Die Gefahrtragung beim Kauf: unter besonderer Berücksichtigung der Regelungsvorschläge des Schuldrechtsreformentwurfs [1 ed.] 9783428491704, 9783428091706

Der Autor befaßt sich in der vorliegenden Arbeit mit der Problemstellung, ab wann der Käufer das Risiko trägt, den verei

114 36 19MB

German Pages 202 Year 1998

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Die Gefahrtragung beim Kauf: unter besonderer Berücksichtigung der Regelungsvorschläge des Schuldrechtsreformentwurfs [1 ed.]
 9783428491704, 9783428091706

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WILHELM REINHARDT

Die Gefahrtragung beim Kauf

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 205

Die Gefahrtragung beim Kauf unter besonderer Berücksichtigung der Regelungsvorschläge des Schuldrechtsreformentwurfs

Von

Wilhelm Reinhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Reinhardt, Wilhelm: Die Gefahrtragung beim Kauf: unter besonderer Berücksichtigung der Regelungsvorschläge des Schuldrechtsreformentwurfs / von Wilhelm Reinhardt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 205) Zug!.: Trier, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09170-1

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-09170-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinen Eltern und meiner Frau

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1996/97 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Sommer 1996 berücksichtigt. Danken möchte ich an dieser Stelle meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Ehmann, der mich jederzeit wohlwollend gefördert und unterstützt hat. Weiterhin habe ich meinem Bruder Ewald rur seine tatkräftige Hilfe bei der drucktechnischen Ausgestaltung der Arbeit zu danken. Hagen, im Frühjahr 1997 Wilhelm Reinhardt

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung ..........................................................................................................

17

§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf..........................................................................................................

20

I. Das Prinzip periculum est emptoris ........................................................ ..... 11. Das Prinzip casum sentit dominus.. ................................................ ............. 111. Das Traditionsprinzip ...................... ............................................................

20 23 24

IV. Die Gefahrtragung beim Kauf im BGB .......................................................

26

V. Die Gesetzeslage bei Abschaffung des § 447 BGB .....................................

29

VI. Rechtsvergleichender Überblick...... ............................................................

31

I. Die Gefahrtragung im UN-Kaufrecht.....................................................

31

a) Die Gefahrtragung beim Platzkauf............................................ ........

33

b) Die Gefahrtragung beim Fernkauf.....................................................

33

c) Die Gefahrtragung beim Versendungskauf.......................................

34

d) Gefahrübergang bei schwimmender oder rollender Ware.................

37

2. Die Bedeutung der Gefahrtragungsregeln im UN-Kaufrecht .................

38

3. Der Versendungskaufin anderen Rechtsordnungen...............................

40

4. Die Problematik der Divergenz zu anderen Rechtsordnungen ........ .......

41

§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB .......................................... ....................................

44

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip ......................................................................

44

I. Die allgemeine Gültigkeit des Beherrschbarkeitsgedankens ..................

46

a) Der Beherrschbarkeitsgedanke beim aufschiebend bedingten Kauf..

46

b) Der Beherrschbarkeitsgedanke bei den Übergabesurrogaten ............

47

c) § 350 BGB ........................................................................................

47

d) Die Vorschrift des § 818 III BGB ...... .......... ........................ .............

48

e) Das Beherrschbarkeitsprinzip im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis...

48

f) Miete und Pacht................................................................. ...... ..........

49

g) Würdigung ................................................................................. .......

49

2. Die nicht durch das Beherrschbarkeitsprinzip erklärbaren Fälle und der Systemwiderspruch im Geftlge des Schuldrechts.............................

50

a) Der Widerspruch zu § 324 I BGB .................................. ...................

50

b) Die Beherrschbarkeit der von § 446 BGB erfaßten Gefahren ...........

56

\0

Inhaltsverzeichnis 3. Der "wahre Kern" des Beherrschbarkeitsprinzipes.................................

61

4. Zusammenfassung ..................................................................................

63

11. Die Berechtigung der Vorschrift aufgrund des Gedankens der ErfUllung...

64

III. Das Korrelat Nutzungen - Gefahr: Cuius periculum eius et commudum .....

65

IV. Das Prinzip casum sentit dominus ...............................................................

66

I. Das Verständnis von casum sentit dominus ...... .....................................

67

2. Die Verwirklichung des Satzes casum sentit dominus im BGB .............

68

a) Die Zufallshaftung des redlichen Eigenbesitzers im EigentümerBesitzer-Verhältnis... ......... ............. ........... .................................. ......

68

b) Die Zufallshaftung des redlichen Prozeßbesitzers im EigentümerBesitzer-Verhältnis............................................................................

68

c) Die Zufallshaftung des bösgläubigen Eigenbesitzers im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis .................................................................

69

d) Die Gefahrtragung in Miete und Pacht..............................................

70

e) Zusammenfassung........ .....................................................................

70

3. Der Inhalt des Satzes casum sentit dominus ...........................................

70

a) Die Trennbarkeit von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung...

74

b) Die maßgebliche Zuordnung bei der Gefahrtragung innerhalb von Schuldverhältnissen........ .............................................................. .....

76

4. Die Berechtigung des Prinzips casum sentit dominus in den dargestellten Verhältnissen............ .................................................................

82

5. Bestätigung der Regel casum sentit dominus durch § 582 a BGB .........

85

6. § 446 BGB als Ausprägung des Prinzips casum sentit dominus ............

87

7. Die Vorschrift des § 446 11 BGB............................................................

94

a) Die Begründung der Gesetzesverfasser zu § 446 11 BGB............ ......

95

b) Die Begründung der Schuldrechtskommission zur Streichung des

§ 446 II BGB..................................................................................... c) Die Berechtigung von § 446 II BGB........................................... ......

95 96

8. Die Übereinstimmung des Prinzips casum sentit dominus mit den Rückabwicklungsvorschriften des Rücktritts- und Bereicherungsrechts

99

a) Die Regelung des § 350....................................................................

99

b) Die Gefahrtragung bei der Rückabwicklung von Verträgen im Falle der Nichtigkeit des Vertrages (§ 818 III BGB) ................................. 103 9. Die Lösung besonders gelagerter Fälle bei § 446 BGB anhand von

casum sentit dominus .................. ........................................................... 112 a) Die Gefahrtragungsproblematik bei den Übergabesurrogaten .......... 112 aa) Mit Übertragung des mittelbaren Besitzes gemäß § 930 BGB wird zugleich der Eigentumsübergang bewirkt................... ........ 112

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Das Schuldverhältnis ist noch nicht gemäß § 362 BGB erloschen ........................................................................................ 114 cc) Mit Abtretung des Herausgabeanspruches wird gleichzeitig Eigentum verschafft.................................................................... 117 dd) Mit Abtretung ist noch keine Erfüllung gemäß § 362 BGB eingetreten................................................................................... b) Die Gefahrtragung beim bedingten Kauf.......................................... aa) Die Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kaufvertrag... bb) Der Sonderfall des Kaufs auf Probe.............................. .............. cc) Der auflösend bedingte Kauf...................................................... V. Ausnahmen vom Prinzip casum sentit dominus........................................... I. § 324 11 BGB.......................................................................................... 2. §287S.2BGB .................................................. ......................... ...........

118 118 119 122 123 129 129 131

3. § 848 BGB ............................................................................................. 133

§ 4 Gefahrtragung beim Versendungskauf .......................................................... I. Ausnahme von § 446 BGB .......................................................................... 11 Ratio legis des § 447 BGB ........................................................................... I. Das Verlassen der Ware aus dem Herrschaftsbereich des Verkäufers.... 2. Die Beurteilung des Transportrisikos nach dem Recht der Geschäftsbesorgung ............................................................................................... 3. Die Rechtfertigung der Vorschrift aufgrund der Billigkeit .................... 4. Die Risikoverteilung des § 447 BGB ergibt sich aus dem Wesen des Versendungskaufes. ................................................................................ III. Die Gründe der Kommission für die Streichung des § 447 BGB ................ I. Der Gesichtspunkt der besseren Versicherungsmöglichkeiten ..... .......... 2. Die Vereinfachung des Schuldrechts...................................... ...... .......... a) Das Problem der Anwendbarkeit des § 447 BGB bei einer Versendung durch den Verkäufer selbst oder durch eigene Leute des Verkäufers......................................................................................... b) Die Haftung des Verkäufers bei Verschulden der Transportperson .. aa) Die Zurechnung des Verschuldens einer selbständigen Transportperson über § 278 BGB ........................................................ bb) Die Haftung des Verkäufers gemäß § 278 BGB beim Selbsttransport ..... ................ ........ .................. ....................... ......... ....... cc) Die Haftung des Verkäufers aus positiver Forderungsverletzung ............................................................................................. c) Die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 447 BGB bei Bewirken der Versendung von einem dritten Ort..............................................

135 135 136 136 137 139 141 147 148 153

155 157 157 159 161 167

12

Inhaltsverzeichnis d) Der sogenannte Platzkauf. ...... ......... ........... ...... ... .............................. 169 e) Zur Transportgefahr im Sinne des § 447 BGB. ................................. 171 3. Der Widerspruch des § 447 BGB zur Verkehrsauffassung .................... 173 4. Die Problematik des Auseinanderfallens von Kosten und Gefahr.......... 178

§ S Schlußbemerkung ............................................................................................. 181 Literaturverzeichnis................................................................................................. 187 Sachregister .............................................................................................................. 199

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)

AcP

Archiv rur civilistische Praxis (Band, Seite)

ADB

Allgemeine Deutsche Binnen-Transportversicherungs-Bedingungen, 1963

ADHGB

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861

ADS

Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen, 1919

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen v. 9. 12. 1976

Anm.

Anmerkung

ArchBürgR

Archiv rur Bürgerliches Recht (Band, Seite)

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BB

Der Betriebs-Berater (Jahr, Seite)

Bd.

Band

Bem.

Bemerkung

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (Band, Seite)

CISG

Uni ted Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods

DB

Der Betrieb (Jahr, Seite)

Diss.

Dissertation

DZWir

Deutsche Zeitschrift rur Wirtschafts Recht

EKG

Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen v. 17. 7. 1973

ff.

folgende

Fs.

Festschri ft

AbkUrzungsverzeichnis

14

HGB

Handelsgesetzbuch v. 10.5. 1897

h.M.

herrschende Meinung

INCOTERMS

International Commercial Terms

JA

Juristische Arbeitsblätter (Jahr, Seite)

JherJb

Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Band, Seite)

JR

Juristische Rundschau (Jahr, Seite)

JurBI

Juristische Blätter (Jahr, Seite)

JuS

Juristische Schulung (Jahr, Seite)

JW

Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite)

JZ

Juristenzeitung (Jahr, Seite)

KE

Kommissionsentwurf

LG

Landgericht

LM

Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite)

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Jahr, Seite)

OGHZ

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen (Band, Seite)

OLG

Oberlandesgericht

OLGE

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Zivilsachen (Band, Seite)

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Band, Seite)

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Band, Seite)

Rn.

Randnummer

S.

Satz oder Seite

SJZ

Süddeutsche Juristen-Zeitung (Jahr, Seite)

Sp.

Spalte

USA

Uniform Sales Act

VersR

Versicherungsrecht (Jahr, Seite)

vgl.

vergleiche

VVG

Gesetz über den Versicherungsvertrag v. 30. 5. 1908

AbkUrzungsverzeichnis

15

WarnR

Warneyer, Die Rechtsprechung des RG (Jahr und Nummer der Entscheidung)

WM

Wertpapiermitteilungen (Jahr, Seite)

z.B.

zum Beispiel

ZGB

Zivilgesetzbuch

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht (Band, Seite)

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis (Jahr, Seite)

ZRP

Zeitschrift fur Rechtspolitik (Jahr, Seite)

ZSST

Zeitscheift der Savigny-Stiftung flIr Rechtsgeschichte (Band, Seite)

§ 1 Einleitung Unter Gefahrübergang versteht man den Zeitpunkt in der Vertragsabwicklung, von dem ab der Käufer das Risiko trägt, den vereinbarten Kaufpreis zahlen zu müssen, obwohl er die Ware nicht oder jedenfalls nicht unbeschädigt erhält.

Im gegenseitigen Schuldverhältnis trifft die Gefahr zunächst den Schuldner. Ist Unmöglichkeit eingetreten, so wird er zwar nach § 275 BGB von seiner Leistungspflicht befreit, verliert aber gemäß § 323 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung. Erst wenn ErfUllung eingetreten ist, ist die Gefahr vom Schuldner auf den Gläubiger übergegangen. Der Gläubiger ist zur Gegenleistung verpflichtet, auch wenn an der geleisteten Sache hinterher noch Schäden eintreten. 1 Nach einzelnen gesetzlichen Bestimmungen geht nun schon vor der ErftHlung die Gefahr auf den Gläubiger über. Diese Regeln geben Antwort auf die Frage, welche Partei den Verlust zu tragen hat, wenn im Rahmen eines Schuldverhältnisses zwischen Vertragsschluß und voller VertragserfUllung die Ware durch Zufall untergeht oder beschädigt wird. Beim Kauf ist maßgeblich, welche Form des Güterumsatzes die Parteien gewählt haben. So können die Parteien vereinbaren, daß der Käufer die Ware abzuholen hat oder, daß der Verkäufer die Ware dem Käufer zuzusenden hat. Von der Ausgestaltung des Vertrages hängt es ab, zu welchem Zeitpunkt es zum Gefahrübergang kommt. Im Falle der Holschuld geht gemäß § 446 I BGB die Gefahr mit der Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Bei einer Schickschuld genügt gemäß § 447 BGB die Übergabe an eine Transportperson, während bei einer Bringschuld die Gefahr erst übergeht, wenn die Ware dem Käufer an dessen Wohnsitz übergeben worden ist. Was rechtfertigt aber überhaupt eine neuerliche so ausfiihrliche Untersuchung über die Gefahrtragung? Denn über die Gefahrtragung ist bereits eine so stattliche Zahl von Aufsätzen, Monographien und Dissertationen publiziert worden, daß man eigentlich davon ausgehen müßte, daß dieses Thema bereits I

Vgl. Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 411.

2 R.iDlwdt

18

§ I Einleitung

erschöpfend dargestellt wurde. Zum einen ist dies die beabsichtigte Abschaffung des § 447 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform. Diese Vorschrift ist weitgehend unbestritten und findet sich auch in dieser Form in nahezu allen anderen Rechtsordnungen wieder. Durch den Wegfall dieser Bestimmung will die Schuldrechtskommission erreichen, daß sich auch beim Versendungskauf die Gefahrtragung nach der Regel des § 446 I BGB richtet, wonach erst mit Übergabe der Sache an den Käufer die Gefahr übergeht. Die Kosten der Versendung sollen hingegen, wie es auch im geltenden Recht der Fall ist, weiterhin dem Käufer zur Last fallen. Ziel dieser Untersuchung ist es festzustellen, ob eine Abschaffung des § 447 BGB sinnvoll ist. Dafür ist es erforderlich auf den § 446 I BGB einzugehen, denn einzelne Gründe, die die Schuldrechtskommission rur die Streichung des § 447 BGB angibt, werden gerade als Grund fur die Regelung des § 446 I BGB genannt. Daher wird zunächst untersucht, ob diese Gründe stichhaltig sind und somit die Existenz des § 446 I BGB rechtfertigen können. Trotz der bereits zahlreich erschienenen Abhandlungen zeigt sich, daß die bisherigen Erklärungsversuche zu § 446 I BGB letztlich nicht zu Uberzeugen vermögen. Vielmehr werden aufgrund der Deutung des § 446 BGB vielerlei Widersprüche innerhalb der Gefahrtragungsproblematik des BGB erzeugt. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn die Rechtslage noch verwickelter wird, wenn nämlich der Käufer den RUcktritt erklärt oder der Vertrag nichtig ist. Ziel dieser Untersuchung ist es damit auch, eine im Einklang mit den Ubrigen Gefahrtragungsregeln stehende BegrUndung dafür zu finden, nach welchen Kriterien sich die Gefahrtragung beim Kauf richten soll. Denn nur eine Lösung, die WertungswidersprUche zu anderen Gefahrtragungsvorschriften vermeidet, ist brauchbar. Der hier vertretene Erklärungsversuch wird anhand der Regel casum sentit dominus entwickelt. Bei der Untersuchung dieser Regel zeigt sich, daß bei richtigem Verständnis dieses Satzes nicht immer der EigentUmer die Gefahr zu tragen hat. Vielmehr kann von einer "natUrlichen" Gefahrtragung nach diesem Satz nur gesprochen werden, wenn auch eine andere Person als der EigentUmer die zunächst betroffene Partei hinsichtlich eines Schadens sein kann. Letztlich ergibt sich, daß § 446 I BGB seine Berechtigung in der Regel casum sentit dominus findet und sich anhand dieses Satzes die Gefahrtragungsproblematik innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs widerspruchsfrei lösen läßt. Bei der Behandlung des § 447 BGB zeigt sich, daß diese Vorschrift keine Ausprägung des Prinzips casum sentit dominus darstellt. Aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses (Versendungskaut) ergibt sich aber, daß der Gläubiger die

§ I Einleitung

19

Transportgefahr zu tragen hat. Es handelt sich also um eine vertragliche Risikoverteilung. § 447 BGB stellt demnach eine berechtigte Ausnahme vom Prinzip casum sentit dominus dar, so daß sich eine Abschaffung des § 447 BGB nicht empfiehlt.

§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf I. Das Prinzip periculum est emptoris Das erste Prinzip zur Gefahrtragung stammt aus dem römischen Rechtl, dort galt die Regel pericu/um est emptoris. 2 Diese besagte, daß grundsätzlich die Gefahr mit Vertragsschluß vom Verkäufer auf den Käufer übergeht. Mit Vertragsschluß galt der Kauf als perfekt. Perfekt war der Kaufvertrag nur, wenn dieser unbedingt war und eine Bestimmung hinsichtlich des Kaufpreises als auch des Kaufgegenstandes vorlag. In einigen Fällen ging die Gefahr daher noch nicht mit Vertragsschluß über, so wenn der Kauf bedingt, die Ware noch aus einem Vorrat auszusondern oder der Kaufpreis z.B. durch Wiegen noch zu errechnen war.) Die Gefahr wurde daher im römischen Recht zum frühest möglichen Zeitpunkt auf den Käufer übertragen. Folge des frühzeitigen Gefahrübergangs war, daß der Verkäufer dem Käufer, ebenso wie ein Entleiher, bis zur Erfüllung für custodia haftete, dem Käufer von nun an alle Nutzungen gebührten und er

I In der romanistischen Literatur ist immer noch umstritten, ob das Prinzip periculum est emptoris dem klassischen römischen Recht entspricht oder auf einer Interpolation Justinians beruht. Vor allem Heymann (ZSST 41, S. 44 ff.) vertrat die Auffassung, daß die Regel, nach der die Käufergefahr mit Vertragsschluß übergehe, auf einer Interpolation beruhe und griechischbyzanthinischen Ursprungs sei. Nach klassischem römischen Recht trat der Gefahrübergang erst mit Übergabe der Ware ein; so auch Betti ZSST 82, S. I t1'. Dagegen haben insbesondere die Klassizität dieses Prinzipes verteidigt. Seckel/Levy sahen im Seckel/Levy (ZSST 47, S. 117 Gefahrübergang mit Vertragsschluß ein "allgemeines Prinzip in der Welt", und sprachen von einem "periculum-System", das sowohl die historischen wie die zweckmäßigen Argumente tUr sich beanspruchen dürfe. Eine weitere Vertiefung dieses Streites ist aber rur die Aufgabe dieser Arbeit nicht erforderlich. 2 Dieses Prinzip findet sich heute z.B. noch in der Schweiz Art. 185 I, Türkei Art. 183 OR, Japan § 534 BGB, Niederlande Art. 1496, Chile Art. 1820, Kolumbien Art. 1876, Cuba Art. 1452 und Spanien Art. 1452, 1182 wieder. ) Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, § 130.

tn

I. Das Prinzip periculum est emptoris

21

andererseits die zum Erhalt der Sache notwendigen Aufwendungen zu tragen hatte. 4 Durch die justinianische Kodifikation ist dann aber die custodia-Haftung bei der Regel periculum est emptoris verändert worden. Der Verkäufer hatte nur noch tUr den Untergang oder die Verschlechterung einzustehen, wenn Ursache hierfUr eine schuldhaft unzulängliche Bewachung der Sache war. Der Käufer haftete also nunmehr nicht wie im römischen Recht nur noch tUr Fälle der "höheren", sondern auch fiir Fälle der "niederen Gewalt".5 Im gemeinen Recht war die Regel periculum est emptoris allgemein anerkannt. Dennoch mangelte es nicht an verschiedenen BegrUndungsversuchen zu diesem Prinzip. So wurde gesagt, daß der Erfiillungsaufschub, der zum Untergang der Sache getUhrt habe, stets vom Käufer verschuldet worden sei. Um Streitigkeiten zu vermeiden, sei es dem Käufer auch nicht gestattet seine Schuldlosigkeit darzutun. Das Verschulden des Käufers werde fingiert, weil es typischerweise vorliege. 6 Ein anderer Begründungsversuch besagte, daß die unverschuldete zufiUlige Leistungsunmöglichkeit als Erftlllung zu gelten habe. 7 Wächter ist der Ansicht, daß eine andere Regel auch gegen die Billigkeit verstoßen würde, da der Verkäufer durch den Abschluß des Kaufvertrages jeglicher Disposition über die Sache beraubt werde: "Der Käufer kann nun verlangen, daß ich tUr ihn liegen lasse. Tritt nachher ein schadender Zufall an der Sache ein, so würde dieser Zufall, wenn ich ihn tragen sollte, bloß dadurch mich treffen, weil ich nicht vorher über die Sache anderwärts disponiren

• Die Gefahrtragung des Käufers betrifft somit nur Fälle der höheren Gewalt. Für "niederen Zufall" hatte der Verkäufer als Kustodient einzustehen, also auch dann, wenn er die Sache mit aller Sorgfalt bewacht hat; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, § 130. SVgl. EmstZSST99, S. 217. 6 Jhering Jb.3 (1859), S. 449 ff.. Die Regel "periculum est emptoris" war auch der Anstoß für Jherings Wandel von der Begriffs- zur Interessenjurisprudenz, als er einen Fall des Doppelverkaufes zu entscheiden hatte. So führt Jhering aus: "Nie in meinem Leben hat mich ein Rechtsfall in dem Maße -in Verlegenheit ist zu wenig gesagt- in Gemüthsaufregung versetzt, wie dieser, und wenn theoretische Verirrungen überhaupt eine Strafe verdienen, so ist mir dieselbe damals in reichem Umfang zu TheU geworden. Meine eigene, von der dabei interessirten Partei in Bezug genommene Ansicht zur Anwendung zu bringen, dagegen lehnte sich alles, was von Rechtsgefühl und juristischem Takt in mir war, aufs Entschiedenste auf, und andererseits konnte ich doch Wochen lang keinen Ausweg finden, bei dem sich mein juristisches Gewissen hätte beruhigen mögen" (Jhering Jb. 3 (1859), S. 451). 7 Wächter AcP 15, S. 188,202; Fuchs AcP 34, S. 112.

22

§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

konnte, und so ist es nur der Vertrag und das mich bindende Recht des Käufers, wodurch ich dem Zufall ausgesetzt wurde. 118 Grundlage und somit entscheidender Gesichtspunkt rur dieses Prinzip war aber allein der Kaufvertrag. Dies beruhte auf dem klassischen Verständnis des Kaufvertrages. Durch den Abschluß des Kaufvertrages haben sich die Vertragsparteien dahingehend geeinigt, daß der Käufer die Sache haben soll. Die Kaufsache ist von diesem Zeitpunkt an dem Vermögen des Käufers zugeordnet. Daher war das Schicksal der Kaufsache als Schicksal seines Vermögens zuzurechnen. 9 Ein solches Verständnis rührte daher, daß es dem klassischen Recht fremd war, daß der Abschluß eines Kaufvertrages nur die Verpflichtung begründete, eine Änderung der Vermögenslage herbeizuftlhren. Nach klassischem Recht war es also bereits der bloße Kaufvertrag, aufgrund dessen sich der Käufer im Verhältnis zum Verkäufer als dominus der Sache behandeln muß. 10 Konsequenterweise standen somit schon mit Vertragsschluß dem Käufer die Nutzungen zu. Die Regel pericu/um est emptoris konnte im römischen wie im gemeinen Recht nur bei einem Stückkauf angewandt werden. Beim Gattungskauf stellte sich nun die Frage, wann dort der Gefahrübergang eintreten solle.

• Wächter AcP 15, S. 198; vgl. auch Regelsberger AcP 49, S. 203. • Ausftlhrlich Ernst, Klassische Römische Recht der Gefahrtragung beim Kauf, S. 73 ff.; dazu auch Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, § 390: "Der Grund dieses Satzes ist die Entäußerungsnatur des Kaufs, welche zu der Auffassung geftlhrt hat, daß die Kaufsache, was das Verhältnis zwischen den Parteien angeht, auch ohne Tradition aus dem Vermögen des Verkäufers ausgeschieden und in das Vermögen des Käufers übergegangen ist"; Ernst, Klassische Römische Recht der Gefahrtragung beim Kauf, S. 73 ff., nimmt an, daß Jhering kaum anderer Auffassung als Windscheid war. Jhering ftlhrt aus: "Der Verkauf bindet den Verkäufer sozusagen die Hände, indem er ihn nämlich verpflichtet, die Sache dem Käufer liegen zu lassen, ihn damit also die Möglichkeit beraubt, durch anderweitige Disposition über die Sache den Zufall von sich abzuwehren" (Jhering Jb.3, S. 465); vgl. Hartrnann AcP 73, S. 386: "Mag auch formell juristisch der Käufer inzwischen noch nicht Eigenthümer sein; nach der natürlichen Auffassung des Verkehrs leben gilt doch die Ware schon materiell als dem Käufer zugehörig, als dem Verkäufer entfremdet"; vgl. dazu auch Kaser, Römisches Privatrecht, § 130; Kaiser, Gefahrtragung im Kaufvertrage, S. 15; Kiebeler, Gefahrtragung bei bedingten Kauf, S. 6; von Oppen, Gefahrtragung beim Versendungskauf, S. 6; Betti ZSST 82, S. 12; Atzler, GefahrUbergang beim Kauf, S.28; Böttge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S. 50. 10 Vgl. dazu auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S.67: "Lehnt man die Zuflucht zu derartigen Fiktionen ab, so ist man wohl darauf beschränkt, die Regel "periculum est emptoris" mehr beschreibend als erklärend zu deuten: Mit Vertragsschluß erwächst dem Käufer zunächst nur ein Anspruch auf Lieferung der Kaufsache. Diese schuldrechtliche Zuordnung der Sache reicht nun aus, ihm die Sache auch vermögensmäßig zuzurechnen, mit der Folge, daß der Käufer mit der Gefahr belastet wird, daß ihm daftlr aber auch die Nutzungen der Sache zustehen".

11. Das Prinzip casum sentit dominus

23

UrsprUnglich herrschend war die "Ausscheidungstheorie" Thöls. Ist ausgeschieden, seien diese Güter fortan wie eine Spezies zu behandeln. Daher trage der Käufer von diesem Zeitpunkt an die Gefahr. Dabei müsse der Käufer, um eine wirksame Ausscheidung zu bewirken, eine vertragsgemäße Sache ausscheiden, zum anderen müsse die Ausscheidung dem Käufer angezeigt werden, so daß der Verkäufer auch nicht mehr in der Lage sei, die erfolgte Ausscheidung rückgängig zu machen. I I Für die spätere Entwicklung leitend war dann die Lieferungstheorie von Jhering. 12 Danach sollte die Gefahr mit der vertragsgemäßen Lieferung auf den Käufer übergehen. Dabei wurden die heute noch geltenden Begriffe der Hol-, Bring- und Schickschuld entwickelt. Bei der Hol- sowie der Bringschuld mußte die Übergabe an den Käufer bewirkt worden sein. Bei der Schickschuld galt die Übergabe an den Beförderer als die vertragsgemäße Lieferung.

11. Das Prinzip casum sentit dominus Das zweite Prinzip zur Gefahrtragung wird mit casum sentit dominus bezeichnet. Dieses Prinzip geht von der sachenrechtlichen Lage aus und läßt die Gefahr mit Eigentumsübergang übergehen. Ausgangspunkt rur diese Regel war das Naturrecht. 13 Grotius lehrte in seinem Werk "De lure Belli Ac Pacis", daß die Gefahr bis zum Eigentumsübergang beim Verkäufer verbleibe. Es sei lediglich eine Bestimmung des positiven Rechts, daß der Käufer vor dem Eigentumsübergang die Gefahr trage. 14 Da Grotius aber die Ansicht vertrat, daß der Eigentumsübergang an den Vertragsschluß zu knüpfen sei, unterschied sich seine Lösung nicht wesentlich von der römisch-rechtlichen Regel periculum est emptoris. Sowohl die französische als auch die englische Rechtsordnung haben sich rur dieses Prinzip entschieden. ls Die Verfasser des Code civil begründeten diese Thöl, Handelsrecht, S. 259 ff. Jhering JbA (1861), S. 366, 418 tr. I) Vgl. Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 40; von Hoffinann, Passing ofrisk, S. 268. 14 Vgl. Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 40. IS Auch in § 22 Uniform Sales Act galt dieses Prinzip. Da nach § 19 Rule I USA das Eigentum im Zweifel mit Vertragsschluß auf den Käufer überging, näherte man sich auch hier dem Prinzip periculum est emptoris an. Das Eigentumsprinzip ist dann jedoch im Uniform Commercial Code durch das Traditionsprinzip abgelöst worden. Vgl. dazu Biederbeck, GefahrUbergang bei Säumnis des Käufers, S. 49 ff., und Choi, Gefahrtragungsregeln, S. I tr.. Das italienische Recht knüpft 11

12

24

§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

Regelung mit naturrechtlichen Erwägungen und den Bedürfnissen des Handels. 16 Dabei wirkt sich dieses Prinzip unterschiedlich aus, je nachdem wie die einzelnen Rechtsordnungen den Eigentumsübergang regeln. Die entsprechenden Regeln der Rechtsordnungen in Frankreich lassen das Eigentum beim Spezieskauf schon mit Vertragsschluß, beim Gattungskauf mit Konkretisierung übergehen. Dies ruhrt wiederum praktisch zur Regelung periculum est emptoris, der Gefahrübergang wird auch hier zum frühest möglichen Zeitpunkt bewirkt. Daher war die französische Rechtswissenschaft zunächst der Ansicht, der Code civil habe das Prinzip periculum est emptoris übernommen. Diese Auffassung ist heute überwunden. 17 Die Unterschiede zwischen diesen bei den Regelungen zeigen sich vor allem beim Eigentumsvorbehaltskauf, wo nach französischem Recht auch der Gefahrübergang zeitlich hinausgeschoben wird, während dies nach der römisch-rechtlichen Regelung nicht der Fall ist. Die Belastung des Käufers mit der Transportgefahr ergibt sich hier aus der Verknüpfung von Gefahrtragung und Eigentum. Die Aushändigung der Ware an den Beilirderer bewirkt ihre Individualisierung. Damit vollzieht sich der Eigentumsübergang und als Folge davon geht die Gefahr über. Nach dem BGB würde die Anknüpfung des Gefahrüberganges an den Eigentumsübergang zum spätest möglichen Zeitpunkt den Gefahrübergang bewirken, da der Eigentumsübergang bei beweglichen Sachen in der Regel das letzte Teilstück im Prozeß der Erfiillung ist.

III. Das Traditionsprinzip Die Verfasser des preußischen Allgemeinen Landrechts entschieden sich gegen die Regel periculum est emptoris und ließen mit der Übergabe der Sache den Gefahrübergang eintreten. 18 ebenfalls den GefahrUbergang an den EigentumsUbergang. FUr den Kauf unter Eigentumsvorbehalt geht die Gefahr gemäß Art. 1523 C.c. aber schon im Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache Uber, vgl. hierzu Fox, Wiener KaufrechtsUbereinkommen, S. 192 t1'.. Des weiteren findet sich dieses Prinzip z.B. in den Rechtsordnungen von Belgien Art. 1138 CC; Portugal Art. 717, 1550; Peru Art. 1383. 16 Vgl. dazu Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 44. 17 Vgl. die Nachweise bei Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 43 ff. 1M Dieses Prinzip ist in vielen Staaten verwirklicht worden, so z.o. in Österreich §§ 1064, 10481051 ABGB; Griechenland Art. 522 ZGB; Polen Art. 304 OR; Ungarn Art. 271, 381 ZGB; China Art. 373 ZGB; SUdkorea § 537 KBGB; Skandinavisches Kaufrecht § 17; Brasilien Art. 1127;

111. Das Traditionsprinzip

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Nach ihrer Ansicht war das Prinzip pericu/um est emptoris nicht sachgerecht. Dieses Prinzip widerspreche der Regel casum sentit dominus und zum anderen sei die Regel unvereinbar mit der Natur des gegenseitigen Vertrages, denn die Pflicht zur Übergabe sei zentrale Pflicht des Verkäufers beim Kauf. Schließlich widerspreche es der natürlichen Billigkeit, den Käufer, der die Sache noch nicht in seinem Gewahrsam habe und der somit keine Vorkehrungen zu ihrer Erhaltung treffen könne, mit der Gefahr zu belasten. 19 Dennoch war das Prinzip des preußischen Allgemeinen Landrechts eine Ausprägung des Eigentumsprinzips, denn davon ausgehend war der Übergabezeitpunkt der entscheidende, da sich mit Übergabe auch der EigentumsUbergang vollzog. Um beim Versendungskauf einerseits diese Verbindung von Übergabe und Gefahrtragung aufrechtzuerhalten, andererseits aber dem Käufer die Transportgefahr aufzuerlegen, stellten die Verfasser des preußischen Allgemeinen Landrechts die Fiktion auf, daß die dem Transporteur ausgelieferte Sache als dem Käufer übergeben galt. 20 Wirtschaftlicher Hintergrund der Belastung des Käufers mit der Transportgefahr war dabei der Schutz des Handelsstandes. 21 Auch die Verfasser des BGB wandten sich gegen das Prinzip pericu/um es! emptoris und entschieden sich rur das Traditionsprinzip. Zur BegrUndung ruhrten sie an: "Es widerstrebt in der That der Natur der vertragsmäßigen gegenseitigen Verbindlichkeiten, daß ungeachtet des Wegfalls der Einen die Andere ohne Gegenleistung fortbestehen soll. Nur dringende GrUnde der Zweckmäßigkeit, Billigkeit und Praktikabilität können die Aufnahme des theoretisch kaum zu erklärenden, mit sonstigen Rechtsprinzipien und dem Wesen der in Betracht kommenden Verträge im Widerspruch stehenden und in einem großen Theile Deutschlands durch die Gesetzgebung reprobirten Satzes in das BGB rechtfertigen. Solche GrUnde liegen nicht vor; vielmehr knüpfen sich an den Grundsatz bekanntlich eine große Zahl von Streitfragen und Schwierigkeiten, zu deren Lösung in der einen oder anderen Richtung positive Spezial bestimmungen kaum sich umgehen ließen, während sie an der Hand des deutschrechtlichen Prinzipes in Verbindung mit anderen allgemeinen Grundsätzen sich leicht

Argentinien Art. 577, 1416; Ägypten Art. 437, 438; ferner ist dieses Prinzip im UN-Kaufrecht verwirklicht worden, vgl. dazu unten S. 31 - S. 43. 19 Vgl. die Nachweise bei Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 40. 211 Vgl. die Nachweise bei Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 41. 21 Vgl. Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 105.

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§2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

lösen, wodurch die Einfachheit und Klarheit des Entw. wesentlich gewinnt und die Rechtssicherheit in hohem Maße gefördert wird. ,,22 Für die Regelung des Versendungskaufs war das Vorbild der Art. 345 I ADHGB. 23 Die Verfasser vermieden es aber, so wie das allgemeine Preußische Landrecht mit Fiktionen zu arbeiten, nämlich, daß der Transporteur als Vertreter des Käufers tätig werde und die Übergabe an ihn als Übergabe an den Käufer zu sehen sei. Nach Ansicht der Gesetzesverfasser beruhe eine solche Konstruktion auf Unterstellungen, welche mit dem Leben in Widerspruch stehe und dem Käufer und dessen Willen Gewalt antue. In der Übergabe an die Transportperson könne auch nicht die Erfi1llung gesehen werden. Vielmehr erflllie der Verkäufer mit der Übergabe an die Transportperson nur eine Nebenverpflichtung, die er übernommen habe. Die Sache bleibe vielmehr im Besitz und Eigentum des Verkäufers und dessen Verfllgungsgewalt unterworfen. 24 Ausschlaggebend rur die Schaffung des § 447 BGB war der folgende Gedanke: "Im anderen Falle dagegen übernimmt der Verkäufer, welcher aus dem Kaufvertrage zur Versendung an den Ort, welcher nicht Erfiillungsort ist, nicht verpflichtet ist, auf Verlangen des Käufers nur eine weitere Verbindlichkeit, durch welche die Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrage, welche auf Übergabe der Sache an den Käufer geht und durch die bloße Absendung allein nicht erfilllt wird, nicht aufgehoben oder verwandelt wird. 1125

IV. Die Gefahrtragung beim Kauf im BGB Nach § 446 I BGB geht mit Übergabe der Kaufsache, unabhängig von einer Eigentumsverschaffung, die Gefahr auf den Käufer über. 26

Mugdan Motive 11, S. 114. Mugdan Motive 11, S. 181. 2~ Mugdan Motive 11, S. 182. 25 Mugdan Motive 11, S. 182. 2(. Die Auffassung, daß § 4461 BGB neben der Übergabe auch die Verschatlimg des Eigentums erfordere. darf heute als überwunden gelten, vgl. dazu austllhrlich Filios. Gefahrtragung beim Kauf, S. 23 ff.. Diese Auffassung vertraten früher Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 414; Krahmer, Gegenseitige Verträge, S. 125; Titze, Bürgerliches Recht, S. 256. Diese Meinung berief sich vor allem auf die Gesetzesmaterialien. So heißt es in Protokoll I S. 1725: "Gegen den Vorschlag des Antrages 3, den § 463, Abs. I, Satz I. welcher lediglich eine Wiederholung der im § 368 gegebenen Vorschrift enthalte, als entbehrlich zu streichen, sprach die Erwägung, daß es wünschenswert erscheine, diese wichtige Bestimmung in konkreter Gestaltung bei einem so praktischen Institute, wie es der Kauf sei, besonders auszusprechen." Diese Aussage steht aber offen22

2J

IV. Die Gefahrtragung beim Kauf im BGB

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Wenn der Verkäufer wegen Unmöglichkeit nach § 275 I BGB von seiner Leistungspflicht frei geworden ist, dann entspricht es dem Synallagma des Kaufvertrages, daß auch der Käufer seine Gegenleistung nicht mehr zu erbringen braucht. Nach § 323 I BGB wird der Käufer von seiner Gegenleistungspflicht befreit, wenn die Kaufsache durch Zufall untergegangen ist. Der Verkäufer trägt somit grundsätzlich solange die Preisgefahr, bis er seine eigene Leistung vollständig erbracht hat. Preisgefahr bedeutet somit, daß der Käufer bei Untergang oder Verschlechterung der Sache verpflichtet bleibt, den Kaufpreis zu erbringen oder der Verkäufer seinen Kaufpreisanspruch verliert. § 446 I BGB bezieht sich nur auf die Preisgefahr. § 446 I BGB ist somit eine Ausnahme zum Synallagma, da der Käufer den Kaufpreis zahlen muß, obwohl dem Verkäufer nach Besitzverschaffung infolge Zufalls die Eigentumsverschaffung unmöglich wird. 27 Die Vorschrift kommt demnach nur zur Anwendung, wenn trotz Übergabe der Kaufsache noch keine vollständige Erfüllung eingetreten ist. Ist der Kaufvertrag erftlllt (§ 362 I BGB), so stellt sich das Problem der Preisgefahr nicht mehr. Der Käufer hat dann nach dem Grundsatz casum sentit dominus die Gefahr zu tragen. 28 Muß eine Kaufsache von einem Ort zum anderen Ort befördert werden, so geht im Falle eines Versendungskaufs gemäß § 447 BGB die Gefahr auf den Käufer über, wenn die Ware der Transportperson übergeben worden ist. Der Gefahrübergang wird also gegenüber dem Normalfall des § 446 I BGB vorverlegt. Bei einem Versendungskauf muß die Kaufsache nach einem anderen Ort als dem Erftlllungsort versendet werden. Somit wird klargestellt, daß § 447 BGB nicht zur Anwendung gelangt, wenn eine Bringschuld vorliegt. Bei der Bringschuld verpflichtet sich der Verkäufer am Wohnsitz des Käufers zu leisten, erst dort geht dann auch die Gefahr über. Leistungsort und Erfüllungsort sind somit identisch, die Kaufsache wird nicht nach einem anderen Ort als dem Erfülsichtlich zu anderen Zitaten in Widerspruch. So heißt es in Motive 11 S. 322/323: "Beim Verkauf beweglicher Sachen trägt der Verkäufer die Gefahr bis zur Übergabe der Sache an den Käuter, während bei dem Verkauf eines GrundstOckes (§ 781) der Verkäufer die Gefahr bis zur Übergabe bzw. bis zur Eintragung des Käufers in das Grundbuch trägt", oder in MotiveII S. 323: "Denn es kann der Übergang der Gefahr augenscheinlich keineswegs von der Erftillung aller dem Verkäufer obliegenden Verpflichtungen abhängig gemacht werden". 27 Jaueming-Vollkommer § 446 Anm. 1 a; Biederbeck, GefahrObergang bei Säumnis des Käuters, S. 6. 2" Statt vieler Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S.3; vgl. zu diesem Grundsatz ausfUhrlieh S. 66 ff.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

lungsort versendet. Bei der Schickschuld sind hingegen Leistungs- und Erfüllungsort verschieden. Leistungsort ist der Wohnsitz des Schuldners, Erflillungsort der Wohnsitz des Gläubigers. Von der Preisgefah~9 zu unterscheiden ist die sogenannte Leistungsgefahr. Bei der Leistungsgefahr geht es darum, ob der Verkäufer verpflichtet ist, noch einmal zu liefern oder, ob der Verkäufer von seiner Leistungspflicht frei wird, obwohl die Sache untergegangen ist. In erster Linie richtet sich die Leistungsgefahr nach der Parteivereinbarung. Läßt sich ein Parteiwillen bezüglich der Leistungsgefahr nicht feststellen, greifen die gesetzlichen Regeln des BGB ein (vgl. §§ 275, 279, 243 II BGB). Normalerweise gehen Leistungsgefahr und Preisgefahr zum selben Zeitpunkt über. Die Preisgefahr kann aber auch später als die Leistungsgefahr übergehen. Dagegen ist es umgekehrt nicht möglich, daß die Leistungsgefahr später übergeht als die Preisgefahr. 30 Preisgefahr bedeutet nämlich, daß der Käufer den Kaufpreis zahlen muß, ohne die Kaufsache nicht oder nur beschädigt zu erhalten, somit zur Voraussetzung hai, daß sich die Leistungspflicht des Schuldners schon auf diese untergegangene oder beschädigte Kaufsache beschränkt hat. Die Problematik der Gefahrtragung stellt sich nur dann, wenn der Untergang oder die Verschlechterung auf Zufall beruht, d.h. von keiner Partei zu vertreten ist. Denn ansonsten greifen die den Vertragsbruch betreffenden Regeln ein. Vorrangige Bestimmungen sind dann § 324 BGB oder § 325 BGB. Der Haftungsbereich des Verkäufers und der des Käufers und der Gefahrtragungsbereich schließen sich also einander aus. Der Gefahrübergang hat zur Folge, daß der Käufer den Kaufpreis zahlen muß, obwohl nicht vollständig erfüllt ist. Er kann keine Ansprüche mehr gegen den Verkäufer geltend machen. Eine Ausnahme davon bildet § 281 BGB, wonach der Verkäufer verpflichtet ist, das als Ersatz Erlangte herauszugeben oder den Ersatzanspruch abzutreten. Als Ersatzanspruch kommen insbesondere Versicherungsansprüche und Schadensersatzanspruche in Betracht. 31

29 Gleichbedeutend hiermit sind die AusdrUcke Gegenleistungs-, Vergütungs- oder Entgeltsgefahr. 30 Vgl. Soergel-Huber Vor § 446 Rn . 9. 31 Brox IuS 1975, S. 2.

V. Die Gesetzeslage bei Abschaffung des § 447 BGB

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V. Die Gesetzeslage bei Abschaffung des § 447 BGB Inwiefern die Kommission durch die Abschaffung des § 447 BGB nur eine Änderung bezüglich des Transportrisikos bezwecken will oder ob sich sonst noch Änderungen bezüglich des Leistungsortes ergeben, ist nicht zweifelsfrei. 32 Durch die Abschaffung des § 447 BGB würde die Gefahrtragung der bei einer Bringschuld, hinsichtlich der Kostentragung aber einer Schickschuld gleichstehen. Dies ist in § 447 BGB-KE ausdrücklich bestimmt. Allein dieser Gesichtspunkt macht schon die Unterscheidung zwischen einer Schick- und Bringschuld nicht hinfällig. Entscheidende Bedeutung kommt noch der Frage nach dem Leistungsort zu. Ist der Leistungsort nach wie vor gemäß § 269 I BGB der Wohnsitz des Schuldners oder ist der Leistungsort der Wohnsitz des Gläubigers? Ist also nur hinsichtlich der Kosten der Versendung eine Unterscheidung zwischen Leistungsort und ErfUllungsort gewollt (vgl. § 447 BGB-KE)? Die Beantwortung dieser Frage ist von großer Bedeutung, weil folgende gravierende Unterschiede zwischen Schick- und Bringschuld bestehen: -

Ist der Wohnsitz des Schuldners der Leistungsort, so tritt die Konkretisierung bei einer der Gattung nach bestimmten Ware gemäß § 243 II BGB schon mit der Übergabe an die Transportperson ein. Der Verkäufer wird somit von seiner Leistungspflicht frei. Bei der Bringschuld kann die Konkretisierung erst am Wohnsitz des Käufers erfolgen, so daß der Verkäufer bei Untergang der Ware während des Transportes noch einmal zu leisten verpflichtet ist.

-

Der Verkäufer muß sich, wenn eine Bringschuld vereinbart ist, das Verschulden der Transportpersonen über § 278 BGB zurechnen lassen. 33 Insofern kommt ein Schadensersatzanspruch des Käufers in Betracht. Bei der Schickschuld, wo der Leistungsort der Wohnsitz des Verkäufers ist, ist hin-

32 § 446 BGB-KE lautet wie folgt: Mit der Übergabe der verkauften Sache geht die Gefahr des zuflUligen Unterganges und der zuflilligen Verschlechterung auf den Käufer über. Von der Übergabe an gebühren dem Käufer die Nutzungen und er trägt die Lasten der Sache. Der Übergabe steht es gleich, wenn der Käufer im Verzuge der Annahme ist. § 447 BGB-KE lautet: Der Verkäufer trägt die Kosten der Übergabe der Sache, der Käufer die Kosten der Abnahme und der Versendung nach einem anderen Ort als dem ErfUllungsort. 33 Dieser soll nach dem Kommissionsentwurf unverändert bleiben, vgl. Abschlußbericht der Schuldrechtskommission S. 125.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

gegen § 278 BGB nicht anwendbar, so daß dem Käufer auch kein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verkäufer zusteht. 34 -

Bei der Schickschuld ist die Leistung rechtzeitig erbracht, wenn die Ware dem Beförderer übergeben worden ist. Bei der Bringschuld hingegen ist die Leistung rechtzeitig bewirkt, wenn die Ware den Wohnsitz des Käufers erreicht. Ist die Leistung rechtzeitig erbracht, so steht damit fest, daß das Risiko des verspäteten Eintreffens der Ware, die sogenannte Verzögerungsgefahr, zu Lasten des Gläubigers geht. Diese Verzögerungsgefahr wird nicht von dem Gefahrenbegriff des § 447 BGB umfaßt. Hingegen trägt bei der Bringschuld selbstverständlich der Schuldner die Verzögerungsgefahr. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß der Gerichtsstand davon abhängig ist, ob eine Schick- oder Bringschuld vorliegt. Bei der Bringschuld ist der Wohnsitz des Käufers, bei der Schickschuld hingegen der Wohnsitz des Verkäufers Gerichtsstand (§ 29 ZPO).

Eine Schwäche des Kommissionsentwurfes ist es, daß zu der Frage, ob sich auch Änderungen bezüglich des Leistungsortes ergeben, nicht eindeutig Steilung bezogen wird. Ernst ist zwar der Ansicht, daß sich aus der Begründung zu § 447 BGB-KE ergebe, "daß beim Versendungskauf -ungeachtet der Neubestimmung der Gefahrtragung- weiterhin der Wohnsitz des Verkäufers Leistungsort sein soll, wogegen der Leistungserfolg erst am Wohnsitz des Käufers eintritt"35, zweifelsfrei ist diese Ansicht jedoch keineswegs, denn in § 447 BGB-KE wird mit der Formulierung "nach einem anderen Ort als dem Erfilllungsort" nur eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen Leistungsort und Erfilllungsort hinsichtlich der Kostentragung gemacht. Auch in der Begründung zu § 447 BGB-KE ist ausdrücklich nur von der Kostentragung die Rede. Wie es sich aber allgemein mit dem Leistungsort verhält, ergibt sich also weder aus der Bestimmung des § 447 BGB-KE selbst, noch aus der Begründung zu dieser Vorschrift. Die Zweifel sind vor allem deswegen begründet, wenn man sich das Gutachten Hubers zur Abschaffung des § 447 BGB, dessen Ansicht den Reformvorschlag entscheidend mitbestimmt hat, vergegenwärtigt. In dem Gutachten heißt es: "Drittens müßte die Verlagerung der Gefahr auf den Verkäufer bei folgerichtiger Handhabung dazu fUhren, daß auch das Verzögerungsrisiko auf den Verkäufer überginge. Das erscheint als unangemessen, um

34 3S

Vgl. zur Zurechnung des Verschuldens über § 278 BGB S. 155 ff. Ernst ZIP 1993, S. 481.

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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so mehr, als das Verzögerungsrisiko fUr den Verkäufer schwer abzuschätzen und deshalb auch schwer zu versichern ist; die übliche Versicherung mit dem Fakturenwert würde nicht ausreichen." 36 Hier geht Huber offensichtlich davon aus, daß bei der Abschaffung des § 447 BGB, zumindestens hinsichtlich des Problems der Rechtzeitigkeit der Leistung, der Leistungsort beim Käufer liegen würde. Sicherlich hat Huber damit recht, daß das Tragen der Verzögerungsgefahr seitens des Verkäufers nicht sachgerecht sei. Aber wie es sich mit der Verzögerungsgefahr bei dem Reformentwurf verhält, wird weder durch die Bestimmung des § 446 BGB-KE noch der des § 447 BGB-KE deutlich. Will die Kommission den Leistungsort beim Schuldner belassen, was sicherlich wünschenswert ist, und nur hinsichtlich der Gefahrtragung etwas anderes bestimmen, so wäre eine KlarsteIlung sinnvoll, so wie dies auch in § 270 IV BGB für die Geldschuld der Fall ist. Ansonsten sind Streitigkeiten hinsichtlich dieser Auslegung vorprogrammiert.

VI. Rechtsvergleichender Überblick Bei diesem rechtsvergleichenden Überblick über die Gefahrtragung beim Versendungskauf wird vor allem auf das UN-Übereinkommen zum internationalen Warenkauf eingegangen, da das UN-Kaufrecht auf dem Gebiet des Kaufs zunehmend an Bedeutung gewinnt.

1. Die Gefahrtragung im UN-Kaufrecht Das UN-Kaufrecht knüpft den GefahrUbergang grundsätzlich an die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft an. Der Gefahrübergang wird losgelöst vom Eigentumsübergang geregelt, da angesichts der unterschiedlichen Ausgestaltung der einzelnen Rechtsordnungen hinsichtlich des Eigentumsübergangs dies ein Verzicht auf eine einheitliche Problemlösung wäre. 37 Im Gegensatz zum EKG wird der Gefahrübergang nicht mehr mit der Lieferung verknüpft,

36 Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 920. 37Vgl. Staudinger-Magnus Vorbem. zu Art. 66 ff. CISG Rn. 2; Lindacher in HoyerlPosch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 168; Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S.393; EnderleiniMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Vorbemerkungen S.203; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 104.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

sondern entscheidend ist die tatsächliche Übergabe. Das Konzept der Lieferung wurde wegen der Kompliziertheit bei mangelhafter Lieferung aufgegeben. 38 Die Gefahrtragungsregeln des UN-Kaufrechts setzen voraus, daß der Untergang oder die Beschädigung der Ware auf Zufall beruhen. Zufiillig ist der Untergang oder die Beschädigung dann nicht, wenn der Verkäufer bereits vor dem Gefahrübergang eine wesentliche Vertragsverletzung begangen hat. 39 Des weiteren liegt gemäß Art. 66 CISG auch dann kein Zufall vor, wenn der Untergang oder die Beschädigung der Ware auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurückzuführen ist. Was unter einem Handeln oder Unterlassen genau zu verstehen ist, ist umstritten. Darunter sind nicht nur Vertragsverletzungen zu verstehen, sondern auch Verhaltensweisen, die gegen objektiv gebotene Sorgfaltspflichten verstoßen40 ; nicht dagegen ein rechtmäßiges Verhalten. 41 Ein rechtmäßiges Verhalten kann nicht als ein Handeln oder Unterlassen im Sinne dieser Vorschrift gedeutet werden, da nahezu jedes schädigende Ereignis, außer ein unbeherrschbares, durch ein Handeln des Verkäufers theoretisch hätte verhindert werden können. Eine solche Auslegung wäre daher offensichtlich zu weit, da sie die Gefahrtragungsvorschriften des UN-Kaufrechts weitgehend aushöhlen würde. 42 Im folgenden werden die verschiedenen Gefahrtragungsnormen des UNKaufrechts rur die verschiedenen Abwicklungsformen des Kaufes kurz dargestellt.

