 23. Nov. 1593 das Gesetz interpretiert 152 . Eine formlose traditio sei also nur gegenüber Dritten unwirksam, im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander jedoch entspreche sie den Anforderungen des Zivilrechts 153 , so daß kein Leistungsverzug vorliege, der die regelmäßige Gefahrtragung des Käufers unterbreche.

150 Groenewegen, De legibus abrogatis, ad Inst., 3, 24, 3, 2 u. 3; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19,6; idem , Rooms-Hollands-Regt, 4, 17,8; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 6.; siehe auch die Anm. (a) zu Neostadius, Decisiones Curiae Hollandiae, Fall 32. 151 Vgl. Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 373: „Alsoo t'onser kennisse ghekomen is, dat onse Ondersaten ende Inghesetenen ons Landts ende Graeffschappe van Hollandt, daghelijcks alieneren, vervreemden, hypotheecqueren, ende anders haer goeden belasten, voor anderen Heeren Richters ende Bancken dan de geene onder de welcke die goeden gelegen zijn, waer mede die Koopers werden gecircumvenieert ende bedrogen, Ende daer uyt dickwils questie ende Processen rijsen, midts dat die geene die de verkoopinge, transporten oft alienatien doen, somtijdts dien panden, of de bepalinge ende limiten der selver niet wel en verklaren, ende oock die lasten ende opstal vande voorschreve Huysen, Landen ende Erven verswijgen ..." 152 Vgl. Neostadius, Decisiones Supremi Senatus, Fall 70: „Nec Edictum Venditori prodesse potuit, quo illi, non nisi coram Lege loci, in gratiam tantummodo Creditorum, dominium abdicare licuit, ne hi, clandestina aliqua Traditione, Pignoris vel alio jure frustrentur. Ut puta; si re duobus vendita, alteri eadem privatim, alteri publice sit tradita, is praeferri debet, qui, publice coram Lege loci, earn accepit. Quin autem Venditor vel Constituto, vel alia qualibet specie Traditionis, sibi praejudicare possit lege non est prohibitum". 153 Vgl. etwa Van Leeuwen , Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 8: „... dat voor so veel daar by de opdragt, verkoping, en belastin anders gedaan, voor nul en van onwaarden verklaart werd, alleen plaats heeft in opsigt van een derde persoon, en niet ten opsigt van de handlaars selfs".

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Es kam aber noch zu weiteren Komplikationen. Im Anschluß an das Gesetz Kaiser Karls V. führte die Ständeversammlung, die „Staten van Holland ende West-Vriesland", durch Gesetz vom 22. Dez. 1598 154 eine weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für die Übereignung von Grundstücken ein: die Zahlung des 40. Pfennigs, einer Grunderwerbssteuer in Höhe von 2, 5 % des Kaufpreises, an den Fiskus 155 . Die Richter waren gehalten, keine Übereignung zu vollziehen und zu verbriefen, solange nicht die Steuerschuld beglichen war 1 5 6 . Daraus wollte nun Boel 1 5 7 ableiten, daß die Gefahr bis zu diesem Zeitpunkt beim Verkäufer verbleibe, mit dem Argument, der Kauf werde erst mit Erfüllung der 158

gesetzlichen Verpflichtung perfekt. Van der Keessel hat für diese Ansicht nur Verachtung übrig: Es sei gar nicht der Mühe wert, sich mit allen Fehlern in Boels Ausführungen im einzelnen auseinanderzusetzen, wenn schon der Ansatz seiner These nicht einen Schimmer von Wahrheit habe. Die Bezahlung des 40. Pfennigs sei nie und nimmer als Perfektionsvoraussetzung für das schuldrechtliche Geschäft anzusehen159. Das könne man schon dem Gesetzestext entnehmen. Dort werde im Falle der Mißachtung der gesetzlichen Bestimmungen nicht an der Wirksamkeit des Kaufvertrags gerührt, sondern vielmehr Geldbuße angeordnet 160. Und so schließt Van der Keessel dieses Kapitel kurz und bündig: „Sed pudet in his reftitandis diutius versari". Man kann also festhalten: Trotz anfänglicher Unsicherheiten bildete sich eine ganz herrschende Ansicht heraus, nach der weder das Gesetz Kaiser 154

Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 1952 ff.; das Gesetz hat im weiteren, wie das für steuerrechtliche Vorschriften typisch ist, zahlreiche Änderungen und Erweiterungen erfahren; für einen Überblick siehe Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 1958 ff. 155 Siehe dazu Grotius, Inieidinge, 2, 5, 13; Van Leeuwen, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 7; Scheltinga, Dictata, ad Grot., 2, 5, 13; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 2, 5, 13 u. 3, 14, 34; Hamman, Risiko, S. 86; Lee, Commentary, S. 82 f. 156 Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 1955, Art. VII: „Ende en sullen gene Brieven van Verlyen ofte Cessien, daer af den veertichsten penningh moet werden betaelt, by Schepenen mögen ghesegelt werden, ten zy hen blijcke, ende op den Brief gestelt zy, dat den veertighsten penningh daer van is voldaen". 157 Ad Loenius, Fall 34, S. 240 ff. 158 Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34. 159 „... sed operae pretium non est tarn longam et verbosam disputationem examinare, et omnes errores in ea commissos refellere. Nullam sane veri speciem habet haec interpretatio contractus perfecti, ut 40ae solutionem tamquam requisitam sollemnitatem ipsius contractus consideremus...". 160 Vgl. Groot Placaet-Boeck, VII. Teil, S. 1443, Art. VIII: „... doch zoo wanneer denzelven Impost in het geheel niet is betaald, zoo zal in dat geval tweemaalen denzelven Impost aan het gemeene Land worden goedgedaan..." und S. 1445, Art. XIX: „... zonder den veertigsten Penning nochmaals te betaalen, op poene van den dubbelden Impost ten behoeve van het gemeene Land te betaalen, by die geenen die bevonden zal worden dit artikel te hebben gecontravenieert." und S. 1445, Art. XXII: „De geene die deeze Ordonnance koomen te contravenieeren, zullen, boven den dubbelden Impost deezer Ordonnance, t'elkens verbeuren een boete van honderd guldens ...".

