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German Pages 251 Year 1989
REINHARD MEHRING
Pathetisches Denken
Pathetisches Denken earl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundstellung und antimarxistische Hegelstrategie
Von
Reinhard Mehring
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Tite1aufnahme der Deutschen Bibliothek Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken: Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hege1s: katholische Grundstellung und antimarxistische Hege1strategie / von Reinhard Mehring. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06731-2
D25 Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06731-2
Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung einer politikwissenschaftlichen Dissertation, die im Herbst 1988 an der Universität Freiburg angenommen wurde. Professor Wilhelm Hennis betreute sie mit freundlicher Zuversicht. Neben Professor Hennis danke ich den Professoren F.A.Uehlein und F.A.Kittier als meinen philosophischen und germanistischen Lehrern. Meine Eltern unterstützten mich, mein Bruder übernahm die technische Leitung, Nike begleitete mich liebevoll interessiert. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Düsseldorf, im März 1989
Inhaltsverzeichnis 11
Einleitung
1. Die ideologiekritische Aufgabe ............... ...... ...............
11
a) Hypothese I: Politische Theologie .. ......... .. ........ .. .......
12
b) Legitimitätsdenken als Werkeinheit
14
2. Der Untertitel
...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Hypothese 11: Denkweg
16
. .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
b) Hypothese III: Der Leitfaden Hegel ............................
18
3. Der Stil des Werkes und das philologische Vorgehen .................
20
4. Forschungsstand
22 Teil I
Von der allgemeinen Positionsnahme zur konkreten Kritik
I. Schmitts kritische Suche seiner Grundstellung .................... ... ...
25
1. Jurisprudenz als praktische Wissenschaft
25
a) Der Schlüssel des Fiktionalismus
25
b) Die sittliche Funktion praktischer Fiktionen: Mythos
28
c) Die Spaltung des Fiktionalismus durch seine Politisierung ........ .
30
Literarisches Intermezzo ... ...... ........ .... ................ .
32
2. Die Schwärmer ............. ... ........... .... ............. . ... .
33
a) Kritik der Intellektuellen ................. . ................... .
33
b) Romantische Subjektivität
37
11. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes .............................. . 1. Der abendländische Geist
. ................................. ... .. .
2. Die Bestimmung des Absoluten als Transzendenz
.................. .
41 41 50
8
Inhaltsverzeichnis 3. Der Übergang zum Reich des Sohnes ..............................
52
III. Politische Form und allgemeine Feindbestimmung ......................
57
1. Von der Idee zur Institution
57
2. Form und Feind der Kirche
60
3. Der anthropologische Untergrund der Option für die politische Form
68
4. Die Bewahrung der Repräsentation ................................
72
IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
76
1. Souveränität und Legitimität
76
a) Legitimität der Neuzeit?
76 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
ab) Schmitts gegenrevolutionäre Stellung .......................
aa) Aufbau der "Politischen Theologie"
79
b) Die Ideengeschichte demokratischer Legitimität und das Lösungsmodell des politischen Mythos ....................................... 84 2. Fingierte Legitimitäten
87
a) Das Legitimationsproblem im Völkerrecht
87
aa) Das Postulat der Sichtbarkeit der Macht
87
ab) Die Forderung nach Homogenität ..........................
90
b) Der Begriff der homogenen Demokratie
........................
ba) Das politische Existential der Öffentlichkeit bb) Fingierung der Demokratie
92
.................
93
...............................
96
3. Die Suche der Eigenart durch "Ausscheidung" des Fremden a) Die zweideutige Vordenkerrolle ........... ~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 99
b) Das Programm einer substanziellen Rechtswissenschaft im Kampf gegen die "geistige Unterwerfung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 V. Hegel im Frühwerk und die Leitbegriffe von Schmitts politischer Theorie bei Hegel ............................................................. 105 1. Hegel im Frühwerk
106
2. Verdeutlichung des spekulativen Sinns von SchmiUs politischen Kernbegriffen durch Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 110 a) Homogenität: die Nation als Polis .............................. 111 b) Die Idee des Sittlichkeitsstaates und die Souveränität ............. 113
Inhaltsverzeichns
9
Teil II Staats-, Feind- und Gescbichtsdenken und die Autorisienmgsfunktion Hegels VI. Kampf um die politische Form ....................................... 122 122
1. Der Wille zum Staat
a) Hegels Staat
...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122
b) Schmitts Verfassungslehre c) Verfassungsgeschichtliche Vertiefung
123 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129
d) Hüter der Verfassung?
132
e) Die autoritäre Antwort
143
Exkurs zur Absetzung Schmitts von Weber ...................... 145 f) Die totalitäre Wendung ....................................... 150
2. Das Schicksal des Staates
158
3. Die Zerstörung der politischen Form
164
a) Der Wille zum menschlichen Ursprung des Krieges
165
b) Die Reichsidee .............................................. 169 VII. Feinddenken mit Hegel: Politische Dialektik
........................... 177
1. Der politische Gegensatz ......................................... 178
a) Fassungen und Deutungen .................................... 178 b) Der dialektische Ursprung des "Begriff des Politischen"
187
2. Reflexion des Gegensatzes
192
VIII. Ausbildung eines christlichen Geschichtsdenkens 1. Die Zusammenfassung des Großraumdenkens
194 194
a) Selbststilisierung b) Poetisierung des Kriegsgeschehens
182
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 195
c) Epische Vollendung des Völkerrechts ........................... 197 ca) Aufbau und epische Tendenz von "Nomos der Erde"
......... 197
cb) Rechtsbegriff ............................................ 200 cc) Einheit der Welt im Urwort Nomos
........................ 202
10
Inhaltsverzeichnis d) Der unverbesserliche Vorbehalt ................................ 204 e) Partisanenethos?
206
2. Hegelnahme als Brücke von der weltgeschichtlichen Betrachtung zur christlichen Mythisierung .............................................. 209 a) Einstückung des Mythos in die Geschichtsdialektik
.. . . . . . . . . . . .. 209
b) Mit Bauer und Cortes gegen die marxistische Sinngebung der Geschichte ................................................ , 212 c) Exkurs zum Verhältnis von Leid und Sinn
215
d) Das Geschichtsbild des Kat-echon
216
e) Geschichtsdialektik und Hegelnahme ........................... 218
o Zwischen Magie, Mythos und Selbststilisierung
. . . . . . . . . . . . . . . . .. 221
3. Resignation vor der politischen Christologie
222
4. Übergang zum Schluß: Eschatologie der Humanität
224
Zusammenfassung ...................................................... 228 Hinweise zur Zitierform und BibUographie .................................. 230 A. Siglen ......................................................... 230 B. Kürzel von Schrnitts Monographien
231
C. Aufsätze von Carl Schrnitt
232
D. Schmittforschung und allgemeine Literatur
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238
Einleitung 1. Die ideologiekritische Aufgabe Die Einordnung earl Schmitts bereitet Schwierigkeiten. Schmitt versteht sich als Jurist und politischer Theologe. Sein interdisziplinäres Werk läßt viele Lesarten zu und überfordert jede einzelne. Seiner begriffssoziologischen Methode, die in der Metaphysik den klarsten Ausdruck einer Epoche findet, folgen nur Wenige. Seine Positionen und Begriffe verändern in der heutigen Lage ihren Sinn. So lebt Schmitt von seinem schlechten Ruf: Er gilt als ein repräsentativer Fall. Der Streit um Schmitt hat viele Beweggründe. Er betrifft beispielsweise das Verhältnis der praktischen Wissenschaften zur Politik, die Deutung des Nationalsozialismus und die Frage nach der Kontinuität deutscher Geschichte und Verfassung. Ein Gesamtbild erfordert über systematische Aspekte hinausgehend eine werkbiographische Studie, weil Schmitts Denken sich im radikalen Befragen seiner Zeit bildete, und in diesem Sinne kann man Schmitt einen ,jüngsten Klassiker des politischen Denkens'l nennen. 1 Die Organisatoren der ersten Tagung über ,Carl Schmitts Stellung in der Rechts- und Geisteswissenschaft des 20. Jahrhunderts', die gut ein Jahr nach seinem Tod vom 1. bis 3. Oktober 1986 in Speyer stattfand, arbeiten in dieser Absicht Hand in Hand. Dies zeigt die Veröffentlichung der Vorträge und Diskussionsbeiträge (Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, (Hg) Quaritsch, Berlin 1988). Der Titel- complexio oppositorum - hebt die Meinungsvielfalt in einen Begriff Carl Schmitts auf. Der Band versammelt einige aufschlußreiche Vorträge, und die Diskussionsbeiträge sind gelegentlich so kontrovers, daß der Titel nicht unzutreffend ist. Der Band gliedert sich in vier Teile: 1. Zur Biographie, 2. Orientierungen, 3. Aus dem Werk, 4. Wirkungen. Man will den Beweis der Klassizität aus der Wirkung führen. Dabei wird auf die internationale Resonanz hingewiesen, um nahezulegen, daß der Klassiker lediglich im eigenen Lande wenig gälte. Die Publikationen, die Schmitt den Ruf des ,Kronjuristen' einbrachten, übergeht der dritte Teil weitgehend. Er behandelt die Feindtheorie (Miglio, Böckenförde, Freund), politische Theorie (Ulmen) und Demokratietheorie (Pasquino), aber auch zwei Vorträge zur Großraumtheorie (Kaiser, Feuerbach). Dies sind die Themen, durch die Schmitt klassisch werden soll. Teil zwei behandelt die Orientierungen zum Verständnis dieser zentralen Themen. Die Erschließung der Biographie gehört dazu: Mann und Werk. Quaritschs Einleitung gibt eine Leseanweisung: ,Über den Umgang mit Person und Werk Carl Schmitts' (dagegen Hofmann 1988). Willms endet mit einem Resümee, dessen Fragezeichen eingestandenermaßen (vgl. 595, 577f.) rhetorisch ist: ,Carl Schmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens?' Besonders diese Vorträge lassen vermuten, daß man Schmitt einen Bärendienst erweist, wenn man Ideologiekritik von ,Sontheimer und anderen Eiferern' als Mord am Werk erklärt (vgl. 16. 577f.), Schmitts Haltung mit Bodin geradezu gleichsetzt und einen zurechtgestutzten Schmitt als "Subjekt der wissenschaftlichen Welt" (17) präsentiert, für den vorab gelten soll: "Sein Verhalten in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, seine parteinehmenden Stellungnahmen überhaupt sind zeitgeschichtlich wichtig, im übrigen nur biographisch von Belang" (16).
12
Einleitung
In der Forschung wanderte die ideologiekritische Darstellung nach Fijalkowskis und von Krockows politischer Vergangenheits bewältigung über Maus und Rüthers in die Wissenschaftsgeschichte der Jurisprudenz ab. Dabei ging nicht nur einige Weite und Unruhe von Schmitts Denken verloren, sondern gerade das Unheimliche, das in der Hinneigung eines Christen zum Nationalsozialismus liegt. Schmitts politisches Werk wird von zwei katholischen Phasen umklammert: Wie ist dies möglich und welche Zusammenhänge bestehen? Böckenförde bemerkte schon vor über zwanzig Jahren: "Man kann aber das Werk Carl Schrnitts und seine Grundposition(en) kaum zureichend verstehen und diskutieren, wenn man nicht die zentralen Antriebe berücksichtigt, die es der Herkunft Carl Schmitts aus dem katholischen Volksteil der Kulturkampfzeit und seinem geistigen Erbe verdankt"2. Bendersky verdeutlichte diese Herkunft; es liegen aber weder genaue Studien zur theologischen Stellung Schrnitts vor, noch gibt es eine Darstellung der staatsrechtlichen und politischen Absichten im Zusammenhang dieser Prägungen. Ich versuche das Gesamtwerk als die kämpferische Entfaltung einer katholischen Grundstellung darzustellen. Sein Grundzug ist ideologisch und deshalb polemisch. Es spiegelt auf hohem Niveau entscheidende Schritte deutscher Geschichte über sechs Jahrzehnte. a) Hypothese I: Politische Theologie
Es ist offenbar, daß Schmitts Lageanalysen in der Beschreibung der Verfassungswirklichkeit nicht ihren letzten Sinn haben. Staatsrechtliches Begreifen erschöpft sich generell nicht in dieser Aufgabe, und Schmitt betont den polemischen Sinn seiner Arbeit. Seine positivismuskritische Grundhaltung führt den Juristen zur politischen Theologie: Intendiert sie primär eine theologische oder eine politische Kritik des status quo? Um die möglichen Deutungsmuster vorzuzeichnen, werden die hier maßgebenden Arbeiten von Hugo Ball und Hasso Hofmann einleitend diskutiert. Hugo Ball versteht Schmitt als einen Ideologen, Theologen und Katholiken und findet die "Einheit des Schmittschen Werkes"3 im "Problem der ratio"4. Er kennt 1924 die Monographien ,Politische Romantik', ,Politische Theologie', ,Die Diktatur' und ,Römischer Katholizismus und politische Form', aber nicht die Schlüsselschrift ,Nordlicht'. Vielleicht aus einer persönlicher Identifikation heraus 5 versteht Ball Schrnitts Denkweg als eine Entwicklung von einer ideologischen zur theologischen Form und erkennt die Begriffssoziologie als die Methode einer politischen Theologie, die von der "geschichtlichen Wirksamkeit aus und nicht abstrakt zum Absoluten zu gelangen"6 versucht. Böckenförde, Besprechung des Buches von Hofmann. In: DÖV 19 (1967), 689f. Hugo Ball, Carl Schmitts politische Theologie. In: Hochland 21 (1924),263/85,262. 4 Ball 263. 5 vgl. Ball, Die Flucht aus der Zeit, München 1927, vgl. Kennedy, Carl Schmitt und Hugo Ball: Ein Beitrag zum Thema ,Politischer Expressionismus'. In: ZfP 35 (1988), 143/162. 2
3
1. Die ideologiekritische Aufgabe
13
Schmitts gelegentliche Assoziationen an den zeitgenössischen Lebens- und Existenzbegriff irritieren die Forschung und verdecken den traditionellen Hintergrund der Argumentation. Ball vermeidet dieses Mißverständnis und bestimmt "Schmitt selbst als Rationalisten in der staatlichen, als Irrationalisten in der theologischen Reihe"7. Die Begriffssoziologie will nicht nur eine wissenschaftliche Methode, sondern auch ein Zugang zum Absoluten sein: "Die Einheit des Schmittschen Werkes beruht in der Erhellung der Vernunftbeziehungen zum Übervernünftigen als ihrem Formprinzip. Diese Beziehungen aber sind akkurat die Beziehungen der Jurisprudenz zur Theologie" 8 . Damit hat Ball die metaphysische Dimension der politischen Theologie grundsätzlich entdeckt: Schmitts politische Theologie ist nicht nur ein "akademisches Forschungsprogramm" (Lübbe)9. Das Mandarinentum lO des universitären Betriebs erscheint ihm wenig besser als das ,Buribunkentum' (Schmitt) der Literaten. Gegenüber den moralisch und metaphysisch indifferenten Intellektuellen erneuert er den religiösen Sinn der Wissenschaft. Heidegger nennt die theoria "das hütende Schauen der Wahrheit" 11; Gadamer schreibt: "Theoria ist wirkliche Teilnahme, kein Tun, sondern ein Erleiden (Pathos)"12. Dieses denkerische Pathos richtet sich auf die Gegenwart, weil die Erhebung zum Absoluten im christlichen Raum eine Parteinahme im Wahrheitsgeschehen der Geschichte verlangt. Ich nenne Schmitts leidenschaftliche Verstrickung in diese Aufgabe, den Zeitgeist zu seiner Wahrheit zu erheben, sein pathetisches Denken, das nicht nur zu groben Verzeichnungen führt, die ihre Quelle im Zweifel an der Legitimität der Neuzeit haben, sondern auch zu einer fatalen Verkennung der Gestalt des Bösen. Schmitts politischer Kampf läßt an seinen katholischen Motiven zweifeln. Deshalb kann Hofmann die politische Theologie auf einen Legitimierungszweck zurückführen. Beneyto beschreibt dann die ,Politische Theologie als politische Theorie'. Schmitt zitiert gegen ein solches Verständnis den alten Hobbes: His Lordship has catched nothing 13 . Ein Autorenkreis um den verstorbenen Jacob Taubes rezipiert Schmitt wieder als einen gläubigen politischen Theologen, ohne bisher eine Gesamtdarstellung vorzulegen. Unlängst haben jedoch Scheer für die Souveränitätslehre und Heinrich Meier für den ,Begriff des Politischen' theologische Implikationen aufgezeigt.
6 Ball 1924, 282. Bolz sieht hier die Nähe zu Walter Benjamin. Für beide gewinne "jeder Begriff metaphysische Dignität nur aus seinem Geschichtskern" (Bolz 1983, 259). 7 Ball 276. 8 Ball 282. 9 Lübbe. In: Taubes 1985,47. 10 vgl. F. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, Stuttgart 1983. 11 Heidegger 1978b, 49. 12 Gadamer 118, vgl. Dilthey GS II, 7. 13 vgl. 1965b (L) 147, 161 ff.
14
Einleitung b) Legitimitätsdenken als Werkeinheit
Hofmanns ,Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schrnitts' widerspricht 1964 der politisch-theologischen Deutung: Bei Hofmann "bleibt das Problem der theologischen Bezüge im Werk Carl Schmitts völlig unerörtert"14. Er versteht Schmitts Denkform als eine Strategie, ,Legitimität gegen Legalität' auszuspielen, und unternimmt eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung des Wegs der politischen Philosophie auf dem Hintergrund des rechtsphilosophischen Themas der Legitimation öffentlicher MachtlS . Die klare Darstellung schließt in ihrer Grundlinie an Löwith an, hatte Hofmann das "Thema doch sozusagen aus Karl Löwiths Heidelberger Seminar über Nietzsche mitgebracht" 16. Während die Einzelanalysen weitgehend akzeptiert werden können, wirft die Entwicklungslinie Fragen auf. Hofmann sieht eine Entwicklung von rationaler zu irrationaler Legitimität und markiert eine ,Wendung' vom Rationalismus zum ,Legitimitätsproblem des politischen Existentialismus'. Dieser dritte Teil schildert in Anschluß an Löwith und in ständiger Rücksicht auf Heideggers ,Sein und Zeit' eine konsequente Entwicklung irrationaler Legitimität als den Übergang von der plebiszitären zur rassischen und zur geschichtlichen Legitimität. Welche innere Grenze hat der Leitfaden Legitimität? Der entscheidende Übergang von einer rechtsphilosophischen Problemfrage zu einer existentiellen Position bleibt unklar. Hofmann integriert geistesgeschichtliche Hintergründe, beschränkt sich aber auf die rechtsphilosophische Fragestellung und verzichtet auf eine Einordnung des Existentialismus. Schmitts ,Wendung vom Rationalismus zum Existentialismus' vermittelt er über die ideologische Grundhaltung und idealtypische Methode l7 • Daß Hofmann die Begriffssoziologie in ihrer theologischen Absicht nicht ernst nimmt und die politische Bedeutung von Legitimität als Kampfbegriff der Restauration übergeht, wird in der Meinung anschaulich, Schmitt habe "nur" auf die "Bedeutung des Katholizismus für die Methodik der Rechtswissenschaft hingewiesen"18. Dies entwickelt Beneyto zur Betrugsthese: Nach einem solchen Verständnis gab Schmitt Mitte der 20er Jahre, vielleicht im biographischen Zusammenhang mit seinem Scheidungsprozeß und seiner Exkommunikation, seine katholische Bindung auf1 9 und lief zu einem existentialistisch getönten Nihilismus über. Nach Hofmann hebt Schmitt denn auch das kirchliche Formprinzip der Repräsentation in eine Identitätstheorie auf. 14 Böckenförde. In: DÖV 20 (1967), 689, vgl. orientierend Berger, Zur Staatslehre earl Schmitts. In: Hochland (1967), 67/76. IS vgl. Hofmann 16f. 16 Hofmann 1988, 546. 17 vgl. Hofmann 87ff., 126. 18 Hofmann 58, vgl. Vollrath ZfP 1989, 161 ff. 19 vgl. R üthers 159 ff.
1. Die ideologiekritische Aufgabe
15
Hofmann erkennt, daß die rationalistische Grundhaltung des Frühwerks in einer ideologischen und idealtypischen Methode überlebt, die der Ausdruck eines Willens zur politischen Existenzerhellung sei; nichts ist "wichtiger für den Staatsrechtler Carl Schmitt, als stets ,auf der Höhe der Zeit' zu sein, in immer neuen Analysen den geistigen ,Ort der Gegenwart' im Prozeß der Geschichte zu bestimmen"2o. Aber warum? Hier nähert Hofmann sich der politischen Theologie, gibt dann aber eine politische Erklärung: Schmitt kämpfe gegen die Legitimität des status quo, gegen den Parlamentarismus und das Völkerrecht auf Grundlage der demokratischen Legitimität: "Nur eine einzige Legitimitätsvorstellung schien Schmitt noch in Geltung: die plebiszitäre Legitimität"21. Wie Löwith hält Hofmann den Übergang vom nationalen zum rassischen Mythos für deren konsequente "Erfüllung"22; Schmitt fehle die ideologische Resistenz und stehe in einer negativen Affinität zum Nationalsozialismus: "Schmitts neuer Ansatz- und Ausgangspunkt ist eine doppelte Negation, außenpolitisch und innerstaatlich, nicht dagegen eine irgendwie gefestigte Position"23. Hofmann verschränkt eine geistesgeschichtliche und politische Deutung, wobei der Existentialismus aber als ein traditionsloser Ansatz bei der nackten ,Faktizität'24 erscheint. Momente von Idealität zeigen sich lediglich in der Schreckensvision vom letzten Menschen 2s . Zu einer Verzeichnung führt der fehlende Rekurs auf die Quellen des leitenden Existentialismusbegriffs, wenn Hofmann Schmitts Unterscheidung von Geschichtsphilosophie und -theologie entgeht, und er die geschichtliche Legitimität des Spätwerks durch ,Sein und Zeit' verdeutlicht. Hofmann übersieht eine christliche Zurücknahme des Dezisionismus, wenn er vom "welthistorischen Dezisionismus"26 spricht. Für den Gegensatz von maritimer und terraner Existenz ist dies noch plausibe127 ; die Analogie zu ,Sein und Zeit' wird aber überzogen. Gerade die Berücksichtigung des späten Heidegger hätte auf eine Fortentwicklung hinweisen können. Hofmann meint zu Schmitts Geschichtsbild: An "Stelle des Todes als absolutem Orientierungspunkt der Daseinsanalytik Heideggers /tritt/ bei Carl Schmitt das Leere, das Neue"28. Gerade diesen Nihilismus integriert Schmitt aber in eine heilsgeschichtliche Wertung der Weltgeschichte. Deshalb muß man aufSchmitts Christentum zurückfragen. Nimmt man dies Bekenntnis ernst genug, um dem Gesamtwerk die Hypothese einer politischen Theologie zu unterstellen, so Hofmann 89. Hofmann 100. 22 Hofmann 197. 23 Hofmann 101, vgl. 109f. 24 vgl. Hofmann 106. 2S vgl. Hofmann 112f., vgl. das Motto von GM: ,Seid ihr glücklich?/ Wir sind mächtig!' (Byron). 26 Hofmann 171. 27 vgl. Hofmann 232; er verweist zurecht auf Hegel (236). 28 Hofmann 247. 20 21
16
Einleitung
relativiert man den politischen Sinn von Hofmanns Leitfaden, denn vom stilisierten Spätwerk aus scheint der Legitimitätsaspekt auch einen restaurativen und theologischen Sinn zu haben.