3·Vgl. Staudinger-Magnus Art. 67 CISG Rn. 5; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 1; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Vor Art. 66 Rn. 2. 39 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 66 Rn. 5; Staudinger-Magnus Art. 66 CISG Rn. 11. ""Vgl. dazu ausfUhrlich Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 66 Rn. 617; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 78; Staudinger-Magnus Art. 66 CISG Rn. 15; Enderlein/Maskowl Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 66 Bem. 3; Heilmann, Mängelgewährleistung im UNKaufrecht, S. 276. ~I Herrschende Meinung: Vgl. Karollus, UN-Kaufrecht, S. 187; Hager in v. Caemmererl Schlechtriem Art. 66 Rn. 7; ders. in Schlechtriem, Einheitliches Kaufecht, S. 404;Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 126 ff.; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 105; Enderlein/Maskowl Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 66 Bem. 3; Heilmann, Mängelgewährleistung im UNKaufrecht, S. 276; Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 79 Fn. 346: Völlig berechtigtes Verhalten wird man durch vernünftige Auslegung von "zurUckzufUhren" ("due to") ausgrenzen können. A.A. Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 66 Rn. 6; so wohl auch Posch in Doralt, Pflichten des Käufers, II12; vgl. zum EKG Neumayer in Fs. v. Caemmerer, S. 960 ff. '2 So auch Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 66 Rn. 6.

YI. Rechtsvergleichender Überblick

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a) Die GeJahrtragung beim PlatzkauJ Hat der Verkäufer dem Käufer die Ware am Ort seiner Niederlassung zu übergeben, vgl. Art. 31 c CISG, so geht die Gefahr gemäß Art. 69 I 1. Alt. CISG mit Übernahme der Kaufsache durch den Käufer über. Übernahme bedeutet körperliche Annahme. Diese kann auch durch Leute oder durch Beauftragte des Käufers geschehen. 43 Art. 69 CISG entspricht der deutschen Regelung des § 446 I BGB. Des weiteren geht die Gefahr über, wenn der Verkäufer die Ware zur Verfiigung stellt und der Käufer durch die Nichtabnahme eine Vertragsverletzung begeht. Zur VerfUgung gestellt ist die Ware, wenn die Ware abholbereit ist. Die Ware muß dem Käufer eindeutig zugeordnet werden können (vgl. Art. 69 Abs.3 CISG).44 Diese Regelung findet seine Entsprechung im deutschen Recht fUr den Falle des Verzuges des Käufers, wo nach geltendem Recht der Käufer gemäß §§ 32411 BGB die Preisgefahr trägt. Die Schuldrechtskommission hält es fUr sinnvoll, diese Haftung in § 446 S. 3 BGB-KE klarzustellen.

b) Die GeJahrtragung beim FernkauJ Ist hingegen ein anderer Ort als der Sitz des Verkäufers Lieferort, bestimmt sich die Gefahrtragung nach Art. 69 11 CISG. Hier geht die Gefahr über, sobald die Lieferung flillig ist und der Käufer Kenntnis davon hat, daß ihm die Ware an diesem Ort zur Verfugung steht. Hier findet also eine Vorverlagerung des Gefahrübergangs statt. Eine Übergabe ist nicht erforderlich. Art. 69 11 CISG ist auf den Kauf eingelagerter Ware und auf den Fernkauf, d.h. wenn ein anderer Lieferort als der Sitz des Verkäufers vereinbart ist, zugeschnitten. 45 Beim Verkauf eingelagerter Ware steht die Ware dem Käufer zur VerfUgung, wenn er vom Lagerhalter ihre Auslieferung verlangen kann. 46 Beim Fernkauf genügt zur VerfUgungsteIlung, wenn der Verkäufer die Ware an dem vorgesehenen Ort

43 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 69 Rn. 2; Staudinger-Magnus Art. 69 CISG Rn. 9. 44Ygl. Staudinger-Magnus Art. 69 CISG Rn. 13; Herber/Czerwenka, Internationales Kautrecht, Art. 69 Rn. 3. 4l Ygl. Hager in v. Caernmerer/Schlechtriem Art. 69 Rn. 6; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 69 Rn. 2/3. 46Ygl. dazu ausftlhrlich Hager in v.Caemmerer/ Schlechtriem Art. 69 Rn. 6. 3 Reinhardt

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

andient. 47 Sobald der Käufer dann Kenntnis vom Bereitstehen der Ware hat, geht die Gefahr über. Die Vorverlegung des Gefahrüberganges soll sich daraus rechtfertigen, daß sich die Ware nicht im Herrschaftsbereich des Verkäufers befinde und deshalb von ihm normalerweise nicht versichert sei. 48

c) Die Gefahrtragung beim Versendungskauf

Nach der Grundregel des Art. 67 I CISG geht die Gefahr mit Übergabe der Ware an den ersten Bellirderer auf den Käufer über, wenn die Ware nach dem Kaufvertrag bellirdert werden soll, ohne daß der Verkäufer verpflichtet ist, sie an einem bestimmten Ort zu übergeben. Art. 67 11 CISG spricht die Selbstverständlichkeit aus, daß die Gefahr erst übergehen kann, wenn die Ware dem Käufer eindeutig zugeordnet werden kann. Dies kann durch Kennzeichnung, durch Bellirderungsdokumente, durch eine Anzeige an den Käufer oder auf andere Weise geschehen. Als Grund rur die Regelung wird zum einen vorgebracht, daß dies einer international anerkannten Regelung entspreche und ein internationales Kaufrechtgesetz auf weltweite Akzeptanz angewiesen sei, so daß von einer anderen Regelung abzusehen sei. 49 Des weiteren sieht man die Rechtfertigung dieser Regel darin, daß der Käufer nach Ankunft der Ware in einer günstigeren Lage sei als der Verkäufer, um etwaige Schäden festzustellen. so Die Übergabe an den Bellirderer ist bewirkt, wenn die Ware in seine Obhut übergegangen ist, also mit tatsächlicher Aushändigung. 51 Mangels besonderer Vereinbarung soll die Übergabe erst dann erfolgt sein, wenn die Ware auf das Transportmittel auf- oder eingeladen iSt. 52 Problematisch bei Art. 67 I CISG ist vor allem, ob unter den Begriff des "ersten Bellirderers" auch der Spediteur flUIt und zweitens, ob Art. 67 I CISG

47 Staudinger-Magnus Art. 69 CISG Rn. 22. 4. Hager in v. Caemmererl Schlechtriem Art. 69 Rn. 6. 49 Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 391; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 109. so Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art.67 Rn. 3; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 109; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 109. 51 Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Rn. 5. 52 Staudinger-Magnus Art. 67 CISG Rn. 15; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kauf.. recht, Art. 67 Bem. 5.

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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auch anwendbar ist, wenn der Transport durch eigene Leute durchgefllhrt wird. 53 Nach herrschender Meinung fliUt unter den Begriff des Beförderers nicht der Spediteur. Denn gemeint sei der erste selbständige Beförderer, so daß die Übergabe an einen Spediteur nicht genügen könne. 54 Was anderes soll gelten, wenn der Spediteur nach §§ 412, 413 HGB rechtlich als Frachtführer tätig werde. 55 Zum Teil wird dagegen auch eine weite Auslegung des Begriffs des Beförderers vertreten, so daß auch die Übergabe an einen Spediteur fllr den Gefahrübergang genügen müsse. 56 Als Grund wird angefllhrt, daß mit Übergabe an den Transporteur der Verkäufer seiner Versendungsverpflichtung korrekt nachgekommen sei und sich gleichzeitig jeder Einwirkungsmöglichkeit auf die Ware entledigt habe. 57 Art. 67 I CISG ist nach herrschender Meinung dann nicht anwendbar, wenn der Transport durch eigene Leute durchgefllhrt werde. 58 Als Grund wird angefllhrt, daß der Verkäufer in der Regel durch seine Versicherungen geschützt sein werde, daß der Eifer bei der Wahrnehmung seiner Obhutsptlicht gesteigert werde und Beweisprobleme vermieden werden. 59

V gl. zu diesem Problem im deutschen Recht S. 155 ff. Staudinger-Magnus Art. 67 CISG Rn. 11; Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 391; ders. in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 5; Heilmann, Mllngelgewllhrleistung im UN-Kaufrecht, S.230; Bucher in Berner Tage, S.41; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 3.3; Herber/Czerwenka, Internationales Kautrecht, Art. 67 Rn. 4; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 111; Loewe, Internationales Kaufrecht, S. 52. ss Herber/Czerwenka, Internationales Kautrecht, Art. 67 Rn. 4; Staudinger-Magnus Art. 67 CISG Rn. 11; Heilmann, Mängelgewllhrleistung im UN-Kaufrecht, S. 230. so Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 113; Karollus, UN-Kautrecht S. 196, spricht von einer "wohl UberprüfungsbedUrftigen" Meinung; vgl. auch Huber in v. Caemmererl Schlechtriem Art. 31 Rn. 38; ders. RabelsZ 43, S. 455. S7 Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 113. sKEnderlein/Maskow/Strohbach,lnternationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 3.1; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 5; ders. in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 392; Huber in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 31 Rn.40; Staudinger-Magnus Art. 67 CISG Rn. 11; Herberl Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Rn. 4; Posch in Doralt, Ptlichten des Käufers, III 3; Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 67 Rn. 4; Bucher in Berner Tage S. 42; Heilmann, Mängelgewllhrleistung im UN-Kaufrecht, S. 228; Choi, Gefahrtragungsregel,n, S. 112; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 112; Fox, Wiener KaufrechtsUbereinkommen, S. 186; Ziegler, Leistungsstörungsrecht nach dem UN-Kaufrecht, S. 88. s9Enderiein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 3.1; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 5; vgl. auch Heilmann, Mängelgewährleistung im UN-Kautrecht, S. 228; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 112. S3 S4

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

Bedenken gegen die Ablehnung des Gefahrübergangs gemäß Art. 67 CISG bei einem Transport durch eigene Leute hat Schlechtriem, weil er Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen unselbständigen Betriebseinheiten des Verkäufers und rechtlich selbständigen Betriebseinheiten des eigenen Konzerns befUrchtet. 60 Des weiteren wird auch vorgebracht, daß dadurch ein billigerer und schnellerer Transport durch den Verkäufer verhindert werde.61 Hat der Verkäufer die Ware dem Beförderer an einem bestimmten Ort zu übergeben, dann geht gemäß Art. 67 S. 2 CISG die Gefahr erst mit Übergabe an diesem Ort über. Es liegt demnach ein Versendungskauf mit vorgelagerter Bringschuld vor. 62 Eine solche Vereinbarung findet sich häufig in den Klauseln der INCOTERMS.63 So geht bei der Klausel elF die Gefahr erst mit dem Überschreiten der Reling über. Der Transport bis zum Schiff ist hingegen Sache des Verkäufers. 64 Der bestimmte Übergabeort darf jedoch weder mit dem Absendeort noch mit dem endgültigen Bestimmungsort identisch sein, da dann entweder eine Hol- oder Bringschuld vorliegt, so daß Art. 67 S. 2 CISG nicht anwendbar ist. Für die Anwendung des Art. 67 S. 2 CISG ist es dagegen irrelevant, ob der Verkäufer den ersten Teiltransport selbst oder durch einen unabhängigen Beförderer durchfUhren läßt. 65 Der Meinung Honnolds, daß Art. 67 S. 2 CISG nur anwendbar sei, wenn der erste Transport durch den Verkäufer selbst vorgenommen werde, da nach dem Wortlaut des Art. 67 S. 2 CISG von einer Übergabe durch den Verkäufer die Rede sei66 , ist nicht zu folgen. Für den Gefahrübergang ist es nämlich völlig bedeutungslos, wie die Ware zum Übergabeort kommt. Entscheidend ist nur, daß sie dem Beförderer an dem bestimmten Ort übergeben werden kann. Zum anderen setzt das UN-Übereinkommen auch an anderen Stellen voraus, daß der Vertragspartner einen Dritten beauftragen kann. 67

Schlechtriem, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 80. 61 Von Hoffmann, Passing ofrisk, S. 287. 62 Ygl. Lindacher in HoyerlPosch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 171. 63Ygl. zu den INCOTERMS, Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, S. 495 ff. ~ Ygl. Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 171; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Rn. 7; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 6. 6~ EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 7.2; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 7; Heilmann, Mängelgewährleistung im UN-Kaufrecht, S. 238. 66 Honnold, Risk ofLoss, S. 376 ff. 6'Ygl. EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 7.2. 60

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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Art. 67 I S. 3 CISG stellt klar, daß es keine Rolle für den Gefahrübergang spielt, wenn der Verkäufer Transportdokumente zurückbehält. Damit wird noch einmal verdeutlicht, daß die Gefahrtragung unabhängig vom Eigentumsübergang zu betrachten ist.

d) Gefahrübergang bei schwimmender oder rollender Ware

Das UN-Kaufrecht hat eine Sonderregelung dafür getroffen, wenn bereits auf der Beförderung befindliche Ware verkauft wird. Gemäß Art. 68 S. 1 CISG soll mit Vertragsschluß die Gefahr auf den Käufer übergehen. Mehrere Länder wollten dagegen eine rückwirkende Gefahrtragung statuieren, so daß der Käufer bereits mit Übergabe an den Beforderer die Gefahr getragen hätte. Als Grund hierfllr wurde angefllhrt, daß es häufig sehr schwer sein werde, den genauen Schadensort festzustellen, so daß es praktisch sei, den Käufer die Gefahr während der ganzen Reise tragen zu lassen. 68 Dagegen wurde aber von einer Reihe von Ländern, namentlich von den Entwicklungsländern, vorgebracht, daß der Käufer sich nicht versichern könne. 69 Als Ergebnis kam letztlich ein Komprorniß zustande, der in Art. 68 S. 2 CISG seinen Niederschlag gefunden hat. Gemäß Art. 68 S. 2 CISG geht bereits mit Übergabe der Ware an den Beförderer, der die Dokumente über den Beförderungsvertrag ausgestellt hat, die Gefahr über, wenn die Umstände dies nahelegen. Als besonderer Umstand im Sinne des Art. 68 S. 2 CISG wird insbesondere das Bestehen einer Transportversicherung angesehen, vorausgesetzt, daß sie dem Käufer auch fllr den zurückliegenden Zeitraum zugute kommt. 70

6" Hager in v. Caemmerer/Schlechtriem Art. 68 Rn. I; ders in Schlechtriern, Einheitliches Kaufrecht, S. 396; EnderleinIMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Bem. 1.1; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 114. 69 Vgl. Staudinger-Magnus Art. 68 CISG Rn. 4; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Rn. I; Schlechtriern, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 82; Hager in Schlechtriern, Einheitliches Kaufrecht, S. 397; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 115 ff.; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 114. 70 Schlechtriern, Einheitliches UN-Kaufrecht, S. 82; EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Bem. 3; Hager in v. Caemmerer/Schlechtriem Art. 68 Rn. 4; ders. in Schlechtriern, Einheitliches Kaufrecht, S.397; Staudinger-Magnus Art. 68 CISG Rn. 11; Herber/ Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Rn. 3; Posch in Doralt, Pflichten des Käufers, 1II 4; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S. 119; Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 68 Rn. 3; Loewe, Internationales Kaufrecht, Art. 68; Karollus, UN-Kaufrecht, S. 199; Choi, Gefahrtragungsregeln, S.115.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

Die Gefahr geht gemäß Art. 68 S. 3 CISG dann nicht auf den Käufer über, wenn der Verkäufer bei Abschluß des Kaufvertrages wußte oder wissen mußte, daß die Ware untergegangen oder beschädigt war, und er dies dem Käufer nicht offenbart hat. Umstritten ist hierbei, ob sich S. 3 nur auf S. 271 oder auch auf S. 172 bezieht.

2. Die Bedeutung der Gefahrtragungsregeln im UN-Kaufrecht Häufig werden rur die Gefahrtragung vertragliche Vereinbarungen getroffen. Dies gilt vor allem bei der Verwendung der INCOTERMS, die eine detaillierte Regelung über den Gefahrübergang enthalten. Die Grundlösungen der INCOTERMS und des UN-Kaufrechts decken sich in den Grundprinzipien weitgehend. Die Bestimmungen des UN-Kaufrechts sind aber nicht so detailliert. 7J Vertragliche Vereinbarungen haben stets Vorrang vor dem UN-Kaufrecht (vgl. Art. 6, 9). Aufgrund dieses Vorrangs verlieren die Gefahrtragungsregeln im UN-Kaufrecht an Bedeutung. 74 Die INCOTERMS enthalten internationale Regeln zur Auslegung der wichtigsten Klauseln. 75 Aufgrund der Bedeutung dieser Klauseln, sollen diese bezüglich der Gefahrtragung kurz dargestellt werden. 76 Ab Werk Wird ab Werk geliefert, so geht die Gefahr auf den Käufer über, wenn der Verkäufer die Ware auf seinem Gelände dem Käufer zur Verftlgung stellt. Selbstverständlich muß die Ware hinreichend konkretisiert sein. Demnach trägt der Käufer alle Gefahren, die mit dem Transport der Ware verbunden sind.

71 So Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Rn. 7; EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 68 Bem. 5.1; Staudinger-Magnus Art. 68 CISG Rn. 16, der dies nur bei Verschlechterung annimmt. 72 So Karollus, UN-Kaufrecht, S. 199; Reinhart, UN-Kaufrecht, Art. 68 Rn. 4. 13 Vgl. Posch in Doralt, Pflichten des Käufers, III 2. 7~ Vgl. Staudinger-Magnus Vorbem. zu Art. 66 ff. CISG Rn . 7/8; ders. Art.67 Rn . 3; Hager in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 67 Rn. 2; Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 169; Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Vor Art. 66 Rn . 2; ders. Art. 66 Rn. 8/9; Ziegler, Leistungsstörungsrecht nach dem UN-Kaufrecht, S. 92; Reinhart, UNKaufrecht, Art. 67 Rn. 3. 7~ Zu den Incoterms ausftlhrlich Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, S. 495 ff. 76 Vgl. zu den Handelsklauseln ausftlhrlich Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, S. 495 ff.; Wolf/HornlLindacher, AGB-Gesetz, § 9 H II-H 45 ; Liesecke WM 1978, Beilage 3.

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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Frei Frachtführer Die Gefahr geht mit Lieferung auf den Käufer über. Geliefert ist, wenn die Ware am vereinbarten Ort, zum vereinbarten Zeitpunkt und in üblicher Art und Weise dem Frachtfilhrer übergeben wird. Frei Längsseite SchiffI FAS Der Verkäufer erfUllt hier seine Lieferverpflichtung, wenn der Verkäufer die Ware längsseits des Schiffes am Kai gebracht hat. Ab diesem Zeitpunkt trägt der Käufer die Gefahr. Frei an Bord I FOB Bei dieser Klausel geht die Gefahr über, wenn die Ware die Schiffsreling im benannten Verschiffungshafen überschritten hat. Hat der Käufer das Schiff benannt, so geht die Gefahr auch dann über, wenn das genannte Schiff die Ware nicht übernimmt. Die Gefahr geht auch dann über, wenn der Käufer eine solche Benennung unterlassen hat. Voraussetzung ist aber, daß die Ware konkretisiert ist. Kosten und Fracht I CFR Die Gefahr geht auf den Käufer über, sobald die Ware die Reling des Schiffes im Verschiffungshafen überschritten hat. Kosten, Versicherung, Fracht I CIF Bei dieser Klausel geht ebenso wie bei der CFR-Klausel die Gefahr über, wenn die Ware die Schiffsreling im Verschiffungshafen überschritten hat. Zusätzlich hat der Verkäufer eine Seetransportversicherung gegen die Gefahr von Schäden während des Transportes abzuschließen. Frachtfrei I CPT Sobald die Ware dem Frachtführer zum vereinbarten Zeitpunkt übergeben worden ist, geht die Gefahr auf den Käufer über. Frachtfrei versichert I CIP Die Gefahr geht ebenso wie bei der CPT-Klausel über. Hinzukommt hier aber, daß der Verkäufer verpflichtet ist, eine Transportversicherung abzuschließen. Geliefert Grenze I DAF Die Gefahr geht über, wenn die Ware dem Käufer an der Grenze in dem vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb der vereinbarten Frist zur Verfugung gesteIlt ist.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

Geliefert ab Schiff/DES

Bei dieser Klausel muß der Verkäufer die Ware an Bord des Schiffs im benannten Bestimmungshafen zur VerfUgung stellen, um seine Lieferverpflichtung zu erftlllen. Ab diesem Zeitpunkt geht auch die Gefahr über. Ab Kai/DEQ

Ab Kai bedeutet, daß der Verkäufer seine Lieferverpflichtung erfUllt, wenn er die zur Einfuhr freigemachte Ware dem Käufer am Kai des benannten Bestimmungshafens zur Verftlgung stellt. Von diesem Zeitpunkt an trifft die Gefahr den Käufer. Geliefert unverzollt / DDU Der Verkäufer hat hier seine Lieferverpflichtung erfüllt, wenn die Ware am benannten Ort im Einfuhrland zur VerfUgung gestellt wird. Hat der Verkäufer diese Lieferverpflichtung erfUllt, trägt der Käufer die Gefahr. Geliefert verzollt / DDP Der Verkäufer hat hier die Pflicht, dem Käufer die Ware am benannten Bestimmungsort im Einfuhrland verzollt mit den erforderlichen Transportpapieren und Genehmigungen zur Verftlgung zu stellen. Ab diesem Zeitpunkt hat der Käufer die Gefahr zu tragen.

3. Der Versendungskauf in anderen Rechtsordnungen Nach Almen ist es ein in der ganzen Welt geltender Rechtsgrundsatz, daß beim interlokalen Transport der Käufer die Gefahr trägt. 77 Auch heute kann dieser Satz noch Geltung beanspruchen. 18 So trägt z.B. im amerikanischen Recht der Käufer im Zeitpunkt der Auslieferung der Waren an den Beförderer die Gefahr (§ 2-509 (1) (b) UCC). Auch in den Rechtsordnungen, die den Gefahrübergang an den Vertragsschluß oder Eigentumsübergang knüpfen, wird zumeist mit Übergabe an den Beilirderer die Gefahr übergehen. Denn der Gattungskauf ist die im Handel vorherrschende Kaufart, so daß es erst einer Konkretisierung der Waren bedarf,

77 Almen, Das Skandinavische Kaufrecht Bd. I, S. 124. 7·Vgl. Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 391 (bezüglich des UN-Kaufrechts): "Ohne Not sollte deshalb von einer weltweit anerkannten Regelung nicht abgewichen werden"; vgl. dazu auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 78 ff., in den von ihm untersuchten Rechtsordnungen wird der Käufer mit der Transportgefahr belastet; Ernst ZIP 1993, S. 482.

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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um die Gefahr übergehen zu lassen. Durch Übergabe an den Beförderer wird die Ware konkretisiert, so daß von diesem Zeitpunkt an der Käufer die Gefahr trägt. 79 Handelt es sich dagegen ausnahmsweise um einen Stückkauf, bleibt es dabei, daß die Gefahr mit Vertragsschluß oder mit Eigentumsübergang übergeht.

4. Die Problematik der Divergenz zu anderen Rechtsordnungen Anhand der vorgenommenen Untersuchung zeigt sich, daß sich der Schuldrechtsreformentwurf beim Versendungskauf eklatant vom UN-Kaufrecht, von anderen Rechtsordnungen und der Klauselpraxis entfernt. Ein Anliegen der Schuldrechtsreform war es aber gerade, möglichst den Einklang mit dem Einheitskaufrecht herzustellen. 80 Mit der Schuldrechtsreform wurde die Chance eröffnet, dem Auseinanderdriften von Einheitskaufrecht und BGB entgegenzuwirken. 81 Mit der Abschaffung des § 447 BGB wird die Schuldrechtskommission somit keineswegs ihrem Auftrag gerecht. Die Abschaffung des § 447 BGB und die damit einhergehende Divergenz mit dem UN-Kaufrecht ist nicht sinnvoll, da die Bedeutung des Außenhandels mit der zunehmenden europäischen Vereinheitlichung immer größer wird. Dem UN-Kaufrecht wird daher ein maßgebliches Gewicht auf diesem Gebiet zukommen. Auch die Divergenz zu den Rechtsordnungen der Nachbarländer ist alles andere als zeitgemäß, da doch mit der Niederlassungsfreiheit ausländischer Unternehmen und der freien Berufswahl für EU-Ausländer es wünschenswert wäre, wenn eine Divergenz zwischen den Rechtsordnungen mit den Nachbarländern nach Möglichkeit vermieden wird. Aus diesem Grund hat Huber in seinem ersten Gutachten zunächst auch eine viel behutsamere Änderung des § 447 BGB vorgeschlagen. 82 Um so erstaunlicher ist es, daß ca. 11 Jahre nach Veröffentlichung des ersten Gutachtens zur geplanten Schuldrechtsreform nun die gänzliche Abschaffung des § 447 BGB geplant ist, da doch gerade im letzten Jahrzehnt eine gravierende Veränderung des europäischen Binnenmarktes stattfand, die nun erst recht eine Diskrepanz zwischen den einzelnen Rechtsordnungen nicht als wünschenswert erscheinen läßt. Sicherlich wird es immer Unterschiede zwi-

79 So

z.B. das französische, englische, italienische und schweizerische Recht. HOVgl. Engelhardt NJW 1984, S. 1205. HI Vgl. Schubert in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 417. HlVgl. Huber in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. 1, S. 920.

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§ 2 Die verschiedenen Grundprinzipien und Vorschriften zur Gefahrtragung beim Kauf

sehen einzelnen Rechtsordnungen geben und geben müssen, aber dann müßten die von der Schuldrechtskommission angegebenen Gründe schon derart tragend sein, daß eine Divergenz zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen und dem UN-Kaufrecht hingenommen werden müßte. 8l Die Kommission versucht dieser Problematik entgegenzuwirken, indem sie rur das Handelsrecht eine Übernahme einer entsprechenden Vorschrift des § 447 BGB erwägt. 84 Doch dadurch würde nur eine erneute Diskrepanz zwischen BGB und Handelsrecht geschaffen. 85 Dabei sollte es aber auch gerade ein Anliegen der Schuldrechtsreform sein, alle Sondergesetze allmählich wieder in den schuldrechtlichen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches zurUckzuholen. 86 Eine neuerliche Diskrepanz zwischen Handelsrecht und BGB sollte vermieden werden. 87 Um der Mißlichkeit auf der einen Seite entgegenzuwirken, wUrde nur eine neue Mißlichkeit auf der anderen Seite geschaffen. Ebenso, wie die von der Schuldrechtskommission angegebenen GrUnde derart tragend sein müßten, um eine Divergenz zum UN-Kaufrecht rechtfertigen zu können, gilt dies ebenfalls rur eine neuerliche Diskrepanz zwischen HGB und BGB. 88 Des weiteren ist zu beachten, daß der Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts weiter reicht, als der des HGB. Denn gemäß Art. 2 a) CISG findet dieses Übereinkommen keine Anwendung auf den Kauf:

Von Ware für den persönlichen Gebrauch oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt, es sei denn, daß der Verkäufer vor oder bei Vertragsschluß weder wußte noch wissen mußte, daß die Ware für einen solchen Gebrauch gekauft wurde. So würde z.B. der Kauf eines Rechtsanwaltes unter das UN-KaufrechtsUbereinkommen fallen, weil rur die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts ein Kauf zum beruflichen Zweck ausreicht, ein Gewerbe des Käufers ist nicht erforder-

KJVgl. dazu auch ErnstZIP 1993, S. 481 tf. Für den Kauf reisender und schwimmender Ware soll nach Ansicht der Schuldrechtskommission eine Vorschrift eingefllgt werden, die sich an Art. 68 S. I CISG anlehnt, Abschlußbericht S. 234; vgl. zu Art. 68 I CISG oben S. 37. KSVgl. dazu ausfllhrlich ErnstZIP 1993, S. 487. 116Vgl. Schubert in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 415. 87 Vgl. Huber in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. I, S. 930 tI; so auch Ernst in ZIP 1993, S. 482. "Vgi. dazu auch Ernst ZIP 1993, S. 481 tf. 14

VI. Rechtsvergleichender Überblick

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Iich. 89 In Art. 1 III CISG ist auch ausdrücklich bestimmt, daß bei der Anwendung des UN-Übereinkommens unberücksichtigt bleibt, ob die Parteien Kaufleute oder Nichtkaufleute sind. Damit sollen die unterschiedlichen Anknüpfungsmethoden der nationalen Rechte in bezug auf handelsrechtliche Regeln von der Einwirkung auf den Anwendungsbereich des UN-Abkommens ausgeschlossen werden. 90 Des weiteren wird der Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens durch die Einschränkung der subjektiven Komponente erweitert. Damit zeigt sich, daß der Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts doch erheblich weiter reicht, als der Anwendungsbereich des HGB aufgrund seines engen Kaufmannsbegriff. Somit würde auch bei der Übernahme einer entsprechenden Vorschrift des § 447 BGB in das HGB weiterhin eine Diskrepanz zwischen BGB und UN-Kaufrecht bestehen, die nicht wünschenswert ist.

M9Vgl. Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art. 2 Rn. 4; Westermann DZWir 1995, S.5. 90 Herber in v. CaemmererlSchlechtriem Art. I Rn. 60; Westermann DZWir 1995, S. 4.

§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB Im folgenden werden die in der Rechtswissenschaft vertretenen Erklärungsversuche zur Gefahrtragungsregel des § 446 BGB auf ihre Richtigkeit hin untersucht. Insbesondere wird darauf eingegangen, inwieweit diese Prinzipien Eingang in andere Gefahrtragungsvorschriften gefunden haben und somit auch als allgemeine Prinzipien Gültigkeit besitzen können. Denn nur ein Erklärungsversuch ist brauchbar, der nicht in Widerspruch zu anderen Gefahrtragungsrege In steht, weil ansonsten Wertungswidersprüche entstünden. Anschließend wird sich zeigen, daß § 446 I BGB seine Berechtigung durch das Prinzip casum sentit dominus erfahrt.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip In diesem Prinzip wird von der herrschenden Meinung die tragende Säule einer Gefahrtragungshaftung gesehen. I Wer die Herrschaft über eine Sache habe, solle für diese auch die Gefahr tragen. Er sei aus tatsächlichen Gründen besser in der Lage, sie zu schützen. 2 Trage der Besitzer die Gefahr, so möge er selbst I Vgl. ausfllhrlich zum Beherrschbarkeitsprinzip Koller, Risikozurechnung, S. 78 fL Koller sieht in diesem Prinzip das entscheidende Kriterium der Risikozurechnung. Dabei hebt Koller hervor, daß der Gehalt und die Konturen des Beherrschbarkeitsprinzips bisher recht unbestimmt geblieben seien. Das Prinzip der abstrakten Beherrschbarkeit sei als marktwirtschaftlich selbststeuerndes System ausgeformt. Einem der Vertragspartner werden in einem weiten Rahmen alle Gefahren samt ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen unabhängig von ihrer konkreten Beherrschbarkeit zugerechnet. Der auf diese Weise mit dem Risiko belastete Vertragsteil werde versuchen, alle Gefahren, die zu sinnlosem und überflüssigem Werteverzehr fllhren, in dem Maße zu unterdrücken, in dem die fllr die Gefahrenabwehr nötigen Kosten niedriger als die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Nachteile seien. Eine simple Rentabilitätsanalyse entscheide dann darüber, ob und wie die mit der Bedürfnisbefriedigung verbundenen Risiken gesteuert werden sollen. Hier habe somit der jeweilige Vertragspartner darüber zu befinden, inwieweit er Anstrengungen zur Gefahrenbeherrschung unternehmen oder sich mit dem Risiko entspringenden Nachteilen abtinden will. Nach Koller scheide aber eine Zurechnung kraft abstrakter Beherrschbarkeit dann aus, wenn das die Störung auslösende Ereignis evident unbeherrschbar sei. 2 Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 17; Palandt-Putzo § 446 Rn. 4; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 105, bezeichnet dies als den pragmatischen Aspekt; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 7; Larenz, SchR 1111, § 4211 a; Enderlein/Maskow/Strohbach, Internationales Kaut~

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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entscheiden, welcher Aufwand ihm die Bewachung und Versicherung wert sei; dieser Aufwand komme ihm zugute. 3 Werde der Besitzer nicht mit der Gefahr belastet, so werde das rur ihn Anlaß minderer Sorgfalt sein. 4 Auch die Schuldrechtskommission sieht den entscheidenden Grund rur die Streichung des § 447 BGB in der grundsätzlichen Erwägung, daß das Risiko des zuflUligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Ware von derjenigen Vertragspartei getragen werden solle, die eher als die andere imstande sei, dieses Risiko abzuwenden oder zu verringern oder Vorsorge gegen die Schadensfolgen eines Untergangs oder einer Verschlechterung der Ware zu treffen. 5 Bei einem Transport könne der Verkäufer die Gefahr besser als der Käufer beherrschen, da er über Art und den Weg der Beförderung entscheide, den BetOrderer auswähle und die Ware aufgrund seiner Vertragsbeziehungen zu diesem noch während ihrer Beförderung umdisponieren könne. Nach Ansicht der Kommission entspreche es dem Beherrschbarkeitsprinzip, den Verkäufer mit der Transportgefahr zu belasten. 6 Diese Ansicht der Kommission beruht also letztlich darauf, daß sie im Beherrschbarkeitsprinzip, vor allem bei der Grundsatznorm des § 446 BGB, das entscheidende Kriterium rur die Aufstellung einer Gefahrtragungsregel sieht. Im folgenden wird untersucht, ob dieser Gedanke die Regelung des § 446 BGB rechtfertigen und das Beherrschbarkeitsprinzip zur Klärung der Gefahrtragungsproblematik somit überhaupt Geltung beanspruchen kann. Nur wenn dies der Fall ist, kann der Beherrschbarkeitsgedanke auch ein Grund rur die Streichung des § 447 BGB sein.

recht, Vorbemerkungen S.205; Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versen dungs kaut: S.60; Finke, Bedeutung der internationalen Handelsklauseln, S. 48; Hofemann, Versendungskauf, S. 24; von Hugo, Bedeutung des Eigentumsübergangs, S. 36; Hüffer JuS 1988, S. 128; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 12/59; Schwan, GefahrUbergang beim Kauf, S. 33; Ficker in Leser-v. Marschall, Das Haager Einheitliche Kaufgesetz, S. 133; Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S.35; Erman JZ 1965, S. 657; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 23; Schmutz, Gefahrentragung beim Kaufvertrag, S. 119; Atzler, Gefahrübergang beim Kauf, S. 45; Böttge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S.40; Wirtz, Charakter der Paragraphen 446 und 447 BGB, S. 14; Wismeyer, Prinzip des GefahrUbergangs, S. 42; Krahmer, Gegenseitige Verträge, S. 125; Buchholz, Konzentration und GefahrUbergang, S. 124; Wetzmüller, Übergang der Gefahr, S. 59; Bergmann-Weidenbach, Risikoverteilung bei der Rückabwicklung, S. 141; Müller-Erzbach AcP 106, S. 415. ] Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 17. 4 Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 17. 5 Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 234. l, Vgl. Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S.234; dagegen sieht Koller (Risikozurechnung, S. 172 ff.) § 447 BGB sogar als eine Ausprägung des Beherrschbarkeitsprinzipes an.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

1. Die allgemeine Gültigkeit des Beherrschbarkeitsgedankens

Wenn der Satz stimmen sollte, daß "grundsätzlich jeder den Zufall zu tragen hat, der sich in seinem Herrschaftsbereich ereignet"7, so müßte an und rur sich jeder Besitzer die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache tragen. Im folgenden soll dargelegt werden, daß dieser Satz jedoch keineswegs als der Grundsatz rur eine Gefahrtragungsregel angesehen werden kann. 8

a) Der Beherrschbarkeitsgedanke beim aufschiebend bedingten Kauf

Interessant ist, daß nur vereinzelt versucht wird, anband des Gesichtspunktes der Gefahrenbeherrschung eine Gefahrtragung des Käufers beim aufschiebend bedingten Kauf zu statuieren, denn im BGB ist keine Vorschrift vorhanden, die die Gefahrtragungsproblematik beim aufschiebend bedingten Kauf ausdrücklich regelt. 9 Dies geht aus der Gesetzesgeschichte hervor. In den Motiven heißt es: "Der Entwurf gibt keine Bestimmung über den Fall eines unter einer Bedingung, insbesondere unter einer Suspensivbedingung abgeschlossenen Kaufvertrages. Die Frage, wie, falls während schwebender Bedingung die Sache dem Käufer übergeben worden ist, es sich mit der Gefahrtragung verhalte, bleibt besser an Hand der einschlägigen Vorschriften der Wissenschaft und Praxis zur Lösung vorbehalten. Dispositiv- und Auslegungsregeln sind nicht angezeigt."lo Durch die Vorschrift des § 446 BGB sollte also nicht der Gefahrübergang beim aufschiebend bedingten Kauf geregelt werden. Beim bedingten Kauf weiß der Käufer zudem, daß er bei Ausfall der Bedingung die Sache zurückzugeben hat. Die Gefahrtragungsproblematik ähnelt damit derjenigen bei Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrecht, wo sich vehemente Kritik gegen eine Gefahrtragung des Verkäufers entzündet. 11 Auch beim Kauf auf Probe würde das Argument, falls man dem Beherrschbarkeitsprinzip folgt, zutreffen, daß derjenige, der die Sache in Besitz habe, aus tatsächlichen Gründen besser in der Lage sei, sie zu schützen. Hager ist daher wenigstens der Ansicht, daß es denkbar sei, wie das skandinavische Kaufrecht 7 So Larenz, SchR 11/1, § 42 11 a; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 7. • Allgemeine Kritik an der Sphärentheorie und somit am Beherrschbarkeitsgedanken Ubt Nassauer, "Sphärentheorien", S. I ff. 9Vgl. zur Gefahrtragungsproblematik beim aufschiebend bedingten KaufS. 118. 10 Mugdan Motive 11, S. 180. 11 Vgl. zur Gefahrtragung beim vertraglichen RUcktritt S. 124.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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beweise '2, die Gefahrtragungsproblematik hier anders zu entscheiden. '3 Letztlich schließt jedoch auch er sich der Meinung an, daß der Verkäufer die Gefahr zu tragen habe. Festzuhalten bleibt somit, daß der Beherrschbarkeitsgedanke zur Lösung der Gefahrtragungsproblematik beim aufschiebend bedingten Kauf Uberwiegend nicht herangezogen wird.

b) Der Beherrschbarkeitsgedanke bei den Übergabesurrogaten Bei der Problematik, ob mit der Übergabe im Sinne des § 446 BGB auch die Verschaffung des Besitzes durch die §§ 930, 931 BGB gemeint sein kann, wird größtenteils auch nicht der Beherrschbarkeitsgedanke zur Lösung herangezogen. 14 Nur vereinzelt wird die Anwendung des § 446 BGB abgelehnt, da die den GefahrUbergang rechtfertigenden GrUnde fehlen, nämlich die Erlangung der Sachherrschaft. 's Diese Meinung hat sich jedoch in der Rechtswissenschaft nicht durchsetzen können.

c) § 350BGB

Nach der Vorschrift des § 350 BGB ist es gerade nicht der Obhutsinhaber, der die Gefahr trägt. Zwar hat sich vielerorts aus diesem Grunde Kritik an dieser Regelung entzUndet, inzwischen dUrfte sich jedoch die Meinung durchgesetzt haben, die die Vorschrift des § 350 BGB beim gesetzlichen RUcktritt als gerechtfertigt ansieht. '6 Auch die Schuldrechtskommission sieht die richtige Entscheidung darin, dem Verkäufer im Falle des gesetzlichen RUcktritts die Zufallsgefahr aufzubUrden, falls dieser nicht ausnahmsweise der RUcktrittsbe-

12 Vgl. § 60 Skandinavisches Kaufrecht (Almen, Das Skandinavische Kautrecht Bd. 11, S. 262): Ist ein offener Kauf verabredet, und ist das Gut vom Verkäufer geliefert worden, so ist der Käufer nicht berechtigt, sich dem Kauf zu entziehen, es sei denn, daß er binnen der bestimmten Frist, oder, wenn eine Bestimmung über die Frist nicht getroffen wurde, ohne unbegründeten Aufenthalt dem Verkäufer zu erkennen gibt, daß er das Gut nicht behalten will. Bis das Gut zurückgegeben wird, trägt der Käufer die Gefahr fiir dessen Zerstörung, Verschlechterung oder Verminderung. 13 Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 206; vgl. auch RGRK-Mezger § 446 Rn. 4. I. Vgl. zu dieser Problematik ausfllhrlich S. 112 tf. os Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9; Degenkolb, Gefahrtragung beim Wahlkaufe, S. 19; Wirtz, Charakter der Paragraphen 446 und 447 BGB, S. 35. 16 Vgl. eingehend zu dieser Vorschrift S. 99 ff.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

rechtigte sei. 17 Zu bemerken ist hierbei, daß die Schuldrechtskommission sich mit keiner Silbe mit dem Beherrschbarkeitsprinzip auseinandersetzt, welches doch einer der entscheidenden Gesichtspunkte tUr die Abschaffung einer so wichtigen Regelung wie des § 447 BGB im Zuge der Schuldrechtsreform sein soll. 18 Letztlich stellt die Kommission hier nur auf das Gerechtigkeitsempfinden ab: "Der Rücktritt erfolgt hier deshalb, weil der Verkäufer (Unternehmer) seine Pflichten nicht vollständig erfilllt hat. Wer nicht ordnungsgemäß geleistet hat, darf nicht darauf vertrauen, daß der Gefahrubergang auf den anderen Teil endgültig ist. Das Dilemma, von zwei schuldlosen Beteiligten einem den Verlust auferlegen zu müssen, muß hier, wie es auch der herrschenden Meinung im geltenden Recht entspricht, zugunsten des Rücktrittsberechtigten gelöst werden." 19 Dem Beherrschbarkeitsprinzip wird keinerlei Bedeutung mehr zugemessen.

d) Die Vorschrift des § 818111 BGB

An sich würde sich bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach der Gesetzeslage eine Gefahrenbelastung desjenigen ergeben, der die Sache gerade nicht in seiner Obhut hat. 20 In der Rechtsprechung wird aber, entgegen der Anordnung des Gesetzes, durch die Anwendung der Saldotheorie die Zufallsgefahr dem Bereicherungsschuldner aufgebürdet. Im Schrifttum wird dagegen zum großen Teil betUrwortet, den Bereicherungsgläubiger mit der Zufallsgefahr zu belasten, wobei nicht verschwiegen werden soll, daß z. T. durch eine großzügige Auslegung des Verschuldens von der Zufallsgefahr nur wenig übrig bleibt.

e) Das Beherrschbarkeitsprinzip im Eigentümer-Besitzer-Verhä/tnis

Auch im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis hat grundsätzlich der Besitzer, obwohl sich die Sache in seinem Herrschaftsbereich befindet, nicht die Zufallsgefahr zu tragen. 21 Dies gilt sogar tUr den bösgläubigen Besitzer, der weiß, daß er 17 Abschlußbericht

der Schuldrechtskommission, S. 187. IKVgl. dazu S. 45. I. Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 188. 211Vgl. eingehend zu dieser Vorschrift S. 103 ff. 21 Vgl. zur Zufallshaftung im EigentUmer-Besitzer-Verhältnis S. 68.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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zum Besitz der Sache nicht berechtigt ist. Die Zufallsgefahr trifft ihn erst dann, wenn er sich mit der Rückgabe der Sache in Verzug befindet, oder wenn er zugleich deliktischer Besitzer ist. 22 Dabei kommen dem Besitzer dann noch die Ausnahmen des § 287 S.2 BGB und des § 848 BGB zugute.

j) Miete und Pacht

Auch im Rahmen dieser Schuldverhältnisse23 hat der Besitzer nicht die Zufallsgefahr zu tragen. 24 Vielmehr zeigt sich anband der Vorschrift des § 582 a BGB deutlich, daß anscheinend ein anderes Kriterium als die Sachherrschaft rur die Überbürdung der Gefahr maßgeblich sein muß. Nach dieser Vorschrift trägt der Pächter die Zufallsgefahr des Inventars, wenn er das Inventar eines Grundstück zum Schätzwert übernimmt und es zum Schätzwert zurückzugeben hat. Da in Fällen der "normalen" Pacht und der Übernahme des Grundstückes zum Schätzwert die Möglichkeit der Gefahrenbeherrschung offensichtlich gleich sind, kann diese Vorschrift sicherlich nicht mit dem Beherrschbarkeitsgedanken erklärt werden. 25

g) Würdigung

Es hat sich gezeigt, daß das Prinzip der Beherrschbarkeit in keiner anderen Gefahrtragungsvorschrift des BGB verwirklicht worden ist. Selbst beim Kaufvertrag wird dieses Prinzip nicht einheitlich angewandt. Nur im Bereicherungsrecht wird dem Besitzer aufgrund einer Gesetzeskorrektur die Gefahr auferlegt. Daher ist es schon allein aufgrund dieser Tatsache bedenklich, davon zu sprechen, daß das Beherrschbarkeitsprinzip das entscheidende zur Aufstellung einer Gefahrtragungsregel sein soll, da sich dieses Prinzip ansonsten nirgendwo in einer Gefahrtragungsvorschrift wiederfmdet. Im BGB kann keineswegs von einem Parallellauf zwischen Gefahrtragung und Sachherrschaft gesprochen 22Vgl. Brox JZ 65, S. 516. 23 Vgl. zu diesen Schuldverhältnissen S. 70 ff. 2·Vgl. Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S.357: "Eine wohl vom Sphärengdanke inspirierte Gefahrtragungsregel, denjenigen, in dessen Obhut sich die Sache befindet, gundsätzlich auch den Verlust der Sache tragen zu lassen, überzeugt schon wegen der Entlastung eines Mieters oder Entleihers vom Zufallsrisiko nicht, der doch auch die untergegangene Sache in seiner Obhut hat". 25 Vgl. zu § 582 a BGB ausfllhrlich S. 85 ff. 4 ReiDhardt

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

werden. Sollte dieser Gedanke wirklich der maßgebende Entscheidungsgesichtspunkt fUr die Regel des § 446 BGB sein, so fUhrt eine solche Deutung zwangsläufig zu Widersprüchen innerhalb der Gefahrtragungsproblematik des BGB, da doch § 446 BGB in der Rechtswissenschaft als Grundsatznorm der Gefahrtragung verstanden wird.

2. Die nicht durch das Beherrschbarkeitsprinzip erklärbaren Fälle und der Systemwiderspruch im Gefüge des Schuldrechts Die nachfolgende Untersuchung wird zeigen, daß der Beherrschbarkeitsgedanke zu Widersprüchen im System des Schuldrechts fUhrt und auch nicht alle von § 446 BGB erfaßten Fälle erklären kann.

a) Der Widerspruch zu § 324 I BOB

§ 446 BGB wird fUr sachgerecht gehalten, da aufgrund der Nähe zur Kaufsache der Käufer die Möglichkeit ihrer Überwachung erhalte, er könne die Sache vor Schäden bewahren. Gehe die Ware unter oder verschlechtere sie sich, so hätte der Käufer diesen Untergang oder die Verschlechterung verhindern können. Aus diesem Grunde soll eine Verlagerung der Preisgefahr gerechtfertigt sein. Diese Begründung könnte allenfalls dann richtig sein, wenn die Vertreter dieses Prinzipes der Ansicht wären, daß es dem Käufer auch zumutbar sei, alle Möglichkeiten zur Schadensabwendung wahrzunehmen und darüber hinaus auch, daß, von dem Zeitpunkt der Übergabe an, es die eigenen Belange des Käufers seien, fUr den Schutz der Ware zu sorgen, ihn also von diesem Zeitpunkt eine Obliegenheit treffe. Unter einer Obliegenheit versteht man überwiegend ein Verhalten, das dem eigenem und fremdem Interesse dient. 26 Eine Obliegenheitsverletzung liegt demnach bei schuldhaften, ursächlichen Verstoß des Gläubigers gegen eigene Belange vor. 27 Wenn der Käufer die Möglichkeiten zur Beherrschung hat, dann gehört es zu seinen Belangen diese Möglichkeiten wahrzunehmen, anderenfalls ist es gerecht, wenn der Käufer den Verlust zu tragen hat. Das Beherrschbarkeitsprinzip setzt demnach stillschweigend eine 26Ygl. Staudinger-Otto § 324 Rn. 10. 27Ygl. Ennan-Battes § 324 Rn. 2.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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Obliegenheit zum optimalen Schutz der Ware voraus. Daß die Vertreter des Beherrschbarkeitsprinzipes letztlich eine Obliegenheit annehmen 28, alle Möglichkeiten zur Schadensabwendung wahrzunehmen, wird deutlich bei der Formulierung Grunewa/ds: "Diese Anordnung des Gesetzes beruht auf der überzeugenden Überlegung, daß der Käufer nach der Übergabe die Kaufsache in seiner Gewalt hat und daher auch auf sie zu achten hat"29; oder, "daß dadurch sein Eifer bei der Wahrnehmung seiner Obhutspflicht gesteigert wird."JO Würde das Beherrschbarkeitsprinzip nicht zur Voraussetzung haben, daß eine Obliegenheit des Käufers zum optimalen Schutz der Kaufsache besteht, so würde dies gerade bedeuten, daß es nicht die Belange des Käufers sind und nicht in seinem Interesse liegt, Vorkehrungen zum Schutze der Kaufsache zu treffen, er also letztlich gegenüber dem Verkäufer Möglichkeiten zur Schadensabwendung nicht wahrzunehmen hat, er dazu nicht "verpflichtet" ist, die Schadensabwendung ihn folglich nichts angeht. Der Käufer wäre also zum Unterlassen von Schadenabwendungsmöglichkeiten berechtigt, er bräuchte sich um die Schadensabwendung nicht zu kümmern. Warum sollte man aber dem Käufer allein aufgrund der bloßen Möglichkeit der Schadensabwendung eine negative Rechtsfolge aufbürden, wo er sich doch gerade um die Wahrnehmung dieser Möglichkeit nicht zu kümmern braucht. Ist der Käufer zu einem Verhalten gegenüber seinem Vertragspartner berechtigt, dann darf ein solches Verhalten auch nicht zu einer negativen Rechtsfolge für ihn führen. Zwar besteht weiterhin die Möglichkeit der Schadensabwendung, gehört es aber nicht zur Obliegenheit des Gläubigers diese Möglichkeiten wahrzunehmen, so verhält sich der Gläubiger rechtmäßig, was keine negativen Rechtsfolgen für ihn haben kann. So führt Marl;n;us zu Recht aus: "Es ziehe keinesfalls schon die obligatorische Pflicht zur Überwachung einer fremden Sache die Haftung für den Zufall ohne weiteres (ohne besonderes Garantieversprechen) nach sich; die bloße Möglich2' Vgl. dazu auch Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 357, der den Inhalt dieses Prinzipes wohl auch in diesem Sinne versteht : "Die Sache befindet sich in der Sphäre des Empfllngers, der damit die Einwirkungsmöglichkeiten habe, und 'daher müßten ihn die Nachteile aus einem Unterlassen von Vorkehrungen zum Schutze der Sache treffen, das fUr die Schadensentstehung ursächlich sei. Doch überzeugt dieser Einwand auf dem Hintergrund einer auch von dessen Vertretern geforderten Kausalität der Pflichtwidrigkeit nicht". 29 Erman-Grunewald § 446 Rn. 1. JOEnderleiniMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Art. 67 Bem. 3.1; vgl. dazu auch Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9, bei seinen AusfUhrungen zum Problem, ob Besitzsurrogate der Übergabe im Sinne des § 446 BGB gleichgestellt werden können: "Der Erwerber andererseits hat noch nicht fUr die Sache zu sorgen. Es fiUlt also der bedeutsame Zweck, ihn zur Sorgfalt anzuhalten, fort".