II. Die Grundregel der Gefahrtragung beim Kauf

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Karls V., noch die Ordonnanz der Staten von Holland und Westfriesland an der Gefahrtragung des Käufers beim Verkauf von Immobilien etwas geändert haben. b) Der Hauskauf im Winter Weniger Schwierigkeiten bereitete eine gewohnheitsrechtliche Besonderheit beim Hauskauf im Winter. In vielen Städten der südlichen und nördlichen Niederlande wurden Häuser nach altem Brauch in der Mitte des Winters mit der Maßgabe verkauft, daß die Übergabe erst am ersten Tag im Mai erfolgen und die Nutzungen in der Zwischenzeit dem Verkäufer verbleiben sollen 161 . Man war sich einig, daß nach der Billigkeit eine Gefahrtragung des Käufers vor Übergabe hier nicht in Frage kam. Doch wollte man diese Übung nicht einfach als gewohnheitsrechtliche Ausnahme abtun, sondern in das gelehrte Recht einbinden. Dafür waren juristische Begründungen nötig. Es bot sich an, die Abdingbarkeit der periculum-Regel zum Ausgangspunkt der Argumentation zu machen. Vorauszuschicken ist, daß auch unabhängig von diesem Fall die meisten Juristen 162 in großer Ausführlichkeit die Möglichkeit erörtern, durch Parteivereinbarung die reguläre Gefahrtragung zu ändern; ein Indiz, daß in der Praxis 163 häufig davon Gebrauch gemacht wurde 164 . Beim Hauskauf im Winter jedoch wurden üblicherweise überhaupt keine ausdrücklichen Abreden getroffen, wie das eben für gewohnheitsrechtlich verfestigte Gepflogenheiten typisch ist. Deshalb versuchten die Juristen durch Auslegung des Geschäfts stillschweigende Vereinbarungen bezüglich des Gefahrübergangs herauszuarbeiten. Dabei bedienten sie sich sowohl dogmatischer als auch naturrechtlicher

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Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6,6; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34; vgl. dazu Hamman, Risiko, S. 88 f.; Lee, Commentary, S. 295, mit Hinweisen auf die Keuren van Amsterdam und die Keuren der Stad Delft. - Auch bei der Steuergesetzgebung wurde dieser Brauch besonders berücksichtigt, siehe Groot Placaet-Boeck, I. Teil, S. 1956, Art. IX und VII. Teil, S. 1445, Art. XIX. 162 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 35; Vinnius, Institutiones, 3,24,3,6; Huber, Praelectiones, ad Inst., 3, 24, 9; idem, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 6; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 1 u. 5; Van der Keessel, Dictata, 3, 24, 11; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 9. 163 Siehe z. B. Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 578: Jemand hatte Kühe verkauft, die anschließend an der Rinderpest eingingen; er mußte den Kaufpreis zurückerstatten, weil er beim Vertragsschluß durch besondere Abrede die Gefahr übernommen hatte. 164 Eine interessante Parallele gibt es im schweizerischen Recht. Die Gefahrtragung des Käufers ist in Wissenschaft und Praxis nicht unangefochten geblieben, was sich auch hier in einem Hinweis auf die Abdingbarkeit bei der - fast apologetischen - Formulierung der einschlägigen Norm äußerte, Art. 185 Abs. 1 OR: „Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzungen und Gefahr der Sache mit dem Abschlüsse des Vertrages auf den Erwerber über".

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Argumentationsmuster. Nach Voet 1 6 5 ist in dem Verkauf eines Hauses gemäß dem Brauch eine besondere, im Interesse des Verkäufers eingefügte Absprache über die Vorteile der Sache enthalten, durch die nach dem Grundsatz des notwendigen Gleichlaufs von commoda und incommoda konkludent auch die Gefahrtragung mitgeregelt ist. Van der Keessel 166 legt dar, daß eine Vereinbarung, nach der Besitz und Nutzungen dem Käufer erst nach einem bestimmten Zeitpunkt zugute kommen sollen, naturrechtlich die Wirkung eines Eigentumsvorbehalts habe und die Gefahr deshalb nach Naturrecht bei dem EigentümerVerkäufer liege.

5. Zwischenbetrachtung Dieses letzte Beispiel dokumentiert noch einmal sämtliche charakteristische Eigenschaften des römisch-holländischen Rechts: erstens die Verbindung des gelehrten römischen Rechts mit der Praxis, zweitens die aufgrund des Autoritätsverlusts der Texte nötig gewordene Entwicklung und Verwendung von dogmatischen Begründungen und drittens die Nutzung des überpositiven Normensystems des Naturrechts. Immer wenn es um Kernfragen der Gefahrtragung ging, sei es die grundsätzliche Geltung der Regel periculum est emptoris, sei es ihre Rechtfertigung und Begründung, sei es ihre partielle Derogation durch Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht, nutzten die niederländischen Juristen das gesamte Spektrum des Rechtslebens ihrer Zeit. Sie zitierten ihre Kollegen, häufig auch aus den humanistischen und naturrechtlichen Disziplinen, und setzten sich mit deren Thesen auseinander, sie diskutierten Gerichtsentscheidungen, Gesetze und örtliche Gebräuche. Auf diese Weise gaben sie dem Grundsatz periculum est emptoris eine solide Basis im römisch-holländischen Recht. Was dagegen die Einzelheiten der Gefahrtragung, vor allem die komplizierten Perfektionsfragen, betrifft, wird sich ein gänzlich anderes Bild ergeben.

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Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 6: „... quia per pactum a venditore adiectum, adeoque per venditorem ipsium, stare videtur, quo minus res vendita in continenti tradatur, quippe qui diem traditionis prorogasse intelligitur, ut usque ad diem dictum fructus aut pensiones sibi haberet.... Uti ergo emolumenta interim ei obveniunt, ita et damna ad eum pertinere aequum est. arg. 1. secundum 10. ff. de reg. iuris". 166 Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 34: „Cum enim ratio, cur periculum et commodum rei venditae spectet ad emptorem, in eo sit, quod naturaliter per ipsium contractum dominium transferatur, et talis conventio de re demum post certum diem tradenda et fructibus usque in eum diem venditori servandis effectu inspecto naturaliter quoque dominium venditori reservet, rationis est ut venditor nunc quoque periculum suscipiat, usque dum emptori facultatem utendi, quae cum dominio cohaeret praestiterit 1. 10 D. de R. I.

