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German Pages 113 Year 1999
BURCHARD GRAF VON WESTERHOLT
Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechts- und Staatstheorie Karl Ludwig von Hallers
Schriften zur Verfassungs geschichte Band 59
Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechts- und Staatstheorie Karl Ludwig von Hallers Begründung, Legitimation und Kritik des modernen Staates
Von Burchard Graf von Westerholt
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme WesterhoIt, Burchard Graf von: Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechts- und Staatstheorie Karl Ludwig von HaUers: Begründung, Legitimation und Kritik des modemen Staates / von Burchard Graf von Westerholt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 59) Zug1.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09933-8
D6 AUe Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 1999 Duncker &
ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-09933-8 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Für Sybille,
Caspar und Carlotta
Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1998/99 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westflilischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation vorgelegen. An dieser Stelle sei Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Werner Krawietz besonderer Dank ausgesprochen. Herr Prof. Krawietz hat das Thema angeregt und durch seine ermunternde Begleitung wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Werner Hoppe als Zweitgutachter. Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeitern der Bibliotheca Albertina in Leipzig sowie Frau Andrea Freund und meiner Familie rur die unbezahlbare Unterstützung. Horstmar, im Mai 1999
Burchard Grafvon Westerholt
Inhaltsverzeichnis
Einleitung............ ................................... ...................... ................ ...... ................. ......
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Erster Teil
Genese und Geltungsgrundlagen des Rechts bei Karl Ludwig von Haller
§ I Entwicklung von Person, Leben und Werk .......................................................
16
I. Kindheit und Jugend......................................................................................
16
2. Tätigkeit als Commissionsschreiber der Regierung....... ...................... ..........
17
3. Französische Besatzung.............. ...................... ......... .......................... ..........
18
§ 2 Flucht und Exil..................................................................................................
21
I. Feldzug gegen die Helvetische Republik.......................................................
21
2. Erlangen und Weimar.................................... ................................. ........ .......
21
3. Wien ................................................... ...........................................................
22
4. Rilckkehr nach Bem ......................................................................................
23
§ 3 Konsolidierung und Restauration .... ......... ... ......... ...... ............ ........................ ...
25
1. Professur rur Staatsrecht in Bem .... ............................. ....... ....................... ....
25
2. Konversion ....................................................................................................
28
3. Verlust aller Ämter ........................................................................................
29
§ 4 Aufenthalt in Frankreich und Lebensabend in Solothum ....... ................. .... .......
31
I. Übersiedlung nach Paris ................................................................................
31
2. Restauration und Juli-Revolution ..................................................................
33
3. Lebensabend in Solothum .............................................................................
33
10
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil Die Rechts- und Staatstheorie Hallers Genese und Entwicklung
§ 5 Rechts- und staatstheoretische Schriften in Hallers Frühwerk............................
35
I. "Projekt einer Constitution für die schweizerische Republik Bem", 1798......
35
2. "Helvetische Annalen", 1799 ff. ....................................................................
38
3. "Geschichte der Wirkungen und Folgen des österreichischen Feldzugs in der Schweiz", 180 I ................................................................................... 38
§ 6 Hallers System zur Begründung der staatlichen Herrschaftsgewalt...................
42
I. "Inaugurationsrede", 1806 .............................................................................
42
2. "Domainen und Regalien" und andere Schriften, 1807.................................
46
3. "Handbuch der allgemeinen Staatenkunde", 1808 ........................................
50
§ 7 Restauration der Staatswissenschaft ..................................................................
57
1. "Restauration der Staatswissenschaft", 1816 ff. ............................................
57
2. "Über die Constitution der spanischen Cortes", 1820...................................
61
3. "Staatsrechtliche Prüfung des vereinigten Preußischen Landtages", 1847...
66
4. Von der natürlichen Herrschaft der Mächtigsten: "Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit", 1850..............................................................................
69
Dritter Teil Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung und Rechtfertigung § 8 Haller im Spiegel der zeitgenössischen und modernen Staatslehre ...................
71
I. Geistesgeschichtliche Einordnung.................................................................
71
2. Karl RiedeI, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Robert von MohL................
73
3. Carl Ernst Jarcke, Joseph Maria von Radowitz, Romeo Maurenbrecher u. a.
77
4. Recht des Stärkeren oder Herrschaft des Mächtigsten? Auswirkungen von Hallers auf die Allgemeine Staatslehre .............. .................... ........ ................
81
Inhaltsverzeichnis
11
§ 9 Wurzeln der Hallerschen Staatsauffassung........................................................
83
I. Hugo Grotius, Immanuel Kant ......................................................................
83
2. Joseph de Maistre ..........................................................................................
84
3. Adam Müller .................................................................................................
86
§ 10 Sir Robert Filmer - ,Patriarcha' ....................................................................... 88 I. Patriarchat.....................................................................................................
88
2. Gottesgnadentum.... ... ............... .............. .... ................. ... ... ........ ..... ...... ..... ....
89
3. Staatsgebiet ...................................................................................................
91
4. Fürstlicher Meineid .......................................................................................
91
§ 11 Versuch einer Rechtfertigung .......... ...... .................. ....... ......... ............... ..... .....
93
I. Rechte und Pflichten aller Menschen............................................................
93
2. Rechte der Untertanen gegenüber dem Herrscher .........................................
95
3. Mechanismen der Durchsetzungder Untertanenrechte.................................
97
Literaturverzeichnis ................................... .............................................................. 100 Personen- und Sachverzeichnis ............................................................................... 104
Einleitung Einhundertfilnfzig Jahre nach den revolutionären Ereignissen des Jahres 1848 und filnfzig Jahre nach dem Inkrafttreten des deutschen Grundgesetzes hat sich der Konstitutionalismus, zusammen mit dem Parlamentarismus und den Grundsätzen der staatlichen Gewaltenteilung, in Deutschland und in einer Reihe der Staaten Europas endgültig etabliert. Es mag daher auf den ersten Blick etwas antiquiert erscheinen, in einer solchen Zeit eine Untersuchung über Karl Ludwig von Haller zu veröffentlichen, denn dieser Autor steht in der heutigen Meinung fiir eine restaurative, durchaus autoritäre Staatslehre. All dies hat vordergründig in der heutigen Zeit gefestigter Demokratien wenig aktuellen Bezug. Gleichwohl ist die Beschäftigung mit Haller alles andere als nutzlos, steuert doch auch die Demokratie an ihre Grenzen. Schwindende Wahlbeteiligung, wie sie über die vergangenen Jahre in immer stärkerem Maße zu beobachten ist, und zunehmende Unzufriedenheit des Souveräns, also des Volkes, mit dem System vor dem Hintergrund scheinbarer Unfiihigkeit, auf die Probleme der Zeit, wie Arbeitslosigkeit und Globalisierung, zu reagieren, stellen - zusammen mit der zunehmenden Vermischung der Gewalten - durchaus Bedrohungen unseres demokratischen Systems dar, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, sich mit möglichen Alternativen zu befassen. Die Vorstellung, daß die staatliche Herrschaft es auch im modemen Verfassungsstaat mit einer Herrschaft über Land und Leute zu tun habe, ist heute zunehmend in Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Zwar wird - trotz aller Entgrenzung und Europäisierung der staatlichen Herrschaftsgewalt - das Gebiet der jeweiligen staatlich organisierten Trägersysteme des Rechts nach wie vor als territorialer Herrschaftsbereich verstanden, doch verflüchtigt sich das Staatsgebiet, juristisch gesehen, zunehmend zu einem bloßen Kompetenzbereich, innerhalb dessen sich die Staatsgewalt in ihrer Ausübung konkretisiert. Demgegenüber kann - zumindest der Idee nach - die Herrschaft des modemen, wie auch immer organisierten Staates (Monarchie, dualistischer Ständestaat von Fürst und Ständen, konstitutionell bestimmter und beschränkter Verfassungsstaat, Demokratie) als eine Art Oberhoheit (ius eminens, dominium eminens, imperium) des Staates über seine Untertanen gedeutet werden. Im Feudalismus waren die Lehnsverhältnisse des Patrimonialstaats geradezu das - freilich selten bewußt gemachte, sondern eher latent vorhandene - Handlungs- und Denkmodell aller
14
Einleitung
praktischen Rechtshandlungen und Entscheidungen, vermöge deren der jeweilige Herrscher seine Lehnsnehmer und Untertanen an sich band. Der PatrimoniaIismus erweist sich dabei als eine generalisierungsfahige, über die ursprünglichen Lehnsverhältnisse hinausgehende Lebens- und Legitimationsform staatlicher Herrschaft über Land und Leute. Aber nicht nur im Hinblick auf die Verfassungs- und Rechtsgeschichte erscheint der Patriarchal- und Patrimonialstaat historischer Provenienz auch heute noch, strukturtheoretisch betrachtet, als ein exemplarischer Fall, an dem sich studieren und erkennen läßt, wie Staatsgewalt überhaupt - und das heißt, wie auch die moderne Staatsgewalt - sich rechtfertigt und legitimiert. Die vorliegende Arbeit befaßt sich ausschließlich mit der sogenannten Patrimonialtheorie, die - abgesehen von ihrer rechtshistorischen Genese und Verwendung - in Konkurrenz mit anderen Betrachtungsweisen des modemen Staates jedenfalls in übertragenem Sinne und auch heute noch immer dann Platz greift, wenn in einem politischen System, wie beispielsweise in einer Reihe von Diktaturen und Staaten Lateinamerikas, Grund und Boden sich zum Großteil im Besitz einiger weniger Familien befinden, so daß auf seiten des aus ihnen sich rekrutierenden, nicht selten despotischen Herrschers die Landesherrschaft und Landeshoheit auch - wenn auch nicht nur! - durch die Verfiigungsgewalt über Grund und Boden sichergestellt werden kann. Das Wort und der Begriff Landesvater, aber auch Landesherr hatten genau hier ihren Ursprung. Ferner sei hier daran erinnert, daß auch der kommunistische bzw. sozialistische Staat die Sozialisierung von Grund und Boden und sonstigem Eigentum durch Schaffung von sogenanntem ,Volkseigentum' gewährleistete, um die Präponderanz des gesamten Volkes gegenüber allem sonstigen (privaten) Eigentum sicherzustellen, d. h. die Herrschaft des gesamten Volkes (,Volksdemokratie') durch eine Art Obereigentum zu rechtfertigen und zu legitimieren. Als aktuelles Beispiel sei hier noch die zeitgenössische Economic Analysis of Law erwähnt, die alle politisch-rechtliche Überlegungen zur Begründung und Rechtfertigung des staatlichen Gemeinwesens auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse der in der liberalen Gesellschaft beteiligten Individuen oder Gruppen von Individuen sowie auf Kosten-Nutzen-Kriterien zu reduzieren sucht. In der Verfassungs- und Staatstheorie des modemen Paternalismus, wie er gelegentlich auch bezeichnet wird, konstituieren sich die beschriebenen Eigentums- und Besitzverhältnisse immer zugleich als zwischenmenschliche Machtbeziehungen, so daß sich wenn man die Problemstellung in grundsätzlicher Hinsicht vertieft - in der Tat die Frage stellt, ob nicht die wirtschaftlichen Beziehungen und Besitzverhältnisse die eigentliche, basale Struktur der zwischenmenschlichen, insbesondere der staatlichen Macht- und Herrschaftsbeziehungen bilden. Sollte demgegenüber der Einfluß, den die wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Verfassung und das Recht ausüben, nicht in letzter Instanz bestimmend sein, sondern diese ihrerseits von sonstigen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten abhängen, so bleibt der Einfluß dieser sonstigen Faktoren (Religion, Kultur, Erzie-
Einleitung
15
hung, Werte pp.) zu untersuchen, soweit diese sich im patrimonialistischen Denkansatz widerspiegeln. Gegenstand dieser Arbeit sind Person, Leben und Werk Karl Ludwig von Hallers (\ 768 - 1854), der - in Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Folgen der französischen Revolution fur die Schweiz - die revolutionären Staatstheorien der Aufklärung, insbesondere diejenige Rousseaus, bekämpft und damit zu einem geschichtsorientierten wirklichkeitsgerechteren Aufbau der modemen Staatstheorie beigetragen hat. Mit seinem sechsbändigen opus magnum "Restauration der Staatswissenschaft" gab Haller - allerdings ungewollt! - der Restauration ihren Namen. Dies trug ihm in der Rechts- und Staatslehre der Folgezeit, die sich mit seinem Werk gar nicht mehr bzw. nicht hinreichend auseinandersetzte, das nicht zutreffende Verdikt ein, selbst reaktionär gewesen zu sein. Karl Ludwig von Haller ist eine Persönlichkeit, die durchaus auch tragische Züge erkennen läßt. Immer wieder durchkreuzten revolutionäre Ereignisse die Ambitionen und Lebenspläne von Hallers. Als er sich am Ziel seiner wissenschaftlichen Laufbahn wähnte und über eine Vielzahl von bedeutenden Anhängern verfugte, die Teile seiner Vorstellungen in Frankreich, Preußen oder Österreich aufgriffen und verwirklichten, mußte er binnen kürzester Zeit erfahren, daß die Ideen, die er zeit seines Lebens bekämpft hatte, sich unaufhaltsam durchzusetzen begannen. Der "Vater des Patrimonialismus" geriet noch zu Lebzeiten mehr und mehr in Vergessenheit. Haller konnte sich zeit seines wissenschaftlichen Lebens nicht entscheiden, ob er ein publizistischer Staatsrechtier oder ein staatsrechtlicher Publizist sein sollte. Dies fuhrte zu einem teilweise ambivalenten Charakter seines Werks und seiner Person. Es gilt vor diesem Hintergrund, der Person und Lehre Karl Ludwig von Hallers etwas mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und das Augenmerk auf Aspekte zu richten, die in der bisherigen Haller-Literatur vernachlässigt wurden.
Erster Teil
Genese und Geltungsgrundlagen des Rechts bei Karl Ludwig von Haller § 1 Entwicklung von Person, Leben und Werk 1. Kindheit und Jugend Am I. August 1768 wurde Karl Ludwig von Haller in eine Bemer Patrizierfamilie hineingeboren. Sein Großvater war Albrecht von Haller (1708 - 1777), der "Dichter der Alpen" und einer der bedeutendsten Universalgelehrten der damaligen Schweiz. Der Vater Karl Ludwigs, Gottlieb Emanuel (1735 - 1786), veröffentlichte Schriften aus Geschichte und Rechtswissenschaften. Darüber hinaus bekleidete er diverse staatliche Ämter in der Verwaltung der Republik Bem. Neben der Mitgliedschaft im Großen Rat der Republik brachte er es 1785 zum Landvogt von Nyon am Genfer See. Karl Ludwig von Haller scheint bereits in frühen Jahren über eine gewisse Begabung verfügt zu haben. Wie er in der Einleitung zu seinem Hauptwerk, der "Restauration der Staatswissenschaft", schreibt, gewann er schon als "ganz junger Knabe, beynahe auf meiner Mutter Schoos"] die Erkenntnis, daß die Ideen des Gesellschaftsvertrags mit Notwendigkeit falsch sein müßten, da sie gegen die Natur verstießen. 2 Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sich diese Episode tatsächlich so zugetragen hat oder ob Haller sie nur zur Legitimation seiner Ideen erfunden hat. 3 Bereits mit 16 Jahren trat er in bemische Staatsdienste, nachdem er seine schulische Ausbildung im wesentlichen bei einem Landpfarrer bei Büren an der Aare und für kurze Zeit im bemischen Gymnasium genossen hatte. Bemerkenswert, wenn auch nicht ungewöhnlich, ist die Tatsache, daß Haller zu keiner Zeit eine Universität besuchte. Daher kann Haller mit einigem Recht sehr weitgehend als Autodidakt bezeichnet werden. 4 Seine geistigen Fähigkeiten scheinen I Kar! Ludwig von Haller, Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt, 6 Bde .. Neudruck der 2. Autl. Winterthur 1820 - 1834, Aalen 1964, Bd. I, S. IV. 2 Ebd. 3 Kurt Guggisberg, Carl Ludwig von Haller, Frauenfeld/Leipzig 1938, S. 28. 4 Ebd., S. 30.
§ I Entwicklung von Person, Leben und Werk
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jedoch auch Neid und Mißgunst bei Gleichaltrigen hervorgerufen zu haben. Vielleicht ist dies ein Grund dafiir, daß Haller sich schon früh zu einem selbständigen und unabhängigen Geist entwickelte. 5
2. Tätigkeit als Commissionsschreiber der Regierung 1787 wurde Haller Commissionsschreiber der Regierung von Bern. In dieser Tätigkeit berichtete er dem Rat über politische Geschäfte, Verwaltungsangelegenheiten und strafrechtliche Belange. Diese Position war eine durchaus bemerkenswerte Karriere, denn er hatte damit in anderthalb Jahren drei Stufen in der bernischen Verwaltung erklommen. 6 In dieser Funktion trat er erstmals auch publizistisch in Erscheinung. Hierbei handelte es sich jedoch im wesentlichen um Protokolle und Rapporte, die vor allem seiner Schulung in der Beobachtung und beim Abfassen von Berichten dienten. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang die teils dienstlichen, teils privaten Reisen, die Haller in dieser Zeit unternahm. So reiste er 1790 ins revolutionäre Paris und nahm an dem Verbrüderungsfest auf dem Marsfeld teil. Später berichtete er, "aus Mangel einer besseren Kenntnis den Principien der Revolution" angehangen zu haben. 7 In den Folgejahren wurde Haller immer wieder als Teilnehmer verschiedener diplomatischer Missionen in das Ausland geschickt. So traf er 1797 anläßlich einer Mission zur Sicherstellung der schweizerischen Neutralität mit Napoleon zusammen. 8 Eine ähnliche Mission fiihrte ihn als Mitglied einer hochrangigen Delegation in demselben Jahr erneut nach Paris. Diese Reise mag als Auslöser seiner Abneigung gegen die französische Revolutionsregierung gedient haben, denn die gesamte bernische Delegation wurde von Talleyrand und dem Direktorium dadurch gedemütigt, daß ihnen eine Audienz verweigert wurde. Es wurde ihnen bedeutet, ihr Aufenthalt in Paris verursache nur Unruhe. 9 Diese Schmach dürfte Haller stark geprägt haben. Die begehrlichen Blicke, die das revolutionäre Frankreich auf die Republik Bern und die gesamte Schweiz warf, waren Anlaß rur die erste staatsrechtliche Arbeit, mit der Haller an die Öffentlichkeit trat, nämlich fiir sein "Projekt einer Constitution fiir die schweizerische Republik Bern" von 1798. Auf dieses be5 Ewa/d Reinhard, Karl Ludwig von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft", Münster 1933, S. 11 f. 6 Christoph Pfister, Die Publizistik Karl Ludwig von Hallers in der Frühzeit 1791 1815, Rem / Frankfurt 1975, S. I. 7 Zit. ebd., S. 2. 8 Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 38. Reinhard, Von Haller, der .,Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 18 f.
2 Graf von Westerholt
18
I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
merkenswerte Dokument wird an späterer Stelle noch einzugehen sein, da es seine staatsrechtlichen Auffassungen und Überzeugungen erkennen läßt. Hintergrund für die Abfassung der "Constitution" war die akute Bedrohung der Republik Bern durch die Truppen des revolutionären Frankreich. Die Führung der Republik Bern sah deshalb, vor dem Hintergrund zunehmender Unruhe im Inneren, ihre einzige Rettung in der Errichtung einer Konstitution, die den Untertanen gewisse Rechte zusichern sollte.'o Mit der Ausarbeitung dieser Konstitution wurde Haller beauftragt, der dieser Aufgabe innerhalb von zehn Tagen nachkam." Bei Veröffentlichung des Entwurfs der Konstitution am 19. März 1798 war es für die Republik Bern jedoch bereits zu spät. Am 5. März 1798 war die alte Schweiz unter dem Druck der französischen Truppen zusammengebrochen und der neue helvetische Einheitsstaat geschaffen worden. In diesem bekleidete Haller zunächst noch das vergleichsweise unbedeutende Amt eines Sekretärs der Verwaltungskammer. Seine Pläne, in den Rat aufgenommen zu werden, hatten sich trotz seines erstaunlich liberalen Verfassungsentwurfs unter den neuen Herren nicht verwirklicht. '2
3. Französische Besatzung Die Erfahrungen Hallers mit der französischen Besatzungsmacht waren enttäuschend. Jedenfalls wandte sich Haller sehr schnell der Opposition im eigenen Lande zu. Er schied aus seinem Amt aus und gründete eine. Zeitschrift, die "Helvetischen Annalen". Sie diente ihm selbst und anderen Oppositionellen als Plattform zur Verbreitung ihrer Ideen. Die erste Ausgabe erschien am 5. April 1798. Bis zum 10. November 1798 wurden insgesamt 64 Ausgaben veröffentlicht. 13 Haller entwickelte sich zunehmend zu einem fanatischen Anhänger der alten, untergegangenen Berner Republik. Seine Anschauungen hatten daher einen stark konservativen Zug. Dies hinderte ihn jedoch nicht, mit überaus spitzer, bissiger und bisweilen auch beleidigender Feder tatsächliche oder vermeintliche Mißstände im neuen Einheitsstaat in den "Helvetischen Annalen" anzuprangern. Dies sicherte den Annalen eine weite Verbreitung.'4 Gleichzeitig brachte ihn diese Tätigkeit aber auch in Konflikt mit der helvetischen Regie-
10 earl Hilty, Die Haller'sche Konstitution für Bem vom 19. März 1798, in: Politisches Jahrbuch der schweizerischen Eidgenossenschaft 10 (1896), S. 187 - 353, 198 tr. 11 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 41. 12 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 22 f. 13 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 15 tr. 14 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 48.
§ 1 Entwicklung von Person, Leben und Werk
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rung. Der damalige Senator Bodmer äußerte, er wolle lieber mit dem Teufel als mit Haller zu tun haben. 15 Im November 1798 drohte Haller die Verhaftung, nachdem es ihm gelungen war, durch Veröffentlichung vertraulicher Informationen die Regierung zu diskreditieren. Trotz des daraufhin verfiigten Verbots der Zeitung wurde noch eine Ausgabe veröffentlicht. 16 Haller mußte jedoch erkennen, daß der helvetische Einheitsstaat fiir ihn keinerlei Zukunftsperspektiven bot. Um der Verhaftung zu entgehen, ging er außer Landes. Hallers Jugendzeit in Bem war keineswegs durch ein besonderes Interesse fiir Staatsrecht geprägt. Vielmehr scheint der junge Haller ein vielseitig interessierter junger Mann gewesen zu sein, der aufgrund seiner Ausbildung keine ausschließlichen Beschäftigungsfelder für sich in Anspruch nahm. Durch seinen frühen Eintritt in die Dienste der Republik Bem ergab sich jedoch zwangsläufig eine intensivere Beschäftigung mit den Rechtswissenschaften. Aber auch in dieser Zeit ist noch kein staatsrechtlicher Interessenschwerpunkt auszumachen. Zwar nahm ihn die Auseinandersetzung mit der französischen Revolution gefangen. Jedoch geschah dies zunächst wohl nur aus reiner Neugier fiir die in der Tat weltverändemden Geschehnisse im Nachbarland. 17 Zu dieser Zeit galt Haller in seinen Kreisen noch als liberal und demokratisch. 18 Diese Einschätzung scheint durch den von ihm ausgearbeiteten Verfassungsentwurf von 1798 bestätigt zu werden. Nachdem jedoch die Ideale der französischen Revolution in Gestalt des helvetischen Einheitsstaates auch in Hallers Heimat Einzug hielten und damit zugleich das Ende der bemischen Republik eingeleitet wurde, mußte Haller erkennen, daß diese neue Zeit fiir ihn keine leuchtende Zukunft bereithielt. Vielmehr war er im Alter von 30 Jahren am vorzeitigen Ende einer hoffnungsvollen Karriere angelangt. Der Grund dafiir war nach seiner Überzeugung einzig und allein die französische Revolution und ihr politischer Ableger, der helvetische Einheitsstaat. Diese Erfahrung kann als Wendepunkt in Hallers Leben gelten. Von nun an beschäftigte er sich in stetig zunehmendem Maße mit der Politik und, wenn auch zaghaft, mit staatsrechtlichen Theorien. Er tat dies zunächst in rein publizistischer Form im Rahmen seiner "Helvetischen Annalen". Diese boten jedoch schon von ihrer Konzeption her kein Umfeld fiir die Entwicklung großer theoretischer Gedankengebäude. Jedoch zeichnen sich hier schon spätere Ideen Hallers ab. 15
16
17 18
2·
Zit. ebd., S. 49. Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 24. Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. VII. Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 42.
20
I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
Zum endgUltigen Bruch Hallers mit seiner alten Heimat kam es durch seine Flucht Ende des Jahres 1798, die ihn ins benachbarte Deutschland fiihrte. Von seinen jugendlichen Schwärmereien fiir die französische Revolution und seinem Ruf als Demokrat und Liberaler lassen sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Ansatz- und Ausgangspunkte finden. Insoweit waren Hallers Charakter und seine derzeitigen Auffassungen bereits endgültig geformt. Er erscheint als derjenige, der "von den Einen als Retter einer fast verzweifelten Sache zum Himmel erhoben, von den Anderen als ein Verräther an Recht und Menschenwürde gehasst und verachtet wird, dem aber Alle selbständige Kraft des Gedankens, Folgerichtigkeit und Unerschrockenheit in Schlüssen, und Reichthum des Wissens zuerkennen". 19
19 Robert von Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. In Monographien dargestellt, Bd. 2, Erlangen 1856, S. 529.
§ 2 Flucht und Exil l. Feldzug gegen die Helvetische Republik
Im Exil schloß sich Haller den Schweizer Emigranten im Umfeld des Erzherzogs Karl von Österreich an. In Rastatt trat er in Kontakt zu den franzosenfeindlichen Kreisen um den späteren Minister Metternich. Im Gefolge des österreichischen Heeres nahm er an dem Feldzug gegen die helvetische Republik teil. Dieser Krieg gegen sein eigenes Heimatland erschien rur Haller dadurch gerechtfertigt, daß sich der helvetische Einheitsstaat nur als Anhängsel Frankreichs darstellte. Die ursprüngliche Neutralität bestand nicht mehr. Deshalb erschien es als legitim, zur Wiederherstellung derselben fremder Mächte Hilfe anzunehmen. 20 In Emigrantenkreisen erlangte Haller bald Ansehen und Einfluß. Beim Einzug der zunächst siegreichen österreichischen Truppen in Zürich war er dabei. Auch wirkte er an den Plänen zur Wiederherstellung der alten Ordnung mit. 21 In diesem Zusammenhang verfaßte Haller ein "Verfassungsprojekt", überschrieben mit "Ideen über die Einrichtung und die Befugnisse eines allgemeinen Eidgenössischen Bundes-Rathes; oder über die Befestigung des Schweizerischen Staatenbundes". Er wurde später veröffentlicht als Beilage IV in seiner "Geschichte der Wirkungen und Folgen des Österreich ischen Feldzugs in der Schweiz". Hierin geht es im wesentlichen um die Wiederherstellung des alten Zustandes, wie er vor dem Einfall der Franzosen in der Schweiz bestanden hatte, nämlich um die Herstellung eines lockeren, föderalen Staatenbundes. Haller war durchaus bereit, einige Modifizierungen in Richtung auf einen Bundesstaat einzufuhren. Dazu gehörte beispielsweise eine Bundesregierung aus Vertretern der dreizehn selbständigen Orte und Kantone. 22
2. Erlangen und Weimar Nach dem Scheitern des Feldzuges nach der zweiten Schlacht von Zürich J799 mußte Haller erneut fliehen. Er wandte sich zunächst über einige Zwi-
20
21 22
Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 51. Ebd., S. 55. Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 29.
22
I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
schenstationen nach Erlangen. Hier beschäftigte er sich zunehmend mit den theoretischen Grundlagen staatlicher Herrschaft. Auslöser dafür waren - nach eigenem Bekenntnis - die Memoiren des Jesuiten Barruel. Nach deren Studium fühlte er, "daß das solide Gegengift oder das wahre Heilungsmittel mangele". Dies veranlaßte, wie er sich ausdrückte, "das Unternehmen meiner Restauration der Staatswissenschaft". 23 Die nächste Station Hallers war Weimar im Jahre 180 I. Erstaunlicherweise scheint Haller im seinerzeitigen "Mekka der Geister Deutschlands,,24 keine Kontakte zu den Dichterflirsten aufgenommen zu haben. 25 Hauptzweck seines Aufenthalts in Weimar war die Überwachung der Drucklegung seines ersten größeren Werkes, "Geschichte der Wirkungen und Folgen des österreichischen Feldzuges in der Schweiz", das 180 I herauskam. Wesentlicher Inhalt dieses Buches war weniger die gen aue historische Beschreibung des letztlich mißglückten militärischen Eingreifens Österreichs in Hallers Heimat, denn dafür waren die Ereignisse auch wohl noch zu frisch. Es ging vielmehr um eine Darstellung seiner eigenen politischen Anschauungen. Sie standen in Zusammenhang mit der österreichischen Intervention. 26 Das Werk enthält bereits Anklänge der späteren staatstheoretischen Ideen Hallers, auf die weiter unten einzugehen ist. Es stand freilich noch in der publizistischen Tradition der "Helvetischen Annalen".
3. Wien Kurz nach Veröffentlichung der "Geschichte der Wirkungen und Folgen des österreichischen Feldzuges in der Schweiz" begab Haller sich nach Wien, wo ihm aufgrund seiner Verdienste in der Feldkanzlei Erzherzog Karls während des Feldzuges 1799 eine Stellung als "Hotkriegs-Konzipist" in der Präsidial-Kanzlei des Erzherzogs angeboten worden war. Damit trat Hallers Leben nach einer rastlosen Phase wieder in ruhigere Fahrwasser ein. Die neue Tätigkeit war offenbar sehr anspruchsvoll. Es finden sich eine Reihe von Studien und Schriften, die von Hal\er ganz offensichtlich in dienstlichem Auftrage erstellt wurden. 27 Für eigene Veröffentlichungen scheint Haller in dieser Zeit nicht die Muße gefunden zu haben, auch wenn sich Teile seiner späteren Ideen in den dienstlichen Memoranden wiederfinden lassen. 28 Die Tätigkeit in österreichischen RegieZit. ebd., S. 32. Ebd., S. 33. 25 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 58. 26 Adolphine Haasbauer, Die historischen Schriften Karl Ludwig von Hallers, Diss. phi\., Basel 1949, S. 79 ff. 27 Nachweise bei Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 22), S. 37, und Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 60 f. 28 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 38. 23
24
§ 2 Flucht und Exil
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rungsdiensten filhrte dazu, daß Haller sich zunehmend assimilierte. Er scheint sich schließlich ganz als Österreicher gefilhlt zu haben,z9 der - vor dem Hintergrund der folgenden persönlichen Entwicklung Hallers besonders bemerkenswert - in Preußen einen geflihrlichen Feind des Hauses Habsburg erblickte. 30 Als 1805 zwischen Österreich und Frankreich erneut Krieg ausbrach, sah Haller seine Karriere erneut bedroht. Er begab sich nach Kroatien, "auf der Flucht vor Feindes-Gewalt",3\ wie er bemerkte. Nach seiner eigenen Schilderung in der Einleitung zur "Restauration der Staatswissenschaft" hatte er dort, "an den äußersten Gränzen der europäischen Cultur",32 sein persönliches Paulus-Erlebnis. Hier entdeckte und formulierte er die Grundgedanken seiner Staatstheorie. Wenn man seinen eigenen Worten Glauben schenken darf, muß dies einem Erweckungserlebnis gleichgekommen sein, denn er schreibt: "Es wankten meine Knie, ein Strom von freudigen Thränen entquoll meinen Augen, und von demselben Augenblick entstand meine lebendige Religiosität, die seither immer zugenommen hat.,,33 Einmal abgesehen davon, daß eine solche Sprache zu damaliger Zeit allgemein gepflegt wurde, ist wenig wahrscheinlich, daß Haller seine Theorien durch eine Art plötzlicher Eingebung erkannte. Dazu enthält schon sein früheres Werk zu viele Anhaltspunkte auf das Kommende. Auch war seine Theorie nicht so neu und singulär, wie es Haller darzustellen versucht. Darauf wird weiter unten noch einzugehen sein. Viel wahrscheinlicher ist, daß die Schilderungen des "Erweckungserlebnisses" seinen Theorien in bestimmten Kreisen, auf die Haller abzielte, eine höhere Legitimation verschaffen und deren Akzeptanz fördern sollten. In der Tat wurde Haller nach der Veröffentlichung der "Restauration" eine fast religiöse Verehrung zuteil.
4. Rückkehr nach Bero In der Zwischenzeit hatten sich die Verhältnisse in Hallers Heimat verändert. 1805 erreichte ihn der Ruf an die neu geschaffene Akademie zu Bern. Haller sollte dort den Lehrstuhl für vaterländische Geschichte, allgemeines Staatsrecht und Kameralistik übernehmen. Grund filr den tiefgreifenden Wandel der Verhältnisse in Bern war das Ende des helvetischen Einheitsstaates durch Napoleon und die Wiederherstellung des
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J2
J3
Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 61. Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 39. Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. XXVIII. Ebd. Ebd., S. XXVI.