2. Der Untertitel ,Denkweg am Leitfaden Hegels' assoziiert das Selbstverständnis Heideggers 29 - Denkweg - mit einem Terminus Nietzsches - Leitfaden - und evoziert Nomotheten deutscher Ideengeschichte, zwischen denen Schmitts Werk zu ,verorten' ist. Nachdem die maßgebenden Deutungsansätze vorgestellt wurden, führt eine Erläuterung des Untertitels in das Vorhaben der Arbeit ein. a) Hypothese 11: Denkweg
Die Veröffentlichung der ,Positionen und Begriffe' nahm Ernst RudolfHuber 1941 zum Anlaß einer ersten umfassenden ,Auseinandersetzung mit earl Schmitt'30. Während Huber die ,Grundlagen der Staatstheorie' nach ihrer polemischen Richtung isoliert darstellt, gelangt er unter Einbeziehung der Monographien zu einer werkbiographischen Darstellung von Schmitts ,Neubau der Völkerrechtslehre' . Dieser Wechsel der Darstellungsform von der isolierenden Analyse der Polemik zu einer umfassenden Rekonstruktion ist sachlich begründet, denn gerade in den völkerrechtlichen Schriften argumentiert Schmitt offen nationalistisch, während der Kampf gegen Weimar mehr polemisch geführt wird. In der juristischen Denkart oder Methode zeigt sich dagegen kein einheitlicher Gesichtspunkt, der eine einheitliche Darstellung ermöglichen würde. Von den neueren Darstellungen beschreiben Fijalkowski und Schmitz die innere Entwicklung des politischen Denkens. Schmitz erhebt 1964 ,Die Freund-Feind-Theorie earl Schmitts' ins Zentrum und beansprucht im Untertitel, deren ,Entwurf und Entfaltung' darzustellen. Der Entwurf ist aber spät angesetzt, wenn Schmitz die Abstraktion der Feindtheorie 31 zum Ausgangspunkt nimmt. Umständlich deutet er das Werk als eine politische Theorie, ohne den ,Begriff des Politischen' mit seinen philosophischen, historischen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen in den Griff zu bekommen. Brauchbarer ist seine ,Geschichte von Schmitts Begriff des Politischen', die die Schriften der nationalsozialistischen Zeit unter dem innen- und außenpolitischen Gesichtspunkt als ,Substanzialisierung' und ,Verortung' des Feind-Kriteriums gliedert. Fijalkowskis ,Die Wendung zum Führerstaat' von 1958 vertritt eine provozierendere These zum Denkweg earl Schmitts. Die Studie versucht die Werkeinheit aus einer vorgängigen politischen Option zu bestimmen. Fijalkowski versteht 29 30 31
vgl. o. Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, 1963. Huber ZgStW 101 (1941), 1/44. vgl. R. Koselleck, Vergangene Zukunft, Frankfurt 1979,258.
2. Der Untertitel
17
seine Arbeit als ,Ideologiekritik'32 im Anschluß an Mannheim und sieht die innere Einheit von Schmitts Werk in einer ,Option für den totalen Führerstaat' . Der Darstellungsschwerpunkt liegt auf den innenpolitischen Schriften bis 1934. Die Arbeit fußt auf einer These zum dialektischen Charakter der politischen Entwicklung 33 ; ihr gelingt aber nur der Nachweis, daß Schmitt Wirklichkeit an Idealtypen mißt, ohne zu zeigen, daß Schmitt sich "zum Interpreten und Verfassungskonstrukteur des neuen Reiches"34- gemäß der entwickelten Maßstäbe macht. "Carl Schmitts rechtsstaatliche Postulate" (Teil I) entsprechen seiner Deutung des Nationalsozialismus nicht. Die Rückblende auf eine vorgängige Option ist deshalb unhaltbar und erklärt darüber hinaus nicht, wie Schmitts Position sich entwickelte. Eine Gesamtdarstellung verlangt nach einem einheitlichen Gesichtspunkt. Wenn sich aber weder in der Rechtstheorie noch in den politischen Schriften eine einfache Position offen zeigt, kann man vom diskontinuierlichen - occasionellen - Charakter des Werkes ausgehen, oder einen Versuch machen, die Einheit des Werkes auf seine ideellen Motive zurückzuverlegen, obwohl die Quellenlage nur eine Umrißbestimmung der Grundstellung zuläßt. Die Gedankenkreise des Werkes stehen phänomenologisch gesprochen in einem Fundierungszusammenhang und sind werk biographisch als lagebewußte, kämpferische Entfaltung einer Grundstellung zu beschreiben. Schmitts Werk entfaltet ohne grundsätzliche Wendung ein gefundenes weltanschauliches Axiom. Seine ideologische Stellung wird in zwei Hauptmomenten - katholische Grundstellung und ,Hegelnahme' (Schmitt) - beschrieben, um die politische Kritik auf die ideellen Motive zu verweisen. Es ist üblich geworden, Schmitts Werk als Polemik im 32 Fijalkowski XXIf; unprofiliert ist Fijalkowski, Das politische Problem der Feindschaft. In: PVS 6 (1965),105/111. 33 Fijalkowski stellt die "Frage, wie Kritik und Apologie im Werk und Denken Schmitts zusammengehören" (3). Zur kritischen Argumentationsform bemerkt er, daß Schmitt seine Analysen der Verfassungswirklichkeit zu idealtypischen Konstruktionen radikalisiert, um die Wirklichkeit durch eine "solche Radikalisierung der Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit" (4) zu richten. "Das Urteil aber, wann die Abwertung der Wirklichkeit die Grenze der Legitimität überschreitet / ... / ist selbst ein politisches Urteil" (6). Durch diese kritische Argumentationsfigur habe Schmitts Werk das "Gepräge einer rationalisierten Ideologie" (5). Problematischer ist Fijalkowskis weitergehender Versuch, das ideologische Moment in einer vorgängigen "Option für den totalen Führerstaat" (dagegen PT 11, 78ff., 82) zu entdecken. "Die Kritik wird dem methodischen Zugang nach immanent, der politischen Absicht nach aber transzendent, nämlich um der Verwirklichung entgegengesetzter politischer Ideen willen geübt". Fijalkowski entwickelt seine Auffassung konsequent, indem er Idealtypus und Wirklichkeit in der Kapitelgliederung gegenüberstellt. Die Abstraktion der Sollensvorstellungen konfrontiert er mit Schmitts Darstellung der entarteten Verfassungswirklichkeit. Die Idealtypen kritisiert er dann als Vereinfachungen und Vereinseitigungen (vgl. 64). Zur Relativierung stellt Fijalkowski dem ,falschen Bewußtsein' (vgl. 214) ein Gegenbild entgegen. Fijalkowski betreibt Vergangenheitsbewältigung zur Stärkung des republikanischen Bewußtseins, was einer Arbeit von 1958 gut ziemt. Eine vorgängige Option für den totalen Führerstaat konnte zum Zeitpunkt der Optionsnahme jedoch nur nebulös sein. 34 Fijalkowski 141.
2 Mehring
18
Einleitung
Kontext der Zeit zu verstehen 3S ; es hat aber auch eine innere Folgerichtigkeit, die einmal weitgehend abgesehen von Zeiteinflüssen in wichtigen Schritten darzustellen ist. Am Leitfaden Hegels gliedert die Arbeit sich in zwei Hauptteile, wobei das Jahr 1930 eine Grenze markiert. Der erste Teil beschreibt eine Entwicklung Von der allgemeinen Positionsnahme zur konkreten Kritik. Der zweite Teil behandelt Schmitts Form-, Feind- und Geschichtsdenken von einer Autorisierungsfunktion Hegels ausgehend. b) Hypothese III: Der Leitfaden Hegel
Wenn man Carl Schmitt als einen politischen Theoretiker liest, stellt sich die Frage nach seinem Verhältnis zu den Klassikern. Bendersky nennt Hobbes, Machiavelli, Cortes, Bodin 36 • Eine neuere Liste ist noch länger 37, Hegels Name fehlt aber. Jede Einordnung gestaltet an einem Schmittbild. Eine apologetische oder auch liberale Deutung rückt Hobbes ins Zentrum, die linke Kritik stellt Schmitt gern in die gegenrevolutionäre Nachfolge von Cortes, die existentialistische Deutung rückt ihn an den selten erwähnten Kierkegaard und sucht Analogien zu Heidegger. Wenn die Kritik sich zum Nihilismusvorwurf steigert, kommt der von Schrnitt verschwiegene Nietzsche ins Spiel. Gelegentlich werden weitere Autoren genannt: Weber, Benjamin, Spengler, Jünger, sogar Benjamin Disraeli. Auch der von Schmitt selbst genannte Konrad Weiß wird meist übergangen; die Interpreten glauben ihrem Text nicht. Unbefangener Lektüre fällt dagegen auf, daß Schmitt immer wieder einen Kreis von Autoren nennt, die das verfassungsgeschichtliche Entscheidungsjahr 1848 reflektieren. Neben Kierkegaard und Cortes werden hier von Stein, Cortes, Tocqueville, Bauer, Proudhon, Marx, Engels, Bakunin wichtig. Jeder dieser Autoren hat eine begrenzte Bedeutung, die Nachforschungen verdient. Auch Lenin und Lukacs rezipierte Schrnitt nicht nur polemisch. Es gehört zum Signum des Werkes, Argumentationsfiguren der Linken gegen sie zu verwenden, wie die Linke sich heute bei Schmitt bedient. Den Einfluß einiger wichtiger Klassiker - Kierkegaard, Marx, Nietzsche, Weber - verschweigt er, der Einfluß anderer - Hobbes, Cortes - wird überschätzt. Den Einfluß des sachlich insgesamt wichtigsten Theoretikers verschweigt Schmitt nicht: er versteckt ihn! Hegel steht im Frühwerk noch an gebotener Stelle. Nachdem Schmitt im Marxismus aber seinen Feind erkannte, gerät Hegel durch die marxistische Rezeptionslinie ins Zwielicht. Schmitt versteckt ihn deshalb in der ausgefeilten Textstrategie seiner Werkstilisierung. 3S Schmitts Lehre von der Zeitgebundenheit aller politischen Begriffe, die PT 11 gegen Peterson ins Feld führt, nimmt Muth beim Wort und unternimmt eine methodisch programmatische (vgl. 1971,81 ff., 140) Auslegung von ,Legalität und Legitimität', die der Schrift den zeitgeschichtlichen Kontext zurückgibt (vgl. auch Muths Kritik an Hofmann 81 ff.). Benderskys Biographie führt dieses Programm knapp durch. 36 vgl. Bendersky 59. 37 Lobkowicz 1987.
2. Der Untertitel
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Der mit Superlativen wählerische Schmitt nennt den ,großen Hegel'38 auch: ,großer Schwabe'39, ,großer Soziologe'40, der ,größte deutsche Staatsphilosoph'4l und ,größte Philosoph'42, schließlich ,der Philosoph'43, aber auch ,der geniale U nglücksrabe'44, den seine illegitimen Kinder - die marxistische HegelLinie - verrieten. Zahlreiche Bücher enden 4s mit Hegelverweisen, zahlreiche Zitate wirken merkwürdig unsachlich 4ö • Die Forschung übergeht diese Spuren und Urteile meist. Die Ursachen hierfür liegen in Schmitts Textstrategie, im tradierten Schmittbild, in den Rezeptionsinteressen und der feindlichen Haltung derjenigen, die es besser wissen könnten, insbesondere Löwith und Marcuse. Huber widmet der ,Kritik an Hegel' drei berichtigende Seiten41, Laufer bemüht sich48 , Sombart deutet manches an 49 • Neumann sieht eine "Funktionalisierung der Philosophie Hegels" so, ohne der Sache nachzugehen. Gelegentlich finden sich Verweise Sl . Hofmann stieß philologisch auf Hegels Bedeutung, seine Orientierung an Heidegger verstellte aber die Auswertung der Textfunde. So urteilt er in einer langen Fußnote: "Keinen anderen Autor hat earl Schmitt in seinen Frühschriften so oft und so ausführlich zitiert wie Hege!. Schmitt zollt damit der zu Beginn dieses Jahrhunderts einsetzenden Hegel-Renaissance seinen Tribut. Die Berührung blieb aber oberflächlich". Hofmann sprengt aber sein eigenes Urteil, wenn er in Kenntnis auch entlegener Textstellen feststellt: "Nichtsdestoweniger reflektiert Schmitt in wichtigen Wendepunkten stets auf Hegel"s2. Unlängst erschienen erste ,Anmerkungen zum Verhältnis zwischen ECS 27. N 55. 40 HH 70 . 41 1933b, 247. 42 PB 192. 43 ECS 90. 44 1955e, 1958a, 269, vgl. VRA 428. 45 vgl. WdS 109, L 131 (vgl. 9), NE 299, ECS 90, DC 114 (der ,präsente Gott' ist Hegels Staat; vgl. HP 27, ARSPh 1937, 631), TP 95, LM Nachbemerkung 1981. Schmitt stuft Hobbes-Hegel (vgl. L 9, BOr., NE 65, VRA 58, TP 95), Hegel-Mystiker (N 55, WdS 108 fT., ECS 90f.). 46 Man lese nur die Anmerkungen zu HH! . 47 Huber ZgStW 1941, 8/11. Huber geht von der Erwartung aus, daß Hegel der Gewährsmann des Ordnungsdenkens werde. Er erkennt, daß Schmitt trotz seiner Wertschätzung des preußischen Staates eine "Ietzte und unüberwindliche Reserve gegenüber Hegel und seiner Staatsphilosophie" (8) habe. Auf Anfrage teilte Professor Huber am 3.2.1988 freundlich mit, er halte Schmitt für einen "Nicht-Hegelianer". 48 vgl. Laufer 287 fT. 49 vgl. Sombart 1986, 248. 50 Neumann 1983a, 161 r. 51 vgl. typisch Baldus 1987, 573, Demandt 1988, 29. 52 Hofmann 54 FN, vgl. 205. Hofmann übergeht die Hegelautorisierungen im Feinddenken. Wohl deshalb gelangt er nicht zur Sprengung der ideengeschichtlichen Klischees. Hofmann erkennt Hegel als "Leitbild" (123, vgl. f) des Staatsdenkens, nennt 38
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2*
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Einleitung
earl Schmitt und Hegel'. Kervegans systematisch orientierte Studie geht von Gemeinsamkeiten insbesondere in der Staatsethik aus, um im Verhältnis zur Negativität einen Unterschied zwischen Schmitts ,Politik und JHegels/ Vernünftigkeit'53 zu machen. Damit gelangt er in ihre unterschiedlichen theologischen Voraussetzungen. Schmitts Hegelverweise sind Autorisierungen in systematischer und polemischer Absicht: eine antimarxistische Hegelstrategie. Schmitt möchte den Atheismus und Marxismus im ,Schritt zurück' (Heidegger) auf den verratenen Stammvater Hegel tilgen. Seine Hegelnahme erfolgt nicht in wissenschaftlicher Form, denn die Dialektik gilt ihm als ein protestantisches und revolutionäres Prinzip, das die wahre Natur Gottes verkennt. Schmitts antimarxistische Hegelstrategie ist die politische und ästhetische Kryptik des publizierten Werkes, sein Bekenntnis, aber nicht sein Glaube. 3. Der Stil des Werkes und das philologische Vorgehen Es gehört zum Reiz des Werkes, daß Schmitt sich formbewußt in den Grenzen seiner Disziplin bewegt. Eigentlich theologische oder philosophische Studien finden sich nicht, obwohl der Nachlaß Überraschungen bergen mag. Aber dies beweist nur, daß Schmitt seinem Werk, soweit dies möglich war, eine eigenständige Abgeschlossenheit zustilisierte. Ich unterstelle dem publizierten Werk deshalb im hermeneutischen ,Vorgriff der Vollkommenheit' (Gadamer)54 eine philologische Totalität. Ein förmlicher und stilisierender Zug war nach den Schmitts Großraumdenken eine "geopolitische Auferstehung" von "Hegels List der Vernunft" (171) und entdeckt die Autorisierung der Dialektik von LM (vg!. 239), verdrängt diese aber in die Fußnote, da er Schmitts Geschichtsdenken mit Heidegger vergleicht. 53 vg!. Kervegan, Politik und Vernünftigkeit. Anmerkungen zum Verhältnis zwischen earl Schmitt und Hege!. In: Der Staat 27 (1988), 371/391. Kervegan geht von Übereinstimmungen in der Staatsethik (375ff.), der Kritik am kosmopolitischen Universalismus (381) und sogar der Diktaturauffassung aus (381 ff.), um ,prinzipielle Verschiedenheiten' (373f.) zwischen Schmitt und Hegel zu erörtern. "Zwischen ihnen besteht / ... / ein sozusagen wissenschaftstheoretischer Gegensatz, der hauptsächlich das Verständnis der Negativität betrifft" (387). Damit gelangt Kervegan in den Kern der Sache. Er hält an der Auffassung fest, Schmitts Denkform sei dezisionistisch (vg!. 371 ff., 383), und unterscheidet die in Antithetik perennierende Politik von der spekulativen Vernunft. Schmitt gehe von der unergründlich gegebenen Feindschaft als der ,absoluten Negativität des Politischen' (387) aus, während Hegels Vernünftigkeit sich darin erweise, daß er das Politische als ein Moment der Staatenwelt begreift und den Primat des Staates vor dem Politischen behauptet. Die transparente Studie konzentriert sich auf eine systematisch entscheidende Differenz, ohne Schmitts Verhältnis zu Hegel philologisch umfassend ausleuchten oder seine theologische Auffasung der Negativität ergründen zu wollen. Geht Schmitt wirklich von der unversöhnlichen Realität des Bösen aus? Schmitt hebt die Feindschaft in eine Feindbestimmung auf. Die souveräne Feindbestimmung ist als politischer Ursprung der Unterscheidung strukturidentisch mit trinitarischen Vorstellungen. 54 vg!. Gadamer 277 f.
3. Der Stil des Werkes und das philologische Vorgehen
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Beschreibungen Schmitt auch persönlich eigen. So änderte er die Schreibweise seines Vornamens, so nahm er den Namen seiner ersten Frau auf. ,Der unbekannte Donoso Cortes' ist ein verdecktes Selbstportrait 55 . In Schrnitts Stil sieht man ein Geheimnis seines Erfolges und ordnet ihn trotz der klaren Diktion wohl unwillkürlich der romantischen Tradition zu, der die sachliche und entfaltende Ausgewogenheit fehlt. Das Werk kennzeichnet ein schöpferischer Wille zu Formen und Formeln. Schmitt schreibt knapp und dicht, fragmentarisch, polemisch, hintersinnig, eigenwillig. Er gibt eine geschichtsphilosophische Begründung für seine deutlicher noch bei Heidegger zu findende Bevorzugung der kleineren Formate und Formen, die spätestens seit Nietzsche zum Gemeinplatz der Geisteswissenschaften wurde: "Die Zeit der Systeme ist vorbei"56. Welche Formen hat Schmitt gepflegt? Gerade die bekanntesten Schriften ,Katholizismus', ,Politische Theologie', ,Geistesgeschichtliche Lage', ,Begriff des Politischen', ,Legalität und Legitimität', ,Land und Meer', ,Theorie des Partisanen' - sind nur einige dutzend Seiten starke Broschüren. Gerade der Flugschrift entwachsen gelten sie als lesbare Bücher. Diese Schriften wollen geistreich wirken. Schmitt entwickelt eine für seine Zwischenstellung bezeichnende, etwas preziöse Form: das Corollarium. "In dem Dilemma zwischen System und Aphorismus bleibt nur ein Ausweg" 57. In der Entscheidung zwischen Hegel und Nietzsche entwickelt er das Corollarium als einen ausgeführten Aphorismus. Seit den zwanziger Jahren ist die Formel der konzentrierteste Ausdruck, den Schmitt sucht 58, eine gelehrte Parole mit theologischem vgl. DC 67/79. BP 17, vgl. VL 10; deshalb ist Kaufmanns Fragestellung verfehlt (1988). 57 BP 17, vgl. Isensee. In: Quaritsch 1988, 301. 58 Definitionen sind Ausdruck eines Begriffswillens: ,subjektiver Occasionalismus', ,complexio oppositorum', ,pouvouir neutre'. Die Sprache verweist auf die Herkunft. Schmitt bildet Begriffspaare, die als Zusammenstellung von Unzusammengehörigem überraschen. In dieser Bezugsetzung liegt eine antithetische Spannung, die insbesondere im ,Freund-Feind-Kriterium' deutlich wird. Schmitt bedient sich der Alliteration "Jeder politische Begriff ist ein polemischer Begriff" (HP 5) -, die Politik und Polemik zusammenklingen läßt. Die Formel stellt Schmitt gern als Fanfare an den Anfang einer Schrift. LM beginnt: ,Der Mensch ist ein Landwesen, ein Landtreter' . Die komische Verfremdung mit aggressiver Tendenz paßt zum Charakter der Schrift. Die Apodiktik fallt auf: ,Der Mensch ist'. "Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe" (PT 49). Donnerwetter! Der moderne Staat hat sich doch gerade von der Kirche befreit! Wieder überrascht die Zusammenstellung des Getrennten. Die bekanntesten Formeln gewinnen über ihre perspektivische Verblüffung (vgl. Chr. Meier 1988, 542) hinaus Evidenz. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" (PT 11). Der kritische Leser vermißt vielleicht nur das Wörtchen ,auch'. Der ,Begriff des Politischen' gewinnt eine geradezu tautologische Evidenz. "Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus" (BP 20). Sinn macht dies erst nach genauem Studium. Dann erscheint die Formel geradezu als der ,spekulative Satz' (Hegel) des Schmittschen Denkens. Schmitt schneidet Perspektiven ins Gedächtnis. ,Wir denken die Rechtsbegriffe um', assoziiere ich formelhaft aus einer Kampfschrift der 30er Jahre. Schmitt liefert Schlagworte für Akademiker. Das repräsentative Beispiel der Wirkung 55
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Einleitung
Hintersinn. Darüber hinaus traut Schmitt einfachen Namen Autorität zu: Leviathan! Hegel! Schmitt verstößt gegen Gebote der Wissenschaft, wenn er seine Selbstdeutung und Werkstilisierung schwer zugänglich ausklingen läßt: Kurzrezensionen, Zeitungsartikel, Leserbriefe, Gedichte gehören zur Werkstrategie. Selbst die umfangreiche Korrespondenz dient dem Werk, zog sie doch Schüler heran. Esoterik war in der politischen Ideengeschichte unter den Bedingungen der Zensur meist ein Selbstschutz; bei Schmitt gerät sie zum Gelehrtennarzißmus. Der innere Grund des Umschlags eines ausgeprägten Stils in eine Manier ist der Verlust des präsenten Feindes. Schmitt steht nicht mehr im Zentrum der Ereignisse, und seine Arbeit droht mit dem Verlust des konkreten Gegners ihren Sinn zu verlieren. Wenn man die literarische Gestalt des Spätwerks analysiert, kann man seinen Gehalt freier beurteilen. Schmitts Formwille prägt aber nicht nur stilistische Eigenheiten aus, sondern schafft vor allem überaus klar konzipierte Werke, deren Sinngefüge oft schon die Gliederung prägnant formuliert. Die Aufbauanalyse der Werke erweist sich deshalb als ein überaus fruchtbarer Zugang. 4. Forschungsstand
Die Fülle der Forschung besteht aus Rezensionen, kurzen Polemiken, Festpräsenten und Vergangenheitsbewältigung. Anläßlich von Schmitts Tod Ostern 1985 fixieren die Nekrologe und Erwiderungen erneut alle Klischees S9 • In den letzten Jahren wurden mit Ausnahme der Monographien zum nationalsozialistischen System die wichtigsten Werke neu aufgelegt. Im Gedenkjahr 1988 erschienen einige wichtige Aufsätze, Sammelbände und Monographien 60 • Sachlich stehen die klassischen Themen weiter im Vordergrund: die politische Theologie 6 1, die Liberalismuskritik 62 und die Stellung zwischen 1930 und 1936. Das Interesse am ,Begriff des Politischen' schien abzunehmen, wurde aber wieder zentral 63 • Die Großraumtheorie wird diskussionsfähig, da Schmitt uns dieser Technik ist die spontane Reaktion Jüngers auf den BP. Ihm bleibt nur epigrammatische Zustimmung. "Denn der Grad Ihrer unmittelbaren Evidenz ist so stark, daß jede Stellungnahme überflüssig wird" (eit. Chr. Meier 1988, 542, Mühleisen 1988, 110). 59 vgl. auswertend Seifert 1985, 193, Maschke 1987. 60 vgl. Quaritsch (dazu Hofmann 1988, Schnur 1988), Rüthers, H. Meier, Kaufmann, HansenjLietzmann 1988. Mohlers Literaturanzeige ,Carl Schmitt in neuer Sicht' (In: Das Historisch-Politische Buch 26 (1988),161 f.) übergeht Rüthers und zeigt Maschkes ebenso ärgerliche wie unbedeutende ,Apologie und Polemik' (1987) als ,zweifellos wichtigste Neuerscheinung' an (vgl. auch Quaritsch. In: Der Staat 27 (1988), 303j6). 61 vgl. Taubes 1985, Koslowski 1982, Beneyto 1983, Böckenförde 1983, Schindler jScholz 1983, Scheer 1987, H. Meier 1988, Nicoletti 1988, Ulmen 1988. 62 vgl. HansenjLietzmann 1988. 63 vgl. Schelsky 1983, Pasquino 1986, Preuß 1986, Bürger 1986, Schefold 1986, Böckenförde 1988, Kennedy 1988a.