III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts

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I I I . Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts Bei der Darstellung der verschiedenen Perfektionsprobleme, der Verkäuferhaftung, der Auswirkungen des Leistungs- und Annahmeverzugs und der Zuweisung der commoda berücksichtigten die Autoren des römisch-holländischen Rechts die Rechtsprechung überhaupt nicht und Gewohnheitsrecht nur äußerst selten. Sie beschränkten sich auf die ausdifferenzierten, aber unübersichtlichen Regeln des Corpus Iuris und bemühten sich - mit unterschiedlicher dogmatischer Genauigkeit -, aus dem fragmentarischen römischen Fallrecht Leitgedanken herauszuschälen und daraus eine Systematik zu entwickeln. Anders aber als bei der Diskussion der Grundlagen der Gefahrtragung handelte es sich hier nicht um eine konzertierte Anstrengung der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Vielmehr versuchte jeder Gelehrte, die Probleme auf eigene Faust zu lösen. Die Ansichten anderer Autoren wurden kaum zur Kenntnis genommen. Das Ergebnis ist eine Vielzahl verschiedener, in sich geschlossener Konzepte mit unterschiedlichen Antworten auf die einzelnen Rechtsfragen 167.

1. Perfektion als Voraussetzung für den Gefahrübergang Einigkeit bestand darin, daß die Gefahr erst dann auf den Käufer übergeht, wenn der Kauf perfekt ist. Deshalb wurde die Perfektion in ihrer Funktion als allgemeine Voraussetzung des Gefahrübergangs nur von wenigen Autoren eigens erwähnt. Hier ist zum einen Vinnius 1 6 8 zu nennen, der sich im Vergleich zu allen anderen besonders streng am Text des Corpus Iuris orientiert; hier verbindet er Inst. 3, 23, 3 und Paul. D. 18, 6, 8 pr. zu einer allgemeinen Erörterung der emptio perfecta. Zum anderen handelt es sich um Juristen wie Grotius, Van Leeuwen, Huber und Van der Linden 169 , die einen Teil ihrer Schriften auf Niederländisch abfaßten, denn sie mußten erst ein einheimisches Äquivalent für das lateinische „perfecta" finden; gebräuchlich waren Begriffe wie „voltrocken" 170 , „t'eenemael klaer" 1 7 1 und „volkoomen" 172 . Doch nur bei Hu-

167 Das hat im modernen südafrikanischen Recht zu einiger Rechtsunsicherheit geführt; siehe unten § 6, III. 168 Institutiones, 3, 24, 3, 2. 169 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34 i.V.m. 3, 14, 26 ff.; Van Leeuwen, Rooms-HollandsRegt, 4, 17, 1 u. 2; Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 24; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15,8. 170 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 34; Van Leeuwen, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 1 u. 2; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 8. 171 Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 24. 172 Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 25; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15, 8 u. 9.

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ber 173 und Van der Linden 1 7 4 kommt die zentrale Bedeutung des Begriffs der emptio perfecta im Gefahrtragungsrecht auch inhaltlich hinreichend zur Geltung. Im allgemeinen schenkte man den konkreten Einzelfallen des noch nicht perfekten Kaufs weitaus größere Aufmerksamkeit.

2. Der bedingte Kauf Eine wichtige Fallkonstellation war der bedingte Kauf 1 7 5 . Im Vordergrund standen dabei die Wirkungen der Suspensivbedingung176. Als Vorbild fur die Risikozuweisung beim aufschiebend bedingten Kauf diente Paul. D. 18, 6, 8 pr.: Wenn die Bedingung ausfällt, gibt es keinen Kaufvertrag 177 , so daß, wie Voet ausdrücklich klarstellt, die gesamte Sachgefahr zu jeder Zeit beim Verkäufer gelegen hat 178 . Tritt die Bedingung ein, wird der Kauf perfekt, und die 179

Gefahr geht auf den Käufer über . Was die Schwebezeit angeht, so übernahm die Mehrheit der niederländischen Juristen die römisch-rechtliche Aufspaltung des Risikos. Der Untergang der Sache pendente condicione geht zu Lasten des Verkäufers, da ohne eine Kaufsache auch ein späterer Bedingungseintritt den Kauf nicht mehr zustande bringen kann 180 . Für eine bloße Verschlechterung dagegen trägt der Käufer die Gefahr, wenn die Bedingung später noch erfüllt wird 1 8 1 .

173 Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3,5,24: „Wanneer de koop noch niet t'eenemael klaer is, soo lange blijft ook het gevaer by den verkooper..." 174 Koopmans Handboek, 1, 15, 8: „... Koop wordt gehouden voor voltrokken, zoo dra de contractanten het wederzijds eens zijn, wat, hoedanig, en hoe veel verkogt is, en voor welken prijs... Tot deszelfs volkomenheid is niets anders noodig, dan de toestemming..." 175 Siehe dazu Hamman, Risiko, S. 93 ff.; Lambiris, (1984) 101 SALJ 664 ff.; Floyd, (1995) 58 THRHR 465. 176 Der auflösend bedingte Kauf war, wie im römischen Recht, sofort perfekt und wurde deshalb im Zusammenhang mit der Gefahrtragung nicht eigens behandelt. 177 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 2; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 5. 178 Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 5: „... atque ita ad venditorem omne rei periculum omni tempore pertinuisse, necesse est..." 179 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 2; Van Leeuwen, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 2; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14,35; Van der Linden, Koopmans Handboek, 1, 15,8. 180 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 35 u. insb. 3, 17, 2; Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 2; VanLeeuwen, Censura Forensis. 4, 19, 8; Scheltinga, Dictata, ad Grot., 3, 14, 29; besonders deutlich Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 5: „... at rei totius interitus pendente conditione contingens venditori nocet, perinde ac si nulla venditio intercessisset, quasi deficiente iam re, sine qua tarnen venditio nulla intelligi potest..."; im Anschluß daran schlägt Voet eine entsprechende Textergänzung von Paul. D. 18, 6, 8 pr. vor, und zwar: „... si pendente conditione res fuerit extincta: perimitur enim emtio ...".