24
I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
vorrevolutionären schweizerischen Föderalismus. Diese Umstände erleichterten Haller - neben der sicherlich auch vorhandenen Sehnsucht nach der alten Heimat - den Abschied aus Wien. Darüber hinaus war entscheidend, daß ihm die angebotene Professur die Möglichkeit gab, seine Theorien auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und dadurch direkten Einfluß auf die Gestaltung des politischen Lebens in seiner Heimatstadt zu nehmen. 34 Wieder endete für Haller eine gerade begonnene Karriere, diesmal jedoch unter günstigeren Vorzeichen als beim ersten Mal. Haller gewann durch das Angebot der Professur in seiner Heimatstadt genau die Plattform, die er für seine Theorien benötigte, um sie einem breiten und empfiinglichen Publikum bekannt zu machen. Die neue Stellung bot außerdem glänzende Aussichten für seine Zukunft. Schließlich gründete sich der erneute Wechsel auf eine freiwillige, von außen nicht beeinflußte Entscheidung.
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Guggisberg. earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 64.
§ 3 Konsolidierung und Restauration 1. Professur für Staatsrecht in Rero Bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Heimat zum Wintersemester 1806/07 trat Haller mit seiner Theorie von den natürlichen Herrschaftsverhältnissen an die Öffentlichkeit. Er nutzte hierfllr den Uinstand, daß die Akademie ihn bereits zum Prorektor ernannt hatte, und gab der bei diesem Anlaß gehaltenen Inaugurationsrede den Titel "Ueber die Nothwendigkeit einer anderen obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts". In dieser Rede, deren Überschrift durchaus programmatisch zu verstehen ist, scheinen bereits alle Elemente seiner neuen Staatslehre auf, die ihm im damaligen Europa ebenso viele glühende Anhänger wie erbitterte Gegner bescherte. 35 In dem "Litterarischen Archiv der Akademie zu Bern" fand Haller schon bald das geeignete Werkzeug zur Verbreitung seiner Lehre. Er selbst war maßgeblich an der Herausgabe dieser offiziellen universitären Zeitschrift beteiligt. 36 In den Jahren 1807 und 1808 veröffentlichte Haller eine Vielzahl von Aufsätzen mit wissenschaftlichem Anspruch, aber auch polemische Auseinandersetzungen mit den von ihm abgelehnten Theorien der neuen Zeit, wie denjenigen vom Gesellschaftsvertrag und der Gewaltenteilung. Ein fllr diese Untersuchung nicht weiterführendes, gleichwohl sehr aufschlußreiches Beispiel für letzteres ist die 1808 erschienene "Idee zu einem allgemeinen Kranken-Recht nach dem Grundsatz der Theilung der Gewalten". Haller polemisierte hier gegen den - seiner Meinung nach höchst widernatürlichen - Grundsatz der Gewaltenteilung und gegen das Prinzip der Repräsentation, indem er beide auf einen fiktiven Staat von Kranken anwendet, in welchem jede Krankheit durch einen Vertreter in einem gesetzgebenden Ausschuß repräsentiert wird, der über alle Krankheiten und ihre Heilmittel allgemeingültig entscheidet. Die vollziehende Gewalt wird von den Ärzten gebildet, welche die vom gesetzgebenden Ausschuß bestimmten Behandlungsmethoden anzuwenden haben. Die richterliche Gewalt schließlich besteht aus einem Ausschuß unabhängiger und unbeteiligter Kranker. 3 ? Diese von Haller als Satire gemeinte Veröffentlichung verfehlte nicht ihre Wirkung.
Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 80. Ebd., S. 76. 37 Huldreich Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen Kar! Ludwig von Hallers, Diss. phi!., Bem 1896, S. 25. 35
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I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
Sie wirft ein bezeichnendes Licht auf ihren Verfasser und seinen zunehmend polemisch-ideologisch geflirbten Impetus. Hallers Veröffentlichungen im "Litterarischen Archiv" lösten schon bald eine Kontroverse über seine Theorien aus. Dies sicherte von Haller die notwendige Publizität. Zu seinem ärgsten Widersacher an der Akademie entwickelte sich der als "Führer des Liberalismus in Bem,,38 geltende Professor Samuel Schnell. Dieser attackierte Haller unmittelbar nach dessen Inaugurationsrede sehr scharf, indem er anonym eine Besprechung seiner Rede veröffentlichte. 39 In ihr wurde Haller vorgeworfen, seine vorgeblich neuen Theorien seien sämtlich schon zuvor von verschiedenen Staatsrechtlern entwickelt worden, darüber hinaus seien sie veraltet und nicht haltbar. 40 Von dieser Kritik fiihlte sich Haller in hohem Maße gekränkt und in seiner Ehre verletzt. In der Folge veröffentlichte er im "Litterarischen Archiv" eine "Antikritik" zur Verteidigung seiner Theorie. Haller hatte seinen Antipoden gefunden, der ihm noch einige Steine in den Weg legen sollte. Von den Veröffentlichungen Hallers im "Litterarischen Archiv" sind noch erwähnenswert die Beiträge "Ueber die Domainen und Regalien. Ein Beytrag zur Reformation des allgemeinen Staats-Rechts" und "Ueber den wahren Sinn des Naturgesetzes: daß der Mächtigere herrsche", beide 1807, sowie die Schrift: "Ueber die zweckmäßigsten Mittel Sekten zu bekämpfen und auszurotten", 1808. Darüber hinaus veröffentlichte Haller 1808 sein "Handbuch der allgemeinen Staatenkunde, des darauf gegründeten allgemeinen Staatsrechts und der allgemeinen Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur". Dieses Werk beinhaltet in komprimierter Form nahezu alle Bestandteile der Hallersehen Herrschaftslehre; es war als Begleitbuch zu seinen Vorlesungen konzipiert. 41 Trotz seines ausgesprochenen Sendungsbewußtseins entwickelte sich die Tätigkeit an der Akademie für Haller alles andere als erhofft. Die Studenten mieden seine Vorlesungen, einerseits wohl wegen der altzu konservativen Grundtendenz, andererseits wegen des arg polemischen Tons. 42 Um so mehr mußte es ihn kränken, daß sein ärgster Widersacher, Professor Schnell, wegen des größeren Zulaufs an Studenten die eigentlich zu Hallers Lehrstuhl gehörigen histori-
Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 70. Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 21. 40 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 83. 41 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 26. 42 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 65. 38
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§ 3 Konsolidierung und Restauration
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schen Vorlesungen übertragen bekam. 43 Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, daß Haller nur bis 1817 in seinem Amt als Professor verblieb. Gleichzeitig mit seiner Berufung zum Professor hatte Haller 1806 vom Rat der Stadt Bern das Amt eines Zensors übertragen bekommen. Dieses Amt bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten, denn Haller war sicherlich kein unparteiischer Charakter, ferner nahmen die publizistische und wissenschaftliche Tätigkeit ihn so in Anspruch, daß das Zensorenamt darunter litt. Die Folge waren wiederholte Verweise der vorgesetzten Stellen. 44 Zum Eklat kam es, als Haller das jUngste Werk seines Erzfeindes Schnell zur Freigabe vorgelegt bekam. Seine persönliche Abneigung gegen den Verfasser und die von diesem geäußerten Auffassungen ftlhrten dazu, daß Haller widerrechtlich die Imprimatur verweigerte, obwohl kein Verbotstatbestand erfilllt war. Die sich anschließenden Untersuchungen veranlaßten Haller, 1809 das Zensoren amt aufzugeben. 45 Es muß Haller sehr recht gewesen sein, dieses Amt abgeben zu können, denn er benötigte die gesamte, ihm zur Verfilgung stehende Zeit, um sein mehrfach angekündigtes "Hauptwerk" zu verfassen. 46 Es handelte sich um die sechsbändige "Restauration der Staatswissenschaften oder Theorie des natUrlich geselligen Zustands, der Chimäre des kUnstlich-bUrgerlichen entgegengesetzt". Es kam von 1816 bis 1834 in der ersten Auflage heraus und machte seinen Autor endlich auch in weitesten Kreisen bekannt. Sein Werk gab einer ganzen Epoche, nämlich der Zeit von 1815 bis 1830 bzw. 1848, ihren Namen. 47 Auch bei diesem Werk wird schon in der Bezeichnung Hallers Hang zu programmatischer Titelgebung deutlich, wie im folgenden zu zeigen ist. Haller selbst betrachtete dieses Werk als göttliche Aufgabe, dazu angetan, mit einem Schlag alle widersprechenden Vorstellungen, insbesondere die Ideen der französischen Revolution und ihrer Verfechter endgültig zu widerlegen. 48 FUr ihn bestand in der Restauration oder Wiederherstellung und sinngemäßen Fortschreibung der alten, vorrevolutionären Strukturen der einzige Ausweg, die herrschenden, unbefriedigenden, wenn nicht widernatUrlichen Zustände zu beEbd. Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 27. 4; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 72. 46 Kar! Ludwig von Haller, Ueber die Nothwendigkeit einer anderen obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts. Eine Inaugurations-Rede bey Antretung des Prorektorats an der Akademie zu Bem, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem I (1807), S. 115 - 187, 115; ders., Handbuch der allgemeinen Staatenkunde, des darauf gegründeten allgemeinen Staatsrechts und der allgemeinen Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur, Winterthur 1808, S. 67. 47 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 81; Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 58. 48 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. LXVI. 43
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I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
seitigen und die einzig legitime ,Herrschaft des Stärksten und Unabhängigsten im Staate'sicherzustellen. Dieses Anliegen trat auch in den auf die "Restauration" folgenden Veröffentlichungen Hallers immer stärker in den Vordergrund.
2. Konversion Bemerkenswert ist in mancherlei Hinsicht der im Jahre 1820 erschienene vierte Band der "Restauration", der sich mit den theonomen Priesterstaaten, d. h. den Theokratien beschäftigt. Es ist offensichtlich, daß Hallers Sympathien eindeutig dieser Staatsform galten, die sich im katholischen Kirchenstaat verwirklicht hatte und dem protestantischen Haller eigentlich hätte fremd sein müssen. 49 Es läßt sich jedoch gar nicht übersehen, daß auch hier Hallers These von der Herrschaft des Stärkeren vor den rein theologischen Erwägungen steht. Letztere scheinen Haller wenig interessiert zu haben. Die katholische Kirche mußte ihm überlegen erscheinen, da in ihr sein Herrschaftsmodell am ehesten verwirklicht wurde. Dies allein war rur Haller wesentlich. 50 Folgerichtig trat er im Jahre 1820 zur katholischen Kirche über. Dies war ein Schritt, dem mannigfaltige Kontakte mit verschiedenen Konvertiten vorausgegangen waren. Er löste eine wahre Welle weiterer Konversionen aus. 51 Zunächst hielt Haller seine Konversion in der Öffentlichkeit geheim. Ein Verhalten, das ihn angreifbar machte und auch nicht recht erklärlich ist, rur einen Mann, der von sich selbst behauptete, "Vater und Mutter, Brüder und Schwestern, Weib und Kinder, ... weniger [zu lieben] als die Wahrheit, und derselben mein persönliches Glück hintanzusezen".52 Schon 1817 war Haller wegen der fortdauernden Reibereien mit seinem Intimfeind Schnell und der weiter abnehmenden Akzeptanz bei der Studentenschaft von seinem Professorenamt an der Akademie in Bern zurückgetreten. 53 Wenn Haller sich von diesem Schritt versprochen haben mag, von seinen ärgsten Kritikern an der liberal geflirbten und noch dazu in Bern sehr einflußreichen Akademie Abstand gewonnen zu haben, so erwies sich diese Überlegung als Trugschluß. Gerade die Veröffentlichung der "Restauration" kam der Regierung Berns sehr ungelegen. Immerhin war der Verfasser seit 1814 Mitglied des Großen Rates der Stadt Bern und diese gerade im Begriff, sich im Hinblick
49 Ebd., Bd. IV, S. 29 ff.; Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 31. 50 Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 89 f. 51 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 94 ff. 52 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. LVII. 53 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 94.
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§ 3 Konsolidierung und Restauration
auf die übrigen Kantone behutsam liberaleren Ideen zuzuwenden. 54 Vor diesem Hintergrund sorgte eine weitere Veröffentlichung Hallers im Jahre 1820 fur einiges Aufsehen. 55 Es ist dies die Schrift "Ueber die Constitution der spanischen Cortes", in der Haller in scharfer und pointierter Form mit der neuen spanischen Verfassung ins Gericht ging. Da dieses Werk zum Verständnis der Hallerschen Staatslehre einige Bedeutung hat, wird darauf zurückzukommen sein. Von seinen Kritikern wurde Haller um so schärfer beobachtet und sein Werk sorgfliltig analysiert. Dem aufmerksamen und kritischen Leser der "Restauration" konnte daher nicht verborgen bleiben, daß Haller der katholischen Kirche zumindest nahestand. Schon bald kursierten Gerüchte über eine heimliche Konversion Hallers, zu deren Fürsprecher sich erneut Professor Schnell machte. 56 Haller sah sich schließlich 1821 gezwungen, seine Konversion öffentlich zu machen, und verteidigte den Schritt in einem damals vielbeachteten "Brief an seine Familie", den er veröffentlichen ließ und der in mehreren Sprachen und Auflagen erschien. Die von Haller wenn nicht gewollte, so doch sicher erahnte Folge der Konversion war sein Ausschluß aus dem Großen Rat der Stadt Bern Im Frühjahr 1821, unmittelbar nach dem Eingeständnis der Konversion. 57
3. Verlust aller Ämter Es mag selbst rur die überaus protestantische Stadt Bern ungewöhnlich erscheinen, daß ihr Repräsentant Haller lediglich wegen seines Übertritts zur katholischen Kirche aller Ämter enthoben wurde. Dieser Umstand wird jedoch verständlich vor dem Hintergrund der bereits geschilderten zunehmenden Feindschaft gegenüber dem als reaktionär geltenden Haller und seiner Heimat. 58 Bezeichnenderweise hielt sich Haller selbst zum Zeitpunkt der entscheidenden Sitzung des Großen Rates, in der sein Ausschluß beschlossen wurde, gar nicht in Bern auf, sondern in Paris. 59 Dieser Umstand kann als symbolisch gelten, sollte doch gerade Paris die nächste Station im Leben Hallers werden. Bereits dieser erste längere Aufenthalt Hallers in Paris brachte ihn mit bedeutenden Persönlichkeiten des restaurativen Frankreich in Kontakt. Namentlich seien hier
54 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von (FN 37), S. 30. 55 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 56 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 128. 57 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 58 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 136. 59 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S.
Hallers 104. 104. 108.
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I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
der Vicomte de Bonald, Chateaubriand und auch der spätere König Karl X. erwähnt. 60 Gleichwohl kehrte Haller zunächst nach Bem zurück und bemühte sich von Schloß MUsingen aus, in Österreich durch Vermittlung Mettemichs oder in Spanien, vertrauend auf die Wirkungen seiner "Cortes"-Schrift, Anstellungen zu finden. Aber weder Mettemich noch Ferdinand VII. von Spanien zeigten sich an Hallers Diensten interessiert. Letzterer verlieh ihm immerhin den Orden Karls 111. 61 Auch die Bemühungen, in Preußen ein Amt zu erlangen, schlugen fehl. Wahrscheinlich war Haller hier seine Konversion hinderlich. Zu Anfang des Jahres 1822 siedelte Haller schließlich nach Paris über, da er sich von dem dort herrschenden restaurativen Klima sowie den neuen und alten Bekannten Unterstützung versprach. Dieser Schritt bedeutete die endgültige Abkehr Hallers von seiner Heimat Bem, obwohl diese in seinem Schaffen einen besonderen Stellenwert einnahm. Im Gegensatz zu den bisherigen Zäsuren in Hallers Leben wurde dieser Abschnitt nicht durch äußere Umstände beendet, sondern allein durch Hallers eigenes Verhalten. Seine zunehmend restaurativen Ideen, die er mit Schärfe und eine gewissen Intoleranz vortrug, verschafften ihm in seiner zunehmend liberal geprägten Heimat einflußreiche Feinde, die ihn als lebendigen Anachronismus betrachteten. Auch mußte sich sein Wirken nachteilig ftlr die Interessen seiner Heimatstadt auswirken. Als buchstäblicher Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, kam die - aus Hallers Sicht freilich nur folgerichtige - Konversion hinzu. Der Verlust aller Ämter im Alter von 54 Jahren war ftlr Haller daher Grund genug, sich neue Betätigungsfelder zu suchen. Enttäuschend muß gewesen sein, daß die Länder, von denen er sich am meisten Unterstützung erhofft hatte, nämlich Spanien, Österreich und Preußen, ihn nicht mit offenen Armen aufnahmen. Dieser Erfahrung sollten noch weitere ähnliche folgen. Frankreich, im nachhinein das natürliche Umfeld ftlr den Namensgeber der Epoche der Restauration, war für Haller allenfalls zweite Wahl, brachte er dem Land der Revolution doch ein zeitlebens reges Mißtrauen entgegen.
60 61
Ebd., S. 109 f.
Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 153.
§ 4 Aufenthalt in Frankreich und Lebensabend in Solothurn 1. Übersiedlung nach Paris Der Umzug von Bem nach Paris bereitete Haller zusammen mit seiner Konversion einige familiäre Schwierigkeiten. Hallers Frau litt unter dem Verlust der Heimat und ihrem auch innerhalb der Familie zunehmend missionarisch auftretenden Mann, der es - gegen ihren Willen - erreichte, daß seine Kinder ebenfalls zum katholischen Glauben übertraten. 62 Darüber hinaus widmete sich Haller mit Inbrunst der Verbreitung seiner Ideen. Er entwickelte sich zu einem peniblen Tagebuchschreiber; ein Umstand, dem wir die Kenntnis verdanken, daß er allein im Jahr 1824 mit seinen beiden Söhnen 116mal die "Restauration" durchging. 63 In beruflicher Hinsicht war der Beginn der Pariser Zeit nicht uneingeschränkt erfolgreich. Die Bemühungen Hallers, eine adäquate Anstellung zu finden, blieben zunächst ohne Ergebnis. 64 Erst 1824, nach dem Ausscheiden Chateaubriands aus der Regierung, erhielt Haller endlich eine vielversprechende Anstellung als "Publiciste attache au Ministere des Affaires etrangeres" unter dem Minister Baron Damas. 65 Weiterhin suchte Haller Anerkennung rür seine Lebensleistung in Österreich oder Preußen zu erhalten. 1825 bemühte er sich mit Hilfe des befreundeten Johann Graf von Salis-Soglio, einen Freihermtitel durch den österreich ischen Kaiser zu erhalten. Sein Wunsch blieb freilich unerflillt. 66 Das beinahe völlige Ausbleiben der Anerkennung seines Lebenswerks durch die eigentlichen Adressaten, die damals Mächtigen und Regierenden, namentlich den Kaiser von Österreich und die Könige von Preußen und Spanien, haben Haller zutiefst gekränkt und seine Verbitterung befördert, auch wenn er behauptete, an öffentlichen Ehrungen nicht interessiert zu sein. 67 Ebd., S. 156. Ebd., S. 157; Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 124. M Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 122. 65 Ebd., S. 126. 66 Vgl. Ewald Reinhard, Ein selbstverfasster Lebensabriß des Restaurators Karl Ludwig von Haller, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 15 (1935), S. 369 375,369 ff. 67 Ders., Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 124. 62 63
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I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
Seine Tätigkeit rur das Ministerium des Äußeren scheinen Hallers Arbeitskraft weitgehend gebunden zu haben; eigenständige Veröffentlichungen zum Staatsrecht finden sich während der Pariser Zeit nicht. Für das Ministerium fertigte Haller bereits zu Beginn seiner Tätigkeit 1824 eine Schrift "Ueber den gegenwärtigen Zustand der Schweiz und die gegen die Eidgenossenschaft zu befolgende Politik",68 in der er schonungslos mit den aufkommenden liberalen Tendenzen seiner Heimat abrechnete und forderte, Frankreich möge seinen alten Einfluß in der Schweiz wiederherstellen. Haller scheint sich, ähnlich wie bei seinem früheren Wiener Aufenthalt, politisch gänzlich in der neuen Heimat assimiliert zu haben. 69
1825 erschien der sechste Band der "Restauration", "Von den Republiken oder freyen Communitäten". Er wurde vor dem fünften Band veröffentlicht, der die Makrobiotik der geistlichen Staaten behandelt und erst 1834 vollendet wurde, als sich Haller bereits auf seinen Alterssitz zurückgezogen hatte. Ab 1820, ebenfalls bis 1834, erschien schließlich die zweite Auflage der "Restauration". Bei Erscheinen der zweiten Auflage 1820 war das Werk noch gar nicht vollendet. Die zweite Auflage war notwendig geworden, nachdem sich die ersten Bände der "Restauration" überaus gut verkauften, und zwar auch und gerade in Preußen. Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Doch schon 1822 gingen die Verkaufszahlen spürbar zurück, unter anderem wegen des in einigen Ländern herrschenden Verbots der Hallerschen Werke, aber wohl auch wegen eines schwindenden Interesses der Öffentlichkeit an seinen Thesen. 7o Die Exemplare, die von der zweiten Auflage abgesetzt werden konnten, beliefen sich bis 1846 auf insgesamt deutlich unter 100 bei einer Auflage von I 000. 71 Damit war innerhalb kurzer Zeit das Lebenswerk Hallers von einem buchstäblich weltbewegenden Einfluß zur Bedeutungslosigkeit abgesunken. Noch 1817 hatten die deutschen Burschenschaften unter dem Schlachtruf: "Der Gesell will, daß Deutschland keine Verfassung habe" den ersten Band der "Restauration" auf dem Wartburg-Fest zusammen mit anderen Büchern verbrannt;72 schon fünfzehn Jahre später war das Werk beinahe vergessen. Obwohl mit dem Wechsel von Ludwig XVIII. zu Karl X. im Jahr 1824 das Klima für die Hallerschen Vorstellungen in Frankreich noch günstiger wurde, erwarb Haller bereits 1828 ein herrschaftliches Haus in Solothurn, das er wegen des katholischen Umfelds besonders schätzte. 73 Dieser Schritt war sicherlich auch darin begründet, daß Haller von Karl X. trotz dessen restaurationsfreundli68
Ebd., S. 126.
72
Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 162. Ebd., S. 109 t: Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 83 t: Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 121.
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Ebd., S. 160.
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§ 4 Aufenthalt in Frankreich und Lebensabend in Solothurn
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cher Stimmung und der ganz in Hallers Sinne durchgefiihrten Krönungszeremonie enttäuscht war. Für Haller war insbesondere schwer verständlich, wieso Karl X. die Verfassung aufrecht erhielt und sich volkstümlich gab, denn dies war nach Hallers Meinung ein Zeichen mangelnder Autorität. 74
2. Restauration und Juli-Revolution Durch den Erwerb des Hauses in Solothurn hatte Haller seinen Abschied aus Paris vorbereitet; dennoch wurde ihm durch den Minister Polignac eine Aufgabe übertragen, die ganz nach seinem Geschmack gewesen sein dürfte und unter günstigeren Umständen sicherlich zu einer Verlängerung seiner Pariser Zeit gefiihrt hätte. Im Mai 1830 wurde er nämlich zum Professor an der Ecole des Chartes, der Diplomatenhochschule, berufen. 75 Die Stelle konnte er jedoch nicht mehr antreten, da durch die Juli-Revolution 1830 alle restaurativen Tendenzen in Frankreich beendet wurden. Alle verbliebenen Gönner Hallers verloren Macht und Einfluß. Erneut sorgten äußere, revolutionäre Umstände fiir eine Zäsur in Hallers Leben und fiihrten zu einem weiteren, dem letzten Ortswechsel nach Solothurn, zurück auf Schweizer Boden.
3. Lebensabend in Solothurn In Solothurn lebte Haller mit seiner mittlerweile vollständig katholischen Familie sehr zurückgezogen, bis er sich 1834 fiir eine Mitgliedschaft im Großen Rat zur Verfügung stellte. Leider war dies ein Amt, das er schon 1837 wegen des zunehmenden Einflusses der liberalen Kräfte auch in Solothurn wieder aufgeben mußte. Hiermit trat er endgültig von der öffentlichen Bühne ab. 76 Schöpferisch ist Haller zu Beginn der Solothurner Zeit nicht mehr hervorgetreten, wenn man von der Pflege seiner umfangreichen Korrespondenzen mit geistesverwandten Persönlichkeiten absieht, in Deutschland hauptsächlich mit den Brüdern Johannes und Johann-Georg von Müller, mit dem preußischen Gesandten von Sydow, mit Friedrich Schlegel oder auch dem Fürsten von Hardenberg. Hierzu gehörten auch eine Anzahl von Konvertiten, fiir die er nach wie vor ein Vorbild war. 77
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Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 132. Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 163. Ebd., S. 165 f. Ebd., S. 168.
3 Graf von Westerholt
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I. Teil: Grundlagen des Rechts und des Rechtsdenkens bei Haller
Auf staatsrechtlichem Gebiet trat Haller nur noch wenig in Erscheinung, ausgenommen die schon erwähnte Vollendung der "Restauration" mit der Herausgabe des fiinften Bandes 1834. Darüber hinaus verdient allenfalls noch die kleine Schrift "Satan und die Revolution", ebenfalls 1834, Erwähnung. Erst 1839 erscheinen die umfangreichen "Melanges de droit public et de haute politique", bei denen es sich jedoch im wesentlichen um eine Zusammenstellung fiiiherer Aufsätze handelt. 78 Die nächste eigenständige, staatsrechtliche Arbeit erschien im Jahr 1847. Dabei handelte es sich um die "Staatsrechtliche Prüfung des vereinigten Preußischen Landtags", die den bezeichnenden Titelzusatz trägt "Nebst redlichem Rath an den König zur Behauptung seines guten Rechts". Wie sehr dieses Werk neben seiner Zeit und ihren politischen Entwicklungen lag, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß es drei Jahre dauerte, in denen Europa die Revolution von 1848 erlebte und die Schweiz nach dem Sonderbundskrieg von 1847 zum Bundesstaat geworden war, bis Haller eine offizielle Reaktion von dem derartig "beratenen" preußischen König erhielt; unter dem 13. Februar 1850 schrieb der zeitweilige preußische Botschafter in der Schweiz, von Sydow, Haller im Auftrag des Königs ein knapp halbseitiges Dankschreiben. 79 Schließlich raffte sich Haller 1850 mit 82 Jahren nochmals auf und veröffentlichte eine Abhandlung über "Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit". Dieses Werk mutet in seinem Anachronismus und seiner erkennbaren Hilflosigkeit gegenüber den neuen staatsrechtlichen und politischen Entwicklungen in Europa und der Schweiz beinahe rührend an. Es ist Haller jedoch zu Gute zu halten, daß er von seinen ursprünglichen Theorien nicht abgeht, oder diese auch nur an die neuen Gegebenheiten anpaßt. 80 Als Mensch wurde Haller mit zunehmendem Alter eigensinniger und pedantischer. Ein Zeitgenosse beschreibt ihn nach einem Besuch 1844 als "eitel und altersschwach".81 Dieses Urteil wird - zumindest teilweise - durch die Tagebücher bestätigt, in denen Haller auch Ereignisse, wie das Haareschneiden und Fußbaden,82 festhielt oder über die Suche nach einem verlorenen Regenschirm 83 berichtet. Gelegentlich wurde er sogar als die Inkarnation des "Spießbürgers der Biedermeierzeit,,84 bezeichnet. Nach kurzer Krankheit starb Haller fiinfundachtzigjährig am 20. Mai 1854. 78 79
80 81
82
8J
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Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 172 f. Vgl. ebd., S.215. Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 185. Zit. ebd., S. 169. Ebd., S. 166. Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 183. Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 166.
Zweiter Teil
Die Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung § 5 Rechts- und staatstheoretische Schriften in Hallers Frühwerk 1. "Projekt einer Constitution für die schweizerische
Republik Hern", 1798 Das erste staatstheoretische Werk, mit dem der damals noch nicht dreißigjährige Haller 1798 an die Öffentlichkeit trat, war das "Projekt einer Constitution filr die schweizerische Republik Bem". Wenn es sich dabei auch um eine Auftragsarbeit der seinerzeit in höchster Bedrängnis befindlichen Regierung der Stadt Bem handelte, ist dieser Verfassungsentwurf gerade vor dem Hintergrund der späteren Entwicklung Hallers in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Die äußeren Umstände der französischen Besetzung der Schweiz verhinderten, daß die Konstitution in Kraft treten konnte. Am 3. Februar 1798 erließ die Regierung ein Edikt zur Einführung der neuen Verfassung. Vor der Beratung des Entwurfs und dessen Annahme begann am 1. März 1798 der Feldzug der Franzosen auch Bem zu bedrängen, und am 5. März 1798 endete mit der Besetzung durch französische Truppen die Eigenständigkeit der Stadt Bem. Dieser Ablauf der Ereignisse ist insoweit bedeutsam, als die konservativen Kräfte nach dem Ende des helvetischen Einheitsstaats den Eindruck zu erwekken suchten, die aristokratische Verfassung Bems sei durch die Gewalt der Franzosen beseitigt worden. Es wurde jedoch verschwiegen, daß zuvor die formale Außerkraftsetzung dieser Verfassung durch die Regierung von Bem, Tage vor der Besetzung durch Frankreich, beschlossen worden war. Zu diesen Kräften gehörte auch Haller. 8s Zunächst einmal ist - ohne näher auf den Inhalt des Entwurfs einzugehen die Tatsache erstaunlich, daß der spätere, scheinbar militante ,Antikonstitutio-
85 Hi/ty, Die Haller'sehe Konstitution für Sem (FN 10), S. 228: vgl. aueh Karl Ludwig von Haller, Was ist die alte Ordnung? Eine Neujahrs-Rede an Stadt und Land, Zweyte Ausgabe, Sem 1814.
3*
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
nalist' Haller86 selbst ausgerechnet mit dem Entwurf ftlr eine Verfassung hervortritt. 87 Aber auch inhaltlich bietet der Verfassungsentwurf einige Überraschungen vor dem Hintergrund des späteren Hallerschen Werks. Fonnal hält der Entwurf offensichtlich den Anforderungen an eine Verfassung nicht stand. Haller benötigt 268 88 ausftlhrliche Artikel, in denen die Rechte und Pflichten der Bürger Berns und die Institutionen der Regierung lehrsatzartig dargelegt werden. 89 Materiell sieht die Verfassung eine mehr oder minder repräsentative Demokratie vor, in der teilweise durchaus moderne Grundrechte der Einwohner dekretiert werden. Hierzu gehören das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Religionsfreiheit (Art. 2 ff.), Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5), Freizügigkeit (Art. 7) und Freiheit und Schutz des Eigentums (Art. 9). Bemerkenswert ist, daß dieser "Grundrechtskanon" wie beim deutschen Grundgesetz am Anfang der Verfassung steht. Entgegen späteren Ausfiihrungen erkennt Haller ausdrücklich die Notwendigkeit eines Staatswesens an, dessen originäre Aufgabe es ist, durch Errichtung eines "gemeinen Wesens" Gesetze zu schaffen, die den Schutz der Grundrechte der Bürger sichern sollen (Art. 2 und Art. 9). Dabei berücksichtigt Haller zur Schaffung des "gemeinen Wesens" die meisten liberalen und auch viele demokratische Elemente, wie Gewaltenteilung, Volkssouveränität, Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger (Art. 240). In Art. 95 wird zu dem durch das Volk zu wählenden Landrat, d. h. der Volksvertretung, ausgefiihrt, dieser habe den "allgemeinen Willen zu bilden und zu erklären", während die Regierung, die durch den Landrat gewählt wird, dazu bestimmt ist, "den allgemeinen Willen zu realisiren, und die Vollziehung des Gesetzes" zu bewirken. "In der ersten Rücksicht ist jeder Bürger frey und trägt durch seine Stimme und Prokur dazu bey, das Gesetz zu machen, in dieser zweyten aber sind sie alle dem Gesetz oder seinen Dienern unterthan." Aus diesen Bestimmungen wird deutlich, daß Haller offenbar eine repräsentative Demokratie vorschwebte. Noch deutlicher sind jedoch
86 Besonders deutlich in: Über die Constitution der spanischen Cortes, Neudruck der Ausgabe Winterthur 1820, Frankfurt 1970. 87 Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), Bd. 2, S. 533. 88 Ebd., S. 534, und Hans von Greyerz, Nation und Geschichte im Bemischen Denken, Bem 1953, S. 93, fUhren lediglich 259 Artikel an, übersehen jedoch, daß nach dem ersten Teil mit neun Artikeln die Nummerierung wieder mit eins beginnt; vgl. auch Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 6. 89 Mahl nennt den Entwurf "gar schwach, und nach Form und Inhalt so mißglückt, dass kaum die gebotene Eile und die besinnungsraubende Gefahr des Augenblicks zu einiger Entschuldigung gereichen können". Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), S. 534.