4. Forschungsstand
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geschichtlich wird 64 • Man versucht seine Gestalt 65 in ihrer kritischen Phase 66 durch Kontrastierungen mit Autoren wie Heller 6 7, Kelsen 68, Kirchheimer 69 , Franz Neumann 70 , FraenkeFl, Marcuse 72 und Benjamin 73 zu verdeutlichen, eine Methode, die in Wirkungs- 74 und Rezeptionsgeschichte 75 übergeht und die ältere Methode der Analogisierung mit Autoren wie Heidegger, Jünger oder Freyer 76 ablöst. Schmitts Parteinahme gibt seinem Werk eine exemplarische Bedeutung. Jede Faszination für den Wissenschaftler muß sich seinen politischen Konsequenzen stellen, wenn sie nicht naiv bleiben will. Dies gilt auch für neuere Versuche, Schmitt über seine Wirkungs geschichte und geisteswissenschaftliche Stellung zu rehabilitieren: Alle Schmittforschung ist politisch, weil sie auf die Parteinahme als Brennpunkt des Werkes bezogen bleibt. Das biographische und auch psychologische Interesse hängt damit zusammen, wie sich bei Bendersky (1983) zeigt, der die Biographie zum Werkverständnis heranzieht 77 • Die Forschungstendenz führt bei den Monographien nach 1945 von den politischen Einstellungen zu den katholischen Quellen. Schneider sichert zunächst (1957) das Werk. Dann steht die politische Kritik im Vordergrund (von Krockow 1958, Fijalkowski 1958, Laufer 1961, Schmitz 1965). Hofmann (1964) und Kodalle (1973) bilden einen Übergang zur politischen Theologie, indem sie deren politische Bedeutung reflektieren. Beneyto überzieht diese Tendenz (1983). In den siebziger Jahren tritt das Staatsdenken stärker ins Interesse der Forschung (Schwab 1970, Bentin 1972, Maus 1976, Neumann 1980). Rumpf (1972) scheitert an der These, Schmitts ideengeschichtlicher Ort sei bei Hobbes zu suchen. Ein systematischer Zugriff (Kaufmann 1988) scheitert ebenfalls. Ein bedeutender Versuch, den ideellen Ort des Werkes zu bestimmen, liegt jetzt von Heinrich Meier (1988) vor. vgl. Demandt 1988, Feuerbach 1988, Kaiser 1988. vgl. Straub 1979, Bendersky 1983, Wieland 1987, Tommissen 1988. 66 vgl. Kaiser 1984, Hösle 1987, Rüthers 1988, Lauermann 1988. 67 vgl. Kaiser 1984, Pasquino 1985a. 68 vgl. Mant! 1982, Rasehorn 1985. 69 vgl. Neumann 1981, Kennedy 1986. 70 vgl. Neumann 1984b. 71 vgl. Pasquino 1985. 72 vgl. Patt 1984. 73 vgl. Bolz 1983. 74 vgl. Beneyto 1983, Rasehorn 1985b, Baldus 1987, Müller 1987, Quaritsch 1988 Teil 4 (,Wirkungen'), Schieder 1989. 7S Zur Debatte um den Einfluß auf die Frankfurter Schule vgl. Kennedy 1986, Söllner 1986, Jay 1987, Preuß 1987, Maschke 1987, Haungs 1988; zum internationalen Forschungsstand vgl. Maschke 1986, 1987, Baldus 1987, Haselbach 1988. 76 Goldschmidt/Hund 1983. 77 vgl. auch Straub 1981; Schmitts periodisierender Rückblick stellt Lebensphasen mit dem Zeitgeist zusammen, den er durch repräsentative Gestalten veranschaulicht (vgl. v. Medern. In: Quaritsch 1988, 105). 64
6S
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Einleitung
Schmitts Werk zeigt einen Ideologen in der Defensive: Schmitt steigert den Wissenschaftsglauben zur Passion und pervertiert ihn deshalb. Ein eminent zeitgebundenes Werk wird zur Privatmythologie abgeschlossen, die es zu entziffern gilt.
Teil I
Von der allgemeinen Positionsnahme zur konkreten Kritik I. Schmitts kritische Suche seiner Grundstellung Schmitt neigt sich philosophischen Methoden zu, zieht sich aber, wenn Grundbegriffe berührt sind, auf die Rechtswissenschaft zurück. Verglichen mit anderen Rechtstheoretikern seiner Zeit - Stammler, Binder, Kelsen, Radbruch, Larenz - fehlen ihm die Dogmatik und die systematische Explikation seiner Grundlagen: Er hat keine Rechtsphilosophie geschrieben. Seine Selbstverständigung erfolgt in anderen Formen l und knüpft an die Zeitgenossen Vaihinger und Rathenau an. Während die Rathenaukritik in die Kulturkritik und Sozialphilosophie führt, ist die Vaihingerrezeption für Schmitts Wissenschaftsbegriff und seine erkenntnistheoretische und sittliche Grundstellung aufschlußreich. 1. Jurisprudenz als praktische Wissenschaft a) Der Schlüssel des Fiktionalismus
Schmitts erster Aufsatz ,Über Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des kunstgerechten operativen Eingriffs' führt 1910 das prägnante Rechtsproblem des ärztlichen Eingriffs "auf die elementarsten Probleme der Strafrechtssystematik" 2 , vielleicht schon des Rechtspositivismus überhaupt 3 zurück. Die Abgrenzung des operativen Eingriffs vom Verbrechen ist das Ausgangsproblem des Aufsatzes. Das "Rechtsgefühl" wolle "um jeden Preis eine juridische Begründung"4, die gepreßten Rechtfertigungen, die dem Tatbe1 Es liegen bisher nur zwei genaue Untersuchungen des Frühwerks vor. Hofmann zeigt auf, daß bereits im Frühwerk das Problem der Rechtsverwirklichung zentral ist. Nicoletti (Die Ursprünge von earl Schmitts Politischer Theologie, 1988, vgl. Ulmen 1988) erkennt dies philosophisch als ein problematisch gespanntes Vermittlungsdenken. Danach macht Schmitt die Vermittlung einer dualistischen Ausgangsstellung im Begriff der Entscheidung, später im Begriff der Repräsentation. Hegel bildet einen Übergang (vgl. 117). Im Ergebnis zeigt Nicoletti, daß die katholische Repräsentation für Schmitt die Lösung einer dualen Ausgangsspannung ist. 2 ZgStW 1910,468. 3 vgl. ZgStW 1910, 475. Hofmann versteht die "Anfänge" als "Reaktion auf den staatsrechtlichen Positivismus" und rechnet das Frühwerk zum "damaligen deutschen Neuidealismus" (31). 4 ZgStW 1910, 474.
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Teill: I. Schmitts kritische Suche seiner Grundstellung
stand der operativen Körperverletzung seine Rechtswidrigkeit absprechen möchten, gefährden aber die Systematik des Strafrechts, die besser durch eine gesetzliche RegelungS zu wahren sei. Schmitts Lösung liegt in einer Trennung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit. Vaihingers 1911 erschienene ,Philosophie des Als-Ob' weist dann den Weg einer pragmatischen Auffassung der Stellung der Rechtswissenschaft und des Geistes zur Wirklichkeit. Eine Rezension in der Deutschen Juristen-Zeitung - ,Juristische Fiktionen' - betont dem Publikationsorgan gemäß die "praktische Verwertbarkeit der Fiktion für Wissenschaft und Rechtspraxis" und nennt die Jurisprudenz eine "praktische Wissenschaft" 6 • Dies bekräftigt Vaihinger 7 • Nicoletti machte auf Schmitts Nähe zum Pragmatismus aufmerksam 8 , dessen Wahrheitsbegriff Kolakowski folgendermaßen erläutert: "Wahrhaftigkeit ist nichts anderes als die Nützlichkeit der Anerkennung des Urteils im Hinblick auf unsere Praxis. / ... / Wahrhaftigkeit ist demnach keine Relation zwischen Urteil und Sachverhalt, sondern zwischen dem Urteil und den möglichen Satisfaktionen"9. Ein Rechtssystem ist nach Schmitt weder falsch noch wahr oder vorläufig verifiziert, sondern funktioniert unter der Voraussetzung seiner intersubjektiven Anerkennung. Die Theorie habe dabei den Status einer fruchtbaren Fiktion, "einer juristischen Konstruktion /liege/ die Voraussetzung von etwas nur Gedachtem zugrunde"lo. Es kommt Schmitt "nicht auf die Wirklichkeit von etwas ZgStW 1910,478. DJZ 1913b, 804, vgl. Hennis, Politik und praktische Philosophie, Neuwied und Berlin 1963. 7 Der Titel von Schmitts Rezension entspricht einer Kapitelüberschrift Vaihingers (2. 1913,46/49). Demnach fordert Schmitt eine spezielle Anwendung. Vaihinger gibt einen nietzscheanisch zugespitzten Kantianismus. Der Erfolg der Veröffentlichung 1911 liegt nicht zuletzt in dieser zeitgemäßen Verbindung der beiden Hauptströmungen Nietzscheanismus und Neukantianismus. In seiner Selbstverständigung behandelt Vaihinger neben Kant,Vorberg und Lange auch Nietzsche. Vaihinger begründete die Kant-Studien und die Kantgesellschaft und schrieb ein Nietzschebuch, ,Nietzsche als Philosoph' (3. 1905). Er entwarf seine Philosophie aber zu einer Zeit, als Nietzsche allenfalls einigen Wagnerianern ein Begriff war. Die selbstständige "Richtungsähnlichkeit" (Lukäcs IX, 338) belegt die Geschichtlichkeit der Auslegung des Geistes. Schrnitt zieht eine Parallele zwischen Vaihinger und Nietzsche (vgl. 1912d, 349) und bestimmt Nietzsche als ein "spätes Stadium der Selbstzersetzung des deutschen Idealismus" (DC 107, vgl. 11,89). Die Bedeutung der Vaihingerrezeption für Schmitts Begriffsbildung betont Muth (1971, 143ff.). 8 Nicoletti 1988, 111. 9 L. Kolakowski, Philosophie des Positivismus, München 1971, 189. Pragmatismus kennzeichnet die Auffassung des Intellekts als Mittel im Dienst des Lebens. Die Handlungssphäre wird das "methodische Fundament aller intentionalen Sonderformen" (In: Gethmann-Siefert 1988, 147, 144). Schmitt rezipierte neben Sorel und Bergson von dem Pragmatismus zugerechneten Autoren auch W. James als politischen Theologen des relativistischen Liberalismus (vgl. PB 135, 142, WdK 12). Gethmann zeigt ,pragmatische Tendenzen in der Philosophie am Jahrhundertbeginn' (In: (Hg) Stachowiak, Pragmatik Bd. 2, Hamburg 1987). Iherings ,Zweck im Recht' begründete eine pragmatische Betrachtung des Rechts (vgl. Forsthoff ZgStW 96 (1936), 62). 10 DJZ 1913b, 804. 5
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1. Jurisprudenz als praktische Wissenschaft
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Gedachtem, sondern auf die praktische Verwertbarkeit" 11 an. ,Wert des Staates' distanziert sich von Vaihinger, weil dessen Fiktionalismus noch nicht konsequent wahrheitsindifTerent sei 12. Schrnitt versteht den Fiktionalismus auch als eine allgemeine Methode kritischer Rationalität, meint aber, daß Jurisprudenz und Mathematik die "Fiktion in reinster Form herausgebildet"13 haben: Mathematik als eine theoretische und Jurisprudenz als eine praktische Wissenschaft. Dieser pragmatische "Antwortcharakter"14 kennzeichnet Schmitts ganzes Werk, das die Lage nicht nur begreifen, sondern gerade in ihren kritischen Phasen bewältigen will. Die Monographie ,Gesetz und Urteil' nennt 1912 in einer Fußnote die "Stellung der juristischen Tätigkeit in der Wissenschaftslehre /vorsichtiger ... / ein wichtiges und ungelöstes Problem"ls und umschreibt diese Tätigkeit als eine Praxis und Kunst. Der Studie liegt die Unterscheidung von Rechtslehre und Rechtspraxis zugrunde l6 . Während ,Wert des Staates' sich entschieden rechtsphilosophisch orientiert 17 , ist ,Gesetz und Urteil' praxisorientiert und "wendet sich an die Praxis, die es zum Gegenstand hat"18. Schmitt versteht die Rechtstheorie als eine "bewußte Dienerin der Praxis"19 und bezeichnet den "Handlungsbegriff' als den "Zentralbegriff der Rechtswissenschaft"20, ohne aus der Erkenntnis des rechtsschöpfenden Moments in der richterlichen Entscheidung freirechtliche Konsequenzen ziehen zu wollen. Im Anhang verortet ,Gesetz und Urteil' die Jurisprudenz bereits ,zwischen Theologie und Technik'21 und rückt die "Methode" und "Gesinnung"22 des Juristen gegenüber (Iherings) Übertragungen naturwissenschaftlicher Methoden aufgrund der "Bedeutung der richterlichen Persönlichkeit"23 näher an die Theologie. Hier zeigt sich die religiöse Herkunft des ,Personalismus'24, der sich für Schmitt im Politischen vollendet. Die Fruchtbarkeit einer fiktionalistischen Ausklammerung der Wahrheitsfrage bewies schon 1910 Schrnitts methodisch bewußte Dissertation ,Über Schuld DJZ 1913b, 805. vgl. WdS 102, 104f. 13 DJZ 1913b, 805, vgl. GU 58. 14 Böckenförde. In: DÖV 20 (1967),689. 15 GU 54, vgl. WdS 13. 16 vgl. GU VIIf, 37, 58ff., WdS 12, DJZ 1913b, 806. Die Unterscheidung von Theorie und Praxis wirkt in den Aufbau der PR und D hinein. 17 vgl. WdS 10f. 18 GU VIII. 19 GU 59. 20 WdS 13. 21 vgl. VRA 427, NE Vorwort, 39, ECS 74. 22 GU 125, 127. 23 GD 126, vgl. Forsthoff 1941b, 14,22. 24 vgl. E. Gilson, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, Wien 1950, 215ff. 11
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Teil I: I. Schmitts kritische Suche seiner Grundstellung
und Schuldarten. Eine terminologische Untersuchung', die davon ausgeht, daß für das "praktische Ziel dieser Abhandlung"2S eine analytische "Nominaldefinition"26 der Schuld genüge. Diese Vorgehen wendet sich gegen Radbruch und setzt die kantianische Kritik des Psychologismus voraus, die Husserl philosophisch vorgeführt hat 27 . Die Ausgangsdefinition gilt Schmitt als ein analytisches Urteil, seiner Arbeit liegen aber "alle philosophischen Ambitionen" fern: "Mit der erwähnten Nominaldefinition der Schuld ist die Möglichkeit einer Definition der Strafschuld des geltenden Rechtes gegeben, und man ist nicht gezwungen, mit einem apriorischen Schuld begriffe an das Strafrecht heranzutreten und dieses an ihm zu meistern"28. ,Über Schuld und Schuldarten' verfügt hier noch nicht über den Begriff der Fiktion; ,Gesetz und Urteil' versteht dann den Willen des Gesetzes unter Verweis auf Vaihinger 29 als eine "praktisch wertvolle herrschende Fiktion"30. Schmitt kritisiert eine ,absurde'3i Dogmatisierung: "Der Gesetzgeber wird konstruiert, nicht rekonstruiert"32. Seine "Formel" ist eine Maxime zur Feststellung der Richtigkeit der richterlichen Entscheidung: "Eine richterliche Entscheidung ist heute dann richtig, wenn anzunehmen ist, daß ein anderer Richter ebenso entschieden hätte. ,Ein anderer Richter' bedeutet hier den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten Juristen"33. Die Selbstbindung des Richters an das Gesetz betrachtet ,Gesetz und Urteil' als die regulative Idee des richtigen Rechts. Diese Annahme läßt sich, wie schon das Vorbild des kategorischen Imperativs, als eine Fiktion verstehen. Um freirechtlicher Willkür zu entgehen, unterstellt sie einen empirischen Typus des Richters, den man vom späteren Kampf um die Juristenschulung aus gleichgeschaltet zu nennen versucht ist. Später formuliert Schmitt die Fiktionalität zentraler Begriffe ohne Verweis auf Vaihinger. b) Die sittliche Funktion praktischer Fiktionen: Mythos
,Der Wahnmonolog und eine Philosophie des Als-Ob' prüft 1912 im Hausorgan des Bayreuther Kreises 34 , ob der fiktionalistische Standpunkt als ein 25 SCHSCH 19, vgl. Nicoletti 1988, 109fT., vgl. auch E. Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre, Mannheim 1928, 51f. 26 SCHSCH § 2, vgl. 16f. 27 vgl. Husserl, Logische Untersuchungen (1900), vgl. Heideggers Dissertation ,Die Lehre vom Urteil im Psychologismus' (1914). 28 SCHSCH 20. 29 vgl. GU 14, 26, 31, 37, 42f. 30 GU 42, vgl. Hofmann 32, Heller GS 11, 81 fT. 31 vgl. SchSch 27. 32 GU 33. 33 GU 71. 34 vgl. W. Schüler, Der Bayreuther Kreis. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung, München 1971, 67fT.
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generelles Praxisprinzip taugt, und betont die Geltung sittlicher Fiktionen, deren "Bedeutung wesentlich in der Sphäre des ethischen Lebens liegt"35. Am Beispiel von Hans Sachsens Wahnmonolog zeigt Schmitt den "Prozess der Mythenbildung" , daß der Mensch im Wahn "in eine andere Sphäre gehoben" wird, und ihm die Welt zu schwinden scheint, bis die Reflexion "wieder herunter zum tätigen Leben" steigt und der Mensch eine "neue Teilnahme am Leben" gewinnt. Schmitt beschreibt diese Verrückung und Rückkehr zur Anerkennung der moralischen Irrationalität der Welt in Begriffen der idealistischen Tradition. Er spielt auf Platons Höhlengleichnis und Kants praktische Philosophie an und bezeichnet das intelligible Reich der Freiheit als eine Wahnwelt. Schmitt steigert den Idealismus bis zum Wahnsinn, um den Menschen mit seiner Freiheit zu konfrontieren. Kant baute seine Moralphilosophie auf eine Fiktion, der Idee der Freiheit in praktischer Rücksicht 36 . Schmitt radikalisiert diese Auffassung zur "Erkenntnis der Nützlichkeit und Verwendbarkeit des Wahnes", dessen praktische "Unumgänglichkeit"37 er anerkennt. Anstelle eines ,Vernunftglaubens' (Kant) tritt ein Mythos, den man als eine kollektiv geltende, praktische Fiktion verstehen kann. Die Zerstörung der vernünftigen Form des Sittlichen beginnt mit der Erkenntnis ihrer Unzulänglichkeit. Man kann diese Entwicklung schon an der Geburtsstätte des Deutschen Idealismus bei Kant selbst ansetzen, wie Hegels Kantkritik dokumentiert. Der idealistische Rationalismus ist im Grunde selbst ein mythischer "Glauben an die Macht des Geistes". Hegels Berliner Antrittsrede formuliert dieses idealistische Credo sogar als einen sittlichen Imperativ: "der Mensch soll sich selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten" 38. Die Berufung auf den Mythos bedeutet deshalb keinen schlechten Irrationalismus. Schmitt meint schon 1912, daß "Fiktionen auch in der praktischen Philosophie unentbehrlich sind. Es war ein grosser Irrtum, zu meinen, mit dem Nachweis ihrer Irrealität seien sie widerlegt. Damit ist den Symbolen und dem Mythos die rechte Stelle gewiesen"39. In der Moralphilosophie geht mit der Auslegung der Vernunft als Wahn, die eine Entfremdung von Geist und Sein ausspricht, zunächst die weltbürgerliche Allgemeinheit des Sittengesetzes verloren, die Kant aus der reinen Form der Vernunft entwickelt. Die fiktioflalistische Kritik bewirkt eine Auflösung sittlicher Normen zu einem moralischen Solipsismus. Aber der Wahn verallgemeinert sich in einem zweiten Schritt zum ,Massenwahn' (Freud) und Mythos. Die neue Intersubjektivität moralischer Vorstellungen wird nicht mehr rationalistisch begründet, sondern aus einem gemeinsamen Glauben gewonnen. Es ist 35 Bayreuther Blätter 1912a, 240 . 36 Kants Reich der Zwecke bezeichnet Vaihinger als Fiktion (vgl. Philosophie des Als-
Ob, 2. 1913, 647fT.). 37 1912a, 241. 38 Hegel X 404. 39 1912a, 240, vgl. PR 225.
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vielleicht nicht unwichtig, daß Schrnitt dies im Zusammenhang mit Wagner entwickelt. Der Einfluß der Ideenwelt des Bayreuther Kreises auf den Wagnerliebhaber ist unerforscht. ,Don Quichotte und das Publikum' bestätigt die Interpretation, daß Schmitt die praktische Vernunft als einen Wahn auslegt, dessen Handlungsmaximen er aber in einem zweiten Schritt erneut verallgemeinert. In der Figur des Don Quichotte findet er eine "interessante Philosophie des Als-Ob", deren credo quia absurdum er in eine ausdrücklich nietzscheanische Formel faßt: "Ich glaube an meine Dulzinea, weil es nicht darauf ankommt, ob es eine gibt" 40 • Schmitt nennt das Publikum das "mythenbildende Subjekt"41; es erkennt in Don Quichotte einen ,wahren Menschen'42 und versteht die ,menschliche Größe'43 einer Liebe, die trotz ihrer wahnhaften Züge Lebenssinn und Seelenglück stiftet. Der fiktionalistische Standpunkt berührt hier das Religiöse und rettet den übervernünftigen Standpunkt des Glaubens ins positivistische Zeitalter, wie schon Freud erkannte 44 • Diese Auslegung des Glaubens als eine seelisch und sittlich heilsame Fiktion spielt in die Vaihingerrezeption hinein, die weit über die rechtswissenschaftliche Methodologie und das Frühwerk hinausweist. Bevor Schmitt sich im ,Nordlicht' und in der ,Romantik' mit der abendländischen Metaphysik auseinandersetzt, erhebt er den Glaubensstandpunkt über jede Kritik. c) Die Spaltung des Fiktionalismus durch seine Politisierung
Schrnitt entwickelt den Fiktionalismus zur Theorie des politischen Mythos. Da er in die Fallstricke eines Schlagwortes gerät, ist es wichtig, einen frühen Wortgebrauch nachzuweisen, den Zusammenhang mit Vaihinger herzustellen und die Aufspaltung des Begriffs der Fiktion in einen sozialen Mythos und einen leeren Normativismus zu erkennen 4s . In der Dialektik von Legalität und Abendlande 1912d, 349. 1912d, 348. 42 1912d, 349. 43 1912d,350. 44 vgl. Freud, Die Zukunft einer Illusion, GW XIV, 351. 4S Weber meint, daß der moderne Rechtspositivismus den ,sehnsüchtigen Gedanken an ein überpositives Recht' provoziert habe, den die neukantianische Rechtsphilosophie zur "Verheißung ohne wirkliche Erfüllung" (WuG 508) steigere. Er sieht in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft eine "Flucht in das Irrationale", die eine "Parallelerscheidung der Irrationalisierung des Religiösen" (WuG 509) sei, und spricht davon, daß erst durch den Rationalismus der empirischen Wissenschaften "die Religion zunehmend aus dem Reich des Rationalen ins Irrationale verdrängt und nun erst: die irrationale oder antirationale überpersönliche Macht schlechthin" (RS I, 564) geworden sei. Dies gelte für alle persönlichen Erlösungswege und somit für eine sinnhafte Lebensführung überhaupt, nachdem die Berufsidee zum gespenstisch leeren Gehäuse wurde. Weber begreift, daß die modernen Rationalisierungstendenzen einen Bezirk des Irrationalen ausgrenzen, in die sie gerade die persönlichen Werte und Erlösungswege verdrängen. Das Irrationale ist für 40
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Legitimität findet Schmitt später die juristische Formel für diese lebensphilosophische Frage nach dem Verhältnis der Seele zu den Formen. Die ,Romantik' versteht den politischen Mythos als das Antiromantische schlechthin. Lebensphilosophisch beeinflußt glaubt Schmitt an eine Geburt des Mythos aus dem Ereignis des Krieges: "Nur im wirklichen Krieg entsteht ein Mythus"46. Dies war eine Grunderfahrung der Konservativen Revolutionäre, an der Schmitt nur vom Schreibtisch aus teilhatte 47 • Krieg meint hier einen schöpferischen Höhepunkt des Politischen: Die "Schöpfung eines politischen oder historischen Mythos entspringt politischer Aktivität"48. Die ,Geistesgeschichtliche Lage' betont den voluntaristischen Antiintellektualismus sozialer Mythen und vernachlässigt jene gemeinschaftsstiftende Kraft, die die Kriegspublizistik im ersten Weltkrieges feierte 49 , und die Barth für Sorel betont: "Der Mythus setzt der Vereinzelung der Menschen ein Ende, er hebt die Isolation auf / ... / Er ist die organisierende Mitte" 50. Diese sittliche Einigungsfunktion ist auch für Schmitt wichtig, der aber insbesondere die politische Kraft des Mythos erörtert, die "Grundlage einer neuen Autorität"51 zu bilden. Der Hoffnung auf die erneuernde Kraft des Mythos korrespondiert eine Polemik gegen den Normativismus, die seit den 20er Jahren das Werk durchzieht. Schmitts politische Theologie erwächst der Radikalisierung des Deutschen Idealismus zu einem pragmatistischen Fiktionalismus; deshalb bleibt sein Glaube gebrochen. Ein Glaubensakt unterscheidet mythische und normative Fiktionen. Lübbe macht die subjektive Überzeugung zum Kriterium einer Ideologie gegenüber Weber nichts Antirationales, sondern eine Geburt der Rationalität. Der modeme Rationalismus schafft einen irrationalen Bezirk in sich. Das phytagoreische Komma steigert Weber zum Symbol der "irrationalen Einschläge in der Rationalisierung" (RS I, 253). Ähnliche Gedanken finden sich bei Robert Musil, von Törleß' Interesse an den imaginären Zahlen bis Ulrichs und Agathes Reise ins Paradies. Musils Essays geben davon Rechenschaft, daß die Dichtung diese Utopie in Wahrheit erfülle. So sei ein "nichtratioides Gebiet" das "Heimatland des Dichters" (Musil, GW (Hg) Frist':, Reinbek 1978, Bd. II, 1028f., vgl. 1006f., 1049, 1055, 1143ff.). Weber und Musil variieren höchst bedeutend das lebensphilosophische Thema des Verhältnisses der Seele zu den Formen. Schmitt wirft dieser Generation ihre ,Kulturuntergangsstimmung' (vgl. BP 92) vor und findet hinter den überkommenen Formen legitime, legalitätsstiftende Kräfte. 4(j PR 225. Am Schluß der Erstausgabe von LM (Rec1am 1942) heißt es zum ,neuen Nomos unseres Planeten': "Nur im Kampf kann er entstehen" (LM 1942,76). In der hier sonst zitierten Neuauflage von 1981 fehlt dieser Satz! NE hatte sich ja bekehrt: "Es sind die Friedfertigen, denen das Erdreich versprochen ist. Auch der Gedanke eines neuen Nomos wird sich nur ihnen erschließen" (NE Vorwort). 47 vgl. biographisch Tommissen 1988, 76, Kaufmann 32. Immerhin war Schmitt in München als Unteroffizier und Beamter auf Widerruf bis zum 1.7.1919 im Heeresdienst. 48 PR 225. 49 vgl. Scheler, Der Krieg als Gesamterlebnis (GW IV, 269ff.), vgl. Lübbe, Die philosophischen Ideen von 1914. In: Lübbe 1963. so H. Barth, Masse und Mythos, Hamburg 1959, 70, vgl. 83, 92f., 117. 51 GLP 89.