III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts

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Im Ergebnis stimmt das römisch-holländische Recht also mit dem antiken Vorbild überein. Eine interessante Abweichung gibt es aber in der Begründung. Während das römische Recht eine Rückwirkung des Bedingungseintritts im technischen Sinne nicht gekannt hatte 182 , führte man nun die Verschlechterungsgefahr des Käufers während der Schwebezeit darauf zurück, daß der Kaufvertrag durch den Bedingungseintritt ex tunc zu voller Wirksamkeit erstarkt, also rückwirkend zum Zeitpunkt des Abschlusses als perfekt anzusehen sei 183 . Damit betraten die Autoren des römisch-holländischen Rechts nun kein Neuland, sondern wandten lediglich die von Bartolus entwickelte 184 und seither im ius commune herrschende Lehre von der Rückwirkung des Bedingungseintritts an 1 8 5 . Sie blieben dabei jedoch auf halber Strecke stehen. Bei konsequenter Durchführung dieser Doktrin hätte nämlich der Käufer auch die Untergangsgefahr tragen müssen; denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, auf den die Rückwirkungsfiktion sich bezieht, existierte die Sache ja noch. Dennoch behielt die einfachere und handfestere römische Maxime, „ohne Kaufsache kein K a u f ' 1 8 6 , die Oberhand und verdeckte die logische Schieflage zwischen altem und neuem Recht. Es gab aber auch Autoren, wie Huber und Van der Linden, die mit diesem Problem überhaupt nicht in Berührung kamen, weil sie schon im Ansatz nicht zwischen Untergangs- und Verschlechterungsgefahr unterschieden und das gesamte Risiko bis zum Bedingungseintritt beim Verkäufer beließen. Das lag nicht zuletzt daran, daß gerade diese beiden - anders als etwa Voet - die Perfektion in ihrer Funktion als allgemeine Voraussetzung des Gefahrübergangs zum Ausgangspunkt ihrer Darstellungen nahmen 187 . Allein aus diesem Blick-

181 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 35; Vinnius, Institutiones, 3,24,3,2; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19, 8; Voet, Commentarius ad Pandectas, 18,6,5; Scheltinga, Dictata, ad Grot., 3, 14, 29; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 35. 182 Siehe oben § 2, II, 2. 183 Grotius, Inieidinge, 3, 14, 29: „... zoo lang 't zelve indien niet voor en valt, zoo is de koop onghewis: maer als het voorvalt werd de zaeck te rugghe ghetrocken, als of ten tijde van de handeling zulcks al ware gheschied..."; Van Leeuwen, Censura Forensis, 4, 19,8: „In particular! vero laesione, damno, aut deterioratione, quia existente conditione, ea retrotrahitur ad contractus tempus, perindeque habetur, ac si ab initio pure contracta fuisset, damnum ad emptorem etiam pertinet..."; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 29: „Condicione, quae venditioni adiecta est, existente contractus retro perficitur etiam in persona heredum. Quod tarnen ita verum est, si tempore existentis condicionis res adhuc exstet, quamvis deterior facta; nam re exstincta corruit contractus L. 8 D.; L. 5 C. de per. et comm. rei vend.". 184 Bartolus, Commentarla, ad D. 41,3, 15; siehe dazu Schiemann, Pendenz und Rückwirkung, S. 29 ff. 185

1 8 6Siehe

dazu Schiemann, Pendenz und Rückwirkung, S. 36 ff. Pomp. D. 18, 1, 8 pr.; siehe oben § 2, II, 2.

Siehe oben §5, III, . 10 Bauer

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winkel behandelt Huber den bedingten Kauf. Die Tatsache, daß hier der Verkäufer die Gefahr trage, sei keine Ausnahme zu periculum est emptoris, da sich die Regel auf den unbedingt geschlossenen Kauf beziehe 188 . An anderer Stelle bemerkt er lapidar: Solange der Kauf nicht perfekt ist, bleibt die Gefahr beim Verkäufer; ein bedingter Kauf ist solange nicht perfekt, bis die Bedingung erfüllt ist 1 8 9 . Bezeichnenderweise zitiert er dabei auch nicht die für die Risikospaltung maßgebliche Quelle, Paul. D. 18, 6, 8 pr. Ebenso führt Van der Linden 1 9 0 diesen Text nur bei den allgemeinen Perfektions Voraussetzungen, nicht aber beim bedingten Kauf an. Der bedingte Kauf wurde häufig als Vorbild für die anderen Kaufvarianten genommen, bei denen nach Kaufabschluß noch ein weiterer Rechtsakt (degustatio; mensura) zur Perfektion nötig war. Somit sollten auch die beiden unterschiedlichen Lösungswege, gespaltene oder einheitliche Risikozuweisung, für die anderen Fälle des noch nicht perfekten Kaufs besondere Bedeutung gewinnen. Der Gegensatz tritt am deutlichsten in den detaillierten Konzeptionen Voets einerseits und Hubers andererseits hervor 191 .

3. Die emptio ad quantitatem und ihre Untergruppen Um die sehr uneinheitliche Behandlung des Kaufs vertretbarer Sachen im römisch-holländischen Recht verstehen zu können, muß man für einen Moment auf die besondere Entwicklung zurückblicken, die das römische Recht in diesem Bereich im Mittelalter genommen hat. Das klassische römische Recht kannte beim Handel mit vertretbaren Sachen zwei besondere, streng zu unterscheidende Fallkonstellationen: den Kauf einer erst durch mensura auszusondernden Quantität von Waren aus einem konkreten Vorrat und den Kauf einer von vornherein individuell bestimmten Warenmenge mit Preisbezifferung ad mensuram; diese beiden Varianten waren mit den auf den Stückkauf ausgerichteten Regeln des römischen Kaufrechts vereinbar 192 .

188

Huber, Praelectiones, ad Dig., 18, 6, 5: „Non est etiam exceptio, si venditio sub conditione contracta sit, quo casu periculum, ante conditionem existentem pertinet ad venditorem ... Regula enim est de Venditione pure contracta". 189 Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheyt, 3, 5, 24: „Wanneer de koop noch niet t'eenemael klaer is, soo lange blijfit ook het gevaer by den verkooper, en dit heeft plaetse, wanneer de koop onder voorwaerde geschiedt is, want eer die vervult wordt, is de koop niet klaer ...". 190 Koopmans Handboek, 1, 15, 8. 191 Siehe unten § 5, III, 3, c). 192 Siehe oben § 2, II, 2 u. § 2, II, 3.