§ 5 Rechts- und staatstheoretische Schriften in Hallers Frühwerk
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die Parallelen zu Rousseau und dessen Theorie vom "volonte generale".90 Dies ist besonders bemerkenswert, da Haller Rousseau später als den "armseligsten unter allen Sophisten" bezeichnen wird. 91 Eine Einschränkung erflihrt das demokratische Grundmodell der Verfassung dadurch, daß zur Mitwirkung bei Wahlen nur derjenige Bürger berufen ist, der "entweder hinlängliches Vermögen besitze, oder irgend eine nützliche Wissenschaft oder Kunst ausübe" (Zweiter Theil, Art. 2). Das "hinlängliche Vermögen" wird im zweiten Teil, Art. 11, dahingehend konkretisiert, daß jeder Gemeindebürger zur Erlangung des Stimmrechts die damals beträchtliche Summe von einhundert Pfund an die Nationalkasse zu zahlen habe. Damit wollte der Patriziersohn Haller sicherstellen, daß bei allen demokratischen Elementen der neuen Verfassung auch weiterhin das städtische Bürgertum, der Adel und die konservativen landbesitzenden Bauern die eigentlichen StUtzen des Staates blieben. 92 Wenn auch nicht übersehen werden darf, daß der Entwurf der Verfassung eine Auftragsarbeit war, noch dazu vor dem Hintergrund einer ernsten Bedrohung der Unabhängigkeit Bems, wäre es doch verfehlt, diesem Entwurf jegliche Übereinstimmung mit Hallers damaligen Überzeugungen abzusprechen. 93 Dagegen spricht auch, daß die Veröffentlichung des Entwurfs erst nach der Besetzung Bems durch die Franzosen von Haller veranlaßt wurde,94 der dem Werk einen "Vorbericht" voranstellte, in dem er dem Entwurf zubilligt, dieser hätte die Bemer Tugenden erhalten, alle Bewohner Bems frei und glücklich gemacht und sei einer beständigen Vervollkommnung flihig gewesen. 95 Darüber hinaus wünscht sich der spätere Erzfeind des helvetischen Einheitsstaats, "dass ein und andere der in diesem Projekt enthaltenen Gedanken selbst rur die Helvetische Republik anwendbar seyn, und hie und da einen guten Saamen ausstreuen können, der etwa in bessern Zeiten oder in andem Gegenden gedeihen, und rur eine glückliche Nachkommenschaft seine Fruchte bringen kann".96
90 Heinz Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie Carl Ludwig von Hallers, Diss. phil., Aarau 1955, S. 20. 91 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. XXX. 92 Wei/enmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 20; Greyerz, Nation und Geschichte im Bemischen Denken (FN 88), S. 91; Hilty, Die Haller'sche Konstitution für Bem (FN 10), S. 244. 93 Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), S. 534. 94 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen bei von Haller (FN 37), S. 6; Greyerz, Nation und Geschichte im Bemischen Denken (FN 88), S. 91. 95 Karl Ludwig von Haller, Projekt einer Constitution für die schweizerische Republik Bem, 1798, in: Carl Hilty (Hrsg.), Politisches Jahrbuch der schweizerischen Eidgenossenschaft \0 (1896), S. 270 - 353, 271. 96 Ebd.
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
Richtiger dürfte sein, Haller bei Abfassung des Entwurfs wenn schon keine Überzeugung, so doch wenigstens eine Neigung für die Ideen der Aufklärung zuzubilligen. 97 Dies wurde später von ihm selbst, wenn auch verschämt, eingestanden. 98
2. "Helvetische Annalen", 1799 ff. Die Wandlung vom "Aufklärer" zum "Restaurator" erfolgte sehr schnell. Wahrscheinlich sind die Ursachen hierfür in Hallers Umgang mit den konservativen Berner Kräften in der Emigration zu suchen. Bereits im Oktober 1798 veröffentlichte Haller noch in Bern die Besprechung einer anonymen Schrift in den "Helvetischen Annalen", worin er ausführt, daß eine "durchdachte und erschöpfende Staatswissenschaft aufzuführen" sei, die das "nicht mehr passende Staatsund Privatrecht" ablösen solle. Auch sei darauf zu achten, den Wert der Staatskunde wiederherzustellen und die Staatsweisheit anzugeben. 99 Diese Ausführungen nehmen bereits einen Teil der später in der "Restauration" entwickelten Gedanken vorweg, namentlich wenn es Haller um die "Staatsweisheit" zu tun ist, die er später unter dem Begriff "Makrobiotik" für alle nach seiner Theorie möglichen Staatsformen ausführlich behandelt. Es erscheint daher legitim, mit dieser Veröffentlichung den Beginn der restaurativen Staatstheorie Hallers anzunehmen, kaum sieben Monate nach der Veröffentlichung des aufklärerischen Verfassungsentwurfs desselben Autors. loo
3. "Geschichte der Wirkungen und Folgen des österreichischen Feldzugs in der Schweiz", 1801 Es wurde bereits Hallers erstes größeres Werk, "Geschichte der Wirkungen und Folgen des österreichischen Feldzugs in der Schweiz" erwähnt, welches er nach Emigration und Teilnahme am mißglückten Feldzug Österreichs gegen den helvetischen Einheitsstaat 180 I veröffentlichte. Diese "Geschichte" war jedoch weit davon entfernt, eine objektive, historische Darstellung der Vorgänge zu enthalten. 101 Vielmehr handelte es sich um eine Rechtfertigungsschrift für seine 97 Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 19; Greyerz, Nation und Geschichte im Bemischen Denken (FN 88), S. 93. 98 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. VII; vgl. auch Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 9. 99 Zit. bei Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 28. 100 Ebd., S. 3 I. 101 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 14.
§ 5 Rechts- und staatstheoretische Schriften in Hallers Frühwerk
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Unterstützung eines Krieges gegen die Heimat. 102 Haller war bemüht, den Feldzug gegen die Schweiz mit der angestrebten Wiederherstellung der alten, aristokratischen Ordnung zu begründen. Über diesen vordergründigen publizistischen Inhalt hinaus, enthält das Werk in staatsrechtlicher Hinsicht wenig. Dies ist sicher auch dem Umstand zuzuschreiben, daß zwischen dem Feldzug und dem Erscheinen des Werks eine überaus kurze Zeitspanne lag. Sie machte es Haller kaum möglich, ein wissenschaftlich fundiertes Werk zu erstellen, zumal sich auch die Suche nach einem Verleger schwierig gestaltete. 103 Das Werk knüpft sehr stark an die publizistische Tätigkeit Hallers fUr die "Helvetischen Annalen" an und offenbart einmal mehr den moralisierenden Stil Hallers, der seinen Höhepunkt in der "Restauration der Staatswissenschaften" finden sollte. 104 Gleichwohl enthält das Werk auch Ansätze staatsrechtlicher Betrachtungen. Sie liegen bereits - kaum drei Jahre nach dem Entwurf der Verfassung fUr Bern - ganz auf der Linie der späteren "Restauration der Staatswissenschaften". So fUhrt Haller beispielsweise aus, daß "die Souverainität oder das Regierungsrecht jener [aristokratischen] Städte I. auf dem Recht ihrer eigenen Existenz und vor allem Länder-Erwerb genossenen Unabhängigkeit; 2. auf ihren zahlreichen eigenthümlich besitzenden Gütern und Domainen; und 3. auf Verträgen mit andem Landschaften und Provinzial-Städten [beruhte], die, wenn schon nicht auf vollkommen gleiche reelle Bedingungen, doch auf wechselseitige Vortheile, zum gemeinsamen Schutze und fUr die bessere Erhaltung der beyderseitigen Rechte abgeschlossen waren".105 Hier erscheinen zum ersten Mal eindeutig patrimoniale Ansätze in Hallers Werk, wenn etwa davon gesprochen wird, Souveränität folge unmittelbar aus der Unabhängigkeit aufgrund Landeigentums des jeweiligen Souveräns, hier der Stadt Bern, als aristokratisches Herrschaftsmodell. An anderer Stelle löst Haller diese Vorstellungen vom konkreten Beispiel und definiert patrimoniale Fürstenherrschaft, die auf dem Privateigentum des Landesherm beruht, dem alle Domänen und Regalien zustehen. Staatseigentum ist bei Haller schon hier nicht nur nicht vorgesehen, sondern widernatürlich, ebenso wie alle auf allgemeine Gleichheit hinzielenden Bestrebungen. 106 Den umfassenden privaten und gleichzeitig staatlichen Rechtspositionen des Herrschers, deren Gleichstellung ein wesentliches Merkmal des Patrimonial ismus
Haasbauer, Die historischen Schriften von Hallers (FN 26), S. 79. Ebd., S. 81. 104 Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 58. 105 Karl Ludwig von Haller, Geschichte der Wirkungen und Folgen des Österreich ischen Feldzugs in der Schweiz, Weimar 180 I, S. 355. 106 Ebd., S. 206 ff. 102
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ausmacht,107 stehen aber die Rechte der Untertanen gegenüber. Hierzu zählen in erster Linie und durchaus folgerichtig das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums des einzelnen und die Ablehnung von Ämterzwang. \08 Im Gegensatz zu seinen späteren Veröffentlichungen wendet sich Haller aber noch nicht gegen Steuern und Konskriptionen. 109 In staatsrechtlicher Hinsicht beinahe aufschlußreicher als das Werk an sich sind die als Beilage IV im Anhang veröffentlichten "Ideen über die Einrichtung und die Befugnisse eines allgemeinen Eidgenössischen Bundes-Raths; oder über die Befestigung des Schweizerischen Staatenbundes", die Haller, wie sich aus einem Zusatz ergibt, I 10 während der Besetzung Zürichs durch die Österreich ischen Truppen 1799 niederlegte in der Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluß des Feldzuges. Vor dem Hintergrund des lediglich achtzehn Monate jüngeren Verfassungsprojekts rur Bern gewinnen diese "Ideen" eine gewisse Bedeutung. 11I Ein detaillierter Vergleich beider Entwürfe ist gleichwohl nicht möglich, denn es handelt sich bei den "Ideen über die Einrichtung eines ,Bundesrates'" um die Bundesverfassung eines wiederzuerrichtenden föderalen Schweizer Staatswesens, in dem Rechte einzelner Bürger nicht niedergelegt sind. Von demokratischen Tendenzen ist der Entwurf jedenfalls absolut frei. Vielmehr soll er "sich soviel immer möglich dem Geist der alten Bünde, so wie den alten Gewohnheiten und Benennungen" annähern. 112 Neben der Wiederherstellung der alten Zustände strebt Haller aufgrund der Erfahrungen mit der leichten Eroberung der Schweiz durch die Franzosen 11 3 eine stärker bundesstaatliche Ordnung an. Sie gelangt zum Ausdruck in der Schaffung eines aus Vertretern aller bedeutenderen Orte zusammengesetzten Bundesrats. 114 Dabei legt Haller jedoch großen Wert auf die weitestgehende Unabhängigkeit der ursprünglichen Stände und unabhängigen Ortschaften und Kantone der alten Schweiz,115 weIches sich in dem Recht jedes Ortes oder Kantones ausdrückt, den Bund zu jeder
107 Vgl. z. B. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, I. Neudruck der 3. Aufl., Darmstadt 1960, S. 199; Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl., München 1994, S. 107. 108 Haller, Feldzug (FN 105), S. 296 f. 109 Wilhelm H. von Sonntag, Die Staatsauffassung earl Ludwig von Hallers, ihre metaphysische Grundlegung und ihre politische Formung, Jena 1929, S. 22. 110 Haller, Feldzug (FN 105), S. 553. 111 Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 29. 112 Haller, Feldzug (FN 105), S. 410. 113 Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 29. 114 Haller, Feldzug (FN 105), S. 555. 115 Ebd., S. 558.
§ 5 Rechts- und staatstheoretische Schriften in Hallers Frühwerk
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Zeit wieder zu verlassen. 116 Die Befugnisse des Bundesrats sollten insoweit auf die Bereiche Außenpolitik und Verteidigungspolitik, d. h. Sicherheit der Kantone und Aufsicht über Militärwesen, beschränkt bleiben. 117 Zusammenfassend läßt sich sagen, Haller habe in den "Ideen" mehr einen Staatenbund unter loser Führung eines Bundesrats vorgeschwebt, denn ein Bundesstaat mit weitestgehender Eigenständigkeit der beteiligten Teilstaaten, wenn es die entsprechenden Kategorien des Staatsrechts zu seiner Zeit bereits gegeben hätte. 118 Für seine Emptanglichkeit den Ideen der rranzösischen Revolution gegenüber finden sich kaum noch Anklänge. Gewaltenteilung ist im Hallerschen Staatenbund nicht vorgesehen, vielmehr kommen dem Bundesrat neben der Exekutive auch legislative und judikative Aufgaben ZU. I .19 Von Grundrechten der einzelnen Bürger ist nirgends die Rede. Die einzigen Reste der ursprünglichen Affinität mit den Zielen der rranzösischen Revolution finden sich zum einen in der äußeren Gestalt seiner "Ideen", die einer Verfassung entsprechen, wenngleich sie an keiner Stelle so bezeichnet werden, und zum anderen - vor dem Hintergrund des späteren Werks und der Tatsache der Konversion überaus bemerkenswert l20 - in der Forderung nach Säkularisation des katholischen Kirchenbesitzes zur Finanzierung der Staatsausgaben. 121
Ebd., S. 582, 571. Ebd., S. 558 t1 118 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 56. 119 Haller, Feldzug (FN 105), S. 558 f1, 554 f. 120 Von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 23; von Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), S. 531, FN 2; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 56. 121 Haller, Feldzug (FN 105), S. 574. 116 117
§ 6 Hallers System zur Begründung der staatlichen Herrschaftsgewalt l. "Inaugurationsrede", 1806 Bis zur Veröffentlichung seines nächsten staatsrechtlichen Werks ließ sich Haller fünf Jahre Zeit, in denen er, wie dargestellt, in Diensten des österreichischen Hofes in Wien stand. Eine Zeit, in der er sich verstärkt der Staatswissenschaft zuwandte und nach eigenem Bekunden die Grundlagen filr das System der späteren "Restauration der Staatswissenschaften" legte. 122 Nach seiner Berufung an die Akademie Bern hielt Haller eine Inaugurationsrede, die er getreu seiner publizistischen Tradition unter den programmatischen Titel "Ueber die Nothwendigkeit einer anderen obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts" stellte. Die Veröffentlichung im "Litterarischen Archiv der Akademie zu Bern" enthielt den Zusatz: "Diese Rede muß als blosse unvollständige Skizze eines Werkes betrachtet werden, welches der Verfasser einst vollständig auszuarbeiten gedenkt.,,123 In der Tat beinhaltet die Inaugurationsrede bereits in komprimierter Form alle wesentlichen Inhalte der späteren "Restauration der Staatswissenschaften", 124 so daß davon auszugehen ist, daß Haller tatsächlich seine Zeit in Wien fiir die Ausarbeitung seiner staatsrechtlichen Ideen nutzte. 125 Haller gibt bereits zu Beginn der Rede eine Definition dessen, was rur ihn Staatsrecht bedeutet, nämlich "die ganze Lehre von den Rechten und Pflichten zwischen Gebietenden und Untergebenen, oder das sogenannte Staats-Recht".126 Für Haller besteht somit das Staatsrecht ausschließlich aus der Regelung der Zustände zwischen Herrscher und Beherrschten, wobei dieser Zustand von Unterund Überordnung als historisch überkommen, empirisch ermittelt und somit einzig legitimer angesehen wird. Alle Versuche, die Verhältnisse durch Ermittlung eines gemeinsamen Willens aller Menschen oder gar durch eine vertragliche Beziehung untereinander dahingehend zu ändern, daß eine Gleichberechtigung aller Bewohner eines Staatswesens erreicht wird, werden als widernatürlich und schädlich filr das Zusammenleben charakterisiert. "Das System selbst [ist] falsch ... und die AII-
122 123 124 125 126
Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. XXVIII. Ders., Inaugurationsrede (FN 46), S. 115. Ders., Restauration (FN I), Bd. I, S. XXXIV. Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 80. Haller, Inaugurationsrede (FN 46), S. 119.
§ 6 Hallers System zur Begründung der staatlichen Herrschaftsgewalt
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gewalt der Natur [setzt] sich seiner AusfUhrung entgegen."J27 "Das erste, was dem System überhaupt entgegengesetzt werden kann, ist freylich, daß es der Geschichte aller Zeiten und Völker durchaus widerspricht.,,128 Diesem so als falsch erkannten System des Gesellschaftsvertrags und der Gewaltenteilung setzt Haller sodann sein eigenes, bis in die Einzelheiten rekonstruiertes Modell staatlicher Herrschaftsgewalt entgegen. Ausgehend von der historischen Betrachtungsweise, gelangt er zu dem Ergebnis, daß zu allen Zeiten die Menschen in Herrschende und Beherrschte eingeteilt waren und daß diese Ordnung die einzig natürliche Beziehung der Menschen untereinander darstellt. Der Naturzustand "ist nicht der der Freiheit und Gleichheit, sondern er enthält bereits durch das frühere Daseyn der Einen; durch Ungleichheit der Kräfte und wechselseitige Bedürfnisse mannigfaltige Verhältnisse von Herrschaft auf der einen und Abhängigkeit auf der andern Seite. ... Keiner von jenen Herrschenden hat seine Gewalt von den Untergebenen erhalten, keiner von diesen hinwieder seine Freyheit oder irgend ein früheres Recht aufgeopfert, hier ist alles natürlich und ungezwungen; durch Glück und Umstände kann der Dienstbare frey und der Freye dienstbar werden, aber nie ist es allen Menschen gegeben, gleich frey zu seyn.,,129 Für Haller besteht ein Staatswesen demnach ausschließlich aus verschiedenen Über- und Unterordnungsverhältnissen. Der Herrscher ist derjenige, der aus mehr oder minder zuflilligen GrUnden heraus die größte Unabhängigkeit besitzt. Für diejenigen, die diese Unabhängigkeit nicht besitzen, ist es natürlich, daß sie sich unter die Herrschaft desjenigen begeben, der aufgrund seiner auf absolute Unabhängigkeit gegründeten Macht ihre Rechte schützen kann. Die Unabhängigkeit des Herrschers ist dabei kein künstliches, übertragenes Recht, sondern Ausfluß der natürlichen Verhältnisse. Haller bemüht sich, durch Analogien seinen Ansatz zu untermauern. Natürliche Abhängigkeitsverhältnisse beginnen bei ihm bereits in der Familie und durch die unterschiedlichen Begabungen jedes Menschen. \30 Besondere Bedeutung fUr die Unabhängigkeit mißt Haller der wirtschaftlichen Prosperität des einzelnen zu, die sich beinahe ausschließlich in möglichst umflinglichem Grundbesitz manifestiert. \31 Insoweit absolut folgerichtig definiert Haller Staat als "ein natürliches geselliges Verhältniß zwischen Freyen und Dienstbaren, was sich von andern ähnlichen Verhältnissen einzig und allein durch die Unabhängigkeit seines Oberhaupts unterscheidet. Es ist mit einem Wort ein selbstständiges geselliges Verband, der Zweck mag nun seyn, weIcher er wolle. So ist also ein Fürst nichts anders als ein unabhängiger durchaus freyer Mensch, homo locuples,
Ebd., Ebd., 129 Ebd., 130 Ebd., 131 Ebd., 127 128
S. S. S. S. S.
141. 142. 155 f. 143. 156.
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
potens, nemini obnoxius: oder umgekehrt, jeder Mensch den Glück und Umstände vollkommen frey machen, wird eben dadurch ein Fürst."IJ2 Neben dem Eigentum als Mittel zur Erlangung absoluter Unabhängigkeit gibt es filr Haller noch zwei weitere Legitimationsansätze filr Herrschaft. Es sind dies die physische Gewalt, z. B. eines militärischen Anfilhrers, und die geistige Macht eines Lehrers über seine Schüler. Diese begründen filr Haller zusammen die "drey Arten natürlicher Monarchien - die grundherrlichen - die militärischen und die geistlichen oder Theokratien".1JJ Der grundherrlichen Legitimation, also dem Patrimonialismus, gebührt dabei eindeutig der Vorzug, da allein das Eigentum an Grund und Boden geeignet ist, Herrschaft auf Dauer zu manifestieren. 1J4 Für Haller ist somit auch jede Unterscheidung von Staatsrecht und Privatrecht künstlich und unnötig. Da sich legitime Herrschaft auf Dauer allein auf das Grundeigentum zu stützen vermag und das Grundeigentum seinerseits die einzig tragfähige Grundlage legitimer Herrschaft ist, lassen sich alle Beziehungen im Staat privatrechtlich darstellen. Staatseigentum ist Haller fremd. Der Fürst selbst ist Eigentümer des Staatsgebiets, und zwar durchaus zivilrechtlich. Keinesfalls ist er lediglich Verwalter eines Staatseigentums, welches ihm kraft seines Amtes zur Nutzung überlassen wurde, ihm jedoch auch wieder entzogen werden kann. Ein solcher Zustand ist filr Haller widernatürlich und künstlich. 135 "Wie das Grund-Eigenthum gleich jedem andern urspliinglich ohne allen Vertrag, auf ganz natürlichen Wegen durch Okkupation und Arbeit rechtmäßig entspringt und wie nicht das Eigenthum aus den Staaten, sondern im Gegentheil die Staaten aus dem Eigenthum hervorgehn, das darf ich hier wohl ohne weitem Beweis voraussetzen.,,)J6 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß filr Haller alle staatstheoretischen Ansätze, die auf dem gemeinsamen Willen des Volkes oder gar einem kodifizierten Gesellschaftsvertrag basieren, als nicht wirklichkeitsgerecht gelten müssen. Er bemühte sich jedoch, nicht bloße Opposition gegenüber den neuen Tendenzen zu zeigen, sondern diese konstruktiv zu bekämpfen, indem er die vermeintlichen Folgen dieser Ideen filr das gedeihliche Miteinander in einem Staatswesen beschwor. Für ihn waren die Verfechter der neuen Tendenzen, die er durchgängig und durchaus abfällig gemeint als "Philosophen"m bezeichnet, verantwortungslos und ahistorisch. Ihr System mußte dazu fuhren, die natürlichen Verhältnisse von Über- und Unterordnung im Staatswesen zu zerstören, Unfrieden zu säen und durch die widernatürli-
Ebd., S. 158 f. Ebd., S. 162. 134 Ebd. 135 Ebd., S. 128f., 141, 177. 136 Ebd., S. 162. 137 Ebd., S. 137 FN a), 141, 162 FN; später benutzt Haller den Begriff "Sophisten", vgl. Restauration (FN I), Bd. I, S. XXIX. 132 133
§ 6 Hallers System zur Begrilndung der staatlichen Herrschaftsgewalt
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che Trennung von Privat- und Staatseigentum der Wirtschaft des Staatswesens schweren Schaden zuzufilgen. 138 Das von Haller skizzierte System als ausschließlich despotisch und tyrannisch zu kennzeichnen, wie es seine zeitgenössischen Kritiker taten,139 würde ihm jedoch nicht gerecht. Haller weigerte sich zwar, an seinem als wahr erkannten und damit einzig möglichen, insoweit in der Tat totalitären Staatsmodell Kritik zuzulassen,140 erkannte aber die möglichen Gefahren, die von einer Einzelherrschaft derartigen Typs auszugehen vermögen. Haller berief sich auf Moral, Religiosität und das Pflichtgesetz, denen auch die legitimen Herrscher unterworfen sind. Sie sind nach seiner Auffassung durchaus geeignet, Machtmißbrauch zuverlässig zu unterbinden: 41 Sollte der Herrscher seine Macht in unrechtmäßiger Form nutzen und die durchaus vorhandenen und zu schützenden Rechte seiner Untertanen l42 mißachten, steht diesen Untertanen ein ganzes System von möglichen und legitimen Reaktionen offen. Neben der Hilfsanrufung des Herrschers, die in Betracht zu ziehen ist, wenn der Machtmißbrauch nicht von diesem selbst ausgeht, sondern von einem lokalen Grundeigentümer gegenüber ihm Untergebenen, sowie der Möglichkeit zur Auswanderung und Flucht, sieht Haller auch das Recht vor, gegen Machtmißbrauch Widerstand zu Uben. 143 Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß in Hallers Staatssystem auch Republiken vorgesehen sind, ein Umstand, der vordergrUndig widersprUchlich erscheinen mag, sich jedoch aus Hallers Herkunft aus der Republik Bern erklären läßt. In Hallers Form der Republik nimmt die Stelle des Herrschers eine von ihm so genannte "Genossenschaft" mehrerer unabhängiger Grundeigentümer ein, die auf ihrem jeweiligen Gebiet die Herrschaft gemäß den Grundsätzen des Patrimonialismus ausüben. Daraus ergibt sich, daß durch die so entstehende "Republik" filr die Einwohner kein Unterschied zu einer Einzelherrschaft besteht. Man spürt den Widerwillen Hallers, wenn er als notwendiges Element jeder Republik eine innere Verfassung anerkennt, stellt sich ihm doch jedes geschriebene Gesetz als etwas widernatürliches dar. 144 Für Haller ist es daher nur konsequent, daß die Republik
Haller, Inaugurationsrede (FN 46), S. 150 ff. Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 21; vgl. auch Besprechung der Inaugurationsrede in der allgemeinen Zeitung vom 11. und 12.2.1807, deren Autor wohl der erwähnte Prof. Schnell war; abgedruckt in: Litterarisches Archiv I (1807), S. 259 ff. 140 Besonders anschaulich wird dies bei der Lektilre der "Antwort auf eine in der allgemeinen Zeitung ... erschienene Anzeige", vgl. FN 139; Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 83. 141 Haller, Inaugurationsrede (FN 46), S. 157, 161. 142 Ebd., S. 167. 143 Ebd., S. 146. 144 Ebd., S. 172 ff. 138
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2. Teil: Rechts- und StaatstheC?rie Hallers - Genese und Entwicklung
die am wenigsten stabile Staatsform iSt. 145 Von der Alleinherrschaft eines Fürsten unterscheidet sie sich ausschließlich dadurch, daß ein "collectiver Fürst" an der Spitze des Staatswesens steht. 146 Haller beschließt seine Ausfuhrungen mit einigen Gedanken zu der von ihm so genannten "höheren Staatsklugheit", d. h. Mechanismen zur dauerhaften Sicherung der erlangten Herrschaft. 147 Ausgehend von seinem patrimonialen Ansatz ist es nur folgerichtig, daß Haller dem Zusammenhalt des Grundbesitzes besondere Aufinerksamkeit schenkt. Da Hallers Staatsmodell den kleinflächigen Staat voraussetzt 148 und der Herrscher im Idealfall Eigentümer des gesamten Staatsgebietes ist, kommt der Vererbung des Grundbesitzes entscheidende Bedeutung zu. Für Haller kommt insoweit einzig ein Fidei Comiss in Betracht, da nur auf diese Weise sicherzustellen ist, daß das Grundeigentum nicht durch Erbteilungen zerstückelt wird und somit das Staatsgebiet an Größe verliert. 149 Im weiteren Verlauf der Tätigkeit Hallers an der Berner Akademie veröffentlichte er noch einige Artikel im "Litterarischen Archiv", deren Inhalt jedoch staatsrechtlich wenig Neues brachte. Sie enthalten im wesentlichen Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern bzw. den Verfechtern des Konstitutionalismus und der Gewaltenteilung, die hauptsächlich auf publizistischer Ebene gefuhrt wurden. Hierzu zählen die Beiträge "Ueber die zweckmäßigsten Mittel Sekten zu bekämpfen und auszurotten" und "Ideen zu einem allgemeinen Kranken-Recht nach dem Grundsatz der Theilung der Gewalten", beide 1808 erschienen, und die 1807 veröffentlichte Antwort auf eine anonym erschienene Kritik seiner Inaugurationsrede. Sie stammte offenbar von seinem Rivalen Professor Schnell. 150
2. "Domainen und Regalien" und andere Schriften, 1807 Die nächste Veröffentlichung, mit der Haller seine staatsrechtlichen Ideen intensiver zu untermauern suchte, war der noch 1807 im Litterarischen Archiv erschienene Beitrag "Ueber die Domainen und Regalien", den er im Untertitel als einen "Beytrag zur Reformation des allgemeinen Staats-Rechts" verstanden wissen wollte. Gleich zu Beginn fuhrt Haller, unter Verweis auf seine Inaugurations-
Ebd., S. 174 f. Ebd., S. 174. 147 Ebd., S. 175 ff. 148 Ebd., S. 168. 149 Ebd., S. 176. 150 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 83; Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 21. 145
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§ 6 Hallers System zur Begründung der staatlichen Herrschaftsgewalt
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rede,151 die Grundgedanken seines Modells aus. "Gleichwie jeder Mensch so ist auch der Fürst, als von niemandem abhängig, noch in höherem Grade unbeschränkter Herr über sein Vermögen, seine Einkünfte und seine Ausgaben, und aus diesem Grund tliessen alle seine Rechte über die sogenannten Staats-Finanzen, welche im Grund nur seine Finanzen sind. In so fern er also nicht etwa von seinen Vorfahren durch Hausverträge, Testamente u. s. w. beschränkt ist: kann er sein Stamm-Vermögen, es bestehe in liegenden GrUnden, Gebäuden, baarem Geld, angelegten Capitalien, Mobilien u.s.w. nach Belieben vergrössern oder vermindern und unter verschiedenen Bedingungen zum Theil oder auch ganz veräusseren, seine Einkünfte durch mancherley natürliche und rechtmäßige Wege vermehren, seine Ausgaben erweiteren und beschränken, die Verwaltung und das Rechnungswesen nach Gutdünken anordnen, Schulden auf eigenen Namen contrahiren und hat über alles seinen Unterthanen keine Rechenschaft zu geben, vielweniger das Geheimnis seiner Wirtschaft, das Verhältniß seines Vermögens zu seinen Schulden oder seiner Einkünfte zu seinen Ausgaben kundbar werden zu lassen. Diese treye Disposition über das sogenannte Staatsvermögen, welche zu jeder Zeit allen Fürsten ohne Widerred zukam, hätte aber niemalen entstehen können, wenn der Staat nach den Meynungen der neuern Philosophen eine Genossenschaft, eine Corporation von Bürgern und nicht blos das Verhältnis eines einzelnen Unabhängigen zu mehreren Dienstbaren wäre.,,152 In diesem Absatz begegnet uns der Fürst als derjenige, dem aufgrund seines Vermögens die größte Unabhängigkeit geschenkt wurde. Eine Trennung von Staatsvermögen und Privatvermögen des Fürsten ist abzulehnen. Die Legitimation staatlicher Herrschaft erfolgt ausschließlich über den Grad an Unabhängigkeit, die wiederum durch das größte Vermögen, d. h. idealiter des Eigentums an Grund und Boden, entsteht. "Geht man aber von den lächerlichen Hirngespinsten [des Gesellschaftsvertrages, des Konstitutionalismus oder der Gewaltenteilung, d. Verf.] ab, und nimmt hingegen mit der Natur und der Geschichte an, daß ein einziger unabhängiger Hausvater, der auf eigenem Grund und Boden wohnt, eo ipso Fürst ist und es dazu gar keiner weiteren Genossenschaft braucht, so ergiebt es sich von selbst, warum er über sein eigen Gut trey disponirt und darüber niemandem Rechnung zu geben schuldig ist.,,153 Hier gibt Haller eine Definition des Patrimonialismus, ohne den Begriff selbst einzufiihren. Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung verwendet er den Begriff des "Patrimonial-Fürsten", d. h. "der begüterte unabhängige Grundherr, hat nicht deswegen Domainen, weil er Fürst oder Regent ist, sondern er ist Fürst oder Regent gerade weil er dergleichen Domainen oder unabhän-
151 Kar/ Ludwig von Haller, Ueber die Domainen und Regalien. Ein Beytrag zur Reformation des allgemeinen Staats-Rechts, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem I (1807), S. 209 - 234, 209 FN. 152 Ebd., S. 209 f. 153 Ebd., S. 211.
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2. Teil: Rechts- und
Staatsthe~rie
Hallers - Genese und Entwicklung
gige Güter hat".'54 In der Nutzung seines Eigentums ist der Patrimonialherr Hallers gänzlich frei, allenfalls gebunden durch Testamente oder Verfilgungsbeschränkungen seiner Vorfahren, von denen er den Grund seiner Unabhängigkeit erlangt hat. Der Schritt von einem bloßen Grundherrn zum souveränen Fürsten erfolgt bei Haller ausschließlich über die Größe seines Besitzes. "Bey einem reinen Patrimonial-Fürsten, d. h. bey einem solchen, der seine Gewalt nicht durch freywillige Verträge mit andern Grundherren erweitert hat, ist eigentlich der ganze Grund und Boden, welcher das Gebiet des Fürsten ausmacht, ursprünglich sein Eigenthum.'d55 Den Besitz der notwendigen Güter erlangt der Fürst nach Hal1er entweder, wie erwähnt, durch Erbschaft oder aber durch bloße Inbesitznahme neuen Territoriums, wobei der Rechtssatz "prior tempore, potior iure" Anwendung findet. '56 Alle Überlegungen der neuen StaatsrechtIer zu Nationaleigentum oder auch nur Staatsgütern mußten vor diesem. Hintergrund rur Hal1er unerträglich erscheinen. Es verwundert daher nicht, daß er sich in polemischer Weise mit entsprechenden Ideen, beispielsweise bei Sonnenfels, auseinandersetzt, die er lächerlich nennt. 157 Auch erregt die Bezeichnung "Staatsgüter" im Preußischen Allgemeinen Landrecht sein Mißfallen. ISS Regalien sind nach Haller die "nützlichen Arbeiten und Unternehmungen,d59 zur Vermehrung des rurstlichen Eigentums. Allerdings müssen "die Gegenstände der Regalien ... schon etwas Grosses und Edles an sich haben, was nur von wenigen oder auch gar nicht von Privatpersonen unternommen werden kann".'6o Bemerkenswerterweise sieht Haller filr den Fall, daß aus einem vorhandenen Betrieb, der nicht in fllrstlichem Eigentum steht, ein Regal gemacht werden sol1, eine ausdrückliche Entschädigungsptlicht des Fürsten filr den Eigentümer vor. Auch sind filrstliche Monopole nur zulässig, solange "niemand aus seinem wirklichen Besitz und redlichem Eigenthum verdrängt" wird. '61 Regalien, z. B. der Bau und Betrieb von Straßen, Brücken und Kanälen, berechtigen den Fürsten grundsätzlich auch zur Erhebung von Zöllen, allerdings nur insoweit, als "dabey kein Zwang statt findet, und man durch den Genuß der gemeinnützigen Anstalt mehrern Vortheil, als durch Vermeidung des Zolles genießt".'62 Niemals dürfen jedoch aus den Zöllen Steuern direkter oder indirekter Natur fllr die Untertanen werden. Dieses Instru-
Ebd., Ebd., 156 Ebd., 157 Ebd., 158 Ebd., 159 Ebd., 160 Ebd., 161 Ebd., 162 Ebd., 154 155
S. S. S. S. S. S. S. S. S.
212. 214. 215. 212 FN. 213 FN. 216. 229. 216; auch S. 227. 219.