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einem betrügerischen Propagandismus s2 • Der Mythos wäre demnach eine legitime Ideologie, der Normativismus dagegen in Anschluß an Hegel S3 nur ein Betrug des abstrakten Verstandes, der eine Bestimmung verabsolutiert und das vielfältige Leben verkennt, das allein die dialektische Vernunft begreift. Dieser Mythosbegriffist ein ,Dilemma des Konservatismus' (Greiffenhagen), der in der Moderne seine Naivität verloren hat und den Glauben aus politischen Erwägungen fordert. Greiffenhagen schreibt: "Die Mythosbesessenheit der Konservativen Revolution trägt alle Zeichen einer Religion des Als-Ob"S4. Die neuen Jünger des Mythos sind im Herzen Revolutionäre, die ihren eigenen Mythen nicht glauben. Neben die Spaltung des Fiktionalismus in Normativismus und Mythos tritt deshalb die Unterscheidung von Mystagogen und Gläubigen. Vielleicht unterscheidet sich Schmitt von der jüngeren Generation der Konservativen Revolution durch seine katholische Bindung Ss . Der politische Mythos ist aber nach Nietzsehe im Allgemeinen nicht mehr christlich. Schmitt sucht eine mythische Lösung der Gegenwartskrise und vertritt unzeitgemäß den christlichen Mythos, wenn auch nicht ohne Zweifel, Brüche und Fragwürdigkeiten. Zum politischen Betrug an den Gläubigen tritt ein Betrug an der Konservativen Revolution. Literarisches Intermezzo
Schmitt bedenkt die Grundstellung Vaihingers gestaltend weiter. Die Kurzprosa: Der ,Spiegel', die Geschichte des Franz Morphenius, wirkt poetisch gesucht und unverständlich. Der Ich-Erzähler will durch eine "wahre Geschichte" eine ,etwas seltsame Theorie stützen'. Er zeigt eine Stelle, "an der die Identität der sogenannten geistigen Welt mit der sogenannten Wirklichkeit augenscheinlich wird, da sollte jeder Philosoph aufmerksam werden"s6. Das Spiegelmotiv läßt im Kontext von Idealismus und Romantik eine narzißtische Größenphantasie vermuten; Franzens Selbstgefühl ist aber deprimiert. Was der Ich-Erzähler als ein Exempel für die Identität von Subjektivität und Objektivität ankündigt, gewinnt seinen poetischen Spielraum aus dem Zerfall einer mühsam stabilisierten Harmonie von Körper und Seele. Die Liebe, im vgl. Lübbe 1963, 14ff. vgl. GU 15. Mit Hegels Polemik gegen den formellen Verstand (vgl. XVII 230, 232, 334, II 575ff.) beginnt ein Ausspielen von Vernunft und Verstand. Schmitt zeigt dies ideengeschichtlich seit Tönnies (vgl. 1960a). 54 Greiffenhagen 281, vgl. Maschke 1988, 218, Heller GS H, 522f., 506 ("Der Mythus eines Sorel, Pareto und Mussolini besitzt aber immer nur Als-üb-Charakter"). 55 vgl. Quaritsch 1988, 155 ff. 56 1912b, 62. Jahrzehnte später (1955f.) gewinnt Schmitt poetischen Spielraum ganz analog' und durch die Aufspaltung der Hegeischen Begriffsidentifikation von Substanz und Subjekt. Er allegorisiert einen Kernsatz der ,Phänomenologie des Geistes', wonach "das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken" sei, zu einer Ballade über das Verhältnis von Volk und Herrschaft in der jüngsten Geschichte. 52 53
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Platonismus die Kraft des Aufschwungs, gestaltet die Erzählung aus der Sicht eines depressiven Jünglings. Liebeskummer entrückt Franz, der zur passiven Vernunft, zum Spiegel, wird: "Er machte sich alles zu eigen". Zweimal schwingt Franz sich liebend zur weltsetzenden Geistigkeit auf, zweimal zerbrechen diese Identifizierungen. Die abgesplitterten Partialiche ziehen jene Lehre, die als Motto von ,Wert des Staates' anklingt und die preußische Staatsethik von Hegel bis Schmitt zu bestimmen scheint: "Sie gaben das falsche Sichdünken ,Ich bin' auf 1...1Ihre Seele ging auf in der Weltseele, wo jede Individualität verschwindet" 57. Man kann den Text zum Zeugnis eines ödipal gekränkten Selbstgefühls nehmen, das alle Selbstwertschätzung auf die öffentliche Anerkennung verlagert. Diese Deutung bestätigen die ,Schattenrisse'. Der Gestaltungsversuch fügt den genetischen Gesichtspunkt 58 in den transzendentalen ein. Die Skizze eines katastrophalen Bildungsprozesses erfüllt die Forderung, bei der "Rekonstruktion der Gründungsakte des Vernunftsubjektes"59 die Opferlogik des Autonomisierungsprozesses aufzuzeigen. Indem Schmitt einen in den Liebeswahn entrückten Jüngling vorstellt, wendet er den fiktionalistischen Gesichtspunkt auf die Subjektivität und beginnt seine Kritik des modernen Menschen, die von der Intellektuellenschelte über die Romantikkritik zur Kritik des Bürgertums verläuft. Der ,Spiegel' gestaltet die fiktionalistische Bewußtseinshaltung zum poetischen Vorspiel der Kritik jener Schwärmer, die nach der Auflösung allgemeiner Normen das Geisterreich unverantworteter Intellektualität bevölkern. Die Ausgangsstellung des Frühwerks wird zu einem Konfliktmodell umgestaltet, das das Leben aus der Perspektive des in sich versponnenen Geistes sehnend in den Blick nimmt. Diese Haltung schiebt Schmitt auf die Intellektuellen ab und verdrängt seine Zugehörigkeit zum Reich der Schwärmer. Die eigene Selbstverkerkerung bekennt er später als die ,Weisheit der Zelle'. 2. Die Schwärmer a) Kritik der Intellektuellen
,Don Quichotte und das Publikum' ermöglicht die Kritik des Literaten durch eine rezeptionstheoretische Unterscheidung von Deutung und Wertung. Schmitt unterscheidet die Deutung des Publikums von intellektualistischen Wertungen. Als eine gelehrte Rezeption nennt er Hegel, als naive Interpretation einen "naive/nl Dualismus"6, der die praktische Bedeutung des Wahnes nicht erkennt. Schmitt gibt dem "soliden Standpunkt" des "normalen Menschen57
58
46ff.
1912b, 62, vgl. WdS 37 ("Zuerst ist das Gebot, die Menschen kommen später"). vgl. D. Rapaport, Die Struktur der psychoanalytischen Theorie, Stuttgart 3. 1973,
59 G./H. Böhme, Das Andere der Vernunft, Frankfurt 1983, 18, vgl. Hörisch, Gott, Geld, Glück, Frankfurt 1983, Bolz. In: PRd 32 (1985), 158ff. 60 Rheinlande 1912d, 349.
3 Mehring
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verstandes"61 gegenüber eigenwilligen Bewertungen der Intellektuellen Recht; er hält sich an die kollektive Deutung, nicht aber an die Wertung 62 des Publikums. Angesichts der prekären Stellung des freien Geistes insistiert er auf der soliden Deutung und überwindet Nietzsches Pathos der Freigeisterei. Mit der Unterscheidung von Deutung und Wertung ist die Differenz zum Literaten gesetzt, dessen Kritik Schmitt 1913 etwas äußerlich mit einer Satire auf den zeitgenössischen Literaturbetrieb beginnt. Das Gemeinschaftsprodukt ,Schattenrisse'63 ist eine Parodie auf zeitgenössische ,Großschriftsteller' (Musil): populäre und populärwissenschaftliche Autoren wie Thomas Mann, Rathenau, Ostwald. Fast noch ein Studentenspaß mischen die ,Schattenrisse' intellektuelle Aversionen und Avantgardebewußtsein mit Ressentiment. Der gekränkte Franz geht in die Offensive. Frech ironisch setzen sich Schmitt und Eisler an die Stelle der Erfolgsautoren; die ,Schattenrisse' sollen ,Gemeingut aller Gebildeten'64 werden. Dies dekonstruiert den literarischen Betrieb, die Kulturindustrie und den Literaten, einen genial ästhetizistischen "Kulturmenschen"65 und "Zivilisationsclerc"66. Thomas Mann wird souffliert, daß es heute "nicht so sehr auf die Kunst als auf den Verlag ankommt"67. Die Kritik an den Literaten impliziert die Kritik der Kommerzialisierung der Kunst. Soziologisch entspringt schaft 68 • Er unterscheidet (Publikum) und Genie 69 • modernen Kunst, die die
der Literat als Bohemien der bürgerlichen Gesellam Maßstab der Produktivität nur zwischen Volk Schmitt suchte damals persönliche Kontakte zur Forschung heute aufzuklären strebt7°. Indem die
1912d, 348, vgl. RKpF 23. vgl. 1912d, 349, WdS 7, PT 11 34. 63 Der Titel entspricht einer Kapitelüberschrift aus Kierkegaards ,Entweder/ Oder'. Wie Schmitt untergliedert auch Kierkegaard seine Schattenrisse weiter durch Personennamen. 64 Sch 9, vgl. 57f. 65 Sch 40. 66 1931b. 67 Sch 50, vgl. Sch 27, 39. 68 vgl. RKpF 34. 69 vgl. Sch 30. 70 vgl. Tommissen 1988, 77ff. Kennedy macht diese Erfahrungen zum Schlüssel des Gesamtwerkes (Politischer Expressionismus: Die kultur kritischen und metaphysischen Ursprünge des Begriffs des Politischen von Carl Schmitt). Dies gehört neben der politischen und theologischen Deutungslinie des Gesamtwerkes zur dritten ästhetizistisehen Deutungslinie. Neu und fruchtbar ist hier, daß Schmitts Romantikkritik nicht mehr gegen ihn verwendet (vgl. Löwith, König, Bürger), sondern daß Schmitt als moderner Mensch und Repräsentant entdeckt wird. Da direkte Nachweise schwer zu führen sind, gerät Kennedy in die Gefahr, assoziativ ins Kulturmilieu abzuschweifen (vgl. 1988b: Carl Schmitt und Hugo Ball. Ein Beitrag zum Thema ,Politischer Expressionismus). Schnurs Weiterentwicklung dieses Ansatzes im Namen der ,Aufklärung' (1988) enthüllt seine entpolitisierende Tendenz. Schnur stimmt der Aussage zu, Schmitt sei den Juristen zu entreißen (vgl. 438, 444). Er trägt neues Material zusammen, ohne über Analogiebildun61
62
2. Die Schwänner
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,Schattenrisse' sich außerhalb des anerkannten Geschmacks stellen, rücken sie der Boheme nahe, liebäugeln aber noch mit dem Massenerfolg. Schmitt schreibt in der Spannung, seinen Erfolgswillen mit seinem Anspruch zu vereinbaren, ohne sich je von dem Verdacht befreien zu können, selbst ein Ästhet zu sein. So ist die Intellektuellenschelte ein Verdrängungssymptom, das inquisitorisch der Lust fröhnt. Schmitt vertieft die ,Schattenrisse' 1917 durch die idealtypische Konstruktion der Gestalt des Buribunken. Werkbiographisch stehen die ,Buribunken' an der Schwelle zur Gestaltkonstruktion des Bourgeois. In der Gestalt dieses Literaten zeigt Schmitt den Bürger als Künstler, den Bohemian als Schatten des Bourgeois. Die Schrift gehört in den zeitgenössischen Kontext einer Selbstkritik des Literatentums und vereinigt geradezu Thomas Manns Polemik gegen den Zivilisationsliteraten, den Bruder des Künstlers, mit Webers Kritik des Kultes der modernen "Götzen"71 Persönlichkeit und Erlebnis. "Buribunkentum in ätherklarer Reinheit"72 ist eine Literatenexistenz, die sich im autobiographischen Selbstkult erschöpft. Schrnitt entwickelt das Buribunkentum aus seinen Pionieren Leporello 73 und Wagner. Die sorgfältige Ausführung des Essays ist ein Indiz, daß die Buribunken für Schrnitt kein Spaß sind. Der Untertitel lautet anspruchsvoll: "Ein geschichtsphilosophischer Versuch". Schrnitt kritisiert einen Menschentypus durch dessen "Form zeitgemäßer Religiösität"74 und nimmt erstmals eine katholische Gegenposition ein. Neben dem geschichtsphilosophischen Versuch veröffentlicht Franz Bleis Zeitschrift ,Summa' die scholastische Erwägung zur ,Sichtbarkeit der Kirche'. Schrnitt konfrontiert so den Ungeist der Gegenwart mit dem Geist der Wahrheit. Die Mitte bildet das rechtsphilosophische Kernstück aus ,Wert des Staates': ,Macht und Recht'. Wie früher im ,Abendlande' bildet Schrnitt in ,Summa' ein Texttriptychon. Er kritisiert den modemen Menschen mit seiner Metaphysik, weil er die "Revolution der gen und Wahrscheinlichkeitsvermutungen hinauszukommen. Es bleibt unklar, welche Kontakte Schmitt in welchem Umfang mit welchen Wirkungen wirklich hatte (vgl. nur 437: Eingangsverweis auf Klee). Zurecht will Schnur die ästhetische Position präzisieren. Indem er zuletzt auf einen möglichen Zusammenhang von Schmitts Repräsentationsbegriffmit seiner ästhetischen Position hinweist (vgl. 451 f.), enthüllt sich die Merkwürdigkeit, Schmitt als einen politischen Romantiker zu rehabilitieren. 71 Weber WL 591, vgl. Sch 42f., vgl. Gadamer 56fT. 72 1917c, 100, vgl. Sch 21. Echt buribunkisch ist Schreiben über das Tagebuchschreiben (1917c, 102). Von den Buribunken zieht sich über die PR eine Linie zur GLP. Dies zeigt sich in der Prognose, "daß die liberale Diskussion bald über die Diskussion selbst diskutieren und auf diese Weise ihr Prinzip wahren werde" (DLZ 1925e, 2310). 73 Dies ist vielleicht von Kierkegaards Analyse des Don Giovanni angeregt, die für Entweder / Oder zentral ist. Koselleck zeichnet die Geschichte der Buribunken nach und deutet den Entwurf als eine negative Utopie der totalen Kontrolle. Schmitt als Orwell! (Die Verzeitlichung der Utopie. In: (Hg) Voßkamp, Utopieforschung Bd. III, Stuttgart 1982, 8ff.). 74 1917c, 98. 3*
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Romantiker"7s im Versprechen einer neuen Religion sieht, die in Wahrheit nur ein Verfall sei: eine Säkularisierung 76, Neutralisierung und Privatisierung der alten Religion zum "privaten Priestertum" 77 ,dem ,einsamen Gottesdienst seiner selbst', wie HegeF8 sagt. Im letzten Abschnitt kritisiert ein "Grundriß einer Philosophie des Buribunken" die moderne "Säkularisierung" des Unsterblichkeitsglaubens. Der Buribunke schreibt um sein Leben und seine objektiv "reale Unsterblichkeit" 79 • Sein Cartesianismus lautet: "Ich denke, also bin ich; ich rede, also bin ich; ich schreibe, also bin ich; ich publiziere, also bin ich"80. Von diesen Selbstversicherungen her bestimmt sich das buribunkische Verhältnis zur Geschichte; das "Essentielle des Tagebuchführens listl der Wille zur Macht über die Geschichte"81. In die Fußnoten wird die Gegenposition eines gewissen Schmitt verdrängt, der angesichts der Buribunken auf dem Paradox des Glaubens und auf der christlichen Auffassung vom Geistigen und von Ewigkeit 82 insistiert. Schmitt entdeckt im profanen Ritus des Tagebuchschreibens den zeitgenössischen Abschied vom Christentum: Im Buribunken zeigt der Geltungsdrang des modernen Geistes sein gegenwärtiges Gesicht. Die Gestalt widerlegt sich aber selbst, weil auch der beste Buribunke sich nicht allein bestimmen kann: Sein autobiographischer Lebensentwurf braucht die Anerkennung im organisierten "Reich der Buribunken", dem dürren Reich der Freiheit, das der ,literarische Großbetrieb'83 ist. Dem einsamen Schreibakt muß seine Veröffentlichung folgen, wobei aber die formelle Aufnahme ins Archiv der Literaten genügt. Der Intellektuelle existiert nur als Autor im Zettelkasten der Bibliothek. PR 51. PR 23. Schmitt verwendet den ideenpolitisch aufgeladenen Begriff der Säkularisierung (vgl. Lübbe 1975) nur gelegentlich. Die PR begreift die Romantik als "Säkularisierung" (PR 23, 223) Gottes zum romantischen Genie. Die politische Theologie definiert: "Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe" (PT 49). Enger benutzt Schmitt seinen weniger belasteten Begriff der Neutralisierung. 77 PR 26, vgl. RKpF 48, L 92, vgl.Ulmen 1988, 358. 78 Rph § 140F. 79 1917c, 105. 80 1917c, 103. Schmitts existentieller Cartesianismus lautet dagegen: "Ich denke, also habe ich Feinde; Ich habe Feinde, also bin ich" (1957). 81 1917c, 104. 82 vgl. 1917c, 91, 105. 83 1917c, 98, vgl. Sch 37f., PR 96. Als Gegenbeispiel zum Literaten behandelt Schmitt die ,ehrliche Sachlichkeit' Machiavellis (1927a). Ein übles Nachspiel hat die Intellektuellenschelte in der Emigrantenhetze ,Die deutschen Intellektuellen' (1933 f.). Voraussetzung ist wieder die Unterscheidung zwischen dem sachlichen Gelehrten und dem narzißtischen Intellektuellen: "Es gibt keinen einzigen großen Gelehrten, den man ernsthaft als einen Intellektuellen definieren könnte". 7S
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b) Romantische Subjektivität
Die Satire auf die Buribunken ist eine Fingerübung zur parallel entstandenen ,Politischen Romantik', die sie als Gegenwartskritik in ihrer metaphysischen Absicht verdeutlicht. Die ,Romantik' verallgemeinert die Kritik des Intellektuellen zu einer Abrechnung mit dem Bürgertum 84 • Sie entsteht in den Kriegsjahren 1917/18 als Auftakt zum Kampf gegen Weimar. Rachfahl spricht von "ideengeschichtlichen Deduktionen", die auf den "Idealtypus des Romantikers" zielen 8s . Wohlwollende Rezensenten wie Rachfahl und Meinecke nehmen deshalb "Ergänzungen vom Standpunkte des Historikers"86 vor. Andere bemängeln das "unmethodische Verfahren"87 und kritisieren die Grundauffassung der Romantik. Insbesondere Lukacs erkennt die antibürgerliche Stoßrichtung und sieht in der ideengeschichtlichen Methode die Grenze einer bürgerlichen Selbstkritik. Bohrer erkennt Schmitts ,politische Romantik' jetzt als Endpunkt einer mit Hegel beginnenden, antimodernistischen und ästhetizismusfeindlichen Verdammung der Romantik. Während das Vorwort zur zweiten Auflage von 1925 Begriffssoziologie treibt und den romantischen Geist auf die "metaphysische Formel"88 - ,subjektiver Occasionalismus' - bringt, betont die Einleitung, daß der Feststellung der "Struktur der politischen Romantik" das Beispiel der "Praxis eines politischen vgl. PR 16f., 26, vgl. Neumann 46f. Rachfahl. In: Schmollers Jb 45 (1921), 887. Lukacs rezensiert primär diese Methode, die "im allgemeinen nicht über die Methode der modernen ,Geistesgeschichte'I .. .j hinauskommt" (II, 695) und nur eine bürgerliche Kritik einer bürgerlichen Bewegung sein kann. "Eine Erklärung wird aber nirgends gegeben, 1...1 er kommt nicht einmal zur richtigen Fragestellung" (696) einer soziologischen Differenzierung der Stellung der Romantiker innerhalb des Bürgertums, die die politische Tendenz und Ideologie erklärt. Die nachträgliche Soziologisierung (vgl. BP 68 FN) ist Lukacs wohl noch zu undifferenziert. Rothfels erkennt die soziologische Verallgemeinerung zur Kritik des Bürgertums als eine Akzentverschiebung der zweiten Auflage (DLZ (1926), 435). Petersen behandelt die PR innerhalb eines Forschungsberichtes (Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik, Leipzig 1926) als eine soziologische, antibürgerliche Deutung (vgl. 124f., 152f.). Innerhalb des geistesgeschichtlichen Ansatzes erscheint vielen Schmitts Weg originell, die Romantik als eine Haltung (vgl. PR 5) darzustellen und moralisch zu kritisieren, "nach ihrem Wesen und ihrem Wert" (Janentzky, Logos 14 (1925), 355) zu fragen. Dieses Vorgehen folgt aber Hegels Methode. 86 Rachfahl ebd; Meinecke rekorrigiert Schmitts Kritik von Meineckes Adam MüllerBild (vgl.HZ 121 (1920), 294f., ähnlich Masur HZ 134 (1926),377); Scheuner wendet sich gegen Schmitts Kernthese, daß die Romantik im Grunde keine eigene politische Anschauung hervorgebracht habe" (Der Beitrag der deutschen Romantik zur politischen Theorie, Opladen 1980, 18, Vgl. 16ff.). Richtigstellung ist ein Topos der Schmittkritik. Beinah für jede Schrift ist jemand nennbar, der Schmitts strategische Vereinfachungen moniert. Dieses sachlich berechtigte Vorgehen droht in die Schmittforschung einzuwandern (Kaufmann 1988), wo es unfruchtbar wird, da es hier nur noch um das Wie und Warum von Schmitts Strategien geht. 87 Below. In: ZgStW 81 (1926), 161, vgl. Bohrer 1989, 302f. 88 PR 22. 84 85
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Teil I: I. Schmitts kritische Suche seiner Giundstel,ltmg
Romantikers"89 voranzustellen sei, um der Formel Glaubwürdigkeit zu geben. Schmitt skizziert die politische Biographie Adam Müllers, um dem Vorwurf eines konstruierenden Verfahrens vorab zu begegnen; es komme ihm "nicht auf beliebige Konstruktionen"90 an, Das Zentrum der ,Politischen Romantik' bildet die Analyse der ,Struktur des romantischen Geistes', die zwei Kapitel insbesondere zu Adam Müller umklammern: ein Kapitel zur ,äußeren Situation' und die Anwendung der Strukturbestimmung auf die ,politische Romantik', Die ,Struktur des romantischen Geistes' gliedert sich in zwei Unterkapitel, die die innere Zersetzung des romantischen Programms zeigen, Wie Hegel begreift Schmitt das romantische Programm als eine Säkularisierung von Fichtes Philsophie 91 , die einfach Attribute Gottes aufs Ich übertrage und zum "Standpunkte göttlicher Genialität"92 führe. In der Ironie 93 findet der Romantiker ein Mittel zur Verrückung der WeIL Aber die Ironisierung der Welt bringt es nur zu einer poetisierenden Artistenmetaphysik: "Der Wille zur Realität /, romantisch-buribunkisch verstanden als die unbedingte Selbstpräsenz des subjektiven Geistes, als Egomanie,/ endete im Willen zum Schein"94. Praktisch verhält sich der Romantiker deshalb occasionelL Schmitt zeigt den Umschlag der ironischen Haltung in das unglückliche Bewußtsein auf, das sich als ein betrogener Spieler transzendenter Mächte erfährt. Diesen Übergang behauptet er als Faktum; ohne ihn phänomenologisch näher zu entwickeln, zielt Schmitt auf die romantische Formel. Gegenüber Hegels ,List der Vernunft'9S 89 PR 49. Rene König gibt ein verstecktes Beispiel für die Anwendung der Romantikkritik auf Schmitt selbst, die ältere Linie der ästhetizistischen Schmittdeutung. Er deutet Machiavelli als ,politische Ästhetik' und "System einer politischen Ästhetik" (Niccolo Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende, Frankfurt 1984, 313). Nachdem er einen "romantischen Okkasionalismus" (1984, 133) Petrarcas feststellt, formuliert er mit Nietzsche, Machiavelli sei die politische Realität "nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt" (135). Dies sei die Konsequenz eines "Dezisionismus" (136), Verrat des Staates (137) an die "ästhetisch-verführerische Magie des Wortes" (145). Insbesondere die "ästhetische Verklärung Borgias" (170) beweise dies. "Das methodische Werkzeug Machiavellis ist die dilemma tische Kontrastdialektik, die jede Situation in Extreme auflöst" (340). Diese erläutert König erhellend. Ein Beispiel ist die Reduktion der Staatsbeziehungen auf Freund-Feind-Beziehungen unter Ausschluß von Neutralität (214). Bei Machiavelli finde sich "auch keine Staatstheorie, sondern bestenfalls eine Lehre vom Notstaat, eine Lehre vom Staate im Krisenzustand des Lebens" (335). König zitiert am Schluß aus seiner Rezension des Leviathan (341), die er in ,Maß und Wert' (3 (1940)) unter dem Pseudonym Paul Kern veröfTentlichte (vgl. 360). Königs von Löwith geteilte These, daß die dezisionistische Staatstheorie einem Ästhetizismus resultiert, hat Schmitt vor Augen, der sich nach 1945 auch mit Machiavelli identifizierte, indem er sein Plettenberg San Casciano nannte. 90 PR 49. 91 vgl. PR 78, 96, 119ff., vgl. Hegel XX 415fT., XIII 92ff. 92 Hegel XIII 95, vgl. PR 23f., 96, 141. 93 vgl. PR 83, 105fT. ~ PR 113, vgl. Hegel XIII 94. 9S vgl. PR 116ff., dagegen Larenz 1934b, 168.