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keit der Schadensabwendung sollte es noch viel weniger tun".J) Es muß sogar noch weitergegangen werden und gesagt werden: Die bloße Möglichkeit darf die Haftung fUr Zufall nicht nach sich ziehen. So scheidet auch eine Haftung gemäß § 324 I BGB aus, soweit der Gläubiger gegenüber dem Schuldner zu einem bestimmten Verhalten berechtigt ist. 32 Wenn aber schon bei üblichen Vorkehrungen, die der Gläubiger gemäß § 324 I BGB zu erbringen hat, ein berechtigtes Verhalten nicht den Gläubiger die Preisgefahr tragen läßt, ,dann soHte dies erst recht gelten, wenn darüber hinaus noch Anforderungen notwendig sind und der Käufer diese berechtigterweise nicht wahrnimmt. Man sollte und darf dem Gläubiger im Schuldverhältnis nicht aufgrund eines rechtmäßigen Verhaltens, eine negative Rechtsfolge, hier die Verlagerung der Preisgefahr, aufbürden. JJ Wenn ein rechtmäßiges Verhalten des Gläubigers den Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit, hingegen die Leistungspflicht des Gläubigers bestehen läßt, so wäre dies in der Tat ein höchst paradox und merkwürdig anmutendes Ergebnis, welches dem Sinn des Synallagmas bei gegenseitigen Verträgen zuwiderlaufen würde. Auch aus den Begründungen der BefUrworter des Beherrschbarkeitsprinzips läßt sich ersehen, daß von einer Obliegenheit des Gläubigers ausgegangen wird. So fuhrt Fi/ios gegen Martinius an: "Die Interessenlage beim Kaufvertrage ist nicht wie bei den anderen Verträgen, die sich nicht auf den Erwerb des Obligationsgegenstandes richten. Der besitzende Käufer (freilich nicht Eigentümer) fUhlt sich in Ansehnung der Kaufsache nicht so fremd wie Z.B. der Verwahrer. Er rechnet mit einem Eigentumserwerb, der rur die Gefahrenverteilung nicht ohne irgendeine Bedeutung sein kann.',J4 In dieser Formulierung kommt zum Ausdruck, daß der Käufer die Kaufsache schon in gewisser Weise als eigene betrachtet und es daher im eigenen Interesse des Käufers liegt, rur 3) Martinius ArchBUrgR 17, S. 65, gleicher Ansicht Krahmer, Gegenseitige Verträge, S. 126; vgl. Kaiser, Gefahrtragung im Kaufvertrage, S. 32, bezUglieh des bedingten Kaufes: "Das Argument, die Überwachung wäre jetzt schon möglich, ist nicht stichhaltig. Die Tatsache, daß jemand eine Einwirkungsmöglichkeit auf eine Sache hat, läßt ihn doch nicht die Gefahr tragen. Wenn die Übergabe z.B. nicht auf Grund des Vertrages erfolgt, hat sie ja auch nicht diese Wirkung". 32 Erman-Battes § 324 Rn. 3; Staudinger-Otto § 324 Rn. 10. 33 Ebenso ist es auch ganz h.M. zum UN-Kaufrecht, daß nach Art. 66 CISG unter den Begriff des Handeins oder Unterlassens kein rechtmäßiges Verhalten fallen kann, was anderenfalls bewirken wUrde, daß der Untergang oder die Beschädigung der Ware nicht zuflillig ist, vgl. dazu unten S. 32. Zwar betrim dieser Fall den Schuldner, doch kann auf der Gläubigerseite erst Recht nichts anderes gelten, weil den Gläubiger normalerweise überhaupt keine Mitwirkungsptlichten bezüglich der Leistung des Schuldners treffen . 34 Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 18.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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den Schutz der Ware zu sorgen. 35 Den Gläubiger trifft also eine Obliegenheit zum optimalen Schutz der Ware. Des weiteren wird auch von niemandem bestritten, daß der Käufer die Kosten der Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu tragen hat. Aber allein die Möglichkeit der Gefahrenabwehr, und darauf basierend die Vorschrift des § 446 BGB, bedeutet noch keineswegs, daß es legitim ist, den Käufer auch mit den Kosten aus einer eventuelIen Schadensvorsorge zu belasten. Die Kostentragung ist nämlich völlig unabhängig von der Beherrschbarkeit der Gefahr. Zur Tragung der Kosten ist auch zweifellos der Verkäufer in der Lage. Vielmehr ist der Käufer dem Verkäufer bei der ErfiilIung des Kaufvertrages behilflich, so daß dann auch einiges filr die Kostenbelastung des Verkäufers spräche, wolIte man in diesem Prinzip wirklich die Rechtfertigung filr § 446 BGB sehen. Man kann hier auch nicht entgegnen, würde man allein aufgrund der Möglichkeit der Gefahrenabwehr § 446 BGB filr gerechtfertigt halten, der Käufer trage die Gefahr nach § 446 BGB, so daß es seine Sache sei, die Kosten zu tragen, da er im eigenen Interesse tätig werde. Denn die Begründung zur Aufstellung des § 446 BGB, nämlich der Gesichtspunkt der Gefahrenbeherrschung, rechtfertigt gerade nicht die Kostentragungspflicht des Käufers, so daß er deswegen auch nicht mit den Kosten belastet werden dürfte. Eine solche Kostenbelastung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man von dem Zeitpunkt der Überwachungsmöglichkeiten an annimmt, daß eine Obliegenheit des Käufers zum Schutz der Ware besteht. Da der Schutz der Ware zur Obliegenheit des Käufers gehört, hat er auch die Kosten zu tragen, die aus der Wahrnehmung dieser Obliegenheit resultieren. Der Gedanke der Beherrschbarkeit muß demnach zum Inhalt haben, daß von dem Zeitpunkt der Besitzeriangung an eine Obliegenheit des Käufers besteht, filr den Schutz der Ware zu sorgen. Diese Obliegenheit stelIt keine echte Leistungspflicht gegenüber dem Schuldner dar, weil den Gläubiger normalerweise keine Pflichten hinsichtlich der Leistung des Schuldners treffen, es sei denn, daß der Gläubiger ausnahmsweise echte Mitwirkungspflichten übernommen hat. 36 Das Verhalten kann nicht

J5 Vgl. dazu Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9: "Außerdem liegt ein Unterschied darin, daß der Kauf zum dauernden Erwerb der Sache ruhren soll, der Erwerber also an ihr ein eigenes Interesse hat". 36 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, S. 147.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BOB

erzwungen werden, weil es an einer Rechtspflicht fehlt, die drohenden Nachteile erzwingen aber in aller Regel faktisch das von der Rechtsordnung gewUnschte Verhalten. 37 Da bei § 446 BGB aber nicht im Einzelfall geprüft wird, ob die Gefahr auch beherrschbar war, der Käufer somit im Falle des Untergangs diesen hätte verhindern können, sondern generell angenommen wird, daß die Gefahr beherrschbar ist, wird der Käufer immer mit der Gegenleistungsgefahr im Falle des Untergangs belastet. Letztlich wird also immer eine Obliegenheitsverletzung vermutet. Im Rahmen eines Kaufvertrages hat der Verkäufer dem Käufer grundsätzlich Besitz und Eigentum zu verschaffen. Erst dann hat er seine Pflichten aus dem Kaufvertrag im. Sinne des § 362 BGB erftlllt. Den Käufer treffen dabei Mitwirkungsobliegenheiten, wozu die hier interessierende Erhaltungspflicht gehört. § 446 BGB steht dabei in Zusammenhang mit den §§ 323-325 BGB. Für die Frage der Preisgefahr kommt vor allen Dingen § 324 I BGB Bedeutung zu. Nach dieser Vorschrift hat der Gläubiger den Kaufpreis zu zahlen, wenn die Unmöglichkeit der Leistung von ihm zu vertreten ist. Eine Vorschrift, die den Inhalt des Vertretenmüssens des Gläubigers ausdrücklich bestimmt, enthält das BGB nicht. § 276 BGB spricht nur von einem Vertretenmüssen des Schuldners. Zuzustimmen ist zunächst der Ansicht, die die vertragliche Risikoverteilung ftlr maßgeblich hält. Daher ist nach Sinn und Zweck der Abreden zwischen den Vertragsparteien zu prüfen, ob der Gläubiger zumindestens konkludent das Risiko der eingetretenen Leistungsstörung übernommen hat. J8 Dem Parteiwillen ist immer der Vorrang einzuräumen. Dies ergibt sich aus der Privatautonomie, die das höchste Prinzip unserer Zivilrechtsordnung darstellt, d.h. die Freiheit der Parteien in der Rechtsgestaltung, freilich nur in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB. Der Wille der Parteien ist somit der wichtigste Entscheidungsgesichtspunkt rur das Schicksal der Gegenleistung. Damit bleibt weiterhin die Frage zu klären, welchen Inhalt das "Vertretenmüssen" in § 324 I BGB hat, denn auf den Parteiwillen kann nur Rücksicht genommen werden, wenn sich im Vertrag auch ein Anhaltspunkt rur eine Risikoverteilung ergibt.

17Vgl. dazu Staudinger-Otto § 324 Rn. 7. 3"BOHZ 77, 320; MUnchKornrn-Ernrnerich § 324 Rn. 9; Erman-Battes § 324 Rn. 2.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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Es ist zu beachten, daß sich das schuldhafte Verhalten des Gläubigers nicht nur auf seinen eigenen Interessenkreis beschränkt, sondern daß durch das schuldhafte Verhalten des Gläubigers auch eine Beeinträchtigung der Rechtslage des Schuldners gegeben ist und der Ausgleich erst durch § 324 I BGB erfolgt.39 Bei der hier interessierenden Erhaltungspflicht handelt es sich um eine Pflicht, die von der Rechtsordnung zwar nicht erzwungen werden kann, wie dies bei echten Schuldnerpflichten der Fall ist, gleichwohl knüpft die Rechtsordnung bei Verletzung dieser Pflicht Nachteile an dieses Verhalten, weil dieses auch den Rechtskreis des Schuldners beeinträchtigt. Dieses Bild ist vergleichbar mit Fällen, in denen der Schuldner in den Rechtskreis des Gläubigers eingreift. 40 Auch hier wird die Beeinträchtigung durch einen Ersatzanspruch ausgeglichen. Daher finden die Grundsätze des Verschuldens (vgl. § 276 BGB) des Schuldners auf das schuldhafte Verhalten des Gläubigers entsprechende Anwendung. 41 Die entsprechende Anwendung verlangt dann die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht, also zumindestens einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Da den Käufer bezüglich einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache eine Erhaltungspflicht trifft, hat er diese verletzt, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt, also die üblichen und erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze der Sache unterläßt. In § 276 BGB steht aber gleichzeitig geschrieben, "sofern nicht ein anderes bestimmt ist".42 Findet § 446 BGB wirklich seine Berechtigung im Beherrschbarkeitsprinzip, so wäre stillschweigend etwas anderes bestimmt, da das Beherrschbarkeitsprinzip gerade zur Voraussetzung hat, daß dem Käufer der optimale Schutz der Ware obliegt. Die Erhaltungspflicht des Käufers hat dann nicht nur zum Inhalt, die erforderlichen und üblichen Vorkehrungen zum Schutz der Ware zu treffen, sondern darüber hinaus hat der Käufer auch alles zu tun, was sonst noch rur den Schutz der Ware erforderlich ist, wenn er die Möglichkeit der Schadensabwendung hat. Nimmt er dann diese Möglichkeiten nicht wahr, so hat er eine 39Ygl. Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 342. 4('Ygl. Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 342. ~I SO auch die h.M.: Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 343; Larenz, SehR I, § 25 111; Fikentscher, Schuldrecht, § 44 111 2 b; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, S. 148; MUnchKommEmmerich § 324 Rn. 7; Staudinger-Otto § 324 Rn. 10; Palandt-Heinrichs § 324 Rn. 3; JauemingYollkommer § 324 Anm. 2 b; Medicus, BR, Rn. 269; Nassauer, Sphärentheorie, S. 192 ff. ~2 § 276 BGB soll im Zuge der Schuldrechtsreform gelindert werden. Abs. 1 der Vorschrift soll dann lauten: Ist etwas anderes weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt oder der Natur des Schuldverhältnisses zu entnehmen, so hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Die Vorschriften der §§ 827, 828 sind entsprechend anzuwenden.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

Obliegenheitsverletzung begangen, womit er dann den Untergang gemäß § 324 I BGB zu vertreten hat. War die Gefahr also beherrschbar, so hat er diesen Untergang immer gemäß § 324 I BGB zu vertreten, da er Möglichkeiten zur Schadensabwendung nicht wahrgenommen hat, obwohl ihn diesbezüglich eine Obliegenheit traf. 43 § 446 BGB wäre dann nahezu überflüssig. Für den Anwendungsbereich des § 446 BGB blieben dann nur noch die Fälle übrig, die in concreto gar nicht beherrschbar sind. Der Erklärungsversuch der herrschenden Meinung nimmt § 446 BGB somit gerade die Anwendungsfälle, durch die dieser gerechtfertigt werden soll und läßt § 446 BGB nur noch einen Bereich, der ohnehin nicht durch das Prinzip der Beherrschbarkeit erklärt werden kann. Aus diesem Grund sollte der Beherrschbarkeitsgedanke als Erklärungsversuch fUr die Vorschrift des § 446 BGB verworfen werden. 44

b) Die Beherrschbarkeit der von § 446 BGB erfaßten Gefahren

§ 446 BGB spricht nur von zufälligen Ereignissen. "Zufällig" sind Untergang, tatsächlicher Verlust und Verschlechterung, wenn die Vorgänge von keiner Partei zu vertreten sind. Dies hat Beitzke zu der Erkenntnis gefilhrt, daß der Erklärungsversuch der herrschenden Meinung, ab dem Zeitpunkt der Besitzerlangung erlange der Käufer die Überwachungsmöglichkeiten, dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes widerspreche, wonach der Käufer gerade die Gefahren des zufälligen Untergangs und zufälliger Verschlechterung trage, also das Risiko von Gefahren, die er gerade nicht beherrschen könne. 45 43 Beim Versendungskauf stößt der Beherrschbarkeitsgedanke nicht auf den Widerspruch bezUglieh des § 324 I BGB, da es hier nicht um die Beherrschungsmöglichkeiten des Gläubigers, sondern um die des Schuldners geht. Auch außerhalb des Schuldrechtssystems wUrde es nicht zu einem solchen Widerspruch kommen, da dort nicht die Bestimmungen des Leistungsstörungsrecht einschlägig sind. Dies gilt insbesondere bei der Gefllhrdungshaftung. Hier stößt die Beherrschungsthese nur auf den Widerspruch, daß die Gefllhrdungshaftung auch unbeherrschbare Gefahren umfaßt. 44Vgl. Martinius ArchBUrgR Bd.l7, S.61: "Man ist aber gegenUber der klaren Vorschrift des Gesetzes nur berechtigt, zu bedauern, daß der Gedanke an die Möglichkeit der Überwachung durch Käufer von Übergabe an bei den gesetzgeberischen Erwägungen eine so hervorragende Rolle spielen durfte". 4~Beitzke MDR 1947, S. 281; vgl. dazu auch Kohler, Gestörte RUckabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 357; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 121; vgl. auch die Definition der Gefahr bei Bachmann, Gefahrubergang bei Gattungsschulden, S. 11: "Die Gefahrtragung umfaßt heute also nur noch zufllllige, schädigende EinflUsse, die nicht zu vermeiden sind und nicht vorhergesehen werden können"; Schmutz, Gefahrentragung beim Kaufvertrag, S. 98: "Zufllllige und somit dem Käufer nicht anlastbare Vorkommnisse werden dann ange-

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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Gleicher Ansicht ist Glass: "Bei zuflllligem Untergang der Sache handelt es sich ja doch um Ereignisse, die durch die üblichen und erforderlichen Schutzvorkehrungen eben gerade nicht abwendbar waren". 46 Die generelle Annahme, daß die §§ 446, 447 BGB nur Gefahren erfassen, die nicht beherrschbar seien, ist in dieser Verallgemeinerung nach der Ansicht Schilchers und wohl auch der übrigen Rechtswissenschaft nicht richtig. Danach erfassen die §§ 446, 447 BGB zwar nur Untergänge und Verschlechterungen der Ware, die nicht zu vertreten seien; dies schließe jedoch die Annahme der Beherrschbarkeit nicht aus. Nach Schilchers Ansicht seien ohne weiteres Fälle denkbar, in denen der Untergang der Ware nicht auf einem Vertretenmüssen des Gläubigers beruhe, der Gläubiger jedoch gleichwohl in der Lage gewesen sei, die Gefahr abzuwenden, daß Unterlassen dieser Vorkehrungen aber kein Vertretenmüssen im Sinne des § 324 I BGB darstelle. 47 Das Unterlassen von nommen, wenn deren Eintritt rur den Verkäufer unvermeidbar und in den meisten Fällen unvoraussehbar ist"; Staub-WürdingerlRöhrricht Vor § 373 Anm. 181: "So einleuchtend dies auf den ersten Blick zu sein scheint, muß doch gefragt werden, ob die Beherrschbarkeit wirklich als innerlich tragender Grund rur die Regelung des § 446 BGB aufrechterhalten werden kann. Da § 446 BGB ausschließlich das Risiko rur Zufallsschäden verteilt, bezeichnet die Beherrschbarkeit in diesem Zusammenhang nicht die Möglichkeit, bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Schäden an der Sache zu vermeiden, wie es der Wortsinn bei unbefangener Betrachtung nahe liegt. Sie soll vielmehr als Kriterium rur die Auferlegung der Haftung rur solche Nachteile dienen, die auch bei sorgfliltigen Verhalten eingetreten wären. Beherrschbar bedeutet hier soviel wie: wenn überhaupt vermeidbar, dann eher vom Käufer als vom Verkäufer. Eine solche Betrachtung läuft von vornherein Gefahr, die Dinge durch eine verzerrte Optik zu sehen"; ebenso Nassauer, "Sphärentheorien", auf S. 146 in Bezug auf den Werkvertrag: "Zuflillige Nachteile sind gerade solche, zu deren Verhütung keine der Parteien des Schuldverhältnisses eine Möglichkeit hatte. Würde der Werkunternehmer die Möglichkeit gehabt haben, einen Schaden zu verhüten, so hätte er ihn verhüten müssen, hat also den Eintritt des Schadens gern. § 276 Abs. I Satz I BGB zumindestens wegen Fahrlässigkeit zu vertreten. Es liegt dann kein Sachverhalt der Gefahrtragungshaftung, sondern ein solcher der Verschuldenshaftung vor. § 644 Abs. I Satz I BGB greift nicht ein". -I6Glass, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 28. 47 Schilcher JurBI 1964, S. 400. Vgl. auch Sickinger, Gefahrtragung und Haftung beim Rücktritt, S. 153: Nicht jedes Unterlassen von Vorkehrungen zum Schutz der Sache ist schuldhaft. Abgesehen davon ist das Beispiel Sickingers rur die Erklärung des Herrschaftsprinzipes verfehlt. Sickinger ruhrt aus: "Kein Käufer ist etwa verpflichtet, seinen PKW mit einer Alarmanlage zu versehen. Erfolgt eine Sicherung gleichwohl, dann ist dies eine zusätzliche Schutzmaßnahme, zu der aber nur der Käufer und nicht der Verkäuter in der Lage ist. Oder anders ausgedrückt: Wird ein PKW gestohlen, dann hätte dieser rur die Parteien zuflillige Verlust der Sache durch die Installation einer Alarmanlage (mögiicherweise) verhindert werden können; der zutallige Verlust des PKW wäre also durch eine entsprechende Vorkehrung, die aber nur vom Käuter vorgenommen werden konnte, zu verhindern gewesen. Dies zeigt, daß die Überlegung, in wessen Herrschaftsbereich sich die Sache befindet, sehr wohl ein wichtiger, wenn nicht sogar entscheidender Aspekt fUr die Gefahrverteilung ist." Dieses Beispiel von Sickinger ist verfehlt. Warum sollte nur der Käuter in der Lage gewesen sein, eine Alarmanlage einzubauen? Würde man nämlich die Gefahrtragungs-

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

den erforderlichen und üblichen Schutzvorkehrungen wird in der Regel ein Vertretenmüssen im Sinne des § 324 I BGB darstellen, von § 446 I BGB sollen dann die Fälle erfaßt werden, in denen durch optimale Sorgfaltsanforderungen, damit sind solche gemeint, die die im Verkehr erforderliche Sorgfalt übersteigen und sich auch nicht aus dem Vertrag selbst ergeben, die Gefahr hätte verhindert werden können. Aus diesem Grund soll nach dieser Ansicht § 446 I BGB auch die "bewachbaren" Risiken erfassen. 48 Zum einen ist dies nicht richtig, da bei einem Untergang, den der Gläubiger hätte verhindern können, immer ein Vertretenmüssen gemäß § 324 I BGB vorliegt und zum anderen müßte jedenfalls im Einzelfall geprüft werden, soIIte die Erwägung der Beherrschbarkeit wirklich richtig sein, ob die Gefahr auch beherrschbar war. Denn man kann einem Käufer nicht die Gefahr, die für ihn gar nicht beherrschbar ist, mit der Begründung auferlegen, in seiner Hand liege die Gefahrenbeherrschung. Aufgrund der von der herrschenden Meinung verstandenen ratio legis dürfte § 446 BGB also in den Fällen höherer Gewalt nicht angewendet werden. 49 Nur Heck ist in seiner Ansicht konsequent, wenn er einen Gefahrübergang nach § 446 I BGB im FaIIe der Beschlagnahme ablehnt, da der Käufer die Gefahr der Beschlagnahme nicht beherrschen könne. 5o Heck geht sogar noch weiter und verneint einen Gefahrübergang, wenn die Gefahr unabhängig von der Lage der Sache sei. 51 Dieser Erkenntnis hat sich jedoch die überwiegende Literatur nicht angeschlossen. So lehrt z.B. Larenz, daß jeder grundsätzlich den ZufaII, der sich in seinem Herrschaftsbereich ereigne, selbst tragen müsse. Wenn dieser zu ver-

regel des § 446 BGB umkehren, so könnte man zu dem Schluß gelangen, daß der Verkäufer die Gefahr eines Diebstahls beherrschen kann, indem er nur Autos verkauft, in denen eine Alarmanlage installiert ist. Zu einer solchen Installation ist der fachmännische Autoverkäufer sogar noch geeigneter als ein Verbraucher in der Lage. Vor allem kann der Verkäufer eine solche Installation preisgünstiger vornehmen. Auch kann nicht gesagt werden, daß der Einbau der Alarmanlage überhaupt in jedem Fall einen Diebstahl hätte verhindern können, was auch Sickinger andeutet, wenn er von "möglicherweise" spricht, die Gefahr des Diebstahls also Oberhaupt beherrschbar war. Eine Antwort auf diese Frage kann der Beherrschbarkeitsgedanke gerade nicht Iietern. Das Beispiel von Sickinger ist somit als Rechtfertigung rur das Beherrschbarkeitsprinzip nicht geeignet. 4H Schilcher JurBI 1964, S. 400. 4~Vgl. von Schenck, Begriff der "Sphäre", S.246; Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungs kauf, S. 61. ~l Heck, Schuldrecht, § 84 Ziff. 2. SI Heck, Schuldrecht, § 84 Ziff. 2.

I. Das Beherrschbarkeitsprinzip

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meiden gewesen sei, so wäre ja nur er in der Lage gewesen, ihn zu vermeiden und in der Regel werde auch er es sein, der sich gegen den Verlust versichere. 52 Dagegen hat schon Schi/eher eingewandt, daß dies nur mit Einschränkungen richtig sei. Der Herrschaftsbereich rechtfertige die Gefahrtragung nur soweit, als sich die Gefahr tatsächlich beherrschen lasse. 53 Da § 446 I BGB aber auch den Bereich der höherer Gewalt umfaßt, bleibt bei § 446 BGB jedenfalls ein Bereich, der mit dem Beherrschbarkeitsgedanken nicht gerechtfertigt werden kann. 54 In solchen Fällen war der Besitzer gerade nicht in der Lage die Gefahr abzuwenden und daher muß zwingend das Beherrschbarkeitsprinzip versagen. 55 '2 Larenz, SchR 11/ I, § 42 H a. '3 Schilcher JurBI 1964, S. 400; Mataja sah sogar im Beherrschbarkeitsgedanken die Berechtigung von casum sentit dominus, vgl. Mataja, Recht des Schadensersatzes, S. 19 ff.. Dagegen fllhrte schon Max Rümelin, Grunde der Schadenszurechnung, S. 13/14, an: "Da lässt sich freilich unschwer nachweisen, dass dieser Zweck durch den Satz casum sentit dominus in einer grossen Zahl von Fällen nicht erreicht werden kann. Man braucht ja nur an die Fälle der vis major zu erinnern. Die römische Jurisprudenz ist aber auch weit entfernt davon gewesen, an derartiges zu denken". 54 Der Gedanke der Gefahrenbeherrschung ist auch Ansatzpunkt fllr die Erklärung der Gefllhrdungshaftung. Der Schädiger beherrsche die Gefahrenquelle, und es handele sich um solche Gefahren, die in dem von ihm beherrschten Einstands- oder Gefahrenbereich gehörten (vgl. Oertmann Recht 1922 Sp. 5; Larenz, SchR 11, § 771, 12. Autl.; Kötz in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 11, S. 1779, 1789). Dieser Gedanke hat sich jedoch in der Getlihrdungshaftung als Hauptzurechnungsgrund nicht durchsetzen können, vgl. dazu Zachert, Haftung aus vermutetem Verschulden, S.22; Blaschczok, Gefllhrdungshaftung und Risikozuweisung, S. 1 ff. So schreibt Blaschczok, Gefllhrdungshaftung und Risikozuweisung, S. 66: "Diese "Beherrschungs"-These darf nicht zu Mißverständnissen verleiten. Gebraucht wird die Getllhrdungshaftung ja gerade fllr solche Schäden, die durch Sorgfalt nicht vermeidbar sind, also für solche Risiken, die in concreto gerade nicht beherrschbar sind. Um eine wirkliche Gefahrenbeherrschung geht es also nicht. Er beherrscht es in dem Sinne "abstrakt", daß er es vermeiden könnte, das Risiko einzugehen, indem er nämlich seine Aktivitäten gar nicht erst aufnimmt; ist er es aber eingegangen, hat er es nicht mehr in seiner Gewalt. Dieser Zusammenhang belegt, daß man dem Verletzer das Risiko zum einen deswegen zuweisen will, weil er es mit der Übernahme der Herrschaft über den gefllhrdenden Betrieb gewissermaßen mit übernommen hat. Das ist nichts anderes als der bisher erörterte Gesichtspunkt, daß, wer erkannte Gefahren in die Welt trage, auch haften müsse." Larenz, der den Gesichtspunkt der Gefahrbeherrschung anfllhrt, kommt demnach auch nicht zur konsequenten Anwendung dieses Aspektes. "Es entspricht einem verfeinerten Verantwortungsbewußtsein, die Verantwortung auch fllr solche Schäden anderer auf sich zunehmen, die man zwar bei aller Sorgfalt nicht vermeiden konnte, die aber mit einer Gefahrenquelle, die man, wenn auch erlaubterweise geschaffen hat oder unterhält, "unvermeidlich" zusammenhängen". (Larenz, SchR H, § 77 I, 12.Aufl.) Zwar ist die Gefllhrdungshaftung von der Gefahrtragung in Schuldverhältnissen zu unterscheiden, da dies zwei verschiedene Rechtsgebiete sind. Der Gesichtspunkt der Gefahrbeherrschung wird bei beiden Rechtsgebieten jedoch in ähnlicher Weise verwendet und stößt demzufolge auch auf gleiche Bedenken. "Vgl. dazu auch Koller, Risikozurechnung, S. 88, demzufolge bei dem Prinzip der abstrakten Beherrschbarkeit nicht völlig auf eine Einzelfallbetrachtung verzichtet werden dürfe, und die abstrakte Beherrschbarkeit von Risiken jedenfalls dort verneint werden müsse, wo das die Störung

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

Weshalb dann der besitzende Käufer die Gegenleistung erbringen muß, obwohl nicht vollständig erfullt wurde, ist mit Hilfe des Beherrschbarkeitsgedankens nicht zu erklären. Auch beim Versendungskauf wird die Gefahrtragung rur Geschehnisse gebraucht, die gar nicht beherrschbar sind. Dies trifft zum Beispiel auf Fälle der höheren Gewalt, so z.B. einem Orkan auf hoher See, zu. Beim Versendungskauf ist insbesondere zu bedenken, daß die Einwirkungsmöglichkeiten und somit Beherrschungsmöglichkeiten bei einer auf dem Transport befindlichen Ware ohnehin sehr viel geringer sind, als wenn der Verkäufer die Ware noch im Besitz hat. Die Zahl der Geschehnisse, die nicht beherrsch bar sind, wird daher beim Versendungskauf eine wesentlich höhere sein. Die Gefahren sind rur den Verkäufer nur noch in einem sehr begrenzten Maße beherrschbar, denn in tatsächlicher Hinsicht sind die Möglichkeiten des Verkäufers zur Schadensabwendung meist nicht größer als die des Käufers, da die Ware räumlich während des Transportes von bei den in gleicher Weise entfernt ist. Zudem gibt es auch Gefahren, die sowohl vom Käufer als auch vom Verkäufer, eventuell sogar besser vom Verkäufer, beherrscht werden können, ohne daß dabei eine Vertragsverletzung seitens des Schuldners vorzuliegen braucht,

auslösende Ereignis evident unbeherrschbar sei. In einem solchen Fall müsse eine Zurechnung kraft abstrakter Behherrschbarkeit ausscheiden. Ansonsten ist die Darstellung Kollers in Bezug auf die Gefahrtragungsregel des § 4468GB nicht widerspruchsfrei. Denn zunächst hält er die Kritik Beitzkes im Ergebnis durchaus rur berechtigt, da es nicht angehe, dem Käufer Risiken autgrund des Beherrschbarkeitsprinzipes zuzurechnen, die er gar nicht beherrschen könne. Von daher sieht er den entscheidenden Grund des § 446 I BGB im Veranlassungsgedanken. Koller tUhrt aus: "Der Käufer, der sich die Ware nicht sofort nach Vertrags schluß übereignen und übergeben läßt, setzt den Verkäufer einem Lagerrisiko aus. Er veraniaßt die Gefahr, daß das Kaufobjekt beim Verkäufer beschädigt oder zerstört wird, bevor der volle Leistungserfolg eingetreten und das Bedürfnis des Käufers befriedigt ist. Diesem Risiko hätte der Verkäufer ausweichen können, wenn er die Sache an einen anderen potentiellen Nachfrager veräußert hätte, bei dem sie möglicherweise nicht untergegangen wäre." Letztlich ist dies der Gedanke Jherings zur Begründung des Prinzipes'pericu/um est emptoris". Koller ist dann jedoch der Ansicht, daß der Gesetzgeber dieses Veranlassungsprinzip zu Recht nicht verabsolutiert habe, da der Verkäufer bis zur Übergabe einen klaren Beherrschbarkeitsvorsprung besitze, so daß die Gefahr nicht mit Vertragsschluß, aber autgrund des Veranlassungsprinzipes in jedem Fall mit der Übergabe der Kaufsache übergehen solle, da dann dieser Beherrschbarkeitsvorsprung nicht mehr gegeben sei. Wenn Koller jedoch der Ansicht ist, daß die Zurechnung kraft abstrakter Beherrschbarkeit dort enden müsse, wo die Gefahr evident unbeherrschbar ist, dann müßte Koller auch konsequenterweise zu der Ansicht kommen, daß der Käufer mit Vertragsschluß die Gefahr zu tragen habe, wo das die Leistungsstörung ausiösende Ereignis tur den Verkäufer evident unbeherrschbar war, da dann der Beherrschbarkeitsvorsprung des Verkäufers nicht zum Tragen kommt. Zwar geht Koller kurz auf dieses Problem ein, tUhrt aber keinen einleuchtenden Grund tllr diese Inkonsequenz an, vgl. Koller, Risikozurechnung, S. 152-155.

1. Das Behemchbarkeitsprinzip

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da der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat, der Untergang aber durch höhere Sorgfalts anforderungen hätte verhindert werden können. Wieso sollte dann in einem solchen Fall der Käufer die Gefahr tragen? Müßte man in einem solchen Fall nicht denknotwendig zu der Annahme kommen, daß die Gefahr beim Verkäufer zu verbleiben habe? Indessen denkt man noch nicht einmal daran, einen solchen Umstand zu berücksichtigen. 56 Weshalb in einem solchen Fall gerade der Käufer die Gefahr zu tragen hat, ist durch den Beherrschbarkeitsgedanken nicht erklärbar.

3. Der "wahre Kern" des Beherrschbarkeitsprinzipes Seinen wahren Sinn erhält der Beherrschungsgedanke, wenn man sich eine Stellungnahme Hubers vergegenwärtigt: "Trägt der Besitzer die Gefahr nicht, so können schwierige Fragen der Abgrenzung von Zufall und Fahrlässigkeit auftreten; die Gerichte müssen im Einzelfall entscheiden, welche Sorgfalt der Besitzer auf die Bewahrung der Sache vor Schäden aufwenden muß. Trägt der Besitzer die Gefahr, entfällt dieses Problem. ,,57 Der Beherrschbarkeitsgedanke soll also dazu dienen, der im Besitz der Sache befmdlichen Partei alle Möglichkeiten abzuschneiden, das Gegenteil zu beweisen, nämlich, daß diese den Untergang oder die Verschlechterung nicht zu vertreten hat. Für den anderen Vertragsteil wird es sehr schwierig sein, aufgrund der Nichteinsichtnahme in den fremden Organisationsbereich, trotz der Beweislastumkehr, bei einem Entlastungsbeweis des anderen, den Gegenbeweis zu ruhren. Somit wird der Verkäufer häufig in eine schwierige Lage geS6 In Art. 66 UN-Kaufrecht ist dagegen filr einen solchen Fall eine Bestimmung getroffen worden. Danach verbleibt die Gefahr beim Verkäufer, wenn der Untergang oder die Beschädigung der Ware auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurUckzufilhren ist. Wie weit der Begriff des Handeins oder Unterlassens aber auszulegen ist, ist in der Rechtswissenschaft umstritten. Richtigerweise versteht die h.M. darunter nicht ein rechtmäßiges Verhalten, zur BegrUndung vgl. S. 31. S7 Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 17; vgl. auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 72, bezeichnet dies als ökonomischen Aspekt, daß eine Regel streitvermeidend und streitschlichtend wirken soll; ders. in Schlechtriern, Einheitliches Kaufrecht, S. 389: "Im übrigen wird über die Frage, ob der Untergang der Ware auf Zufall beruht oder vom Sachinhaber zu vertreten ist, weniger gestritten, wenn dieser ohnehin die Gefahr trägt"; ders. in v. CaemmererlSchlechtriem Art. 69 Rn. I; vgl. auch EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Vorbemerkungen S. 205; Schmutz, Gefahrentragung beim Kaufvertrag, S. 123; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 12; von Hoffmann, Passing of risk, S. 269, Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S. 37; Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9.

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raten. Es geht somit um Beweislastprobleme, dies ist der eigentliche Kern der Beherrschbarkeitsthese. Auch die Kommission hält es für sinnvoll § 447 BGB abzuschaffen, da Streit darüber vermieden werde, ob die Ware schon vor Aushändigung an die Transportperson mangelhaft gewesen sei oder sich erst danach verschlechtert habe und ob der Untergang oder die Verschlechterung der Ware während ihrer Beförderung auf einem Zufall oder auf einem Verschulden des Verkäufers beruhe. s8 Es sollen durch die Abschaffung des § 447 BGB Beweisprobleme vermieden werden. Die Tragweite des Gedankens, bei störenden Ereignissen sei zu berücksichtigen, in wessen Sphäre sie eingetreten seien, kann aber nur soweit reichen, daß dies zu einer entsprechenden Beweislastregelung führt, so wie dies durch die Anwendung des § 282 BGB erreicht wird. s9 Zwar ist es sicher nicht ganz unzutreffend, wenn gesagt wird, daß eine Beweislastumkehr dem Geschädigten deswegen oft nicht helfe, weil er keinen Zugang zum Beweisstoffe habe, so daß er einem angebotenen Exkulpationsnachweis kaum wirksam entgegentreten könne. 60 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß bei der Gefahrtragung der Käufer auch dann das Risiko des Untergangs und der Verschlechterung der Ware trägt, wenn in Wahrheit kein Verschulden vorliegt. Daß es einem Schädiger möglich ist, sein fehlendes Verschulden nachzuweisen, obwohl Verschulden vorliegt, kann nicht rechtfertigen, ihn auch für die Fälle zur Verantwortung zu ziehen, in denen wirklich kein Verschulden vorliegt. Zwar ist ohne Zweifel das Problem der Beweisnot gegeben, aber das Zutagetreten eines Problems stellt selbst noch keine Begründung für eine bestimmte Lösung dar. Eine solche Begründung müßte zum Inhalt haben, daß es richtig sei, den Käufer auch bei fehlenden Verschulden haften zu lassen. Das Verschuldungsprinzip sollte gerade überwunden werden, anstatt an diesem festzuhalten und der Frage nachzugehen, ob in Wahrheit vermutlich Verschulden vorliegt oder nicht.

Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 234. Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 28; so auch Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 357; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 121. "'Y. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 15; MUller-Erzbach AcP 106, S. 309. 5K

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Festzuhalten bleibt somit, daß es sicher streitvermeidend wirkt, wenn man einer Partei einseitig Risiken auferlegt und somit Beweislastproblemen aus dem Weg geht. Entscheidend bei der Schaffung einer Regelung kann aber nur sein, ob diese einseitige Risikoautbürdung sachgerecht erscheint. Ist sie dies nicht, so ist von einer solchen Regelung abzusehen, und es ist gegebenenfalls Beweis zwischen den Parteien zu erheben. Ob eine Regelung streitvermeidend unter den Parteien wirkt oder nicht, kann somit keinesfalls als Begründung herangezogen werden, sie ist allenfalls eine positive Begleiterscheinung einer sonst sachgerechten Regelung. Weiterhin ist zu beachten, daß die bei § 447 BGB anzutreffende von der bei § 446 BGB anzutreffenden Situation verschieden ist. Wenn die Übergabe erfolgt ist, geht es nur darum, ob der Gläubiger den Kaufpreis über § 446 BGB oder § 324 I BGB zahlen muß. SchadensersatzansprUche einer Partei kommen nicht in Betracht. Anders liegt es hingegen bei der Fallkonstellation des § 447 BGB. Erhält der Käufer die Ware nicht, weil sie untergegangen ist, so hat er nach geltendem Recht aufgrund der Norm des § 447 BGB den Kaufpreis zu zahlen. Hat der Schuldner den Untergang zu vertreten, so entlastet dies den Käufer nicht nur von der Kaufpreiszahlung, sondern darüber hinaus kommen auch bei verschuldetem Untergang seitens des Verkäufers noch Schadensersatzansprüche des Käufers in Betracht. Auch bei Abschaffung des § 447 BGB wird daher das Problem, daß gegebenenfalls zwischen den Parteien Beweis erhoben werden muß, ob nämlich ein Verschulden des Verkäufers vorliegt, nicht obsolet. Zwar braucht der Käufer in keinem Fall den Kaufpreis zu zahlen, dem Käufer können aber SchadensersatzansprUche zustehen..

4. Zusammenfassung Anhand dieser Untersuchung hat sich gezeigt, daß das Prinzip der Beherrschbarkeit als Begründung zu § 446 I BGB nicht aufrechterhalten werden kann. Durch dieses können gerade nicht die problematischen Fälle des unbeherrschbaren Untergangs geklärt werden. Zum anderen steht der Gedanke der Beherrschbarkeit in Widerspruch zu § 324 I BGB. Des weiteren hat sich gezeigt, daß andere Gefahrtragungsregeln diesem Prinzip nicht folgen, so daß auch keineswegs von der Allgemeingültigkeit eines solchen gesprochen werden kann, es vielmehr zu Widersprüchen im Gefahrtragungssystem führt. Aus diesem Grunde kann das Beherrschbarkeitsprinzip auch keine Rechtfertigung für die Streichung des § 447 BGB bilden.

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11. Die Berechtigung der Vorschrift aufgrund des Gedankens der Erf"üllung Ein weiterer BegrUndungsversuch erklärt die Vorschrift mit Hilfe des Gedankens der Erftlllung. Mit Verschaffung der Sachherrschaft und der Nutzungsmöglichkeit sei das typische Vertragsinteresse des Käufers befriedigt. Damit habe der Verkäufer inter partes erftlllt. An diese Erftlllung knüpfe sich der GefahrUbergang, so daß das Traditionsprinzip den Gedanken des Synallagmas realisiere. 61 Diese Ansicht steht jedoch nicht im Einklang mit den Vorschriften des BGB. Gemäß § 433 I BGB ist der Verkäufer nicht nur zur Übergabe, sondern auch zur Eigentumsverschaffung verpflichtet. Diese Eigentumverschaffungspflicht besteht gerade gegenüber dem Käufer, so daß nicht einfach gesagt werden kann, auf die Übereignung komme es inter partes nicht an. 62 Vollständig geleistet im Sinne des § 362 BGB ist vielmehr erst dann, wenn der Verkäufer dem Käufer Besitz und Eigentum verschafft hat, so daß § 446 I BGB eine Durchbrechung des synallagmatischen Prinzipes darstellt und nicht dessen Durchführung. 63 § 362 BGB, der ja gerade die Erfüllung zwischen den Parteien regelt, knüpft nicht an die Vollendung der Leistungshandlungen, sondern an die Vollendung des Leistungserfolges an. Auch wenn der Verkäufer zum großen Teil erfüllt hat, so hat er dennoch nicht vollständig geleistet, denn nachwievor ist im Regelfall der Verkäufer dem Käufer gegenüber zur Eigentumsverschaffung verpflichtet. Die Gefahr geht grundsätzlich aber erst dann über, wenn vollständige Erfüllung gemäß § 362 BGB eingetreten ist, so daß sich aus dem Gedanken der inter partes Erfüllung § 446 BGB nicht rechtfertigen läßt. Ebenso kann die Rechtfertigung des § 446 I BGB nicht in der "modifizierten Erfüllungstheorie" Schilchers gesehen werden, nach der grundsätzlich der Käufer mit Vollendung der Leistungshandlungen die Gefahr tragen solle. 64 Denn 61 Vgl. Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 69; ders. in Schlechtriern, Einheitliches Kaufrecht, S.389. 62 So aber Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 68. 63 So auch Walter, Kaufrecht, § 6 I I; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 17/27; Kreß, Allgemeines Schuldrecht, S. 413; Oertmann, BGB, § 446 Anm. I; Schwenn AcP 152, S. 139; von Hugo, Bedeutung des EigentumsUbergangs, S. 35; Vollmer, Bedeutung der Übergabe im § 446, S.70; WetzmUlIer, Übergang der Gefahr, S. 11; Palleske, GefahrUbergang gern. § 4461 BGB, S.52; Boettge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S. 38. 64 Schilcher JurBI 1964, S. 402 ff.

III. Das Korrelat Nutzungen - Gefahr: Cuius periculum eius et commudum

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der Verkäufer soll grundsätzlich den Kaufpreis erst dann bekommen, wenn er den Erfolg, d.h. Eigentums- und Besitzverschaffung, herbeigeführt hat (vgl. §§ 362,433 BGB). Von daher ist es nicht möglich zu sagen, daß dies schon mit Abschluß der Leistungshandlungen der Fall ist. Diese Ansicht ist mit dem BGB nicht zu vereinbaren.

111. Das Korrelat Nutzungen - Gefahr: Cu;us periculum e;us et commudum Vielfach wird § 446 I BGB mit dem Prinzip Cuius periculum eius et commudum begründet. § 446 I BGB beruhe auf dem Gedanken der Zusammengehörigkeit von Vorteil und Risiko, wie sich insbesondere aus § 446 I S.2 BGB ergebe. 65 § 446 BGB knüpfe den Gefahrübergang an dessen Nutzungsfunktion. 66 Nach Rabel kommt man zu diesem Ergebnis auf dem Umweg über das Eigentum. Weil in den meisten Rechten die Nutzungen dem Eigentümer zustehen und dieser auch die Gefahr trage, schließe man auf einen notwendigen Zusammenhang von Nutzungen und Gefahrverteilung. Der Grundsatz, daß der Eigentümer regelmäßig mit den Nutzungen auch die Gefahr übernehmen soll, erscheine gerecht. Keineswegs bestehe aber ein notwendiger Zusammenhang zwischen Gefahr und dem Recht aufNutzungen. 67 Dafür spricht auch, daß das Bürgerliche Gesetzbuch dieses Prinzip, welches von einer Abhängigkeit zwischen Gefahr und Nutzungen ausgeht, ausdrücklich nicht als ein allgemeines anerkennt. Dies wird anhand der Gesetzesgeschichte deutlich: "Der Entwurf erkennt mit dem § 463 68 überhaupt keineswegs das 65Canaris in Fs. rur Wemer Lorenz, S. 28; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 8; Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskaut: S. 82; Klink, Sphärentheorie rur Ausgleichsmodi, S. 97; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S.37; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 18; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 114; Honsell MDR 1970, S. 718. (>6 Klink, Sphärentheorie rur Ausgleichsmodi, S. 97. 6' Rabel, WarenkauflI, S.297; vgl. auch Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 12 ff.; Schmutz, Gefahrentragung beim Kaufvertrag, S. 24: "Das Nutzungsrecht genügt nicht zur Begründung der Gefahrtragung. ... Das Risiko, daß die Kaufsache untergeht oder sich verschlechtert, besteht immer. Es ist aber nicht sicher, ob sie auch einen Nutzen abwirft. Zudem gibt es wohl keinen Nutzen, der die Gefahr des völligen Unterganges wettmachen könnte."; Buchholz, Konzentration und GefahrUbergang, S. 110. 68 Heutiger § 446 BGB. 5 Reinhardt

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

Prinzip an, daß, wer die Gefahr trage, stets auch Anspruch auf die Nutzungen habe, als ein allgemeines an. Vielmehr entscheide der explizite oder vermutliche Parteiwille Uber die Nutzungszuweisung ...69 Im BGB ist dieses Prinzip dann auch keineswegs konsequent durchgefllhrt worden. So darf im EigentUmer-Besitzer-Verhältnis der gutgläubige Besitzer die Nutzungen behalten, wo hingegen der EigentUmer die Gefahr trägt.70 Im Falle des Verzuges erhält derjenige, der die Gefahr trägt, nicht die Nutzungen. Schließlich bleiben auch beim Versendungskauf gemäß § 447 BGB die Nutzungen beim Verkäufer, während der Käufer ab dem Zeitpunkt der Übergabe an die Transportperson die Gefahr trägt. Überhaupt ist auch fraglich, welcher Komplex von welchem Komplex abhängig sein soll. Trägt nun derjenige die Gefahr, der den Nutzen hat oder hat derjenige den Nutzen, der die Gefahr trägt?71 Eine Antwort auf diese Frage läßt sich aus diesem Prinzip gerade nicht herleiten. Das Prinzip Cuius periculum eius et commudum ist somit nicht in der Lage, die Vorschrift des § 446 I BGB zu begrUnden.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus Im folgenden wird anhand der Regel casum sentit dominus eine Lösung rur § 446 BGB entwickelt. Dies mag zumindestens Uberraschen, da dieses Prinzip nach allgemeiner Meinung als Lösung rur die Gefahrtragungsproblematik beim Kauf abgelehnt und zumeist bloß als Uberkommene Rechtsparömie verstanden wird. 72 Aus diesem Grund soll zunächst aufgezeigt werden, daß sich dieser Satz

Mugdan Motive 11, S. 180. Vgl. dazu ausfilhrlich Klink, Sphärentheorie filr Ausgleichsmodi, S. 98 ff. 71 Vgl. dazu Schilcher, JurBI 1964, S. 40, dieser wendet sich gegen dieses Prinzip, da es nur ausdrUcke, daß Gefahr und Nutzen stets bei der selben Partei liegen sollte. Welchen der beiden Vertragspartner jedoch dieser Komplex aufzubürden sei, könne dieser Parömie keineswegs entnommen werden. Vgl. dazu auch das UN-Kaufrecht. Dort ist keine eindeutige Regelung über den Nutzungsübergang aufgestellt worden. In der Literatur wird deswegen vertreten, daß es nahe liege, demjenigen die Vorteile und Lasten zuzuweisen, der auch die Gefahr trage. Hier soll also der Zeitpunkt des Gefahrüberganges über die Verteilung der Nutzungen und Lasten entscheiden, und nicht der Gefahrübergang vom Nutzungsübergang abhangen, vgl. dazu Staudinger-Magnus Vorbem. zu Art. 66 ff. CISG Rn. 10; Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 176. 72 Vgl. Sorgel-Huber § 446 Rn. 26, seiner Meinung nach ist dieses Prinzip der Gefahrtragung im geltenden Recht nicht mehr anerkannt. 69

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IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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durchaus im geltenden Recht wiederfindet und keineswegs ein überholtes Sprichwort ist. An der daran anschließenden eingehenden Untersuchung des Satzes casum sentir dominus zeigt sich, daß rur die natürliche Geltung des Satzes casum sentit dominus ein anderes Verständnis als das bisherige notwendig ist, was dazu ruhrt, daß nicht immer der Eigentümer nach dem Prinzip casum sentit dominus die Gefahr zu tragen hat. Anhand dieses Verständnisses läßt sich dann die Gefahrtragungsproblematik innerhalb des BGB widerspruchsfrei lösen.

1. Das Verständnis von casum sentit dominus Nach heutigem Verständnis bringt dieser Satz zum Ausdruck, daß der Schaden auf demjenigen Vermögen haften bleibe, wo er zunächst auf Grund der einmal vorhandenen Vermögensverteilung und des Naturverlaufs eingetreten sei. 73 Da das Eigentumsrecht den Gegenstand im vollem Umfang dem Vermögen des Rechtsinhabers zuordnet, kommt man zu der Annahme, daß immer der Eigentümer zunächst die Gefahr zu tragen habe. Nach Max Rümelin ist eine Gefahrverteilung nach diesem Satz ein notwendiger Verzicht auf eine im höchsten Sinne gerechte Verteilung der Lebensgüter. "Dabei wird es auch, so lange die Rechtsordnungen überhaupt mit menschlicher Unvollkommenheit zu rechnen haben, bleiben müssen. So lange keine präcisirbaren Gründe rur die Zuweisung entstandenen Schadens an andere Vermögen sich aufzeigen lassen, wird der Schaden eben da haften bleiben müssen, wo er zunächst eingetreten ist. Man wird sich damit trösten, daß es unmöglich ist, bei allen casuellen Schäden eine Remedur eintreten zu lassen".74 Weyers fUhrt zu Sinn und Zeck aus, daß Grundlage der Regel casum sentit dominus eine individualistische Wirtschaftsverfassung sei, in der die rechtliche Zuweisung des Substanzwertes eines Gutes und die wirtschaftliche Nutzung eines Gebrauchswertes zusammenfallen und zudem einem Einzelnen zustehen, und eine liberale Vorstellung von den Aufgaben einer Rechtsordnung, weIche einen besonderen Anstoß brauche, um die grundsätzlich vom freien Spiel des Marktes getroffene Güter- und Schadenszuteilung zu korrigieren. 75

Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 13. 7. Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 13. 75 Weyers, Unfallschäden, S. 487; Fitz, Risikozurechnung, S. 81.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

Die Regel casum sentit dominus sagt also aus, daß als zufällig erscheinende Beeinträchtigungen kompensations los bei der Person verbleiben, die sie treffen. 76 Der zunächst Betroffene soll dabei immer der Eigentümer sein. 77 Für die Auferlegung des Schadens auf eine andere Person bedarf es dann besonderer ZurechnungsgrUnde.

2. Die Verwirklichung des Satzes casum sentit dominus im BGB Anhand der Zufallshaftung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und der Gefahrtragung in Miete und Pacht zeigt sich, daß sich die Gefahrtragung in diesen Verhältnissen nach dem Satz casum sentit dominus im bisher verstandenen Sinne richtet und casum sentit dominus keineswegs bloß eine überkommene Rechtsparömie ist. 78

a) Die Zufallshaftung des redlichen Eigenbesitzer im Eigentümer-Besitzer- Verhältnis

Der redliche Eigenbesitzer ist keiner Schadensersatzhaftung gemäß den §§ 989 ff. BGB unterworfen. Schon gar nicht trifft den redlichen Besitzer damit die Haftung ftir den zufälligen Untergang der sich bei ihm befindlichen Sache. Der redliche Besitzer soll nach dem Willen des Gesetzes besser gestellt werden, er haftet überhaupt nicht.19 Der zufällige Untergang der Sache trifft nach dem Satz casum sentit dominus den Eigentümer.

b) Die Zufallshaftung des redlichen Prozeßbesitzers im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Der redliche Prozeßbesitzer haftet nach der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht fllr Zufall. § 990 11 BGB bezieht sich nur auf § 990 I BGB, daher kann die Verzugshaftung den Prozeßbesitzer nur tref-

76Vgl. EsserlSchmidt, SehR AT, § 2111. 77 Vgl. statt vieler Westermann JA 1978, S. 481; HütTer JuS 1988, S. 128; von Oppen, Gefahrtragung beim Versendungskauf, S. I. ,. Vgl. dazu ausfiIhrIich Wacke in Fs. filr Heinz Hübner, S. 669 tI 79 Statt vieler Brox JZ 1965, S. 517.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

69

fen, wenn er spätestens durch die Klageerhebung unredlich wird, was aber nicht notwendig der Fall sein muß. 80 Somit kann der Eigentümer die Zufallsgefahr, wenn der Besitzer nicht unredlich wird, nicht auf den Besitzer abwälzen, obwohl er mit der Klageerhebung alles ihm mögliche getan hat, um seine Sache wiederzubekommen, die sich zu Unrecht in den Händen des Besitzers befindet. Der Zufall trifft wiederum den Eigentümer nach dem Prinzip casum sentit dominus.

c) Die Zufallshaftung des bösgläubigen Eigenbesitzers im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Der unredliche Besitzer haftet nach § 990 I BGB nur tUr Verschulden. Daneben bleibt gemäß § 990 II BGB eine weitergehende Haftung wegen Verzuges unberührt. Die Voraussetzungen des Verzuges richten sich im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis allein nach den §§ 284 ff. BGB. 8 \ Nur im Falle des Verzuges haftet der bösgläubige Eigenbesitzer gemäß § 287 S. 2 BGB auch tUr Zufall. Dies mit der Einschränkung, daß die Haftung entfiillt, wenn der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Des weiteren ist eine Haftung tUr Zufall auch dann vorgesehen, wenn die Voraussetzungen der §§ 992, 848 BGB vorliegen. Aber nicht alle von § 990 I BGB erfaßten Fälle stellen zugleich eine unerlaubte Handlung dar. 82 Der nicht im Verzug befindliche bösgläubige Besitzer wird demnach von der Haftung im Falle eines zufiilligen Untergangs frei, obwohl er wußte, daß er nicht zum Besitz berechtigt ist und somit damit rechnen mußte, daß er die Sache dem Eigentümer herauszugeben hat. Hier ist dem Besitzer die Zufallshaftung nicht mit der Begründung auferlegt worden, in seiner Hand liege die Gefahrenbeherrschung. Dies müßte eigentlich um so mehr gelten, wenn der

HnVgl. dazu Lange JZ 1964, S. 641; Löwisch, Zufallshaftung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, S. 50 ff., der dabei berechtigterweise auch auf den Wertungswiderspruch hinweist, daß nach § 8181V BGB i.V.m. § 292 BGB der Bereicherungsschuldner nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Bereicherungsklage nach den allgemeinen Vorschriften im Falle des Verzugs auch für Zufall haftet, wohingegen der Eigentümer nach Rechshängigkeit der Klage auch noch die Unredlichkeit des Besitzers herbeifilhren muß. Diese Ungleichbehandlung ist auch nicht durch die Verschiedenheit der Ansprüche § 812 BGB und §§ 987 tf. BGB gerechtfertigt. HI Allgemeine Meinung, statt vieler Löwisch, Zufallshaftung im EigentUmer-Besitzer-Verhältnis, S. 38. H2Vgl. dazu Brox JZ 1965, S. 518.