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ment der Finanzbeschaffung wird von Haller wegen seines Zwangscharakters und der fehlenden meßbaren Gegenleistung vehement abgelehnt. 163 Handelt es sich hier zwar weitgehend um volkswirtschaftliche Überlegungen, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind, beleuchten sie doch einen Aspekt, der in der bisherigen Haller-Forschung zu kurz gekommen ist, nämlich die Achtung der Rechte des einzelnen durch den Fürsten. l64 Hierauf wird weiter unten zurückzukommen sein. Ebenfalls noch 1807 erscheint im "Litterarischen Archiv" Hallers anläßlich des öffentlichen Schulfestes am 2. Mai 1807 gehaltene Rede unter dem Titel "Ueber den wahren Sinn des Naturgesetzes: daß der Mächtigere herrsche". Haller bezweckte mit dieser Rede aufzuzeigen, "daß alle Herrschaft, alles Ansehen, alle Auszeichnung in der Welt einzig und allein auf höherer Macht, d. h. auf natürlicher oder erworbener Ueberlegenheit beruht und daß BedUrfuisse der Grund aller Abhängigkeit, aller Dienstbarkeit, aller Unterordnung sind".165 Neben den schon bekannten Rechtfertigungen der Herrschaft des Stärkeren als natürlicher Zustand, die so bereits in der "Inaugurationsrede" enthalten waren, setzt Haller in dieser Rede einen anderen Schwerpunkt. Er wendet sich gegen Interpretationen, die Herrschaft des Stärkeren filhre notwendig zu Despotie und Ausbeutung. Es bestehe ein entscheidender Unterschied zwischen Macht einerseits und Gewalt andererseits. 166 Insoweit ist Macht ein natürlicher Zustand, der zu einem "Iiebreiche(n) Austausch wechselseitiger Wohlthaten" filhrt. '67 Nur das System der Herrschaft des Mächtigen vermag die Rechte der Untertanen in überzeugender Weise zu sichern. Haller verkennt nicht, daß die Macht zu Gewalt ausarten kann. Hierbei handelt es sich jedoch um Auswüchse, deren Gefahr jedem System innewohnt. Aufgrund der edleren Gesinnung des natürlich Herrschenden sind derartige Auswüchse in seinem System seltener als in solchen, die eine Herrschaft des ganzen Volkes vorsehen. 168 Daher ist - entgegen der Ansicht von Hobbes - der Naturzustand unter den Menschen nicht durch Krieg aller gegen alle geprägt, sondern von Harmonie und Gerechtigkeit. '69 Trotz ihres ein wenig pathetischen Charakters handelt es sich bei dieser Rede um ein wichtiges Dokument zum Verständnis der Hallerschen Staatslehre, enthält sie doch erstmalig den Versuch, sich gegen die Vorwürfe zu wehren, seine TheoEbd., S. 232 fT. Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 82; Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 22 f. 165 Karl Ludwig von Haller, Ueber den wahren Sinn des Naturgesetzes: daß der Mächtigere herrsche, in: Litterarisches Archiv I (1807), S. 361 - 390,362 f. 166 Ebd., S. 372 FN. 167 Ebd., S. 375. 168 Ebd., S. 379 ff. 169 Ebd., S. 372 f. FN a). 163
164
4 Graf von Westcrholt
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rien enthielten nichts weiter als eine Rechtfertigung von Despotie und Machtmißbrauch durch den Herrschenden. 170
3. "Handbuch der allgemeinen Staatenkunde", 1808 1808 veröffentlicht Haller schließlich sein "Handbuch der allgemeinen Staatenkunde, des darauf gegründeten allgemeinen Staatsrechts und der allgemeinen Staatsklugheit nach den Gesetzen der Natur". Dieses "Handbuch" war tatsächlich ein Lehrbuch. Es diente vorrangig der Begleitung und Vertiefung seiner Vorlesungen an der Bemer Akademie. 171 Da es die erste Veröffentlichung dieser Grundsätze außerhalb des im wesentlichen auf Bem beschränkten "Litterarischen Archivs" war, machte es seinen Autor in weiteren Kreisen der damaligen Staatstheoretiker bekannt, doch hätte das Echo nach Hallers Vorstellung stärker ausfallen können. 172 Gleichwohl brachte ihm sein Handbuch - neben einer goldenen Medaille der Stadt Bem - einen Ruf an die Universität Göttingen ein, den Haller jedoch nicht annahm, um statt dessen korrespondierendes Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften zu werden. Vielleicht war die Nichtannahme des Rufs ein Fehler, der ihn um eine weitergehende Wirkung brachte. Jedenfalls wurden Hallers Theorien durch das Handbuch über die Grenzen Bems hinaus bekannt, insbesondere wurde dadurch der Grundstein filr Hallers Bekanntheitsgrad und späteren Einfluß in Deutschland gelegt.173 Bei allem Wohlwollen, das Haller in deutschen Staatsrechts kreisen entgegengebracht wurde, kann nicht unerwähnt bleiben, daß auch seine größten Verfechter nicht umhin konnten, auf die Gefahren der Hallersehen Machttheorie hinzuweisen. Allein das sogenannte Pflichtgesetz oder die Moral stellten - auch nach Auffassung seiner Anhänger - keine hinreichenden Beschränkungsmittel gegen die Gefahren des Autoritatismus und der Despotie dar. 174 Inhaltlich enthält das Handbuch in geordneter Fonn und größerer Ausfilhrlichkeit die in den vorgenannten Beiträgen zum "Litterarischen Archiv" entwickelten Grundsätze. Neben der schon bekannten Einteilung der Staaten in Patrimonialstaaten, Generalate und Theokratien, die sämtlich monarchische Staatsfonnen darstellten, und den grundsätzlich möglichen Republiken, legt Haller ein größeres Ge170 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 89; diese Bedeutung verkennt Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 23 f., völlig. 171 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 25 f; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 74. 172 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 105; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 75. 173 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S, 48 f 174 So Johannes von Müller, vgl. Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 26 f
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wicht auf die Legitimation von Herrschaft. Grund aller Gesetze und aller legitimen Herrschaft ist fiIr Haller allein das Eigentum. Letzteres entsteht ausschließlich durch bloße Inbesitznahme oder durch Verträge zwischen dem ursprünglichen Eigentümer und dem Erwerber. "Alle Geseze [sind] nur nach dem Eigenthum, nicht aber vor demselben entstanden, vielweniger haben sie je das Eigenthum geschaffen."17S Mit dieser Aussage setzt Haller sich in Widerspruch zu den Vorstellungen von einem Gesellschaftsvertrag als Grundlage eines Staatswesens, insbesondere seiner Gesetze und der Begründung von Eigentum über die Anwendung dieser so geschaffenen Normen. Mit den Verfechtem dieses Modells setzte sich Haller in der ihm eigenen Art auseinander, indem er ihnen unterstellte, den "gemeinen Menschenverstand" nicht nachzuvollziehen und von großer Inkonsequenz zu sein. Kant wird von Haller in besonders scharfer Form, aber nicht ohne Grund als Verfechter einer "hypersubtilen Idee von einem allgemeinen Anerkennungsvertrag" angegriffen. 176 Der Naturzustand, der nach Haller die eigentliche Legitimationsgrundlage darstellt, ist von einer ungleichen Verteilung der Güter und Kräfte geprägt. Dabei fUhrt das Eigentum an Grund und Boden unmittelbar zur Unabhängigkeit und damit Macht der Eigentümer über diejenigen, die in seinem Einflußbereich, d. h. auf seinem Grund und Boden leben oder arbeiten. Er unterscheidet zwischen denjenigen, die von Anfang an Untertanen waren, und denjenigen, die erst durch Zuzug zu solchen geworden sind. Letztere haben sich freiwillig in die Abhängigkeit begeben. Der Grundherr seinerseits ist verpflichtet, seinen Untergebenen "Unterhalt und Annehmlichkeiten des Lebens" zu verschaffen. 177 Dabei kann er seinerseits wie seine Untergebenen von einem übergeordneten Grundherren abhängig sein, der dann über größere Unabhängigkeit, mithin legitime Macht verfUgt. Dieses System abgestufter Macht fUhrt nach Haller zu demjenigen Grundherren oder Fürsten, der absolut unabhängig ist, d. h. niemandem zu Diensten verpflichtet und im Idealfall Eigentümer des gesamten Staatsgebietes oder wenigstens wesentlicher Teile desselben ist. Dieser "oberste Grundherr" ist demnach der einzig legitime, weil natürliche Herrscher Ober den Staat, den Haller ausdrücklich mit einem "Hauswesen" gleichsetzt. 178 In diesem "Hauswesen" wird die Macht des FOrsten nur durch Gott und die Gesetze der Moral bzw. durch das "Pflichtgesetz" beschränkt, wobei die Beschränkungen dem Herrscher "mehr Pflichten [auferlegen], als alle Menschen-Sazungen es thun könnten". Dieses
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Haller, Handbuch (FN 46), S. 54. Ebd., S. 55 ff. FN 2. Ebd., S. 54. Ebd., S. 60.
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Ptlichtgesetz stellt insoweit "die einzig mögliche Garantie [des Volkes] gegen den Mißbrauch der Gewalt" dar. 179 Diese Aussage hat Haller den Vorwurf eingetragen, einem reinen Despotismus das Wort zu reden. Eine solche Interpretation ist vor dem Hintergrund der soeben skizzierten Argumentation wenig plausibel und alles andere als zwingend. Haller hat es leider versäumt, bereits an dieser Stelle seiner Ausfilhrungen auf die im Ganzen recht umfangreichen Rechte der Untertanen hinzuweisen, die im Falle des Machtmißbrauchs ausdrücklich, wie bereits geschildert, unter anderem ein Widerstandsrecht vorsehen, welches in letzter Konsequenz einen mindestens genau so wirksamen Schutz vor Machtmißbrauch darstellt, wie ein allein auf Moral gegründetes Ptlichtgesetz. lso Auf diesen Aspekt wird weiter unten zurückzukommen sein. Der Fürst ist in seinem Territorium zugleich Gesetzgeber, Exekutivorgan und oberster Richter. lsl Gewaltenteilung findet - einmal abgesehen von der funktionellen Unterscheidung - nicht statt. Die Kodifizierung von Gesetzen war filr Haller erkennbar suspekt. Eine entsprechende Notwendigkeit zur Schaffung allgemeiner Gesetze hat er nicht gesehen. Der Wille des Fürsten "ist das Gesez filr alle seine Untergebenen, weil sie alle in verschiedener Rücksicht ihm dienstbar oder von ihm abhängig sind. Alle Geseze sind entweder solche, die der Fürst sich selbst auflegt, und diese Classe ist sogar die zahlreichste von allen; oder sie betreffen nur seine Beamten und Diener (Instruktionen, Reglemente) oder alle seine Unterthanen, oder nur einzelne Classen derselben .... Allgemeine Geseze, die jedermann ohne Unterschied verpflichten, giebt es keine anderen als die göttlichen oder natürlichen, oder diejenigen, welche aus denselben unmittelbar herfliessen. Die übrigen sind nur ein Mittel zu gewissen Zwecken, und es ist daher ganz ungereimt zu behaupten, daß jedes Gesez allgemein seyn, alle Unterthanen gleich angehen oder in allen Theilen des filrstlichen Gebiets ohne Unterschied gelten solle. Im Gegentheil sind allgemeine Geseze fast immer despotisch und je weniger dergleichen in einem Lande vorhanden sind, desto glücklicher wird auch dasselbe seyn.'dS2 Rechts- und staatstheoretisch interessant erscheint hier, daß Haller mit der Annahme arbeitet, daß der Herrscher mit Gesetzen und Pflichten gegen sich selbst arbeiten kann. Wie bereits in dem Aufsatz "Ueber die Domainen und Regalien" kommt Haller zu dem Schluß, daß eine Unterscheidung von Staats finanzen oder Staatseigentum und filrstlichen Finanzen oder filrstlichem Eigentum unnatürlich und daher abzulehnen ist. ls3 Gleichwohl ist der Fürst gehalten, mit diesem seinem Eigentum wirtEbd., Ebd., 181 Ebd., 182 Ebd., 183 Ebd., 179
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S. 58. S. 65. S. 61 ff., 64 ff. S. 61 f. S. 67 ff.
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schaftlich umzugehen, da Haller ihm nur in sehr begrenztem Umfang das Recht zur Erhebung von Steuern zubilligt. "Der Würde des Fürsten ist es aber nicht angemessen, aus dergleichen Taxen eine Quelle von Einkünften zu machen, und sich dieselben verrechnen zu lassen .... Was hingegen die Steuern und Auflagen betrifft: so kann das Recht einer direkten willkürlichen Beschazung seiner Unterthanen dem bloßen Grundherrn oder Patrimonial-Fürsten unmöglich zukommen. Denn aus seiner persönlichen Unabhängigkeit oder aus seinem Länderbesitz fließt kein Recht auf das erworbene Eigenthum seiner Unterthanen.,,184 Aus diesen Ausfilhrungen wird einmal mehr deutlich, daß Haller den Rechten des einzelnen durchaus seine Bedeutung zumaß und auch Wert auf den Schutz dieser Rechte legte. Haller beschließt die Ausfilhrungen zu den Patrimonialstaaten mit Ratschlägen zu Machterhalt, -festigung und -erweiterung. Patrimonialstaaten sind notwendigerweise räumlich begrenzt. Ausdehnung kann erfolgen durch Inbesitznahme herrenlosen Landes, durch Eroberung oder durch Verträge, wobei letztere, wie Haller bereits in seinen früheren Veröffentlichungen darstellte, auch zur Schaffung von Republiken fllhren können. Auch durch Usurpation ist die Erweiterung oder Schaffung staatlicher Herrschaftsgewalt durch den Fürsten möglich. Durch langandauernde, unwidersprochene Ausübung der Macht wird aus dem Usurpator ebenfalls ein legitimer Herrscher. 18s Zu den Ratschlägen, mit denen Haller die Patrimonialfürsten ausstattet, gehören auch Ausfilhrungen zu den Möglichkeiten eines Verlustes der Unabhängigkeit des Fürsten, was nach Hallers Verständnis notwendigerweise den Untergang des Staates nach sich zieht. Bemerkenswert an diesen Ausfllhrungen ist nach heutigem Staatsverständnis die Bedeutung, die Haller dem Staatsvolk zubilligt. Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß dem Volk neben dem Recht auf Widerstand gegen den Mißbrauch der Macht durch den Fürsten auch das Recht auf "Flucht" zusteht, also das, was wir heute unter Freizügigkeit und Emigration verstehen. 186 Anders als in tyrannischen Systemen, die stets darauf bedacht sein müssen, die Freizügigkeit ihrer Bürger einzuschränken, um nicht durch zu starke Abwanderung in ihrer Existenz gefllhrdet zu werden, verneint Haller gänzlich einen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Staates und dem Staatsvolk. "Dagegen ist es durchaus nicht richtig, daß der Staat [das selbständige Wesen] auch durch den Untergang des Volkes, '1.. B. durch Auswanderung, Ausrottung oder Zerstreuung sämtlicher Unterthanen zu Grunde gehe. Denn man seze, daß bey einem solch außerordentlichen Ereigniß nur der unabhängige Grundherr nebst seinem Land übrig bleibe, so wird er bald wieder neue Diener und Untergebene finden, mithin der nemliche
184 Ebd., S. 71 f. 185 Ebd., S. 83 tf., 92 f. 186 Ebd., S. 65.
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Staat fortdauern können, da hingegen, wenn auch alle Unterthanen unversehrt übrig bleiben, und nur der Freye, d. h. der Fürst wegfällt, der bisherige Staat mit ihm eo ipso zu Grunde geht.,,187 Vor dem Hintergrund des Hallerschen Staatsverständnisses, welches von der Identität von Staat und Herrscher geprägt ist, erscheint die vorstehende Schlußfolgerung zwingend. In den weiteren Teilen des Handbuchs geht Haller auf die militärischen und geistlichen Herrschaften sowie die Republiken ein, eine Gliederung, die bereits in der Inaugurationsrede von ihm gewählt wurde. Inhaltlich bieten diese Kapitel im wesentlichen nur eine Wiederholung der Erkenntnisse, die Haller zu den Patrimonialstaaten bereits gewonnen hatte, lediglich ergänzt um die Besonderheiten der jeweiligen Form der Herrschaftslegitimation. Wobei Hallers eindeutige Präferenz, wie bereits bei der Inaugurationsrede dargelegt wurde, den Patrimonialstaaten gilt; einzig diese sind in der Lage, Herrschaft auf Dauer zu erhalten, da nur diese die dauernde Unabhängigkeit des Souveräns gewährleisten. 188 Es darf angenommen werden, daß Haller bereits während der Arbeiten an seinem Handbuch mit der Niederschrift seines Hauptwerkes, der "Restauration der Staatswissenschaften" befaßt war. Bis zu deren Erscheinen ab 1816 trat Haller noch zweimal mit staatsrechtlichen Abhandlungen hervor. Beide Beiträge erschienen 1814. Zunächst handelt es sich um die so bezeichnete "Neujahrs-Rede an Stadt und Land" mit dem Titel "Was ist die alte Ordnung?". Hierin wirbt Haller - nach dem Sturz Napoleons - um die vollständige Wiederherstellung der alten politischen Zustände in der Schweiz und insbesondere seiner Heimatstadt Bern. 189 Insoweit knüpft diese Rede nahtlos an die bereits in der "Geschichte der Wirkungen und Folgen des Österreich ischen Feldzugs in der Schweiz" von 180 I formulierten Grundsätze an. Da sich die Rede nicht nur an Staatswissenschaft/er richtete, sondern an das "gemeine Volk" und insoweit an Hallers publizistische Traditionen anknüpfte, ist der Inhalt prägnanter und volkstümlicher gehalten. 19o Bereits in den einleitenden Worten bemüht sich der Verfasser darum, die nach seiner Meinung natürlichen, mithin einzig legitimen Zustände zu beschreiben. "Die niedergedrückten Völker athmen wieder frey, und schließen sich freundlich an ihre Fürsten, d. h. an ihre Väter, Ernährer und Beschützer an; Herr und Diener erneuern jubelnd die unterbrochne Freundschaft und helfen sich wechselseitig; fremder Raub wird aus Handen gelassen, jedem das Seinige zurückgegeben; Handel und Wandel leben wieder auf, himmelschreyender alles Verdienst erdrückender Geseze sind zerbroEbd., S. 98 f. Ebd., S. 53. 189 Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 125. 190 Ebd., S. 127. 187 188
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chen; Freunde und Benachbarte können nach dem Willen der Natur wieder ihren Übertluß austauschen, sich wechselseitig die Bedürfnisse und Freuden des Lebens verschaffen; durch die beispiellose Großmuth der allierten Mächte, die eben deswegen vom Segen des Himmels gekrönet wird, soll auch in unserem Vaterlande die alte Ordnung wiederkehren.,,191 Haller ist darUber hinaus bemüht, seinen Lesern seine Thesen von der Einheit des Privat- und des Staatsrechts, sowie der Identität von Unabhängigkeit und Herrschaft am Beispiel des alten, wiederherzustellenden Bern zu belegen. "Sehet! der einzige Unterschied zwischen der Stadt Bern und den anderen Städten oder Privatherren des Landes ist der, daß sie mehr besaß, größer und mächtiger war als sie, und daß sie selbst gänzlich frey ist, mithin bey ihr das freundliche Band mannigfaltig verschlungener geselliger Verhältnisse aufhört. Eben deßwegen heißt sie der Landesherr, die Landesobrigkeit, nicht weil sie der einzige Herr, die einzige Obrigkeit, sondern weil sie die oberste und höchste im ganzen Lande ist. ... Höret und vernehmet wie freundlich, wie natürlich, wie privatrechtlich die Verhältnisse waren, welche die Stadt Bern an ihr Gebiet und dieses an sie knüpften. An den meisten Orten war sie Grundherr, beträchtlicher Eigenthümer, Besizerin von Gütern oder Herrschaften die sie gekauft oder rechtmäßig erworben hatte. Dahin setzte sie Vögte, oder Landvögte d. h. Verwalter ihrer Güter und Einkünfte welche zugleich die Gerichtsbarkeit ausübten, die nichts weiter als eine Hülfsleistung zur Gerechtigkeit, eine Wohlthat höherer Macht ist. ... Andere Privatherren waren theils die Vasallen theils Mitbürger der Stadt Bern und vorzüglich durch dieses milde Band an sie geknüpft.'''92 Schließlich gibt Haller seinen Lesern eine seinem Verständnis der Natürlichkeit seines Modells entsprechende Definition des Patrimonialismus an die Hand. "Wir fordern unsere, niemals abgetretnen, Güter, Besitzungen, Einkünfte und die damit verbundenen eigenthümlichen Rechte zurück. Davon dann die natürliche Herrschaft zu trennen, ist eben so viel als wenn man die Wärme von der Sonne, den Schatten von dem Körper trennen wollte.'''93 Die zweite Veröffentlichung Hallers 1814, "Was sind Unterthanenverhältnisse?", ist eine überaus polemische Streitschrift wider die aus Frankreich im Zuge des Liberalismus aufkommenden Ideen zur Abschaffung von "Untertanen-Verhältnissen", also der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger eines Staates. Nach Haller handelt es sich bei den Verfechtern dieser Idee um Leute, "die allein in Europa gar keine Unterthanen dulden, mithin ihrer Protestationen ungeachtet, die Ordnung der Natur aufheben, mit andern Worten, nichts weiter als allgemeine Freyheit und Gleichheit predigen, alle Bande der Menschen auflösen, folglich die
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Haller, Ordnung (FN 85), S. I. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5.
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
Hebert Chaumettischen Grundsätze von 1793 erneuern wollen".194 Im Gegensatz zu der Neujahrsrede beschränkt sich Haller nun auf die Legitimation von Überund Unterordnungsverhältnissen, die einen Kernpunkt seiner patrimonialen Anschauungen bedeuten. Hintergrund ist erneut die Forderung der Wiederherstellung des alten Bern. Es gelingt Haller jedoch nicht Uberzeugend, seine Ideen in allgemein verständlicher Form seinen Lesern zu präsentieren, vielmehr verliert er sich in starker Polemik, was auch mit dem gewählten Thema zusammenhängt. 195 Einerseits fiUlt es ihm leicht, die Abschaffung der Untertanenverhältnisse als unsinnig darzustellen, indem er zahlreiche natilrliche Über- und Unterordnungsverhältnisse in Familie und Beruf darstellt, deren Abschaffung schlicht unmöglich seien. 196 Andererseits gelingt es ihm nicht, auf ähnlich einleuchtende Weise eine Begrilndung daftlr zu finden, die Idee allgemeiner Bilrgerrechte zu widerlegen. Seine diesbezUglichen Ausftihrungen wirken bemUht und dUrften bei seiner Leserschaft mehr Verwirrung als Überzeugung hervorgerufen haben. 197 "Was sind dann Eure [der Revolutionäre rur alle gleichen] politischen Rechte; wir kennen diesen Ausdruck in unseren Gesetzen und in unserer ganzen Geschichte nicht; er ist eben auch eine Erfindung des achtzehnten Jahrhunderts, kraft welchem man so ganz leise die Diener zu Herren oder Mitherren, die Herren aber zu Dienern machen wollte. An und ftlr sich heißt politisches Recht nichts weiter als ein städtisches oder Gemeindsrecht, (wie Euch alle diejenigen sagen können, welche griechisch verstehen) mithin nicht ein Recht, das allen Menschen gehört, sondern ein erworbenes Recht, das nur denen zukömmt, die von dieser Stadt oder Gemeinde sind, oder darein aufgenommen werden. So behaltet denn Eure besondern Stadtund Gemeindsrechte; nennet sie sogar politisch, wenn Euch dieß Wort VergnUgen machen kann, aber laßt andern, was das ihrige ist. Von der möglichen Erwerbung politischer Rechte ist niemand ausgeschlossen, aber man besitzt sie nicht von Natur.,,198
Karl Ludwig von Haller, Was sind Unterthanen-Verhältnisse? o. 0.1814, S. 13. Pfister, Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 129 f. 196 Haller, Untertanen (FN 194), S. 7. 197 Pfister. Die Publizistik von Hallers (FN 6), S. 130. 198 Haller, Untertanen (FN 194), S. 9.
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19;
§ 7 Restauration der Staatswissenschaft 1. "Restauration der Staatswissenschaft", 1816 ff. Von 1816 an veröffentlichte Haller sein unbestrittenes Hauptwerk, "Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands, der Chimäre des kUnstlich-bürgerlichen entgegengesetzt". Die Wirkungen, die dieses Werk in Europa auslöste, dUrften Hallers Erwartungshaltung eher entsprochen haben, als diejenigen frUherer Werke. l99 Er wurde gewissermaßen Uber Nacht zur Person und seine Theorien zum Gegenstand heftiger Diskussionen. Dabei enthielt die "Restauration der Staatswissenschaft" inhaltlich wenig über das Hinausgehendes, was bereits im "Handbuch" enthalten gewesen war. 2OO FUr Haller war jedoch die "Restauration" die Erfilllung seines wissenschaftlichen Lebens, ja sogar eine missionarische Aufgabe durchaus mystischer Natur. 201 Wie bereits an anderer Stelle ausgefilhrt, enthält die Einleitung Hallers Schilderungen, die ein religiöses Erweckungserlebnis nicht ausgeschlossen erscheinen lassen. Haller sah sich als Kämpfer filr die Wahrheit und Reinheit der Lehre von der Legitimität der Herrschaft. 202 Wofilr Haller in seinem Handbuch mit wenigen hundert Seiten ausgekommen war, benötigte er nun über 3 000 Druckseiten in sechs Bänden. Haller war nun endgUltig von einem reinen Wissenschaftler zu dem geworden, was zeitlebens mehr oder weniger latent bereits in ihm geschlummert hatte und von Zeit zu Zeit bereits hervorgetreten war, nämlich zu einem Wissenschaftler, der in der Lage war, ein wirklich umfassendes, systematisch begründetes Kompendium zu schreiben. Die "Restauration" enthält, in wesentlich stärkerem Maße als das Handbuch, den Versuch der systematischen Erklärung sämtlicher Lebensumstände und -ziele und ihrer Darstellung in einem in sich kohärenten System rechts- und staatstheoretischer Grundbegriffe. Der Ton ist gewichtiger und die Rolle des
199 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 36. 200 Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S.74; Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 48. 201 Von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 26. 202 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. LXVI.
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Religiösen deutlicher hervorgehoben. Hier kündigt sich, wenn man so will, vielleicht auch seine wenig später erfolgende Konversion an. 203 Vor dem Hintergrund des Hallerschen Verständnisses eines gerechten Kampfes um die Wahrheit, ist es folgerichtig, daß er sich in der "Restauration" wesentlich intensiver mit den von ihm als Gegner erkannten Vertretern eines abstrakten, bloß, vernünftigen' Konstitutionalismus, der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität auseinandersetzt. Im ersten Band der Restauration beschäftigen sich elf Kapitel mit den von Haller als falsch erkannten Theorien, die namentlich von Hobbes, Locke, Pufendorf, Montesquieu, Rousseau, Kant u. a. aufgestellt worden waren. Aus dieser Aufzählung wird deutlich, daß Haller sich als einziger Vertreter der wahren Lehre von dem Ursprung und der Legitimität der Herrschaft ansah, da sich seine Kritik gegen so unterschiedliche Staats lehrer und Philosophen, wie Pufendorf und Grotius auf der einen und Rousseau, Lokke, Montesquieu und Kant auf der anderen Seite, gleichennaßen und ohne Unterscheidung richtete. 204 "Kein einziger versuchte es nur die Wahrheit und Vernunftmäßigkeit des obersten Principiums selbst zu prüfen. Weder die Erfahrung, noch die zahllosen WidersprUche, noch die unendlichen Varianten zwischen den Bekennern des Systems, welche allein schon einen Charakter des Irrthums ausmachen, noch die sich ihnen selbst aufdringenden Zweifel, noch die einzelnen Blicke in die Wahrheit selbst, vennochten ihren Köhlerglauben an das 1tP0tOy 1tOEVÖOC;, an die Wurzel alles Irrthums zu erschüttern.,,205 In den Kernsätzen führt Haller, wie bereits in seinem "Handbuch", alle Herrschaft auf die überkommenen und natürlichen Zustände zurUck. Das Höchstmaß an Unabhängigkeit, gegründet auf Eigentum, gewährt zugleich das Höchstmaß an legitimer Herrschaft. Es werden erneut die legitimen Formen der Herrschaft angefllhrt, wobei in der "Restauration" jede Fonn einen eigenen Band mit fünfhundert bis sechshundert Seiten erhält. Die dauerhafteste Herrschaftsfonn ist wiederum der Patrimonial ismus, in den notwendigerweise auch die Generalate und Theokratien münden müssen, wollen die jeweiligen Fürsten ihre Herrschaft dauerhaft sichern 206 - immer vorausgesetzt, aber nicht zugestanden, es gehe überhaupt um eine Weiterfllhrung der monarchischen Herrschaftsfonn. Eine Unterscheidung von Privatrecht und Staatsrecht wird auch hier abgelehnt. Alle Rechtsverhältnisse im Staate bestehen ausschließlich zwischen dem Fürsten als Privatperson und seinen Untertanen.
203 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 30. 204 HaI/er, Restauration (FN I), Bd. I, S. 37fT. 205 Ebd., S. 78 f. 206 Haller, Restauration (FN I), Bd. 11, S. 18 f.
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Da Staat und Fürst identisch sind - auch dies eine Variante des "L'Etat, c'est moi!" -, findet die fUrstliche Macht ihre Grenzen nicht an bestimmten staatlichen Kontrollinstanzen, wie bei der Gewaltenteilung oder an den allgemeinen Menschen- und Bürgerrechten einer geschriebenen Verfassung, sondern allein an dem auf Moral gegründeten "Pflichtgesetz", dem nicht nur jeder legitime Fürst unterworfen ist, sondern dem jeder Fürst, der auf legitime Weise seine Macht errungen hat, durch Erziehung, Geburt und innere Überzeugung folgt. 207 Gegründet ist das Pflichtgesetz auf die christlichen Grundsätze von Gerechtigkeit und Liebe. 20s Gleichwohl erkennt Haller die Möglichkeit eines Mißbrauchs der Macht an und gibt den Untergebenen verschiedene, auch bereits in dem "Handbuch" und der "Inaugurationsrede" enthaltene Widerstandsrechte, namentlich Selbsthilfe gegen den seine Macht mißbrauchenden Herrn, auch unter Einbeziehung von fremder Hilfe und das Recht auf Flucht. 209 Letzteres muß erneut vor dem Hintergrund der Identität von Fürst und Staat gesehen werden, wonach das Volk kein wesentlicher Bestandteil eines Staates ist. Da sich der Hallersche Staat aus einem System von Über- und Unterordnungsverhältnissen zusammensetzt, in dem auf allen Ebenen legitime, in ihren jeweiligen Bereichen unabhängige Herrscher existieren, gibt Haller den von einem Machtmißbrauch der insoweit betroffenen Untertanen die Möglichkeit der Anrufung des übergeordneten Landesherren. Im Gegenzug kann sich ein durch den Machtmißbrauch des Landesherrn betroffener Grundherr zur Durchsetzung seiner Rechte gegenüber dem Fürsten der Hilfe seiner Untergebenen bedienen. 210 Haller erkennt also die Gefahren, die seine letzten Endes auf das Naturrecht zurückfUhrende Theorie der legitimen Herrschaft des Stärksten, der bei ihm der Unabhängigste ist, beinhaltet, und stellt diesen Gefahren das moralische Pflichtgesetz entgegen, dem jeder Herrscher aufgrund der christlichen Glaubenssätze zu folgen verpflichtet ist. Andererseits ist durch die von Haller vorgenommene Gleichsetzung von Gott und Natur die Herrschaft des Fürsten, die auf seiner natilrlichen Unabhängigkeit bzw. Überlegenheit beruht, notwendig gottgegeben. 2I1 Die tiefe Verankerung Hallers im christlichen Glauben und Wertesystem, die ihren Ausdruck auch in der Betonung des Pflichtgesetzes findet, wird in den Bänden vier und fUnf der "Restauration" am deutlichsten, in denen Haller sich
Ebd., Bd. I, S. 388 fT. Ebd., S. 396 tf. 209 Ebd., S. 410 tT. 210 Ebd., S. 426 tT. 211 Ebd., S. IX; Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 50 tT.; Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 107. 207 208
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
der Theokratie widmet, eine der drei legitimen monarchischen Staatsformen seines Systems. Den Theokratien, gerade in der patrimonialen Ausformung, gilt Hallers ganze Sympathie. "Unter dem Krummstab ist gut zu wohnen; ein mildes Regiment ist der unläugbare Charakter aller geistlichen Staaten.,,212 Neben diesem mehr oder minder deutlichen Bekenntnis des Calvinisten zum Katholizismus als derjenigen christlichen Konfession, die seinen Vorstellungen einer Theokratie am ehesten entsprach, verdeutlichen diese Darlegungen, daß in der "Restauration", mehr als im "Handbuch", Haller mit einem allumfassenden, religiösen und rechtstheologisch begründeten Anspruch antritt, daß seine Einleitung zum ersten Band der Restauration, die stellenweise einer Predigt gleicht und von religiösen Formeln geprägt ist, dem Inhalt des Werkes gerecht wird. Es muß jedoch klargestellt werden, daß der theologische Aspekt bei Haller nicht mehr ist als ein bloßes Mittel zum Zweck. Zwar ist Haller ein zutiefst religiöser Mensch und in seinem Glauben und nicht zuletzt seiner Konversion absolut aufrichtig, nur eines ist Haller sicherlich nicht: ein Theologe. 213 Man muß jedoch nicht Theologe sein, um gleichwohl eine rechtstheologische Rechtfertigung und Begründung der Staatstheorie zu versuchen. Der Katholizismus mußte für Haller allein deshalb eine besondere Anziehungskraft entfalten, da der Protestantismus rur ihn durch die Reformation diskreditiert war. Für Haller war die Reformation nichts anderes als die notwendige Voraussetzung rur die französische Revolution und ihre Folgen, die er als Ursache allen Übels in der Welt meinte erkannt zu haben und glaubte bekämpfen zu müssen. Bemühte er sich im vierten Band der "Restauration" noch, dem Eindruck entgegenzutreten, ein verkappter Katholik zu sein,214 enthält der runfte Band - erschienen nach seiner Konversion - eine deutliche Verurteilung der Reformation als eigentliche Ursache der von ihm bekämpften neuen Lehren. 21S Vor diesem Hintergrund, und der bei Haller stark ausgeprägten Affinität rur alles Althergebrachte, war der Übertritt zum Katholizismus rur ihn zwingend, wobei theologische Gründe - wenn überhaupt - bei diesem Schritt nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben dürften. 216 Die Theokratie wird daher bei Haller auch nicht theologisch begründet, sondern lediglich als Form des Patrimonialismus, in dem das Ptlichtgesetz am wirkungsvollsten umgesetzt und 212 Haller, Restauration (FN I), Bd. IV, S. XXXIV.