III. Die Einzelheiten des Gefahrtragungsrechts

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Die mittelalterlichen Autoren lösten sich vom Stückkaufcharakter der emptio venditio und konstruierten den reinen Gattungskauf aus den römischen Texten. Dabei gelangten sie gleichzeitig zu einem neuen Verständnis des Kaufs aus konkretem Vorrat; er wurde zu einer beschränkten Gattungsschuld. Die mensura erhielt nun die Funktion, die Gattungs- in eine Stückschuld zu konkretisieren. Da die mensura aber bei allen Varianten des Kaufs von vertretbaren Sachen vorkam, wurde sie zum übergreifenden und einheitlichen Kriterium des Gefahrübergangs. Dadurch wurde die Ausbildung des Oberbegriffs emptio ad quantitatem gefordert, der die drei Untergruppen, reiner Gattungskauf, beschränkter Gattungskauf und Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram umfaßte und schließlich das klassische Recht völlig überlagerte 193. Die Juristen des neuzeitlichen ius commune standen nun zum einen in der Tradition des aus der mittelalterlichen Rechtswissenschaft hervorgegangenen mos italicus, zum anderen griffen sie aber - angeregt durch den Humanismus auch unmittelbar auf die römischen Texte zurück. Sie gelangten deshalb in dem Problemkreis des Kaufs vertretbarer Sachen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welcher juristische Stil in ihren Werken vorherrschte. Die auf Kürze bedachte Lehr- und Handbuchliteratur orientierte sich an dem allgemeinen Begriff der emptio ad quantitatem 194 , ebenso die forensische Praxis 195 . Ausfuhrliche, wissenschaftlich ambitionierte Darstellungen dagegen drangen wieder zu den klassischen Unterscheidungen durch 196 . a) Die Lehr- und Handbuchliteratur Die straffen, überblickartigen Darstellungen folgten dem Stil des mos italicus; sie beschränkten sich auf einige wenige Grundaussagen zur Gefahrtragung beim Kauf vertretbarer Sachen. In den meisten dieser Werke wird zunächst der Kauf per aversionem von der emptio ad quantitatem abgegrenzt und klargestellt, daß ersterer nach den Regeln für den Stückkauf zu beurteilen ist 1 9 7 . Sodann wird der Quantitätskauf erörtert, und zwar in derart abstrakter Form, daß es schwierig zu bestimmen ist, ob alle oder nur einzelne Untergruppen damit gemeint sind 198 . Das liegt - wie einleitend schon angedeutet - daran, daß 193

Siehe oben § 4, II. Unten § 5, III, 3, a). 195 Unten § 5, III, 3, b). 196 Unten § 5, III, 3, c). 197 Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 4; Scheltinga, Dictata, ad Grot., 3, 14, 35, allerdings mit einer unverständlichen Gefahrtragungsentscheidung zum Kauf per aversionem; Van der Keessel, Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 35; idem , Dictata, 3, 24, 11. 198 Hamman, Risiko, S. 89, und zuletzt Floyd , (1995) 58 THRHR 466 ff., unternehmen trotzdem den Versuch, den römisch-holländischen Autoritäten klare Aussagen zu den einzelnen Kaufvarianten zu entlocken. Dies ist aber problematisch, da sowohl 194

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

die Unterschiede bereits im Mittelalter zugunsten eines allgemeinen Begriffs für den Kauf vertretbarer Sachen verwischt worden waren 199 . Die mittelalterlichen Autoren waren auf ihrer Suche nach Texten, die einen reinen Gattungskauf beheimaten konnten, unter anderem auf Gai. D. 18, 1, 35, 5 gestoßen200. Daß die Stelle ursprünglich nur den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram behandelt hatte, übersah man, konnte man doch ihren Wortlaut ohne weiteres verallgemeinern. Die gaianische Trias „In his quae pondéré numero mensurave constant" umschrieb den Kaufgegenstand, nämlich vertretbare Sachen. Da ein Gattungskauf notwendigerweise nur vertretbare Sachen zum Gegenstand haben kann, erschienen den Glossatoren die beiden Begriffe „gattungsmäßig bestimm201 te Sachen" und „vertretbare Sachen" austauschbar . Darüber hinaus stand im Mittelpunkt der Gaiusstelle die mensura, die für alle Untergruppen, insbesondere auch den reinen Gattungskauf, als Perfektionskriterium dienen konnte. Aus diesen Gründen wurde Gai. D. 18, 1, 35, 5 schon im Mittelalter zur überragenden Autorität für jeglichen Kauf von fungiblen Sachen. Diese Karriere sollte sich jetzt fortsetzten. Die niederländischen Juristen übernahmen, wenn sie vom Quantitätskauf handelten, die gaianische Trias 202 und verbanden sie nach mittelalterlichem Vorbild mit den Begriffen „ad quantitatem seu mensuram" 203 . Ein Teil der Lehr- und Handbuchliteratur deckte mit dem Begriff des Quantitätskaufs sämtliche Untergruppen ab. Vinnius 204 , Paulus Voet 2 0 5 , Kersteman 206 und Van der Linden 20 legten in Anlehnung an den Gaiustext kurz und bündig dar, daß beim Verkauf von vertretbaren Sachen die emptio erst mit Hamman als auch Floyd die mittelalterlichen Entwicklungen außer acht lassen und sich den Schriften des römisch-holländischen Rechts mit moderner Terminologie nähern. 199 Siehe oben § 4, II. 200 Z.B. Summa Trecensis, 4, 44, 3 und Lo Codi, 4, 58, n. 10; siehe dazu oben § 4, II. 201 Gl. vaeneant zu C. 4, 48, 2: „sie fit venditio in quantitate, sive in genere: quod idem est"; siehe dazu Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 58, und oben § 4, II. 202 Nicht zuletzt wegen der Eleganz des Gaiustexts; Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, 4 zitiert die Stelle mit der Bemerkung: „... textus elegans in 1. quod saepe 35. §. in his 5. h.t....". 203 So Voet, Commentarius ad Pandectas, 18, 6, 4, in Hinblick auf D. 18, 1, 35, 5; ähnlich schon Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 2: „Si quantitas sit distracta, cujus periculum non ante spectat emptorem, quam si fuerit adpensa, vel admensurata vel adnumerata...". 204 Institutiones, 3, 24, 3, 4; Vinnius gibt die Gaiusstelle fast wörtlich wieder. 205 Institutiones, 3, 24, 3, 2: „Si quantitas sit distracta, cujus periculum non ante spectat emptorem, quam si fuerit adpensa, vel admensurata vel adnumerata...". 206 Woorden-Boek, Stich wort „Koop", Abschnitt IV: „Insgelyks als een wandelbaare zaak, by gewicht, eile, getalle, of by de maat verkogt zynde, nog niet gewogen, gemeeten, en toegeteld waare". 207 Koopmans Handboek, 1, 15, 8: „In dingen, die bij het gewigt, het getal, of de maat verkogt zijn, is de koop niet volkomen, voor dat de toeweging, toetelling, of toemeting geschied is, L. 35. §. 5, 6 & 7. ff. de contr. empt....".