2. Die Schwänner
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kehrt er über eine abrupte Definition zur barocken Theologie 96 des Occasionalismus zurück: "Wenn nämlich etwas die Romantik total definiert, so ist es der Mangel jeglicher Beziehung zu einer causa"97. Schmitt macht den Begriff der occasio aber nicht für ein adäquates Verständnis der modernen, romantischen Ästhetik fruchtbar 97a , sondern verwendet ihn zur Konstruktion einer Affinität des romantischen Abhängigkeitsgefühls zum Occasionalismus und versteht die Wendung der romantischen Bewegung zur Kirche als eine Flucht zu Gott als dem ,höheren Dritten'98. Der "Schritt zum Katholizismus" beende die romantische Situation 99 , und die Bewegung finde im Biedermeier "kein tragisches Ende" 100 ,da ihre aufgespreizte Subjektivität nur eine Farce sei: "Der Romantiker haßte den Philister. Aber es stellte sich heraus, daß der Philister den Romantiker liebte"lol. Der idyllische Katholizismus der Romantiker ist aber nur ein Zerrbild des Glaubens. Die ,politische Romantik' verfährt der späteren Kritik der bürgerlichen Verfassung analog, indem sie einen Idealtypus des Romantikers konstruiert und seine Haltlosigkeit und innere Zersetzung darstellt. Was Schmitt zunächst an einem Menschentypus beschreibt, zeigt er später an der politischen Form auf. Schmitt findet am Bürgerlichen sein Sujet. Die Kritik der bürgerlichen Verfassung entspringt seiner Aversion gegen den Bourgeois mit seiner unchristlichen Ontologie. Bohrer betont diese ontologische Wendung der Kritik und macht auf Schmitts "Identifizierung der Romantik mit Revolution, mit Rousseaus entfesseltem Subjektivismus"lo2 aufmerksam. Schmitt skizziert die "neue Ontologie"103 der Romantik mit ihren "beiden neuen Demiurgen" Menschheit und Geschichte, die Hegel in eine Synthese bringe 104 und in den Marxismus münde. Er betont die restaurative Umbildung dieser Ontologie in den Volks begriff der Gegenrevolution 105. Dies ist für seine Stellung zum völkischen Mythos wichtig. vgl. HH 40 ff. PR 120. 97. vgl. Bohrer 1989, 290f. 98 vgl. PR 123ff. 99 PR 129, vgl. 96f., 131. 100 PR 133, vgl. Hegel XIII 97. 101 PR 134. 102 Bohrer 1989, 297, vgl. 291 ff. 103 PR 86, vgl. 208. 104 vgl. PR 94ff., 116ff., 133. 105 vgl. PR 90, 101. Wie Hofmann bemerkte (146), spricht die erste Auflage der PR noch von den Demiurgen Volk und Geschichte. Schmitt lobt Nadlers völkische Perspektive (vgl. PR 14f.). Beide Demiurgen nennen zusammen die romantische Ontologie des völkischen Mythos, die von der geschichtlich sich entwickelnden, durch Volks- und Zeitgeist individualisierten Menschheit ausgeht. Neu ist diese Ontologie, weil sie von keinem allmächtigen Schöpfergott mehr ausgeht, sondern von heidnischen Demiurgen, die wie Platons Weltenbaumeister ein vorausgesetztes Material, die Masse Mensch formen. 96
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Teil!: I. Schmitts kritische Suche seiner Grundstellung
Schmitt folgt dem Romantiker in sein Selbstverständnis und entwickelt diesen romantischen Typus aus einer Philosophie der Subjektivität, die die Ironie als das freie Wesen des Subjekts begreift. Dieser Rückgang auf das Selbstverständnis der Romantik, der ihre innere Widerlegung ermöglicht, gehört in eine Tradition ontologisierender und moralisierender ,Kritik der Romantik', .die Bohrer jüngst aufzeigte. Die ,Politische Romantik' beruft sich im ersten Absatz der Einleitung auf Haym 106 und geht von der Kritik Arnold Ruges aus 107 • Die Stammväter ihrer Methode und Tendenz sind aber Kierkegaard und Hegel. Gehen wir zunächst dem Einfluß Kierkegaards nach; Kierkegaard gehört zu den Autoren, deren Einfluß Schmitt verheimlicht. Der Diederichs-Verlag veranstaltete zwischen 1909 und 1922 die erste deutsche Werkausgabe. Wie Nietzsche und Dostojewski war Kierkegaard ein literarisches Ereignis für eine ganze Generation. Schmitt rechnet ihn später zu den großen Schriftstellern, die im "Zeitalter des redenden Redens" einem esoterischen Diskurstyp zugehören, der "das Letzte" 108 verweigt. Kierkegaards Name fällt innerhalb der ,Romantik' nur in einer Fußnote: Der "einzige Große"1Q9 unter den Romantikern hat im polemischen Text keinen Platz. 1918 gibt Schmitt einen schwer zugänglichen Wink. In seiner Vorbemerkung als Herausgeber der Autobiographie von Hegels Nürnberger Kollegen J. A. Kanne 110 , der ähnlich wie Kierkegaard die romantische Situation durch einen "Sprung in die Paradoxie des Christentums" beendete, schreibt Schmitt, daß es Kierkegaard vorbehalten geblieben sei, die "große Auseinandersetzung mit dem Ungeist des 19. Jahrhunderts"1l1 dialektisch zu führen. Im Kontext der ,Romantik' ist dieser Verweis auf Kierkegaards Dissertation ,Über den Begriff der Ironie' zu beziehen, die Hegels Romantikkritik systematisiert. Methode und Tendenz der ,Romantik' führen über Haym und Kierkegaard zu Hegel 112 • Schmitt weiß, daß Hegel "die Romantik exekutiert hat" 113. vg\. PR 31 f., 98. vg\. PR 33. 108 1931b. 109 PR 97 FN. 110 vg\. K. Rosenkranz, G.W.F.Hegels Leben 1844, Darmstadt 1971, 267. Hegel an Niethammer (Brief vom 7. 5. 1809, vg\. 8. 6. 1816): "An Schubert und Kanne haben Sie mir ein paar wackere Männer zur Freundschaft und Umgang geschickt und fürs Realinstitut recht tüchtige Leute". Hegel schätzte Kanne als Philologen, sah in ihm aber einen typischen Romantiker (vg\. Hegel an Niethammer 26. 6. 1809, vg\. E. Neumann, J. A. Kanne. Ein vergessener Romantiker, Berlin 1927). Schmitt verschweigt Kannes Beziehung zum Rektor Hege\. 111 1918, 5, vg\. Kennedy 1988a, 244f. 112 vg\. Bohrer 1989, 12,33, 287f., 294ff., 300, 304, 306; O. Pöggeler sammelte Hegels Äußerungen (Pöggeler, Hegel und die Romantik, Bonn 1956). Systematisch behandelt Hegel das romantische Prinzip der Ironie im Zusammenhang mit Fichte (vg\. XX 415) in der Rechtsphilosophie (§ 140) als die böse Spitze der Moralität. Die Phänomenologie entwickelt diesen Abfall der Freiheit von sich selbst, das Schicksal Hölderlins vor Augen, als die Verrückung der schönen Seele zum harten Herz (III 464ff., vg\. III 155ff.). Den 106 107
1. Der abendländische Geist
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In der metaphysischen Formel für die Romantik - subjektiver Occasionalismus - sind beide Tendenzen der HegeIschen Kritik vereint: die Kritik einer ebenso anmaßenden wie unwirklichen Subjektivität. Die vorzügliche Formel nennt eine doppelte Revolte gegen Gott und da:s Gesetz. Schmitt fragt zum geistesgeschichtlichen Verständnis der Romantik auf den Cartesianismus zurück und gelangt zum Occasionalismus. Damit fragt er über die Subjektivität hinaus zu Gott hin. Schmitt setzt die "Irrationalität des wirklichen Seins"114 voraus. Hier zeigt sich eine katholische Distanz zur logozentrischen Metaphysik 115 der Neuzeit, die Hegel vollendet.
11. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes 1. Der abendländische Geist War Vaihinger der Ansatzpunkt der Positionssuche, so beginnt in der gleichzeitigen Rathenaurezeption Schmitts Kulturkritik, die das Werk durchzieht. Bereits 1912 scheint Schmitt Rathenau im Ansatz zu erledigen, da er dessen ,Kritik der Zeit' als eine "Klage"l begreift; Zeitkritik sei an sich aber notwendig und gehe den "Menschen als politisches Wesen" unausweichlich an. Schmitt betont die Abhängigkeit jeder Darstellung von einer vorausgehenden Wertung: "Immer ergibt sich die Darstellung aus der Kritik". Falsch sei deshalb eine sich wissenschaftlich gebärdende Zeitkritik, die wie das ,Kapital' "mit Stolz jede Wertung" ablehnt. Schmitt zeigt, daß Rathenaus "Darstellung der Zeit jede "Standpunkte göttlicher Genialität" erläutert die Ästhetik (XIII 93 ff.). Hegel denkt sein Böses als die Ausdrucks- und Handlungsunfähigkeit des ironischen Möglichkeitssinns. Den romantischen Kreis behandelt die umfangreiche Rezension Solgers (vgl. XI 205ff.), die politische Romantik behandelt über die Polemik der Rechtsphilosophie hinausgehend eine Görresrezension (vgl. XI 487ff.), die Görres' methodisches Ungenügen gnadenlos aufdeckt. Die Religionsphilosophie kritisiert den atheistischen und sentimentalen Standpunkt einer Gefühlstheologie von Jacobi und Schleiermacher. Eine einfache Zusammenfassung ist Hegels Vorrede zu Hinrichs Religionsphilosophie (vgl. XI 42ff.). Hegels Gesamturteil lautet ähnlich apodiktisch wie bei Goethe: Romantik ist krankhaft (vgl. Goethe zu Eckermann 2. 4. 1829). 113 PR 107, vgl. WdS 90, vgl. Hirsch, Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2 (1924), 510ff. 114 PR 78, vgl. Bohrer 1989, 285f. 115 vgl. PR 95 1 Rheinlande 1912c, 324, vgl. 1925 f., 593, BP 92, ECS 91, 1960a, 172. Alle folgenden Zitate stehen in 1912c. Die ,Schattenrisse' witzeln über Rathenaus kulturepikureischen Synkretismus (vgl. Sch 12ff.) und lassen ihn "soeben ein Kapitel über Kautschuk und Thranszendenz" (14) beenden. In Musils ,Mann ohne Eigenschaften' ist Rathenau das Vorbild für Ulrichs Antipoden Arnheim, jenem großen Mann und Großschriftsteller, der Seele und Wirtschaft vereinbart, um an Ölfelder zu kommen. Auch Weber scheint nicht frei von Ressentiment gegen Rathenau gewesen zu sein (vgl. Schulin, Max Weber und Walter Rathenau. In: (Hg) Mommsen/Schwentker, Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988,434/447).
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Teil!: II. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
Wertmessung ausscheiden will", die aber in der "Fundamentalvorstellung der Kritik", der Idee der Seele, vorausgesetzt sei. So bleibe die Darstellung "negativ" und gerade das "Wesen der Zeit" unausgesprochen. Die Darstellung habe deshalb "ihr Schwergewicht außer sich". Methodologisch fordert Schmitt die Angabe des leitenden Wertgesichtspunktes und bemängelt Rathenaus Wissenschaftlichkeit, folgt ihm aber in der pessimistischen Zeitsicht. Die Auseinandersetzung geht in die frühen Monographien ,Wert des Staates' und ,Nordlicht'2 ein, um die eigene Position zu situieren. Schmitt übernimmt Rathenaus Wertung 1916 in ,Theodor Däublers ,Nordlicht'. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes'. Auf die zeitkritische Dimension der Schrift verweist das biblische Motto 3 : "Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels versteht ihr zu prüfen; wie prüft ihr aber diese Zeit nicht?" Schmitt modifiziert Rathenau, indem er in der "Geistlosigkeit"4 das Signum der Gegenwart erblickt. Semantisch sind Seele und Geist nicht klar geschieden. Im lateinischen Namen von Schmitts einzigem Kind Anima klingen sie zusammen. Die damalige Jugend- und LebensreformbewegungS wünschte aus einem antimodernistischen Empfinden heraus mehr Seele, Geist war ein Schlagwort des Expressionismus. Klages Kulturkritik macht Seele und Geist zu Widersachern; Musils ,Mann ohne Eigenschaften' ironisiert die damaligen Zeittendenzen und überführt sie ins mystische Reich der Liebe. Auch Schmitt bewahrt damalige Fragestellungen in reflektierter und veränderter Form. Seine geistige Prägung liegt im expressionistischen6 Kriegsjahrzehnt. ,Nordlicht' trägt einen zeittypisch eschatologischen Akzent, denken wir nur an die Lyrik der ,Menschheitsdämmerung' (pinthus). Der Aufbruch zum neuen Menschentum und die Verkündigung der ,letzten Tage der Menschheit' (Kraus) sprechen dieselbe Bewußtseinslage aus. Im ,Nordlicht' formuliert Schmitt seine Weltanschauung. Vergegenwärtigen wir uns die Schrift im Umriß, um dann ihr Prinzip zu abstrahieren und seine Entwicklung zu zeigen. Sie gliedert sich als Triptychon. Das Zentrum bildet das zweite Kapitel. Dort bestimmt Schmitt die Metaphysik Europas als einen "Glaube" an den Geist 7 , den er im ersten Kapitel gegen den alten Orient und im 2 WdS (5) beruft sich auf Rathenau in der Feststellung eines antiindividualistischen Charakters der Gegenwart. N übernimmt die Formel vom ,mechanischen Zeitalter' (vgl. N 60, 63, 69, 71, 1912e, 34). J Lukas 12. 56; Schmitt nennt lediglich die Stelle und zwingt zum Nachschlagen in der Bibel. . 4 N 69, vgl. BP 92. 5 vgl. H. Nohl, Die pädagogische Bewegung in Deutschland. In: Handbuch der Pädagogik, Berlin 1933; C. Hepp, Avantgarde: Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende, München 1987. 6 vgl. Kennedy 1988. 7 vgl. N 55fT., 1912e, 23, HP 22 ("Auch die auf Hegel beruhende deutsche Staatslehre des 19. Jahrhunderts teilte den Glauben an den Geist und stand damit durchaus in einer gesamteuropäischen Tradition").
1. Der abendländische Geist
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dritten Kapitel gegen die GegenwartS abgrenzt. ,Nordlicht' mißt den Okzident in seinen Grenzen aus und bestimmt die Einheit des Abendlandes aus seiner Metaphysik. Die Apotheose von Däublers Dichtung ist erst auf dem Hintergrund dieser Berufung auf eine abendländische Geistestradition verständlich. Die spätere Selbstkorrektur seiner "noch sehr jugendlichen Schrift aus dem Jahre 1916"9 nennt die Studie eine "christliche Deutung" und unterlegt dem Epos kein christliches Geschichtsbild mehr, sondern versteht das Nordlicht als eine "Menschheits-Gnosis"IO. Schmitt behält aber seine christliche Position bei und rückt von Däubler zu Konrad Weiß. Er spricht der Dichtung eine Erlösungsfunktion zu: "In der gegenwärtigen Grenzstellung kann Däubler die geistige Einheit des Okzidents aus der Sehnsucht zur Erfüllung"ll bringen. ,Nordlicht' wird ihm zum "Buch des Aeons; Es hält dem mechanistischen Zeitalter das Gleichgewicht / ... / Es trägt in sich das ganze Gewicht des geistigen Ausgleichs einer Welt, die der Geist verließ"12. Das Epos erscheint "als die Negation der letzten und universalsten aller Negationen"13, als Selbstaffirmation des Geistes gegen den gegenwärtigen Ungeist. Anders als die Romantik 14 vertritt Schmitt die Position des Geistes als eine Negation des Zeitgeistes. Im negativen "Verhältnis zum inneren Wesen der Zeit, dessen großartige Verneinung dieses Werk ist" IS, sieht er Däublers eminente "Aktualität". Noch vier Jahrzehnte später nennt er in einer Umfrage über ,Bücher von morgen'l6 zuerst Däubler. Durch den notwendigen Kontrast zum Zeitgeist hat die Dichtung eine Erlösungsfunktion. Die zeitgemäße Frage nach dem ,Untergang des Abendlandes' bewahrt hier ihre eschatologische Dimension 17. Schon ,Nordlicht' stellt implizit eine Leitfrage von Schmitts Gesamtwerk, "ob der christliche Äon zu 8 vgl. LM 58 ff. Schmitts Grundbestimmung Europas findet sich schon in der Erstfassung von 1912, der lediglich die Gegenwartskritik fehlt. Anstelle der Kulturkritik steht Kunstkritik. Der Entwurf enthält die entscheidenden Formulierungen bereits in aller Klarheit und bemüht sich darüber hinaus um eine Abgrenzung Däublers von der Philosophie (vgl. 1912e, 31f., 35f.). Mit einer sarkastischen Wendung gegen die zeitgenössische Erlebnisästhetik der Literaten geht Schmitts Kunstbegriff von Goethe (Trilogie der Leidenschaften. An Werther) aus: "Tausende beschäftigen sich heute damit, zu sagen, was sie leiden; so unermüdlich und in solchem Umfange, dass man erstaunt fragt, woher sie nur die Zeit zum Leiden nehmen. Und wenn sie leiden, so ist das der Kunst gleichgültig. Denn es ist kein Gott, der ihnen gegeben hat zu sagen, was sie leiden" (36). 9 ECS 49. Däublerim Werk Schmitts: WdS Motto, 31, ECS 38, 42, 45ff., 1925d, 1955a, 1956b, 1970a, 25. 10 ECS 49, vgl. 1912e, 32. 11 N 17. 12 N 69. 13 N 70. 14 vgl. PR 104. 15 N 70. 16 Christ und Welt, vom 6. 1. 1956b . 17 vgl. 1917b, 71, vgl. K. Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988.