213 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 96; von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 32 ff. 214 Haller, Restauration (FN I), Bd. IV, S. XXIV f. 215 Ebd., Bd. V, S. 72 f. 216 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 100; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 132; von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 39.
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der größtmögliche Zustand der Zufriedenheit zwischen Untergebenen und Herrschern erreicht wurde. Theokratien sind bezeichnenderweise auch in anderen Religionen denkbar, solange sich ein geistlicher FUhrer findet, der ein "Volk" um sich versammelt, nur die "wahre Lehre" kann jedoch eine dauerhafte Herrschaft sichern. 217 Der religiöse, durchaus rechtstheologisch gerechtfertigte und legitimierte Anspruch, mit dem Haller in der "Restauration" antritt, ist dasjenige, was dieses Werk am deutlichsten von allen vorangegangenen - das Handbuch eingeschlossen - unterscheidet. 218 Hallers "Aufgabe hat sich ... von einer rechtsphilosophischen und politischen zu einer allgemeinen, alle Lebensgebiete umfassenden erweitert".219
2. "Über die Constitution der spanischen Cortes", 1820 Ausdruck dieses Wandels in Hallers Anspruch ist vor allem seine nächste größere Veröffentlichung "Über die Constitution der spanischen Cortes", die 1820 - also noch vor Erscheinen des letzten Bandes der "Restauration"! - ein nicht unerhebliches Aufsehen erregte. Sie machte von Haller endgUltig, mehr noch als es die abstraktere "Restauration" vermochte, zum wichtigsten Vertreter der Restauration und Reaktion. Gleichzeitig brachte sie ihm jedoch auch verstärkte Kritik unter denjenigen ein, die vom wissenschaftlichen Anspruch der "Restauration" durchaus angesprochen wurden. 220 Anlaß rur die Veröffentlichung dieser Abhandlung war der Schwur Ferdinands VII. auf die bereits 1812 abgefaßte Verfassung der spanischen Cortes im Jahre 1820. Dieses Ereignis muß Haller zutiefst erschUttert haben, war es doch das erste Mal, daß ein absoluter Monarch ohne Zwang durch eine Revolution mehr oder weniger freiwillig eine Konstitution als verbindlich anerkannte und sich ihr unterwarf. Ein nach dem Hallerschen Verständnis unerhörter Vorgang. Um so krasser fllllt HaIIers Ablehnung jeglicher Form des Konstitutionalismus aus. HaIIer ruft in seiner Schrift die FUrsten dazu auf, jegliche Form von Konstitutionalismus zu meiden. Denn "es ist Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratische Grundlage voraussetzt, den inneren Krieg organisirt, und zwey 217 Haller, Restauration (FN I), Bd. V, S. 16 tf.; von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 35. 218 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 81. 219 Von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 29. 220 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 151 f.; Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 104 ff.; Laoser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 74.
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2. Teil: Rechts- und
Staatsthe~rie
Hallers - Genese und Entwicklung
auf Leben und Tod gegen einander kämpfende Elemente schaffi".221 Tritt Haller in der "Restauration" noch mit einem wissenschaftlichen Anspruch an, handelt es sich bei der "Cortes"-Schrift um eine rein politische Kampfschrift, deren Stil mit einer wissenschaftlichen Darstellungsweise kaum mehr etwas gemein hat. Beispielhaft sei ein Abschnitt zitiert: "Wir werden ihn sehen diesen Triumph der Gottlosigkeit, wie er seine Widersacher mit Spott und Hohn, mit Feuer und Schwerdt verfolgt, das einzig allgemeine Gesetz, d. h. das göttliche verachtet und dagegen die Völker mit einem Hagelschlag von Dekreten niederdrUckt; jenen Vertilgungs-Krieg gegen alle Traditionen und Stiftungen der Väter, jene Zerstörung aller höheren Privat-Rechte unter dem Namen von Privilegien; jene Zerreissung aller natürlich geselligen Bande, jene Zertrennung der Menschen in wechselseitiges Elend, mit einem Wort jenen Tyger-Zahn der Revolution, der vom Priester und dem König bis zum geringsten Tagelöhner, jedem das Seinige raubt, und dem der Leib des Armen oder der Pfennig der Witwe so wenig als das Gut des Reichen und das Gesetz des Höchsten heilig ist - Aber auf der andem Seite werden wir ihn auch sehen, den Widerstand einer braven im Ganzen noch unverdorbnen Nation, die sich ihre Rechte, und all ihr Erden-Glück nicht ungestraft wird entreissen lassen, und deren stolzem Selbstgeftlhl das Joch einer gottlosen Sekte bald unerträglich scheinen wird. Aus diesem in der Natur der Dinge selbst liegenden, durch keine wässerigen oder scheinheiligen Proklamationen zu hindernden Kampf, muß nothwendig von zweyen Dingen eines entstehen: entweder ein förmlicher innerer Krieg, der vielleicht hier energischer als anderswo gefiihrt und wahrscheinlich auch das schnellste Heilungsmittel seyn dürfte: - oder, wenn die Kräfte der Redlichen durch ihre Zerstreuung zu schwach sind, die blutige und tyrannische Herrschaft schnell wechselnder, einander selbst aufreibender Fraktionen, bis das Reich der Hölle sich durch innere Zweytracht selbst zerstört, oder ein glücklicher Soldat, ein zweyter Cromwell oder Buonaparte, die Cortes samt allen ihren Constitutionen niederschmettert, und an deren Platz sein eigen Janitscharen-Regiment einftlhrt."m Hallers Ziel ist es, sämtliche modemen Staatstheorien, insbesondere Gewaltenteilung, Konstitutionalismus, Gesellschaftsvertrag und Menschenrechte als unnatürlich, verderblich und geflihrlich darzustellen. "Sodann wollen die Cortes beweisen, daß sie auch den Montesquieu und seine Jünger gelesen haben. Sie lassen die Trennung der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt hoch erschallen, obschon leicht zu beweisen wäre, daß diese Trennung in der Natur unmöglich ist, nie bestanden hat, und daß selbst die Cortes, wie das siebente Capitel beweist, sich alle drey Gewalten in vollem Maasse zueignen. Sind doch diese drey Gewalten nichts anders als Ausflüsse der nemlichen Freyheit, durch ihre Natur wesentlich mit einander verknüpft, gleichwie Wille, Kraft und Urtheil in jedem
221 222
Haller, Cortes (FN 86), S. 72. Ebd., S. 54 f.
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einzelnen Menschen und in jeder menschlichen Handlung vereinigt sind."m "Da haben wir also gleich von Anfang her Conscription und willkührliche Auflagen, diese beiden herrlichen und nothwendigen Folgen des philosophischen Staatsrechts; denn es ist ganz klar, daß wenn alles von dem Volk ausgehen und ft1r das Volk bestimmt seyn soll: dieses Volk auch Leute und Geld wird hergeben müßen, so weit es seine vorgeblichen Repräsentanten nöthig finden.,,224 Aus der Ablehnung des Konstitutionalismus folgt rur Haller die Negation der Notwendigkeit allgemeiner Gesetze, da wegen der naturgegebenen unterschiedlichen Über- und Unterordnungsverhältnisse zum einen Gesetze, die alle Bürger eines Staatswesens gleichermaßen binden sollen, undenkbar sind und zum anderen rur die Entwicklung eines Volkes nur hinderlich sein können. m "Allein auf die Gefahr auch hier gegen die noch herrschenden Ideen anzustossen, behaupten wir kühn, daß ein gleichtbrmiger Civil- Criminal und Handels-Codex, zumal rur ein Reich wie das Spanische, alle Inseln und Amerikanische Provinzen mit einbegriffen, die größte Tyranney wäre die sich erdenken läßt, eine wahre Geisel die wir auch nur dem philosophischen Despotismus verdanken. Außer den Edikten und Rescripten der Römischen Cäsaren die von einigen Gelehrten gesammelt worden, ein paar neueren Versuchen die eben nicht zum Besten gelungen sind, in welchen gewisse Philosophen ihre Weisheit zur Schau stellen oder ihre Doctrin zum allgemeinen Gesetz machen wollten, und dem Code Napoleon der ihn beynahe noch verhaßter als seine Truppen gemacht hat, kannte man wenig oder keine von Fürsten gegebene Civil-Gesetzbücher.... Überall bestanden die Civil-Gesetze in den Verträgen und den Gewohnheiten der Privat-Personen selbst, und in wenigen suppletorischen Königlichen Verordnungen, die mehr den Richtern als den Bürgern gegeben waren.,,226 An seine Adressaten, die Fürsten, gewandt, fordert Haller, sich ihres göttlichen Auftrages zu erinnern: "Ihr seid mächtige, fteye, d. h. von Gott mit vielen Mitteln und Glücksgütern ausgerüstete Menschen, bestimmt auf dieser Erde sein Gesetz zu üben und zu handhaben, Gutes zu thun und zu betbrdern, Böses zu meiden und zu hinderen."m Allein der Patrimonialismus vermag dauerhaften Frieden und Wohlstand im Staat zu sichern. "Begünstiget dagegen ansehnliches und ungeschwächt fortdauerndes Grund-Eigenthum, welches hinwieder auch die wechselseitige Liebe befördert, und die Menschen durch fortdauernde Wohlthaten an einander knüpft .• .228
223 224 225 226 227 228
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S. S. S.
9 f. 7. 35. 32 f. 70. 73 f.
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
Der Hauptgrund rur das erhebliche Aufsehen, das die "Cortes"-Schrift hervorrief, war jedoch der Ausweg, den Haller Ferdinand VII. wies. Nach Hallers Verständnis war der Eid, den Ferdinand VII. auf die Verfassung geleistet hatte, ein unvorstellbarer Vorgang. Ein legitimer Herrscher, der sich ohne äußeren Zwang einer Konstitution unterwirft, war bei ihm nicht vorgesehen. Haller konnte hierin nur einen Verstoß gegen das göttliche Naturrecht sehen, wie es die Grundlage seines Herrschaftsmodells war. Hierzu konnte jedoch kein Herrscher legitimiert sein. "Ferdinand war befugt allenfalls seine Krone aufzugeben wenn er wollte, aber nicht die Rechte seines Hauses und noch viel weniger die Privat-Rechte seiner Unterthanen aufzuopfern, welche durch diese Constitution eben so sehr als die seinigen zerschmettert werden. Kein Versprechen kann ihm dieses Befugnis geben, und niemand ist befugt ein solches Versprechen anzunehmen. Ein Eid sogar durch welchen man sich zu unerlaubten Handlungen, zur Verachtung aller göttlichen und menschlichen Gesetze verpflichtet, ist ein Skandal und nicht eine religiöse Handlung, eine Lästerung Gottes und nicht ein Zeichen seiner Verehrung. Solchen Eid zu halten, nachdem man tief genug gefallen war um ihn zu leisten, heißt nichts anders, als verstockter Weise in dem Bösen beharren, und eine neue noch ärgere Schuld zu der ersten hinzuftigen. Ihn soll man, wie jeden Fehler, bereuen und je eher je lieber förmlich zurücknehmen; von ihm wird man durch die höhere Ptlicht gegen Gott entbunden, von ihm wird Ferdinand auch von dem ganzen Volk, sobald es seine Stimme frey äussern kann, freudig entbunden werden.,,229 Das ftir Hallers Zeitgenossen Unerhörte an diesen Ausführungen tritt klar zutage: Der Eid eines Fürsten kann in bestimmten Fällen illegitim sein und damit unwirksam. Mehr noch, der Fürst kann in bestimmten Situationen geradezu verpflichtet sein, einen Meineid zu schwören. "Und sollten etwa diese Constitutionen die Privat-Rechte Eurer Unterthanen aufopfern oder beleidigen: so seyd Ihr selbst dazu nicht einmal befugt, mithin von Ptlichts wegen davon dispensirt, und zum Widerrufe authorisirt.,,230 Der Umstand, daß Haller diese Schrift veröffentlichte, als die Stadt Bern die so scharf angegriffene spanische Verfassung offiziell mitgeteilt bekam und sogleich öffentlich anerkannte, hat sicherlich dazu beigetragen, Hallers Ansehen in seiner Heimatstadt weiter sinken zu lassen, so daß seine kurze Zeit später bekannt werdende Konversion nurmehr einen willkommenen Anlaß bot, ihn aller Ämter zu entsetzen.23I Diese Haltung muß Haller konsequent erschienen sein, forderte er selbst doch wenig später im sechsten Band der "Restauration" ftir die Republiken
Ebd., S. 64 f. Ebd .. S. 73. 231 Looser, Entwicklung und System der politischen Anschauungen von Hallers (FN 37), S. 77 f., Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN5),S.I06. 229 230
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die Einheit im Glauben aller Einwohner. Nach seiner Meinung war allein der Katholizismus geeignet, die notwendigen Tugenden der Bürger zu befördern. 232 Die Schrift über die Cortes kann nur als Probe der theoretischen Überlegungen der "Restauration" an einem praktischen Beispiel verstanden werden, wenngleich die Schlußfolgerungen ungleich pointierter und schärfer waren, als in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Rahmen der "Restauration". Jedenfalls dürfte die dichte zeitliche Abfolge des Erscheinens der Hauptbände der "Restauration" und der "Cortes"-Schrift dazu beigetragen haben, Haller in Europa endgültig bekannt und zu einer der umstrittensten Persönlichkeiten zu machen, wenngleich die erhofften Reaktionen der eigentlichen Adressaten der "Cortes"-Schrift, der europäischen Fürstenhäuser, allen voran das spanische, weitgehend ausblieben. 233 In den folgenden Jahren, die er in Paris verbrachte, konnte Haller sicherlich mit erheblicher Befriedigung die zumindest teilweise Umsetzung seiner Theorien in die Praxis persönlich verfolgen, denn in Frankreich begann die Periode, die ihren Namen dem Hauptwerk Hallers verdankt, die Restauration. In dieser Zeit, von 1814 bis 1830, arbeitete Haller hauptsächlich an der Vollendung seiner "Restauration". Eigenständige staatstheoretische Schriften werden von ihm in dieser Zeit nicht veröffentlicht. Erst nach der Juli-Revolution von 1830 tritt Haller wieder vermehrt in Erscheinung. Dies verwundert nicht, stellten die Ereignisse von 1830 und in den folgenden Jahren bis zum Entscheidungsjahr 1848 doch alles in Frage, was Haller in persönlicher und wissenschaftlicher Art verkörperte. Schon während der Restaurationsepoche mußte Haller erkennen, daß sich der Konstitutionalismus, wie er in England bestand, durchzusetzen begann. Dies bedeutete jedoch faktisch den Untergang oder doch zumindest die partielle Widerlegung seiner Theorien noch bevor der letzte Band der "Restauration" erschienen war. 234 Haller lehnte es ab, sich den unvermeidlich scheinenden neuen Strömungen, wenn schon nicht anzuschließen, so doch wenigstens zu öffnen. Dies hätte seinem Naturell auch sicherlich widersprochen. 1834 erschien die Schrift "Satan und die Revolution", deren Titel den Inhalt bereits vorwegnimmt. Zu dieser Zeit war Haller schon wieder in die Schweiz zurückgekehrt und soeben in den Großen Rat seiner neuen Heimatstadt Solothurn eingezogen. "Satan und die Revolution" gibt sich in seinem Untertitel als Antwort auf eine Abhandlung des katholischen Geistlichen Lamennais zu erkennen. Lamen2J2 Haller, Restauration (FN I), Bd. VI, S. 466 fT.; von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 4 I FN 8. 233 Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 106 f.; Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 153 f. 234 Guggisberg, Carl Ludwig von Haller (FN 3), S. 158 f. 5 Graf von Westerholt
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
nais war in Paris mit Haller bekannt geworden. Beide verband die Vorstellung, daß Vernunft und Katholizismus auf derselben Grundlage beruhen. Zu dieser Zeit war Lamennais noch den konservativen Kräften zuzurechnen, galt jedoch schon als schillernde Persönlichkeit. Die Juli-Revolution wird von ihm schwärmerisch begrüßt, die Ablehnung, die er daraufhin von seinem alten Freundeskreis und insbesondere seiner Kirche erflihrt, fUhrt zu der Veröffentlichung der Schrift "ParoIes d'un croyant", die Haller zu seiner Antwort "Satan und die Revolution" veranlaßt. 235 Interessant an dieser Schrift Hallers aus staatstheoretischer Sicht ist allein, daß sie offenbart, daß die Ereignisse des Jahres 1830 bei ihrem Verfasser keine Spuren hinterlassen haben. Erneut vertritt Haller seine Thesen von der natürlichen Herrschaft der Mächtigsten, der Einheit von Staats- und Privatrecht und der dauerhaften Legitimation des Patrimonialismus. 236 Allein der Hinweis Hallers, herrschsüchtige Despoten, die das natürliche Pflichtgesetz mißachten, seien anflillig rur revolutionäre Ideen und wUrden letztlich zwangsläufig von diesen hinweggefegt, kann als ein Eingehen auf die Ereignisse von 1830 gewertet werden. 237
3. "Staatsrechtliche Prüfung des vereinigten Preußischen Landtages", 1847 Bis zu seinem Tode veröffentlichte Haller noch zwei staatsrechtliche Abhandlungen. Zum einen die "Staatsrechtliche Prüfung des vereinigten Preußischen Landtags nebst redlichem Rath an den König zur Behauptung seines guten Rechts" von 1847 und zum anderen "Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit", erschienen 1850, Haller war bei ihrem Erscheinen zweiundachtzig Jahre alt. Die "Staatsrechtliche Prüfung" sollte an die Zeit anknüpfen, als Haller nach dem Erscheinen der ersten Bände der "Restauration" über erheblichen Einfluß bei preußischen Staatstheoretikern bis hin zu den Beratern des Königshauses verfilgte. 238 Doch diese Zeiten waren vorüber. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß
235 Kar! Ludwig von Haller, Satan und die Revolution und andere Schriften, hrsg., eingeleitet und mit einer Bibliographie versehen von Jean-Jacques Langendorf, Wien / Leipzig 1991, S. 102 f. 236 Ebd., S. 113. 237 Ebd., S. 108, 112. 238 Hierzu: U!rich Schrettenseger, Der Einfluß Karl Ludwig von Haller's' auf die preußische konservative Staatstheorie und -praxis, Diss. iur., München 1949, S. 20 fT., 39 tT.
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es drei Jahre dauerte, bis Haller von preußischer Seite eine Reaktion auf seine Schrift erhielt, die auch noch denkbar knapp und nichtssagend ausfiel. 239 Inhaltlich ging es Haller um die Bewahrung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. vor dem Verlust von - in Hallers Augen - legitimen Rechten durch den 1842 einberufenen preußischen Landtag. 240 Haller bekräftigt nochmals seine Idee der natürlichen Herrschaftsverhältnisse, in die er das Ständewesen zu integrieren bemüht war. Die preußischen Landstände können, ebenso wie der neugeschaffene Landtag, rur Haller nicht mehr als beratende Funktionen filr den Herrscher darstellen. Undenkbar ist, diese Landstände womöglich mit legislativen Rechten auszustatten. "Nun aber sind und waren die Reichs- und Landstände zu jeder Zeit nichts anders und konnten ihrem Ursprunge nach nichts anders seyn, als ein bald größerer, bald kleinerer Rath des Landesherrn, welcher Rath gewöhnlich aus seinen unmittelbaren Gehülfen und Dienstmannen zusammengesetzt ist und die er um sich her versammelt, nicht um sich von ihnen Gesetze geben zu lassen, sondern entweder um ihre Einwilligung zu solchen Leistungen zu verlangen, die er kraft eigenen Rechtes nicht einseitig zu fordern befugt wäre, oder aber um vorläufig ihren Beirath, ihr Gutachten über gewisse gemeinnützige Anstalten oder Unternehmungen einzuholen und mitte1st dessen theils ihre Kenntnisse zu benutzen, theils sich desto mehr ihrer freien und freudigen Mitwirkung zu versichern .... So kann auch ein begüterter Haus- oder Grundherr bisweilen seine unmittelbaren Lehenträger, Pächter, Verwalter und Miethsleute zusammenberufen, nicht um die zwischen ihm und ihnen ohnehin bestehenden Verhältnisse festzusetzen, sondern um etwa ihre Beiträge zu gewissen, den Einwohnern der ganzen Besitzung nothwendigen, nützlichen oder angenehmen Arbeiten oder Einrichtungen anzusprechen. Ganz das nämliche, natürliche Verhältniß besteht nun zwischen einem König und seinen allgemeinen oder Provinzial-Landständen. Außerdem wird freilich solchen Versammlungen gewöhnlicher Weise auch gestattet, bei diesem Anlaß dem Landesherm anständige Wünsche, Bitten oder Beschwerden einzugeben, was ja in der Regel jedermann erlaubt ist, nur mit dem Unterschied, daß individuelle Wünsche oder Beschwerden nicht so leicht belÜcksichtigt werden, als diejenigen, welche von den Ersten und Vordersten des Landes herkommen, denen man, soweit es erlaubt und thunlich ist, gern geflillig zu seyn wünscht, weil man ihren guten Willen auch in andern Dingen nöthig hat.,,241 Haller forderte daher vom preußischen König, die Landstände nur dann einzuberufen, wenn deren Rat notwendig wird. Er war der Ansicht, dem König stehe das alleinige Recht zu, den Beratungsgegenstand und die Mitglieder zu be-
2J9 240 241
Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 215. Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 183. Karl Ludwig von Haller, Staatsrechtliche Prüfung des vereinigten Preußischen
Landtags nebst redlichem Rath an den König zur Behauptung seines guten Rechts, SchafThausen 1847, S. 5 f. S·
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
nennen. DarUber hinaus müsse der König jederzeit das Recht haben, die Landstände wieder zu entlassen, die Beschlüsse mUßten unter dem Genehmigungsvorbehalt des FUrsten stehen und die "rechtmäßige Oberherrschaft des Königs und die Abhängigkeit oder Dienstbarkeit der Stände" sei stets anzuerkennen. 242 Schließlich stehe allein dem FUrsten die "authentische Interpretation der Stiftungsurkunde des vereinigten Landtags" zu. Dies sei ein Recht, das der FUrst auch wahrzunehmen verpflichtet ist. 243 Neben seinem hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand, dem preußischen Landtag, versäumt es Haller nicht, getreu seinen staatsrechtlichen Überzeugungen die Notwendigkeit von geschriebenen Gesetzen zu verneinen und die Einheit von Staats- und Privatrecht darzustellen. "Falls man das unbestimmte und so oft gemißbrauchte Wort Staat in öffentlichen AktenstUcken beibehalten will, so kann von demselben im Allgemeinen keine bessere und sacherklärende Definition gegeben werden, als die, daß er in dem Inbegriff aller Rechte und Besitzungen eines ftlrstlichen Hauses oder einer unabhängigen Corporation bestehe. In diesem Sinne allein kann man von StaatsgUtern, Staatsfinanzen, StaatsbedUrfuissen, Staatszwekken, Staatsbeamten, Staatsverwaltungen, sogar von einem Staatsoberhaupt sprechen, denn ein nach dem Recht der Erstgeburt erblicher König oder FUrst ist im Grunde nur das zeitliche Oberhaupt, der einstweilige Verwalter seiner fortdauernden, selbstständigen, durch sich selbst und ftlr sich selbst bestehenden Familie. Sobald man aber, wenn auch nur versteckter Weise, jene AusdrUcke auf das Volk oder auf die Gesammtheit aller Unterthanen bezieht, und diese fUr den eigentlichen Staat ausgibt: so ist der Umsturz jeder Monarchie und jeder herrschenden Corporation vorbereitet. Auf den revolutionären Sprachgebrauch wird bald die Revolution selbst folgen.,,244 ,,zudem gibt es, genau betrachtet, keine andern allgemeinen Gesetze, als die natUrlichen, von Gott gegebenen, welche von Niemand begutachtet zu werden brauchen; die Unzahl von menschlichen, sogenannt allgemeinen Gesetzen aber geht nur aus der Herrschsucht einer Sekte hervor, sie ist die größte Plage unserer Zeiten, und selbst fUr die bUrgerliche Freiheit, ftlr den gesicherten Wohlstand und fiir die Zufriedenheit aller Classen des Preußischen Volkes dUrfte gewiß eher die Abschaffung mancher unnUtzen und schädlichen Gesetze als die Erlassung von neuen Gesetzen zu wünschen seyn.,,245 Insoweit ist der Fürst verpflichtet, alle überflüssigen Gesetze, ausdrUcklich ohne Beteiligung des Landtages, aufzuheben, wobei die Schaffung "allgemeiner und gleichtOrmiger Civilgesetzbücher" als revolutionäres Element allein dazu fUhren kann, "die Menschen zu
242 243 244 245
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S.
6 f. 60. 17 FN. 13.
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zerstreuen, zu vereinzeln und daher auch ihre Besitzungen immer mehr zu zersplittern".246 Der Siegeszug des Konstitutionalismus durch Europa, der seit der Juli-Revolution von 1830 mit seinem vorläufigen, beinahe gesamteuropäischen Höhepunkt 1848 unaufhaltsam geworden war, ist an Haller scheinbar spurlos vorübergegangen, ebenso wie die Bildung des helvetischen konstitutionellen Bundesstaates nach dem Sonderbundskrieg von 1847. Haller bleibt bis zu seinem Tode ein glühender Antikonstitutionalist und wird so immer mehr zu einem lebenden Anachronismus.
4. Von der natürlichen Herrschaft der Mächtigsten: "Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit", 1850 Hallers letzte Schrift, "Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit" ist vor dem zeitlichen Hintergrund - sie erschien 1850 - ein schlagendes Beispiel rur diesen Anachronismus. Schon aus der Überschrift des zweiten Hauptstückes, in dem Haller die vermeintlichen Ursachen der Verarmung analysiert, wird deutlich, daß Haller konsequent seinen Weg zu Ende zu gehen gedenkt. Die Verarmung beruht nämlich allein auf der "Schwächung, Beraubung und Vernichtung aller mit beharrlichen Glückgütern versehenen Familien und Kommunitäten, als der eigentlichen nie versiegenden Nahrungs- und Erwerbsquellen".247 Zur Wiederherstellung des Idealzustands ist "nichts weiter nöthig, als die Gerechtigkeit, aus welcher allein das allgemeine Wohl hervorgeht, wieder als das höchste und oberste rur Hohe und Niedere gleich verbindliche Gesetz anzuerkennen und zu beobachten, folglich Jedem das Seine zu lassen, und mitte1st dessen die jetzt überall niedergedrückte, rechtmäßige, und in der Regel nur das natürliche, d. h. göttliche Gesetz, und durch freie Humanitätspflichten beschränkte Privatfreiheit herzustellen".248 Hierzu ist die Wiederherstellung des Patrimonialismus die einzige Voraussetzung. "Was demnach vorerst die Könige und Fürsten betrifft, bei denen ohnehin das Recht der Erstgeburt gilt, und die sonst, als die größten Grundbesitzer, auch die obersten Landesväter und Wohlthäter waren, die man aber seit mehr als sechzig Jahren, mitte Ist abgenöthigter oder ertrotzter Konstitutionen, in Fesseln geschlagen, ihrer Freiheit, ihres Eigenthums, oder doch der
Ebd., S. 42. Karl Ludwig von Haller, Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit, SchatThausen 1850, S.50. 248 Ebd., S. 52. 246
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2. Teil: Rechts- und Staatstheorie Hallers - Genese und Entwicklung
Verfügung über dasselbe, beraubt, zu willenlosen Knechten eines von ihnen gesönderten, eingebildeten Staats, oder vielmehr bald dieser, bald jener in dessen Namen herrschenden Faktion herabgewürdigt, mitte1st der ihnen aufgebürdeten Last der Regierung, folglich auch der Bezahlung fast aller Dinge, in ungeheure Schulden gestürzt, und zur Erhebung maßloser Steuern genöthigt hat: so müssen sie allmählig wieder Dasjenige werden, was sie ihrer Natur nach sind und sein sollen, nämlich begüterte, mächtige und unabhängige Herren, die außer Gott keinen andern Obern anerkennen, folglich nur seinen Natur- und Pflichtgesetzen unterworfen sind, inner denselben aber ihre und ihres Hauses Rechte und Interessen frei und ungehindert verwalten, regieren und behaupten dürfen, dagegen aber auch die natürlichen und erworbenen Rechte ihrer Unterthanen nicht beleidigen, sondern vielmehr nach Möglichkeit schützen und schirmen sollen.,,249 Die Abschaffung der Konstitutionen, die Haller als Wurzel allen Übels ausgemacht hat, geschieht ganz im Geiste seiner "Cortes"-Schrift. Konstitutionen können ihrem Wesen nach kein stiftendes Grundgesetz sein. Vielmehr handelt es sich um staatliche Schöpfungen bzw. wegen der Identität von Fürst und Staat um königliche Verordnungen, die jederzeit von ihrem Urheber, dem Fürsten, zurückgenommen werden können. Wegen ihrer rur die Prosperität des Volkes schädlichen Wirkungen ist der Fürst in der Regel sogar verpflichtet, die Verfassung aufzuheben. 250 In diesem Buch kommt Hallers Abneigung gegenüber dem Konstitutionalismus letztmalig zum Ausdruck. Es hat den Anschein, daß der zweiundachtzigjährige Haller noch einmal seinen ganzen Kampfesmut zusammengenommen hat, um seine letzte Schlacht zu schlagen. 251 Hiermit beendet Haller eine zweiundfilnfzigjährige schriftstellerische Tätigkeit auf dem Gebiet des Staatsrechts. Eine Zeitspanne großer Umwälzungen, an denen er zum Teil an maßgeblicher Stelle beteiligt war, die ihn jedoch auch wiederholt zum Opfer werden ließen. Sein Einfluß darf nicht unterschätzt werden, ist aber auf eine eher kurze Zeitspanne beschränkt geblieben, doch hat eben die Wahrnehmung der in dieser Zeitspanne bestehenden Möglichkeiten und Forderungen ihm bleibenden Nachruhm verschaffi:.
249
250 251
Ebd., S. 53 f. Ebd., S. 54. Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 187 f.