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der Zumessung perfekt wird und bis dahin keine Gefahr übergeht. Daß diese recht allgemeine Aussage auch den reinen Gattungskauf umfassen sollte, wird bei Paulus Voet deutlich. Als einziger bezieht er den Genuskauf auch ausdrücklich in die gewohnte Gaiusstelle mit ein 2 0 8 . Ein Hinweis auf Azo in diesem Zusammenhang beweist, daß diese weite Auslegung von D. 18, 1, 35, 5 mittelalterlicher Provenienz ist 2 0 9 . Der andere Teil der Literatur beschränkte eher unbewußt als bewußt den Anwendungsbereich von D. 18, 1, 35, 5 und damit den Begriff der emptio ad quantitatem auf die Untergruppen des Kaufs aus konkretem Vorrat und des Kaufs mit Preisbestimmung ad mensuram. Den Weg hierfür wies Grotius, Inleidinge, 3, 14, 35: „Doch wanneer seeckere mate van meetbaer, telbaer ofte weegbaer goed is verkocht, soo komt de verargering wel tot laste van den kooper, maer niet des saecks ondergang, voor de meting, telling ofte weging. 't Selve heeft oock plaets in alle goederen die onder een indien werden ghekocht..." Gegenstand des Kaufs ist eine bestimmte Quantität vertretbarer Sachen („seeckere mate van meetbaer, telbaer ofte weegbaer goed"). Auch Grotius nahm für seine allgemein gehaltenen Aussagen zum Quantitätskauf den Gaiustext als Vorlage. Deutlich kehrt die den Akt der Zumessung umschreibende gaianischen Trias „cum adnumerata admensa adpensave sint" in „voor de meting, telling ofte weging" wieder. Allerdings konzentrierte sich Grotius, anders als Vinnius, Paulus Voet, Kersteman und Van der Linden, nicht nur auf das Perfektionskriterium der mensura, sondern übernahm darüber hinaus noch ein anderes Element des Gaiusfragments für seine Version der emptio ad quantitatem. In dem Gaiustext war ein Teil eines klassischen Schulenstreits überliefert: 210

die cassianische Quasi-Bedingungslehre . Diese schon reichlich bejahrte Lehrmeinung wandte Grotius nun allgemein auf den Quantitätskauf an und plädierte für eine differenzierte Risikoverteilung nach dem Vorbild des bedingten Kaufs. Während der Schwebezeit vom Vertragsschluß bis zur Zumessung soll die Verschlechterung der Waren zu Lasten des Käufers, der Totaluntergang zu Lasten des Verkäufers gehen („soo komt de verargering wel tot laste van den kooper, maer niet des saecks ondergang, voor de meting, telling ofte weging"). Wenn aber beim Quantitätskauf das Verschlechterungsrisiko grundsätzlich dem Käufer zugewiesen wurde, so war damit konkludent der Fall des reinen Genuskaufs ausgeschlossen, da eine Verschlechterung der gesamten 208

Paulus Voet, Institutiones, 3, 24, 3, 2: „Sunt tarnen casus excepti, quibus periculum non statim ad emptorem pertinet. Ut si genus fuerit divenditum, quod perire non potest. 1. 35. §. in his. D. hic". 209 Paulus Voet , Institutiones, 3, 24, 3, 2: „... Azo in summ. Cod. de peric. & comm. rei vend. n. 3". 210

Siehe dazu oben § 2,11,3.

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

Gattung in der Regel nicht vorkommt. Unter dem Namen emptio ad quantitatem waren bei Grotius also nur noch der beschränkte Gattungskauf und der einem Stückkauf ähnliche Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram zusammengefaßt. Die Gleichbehandlung dieser beiden Varianten ist dogmengeschichtlich bemerkenswert, weil dadurch die Quasi-Bedingungslehre, die sich ursprünglich 211 nur auf den Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram bezogen hatte , nun auch auf den beschränkten Gattungskauf übertragen wurde. Während bei der klassischen Form des Kaufs aus konkretem Vorrat bis zur Zumessung keinerlei Risiko auf dem Käufer gelastet hatte 212 , galt nach Grotius jetzt eine differenzierte Risikoverteilung. Die Tatsache, daß nicht mehr nur dem Perfektionskriterium der mensura, sondern auch dem Passus „quasi sub hac condicione" in D. 18, 1, 35, 5 ein weiterer Anwendungsbereich eröffnet wurde, läßt sich wiederum als Folge einer seit dem Mittelalter bestehenden Tradition erklären, den autoritativen Gaiustexts in zunehmenden Maße zu verallgemeinern. Es gab aber auch einen dogmatischen Grund: Durch die Umwandlung des römischen Kaufs aus konkretem Vorrat in einen beschränkten Gattungskauf war die Frage nach der vertraglichen Bindung der Parteien vor der Perfektion entstanden213. Diese ließ sich am einfachsten mit der Bedingtheit des Rechtsgeschäfts durch die mensura erklären. So hatte man wieder festen römischen Boden unter den Füßen und konnte zudem auf die gesicherten Thesen des Bartolus zum bedingten Kauf bauen 214 . Die Ausdehnung der Quasi-Bedingungslehre durch Grotius und das damit verbundene Konzept einer differenzierten Risikozuweisung bei der emptio ad quantitatem fand Anhänger in Van Leeuwen 215 , Scheltinga 216 und Van der Keessel 217 . 211