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Teil!: 11. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
Ende ist oder nicht" 18. Bei aller begriffsgläubigen Klarheit harrt Schmitt wie ein jüdischer Unheilsprophet 19 und wiederholt den prophetischen Gestus der Verkündigung, während andere den U-Boot-Krieg verklären: "Ecce saeculum" 20. Dieses Erweckungspathos tritt später hinter die Maske von Donoso Cortes zurück, während das Geschichtsbild bleibt. Weber betont die existentiell bedeutsame "Aktualität der Enderwartung"21: "Wie in der frühchristlichen Gemeinde, so prägte auch bei den Propheten und ihrem Anhang diese Aktualität der Enderwartung die ganze innere Haltung / ... / Sie allein gab dem Leben, was es erträglich machte: Hoffnung" 22 . Die Prophetie intendiert eine sittliche Erweckung, in deren Sinngebung eine Theodizee liegt. Benjamins Engel der Geschichte sieht "eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft"23. Doch die messianische Kraft der Dichtung bewahrt einen schwachen Schein der Versöhnung; "So rechtfertigt am Ende die Hoffnung den Schein der Versöhnung" 24. Schmitt begreift Kunst als eine ingeniöse Gestaltung des Leidens 25 . Wie ein Prophet denkt er im Zirkel von Enderwartung und Endzeitdiagnose, und um der Hoffnung willen begreift er die Geschichte fatal. Nicht im Krieg, sondern im Kapitalismus sieht Schmitt den Antichristen kommen. Gegenwärtig erfülle sich die Prophezeiung: "Das Gold wird zum Geld, das Geld zum Kapital - und nun beginnt der verheerende Lauf des Verstandes, der / ... / endlich über die Erde reitet als einer der apokalyptischen Reiter"26. Der moderne Kapitalismus erscheint als eine apokalyptische Macht, die durch den Hebel des Kapitals die christliche Ontologie zersetzt. Dieser typisch konservative, katholische Antikapitalismus ist der Ausgangspunkt von Schmitts Kulturkritik. In den zwanziger Jahren politisiert er diese Überzeugung und übersetzt das Erweckungspathos in sein politisches Pathos. Auch bei Schmitt findet sich der für unser Jahrhundert charakteristische, von Sternberger, den RAF-Terrorismus vor Augen, bei Bloch aufgezeigte ,eschatologische Begriff des Politischen', der Politik als "gewollte Geschichte"27 versteht: "Die jüngste Bedeutung des Politischen ist die eschatologische Bedeutung. Eine uralte religiöse Kategorie hat sich in eine politische verwandelt" 28 . DC 93. vgl. Weber RS III 310, 320f., 336ff. 20 N 69, vgl. Heidegger 1961 I, 363. 21 Weber RS III 341, vgl. 1912e, 35. 22 Weber RS III 342. 23 Benjamin GS 1. 2, 697. 24 Benjamin GS 1. 1, 200. 2S vgl. 1912e, 36. 26 N 71 f., vgl. 65 f., PR 113, Aristoteles Pol. 1258b; zum christlichen Antikapitalismus, insbesondere zum Zinsverbot vgl. Weber WuG 710, 712, 717, RS I, 57ff., III, 357ff.; vgl. J. Le Goff, ,Wucherzins und Höllenqualen'. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart 1988. 27 Stemberger 1978, 282. 18 19
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Schmitt entwirft ein erstes Geschichtsbild, das in einer Phänomenologie des abendländischen Geistes den Horizont des Gesamtwerkes ausmißt. Die Identifizierung mit Däubler gibt dem jungen Autor die Möglichkeit, die Probleme einer Geschichtstheologie zu umgehen. ,Nordlicht' nennt Hegel neben Däubler an entscheidenden Stellen. "Logizismus" und "Panlogismus" kennzeichnen die Position Hegels: "Der Panlogismus des Schwaben Hegel ist im Grunde nur Glaube, der Glaube an das menschliche Denken, an die Vernünftigkeit alles Seins, an die innere Tiefe der Natur, an die Menschheit, ihre Geschichte und ihre Entwicklung" 29 . Die Auslegung des Panlogismus als Glaube wurde philosophiegeschichtlich durch die Isolierung der Vermögen Vernunft und Wille ermöglicht. Diese Abspaltung der Willensphilosophie vom Rationalismus, meist mit Schopenhauer und Schelling angesetzt, gehört zur Rhetorik Nietzsches und ist nach Bultmann urchristlich 30 . Schmitt sieht die Unterscheidung schon durch Kants Primat der praktischen Vernunft gesetzt 31 . Däublers und Hegels "grenzenlose / / Gläubigkeit" heißt näher der Glaube, daß "alles gut sei und einen Sinn habe"32. Im Geist liege "Ziel und Vollendung" und eine sinnreiche "Verklärung"33 der Welt. Schmitt spricht romantisch von Verklärung und nicht von Versöhnung. Däublers Grabinschrift nennt Versöhnung und Verklärung zugleich: "Die Welt versöhnt und übertönt der Geist"34. Die Termini markieren unterschiedliche Positionen in der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Sein. In der Spätphilosophie Schellings 35 beispielsweise, die, wie Schmitt sagt, eine ,explosive' Zuhörerschaft redaktionierte 36 , wird das positive Sein von der Vernunft unterschieden und behält Kraft gegen seine Vergeistung. Die Herrschaft der Vernunft bedroht ein machtvolles Unbewußtes, der Grundwille ist nur verklärt 37 . Schmitt gehört in jene ideengeschichtliche Entwicklungslinie, die Lukacs als eine ,Zerstörung der Vernunft' beschreibt. Löwith stellt diesen ,revolutionären Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts' als eine Spaltung von Hegels Eschatologie des Geistes in einen professoralen Historismus und eine revolutioSternberger 1978, 294. N 55, vgl. PR 86. 30 vgl. R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Hamburg 1962, 167 ff. 31 vgl. WdS 51 ("Vorherrschaft des Willens vor dem Intellekt"), GU 100 ("uralt"). 32 N 57. 33 N 51, vgl. 75, 35. 34 ECS 47. 3S vgl. 1912e, 32, PR 94f. (Schelling und Stahl gegen Hegei). 36 vgl. DC 107, VRA 418, ECS 81. Die Formulierung geht gegen Nietzsches Anarchismus: "Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit" (Ecce Homo, ed. Schlechta 11, 1152). 37 vgl. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, (Hg) Schulz, Frankfurt 1975, 52ff. 28
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Teil I: 11. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
näre Zeitkritik dar. RudolfHaym konstatierte in seiner Hegeldarstellung schon 1857 den "fast allgemeinen Schiffbruch des Geistes und des Glaubens an den Geist überhaupt"38. Der Logozentrismus wird um 1900 zum erbaulichen Wert, dem die Prosa der Verhältnisse längst heimlich höhnt. Dieser wilhelminische Idealismus findet in den ,philosophischen Ideen von 1914' seinen Abgesang. Die Entwicklung tendiert zur "Selbstzersetzung"39 des Idealismus zu einem Mythos, der Philosophie als eine Glaubensfrage auffaßt: Und "jede ,Weltanschauung' ist in sich, als solche liberal"40. In dieser Lage berühren sich Vernunft und Glaube in ihrem fiktiven Charakter. Schmitt kann seine Grundstellung gegenüber Däubler und Hegel deshalb als einen höheren Standpunkt verstehen. Seine Differenz zu Hegel ist aber nicht nur durch die geistesgeschichtliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts bedingt, sondern hat auch ältere, katholische Motive. Schon die Auslegung des Geistprinzips zur Sinnfrage hin konzentriert sich auf das Seelenheil. Die Motive werden deutlicher, wenn wir nicht mehr nach Prinzip und Zweck, sondern nach der Wesensbestimmung fragen: Wie faßt Schmitt das Leben des Geistes? Er erwähnt die "wunderbar tiefe Hegelische Lehre von der Negativität"41. Aber: "Wer heute von Dialektik spricht, setzt sich der Gefahr aus, summarisch und automatisch als Hegelianer eingestuft und abgetan zu werden"42. Dialektik beherrscht Schmitts Denkstil, wie schon die frühe Arbeit über ,Schopenhauers Rechtsphilosophie' zeigt. Methodisch aufschlußreich sind auch verschiedene Bedeutungsanalysen von Volk 43 , Organismus 44 , Neutralität 45 • Schmitt definiert gerne aus der Negation: Omnis determinatio est negatio. Er versteht jeden politischen als polemischen Begriff. Diese methodische "Einbeziehung der Negation" bedeutet ihm aber alles andere als einen ,,'Primat' des Negierten "46. Schmitt vertritt keine negative Dialektik. Schon,Wert des Staates' stellt den Grundsatz fest, wonach "alle Negation, der keine Position vorausgegangen ist, ins Bodenlose"47 gehe. ,Die Sichtbarkeit der Kirche' formuliert dies theologisch als die Priorität des guten 48 und indifferenten Seins selbst. eit. Löwith 1953a, 72. DC 11, 89, 107. 40 Heidegger 1961 1,367. Die Entwicklung zur Weltanschauungsphilosophie kritisiert Husserls Programmschrift ,Philosophie als strenge Wissenschaft' (In: Logos 1 (1910/11). 41 N 55, vgl. WdS 109. 42 1955d, 153. 43 vgl. VL 251. 44 vgl. HP 11. 4S vgl. HdV 111 ff. oU; BP 15, vgl. VRA 429 ("Nichts berechtigt uns, aus Hegel einen absoluten Beschleuniger zu machen, dessen Negation nur noch Bewegung, und dessen Bewegung nur noch Negation ist") . 47 WdS 83. 48 vgl. 1917b, 78. 38
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Kervegans kluger Versuch, im Verhältnis zur Negativität einen prinzipiellen Unterschied zwischen Schmitt und Hegel festzustellen, übersieht diesen katholischen Vorrang des guten Grundes, den ,Drei Arten' sehr deutlich von Hobbes' Souveränitätslehre unterscheidet 49 • Begriffsfindung ist für Schmitt existentiell notwendig, da Begriffsverwirrung eine moralische Gefahr - "Promiskuität der Worte"50 - bedeute. Das Ethos, klare Begriffe zu bilden, hat einen theologischen Grund, wenn die Sünde "das Wort berührt und aus dem göttlichen Leib des göttlichen Gedankens ein Mittel irdischer Zwecke gemacht /hat ... /. Diese entsetzliche Verwirrung, dieser Verlust der Eindeutigkeit des Lebens, des Gedankens und der Sprache, ist das wirkliche Mittel der Sünde" 51 . Begriffsklärung ist ein Gebot der Wiedergutmachung. Der Christ glaubt ja an das Wort als dem geoffenbarten Weg zum Absoluten. Die spekulative Bedeutung des Wortes beeinflußt noch Schmitts Souveränitätslehre. Schmitt behält einer dialektischen Auffassung des Wesens des Geistes gegenüber eine katholisch-mystische, aber auch typisch konservative 52 Reserve, die insbesondere im Staats- und Geschichtsdenken eine Differenz zu Hegel begründet. Eine philosophische Selbstbeschneidung der Ansprüche der Dialektik hat Tradition. Platon galt die Dialektik aufgrund seiner religiös verwurzelten Seelenlehre 53 nur als ,zweitbeste Fahrt'54. Zur intuitiven Zusammenschau der Einheit und Ganzheit des Ideenreiches bedarf der Geist der erotischen Mania 55 als Kraft des Aufschwungs. In der spätantiken Theosophie kommt es zu einer Rehabilitierung der ,Sprache der Mysterien'56. Eine Traditionslinie der poetischen Umschreibung des Absoluten führt über die deutsche Mystik in die Romantik. Diese Tradition einer Überordnung der Dichtung in ihrer mystischen Funktion muß man gegenwärtigen, wenn man verstehen will, welche Bedeutung die Dichtung für Schmitt hat, und warum er sich zuletzt nicht auf Philosophen bezieht, sondern den Dichtern das Wort läßt. Däubler grenzt seine lyrische Sprache von der Alltagssprache aus. Dies ist nach Hugo Friedrich insbesondere seit Mallarme 57 ein Hauptelement der vgl. DARD 26ff. PR 113, 1924c, 987. 51 1917b, 76. Heideggers spätes Gedicht ,Sprache' beginnt: "Wann werden Wörter/ wieder Wort?" (In: 1983b, 169, vgl. Gadamer 395ff.). 52 vgl. Greiffenhagen 115 ff. 53 vgl. E. Rohde, Psyche, Freiburg 1894, 570f., 575. 54 vgl. Wieland, Platons Schriftkritik und die Grenzen der Mitteilbarkeit. In: Romantik. Literatur und Philosophie, (Hg) Bohn, Frankfurt 1988. 55 vgl. G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, Frankfurt 4.1973, 203, 330, vgl. allgemein W. Nestle, Intellektualismus und Mystik in der griechischen Philosophie. In: Griechische Weltanschauung in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, Stuttgart 1946. 56 vgl. E. Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt 2. 1984. 57 H. Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik, Hamburg 8.1977, vgl. 96,103,116, 120ff. 49
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Teill: 11. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
modernen Lyrik. Schmitt nennt Däubler den ,modernsten' Dichter 58 , der die Sprache von ihrer Mitteilungsfunktion zu ihrem Offenbarungscharakter befreit und eine "Absage an den Naturalismus des alltäglichen Verständigungsmittels"59 erteilt. Er bejaht hier im deutlichen Widerspruch zur nahen Romantikkritik einen symbolistischen Ästhetizismus. Gerade in der "Umschaffung der Sprache zu einem rein künstlerischen Mittel" sieht Schmitt das "Exorbitante des Werkes"60 und nennt diese poetische Sprache das "Wesen der Sprache", in dem "die Sprache nicht nur sich selber singt und malt, sondern auch sich selber denkt"61: ,Die Sprache spricht' (Heidegger). Schmitt glaubt wie Weber 62 an eine Erlösungskraft der Kunst. Dem Bildungsbürgertum um 1900 wurde die Musik ein Supplement der Religion, wie etwa die populären Schriften von Richard Benz zeigen. Schmitt setzt dagegen die Erlösungsbedeutung der Kunst in ihre geistigste Form, der Lyrik, und hält im Unterschied zu Weber an der Erlösungsfunktion des sinnstiftenden Wortes und der Religion fest. Nicht Wagner, sondern Däubler schaffe das wahre Gesamtkunstwerk; Däubler "geht ganz in die Sprache hinein, um die Musik aus ihr zu entfalten"63 und stiftet die "absolute Musik eines Wortes"64. Neben dem "Zauberer jWagner im Lichte Nietzschesj erscheint Däubler wie ein Kind 65 . Aber er ist auf dem rechten Weg, und die Wahrheit hat sich durch ihn, nicht durch den mächtigen Theatraliker kund getan"66. Däublers große Naivität nähert sich der mystischen Intuition. Wahre Lyrik ist nicht gefällig, sondern spricht als ein reines Sprachkunstwerk den Geist selbst aus: "Die Schönheit ist ein Geschick des Wesens der Wahrheit"67; "Die schreckliche Nacht ist notwendig, um das irdische Licht und die irdische Sonne zum Geist zu drängen; 58 59
vgl. ECS 42, 46.
N 50.
N 42, vgl. 45, 1912e, 26, ECS 47. N 47, vgl. 1970a, 3 . 62 vgl. Weber RS I 554ff. Weber behandelt die Kunst aber als "direkte Konkurrenz zur Erlösungsreligion" (RS I 555), als "innerweltliche irrationale Erlösung". Er nennt denn auch nicht die ,geistigste' (Hegel) aller Künste, die Lyrik, sondern die Musik als die "innerlichste" (RS I 556) der Künste in "ihrer reinsten Form: der Instrumentalmusik" die "Surrogatform" religiöser Mystik. Der Inbegriff musikalischer Orgiastik war für Weber wie Nietzsche der ,Tristan'. Heidegger und Adorno (Versuch über Wagner, 1952) verdammen diese Haltung einmütig im Namen der Wahrheit der Kunst und kritisieren Wagner und den Nazirummel um Bayreuth scharf (vgl. Heidegger 1961 I 101 ff.). Heidegger schreibt: "Das Werk ist nur noch Erlebnisträger" (I 103), und benutzt Hegels Worte, um Wagner als die "maßlose Nacht des reinen Versinkens" (104) in den Orkus zu jagen. 63 1912e, 25. M 1912e, 26. 65 vgl. Zarathustras erste Gleichnisrede ,Von den drei Verwandlungen'. In: Nietzsche SW IV, 29ff. 66 1912e, 25. 67 Heidegger, Was heisst denken? Tübingen 4. 1984, 8. 60
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die letzte Negation ergibt die Überwindung aller Relativität, die Transzendenz"68. In der Erstfassung von 1912 heißt es: "Das Nordlicht selbst erscheint, um es in der Terminologie Hegels auszudrücken, als die Negation der furchtbarsten aller Negationen"69. Zuletzt stößt der Geist seine NegatiVltät von sich ab und überschreitet seine Selbstgebundenheit. Schmitt reiht metaphysische Termini und Metaphern: Der christliche Äon erfülle sich in Däublers "Gnosis", "Visio Dei". "Die Zeit und die Weltgeschichte hören auf, das Irdische versinkt nach dem Sprung ins Metaphysische"70. Die dichterische Inspiration bewahrt die Gnosis als einen Gnadenakt und kommt der übernegativen Transzendenz näher als der dialektische Geist Hegels. "Das Letzte hat noch niemand ausgesprochen", denn die Grundworte gehören keiner Sprachgemeinschaft zu. "Denn wer spricht, ist nicht mehr allein auf der Welt" 71 • Die Mystiker sind keine Literaten. Sie haben kein Publikum, sondern stehen vor dem Angesicht Gottes. Das Letzte sagen die Dichter, indem sie Unsagbares metaphorisch wahren. ,Wert des Staates' beschließt mit einer "Gegenüberstellung von intuitivem und diskursivem Denken" und nennt die Vorrede zur ,Phänomenologie des Geistes' das "bedeutendste Manifest für ein begriffliches, entwickelndes Denken" 72 . Schmitt setzt katholische Mystiker über Hegel Angelus Silesius, Däubler, Weiß - und paraphrasiert Hölderlins Dichtung der Dichtung: ,Was bleibet aber, stiften die Dichter'. "Die Dichter schaffen die Dauer. Sie sind es, die stiften was bleibt" (Schmitt 1952)73. "Dichtung ist worthafte Stiftung des Seins" (Heidegger 1936)14. Große Dichtung vollbringt eine "Erhebung zum Mythos"7s. Wie Heidegger bleibt Schmitt in einer N 76, vgl. PR 104, 1916b, 160. 1912e, 32, vgl. 29. 70 N 60, vgl. 61 ("mystische Befreiung" ins "Reich des Geistes"). 71 1917b, 72. 72 vgl. WdS 109, vgl. auch ECS 68f., 1955d, 147. An Schlüsselstellen findet sich diese Stufung Philosoph, Mystiker, Hegel und die Dichter (vgl. W dS 108 f., N 55, ECS 90 f.). GU erwähnt Paracelsus (vgl. GU 127), N erwähnt die mittelalterliche Mystik oft (vgl. N 16, 24, 51,55,61,69, 1912e, 35). Schmitt paraphrasiert gelegentlich Hölderlin (vgl. 1912e, 19) und ,den Dichter' Goethe. Den Übergang von Däubler zu Weiß begründet Schmitt nach 1945 durch eine Wendung zur marianischen Demut (vgl. ECS 51 ff., 40, 1950a, 930f., 1954b). Die Notwendigkeit der Gnade hob schon N hervor: "Das Letzte und Entscheidende kann nicht ,gemacht' werden" (N 60, vgl. f). 73 1952d, 16, vgl. DC 21. 74 Heidegger 1951, 38, vgl. 32, 1980, 58ff., 1978b, 181ff. Forsthoffverweist 1940 auf Heideggers Interpretation und fügt hinzu, daß "entsprechendes wohl von der Setzung des Rechts gesagt werden kann, welche das Recht ,stiftet', das heißt verbindlich der geistigen Welt einfügt" (1940, 9, vgl. Wolf, Das Wesen des Rechts in der Dichtung Hölderlins. In: ZfdKph 6 (1944». Hüsmert überliefert eine glaubwürdige Äußerung Schmitts von 1984: ,,' Ja', sagte er, ,merken Sie sich ein letztes Wort von mir. Wenn Heidegger auf Däubler statt auf Hölderlin gestoßen wäre, dann wäre er der größte deutsche Sprachphilosoph geworden" (Hüsmert 1988, 46). 75 HH 54. 68
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4 Mehring
Teill: II. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
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mystischen Reserve gegenüber einer vielleicht protestantisch zu nennenden Metaphysik des Geistes. 2. Die Bestimmung des Absoluten als Transzendenz
Der Transzendenzbegriff führt zu theologischen Spekulationen, die Schmitt nur andeutet. Trotzdem soll er näher entwickelt werden, damit im Verhältnis zum Absoluten jene Differenz zu Hegel deutlicher wird, die letzte Unterschiede in der Staatsanschauung und dem Geschichtsbild begründet. Für den philosophischen Wortgebrauch wurde Kants Unterscheidung von transzendental und transzendent prägend. Die Transzendentalphilosophie wollte nach einer bekannten Formulierung "das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen"76, genauer: um jenem Freiheits- und Vernunftglauben eine Möglichkeit einzuräumen, der die praktische Voraussetzung dafür ist, sich als Mensch zu begreifen. In der Ausgrenzung einer transzendenten Schwärmerei gewann Kant seine kritische Wissenschaftlichkeit. Eine transzendente Fiktion denkt er doch, eine "brauchbare und erlaubte Idee zum Behufe eines vernünftigen Glaubens" 77: den mundus intelligibilis. Kant baut die Transzendentalphilosophie selbstbewußt auf einen nicht erkennbaren, aber praktisch notwendig zu denkenden Vernunftglauben. Der Geist glaubt ursprünglich evident an sich selbst. Dieser kritische Transzendenzbegriff löst die Differenz von Geist und Transzendenz auf, indem Transzendenz gedacht wird. Die Husserlschule ging von dieser Bedeutung aus. So verwendet Heidegger einen Transzendenzbegriff zur Vorbereitung seiner Kehre um 1929 in ,Was ist Metaphysik?' und ,Vom Wesen des Grundes' und sieht in der "Transzendenz des Daseins" die "Grundstruktur der Subjektivität". Ähnlich betont Schmitt den existentialen Charakter des Transzendierens: "Beim Menschen schlägt das Transzendierende immer durch" 78. Dieser Auslegungstradition entrückt der scholastische Wortgebrauch, der die Transzendenz nicht als einen ursprünglichen Akt der Subjektivität, sondern als einen absoluten Grund umschreibt. Die Bestimmung des Absoluten als Transzendenz widerspricht der katholischen Trinitätslehre nicht, sondern formuliert das Wesen Gottes an sich selbst negativ-theologisch. "Zwischen Mystik und Scholastik besteht kein Unterschied"79. Gott ist an sich selbst über jedem Begriff. Die platonistische Dialektik faßt an Platons ,Parmenides' anschließend das Absolute als das eine, absolut begründende Prinzip des Vielen 80 . In Absetzung vom Vielen heißt es auch absolute Differenz, differenzloKant, Kritik der reinen Vernunft B XXX. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 462. 78 1955d, 150. 79 M. Grabmann, Wesen und Grundlagen der katholischen Mystik, München 1922, 57, vgl. Heidegger, Frühe Schriften, Frankfurt 1972, 352f. 80 vgl. W. Beierwaltes, Identität und Differenz Frankfurt 1980, 25 ff. 76 77
2. Die Bestimmung des Absoluten als Transzendenz
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se Selbstheit oder Indifferenz, wie Nicolaus von Cues und auch Schelling anschließend sagen. Schmitts Romantikkritik bekämpft nicht zuletzt den säkularisierten Verbrauch dieser onto-theologisch präzisen und werthaltigen Begriffe. Das Prinzip kennzeichnet eine Parallelstruktur. Als Grund ist es im Vielen anwesend, an sich selbst aber überragendes Abwesen. ,Ich bin, der Ich bin'81, ,Sein selbst ist der Ab-Grund' 82 . ,Sichtbarkeit der Kirche' bezeichnet dies Selbstsein sinnbildlich mit der traditionellen Metapher von der ,Einsamkeit'83 Gottes als ein "Ergebnis äußerster Reflexion in einem konkreten Bild"84. Der heidnische Platonismus dachte das Absolute zur Begründung der Welt. Der christliche Raum übersetzt das Verhältnis vom einen Prinzip zum Vielen in die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Welt. Aber warum ist die Schöpfung? Augustinus und Hegel markieren hier historische und systematische Gegenpositionen. Hegel hat die Negativität ins Sein selbst hineingenommen 85 . Gott wird als Geist begriffen und ist selbst diese Bewegung des Begriffs. In Hegels Metaphysik des Geistes ist die Schöpfung deshalb zur Selbstvollendung Gottes notwendig. "Ohne Welt ist Gott nicht Gott"86. In kritischer Nähe zum Neuplatonismus 87 betonen Augustinus und die katholische Tradition dagegen das transzendente Selbstsein Gottes gegenüber der Schöpfung, die als Gnadengeschenk erscheint: Gott ist gut und will die Schöpfung, bedarf ihrer aber nicht. Gott selbst ist reines Sein, Indifferenz, Transzendenz. Da Negativität Gott selbst nicht zukommt, entwickelt der Katholizismus das Dogma von der Erbsünde als eine Antwort auf das Theodizeeproblem, das spekulativ entsteht, wenn die Welt als Gnadengeschenk eines allmächtigen Gottes erscheint. Schmitts Transzendenzbegriff schließt sich an die katholische Tradition an. Dieser Gottesbegriff hat geschichtstheologische und politische Konsequenzen. Während Hegel die Versöhnung philosophisch begreift, nimmt Schmitts Stellung zu Gott die Form einer Parteinahme im heilsgeschichtlichen Kampf an. Schmitts Rückgang auf die Kirchenväter und die urchristliche Geschichte, den seine apokalyptischen Gegenwartsanalysen geradezu erfordern, bringt eine schwer abgrenzbare Nähe zum gnostischen und jüdischen Denken mit sich. Die Annahme einer gnostischen Metaphysik ist aber unnötig 88 und stempelt Schmitt nicht zum Häretiker, vgl. W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972, 43ff. vgl. Heidegger, Der Satz vom Grund 1978a, 93 f., 105, 184f. 83 1917b,72f. 84 1917b,75. 85 vgl. Heidegger 1978c, 356, 1961, I 73f. 86 Hegel XVI 192, vgl. XIX 416; Schmitt spricht vom ,pantheistischen Rationalismus' (vgl. PR 80f.). Dilthey definiert als einen Hauptsatz des Pantheismus: "Die Welt ist die notwendige Explikation der Gottheit" (GS II, 331). 87 vgl. Beierwaltes 1972, 37f., Hegel XIX 413, 447. 88 Gnostisch wirken die Betonung der Transzendenz Gottes, der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und ein Einschlag von Mystizismus. Schmitts Standpunkt zur Dogmengeschichte geht am ehesten aus PT II hervor. Außer in DARD erwähnt er die Scholastiker nie entscheidend. Und auch Augustinus spielt kaum eine Rolle (vgl. WdS 53, 81
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Teil I: H. Positionsnahme in Kritik des Zeitgeistes
da die Gnostiker als "Theologen des 1. lahrhunderts"89 vor der Fixierung des Dogmas lebten. 3. Der Übergang zum Reich des Sohnes
Schmitt versteht sich als politischer Theologe. Die generelle Haltung der Kirche zum Politischen kann hier nicht Gegenstand sein. Wir vemächlässigen auch die werkbiographische Perspektive und suchen im Vorgriff einen trinitarischen Zug, obwohl Schmitt nicht auf dem Boden der Hochscholastik steht. Zwar zeigt sich ein Bedürfnis nach Dreigliedrigkeit, aber vielleicht steht es mit der Wertschätzung der autoritären Form der Kirche so: Die Form ist bejaht, allein es fehlt der Glaube. So versteht man Schmitt als einen laisierten Kleriker, der im Nationalsozialismus seine Ersatzkirche findet. Diese Deutung ist plausibel und vielleicht sogar wahr. Nach 1945 schrieb Schmitt aber christliche Interpretationslinien seines Werkes vor. Von den zwei Seiten des Früh- und Spätwerkes aus kann man eine katholische Interpretation des politischen Werkes wagen. ,Katholizismus' deutet das Trinitätsdogma als eine klare Mischung immanenter und transzendenter Elemente 90 • Die Anerkennung des Politischen rechtfertigt ,Politische Theologie 11' gegen Augustinus an Gregor von Nazianz 91 anschließend durch eine begriffssoziologische Deutung der Trinität, die das Dogma selbst ideenpolitisch versteht. Daß Schmitts Transzendenzbegriff im trinitarischen Kontext bleibt, belegt seine Wiederverwendung im HobbesKristall, das Schmitt ein "System-Kristall" und die "Frucht einer lebenslangen Arbeit an dem großen Thema im ganzen und dem Werk Thomas Hobbes im besonderen"92 nennt. Das Kristall unterscheidet ein Oben und Unten. Das Unten wird mit Hegels Begriff ein ,System der Bedürfnisse' genannt, das Oben entwickelt eine politisch-theologische Systematik, die ein Fundierungsverhältnis formuliert, das vom Menschen aus "in umgekehrter Reihenfolge" nachvollzogen werden soll. Schmitt hält an der Vermittlung von oben fest, während selbst die traditionell orientierte Ontologie seiner Zeit das neuplatonische Schema umdrehte und ihre Schichtenmodelle von unten fundierte. N 53, 60). Entscheidender sind die spätantiken Kirchenväter in der Ausbildungsphase christlicher Dogmatik, insbesondere Tertullian und Eusebius, zu denen Schmitt biographische Identifikationen herstellt. Schindler / Scholz (In: Taubes 1985) nehmen PT zum "Ausgangspunkt" (161) der "Theologie Carl Schmitts". Die Arbeit gibt eine "erste theoriepolitische" (165), oder, wie Lübbe treffender sagt, ideenpolitische Erklärung. Sie versteht Schmitts Theologie als Liberalismuskritik in Anschluß an Cortes und erkennt ,Die Sichtbarkeit der Kirche' und RKpF als christologische Legitimierung der Instituion Kirche (vgl. 168ff.). 89 Hamack 65. 90 vgl. RKpF 12, ARSPh 1937, 631. 91 vgl. PT II 116 ff. 92 BP 122.