Dritter Teil
Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung und Rechtfertigung § 8 Haller im Spiegel der zeitgenössischen und modernen Staatslehre
I. Geistesgeschichtliche Einordnung Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Haller zu seinen Lebzeiten die öffentliche Meinung spaltete wie kaum ein anderer Wissenschaftler. Dies lag sicherlich zu einem Teil an seinen Theorien. Vermutlich ist der Hauptgrund in einer absoluten Kompromißlosigkeit zu erblicken. Es kann unterstellt werden, daß die Polarisierung der Meinungen von Haller angestrebt wurde, sicherte sie ihm doch auf der einen Seite im Kreise seiner Anhänger einen nicht zu unterschätzenden Einfluß und auf der anderen Seite Gegner, mit denen er sich auf publizistischem Felde Auseinandersetzungen liefern konnte. Es sind, auch in der zeitgenössischen Staatslehre, mehrere Versuche unternommen worden, Haller geistesgeschichtlich einzuordnen. Nach wie vor gilt, was bereits Hallers Biograph Guggisberg bemerkte, nämlich, daß "über die geistesgeschichtliche Einordnung Hallers ... noch keine Übereinstimmung" herrscht. 252 Einigkeit besteht jedoch insoweit, als Haller keinesfalls den Romantikern zuzurechnen ist, auch wenn sein Einfluß in diesen Kreisen beträchtlich war. Er verfocht eine geschichtlich begründete Staatsauffassung, die ihre Sympathien filr das Mittelalter nicht verbarg und der Religion bzw. der Rechtstheologie einen starken Stellenwert beimaß. 253 Zwar war Haller den Ideen der Romantiker und Idealisten nicht gänzlich verschlossen. Dies wird deutlich an der zentralen Bedeutung, die das sogenannte "Ptlichtgesetz" in Hallers Staatsverständnis einnimmt. Hier war Haller eher romantischer Idealist. Seine Methodik war jedoch stark von der Auseinandersetzung mit dem Individualismus und Ra-
Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 195. Michael SIal/eis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800 - 1914, München 1992, S. 140; H. R. Liedke, The Gennan Romanticists and Karl Ludwig von Haller's Doctrine of European Restoration, in: The Journal of English and Gennanic Philology LVIII (1958), S. 371 - 393, 392. 252 253
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3. Teil: Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung
tionalismus bestimmt. Auch sein Religionsverständnis basierte auf einem rationalistischen Gottesgnadentum, dem die Begriffe der Aufklärung, bei aller Feindschaft Hallers diesem Begriff gegenüber, nicht unbekannt waren. Auch war Hallers Bemühen, seine Theorien über die Legitimation des Staates selbst mit Legitimität zu versehen, von der Aufklärung seiner Zeit durchdrungen. Darüber hinaus fußte seine gesamte Staatsidee auf einem hohen Maß an Individualiät. Staat und Staatsgemeinschaft lassen sich eben nicht nur durch das Individuum begreifen und begründen, wie oben dargelegt wurde. Haller ist schließlich auch durch die traditionalistischen Theoretiker der Konterrevolution geprägt worden, namentlich durch die Franzosen de Bonald, de Maistre u. a., zu denen er während seines Pariser Aufenthalts zum Teil intensive Kontakte unterhielt. 254 Weilenmanns Versuch einer geistesgeschichtlichen Einordnung Hallers dürfte insoweit zutreffen. Für ihn ist "Haller ... ein selbständiger, eigenständiger Denker, der von den abendländischen Bewegungen der Aufklärung und Romantik, des Idealismus in Deutschland und der konterrevolutionären Theorie in Frankreich nur das aufgenommen hat, was seinem Wesen entsprach. So ist er seinem inneren Wesen nach kein Rationalist und sucht das erkenntnistheoretische Problem durch die Synthese von Empirismus und Rationalismus zu lösen. Mit seiner Lehre vom Naturrecht steht er zwischen dem christlichen Naturrecht des Mittelalters und dem rationalen, weltlichen der Aufklärung. Er ist ein radikaler Individualist, weil diese Richtung der Aufklärung seiner Kraftnatur, seinem ausgeprägten Sinn tUr die Eigenrnacht entspricht. Er ist eigene Wege gegangen, weist einen eigenen Freiheits- und Volksbegriff auf, und er ist eigenständig in seinem Denken über das Mittelalter und die Staatsfonn. So hat er seine eigene, eigenwillige Anschauung von der Republik, der Staatsfonn seines Heimatstaates .... Von dieser Grundlage aus fonnte er das Gedankengut seiner Zeit. So ging er seinen eigenen Weg, auf dem er sich mit den vier geistigen Mächten auseinandersetzte, der ihn aber weder zur Aufklärung noch zur Romantik, weder zum deutschen Idealismus noch zum französischen Traditionalismus tUhrte.,,255 Er ist ein eigenständiger Denker und eine originäre Persönlichkeit in einer Zeit des Übergangs zur modemen Rechts- und Staatstheorie. Diese Eigenständigkeit, verbunden mit der absoluten Kompromißlosigkeit seiner Ansichten war sicherlich noch vor dem unmittelbaren Inhalt seiner Ideen der Grund für die polarisierende Wirkung Hallers auf seine Zeitgenossen.
254
Vgl. zum ganzen: Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers
(FN 90), insbesondere S. 139 fT. 255 Ebd., S. 141 f.
§ 8 Haller im Spiegel der zeitgenössischen und modernen Staatslehre
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2. Karl RiedeI, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Robert von Mohl Zu seinen pointiertesten zeitgenössischen Kritikern gehörte der mittlerweile ein wenig in Vergessenheit geratene Karl RiedeI, der 1842 bereits eine Schrift gegen Haller herausbrachte. Hierin bezeichnete er Haller nicht sehr treffend als "den Rousseau der Konterrevolution".256 Riedel setzt sich in höchst polemischer Weise mit dem Schöpfer der "Restauration" auseinander. "Karl Ludwig von Haller ist einer der beredtesten Herolde dieser modemen Tendenz, ein Mann, der die zahlreichsten Schüler in der Politik jetzt gewonnen hat, dessen Stimme von den stillen Thälern des Schweizerischen Hochlandes bis zu den sandigen Ufern der Spree ein Evangelium geworden ist. Er selbst hat sich, wie ein indischer Gott, tausendfliltig inkarniert; in den verschiedensten Gestalten als Junker mit Baret und Straußenfeder, wie als Kapuzinermönch in schmutziger Kutte; allwöchentlich spukt er um die Mitternachtsstunde von Freitag auf Sonnabend in der Starke'schen Druckerei zu Berlin als Gespenst; wenn das Tageslicht graut, ilihrt er unter Aechzen und Weheruf, zum Entsetzen des Hofrathes Stein in das schwarze Kleid der Spalten des politischen Wochenblattes.,,257 Für RiedeI ist die Methode Hallers, seine Staatstheorie auf Empirik zu gründen und den vorrevolutionären Verhältnissen die Lösung aller Probleme zuzutrauen, bereits der falsche Ansatz, "denn das historisch Ursprüngliche, sofern wir Etwas davon wissen, ist das Unentwickelte, Rohe".258 Das möge glauben, wer mag! Als weiterer zeitgenössischer Kritiker Hallers ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu nennen, der sich in seinem Werk "Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse" 1821 intensiv mit Haller auseinandersetzt. 259 Als überzeugter Konstitutionalist konnte Hegel, so wie letzterer den Konstitutionalismus verstand, Hallers Ablehnung geschriebener Gesetze nicht akzeptieren. Auf diesem Feld fand daher hauptsächlich die Auseinandersetzung zwischen Haller und Hegel statt. "Der Unmuth des Verf. [Haller] könnte rur sich etwas edles haben, indem derselbe sich an den vorhin erwähnten, von Rousseau vornemlich ausgegangenen falschen Theorien und hauptsächlich an deren versuchter Realisirung entzUndet hat. Aber der Hr. v. Haller hat sich, um sich zu retten, in ein Gegentheil geworfen, das ein völliger Mangel an Gedanken ist, und bey dem deswegen von Gehalt nicht die Rede seyn kann; - nämlich in den bittersten Haß gegen alle Gesetze, Gesetzgebung, alles förmlich und gesetzlich bestimmte Rechte. Der Haß des Gesetzes, gesetzlich bestimmten Rechts ist das Schiboleth, an dem 256
Karl Riedei, Von Haller's staatsrechtliche Grundsätze, Darmstadt 1842, S. XIV.
257 Ebd., S. VIII. m Ebd., S. XII.
259 Ewa/d Reinhard, Der Streit um K. L. von Hallers "Restauration der Staatswissenschaft". Zum 100. Todestag des "Restaurators", in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 111 (1955), S. 115 - 130, 119 tf.
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sich der Fanatismus, der Schwachsinn, und die Heucheley der guten Absichten offenbaren und unfehlbar zu erkennen geben, was sie sind, sie mögen sonst Kleider umnehmen welche sie wollen.,,26o Dies trifft genau daneben, da von Haller nur einer vernunftstheoretisch begründeten, übertriebenen Allgemeinheit von Gesetzesvorstellungen skeptisch gegenüberstand. Hegel wirft Haller vor, durch seine Theorie allein die zufiillige Naturgewalt, nicht aber die "Macht des Gerechten und Sittlichen" zu fördern. Hallers Ablehnung mancher Konstitutionen und Gesetze und seine Berufung auf ein allgemeingültiges, ,natürliches' Pflichtgesetz können bei dem Konstitutionalisten Hegel keine Gnade finden. So weist Hegel, sicherlich nicht zu Unrecht, darauf hin, daß bereits vor der französischen Revolution "Verfassungen und Gesetzgebungen in die Welt gekommen sind", namentlich die Magna Charta in England und die amerikanische Bill of Rights. Diese Verfassungen dürfe es jedoch nach Hallers Lehre von der Legitimität der Herrschaft des Stärkeren, allein eingeschränkt durch ein "Pflichtgesetz", gar nicht geben. 261 Bei allem Bemühen Hegels, sich in sachlicher Art und Weise mit den Hallerschen Theorien auseinanderzusetzen, kann er sich auch beißenden Spott nicht versagen: "Hr. v. H. hätte es aus Religiosität vielmehr als das härteste Strafgericht Gottes beweinen müssen, denn es ist das härteste, was dem Menschen widerfahren kann, - vom Denken und der Vernünftigkeit, von der Verehrung der Gesetze und von der Erkenntniß, wie unendlich wichtig, göttlich es ist, daß die Pflichten des Staats und die Rechte der Bürger, wie die Rechte des Staats und die Pflichten der Bürger gesetzlich bestimmt sind, - soweit abgekommen zu seyn, daß sich ihm das Absurde fur das Wort Gottes unterschiebt.,,262 Bekanntlich sind die Irrtümer großer Denker nicht selten ebenso groß! Im Gegensatz zu Hegel und Riedel ist es Robert von MohI in seiner 1856 erschienenen "Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften" gelungen, eine kritische, aber sachliche Auseinandersetzung mit Haller zu veröffentlichen. Dies ist sicherlich zu einem Gutteil den 1856 schon deutlich veränderten Zeitumständen zuzuschreiben. Mohl erkennt in der Hallerschen "Restauration" eine "mächtige politische That", mehr als ein bloß staatswissenschaftliches Werk. 263 Hierauf folgt eine überaus scharfsinnige Charakteristik Hallers. "Haller hat allerdings nicht blos gedacht und gelehrt, sondern er hat vorzugsweise gewollt; und er kann sich daher nicht beklagen, wenn auch das Urtheil über ihn als Menschen hauptsächlich 260 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, S. 244 f. FN *. 261 Ebd., S. 246 f. FN. 262 Ebd., S. 250 FN. 263 Von Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), Bd. 2, S.545.
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vom sittlichen Standpunkte aus geflillt wird. Allein weder darf aus solchen Gründen die Würdigung der wissenschaftlichen Wahrheit und Bedeutung seines Werkes beeinflusst, noch gar ein Vorwurf von Immoralität, wo ein solcher nicht begründet ist, versucht werden.,,264 Mohl differenziert zwischen dem Menschen Haller, mit allen Schwächen, wozu jedoch keinesfalls Unaufrichtigkeit und Unehrlichkeit zu zählen seien, und dem Wissenschaftler Haller, dessen "Selbstlob und unangemessene[s] Selbstvertrauen ... allerdings lächerlich, und das gehässige und unduldsame Benehmen gegen Andere sicherlich tadelnswerth und thöricht [ist]; auch ist es psychologisch sehr begreiflich, dass im Streite mit Haller oftmals mit demselben Maasse gemessen wurde, mit welchem er selbst zuerst gemessen hatte, und dass er dem Eißgange seiner Lehre durch solch' ungebärtiges Benehmen selbst im Wege stand durch Erregung von Misstrauen und Abneigung. Allein durch dies Alles wird doch sein System selbst und die Beweisführung rur dasselbe nicht berührt. Ob Haller ein fein gebildeter und ein liebenswürdiger Mensch, und ob sein Charakter edel genug war, das Gute auch am Gegner anzuerkennen, bestätigt weder seine Ansicht vom Staate, noch widerlegt sie dieselbe.,,265 Die Kritk Mohls setzt zunächst bei der Methode Hallers an. Er wirft ihm vor, einem "Köhlerglauben" an die Verschwörung der "Encyclopädisten, lIIumminaten, Jacobiner und Freimaurer" anzuhängen, der ihm eine wissenschaftlich fundierte Analyse der Staatstheorien seiner Zeit und eine Auseinandersetzung mit diesen unmöglich mache. Dadurch versage Haller auch in dem vielleicht aus seiner Sicht aussichtsreichsten Punkt, der Widerlegung der Vertragstheorie. In diesem Punkt stimmen Mohl und Hegel in ihrer Kritik überein, doch trifft diese Haller nicht. Er beschränkte sich nicht darauf zu zeigen, daß die Vertragstheorie nicht die einzig mögliche und einzig wirkliche ist und daß eine StaatsgrUndung auch ohne Vertrag denkbar und historisch belegbar ist. Indem er jedoch versuchte, die absolute Unmöglichkeit der Gründung von Staaten durch Vertrag oder der Organisation von Staaten auf vertraglicher Ebene nachzuweisen, mußte Haller selbst in Schwierigkeiten geraten, da er selbst noch keine sozial-adäquate Theorie besaß, wie sie uns heute durchaus zur Verfiigung stehen (z. B. Institutionen- oder Systemtheorien). Schlimmer noch wiegt ein gewisser Widerspruch in Hallers Werk selbst, der zumindest bei der Darstellung der Republiken nicht umhin kommt, in gewissem Umfang Verträge als Grundlage von Staaten anzuerkennen,266 doch können Verträge selbstverständlich als rechtliches Mittel eingesetzt werden, wenn der Vertrag als Institution existiert.
264 Ebd., S. 546, mit zahlreichen Nachweisen weiterer zeitgenössischer, hallerkritischer Literatur. 265 Ebd., S. 548. 266 Ebd., S. 549 f
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Haller geht - nach Mohl - von der falschen Prämisse aus, ein allgemeingültiges System finden und anwenden zu können. Die Verschiedenheit der äußeren Umstände und "Staatsmöglichkeiten" verbiete jedoch ein solches Herangehen. Der ideologische Ansatz ist demnach filr Mohl ein Grund filr das Scheitern Hallers. 267 Am heftigsten wendet sich Mohl jedoch gegen die Machttheorie Hallers, die zur absoluten Rechtlosigkeit der Untertanen filhre, wobei Mohl die auch bei Haller bestehenden Rechte der Untergebenen und die Schranken der filrstlichen Macht durchaus erkennt. Hierin unterscheidet sich Mohl in erheblicher Weise von den übrigen Kritikern Hallers bis in die jüngste Zeit, die vielfach Haller als Verfechter einer reinen und unbeschränkten Machtlehre des Fürsten und der absoluten und ungesicherten Rechtlosigkeit der Untertanen verstehen. Eine Einschätzung, die bei aller gerechtfertigten Kritik an den Theorien Hallers nicht zutreffend ist. Hierauf wird zurückzukommen sein. Gleichwohl sieht Mohl die von Haller vorgesehenen Mittel zur Sicherung der Rechte der Untertanen als nicht hinreichend an. "Dennoch ist unläugbar, dass sein [Hallers] System thatsächlich zur Rechtslosigkeit filhren muss, selbst in solchen Staaten, fllr welche die patrimoniale Auffassung nach der Gesittungsstufe des Volkes etwa passen würde. Durch den Mangel jedes höheren Staatszweckes ist die filrstliche Macht auch jeder allgemeinen rechtlichen Verpflichtung in Beziehung auf die dringendsten Bedürfnisse des Zusammenlebens enthoben, so z. B. hinsichtlich der Gesetzgebung, der polizeilichen Hülfe, der Geldverordnungen. Der gerechtfertigten Forderungen der Unterthanen sind also schon an sich schon wenige, und diese sind, besten Falls, rechtsarm, wenn auch grundsätzlich nicht rechtlos. Allein hierzu kommt noch, dass selbst die wenigen ihnen wirklich zustehenden Rechte bei einer Zurückfilhrung derselben auf vereinzelte Privatrechte den theoretisch eingeräumten Schutz in der Wirklichkeit entbehren müssen. Es fehlt nämlich den Verletzten an allem Zusammenhange und an einer Vertretung .... Wie kann also das Ergebniss anders sein, als eine häufige Rechtsverletzung von Seiten der selbstsüchtigen, principiell nur auf sich selbst gewiesenen Gewalt, und ein Mangel an Schutz?,,268 Mohls Analyse ist in diesem Punkt gravierend. Haller sieht in seinem System zwar Schutzmechanismen filr die Rechte der Untertanen vor, jedoch krankt sein Ideal daran, daß diese Mechanismen kaum geeignet erscheinen, die Errichtung einer Willkürherrschaft durch den nach Haller legitimen, weil mächtigsten Herrscher zu verhindern. Es fehlt gänzlich an wirkungsvollen Sanktionsmöglichkeiten einer übergeordneten Instanz filr den Fall des Verstoßes gegen das Pflichtgesetz. Sanktionen gegen den Herrscher sind Hallers System wesensfremd. Hier
267 268
Ebd., S. 555 f. Ebd., S. 557.
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kann allenfalls mit dem Konstrukt der Selbstbildung des Staates und der Annahme von dessen Pflichten selbst operiert werden, wie schon dargelegt wurde. Mohl billigt Hallers System durchaus Anwendungsbereiche zu, nämlich dort, "wo ein Volk auf einer entsprechenden Stufe niederer Gesittung steht, so dass weder ein kräftiges und fröhliches Gemeinleben, noch eine möglichst allseitige Ausbildung der Kräfte des Einzelnen Bedürfniss ist; und es dauert diese beziehungsweise Berechtigung, solange dieser Stand der Dinge dauert. Allein eben desshalb verliert auch der Patrimonialstaat und die Theokratie ihr Recht zu sein, sobald ihre Art des Zusammenlebens einem Volke nicht mehr genügt. Eine Verlängerung ihres Reiches über die ihnen gesetzte Zeit hinaus, oder gar eine gewaltsame Zurückruhrung, nachdem sie bereits beseitigt waren, ist die größte Versündigung an dem Rechte jedes Einzelnen und des ganzen Volkes.,,269 Zwar erkennt Mohl insoweit durchaus eine Berechtigung rur die Hallerschen Ideen, gleichzeitig wendet er sich entschieden gegen die These Hallers von der Restauration überkommener Zustände, und damit gegen den Kern von Hallers Gedankengebäude. Neben aller Ablehnung findet Mohl auch Positives an Hallers "Restauration". In erster Linie sei es Hallers Verdienst, die Systematik der Staaten erweitert zu haben und neben der hergebrachten Unterscheidung nach Monarchien, Aristokratien und Demokratien die Modelle Patrimonialstaat, Generalat und insbesondere Theokratie etabliert zu haben. Hierbei handele es sich um sein "gros ses Verdienst um die gesamte dogmatische Staatswissenschaft".270 Wenn es sich auch nicht um eine besonders originäre Schöpfung Hallers gehandelt habe, so bestehe seine Leistung "in der richtigen Herausfindung bisher vernachlässigter Eigenthümlichkeiten".271 Bei aller Sachlichkeit von Mohls bei der Auseinandersetzung mit den Theorien und der Person Hallers, sah er durchaus die Gefahr, daß Haller zu einem "Irrlehrer"m werden könne, wenn sich seine Ideen durchsetzen würden. Diese Gefahr dürfte bei jeder Theorie bestehen.
3. earl Ernst Jarcke, Joseph Maria von Radowitz, Romeo Maurenbrecher u. a. Neben den Kritikern Hallers fanden sich eine ganze Anzahl von Verteidigern der Hallerschen Lehre. Bei den Zeitgenossen Hallers sind hier in erster Linie
269 Ebd., S. 557 f. 270 Ebd., S. 551. 271 Ebd., S. 552. 272 Ebd., S. 559.
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earl Ernst Jarcke und Joseph Maria von Radowitz zu nennen. Ersterer gehörte zu einer Gruppe, die - dem Hallerschen Beispiel folgend - zum Katholizismus konvertierten. Jarcke verteidigte in erster Linie Hallers Unabhängigkeitsmodell, ohne eigene theoretische Überlegungen oder Schlußfolgerungen zu formulieren. 273 Die Gleichheit aller Menschen ist unnatürlich. Vielmehr ist, wie bei Haller, ein natürliches Über- und Unterordnungsverhältnis vorhanden, das automatisch den jeweiligen Bedürfnissen gerecht wird. "So wie die Ungleichheit der Macht - also der Unterschied zwischen Starken und Schwachen - in der Natur des Menschen und der menschlichen Gesellschaft liegt, so ist kraft derselben natürlichen Thatsache auch das Bedürfnis des Schutzes, der Hilfe und der Vertheidigung gegen Unbilden der Menschen und der Natur gegeben. Darauf gründet sich die Nothwendigkeit des Austausches von Diensten und Hilfsleistungen aller Art, die naturgemäße Stellung des Schwachen zum Stärkeren, somit der natürliche Ursprung aller zwischen Beiden bestehenden Bande von Herrschaft auf der einen, und Gehorsam auf der anderen Seite. Weit entfernt davon, ein Unglück, eine Erniedrigung, eine Schwächung des Menschen zu sein, ist diese dem Bedürfnisse abhelfende Thatsache seiner Abhängigkeit eine freundliche Wohlthat, ja die unerläßliche Bedingung und Voraussetzung aller menschlichen Existenz.,,274 Es zeigen sich signifikante Übereinstimmungen zu der Auffassung Hallers. 275 Gleichwohl war Jarcke kein unkritischer Anhänger Hallers. Die Identität von Fürst und Staat, sowie von Fürsteneigentum und Staatseigentum, Kernelemente der Hallerschen Staatslehre, war rur Jarcke nicht nachvollziehbar. Er legte ein stärkeres Gewicht auf die "geselligen Zustände" eines Volkes, die ihre Wurzeln in der geschichtlichen Entwicklung haben und einen Staat ausmachen. Darüber hinaus war die Macht des Herrschers nicht so sehr, wie bei Haller, naturgegeben, als vielmehr gottgegeben. 276 Radowitz dagegen war ein weitgehend unkritischer Anhänger Hallers, der wesentlich dazu beitrug, Haller im Preußen Friedrich Wilhelms IV. populär zu machen, war er doch preußischer General, Minister und ein persönlicher Freund Friedrich Wilhelms IV., des "Romatikers auf dem Thron".277
273
Ebd., S. 587 f.
274
earl Ernst Jarcke, Vermischte Schriften, Bd. IV: Freiheit und Souveränität in
Österreich, Milnchen / Paderborn 1849, S. 28. 275 Vgl. hierzu eingehend Reinhard, Streit um von Hallers "Restauration der Staatswissenschaft" (FN 259), S. 128 tT. 276 earl Ernst Jarcke, Die ständische Verfassung und die deutschen Constitutionen, Leipzig 1834, S. 4; von Mahl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften (FN 19), S. 582. 277 Vgl. zu Radowitz: Emil Ritter, Radowitz. Ein katholischer Staatsmann in Preußen, Köln 1948, insbesondere Kap. I.
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Für Radowitz war Hallers Verdienst in erster Linie die Verbindung von Theologie und Staatsrecht. Der Monarchist Radowitz, der zugleich überzeugter Katholik war, wurde durch Haller zum Anhänger des Patrimonial ismus. Nach seiner Auffassung war "das ,patrimoniale'Princip ... im monarchischen Staate unentbehrlich; es hängt untrennbar mit seinem innersten Wesen zusammen".278 Radowitz, der kein StaatsrechtIer war, befindet sich mit Haller in Übereinstimmung, wenn er als einzige legitime Begrenzung der Macht des Herrschers die göttlichen Gebote anerkennt. Dabei scheint Radowitz jedoch den Unterschied zwischen dem patrimonialen, d. h. auf Eigentum gestützten Herrschaftsrecht, und dem patriarchalen Prinzip, also dem auf Alter und Familie gestUtzten Herrschaftsanspruch, nicht wahrzunehmen. Das "patrimoniale Princip" wird bei Radowitz eher patriarchal definiert: "In dem ersten Stadium ist das theokratische und imperatorische Element durchaus das vorwaltende. Der Vater soll die Kinder erhalten und erziehen; seine Machtfillle hat auch an ihrer Seite hin keine Beschränkung, sondern nur das ewige Gebot ist seine Schranke, und dessen eigene Auffassung seine Richtschnur.,,279 Wie bei Haller ist die Macht des Fürsten nicht unbeschränkt. Ihr stehen Rechte der Untertanen gegenüber, die durch den Fürsten bzw. das Familienhaupt aufgrund des auch filr ihn geltenden göttlichen Gesetzes beachtet werden müssen. Die filrstliche Gewalt "ruht einerseits noch auf Fundamenten der ersten Einsetzung, andererseits auf den neu herangebildeten; sie ist einerseits eine rechtliche, andererseits aber eine moralische. Das Verhältniß der Familienglieder beruht einerseits auf der alten Ehrfurcht und Pietät, andererseits auf der freien inneren und äußeren Zustimmung zu den Entschlüssen und Handlungen des Hauptes. Selbst die Regelung einzelner Verhältnisse durch Uebereinkunft und Vertrag ist hierbei ganz zulässig, und oft filr beide Theile dienlich.,,280 An anderer Stelle faßt Radowitz seine durchaus romantische und damit von Haller zu unterscheidende Auffassung von Staatslehre in Form eines Ausspruchs Friedrich Wilhelms IV. zusammen: "Freie Fürsten, freie Völker"; dies "faßt einen ganzen Codex der wahren Staatslehre in sich. Denn es schließt nach beiden Seiten hin die falsche Lehre aus. Weder Allgewalt der Fürsten, denn dies wUrde das Volk zu Knechten machen. Noch Allgewalt (Souveränität) des Volkes, denn dies würde den Fürsten zu dessen Diener herabsetzen.,,28\ Schließlich ist noch auf einen weiteren Anhänger des Patrimonialismus einzugehen, der zu Hallers Zeitgenossen gehörte, Romeo Maurenbrecher. Letzterer 278 Joseph Maria von Radowitz, Gesammelte Schriften, Berlin 1853, Bd. 4: Das patrimoniale Prinzip, S. 238. 279 Ebd., S. 240. 280 Ebd., S. 241. 281 Von Radowitz, Gesammelte Schriften (FN 278), Bd.4: Freie Fürsten, freie Völker, S. 180.
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Hallersch~n
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war einer der Hauptvertreter des deutschen Idealismus im Recht. Vor diesem Hintergrund mußte er die Hallersche Theorie von der Natürlichkeit der Herrschafts zustände zwar unterstützen, auch die Einheit von fUrstlichem Privateigentum und Staatseigentum war ihm nicht fremd. Wogegen er sich jedoch wandte, war die bei Haller nach seiner Auffassung nur ungenügend erklärte Wurzel der Staaten bzw. die Begründung staatlicher Herrschaft auf Empirie, d. h. auf Erfahrung und Beobachtung. Dieses Herangehen war Maurenbrecher fremd, und ließ ihn zu einem Kritiker Hallers werden, obwohl beider Auffassung starke Übereinstimmungen aufwiesen. "Der Staat unterscheidet sich also in dem gesellschaftlichen Chaos als ein Besonderes von selbst: durch das Entstehn oder Vorhandenseyn eines physischen Souverains. Als ein Unbewußtes, wie es die Urgeschichte in der Wirklichkeit zeigt", kann diesen Vorgang der Idealist natUrlich nicht auffassen. [" Gerade darin finde ich die Einseitigkeit der von Hallerschen Metapolitik: daß sie den Staat allezeit im Unbewußten hält und aus der krassesten Empirie nie heraustretend, ihn nie auf das Selbstbewußtseyn der Staatsmitglieder oder den sittlichen Willen zurückfUhrt. Die Souverainität ist ihr ein bloßes Faktum, (das zuletzt an den Willen Gottes geknüpft wird), und keine Vernunftnothwendigkeit. Die philosophische Auffassung hat das aber vor der Hallerschen voraus: daß sie den Staat (auch als That Gottes) begreifen und die Staatsgewalt vor der vernUnftigen Ueberzeugung rechtfertigen lehrt. Ob übrigens das deutsche Königthum entweder so sich entwickelt habe, wie es von Haller darstellt, oder wie es hier (psychologisch) entwickelt worden ist, mag der Geschichtskundige entscheiden.] Dieses Emporgehen des Einen über Alle ist vielmehr, nach philosophischer Anschauung, aufzufassen als ein von beiden Seiten Gewolltes, - dies heißt aber nicht als ein Willkürliches oder ein solches, dessen Gegentheil ebenfalls gewollt werden dürfte, sondern als ein nach vernUnftigsittlicher Selbstbestimmung zu Wollendes. Der Herrscher will (d. h. muß oder soll wollen) diejenigen Menschen schützen und leiten, die sich um seine Gewalt sammeln und für die er sich selbst, nach der sittlichen Idee, d. h. nach dem Vernunftgebote, das Gute zu wollen, als das äußerste Mittel des Schutzes und der Führung zum sittlichen Zwecke erkennen muß; die Beherrschten wollen (d. h. müssen oder sollen wollen) gehorchen, weil ihnen ihre Vernunft sagt: daß dieses Sichüberlassen und Gehorchen der Gewalt des Einen das alleinige Mittel zur Erhaltung der Freiheit ihres Willens und zur freien Entwickelung ihres sittlichen Wollens, also das einzige Mittel zur Erreichung ihrer höchsten göttlichen Bestimmung sey. Dasselbe Vernunftgebot ist es also, welches nach beiden Seiten hinwirkend, auf der einen die Staatsgewalt als Recht und Pflicht begründet, auf der andern den staatsbUrgerlichen Gehorsam oder die Unterwerfung des Particularwillens und der Privatkraft unter den allgemeinen, souverainen Willen im Staate als Recht und Pflicht erzeugt."m 282 Romeo Maurenbrecher, Die deutschen regierenden FUrsten und die Souverainität. Frankfurt 1839, S. 170 tT.
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4. Recht des Stärkeren oder Herrschaft des Mächtigsten? Auswirkungen von Hallers auf die Allgemeine Staatslehre In der neueren und neuesten Staatsrechtslehre wird Haller nur noch vereinzelt erwähnt. Max Weber erwähnt Haller in seinem Kapitel zum Patrimonialismus in dem Buch" Wirtschaft und Gesellschaft" von 1922 überhaupt nicht. 283 "Wirklichkeitsfremd und ohne das Vermögen, Lebensflihiges von Erstorbenem zu scheiden, stand er den Erfordernissen der Zeit gegenüber." Diese etwas grobschlächtige, holzschnittartige Einschätzung findet sich bei Wilhelm Hans von Sonntag. 284 Für Guggisberg war Haller der Repräsentant eines "liickwärtsgerichteten, alles Neue verwerfenden Konservativismus in Reinkultur".285 Nach Schrettenseger beinhaltet die Hallersche Staatsauffassung gar die "Gefahr, in letzter Konsequenz statt zum Konservativismus zum Anarchismus zu ruhren, da ja nach dem von ihm so herausgestellten Recht des Stärkeren der Mächtige nicht sicher sein kann, nicht von einern noch Mächtigeren überwunden zu werden".286 Diese Auffassung enthält insoweit einen richtigen Punkt, als durch die bloße Gleichsetzung von Stärke und Legitimität bei Haller in der Tat die Dauerhaftigkeit einer Herrschaftsordnung nicht gewährleistet werden kann. Folge ist jedoch niemals eine Anarchie, die auch gar keinen Gegensatz zum Konservatismus darstellt, da es notwendigerweise immer einen Stärksten geben wird, der sodann seine Macht in legitime Herrschaft transformiert. Nach Jellinek sind die Hallerschen Theorien gar einer "eingehende[n] Widerlegung nicht mehr bedürftig".287 Helfritz, der Haller nicht erwähnt, bescheinigt der Patrimonialtheorie, sicher zu Recht, "rur heutige Verhältnisse nicht mehr in Betracht" zu kommen. Insgesamt widmet er ihr runf Zeilen. 288 Zippelius schließlich sieht im Patrimonialstaat "eher Randerscheinung als LeitrnodelI der Entwicklung".289 Diese knappen und bündigen, leider nicht sehr differenzierten Stellungnahmen erscheinen insgesamt wenig zufriedenstellend. Auf der anderen Seite gibt es bis in unsere Zeit hinein Stimmen - ich denke hier in erster Linie an Ewald Reinhard, den Haller-Biographen -, rur die Haller der "Ietzte Ritter der politischen Romantik" ist, an dem "am sympathischsten ...
283 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Grundriss der Sozialökonomik, 111. Abt., Tübingen 1922, S. 679 ff. 284 Von Sonntag, Die StaatsautTassung von Hallers (FN 109), S. 142. 285 Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 190. 286 Schrettenseger, Einfluß von Haller's auf die preußische konservative Staatstheorie (FN 238), S. 9. 287 Jellinek, Allgemeine Staatslehre (FN 107), S. 201. 288 Hans Hel/ritz, Allgemeines Staatsrecht, 5. Aufl., o. O. 1949, S. 346. 289 Zippelius, Allgemeine Staatslehre (FN 107), S. 108.