Siehe oben § 2,11,3. Siehe oben § 2, II, 2. 213 Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 60 ff. 214 Ernst, in: Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, S. 62. 215 Censura Forensis, 4, 19, 9: „Re, quae pondéré, numero, et mensura constat vendita, emptio haud aliter perfecta censetur, quam si aut numerata, admensa, aut appensa fuerit: quasi sub hac conditione contracta. 1. 35. §. in his, ff. De contrah. empt. ... Quare nec periculum hujus rei nisi post adnumerationem, vel admensionem ad emptorem pertinere dicendum est, ejusdemq; juris est, ac si sub conditione emptio venditio facta esset..."; idem, Rooms-Hollands-Regt, 4, 17, 2: „De koop van het geen meet-baar, telbaar, of weeg-baar is, en by maat, getal, of gewigt verkoft werd, werd niet verstaan voltrokken te zijn, voor dat de meting, telling, of gewigte is geschied. 1. 35. §. 5. ff. de contrah. empt. en sulks behoord het gevaar van het verkofte, tot die tijd mê tot den Verkoper, gelijk of de koop onder sodanig indien was geschied". 216 Dictata, ad Grot., 3, 14, 35: „Doch wanneer zekere mate etc. - Si res fungibilis ad pondus, mensuram aut numerum est vendita, tum periculum rei interitus non pertinet ad emtorem, nisi post adpensionem, admensionem aut adnumerationem, si vero ilia res non ad mensuram sed per aversionem - by de roed of in het gros - est vendita, aliud erit, bly vende echter in utroque casu de verergering periculo emtoris". Man beachte, daß Scheltinga die Quasi-Bedingungslehre sogar auf den Kauf per aversionem ausdehnen will. 212

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Es kann also festgehalten werden: Die Lehr- und Handbuchliteratur arbeitete mit dem sehr allgemeinen Konzept des Quantitätskaufs vertretbarer Sachen, dessen Mittelpunkt das Perfektionskriterium der mensura war. Ein Teil dieses Schrifttums konnte alle drei Untergruppen (reiner Gattungskauf, beschränkter Gattungskauf, Kauf mit Preisbestimmung ad mensuram) unter den Begriff der emptio ad quantitatem fassen, wobei die Tendenz bestand, den reinen Gattungskauf nicht ausdrücklich zu erwähnen 218 . Der andere Teil konnte wegen der Rezeption der Quasibedingungslehre den reinen Gattungskauf noch nicht einmal als unselbständige Variante mitregeln. Das ist erstaunlich, da er im praktischen Rechtsleben die weitaus größte Rolle spielte. b) Die forensische Praxis Die meisten in den Entscheidungssammlungen überlieferten kaufrechtlichen Fälle haben Gattungsschulden zum Gegenstand. Die Parteien waren in der Regel reiche Kaufleute, die die nötigen finanziellen Mittel für den außerordentlich langwierigen Instanzenzug219 aufbringen konnten. Die Fälle bezeugen die praktische Bedeutung des von der Wissenschaft vernachlässigten reinen Gattungskaufs und vermitteln gleichzeitig ein eindrucksvolles Bild des pulsierenden Wirtschaftslebens der Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert. Es wurden importiert, exportiert und umgeschlagen: Kohle aus Schottland 220 , Mineral-

217 Praelectiones, ad Grot., 3, 14, 35: „§ 35. verargering etc. Verbi causa, si ex dolio vini amphora venierit, et antequam fieret admensio, vinum acuerit, damnum est emptoris, dummodo dolus venditoris argui non possit, quia superest materia empta et tacita condicio admensionis adhuc impleri potest L. 15 cit. Sed si vinum omne effluxerit, damnum est venditoris quia res non amplius exstat, adeoque implemento conditionis perfici amplius emptio non potest..."; idem , Dictata, 3, 24, 1: „Tacitae autem conditionis adjectae exemplum etiam est in venditione rerum fungibilium quae pondéré, numero aut mensura constant, quae si fuerint ad mensuram vel pondus venditae, non erit perfectus contractus, nisi admensae, adnumeratae vel adpensae fuerint, quasi tacita haec adjecta videatur condicio, si adnumeratio vel admensio facta sit: D. 18. 1 (de contrahenda emptione etc.) 35. 5.". 218 Er wird zwar vereinzelt angesprochen, aber ohne weitere Ausführungen mit der Faustformel genus non perit abgetan; vgl. Vinnius, Institutiones, 3, 24, 3, n. 2 zum Institutionentext: „Periculum rei venditae] Id est, certae speciei. Aliud est, si quis v. c. vendiderit decern boves in genere: nam genus perire non potest 1. 11. C. si cert, pet."; Paulus Voet , Institutiones, 3, 24, 3, 2; allgemein zur Schuldbefreiung durch Sachuntergang Grotius, Inieidinge, 3, 47, 2: „Wy zeggen enckel: want in geslachtelicke verbintenissen kan zulcks geen plaets hebben". 219 Vgl. etwa Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 2098: Prozeßdauer vom 17. März 1717 bis 13. Dez. 1724; besonders spektakulär Fall 1326: Der Streit entstand am 5. Okt. 1697, der Prozeß zog sich vom 10. Juni 1700 bis zum 20. April 1723 hin! 220 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 749.

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

farbstoffe 221 , Tabak nach Suez 222 , Branntwein 223 , Kakao aus Amerika 224 , Tuche 225

aus Indien 229

226

, isländische Walfischbarten

227

, Salpeter

230

231

228

, Lebertran 232

, Mes-

ser , Cannabis aus Riga nach Amsterdam , Zucker , Wolle , Kaffee aus Java 233 , Rheinwein aus Deutschland 234 , Teer von Rotterdam nach Amsterdam via Köln 2 3 5 , Eichenholz zur Ausbesserung der für die Schiffahrt wichtigen Schleuse im russischen Kronstadt 236 . Wie hat nun die Rechtsprechung die Perfektions- und Gefahrtragungsprobleme beim Gattungskauf gelöst? Sehr instruktiv dazu ist eine Entscheidung des Hooge Raad vom 13. Dez. 1724 237 . Es ging um einen Kauf von indischen „pelangs"; dies sind Seidentuche, die zur Anfertigung von Kleidern und Taschentüchern verwendet wurden 238 . Ein Fernhändler, gerade aus Indien zurückgekehrt, verkaufte einem Haager Kaufmann 185 einfache und 133 geblümte pelangs zum Stückpreis von elf Gulden. Da der Käufer das Geld nicht zur Hand 221