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§ 3 Ratio legis des § 446 1 BGB

Besitzer weiß, daß es sich bei der Sache um eine fremde Sache handelt, die er herauszugeben hat. Auch in diesem Falle kommt es zu Beweislastproblemen, ob Verschulden oder Zufall vorliegt. Dennoch hat der Gesetzgeber von einer anderweitigen Regelung abgesehen, und dem Eigentümer nach dem Prinzip casum sentit dominus die Zufallsgefahr aufgebürdet.

d) Die Gefahrtragung in Miete und Pacht

Ist dem Besitzer ein Besitzrecht eingeräumt, so haftet dieser nicht für den zufälligen Untergang der Sache. So erlöschen die Rückgabeverpflichtungen des Mieters (§ 556 I BGB) oder des Pächters (§§ 589-591 und § 556 i.V.m. § 581 II BGB ) beim zuflUligen Untergang der zurückgewährenden Sache gemäß § 275 BGB. Der Eigentümer trägt die Gefahr nach dem Satz casum sentit dominus.

e) Zusammenfassung

Anhand der vorhergehenden Untersuchung zeigt sich, daß es sich bei der Regel casum sentit dominus keineswegs um eine überholte Rechtsparömie handelt. Vielmehr hat diese Parömie ihre geltende Lebenskraft bei der Zufallshaftung bewiesen. Nach dem Satz casum sentit dominus richtet sich die Gefahrtragung in Schuldverhältnissen, die nicht eine Veränderung der Vermögens lage, d.h. keinen Wechsel des Eigentums, zum Gegenstand haben. 8J In diesen Verhältnissen begnügt man sich mit der Feststellung, daß der Eigentümer natürlicherweise die Gefahr zu tragen hat. Aber sollte man sich wirklich damit zufrieden geben oder läßt sich nicht vielmehr aus der EigentümersteIlung heraus, die Wirkung des Eigentumsrechts in diesen Verhältnissen, diese Gefahrverteilung begründen?

3. Der Inhalt des Satzes casum sentit dominus Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muß man sich zunächst darüber im klaren sein, daß diese Parömie zwei Arten von Gefahren beinhaltet.

KJ

Eine Ausnahme davon bildet § 582 a BGB, vgl. dazu S. 85 tl

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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Zum einen ist dies das periculum juris oder auch periculum rei genannt. Die Gefahr des periculum juris liegt unvermeidlich bei dem Inhaber des Rechtes. Geht die Sache unter, so erlischt natürlicherweise dieses Recht. Der Verlust des Rechtes ist Ausfluß des Wegfalls des Gegenstandes. Von Sehend spricht daher zu Recht von einer natürlichen Gefahrtragung, die durch den Satz casum senti! dominus nicht statuiert, sondern nur , als bereits naturgegebenes Axiom umschrieben wird. 84 Geht eine Sache unter, so verliert jeder das Recht, welches er an dieser Sache besaß. Der Eigentümer verliert sein Eigentumsrecht, wer ein Nießbrauch an der Sache innehat, verliert gleichzeitig dieses Recht. Ebenso geht der obligatorische Anspruch auf die Sache verloren, wenn diese untergeht. Der Anspruch kann sich allenfalls inhaltlich ändern, so daß an die Stelle des Anspruches auf die Sache nun ein Anspruch auf Schadensersatz tritt, aber der Anspruch auf die Sache geht natürlicherweise unter. Die Gefahr des Untergangs des Rechts kann nie vom Rechtsinhaber getrennt werden, ebenso wie die Gefahr des Erlöschens einer Forderung nie vom Forderungsinhaber getrennt werden kann. Von dem periculum juris denknotwendig zu trennen ist das periculum aestimationis, die Wertgefahr. Derjenige, der die Wertgefahr trägt, erleidet den wirtschaftlichen Nachteil in seinem Vermögen, so daß auch von der Gefahr der gänzlichen oder teilweisen wirtschaftlichen Einbuße am Vermögen eines Rechtssubjektes gesprochen werden kann. Das periculum aestimationis ist in der Literatur bisher kaum beachtet worden, nur in wenigen Schriften findet sich überhaupt eine Erwähnung dieser Gefahr. 85 Oft werden das periculum rei und das periculum aestimationis in einer Person vereinigt sein, da das Eigentumsrecht an einer Sache, diese und in den häufigsten Fällen dann auch den wirt-

... Von Schenck, Begriff der "Sphäre", S. 80, vgl. dazu auch Brox JuS 1975, S. I; Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskauf, S. 6; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 4; Stakemann. Gefahrtragung beim Kauf, S. 21; Boettge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S. 14; Wismeyer, Prinzip des GefahrUbergangs beim Kauf, S. 1/2; Martinius ArchBUrgR Bd. 17, S. 62; WetzmUlIer, Übergang der Gefahr, S. 7; Vollmer, Bedeutung der Übergabe im § 446, S. 2; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 3. os Vgl. von Schenck, Begriff der "Sphäre", S. 80; Filios, Gefahrtragung beim Kaut; S, 3 (Fn. 11): "Von dem "Periculum rei" ist das "Periculum aestimationis" scharf zu trennen. Diese Gefahr trägt selbstverständlich der Berechtigte, dessen Recht eine Wertminderung erlitten hat."; Vollmer, Bedeutung der Übergabe im § 446, S. 3; Atzler, GefahrUbergang beim Kaut; S. 23; vgl auch Wismeyer, Prinzip des GefahrUbergangs beim Kauf, S. 2: " ... ; die zußtllige Verschlechterung dagegen hat nicht einmal diese einfache Rechtsfolge. sondern nur die wirtschaftliche Bedeutung, daß die dinglichen Rechte weniger wert sind".

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schaftlichen Wert der Sache dem Vermögen des Rechtsinhabers zuordnet. 86 Dieser Umstand gibt dem Recht einen wirtschaftlichen Wert, so daß mit dem Untergang des Rechtes natürlicherweise auch der Inhaber des Rechtes den wirtschaftlichen Nachteil in seinem Vermögen erleidet. Das periculum rei und periculum aestimationis sind dann in einer Person vereinigt. Dennoch ist es notwendig, beide pericula voneinander getrennt zu. betrachten und zu behandeln, da erst dann die naturrechtliche Wirkung des Satzes casum sentit dominus deutlich wird und sich daraus dann notwendige Schlußfolgerungen ergeben. Daß beide pericula voneinander verschieden sind, zeigt sich vor allem in den Fällen, in denen das Vermögen einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden kann, obwohl überhaupt kein Rechtsnachteil eingetreten ist. 87 Jemand kauft Z.B. eine teure Software. Nach kurzer Zeit verliert der Käufer das Codewort zu dieser Software. Obwohl der Eigentümer keinen Rechtsnachteil erlitten hat, ist in seinem Vermögen ein wirtschaftlicher Nachteil eingetreten, da das Eigentumsrecht an der Software nichts mehr wert ist. Der Eigentümer hat einen Schaden erlitten. Wenn sich eine Sache bloß verschlechtert, hat dies auch nur zur Folge, daß die dinglichen Rechte weniger wert sind. Hier stellt sich nur die Frage, wer die Gefahr des wirtschaftlichen Nachteils in seinem Vermögen, das periculum aestimationis, zu tragen hat. Die Frage nach der Gefahr des Rechts, des periculum rei, stellt sich überhaupt nicht. Auch in diesen Fällen wird anhand des Satzes casum sentit dominus der zunächst betroffene Beteiligte festgestellt. 88 Festzuhalten bleibt somit vorerst, daß der naturrechtliche Satz casum sentit dominus sowohl das periculum rei als auch das periculum aestimationis umfaßt. Welche Bedeutung dies hat und wie sich die Gefahren zueinander verhalten, wird im folgenden dargelegt. Steht der Gegenstand in keiner rechtlichen Beziehung zu einer anderen Person, so verliert der Rechtsinhaber mit dem Untergang des Rechtes gleichzeitig den damit verbundenen wirtschaftlichen Wert. Je nachdem, um welche Art von Recht es sich handelt, erleidet das Vermögen des betroffenen Rechtsinhabers einen Nachteil. Der Zweck eines Rechts ist die güterzuordnende Funktion. Diese besteht darin, daß der Rechtsinhaber als einziger kraft dieses EigentumsHl. Vgl. dazu Fitz, Risikozurechnung, S. 81: Die Grundlage dieser ratio bilde eine liberale Wirtschaftsverfassung, in der die rechtliche Zuweisung des Substanzwertes eines Gutes und die wirtschaftliche Nutzung seines Gebrauchswertes zusammenfallen und zudem dem Einzelnen zustehen. So auch Weyers, Unfallschäden, S. 487. 117 Vgl. hierzu auch noch das Fallbeispiel auf S. 77. IUIVgl. Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 3.

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rechts die Befugnis hat, mit der Sache beliebig zu verfahren. Befindet sich das Rechtsgut nur in der Rechtssphäre des Eigentümers, so kommt nur dem Eigentümer aufgrund seiner Befugnisse, die ihm das Recht vermittelt, der wirtschaftliche Wert der Sache zugute. Daher trägt hier das periculum aestimationis selbstverständlich der dinglich Berechtigte, der durch den Verlust des Rechtes einen Vermögensgegenstand verliert oder dessen Recht eine Wertminderung erlitten hat. 89 Hier erstreckt sich die Wirkung des Satzes casum senti! dominus auch auf die in diesem Verhältnis mit der Rechtsgefahr von Natur aus verbundene Wertgefahr. Anders verhält es sich, wenn an der Sache zwei Rechte bestehen, so Z.B. ein Nießbrauch und das Eigentum. Geht die Sache unter, so verliert der Nießbrauchinhaber sein Recht; der Eigentümer verliert sein Eigentumsrecht. Das periculum aestimationis, die Höhe des wirtschaftlichen Nachteils, hängt aber davon ab, in welchem Umfang dem Berechtigten das Nutzungsziehungsrecht zustand, denn gemäß § 103011 BGB kann der Nießbrauch durch den Ausschluß einzelner Nutzungen beschränkt werden. Je weiter der Ausschluß reicht, desto geringer wird der wirtschaftliche Nachteil für den Nießbrauchinhaber. Umgekehrt hängt davon auch die Größe des wirtschaftlichen Nachteils für den Eigentümer ab. Denn je mehr Befugnisse an der Sache der Eigentümer schon übertragen hat, um so geringer wird der wirtschaftliche Nachteil fur sein Vermögen. Hier wird wiederum deutlich, daß der Satz casum sentit dominus sowohl das periculum rei als auch das periculum aestimationis beinhalten muß. Wie verhält es sich aber, wenn eine andere Person in schuldrechtliche Beziehung zum Gegenstand tritt? Die Beantwortung dieser Frage ist für die Lösung der Problematik bei der Gefahrtragung von entscheidender Bedeutung. Auch in diesem Fall trägt zunächst der Eigentümer das periculum rei, weil dieses vorn Eigentum nicht getrennt werden kann. Das periculum aestimationis kann jedoch von dem Eigentümer auf eine andere Person übergehen. Der Begriff des periculum aestimationis im Rahmen eines Schuldverhältnisses wird gemeinhin mit dem Begriff des periculum obligationis, wer also die Gefahr des wirtschaftlichen Nachteils innerhalb von Schuldverhältnissen zu tragen hat, umschrieben. 90 Bei beiden pericula geht es letztlich darum, welches Vermögen eines •• Vgl Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S.3; Wismeyer, Prinzip des GetilhrUbergangs beim Kauf, S. 1/2; WetzmUlIer, Übergang der Gefahr, S. 7. 'lOVgl. Atzler, GefahrUbergang beim Kauf, S. 23: "Der Begriff des periculum aestimationis innerhalb des Rahmen einer Obligation wird in der Literatur periculum obligationis genannt. Bei dem

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Rechtsubjektes mit dem wirtschaftlichen Nachteil aufgrund des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung einer Sache belastet wird. Aber ist es denn nun wirklich zutreffend und richtig, den Satz casum sentit dominus in dem Sinne zu verstehen, wie es von Schenck und wohl auch die übrige Rechtswissenschaft annimmt, daß, wenn die Rechtsordnung nicht eingreife, sich die Wirkung des Satzes casum sentit dominus natUrlicherweise auch auf die mit der Rechtsgefahr von Natur aus verbundene Wertgefahr erstrecke; und die persönliche Rechtssphäre dann auch wirtschaftlich das Zurechnungsfeld des Schadens bleibe, ohne daß diese ihre ipso jure gegebene Funktion eines besonderen Rechtssatzes bedürfe 91 , oder sind nicht vielmehr das periculum juris und periculum aestimationis von Natur aus trennbar, ohne daß es dazu eines besonderen Rechtssatzes bedarf? Wäre dies der Fall, so hätte nämlich nach dem Satz casum sentit dominus notwendigerweise nicht immer der Eigentümer das periculum aestimationis zu tragen.

a) Die Trennbarkeit von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung

Wenn daspericulum aestimationis überhaupt vompericulumjuris von Natur aus trennbar sein soll, so muß auch eine Trennbarkeit von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung möglich sein. Eine Aufspaltung von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung ist der heutigen Rechtswissenschaft keineswegs fremd. Schon das Reichsgericht hat eine solche Trennung in einem Urteil vorgenommen, indem es dem Treuhandeigentum eine Sonderstellung zuerkannte. Dazu führte das RG aus: "Es kann jedoch nicht behauptet werden, daß diese Ausdrücke notwendig in dem Sinne verstanden werden müßten, als ob das fonnale Eigentums- oder sonstige Recht des Gemeinschuldners das Entscheidende sein solle. Ein Gegenstand, der dem Gemeinschuldner zwar zum Eigentum übergeben worden ist, jedoch mit der Abmachung, daß derselbe gleichwohl von ihm nicht wie sein Eigentum behandelt werden dürfe, sondern wirtschaftlich ein Vennögensbestandteil des früheren Eigentümers bleiben solle, "gehört" dem Gemeinschuldner zwar formell und juristisch, aber nicht materiell und wirtschaftlich, und deshalb würde periculum obligationis handelt es sich also darum, wer innerhalb des Vertragsverhältnisses die wirtschaftlichen Folgen zu tragen hat, wenn die Sache, um die die Obligation eingegangen ist, sich zufltllig verschlechtert oder untergeht". 91 Von Schenck, Begriff der "Sphäre", S. 80.

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es vom letzterem Standpunkt aus sogar ungenau sein, wenn der Gesetzgeber jene Ausdrücke auch auf dieses Verhältnis hätte beziehen wollen".92 Ebenso sollen die vom Reichsgericht für das Treuhandeigentum entwickelten Grundsätze auch für das Sicherungseigentum gelten. Der formell-juristischen Eigentümerposition des Sicherungsnehmers wird die materiell-wirtschaftliche des Sicherungsgebers gegenübergestellt. Es findet also eine funktionelle Eigentumsteilung statt. 9J Die Trennbarkeit zeigt sich auch im Steuerrecht wo nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein wirtschaftliches Eigentum anerkannt wird. In § 39 Abs.l AO heißt es, daß Wirtschafts güter grundsätzlich dem Eigentümer zugerechnet werden. Davon abweichend bestimmt Abs. 2 Ziff.l:

"Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, daß er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Bei Treuhandverhältnissen sind die Wirtschaftsgüter dem Treugeber, beim Sicherungseigentum dem Sicherungsgeber und beim Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen. " Seeliger umschreibt den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht folgendermaßen: Wirtschaftliches Eigentum liege immer dann vor, wenn der bürgerlich-rechtliche Eigentümer keinen Herausgabeanspruch habe, wenn also ein anderer die wirtschaftliche Möglichkeit besitze, den bürgerlich-rechtlichen Eigentümer von einer Einwirkung auf das (ihm gehörend) Wirtschaftsgut auf Dauer auszuschließen und auch zu erwarten sei, daß dieser andere von dieser Möglichkeit -bei Beachtung einer wirtschaftlichen BetrachtungsweiseGebrauch machen werde. 94 Zuweilen wird sogar angenommen, daß das wirtschaftliche Eigentum als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB anerkannt werden müsse. 95 Nach Junker ist der Begriff des "wirtschaftlichen Eigentums" im bürgerrechtlichen Sinne von dem des Steuerrechts verschieden. "Wirtschaftlicher Eigentümer" sei da92 RGZ 45, S. 80 ff.. Ygl. dazu auch Baur/StUmer, Sachenrecht, § 3 11: "Hier spricht man von einer Trennung des "wirtschaftlichen" vom "rechtlichen" Eigentum". 9JYgl. dazu Staudinger-Wiegand Anh. zu §§ 929 ff. Rn. 21, 58 ff. •• Seeliger, Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht, S. 24 ff. 9SYgl. dazu Junker AcP 193, S. 354 ff.

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nach derjenige, der, ohne Eigentümer im Sinne des § 903 BGB zu sein, das alleinige Risiko einer Beschädigung oder Zerstörung der Sache trage und den alleinigen Nutzen aus der Sache ziehe, dem insbesondere Wertsteigerungen der Sache zugute kommen. 96 Nun kann in dieser Arbeit sicherlich nicht im Einzelnen zum Begriff des "wirtschaftlichen Eigentums" ausfllhrlich Stellung bezogen werden. Zu bezweifeln ist allerdings, daß das "wirtschaftliche Eigentum" ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB darstellt, da das wirtschaftliche Eigentum nach dem Verständnis des BGB nun einmal kein Recht darstellt. Es hat sich aber anhand dieser kurzen Untersuchung gezeigt, daß eine Trennung von wirtschaftlicher und rechtlicher Zuordnung vorgenommen werden kann, die so weit geht, daß vom "wirtschaftlichen Eigentum" gesprochen wird.

b) Die maßgebliche Zuordnung bei der Gefahrtragung innerhalb von Schuldverhältnissen Bei der Gefahrtragung in Schuldverhältnissen geht es letztlich darum, wer den wirtschaftlichen Nachteil des zufiilligen Untergangs oder der zufiilligen Beschädigung, wer also das periculum aestimationis (periculum obligationis) zu tragen hat. 97 Das Eigentumsrecht ordnet die Sache rechtlich dem Vermögen des Rechtsinhabers zu, der Untergang der Sache und damit einhergehend der Untergang des Rechts bedeutet daher zunächst nur, daß dem Vermögen des Berechtigten formal gesehen ein Gegenstand verloren geht. Dies muß aber nicht gleichzeitig die natürliche Folge haben, daß das Vermögen des Eigentümers auch einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Denn gleichwohl das Eigentumsrecht den Gegenstand im vollem Umfang dem Vermögen des Berechtigten rechtlich zuordnet, ist der wirtschaftliche Wert des Rechtes an der untergegangenen Sache flir das Vermögen des Rechtsinhabers nicht immer gleich dem Wert der Sache, so

""Vgl. Junker AcP 193, S. 352 f1; zum wirtschaftlichen Eigentum auch noch Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz, § 49 Anm. 55. 97 Vgl. Ficker in Leser-v. Marschall, Das Haager Einheitliche Kaufgesetz, S. 131; StaudingerMagnus Vorbem. zu Art. 66 ff. CISG Rn. I; Posch in Doralt, Pflichten des Käufers, 111 I; Lindacher in HoyerlPosch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 165; Atzler, Gefahrübergang beim Kauf, S. 23: "Unter dem periculum obligationis ist demnach die Gefahr, die dem in dem Rechtsgut verkörperten wirtschaftlichen Wert droht, zu verstehen".

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daß durch den Untergang dieser Sache das Vermögen des Eigentümers natürlicherweise auch nicht in Höhe des Wertes der Sache einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden muß. Die EigentUmerstellung kann nur noch rein formaler Art sein, eine Art "leere Hülse" darstellen98 , so daß das Recht auch keinen wirtschaftlichen Wert mehr besitzt. Die Möglichkeit der Ausübung der Befugnisse, die das Recht verleiht, stellen den eigentlichen wirtschaftlichen Wert der Sache rur ein Vermögen dar, so daß mit dem Verlust des Rechtes und der Sache der gleichzeitig einhergehende Verlust dieser Befugnisse den Schaden am Vermögen des Rechtsinhabers ergeben. 99 Eine Sache, an der der Eigentümer materiell keinerlei Befugnisse mehr hat oder ausüben kann, besitzt keinen wirtschaftlichen Wert rur das Vermögen des Rechtsinhabers. Dies läßt sich an einem Beispiel verdeutlichen, das vor allem bei der Unmöglichkeit eine Rolle spielt: Ein Gegenstand versinkt im Meer, so daß er auch nicht mehr geborgen werden kann oder die Kosten der Bergungsarbeiten den Wert des Gegenstandes übertreffen würden. Da der Gegenstand aus Gold und in einer Kiste verschlossen ist, verschlechtert sich dieser auch nicht. In diesem Fall erleidet der Eigentümer keinen Rechtsnachteil. Die Sache ist weder zerstört worden, noch hat sie sich verschlechtert. Gleichwohl hat das Vermögen zu diesem Zeitpunkt schon einen wirtschaftlichen Nachteil erlitten, weil der Rechtsinhaber von seinem Eigentumsrecht überhaupt keinen Gebrauch mehr machen kann, er kann seine Befugnisse, die ihm normalerweise das Eigentum vermittelt, nicht mehr ausüben. Das Eigentumsrecht besitzt keinen wirtschaftlichen Wert mehr, es ist nur noch rein formaler Natur. Um festzustellen, wer das periculum obligationis zu tragen hat, ist es notwendig zu untersuchen, welche Befugnisse, die das Recht normalerweise vermittelt, überhaupt noch vom Rechtsinhaber wahrgenommen werden können, ob dieses Recht überhaupt noch einen wirtschaftlichen Wert rur sein Vermögen besitzt. Denn kommt der wirtschaftliche Wert der Sache dem Vermögen des Rechtsinhabers nicht zugute, so kann das Vermögen des Rechtsinhabers infolge .. Vgl. Staub-WürdingerlRöhricht Vor § 373 Anm. 181; Staudinger-Köhler § 446 Rn. 3. 'J"Vgl. dazu StUdemann VersR 1990, S. 1054: "Der wirtschaftliche Wert oder die Nützlichkeit eines Gutes besteht darin, Nutzen in Form von Nutzleistungen zu stiften. Diese den Gütern innewohnenden Nutzleistungen sind es letztlich, um derentwillen die GUter begehrt werden. Sie sind es in wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch, deren Inanspruchnahme durch ein Schadensereignis beeinträchtigt oder verhindert wird".

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des zufälligen Verlustes oder der Verschlechterung der Sache zunächst auch keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, da der wirtschaftliche Wert der Sache überhaupt nicht mehr im Vermögen des Rechtsinhabers vorhanden war. Wenn die Sache bloß verschlechtert wird, so mindert sich nur der wirtschaftliche Wert des Rechts lOO , aber wie soll sich der Wert eines Rechts verringern können, wenn das Recht ohnehin keinen wirtschaftlichen Wert mehr besaß? Das Vermögen des Rechtsinhabers kann dann infolge der Verschlechterung des Gegenstandes natürlicherweise zunächst keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, es sei denn, es bestehen besondere ZurechnungsgrUnde. Nur wenn das Recht noch einen wirtschaftlichen Wert besitzt, ist es natürlich, daß das perieulum rei und das perieulum aestimationis in einer Person vereinigt sind. Ebenso verhält es sich im oben angeflihrten Beispiel. Vermittelte das Eigentumsrecht dem Eigentümer schon vor dem Versinken des Gegenstandes im Meer materiell keine Befugnisse mehr, wie soll der Eigentümer dann natürlicherweise noch einmal seine "Befugnisse verlieren" und damit einen wirtschaftlichen Nachteil in seinem Vermögen erleiden können? Durch den Verlust dieser Befugnisse kann dann natürlicherweise nur derjenige zunächst einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, der auch vorher materiell in der Lage war, Befugnisse an der Sache wahrzunehmen, dies muß aber notwendigerweise nicht immer der Eigentümer sein. Für die Auferlegung dieses Nachteils an den Eigentümer bedürfte es ansonsten eines besonderen Zurechnungsgrundes. Würde man gleichwohl den Eigentümer als den zunächst Betroffenen nach dem Satz easum senti! dominus immer die Zufallsgefahr tragen lassen, so könnte man dann sicherlich nicht mehr von einer natürlichen Gefahrtragung sprechen, denn es wäre höchst unnatürlich, den Rechtsinhaber einen wirtschaftlichen Nachteil infolge des Verlustes oder der Verschlechterung eines Gegenstandes tragen zu lassen, obwohl das Recht an der Sache keinen wirtschaftlichen Wert mehr besaß und somit der Gegenstand wirtschaftlich nicht mehr dem Vermögen des Rechtsinhabers zugeordnet werden kann. Ebenso kann auch nur derjenige einen rechtlichen Nachteil erleiden, der vorher auch das Recht innehatte. Da das perieulum rei und das perieulum aestimationis somit natürlicherweise nicht immer in einer Person vereinigt sein müssen, ergibt sich, daß auch jemand anderes als der Eigentümer das perieulum obligationis nach der Regel easum sentit dominus tragen kann. Das perieulum aestima"··Vgl. Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 2; Wismeyer, Prinzip des GefahrUbergangs, S. 1/2:' "die zuflillige Verschlechterung dagegen hat nicht einmal diese einfache Rechtsfolge, sondern nur die wirtschaftliche Bedeutung, daß die dinglichen Rechte weniger wert sind".

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tionis oder periculum obligationis hat dann zunächst derjenige zu tragen, dessen Vennögen der wirtschaftliche Wert der Sache letztlich zugute kommt, wer also Vennögensherr in wirtschaftlicher Hinsicht über die Sache ist. Das Erleiden des wirtschaftlichen Nachteils infolge des Verlustes oder der Verschlechterung des Gegenstandes ist dann sein Schicksal, wenn nicht besondere ZurechnungsgrUnde, die eine Schadensverlagerung rechtfertigen, ihn von diesem Schicksal entlasten. Nur wenn man den Satz casum sentit dominus in diesem Sinne versteht, ist es möglich, den natürlicherweise zunächst Betroffenen bei der Zufallshaftung in Schuldverhältnissen festzustellen.

Dagegen fUhrt Blaschczok an, "daß die Rechtsordnung nicht etwa, als ginge das Ganze sie gar nichts an, alle Nachteile auf demjenigen Beteiligten lasten lassen darf, den sie zunächst einmal treffen, nur weil bei keinem der Beteiligten ein Verschulden auszumachen ist. Es liegt nicht in der Natur der Sache, daß der zunächst betroffene Beteiligte die vom anderen Beteiligten nicht verschuldeten Nachteile selbst tragen müßte. Es ist nicht sein "Schicksal". Die Rechtsordnung brauche nur einen Ausgleich des Nachteils durch einen anderen anzuordnen, und schon wäre der Nachteil dessen "Schicksal". Das "Schicksal", Nachteile zu tragen, ist der Rechtsordnung nicht vorgegeben, sondern es ist ein Akt wertender Entscheidung zum Schicksal welches Beteiligten das nachteilige Ereignis werden soll. Die Rechtsordnung bleibt also nicht etwa untätig, wenn sie in Fällen fehlenden Verschuldens keinen Ausgleich vorsieht, sondern sie entscheidet positiv. Natürlich sollte sich dann der besondere Gerechtigkeitswert des Verschuldensgesichtspunktes, auf den sich die Wertentscheidung ja stützt, auch angeben lassen."lol Dazu ist aber zu bemerken, daß es äußerst wichtig und förderlich ist, in erster Linie festzustellen, wer denn überhaupt der zuerst Betroffene ist. Denn bei einer Rechtsordnung, die weitgehend nur im Verschuldensprinzip und in der Geflihrdungshaftung einen Zurechnungsgrund sieht, wird es dann zumeist auch an rechtfertigenden Gründen fehlen, die eine Schadensverlagerung bewirken können, so daß der zufällige Schaden dann doch in der Regel an demjenigen haften bleibt, der bei dem zunächst einmal betroffenen Beteiligten eintritt. Erliegt man aber einem falschen Schluß, wer der zuerst betroffene Beteiligte bei der Gefahrtragung ist, so kommt man automatisch in Begründungsnot, wenn man bei dem zufälligen Nachteil eine Schadensverlagerung bewirken

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Blaschczok, Gefilhrdungshaftung und Risikozuweisung, S. 135.

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will. Dies zeigt sich vor allem bei der Auslegung zu § 446 I BGB. Auch heutzutage ist man wohl noch der Auffassung, daß der zunächst Betroffene in Schuldverhältnissen der Eigentümer ist. Daher ist man versucht den § 446 I BGB durch Gründe zu erklären, die eine Schadensverlagerung rechtfertigen können. Diese Gründe konnten letztlich nicht überzeugen, und dies liegt vor allem daran, daß im BGB das Verschuldungsprinzip verwirklicht worden ist. Der Beherrschbarkeitsgedanke läßt sich nicht in Einklang mit diesem bringen, was insbesondere auch der Widerspruch zu § 324 I BGB zeigt. 102 Würde man daher bei der Annahme bleiben, daß der zunächst betroffene Beteiligte immer der Eigentümer ist, so würde man in der Tat bei dem Ergebnis bleiben müssen, daß der Eigentümer bei Zufallsschäden im Regelfall die Gefahr zu tragen hat. Aus den oben angefUhrten Gründen ist es aber nicht richtig, daß der Eigentümer immer der zunächst betroffene Beteiligte ist, sondern der zunächst Betroffene ist der, dem die Sache wirtschaftlich zugeordnet ist. In unserer Rechtsordnung wird es daher im Regelfall dabei bleiben, daß dieser den zufälligen Nachteil zu tragen hat. Sicherlich wird es Ausnahmen geben müssen, diese sind aber eher selten. 103 Daß nach heutigem Verständnis der Eigentümer zunächst die Gefahr zu tragen hat, läßt sich aus dem Eigentum selbst erklären. Denn überwiegend ordnet das Eigentumsrecht die Sache auch wirtschaftlich dem Vermögen des Rechtsinhabers zu, so daß dieser auch die wirtschaftlichen Nachteile zu tragen hat. Deshalb sah man das periculum juris und das periculum aestimationis wohl auch als naturverbunden an, was aber keineswegs der Fall ist. Aus diesem Grunde kommt man in der Tat in den meisten Fällen zu einem Gleichlauf von Eigentum und Gefahr. Von daher ist es sicherlich nicht falsch, wenn man das entscheidende Motiv fUr die Regel casum sen!i! dominus in der besonderen Interessenbeziehung des Geschädigten zu seinem Rechtsgut sucht. Die Grundlage dieser ratio bildet danach eine liberale Wirtschaftsverfassung in der die rechtliche Zuweisung des Substanzwertes eines Gutes und die wirtschaftliche Nutzung eines Gebrauchswertes zusammenfallen und zudem dem Einzelnen zustehen. 104 Die Rechtsentwicklung fuhrt aber immer häufiger zu einem Auseinanderfallen von rechtlicher und wirtschaftlicher Position, so daß es Fälle geben wird, in denen dieser Gleichlauf nicht mehr gegeben ist und das periculum

102Ygl. dazu oben S. 50 ff. Zu den Ausnahmen und ihren Gründen vergleiche S. 129. 11>1 Fitz, Risikozurechnung, S. 81; Weyers, Unfallschäden, S. 487.

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aestimationis eine andere Person als der Eigentümer zu tragen hat. Nicht zugestimmt werden kann daher Fitz, der zwar auch der Ansicht ist, daß die Ordnungsvorstellung, die hinter der Regel casum sentit dominus stecke, heute in vielfacher Weise durch Sozialpflichtigkeit und andere Verhaltensbindungen, die bis zur gänzlichen Aushöhlung des Eigentums gehen können, durchbrochen werde 105, dann jedoch bei der Annahme bleiben will, daß nach casum sentit dominus immer der Eigentümer der zunächst Betroffene sei, da die Durchbrechung keinen entscheidenden Einwand bilde, weil eine so allgemein gehaltene Rechtsparömie auf eine typisierende Betrachtungsweise angewiesen sei und insofern noch weiterhin das Prinzip gelte, daß die Vorteile aus dem Eigentum in erster Linie dem Rechtsträger individuell zufallen. I06 Ist man aber erst einmal zu der Erkenntnis gelangt, daß die rechtliche Zuweisung nicht die allein maßgebliche ist, so sollte man diese Erkenntnis auch dazu gebrauchen, daß nach dem Satz casum sentit dominus nicht immer natürlicherweise der Eigentümer die Gefahr zu tragen hat. Ist der Gleichlauf von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuweisung gerade nicht gegeben, so sollte dann auch die Schlußfolgerung gezogen werden, daß in einem solchen Fall das pericu/um aestimationis eine andere Person als der Eigentümer zu tragen hat, nämlich der wirtschaftliche Vermögensherr.

Ob einem Nichteigentümer die Sache wirtschaftlich zugeordnet werden kann, hat anhand einer wertenden Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen. Erster Anhaltspunkt hierfllr ist, ob der Nichteigentümer den Eigentümer von der Einwirkung auf die Sache auf Dauer ausschließen kann, wenn also der Eigentümer gegen den Besitzer der Sache keinen durchsetzungsfahigen Herausgabeanspruch hat. Gebühren dem Besitzer die Nutzungen und kommen ihm Wertsteigerungen des Objekts zugute und kann er mit der Sache nach Belieben verfahren, so ist die Sache dem Nichteigentümer wirtschaftlich zuzuordnen. Umgekehrt kann auch einem Nichteigentümer die Sache wirtschaftlich zugeordnet werden, wenn dieser einen Herausgabeanspruch gegen den Eigentümer hat. Allein der Anspruch auf eine Sache und die somit dem Anspruchsinhaber zugute kommende Wertsteigerung des Objekts wird man hierfllr noch nicht als ausreichend ansehen können. Wirtschaftlich zugeordnet werden kann dem Nichteigentümer die Sache nur dann, wenn ihm aufgrund dieses Anspruches auch die Nutzungen der Sache gebühren, der Anspruchsinhaber aus einer VerJUS Fitz, Risikozurechnung, S. 81. JU6Fitz, Risikozurechnung, S. 81. 6 ReiDhardt

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fUgung der Sache den wirtschaftlichen Vorteil zieht, wenn also der Eigentümer keinen wirtschaftlichen Nutzen aus der Sache ziehen kann, sondern der wirtschaftliche Nutzen, den die Sache abwirft, allein dem Anspruchsinhaber zukommt.

4. Die Berechtigung des Prinzips casum senlil dominus in den dargestellten Verhältnissen Die vorhergehende Untersuchung beantwortet gleichzeitig die oben gestellte Frage, wieso der Eigentümer im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, bei der Miete und der Pacht die Gefahr zu tragen hat. I07 Vennietet oder verpachtet der Eigentümer eine Sache, bleibt die Sache nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich dem Vennögen des Eigentümers zugeordnet. Er bleibt als einziger veräußerungsbefugt, d.h. er hat als einziger den in der Veräußerlichkeit der Sache liegenden Nutzen. Veräußert der Besitzer unberechtigt die Sache an einen Dritten, der die Sache gutgläubig erwirbt, so kann der ehemalige Eigentümer den Erlös über § 816 I BGB beanspruchen. Nach dem Satz lucrum sentit dominus kommt dem Eigentümer eine Wertsteigerung der Sache zugute. Indem er die Sache vermietet oder verpachtet, nutzt er die Sache, er erhält ein Entgelt dafUr. Verlangt er keines, so macht er dies aus Liberalitätszwecken, was ihm frei steht, dennoch bleibt die Sache weiterhin wirtschaftlich dem Vermögen des EigentUrners zugeordnet, da entscheidend ist, ob der Eigentümer die Nutzungsmöglichkeit hat, und nicht wie diese im Einzelfall wahrgenommen wird. lOB Ebenso verhält es sich im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Der in der Veräußerung liegende Wert und eine Wertsteigerung der Sache kommen nach wie vor dem Eigentümer zugute. Bei einer Veräußerung kann der EigentUrner den Erlös über § 816 I BGB herausverlangen. Der Eigentümer kann jederzeit die III1Vgl. zu diesen Verhältnissen S. 68 ff. wo Hiernach würde eigentlich auch bei der Leihe der Verleiher die ZufalJsgefahr tragen müssen, so wie dies das Gesetz auch vorgesehen hat (vgl. § 604 I BGB). Jedoch wird man sagen müssen, daß es dem Verkehrsbewußtsein entspricht, daß derjenige, der etwas geliehen bekommt, auch bei einem zufltlligen Untergang dem Verleiher Ersatz leistet. Es besteht eine "moralische Verpflichtung" dazu. Das Gesetz hat in § 599 BGB zwar beachtet, daß bei der Unentgeltlichkeit grundsätzlich eine Haftungserleichterung zugunsten desjenigen besteht, der unentgeltlich leistet, jedoch dann außer acht gelassen, daß dem grundsätzlich eine Haftungserschwerung auf Seiten des unentgelti ichen Empfltngers gegenübersteht.

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Sache vom unberechtigten Besitzer gemäß § 985 BGB herausverlangen, die Sache hat auf den Eigentümer zurückzugehen. Der bösgläubige Besitzer hat die Nutzungen herauszugeben. Für nicht gezogene Nutzungen, die er nach einer ordnungsgemäßen Wirtschaft hätte ziehen müssen, ist er gemäß § 987 11 BGB zum Ersatz verpflichtet. Die Sache ist wirtschaftlich dem Vermögen des Eigentümers zugeordnet, so daß dieser den zufälligen Verlust zu tragen hat. Dagegen ist der gutgläubige Besitzer aus Vertrauensschutzgesichtspunkten berechtigt, die Nutzungen zu behalten. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein, wenn die Leistung direkt zwischen den Parteien ausgetauscht worden ist. Denn ist nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig, so ist der Käufer nach Bereicherungsrecht zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet. Ist sowohl das Verpflichtungs- als auch das VerfUgungsgeschäft nichtig, so richtet sich die Herausgabe nach dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, so daß der Besitzer an sich zur Herausgabe der Nutzungen nicht verpflichtet wäre. Danach stünde der Verkäufer hinsichtlich der Nutzungen besser, wenn er sein Eigentum verloren hat, als wenn er es behalten hätte. Da dieses Ergebnis als unsinnig empfunden wird, sind im wesentlichen zwei Wege zur Korrektur vorgeschlagen worden. Die Rechtsprechung will in diesem Fall den rechtsgrundlosen Erwerb dem unentgeltlichen gleichstellen und § 988 BGB analog anwenden. 109 Dagegen will die in der Literatur herrschende Ansicht das Bereicherungsrecht mit den §§ 987 ff. BGB konkurrieren lassen, so daß nach den Regeln des Bereicherungsrechts die Nutzungen herauszugeben sind. '10 Welcher der beiden Ansichten nun zu folgen ist, kann in dieser Arbeit dahinstehen, denn es genügt festgestellt zu haben, daß zumeist auch der gutgläubige Besitzer die Nutzungen herauszugeben hat.'" In diesen Fällen kann die Sache nur dem Eigentümer wirtschaftlich zugeordnet werden, da er diese jederzeit vom Besitzer herausverlangen kann, ihm die Wertsteigerung des Objektes zugute kommt und er die Nutzungen zugewiesen bekommt. I09RGZ 163, S. 348 ff.; BGHZ 32, S. 76 ff. IIOVgl. statt vieler Medicus, BR, Rn. 600. 111 Gegen beide Ansichten wendet sich Wieling (AcP 169, S. 137 ff.). Nach seiner Ansicht bewirke die Rechtsprechung, daß der Grundsatz des Gesetzes, der gutgläubige Besitzer durte die Nutzungen behalten, in sein Gegenteil verkehrt werde. Aber auch nach der Meinung Wielings bedarf es einer Korrektur. Diese will er dadurch erzielen, daß auch der Bereicherungsschuldner entgegen § 8181 BGB die Nutzungen behalten dUrfe. Diese Ansicht hat sich jedoch in der Rechtswissenschaft nicht durchgesetzt, da sie bewirkt, daß der Vertrag hinsichtlich der Nutzungen doch durchgetllhrt wird. Eine solche Durchführung wird aber regelmäßig dem Grund der Nichtigkeitsanordnung widersprechen, vgl. dazu Medicus, BR, Rn. 60 I.

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Auch wenn der gutgläubige Besitzer die Nutzungen behalten darf, muß die Sache wirtschaftlich dem Vermögen des Eigentümers zugeordnet bleiben. Entscheidend ist dabei vor allem, daß der Eigentümer vom Zeitpunkt der unberechtigten Inbesitznahme jederzeit die Sache vom unberechtigten Besitzer herausverlangen und sie von da an wieder uneingeschränkt nutzen kann. Mit Eintritt der Rechtshängigkeit ist dann auch der gutgläubige Besitzer dem Eigentümer gemäß § 987 Abs. I und Il BGB zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet. Der gutgläubige Besitzer besitzt keinerlei rechtlich geschützte Position bezüglich der Sache, seine Rechtsposition ist eine äußerst unsichere, so daß ihm, selbst wenn er die Nutzungen behalten darf, die Sache wirtschaftlich nicht zugeordnet werden kann. Dagegen ist es dem Eigentümer jederzeit möglich, die Sache gemäß § 985 BGB herauszuverlangen und sich somit diese wieder uneingeschränkt zunutze zu machen. Den in der Veräußerlichkeit liegenden Nutzen, den Erlös, kann der Eigentümer über § 816 I BGB beanspruchen, und die Wertsteigerung der Sache selbst bleiben dem Eigentümer erhalten. Auch ist zu beachten, daß, wenn der gutgläubige Besitzer die Nutzungen behalten darf, es sich zumeist um FäHe handeln wird, in denen dem Eigentümer die Sache abhanden gekommen ist und ein Dritter trotz Gutgläubigkeit die Sache aufgrund des § 935 BGB nicht erwerben kann. Dieser Verlust ohne oder gegen seinen Willen gehört ohnehin zum Risiko seines Vermögens. Einen Schaden aus diesem zufälligen Verlust kann er nur dann ersetzt verlangen, wenn sich ein Dritter durch eine deliktische Handlung die Sache verschafft hat. In einem solchen Fall würde dann das Zufallsrisiko gemäß § 848 BGB auf den Dritten verlagert sein. Es wäre auch ein höchst merkwürdiges Ergebnis, würde der gutgläubige Besitzer die Zufallsgefahr tragen, der bösgläubige Besitzer dagegen nicht. Denn in einem solchen Fall würde die Privilegierung des gutgläubigen Besitzers ihm zum Nachteil reichen, was mit der gesetzlichen Konzeption, wonach der gutgläubige Besitzer überhaupt nicht auf Schadensersatz haften soll, nicht in Einklang zu bringen wäre. Die Gefahr hat daher im Verhältnis zum gutgläubigen Besitzer der Eigentümer zu tragen. Die Wirkung des Satzes casum sentit dominus erstreckt sich daher in den hier besprochenen Verhältnissen auf das periculum juris und das periculum aestimationis, da das Recht nach wie vor einen wirtschaftlichen Wert besitzt. Die Sache bleibt aufgrund des Eigentumsrechts auch wirtschaftlich dem Vermögen des Rechtsinhabers zugeordnet, so daß der Rechtsinhaber mit dem Untergang des Rechts gleichzeitig den damit verbundenen wirtschaftlichen Wert verliert, sein Vermögen also einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Nach unserer Rechtsordnung, die eine Schadensersatzpflicht im Regelfall nur bei Verschul-

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den oder bei Eingreifen eines Geflihrdungstatbestandes annimmt, ist es in diesen Verhältnissen daher natürlich, daß der bloße Zufall denjenigen trifft, der das Eigentumsrecht an der Sache innehat, so daß die Zufallshaftung im BG B hier auch nicht gesondert ausgesprochen worden ist. 112

5. Bestätigung der Regel casum sentit dominus durch § 582 a BGB Auch anhand der Vorschrift des § 582 a BGB zeigt sich, daß sich die Gefahrtragung nach dem Prinzip casum sentit dominus richtet. Nach dieser Vorschrift trägt der Pächter die Gefahr des zuflilligen Untergangs und der zuflilligen Verschlechterung des Inventars, wenn der Pächter eines Grundstücks das Inventar zum Schätzwert mit der Verpflichtung, es bei Beendigung der Pacht zum Schätzwert zurückzugewähren, übernommen hat. Diese Vorschrift ist eine Sondervorschrift gegenüber der normalen Pacht. Normalerweise trägt der Verpächter als Eigentümer die Gefahr des zufälligen Untergangs oder einer zuflilligen Verschlechterung. Der Pächter wird von der Verpflichtung zur Zahlung des Pachtzinses befreit und braucht bei Ablauf des Vertrages auch keinen Ersatz fllr die untergegangenen oder verschlechterten Gegenstände zu leisten. Gemäß § 582 II BGB ist der Verpächter verpflichtet, Inventarstücke zu ersetzen, die infolge eines vom Pächter nicht zu vertretenden Umstandes in Abgang kommen. Diese Gefahrtragung des Eigentümers wird durch die Vorschrift des § 582 a BGB durchbrochen. Abweichend von § 582 II BGB trifft den Pächter auch die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung. 1I3 Er muß bei Beendigung der Pacht dem Verpächter die etwaige Differenz zwischen dem Gesamtschätzwert der von ihm ursprünglich übernommenen und der jetzt noch vorhandenen und daher nach § 582 a III BGB von ihm zurückzugewährenden Stücke ersetzen. Der Pächter leistet also keinen Ersatz für jedes einzelne Inventarstück, jedoch aber fllr eine hierauf beruhende Wertminderung des Inventars im ganzen (vgl. § 582 a III BGB). Weiterhin bleibt der Pächter unvermindert zur Pachtzinszahlung verpflichtet. 114

112 Im Gegensatz zu § 1048 BGB im österreicherischem Recht. 113 Palandt-Putzo § 582 a Rn. 5. 114palandt-Putzo § 582 a Rn. 5.

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Was fUr ein innerer Grund besteht aber, von der Gefahrtragungsregel des § 582 11 BGB abzuweichen? Der ohnehin schon in dieser Arbeit abgelehnte Beherrschungsgedanke kann es nicht sein. Denn den unmittelbaren Besitz, der die Gefahrenabwehr ermöglicht, hat der Pächter auch dann, wenn er das Inventar nicht zum Schätzwert übernommen hat, ohne daß ihm deshalb das Gesetz die Gefahr der Wertminderung des Inventars auferlegt. Anhand dieser beiden Vorschriften zeigt sich, daß andere Gesichtspunkte als der Beherrschbarkeitsgedanke für die Aufstellung einer Gefahrtragungsregel entscheidend sein müssen. Die Vorschrift des § 582 a BGB läßt sich nur erklären, wenn man sich die Besonderheiten, die gegenüber der normalen Pacht bestehen, vergegenwärtigt. Gemäß § 582 aIS. 2 BGBist der Pächter befugt, während der gesamten Pachtzeit über alle einzelnen Inventarstücke zu verfilgen, obwohl sie im Eigentum des Verpächters stehen. Dem § 582 aIS. 2 BGB liegt somit eine gesetzlich fingierte Einwilligung (§ 185 I BGB) des Verpächters zugrunde. 115 Die Grenze ist dabei stets die ordnungsgemäße Wirtschaft (vgl. Abs. 1 S.2). Diese Verfügungsbefugnis geht über das dem gewöhnlichen Pächter vertraglich zustehende Gebrauchs- und Nutzungsrecht stark hinaus. Dadurch wird der Pächter in die Lage versetzt, durch Veräußerung und Erwerb von Gegenständen, den Wert des Inventars gegenüber dem Schätzwert zu erhöhen, so daß mit Ablauf der Pachtzeit ein Anspruch auf Ersatz der Wertdifferenz besteht (vgl. § 582 a III BGB). Dabei ist noch zu beachten, daß das Eigentum an den vom Pächter neu angeschafften Inventarstücken kraft Gesetzes gemäß § 582 all S.2 BGB unmittelbar auf den Verpächter übergeht. Nicht dem Verpächter als Eigentümer kommt nach dem Satz luerum sentit dominus der Wertzuwachs eines Gegenstandes zugute, sondern dem Pächter, da der Verpächter gegebenenfalls die Wertdifferenz ersetzen muß. Von Sehenck sagt daher zu Recht, daß "sein Eigentum - jedenfalls dem Pächter gegenüber - im wahrsten Sinne nur noch ein nudum proprium" sei, da der Eigentümer zwar noch verfugen könne, aber dieses VerfUgungsrecht bei weitem nicht so stark sei wie das VerfUgungsrecht des Pächters. Zwar könne eine Verfügung des Verpächters gemäß § 931 BGB wirksam sein, dennoch sei der Pächter nicht gehindert, auch über diesen Gegenstand zu verfUgen. Denn gegenüber dem neuen

115 Palandt-Putzo

§ 582 a Rn. 6.

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Eigentümer bestünden seine Rechte gemäß §§ 581 II, 571 BGB weiter, so daß der "neue Eigentümer" ohne weiteres sein Eigentum wieder verlieren könne. 116 Das Eigentumsrecht des Verpächters ist fast nur noch rein formaler Natur. Die mit dem Eigentum im einzelnen verbundenen Rechte stehen fast sämtlich dem Pächter zu. Die Gefahrtragungshaftung richtet sich daher nach dem Satz casum sentit dominus in dem hier verstandenen Sinne. lJ7 Wirtschaftlich ist die Sache dem Vermögen des Pächters zugeordnet, so daß er auch die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung zu tragen hat. § 582 a BGB bestätigt damit den Satz casum sentit dominus im hier verstandenen Sinne.

6. § 446 BGB als Ausprägung des Prinzips casum sentit dominus Die Vorteile, die sich aus einer Trennung des periculum juris vom periculum aestimationis ergeben, zeigen sich insbesondere beim Kauf. Hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Eigentum und Gefahrübergang völlig verschiedene Interessen berühren. Eigentum hat im Handelsverkehr primär die Funktion der Gläubigersicherung. Erst aus dieser Funktion ergibt sich für den Eigentümer die Möglichkeit Kredit zu erhalten. Dies ist aber für das Rechtsverhältnis zwischen dem Verkäufer und seinen Gläubigem einerseits, und dem Rechtsverhältnis zwischen dem Käufer und dessen Gläubigem andererseits von Bedeutung, nicht jedoch rur die Beziehung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer. Hier geht es dem Käufer vor allem darum, die Ware zu erhalten, um mit ihr verfahren zu können. Im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer tritt das Eigentumsrecht hinter dem Recht aus dem Kaufvertrag zurück (vgl.

116 Vgl. von Schenck, Begriff der "Sphltre", S. 219, der an dieser Stelle die natUrliche Abhängigkeit von periculum juris und periculum aestimationis aufgibt. 117 Vgl. von Schenck, Begriff der "Sphäre", S.219: "und es dürfte daher richtig sein, den § 588 I BGB seinem Wesen nach gar nicht als Korrektur, sondern vielmehr als bloße Konkretisierung des Satzes c.s.d. anzusehen"; ebenso Röschinger NJW 1949, S. 143: "Demgegenüber scheint § 588 BGB eine Ausnahme vom Grundsatz des c. s. d. darzustellen. In Wirklichkeit bestätigt aber auch diese Gesetzesstelle die eben dargelegte Ansicht. Gemäß § 588 BGB kann der Pächter über die einzelnen Stücke innerhalb der Grenzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft vertUgen, weil er gemäß § 587 BGB das Inventar zum Schätzwert übernommen hat. Er hat deshalb hinsichtlich dieser StUcke eine ähnliche Stellung wie der Eigentümer. Dieser seiner Rechtsstellung entspricht die Übertragung der Gefahr rur den Untergang der InventarstUcke. FUr den Pachtgegenstand, hinsichtlich dessen der Pächter keine ei,entUmerähnliche Stellung hat, spricht das BGB auch keine Haftung rur den Pächter aus".