6 Graf von Westcrholt
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der Kämpfer" ist. 290 Hallers "Name lebt als der eines edlen Vorkämpfers konservativer Ideen rur immer in der Geschichte fort". 29 I Ebenfalls bei Reinhard findet sich die Einschätzung, daß "Hallers ,Restauration der Staatswissenschaft' ... ein notwendiges Werk [war]; es suchte der Revolution einen Damm entgegenzusetzen, indem es ihre geistigen Grundlagen angriff und zerstörte". Daß er dann das Ideal einer Herrschaftsform aufstellte, die sich mit den Realitäten nicht vertrug, war eine Tragik, an der schon "manche gutgemeinte Konzeption gescheitert" ist. 292 Diese Auffassung verkennt, daß dieses "Ideal" gerade die zentrale Botschaft der Hallerschen Lehre war. Eine Widerlegung der konstitutionalistischen Theorien war filr Haller allenfalls eine Nebensache, die sich aus der Anwendung der Herrschaftstheorie ergab. Schließlich enthält die Einleitung zu den 1991 in der "Bibliothek der Reaktion" von Jean-Jacques Langendorfherausgegebenen Auswahl von Schriften Hallers eine Würdigung der Hallerschen Auffassung, deren "großes Verdienst ... darin [besteht], mit der Vorstellung vom ,Gesellschaftsvertrag' aufzuräumen".293 Dies ist aber ganz sicherlich nicht sein einziges Verdienst. Vor dem Hintergrund der bis heute stark divergierenden Auffassungen zu Haller soll im folgenden untersucht werden, inwieweit die Herrschaftsmodelle, insbesondere die Lehre vom Patrimonialstaat, tatsächlich originär Hallersche Schöpfungen sind und ob das Hallersche Staatsmodell die ihm entgegengebrachte Kritik der Begründung eines reinen Despotismus ohne Sicherung der Untertanenrechte wirklich verdient.
Reinhard, Von Haller, der "Restaurator der Staatswissenschaft" (FN 5), S. 212. Ders., Ein selbstverfasster Lebensabriß des Restaurators von Haller (FN 66), S.375. 292 Ders., Streit um von Hallers "Restauration der Staatswissenschaft" (FN 259), S.130. 293 Jean-Jacques Langendorf, Carl Ludwig von Haller oder die Größe der illibe~alen Menschen, in: Carl Ludwig von Haller, Satan und die Revolution und andere Schriften, hrsg. eingeleitet und mit einer Bibliographie versehen von Jean-Jacques Langendorf, Wien I Leipzig 1991, S. 7 - 15,8. 290 291
§ 9 Wurzeln der Hallersehen Staatsauffassung 1. Hugo Grotius, Immanuel Kant Hugo Grotius hat in seinem Werk "Oe jure belli ac pacis" von 1625 bereits die theoretischen Grundlagen filr eine patrimoniale Herrschaftsform gelegt.294 Dieser "Vorläufer im Geiste" wird von Haller auch durchaus als solcher erwähnt und gewürdigt, auch wenn Grotius nach Hallers Auffassung seine durchaus richtigen Theorien wenig konsequent und auch nicht widerspruchsfrei aufgebaut habe. 295 Es ist demnach keineswegs so, daß Haller als Erfinder des Patrimonialismus gelten kann, was er auch gar nicht beansprucht. Kant setzt sich mit dem patrimonialen Herrschaftsmodell bereits 1795, über zwanzig Jahre vor dem Erscheinen der "Restauration", auseinander: ",Es soll kein fllr sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleichviel) von einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung, erworben werden können.' Ein Staat ist nämlich nicht (wie etwa der Boden, auf dem er seinen Sitz hat) eine Haabe (patrimonium). Er ist eine Gesellschaft von Menschen, über die Niemand anders, als er selbst, zu gebieten und zu disponieren hat. Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigenen Wurzeln hatte, als Pfropfreis einem andern Staate einzuverleiben, heißt seine Existenz, als einer moralischen Person, aufheben, und aus der letzteren eine Sache machen, und widerspricht also der Idee des ursprünglichen Vertrages, ohne die sich kein Recht über ein Volk denken läßt". [' Ein Erbreich ist nicht ein Staat, der von einem andern Staate, sondern dessen Recht zu regieren an eine andere physische Person vererbt werden kann. Der Staat erwirbt alsdann einen Regenten, nicht dieser als ein solcher (d. i. der schon ein anderes Reich besitzt) den Staat.] In welche Gefahr das Vorurtheil dieser Erwerbungsart Europa, denn die andern Welttheile haben nie davon gewußt, in unsern bis auf die neuesten Zeiten gebracht habe, daß sich nämlich auch Staaten einander heurathen könnten, ist jedermann bekannt, theils als eine neue Art von Industrie, sich auch ohne Aufwand von Kräften durch Familienbündnisse übermächtig zu machen, theils auch auf solche Art den Länderbesitz zu erweitern.,,296
Die insoweit von Kant vorgebrachte Kritik an der Gleichsetzung von Staat und Herrscher und von Staatsrecht und Privatrecht kann ohne Modifikation auf die zwanzig Jahre später entwickelten Ideen Hallers übertragen werden. Haller Zippelius, Allgemeine Staatslehre (FN 107), S. 108. Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. 38 ff. 296 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, Königsberg 1795, S. 7 f. 294 295
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setzt sich in seinem Werk dann auch mit Kant auseinander, dem er vorwirft, "nach Wizeleyen [zu jagen) und ... die Wahrheit nicht [zu lieben)".297
2. Joseph de Maistre Als Antipode Kants muß der Vertreter der französischen Konterrevolution genannt werden, Joseph de Maistre. Oe Maistre starb 1821, in dem Jahr, in dem Haller nach Paris übersiedelte. Hallers Kontakt zu. den Kreisen der französischen Konterrevolution ist mannigfach dokumentiert und hier bereits dargestellt worden. Der Vordenker dieser auch staatstheoretisch in Erscheinung getretenen Denkrichtung war ohne Zweifel de Maistre. Ob Haller und de Maistre persönlich bei früheren Parisaufenthalten jemals zusammengetroffen sind, ist nicht bekannt. Gleichwohl hat das Werk de Maistres Einfluß auf Hallers Theorien genommen, auch wenn er de Maistre - im Gegensatz zu Grotius oder Kant - nicht namentlich erwähnt. 298 Das Hauptwerk de Maistres ist die Schrift "Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen" von 1809. Hierin offenbart sich de Maistre als kompromißloser Antikonstitutionalist, filr den die Monarchie über das Gottesgnadentum der Herrschaft legitimiert war. "Alles fUhrt uns also zu der allgemeinen Regel zurück: Der Mensch kann keine Verfassung machen, und keine legitime Verfassung kann geschrieben werden.,,299 Für die Konterrevolutionäre war die absolute Monarchie französischer Prägung die einzig denkbare Herrschaftsform. Oe Maistre erblickte daher einen der größten Irrtümer in der Vorstellung, "eine Staatsverfassung könnte geschrieben und apriori geschaffen werden, wo doch Vernunft und Erfahrung gleichermaßen beweisen, daß jede Verfassung das Werk Gottes ist und daß gerade die Grundlagen und das Wesentlichste in der Verfassung und den Gesetzen eines Volkes ungeschrieben sind".3°O Diese antikonstitutionelle Haltung hat Haller übernommen, wie an anderer Stelle bereits gezeigt wurde. Oe Maistre kann aber auch im Hinblick auf das empirische Herangehen, die Analyse und Übertragung überkommener Staatsvorstellungen und die Bedeutung des "Natürlichen" als Vorbild Hallers gelten, wenn auch der Patrimonialismus bei de Maistre keine Rolle spielt. "Ich entsinne mich, irgendwo gelesen zu haben, es gäbe wenige Dynastien, die die Rechtmäßigkeit ihres Ursprunges nachzuweisen vermögen. Auch wenn diese BehaupHaller, Restauration (FN 1), Bd. I, S. 72 ff. Christian F. Meyer, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Karlsruhe 1975, RNr. 222. 299 Joseph de Maistre, Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen, in: Peter Rohden (Hrsg.), Politische Betrachtungen, Berlin 1924, S. 123 - 150, 148. 300 Ebd., S. 130. 297
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§ 9 Wurzeln der Hallersehen Staatsauffassung
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tung zuträfe, fiele doch auf die Nachfolger eines Herrschers, dessen Rechtstitel nicht ganz einwandfrei wäre, keinerlei Makel. Die Wolke, die die Entstehung seiner Macht mehr oder minder verhüllte, wäre eine notwendige Folge der Unvollkommenheit der sittlichen Welt. Wäre es anders, so ergäbe sich, daß ein Herrscher nur kraft eines Beschlusses des ganzen Volkes, d. h. von Volkes Gnaden, gesetzmäßig regieren könnte. Das aber wird niemals der Fall sein, denn wie der Verfasser der ,Betrachtungen über Frankreich'[de Maistre selbst, 1796, d. Verf.] sehr richtig sagt, empflingt das Volk seinen Herrscher stets, aber es wählt ihn nie. Stets muß der Ursprung der Souveränität außer dem Bereiche der menschlichen Macht liegen, so daß selbst die Menschen, die einen unmittelbaren Einfluß darauf zu haben scheinen, nur Werkzeuge sind .. Betreffs der Rechtmäßigkeit, deren Ursprung zweifelhaft scheinen könnte, spricht sich Gott durch seinen Minister der weltlichen Angelegenheiten, d. h. durch die Zeit, aus.,,301 Auch bei Haller findet sich die Vorstellung, daß legitime Herrschaft sich aus an sich illegitimem, weil gewaltsamen Erwerb bilden könne. Nicht notwendig ist der lückenlose Nachweis durch Generationen, stets im Einklang mit den Ptlichtgesetzen Unabhängigkeit und damit Macht errungen zu haben. Längere unbestrittene Herrschaft des Stärksten könne durch Zeitablauf ohne Einschränkung legitim werden. 302 Dies dürfte zutreffen, doch bedarf der Klärung, welche zusätzlichen Faktoren hinzutreten müssen, um diese Legitimation zu bewirken. Der Unterschied zwischen Haller und den Konterrevolutionären um de Maistre bestand darin, daß letztere allein einem Gottesgnadentum der absoluten Herrschaft das Wort redeten und deshalb keine Legitimationstheorien erörtern mußten, ließ sich doch Herrschaft allein durch den Verweis auf die göttliche Herkunft rechtfertigen. Haller hingegen - begründet durch seine Herkunft aus der Republik Bern - sah das Bedürfnis einer Legitimation von Herrschaft, die über die bloße Gnade Gottes hinausging. Auf diesem Weg gelangte er zu der Vorstellung, Herrschaft legitimiere sich über Unabhängigkeit, die durch Macht, letztere durchaus physisch verstanden, entstehe. Die Unabhängigkeit des Mächtigsten kann durch eigene Anstrengung oder Geschick erreicht werden, sei es durch Landerwerb oder Eroberungen oder sonstige (geistige) Überlegenheit. Die Gottesgnade war nicht die alleinige Voraussetzung rur die Erlangung von Herrschaft, sondern allenfalls hilfreiches Beiwerk. Hierin druckt sich die calvinistische Herkunft Hallers trotz seiner Konversion deutlich aus: "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!"
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Ebd., S. 147 f.
Haller, Restauration (FN I), Bd. 11, S. 576 ff.
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3. Teil: Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung
3. Adam Müller In eine ähnliche Richtung argumentierte - gleichzeitig mit Haller - Adam MUller. FUr MUller kommt dem Staat an sich freilich eine Individualität zu, die es bei Haller nicht gibt, da hier der Staat identisch ist mit dem regierenden FUrsten und ihm demgemäß eine eigenständige Bedeutung nicht zukommt. 303 Folgerichtig durchdringt der Staat bei MUller alle Bereiche des menschlichen Zusammenseins, fUr eine Sphäre der "Privatheit" ist kein Raum, so daß MUller eine Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht kennt. 304 Hier gibt es BerUhrungspunkte mit Haller, dem eine solche Unterscheidung ebenfalls fremd ist. Der Hauptunterschied besteht jedoch darin, daß filr MUller alles Recht wegen der Individualität des Staates notwendig "öffentlich" ist, während sich bei Haller alle Rechtsbeziehungen aus dem Eigentum des Herrschers ableiten, mithin "privat" sind. 305 Auch ist die Vorstellung, die MUller - insoweit Romantiker - sich von dem Begriff "Eigentum" macht, eine gänzlich andere als die Hallersche, fUr die das Eigentum lediglich Mittel zum Zweck der Erlangung von Unabhängigkeit und damit Legitimation von Herrschaft ist. "Wäre das Verhältniß des Menschen zu seinen BesitzstUcken durchaus und absolut verschieden von den andem Verhältnissen des Menschen zu Personen, und dem Vereine dieser Personen, den man gewöhnlich ,Staat' nennt; gäbe es, außer dem Staate von Personen, in welchem ein lebendiges Gesetz regiert, noch einen besonderen Staat von Sachen, der einem bloß mechanischen Verstandesgesetze unterworfen wäre, und von eigenen Richtern nach einfachen, schon seit Jahrtausenden regulirten Vemunftschlussen regiert wUrde: so hätten wir wirklich eine Stelle außerhalb des lebendigen Staates, von wo aus dieser, wie die neueren Zeiten uns Uberzeugt haben, ewig geflihrdet seyn mUßte .... Also nicht die Sachen an sich, die, wie sie Uberhaupt keinen Werth haben, nun meinethalben auch todt seyn mögen, aber die Beziehung der Sachen auf die Person ist das eigentliche Objekt des Eigenthums. Der lebendige Mensch kann an den Sachen nichts brauchen, als die Eigenschaften daran, welche seinem Leben entsprechen, in sein Leben eingreifen, also selbst lebendig sind. Mit diesen lebendigen Eigenschaften streitet er und verträgt sich, contrahirt mit ihnen gerade auf dieselbe Weise, wie mit Personen: er schließt eine Allianz mit ihnen zu gegenseitiger HUlfe und UnterstUtzung; und so ist das
Meyer, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit (FN 298), RNr. 222. Adam H. Müller, Die Elemente der Staatskunst, hrsg. von Jakob Baxa, 2 Bde., Jena 1922, Bd. I, S. 53 fT. 305 Jakob Baxa, Anmerkungen, in: Adam H. Müller, Die Elemente der Staatskunst, hrsg. von Jakob Baxa, 2 Bde., Jena 1922, Bd. 11, S. 305 - 412,317. 303
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§ 9 Wurzeln der Hallerschen Staatsautfassung
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Verhältniß des Menschen zu den Dingen keineswegs ein einseitiges, despotisches, sondern ein gegenseitiges, republicanisches.,,306 Diese Sicht des Eigentums, die "Eigentümer" im Sinne von einem unbeschränkten Inhaber aller Rechte an einer Sache ausschließt und lediglich Nießbraucher und Verwalter des Nutzens kennt, der sich mit einer Sache verbindet, ist mit den patrimonialen Ansätzen Hallers nicht vereinbar, bei allen vordergründigen Gemeinsamkeiten der Theorien. 30?
Müller, Die Elemente' der Staatskunst (FN 304), Bd. I, S. 155 tf. Aljred von Martin, Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken, in: Gerd-K. Kaltenbrunner, Rekonstruktion des Konservatismus, Freiburg 1972, S. 139 180,147 f. 306 307
§ 10 Sir Robert Filmer - ,Patriarcha' I. Patriarchat Im Rahmen einer Untersuchung der Wurzeln der Hallerschen Staatsauffassung ist wenigstens auf einen heute nahezu vergessenen englischen Staatstheoretiker einzugehen, dessen Einfluß auf die Hallerschen Theorien in der bisherigen Literatur vernachlässigt wurde: Sir Robert Filmer, gestorben 1653, Verfasser der posthum 1680 erschienenen Schrift "Patriarcha". Ihr widmete John Locke in der ersten seiner "Abhandlungen über Regierung" eine heftige Polemik. 30s In seiner Auseinandersetzung mit den Ideen Lockes erwähnt Haller ausdrilcklich auch Filmer, so daß davon ausgegangen werden kann, daß ihm die "Patriarcha" bekannt war. 309 Gleichwohl finden sich in der Literatur über Haller nur sehr vereinzelt Hinweise auf Parallelen im Werk dieser Schriftsteller. 3IO Unabhängig vom wissenschaftlichen Gehalt der Filmerschen Theorien, der nicht zu hoch bewertet werden sollte/li ist auf die Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen Hallers einzugehen. Dies um so mehr, als die Ideen Hallers nicht zuletzt von ihm selbst - immer als seine originären Schöpfungen dargestellt wurden. Dies ist durch einen Vergleich mit der "Patriarcha" zu relativieren, die einhundertfunfunddreißig Jahre vor der "Restauration" erschien. Filmer entwirft hierin das Modell eines patriarchalischen Staates, der seine Legitimation aus der Macht des Vaters über seine Kinder herleitet. Dieser Ansatz wird von Filmer bis zu Adam zurilckverfolgt. Der rein patriarchalische Hintergrund Filmerscher Herrschaft unterscheidet sich zwar vordergründig von dem patrimonialen Ansatz, den Haller wählt, doch haben beide Ansätze starke Gemeinsamkeiten, ist doch auch in Hallers Patrimonialstaat der "Landesvater" die Leitfigur der Herrschaft und die Familie bzw. die Zusammenfügung von Familienverbänden die Urform eines jeden staatlichen Gebildes. 312 Haller fügt dem patriarchalischen Ansatz lediglich ein zusätzliches Legitimationselement hinzu, das "patrimonium". Zippelius, Allgemeine Staatslehre (FN 107), S. 106. Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. 46. 310 Vgl. Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 93. 311 Zippelius, Allgemeine Staatslehre (FN 107), S. 106. 312 Haller, Restauration (FN I), Bd.l, S. 346; Bd. 11, S. 25 fT. J08
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§ 10 Sir Robert Filmer - ,Patriarcha'
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Wie bei Haller bestand das Filmersehe Herrschaftmodell aus einer Abfolge von Herrschaftbeziehungen, die bei dem absoluten Herrscher gipfelt, jedoch in den jeweiligen Stufen eigene Herrschaften ausbildet, die vom Herrscher zu respektieren sind. "Wie der Vater ilber eine Familie, so sorgt der König, als Vater über viele Familien, filr die Erhaltung, Ernährung, Kleidung, Bildung und Sicherheit des ganzen Gemeinwesens. Seine Kriege, sein Frieden, seine Gerichtshöfe und alle seine Handlungen als Souverän haben kein anderes Ziel, als jedem untergebenen und niedriger stehenden Vater samt seinen Kindern ihre Rechte und Vorrechte zu erhalten und zuteil werden zu lassen, so daß alle Pflichten eines Königs in einer allgemeinen väterlichen Sorge rur sein Volk aufgehen.,,3\3 Auch bei Haller steht der Fürst an der Spitze einer Herrschaftshierarchie, die sich aus einer Abfolge von zunehmend unabhängigen, mithin mächtigen Herren aufbaut, beginnend mit den innerfamiliären Herrschaftsformen und endend mit dem unabhängigsten Landesherren, der niemandem untertan ist, der jedoch ebenfalls verpflichtet ist, die jeweiligen Unabhängigkeiten seiner Untertanen und ihre Rechte zu achten und zu f6rdern. 314
2. Gottesgnadentum Sowohl filr Filmer als auch filr Haller war die rurstliche Macht untrennbar mit der Gnade Gottes verbunden, auch wenn, wie bereits dargelegt wurde, dies bei Haller nicht alleinige Legitimationsgrundlage war. Filmer seinerseits sah in der göttlichen Gewalt auch die Möglichkeit eines Korrektivs, ja sogar die Rechtfertigung filr Widerstand gegen die rurstliche Herrschaft. "Alle diese höchsten Häupter und Väter haben die Macht, ihre väterlichen Rechte souveräner Autorität zu vereinigen und nach Gutdilnken auf einen anderen zu übertragen, und der so Erwählte nimmt seine Gewalt in Anspruch nicht als ein Geschenk des Volkes, sondern als Eingesetzter Gottes, von dem er, bestätigt durch die Mitwirkung der Häupter des Volkes, die königlichen Vorrechte eines Vaters aller empfangt. Wenn es Gott gefallt, zur Zilchtigung der Fürsten oder zur Bestrafung des Volkes zuzulassen, daß durch Empörung des Adels oder Aufruhr des Volkes Fürsten gestürzt und andere an ihre Stelle gesetzt werden, so ist in allen solchen Fällen der Richterspruch Gottes, der Macht hat, Königreiche zu geben und zu nehmen, der gerechteste; die Mitwirkung der Menschen aber, die Gottes Urteil vollstrecken, ohne beauftragt zu sein, ist sündhaft und zu verdammen.,,315
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Robert Filmer, Patriarcha, Halle / Saale 1906, S. 13. Haller, Restauration (FN I), Bd. 11, S. 376 ff. Filmer, Patriarcha(FN 313), S. 12.
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3. Teil: Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung
Bei Haller heißt es exemplarisch: "Die Macht oder die Glücksgüter, wodurch [die Fürsten] herrschen, haben sie doch nur von [Gott]. Sie sollen die erstere nach seinem Willen und zu seinen Zweken ausüben, gleichwie dieses subordinirter Weise von anderen Menschen auch geschieht. ... Thun sie aber seinen Willen nicht, üben sie weder Gerechtigkeit noch Liebe: so sind sie auch nicht mehr seine Statthalter, sondern undankbare Söhne, die sich gegen den obersten Herren und Gesezgeber autlehnen.,,316 Für den Fall, daß der Herrscher gegen die göttlichen Gebote verstößt, sieht Haller rur die Untertanen die Möglichkeit von legitimem Widerstand und Selbsthilfe vor. Diese ist in den genannten Fällen "sogar gewissermassen Pflicht und wurde zu allen Zeiten mit Recht als eine Tugend anerkannt, eben deßwegen weil sie die Herrschaft des göttlichen Gesezes handhabet und befördert". 3\7 Für beide, Filmer und Haller, ist allein das göttliche Gesetz verbindlich. Menschliche Gesetze und Verordnungen sind zur endgültigen Regelung des Miteinanders entbehrlich, in den meisten Fällen sogar schädlich, da ihnen die notwendige Vollkommenheit fehlt. 318 Es versteht sich beinahe von selbst, daß die Gesetzgebung, so sie denn unumgänglich sein sollte, ein Privileg des Fürsten ist, um seinen Untertanen verbindliche Normen vorzuschreiben. Keinesfalls steht das Gesetz über dem Herrscher. "Demnach ist der Wille des Fürsten das Gesez rur alle seine Untergebenen und nicht der allgemeine Volks-Wille, der als corporativer Wille gar nicht existiert, nicht erkannt, nicht geäußert werden kann, welchen der Fürst gar nicht über sich zu erkennen schuldig ist und der auch nicht gegen ihn vollzogen werden könnte.,,3\9 "Nicht das Recht ist es, das die Dienerin Gottes ist oder das Schwert trägt, sondern die Obrigkeit oder der Herrscher; so daß diejenigen, welche sagen, das Gesetz regiere das Königreich, ebensogut sagen könnten, des Zimmermanns Richtmaß baue das Haus und nicht der Zimmermann; denn das Recht ist nur das Richtmaß oder Werkzeug des Regierenden.,,32o Es folgt aus dem vorgenannten, daß weder Filmer noch Haller die Grundsätze der Gewaltenteilung akzeptieren. Beide sehen hierin vielmehr etwas Widernatürliches und Schädliches. Da dem Souverän das Recht zusteht, Gesetze zu erlassen, ist es selbstverständlich, daß die Anwendung dieser Gesetze ebenfalls dem Fürsten vorbehalten bleibt. Gleiches gilt rur die Auslegung der Vorschrif-
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Haller, Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 68 f. Ebd., Bd. I, S. 423. Filmer, Patriarcha (FN 313), S. 47 f.; Haller, Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 64 ff. Haller, Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 184. Filmer, Patriarcha (FN 313), S. 46.
§ 10 Sir Robert Filmer - ,Patriarcha'
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ten. Legislative, Exekutive und Jurisdiktion verbinden sich in der Hand des Fürsten. 321
3. Staatsgebiet Eine weitere Übereinstimmung zwischen Haller und Filmer findet sich bei der Frauge des Staatsgebiets, welches bei beiden fUr das Bestehen legitimer Herrschaft keine unbedingte Voraussetzung darstellt. Beide gehen davon aus, daß der Idealstaat, wegen seiner Identität mit dem Fürsten, notwendig klein und überschaubar sein müsse. "Manche mögen vielleicht meinen, daß diese Fürsten und Anftlhrer von Familien nur unbedeutende Herren unter größeren Königen gewesen seien, weil sie so zahlreich waren, daß das Gebiet jedes einzelnen nur klein und des Namens eines Königreichs nicht wert sein konnte; man muß aber bedenken, daß anfangs die Könige nicht so ausgedehnte Herrschaften besaßen wie heute .... Diese Menge von Königen in jeder Nation beweisen, daß ihre Gebiete nur klein waren, und sind eine kräftige Stütze rur unsere Behauptung, daß die Errichtung von Königreichen anfangs nur aus der Unterscheidung von Familien hervorgegangen ist.,,322 "Alle Patrimonial-Staaten, alle Königreiche und Fürstenthümer sind zwar ursprünglich klein gewesen, und es konnte auch nach der Natur der Sache nicht anders seyn, eben weil sie nicht aus der Vereinigung mehrerer Hausväter, sondern aus einem einzelnen freyen Hauswesen hervorgegangen sind .... Kleinere Staaten sind die wahre, einfache Ordnung der Natur, auf welche sie durch verschiedene Wege am Ende allemal wieder zurückfUhrt. ,,323 Allein aus dieser Gegenüberstellung von verschiedenen Kernaussagen in den Werken Hallers und Filmers ergibt sich, daß Haller die "Patriarcha" Filmers gekannt und genutzt hat.
4. Fürstlicher Meineid Am eindrücklichsten wird dies jedoch bei der Frage des rurstlichen Meineids belegt. Im Rahmen der Analyse der "Cortes"-Schrift Hallers wurde bereits dargelegt, daß Haller das Recht, unter Umständen sogar die Pflicht eines Fürsten anerkennt, von ihm geleistete Eide zu widerrufen beziehungsweise ihre Bindungswirkung zu negieren. Diese radikale Auffassung findet sich sonst bei kaum einem Staatstheoretiker, schon gar nicht bei Verfechtern eines monarchi-
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Ebd., S. 67; Haller, Restauration (FN 1), Bd. /I, S. 175 ff., 231 ff. Filmer, Patriarcha (FN 313), S. 9 f. Haller, Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 531, 535.
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3. Teil: Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung
schen Herrschaftsmodells. Eine Ausnahme stellt hier Filmer dar. Für ihn ist der Schwur eines Fürsten auf die Gesetze widernatürlich, "aber selbst angenommen, daß Könige tatsächlich schwören, alle Gesetze ihres Königreichs zu halten, so kann doch kein Mensch dies rur einen Grund halten, daß Könige durch ihren freiwilligen Eid mehr gebunden sein sollten, als gewöhnliche Menschen durch den ihrigen. Nun, wenn ein Privatmann einen Vertrag schließt, gleichviel ob mit Eid oder ohne Eid, so ist er nicht weiter gebunden, als Billigkeit und Gerechtigkeit des Vertrages ihn verpflichten; denn ein Mensch kann von einem unvernünftigen und ungerechten Versprechen entbunden werden, wenn Täuschung, Irrtum, Gewalt oder Furcht ihn dazu bewogen haben, oder wenn es verderblich oder geflihrlich in seiner Ausfilhrung ist. Da die Gesetze dem König in vielen Fällen ein Vorrecht geben über gewöhnliche Menschen, sehe ich keinen Grund, weshalb ihm ein Recht verweigert werden sollte, das der niedrigste seiner Untertanen genießt.,,324 Es ist zwar zutreffend, daß Haller das Verdienst zukommt, die Patrimonialherrschaft in bisher nicht gekannter Ausfilhrlichkeit und Stringenz dargestellt zu haben, es kann jedoch vor dem Hintergrund des Vergleichs der Kernaussagen von Haller und Filmer nicht mehr von einer alleinigen Urheberschaft Hallers gesprochen werden. Die Originalität der Hallerschen Theorien bedarf insoweit der Relativierung.
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Filmer, Patriarcha (FN 3 \3), S. 50.
§ 11 Versuch einer Rechtfertigung 1. Rechte und Pflichten aller Menschen
Zum Abschluß soll untersucht werden, ob die Lehre Hallers tatsächlich einem reinen Despotismus das Wort redete, ohne daß eine Einschränkung der tUrstlichen Gewalt zugunsten von Rechten der Untertanen vorgesehen war. Es wurde bereits an verschiedenen Stellen dieser Untersuchung darauf hingewiesen, daß Haller, zumindest in dem wissenschaftlichen Teil seines Schaffens, die Gefahren der reinen Machttheorie tUr die Rechte des einzelnen erkannte und versuchte, entsprechende Kontrollen vorzusehen. Dabei ist das Bild Hallers als eines Verfechters vermeintlich bloß rückwärtsgewandter Herrschaftstheorien, in denen die Rechte des einzelnen keine Rolle spielen und allein der Mächtigste herrscht, wie es in der weit überwiegenden Anzahl der Literatur aufscheint, zu einem Großteil Haller selbst zuzuschreiben. Aufgrund seines Naturells fand er zeit seines Lebens eine gewisse ErtUllung auch darin, sich in polemischer Art und Weise mit seinen tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern auseinanderzusetzen, als auf die übersehenen Bestandteile seiner Theorie hinzuweisen und so sein Bild zurechtzurücken. Im Gegenteil, in seinen Arbeiten, die nach Veröffentlichung der Restauration erschienen, treten die Sicherungen der Bürgerrechte zunehmend in den Hintergrund, so daß diese Veröffentlichungen dem bereits zuvor erworbenen Ruf Hallers nachträglich sogar gerecht werden. 32S Gleichwohl soll der Versuch unternommen werden, anhand des wissenschaftlichen Werks Hallers zu untersuchen, welche Rechte Haller dem Fürsten und den Untertanen zubilligt und welche Pflichten diesen gegenüber bestehen, sowie welche Mechanismen Haller vorsieht, um die Rechte der Bürger vor dem Zugriff des Fürsten zu schUtzen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Machttheorie Hallers stufenweise aufgebaut ist. Jeder Mensch ist in seinem Bereich Herrscher, begründet durch die ihm zukommende Unabhängigkeit in eigenen Angelegenheiten. Die Keimzelle jeder Herrschaft ist die Familie. 326
325 Weilenmann spricht davon, daß Haller sich vom "doktrinären Konservativen" zum Reaktionär entwickelt habe. Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 35, 37. 326 Haller, Restauration (FN I), Bd. I, S. 358.
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3. Teil: Einordnung des
Hallersch~n
Werks und Versuch seiner Begründung
Es steht jedem Menschen zu, nach größerer Unabhängigkeit zu streben und so Macht zu erlangen. Dabei gibt die Natur mit den unterschiedlich verteilten BedUrfnissen der Menschen denjenigen Hilfestellung, die nach Unabhängigkeit streben. Diejenigen, die dadurch in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten, haben keine Rechte aufgegeben, sondern sich freiwillig untergeordnet, da sie sich hiervon Vorteile, z. B. bessere Versorgung versprechen. Unabhängigkeit auf der anderen Seite ist ebenfalls nichts anderes als Ausdruck derselben natUrlichen Verhältnisse, wobei diese mit Gottesgnadentum gleichgesetzt werden. "Keiner von jenen Herrschenden hat seine Existenz und seine Macht durch seine Untergebenen erhalten, sondern er besizt sie durch sich selbst von der Natur, d. h. durch die Gnade Gottes; sie ist ihm entweder angeboren oder von ihm erworben, mithin eine Frucht des angebornen. Hinwieder hat keiner der Untergebenen seine Freyheit oder irgend ein fruheres Recht aufgeopfert; sie sind entweder durch die Natur von ihm abhängig oder sie dienen durch eigenen Willen, nicht um freyer zu werden (welches ungereimt wäre) sondern um Bedürfnissen abzuhelfen, um genährt, geschUzt, unterrichtet zu werden, um das Leben leichter und angenehmer durchzubringen. Die Unteren haben ihrem Oberen nichts gegeben, dieser hat ihnen nichts genommen, sie helfen und nUzen sich wechselseitig; beyde haben nur ihre eigenen Befugnisse, gleich an angebornen, ungleich an erworbenen Rechten, Uben sie beyde ihre rechtmäßige Freyheit nach eigenem Willen und bestem Vermögen aus.,,327 Aussagen gleichen Inhalts finden sich schon in der Inaugurationsrede328 und dem Handbuch. 329 Es ist daher bereits hier festzuhalten, daß Haller durchaus nicht der Vertreter eines reinen Despotismus war, der den Untertanen keinerlei eigene Rechte zusprach. Haller begründete Herrschaft über die ungleich verteilten Möglichkeiten und Begabungen, die dem einzelnen durch die Natur, und damit nach Hallers Verständnis von Gott, gegeben sind. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten filhren zu unterschiedlichen Bedürfnissen, aus denen sich ganz natürlich Über- und Unterordnungsverhältnisse in verschiedenen Abstufungen ergeben. Die nächsthöhere Instanz in dem so entstehenden Machtgefilge ist jedenfalls verpflichtet, die Rechte der Untergebenen in vollem Umfang zu achten. UnterdrUckung und WillkUr sind abzulehnen und wegen der Natürlichkeit der Herrschaftsverhältnisse unnötig. "Jeder Mensch, als Mensch, [ist] dem andern gleich ... , und wenn man von allen übrigen Umständen, Bedürfnissen und Verträgen absehen will, [hat] keiner das Recht ... , den freyen Willen des andern zu nöth igen. ,,330
Ebd., S. 352. Haller, Inaugurationsrede (FN 46), S. 143. 329 Ders., Handbuch (FN 46), S. 54 f. JJO Ders., Inaugurationsrede (FN 46), S. 119. J27
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§ I I Versuch einer Rechtfertigung
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Haller ist zwar weit davon entfernt, einer Gleichheit aller Menschen im staatsrechtlichen Sinn das Wort zu reden, er erkennt aber an, daß die Ausgangsbedingungen rur die Menschen gleich sind. Allein die ungleiche Verteilung der Bedürfnisse und Fähigkeiten fUhrt zu Abhängigkeiten. Übertragen auf das von Haller bevorzugte und den wesentlichen Gegenstand dieser Untersuchung ausmachende Modell des Patrimonialismus, bedeutet dieser Ansatz, daß jeder Mensch zum Herrscher werden kann, wenn es ihm gelingt, Grund und Boden zu erwerben. Dies wird jedem Menschen gelingen, der danach trachtet. "Das Grundeigenthum entsteht, wie jedes andere, ganz natürlich ohne alles positive Gesez ursprünglich durch Besitznehmung und Anbauung eines niemanden gehörigen Landes, und die Anerkennung eines solchen rechtlichen Besitzes, so wie die heftige Vertheidigung des Seinigen ist dem Gemüth jedes Menschen angeboren. Erst in der Folge wird es von einem früheren Besitzer durch Vertrag erworben.,,331 Hier zeigt sich bereits eine Schwachstelle in Hallers Modell. Die Möglichkeiten zum ungehinderten Landerwerb zur Begründung der notwendigen Unabhängigkeit waren schon zu Lebzeiten Hallers stark eingeschränkt. Auch wenn Hallers ideales staatliche Gebilde klein ist, kann nicht davon ausgegangen werden, daß jeder Mensch in der Lage ist, so er den Willen hierzu verspürt, genügend Land "in Besitz zu nehmen", um darauf als unabhängiger Herrscher zu regieren.