Van Bynkershoek, Observations Tumultuariae, Fall 924. Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 1472. 223 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 1486. 224 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 1665. 225 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 2098. 226 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 2582, 2658. 227 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 250. 228 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 323. 229 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 379; hier wird besonders deutlich, daß es sich um der Gattung nach bestimmte Ware handelte: Sempronius hatte dem Titius „... certam quantitatem cultrorum ad summam 484 fior. ..." verkauft. Titius verweigerte die Bezahlung der Messer mit dem Argument, sie seien „... de minori numero et qualitate...". 230 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 382. 231 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 383. 232 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 414. 233 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 490: „... twee hoopen Javase coffy eerste soort voor 10 st. 't pont..." und Fälle 556, 627. 234 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 499. 235 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 585; auch hier ist ganz klar, daß der Teer gattungsmäßig verkauft worden war: „... inspectam picem et deprehensam longe vilioris qualitatis ac erat vendita ...". 236 Pauw, Observationes Tumultuariae Novae, Fall 681. 237 Van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Fall 2098. 238 Siehe The Oxford English Dictionary, 2. Auflage, auf CD-Rom: pelong [Derivation uncertain: perh. ad. Malay pelang striped] A kind of material used for gowns worn in Southern India. - 1687 Charter to Fort St. George (E. India Co.) f. 5v.: „The said mayor and aldermen may always upon such solemn occasions wear scarlet serge gowns all made after one form or fashion ... and that all the burgesses may upon such solemn occasions wear white pelong or other white silk gowns after one form or fashion to be agreed". - 1798 Acct. Interview Teshoo Lama & Capt. Samuel Turner, 6: „I advanced, and, as is the custom, presented a white pelong handkerchief. 222

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hatte, kam man überein, die Waren in einer Kiste zu verschließen, die bei dem Verkäufer anstelle eines Pfandes verbleiben sollte. Dem Käufer aber wurden zu seiner Sicherheit die Schlüssel übergeben. Nach vier Tagen holte der Käufer 100 Stück, davon 51 einfache und 49 geblümte, ab und bezahlte diese. Über den Rest entstand der Streit. Es stellte sich nämlich später heraus, daß unter den verbliebenen Tuchen in der Kiste anteilsmäßig mehr geblümte waren als vertraglich ausbedungen. Diese waren aber normalerweise billiger als die einfachen, so daß der vereinbarte einheitliche Stückpreis von elf Gulden nun nicht mehr stimmte; das Äquivalenzverhältnis verschob sich zu Lasten des Käufers durch den vertragswidrig höheren Anteil an Stücken der billigeren Sorte. Der Käufer verweigerte Abnahme und Bezahlung. Er wurde in der ersten Instanz zur Zahlung verurteilt, weil der Verkäufer durch Eidesleistung die Behauptung des Käufers entkräften konnte, er habe nach der Schlüsselübergabe heimlich die Stoffe vertauscht. Es war also - das folgt im Rückschluß - unbestritten, daß der Verkäufer ursprünglich Tuche im richtigen, vertragsgemäßen Verhältnis in die Kiste gelegt hatte. Der Hof van Holland bestätigte den Spruch in der Berufung. Schließlich gelangte der Fall vor den Hooge Raad. Hier gingen die Meinungen auseinander. Vier Richter wollten das Urteil des Hof van Holland aufrechterhalten mit dem Argument, durch die Übergabe der Schlüssel für die Kiste könne möglicherweise schon die traditio erfolgt sein, jedenfalls aber trage der Käufer nach der allgemein bekannten Regel die Gefahr auch schon vor der Übergabe 239 . Dagegen wandte sich eine Mehrheit von fünf Richtern, darunter der frisch ernannte Präsident Bynkershoek: Es gebe keine symbolische traditio; Voraussetzung für eine wirksame Übergabe sei immer die Verschaffung des tatsächlichen Besitzes 240 . Auch ein Gefahrübergang komme nicht in Frage. Die Kaufsachen seien allein nach Quantität und Qualität bestimmt; deshalb seien Waren in Übereinstimmung mit der vertraglichen Beschreibung zu liefern 241 . Die Schlüsselübergabe sei lediglich Sicherungsmittel und befreie den Verkäufer nicht von seiner Leistungspflicht, einer ordnungsgemäßen Zuzählung („adnumeratio") der Waren 242 . Vor diesem Zeitpunkt könne beim Kauf vertretbarer Sachen keine Gefahr übergehen: „In rebus, quae numero, pondéré et mensura constant, neque traditionem intellegi, neque periculum ad emptorem transire, nisi adnumeratio, adponderatio et admensio fuerit facta 1.35 239

„... apud nos probant quatuor Senatores, quia per symbolum clavium traditio intercesserat... quin si vel non intercessisset, quia, ex régula juris, periculum rei venditae et necdum traditae, pertinet ad emptorem". 240 „Verum quinque Senatores (inter quos ego) alia utebantur sententia, negantes, per traditionem clavium in hac specie merces fuisse traditas, neque enim intellegi traditionem, etiam symbolicam, nisi possessio transeat in emptorem ..." 241 „Ex contractu emptionis venditionis hic constare de quantitate et qualitate mercium venditarum; has ipsas esse tradendas ...". 242 „Sempronium [Käufer], securitatis suae ergo claves accepisse, sed id Titium [Verkäufer] non liberare a traditione, hoc est, ab adnumeratione mercium venditarum".

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§ 5 Das römisch-holländische Recht

§ 5 ff. de c. e. et v., 1. 1 § 1 ff. de periculo et comm. rei vend., 1. 2 C. eod....". Durch Mehrheitsbeschluß wurden die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und festgestellt, daß der Verkäufer zur Lieferung der restlichen Stoffe, und zwar in dem vertraglich vereinbarten Verhältnis von einfachen und geblümten, verpflichtet sei 243 . Das Mehrheitsvotum stützte sich also auf die römischen Texte zur mensura. Ebenso wie in der Literatur wurden die zitierten Digesten- und Codexstellen im Sinne der mittelalterlichen emptio ad quantitatem verwendet. Unter dem Oberbegriff des Quantitätskaufs vertretbarer Sachen und anhand des Perfektionskriteriums der mensura konnten Gai. D. 18, 1, 35, 5, Ulp. 18, 6, 1, 1 und C. 4, 48, 2 zusammengefaßt werden, ungeachtet der Tatsache, daß den Texten im klassischen Recht völlig verschiedene Kaufvarianten zugrundelagen 244. Auffallig ist, daß auch hier die Gaiusstelle mit dem mittlerweile vertrauten Dreiklang „adnumeratio, adponderatio et admensio" die Szene beherrschte. Die Rechtsprechung konnte sich aber nicht - wie die Literatur - mit einer bloßen Wiedergabe der lex begnügen, sondern mußte sie auf den konkreten Fall anwenden. Dabei stellte sich heraus, daß man gar nicht so genau wußte, was man sich unter der vielbeschworenen mensura vorzustellen hatte. Die Mehrheit der Richter legte die Begriffe der atf-numeratio, a