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§ 986 BGB). Die Übertragung des Eigentums hat nur die Funktion den Käufer Dritten gegenüber in die Stellung zu bringen, in der sich zuvor der Verkäufer befandJI8 Nun bleibt es auch den einzelnen Rechtsordnungen überlassen, wie sie die Übertragung des Rechts regeln. So läßt die französische Rechtsordnung das Eigentum grundsätzlich bereits mit Vertragsschlußübergehen, während nach dem BGB noch die Übergabe und die dingliche Einigung hinzukommen muß. Für diese Ausgestaltung gibt es keine "natürlichen Regeln". Da die Ausgestaltung einer Rechtsordnung hinsichtlich der Übertragung des Rechts aber nicht von Natur aus vorgegeben ist, würde sich die Gefahrtragung nach völlig verschiedenen Zeitpunkten richten, je nachdem wie die einzelnen Rechtsordnungen die Ausgestaltung des Rechts hinsichtlich der Übertragung des Eigentums regeln. Dies zeigt schon, wie unergiebig es ist, den Gefahrübergang nur an den Eigentumsübergang zu knüpfen. Es ist auch schon allein aufgrund dieser Tatsache bedenklich von einer "natürlichen" Gefahrtragung durch den Satz casum sentir dominus zu sprechen, wenn das periculum aestimationis immer vom periculum juris abhängig sein soll, so daß immer der Eigentümer der "natürlich erweise" zunächst Betroffene sein soll, da die Übertragung des Rechts sich eben nicht nach "natürlichen" Regeln richtet. Zudem sind die Auswirkungen des Rechts zu den verschiedenen Zeitpunkten rur ein Vermögen auch völlig verschieden. Man sollte aus den formalen Konsequenzen des Abstraktionsprinzips keine materiellen Folgen rur die Gefahrtragung ableiten. 119 Nur wenn letztlich die wirtschaftliche Zuordnung zum Vermögen rur die Auferlegung wirtschaftlicher Nachteile entscheidend und somit unabhängig von der Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsordnung hinsichtlich der Übertragung des Rechtes ist, kann der Satz casum sentit dominus Geltung beanspruchen. Denn nur dann ist man in der Lage, auch die Auswirkungen, die ein schuldrechtlicher Anspruch in wirtschaftlicher Hinsicht auf das Vermögen der Parteien haben kann, zu berücksichtigen. Denn letztlich hat zunächst derjenige die wirtschaftlichen Nachteile zu tragen, dem auch die Sache wirtschaftlich

118Vgl. dazu Ficker in Leser-v. Marschall, Das Haager Einheitliche Kaufgesetz. S. 132; ebenso Rabel, WarenkauflI, S. 296; Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S.37; Soergel-Huber Vor § 446 BGB Rn. 18; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 67 ders. in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 388; von Hugo, Bedeutung des EigentumsUbergangs, S. 67. 119 So auch Honsell MDR 1970, S. 718: "Von der begrifflichen Konstruktion des Abstraktionsprinzipes kann die Gefahrtragung nicht abhängen".

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zugeordnet ist, es sei denn, es bestehen besondere Zurechnungsgründe, die die Auferlegung der Schadenslast auf eine andere Person rechtfertigen können. Um festzustellen, ob § 446 BGB eine Ausprägung des Satzes casum senti! dominus ist, sind jeweils die Auswirkungen, die das noch verbleibende Eigentumsrecht des Verkäufers und der schuldrechtliche Anspruch des Käufers in wirtschaftlicher Hinsicht auf das Vermögen der jeweiligen Partei haben, zu berücksichtigen. Mit Übergabe der Kaufsache erlangt der Käufer gegenüber dem Verkäufer eine dinglich geschützte Rechtsposition (vgl. § 986 11 BGB). Die Position ist ihm, die ordnungsgemäße weitere Abwicklung des Kaufvertrages dem Normalfall entsprechend vorausgesetzt, unentziehbar. Der Eigentümer kann die Sache aufgrund seines Eigentumsrechts nicht mehr herausverlangen. Nicht mehr dem Eigentümer kommt nach dem Satz lucrum sentit dominus eine Wertsteigerung des Kaufobjektes zugute, sondern dem Käufer. Der Eigentümer kann und darf über die Sache nicht mehr verfügen. Er besitzt keine rechtliche Herrschaft mehr über die Sache. Mit der Übergabe verliert der Verkäufer die Nutzungsmöglichkeit. Zwar könnte man an dieser Stelle einwenden, daß das Gesetz durchaus in der Lage wäre, einen anderen Zeitpunkt hinsichtlich des Übergangs der Nutzungen zu statuieren. Dazu sagt Huber aber völlig zu Recht: "Es liegt nun in der Natur der Dinge, daß die Nutzungen mit der Übergabe auf den Käufer übergehen; denn der Verkäufer verliert, der Käufer erwirbt mit der Übergabe die Nutzungsmöglichkeit" .\20 Jede andere Regelung ist offensichtlich unzweckmäßig. Im Regelfall dient das Eigentum nur noch der Sicherung des Kaufpreises. In diesem Fall wäre es aber unangemessen, den Käufer, der nicht sofort bezahlt, gegenüber den barzahlenden Käufer zu begünstigen. \2\ Das Eigentum stellt für den Verkäufer zwar nicht bloß eine "leere Hülse" dar 122, denn es behält noch den Wert der Sicherung des Kaufpreisanspruches. Dieser Sicherungswert geht ihm auch infolge des Untergangs der Kaufsache verloren. Der Sicherungswert bleibt nach Verkauf aber der einzige wirtschaftliche Wert des Eigentums. Die Kaufsache selbst kann daher wirtschaftlich nicht mehr dem Vermögen des Verkäufers zugeordnet werden. Demzufolge kann der Verkäufer natUrlicherweise zunächst auch keinen größeren wirtschaftlichen Nachteil Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 16. So auch Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 16. 122 Vgl. dazu auch Staub-WUrdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 179; Staudinger-Köhler § 446 Rn. 3. 120

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erleiden, als dies durch den Verlust des Sicherungswertes geschieht. Dies wäre aber der Fall, wenn man dem Verkäufer den Anspruch auf den Kaufpreis wieder entziehen würde. Der Anspruch auf den Kaufpreis muß dem Verkäufer also erhalten bleiben. Dagegen hat der Käufer eine unentziehbare Rechtsposition nicht nur dem Eigentümer, sondern auch gegenüber jedem Dritten (vgl. § 986 II BGB). Der Käufer erhält schuldrechtlich die Nutzungen der Sache zugewiesen. Für die dingliche Zuordnung der Nutzungen bleibt es zwar bei den Bestimmungen des Sachenrechts, aber die dingliche Zuordnung kann, wie bereits ausgeftlhrt, rur die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein. Eine Wertsteigerung des Kaufobjektes kommt dem Käufer zugute. Ist dem Käufer mit der bloßen Nutzungsmöglichkeit nicht gedient, weil er die Sache zum Zwecke der Weiterveräußerung erworben hat, räumt ihm der Verkäufer regelmäßig mit der Sachherrschaft auch eine VerfUgungsermächtigung ein. 123 Die Übergabe markiert somit denjenigen Punkt, an welchem der wirtschaftliche Erfolg des Kaufes im wesentlichen eingetreten ist. 124 Es hat sich m Vgl. Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 68. 12~SO auch Staudinger-Köhler § 446 Rn. 4; Walter, Kaufrecht, § 612 a.; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung, S. 80; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 13; Westermann JA 1978, S. 484; Choi, Gefahrtragungsrege1n, S. 11; Finke, Bedeutung der internationalen Handelsklauseln, S.54; Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S. 35; vgl. auch Larenz, SchR 1111, § 42 11 a: "Damit ist der von ihm mit dem Kaufvertrage erstrebte wirtschaftliche Erfolg im wesentlichen eingetreten. Aus diesem Grunde ist er nun aber auch "näher dran", den wirtschaftlichen Verlust zu tragen, wenn die Sache jetzt durch einen Zufall vernichtet wird"; Bucher in Berner Tage, S. 41: "Sachübergabe ist die wichtigste Verkäuferpflicht. Hat er diese Pflicht ertUllt, (...), so soll er auch die vertragliche Gegenleistung erhalten"; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 8: "Der GefahrUbergang stellt sich somit als Folge der wirtschaftlichen Verschiebung dar, die mit der Besitzerlangung des Käufers einhergeht"; Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9, spricht vom wirtschaftlichen Übergang; Reinickeffiedtke, Kaufrecht, S. 38: "Das wirtschaftliche Risiko des Vertrages ist damit, was den Untergang oder die Verschlechterung angeht, vorzeitig auf den Käuter übergegangen"; vgl. auch Brox JuS 1975, S. 3: "Die Preisgefahr geht nach § 4461 mit der Übergabe deshalb auf den Käufer über, weil er von diesem Zeitpunkt an die Kaufsache wie ein Eigentümer besitzen und nutzen kann"; vgl. auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 69: "Gefahrübergang bedeutet, daß der Verkäufer den Kaufpreis endgültig verdient hat, daß sich sein Kaut~ preisanspruch verfestigt, daß ihn das Schicksal der Kaufsache nichts mehr angeht, daß die Sache vielmehr bereits dem Vermögen des Käufers zugerechnet wird. Diese Rechtsfolge ist aber erst dann gerechtfertigt, wenn der Verkäuter jedenfalls inter partes erfllllt hat", Hager bezeichnet dies als den dogmatischen Aspekt; ders. in Schlechtriern, Einheitliches Kautecht, S.389; Beitzke MDR 1947, S. 282: "Die Lieferung der Sache, nicht die Eigentumsübertragung ist tUr den Käuter das Wesentliche"; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 123: "Abgesehen vom Verbleiben geringftlgiger Nebenptlichten hat der Verkäufer eines wirksamen Vertrages mit der Übergabe des Kaufgegenstandes seine vertraglichen Ptlichten voll ertUIlt. Besitz, Gewahrsam und in der Regel auch Eigentum an der Sache gibt der Käufer ab; alle Rechte und Ptlichten

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wirtschaftlich schon eine Änderung der Vermögens lage vollzogen. 125 Die Kaufsache ist wirtschaftlich dem Vermögen des Käufers voll zugeordnet 126, aus diesem Grunde hat er auch die wirtschaftlichen Nachteile zu tragen, die aus einem ersatzlosen Verlust oder Verschlechterung der Sache resultieren. Der zunächst betroffene Beteiligte ist hier also der Käufer. Der Käufer hat nach dem Satz casum sentit dominus mit Übergabe das periculum obligationis zu tragen, und bleibt somit verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen, da der Kaufpreis fUr den Käufer auch den wirtschaftlichen Wert der Kaufsache fUr sein Vermögen repräsentiert. Zum Teil wird gesagt, daß der Gedanke der wirtschaftlichen Erftillung den GefahrUbergang nicht rechtfertigen könne, da aufgrund des fehlenden Eigentums eben noch nicht voll erfüllt sei. Solange Ware nicht übereignet sei, könne der Käufer sie nicht uneingeschränkt nutzen, wozu auch die Möglichkeit sofortiger Weiterveräußerung gehöre. Der Kaufpreis, den der Käufer gegebenenfalls zahlen müsse, repräsentiere auch den durch die Veräußerungsmöglichkeit gegebenen Wert der Ware. 127 Zwar werden bei dem Gedanken der inter partes ErfUllung auch die Argumente verwandt, die letztlich auch zu einer wirtschaftlichen Zuordnung auf seiten des Käufers fUhren, jedoch haben die bei den Gedanken grundverschiedene Ansätze. Bei casum sentit dominus geht es zunächst darum, inter partes die wirtschaftliche Zuordnung vorzunehmen, und nicht, den GefahrUbergang aus dem Gedanken der ErfUllung heraus zu erklären. Von

gehen aufletzteren über. Somit ist die Beziehung des Verkäufers zur Sache zu einem gewissen Abschluß gelangt, der es auch rechtfertigt, ihn von der Gefahrtragung zu entlasten"; vgl. dazu auch Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 17. 125 Vgl. dazu Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskauf: S. 7: "Bei der Abwicklung von schuldrechtlichen Verträgen entsteht zwischen der Entstehung und ErtUllung derselben häufig eine Zeitspanne, in der der Gegenstand, der geleistet werden soll, sowohl mit dem Vermögen des einen als auch mit dem Vermögen des anderen Vertragsteils verknüpft ist". 126 So auch Staub-Würdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 181; Helmut Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 114; Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskaut: S. 61; vgl. dazu auch von Caemmerer ZHR 127, S. 261 ff., der annimmt, daß der Drittschadensliquidation der Gedanke zugrunde liege, "daß in den Ländern des Traditionsprinzipes die verkaufte Sache obligatorisch doch vom Vertragsschluß an als dem Käufer bereits eigen, als ihm gebührend angesehen wird. Das zeigt die Behandlung des sogenannten "stellvertretenden commudum" (§ 281 BGB): Das verkaufte, aber noch nicht aufgelassene Grundstück wird rur den Bau einer Autobahn enteignet. Dabei wird eine gute Entschädigung gewährt, die über dem Preis liegt, den der Käufer tUr das Grundstück bezahlt hatte. Die Enteignungsentschädigung steht dem Käufer zu. Das Grundstück ist wirtschaftlich bereits als ihm gebührend, als sein Eigen anzusehen". 127 Koller, Risikozurechnung, S. 153; Buchholz, Konzentration und Gefahrübergang, S. 119 (Fn.47).

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Erfilllung läßt sich erst sprechen, wenn der Verkäufer das geleistet hat, was er versprochen hat. Im Regelfall verspricht der Verkäufer auch gerade das Eigentum an der Sache, so daß es in die Irre führt, hier von einer Erfüllung zu sprechen. Dagegen kann die wirtschaftliche Zuordnung gerade unabhängig vom Eigentum vorgenommen werden. Mit dem Gedanken der inter partes Erfllllung soll eine Schadensverlagerung vom Verkäufer auf den Käufer gerechtfertigt werden 128, während es bei der Anwendung des Prinzips casum sentit dominus darum geht, festzustellen, bei welcher Partei der wirtschaftliche Nachteil eingetreten ist und es aus diesem Grunde einer Rechtfertigung für die Schadensverlagerung vom Verkäufer auf den Käufer gar nicht bedarf. Liegt der wirtschaftliche Nachteil zunächst auf seiten des Käufers, so bedürfte es umgekehrt gerade einer Rechtfertigung für eine Schadensverlagerung vom Käufer auf den Verkäufer, an der es aber offensichtlich fehlt. Der oben erwähnte Einwand führt nicht zu einer wirtschaftlichen Zuordnung der Kaufsache auf seiten des Verkäufers. Der Verkäufer ist auch nicht mehr in der Lage die Ware weiterzuveräußern, da er sie gar nicht mehr in Besitz hat und der Käufer durch seinen Besitz hinreichend geschützt ist. Wenn aber keine der bei den Parteien diese Veräußerungsmöglichkeit hat, so kann dieser Gesichtspunkt auch bei der wirtschaftlichen Zuordnung zwischen diesen beiden Parteien keine Rolle spielen. Auch aus der Interessenlage heraus ergibt sich, daß nur dem Käufer die Sache wirtschaftlich zugeordnet werden kann. Kommt es dem Käufer wirklich auf die Nutzungsmöglichkeit der Weiterveräußerung an, so wird ihm in der Regel ohnehin vom Verkäufer eine Verfllgungsermächtigung eingeräumt, anderenfalls würde ein Käufer einen solchen Kaufvertrag gar nicht erst abschließen. Im Falle einer Verfilgungsermächtigung kann nicht angezweifelt werden, daß die Sache dem Vermögen des Käufers wirtschaftlich zugeordnet ist. Liegt eine solche Verfilgungsermächtigung nicht vor, so wird ein Käufer regelmäßig nicht an einer Veräußerung der Ware interessiert sein, da er sonst einen solchen Eigentumsvorbehaltskaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Wenn aber primärer Grund des Kaufes nur die sofortige Gebrauchsmöglichkeit ist, dann hat der Käufer das bekommen, was er haben wollte, um die Sache wirtschaftlich zu nutzen. In einem solchen Fall besteht dann kein Grund, einen solchen Käufer gegenüber einem barzahlenden Käufer bezüglich der Gefahrtragung besser zu stellen. Dabei ist auch zu bedenken, daß es auch bei einer Ratenvereinbarung dem Käufer in der Regel möglich sein wird, den kompletten Kaufpreis sofort 12. Die

GrUnde, die zur Ablehnung dieses Gedankens fUhren, sind auf S. 64 dargestellt.

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zu erbringen und er somit auch das Eigentum an der Ware erlangen kann, denn dies ist für den Verkäufer vorteilhaft, so daß dieser mit einer vorzeitigen Leistung einverstanden sein wird. Dann liegt es aber allein in der Hand des Käufers, wann er den in der Weiterveräußerung liegenden Nutzen erlangen will. Aufgrund ähnlichen Verständnisses wird auch das Prinzip periculum est emptoris als eine Ausprägung des Satzes casum sentit dominus angesehen. So schreibt Ernst: "Der Untergang der Kaufsache trifft aber, wenn man so will, gerade den Dominus; zwar nicht den Eigentümer im sachenrechtIichen Sinne, aber doch den Vermögensherrn, da im Verhältnis zum Verkäufer die Sache schon aufgrund des Kaufvertrages im Vermögen des Käufers steht. Nicht im Widerspruch, sondern im völligen Einklang stehen demnach die Regeln casum sentit dominus und periculum est emptoris, ja man könnte sogar sagen, daß im periculum est emptoris das casum sentit dominus nur einen besonderen Ausdruck gefunden hat: im Verhältnis der Parteien gilt eben bereits nach Perfektion des Kaufes der Käufer als der Dominus, den der Verlust der Sache treffen muß. Mit dem gültigen Abschluß des Kaufvertrages hat der Verkäufer seine Sache rechtswirksam an den Käufer veräußert, einer sachenrechtlichen Übertragung bedarf es nur noch, um diesem Erwerb des Käufers Rechtswirksamkeit gegenüber Dritten zu verschaffen." 129 Ein GefahrUbergang mit Vertragsschluß ist aber die schlechtere Lösung. Mit Vertragsschluß hat der Käufer noch keine dinglich geschützte Position. 130 Dem Verkäufer ist es zwar nicht mehr erlaubt, die Sache zu verkaufen, da er sich in einem solchen Falle schadensersatzpflichtig macht, dem Käufer ist es aber in der Regel noch nicht einmal möglich, von einer Verkaufsmöglichkeit Gebrauch zu machen, da er die Sache nicht in Besitz hat. Zwar gehen bei dem Prinzip periculum est emptoris mit Vertragsschluß auch die Nutzungen über, eine solche Regelung ist aber offensichtlich unzweckmäßig, weil der Käufer noch nicht die Nutzungsmöglichkeit hat. Was nutzt dem Käufer Z.B. ein Fernseher, der sich bei dem Verkäufer befindet? Eine Nutzungszuweisung für den Käufer ab Vertragsschluß ist für ihn wenig wertvoll. Es wäre für ihn vielmehr nachteilig, da er von diesem Zeitpunkt an auch die Lasten zu tragen hat, obwohl er nicht in

Ernst ZSST 99, S. 245 . Dagegen Dulckeit, Verdinglichung obligatorischer Rechte, S. 43: Mit Vertragsschluß sei der Käuter im Innenverhältnis bereits Eigentümer, durch sein Lieferanspruch werde nur das ungerechtfertigte Haben des Käufers beseitigt. Dagegen ist einzuwenden, daß eine solche Betrachtungsweise nicht mit dem BGB zu vereinbaren ist. 129

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der Lage ist, daftlr als Äquivalent auch den Nutzen ziehen zu können. lJI Aus diesen Gründen sollte aufgrund des Vertragsschlusses die Sache wirtschaftlich noch nicht dem Vermögen des Käufers zugerechnet werden. Dies ist auch der eigentliche Grund, warum das Prinzip periculum est emptoris als Ver~toß gegen das allgemeine Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit der Obligationen angesehen wird. 132 Der Gefahrilbergang ist somit nicht an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern an den Zeitpunkt der Übergabe zu knüpfen. Anhand dieser Untersuchung hat sich gezeigt, daß die drei Prinzipien (Traditionsprinzip, periculum est emptoris, casum sentit dominus) gar nicht so verschieden sind, wie dies zuweilen angenommen wird. Zwar kann es bei diesen Prinzipien durchaus zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten zum Gefahrübergang kommen, aber alle Prinzipien beruhen letztlich auf demselben Grundgedanken, nämlich auf dem richtig verstandenen Prinzip casum senti! dominus, weIches die Differenzierung zwischen periculum juris und periculum aestimationis (obligationis) einschließt. Demnach hat der Käufer nach dem Satz casum senti! dominus die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache zu tragen, da ihm von diesem Zeitpunkt an die Kaufsache wirtschaftlich zugeordnet ist. Der Käufer ist der "zunächst Betroffene" bezüglich des periculum aestimationis. Das periculum rei hat dagegen natürlicherweise der Eigentümer zu tragen.

7. Die Vorschrift des § 446 11 BGB § 446 11 BGB soll ebenfalls im Zuge der Schuldrechtsreform abgeschafft werden. Gemäß § 44611 BGB trägt der Käufer eines Grundstückes die Gefahr auch dann, wenn er vor der Übergabe als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Rechtspolitisch soll diese Bestimmung ein Überbleibsel des Prinzips casum sentit dominus sein.'33 Zwar trägt nach dieser Bestimmung der Eigentümer die Gefahr, im ersten Teil dieser Arbeit ist aber dargelegt worden, daß nicht immer der Eigentümer nach der Regel casum sentit dominus der Vgl. Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 5. m Vgl. Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 10; Schmutz, Gefahrentragung beim Kaufvertrag, S. 24; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 20; Finke, Bedeutung der internationalen Handelsklauseln S. 48; von Hugo, Bedeutung des Eigentumsübergangs, S. 66. m Soergel-Huber § 446 Rn. 26; vgl. dazu auch Walter, Kaufrecht, § 6 I 2 b; Erman-Grunewald § 446 Rn.l3. IJI

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zunächst betroffene Beteiligte ist, so daß an dieser Stelle eine Untersuchung vorgenommen wird, ob § 446 11 BGB wirklich eine Ausprägung des richtig verstandenen Prinzips casum sentit dominus darstellt und somit eine berechtigte Vorschrift ist.

a) Die Begründung der Gesetzesverjasser zu § 446 Il BGB

In den Motiven heißt es zu dieser Vorschrift, daß es der Natur der Sache und dem Wesen des Kaufes als eines Veräußerungsvertrages widerstreben würde, den Käufer, nachdem er Eigentümer der Sache geworden sei und die volle rechtliche Herrschaft über die Sache erlangt habe, gleichwohl noch von der Gefahr zu befreien. Es sei eigene Sache des Käufers, das Eigentum des Grundstücks nicht zu übernehmen, ohne es sich gleichzeitig übergeben zu lassen und damit die Möglichkeit einer Überwachung zu erlangen. Die Übergabe sei beim Kauf eines Grundstücks im übrigen nur ein unwesentlicher Teil der Verpflichtung des Verkäufers; und der Übergang der Gefahr könne keinesfalls von der Erftlllung aller dem Verkäufer obliegenden Verpflichtungen abhängig gemacht werden. 134

b) Die Begründung der Schuldrechtskommission zur Streichung des § 446 Il BGB

Die Schuldrechtskommission ruhrt als Begründung rur die Streichung des § 446 11 BGB an: "Die geltende Regelung in § 446 Abs. 2 BGB, nach der der Grundstückskäufer die Gefahr schon vom Zeitpunkt der Eintragung an trägt, wenn ihm das Grundstück noch nicht übergeben ist, spielt in der Praxis keine Rolle, weil der Käufer nur in seltenen Fällen schon vor der Übergabe als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Außerdem wird in Grundstückskaufverträgen regelmäßig eine besondere Vereinbarung über den Gefahrübergang getroffen. Im übrigen erscheint es nicht in allen Fällen interessengemäß, daß der Käufer, der die Sachherrschaft über das Grundstück noch nicht erlangt hat, die Gefahr zuflilliger Verschlechterung vom Zeitpunkt seiner Eintragung an tragen soll."m

13~ Motive 11, S. 203. m Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 234.

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c) Die Berechtigung von § 446 11 BOB

Der Kommission ist zunächst dahin Recht zu geben, daß Grundstückskaufverträge häufig eine Klausel über den Zeitpunkt enthalten, zu welchem die Gefahr übergehen soll. Die Kommission rührt weiter aus, daß normalerweise die Übergabe 136 der Übereignung vorangehe. 137 Bei letzterem ist aber zu beachten, daß bei der Veräußerung von vermieteten Wohneigentum der Käufer oftmals nicht den unmittelbaren Besitz erlangen kann, weil der Mieter insofern Besitzschutz genießt. Der Käufer wird dann in der Regel mittelbarer Besitzer, wobei sich dann das Problem stellt, ob diese Besitzübertragung der Übergabe im Sinne des § 446 I BGB gleichzustellen ist. 138 Die Vorschrift des § 446 II BGB besitzt einen eigenen Anwendungsbereich, so daß der genannte Gesichtspunkt der Kommission, die Vorschrift besitze nur eine geringe Bedeutung, sicherlich nicht allein die Abschaffung des § 446 II BGB rechtfertigen kann. Noch weniger kann der Grund des Auseinanderfallen von Sachherrschaft und Gefahrtragung die Abschaffung dieser Vorschrift rechtfertigen. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde dargelegt, daß die Gefahrenbeherrschung über eine Sache kein Kriterium fUr das Aufstellen einer Gefahrtragungsvorschrift sein kann. 139 Zu prüfen bleibt, ob mit Übergang des Eigentums die Sache dem Käufer wirtschaftlich zugeordnet ist. Mit Eigentumserwerb ist der Käufer in der Lage, das Grundstück weiterzuveräußern. Die besitzrechtIiche Lage hat auf die Verfügungen keinen Einfluß. Wenn die Übergabe noch nicht erfolgt ist, so wird, solange der Besitz des Verkäufers rechtmäßig ist, eine Art Miet- oder Pachtverhältnis vorliegen. Regelmäßig trägt aber in solchen Verhältnissen, außer bei § 582 a BGB, der Eigentümer die Gefahr. Der Umstand, daß der Verkäufer noch länger zum Besitz berechtigt ist, wird im Kaufpreis berücksichtigt sein. Aber auch wenn der Besitz des Verkäufers unrechtmäßig ist, so verbietet sich eine andere Gefahrtragungsregel. Filios fUhrt dagegen an: "Trotz der Wichtigkeit des Eigentumserwerbs bei Grundstücken hat der Käufer (sei er nun Eigentümer oder nicht)

136 Die Übergabe bei Grundstücken geschieht in der Weise, daß der Verkäufer das Grundstück räumt und dem Erwerber zugänglich macht, vgl. Sorgel-Huber § 446 Rn. 10. lJ7 Vgl. dazu auch Soergel-Huber § 446 Rn. 27; Westermann JA 1978, S. 485. 13. Vgl. zu dieser Problematik S. 112 tr 139 Vgl. dazu ausfilhrlich S. 44 tr

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ein Interesse an einer nach dem Vertrag sofort vorzunehmenden Sachübergabe. Er will die Sache nicht erst mit Hilfe eines Prozesses, der vielleicht längere Zeit dauert, erlangen. Er kauft nicht nur in der Absicht, Eigentümer zu werden, sondern auch um in den physischen Genuß der Sache zu kommen ."'4o Dagegen ist einzuwenden, daß eine andere Gefahrtragungsregel in Konflikt zur Gefahrtragungshaftung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis stehen würde. Denn dort trägt der Eigentümer gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer die Gefahr. Es ist nicht einzusehen, warum etwas anderes gelten soll, wenn der Käufer Eigentum erworben hat und der Verkäufer ihm unrechtmäßig den Besitz vorenthält. Hierbei ist zu beachten, daß § 986 II BGB bei Grundstücken nicht anwendbar ist, so daß sich der Besitzer nicht darauf berufen kann, daß er dem Rechtsvorgänger des Eigentümers schuldrechtlich zum Besitz berechtigt gewesen sei. Etwas anderes gilt bei einem Verkauf eines zu Wohnzwecken genutzten Gebäudes. Hier ist der Besitzer durch die Vorschrift des § 571 BGB geschützt, der somit die gleiche Wirkung wie § 986 II BGB erzeugt. 141 Ist der Besitz unrechtmäßig, so ist der Besitzer zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet. '42 Zur Veräußerung ist nur der Eigentümer in der Lage, eine Wertsteigerung des Objekts kommt nur ihm zugute. Von daher ist dem Käufer (Eigentümer) die Sache wirtschaftlich zugeordnet '41, so daß er auch die Gefahr zu tragen hat. Der Verkäufer hat freilich dann die Gefahr zu tragen, wenn er sich mit der geschuldeten Übergabe in Verzug befindet. Hier hat der Verkäufer für den Zufall gemäß § 287 S. 2 BGB einzustehen, es sei denn, daß der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Dadurch ist die Harmonisierung mit dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis erreicht, bei weIchem der bösgläubige Besitzer auch nur für den zufälligen Schaden haftet, wenn die Voraussetzungen des § 287 S. 2 BGB vorliegen. Die rechtliche Sachherrschaft eröffnet also weitgehenden Zugang zur wirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks '44, so daß § 446 II BGB auf das Prinzip casum sentit dominus zurückzu-

1.j(IFilios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 19. 1.1 Dasselbe gilt fllr § 581 "BGB. 142 Beachte aber § 991 I BGB. I·JVgl. Larenz, SchR 1111, § 42" b; Westermann JA 1978, S. 485; Schlosser Jura 1985, S. 481; Leonhard, Besonderes Schuldrecht, B 21; von Schenck, Begriff der "Sphäre". S. 250; a.A. Filios, Gefahrtragung beim Kaut: S. 19; Staudinger-Köhler § 446 Rn. 4; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 6. I" SO auch Westermann JA 1978, S. 485. Von daher muß auch das Eigentum wirksam Ubergegangen sein, die bloße Buchposition reicht rur die Anwendung des § 446 " BGB nicht aus, so auch Larenz, SchR 1111, § 42" b, Staudinger-Köhler § 446 Rn. 19, Erman-Grunewald § 446 Rn. 12, 7 Reinlwdt

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fUhren und demnach eine berechtigte Vorschrift ist. Eine Abschaffung dieser Vorschrift empfiehlt sich aus diesem Grunde nicht. Auch wenn bisher nur die Übergabe ohne Eigentumsverschaffung erfolgt ist, hat der Käufer gleichennaßen die Gefahr zu tragen. Denn der Käufer eines Grundstücks kann sich eine Vonnerkung eintragen lassen. Dadurch wird der obligatorische Anspruch abgesichert, so daß spätere Verfllgungen diesen Anspruch nicht mehr beeinträchtigen können. Der Käufer ist gemäß § 885 BGB in der Lage, die Vonnerkung durch einstweilige Verfügung zu erwirken. Voraussetzung ist, daß ein gültiger Kaufvertrag besteht. Der Verkäufer ist demnach gleichennaßen wie der Käufer in seiner Verfilgungsbefugnis beschränkt. Nur dem Käufer kommen die Nutzungen und eine Wertsteigerung des Grundstücks zugute, so daß, auch wenn bisher nur die Übergabe erfolgt ist, dem Käufer das Grundstück wirtschaftlich zugeordnet ist und dieser somit die Gefahr zu tragen hat. Auch § 446 I BGB ist bezüglich von Grundstücken eine berechtigte Vorschrift. Beschäftigt hat die Rechtswissenschaft lange Zeit vor allem ein Fall: A verkauft dem B ein Grundstück. Der B wird als Eigentümer wirksam in das Grundbuch eingetragen. Daraufhin verkauft der A auch dem C dieses Grundstück und übergibt es ihm. Einige Zeit später wird das Grundstück durch ein Erdbeben völlig zerstört. Zunächst ist hier die Gefahr gemäß § 446 11 BGB auf den ersten und gemäß § 446 I BGB auf den zweiten Käufer übergegangen. Demnach könnte man annehmen, daß der Verkäufer zweimal den Kaufpreis erhält, was sicherlich ein unbefriedigendes Ergebnis ist. 145 Richtigerweise kann der Verkäufer von beiden den Kaufpreis nicht verlangen. Denn auch ohne Untergang des Grundstückes hätte der Verkäufer beide Kaufverträge nicht erfüllen können. Dem ersten Käufer hätte er den Besitz, dem zweiten Käufer nicht das Eigentum verschaffen können. Aus diesem Grunde stehen beiden Käufern die Rechte aus §§ 440,325 BGB zu, so daß beide vom Kaufvertrag zurücktreten können, weil

Brox JuS 1975, S. 5, Westennann JA 1978, S. 485, Walter, Kaufrecht, § 611 5, a.A. Ennan-Weitnauer 446 Rn. 8, 8. Aufl.; RGRK-Mezger § 446 Rn. 10. "5 Der Fall eines Doppelverkaufes war auch der Anlaß rur Jherings Wandel von der BegritlSzur Interessenjurisprudenz, vgl. dazu S. 21, Fn. 7.

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gemäß § 350 BGB der Rücktritt durch den zufälligen Untergang der Kaufsache nicht ausgeschlossen ist. 146

8. Die Übereinstimmung des Prinzips casum sentit dominus mit den Rückabwicklungsvorschriften des Rücktritts- und Bereicherungsrechts

a) Die Regelung des § 350

§ 350 BGB besagt, daß der Rücktritt nicht dadurch ausgeschlossen ist, wenn die zurUckzugewährende Sache durch Zufall untergeht. Über die Berechtigung dieser Vorschrift hat sich eine kontroverse Diskussion in der Rechtswissenschaft entfacht, die noch immer anhält. 147 In der folgenden Darstellung wird zunächst nur die Gefahrtragungsproblematik für den gesetzlichen Rücktritt behandelt. 148

§ 350 BGB findet seinen Grund in dem Prinzip casum sen!i! dominus im hier verstandenen Sinne. Zwar ist der Käufer nach wie vor Eigentümer der Sache, aber er hat die Sache zurückzugewähren; die Nutzungen darf er nicht behalten. 149 Die Sache hat keinen wirtschaftlichen Wert rur den Eigentümer, so daß 1-16 Ganz herrschende Meinung, vgl. Brox JuS 1975, S. 5; Soergel-Huber § 446 Rn. 59, PlanckKnoke § 446 Bem. 2 b. 147 § 350 BGB als berechtigt sehen an: Glass, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 19 ff.; Weitnauer NJW 1970, S. 638; Kohler WM 1993, S. 51; Beuthien Jura 1979, S.535; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 51; Mezger JZ 1953, S. 68 ff.; Flessner NJW 1972, S. 1780: "Es besteht nach allem kein Anlaß, das rechtspolitische Gewicht des § 350 BGB in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil: die Vorschrift verdient volle Rehabilitierung."; eine ähnliche Regelung enthält auch das UN-Kaufrecht, vgl. Art. 70, 82 eISG. 14. Zum vertraglichen Rücktritt vgl. S. 124. 14. Vgl. dazu auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 176: Der Verkäuter solle erst dann von der Gefahr entlastet werden, wenn das typische Vertrags interesse des Käufers befriedigt sei. "Normalerweise ist dies mit der Verschaffung der Sachherrschaft der Fall. Liefert der Verkäuter dagegen eine mangelhafte Sache und steht infolgedessen dem Käufer das Recht zu, die Sache zurückzuweisen, so ist die Verschaffung der Sachherrschaft nicht endgültig, der Verkäuter hat das Leistungsinteresse des Käufers noch nicht endgültig befriedigt. Unter dem dogmatischen Gesichtspunkt, den Gefahrübergang an die Befriedigung des Leistungsinteresses des Käuters zu knüpten, ist es also durchaus folgerichtig, den Verkäufer mit der Gefahr zu belasten, wenn er mangelhafte Ware liefert und der Käufer deshalb die Sache zurückweisen darf." Gleichwohl kommt Hager zu der Annahme, daß § 350 BGB in der Form nicht bestehen bleiben könne, da die Norm nicht mit dem Beherrschbarkeitsgedanke in Einklang stehe und auch nicht streitvermeidend wirke. "Nun wird es auch deutlich, worum es bei dem Streit um die rechtspolitische Angemessenheit der Regelung des § 350 BGB geht. Wer das Schwergewicht auf die Dogmatik legt, wird diese Regelung billigen.

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sein Vennögen auch keinen wirtschaftlichen Nachteil infolge eines zuflilligen Untergangs oder einer Verschlechterung erleiden kann, wenn nicht ein besonderer Zurechnungsgrund besteht. 150 Gleicher Ansicht ist Weitnauer: "In einem System mit abstrakter Übereignung wie bei uns ist der Käufer Eigentümer und dann würde ihn eigentlich die Gefahr des zuflilligen Untergangs treffen. Aber da er ja wirtschaftlich nicht Eigentümer ist, sondern die Sache zurückzugewähren hat, erkläre ich § 350 BGB als eine wirtschaftliche DurchfUhrung des Gedankens res perit domino. Der wirkliche Eigentümer ist eben nicht der rechtliche Eigentümer, der Käufer, sondern ist schon, so betrachtet, der Verkäufer, auf den die Sache wieder zurückgehen muß."151

§ 350 BGB findet also seine Berechtigung im Prinzip casum sentit dominus. 152 Keineswegs kann daher gesagt werden, die Vorschrift des § 350 BGB Wer das Schwergewicht auf die Pragmatik und Ökonomie legt, wird sie fUr verfehlt halten." Hager kommt dann letztlich zu einer ähnlichen Auffassung wie Wieling: "Man sieht in der Inkooperation der mangelhaften Ware in das Vermögen des Käufers das entscheidende Faktum im Sinne des § 351, welches nach Untergang der Sache einen Rücktritt ausschließt, im Fall unwesentlicher Verschlechterung zu einer Wertersatzptlicht gemäß §347 BGB fUhrt." Mit Erklärung des Rücktritts will Hager aber wieder die Gefahr auf den Verkäufer zurückfallen lassen, weil nun klar ist, daß die Lieferung des Verkäufers keinen Bestand haben wird. Dies zeigt schon, wie wenig ergiebig, abgesehen davon, daß der pragmatische und ökonomische Aspekt ohnehin zu verwerfen sind, die drei von Hager herausgearbeiteten Aspekte sind, da sie zueinander nicht in Übereinstimmung stehen. Zudem gibt Hager keine brauchbaren Kriterien vor, wann welchem Aspekt der Vorrang eingeräumt werden sollte. ISO Anderer Ansicht ist Wieling, nach dessen Meinung fUr die Anwendung des § 350 BGB nichts mehr übrig bleibe, da der Käufer die Sache endgültig in seinen Rechtskreis übernommen habe, um sie wie ein Eigentümer zu nutzen und damit gleichzeitig die Gefahr zu tragen habe, so daß die Ausübung des Rücktrittsrechts ein venire contra factum proprium sei. Für den Bereich des § 350 BGB blieben somit kaum noch Anwendungsfälle, mit Ausnahme derer, in denen der Rücktrittsgegner den Untergang oder die Verschlechterung zu vertreten habe, vgl. Wieling JuS 1973, S. 398. Dieser Auffassung wird nicht gefolgt, da es nach der im Text dargelegten Meinung bei der Gefahrtragung darauf ankommt, ob der Käufer den Gegenstand tatsächlich wie ein Eigentümer nutzen kann. Vgl. auch unten Fn. 255. ISI Weitnauer in Symposium fUr Detlef König S. 183 ff.; ders. in Dölle, Vor Art. 78-81 Rn. 40; ders. in Erman § 440 Rn. 15, 8. Autl.; vgl. dazu auch Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 51: "Zuvor war der ursprünglich wirksame Vertrag der Anlaß, die Gefahr des zuflUligen Untergangs vom Verkäufer auf den Käufer übergehen zu lassen (§§ 446, 448). Wenn nun eben dieser Vertrag aufgrund der Wandlung in seinen wesentlichen Wirkungen aufgehoben wird, so entfällt damit jede Rechtfertigung fUr eine Gefahrtragung des Käufers". lS2 Siehe dazu Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 356: ... und der Gedanke, daß die zu restituierende Sache intem-abrechnungshalber als relatives Eigen des jeweiligen Restitutionsgläubigers angesehen werden kann, deutet darauf, daß § 350 BGB auch den Grundsätzen des cuius periculum eius et commudum und descasum sentit dominus gerecht wird;

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stehe in Konflikt mit der Entscheidung des Gesetzgebers, daß derjenige die Gefahr zu tragen habe, in dessen Obhut sich die Sache befindet. ,s3 Ein solcher Grundgedanke ist dem BGB vielmehr fremd und läßt sich auch mit dem System des Vertragsrechts nicht vereinbaren. ,s4 Nicht im Widerspruch zu § 446 BGB, sondern im völligen Einklang mit § 446 BGB steht die Vorschrift des § 350 BGB. § 446 BGB läßt die Gefahr aufgrund des Satzes casum sentit dominus übergehen, da die Sache wirtschaftlich bereits dem Vermögen des Käufers zugeordnet ist, so daß es eine denknotwendige Folge ist, daß dann im Falle des Rücktrittes der Verkäufer wieder die Gefahr trägt, da in diesem Fall die Sache wirtschaftlich dem Vermögen des Verkäufers zugeordnet bleibt. 155 § 350 BGB und § 446 BGB stehen demnach systemkonform zueinander. Beim gesetzlichen Rücktritt sind auch keine Gründe vorhanden, die die Verlagerung der Zufallsgefahr auf den Käufer rechtfertigen könnten. 1s6 Daher bleibt es dabei, daß der Verkäufer die Gefahr zu tragen hat.

vgl. dazu auch Rengier AcP 177, S. 427: "Dahinter steckt die Überlegung, daß derjenige die Gefahr tragen soll, dem die Sache letztlich rechtlich zusteht". m Ein großer Teil der Literatur sieht § 350 BGB als eine ungerechte und unbillige Vorschrift an, da § 350 BGB zu einem ungerechtfertigten Auseinanderfallen von Gefahrtragung und Beherrschbarkeit fuhre, da der Verkäufer nicht in der Lage sei, schädliche Einflüsse von der Sache ternzuhalten, noch sie sonst in irgendeiner Weise vor Zerstörung oder Verlust zu bewahren, vgl Honsell MDR 1970, S. 719, ders. NJW 1973, S. 351; Wieling JuS 1973, S. 398; Esser/Schmidt, SchR AT, § 1911; Palandt-Heinrichs § 350 Rn. 3; Vathis, Gefahrtragung beim Kaut: S.64; Schwenn AcP 152, S. 141; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 176; ders in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 404; Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 193; von Caemmerer in Fs. fur Karl Larenz, S. 631; Finke, Bedeutung der internationalen Handelsklauseln, S.61; Wolf AcP 153, S. 142, nach Wolfs Ansicht fuhre die Anwendung des § 350 BGB zu ungerechten Ergebnissen, die "der Sachstruktur des geltenden Rechts (§§ 320 tr., 446 u.a.) und der allgemeinen Überzeugung widerspricht" . 15. Vgl. zum Beherrschbarkeitsprinzip S. 44 ff. ISS Anderer Ansicht Wolf AcP 153, S. 142; Honsell MDR 1970, S. 717; Dorschei, Rücktritt und fortwirkendes Synallagma, S. I, mit der Begründung, daß die Gefahr gemäß § 446 BGB bereits übergegangen sei, so daß sie nicht zurückspringen dürte. 156 Die Ansicht Schwenns, der § 350 BGB nur auf Fälle beschränken will, in denen die untergegangene Sache auch beim Rücktrittsgegner untergegangen wäre, ist nicht haltbar. Schwenn beruft sich dazu auf die Entstehungsgeschichte der §§ 348, 350 BGB. Ein der Theorie Schwenns entsprechender Antrag wurde während der Beratungen der zweiten Kommission abgelehnt und zwar mit dem Argument, daß die Frage, "ob das den Untergang der Sache bewirkende Ereignis auch beim Gegner eingetreten wäre, schwer zu entscheiden sei." (vgl. Protokolle I, S. 790/791). Ebensowenig ist die Ansicht Wolfs haltbar, beim Rücktritt § 323 BGB anwenden zu wollen, vgl. Wolf AcP 153, S. 142. Aufgrund von casum sentit dominus wäre ohnehin vom Synallagma, wie es auch bei § 446 BGB geschieht, eine Ausnahme zu machen. Zudem liegt es nahe, aus der besonderen Erwähnung der §§ 320, 322 BGB in § 348 BGB den Schluß zu ziehen, daß § 323 BGB nicht anwendbar ist.

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Da § 350 BGB demnach eine völlig berechtigte Vorschrift ist '57 , sind auch die Versuche abzulehnen, die durch eine weite Auslegung des Verschuldens im Sinne des § 351 BGB die Vorschrift weitgehend ins Gegenteil verkehren. 158 Eine weite Auslegung des Verschuldens ist vor allem auch deswegen abzulehnen, weil § 347 S.2 BGB mit der Verweisung auf § 987 II BGB dem Käufer eine Nutzungsobliegenheit aufbürdet. Dies gilt auch rur den Rücktrittsberechtigten, da § 327 S.2 BGB entgegen der herrschenden Meinung wörtlich zu

157 Ebenso sieht ein großer Teil der Literatur § 350 BGB als eine berechtigte Vorschrift an. Zur Begründung wird angefllhrt, daß nicht der Rücktrittsberechtigte, sondern der Rücktrittsgegner den Rücktrittsgrund zu vertreten habe, vgl. Soergel-Wiedemann § 327 Rn. 12; Soergel-Hadding § 350 Rn. I; Staudinger-Otto § 327 Rn. 11. Dazu auch F1essner NJW 1972, S. 1781: "Aber warum sollte sich die vertragliche Position des Verkäufers, der den Vertrag nicht voll erftlllt hat, nur durch das zufällige Schadensereignis plötzlich so verbessern auf Kosten des Kaufers, der seinerseits voll erfllllt hat oder doch dazu bereit war ?". Nicht dem schuldlosen Kaufer, sondern dem Verkauter mangelhafter Ware sei richtigerweise das Risiko des Sachunterganges autZubürden, vgl. ErrnanH. P. Westermann § 350 Rn. 2; Flessner NJW 1972, S. 1781; Glass, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 28; Bremecker, Bereicherungsbeschrankung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 51. Weiterhin wird angefllhrt, daß nur dem vertragstreuen Verkaufer das Traditionsprinzip einen Vorteil bringen solle. Leiste der Verkäufer mangelhaft, so sei ein Gefahrübergang nicht gerechttertigt. Würde man hier eine Trennung vornehmen, also den Kaufer zwar allgemein so stellen, als ob er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hatte, ihn aber andererseits die Gefahr des Unterganges der Kaufsache tragen lassen, dann ware der mit dem Mangelgewahrleistungsrecht angestrebte Schutz nur unvollkommen, vgl. Glass, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 28; Sickinger, Gefahrtragung und Haftung beim Rücktritt, S. 153. Auch nach Ansicht der Schuldrechtskommission ist das Rückspringen der Gefahr zum Verkaufer aufgrund eines gesetzlichen Rücktrittsrechts sachgerecht. Der Rücktritt erfolge hier deshalb, weil der Verkaufer seine Pflichten nicht vollstllndig erfllllt habe. Wer nicht ordnungsgemaß leiste, dürfe nicht darauf vertrauen, daß der GefahrUbergang auf den anderen Teil endgültig sei. Das Dilemma, von zwei schuldlos Beteiligten einem dem Verlust auferlegen zu müssen, mUsse hier, wie es auch der herrschenden Meinung im geltenden Recht entspreche, zugunsten des Rücktrittsberechtigten gelöst werden. Dabei schlagt die Kommission bei Untergang oder Verschlechterung nicht mehr den Ausschluß der Wandlung vor, sondern anstelle der Wandlung tritt eine Pflicht zum Wertersatz. Gemaß Abs. 111 Nr. 3 KE entfllllt die Wertersatzpflicht, wenn die Sache untergegangen ist und der Rücktrittsberechtigte die eigen übliche Sorgfalt eingehalten hat, vgl. Abschlußbericht der Schuldrechtkommission, S. 180. IS' SO wird zum Teil das Verschulden als jede freiwillige oder freie Handlung, die zum Untergang der Kaufsache fllhrt, gedeutet, vgl. Staudinger-Honsell § 467 Rn. 7; Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 201 ff.; Rengier AcP 177, S. 438. Ein Verschulden liege bei jeder auch mit aller Sorgtalt getroffenen eigenen Disposition des Kaufers, die eine unveranderte Herausgabe unmöglich mache, vor, vgl. von Caemmerer in Fs. Larenz, S. 627 ff.. Leser ist der Ansicht, daß den Rücktrittsberechtigten bereits aufgrund des Kaufvertrages eine Einstandspflicht fllr die unversehrte Rückgabe der Sache treffe. Die Rückgabepflicht liege schon im Vertrag als Entwurf vor und werde durch die Wahl des Rücktrittsberechtigten lediglich ausgelöst. Hierfllr habe der Rücktrittsberechtigte immer einzustehen, unabhangig von seinem konkreten Verhalten gegenüber der Sache. Daher bedürfe es beim Untergang der Sache auch keines besonderen Verschuldens, sondern es genüge jedes Verhalten im Sinne einer reinen Verursacherhaftung, vgl. Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 198.

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nehmen ist und der Rücktrittsberechtigte somit nach Rücktrittsrecht und nicht nach Bereicherungsrecht haftet. Dies wird anhand der Gesetzesgeschichte und der Sachrichtigkeit der Ergebnisse bestätigt.ls9 Mit der Auferlegung eines solchen Nutzungszwanges verträgt es sich aber nicht, wenn man ein Verschulden schon bei einem sachgerechten Gebrauch, ohne vorwerfbares Verhalten, annimmt. Auch der Kommissionsentwurf behält den Nutzungszwang in § 347 I BGB KE im Kern bei. l60 Ein Verschulden ist demnach gegeben, wie es letztlich auch der Kommissionsentwurf annimmt, wenn der Schuldner diejenige Sorgfalt nicht beachtet, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. 161

b) Die Gefahrtragung bei der Rückabwicklung von Verträgen im Falle der Nichtigkeit des Vertrages (§ 818111 BGB)

Gemäß § 818 III BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Nach dieser Vorschrift würde also der Bereicherungsgläubiger die Gefahr tragen. Die Vorschrift des § 818 III BGB ist auf das Prinzip casum sentit dominus zurückzufilhren. Rechtlich gehört die Sache zwar noch dem Bereicherungs-

159 Die Gründe, die daftlr sprechen, hat Glass in seiner Schrift, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, ausfUhrlich dargelegt. Eine wörtliche Interpretation vertreten auch Weitnauer NJW 1970, S. 639; ders. in Erman § 440 Rn. 25,8. Aufl.; Huber JZ 1987, S. 650; MünchKomm-Emmerich § 327 Rn. 7; Soergel-Wiedemann § 327 Rn. 34; Flume NJW 1970, S.1161; Larenz, ScqR I, § 26 I b; a.A. sind u.a. BGHZ 53, S. 148; BGH JZ 1987, S. 675; Staudinger-Otto § 327 Rn. 31; RGRK-Ballhaus § 327 Rn. 3; Wolf AcP 153, S. 97. I60Vgl. dazu ausfUhrlich Kohler WM 1993, S. 51. 161 Vgl. Soergel-Hadding. § 351 Rn. 6, der unter Verschulden eine zurechenbare Nachlässigkeit in eigenen Angelegenheiten versteht, aufgrund derer die Ausübung des gesetzlichen Rechtsbehelfs als widersprüchliches Verhalten anzusehen wäre. Der spätere Inhaber des gesetzlichen Rechtsbehelfs müsse den empfangenen Gegenstand zurechenbar einer über das typische Risiko erheblich hinausgehenden Gefahr ausgesetzt haben. Ein Untergang aufgrund üblicher Benutzung reiche nicht aus. Glaß wählt als Maßstab die Sorgfaltspflicht eines "bonus pater familias". Dies begründet Glaß mit der Gesetzesgeschichte. Danach sei ein Verhalten als Verschulden zu werten, daß die Sache einer Gefahr über das normale Maß hinaus aussetze. Es genüge also nicht jede freie Handlung, vgl. Glass, Gefahrtragung und Haftung beim gesetzlichen Rücktritt, S. 38. So ist Z.B. die Benutzung eines Autos durch verkehrsrichtiges Verhalten im Straßenverkehr nicht als Verschulden zu werten, vgl. Erman-Weitnauer § 440 Rn. 19,8. Aufl .. Auch die Schuldrechtskommission deutet das Verschulden als Verstoß gegen die eigenübliche Sorgfalt, vgl Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 180.