2. Rechte der Untertanen gegenüber dem Herrscher In dem Verständnis Hallers kommt den Rechten der Untertanen im Verhältnis zu denen des Fürsten, wie gezeigt, ein sehr hoher Stellenwert zu. Haller kann insoweit beinahe als Liberaler gelten. Dies wird auch besonders deutlich, wenn die korrespondierenden Fürstenpflichten genauer untersucht werden. "Ein Fürst ist ... von Rechtswegen nur Herr über seine eigene Sache, und regiert auch im Grund nur dieselbe. So weit ausgedehnt auch seine Rechte seyn oder scheinen mögen, weil er mehr Mittel und Vermögen hat natürliche Freyheit auszuüben, und weil er mehr Eigenthum besizt, in erweiterten Verträgen und Verhältnissen steht, mithin sein Befugniß sich über mehrere und größere Gegenstände erstreckt: so ist er doch nicht unumschränkter Gebieter über die Personen und das Eigenthum seiner Unterthanen."m Hieraus folgt, daß es dem Fürsten nur in AusnahmeflilIen erlaubt ist, von seinen Untertanen Steuern und Abgaben zu erheben. Hierzu besteht nach Haller auch keine Notwendigkeit, da dem Fürsten als alleinigem Eigentümer des Staatseigentums, das identisch mit dem III
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Ders., Handbuch (FN 46), S. 54. Ders., Restauration (FN I), Bd. 1/, S. 377.
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ftlrstlichen Eigentum ist, genügend Mittel zur Deckung der ftlrstlichen und damit staatlichen Ausgaben zur Verfilgung stehen. 333 Der Fürst ist lediglich verpflichtet, seine Mittel wirtschaftlich zu nutzen, wozu das Recht gehört, Kontributionen ftlr die Verbesserung der Infrastruktur zu erheben 334 oder auch gewisse Monopole und Regalien einzurichten. 335 Aus der Pflicht zur Respektierung der Rechte der Untertanen folgt jedoch, daß bei Errichtung eines Monopols bzw. Regals die ursprünglichen Inhaber der betroffenen Unternehmen, filr die dies eine Enteignung bedeutet, angemessen zu entschädigen sind. 336 Schließlich ist es dem Fürsten untersagt, seine Untertanen filr den Kriegsdienst zwangszuverpflichten. Das Kriegfilhren ist, wie alle anderen staatlichen Belange, eine Privatangelegenheit des Fürsten, die nicht zwangsweise in die Rechte der Untertanen eingreifen darf. 337 Daher ist neben der Zwangsrekrutierung auch die Erhebung von Steuern zur Finanzierung eines Krieges unzulässig. 338 Gleichwohl besteht für die Untertanen eine moralische Verpflichtung, dem Fürsten in Notlagen beizustehen. Diese moralische Verpflichtung entsteht aus dem Gedanken, daß die Untertanen eben nicht in einem Zwangssystem dem Fürsten hörig sind, sondern sich freiwillig unter seinen Schutz begeben haben, um dadurch Vorteile zu erlangen. Aufgrund dieser moralischen Abhängigkeit entstehen unter Umständen Pflichten zur Zahlung von Steuern339 oder zur Leistung von Kriegsdienst. 340 Das Problem der Durchsetzbarkeit dieser moralischen Pflichten liegt auf der Hand. Ebenfalls problematisch ist, wie sicherzustellen ist, daß der Herrscher tatsächlich die Rechte seiner Untertanen sichert. Nach Hallers Definition handelt es sich bei einem (Patrimonial-)Fürsten doch um einen auf seinem Gebiet unumschränkt herrschenden Landeigentümer, dem neben der exekutiven Gewalt auch die Legislative und die oberste Jurisdiktion zustehen. Kontrollinstanzen sind dem Hallerschen Modell, das auch die restriktiven sozialen Bedingungen in sich aufnimmt, durchaus nicht fremd.
J3J
334
33S
226.
Ebd., S. 318 tT.; ders., Inaugurationsrede (FN 46), S. 165. Ders., Domainen (FN 151), S. 219. Ders., Restauration (FN I), Bd. 11, S. 272 tT.; ders., Domainen (FN 151), S. 216,
Ders., Domainen (FN 151), S. 216, 227. m Ders., Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 84 tT.
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Ebd., S. 95 f. Ebd., S. 326 tT. Ebd., S. 79 tT.
§ 11 Versuch einer Rechtfertigung
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3. Mechanismen der Durchsetzung der Untertanenrechte Haller erkennt die Gefahr, daß aus einer unbeschränkten und unkontrollierten Herrschaft Despotismus entstehen kann, hält sein System jedoch für gefeit. "Der Despotismus [fllngt] von dem Punkte [an], wo der Fürst aus seinem eigenen, natürlichen oder erworbenen, Rechte heraustritt, in fremdes Befugniß eingreift, oder nach dem gemeinen, aber tief aus der Natur gegriffenen Sprachgebrauch, sich gewaltthätig in Dinge mischt, die ihn nichts angehen, d. h. die nicht die seinigen sind, oder seine Rechte und Interessen keineswegs berUhren. Es ist mit einem Wort nichts weiter als die Läsion von Seiten eines Mächtigen, dem man gar nicht oder doch ohne größeren Nachtheil nicht leicht widerstehen kann.,,341 Haller sieht in seiner Theorie mehrere Mechanismen vor, wie sich die Untertanen gegen eine solche "Läsion" schützen können. Hierzu gehören in der Diktion Hallers zunächst "eigene Beobachtung und beständige Einschärfung des natürlichen Pflichtgesetzes", "Widerstand - erlaubte Selbsthilfe", "Hülfsanrufung und fremde Hülfsleistung" und "Flucht oder Trennung".342 Bemerkenswert vor dem Hintergrund des Hallerbildes in der Literatur ist, wie bereits dargelegt wurde, die Einräumung eines Rechts auf Widerstand gegen die obrigkeitliche Gewalt. Zwar wird dieses Recht von Haller selbst im weiteren Verlauf der "Restauration" relativiert. Es bleibt als solches jedoch bestehen. 343 Danach handelt es sich bei dem Recht der Untertanen zum Widerstand gegen tUrstliche Gewalt um ein "natürliches Gesez", das nur in Ausnahmefllllen Anwendung finden soll, da es "die innere Stimme der Menschlichkeit und Liebe [gebietet], dem Fürsten, wie anderen Menschen geringere Fehler zu verzeihen, aus billiger Nachsicht gegen menschliche Schwäche, oder wegen übrigen empfangenen Wohlthaten, auch größeres Unrecht zu dulden, wie man sich den Uebeln der Natur unterwirft, weil sie nicht immer fortdauren und durch manches Bessere compensirt werden, in abgedrungener Nothwehr selbst sich zu mäßigen, das Uebel nicht ohne Noth zu vermehren, mit billigen Verträgen sich zu begnügen u. s. w., so daß alle Gründe sich vereinigen, um die Insurrektionen äußerst selten zu machen, wenn sie auch schon nicht immer unrechtmäßig genannt werden können, noch stets von schlechtem Erfolge sind." Bei der Ausübung des Widerstandsrechts sind stets die Prinzipien der "Menschlichkeit und Liebe" zu beachten. 344 Genauere Definitionen tUr die Voraussetzung der Ausübung des Widerstandsrechts bleibt Haller schuldig.
341 342 343 344
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 394. Bd. 1, S. 411 ff. Bd. 11, S. 450 ff. S. 467.
7 Graf von Wcstcrholl
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3. Teil: Einordnung des Hallerschen Werks und Versuch seiner Begründung
Das nach Haller sinnvollste Mittel, sich gegen die Willkür eines Herrschers zur Wehr zu setzen, ist Flucht oder Trennung. Hierin zeigt sich Hallers stark individualistisches Menschenbild. 345 Die Freizügigkeit gehört rur ihn zu den selbstverständlichen Rechten eines jeden Menschen. Für die Existenz eines Staates bedarf es keines Staatsvolkes, da es sich um eine reine "Privatangelegenheit des Fürsten" handelt. 346 Da jedoch das allgemeingültige "Pflichtgesetz", das vom Fürsten nicht nur beachtet werden muß, sondern aufgrund der mit der Erlangung der Macht einhergehenden Veredelung des Charakters quasi von selbst in das Denken und Handeln des Fürsten einfließt,347 bleiben die Widerstandsrechte der Untertanen absolute Ausnahmetatbestände. Das Vorsehen solcher Rechte ist jedoch in jedem Fall bemerkenswert und verdient genauere Erwähnung, stellt es doch die Hallersche Machttheorie in ein etwas anderes Licht. Das soeben erwähnte "Pflichtgesetz" ist rur Haller schließlich das naturgegebene Korrektiv der unbeschränkten Macht des legitimen Herrschers. Dieses "Pflichtgesetz" basiert auf den christlichen Grundvorstellungen und den allgemeinen Moralvorstellungen. Die Untertanen können darauf vertrauen, daß ihr Fürst diese Pflichtgesetze einhält. Sollte er gegen diese verstoßen, kommt seine Herrschaft allein durch Gottes Willen in der Regel an ihr Ende. 348 In der Definition dieses Pflichtgesetzes zeigt sich das neben dem Individualismus ebenso prägende Moment des Idealismus in Hallers Staatstheorie, die insoweit ein positives Herrscherbild notwendig voraussetzt, allein begrenzt durch die Möglichkeit der Untertanen, Widerstand zu leisten. 349 Es ist deutlich geworden, daß sich Haller einer Charakterisierung unter Zugrundelegung der modemen staatsrechtlichen Terminologie entzieht. 350 Haller allein als den Verfechter eines rückwärtsgewandten Despotismus zu kennzeichnen, wird diesem Denker sicher nicht gerecht, wenn auch seine Vorstellungen von Staat und Bürgerrechten sicherlich bereits zur Zeit des Erscheinens der "Restauration" überholt waren und rur die heutige Zeit, allein schon wegen der 345 Hierzu: von Sonntag, Die Staatsauffassung von Hallers (FN 109), S. 57 ff.; Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 63 ff. 346 Haller, Restauration (FN 1), Bd. 11, S. 448 ff. 347 Ebd., Bd. I, S. 378: "Endlich, und das ist die wichtigste Betrachtung, so hat es die Natur mit bewundernswürdiger Weisheit also geordnet, daß gerade das Geruhl eigener Ueberlegenheit unwiderstehlich den Charakter veredelt, und die Entwicklung eben derjenigen Tugenden begünstigt, welche für die Untergebenen am nothwendigsten sind." 348 Ebd., S. 388 ff., 403 ff. 349 Hierzu: Weilenmann, Untersuchungen zur Staatstheorie von Hallers (FN 90), S. 86 ff. 350 Dies verkennt Anton Hagemann, Die Staatsauffassung Karl Ludwig von Hallers, Diss. iur., Erlangen 1931, S. 32 ff., völlig.
§ 11 Versuch einer Rechtfertigung
99
Notwendigkeit eines möglichst kleinräumigen Staatsgebiets, keine Impulse mehr bieten können. Zum Abschluß ist noch darauf hinzuweisen, daß sich Hallers Theorien, von ihm sicherlich ungewollt, auch zur BegrUndung einer Volksherrschaft heranziehen lassen. 351 Aus seiner Machttheorie ergibt sich, daß das mächtigste Subjekt im Staate legitimer Herrscher ist. Dabei spielt auch keine Rolle, daß hierfilr zunächst andere legitime (ftlrstliche) Herrscher gestürzt werden müssen, ergibt doch die illegitime Herrschaftserlangung bei längerer unwidersprochener Duldung eine legitime Herrschaftsforrn. 3S2 Dieser letzte Exkurs soll lediglich zeigen, daß der Hallersehen Theorie Möglichkeiten innewohnen, die weit über das einseitige Bild ihres Schöpfers in der Literatur hinausgehen. m
35\ Hierauf hat bisher lediglich kurz Guggisberg, earl Ludwig von Haller (FN 3), S. 124, hingewiesen. 352 Haller, Restauration (FN I), Bd. 11, S. 576 tf. 353 Hierzu auch von Martin, Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken (FN 307), S. 152 tf.
7·
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Ueber die Domainen und Regalien. Ein Beytrag zur Refonnation des allgemeinen Staats-Rechts, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem I (1807) S. 209 - 234
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Ueber die Nothwendigkeit einer anderen obersten Begründung des allgemeinen Staats-Rechts. Eine Inaugurations-Rede bey Antretung des Prorektorats an der Akademie zu Bem, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem 1 (1807), S. 115 187
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Ideen zu einem allgemeinen Kranken-Recht nach dem Grundsatz der Theilung der Gewalten, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem 2 (1808), S. 447 - 474
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Ueber die zweckmäßigsten Mittel Sekten zu bekämpfen und auszurotten, in: Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem 2 (1808), S. 263 - 309
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Personen- und Sachverzeichnis Abgaben 95
Besatzungsmacht
Abhängigkeit 43, 49, 51, 68, 78, 96
- französische 18
Abhängigkeitsverhältnis 43, 94
Biederrneierzeit 34
Adel 37,89
Bill ofRights 74
Akademie zu Bern 25 ff., 42, 46, 50
Boden 14,33,44,47,51,83,95
Alleinherrschaft 46
Bodmer 19
Ämterzwang 40
Bonald, Louis de 30, 72
Anarchie 81
Bundesrat 40
Anarchismus 81
Bundesregierung 21
Anerkennungsvertrag 51
Bundesstaat 21, 34, 41
Antikonstitutionalist 36, 69, 84
- konstitutioneller 69
Aristokratie 77
bundesstaatlich 40
Aufklärung 15, 38, 72
Bundesverfassung 40
Ausbeutung 49
Bürgerrechte 56, 59, 93, 98
Ausrottung 53
Bürgertum 37
Außenpolitik 41 Auswanderung 45, 53
Chateaubriand, Francois Vicomte de 30 f.
Autoritatismus 50
Code Napoleon 63 Cortes 30, 61 f., 64 f., 70, 91
Barruel, Augustin 22
- spanische 29, 36, 61
Bauern 37
Cromwell, Oliver 62
Baxa, Jakob 86 Beamter 52 Beherrschter 42 f., 80 Bem 16 ff., 23, 25 ff., 35 ff., 42, 45, 50, 54 ff., 64, 85
Damas, Baron de 3 I Demokrat 20 Demokratie 13, 77 - repräsentati ve 36
Personen- und Sachverzeichnis demokratisch 19 Despot 66 Despotie 49 f. Despotismus 52, 63, 82, 93 f., 97 f. Deutschland 13, 20, 32 f., 50, 72 Dienstbarkeit 49,68 Direktorium 17 Domäne 26, 39, 46 f., 52, 96
105
Familie 29, 31, 33, 43, 56, 68, 79, 88 f., 93 Fidei Comiss 46 Filmer, Robert 88 ff. Finanzen 47,52 Flucht 20 f., 23, 45, 53, 59, 97 f. Föderalismus 24 Frankreich 15, 17 f., 21, 23, 29 ff., 35, 37,40,55,65,72,85 Freiheit 36, 43, 55, 62, 68 f., 80, 94 f.
Ecole des Chartes 33 Eid 64,91 Eigentum 14, 36, 40, 44, 47 f., 5 I f., 58, 69, 79, 86 f., 95
- -en der Bürger 36 Freizügigkeit 36, 53, 98 Friedrich Wilhelm IV. 67, 78
- Freiheit des - 36
Fürst 13,33,43 f., 46 ff., 51 ff., 58 f., 61, 63 f., 68 ff., 76, 79 f., 86, 89 ff., 93,95 ff.
- Schutz des - 36
- kollektiver 46
Eigentümer 44, 46, 48, 5 I, 55, 87, 95
Fürsteneigentum 78
Einheitsstaat 18 f., 21, 38
Fürstenherrschaft
- helvetischer 19,23,35,37 f.
- patrimoniale 39
Einzelherrschaft 45
Fürstenpflicht 95
Emigration 38, 53 Empirie 80
Gehorsam 78, 80
Empirik 73
Genehmigungsvorbehalt 68
Empirismus 72
Generalat 50, 58, 77
England 65, 74
Genossenschaft 45,47
Enteignung 96 Entschädigungspflicht 48
Gerechtigkeit 15, 49, 55, 59, 69, 90, 92
Erbschaft 48
Gerichtsbarkeit 55
Erbteilung 46
Gesellschaft 14, 78, 81, 83
Erlangen 21 f., 98
Gesellschaftsvertrag 16, 25, 43 f., 47, 51,62,82
Erstgeburt 68 f.
Exekutive 41,91
Gesetz 26 f., 36, 45, 50 ff., 54, 56, 62 ff., 67 ff., 73 f., 79, 84, 86, 90, 92,95,97
Exekutivorgan 52
- göttliches 69, 79, 90
- Recht der - 68
106
Personen- und Sachverzeichnis
Gesetzgeber 52 Gesetzgebung 73, 76, 90 Gewalt 25, 35, 43 f., 48 f., 52, 62, 76, 80,89,92 f., 96 f.
Guggisberg, Kurt 16 tT., 21 tT., 26 tT., 32 ff., 39, 41, 50, 57, 59 If., 65, 67, 70 f., 81, 88, 99 GUter 39,55
- exekutive 96 - fllrstliche 79,97 Gewaltenteilung 13, 25, 36, 41, 43, 46 f., 52, 58 f., 62, 90
Haasbauer, Adolphine 22 Habsburg 23 Hagemann, Anton 98
Glaube
Haller, Albrecht von 16
- christlicher 59
Haller, Emanuel Gottlieb von 16
Glaubenssatz
Hardenberg, Karl August FUrst von 33
- christlicher 59
Harmonie 49
Gleichberechtigung 42
Hausvertrag 47
Gleichheit 39, 43, 55, 78, 95
Hauswesen 51, 91
Gott 51, 59, 63 f., 68, 70, 73 f., 80, 84 f., 89 f., 94, 98
Hege!, Georg Wilhelm Friedrich 73 ff.
- Gnade -es 85,89
Helfritz, Hans 81 Helvetische Annalen 18 f., 22, 38 f.
Gottesgnadentum 72, 84 f., 89, 94
Herren 18, 56, 70, 89 ff.
Göttinger Akademie der Wissenschaften 50 Greyerz, Hans von 36
Herrschaft 13 f., 22, 28, 43 ff., 49, 51, 54 f., 58 f., 61 f., 66, 69, 78, 80 f., 84 ff., 88 fT., 93 f., 97 f.
Großer Rat 16, 28 f., 33, 65
- - der Mächtigsten 66, 69
Großer Rat der Republik 16
- - des Stärkeren 28,49, 74
Großer Rat der Stadt Bem 29
- - des Stärksten 28, 85
Grotius, Hugo von 58, 83 f.
- legitime 51, 59
Grund 14, 17, 19,23,30,44,47,49, 51, 63, 72, 76, 92, 95
- legitime - des Stärksten 59
Grundbesitz 43, 46 Grundeigentum 44, 46, 63, 95 Grundeigentümer 45 Grundherr 47,51,53,55,59,67 Grundrechte 36, 41 Grundrechtskanon 36
- System der - des Mächtigen 49 Herrschaftsform 58, 82 fT., 99 Herrschaftsgewalt 13, 42 f., 53 - staatliche 53 Herrschaftshierarchie 89 Herrschaftslegitimation 54 Herrschaftslehre 26
\07
Personen- und Sachverzeichnis Herrschaftsmodell
Kaltenbrunner, Gerd-K. 87
- aristokratisches 39
Kant, Immanuel 51, 58, 83 f.
- patrimoniales 83
Karl X. von Frankreich 30, 32
Herrschaftstheorie 82, 93
Katholizismus 60, 65 f., 78
Herrschaftsverhältnis 67,94
Kirchenstaat
Herrschaftsverhältnisse
- katholischer 28
- natUrliche 25
Kodifizierung 52
Herrscher 14, 39, 42 f., 45 f., 49 ff., 59,61,64,67,76, 78 ff., 83, 85 f., . 89 f., 93 ff., 98 f.
König 30 f., 34, 62, 66 ff., 89, 91 f.
- absoluter 89 Hilty, Carl 18,35,37 Hobbes, Thomas 49, 58
- preußischer 34, 67 Königreich 91 Konservatismus 81,87 Konskription 40 Konstitution 17 f., 29, 35 ff., 61 f., 64, 69 f., 74, 78
Idealismus 72, 80, 98
Konstitutionalismus 61 ff., 65, 69 f., 73
Idealist 71
Konstitutionalist 73 f.
Identität von FUrst und Staat 59, 70, 78
Konterrevolution 72 f., 84
Inaugurationsrede 54,59,94,96
25 f., 42, 46, 49,
13, 46 f., 58,
Konterrevolutionär 84 f. Kontribution 96
Individualismus 71, 98
Konversion 28 ff., 41, 58, 60, 64, 85
Individualist 72
Krieg 39, 49, 96
Individualität 86
Kriegsdienst 96
Infrastruktur 96
Kroatien 23
Institutionentheorie 75 Intervention
Lamennais, Hugues de 65
- österreich ische 22
Landeigentum 39 LandeigentUmer 96 Landesherr 14,39,55,59,67,89
Jarcke, Carl Ernst 77 f.
Landesobrigkeit 55
Jellinek, Georg 40, 81
Landrat 36
Judikative 41
Landstände 67
Juli-Revolution von 1830 33,65 f., 69
- allgemeine 67
Jurisdiktion 91,96
- preußische 67
108
Personen- und Sachverzeichnis
- Provinzial- 67
Machttheorie 50, 76, 93, 98 f.
Landtag 66 ff.
Magna Charta 74
- preußischer 67 f.
Maistre, Joseph de 72, 84 f.
- vereinigter 68
Makrobiotik 32, 38
Landvogt 55
Martin, Alfred von 87,99
Langendorf, Jean-Jacques 66,82
Maurenbrecher, Romeo 77, 79 f.
Legislative 41, 91, 96
Meineid 64, 91
Legitimation 16, 23, 44, 47, 51, 56, 66, 72, 85 f., 88
Meinungsfreiheit 36
- staatlicher Herrschaft 47 Legitimationsansatz 44 Legitimationsgrundlage 5 I, 89 Legitimationstheorien 85
Menschenbild - individualistisches 98 Menschenrechte 62 Metapolitik 80
Legitimität 57 f., 72, 74, 81
Mettemich, Klemens Wenzel Fürst von 21,30
- der Herrschaft 57, 74
Meyer, Christian F. 84, 86
liberal 19, 28, 30
Mittelalter 71 f.
Liberaler 20, 95
Mohl, Robert von 20,36 f., 41, 73 ff.
Liberalismus 26, 55
Monarch
Liedke, H. R. 71
- absoluter 61
Litterarisches Archiv der Akademie zu Bem 26, 42, 46, 49 f.
Monarchie 13,44,61,68,77,84
Locke,John 58,88 Looser, Huldreich 25 ff., 36 ff., 45 f., 49 f., 57 f., 61, 64 Ludwig XVIII. 32
- absolute 84 Monopol 48, 96 Montesquieu, Charles de 58, 62 Moral 45, 50 ff., 59 Müller, Adam H. 86 f.
Macht 14, 33, 43, 45, 49, 51, 53, 55, 59, 74, 76, 78 f., 81, 85, 88 ff., 94, 98
Müller, Johannes von 33 Müller, Johann-Georg 33 Müsingen 30
- fürstliche 59, 76, 89 - geistige 44
Napoleon Bonaparte 17,23,54,62 f.
- Mißbrauch der - 53, 59
Nation 62,91
Machtgefüge 94
Nationaleigentum 48
Machtlehre 76
Natur 16, 26, 43, 47 f., 50, 55 ff., 59, 62, 70, 78, 91, 94, 97 f.
Machtmißbrauch 45, 50, 52, 59
Personen- und Sachverzeichnis
109
Pflichtgesetz 45, 50 ff., 59 f., 66, 70 f., 74, 76. 85, 97 f.
Naturgesetz 70 Naturgewalt 74
Polignac, Jules Arrnand FOrst de 33
Natürliches 84 Natürlichkeit 55, 80, 94 Naturrecht 59, 64, 72 f. Naturzustand 43,49, 51
Pressefreiheit 36 Preußen 15. 23, 30 ff., 78 - Könige von - 31 Preußisches Allgemeines Landrecht 48
Neutralität 17, 21
Priesterstaat 28
Nießbraucher 87
Prinzip
Norm 51,90
- patriarchales 79 - patrimoniales 79 Okkupation 44
Privateigentum 39, 45, 80
Opposition 18, 44
Privatrecht 38, 44, 58, 66, 68, 83, 86
Österreich 15, 22, 23, 30 f., 38 - Kaiser von - 3 I - Erzherzog Karl von 21 f.
- Einheit des - 55 Projekt einer Constitution für die schweizerische Republik Bem 17,
35,37 Paris 17,29 ff., 33, 65 f., 84 patriarchal 79 patrimonial 39, 76, 79. 83 Patrimonialfilrst 47.53,96 Patrimonialherr 48 Patrimonialherrschaft 92
14 f., 39, 44 f., 47, 55, 58, 60, 63, 66. 69, 79, 81, 83 f., 95
Patrimonialismus
Patrimonialstaat 81 f., 88. 91
14, 50, 53 f., 77,
Protestantismus 60 Pufendorf, Samuel 58
Radowitz, Joseph Maria von 77 ff. Rastatt 21 Rat 17 f., 27, 33, 65, 67 - der Stadt Bem 27 Rationalismus 72 Rationalist 72 Reaktion 34,61,67,82
patrimonium 83, 88
Recht 18, 36, 39 f., 42 f., 45, 47, 49, 52 f., 55 f., 59, 62, 64, 67 f., 70, 73 f., 76 f., 79, 87, 89, 93 ff.
Persönlichkeit
- auf Widerstand 53
- freie Entfaltung der - 36
- des Stärkeren 81
Pfister, Christoph 17 f.. 25 f., 38, 42, 45 f., 49 f.. 54, 56
-legislatives 67
Pflicht 36.42,51 f., 74, 77, 89, 93, 96
- Schutz der -e 36
Patrimonialtheorie 14,81
- öffentliches 86
110
Personen- und Sachverzeichnis
Rechtlosigkeit 76
Sanktion 76
Rechtstheologie 71
Schlegel, Friedrich 33
Reformation 26, 46, 60
Schnell, Samuel 26 tT., 45 f.
Regal 48,96
Schrettenseger, Ulrich 66, 81
Regalien 26, 39, 46, 48, 52, 96
Schutzmechanismus 76
Regent 47
Schweiz 15 ff., 21 f, 32, 34 f., 38 ff., 54,65
Regierung 17,19,28,31,35 f, 70, 88 Reichsstände 67 Reinhard, Ewald 17 ff., 21 ff., 27 ff., 31 ff., 50, 57, 60 f., 64 f, 67, 73, 78,81 f. Religion 14,71 Religionsfreiheit 36
Schweizer Emigranten 21 Selbsthilfe 59, 90, 97 Solothum 3 I tT., 65 Sonderbundskrieg von 1847 34,69 Sonnenfels, Joseph Frhr. von 48
Religiosität 23, 45, 74
Sonntag, Wilhelm Hans von 40 f., 57, 60 f., 65, 81, 98
Repräsentation 25
Souverän 13, 39, 54, 89 f
Republik 16 tT., 21, 32, 37, 45, 50, 53 f., 64, 72, 75, 85 - helvetische 21 Republik Bem 17 tT., 45, 85 Restauration 15 f, 19, 22 f., 25, 27 tT., 42, 54, 57 tT., 64 tT., 73 f., 77, 82 f, 88 tT., 93, 96 f Revolution 17, 19 f., 27, 30, 34, 41, 60 tT., 65 f., 68, 74, 82 -französische 15, 17, 19f,41,60
Souveränität 39, 79 f., 85 Spanien 30 f - Ferdinand VII. 30,61,64 Staat 13 f, 25, 32, 37 f, 43 f, 46 f, 50 f, 53 tT., 58 tT., 63, 66, 68, 70, 72,74 tT., 83, 86, 88, 91, 98 f Staatenbund 41 - föderaler 21 Staatsbeamter 68 Staatsbedürfnis 68
Richter
Staatseigentum 39, 44, 52, 78, 80, 95
- oberster 52 Riedei, Karl 73 f Ritter, Emil 78, 81 Romantik 72, 81 Romantiker 71,86 Rousseau, Jean-Jacques 37, 58, 73
Staatsfinanzen 47,52,68 Staatsform 28, 38, 46, 50, 60, 72 Staatsgebiet 13,44,46,51,91,99 Staatsgemeinschaft 72 Staatsgewalt 13,80 Staatsgründung 75
Säkularisation 41 Salis-Soglio, Johann Graf von 3 I Staatslehre 78 f., 81
13, 15, 25, 29, 49, 71,
Staatsgüter 48, 68
111
Personen- und Sachverzeichnis - romantische 79
Theorie
Staatsmodell 45 f., 82
- konstitutionalistische 82
Staatsoberhaupt 68
Traditionalismus 72
Staatsrecht 15, 19, 23, 25 f1, 32, 38, 41 f., 44, 50, 55, 58, 66, 68, 70, 79,
81,83 StaatsrechtIer 15, 79 Staatstheorie 14 f., 23, 35, 62, 66, 72 f., 75, 81, 93, 98 Staatsverfassung 84 Staatsvermögen 47 Staatsverwaltung 68 Staatsvolk 53, 98 Staatsweisheit 38 Staatswesen 36, 40, 42 ff., 46, 51, 63 Staatswissenschaft 15 ff., 22 f., 27 ff., 38,42,57, 73, 77 f., 82 Staatszweck 68, 76 Stände 40, 68 Ständewesen 67 Stärke 81 Steuern 40, 48, 53, 70, 95 f. Stimmrecht 37 Stolleis, Michael 71 Sydow, R. von 33 f. System - tyrannisches 53 Systemtheorie 75
Überlegenheit 59, 85 Überordnung 43 f., 56, 59, 63, 78, 94 Überordnungsverhältnis 43 f., 56, 59,
63,78,94 unabhängig 59 Unabhängiger 47 Unabhängigkeit 37, 39 f., 43 f., 47, 51, 53 ff., 58 f., 85 f., 93 ff. Unabhängigkeitsmodell 78 Unabhängigster im Staate 28 Universität Göttingen 50 Untergebener 42 f., 45, 51 ff., 59, 61,
76,90,94,98
Unterordnung 44, 49 Unterordnungsverhältnis
43, 56, 59,
63,78,94 Untertan 13, 18,40,45,47 ff., 51 ff., 55 f., 58 f., 64, 68, 70, 76, 79, 89 f., 92 ff. Untertanenrecht 82, 97 Untertanenverhältnis 56 Usurpation 53 Usurpator 53
Vererbung 46
14, 29, 32 f., 35 ff., 39, 41,45,59,61,64,70,84
Verfassung Talleyrand, Charles Herzog von 17 Teilstaat 41
- aristokratische 35
Testament 47 f.
Verfassungsentwurf 19,35 f.
Theokratie 28, 44, 50, 58, 60, 77
Verfilgungsbeschränkung 48
Theologie 79
Vermögen 37,47,81,94 f.
112
Personen-
Vemunftgebot 80 Verordnung 63, 70, 90 Verteidigungspolitik 41 Vertrag 44,75,79,83,92,95 Vertragstheorie 75 Verwalter 44, 55, 67 f., 87 Vogt 55 Volk 13 f., 44, 49, 52 f, 63, 68, 70, 76 ff., 84 f, 89
~nd
Sachverzeichnis Weilenmann, Heinz 37 f., 40, 59, 72, 93,98 Weimar 21 f Widerstand 45, 62, 89 f., 97 f. - Recht auf - 53 Widerstandsrecht 52, 59, 97 f Wien 22, 24, 42 Willkürherrschaft 76 Wirtschaft 45,47,81
Volksherrschaft 99 Volkssouveränität 36, 58 Volksvertretung 36 volonte generale 37
Zippelius, Reinhold 40, 81, 83, 88 Zoll 48 Zölle 48
Wahl 37
Zürich 21, 40
Weber, Max 81
Zwangsrekrutierung 96