3. Der Übergang zum Reich des Sohnes
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Schmitts Schritte sind im einzelnen wichtig. Hier interessiert aber nur das Verhältnis der Transzendenz zu Jesus Christus. Den "Schlußstein" des Hobbes, ,Veritas: Jesus Christus', nennt Schmitt eine "Wahrheit des öffentlichen Glaubens". Glauben und Bekenntnis sind aber zweierlei. Das Bekenntnis zu Christus ist die Grundlage der Anerkennung politischer Entscheidungen, der persönliche Glaube transzendiert jedoch dieses Bekenntnis. Schmitt zweifelt aber auch an der Neutralität des Bekenntnisses. Er nennt das "systematische Grundproblem" seiner Staatsmetaphysik die "Frage, ob die Neutralisierung über den Rahmen des gemeinsamen Bekenntnisses zu Christus hinaus weitergetrieben werden kann, etwa zu einem gemeinsamen Glauben an Gott"93. Die Unbestimmtheit der Transzendenz scheint dies zu ermöglichen; sie würde etwa eine Verständigung mit monotheistischen Religionen wie dem Judentum und Islam erlauben. Der Transzendenzbegriff steht religionsgeschichtlich betrachtet aber im Begründungszusammenhang zum Christusglauben .. Die monotheistischen Religionen werden sich deshalb nicht auf ein gemeinsames Bekenntnis einigen können und selbst innerhalb des Christentums gibt es keinen Minimalkonsens. Das bloße Bekenntnis zu Christus birgt nämlich die Gefahr einer humanistischen und antichristlichen Verkehrung der Christologie in sich, in der Schmitt den Grund des modernen Säkularisierungsprozesses sieht. Schmitts Ansätze zum trinitarischen Denken umgehen den trinitarisch wesentlichen Erlösungsgedanken. Die Rolle der Kirche bleibt unklar, und auch die urchristliche "religiöse Schätzung der Gemeinde"94- als Träger pneumatischer Erweckung spielt keine Rolle, was überrascht, wenn man seine Wertschätzung des Bildhaften, Symbolischen und Mythischen bedenkt. Die Kirche ist für Schmitt nicht als eine mystische Kultgemeinde wichtig, sondern als eine institutionelle Garantie der heilsgeschichtlichen Sinndeutung. Lediglich ihre Existenz wäre demnach heilsgeschichtlich wichtig. Schmitt verlagert seine Erlösungshoffnungen von der Gnadenanstalt Kirche über den Staat und das dritte Reich auf die Geschichte. "Rettung" nennt er 1942 den "Sinn aller Weltgeschichte"95; ,Versöhnung ist mitten im Streit', ruft Hölderlins Hyperion sich am Ende zu. "Auch hier sind Götter und walten, / Groß ist ihr Maß", endet ,Land und Meer'. 1965 zeigt Schmitt, daß der Übergang von der Kirche zum Staat eine Konsequenz der juristischen Frage nach dem Entscheidungsmonopol ist und keinen Bruch mit der Frömmigkeit bedeute. So glaubte schon J oachim de Fiore, daß die kirchlichen Sakramente in der Endzeit überflüssig werden 96 , wenn das Reich des Geistes angebrochen sei. Dieser ,politisch-theologischen Interpretation des Dogmas von der Trinität'97 scheint Schmitt zuzustimmen. BP 122, vgl. NE 83, 1965b (L) 161 ff. Weber RS III 307, vgl. 306f., 396f., vgl. Bultmann, a.a.o., 190ff. 95 LM 83. Schmitt zitiert hier Konrad Weiß (vgl. H. Meier 1988, 91 FN) und findet bei Däubler eine "Rettung der Menschheit durch den Geist und im Geiste" (ECS 49). "Die Rettung geschieht unmittelbar durch Gott" (PR 130). 96 vgl. Löwith 1953b, 141. 91 vgl. PT 11 93. 93
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Die Zweifel an Schmitts Kirchentreue steigern sich bis zum Zweifel an seinem Glauben, wenn man die Transformation des christlichen Ansatzes bedenkt; wie der Begriff der politischen Idee und der Mißbrauch seiner Legitimierungskraft deutlich zeigt. Sachlich bleiben wir im Assoziationsraum der trinitarischen Spekulation. Die Transzendenz nennt Schmitt auch die Idee. Platon nannte die Idee des Guten die überragende 98 Idee der Ideen. Eine Idee wird hier zum Subjekt verschiedener Prädikationen und bildet die Totalität des Ideenreiches. Aristoteles begreift dies Absolute als die selbst bezügliche Identität eines Denkens des Denkens 99 • Hegel geht von der prinzipiellen Übereinstimmung von Aristoteles mit Platon aus 1OO • ,Die Idee denkt Ideen' ist für Hegel ein spekulativer Satz 101 und eine analytische Definition Gottes. Seine Logik definiert Gott deshalb einfach als die Idee. Synonym für Wahrheit 102 spricht Schmitt von der Idee im absoluten Sinn schon am Ende von ,Wert des Staates' im Zusammenhang mit Hegel: In mystisch unmittelbaren Zeiten sei die "Hingabe des Einzelnen an die Idee etwas den Menschen Selbstverständliches" 103. Schmitt spricht dann von verschiedenen Ideen, von der Idee der Repräsentation 104-, der GerechtigkeitlOS und der kirchenfeindlichen Aufklärungsidee der Humanität 106 , die "abstrakt" bleibe. Die Kirchenhierarchie repräsentiert dagegen in der Nachfolge Christi den persönlichen Gott. Schrnitt prädiziert der wahren Idee diese Ideen von Repräsentation und Gerechtigkeit. "Zum Politischen gehört die Idee, weil es keine Politik gibt ohne Autorität und keine Autorität ohne ein Ethos der Überzeugung" 107. Die sittliche Bedeutung der Idee betont die ,Politische Theologie': der "Kern der politischen Idee" sei "die anspruchsvolle moralische Entscheidung" 108. Die Idee fügt Moral und Politik zusammen. Durch den Bezug zum Glauben gewinnt das Politische seine Autorität. Erst die in einem Repräsentanten personifizierte Idee verleiht der Macht die Autorität des Politischen. Der Souverän vermittelt höchstpersönlich die Idee mit dem Politischen und leitet von seiner repräsentativen Funktion das Recht ab, vgl. Platon, Staat 509b . vgl. Aristoteles, Metaphysik 1072b, 1074b. 100 vgl. Hegel XIX 133, 135. 101 vgl. Hegel III 46ff., Gadamer 441 ff., Beierwaltes 1972, 45ff.; W. Marx, Absolute Reflexion und Sprache, Frankfurt 1967; G. Wohlfahrt, Der spekulative Satz, Berlin 1981. 102 vgl. WdS 109. Einen Wandel der "Wahrheit zur allgemeinen Richtigkeit" (N 65) formuliert Schmitt wie später Heidegger (1978c, 228, 230, vgl. 1961 I 511 ff.). 103 WdS 108, 74f. FN. Nicoletti erkennt die platonische Bedeutung der Idee als "Sein und Grund" (1988, 118). 104 vgl. RKpF 35ff., 44f. 105 vgl. RKpF 50f. 106 vgl. RKpF 56 f., 59 ff. 107 RKpF 28. 108 PT 83, vgl. PR 77. 98 99
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3. Der Übergang zum Reich des Sohnes
verbindliche Entscheidungen zu treffen. Politische Idee bezeichnet nicht irgendeine politische Meinung, sondern die Schöpfung des politischen Status durch eine Repräsentation, die ein soziales Machtgebilde in eine politische Herrschaftsform umbildet und ein politisches Ethos (Staatsethik) konstituiert. Die Idee der Repräsentation ist Schmitts politischer Grundbegriff, der sich polemisch gegen den modernen Zeitgeist, seine demokratischen Legitimitätsvorstellungen und seine liberalen Institutionen richtet: "Die heute herrschende Art ökonomisch-technischen Denkens vermag eine politische Idee gar nicht mehr zu perzipieren" 109. Die politische Idee der Repräsentation steht deshalb im Widerstreit zum Liberalismus llo und zu den Bolschewisten, die aus einer "Feindschaft gegen die Idee" 111 heraus "aus dem Kampf für das ökonomischtechnische Denken einen Kampf gegen die Idee machten"ll2. Schmitt vermeidet einen theologischen Wortgebrauch und verschränkt die Idee mit dem Politischen. Die Idee der Repräsentation erscheint als eine Hypostase. Eine Idee repräsentiert und personifiziert "sich" 113. Die Frühfassung des System-Kristalls ist folgendermaßen skizzierbar: Vermittlung 'von oben' Die Idee
Polit:ische Form
1.pe!:"son~fiZief~ng (C~ristuS) 1
l [
Reprasentatlon (Klrche)
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Legitimität
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l
I '
Das Politische
morallische Ent7eidun9
(Gla~
der Regierten)
Die Skizze zeigt die Legitimierungsfunktion der Idee, die der Souverän für sich in Anspruch nimmt. Damit stellt sich die schwer zu entscheidende Frage, ob Schmitts politische Theologie eine moderne Form des Priesterbetrugs in herrschaftsstabilisierender Absicht ist. Uns erscheint sie unglaubwürdig, weil die katholische Tradition und auch die Tradition der deutschen Staatsmetaphysik ferngerückt sind. Die nationalsozialistische Kollaboration und die Schriften 109 110 111
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RKpF 45. RKpF 36.
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der Kriegsjahre legen den Verdacht nahe, Schmitts Katholizismus sei nur ein Lippenbekenntnis, zumal die Berufung aufs Christentum zur politischen Rhetorik des Nationalsozialismus gehörte. In Schmitts politischer Theorie scheint ein völkischer Mythos an die Stelle des Christentums zu treten 114, der die Bindung an Gott durch die Bindung an Volk und Führer ersetzt. Dieser politische Mythos übernimmt die Funktionen der Idee, Autorität zu stiften. Schmitt betont die "Bedeutung des Mythischen" als "Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie" 115 • Die Gefahr für die Idee, die "ideelle Gefahr", heiße Pluralismus. Schmitt schreibt: "Für die politische Theologie ist das Polytheismus, wie jeder Mythos polytheistisch ist. Aber als gegenwärtig starke Tendenz kann man es nicht ignorieren" 116. In den 20er Jahren erschien nach der Diagnose der Götterdämmerung ein Regress zur Antike notwendig. Der ,Begriff des Politischen' formuliert dialektisch konsequent ein politisches "Pluriversum"l17 und einen "Pluralismus der Staatenwelt". In dieser Lage verfechten die Nationen den modernen Polytheismus der Weltanschauungen. Den von Nietzsche prognostizierten Kampfum die ,Erdherrschaft'118 und den neuen Nomos der Erde sieht Schmitt als eine Konsequenz des modernen Polytheismus an. Im Nationalsozialismus bejaht er bis 1942 ein Reich, das Mitteleuropa anders als ein universalistischer Völkerbund oder der szientistische Mythos von der Einheit der industriellen Welt wirklich einen könne. Das romantische Programm einer neuen Mythologie, dem Schmitt ab 1923 zu folgen scheint, muß man nicht als einen Gegensatz heidnischer Demiurgen zum einen Gott verstehen. Die politische Romantik stellte nach Frank 119 den Mythos in den Dienst der Idee. Dies klingt schon im ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus an: "wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft werden. Ehe wir die Ideen ästhetisch, d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse"12o. Ich vermute, daß Schmitt seine Bindung an die katholische Form und Idee niemals aufgegeben hat und versuche dies durch den Nachweis wahrscheinlich zu machen, daß er seine politische Theorie der Kirche abliest und sein politischer Kampflebenslang den Mächten des Atheismus gilt. Schmitt bewahrt Form und Feind der Kirche. Da er den Boden der politischen Absicht nicht verläßt, ist schwer zu zeigen, daß hinter dem völkischen Mythos die christliche Idee steht. vgl. SBV 42, VGO 34f., 38,49. GLP 89. 116 GLP 89. 117 BP 54, vgl.ff, vgl. Demandt 1988, Kaufmann 1988. 118 vgl. Jaspers, Nietzsche, Berlin 3. 1950,268, Heidegger 1980, 252, 1961 I 185, H. Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsehe, Berlin 1987, 239ff. 119 vgl. M. Frank, Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt 1982, 153ff. 120 Hegel I 235 114 115
1. Von der Idee zur Institution
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111. Politische Form und allgemeine Feindbestimmung 1. Von der Idee zur Institution
,Die Sichtbarkeit der Kirche' rechtfertigt 1917 die Institution der katholischen Kirche aus dem Glauben an die Menschwerdung Gottes und macht die Christologie zum Ausgangspunkt des institutionellen Denkens. Durch Christus überwindet der Mensch seinen natürlichen Solipsismus und tritt als ein intersubjektives Wesen in die Gemeinde der Gläubigen ein, die den Menschen "als Wesen in der Welt"l erst konstituiert. Nicoletti spricht deshalb von der ,inneren Theologizität aller politischen Vermittlung'. Das Mysterium der Menschwerdung Gottes ist für Schrnitt entscheidend 2 ; im Glauben an den Mittler liege der Glaube an die Institution Kirche: "Man kann nicht glauben, daß Gott Mensch geworden ist, ohne zu glauben, daß es, solange die Welt bestehn wird, auch eine sichtbare Kirche gebe" 3 . Schrnitt betont, daß "die Sichtbarkeit der Kirche sich aus ihrem Wesen, das Vermittlung ist, ergibt"4. Nach der Auferstehung bleibt die leidende und duldende Mutter, die Kirche, als mystischer corpus christi zurück. Nun ist die Kirche selbst etwas Vermitteltes und deshalb mit ihrer Idee nicht identisch. Es gibt einen "Unterschied von sichtbarer und konkreter Kirche"s. Sichtbarkeit meint die aus dem Glauben an Christus abgeleitete Idee der Kirche überhaupt, die die politische Idee der Repräsentation stiftet. Eschenburg schreibt zu Augustinus: "Die sichtbare Kirche ist nur eine Repräsentation, eine Vorbildung der civitas dei"6. ,Die Idee tritt immer als ein fremder Gast in Erscheinung', zitiert ,Wert des Staates' Goethe 7 • Die konkrete Kirche leidet unter dieser "Dialektik jeder Realisierung"8 durch "Einwirkung des zu beeinflussenden Mittels"9. Ausführungen zum Machtraum des Teufels anerkennen diese Logik und Dämonie des politischen Urphänomens der Macht, das ,Diktatur und Belagerungszustand' gleichzeitig analysiert. "Der Teufel hat nämlich auch seine eigene Gesetzmäßigkeit"lo. Aber auch der Teufel lebt von Nicoletti 1988, 123, vgl. ff. vgl. ECS 61, 1965b (L) 162ff., vgl. ScholzjSchindler. In: Taubes 1985, 169, 171, Nicoletti 1988, 123fT. 3 1917b, 75, vgl. RKpF 32, 58, D 48,130. Umkehrung eines berühmten Wortes von Augustinus: "Ich würde nicht an das Evangelium glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu bewegt hätte" (cit. Eschenburg 46). 4 1917b,76. s 1917b,77. 6 Eschenburg 49. 7 vgl. WdS 74 FN, 80. s RKpF 59, vgl. PT 41, vgl. Hegel Rph § 113, XIII 246. 9 1917b,77. 10 1917b, 80. 1
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Teil I: III. Politische Form und allgemeine Feindbestimmung
Gott. Die konkrete Kirche vermag ihre Idee deshalb sowenig zu widerlegen, wie ein ungerechter Staat die Idee der Gerechtigkeit. Schmitt begreift die Entfremdung der weltlich-allzuweltlichen, ja, diabolischen Kirche von ihrer Idee als eine mögliche "Inkongruenz von konkreter und sichtbarer Kirche", beharrt aber auf der Universalität der katholischen Kirche gegenüber der "religiösen Möglichkeit des Protestantismus". Ihre einzigartige Legitimität beruhe auf der kontinuierlichen "Nachfolge im Priester-, Lehr- und Hirtenamt"ll. Während nach ,Wert des Staates' jeder Staat legitimiert ist, der sich der Rechtsidee unterstellt, beruht die Kirche auf einer gleichermaßen historischen und religiösen Tatsache. Schmitt scheint dem Katholizismus ein Monopol legitimer Kirchlichkeit zuzusprechen, das die Inkongruenz tilgt: "Gibt es nur Eine Kirche, so ist die Kirche notwendig vollkommen"12. Diese Ausführungen stehen in einer langen und verzweigten Tradition der katholischen Soziallehre, von der Schmitt ausgehend zum Institutionendenken gelangt. In den turbulenten Jahren bis zur Festigung der Weimarer Republik, die Schmitt vorübergehend im Brennpunkt München erlebte, zeigte sich die Notwendigkeit handlungsfähiger staatlicher Institutionen. Hofmann versteht Schmitts Übergang vom Legitimationsproblem zum Existenzproblem des Staates aus dieser Notlage und schreibt: "In dem Maße, in dem zwangsläufig die Frage der Bewältigung der Wirklichkeit / ... / in den Vordergrund des Interesses rückte / ... /, trat die Frage nach dem Wert des Staates und der Staatsakte als geradezu sekundär zurück" 13 . In den Jahren zwischen 1917 und 1923 liegt eine Anerkennung der eigenlogischen Machtsphäre politischer Institutionen, die in einer ersten Hobbesrezeption und der Übernahme von Hobbes' Erkenntnis Ausdruck findet, daß "der Wert des Staates gerade darin liegt, daß er das Recht schafft, indem er den Streit um das Recht entscheidet" 14. Die Legitimationsfigur von, Wert des Staates' entfällt wegen der politischen Einsicht, daß die Berufung auf die Rechtsidee mehr Streit als Begründung schafft. An die Stelle der früher betonten Legitimationsbedürftigkeit rückt eine Anerkennung der Existenznotwendigkeit der Institutionen. Die Legitimierung erfolgt nicht mehr durch eine Rechtsidee, sondern durch die Rückführung der Autorität des Staates auf eine Idee. Gewiß spielen Zeiterfahrungen für diesen Wandel eine Rolle. Aber die Entscheidung zur wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Probleme und ihre Behandlungsform sind eigens begründungsbedürftig. Das Endliche enthält kontingente Momente, weshalb die Methode wechselt. Im geläufigen, hier genügenden Sinn wechselt Schmitt von der Deduktion zur 11 1917b, 78, vgl. Eschenburg (32fT.) zur Umbildung römischer Autoritätsvorstellungen in die Kirche. 12 WdS 45. 13 Hofmann 75f. 14 D 22, vgl. PB 136 (1930: "Der Wert des Staates liegt für jede staatsphilosophische Betrachtung - gleichgültig, ob individualistischer oder kollektivistischer Richtung doch jedenfalls in seiner konkreten Wirklichkeit").