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schuldner, wirtschaftlich hat die Sache jedoch keinerlei Wert für ihn. Er hat die Sache zurUckzugewähren. Veräußert er die Sache, so hat er den Wert der Sache zu ersetzen. Gezogene Nutzungen hat er gemäß § 818 I BGB herauszugeben. Eine Wertsteigerung der Sache kommt dem Bereicherungsgläubiger zugute. Wirtschaftlich bleibt die Sache also dem Vermögen des Bereicherungsgläubigers zugeordnee 62 , so daß er auch den wirtschaftlichen Nachteil erleiden muß, der auf Zufall beruht. 163 Die Gefahrtragung richtet sich wieder nach dem Prin162 Anderer Ansicht ist Flurne. Dessen "Willensentscheidungstheorie" besagt, daß mit der Vereinbarung der Gegenleistung der Leistungsempfltnger bewußt das Risiko des Verlustes der Leistung in Höhe des Wertes der Gegenleistung übernehme, er setze willentlich sein Vermögen in Höhe der Gegenleistung rur die zu erlangende Sache ein. Das Schicksal der Leistung sei Teil des Schicksals seines Vermögens und ihm zuzurechnen, weil er sich rur den Austausch in sein Vermögen entschieden habe. Es stelle dann eine Spekulation auf Kosten des Bereicherungsgläubigers dar, wenn dieser auch rur die vermögensmäßigen Entscheidungen des Bereicherungsschuldners die Gefahr tragen müsse. Der Bereicherungsschuldner verstieße gegen das Verbot des venire contra factum proprium, wenn er sich seine vermögensmäßige Entscheidung nicht zurechnen lassen wolle. Dementsprechend trägt nach der Ansicht Flumes immer der Empfltnger, also entgegen der gesetzlichen Regelung, den Verlust des zuflllligen Unterganges. Der unwirksame Vertrag wird hinsichtlich der Gefahrtragung wie ein wirksamer behandelt. Nach Flume ist aber stets zu fragen, ob die vermögensmäßige Entscheidung dem Empfltnger noch zurechenbar ist. Dies sei zu verneinen, wenn der Empfltnger geschäftsunfllhig oder in der Geschäftsfllhigkeit beschränkt sei. In dem Falle, daß die Entgeltsvereinbarung aufIrrtum, arglistiger Täuschung oder Drohung beruhe, solle man im Falle der Anfechtung das Haben des Erlangten als solches dem Antechtungsberechtigten nicht zurechnen. Jedoch schränkt Flume diesen Grundsatz wieder stark ein, indem ein nach § 818 III BGB zu beachtender Wegfall der Bereicherung nicht in Betracht komme, wenn der Anfechtungsberechtigte das Erlangte rur einen besonderen Einsatz verwende. Dementsprechend kommt Flume zu einer Gefahrbelastung des arglistig getäuschten Autokäuters, weil das Auto im Straßenverkehr unterging und das Fahren im Straßenverkehr nach Flumes Meinung einen besonderen Einsatz darstellt (vgl. Flume in Fs. Niedermeyer, S. 165; ders. AcP 194, S. 440). Gegen Flume ist einzuwenden, daß die vermögensmäßige Entscheidung aufgrund der Unwirksamkeit des Vertrages auffalschen Voraussetzungen beruht und letztl ich keinen Bestand hat. Denn stellt sich der Vertrag als unwirksam heraus, bricht die Planung der Parteien und damit auch die vereinbarte Risikoverteilung zusammen. Vor allem zeigt sich dies daran, daß dem Bereicherungsschuldner die Vorteile des Vertrages nicht zugute kommen (vgl. Canaris in Fs. Lorenz, S.28). Dagegen wendet Flume ein, daß die vermögensmäßige Entscheidung als Faktum von der Geltung des Kaufvertrages unabhängig sei (Flume AcP 194, S. 440). Wirtschaftlich gesehen hat die Leistung aber rur den Bereicherungsschuldner keinerlei Vorteil rur sein Vermögen. Bei der Gefahrtragung kommt es nicht darauf an, ob eine Partei denkt oder annimmt, daß der Gegenstand wirtschaftlich ihrem Vermögen zugute kommt, sondern die tatsächliche Sachlage ist entscheidend, ob der Gegenstand dem Vermögen wirtschaftlich wirklich einen Vorteil brachte. Dies ist aber nur bei Vorliegen eines wirksamen Vertrages der Fall. Ebenso denkt auch der gutgläubige Besitzer, der z.B. eine abhanden gekommene Sache erwerben will, daß der Gegenstand seinem Vermögen zugehörig ist, auch hier triffi der Käufer eine vermögensmäßige Entscheidung, dennoch trägt er nicht die Zufallsgefahr. Zudem läßt sich Flumes "Willenentscheidungstheorie" nicht mit den RUckabwicklungsregeln der §§ 350, 351 BGB vereinbaren. 16J SO auch Dölle-Weitnauer Art. 79 Rn. II rur den Fall der Vertragsauthebung: "Der Käuter trägt die Preisgefahr solange nicht, ... , weil der Gefahrübergang einen wirksamen und bei Bestand

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zip casum sentit dominus, so daß der Bereicherungsgläubiger die Gefahr zu tragen hat. 164 Dadurch wird auch die erforderliche Harmonisierung mit dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis erreicht, denn bei Nichtigkeit des Kaufvertrages erfUllt der Bereicherungsanspruch eine ähnliche Funktion wie

bleibenden Kaufvertrag voraussetzt, während anderenfalls die Kaufsache wirtschaftlich (ohne RUcksicht auf die sachenrechtliche Zuordnung) dem Vermögen des Käufers zugeordnet bleibt"; ders. in Symposium fllr Detlef König S. 185, ders. in Erman § 440 Rn. 15; ähnlich Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 124: "Das Grundgeschäft ist nichtig. Der Empfllnger hat die Sache nicht endgUltig in Besitz, sondern er muß sie alsbald zurUckgeben. Rechte stehen ihm an der ungerechtfertigt erworbenen Sache nicht zu; im Gegenteil, die gezogenen Nutzungen muß er an den Käufer herausgeben, §§ 8181 bzw. 987,988 analog. Mit der "causa" entfallen auch die Wirkungen, die zuvor die GefahruberbUrdung auf den Käufer rechtfertigen konnten. Es ist daher angemessen, mit dem Eintritt der Unwirksamkeit die Gefahr auf den wieder an der Sache berechtigten Verkäufer zurUckspringen zu lassen."; vgl. dazu auch Kohler, Gestörte RUckabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 358. 16. Anderer Ansicht ist Wieling. Ausgangspunkt rur Wieling ist ein rechtliches Prinzip, das er als Gefahrtragungsregel bezeichnet und das z.B. in § 446 BGB seinen Ausdruck gefunden habe (vgl. zu dieser Meinung auch S. 100). Wieling fuhrt aus: "Es handelt sich um einen Anwendungsfall des Verbots des venire contra factum proprium: Wer eine Sache endgUltig in seinen Rechtskreis Ubernimmt, um sie wie ein EigentUrner zu nutzen, der muß auch die Gefahr der Sache tragen. Er benutzt die Sache bewußt auf eigenes Risiko. Tritt ein Schaden ein, so darf es ihm nicht gestattet werden, ihn auf seinen Vertragspartner abzuwälzen. Das factum, zu welchen sich der Besitzer nicht in Widerspruch setzen darf, ist also die Gefahrubemahme, nicht etwa eine schädigende Einwirkung auf die Sache." (Wieling JuS 1973, S. 398). Nach dieser Ansicht trägt somit immer der Empflinger der Leistung die Gefahr. Das Argument "wer eine Sache endgUltig in seinen Rechtskreis Ubernimmt, um sie wie ein EigentUmer zu benutzen, der muß auch die Gefahr der Sache tragen" trägt das Ergebnis nicht. Denn es ist zu beachten, daß im Falle des Scheiterns des Vertrages der Käufer die Sache gerade nicht wie ein EigentUrner nutzen konnte. Der Käufer will vielmehr die Gefahr nur dann tragen, wenn der erlangte Gegenstand auch wirklich zu seinem Vermögen gehört und nicht mit einem RUckgewähranspruch belastet ist. Denn gemäß §§ 347 S. 2, 818 I BGB hat er die Nutzungen herauszugeben. Demnach hatte er zwar die Nutzungsmöglichkeit, diese hat ihm jedoch letztlich keinen Vorteil gebracht und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt. Der Gefahrübergang gemäß § 446 BGB beruht auf der wirtschaftlichen Zuordnung der Sache, im Falle der RUckabwicklung des Vertrages, ist aber diese wirtschaftliche Zuordnung nicht mehr gegeben. Deswegen sollte es auch nicht bei einem Gefahrübergang bleiben. Allerdings geht Wieling (AcP 169, S. 155) bei der Abwicklung gescheiterter Austauschverträge zugunsten des Bereicherungsschuldners von der Nichtgeltung des § 818 I BGB aus, so daß der Vertrag hinsichtlich der Nutzungen bis zur Rechtshängigkeit (§ 987 BGB) oder zum Unredlichwerden (§ 990 I BGB) letztlich doch durchgefllhrt wird, wodurch seine Ansicht stimmig werden könnte. Auch dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Ist der Vertrag nämlich nichtig, so bedeutet dies, daß er nicht durchgefuhrt werden soll. Stellt sich der Nichtigkeitsgrund erst nach längerer Zeit heraus, kann dies sehr beträchtliche Folgen haben, wenn der Vertrag hinsichtlich der Nutzungen letztlich doch durchgeführt wird. Diese Folgen lassen sich aber regelmäßig mit den Grund rur die Nichtigkeitsanordnung nicht vereinbaren (vgl. Medicus, BR, Rn. 601; vgl. dazu auch Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs.3 BGB, S. 102).

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§ 985 BGB. 165 Denn nur aufgrund des Abstraktionsprinzips kann sich die Lage ergeben, daß dem Verkäufer nur der Anspruch aus §§ 812 ff. BGB zusteht. Im Falle der nichtigen Veräußerung schließt also der Bereicherungsanspruch nur die Lücke, die sich aufgrund des Abstraktionsprinzipes ergibt. Die Gefahrtragung sollte aber nicht von der inhaltlichen Ausgestaltung des Abstraktionsprinzipes abhängen. l66 Von daher sollte die Zufallsgefahr sowohl im EigentümerBesitzer-Verhältnis als auch im Bereicherungsrecht dieselbe Person treffen. § 818 111 BGB ist demnach bezüglich des zuflllligen Untergangs eine berechtigte Vorschrift. Durch die Anwendung der Saldotheorie in der Rechtsprechung wird jedoch die Gefahrtragung umgekehrt. 167 Nach dieser Theorie soll das Synallagma des gegenseitigen Vertrages in die Rückabwicklung einwirken. Statt der isolierten Rückabwicklung jeder fehlgeschlagenen Leistung bestehe von vornherein nur ein einheitlicher Bereicherungsanspruch zugunsten desjenigen, fiir den sich ein positiver Saldo ergebe. Denn bei der Durchftlhrung eines gegenseitigen Vertrages leiste der eine Teil, um die Gegenleistung zu erhalten, während der andere Teil die Gegenleistung erbringe, um die Gegenleistung behalten zu können. Diese Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung wirke auch im Falle der Nichtigkeit des Grundgeschäftes weiter. 168 Ist eine Partei nach 165Vgl. Rengier AcP 177, S. 421. U"'Vgl. dazu S. 88f. 161RGZ 94, S. 253; 141, S. 310; BGHZ I, S. 75; 53, S. 144: "Gesetzes korrektur aus Billigkeitsgründen"; 78, S. 216. 11;. Verwandt mit der Saldotheorie ist die Lehre vom faktischen Synallagrna. Diese geht vom Bestand zweier selbstIIndiger Bereicherungsansprüche aus (vgl. von Caemmerer in Fs. Rabel, S. 333 ff. und Fs. Larenz, S. 621 ff.; Leser, Rücktritt vom Vertrag, S. 107 ff.; ReuterlMartinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 17 III 3; Dorschei, Rücktritt und fortwirkendes Synallagma, S. 180 ff.). Jedoch sind die Vertreter der Lehre vom faktischen Synallagma der Ansicht, daß man trotz Nichtigkeit des Vertrages die Augen nicht davor verschließen könne, daß der Vertrag faktisch durchgefllhrt sei. Diese synallagmatische Bindung müsse auch bei der Rückabwicklung berücksichtigt werden. Deshalb dürfe es dem Vertragspartner nicht gestattet werden, die eigene Leistung isoliert zurückzuverlangen, wenn er selbst das Empfangene wegen Wegfalls der Bereicherung nicht herausgeben könne (von Caemmerer in Fs. Rabel, S. 386). Damit gelten die in den §§ 320 f[ BGB zugrundeliegenden Rechtsprinzipien fllr die Restitutionsdurchfllhrung, und dies erlaube praktisch eine Saldierung (vgl. Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 17 111 3). Nach von Caemmerers Ansicht sei es jedoch unerläßlich, Wertungsparallelität zwischen der rücktrittsrechtlichen Abwicklung und der bereicherungsrechtlichen Lösung herzustellen. Wo die Saldotheorie zu einer Risikoverteilung fllhre, die von klaren Prinzipien der Gefahrtragung bei der Abwicklung gescheiterter Verträge abweiche, seien entsprechende Ausnahmen zu machen. In der Fallgruppe, in der der Kaufgegenstand ohne jegliches Zutun des Käufers zufl!llig untergegangen ist, sei mit § 350 BGB eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung getroffen, die zwar mit der Ordnung des Gefahrübergangs, den Verkäufer grundsätzlich von Zufallsrisiken zu entlasten, kollidiere,

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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§ 818 III BGB entreichert, so werde der Wert dieser Entreicherung vom eigenen Bereicherungsanspruch des Entreicherten abgezogen. 169 Der Gedanke des Synallagmas rechtfertigt jedoch keineswegs eine Umkehrung der Vorschrift des § 818 III BGB, da bei der Zufallshaftung beim Kauf, gerade aufgrund der wirtschaftlichen Zuordnung zum Vermögen des Käufers eine Ausnahme vom Synallagma gemacht wird (durch die Vorschrift des § 4468GB), so daß dies zur Folge hat, daß diese Ausnahme auch bei § 818 III BGB Berücksichtigung finden muß. I7O aber trotzdem verbindlich sei. Auch bereicherungsrechtlich müsse analog § 350 BGB eine Ausnahme von der Saldotheorie zugelassen werden. Jedoch stellt von Caemmerer auch eine Fallgruppe auf, in der der Fall der Unmöglichkeit unversehrter Rückgabe infolge eines Verhaltens des Käufers erfaßt ist, welches den Sachuntergang bzw. die Sachverschlechterung bewirkt. Unter einem solchem Verhalten sei dabei auch eine mit aller Sorgfalt getroffene eigene Disposition des Käufers zu verstehen. Hier müsse in Analogie zu den §§ 351, 352 BGB die Wandlung ausgeschlossen sein. Der Käufer dürfe die Folgen von im eigenen Interesse getroffenen Dispositionen, die eine unversehrte Rückgabe unmöglich machen, nicht durch Wandlung auf den Verkäufer überwälzen, sondern müsse sich mit den ihm sonst zur Verfilgung stehenden Rechtsbehelfen (Minderung oder Schadensersatz) begnügen. Durch die Saldotheorie im Bereicherungsrecht lasse sich dieses sachgerechte Ergebnis erzielen. Zwei weitere Fallgruppen behandeln die Fälle, in denen die Sache infolge des Mangels und aufgrund Verschuldens untergeht. In der ersten Fallgruppe müsse der Verkäufer entgegen der Saldotheorie das Risiko tragen, während in der zweiten die Saldotheorie zu sachgerechten Ergebnissen komme. In den Fällen der arglistigen Täuschung werde das faktische Synallagma nicht aufgehoben, denn auch im Falle der arglistigenTäuschung bestehe aufgrund des kaufvertraglichen Leistungsaustausches ein Synallagma, eine wechselseitige Abhängigkeit der beiderseitigen Rückgewährpflichten. Es verbleibe also bei der Gefahrtragung des Käufers, vgl. v. Caemmerer in Fs. Larenz, S. 621 ff. Letztlich versucht v. Caemmerer also aufgrund einer Interessenabwägung zu einer sachgerechten Gefahrenverteilung zu kommen. Dabei soll vor allen Dingen auch eine Harmonisierung von Bereicherungsrecht und Rücktrittsrecht erreicht werden. Da v. Caemmerer die Regel des § 350 BGB jedoch als unbillig empfindet, versucht er durch eine Analogie zu den §§ 351, 352 BGB die Fälle des "reinen" zuflUligen Untergangs, durch eine extensive Auslegung des Verschuldensbegriff, möglichst gering zu halten, um so zu einer Gefahrenbelastung des Emptllngers zu kommen. Danach bleibt analog §§ 351, 352 BGB die Wandlung in den Fällen ausgeschlossen, in denen die Unmöglichkeit unversehrter Rückgabe auf einer zwar im eigenen Interesse, jedoch mit aller Sorgfalt getroffenen Verrnögensdisposition des Käufers beruht. An diesem Punkt ist Kritik an dieser Auffassung zu üben, da es bedenklich erscheint, dem Empfllnger auch dann das Risiko zuzurechnen, wenn er ohne jegliches Verschulden handelt. Hierbei wird die gesetzgeberische Entscheidung zu § 350 BGB mißachtet. Zudem ist § 350 BGB eine völlig berechtigte Vorschrift, so daß eine extensive Auslegung des Verschuldens abzulehnen ist, vgl. dazu S. 99 ff. 169Vgl. BGHZ I, S. 75; 53, S. 144; 78, S.216. 170 Aus diesem Grunde braucht daher auch nicht auf die Frage eingegangen werden, ob überhaupt das Synallagma bei der Rückabwicklung beachtet werden darf. Dies wird z.T. verneint; so z.B. von Kress, Allgemeines Schuldrecht, S. 372: "Indes dieses Ergebnis dürfte weder dem Sinne der Nichtigkeit des Vertrages noch dem Gedanken der Beschränkung der Herausgabeverptlichtung auf die Bereicherung (§ 818 111) entsprechen. Die Gegenleistung ist keine die Bereicherung mindernde Aufwendung; sie steht mit der grundlosen Verrnögensverschiebung in keinem Kausalzusammen-

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Auch in der Literatur ist die Saldotheorie zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt.!7! Diese gründet sich darauf, daß sich das Prinzip der Saldierung nicht durchhalten läßt. So versagt die Saldotheorie bei einem nur einseitig ausgefiihrten Vertrag. 172 In diesen Fällen wird vielfach mit dem Argument, eine synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung sei hier schon begrifflich unmöglich, eine Anwendung der Saldotheorie abgelehnt. Wer vorleiste, tue dies auf eigene Gefahr.!73 Doch es geht nicht an, bei einseitiger Bereicherung nach § 818 III BGB dem Bereicherungsgläubiger das völlige Risiko aufzuerlegen, bei zweiseitiger Bereicherung dagegen in völliger Umkehrung des § 818 III BGB dem Leistungsempflinger die Gefahr zuzuweisen. Denn in beiden Fällen geht es darum, das Schadensrisiko während der Besitzzeit des Käufers einem der Vertragspartner zuzuweisen. Ob der Kaufpreis gezahlt ist oder nicht, ist ein zuflilliger Umstand, der bei der Lösung solcher Fälle gänzlich außer Betracht bleiben sollte. Den Vorleistenden trifft normalerweise nur das Risiko der Vermögenslosigkeit seines Vertragspartners, ansonsten ist aber kein Grund vorhanden, ihn gegenüber dem Normalfall gleichzeitiger Leistungserbringung zu benachteiligen.!74 Bedenken gegen die Saldotheorie sind insbesondere auch deswegen angebracht, weil der verschärft haftende Bereicherungsschuldner gemäß §§ 818 IV, 819 BGB fiir den zuflilligen Untergang der Sache nicht haftet. Somit würde der hang, Leistung und Gegenleistung sind nicht ursächlich, sondern durch den Zweck - den Austauschzweck - verbunden. Dieser zweckliche (synallagrnatische) Zusammenhang aber kommt nicht zustande, da der Vertrag, die Zweckvereinbarung nichtig sind; die AnsprUche auf Herausgabe der Leistung und Gegenleistung - der Bereicherung - sind selbständig, gesondert zu beurteilen"; vgl. dazu auch Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 36/68. 171 FrUher war die Saldotheorie allgemein anerkannt. Von Caemmerer schrieb ihr sogar gewohnheitsrechtliche Wirkung zu (in Fs. filr Ernst Rabel, S. 333 ff.). Im Laufe der Zeit wurde sie aber zunehmend umstrittener. So wird z.T. in der Literatur gesagt, daß sie nicht mehr haltbar sei, vgl. Diesselhorst JZ 1970, S. 418; F1ume NJW 1970, S. 1161; Honsell MDR 1970, S. 717; z.T. ist die Saldotheorie schon "totgesagt" worden, so: Kühne JR 1972, S. 113; vgl. auch Flume NJW 1970, S. 1161: "... was ist das filr eine seltsame Theorie, die einen Begriff der Bereicherung, nämlich Bereicherung = Saldo, aufstellt, um, wenn es nicht passend erscheint, diesen Begriff wieder aufzugeben."; Kohler WM 1993, S. 51: "Im Gegenteil wird zu fragen sein, ob der angezeigte "Abschied von der Saldotheorie" nicht eine Rückbesinnung auf Gehalt und Wert des § 350 BGB nötig erscheinen läßt". 172 Ebenso ist auch die Lehre vom faktischen Synallagma nicht in der Lage, die Fälle des nur einseitig ausgefilhrten Vertrages zu lösen. 17JVgl. BGH LM Nr.2 zu § 818 111; Fikentscher, Schuldrecht, § 100 VI 3; Palandt-Thomas § 818 Rn. 49. m Vgl. Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S.47; Honsell NJW 1973, S. 350.

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gutgläubige Bereicherungsschuldner schärfer als der bösgläubige Bereicherungsschuldner haften, womit die Privilegierung des Gutgläubigen verloren ginge und damit als Wertungswiderspruch erscheint. 175 Aus diesem Grund sollte die Zufallsgefahr beim Bereicherungsgläubiger verbleiben. Zudem steht die Saldotheorie in Widerspruch zu der Gefahrtragungsregel des § 350 BGB, bei der grundsätzlich dem Verkäufer das Risiko aufgebürdet wird. 176 Folgerichtig hat der BGH im Falle der arglistigen Täuschung eine Ausnahme von der Saldotheorie gemacht. 171 Dem lag folgender Fall zugrunde:

BGHZ 53, 147: Der Kläger (KI.) kaufte von dem Beklagten (Bekl.) einen gebrauchten PKW zum Preis von 8000 DM Der Käufer gab einen gebrauchten PKW für 5300 DM in Zahlung, bezahlte 1100 DM bar und akzeptierte für den Rest einen Wechsel. Den tatsächlichen Kilometerstand von 124 000 km hatte der Bekl. verschwiegen und dem KI. versichert, der auf dem Tachometer angezeigte Kilometerstand von 74 000 km sei zutreffend

l7S So insbesondere Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, S. 300; vgl. dazu auch Canaris in Fs. rur Werner Lorenz, S. 27: "Zwar könnte man das auch mit der Behauptung zu korrigieren versuchen, diese Regelung sei ebenfalls nicht auf die Besonderheiten der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge zugeschnitten, doch bedürfte es rur eine so weitreichende Rechtsfortbildung eines durchschlagenden Sachgrundes. Ohnehin entspricht ja die Gefahrentlastung des Bereicherungsschuldners der gesetzlichen Ausgangslage gern. § 818 III BGB, so daß die Argumentationslast bei demjenigen liegt, der rur die Unanwendbarkeit dieser Vorschrift eintritt". 176Vgl. Kohler, Gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschvertrage, S. 169; von Caernmerer in Fs. Larenz, S. 621 fl'.; MünchKornm-Lieb § 818 Rn. 101, 102; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 49 t1'.. Zum Teil wird in der Literatur vertreten, daß die Korrekturen der Saldotheorie mit Rücksicht auf § 350 BGB zu verallgemeinern sind. Im Bereicherungsrecht dürfe nicht in Widerspruch zu § 350 BGB gewertet werden (Medicus, BR, Rn. 229). Analog anzuwenden seien daher die §§ 348, 350, 351 BGB (Beuthien Jura 1979, S. 535). Ein zuflllliger Untergang des Kaufobjekts gehe danach zu Lasten des Verkäufers, ein dem Käufer zuzurechnender Untergang zu Lasten des Käufers. Die Saldotheorie könne somit keinen Abzug wegen einer vom Entreicherten nicht zu vertretenden Entreicherung begründen. Eine Ausnahme wird noch zugunsten des Minderjährigen gemacht. 177 Eine weitere Ausnahme von der Saldotheorie wird zugunsten Minderjäriger gemacht. Die Anwendung der Saldotheorie wird in diesen Fallen allgemein abgelehnt, vgl. statt vieler Flume in Fs. Niederrneyer S. 174; Honsell MDR 1970, S. 717; Larenz, SchR IU2, § 73 III 5; Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB, S. 45; Fikentscher, Schuldrecht, § 100 VI 3; Palandt-Thomas § 818 Rn. 49. Auch das Reichsgericht hat in dem bekannten "Käse-Fall" aus Gefahrtragungsgesichtspunkten eine Ausnahme von der Saldotheorie gemacht (RGZ 94, S. 253).

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Am Tage nach der Auslieferung wurde der PKW ohne Verschulden des KI. stark beschädigt. Der Kläger hat den Vertrag nunmehr aufgrund der arglistigen Täuschung angefochten. Mit der Klage verlangt er vom Bekl. die Zurückzahlung von 6400 DM (J 100 DM Barzahlung und 5300 DMfür den vom Verkäufer bereits weiterverkauften und in Zahlung gegebenen PKW). Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht änderte das Urteil insoweit ab, als es den Bekl. zur Zahlung von 6400 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des PKWs verurteilte. Zur Begründung ftlhrte der BGH aus: Für "normale" Bereicherungsfälle sei zwar die Risikoregelung der Saldotheorie der des § 350 BGB vorzuziehen, im Sonderfall der arglistigen Täuschung dürfe aber der Betrüger bei einer Abwicklung nach Bereicherungsrecht nicht besser stehen als der Rücktrittsschuldner. Die Saldotheorie, die bewußt von den Rücktrittsregeln, insbesondere von der Vorschrift des § 350 BGB abweiche, müsse hinter die Billigkeitserwägungen im Falle der arglistigen Täuschung zurücktreten.178 Die Rechtsprechung versucht also das von § 350 BGB abweichende Ergebnis der Saldotheorie im Falle der arglistigen Täuschung der Regelung des § 350 BGB anzupassen. 179 Eine Anpassung an die Vorschrift des § 350 BGB ist aber nicht nur dann notwendig, wenn der Bereicherungsgläubiger den Anfechtungsgrund zu vertreten hat, sondern auch in den Bereicherungsfällen, in denen der Bereicherungsgläubiger den Anfechtungsgrund nicht zu vertreten hat. Zwar erfaßt § 350 BGB nur Fälle, in denen der Störungsgrund im Verantwortungs- und Risikobereich des anderen Teils liege, jedoch ist mit Canaris davon auszugehen, "daß es befremdlich wäre, wenn ein nichtiger Vertrag das Zufallsrisiko auf den Empfänger der Leistung verlagern könnte, obwohl dies ein zunächst wirksamer - d.h. erst durch Rücktritt oder Wandlung ins Abwicklungsstadium BGHZ 53, S. 148. Vgl. Medicus, BR, Rn. 229: Fechtet der Käufer nicht an, sondern erklärt statt dessen die Wandlung, so hätte er den vollen Kaufpreis zurUckverlangen können, weil nach § 350 BGB, der Uber § 467 BGB anwendbar sei, der zufllllige Untergang zu Lasten des Verkäufers gehe. Ansonsten wUrde die rur den Laien naheliegende Anfechtung zu einer Falle, durch die der Vorteil des § 350 BGB verlorengehe; Weitnauer sagt zu Recht: "Derart willkUrlich und unberechenbar kann eine Zivilrechtsordnung nicht sein." (NJW 1970, S. 639). 178 119

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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tretender- Vertrag nicht vermag."180 Eine Zufallshaftung ist daher nicht nur rur den Bereicherungsschuldner zu statuieren, der die Nichtigkeit zu vertreten hat, in wessen Verantwortungs- und Risikobereich also der Störungsgrund lag, sondern auch rur denjenigen, der die Nichtigkeit nicht zu vertreten hat. 181 Der Gefahlilbergang gemäß § 446 BGB ist auf das Prinzip casum sentit dominus zulilckzuruhren. Aufgrund dessen wird eine Ausnahme vom Synallagma gemacht. Im Falle der Nichtigkeit des Vertrages ist die Sache aber gerade nicht mehr dem Vermögen des Empfilngers wirtschaftlich zugeordnet, so daß es dann auch nicht bei dem Gefahrübergang gemäß § 446 BGB bleiben kann. Zu folgen ist demnach der Zweikondiktionentheorie. Nach dieser Theorie hat bei der Rückabwicklung nichtiger gegenseitiger Verträge jeder Vertragsteil einen selbständigen Bereicherungsanspruch auf Herausgabe des Hingegebenen. Somit bleibt bei der Kondiktion der eigenen Leistung die Gegenleistung unbeIilcksichtigt. Jeder Beteiligte hat danach nur ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB und darf bei gleichartigen Leistungen aufrechnen (§ 387 BGB). Nur bei einem zufälligen Untergang oder einer Verschlechterung kann sich der Bereicherungsschuldner auf die Norm des § 818 III BGB berufen, denn im Falle eines verschuldeten Untergangs besteht kein Anlaß, dem Käufer auch dieses Risiko abzunehmen. 182 Nach dem Satz casum sentit dominus hat also der Bereicherungsgläubiger die Gefahr zu tragen. Auch hier sind keine Gründe vorhanden, die eine Verlagerung der Zufallsgefahr rechtfertigen. Zufällig ist der Untergang oder die Verschlechterung der Sache dann nicht, wenn der Bereicherungsschuldner den Untergang zu vertreten hat. Ein Vertretenmüssen liegt hier ebenso wie bei § 351 BGB dann vor, wenn der Schuldner diejenige Sorgfalt nicht beachtet, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Liegt ein Verschulden des Bereicherungsschuldners vor, so ist ihm die Berufung auf die Norm des § 818 III BGB nicht gestattet.

II"'Canaris in Fs. tur Wemer Lorenz, S. 27; ebenso Medicus, SchR 11, § 12911 I b. IHI SO aber König in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. 11, S. 1548, der das Privileg des § 350 BGB nur deswegen tur gerechtfertigt hält, weil die Anwendung des § 350 BGB aufgrund §§ 327 S. 1,467 S. I BGB eine Vertragsverletzung des anderen Teils voraussetze. 102 Darüber besteht in der Literatur und Rechtsprechung Einigkeit, vgl. statt vieler: Bremecker, Bereicherungsbeschränkung des § 818 Abs. 3 BGB; Lieb JZ 1972, S. 444.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

9. Die Lösung besonders gelagerter Fälle bei § 446 BGB an hand von casum sentit dominus An dieser Stelle sollen noch die problematischen Fälle, die bei § 446 I BGB auftreten, behandelt werden. D~u gehören die Fälle, in denen die Übergabe durch Besitzkonstitute bewirkt wird. Des weiteren wird auch die bereits kurz angesprochene Problematik des bedingten Kaufes behandelt. Anhand des Prinzips casum sentit dominus lassen sich diese Fälle lösen.

a) Die Gejahrtragungsproblematik bei den Übergabesurrogaten Übergabe ist zunächst die Übertragung des Besitzes, also der tatsächlichen Gewalt über die Sache, die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes (§ 854 BGB). Fraglich ist, ob die Gefahr gemäß § 446 BGB übergeht, wenn der Besitz anders als durch unmittelbare Übergabe verschafft wird.

aa) Mit Übertragung des mittelbaren Besitzes gemäß § 930 BGB wird zugleich der Eigentumsübergang bewirkt Wird dem Käufer mit Übertragung des mittelbaren Besitzes gleichzeitig das Eigentum verschafft, so ist zu fragen, ob schon die vollständige Erfüllung gemäß § 362 I BGB eingetreten ist. 183 Ist bereits vollständig erfüllt, so stellt sich das Problem des GefahrUbergangs nicht mehr. Ob bereits vollständig erfüllt ist, ist durch Auslegung der Parteivereinbarung (§ 157 BGB) zu ermitteln. Abzustellen ist auf den Sinn des Kaufvertrages und auf das, was vernünftige Parteien unter den gegebenen Umständen typisch erweise als vereinbart erachten. Es kommt darauf an, ob der Verkäufer dem Käufer im Kaufvertrag Übereignung gemäß § 929 BGB oder gemäß §§ 930, 931 BGB versprochen hat. In Zweifelsfällen kann es für die Auslegung erheblich sein, ob der Käufer bereits die wirtschaftliche Nutzung der Kaufsache erhalten hat. 184 IX3 MünchKomm-Westennann § 446 Rn. 7; Walter, Kaufrecht, § 6 11 3; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 9; Ennecerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 103 11 I, Brox JuS 1975, S. 4; Staub-Würdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 78 b; Larenz; SehR 11/1, § 4211 a; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 118; Wirtz, Charakter der Paragraphen 446 und 447 BGB, S. 33. ""Vgl. dazu Larenz, SchR 11/1, § 4211 a; Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käuters, S. 9; EsserIWeyers, Schuldrecht BT, § 8 III 2 a; Jaueming-Vollkommer § 446 Anm. 2 b.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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Zum Teil wird das Besitzkonstitut für den Gefahrübergang immer als ausreichend angesehen, weil nämlich eine vollständige Erfüllung nach dem Parteiwillen immer zu unterstellen sei. 18S Diese Meinung geht zu weit, da der Parteiwille nur dort Berücksichtigung finden kann, wo sich für diesen auch ein Anhaltspunkt im Vertrag finden läßt. Gegen das oben Gesagte wird von Filios eingewandt, daß es nicht besonders förderlich sei, danach zu fragen, ob bereits Erfüllung eingetreten sei, oder nicht. Zwar gesteht auch Filios ein, daß diese Meinung zweifellos richtig sei, er sieht die Schwierigkeit aber darin, daß sich der Wille der Parteien nicht immer feststellen ließe. Daher will er sichere Maßstäbe für die hier zu lösende Gefahrtragungsproblematik aufstellen. 186 Dabei mißachtet Filios jedoch, welche Bedeutung dem Parteiwillen in der Rechtsordnung des BGB zukommt. Denn die Privatautonomie, die Freiheit der Parteien in der Gestaltung des Vertrages, stellt das höchste Prinzip unserer Zivilrechtsordnung dar. Aus diesem Grunde ist immer zunächst nach dem Parteiwillen zu fragen. Erst wenn sich im Vertrag keine Anhaltspunkte für eine Auslegung befinden, ist auf die gesetzliche Lage oder auf entwickelte Maßstäbe, die für dieses Problem aufgestellt worden sind, zurückzugreifen. Einige Autoren wollen schließlich immer mit Eigentumsverschaffung die Gefahr nach dem Satz casum sentit dominus, unabhängig von der Erfüllung, übergehen lassen. 187 Wie bei der Behandlung des Satzes casum sentit dominus schon gezeigt worden ist, bedeutet es jedoch keineswegs, daß immer der Eigentümer natürlicherweise die Gefahr zu tragen hat. Dies kann auch gelten, "S Wismeyer, Prinzip des Gefahrübergangs beim Kauf, S. 56; Boettge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S.62-65; Adenauer, Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kauf, S. 14; von Hugo, Bedeutung des Eigentumsübergangs, S. 42; vgl. Gerber, Gefahrtragung bei bedingten Kaufverträgen, S. 4, noch mit der Erwägung, der Käufer habe alles getan, was unter den obwaltenden Umständen ihm hat zugemutet werden können, so daß es recht und billig sei, daß in diesem Augenblick auch die Gefahr auf den Käufer übergehe. 1M6 Vgl. Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 65. 137 Vgl. dazu Kisch, Unmöglichkeit der Erftlllung, S. 62, der unabhängig von der ErflIllung die Gefahrtragung nach dem Prinzip casum sentit dominus regeln will: "Schließlich dürfte es auch genügen, wenn der Eigentümer seinen Anspruch gegen einen Dritten auf Herausgabe der Sache gern. § 931 BGB an den Käufer abtritt. Damit hat er diesem das Eigentum übertragen und die Verschaffung des Besitzes ermöglicht. Es erscheint billig, ihm mit der VerfUgungsmacht über die Sache auch die Gefahr abzunehmen."; aufgrund des Eigentumsüberganges wollen auch Palleske, Gefahrübergang gem. § 4461 BGB, S. 56 und Kaiser, Gefahrtragung im Kaufvertrage. S. 13. die Gefahr übergehen lassen, da § 446 11 BGB ebenfalls bei bloßer Eigentumsverschatlung die Gefahr übergehen läßt; so auch Adler ZHR 72, S. 400.

8 ReiDhardt

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

wenn der Verkäufer dem Käufer schon das Eigentum verschafft hat. Denn auch hier ist es aufgrund von Parteiabreden möglich, daß dem Verkäufer die Sache weiterhin wirtschaftlich zugeordnet bleibt. Somit muß nicht immer mit der Eigentumsverschaffung die Gefahr übergehen.

bb) Das Schuldverhältnis ist noch nicht gemäß § 362 BGB erloschen Wird durch das Besitzkonstitut noch kein Eigentum übertragen, so kann hier nicht mehr die Frage gestellt werden, ob bereits vollständige Erfüllung eingetreten ist. Das gleiche gilt, wenn zwar Eigentum übertragen worden ist, die Auslegung des Vertrages aber ergibt, daß noch keine vollständige Erfüllung eingetreten ist. In diesen Fällen kommt dann der Frage Bedeutung zu, ob die Übergabesurrogate der Übergabe im Sinne des § 446 BGB gleichzustellen sind. IBB Ausgangspunkt ist dabei das in dieser Arbeit herausgearbeitete Prinzip casum sentit dominus. Zu fragen ist wieder danach, ob die Ware dem Käufer oder dem Verkäufer wirtschaftlich zugeordnet ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist von großer Bedeutung, ob die Parteien ihr Rechtsverhältnis durch die Vereinbarung eines Besitzkonstitutes auf eine neue Grundlage gestellt haben und welche Wirkungen dieses zwischen den Parteien neu vereinbarte Rechtsverhältnis entfaltet. 189

I""

Nach einer Ansicht geht die Gefahr nicht über, weil die Voraussetzungen und die den Gefahrübergang durch Übergabe rechtfertigenden Gründe fehlen, nämlich die Erlangung der Sachherrschaft, vgl. Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9; Degenkolb, Getilhrtragung beim Wahl kaufe, S. 19; Wirtz, Charakter der Paragraphen 446 und 447 BGB, S. 35. Diese Meinung ist abzulehnen, weil das Kriterium der Sachherrschaft zur Begründung der Vorschrift des § 446 BGB vertehlt ist (vgl. dazu S. 44 ff.). 119 Filios ist der Ansicht, daß das Vorhandensein eines Besitzkonstituts immer eine Vereinbarung voraussetze. Diese Vereinbarung stelle einen Änderungsvertrag dar, der die Verpflichtung des Käufers zur Übergabe modifiziere. Der Übergang der Gefahr auf den Käuter sei die denknotwendige Folge des Änderungsvertrages, durch den der Verkäufer seinen Verpflichtungen nachgekommen sei. Er behalte daraufhin die Sache als Besitzmittler des Käufers (z.B. als Mieter, Verwahrer, Entleiher oder auf Grund eines ähnlichen Rechtsverhältnisses). Die weitere Regelung der Gefahrtragung richte sich nach dem Inhalt des vereinbarten besonderen Rechtsverhältnisses, Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 67. Vgl. dazu auch Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S. 36; Böttge, Gefahrtragung beim Mobiliarkaut: S. 68. Gegen Filios ist zunächst einzuwenden, daß es sich zumeist nicht um eine Änderung des geschlossenen Vertrages handeln wird, sondern schon im vornherein um eine Änderung des Typus des § 433 BGB. Weiterhin kann insoweit nicht zugestimmt werden, daß nicht immer bei Vorliegen eines neuen Rechtsverhältnisses der Käufer die Gefahr tragen muß.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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Ist der Käufer durch die Erlangung des mittelbaren Besitzes in der Lage, den Kaufgegenstand zu nutzen und mit diesem wie ein Eigentümer zu verfahren, so unterscheidet er sich durch nichts von dem Käufer, der durch die körperliche Übergabe die Nutzungsmöglichkeit erlangt und anschließend die Waren dem Verkäufer oder einem Dritten zum Gebrauch überläßt. 190 So im folgenden Fall: A kauft von B ein Auto. Da B das Auto noch eine kurze Zeit weiter benutzen will, vereinbart er mit dem A, daß er dieses noch für 1 Monat zur Miete behält.

In diesem Fall hat der A die Gefahr zu tragen. Die Lage des Käufers unterscheidet sich nicht von der eines anderen Vermieters, der ebenfalls die Gefahr trägt. Die Sache ist dem A wirtschaftlich zugeordnet, so daß der zufiillige Untergang zu seinen Lasten geht. Zunächst ähnlich verhält es sich bei der Verwahrung. Auch hier geht im Normalfall die Gefahr auf den Käufer über. A kauft im Laden des B eine wertvolle Vase. Da der A diese Kostbarkeit nicht bei dem weiteren Stadtbummel mitnehmen mächte, bittet er den B darum, die Vase nochfür 1-2 Stunden auftubewahren. Als A die Vase abholen will, ist sie schon durch Unbekannte, ohne Verschulden des B, gestohlen worden.

Entscheidend hierbei ist, daß der Käufer zwar keinen Nutzen in Form eines Gewinns zieht, der Käufer aber die Nutzungsmöglichkeit hatte. Er konnte mit der Sache wie ein Eigentümer verfahren. Es ist seine Sache, wenn er von dieser Möglichkeit in Form eines Gewinnes keinen Gebrauch macht. Die Sache ist ihm wirtschaftlich zugeordnet. Seine Stellung unterscheidet sich nicht von der eines anderen Eigentümers, der die Sache ebenfalls in Verwahrung gibt. Gefolgt werden kann daher nicht der Ansicht Hubers, der annimmt, daß, wenn die Übergabe aus irgendwelchen Gründen nur gestundet sei und der Käufer, um seinen Übereignungsanspruch zu sichern, eine Vereinbarung über den Eigentumsübergang mit Besitzkonstitut (z.B. Abrede der Verwahrung) treffe, der Verkäufer weiterhin die Gefahr zu tragen habe. Hier bleibe der Verkäufer nach § 433 BGB weiterhin zur Übergabe verpflichtet, und die Gefahr gehe erst mit der Übergabe über. Ob der Verkäufer die Stundung im eigenen Interesse oder aus Gefiilligkeit vornehme, solle gleichgültig sein. 191 Auch in diesem Fall

I." So auch Biederbeck, Gefahrübergang bei Säumnis des Käufers, S. 9.

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Im übrigen stellt Huber darauf ab, ob die Parteien ihr Rechtsverhältnis durch das Besitzkonstitut auf eine neue Grundlage stellen, z.B. durch die Vereinbarung eines Miet- oder Leih-

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ist zunächst entscheidend, ob der Käufer die Nutzungsmöglichkeit hatte. Ist es allein seine Sache, in welcher Form er mit der Sache verfahrt, so hat er eine eigentümerähnliche Stellung. Die Sache ist ihm wirtschaftlich zuzuordnen. Dagegen hat der Verkäufer keinen wirtschaftlichen Vorteil davon, wenn er die Sache Z.B. auf Wunsch des Käufers verwahrt. Die Stellung des Käufers unterscheidet sich hier nicht von der eines anderen Eigentümers, der die Sache ebenfalls in Verwahrung gibt. Die Tatsache, daß der Verkäufer weiterhin zur Verschaffung des unmittelbaren Besitzes verpflichtet ist und damit keine Erfüllung eingetreten ist, sollte besser den Verzugsvorschriften überlassen bleiben. Kommt der Verkäufer mit der Verschaffung des unmittelbaren Besitzes in Verzug, so hat dieser gemäß § 287 S. 2 BGB den zufliIIigen Untergang zu vertreten. Anders dagegen zu entscheiden ist der FalI, in dem der Käufer mit der Sache überhaupt nicht wie ein Eigentümer verfahren konnte und ihm somit die Sache wirtschaftlich auch nicht zugeordnet werden kann. Dies mag folgendes Beispiel verdeutlichen:

Käufer K kauft im Laden des Verkäufers V einen Anzug aus dem Schaufenster. Der Verkäufer erklärt sich nur bereit, diesen jetzt schon zu verkaufen, wenn der Anzug bis zum Abend im Schaufenster als Ausstellungsstück verbleiben kann. Damit ihm niemand mehr beim Kauf zuvorkommen kann, erklärt sich K hierzu bereit. V übereignet dem K den Anzug durch Vereinbarung eines Besitzkonstitutes gemäß § 930 BGB. Als K abends den Anzug abholen will, ist der Anzug infolge eines Brandes im Laden zufällig zerstört worden. In diesem Fall konnte der K den Anzug überhaupt noch gar nicht wie ein Eigentümer nutzen, weil dies Bedingung des Kaufvertrages war. Der K hatte keinerlei Befugnisse hinsichtlich der Sache. Die Sache kann ihm wirtschaftlich nicht zugeordnet werden. Die Gefahr geht somit nicht gemäß § 446 BGB über, sondern verbleibt beim Verkäufer. Denn er hat von seinem Recht als damaliger verhältnisses. Der EigentumsUbergang solle keine Rolle spielen, da sich der GefahrUbergang nur nach schuldrechtlichen Gesichtspunkten richte. (Soergel-Huber § 446 Rn. 23). Anderer Ansicht Errnan-Weitnauer § 446 Rn. 3, 8. Autl.: "BesitzUbertragungssurrogate nach Maßgabe der §§ 930, 931 sind grundsätzlich ausreichend, wenn diese nach dem Vertrag zugelassen sind oder der Käuter sich mit ihnen begnUgt, so insbesondere im Falle der gekauften und vom Käuter zurückgelegten Ware"; vgl. auch Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 78, der die Gefahr den Käuter tragen läßt, wenn der Käufer die abholbereite Sache aus eigenem Interesse beim Verkäuter belasse und dieser aus Geflllligkeit damit einverstanden sei. Hager sieht darin den billigenswerten Teil der römisch rechtlichen Regel periculum es! emp!oris.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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Eigentümer soweit Gebrauch gemacht, daß er die Sache, auch wenn er das Eigentum schon verloren hat, über diesen Zeitpunkt hinaus nach seinen Bedürfnissen noch nutzen konnte. '92 Ohnehin wird in solchen Fällen meist ein Parteiwille dahingehend festzustellen sein, daß die Gefahr noch nicht gemäß § 446 BGB übergeht, sondern beim Verkäufer verbleibt. Entscheidender Gesichtspunkt für den GefahrUbergang ist also bei der Besitzverschaffung durch Besitzkonstitut, ob die Ware dem Käufer oder dem Verkäufer wirtschaftlich zugeordnet ist. '93 Ist die Ware dem Vennögen des Käufers wirtschaftlich zugeordnet, so steht die Verschaffung des mittelbaren Besitzes der Übergabe im Sinne des § 446 BGB gleich. Die Entscheidung hängt dabei von dem jeweiligen Einzelfall ab und ist durch Auslegung des Vertrages zu ennitteln.

cc) Mit Abtretung des Herausgabeanspruches wird gleichzeitig Eigentum verschafft Diese Fallgestaltung kann kürzer behandelt werden, weil diese Problematik der oben besprochenen weitgehend entspricht. Auch diese Problematik ist anhand derselben Gesichtspunkte, die auch bei der Besitzverschaffung gemäß §§ 930, 868 BGB maßgeblich sind, zu ennitteln.

1.2 So auch Brox JuS 1975, S. 4: "Sofern der Käufer durch die Verschatlung des mittelbaren Besitzes jedoch die Möglichkeit erlangt, die Kaufsache zu nutzen, steht er dem Käufer gleich, dem durch Übergabe die Nutzungsmöglichkeit eingeräumt wird und der die Sache an den Verkäufer oder den Dritten vermietet oder verleiht. Deshalb ist § 446 1 BGB sinngemäß anwendbar. Das scheidet aber aus, wenn der Käufer, obwohl er mittelbarer Besitzer wird, die Nutzungsmöglichkeit nicht erlangt, sondern diese noch eine bestimmte Zeit beim Verkäufer verbleibt. In diesem Fall ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Käufer schon die Preisgefahr tragen sollte; sie geht vielmehr erst mit der Übegabe auf ihn über". 193 Vgl. dazu Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskauf: S. 61 (Fn.180): "Wenn neuerdings -im Gegensatz zu früher- teileise die Auffassung vertreten wird, daß der tatsächlichen Übergabe der Ware der Fall gleichzustellen ist, daß zwischen Verkäufer und Käufer ein Besitzmittlungsverhllltnis LS. der §§ 930, 868 (allerdings ohne Erftlllungswirkung) vereinbart wird, so ist dies unter anderem die konsequente Folgerung aus der soeben aufgezeigten Abgrenzung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Sache gehört nämlich wirtschaftlich zum Vermögen des Besitzmittlers, da dieser allein darüber bestimmt, wer den unmittelbaren Besitz an der Sache, wie lange und unter welchen Konditionen erhalten soll."; ähnlich Larenz, SchR 1111, § 4211 a: "zum mindesten ist mit dem "wirtschaftlichen Übergang" die Gefahr auf den Käufer übergegangen. "; vgl. auch Staudinger-Köhler § 446 Rn. 16, nach dessen Meinung soll die Gefahr übergehen, wenn zugleich Nutzungen und Lasten auf den Käufer übergehen. So etwa, wenn im Falle der Abtretung des Herausgabeanspruchs der Käufer bereits die volle wirtschaftliche Nutzung zugewiesen bekomme.

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§ 3 Ratio legis des § 446 I BGB

Es ist wieder durch Auslegung des Vertrages zu prüfen, ob der Verkäufer mit Abtretung des Herausgabeanspruchs und Eigentumsverschaffung den Kaufvertrag gemäß § 362 BGB erfllllt hat. Ist dies der Fall, so ist § 446 BGB nicht mehr anwendbar. Der Käufer hat nach allgemeinen Grundsätzen die Gefahr zu tragen.

dd) Mit Abtretung ist noch keine Erfllllung gemäß § 362 BGB eingetreten Hat der Käufer z.B. gleichzeitig mit Abtretung des Herausgabeanspruches die Rechte aus dem Mietverhältnis, insbesondere wenn ihm das Entgelt aus dem Mietvertrag zusteht, so ist ihm die Sache wirtschaftlich zugeordnet. Seine Lage unterscheidet sich nicht von der eines anderen Vermieters. Auch hier hängt es somit von der jeweiligen Fallgestaltung ab, ob die Gefahr auf den Käufer übergeht. Dies ist wiederum der Fall, wenn dem Käufer die Sache wirtschaftlich zugeordnet ist. 194 Maßgebend ist dabei die konkrete Vertragsgestaltung und die Interessenlage der Parteien. So geht die Gefahr z.B. im folgenden Fall über: A kauft von Beinen Pelzmantel. welcher zur Zeit noch von der B an die C vermietet ist. B tritt der A den Herausgabeanspruch und die sonst noch bestehenden Rechte aus dem Mietvertrag ab. Anders muß der Fall hingegen entschieden werden, wenn der A zwar der Herausgabeanspruch aus dem Mietverhältnis abgetreten, zwischen den Parteien jedoch vereinbart wird, daß die sonst bestehenden Rechte aus dem Mietvertrag, insbesondere wem das Entgelt zukommt, weiterhin bei der B verbleiben und dieser Umstand auch nicht im Kaufpreis berücksichtigt wird.

b) Die Gefahrtragung beim bedingten Kauf Beim bedingten Kauf, wenn der Verkäufer dem Käufer schon vor Eintritt der Bedingung die Kaufsache übergeben hat und diese vor Eintritt der Bedingung 194 Vgl. dazu auch MünchKomm-Westermann § 446 Rn. 7:"Genügt der bloße mittelbare Besitz nach dem Grundgeschäft zur Erftlllung nicht, so kann allenfalls die Abtretung des Herausgabeanspruches gegen einen Dritten dem GefahrUbergang durch Übergabe gleichstehen, wenn durch sie dem Käufer bereits die volle wirtschaftliche Nutzung zugewiesen wird."; so auch Walter, Kaufrecht, § 6 11 3.

IV. Das Prinzip easum sentit dominus

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untergeht, ist die Frage der Gefahrtragung umstritten, da das BGB keine Vorschrift für diese Problematik enthält. Bei der folgenden Darstellung ist es sinnvoll, den aufschiebend und auflösend bedingten Kauf getrennt zu behandeln.

aa) Die Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kaufvertrag Keine Probleme bereitet zunächst der Fall, wenn dem Käufer in Erfüllung eines aufschiebend bedingten Kaufvertrages die Ware übergeben wird und die Bedingung ausfällt. In der Rechtswissenschaft wird allgemein vertreten, daß die Gefahr beim Verkäufer bleibe, weil ein wirksamer Vertragsschluß nicht vorliege. Ein rechtswirksamer Kaufpreisanspruch sei nie entstanden. Die Gefahrtragungsregel des § 446 BGB gehe ins Leere. Die Gefahr bleibe beim Verkäufer: 95 Entscheidend für dieses Ergebnis ist aber, daß bei Ausfall der Bedingung der Käufer von der Ware keinen wirtschaftlichen Vorteil hat, so daß er auch keinen wirtschaftlichen Nachteil erleiden darf. Aus diesem Grunde bleibt nach dem Prinzip casum sentit dominus die Gefahr beim Verkäufer. Unproblematisch ist auch der Fall, wenn die Bedingung eintritt und nach diesem Zeitpunkt die Kaufsache untergeht. In diesem Fall hat der Käufer die Gefahr zu tragen. Hier ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber dem Fall eines normalen Kaufes, bei welchem der Käufer mit der Übergabe die Gefahr zu tragen hat. Problematisch wird es dann, wenn die Sache zuflillig untergeht und im nachhinein die Bedingung eintritt. Keine Schwierigkeiten bereitet es zunächst dann, wenn die Parteien eine Rückbeziehung gemäß § 1598GB vereinbart haben. Ist dies der Fall, trägt der Käufer bei Eintritt der Bedingung rückwirkend die Gefahr. 19b 195 Vgl. BGH NJW 1975, S. 777; Larenz, SehR 1111, § 42 11 a; Palandt-Putzo § 446 Rn. 8; Soergel-Huber § 446 Rn. 45, 50; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 75; Brox JuS 1975, S. 3; Walter, Kaufrecht, § 6 11 1 c aa; Staub-WUrdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 194. 1% Zum Teil wird vertreten, daß mit Bedingungseintritt immer die Gefahr rUckwirkend auf den Käufer übergehe, weil mit der vorzeitigen Übergabe die Wirkung des § 159 BGB als vereinbart gelte, vgl. Staudinger-Köhler § 446 Rn. 7: "Bei Eintritt der Bedingung gilt § 446 BGB rückwirkend, wenn -wie in der Regel- die Übergabe als vorweggenommene Erfüllung in Erwartung des Eintritts der Bedingung erfolgt. Es ist in diesem Fall eine Rückbeziehung (§ 159) als vereinbart anzusehen"; Adler ZHR 72, S. 413; Adenauer, Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kaut:

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Problematischer wird es, wenn sich rur eine solche Rückbeziehung kein Anhaltspunkt im Vertrag befindet. Ob von den §§ 323 ff. BGB dann eine Ausnahme gemäß § 446 BGB beim aufschiebend bedingten Kauf, bei Eintritt der Bedingung, zu machen ist, ist wieder anhand des Prinzips casum senti! dominus zu klären. 197 Zu bedenken ist, daß gemäß § 158 I BGB der Eintritt der Bedingung nur ex nunc wirkt, so daß der gemäß § 446 I BGB normalerweise erforderliche Kaufvertrag nicht vorliegt und somit auch die Gefahr eigentlich nicht übergehen kann. 198 Anhand der Gesetzesmaterialien wird jedoch deutlich, daß der Entwurf keine Bestimmung über den Fall eines unter einer Bedingung, insbesondere unter einer Suspensivbedingung, abgeschlossenen Kaufvertrages enthält: "Die Frage aber, wie, falls während schwebender Bedingung die Sache dem Käufer übergeben worden ist, es sich mit der Gefahrtragung verhalte, bleibt besser an der Hand der einschlägigen Vorschriften der Wissenschaft und Praxis zur Lösung vorbehalten".I99 Demnach läßt sich eine Regelungslücke bezüglich der Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kauf feststellen, so daß durchaus eine analoge Anwendung des § 446 BGB geboten sein könnte, wenn aufgrund der gleichen Gesichtspunkte, die auch bei § 446 BGB flir den unbedingten Kauf maßgebend sind, die Gefahr des zufalligen Untergangs oder der Verschlechterung während der Schwebezeit, wenn im nachhinein die Bedingung eintritt, den Käufer treffen muß. Von der Voraussetzung eines wirksamen Vertrages wäre dann eine Ausnahme zu machen, so daß ausnahmsweise

S. 56 tT.; Palandt-Putzo § 446 Rn. 8; RGRK-Mezger § 446 Rn. 4. Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden. Wenn sich kein Anhaltspunkt tllr einen entsprechenden Willen im Vertrag tindet, so kann auch eine Anwendung des § 159 BGB nicht bejaht werden. Dieses Argument ist nicht in der Lage, generell die Gefahrtragungsproblematik beim aufschiebend bedingten Kaufzu klären. 197Nicht gefolgt werden kann der Meinung, die aufgrund der Beherrschungsmöglichkeiten eine Gefahrtragung des Käufers bejaht, vgl. Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 77 tT.; Larenz, SchR 1111, § 42 11 a; Brox JuS 1975, S.4; Walter, Kaufrecht, § 6 11 I c aa; Flume, AT, § 40 2 c; Westerrnann JA 1978, S. 484; Errnan-Grunewald § 446 Rn. 7; Jauerning-Vollkommer § 446 Anm. 2 a; RGRK-Mezger § 446 Rn. 4; Vathis, Gefahrtragung beim Kaut: S. 61; Adenauer, Gefahrtragung beim aufschiebend bedingten Kauf, S. 56 tT; Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 9. Das Prinzip der Beherrschbarkeit ist als Argument rur die Gefahrtragung ungeeignet (v gl. dazu S. 44 tT.). ,•• Von einigen Autoren wird aus diesem Grund eine Gefahrtragung des Käuters verneint. Der Eintritt der Bedingung wirke nur ex nunc und habe keine rUckwirkende Kraft, vgl. Erman-Weitnauer § 446 Rn. 4, 8. Aufl.; RGRK-Mezger § 446 Rn. 4; Oertmann, BGB, § 446 Anm. 6 b; Pali eske, GefahrUbergang gern. § 446 I BGB, S. 70; Planck-Knocke § 446 Anm. 2; Gerber, Gefahrtragung bei bedingten Kaufverträgen, S.30; Endemann, BUrgerliches Recht, S.947; CosackMitteis, Lehrbuch des BUrgerlichen Rechts Bd. I, S. 490; Wismeyer, Prinzip des GefahrUbergangs, S. 71; Rabel, WarenkauflI, § 116 11 2; Kisch, Unmöglichkeit der Ertllliung, § 8 II 3. '99 Mugdan Motive 11, S. 180.

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auch das Vorliegen eines schwebend unwirksamen Vertrages, der später wirksam wird, genügen muß, zumal auch die Übergabe in Erftillung des beabsichtigten Kaufvertrages erfolgt. 2°O Wie oben bereits festgestellt, bleibt bei Nichteintritt der Bedingung die Kaufsache wirtschaftlich dem Vermögen des Verkäufers zugeordnet, so daß der Verkäufer die Gefahr zu tragen hat. Bei Eintritt der Bedingung ist nun wieder entscheidend, wie es sich mit der wirtschaftlichen Zuordnung während der Schwebezeit verhält. Schon während des schwebend unwirksamen Vertrags hat der Käufer eine dinglich geschützte Rechtsposition gemäß § 986 BGB. Diese geschützte Rechtsposition stellt zwar zunächst nur eine vorläufige dar, tritt die Bedingung aber ein, so wird diese vorläufige Rechtsposition zu einer endgültigen. Nur im Falle des Eintritts der Bedingung hat diese vorläufige Rechtsposition einen wirtschaftlichen Wert. Mit Übergabe der Kaufsache erhält der Käufer die Nutzungsmöglichkeiten. In der Übergabe wird regelmäßig eine antizipierte Erfullungshandlung in der Annahme des Bedingungseintritts zu sehen sein, so daß regelmäßig aufgrund des vorläufigen Gebrauchsrechts die Berechtigung des Käufers besteht, Nutzungen zu ziehen. 20' Eine zwischenzeitliche Wertsteigerung des Kaufobjektes kommt dem Käufer zugute. Hat der Käufer die Sache während der Schwebezeit veräußert, so wird er im Regelfall den Erlös behalten können. Einer Schadensersatzpflicht wird der Käufer nicht unterworfen sein. Dagegen hat der Verkäufer überhaupt keine Veräußerungsmöglichkeit. Besitzt der Verkäufer diese Möglichkeit, so ist der Käufer durch die §§ 160, 161 BGB im Falle des Eintritts der Bedingung hinreichend geschützt. Der aufschiebend bedingte Kauf zielt darauf ab, daß der Erwerber die Kaufsache endgUltig behalten soll. Tritt die Bedingung ein, so konnte der Verkäufer während der Schwebezeit von der Kaufsache in keinster Weise wirtschaftlich profitieren. Die Kaufsache kann ihm während der Schwebezeit nicht wirtschaftlich zugeordnet werden, so daß er auch nicht den zufiilligen Verlust zu tragen hat. Die Kaufsache ist während der Schwebezeit, falls die Bedingung eintritt, dem Käufer wirtschaftlich zugeordnet, so daß der Käufer auch während der Schwebezeit

2IM'Vgl. Walter, Kaufreeht, S. 272. 201 Larenz, SehR 1II1, § 42 11 a; Kniese, Verteilung von Nutzungen und Lasten, S. 101; Leonhard, Besonderes Sehuldreeht, § 11; Brox JuS 1975, S. 4; Filios, Gefahrtragung beim Kaut: S. 38; Walter, Kaufreeht, S. 272.

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die Gefahr zu tragen hat. 202 § 446 BGB ist in diesem Fall analog anwendbar. Demnach ist der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, wenn die Kaufsache während der Schwebezeit zufiUlig untergeht oder sich verschlechtert und im nachhinein die Bedingung eintritt. 203

bb) Der Sonderfall des Kaufs auf Probe An dieser Stelle soll noch ein Sonderfall des aufschiebend bedingten Kaufes, der Kauf auf Probe, behandelt werden, da es sich bei diesem um den in der Praxis wichtigsten Fall des aufschiebend bedingten Kaufs handelt. 204 Bei dem Kauf auf Probe wird sich zumeist nicht die Problematik stellen, wen die Gefahr des zufälIigen Untergangs trifft, wenn die Bedingung im nachhinein eintritt. Denn gemäß § 495 BGB steht die aufschiebende Bedingung, die Billigung, im Belieben des Käufers, so daß er regelmäßig die Billigung verweigern wird, wenn die Sache zufällig untergegangen ist oder sich verschlechtert hat. Fraglich kann daher nur sein, ob es dem Käufer verwehrt ist, die Billigung zu verweigern, wenn die Sache zufälIig untergegangen ist. Kann der Käufer die Billigung verweigern, so bleibt die Sache wirtschaftlich dem Vermögen des Verkäufers zugeordnet, so daß er auch die Gefahr zu tragen hat. Bei dem Kauf auf Probe soll vor Billigung der Kaufsache dem Käufer keinerlei Verbindlichkeit auferlegt werden. Daher steht die Billigung in seinem freien Belieben. Gründe fllr die Mißbilligung muß er nicht nennen. Daher muß es auch nach wie 2"2 Ähnlich auch Larenz, SchR 1111, § 42 11 a; Leonhard, Besonderes Schuldrecht, § 12; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 82: "Wirtschaftlich erscheint intolgedessen die Lage des aut~ schiebend berechtigten Käufers gleich der des unbedingt berechtigten". 203 Zum Teil wird in der Rechtswissenschaft auch vertreten, daß mit Übergabe der Kaufsache zwar nicht die Gefahr des Unterganges, wohl aber die der Verschlechterung auf den Käuter tllr den Fall des Bedingungseintritts übergehe. Falls die Sache untergehe, könne der KautVertrag mangels Vorhandensein der Kaufsache im Zeitpunkt des Eintrittes der Bedingung nicht wirksam werden. In diesem Fall sei der KautVertrag gemäß § 306 BGB nichtig, vgl. Stern, Gefahrtragung, S.93; Kluckhohn Jb 64, S. 117; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd.2, S.419; Ennecerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, S.353; Wetzmüller, Übergang der Gefahr, S.34; Oertrnann, BGB, § 446 Anm. 6 b; vgl. auch Staub-Würdingerl Röhricht, Vor § 373 Anm.194. Dagegen ist einzuwenden, daß eine Nichtigkeit nur anzunehmen ist, wenn die Leistung bereits im Augenblick des Vertragsschlusses unmöglich war. Daher wird man eine nachträgliche Unmöglichkeit annehmen müssen. Der KautVertrag bleibt wirksam (vgl. BGH NJW 1975, S. 777; Jauerning-Vollkommer § 306 Anm. 2 aa; Palandt-Putzo § 306 Rn.3; Filios, Gefahrtragung beim Kaut; S. 79 ff; Larenz, SchR lVI, § 42 11 a; Brox JuS 1975, S. 3;Walter, Kaufrecht, S. 272). 2'" Zur Gefahrtragung beim Kauf auf Probe vgl. BGH NJW 1975, S. 776.

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vor dem Käufer gestattet sein, die Billigung nach dem Verlust der Kaufsache zu verweigern. § 162 BGB ist hier nicht anwendbar. 205 Das Recht der Mißbilligung darf ihm nicht verweigert werden. Nur eine solche Auslegung entspricht dem Sinn des Kaufs auf Probe. Verweigert der Käufer die Billigung, so hat der Verkäufer die Gefahr des Untergangs zu tragen.

ce) Der auflösend bedingte Kauf Wird die Kaufsache dem Käufer aufgrund eines auflösend bedingten Kaufvertrages übergeben, so geht zunächst gemäß § 446 BGB die Gefahr über, da ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt. Die Gefahrtragung des Käufers wird endgültig, wenn das Nichteintreten der Bedingung feststeht. Die Kaufsache ist dem Käufer in diesem Fall während der ganzen Zeit wirtschaftlich zugeordnet, so daß er auch die Gefahr des zuflllligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung zu tragen hat. Problematisch wird die Rechtslage, wenn die auflösende Bedingung eintritt und die Sache in der Zwischenzeit untergegangen ist. Wie schon mehrfach betont, geht die Gefahr gemäß § 446 BGB deswegen mit der Übergabe über, weil von diesem Zeitpunkt an die Kaufsache dem Käufer wirtschaftlich zugeordnet ist. Wie verhält es sich nun mit der wirtschaftlichen Zuordnung, wenn die auflösende Bedingung eintritt? Für die Beantwortung dieser Frage ist es zunächst erforderlich, sich über die Wirkungen der auflösenden Bedingung Klarheit zu verschaffen. Ein Rechtsgeschäft, das unter einer auflösenden Bedingung geschlossen worden ist, hat zunächst uneingeschränkte Rechtswirkung. 206 Es werden Verpflichtungen der Parteien begründet und Rechte übertragen. Der Eintritt der auflösenden Bedingung wirkt nur ex nunc. Dagegen bestehen bei der aufschiebenden Bedingung Pflichten der Parteien allenfalls insoweit, daß der Eintritt der Bedingung nicht treuwidrig verhindert werden darf. Das Bild des Schwebezustands trifft also nur bei der aufschiebenden Bedingung ganz zu. 207 Zwischen den Parteien ist

20S So auch Soergel-Huber § 446 Rn. 50; Jaueming-Yollkommer Anm. zu §§ 495, 496 Anm. 3 b; Palandt-Putzo § 495 Rn. 5; Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 84; Larenz, SehR II11, § 44 I; Medieus, SehR 11, § 84 11. 2(16 Ygl. Soergel-Wolf§ 158 Rn. 21; MUnehKomm-Westermann § 158 Rn. 9. 1U7Ygl. MUnehKomm-Westermann § 158 Rn. 9.

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also bei der auflösenden Bedingung ein voller Leistungsaustausch beabsichtigt, der bis zum Eintritt der Bedingung volle Wirksamkeit haben soll. Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß der Verkäufer bis zum Eintritt der Bedingung keinen wirtschaftlichen Vorteil von der verkauften Sache hat. Die Nutzungen stehen dem Käufer bis zum Eintritt der Bedingung zu. Diese hat er auch nicht nach Bereicherungsrecht zurUckzugewähren, weil der Kaufvertrag bis zu diesem Zeitpunkt bei Bestand bleibt und somit ein Rechtsgrund besteht. 208 Der Käufer besitzt aufgrund des voll wirksamen Kaufvertrages, falls er noch kein Eigentum erlangt hat, bis zum Eintritt der Bedingung gemäß § 986 BGB eine dinglich geschützte Rechtsposition. Hat er das Eigentum erlangt, besitzt er ohnehin eine solche Rechtsposition. Der Verkäufer kann und darf die Sache nicht mehr weiterveräußern. Erst ab Eintritt der Bedingung hat die Sache rur den Verkäufer wieder einen wirtschaftlichen Wert rur sein Vermögen. Daher ist bis zum Eintritt der Bedingung die Sache dem Käufer wirtschaftlich zugeordnet, so daß der Käufer während dieser Zeit die Gefahr zu tragen hat. Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewendet werden, daß der Fall der auflösenden Bedingung mit dem des vertraglichen Rücktrittsrechts vergleichbar sei 209 , wonach der Rücktritt auch bei zufälligen Untergang gemäß § 350 BGB zulässig bleibt, so daß bei der auflösenden Bedingung auch der Verkäufer die Gefahr zu tragen habe. Zu berücksichtigen ist zunächst, daß sich beim vertraglichen Rücktrittsrecht in der Regel aus dem Parteiwillen eine andere Gefahrverteilung ergeben wird. 2IO Der Verkäufer wird häufig dem Käufer nur ein vertragliches Rücktrittsrecht zubilligen wollen, wenn der Käufer auch in der Lage ist, ihm die verkaufte Sache unversehrt zurückzugeben. Daher wird in der Literatur vielfach angenommen, daß § 350 BGB stillschweigend abbedungen sei. 211 Freilich ist dies nur möglich, wenn sich für diese Auslegung auch ein Anhaltspunkt im Vertrag findet. Hat sich z.B. der Verkäufer bereit erklärt, die Sache

20KVgl. Medicus, BGB AT, Rn. 846. 20'1 So aber z.B. Staub-WUrdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 194; a.A. Staudinger-Köhler § 446 Rn.5, 12. Aufl; Walter, Kaufrecht, § 611 1 c bb. 210Nach Ansicht der Schuldrechtskommission soll im Falle des vertraglichen Rücktrittsrechts der Käufer die Gefahr tragen, vgl. Abschlußbericht S. 183 ff 211 Vgl. Weitnauer in Symposium fUr Detlef König S. 188, Larenz, SehR I, § 26 2; ErmanWestermwm § 350 Rn. 2; MUnchKomm-lanßen § 350 Rn. 7; Staudinger-Kaiser § 350 Rn. I); Soergel-Hadding § 350 Rn. 2.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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innerhalb von 14 Tagen zurückzunehmen, falls der Käufer dies wüosche2l2 , so ergibt sich hier durch Auslegung gemäß § 157 BGB, daß dies nur gilt, wenn der Käufer auch tatsächlich in der Lage ist, die Sache zurückzugewähren. Die Auslegung wird in den meisten Fällen dazu filbren, daß der Käufer die Gefahr zu tragen hat. Anders ist hingegen zu entscheiden, wenn dem Käufer durch den Kaufvertrag noch keinerlei Verbindlichkeit auferlegt werden soll. So vor allem, wenn das Geschäft den Charakter eines Kaufs auf Probe hat. 213 In diesem Fall wird § 350 BGB nicht als abbedungen gelten können. Zudem ist zu beachten, daß die Wirkungen des Rücktrittsrechts von denen bei Eintritt der auflösenden Bedingung verschieden sind. Beim Rücktritt sollen die Parteien so gestellt werden, als wenn sie sich nie auf den Vertrag eingelassen hätten. 214 Dagegen ist der auflösend bedingte Vertrag bis zum Eintritt der Bedingung voll wirksam; bis dahin ist ein voller Leistungsaustausch der Parteien beabsichtigt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind somit verschieden. Beim vertraglichen Rücktritt hat der Käufer gemäß §§ 347 S.2 LV.m. 987 I, 987 11 BGB die Nutzungen herauszugeben, ferner ist er rur schuldhaft nicht gezogene Nutzungen ersatzpflichtig. Beim vertraglichen Rücktritt bleibt daher die Sache wirtschaftlich dem Vermögen des Verkäufers zugeordnet, so daß auch der Verkäufer den zufälligen Untergang zu tragen hat, wenn das vertragliche Rücktrittsrecht ausgeübt wird. 21S Denn dann bot die Sache keinerlei wirtschaftlichen Vorteil rur das Vermögen des Rücktrittsschuldners. Nur aufgrund des Abstraktionsprinzips fällt das Eigentum nicht auf den Käufer zurück. Aus dem Abstraktionsprinzip sollten aber keine materiellen Folgen rur die

Beispiel bei Larenz, SchR I, § 26 2. Hierauf weist vor allem Kohler WM 1993, S. 52, hin: "Wegen der tatsächlichen, wirtschaftlichen Austauschbarkeit dieser Rechtsgestaltungen mit dem vorbehaltenen Rücktritt sollten sich die jeweiligen Rechtsfolgeordnungen tunlichst entsprechen. Die Gefahrtragungsregelung des § 350 BGB erscheint in diesem Zusammenhang als Selbstverständlichkeit; seine Abschaffung oder auch nur die Haftungsverschärfung erzeugte gerade beim vertraglichen Rücktritt, wenn der Empfänger mit der Sache in dem Wissen um seine treuhänderische Pflicht zur Verwaltung im eventuell fremden Interesse umgeht, eine systemwidrige und daher besonderer Rechtfertigung bedürftige Anomalie". m Mugdan Motive 11, S. 280. mVgl. auch F1ume NJW 1970, S. 1165: "Nehmen wir als Beispiel wieder den Kauf, so inkooperiert der Käufer -das ist der Gedanke, der § 350 BGB zugrunde liegt- bei der vertraglichen Vereinbarung eines Rücktrittsrechtes den Kaufgegenstand noch nicht seinem Vermögen."; ders. AcP 194, S. 445: ... aufgrund des Rücktrittsvorbehaltes sei der Kauf eineemptio imperfecta und deshalb trage mit Recht der Verkäufer wie beim bedingten Kauf die Gefahr. 212

213

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Gefahrtragung gezogen werden. 216 Der Rücktrittsgläubiger hat nach dem Prinzip casum sentit dominus die Gefahr zu tragen, es sei denn, die Auslegung ergibt, daß § 350 BGB abbedungen ist. In diesem Fall ist § 350 BGB auch rur den vertraglichen Rücktritt eine sachgerechte Regelung. Der Fall der auflösenden Bedingung sollte demnach nicht der Lösung des § 350 BGB beim vertraglichen Rücktrittsrecht gleichgestellt werden. Vielmehr ist der Fall der auflösenden Bedingung wirtschaftlich vergleichbar mit einem solchen Fall, in welchem der Eigentümer mit einer anderen Person schon einen Kaufvertrag über die Sache geschlossen hat. Der Verkäufer ist nur schuldrechtlich gebunden und macht sich daher schadensersatzpflichtig, wenn er dem Käufer die Sache nicht verschaffen kann. Ebenso verhält es sich im Falle des auflösend bedingten Vertrags, da der Käufer sich hier nach § 16011 BGB schadensersatzpflichtig macht, wenn er nach Eintritt der Bedingung die Sache nicht mehr zurückgewähren kann, so z.B., wenn er die Sache veräußert hat. Auch sonst sind die beiden Sachverhalte wirtschaftlich völlig vergleichbar. Der Käufer hat mit Vertragsschluß noch nicht den wirtschaftlichen Nutzen der Sache, der es als gerechtfertigt erscheinen läßt, ihn von diesem Zeitpunkt auch schon mit der Gefahr zu belasten, so wie der Verkäufer vor Eintritt der auflösenden Bedingung keinen wirtschaftlichen Nutzen von der Sache hat. Ebensowenig wie mit Vertragsschluß die Gefahr übergeht, sollte daher mit Eintritt der auflösenden Bedingung die Gefahr zurückspringen. 217 Festzuhalten bleibt somit vorerst, daß die Gefahr beim Käufer zu verbleiben hat. Diese Ansicht stimmt auch mit dem Gesetz überein, da gemäß § 15811 BGB der Bedingungseintritt die Wirkungen des Rechtsgeschäfts nur mit ex-nunc-Wirkung entfallen läßt, so daß auch der bereits erfolgte Gefahrübergang gemäß § 446 BGB nicht hinflillig wird, es sei denn, daß die Parteien, was ihnen selbstverständlich unbenommen bleibt, gemäß § 159 BGB eine Rückwirkung vereinbart haben.

216Ygl. Kohler WM 1993, S. 51: "In allgemein rechtssystematischer Hinsicht deckt sie sich mit der sogar ftlr den verklagten bzw. bösgillubigen Besitzer geltenden Gefahrverteilung im EigentUmer-Besitzer-Yerhllitnis. Das ist als Yergleichsmaßstab nicht ohne Bedeutung, weil die bloß obligatorische Wirkung des RUcktritts eine Auswirkung des Abstraktionsprinzipes ist und von diesem immerhin behauptet wird, es spiele vornehmlich im Drittverhllitnis eine entscheidende Rolle. wllhrend die geschuldete Sache doch intern als relatives Eigen des (RUcktritts-) Gillubigers anzusehen sei; ist dem so, dann verwirklicht § 350 BGB gerade das Prinzip casum sentit dominus". 217 Y gl. zum GefahrUbergang mit Yertragsschluß S. 93.

IV. Das Prinzip casum sentit dominus

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Ist der Kaufpreis bezahlt, so könnte der Käufer an sich den Kaufpreis über §§ 812 I S.2, 820 I S.2 BGB herausverlangen. Dieser Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, da der Verkäufer sich auf den bereits erfolgten Gefahrübergang gemäß § 446 BGB berufen kann. Der Kaufpreis bleibt somit dem Verkäufer erhalten. 218 Problematischer ist es, wenn der Kaufpreis noch nicht gezahlt ist. 219 Da ein Kaufvertrag nach Eintritt der Bedingung nicht mehr vorhanden ist, muß der

21K Dagegen vertritt ein großer Teil der Rechtswissenschaft die Ansicht, daß der Verkäufer trotz des Untergangs der Kaufsache zur Rilckzahlung des Kaufpreises verpflichtet sei. Filr die Rilckzahlung des Kaufpreises solle er gemäß §§ 820 I S.2, 8181V BGB verschärft haften. Dabei soll die Anwendung der Saldotheorie ausgeschlossen sein, vgl. Filios, Gefahrtragung beim Kaut: S. 86; Ennecerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § \03 111 I; Brox JuS 1975, S. 4; Westermann JA 1978, S. 484; Erman-Weitnauer § 446 Rn. 4, 8. Aufl.; Staub-Wilrdinger/ Röhricht Vor § 373 Rn. 194; Palandt-Putzo § 446 Rn. 7; RGRK-Mezger § 446 Rn. 4; Oertmann, BGB, § 446 Anm. 6; Kluckhohn, Jb.64, S. 130 fr.; Endemann, Bürgerliches Recht, § 159 a Anm. 24; WetzmillIer, Übergang der Gefahr, S. 43; Palleske, Gefahrilbergang gern. § 4461 BGB, S. 23 ff., Stern, Gefahrtragung, S. 98. 219 Eine in der Rechtswissenschaft vertretene Ansicht macht die Gefahrverteilung davon abhängig, ob der Kaufpreis schon bezahlt sei oder nicht. So solle der Verkaufer die Gefahr tragen, wenn die Kaufsache dem Käufer ilbergeben worden sei, ohne daß der Kaufpreis gezahlt worden sei. Trete die Bedingung ein, treffe die Gefahr den Verkäufer. Der Vertrag gelte als nicht geschlossen. Der Käufer sei nicht mehr zur Kaufpreiszahlung verpflichtet. Von der ihn treffenden Rilckgewahrpflicht werde er gemaß § 275 BGB frei, vgl. Larenz, SchR li/I, § 4211 a; Staudinger-Köhler § 446 Rn.8. Anders soll hingegen entschieden werden, wenn der Kaufpreis bereits bezahlt worden ist. Köhler ist der Meinung, daß der Verkäufer an sich den bereits gezahlten Kaufpreis nach §§ 8121 S.2, 820 I S.2 BGB zurilckzugewahren hätte. Er könne sich jedoch mangels abweichender Vereinbarung auf den erfolgten Gefahrilbergang berufen, da dieser durch den Bedingungseintritt nicht rückwirkend hinfltllig werde (Wirkung des § 158 11 BGB). Eine Rilckzahlungspflicht entfalle daher bei zufltlligen Untergang der Sache und mindere sich bei zufltlliger Verschlechterung. In diesem Fall bleibe es also bei dem Gefahrilbergang gemäß § 446 BGB, da es dem § 15811 BGB widerspräche, wenn § 446 BGB rilckwirkend unanwendbar wäre, vgl. Staudinger-Köhler § 446 Rn. 8; Erman-Grunewald § 446 Rn. 7; Larenz, SchR li/I , § 42 11 a; Walter, Kautrecht, § 6 11 I c bb; Cosack-Mitteis, Lehrbuch des Bilrgerlichen Rechts Bd. I, § 183 I; Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S.63; Weitnauer, Erman § 446 Rn. 4, 8. Aufl., ist der Meinung, daß sich nach § 158 11 BGB, da die Wirkung des Vertrages erst mit der Zukunft ende, an dem Gefahrilbergang an sich nichts mehr ändere; gleichwohl sei im Zweifel anzunehmen, daß der Verkäufer den Kautpeis nicht mehr fordern oder aber der Käufer den schon gezahlten Kaufpreis zurilckfordern könne, weil entweder eine Rilckbeziehung der Folgen der Parteivereinbarung entspreche, oder aber Folge des § 820 BGB sei. Dagegen ist einzuwenden, daß die Tatsache, ob der Kautpreis bereits bezahlt worden ist oder nicht, keinen Einfluß auf die Frage haben sollte, welche Partei nun die Gefahr tragen soll. Aus welchem Grunde sollte ein Käufer, der sofort bezahlt, schlechter behandelt werden, als jemand, der die Kaufpreiszahlung noch hinauszögert. Filr eine solche Unterscheidung gibt es keine tragenden Grilnde. Wesentlich ist dabei, daß die Kaufpreiszahlung keinerlei Einfluß auf die hier wieder zu beantwortende Frage hat, welcher Vertragspartei die Sache wirtschaftlich zugeordnet ist. Aus

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Käufer auch keinen Kaufpreis mehr leisten. Macht er dies dennoch, Z.B. weil er noch gar nicht weiß, daß die auflösende Bedingung bereits eingetreten ist, so könnte er ihn nach Bereicherungsrecht wieder herausverlangen, weil für diese Leistung kein Rechtsgrund bestand. Der Käufer hat aber eigentlich die Sache nach §§ 812 I S.2, 820 I S.2 BGB zurUckzugewähren, da der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Kaufsache, der Kaufvertrag, mit ex nunc Wirkung entfallen ist. Eine Haftung für Zufall trifft den Bereicherungsschuldner an sich nicht, auch nicht den verschärft haftenden Bereicherungsschuldner, da dieser auch im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nur ftlr Verschulden haftet. Die Gründe hierftlr sind in dieser Arbeit dargelegt worden. 220 Im hier behandelten Spezialfall des auflösend bedingten Kaufes treffen diese Gründe aber gerade nicht zu, da dem Bereicherungsschuldner die Sache wirtschaftlich zugeordnet ist, so daß der Bereicherungsschuldner die Gefahr des zufiilligen Untergangs der Sache zu tragen hat, da diese auf ihn gemäß § 446 BGB übergegangen ist und jede Rechtfertigung daftlr fehlt, diesen erfolgten Gefahrübergang unberücksichtigt zu lassen. Dieser Umstand muß auch bei der Abwicklung nach Bereicherungsrecht beachtet werden, so daß der Käufer hier wenigstens Wertersatz für die zufiillig untergegangene Sache gemäß § 818 11 BGB leisten muß. Die Berufung auf den zuflilligen Untergang darf hier dem Bereicherungsschuldner nicht gestattet sein. § 818 III BGB ist hier unanwendbar. Andererseits wäre es nicht gerechtfertigt, dem Verkäufer den bezahlten Kaufpreis zu belassen, ihn aber im Falle der Nichtzahlung soweit zu benachteiligen, daß er gar nichts mehr erhält, noch nicht einmal Ersatz für die untergegangene Sache. Ein solch unterschiedliches Ergebnis kann durch die Tatsache der Zahlung oder Nichtzahlung des Kaufpreises nicht begründet werden. Um zu einem interessengerechten Ergebnis zu gelangen, hat der Käufer auch bei zufiilligen Untergang Wertersatz gemäß § 81811 BGB zu leisten, da der Umstand der bereits übergegangenen Gefahr gemäß § 446 BGB zu berücksichtigen ist.

diesem Grunde sollte die Gefahrtragungsproblematik hier unabhängig von der Kaufpreiszahlung gelöst werden. 12°Vgl. zur Zufallshaftung im Bereicherungsrecht S. 103 ff.

V. Ausnahmen vom Prinzip casum sentit dominus

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v. Ausnahmen vom Prinzip casum sentit dominus Im folgenden wird zuerst untersucht, welche Regeln Ausnahmen vom Prinzip casum senti! dominus darstellen und auf welchen Gründen diese Ausnahmen beruhen. 221

1. § 324 II BGB Gemäß § 324 11 BGB behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn ihm die Leistung unmöglich wurde, während sich der Gläubiger in Annahmeverzug befand. Der Gläubiger kommt gemäß § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Der Annahmeverzug bewirkt somit einen Übergang der Preisgefahr. Zudem hat der Schuldner während des Annahmeverzuges gemäß § 300 I BGB nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Daher greift § 324 11 BGB auch ein, wenn nach Eintritt des Annahmeverzuges die Leistung durch fahrlässiges Verhalten des Schuldners unmöglich geworden ist. Die Sache kann im Falle des Verzuges dem Käufer wirtschaftlich nicht zugeordnet werden, so daß § 324 II BGB eine Durchbrechung des richtig verstandenen Prinzips casum senti! dominus darstellt. Zwar hat der Gläubiger einen Anspruch auf die Kaufsache, aber ihm gebühren weder die Nutzungen, noch besitzt er die Verfilgungsgewalt über die Kaufsache. Der Gläubiger kann nicht in wirtschaftlicher Weise von der Sache Gebrauch machen. Bei Gattungsschulden kann dagegen vor Konkretisierung selbstverständlich die Gefahr nicht übergehen, da dann nicht feststeht, für welche Sache der Gläubiger die Gefahr tragen soll. Daher müssen entweder die Voraussetzungen des § 243 II BGB oder § 300 11 BGB vorliegen. § 300 II BGB regelt nach nahezu einhelliger Meinung in der Rechtswissenschaft nur die Leistungsgefahr.222

221 Eine weitere Ausnahme vom Prinzipcasum sentit dominus stellt § 2380 BGB dar. Diese Vorschrift beruht auf den Besonderheiten des Erbschaftskauf, so daß rur diese Arbeit auch keine weiteren SchlUsse aus dieser Vorschrift gezogen werden können. Der Gesetzgeber sah die Berechtigung der Vorschrift in der Erwägung, daß als Kaufgegenstand keine Sache, sonden die Erbschaft als ein Inbegriffvon Sachen, eine Art "juristisches Ganzes" erscheint. Auch wollte der Gesetzgeber den Erbschaftskäufer mit Kaufabschluß grundsätzlich dem Erben gleichstellen, vgl. dazu Motive 11, S. 360. Vgl. zu Sinn und Zweck des § 2380 BGB auch noch MUnchKomm-Musielak § 2380 Rn. I; Staudinger-FeridlCieslar § 2380 Rn. I. 222 Vgl. statt vieler Staudinger-Löwisch § 300 Rn. 12.

9 ReiDhardt

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Man mag anzweifeln, ob es die rechtspolitisch richtige Entscheidung des Gesetzgebers war, den Schuldner nur fUr Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften zu lassen, zumal der Annahmeverzug nach deutschem Recht noch nicht einmal Verschulden des Gläubigers voraussetzt. 223 So gerät der Käufer auch dann in Annahmeverzug, wenn er durch eine plötzliche Krankheit daran gehindert ist, die Ware beim Verkäufer abzuholen. Andere Rechtsordnungen legen dem Schuldner daher auch bei Eintritt des Annahmeverzuges höhere Sorgfaltsanforderungen auf. So verlangen z.B. das anglo-amerikanische Recht, das EKG und das UN-Kaufrecht, daß der Verkäufer die angemessenen Maßnahmen zur Erhaltung der Ware zu treffen hat. Die fUr diese Arbeit allein interessierende Haftung des Gläubigers für Zufall ist dagegen vöIIig sachgerecht. Denn es darf nicht zu Lasten des Schuldners gehen, daß aufgrund eines Verhaltens des Gläubigers die ErfUllung nicht eintritt. Denn ohne den Annahmeverzug des Gläubigers hätte der Schuldner seine Leistungspflicht erfUllt, so daß der Gläubiger zur Gegenleistung verpflichtet gewesen wäre.224 Der Schuldner darf aufgrund der Leistungsverzögerung, die im Verantwortungsbereich des Gläubigers liegt, keinen Nachteil erleiden. 225 Entscheidend hierbei ist, daß durch die Verzögerung der Lieferung eine Gefahrerhöhung stattfindet. Die Gefahr trifft die Sache dort, wo sie sich bei ordnungsgemäßer Vertragsabwicklung nicht mehr befunden hätte. Die Ware befinmYgl. dazu Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 193: "Die Entscheidung des BGB, den Verkäufer nur rur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften zu lassen, ist m.E. noch zu stark von dem gemeinrechtlichen Preisgaberecht des Verkäufers geprägt und berUcksichtigt zu wenig die Interessen des Käufers". m Ygl. dazu auch Biederbeck, GefahrUbergang bei Säumnis des Käufers, S. 25; Brox JuS 1975, S. 3; Vathis, Gefahrtragung beim Kauf, S. 67; Kaiser, Gefahrtragung im KautVertrage, S. 38; Adler ZHR 72, S. 390, 423; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 192 If.: "Kann der Verkäufer wegen fehlender Mitwirkung des Käufers seine Lieferpflicht nicht erfllllen und das Vertrags interesse des Käufers nicht befriedigen, so ist inter partes zum Schutz des Verkäufers der Fall so anzusehen, wie wenn der Verkäufer geliefert und das Vertrags interesse des Käufers befriedigt hätte. Zu Recht wird deshalb der Käufer mit der Gefahr belastet. Diese Regelung stellt eine notwendige Ergänzung der allgemeinen Gefahrtragungsregeln dar." Aufgrund des Auseinanderfallens von Gefahrtragung und Sachherrschaft und des Gesichtspunktes der Streitverrneidung, ist Hager der Ansicht, daß es sachgerecht sei, so wie dies auch im UCC verwirklicht worden sei, den Käufer von der Gefahr zu entlasten, wenn eine angemessene Frist verstrichen sei. Einen möglichen Weg sieht Hager darin, den Verkäufer als verpflichtet anzusehen, nach Ablauf einer angemessenen Frist die nicht abgenommene Ware rur Rechnung des Käufers zu verwerten, da ansonsten eine ungesunde, nicht hinnehmbare Schwebelage entstUnde. m Ygl. dazu noch Finke, Bedeutung der internationalen Handelsklauseln, S. 64; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. 132; Böttge, Gefahrtragung beim Mobiliarkauf, S. 24; von Schenck, Begriff der "Sphäre", S. 232.

V. Ausnahmen vom Prinzip casum sentit dominus

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det sich länger als nach der Parteiabrede vorgesehen im Gefahrenbereich des Schuldners. Der Verkäufer darf aber mit einer auf das Verhalten des Käufers zurUckzufUhrenden Gefahrerhöhung nicht belastet werden,z26

2. § 287 S. 2 BGB Im Falle des Schuldnerverzuges ist der Schuldner gemäß § 287 S. 2 BGB fur die durch Zufall eintretende Unmöglichkeit der Leistung verantwortlich, es sei denn, daß der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Ist der die Unmöglichkeit herbeiruhrende Zufall adäquate Verzugsfolge, folgt die Haftung des Schuldners unmittelbar aus §§ 280, 285, 286 BGB. Die Vorschrift des § 287 S. 2 BGB erfaßt daher die Fälle, in denen die zufliIlige Unmöglichkeit während des Verzuges eintritt. Ausreichend ist eine zeitliche Verknüpfung, die zufliIlige Unmöglichkeit muß nicht adäquate Folge des Verzuges sein.227 Gemäß § 287 S. 2 Hs. 2 BGB ist der Schuldner nicht rur den Zufall verantwortlich, wenn der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Hierfllr ist nicht erforderlich, daß es sich um dasselbe Ereignis handeln muß, welches zuvor die Unmöglichkeit herbeigefiihrt hat, sondern es genügt irgendein Ereignis. 228 Gesetzgeberischer Grund der Regelung ist, daß der Zufall die Sache in einem Zustand triffi, in dem sie sich normalerweise nicht befunden hätte, so daß eine Gefahrerhöhung stattgefunden hat. Bei rechtzeitiger Leistung hätte die Sache den Gefahrenbereich des Schuldners verlassen. Die Leistung wäre, sofern sie bei zeitlich korrekter Anbringung den Gefahrenbereich verlassen hätte, aller Voraussicht nach noch beim Gläubiger vorhanden gewesen. 229 Die Haftungsverschärfung rur Zufall gemäß § 287 S. 2 BGB beruht mittelbar auf schuldhaftem Verhalten. 23o Der Schuldner schafft schuldhaft einen Zustand, der Ursache und Bedingung rur später zufliIlig eintretende Ereignisse ist. Richtiger-

226 So auch Koller in Staub, HOB, Vor § 373 HOB, Art. 98 EKO Rn. 599; Heilmann, Mängelgewährleistung im UN-Kaufrecht, S. 248. 227 Strittig, vgl. die Nachweise bei Larenz, SchR I, § 23 11 a; Erman-Battes § 287 Rn . 2; Palandt· Heinrichs·§ 287 Rn. 2; KnUtel NJW 1993, S. 900. 22KVgl. Palandt-Heinrichs § 287 Rn.3. 229 EsserlSchmidt, Schuldrecht AT, § 28 I; Wacke in Fs. HUbner, S. 682; vgl. auch Larenz, SchR I, § 23 11 a. 2)f)Vgl. dazu Löwisch, Zufallshaftung im EigentUmer-Besitzer-Verhältnis, S. 3.

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weise wird daher der Schuldner entlastet, wenn "der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde". Denn dann hat der im Verzug liegende Pflichtverstoß in Wahrheit gar kein Schadensrisiko geschaffen, welches nicht auch bei vertragsgemäßen Verhalten vorhanden und somit ohnehin vom Gläubiger zu tragen gewesen wäre. 231 § 287 S. 2 BGB stellt eine Abweichung von § 446 BGB dar. Hat der Verkäufer dem Käufer z.B. das Grundstück übergeben, so geht die Gefahr gemäß § 446 I BGB auf den Käufer über. Kommt jedoch der Verkäufer mit der Eigentumsverschaffung in Verzug, so flUIt die Gefahr auf den Verkäufer zurück. War der Käufer durch das fehlende Eigentum daran gehindert, das Grundstück weiterzuveräußem, so ist der Verkäufer rur die zuflillige Verschlechterung des Grundstückes, z.B. durch ein starkes Unwetter, verantwortlich, weil bei rechtzeitiger Leistung der Gläubiger im Falle der Weiterveräußerung nicht mehr diese Gefahr getragen hätte. Anders ist natürlich zu entscheiden, wenn der Gläubiger gar nicht vorhatte, das Grundstück weiterzuveräußern. Durch die Nichtverschaffung des Eigentums seitens des Schuldners hat hier keine Gefahrerhöhung bezüglich des Grundstücks rur den Gläubiger stattgefunden, da der Gläubiger ohnehin immer die Gefahr zu tragen gehabt hätte, auch wenn ihm das Eigentum an der Sache rechtzeitig übertragen worden wäre. In diesem Fall bleibt daher die Gefahr beim Gläubiger, da der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre.

Beim Versendungskauf wird die Vorschrift des § 287 S. 2 BGB im Regelfall keine Bedeutung gewinnen. Denn ist der Verkäufer beim Versendungskauf mit der Versendung der Ware in Verzug geraten, so endigt der Verzug in dem Moment, in dem er die verkaufte Sache absendet. Da es für den Eintritt des Verzuges darauf ankommt, ob der Schuldner seine geschuldeten Leistungshandlungen erbracht hat, so muß auch rur die Beendigung des Verzuges grundsätzlich die Erbringung der Leistungshandlung ausreichen. Diese Leistungshandlungen sind beim Versendungskauf mit Abschicken der Ware erbracht. 232 Eine Ausnahme muß aber rur den Fall gemacht werden, daß gerade durch die verspätete Absendung der Ware die Gefahr der Versendung erhöht wird. Der Käufer darf mit der auf ein pflichtwidriges Verhalten des Verkäufers zurückzu-

Esser/Schmidt, Schuldrecht AT, § 28 I; vgl. auch Rückert AcP 184, S. 130. Rn. 17; Staudinger-Löwisch § 284 Rn. 71; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 183; vgl. hierz auch BGHZ 12, S. 267. 231

m So auch Erman-Grunewald § 447

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fllhrenden Gefahrerhöhung nicht belastet werden. In diesem Fall endigt der Verzug erst mit der Übergabe der Ware am Wohnort des Käufers. 233

3. § 848 BGB Gemäß § 848 BGB haftet der Besitzer für den zufliIIigen Untergang oder die zuflillige Verschlechterung einer Sache, die er dem Eigentümer durch eine unerlaubte Handlung entzogen hat. 234 Etwas anderes gilt gemäß § 848 BGB nur, wenn der Untergang, die anderweitige Unmöglichkeit der Herausgabe oder die Verschlechterung auch ohne die Entziehung eingetreten sein würde. Zunächst wird durch § 848 BGB aus richtigen Erwägungen heraus eine Ausnahme vom Grundsatz casum sentit dominus gemacht. Denn im Falle einer unerlaubten Handlung soll der Geschädigte nicht schlechter stehen, als hätte er die Sache niemals verloren. Diese Haftungsverschärfung beruht mittelbar auf schuldhaften Verhalten. 235 Schuldhaft wird ein Deliktszustand geschaffen, der eine Ursache für später zuflillig eintretende Schäden ist. Wird dem Eigentümer seine Sache entzogen, so trifft der Zufall die Sache an einer SteHe, wo der Eigentümer sie sonst nicht gehabt hätte, so daß dieser Zustand Bedingung für die Schädigung ist. Durch den Entzug der Sache hat demnach eine Gefahrerhöhung für den Eigentümer stattgefunden. Dies ist der Grund dafür, daß die Zufallshaftung abweichend vom Prinzip casum sentit dominus entschieden wird. 236 Die Einschränkung durch das hypothetische Schadensereignis bewirkt dann jedoch, daß der Schaden an dem Eigentümer hängen bleibt, wenn der Untergang, die anderweitige Unmöglichkeit der Herausgabe oder die Verschlechterung auch ohne die Entziehung eingetreten sein würde. In solchen Fällen bleibt m Zum gleichen Ergebnis gelangen Eisenhardt JuS 1970, S. 491; Hager, Gefahrtragung beim Kaut: S. 183 (Fn. 71); Oertmann, BGB, vor §§ 284/290 Anm. 5 b; unrichtig und widersprüchlich daher Larenz, SchR I, § 23 11 a: "Der Schuldner würde beispielsweise auch dann haften, wenn die verspätet abgesandte Ware nunmehr durch ein Eisenbahnunglück vernichtet worden wäre - obgleich doch die Gefahr eines solchen Schadens dur. :h die Verspätung der Absendung nicht "generell" erhöht wird." An anderer Stelle bemerkt Larenz dagegen, daß im Falle einer Schick· schuld der Verzug endige, wenn der Schuldner den Leistungsgegenstand absende (Larenz, SchR I, § 231 d). 2J4 § 848 BGB geht auf die Rechtsparömie "für semper in mora" zurück. Wird eine Sache gestohlen, befindet sich der Dieb von diesem Zeitpunkt an mit der Rückgabe der gestohlenen Sache in Verzug, so daß der Dieb auch bei zutlllligen Untergang haftet. m Vgl. dazu Löwisch, Zufallshaftung im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, S. 3. 236 Vgl. dazu auch Wacke in Fs. Hübner, S. 684 ff.

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es dabei, daß der Eigentümer nach dem Prinzip casum sentit dominus die Zufallsgefahr zu tragen hat. Der Dieb, der die Sache dem Eigentümer stiehlt, steht also hinsichtlich zuflilliger Ereignisse besser, als derjenige, der die Sache rechtens vom Eigentümer übergeben bekommen hat. Denn nach der Übergabe bis zur vollständigen Erfllllung hat der Käufer rur den Zufall einzustehen, ohne daß ihm die Berufung auf ein hypothetisches Schadensereignis gestattet ist. So könnte man z.B. sagen, daß § 446 BGB nicht anwendbar ist, wenn die Gefahr unabhängig von der Lage der Sache ist, da sie dann ohnehin den Verkäufer getroffen hätte. WUrde man dem Beherrschbarkeitsprinzip wirklich entsprechen, wäre eine solche Berücksichtigung nur konsequent und richtig, da sich die Gefahr dann unabhängig von der Beherrschbarkeit verwirklicht hätte. 237 Auf den ersten Blick mag die Berücksichtigung der hypothetischen, Kausalität eine ungerechtfertigte Bevorzugung des deliktischen Besitzers gegenüber dem Käufer sein, diese Unterscheidung ist jedoch durch die in dieser Arbeit herausgearbeitete Lösung völlig gerechtfertigt. Nach dem Prinzip casum sentit dominus hat zunächst der Eigentümer die Gefahr zu tragen, weil ihm die Sache wirtschaftlich zugeordnet ist. Davon wird zunächst aus richtigen Erwägungen heraus eine Ausnahme zu Lasten des deliktischen Besitzers gemacht. Diese Erwägungen greifen aber dann nicht mehr durch, wenn der Schaden ohnehin beim Eigentümer eingetreten wäre. In diesem Falle besteht keine Berechtigung mehr vom Grundsatz des casum sentit dominus abzuweichen, da unabhängig von der Gefahrerhöhung ohnehin der Schaden beim Eigentümer eingetreten wäre. Anders ist die Fallgestaltung hingegen bei § 446 BGB. Hier ist die Sache dem Käufer wirtschaftlich zugeordnet, so daß in jedem Fall der Käufer den zufälligen Schaden zu tragen hat. Die Berufung auf die hypothetische Kausalität muß hier ausgeschlossen sein.

237

Zu diesem Ergebnis gelangt Heck, Schuldrecht, § 84 Ziff. 2.

§ 4 Gefahrtragung beim Versendungskauf I. Ausnahme von § 446 BGB § 447 BGB ist entgegen § 446 BGB keine Ausprägung des Satzes casum sentit dominus. § 447 BGB stellt vielmehr eine Durchbrechung dieses Prinzips dar, da die Kaufsache mit der Übergabe an die Transportperson nicht als dem Käufer wirtschaftlich zugehörig betrachtet werden kann. I Dies ist nicht weiter verwunderlich, weil es doch gerade der Übergabezeitpunkt ist, zu welchem sich eine Änderung der wirtschaftlichen Zuordnung vollzieht, so daß es merkwürdig wäre, würde man eine Änderung der wirtschaftlichen Lage jetzt zu einem früheren Zeitpunkt annehmen. Der Käufer hat zu dem Zeitpunkt der Übergabe der Ware an die Transportperson noch kein Besitzrecht. Der Verkäufer besitzt noch jegliche Dispositionsbefugnis hinsichtlich der Ware. Auch die Nutzungen gebühren weiterhin dem Verkäufer. Sicherlich könnte das Gesetz auch etwas anderes hinsichtlich der Nutzungen bestimmen, aber auch dann ist eine solche Position wenig wertvoll, da der Käufer, solange er die Sache nicht in seinen Händen hat, diese auch nicht richtig nutzen kann. 2 Der Ansicht Junkers, daß der Käufer mit Übergabe der Ware an die Transportperson wirtschaftlicher Eigentümer sei, da der Käufer das alleinige Risiko trage und die alleinige Nutzziehung habe, kann daher nicht gefolgt werden.] Der Gesichtspunkt der Gefahrtragung kann kein Argument bilden, da die wirtschaftliche Zuordnung gerade über die Gefahrtragung entscheidet und nicht umgekehrt. Auch die Annahme, daß der Käufer die alleinige Nutzziehung hat, läßt den Käufer nicht zum wirtschaftlichen Eigentümer werden. Zum einen ist diese Feststellung nicht richtig, weil dem Verkäufer beim Versendungskauf, bis die Ware dem Käufer übergeben ist, weiterhin die Nutzungen der Sache gebühren, zum anderen reicht der I Vgl. auch Staudinger-Köhler § 446 Rn. 38: "Solange aber bei einem Versendungskauf die Ware sich noch auf dem Transport befindet, kann der Käufer noch nicht als wirtschaftlicher EigentUrner angesehen werden. Denn anders als im Falle des § 446 hat er weder den Besitz, noch gebUhren ihm die Nutzungen der Sache, noch hat er die Lasten zu tragen". 2 Vgl. dazu oben S. 89. J Junker AcP 193, S. 354.

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§ 4 Gefahrtragung beim Versendungskauf

Gesichtspunkt, den Junker anfuhrt, daß dem Käufer eine plötzliche Wertsteigerung des Kaufobjektes zugute kommt\ allein nicht aus, um die Sache dem Käufer wirtschaftlich zuordnen zu können. Solche Wertsteigerungen dürften ohnehin eher selten seinS und niemand würde auch auf die Idee kommen, wenn man den Gefahrübergang an den Vertragsschluß knüpft, von einem wirtschaftlichen Eigentum des Käufers zu sprechen, wo doch auch mit Vertragsschluß über eine Speziesache eine Wertsteigerung des Kaufobjektes dem Käufer zugute kommt. Vielmehr wird in dem Prinzip periculum est emptoris, aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Kaufsache zum Vermögen des Käufers, gerade ein Widerspruch zum Gedanken des Syna\1agmas ge sehen. 6 Dem Käufer kann mit Übergabe der Kaufsache an die Transportperson diese wirtschaftlich nicht zugeordnet werden, so daß § 447 BGB nicht eine Ausprägung, sondern eine Durchbrechung des Grundsatzes casum sentit dominus ist. Daher sind Gründe erforderlich, die von dieser natürlichen Gefahrtragung eine Abweichung durch den § 447 BGB rechtfertigen können . Bestehen solche Gründe nicht, so kann die Vorschrift des § 447 BGB nicht als berechtigt angesehen werden.

11. Ratio legis des § 447 BGB

1. Das Verlassen der Ware aus dem Herrschaftsbereich des Verkäufers Zum Teil wird die ratio legis des § 447 BGB darin erblickt, daß der Verkäufer nicht die Gefahr für eine Sache tragen so\1e, welche schon den Gefahrenbereich des Verkäufers verlassen habe und dieser somit seine Kontrollmöglichkeiten verloren habe. 7 4 Junker

AcP 193, S. 355.

~ Junker, AcP 193, S. 355, fUhrt dazu folgendes Beispiel an: "Nehmen wir etwa an, das Gemälde

sei von der Hand eines Meisters gewesen, dessen fast gesamtes Lebenswerk in einer Sonderausstellung vereinigt durch Feuer vernichtet wurde. Das Gemälde wäre dadurch gleichsam Uber Nacht um ein Vielfaches in seinem Wert gestiegen. Das gleiche ist bei einem antiken MöbelstUck aus der Werkstatt eines bekannten Ebenisten denkbar." Ein solcher Fall ist zwar durchaus theoretisch denkbar, ob ein solch extremer oder ähnlich gelagerter Fall aber jemals in der Praxis vorgefallen ist, mag ich bezweifeln, da doch die Zeitspanne zwischen Übergabe der Ware an die Transportperson und der ErflIllung in der Regel nicht sehr lang sein wird. "Vgl. dazu oben S. 93. 7 KG OLGE 20, S. 174; Medicus, BR, Rn. 275; Schildt JR 1995, S. 90; Jauerning-Vollkommer § 447 Anm. 3 b; Kornblum BB 1963, S. 293 ; Bettermann ZHR 111, S. 106; Bucholz, Konzentra-

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Dieser angegebene Grund ist letztlich auf den Beherrschbarkeitsgedanken zuTÜckzufilhren. Nachdem jedoch in dieser Arbeit festgestellt wurde, daß sich dieser Gedanke nicht als Grund filr die Aufstellung einer Gefahrtragungsregel eignet, kann in diesem Gedanken auch nicht die Begründung fUr die Vorschrift § 447 BGB gesehen werden. Zum anderen ist auch nicht einzusehen, wieso der Verkäufer von der Gefahr entlastet werden soll, weil die Sache seinen Gefahrenbereich verlassen hat, der Käufer jedoch mit der Gefahr belastet werden soll, obwohl die Sache noch gar nicht in seinen Gefahrenbereich gelangt ist. Der Verkäufer wird sogar noch eher zur Gefahrenabwehr in der Lage sein, da er weiterhin das Verfügungsrecht über die Ware innehat. Aufgrund der Beherrschungsmöglichkeiten des Verkäufers will die Schuldrechtskommission ja gerade § 447 BGB streichen. 8 Von einer Verwirklichung des Beherrschbarkeitsgedankens in der Vorschrift des § 447 BGB kann also nicht gesprochen werden. Der Gesichtspunkt, daß die Ware den Gefahrenbereich des Schuldners verläßt, kann die Gefahrtragung des Käufers nicht rechtfertigen.

2. Die Beurteilung des Transportrisikos nach dem Recht der Geschäftsbesorgung Das Reichsgericht ist der Ansicht, daß der Verkäufer, der die Versendung betreibe, im Interesse des Käufers tätig werde, dessen Geschäfte fUhre und deshalb filr das weitere Schicksal des dem berufsmäßigen Versender übergebenen Kaufgegenstandes nicht verantwortlich sei. 9 Ernst filhrt zur ratio legis des § 447 BGB aus: "Durch die Versendungsabrede übernimmt es der Verkäufer, ein Geschäft des Käufers zu besorgen, er schließt im eigenen Namen, aber im Interesse und auf Rechnung des Käufers einen Beförderungsvertrag mit der Transportperson, der er auch die Kaufsache zur Bef6rderung ausliefert. Diese kaufvertrag liehe Nebenpflicht ist von der Art

tion und GefahrUbergang, S. 126: "Entscheidend ist aber letztlich auch hier, daß der Verkäufer spätestens mit dem Versendungszeitpunkt Risiken nicht mehr völlig ausschließen kann, so daß wieder der Gedanke der Risikoveranlassung die Gefahrtragung des Käufers rechtfertigt."; vgl. ausführlich zur Gefahrbeherrschung bei § 447 BGB, Hager, Gefahrtragung beim Kaut: S. 105 tI "Dieser Gedanke wird als Grund tllr die Abschaffung des § 447 BGB von der Schuldrechtskommission angegeben, vgl. zur Ablehnung dieses Grundes S. 44 tI • RGZ 99, S. 58; 88, S. 38.

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einer Geschäftsbesorgung und bei der Übernahme einer Geschäftsbesorgung verbleiben die Zufallsrisiken des im fremden Interesse geführten Geschäfts dem Auftraggeber, sie werden diesem nicht von dem Geschäftsführer abgenommen." IO In den Gesetzesmaterialien wird zu § 447 BGB ausgeführt: "1m anderem Falle dagegen übernimmt der Verkäufer, welcher aus dem Kaufvertrag zur Versendung an den Ort, welcher nicht Erfllliungsort ist, nicht verpflichtet ist, auf Verlangen des Käufers nur eine weitere Verbindlichkeit, durch welche die Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag, welche auf Übergabe der Sache an den Käufer geht und durch die bloße Absendung allein nicht erfüllt wird, nicht aufgehoben oder verwandelt wird. I I 11

Diese Argumentation trifft fur den Fall zu, daß der Käufer die Versendung erst nachträglich verlangt, weil es ihm z.B. entgegen seiner ursprünglichen Annahme nicht möglich ist, die Ware am Sitz des Verkäufers abzuholen. und der Verkäufer aufgrund dieses Verlangens auch nicht in eine Vertragsänderung einwilligt. Denn hier wäre der Verkäufer nach dem Kaufvertrag weiterhin berechtigt, am Wohnsitz zu erfüllen, so daß er sich durch ein ordnungsgemäßes Angebot von der Gefahrtragung befreien könnte, da der Gläubiger dann gemäß § 324 11 BGB in Annahmeverzug gerät. Hier wird der Verkäufer ausschließlich im Interesse des Käufers tätig und besorgt ein Geschäft des Käufers. Die Versendung stellt hier ein reines Entgegenkommen des Verkäufers dar, so daß dies auch zur Folge haben muß, daß der Verkäufer mit Übergabe der Ware an die Transportperson von der Gefahrtragung befreit werden muß. Die Zufallsrisiken hat hier der Käufer als Auftraggeber zu tragen. Diese Fälle bilden aber die große Ausnahme. Typisch ist vielmehr, daß der Verkäufer von vornherein aus dem Kaufvertrag zur Versendung verpflichtet ist, also eine Schicksehuld vereinbart ist. Zudem wird in dem oben besproche-

HI Ernst ZIP 1993, S.483; ebenso Oertmann, BGB, § 447 Anm. I b: ..... so gibt sie dem Verkäufer eine dem Beauftragten materiell vergleichbare Stellung, ..... ; Heck, Schuldrecht, § 842; von Hugo, Bedeutung des Eigentumsübergangs, S. 48; Reinickerriedtke, Kaufrecht. S. 41: "Im Interesse des Käufers hat der Verkäufer es aber übernommen, die Ware an einen anderen Ort als den Erfilllungsort zu versenden."; Brox JuS 1975, S. 6; Biederbeck, GefahrUbergang bei Säumnis des Käufers, S. 10; Digenopolus, Abwandlung der CIF- und FOB-Geschäfte, S.66; Staub-Würdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 155; Schlegelberger Einleitung Rn. 39: ...... wenn der Verkäufer. ohne dazu verptlichtet zu sein. auf Verlangen des Käufers die Ware versendet."; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung, S. 82; Sieveking MDR 1947. S. 142. 11 Mugdan Motive 11. S. 182.

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nen Fall, wenn der Verkäufer nachträglich die Versendung übernimmt, auch größtenteils die Annahme begründet sein, daß der Verkäufer in eine Änderung des Vertragsinhaltes eingewilligt hat, so daß dann auch eine vertraglich vereinbarte Schickschuld vorliegt. Denn in der nachträglich erbetenen Zu sendung liegt ein Antrag auf Abänderung des Kaufvertrages, mit dem Inhalt, daß der Verkäufer nun verpflichtet sein soll, die Versendung vorzunehmen. Läßt er sich hierauf ein, so wird in der Vornahme der Versendung regelmäßig auch die konkludente Annahme dieses Antrages zu erblicken sein, so daß der Verkäufer hierdurch in eine Vertragsänderung eingewilligt hat. 12 In diesen bei den Fällen besorgt der Verkäufer aber mit der Versendung der Ware nicht ein Geschäft des Käufers, sondern ein eigenes Geschäft, da es zu seiner Vertragspflicht gehört, die Versendung vorzunehmen: 3 Auch wenn die Übergabe der Ware erst am Wohnsitz des Gläubigers stattfindet und somit die Hauptverpflichtung der Übergabe erst dort erfllllt wird, kann der Verkäufer anders als durch die Versendung nicht mehr seine Übergabepflicht erfüllen. Die Versendung ist die Leistungshandlung, durch die überhaupt nur ordnungsgemäße Erfüllung der Übergabepflicht eintreten kann. Die Versendungspflicht ist als wesentlicher untrennbarer Teil der Übergabepflicht zu verstehen. Der Verkäufer kann sich nicht mehr von der Gefahrtragung befreien, in dem er die Ware dem Käufer an seinem Wohnsitz anbietet. Versendet er die Ware nicht, so verhält er sich vertragswidrig und ist dem Käufer ersatzpflichtig. Der Verkäufer besorgt mit der Versendung somit nicht ein Geschäft des Käufers, sondern ein eigenes, so daß sich die Gefahrtragung nicht nach dem Recht der Geschäftsbesorgung beurteilen läßt.

3. Die Rechtfertigung der Vorschrift aufgrund der Billigkeit Das Reichsgericht führt zum inneren Grund des § 447 BGB aus: "Zur Begründung wird mit Recht darauf verwiesen, daß die Vorschrift des § 447 BGB 12Vgl. Soergel-Huber § 447 Rn . 11. IJ Staudinger-Köhler § 447 Rn. 3; so auch Soergel-Huber § 447 Rn . 39: "Grundlage der Versendungsptlicht ist der KaulVertrag in seiner besonderen Ausgestaltung als Versendungskaut: nicht ein besonderer. zum KaulVertrag hinzutretender Geschäftsbesorgungsvertrag. Der Verkäuter fUhrt also mit der Versendung in erster Linie ein eigenes Geschäft. nicht ein Geschäft des Käuters.". ders. in Soergel § 447 Rn. 45; vgl. auch Dreher. Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskaut: S. 20 (Fn. 56); von Oppen. Gefahrtragung beim Versendungskauf S. 16; Egli, Gefahrtragung beim KaulVertrage. S. 100; Hofemann. Versendungskauf, S. 21; Post, Gefahrtragung beim Versendungskaut: S. 26 ff.

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auf dem Grundgedanken beruht, daß es unbillig sein wUrde, den Verkäufer, der auf Verlangen des Käufers und in dessen Interesse die Versendung der verkauften Ware nach auswärts, nach einem anderen Ort als dem rur ihn als ErfUllungsort in Betracht kommenden besorgt und damit eine ihm als Verkäufer an sich nicht obliegende Leistung übernimmt, länger die Gefahr des zufälligen Unterganges tragen zu lassen als in den Fällen der unmittelbaren Übergabe der Sache an den Käufer, ......... "14 So heißt es in den Gesetzesmaterialien auch, daß der Verkäufer nicht zur Versendung an den Ort, welcher nicht Erfiillungsort ist, verpflichtet sei, vielmehr übernehme er auf Verlangen des Käufers nur eine weitere Verbindlichkeit. 1S Filios fUhrt aus: "Die Rechtfertigung dieser Abweichung ist darin zu sehen, daß es, soweit der Verkäufer nur an seinem Erfilllungsort zu leisten hat, der Billigkeit nicht entspricht, daß er darüber hinaus die Gefahr tragen muß, wenn der Käufer an einem anderen Ort die Sache empfangen will. Mit der Auslieferung an die oben genannte Person hat der Verkäufer das seinerseits Erforderliche bereits getan."16

Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß nicht gesagt werden kann, daß der Verkäufer mehr tut, als seiner Verpflichtung entspricht oder eine ihm nicht obliegende Leistung übernimmt. Er tut nämlich gerade das, was seiner Verpflichtung entspricht. Der Verkäufer kann die Ware nicht mehr an seinem Wohnsitz übergeben, er muß sie versenden, um seine Vertragspflichten zu erfiillen. Auch bei einer Bringschuld kommt man nicht auf die Idee zu sagen, daß bei einem Kaufgeschäft der Verkäufer in der Regel nur an seinem Wohnsitz zu leisten hat, und der Verkäufer, der nun die Verpflichtung zum Bringen übernommen RGZ 96, S. 259; in dem Sinne auch RGZ 88, S. 38; 99, S. 58; Oertmann, BGB, § 447 Anm. I. Mugdan Motive, S. 182. 16 Filios, Gefahrtragung beim Kauf, S. 38 (Fn. 50); vgl. dazu auch Dreher, Gefahrtragungsprobleme beim Versendungskauf, S. 65/66: "Es ist kein Grund dafilr ersichtlich, warum die Geflilligkeit des Verkäufers, der zusätzlich die Versendung der Ware übernommen hat, dadurch bestraft werden soll, daß ihm die Preisgefahr länger aufgebürdet wird, als wenn er die Sache am Erfill1ungsort unmittelbar an den Käufer übergeben hätte"; Staub-WürdingerlRöhricht Vor § 373 Anm. 155: "Aus der im Interesse des Käufers übernommenen Versendungspflicht soll ihm kein Nachteil erwachsen."; Larenz (SehR 1111, § 42 11): "Der Grund ist in der Erwägung zu sehen, daß der Verkaufer, der nur am Erfilllungsort tätig zu werden braucht, dadurch kein erhöhtes Risiko laufen soll, daß er die Sache auf den Wunsch des Käufers an einen anderen Ort versendet und dadurch der Leistungserfolg hinausgeschoben wird"; Reinickerriedtke, Kaufrecht, S. 40/41; Walter, Kaufrecht, § 6 I c, Schlosser Jura 1985, S. 481. 14 IS

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hat, was auch auf ausschließlichen Wunsch des Käufers geschehen kann, nun mehr tut, als seiner Verpflichtung entspricht. Hier erfUllt der Verkäufer gerade seine Verpflichtung, wenn er die Ware zum Käufer bringt, ebenso wie der Verkäufer seine Verpflichtung erfiillt, wenn er die Ware verschickt. Die Versendung geschieht auch nicht im ausschließlichen Interesse des Käufers. Denn durch die Möglichkeit der Versendung erweitert der Verkäufer seine Absatzmöglichkeiten. Daraus kann sicherlich auch nicht der Schluß gezogen werden, daß die Versendung im ausschließlichen Interesse des Verkäufers liegt. Denn der Verbesserung der Absatzmöglichkeiten des Verkäufers, steht eine ebenso gute Bezugsmöglichkeit des Käufers gegenüber. 17 Auch der Käufer hat sicherlich ein Interesse daran, daß die Ware ihm zugeschickt wird. Hat eine Partei kein Interesse an einer Versendung, so wird in der Regel auch kein Vertrag über einen Versendungskauf geschlossen. Welches Interesse der bei den Parteien überwiegt, ist kaum zu beantworten. Von daher sollte der Gesichtspunkt des Interesses auch keine Rolle spielen. Die Vorschrift des § 447 BGB kann nicht mit Billigkeitserwägungen begründet werden.

4. Die Risikoverteilung des § 447 BGB ergibt sich aus dem Wesen des Versendungskaufes Bei den oben behandelten Ausnahmefiillen von casum sentit dominus zeigt sich, daß eine Durchbrechung dieses Grundsatzes dann gerechtfertigt ist, wenn bezüglich der geschuldeten Sache eine Gefahrerhöhung vorlag. In diesen Fällen wird eine Ausnahme von der natürlichen Gefahrtragung gemacht. Im Falle eines Transportes ist die Ware erhöhten Gefahren ausgesetzt, das Transportrisiko ist nur sehr schwer zu überblicken. Nun kann aus diesem Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung allein sicherlich noch nicht geschlossen werden, daß § 447 BGB eine berechtigte Durchbrechung des Prinzips casum sentit dominus darstellt. Denn der Käufer verhält sich in keinster Weise vertragswidrig, so daß die Gefahrerhöhung allein nicht als Grund für § 447 BGB ausreichen kann. Inwiefern diese Gefahrerhöhung dennoch dafür maßgebend ist, daß § 447 BGB eine berechtigte Vorschrift ist, ist im Wesen des Versendungskaufes begründet. Denn beim Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer im Normalfall nur, den Käufer zum Besitzer und Eigentümer der Sache zu machen. Der Erflil" Vgl. Staudinger-Köhler § 447 Rn. 4.

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lungsort dieser Verpflichtung ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen. Dieser Ort ist gemäß § 269 [BGB in der Regel der Wohnsitz oder die Niederlassung des Schuldners zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses. Der Verkauf als solcher belastet den Verkäufer also nicht mit einem Transportrisiko. Die Verkäuferschuld ist eine natürliche Holschuld. Übernimmt der Verkäufer nun auf Verlangen des Käufers die Verpflichtung zur Versendung der Ware, so wird der Verkäufer in der Regel keineswegs seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag derart erweitern, daß er die ganze Versendung übernimmt, sondern er will vielmehr nur die Absendung der Ware vornehmen, er will die Ware auf den Weg bringen, darin erschöpft sich sein vertraglicher Wille. Er hat die Versendung herbei-, nicht durchzufilhren. Es liegt eine Schickschuld vor, bei welcher der Verkäufer mit der Übergabe der Kaufsache an den Transporteur alle seine nach dem Kaufvertrag geschuldeten Leistungshandlungen vorgenommen hat. Im Gegensatz dazu steht die Bringschuld, bei der der Verkäufer die Verpflichtung zur Durchführung des Transportes übernommen hat. Die Risikoübernahme hinsichtlich des Transportes ist dann von dieser Verpflichtung umfaßt, sie ist dem Inhalt dieser Verpflichtung zu entnehmen. Aber diese Verpflichtung besteht gerade nicht bei einer Schickschuld, so daß auch die Risikoübernahme hinsichtlich des Transportes nicht mehr von dem Inhalt dieser Verpflichtung umfaßt sein kann. Eine Risikoübernahme des Verkäufers hinsichtlich des Transportes ist dem Rechtsgeschäft Versendungskauf damit nicht zu entnehmen. 18 Dagegen wird man eine Risikoübernahme seitens des Käufers aus dem Inhalt des Versendungskaufes herleiten müssen. Gehört es nämlich nicht zu den Vertragspflichten des Verkäufers, den Transport selbst durchzufilhren, sondern nur herbeizufilhren, so steht der Verkäufer vertraglich für die Durchfilhrung und damit gerade auch für das Gelingen dieses Transportes nicht ein, und hat daher auch die mit diesem Transport zusammenhängenden Risiken nicht zu tragen. 19 Hinsichtlich der Durchftlhrung des Transportes übernimmt der Verkäufer gerade keinerlei Verpflichtung. Der Transport und seine Risiken

IKVgl. dazu ErnstZIP 1993, S. 483. I"SO wohl auch Staudinger-Köhler § 447 Rn. 3; vgl. dazu auch Erman-Grunewald § 447 Rn. I: "§ 447 beruht auf der Überlegung, daß dann, wenn die Kaufsache auf Verlangen des Käuters versandt wird, er auch das Transportrisiko Ubernimmt, es sei denn, es wird vereinbart, daß es sich um eine Bringschuld handeln soll. "; vgl. auch von Schenck, Begriff der "Sphäre", S. 255; Hotemann, Versendungskauf, S. 17 ff.; Schultz JZ 1975, S. 241: "Da die Belastung des Verkäufers mit diesem Risiko im Widerspruch zum Sinn der Ertlillungsort - Vereinbarung stUnde, wird es dem Käuter zugerechnet, die Absendung der Ware also hier der Übergabe gleichgestellt, mit der sonst gemäß § 446 die Preisgefahr auf den Käufer Ubergeht".

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brauchen den Verkäufer dann auch nichts anzugehen. 20 Der Transport selbst ist somit Sache des Gläubigers 21 , so daß die mit dem Transport zusammenhängenden Risiken vom Käufer zu tragen sind und der Verkäufer mit solchen Risiken nicht belastet werden darf. Die Gefahrtragung des Käufers ist somit im Wesen des Versendungskaufes begründet. Der Verkäufer offeriert, daß er nur die Absendung vornehmen will und somit auch, daß nicht er, sondern der Käufer das Risiko des Transportes trägt. Die mit diesem Transport zusammenhängenden Risiken sind daher vertraglich vom Käufer zu tragen, sofern es sich um eine Schickschuld handelt. 22 Wol1en die Parteien etwas anderes bestimmen, so bleibt ihnen die Möglichkeit, den Wohnsitz des Gläubigers zum Leistungsort zu machen oder jedenfal1s besonders zu vereinbaren, daß der Verkäufer bis zur Ablieferung der Ware am Bestimmungsort die Gefahr tragen soll. So ftlhrte Jakubezky zu Recht bei den Beratungen zum BGB aus: "Es handelt sich nicht um eine positive, aus der rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Vorschriften über die Gefahr beim Kaufe zu erklärende Bestimmung, sondern der Übergang der Gefahr mit der Versendung liegt im Wesen des Schuldverhältnisses. Der die Übersendung verlangende Gläubiger muß die Transportgefahr auf sich nehmen, weil der Schuldner nur an dem Erftll1ungsort zu leisten verpflichtet ist und damit, daß er auf den Wunsch des Gläubigers den Transport veranlaßt, nicht in eine Änderung des Inhalts seiner Verbindlichkeit willigt. Die Gefahr trifft den Gläubiger, weil der Schuldner nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses nicht verpflichtet ist, sie zu tragen. ,,23

20 So ausdrücklich Staudinger-Köhler § 447 Rn. 3; vgl. auch Soergel-Huber § 447 Rn. 41: "Der Regelung der §§ 447, 243 Abs. 2 liegt die gesetzliche Wertung zugrunde, daß beim Versendungskauf der Verkäufer mit der DurchfUhrung des Transports nichts zu tun hat; sie ist nicht seine Sache". 21 Kuchinke in Fs. Heinrich Lange, S. 262. 22 Dagegen Koller, Risikozurechnung, S. 173: "Auch die Behauptung, die Versendung sei keine Kaufvertragsverpflichtung, fUhrt letztlich nicht weiter. Aus der Tatsache, daß der Verkäufer nur verpflichtet ist, den Transport sachgerecht einzuleiten und im Falle etwaiger Störungen die nötigen Anweisungen zu geben, folgt ja nicht ohne weiteres, daß die Abwicklung des Transportes außerhalb seines Risikobereiches läge. Jeder der Vertragsparteien kann ein Risiko auch dann zugerechnet werden, wenn sie nicht zu einem Verhalten verpflichtet ist, das die Störung verhindert hätte." Koller mißachtet hierbei jedoch die Bedeutung, die der vertraglichen Risikoverteilung zukommt. Läßt sich aus dem Vertrag selbst schon eine Risikoverteilung herleiten, so kommt es grundsätzlich auf außerhalb des Vertrages liegende Risikozurechnungskriterien nicht mehr an. Dies wäre nur der Fall, wenn diese so tragend wären, daß der Gesetzgeber sich dazu entschließt, eine Nonn auf· zustellen, die nicht mehr dispositives Recht ist. 2J J akubezky, Bemerkungen zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches fUr das Deutsche Reich, S. 114.

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Die Ausgestaltung des Kaufvertrages als Versendungskauf, bei dem der Verkäufer mit der Übergabe der Ware an den Transporteur seine erforderlichen Leistungshandlungen vorgenommen hat und von diesem Zeitpunkt an der Käufer die Gefahr zu tragen hat, ergibt sich also nicht allein aufgrund der positiven Bestimmung des § 447 BGB, sondern sie ergibt sich denknotwendig aus der Freiheit der Parteien zur Vertragsgestaltung, aus dem Wesen dieses vereinbarten Schuldverhältnisses. Nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses hat der Käufer die Gefahr zu tragen. Es handelt sich also um eine vertragliche Risikoverteilung. Wenn die Schuldrechtskommission annimmt, das Problem der Gefahrtragung beim Versendungskauf werde obsolet, so erliegt sie damit einem Trugschluß. Zwar kann ein Gesetzgeber auch das Wesen eines Schuldverhältnisses ändern und eine positive Bestimmung einfUhren, die eine gesetzliche Pflicht des Verkäufers zur Gefahrtragung bestimmt, doch dies tut die Kommission keineswegs. Auch nach Ansicht der Schuldrechtskommission soll § 446 BGB dispositives Recht bleiben. Dies wird deutlich anhand der Äußerung der Kommission, "daß es gelegentlich Fälle geben wird, in denen es sachgemäß ist, daß der Käufer das Beförderungsrisiko trägt. In solchen Ausnahmefällen mögen die Parteien eine entsprechende Ausnahme treffen."24 Hierin zeigt sich die große Schwäche des Reformentwurfes hinsichtlich der Abschaffung der Gefahrtragungsregel beim Versendungskauf. Auch bei Abschaffung des § 447 BGB wird es in der Regel bei der Gefahrtragung des Käufers bleiben. Gemäß § 324 I BGB bleibt nämlich der Gläubiger zur Kaufpreiszahlung verpflichtet, wenn dieser die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Nach der Rechtsprechung ist bei der Frage, was der Gläubiger zu vertreten hat, richtigerweise in erster Linie an die vertragliche Risikoverteilung anzuknüpfen. Daher ist stets zuerst danach zu fragen, ob der Gläubiger ausdrücklich oder konkludent das Risiko des fraglichen Leistungshindernisses übernommen hat. Ist dies der Fall, so trägt der Gläubiger die Preisgefahr gemäß § 324 I BGB, wenn sich das Risiko später tatsächlich verwirklicht. 25 Ein folgendes Beispiel mag die Problematik verdeutlichen:

Die Parteien haben einen Kaufvertrag geschlossen, wobei sich der Käufer zunächst zur Abholung verpflichtete. Der Käufer bittet nun nachträglich um Zusendung der Ware, da ihm die Abholung aufgrund einer plötzlichen Krank2~ Abschlußbericht

der Schuldrechtskommission, S. 237. 25BGHZ 77, S. 320; BGH NJW 1980. S. 700; OLG Celle WM 1988, S. 468; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, S. 147; vgl. zu § 324 I BGB S. 50 tT.

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heit nicht möglich ist. Der Käyfer geht auf dieses Verlangen ein und willigt somit in eine Anderung des Vertragsinhaltes ein. Bei Abschaffung des § 447 BGB müßte nach Ansicht der Schuldrechtskommission eigentlich die Gefahrtragungsregel des § 446 BGB einschlägig sein. Jedoch kann man in einem solchen Fall doch nicht der Annahme sein, daß der Verkäufer vertraglich das Risiko des Transportes übernimmt. Die Ausgestaltung dieses Vertrages läßt darauf schließen, daß der Käufer in diesem Fall zumindestens konkludent das Risiko des Transportes übernommen hat. Der Verkäufer hätte sich hier dadurch von der Gefahrtragung befreien können, indem er den Käufer in Annahmeverzug versetzt hätte. Geht der Verkäufer nun aber auf den Wunsch des Käufers ein, so will er doch seine Pflichten bezüglich der Gefahrtragung keineswegs derart erweitern, daß er nun bis zum Eintreffen der Ware beim Käufer die Gefahr zu tragen hat. Denn der Verkäufer verpflichtet sich nach wie vor nur zur Leistung an seinem Wohn- oder Geschäftssitz. Nur der Erfolg tritt am Wohnsitz des Gläubigers ein. Ist der Verkäufer aber nur zur Absendung der Ware verpflichtet, so gehen ihn vertraglich die Risiken bezüglich der Durchführung des Transportes auch nichts an. Etwas anderes würde nur fllr den Fall gelten, wenn die Parteien eine Bringschuld vereinbart hätten. Im oben angeftihrten Fall wäre somit nicht § 446 BGB einschlägig, sondern der Käufer hätte nach § 324 I BGB die Gegenleistung zu erbringen, da er vertraglich das Risiko dieses zufälligen Leistungshindernisses zu tragen hat. Auch in den Fällen, in denen von vornherein der Verkäufer die Pflicht zur Versendung übernommen hat, ist § 324 I BGB einschlägig. Besteht die Verpflichtung des Verkäufers nur in der Absendung der Ware, so gehört es eben nicht zu seinen Vertragspflichten, den Transport selbst durchzuftihren. Die Risiken des Transportes gehen den Verkäufer nichts an. Die Risiken des Transportes sind vertraglich vom Käufer zu tragen. Aus dem Inhalt dieses vereinbarten Schuldverhältnisses, des Versendungskaufes, ergibt sich diese vertragliche Risikoverteilung. Wiederum ist § 324 I BGB einschlägig. Der Käufer wäre zur Kaufpreiszahlung verpflichtet. Bei Abschaffung des § 447 BGB wird § 446 BGB damit überwiegend als vertraglich abbedungen gelten müssen 26 , zumal § 447 BGB entgegen der fast

2(. Vgl. dazu Ernst ZIP 1993, S.483, der sich auf richtiger Spur betindet: "Sicherlich kann ein Reformgesetzgeber auch die naturalia negotii der schuldrechtlichen Verträge ändern. Eine Änderung der naturalia negotii, der eine entsprechende Wandlung der Rechtsanschauung nicht voraus-

10 R.inhardt

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schon allgemeinen Meinungen nur von wenigen Autoren als rechtspolitisch unbefriedigend empfunden wird. 27 Größtenteils wird § 447 BGB als völlig sachgerecht beurteilt.28 Da Huber einer dieser wenigen Autoren ist, die § 447 BGB als rechtspolitisch unbefriedigend empfinden, hat diese Ansicht auch den Reformvorschlag bestimmt. Ob sich diese Ansicht entgegen der fast schon allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aber durchzusetzen vermag, ist zu bezweifeln. 29 Bei einer vertraglichen Abbedingung ergibt sich hier auch nicht das Problem, daß dies nur möglich ist, wenn sich dafilr ein Anhaltspunkt im Vertrag befindet, da sich diese vertragliche Risikoverteilung aus dem Vertrag selbst schon ergibt, also im Wesen dieses vereinbarten Schuldverhältnisses begründet ist. Im Normalfall wird daher auch bei Abschaffung des § 447 BGB der Käufer zur Kaufpreiszahlung verpflichtet bleiben.

gegangen ist -und darum wUrde es sich hier handeln- ist aber von besonderer Problematik: Es wird sich, sollte das Reformgesetz in Kraft gesetzt worden sein, ja keineswegs jeder Verkäufer, der eine Offerte zum Versendungskauf abgibt, bewußt sein, daß er damit die Tragung des Betbrderungsrisiko offeriert, und es liegt diese Annahme eben deshalb fern, weil eine solche RisikoUbernahme sowohl dem Rechtsgeschäft Kauf als auch der Übernahme einer Geschäftsbesorgung ansonsten fremd ist. FUr einen solchen Verkäufer, der ungewollt mit der Übernahme der Versendung eine mit dieser gesetzlich verbundene Risikotragung vereinbart haben wUrde, wäre es auch kein Trost, daß rur ihn ex ante die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung bestanden hätte, die von der Kommisssion eher am Rande erwähnt wird. Hier könnten Probleme der Akzeptanz auftreten." Hierbei Ubersieht Ernst aber, daß, selbst wenn man die Regelung des ~ 447 BGB abschatft, dies noch keineswegs bedeutet, daß er damit auch die Tragung des Betbrderungsrisiko otleriert. Das Gesetz wird doch nicht ohne weiteres zum Vertragsinhalt gemacht, es sei denn die Parteien stellen ausdrUcklich auf die gesetzliche Regelung ab oder bei der gesetzlichen Regelung wUrde es sich nicht um dispositives Recht handeln, ansonsten ist das Gesetz nur ergänzend hinzuzuziehen, soweit der Vertrag selbst keine Regelung enthält. Da Ernst aber auch der Ansicht ist, daß eine Tragung des Transportrisiko dem Rechtsgeschäft Kauf fremd ist und nach dem Wesen des Versendungskautes die Transportrisiken vom Käufer zu tragen sind, dies freilich mit anderer BegrUndung, so sollte Ernst an sich auch zur Anwendung des § 324 I BGB kommen. 27Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 20; Hager, Gefahrtragung beim Kauf, S. 105 ff.; frUher KrUckmann, Gewährschaft, S. 62 ff. ; MUIrer-Erzbach, Gefllhrdungshaftung und Gefahrtragung, S. 127. 2KVgl. statt vieler MUnchKomm-Westermann § 447 Rn. 1, ders. JA 1978, S. 552: "... , jedenfalls entspricht es einem Gebot der Gerechtigkeit, die Gefahren des im Interesse des Käuters liegenden Transports ihm aufZuerlegen."; Walter, Kaufrecht, § 6 I 2 c: "Überwiegend wird jedoch zu Recht angenommen, daß der Verkäufer, der nur am Erftlllungsort tätig zu werden braucht, dadurch kein erhöhtes Risiko laufen soll, daß er die Sache auf den Wunsch des Käuters an einen anderen Ort versendet und dadurch der Leistungserfolg zeitlich wie örtlich hinausgeschoben wird"; ErmanGrunewald § 447 Rn. 1; Larenz, SchR 11/1, § 42 11 c; Reinickeffiedtke, Kaufrecht, S. 41; StaubWUrdinger/Röhricht Vor § 373 Anm. 155; Schlosser Jura 1985, S. 481; Kornblum BB 1963, S. 293; Schlegelberger Einleitung Rn. 39; Kulenkamp, Gefahrteilungen im Überseekaut; S. 6. 2. Vgl. die ablehnende Haltung Köhlers (Staud;nger § 447 Rn. 3) und die vonErnst (ZIP 1993, S. 481 ff.) gegenUber der beabsichtigten Abschaffung des § 447 BGB.

III. Die GrUnde der Kommission fllr die Streichung des § 447 BGB

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Einzuwenden gegen die Beibehaltung des § 447 BGB wäre demnach nur noch, daß § 447 BGB eine überflüssige Vorschrift ist. Denn unter § 447 BGB fallen nur zufällige Ereignisse, d.h. solche, die von keiner Partei zu vertreten sind. Bei der hier vertretenen Ansicht würde aber regelmäßig ein Vertretenmüssen des Gläubigers vorliegen. Indes ist eine Beibehaltung der Vorschrift sinnvoll. Ein so häufig vorkommener Fall wie der des Versendungskauf sollte ausdrücklich gesetzlich geregelt sein. Es sollten die Voraussetzungen normiert sein, unter welchen ein Versendungskauf und somit diese Risikoverteilung anzunehmen ist. Die Übersichtlichkeit und einfache Handhabung des Schuldrechts würde leiden, wenn die Gefahrtragungshaftung des Käufers nicht ausdrücklich klargestellt ist. Die Herleitung der Risikoverteilung aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses setzt einige Denkschritte und dogmatisches Wissen voraus, über welches der Laie nicht verfUgt. Von daher sollte die Gefahrtragungshaftung beim Versendungskauf gesetzlich normiert werden, um den Parteien die Gefahrverteilung vor Augen zu fUhren, da dies ansonsten auch zu Problemen bei der Vertragsabwicklung zwischen den Parteien ruhren könnte. § 447 BGB ist demnach als vorrangige Bestimmung anzusehen. § 324 [ BGB greift nur ein, wenn der Untergang oder die Verschlechterung der Kaufsache auf Sorgfaltsverletzungen beruht, die auch bei einer Bringschuld den Käufer gemäß § 324 I BGB zur Kaufpreiszahlung verpflichten würden.

III. Die Gründe der Kommission f"ür die Streichung des § 447 BGB Wie oben gezeigt wurde, muß die Vorschrift des § 447 BGB unabhängig von den von der Kommission rur die Streichung angegebenen Gründen beibehalten werden, da auch bei Abschaffung des § 447 BGB der Käufer zur Kaufpreiszahlung verpflichtet bleibt. Dennoch soll hier noch auf die von der Kommission angegebenen Gründe eingegangen werden, weshalb ihrer Ansicht nach eine Abschaffung des § 447 BGB gerechtfertigt ist, denn eine solche Untersuchung könnte hilfreich für die Auslegung des § 447 BGB in der jetzigen Form sein. Des weiteren werden noch die Probleme behandelt, die die Abschaffung des § 447 BGB mit sich bringt. Bei den Ausführungen wird vielfach die Normsituation angenommen, wie sie auch die Schuldrechtskommission annimmt, da nur dann eine Auseinandersetzung mit den von der Kommission angegebenen Gründen sinnvoll ist und die Probleme nur bei der Annahme einer Gefahrtragung des Verkäufers zutage treten. Es wird also, so weit notwendig, unterstellt, daß bei Abschaffung des § 447 BGB die Vorschrift des § 446 BGB einschlägig ist, der Verkäufer also bis zur Übergabe die Gefahr zu tragen hat.

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1. Der Gesichtspunkt der besseren Versicherungsmöglichkeiten Von der Kommission wird als einer der HauptgTÜnde für die Abschaffung des § 447 BGB angeführt, daß der Verkäufer besser als der Käufer in der Lage sei, das Beförderungsrisiko in dem nach Sachlage gebotenen Umfang unter Versicherungsschutz zu bringen. Nach Hager sollte eine vernünftige Gefahrtragungsordnung so ausgestaltet sein, daß in der Regel diejenige Partei, die üblicherweise versichert sei, auch die Gefahr trage oder daß jedenfalls die gefahrbelastete Partei sich rechtzeitig durch Abschluß einer Versicherung schützen könne. 30 Zunächst ist zu beachten, daß das Transportrisiko heutzutage schon in einer Vielzahl von Fällen regelmäßig aufgefangen wird. Entweder geschieht dies durch die eintretende Haftung des Beforderers oder durch den schon fast regelmäßig gegebenen Versicherungsschutz. 31 Denn der Verkäufer kann auch fur den Käufer versichern. 32 Der Käufer wird also in einer Vielzahl von Fällen schon Ersatz durch eine eintretende Versicherung erhalten. Durch Versicherung der Ware auf dem Transport kann das finanzielle Risiko des Käufers entscheidend verringert werden. Von daher kommt der Versicherung der Ware ein entscheidender Aspekt zu. Wie auch andere Rechtsordnungen zeigen, ist dieser Aspekt zu berücksichtigen. Allein reicht er jedoch für eine Umkehrung der Gefahrtragung beim Versendungskauf nicht aus. So ist gemäß Art. 54 11 EKG der Verkäufer dem Käufer gegenüber verpflichtet, diesem auf sein Verlangen alle für die Versicherung der Ware notwendigen Informationen zu verschaffen, falls er nicht schon selber zum Abschluß einer Versicherung verpflichtet ist. Eine entsprechende Vorschrift findet sich in Art. 32 III CISG. Nun kann man sicherlich darüber streiten, ob eine solche Regel nützlich ist, da bei einem Verlangen des Käufers nach den erforderlichen Informationen rur den Abschluß einer Versicherung sich ohnehin schon aus Treu und Glauben eine entsprechende Nebenpflicht des Verkäufers zur Information ergibt. Auch wenn die Versicherungsmöglichkeit ein wichtiger Gesichtspunkt ist, ist es gleichwohl 1U H!!ger, Gefahrtragung beim Kauf, S. 207; vgl. dazu auch MOller-Erzbach, Getl!hrdungshaftung und Gefahrtragung, S. 127/128. 11 Vgl. dazu Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kautrecht, S. 166; Schmutz, Gefahrentragung im Kaufvertrag, S.96; Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kautrecht, S. 387; ders. in v. Caemmerer/Schlechtriem Art. 66 Rn. 2; Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 8 111 e; Schlosser Jura 1985, S. 482; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. I; Vathis, Gefahrtragung beim Kaut: S. 27; Sailer, Kaufbeweglicher Sachen, S. 5; Fox, Wiener KautrechtsObereinkommen, S. 182. 12 Versicherung fllr tremde Rechnung, vgl. § 741 VVG.

III. Die GrUnde der Kommission rur die Streichung des § 447 BGB

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verfehlt, den Verkäufer aus diesem Grunde die Gefahr tragen zu lassen. Anhand des Gesichtspunktes der besseren Versicherungmöglichkeiten läßt sich die Gefahrtragungsordnung des BGB nicht in ein vernünftiges System bringen. So sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen Versicherungsmöglichkeit und Gefahrtragung auseinanderfallen. Erklärt der Käufer Z.B. die Wandlung, so trägt der Verkäufer die Gefahr, der die Ware in der Regel nicht versichert hat. Ebenso verhält es sich im Annahmeverzug. Der Käufer hat oft nicht die Möglichkeit, die Ware zu versichern. Dennoch wird er mit der Gefahr belastet. Für den Verkäufer wird es auch keine grobe Fahrlässigkeit darstellen, wenn er die Ware nicht unter Versicherungsschutz gebracht hat. Anhand des Gesichtspunkts der besseren Versicherungsmöglichkeiten ist eine einheitliche Problem lösung nicht denkbar. Weiter ist zu bedenken, daß es gar nicht gegen alle Möglichkeiten von Gefahren einen Versicherungsschutz gibt. Gewisse Versicherungen lassen aufgrund ihrer Aufzählung von EinzelflUlen einige Risiken ungedeckt. 33 Gemäß § 1 ADS ist der Umfang der Versicherung begrenzt. Ebenso enthält § 2 ADB einen Ausschluß und eine Beschränkung der Haftung. Gemäß § 2 (l) d) ADB sind von der Versicherung z.B. die Gefahren des Diebstahls, der Unterschlagung oder des Abhandenkommens bei Transporten auf Binnengewässern ausgeschlossen. Liegt ein cif-Geschäft vor, so sind Schäden, die nicht durch einen echten Seeunfall verursacht wurden, häufig ungedeckt, so bei der früheren FPA-Versicherung. 34 Für Schäden, die auf der natürlichen Beschaffenheit der Güter beruhen, gibt es in der Regel keinen Versicherungsschutz. 35 Ist der Verkäufer aber gar nicht in der Lage, sich gegen alle möglichen Gefahren zu versichern, so kann man ihm nicht mit der Begründung die Gefahr tragen lassen, er hätte die Ware versichern können, wenn es gegen die eintretende Gefahr gar keinen Versicherungsschutz gibt. Für den Verkäufer sind im Falle der Belastung mit der Gefahr spürbare Nachteile verbunden, auch wenn er die Ware versichert hat. 36 Der Verkäufer muß sich darum kümmern, daß die beschädigte Ware am Markt losgeschlagen wird. Des weiteren muß er sich mit dem Versicherer auseinandersetzen, was zuweilen zu großen Problemen fUhren kann, da sich bei der Abwicklung von Schadensfällen häufig n Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 387. Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 387; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. I. U Vgl. dazu § 2 (2) a) ADB und 1.4.1.2. ADS; siehe dazu Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 387; Choi, Gefahrtragungsregeln, S. I; Lindacher in Hoyer/Posch , Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 166. J('Vgl. Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht, S. 166, Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 387; Fox, Wiener Kaufrechtsübereinkommen, S. 182. 34

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Probleme mit dem Versicherer ergeben. Zu beachten ist auch noch, daß die beste Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer Versicherung derjenige hat, der die Ware in Empfang nimmt und daher auch über die entsprechenden Dokumente verfugt. 37 Dem Käufer wird es sehr viel leichter fallen, etwaige Schäden festzustellen und somit die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, als den nicht am Bestimmungsort präsenten Verkäufer. J8 Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, daß bei hochtechnologischen Produkten häufig nur der Verkäufer in der Lage sei, etwaige Schäden zu beheben. 39 Dazu wird zu Recht darauf hingewiesen, daß die Maßnahmen, um die es bei der Ankunft geht, zunächst die Sicherung der Ansprüche betreffen und nicht die Reparatur, so daß dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielen sollte. 40 Zur Schadensfeststellung und Sicherung der Anspruche ist aber zunächst nur der Käufer in der Lage. Im Falle der Belastung des Verkäufers mit der Gefahr, kann sich der Käufer darauf beschränken die Ware zurückzuweisen. Dadurch kann der Verkäufer aber leicht in eine schwierige Lage geraten, da zu einem späteren Zeitpunkt die Beweissicherung ungleich schwerer ist. Die angesprochenen Nachteile kann man dem Verkäufer nicht aufgrund der besseren Versicherungsmöglichkeiten aufbürden, da dies kein Argument rur die Auferlegung solcher Nachteile ist. Vielmehr ist unabhängig von der Versicherungmöglichkeit zu fragen, wem die Gefahr aufgebürdet werden muß. 41 Wie im Haftungsrecht kann nicht von der Versicherung auf die Haftung, sondern nur von der Haftung auf die Versicherung geschlossen werden. Erst dann sollte bei der Gefahrtragung dem Aspekt, wer die besseren Versicherungsmöglichkeiten hat, Rechnung getragen werden. Denn nur so ist gewährleistet, daß solche Nachteile denjenigen treffen, der richtigerweise auch mit der Gefahr belastet wird. Zu beantworten bleibt demnach die Frage, wie der Aspekt der besseren Verinnerhalb des BGB zu berücksichtigen ist. Zum Teil wird in der heutigen Rechtswissenschaft angenommen, daß den Verkäufer eine sicheru~gsmöglichkeit

17 So auch EnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaurrecht, Vorbemerkungen Art. 66 Bem.3. 1M Zur Wirksamkeit einer Klausel in den AGB, nach der der Käuter verpflichtet ist, etwaige Transportschäden zu reklamieren und feststellen zu lassen, vgl. OLG DUsseldorfZIP 1987, S. 373 . 19 Hager in Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht, S. 387, unter Berufung auf Honnold . .j(IEnderleinlMaskow/Strohbach, Internationales Kaufrecht, Vorbemerkungen Art. 66 Bem. 3. 41 Vgl. dazu auch Lindacher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kautecht, S. 166: "Beförderungshaftung sowie die Möglichkeit und Üblichkeit von Versicherungsschutz relativieren das Regelungsproblem in seiner wirtschaftlichen Bedeutung, machen es indes nicht obsolet." Schmutz, Gefahrentragung im KaufVertrag, S. 96.

III. Die GrUnde der Kommission filr die Streichung des § 447 BGB

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Pflicht zum Abschluß einer Versicherung treffe. 42 Der Verkäufer habe bei der Versendung der Ware die Interessen des Käufers zu wahren. Aus dieser Interessenwahrungspflicht könne sich auch eine Versicherungspflicht des Verkäufers ergeben. 43 Dabei solle die Versicherungspflicht im einzelnen von der Frage abhängen, ob einordentlicher Kaufmann einen Transport der vorliegenden Art nur mit Versicherungsschutz vomehme. 44 Dagegen lehnt die wohl herrschende Meinung eine Versicherungspflicht des Verkäufers ab. 45 Der herrschenden Meinung ist zu folgen, da in der Tat der Verkäufer nicht wissen kann, ob der Käufer nicht schon von sich aus eine Versicherung abgeschlossen hat. 46 Auch ist zu bedenken, daß es risikofreudige und weniger risikofreudige Käufer gibt. Die Art und Höhe des Versicherungsschutzes hängt aber im einzelnen von der abgeschlossenen Versicherung ab. Die Versicherungsprämie kann unterschiedlich hoch sein. Die Versicherungskosten bilden einen Teil der Transportkosten. 41 Die Kostenfrage ist aber ftlr den Käufer von großer Bedeutung, so daß sie allein seiner Entscheidungsgewalt unterliegen und nicht in das Belieben des Verkäufers gestellt werden sollte. 48 Der Verkäufer sollte nicht mit einer Entscheidung belastet werden, die in erster Linie die Interessen des Käufers berührt. 49 Diese Gegenargumente treffen aber dann nicht zu, wenn man den

42 Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 60 ff; Schlosser Jura 1985, S.482; Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 8 III e; Staudinger-Köhler § 447 Rn. 22: Wenn dafilr ein hinreichender Anlaß besteht. Für eine Versicherungspflicht in Ausnahmetllllen ist Weitnauer in Erman § 447 Rn. 23, 8. Aut1.. Auch die Schuldrechtskommission hat in ElWägung gezogen, eine Versicherungspflicht des Käufers zu statuieren, vgl. Gutachten und Vorschläge Bd. I, S. 920: "Aber § 447 BGB sollte in dem Sinn geändert werden, daß der Verkäufer im Zweifel verptlichtet ist, filr diejenige Transportversicherung zu sorgen, die den Umständen nach als angemessen erscheint". ~3 Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 61. ~~Soergel-Huber Vor § 446 Rn. 61. ~SVgl. OLG Hamburg OLGE 41, S. 109; MünchKomm-Westermann § 447 Rn. 19; Staub-Würdinger/Röhricht Vor § 373 Rn. 163; Hager, Gefahrtragung beim Kaut: S.90; Ernst ZIP 1993, S.485 . .u'OLG Hamburg OLGE 41, S. 110. ~7 Soergel-Huber § 448 Rn. 19; Staudinger-Köhler § 448 Rn. 15; Erman-Grunewald 448 Rn. 3; a.A. MünchKornm-Westermann § 448 Rn. 4; Erman-Weitnauer § 448 Rn. 2, 8. Autl.; RGRK-Mezger § 448 Rn. 3 . .. So erachtete das OLG Stuttgart (NJW-RR 1995, S. 116) eine Klausel in den AGB tlIr unwirksam, nach der der Verkäuter berechtigt, aber nicht verptlichtet ist, die Ware auf Kosten des Käufers gegen Transportrisiken zu versichern. Nach Ansicht des Gerichtes stelle die ins Belieben gestellte Ermächtigung zum Abschluß einer Versicherung auf Kosten des Kunden eine unangemessene treuwidrige Vernachlässigung der Interessen des Kunden gemäß § 91 AGBG dar. Von der Klägerin wurde geltend gemacht, es sei, selbst wenn der Kunde das Versandrisiko tragen sollte. willkürlich und überraschend, zu seinen Lasten eine zusätzliche Zahlungsverptlichtung einzugehen. 49 Vgl. dazu auch Erman-Grunewald § 447 Rn. 14.

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Verkäufer nur für verpflichtet erachtet, den Käufer auf die Zweckmäßigkeit des Abschlusses einer Versicherung hinzuweisen. so Dagegen kann nicht eingewendet werden, es sei Sache des Käufers bezüglich der Versicherung eine besondere Vereinbarung im Kaufvertrag zu treffen oder eine Weisung gemäß § 447 II BGB zu erteilen. Denn der Verkäufer hat bei der Erfüllung des Kaufvertrages die allgemeine Pflicht, die Interessen des Käufers zu wahren. Daher triffi den geschäftskundigen Verkäufer die Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag, den geschäftsunkundigen Käufer auf Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer Versicherung hinzuweisen, denn der Abschluß einer Versicherung ist von großer Bedeutung. sl Allein das Weisungsrecht gemäß § 447 11 BGB wird einem geschäftsunkundigen Käufer nicht weiterhelfen. Dem Schutzbedürfnis des Käufers ist mit einer solchen Beratungspflicht genüge getan, weil dieser dadurch in die Lage versetzt wird, die Gefahren der Versendung zu überblicken und nun von sich aus geeignete Schutzmöglichkeiten ergreifen kann. Insbesondere kann er dann von seinem Weisungsrecht gemäß § 447 1I BGB in geeigneter Weise Gebrauch machen. Weist der Käufer den Verkäufer an, eine Transportversicherung abzuschließen, so hat er selbstverständlich auch die Kosten der Versicherung zu tragen. Eine solche Informationspflicht besteht nur dann, wenn der Verkäufer wirklich besser in der Lage ist, die Ware unter Versicherungsschutz zu bringen, sie trifft also im Regelfall nur den geschäftskundigen Verkäufer gegenüber einen geschäftsunkundigen Käufer. Auch muß im Einzelfall Anlaß zu einer solchen Informationspflicht gegeben sein, so wenn z.B. das Transportrisiko nicht durch die Haftpflichtversicherung des BefOrderers gedeckt ist und ein hoher Wert auf dem Spiel steht. Der Verkäufer muß auch nicht zum Abschluß solcher Versicherungen raten, die zwar gewisse Transportrisiken abfangen, aber dennoch im Handelsverkehr unüblich sind. 52 Ob eine Pflicht des Verkäufers zur Information über die Zweckmäßigkeit einer Versicherung besteht, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Verletzt der Verkäufer diese Pflicht, so haftet er dem Käufer aus positiver Forderungsverletzung, wenn der Käufer aufgrund der Information eine Versicherung abgeschlossen und diese den eingetretenen Schaden gedeckt hätte. Der GesichtsS