1. Von der Idee zur Institution
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Induktion und sucht im konkreten Gefüge das der Idee Geziemende. Bei Ranke heißt es: "Ohne Sprung, ohne neuen Anfang kann man aus dem Allgemeinen gar nicht in das Besondere gelangen. Das Real-Geistige, welches in ungeahnter Originalität dir plötzlich vor den Augen steht, läßt sich von keinem höheren Prinzip ableiten" 15 • Hegel entschied sich um 1800, biographisch deutlich durch seine Abwendung von Hölderlin, zur Affirmation der Wirklichkeit und der ,Vereinigung mit der Zeit'l6. In einem Brief an Schelling bezog er diese Entwicklung auf seine Verwandlung des Jünglingsideals zum System l7 . Um das dreißigste Lebensjahr erfolgt auch Schmitts Romantikkritik. Das Verhältnis von Idee und Wirklichkeit behandelt er aber elastischer als Hegel, ohne auf die ,Einstückung des Mythos' (Schmitt) zu verzichten. Auch Augustinus wollte den Heilsplan nicht demonstrieren 18. Gerade die Kirchengeschichte zeigte zwischenzeitliche Ablösungen des Politischen von der Idee, die sub specie aeterni gegenüber der kontinuierlichen Existenz der Kirche unwesentlich erscheinen. Nach seiner Positionsnahme erweitert Schmitt seinen ideengeschichtlichen Horizont. ,Diktatur und Belagerungszustand' drängt zur Ideengeschichte. Mehr noch wäre die 1921 veröffentlichte ,Diktatur' ein merkwürdiger Versuch staatsrechtlicher Krisenbewältigung. Am Problem der Diktatur behandelt sie die Eigenlogik des Vollzugs; rechtsphilosophisch liege das "Wesen der Diktatur / ... / in der allgemeinen Möglichkeit einer Trennung von Normen des Rechts und der Rechtsverwirklichung" 19. Mit der Politisierung des Entscheidungsdenkens tritt eine Gegenwartsdeutung hinzu. Die ,Diktatur' antwortet aber nur indirekt auf jene Lage, die das Stichwort Novemberrevolution bezeichnet. Die Autoritätskrise des Staates und die aktuelle Revolutionsgefahr sieht Schmitt in den größeren historischen Zusammenhängen, die der Untertitel andeutet: ,Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf. Wie die Vorarbeit behandelt die ,Diktatur' die Revolutionsjahre 1789 und 1848 als Wendezeiten. Wie der Belagerungszustand steht der Begriff der kommissarischen Diktatur der politisch-theologische Konsequenz von 1789 polemisch gegenüber: der souveränen Diktatur des Volkes. Mit einem antimarxistischen Akzent setzt Schmitt den diktatorischen Verfassungshüter gegen die politisch erwachte Bewegung, die sich auf der Seite der kommenden Dinge weiß und im Namen der Menschheit kämpft. Der Reichspräsident repräsentiert aber noch nicht die haltende Gegenrnacht der demokratischen Revolution. Schmitt Ranke, Politisches Gespräch, (Hg) Schieder, Göttingen 1955, 57. vgl. Löwith, Jacob Burckhardt, Stuttgart 1966, 143ff. 17 vgl. Hegel an Schelling, 2. 11. 1800. In: (Hg) Hoffmeister, Briefe von und an Hegel, Hamburg 1952, Bd I, 59. 18 vgl. Löwith 1953b, 157f. 15
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führt erst 1924 seine Sicht des Diktaturartikels der Weimarer Verfassung aus, die noch ausführlicher zu behandeln ist. Sehr breit entwickelt er dagegen die Ideengeschichte der systematischen Begriffe der kommissarischen und souveränen Diktatur. Die Stoffmenge bedrängt die Linienführung und belastet den Leser, der den Eindruck gewinnen mag, Schrnitt schreibe am Leitfaden des kritischen Begriffs der Diktatur eine Ursprungsgeschichte des modernen Staates und vorab ein Gegenstück zu Meineckes Idee der Staatsräson, die Schmitt nicht zufällig rezensierte. Die ,Diktatur' tendiert zur Kritik der modernen Demokratisierungsbewegung seit 1789. Schmitt ordnet die Verfassungsgeschichte der Französischen Revolution und das Rechtsinstitut des Belagerungszustands in die historische Bewegung und den metaphysischen Gegensatz der mittelalterlichen Repräsentation zur modernen Selbstlegitimierung ein. Die ,Diktatur' beschreibt von Machiavellis neuzeitlicher Wendung zur technizistischen Staatsanschauung ausgehend, wie die Repräsentation in der Praxis zur Umbildung der päpstlichen Souveränität in den Absolutismus und zur allmählichen Umkehrung des Subjekts der Repräsentation führte; seit Rousseau tritt der Mensch als Ursprung der Legitimität an die Stelle Gottes. Damit spannt Schmitt das rechtstheoretische Hauptproblem des Frühwerks - die Eigenheit der Rechtsverwirklichung - in sein Geschichtsbild. In dieser umfassenden Einordnung führt er ,Diktatur und Belagerungszustand' weiter. Das Vorbild der kommissarischen Diktatur sind die päpstlichen Kommissare des Mittelalters, und als der große geschichtliche Gegensatz erscheint die katholische Form gegen die Kraft der demokratischen Revolution. Die ,Diktatur' behandelt die "Umgestaltung" der Kirche zur päpstlichen "Souveränität" als den "Übergang vom Mittelalter zum Begriff des modernen Staates" 20 . Die Darstellung der Praxis der Kirche steht zwischen ihrer früheren Legitimierung und ihrer Definition in ,Katholizismus'. Die Differenz von sichtbarer und konkreter Kirche wird dann in ,Katholizismus' "nicht einmal mehr thematisiert"21. 2. Form und Feind der Kirche ,Römischer Katholizismus und politische Form' legitimiert 1922 die Macht der Kirche nicht mehr, sondern beschreibt ihre Form von der Aversion ihrer Gegner ausgehend, die sich am politischen Geschick und der "unfaßbaren politischen Macht des römischen Katholizismus"22 entzündet. Mit der Hinwendung zum Konkreten wird Schmitts dialektische Definitionsmethode polemisch. Seine Abgrenzungen treffen einen konkreten Gegner. 20 21 22
D 43, vgl. 127. Neumann 82, vgl. RKpF 32. RKpF 6.
2. Fonn und Feind der Kirche
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,Katholizismus' nimmt die Problematisierung der Legitimität der konkreten Kirche nur noch als eine gegnerische Fragestellung und konstatiert die Inkongruenz als einen unlösbaren und gerade deshalb anzuerkennenden "Antagonismus"23 von Recht und Selbstbehauptung. Dabei scheint Schmitt die Machtbehauptung der Kirche durch ihre Integration aller Meinungen in die politische Form zu faszinieren, die eine ,complexio oppositorum'24 wird. Der Opportunismus der Kirche sei bewundernswert elastisch 2S , meint Schmitt. Das Thema der Schrift - die politische Form der Kirche - überrascht nur, wenn man seine polemische Dimension übersieht. Die Kirche begreift Schmitt nämlich als die Wahrheit des Parlamentarismus. Ihre Form profiliert er gegen die Romantik und den Parlamentarismus, die im Prinzip dasselbe unendliche Gerede seien. Schmitt will das government by discussion 26 im Kern treffen, indem er den Parlamentarismus als eine sinnlos gewordene Fortsetzung des romantischen Gesprächs 27 beschreibt. Die Romantikkritik ist sein Auftakt zur Parlamentarismuskritik. Gegen die ,schlechte Unendlichkeit' (Hegel) des romantisierenden Parlamentarismus setzt er die Kirche. Der Begriff der politischen Haltung der Kirche - complexio oppositorumsteht dem Occasionalismus der Romantik nahe. Auch die Romantiker streben nach einer Integration aller Gegensätze. Diese Nähe war ein Motiv der Konversion führender Romantiker zum Katholizismus. Schmitt nennt es aber eine "Promiskuität" 28 , den romantischen Geist katholisch zu finden. "Der Katholizismus ist nichts Romantisches"29, heißt es schon in der ,Romantik', die die Kirche von den romantischen Konvertiten absetzt. Während das romantische Transzendenzstreben nur vor der Wirklichkeit flüchtet und die einfache Wahrheit verkennt, gelingt der Kirche die Formierung des Heterogenen. Ihre Haltung entspricht aber keinem einfachen ,Entweder/ Oder'30, sondern einem selbstbewußt entschiedenen "Sowohl-Als auch"31. Demokratische Momente beirren die Kirche nicht. Die kirchliche Repräsentation macht sich vom Willen der Gemeinde nicht abhängig, sondern ruht souverän im Bewußtsein ihrer Legitimität, die einzig wahre Hüterin der Idee zu sein. Eine "unendliche Vieldeutigkeit verbindet sich wiederum mit dem präzisesten Dogmatismus und RKpF 53. Der Tenninus lehnt sich an einen cusanischen Gottesbegriff (coincidentia oppositorum) an. Augustinus nennt die Kirche einen corpus pennixtum (vgl. Harnack 310) und eine ecclesia pennixta (vgl. Eschenburg 49). 2S vgl. RKpF 6. 26 vgl. GLP 12f., 30. 27 vgl. PR 192ff. 28 RKpF 14, vgl. PR 113. 29 PR 77, vgl. RKpF 39f. 30 zur dezisionistischen Fonnel des Entweder/ Oder vgl. PR 83, 97,162, PT 27, RKpF 12, GLP 68, VL 31, 54, 63, HP 17, DC 23,59, LM 10f., 1955d, 136f. 31 RKpF 12. 23
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Teil!: III. Politische Form und allgemeine Feindbestimmung
einem Willen zur Dezision" 32 . Die Kirche ist nicht einfach diktatorisch. Sie hört die Meinungen an und entscheidet dann! Die kirchliche Repräsentation vereinheitet eine Meinungsvielfalt geistig souverän. Die Kirche setzt Schmitt vom herrschenden ökonomischen Zeitgeist ab, der schon in ,Nordlicht' die Antithese zum Geist selbst bildete. ,Katholizismus' präzisiert den "Rationalismus der römischen Kirche"33 gegen die Herrschaft der "naturwissenschaftlich-technische/n/ Methode"34 im Denken. Dieses herrschende Denken nennt er mehr polemisch als sachlich begründet meist ein ökonomisches Denken. Katholizismus und Kapitalismus erscheinen als Gegensätze 35 . Was aber ist das Anti-Geistige an diesem Denken? Wie begründet Schmitt den Ausschluß einer Denkart aus dem Reich des Geistigen? Der "ökonomische Rationalismus" rationalisiert lediglich die Mittel und nicht den Zweck des Wirtschaftens: "In der modernen Wirtschaft entspricht einer aufs äußerste rationalisierten Produktion ein völlig irrationaler Konsum"36. Dadurch wird "der Begriff des Rationalen in einer für das katholische Gefühl phantastischen Weise verdreht"37. ,Nordlicht' nannte den kapitalistischen Betrieb eine "universelle Vordringlichkeit des Mittels vor dem Zweck"38. Schon Aristoteles begreift die Maßlosigkeit des Erwerbs als eine Folge der Verkennung der wahren Lebensführung. Statt sich um das politische Leben zu bemühen, orientiert man sich am gesellschaftlichen Zweck des bloßen Überlebens 39 . Der Selbstbehauptungswille verstellt das gute Leben. Schmitt bekämpft das ökonomische Denken als eine Perversion des Bewußtseins, die den Geist als Zweck an sich selbst negiert und zur instrumentellen Vernunft herabsetzt. Er bekämpft die Auslegung der Vernunft als Verstand. Irrationalität ist an sich nicht verkehrt. Auch der Glaube ruht im irrationalen Grund. Pervers ist, daß der Genußmensch zur Instanz wird. Gegenwärtig supplementiert der Kapitalismus den Katholizismus. Schmitt führt nicht aus, inwieweit diese verdrehte Ratio gerade den Marxismus beherrscht4{l. Bei Huber RKpF 14. RKpF 23, vgl. Beneyto 83 f. 34 RKpF 21, vgl. 35, PT 61 f., 82, L 62. 3S Ulmen (Politische Theologie und politische Ökonomie. Über earl Schmitt und Max Weber. In: Quaritsch 1988) versteht RKpF als "metakritisches Gegenbild" und "katholisches Gegengewicht" (342, vgl. 350 f., vgl. Kröger 1988, 163 ff.) zu Weber. 36 RKpF 24f., vgl. Lukacs 11 114. 37 RKpF 26, vgl. Kröger 1988, 162. 38 N 63. 39 vgl. Aristoteles Pol. 1257ab. 40 Vielleicht verdankt sich Schmitts Begründung der Analyse des Warenfetischismus, die den Ansatz von Lukacs ,Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats' gab, die 1923 in ,Geschichte und Klassenbewußtsein' erschien und den Marxismus mit dem Geist des Kapitalismus verknüpft. In Lukacs sieht Schmitt den Hauptvertreter der marxistischen Hegel-Nahme und der "Aktualität Hegels" (vgl. BP 63, VRA 425f., 429, 32
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2. Fonn und Feind der Kirche
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wird der Gegensatz zur ,Interessenswirtschaft' deutlicher 41 . Zeitlich und sachlich nah steht Hans Freyers Habilitationsschriftsschrift über ,Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts', die im letzten Kapitel ,Die Überwindung des kapitalistischen Menschen' durch einen Gesinnungswandel mit Nietzsehe, Carlyle und Ruskin erstrebt 42 • Eine solche Kapitalismuskritik kommt uns heute etwas naiv und verlogen vor. Der leicht sentimentale, oftjugendbewegte, antimodernistische Idealismus dieses Denkens mündete in die Ideologie eines Deutschen Sozialismus, die der Nationalsozialismus verwertete. Dieses Unbehagen im Kapitalismus bleibt Schmitt lebenslang. Er interpretiert Zeiterfahrungen aus der Erbschaft der politischen Theorie, für die die Unterscheidung von Polis und Oikos konstitutiv ist. Schmitt begreift den Geist des ökonomischen Zeitalters später als eine Tyrannei des, Wertdenkens', das alle Werte in ein Funktionssystem allgemeiner Vergleichung und Verrechnung43 einordnet und jede Hierachie zum bloßen "Stellenwert" relativiert. Seine Feindbilder entsprechen einem kulturpessimistischen Horrorszenarium, das schon im ersten Weltkrieg blühte. Heidegger formuliert 1935 diese Einstellung: "Dieses Europa / ... / liegt heute in der großen Zange zwischen Rußland auf der einen und Amerika auf der anderen Seite. Rußland und Amerika sind beide, metaphysisch gesehen, dasselbe; dieselbe trostlose Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des 450, HH 70, 1956b, 1957). Er ist sein kongenialer Rivale der Sinndeutung der Geschichte. Schmitt vennutete Lukacs hinter Löwiths pseudonymer Kritik (vgl. Löwith 1986, 86). 41 Damit hängt Hubers und Forsthoffs Hinwendung zum Wirtschafts- und Verwaltungsrecht zusammen. Huber suchte das Wirtschaftsrecht völkisch umzugestalten (vgl. ZgStW 1935a, 54, vgl. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934, vgl. Staat und Wirtschaft, 1936, bes. 7). Ein Zitat erspart längere Ausführungen: "Der Liberalismus hat das Denken in Interessen, das vorherrschende Streben nach der Befriedigung materieller Bedürfnisse zum Inhalt des individuellen menschlichen Daseins gemacht. Der Marxismus hat dieses Interessendenken, diesen Materialismus, zum Prinzip des politischen Handeins erhoben. Daher rührt auch die erstaunliche Ähnlichkeit des Amerikanismus mit dem Bolschewismus. Der Amerikanismus ist die höchste Fonn, die die liberalkapitalistische Interessenwirtschaft der Besitzenden gefunden hat. Der Bolschewismus ist die stärkste Gestalt, die die marxistische Interessenwirtschaft der Besitzlosen angenommen hat. / ... / Kapitalismus und Marxismus sind daher im Prinzip das gleiche" (1934a, 19). Hier wird auch die größere Gefährlichkeit des Marxismus deutlicher, der den Kapitalismus im Gegensatz zur Bourgeoisie aus der Position der Unterprivilegierten prinzipiell und politisch nimmt. 42 vgl. Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts (1921), Leipzig 2. 1939, vgl. 146ff. 43 Geistesgeschichtlich sieht Schmitt "seit 1848" (1967a, 41) eine Allianz von Lebensund Wertphilosophie. In antimarxistischer Wendung (vgl. 1967a, 52) rekurriert er auf die Nihilismusthese (vgl. LM 66f.) Heideggers, der das Wertdenken als eine letzte Verfallsfonn des Platonismus verstand (1960b, 1967a, vgl. Heidegger 1978c, 345, 1980, 222ff.). Schmitts Beitrag zur Nihilismusdiskussion ist die juristische Erkenntnis eines Geltungsdranges. Der "Geltungsdrang" (1967a, 58) des Wertes entfaltet Nihilismus erst recht. Kaufmann verweist darauf, daß sich "alle auftauchenden Argumente" Schmitts bei Hege! finden (vgl. 120f., 127).
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Teil I: III. Politische Fonn und allgemeine Feindbestimmung
Normalmenschen./ ... / Unser Volk erfährt als in der Mitte stehend den schärfsten Zangendruck, das nachbarreichste Volk und so das gefährdetste Volk und in all dem das metapyhsische Volk"44. Kapitalisten und Proletarier sind die Repräsentanten des ökonomischen Denkens, Gestalten des 19. Jahrhunderts, wie Ernst Jünger ausführt 45 . 1933 meint Schmitt deshalb: "Der Marxismus ist nur ein Anwendungsfall der liberalen Denkweise des 19. Jahrhundert"46. Der christliche Antikapitalismus von ,Katholizismus' richtet sich insbesondere gegen das Proletariat. Schmitt verengt seinen Antikapitalismus auf einen Antikommunismus, weil der revolutionäre Marxismus ein erklärter Feind der Kirche ist; und soziologisch betrachtet ist das Proletariat als Produkt der industriellen Revolution das reinste Geschöpf des Kapitalismus, kein Stand, sondern eine interessenbestimmte Klasse. Im Proletariat sieht er den Volksfeind, den Feind einer ständisch formierten Nation. Seine Polemik gegen das Proletariat bedeutet aber keine Option für die Kapitalisten, sondern resultiert der Sehnsucht nach einem höheren Dritten in der Gestalt des metaphysischen Volkes. Die insbesondere durch Maus und Neumann vertretene linke Forschung betont auf einer von Lukacs und Bloch, Kirchheimer und Franz Neumann vorgezeichneten Linie Schmitts antimarxistische Stoßrichtung. Schrnitt selbst vermeidet ökonomische und soziologische Erklärungsmuster, verengt seinen Blick auf die politische Dimension und betrachtet wirkliche Feindschaften als Ausdruck weltanschaulicher Gegensätze 47 . Ist dies ein Ablenkungsmänover? Verbirgt sich hinter dem Atheismusvorwurf die Ideologisierung des bürgerlichen Klassenkampfes? Ist es Schmitt mit seiner Weltanschauung ernst, oder ist sie nur eine opportune und strategisch fingierte Weihung des Politischen? Ist sie eine Ideologie oder Betrugstheorie? Bloch behandelt Schmitt in ,Naturrecht und menschliche Würde' als den Endpunkt der Zersetzung des Naturrechts, als "das faschistische Anti-Naturrecht schlechthin"48, das noch die Rechtssicherheit des Gesetzes dezisionistisch beugt. "Der ,Dezisionismus' , das heißt die nackte Befehlsgewalt des Monopolkapitalismus", die Schrnitt lediglich mit ideologischer "Folklore"49 umkleide. Ähnlich spricht Maus von einer "Funktionsanpassung des Gesetzes an monopolkapitalistische Entwicklungstendenzen der Wirtschaftsstruktur" 50. Bloch spricht vom "Abbau der Rechtsbegriffe"51 im verschärften Klassenkampf, Maus vom "Abbau / / der rechtsstaatlichen Transmissionsformen zwischen 44 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Tübingen 4. 1976,28 f., vgl. ECS 28 f., DC 61ff., NE 188, 228fT. 45 Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Hamburg 1932 . 46 BP 1933, 55f. 47 vgl. H. Meier 82fT. 48 Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, GW VI 171. 49 Bloch GW VI 174. so Maus 1986, 87. 51 Bloch GW IV 171.
2. Fonn und Feind der Kirche
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Gesellschaft und Staat"52. Lukacs deutet Schmitts Rechtstheorie als einen am Ausnahmezustand orientierten faschistischen Willen zur Diktatur 53 . Neumann 54 und Maus verstehen Schmitt dagegen als einen spätbürgerlichen Ideologen. Insbesondere Maus führt die Ideologiekritik auf die Ebene der Rechtsbegriffe und gewinnt dem Werk eine aktuelle Brisanz. Seifert betont wie Neumann die politische Stoßrichtung: "Für Schrnitt gibt es nur einen wirklichen Feind: das sozialistische Proletariat. Er war ein Anti-Liberaler, weil die Liberalen in seinen Augen unzuverlässig sind im Kampf gegen die proletarische Emanzipation" 55 . Demnach wäre die Liberalismuskritik eine bürgerliche Kritik an der fehlenden Radikalität des bürgerlichen Klassenkampfes 56 . Scheer nennt Maus 1986, 88. vgl. Lukacs IX 569ff. 54 Volker Neumann versteht die Romantik- und Liberalismuskritik als "Vorbereitungsaktion" (Der Staat im Bürgerkrieg. Kontinuität und Wandlung des Staatsbegriffs in der politischen Theorie Carl Schmitts, 1980, 94, vgl. 46) zur Mobilisierung des bürgerlichen Klassenkampfes. Insbesondere BP liest er als gegenrevolutionäre Klassenkampfideologie (vgl. 95ff., vgl. 52, 58). Für Neumann ist Schmitt aber kein Nazi (vgl. 132f.). Nach 1933 sieht er ihn mehr als einen Analytiker (vgl. 141, 152, 179) und Karrieristen. "Gerade weil der einstige Theoretiker des autoritären Staates vor 1933 kein Nazi war, konnte er die Bindung des deutschen Konservatismus an den ,völkischen Führerstaat' einleiten" (178). 1936 hatte er seine "Aufgabe der Integration der deutschen Juristen erfüllt" (180). Die Großraumtheorie erklärt Neumann als "Orientierung an den Interessen des Monopolkapitals" (193, vgl. 196), die Nomoslehre verkläre den Imperialismus (vgl. 215). Aber was bringt den ,Kleinbürger' (Rasehorn) zur Identifikation mit den Interessen des Monopolkapitals? Neumanns Erklärungsansatz ist vage und inkonsequent. Er fällt hinter Roland Meisters knappe Darstellung zurück, die als autoritative DDRDarstellung gelten kann. Meister behandelt Schmitt als ,Mittler faschistischen Staatsdenkens' (In: Staat und Recht (1967), 942/62). Neben dem wirkungsgeschichtlichen Aspekt (vgl. 942, 957 ff.) zeigt Meister auf, wie Schmitt die jeweilige Lage für die "Klasseninteressen der extrem reaktionären Kräfte des deutschen Imperialismus" (944, vgl. 948) genutzt habe; vgl. auch Petzold, Die Büchse der Pandora oder die juristische Funktion Carl Schmitts vor 1945. In: Jahrbuch für Geschichte 10 (1974), 403/444; Tomberg, Konservative Wegbereitung des Faschismus in der politischen Philosophie Carl Schmitts. In: Das Argument 16 (1974), 604/633. 55 Seifert 1985, 194, vgl. Chr. Meier. In Quaritsch 1988, 552. 56 Schmitt rezipierte die marxistischen Diskussionen und unterstellte dem Marxismus schon in GLP einen absoluten Feindbegriff. Schmitt nennt als politisches Resultat der Machtübernahme: "Auch für die Vernichtung des Staats- und Volksfeindes, der kommunistischen Partei, hat man nicht erst die Ennächtigungen eines Systems abwarten können, das aus seiner eigenen Schwäche und Neutralität heraus nicht einmal einen Todfeind des deutschen Volkes zu unterscheiden vennochte" (SBV 5). Heidegger schreibt Marcuse nach dem Krieg: "Zu 1933: ich erwartete vom Nationalsozialismus eine geistige Erneuerung des ganzen Lebens, eine Aussöhnung sozialer Gegensätze und eine Rettung des abendländischen Daseins vor den Gefahren des Kommunismus" (cit. Ott 136). Die These vom bürgerlichen Klassenkampfwird dafür blind, daß Heidegger und Schmitt sich auch gegen den ,ökonomischen Imperialismus' der Westlichen Hemisphäre richteten und Deutschland nicht im Westen verorteten (vgl. ECS 28f., DC 61ff.). So zog der späte Heidegger wegen seines ,metaphysischen Vorsprungs' den Osten dem ,Amerikanismus' vor (vgl. Schwan 251, 254f.). 52 53
5 Mehring
Teill: III. Politische Fonn und allgemeine Feindbestimmung
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den ,Begriff des Politischen' deshalb eine "Abwehrtheorie gegen die proletarische Revolution" und ein "Pendant zum Kommunistischen Manifest" 57 , versteht diese Orientierung aber aus Schmitt heilsgeschichtlicher Optik. Die aus dem Nichts - creatio ex nihilo - geborenen Dezisionen des Souveräns bezwecken den irdischen Frieden der Zwischenzeit: "Der Aufschub der Theokratie wird um den Preis der Errichtung des Schreckens der weltlichen Autorität erkauft. In diesem Schrecken hat erstmals Hobbes das Wesen des Staates gesehen. Und darin treffen sich Schmitt und Hobbes"58. Schmitt sieht im Klassenkampf einen Kampf der Weltanschauungen, wenn er eine politische Theologie gegen die politische Ökonomie mit ihrem "Kampf gegen die Idee"59 setzt. Marx wird zum "eigentlichen Kleriker des ökonomischen Denkens"60; Bakunin heißt der" Theologe des Anti-Theologischen"61, der Bolschewismus die "geistige Konsequenz des Anti-Geistigen". Christentum steht gegen Sozialismus: "Der Sozialismus erhebt den Anspruch, eine neue, moderne Religion zu schaffen" 62 und das "neue Christentum" zu bedeuten. Der Marxismus erhebt die romantische Selbstverabsolutierung zum politischen Gestaltungsprinzip und zieht die Konsequenz des Klassenkampfes. Heute sind die Ansprüche und Machtverhältnisse der Systeme vertraut und die Gegensätze verschliffen. Wir unterschätzen deshalb leicht die Herausforderung, die der Marxismus für Schmitt als Bürger und Katholik bedeutete. Der Marxismus bewies seine revolutionären Ansprüche durch die Tat und verwandelte die Machtverhältnisse und Tendenzen der Zeit. Im antiintellektualistischen, russischen Lumpenproletariat schien er besonders gefährlich zu sein. Schmitts größter Feind ist deshalb nicht mehr die Bourgeoisie, die sich selbst überlebt hat, sondern der zeitgenössische Marxismus. Während die ,Geistesgeschichtlichen Lage' den nationalen Mythos über den Klassenkampfmythos und Mussolini über Lenin siegen läßt, triumphiert in ,Katholizismus' noch die katholische Kirche als "die Erbin"63. Es triumphiert die Form über die revolutionäre Kraft des Marxismus: Volk und Form siegen über die Klasse. Wie so oft 64 endet ,Katholizismus' in einer politischen Prognose, die Schmitt als die gegenwärtige Antwort tarnt. Die schärfste Antwort auf diese Revolutionsgefahr wäre ein Bündnis der Kirche mit dem sich völkisch zuspitzenden Nationalismus. vgl. Scheer 1987, 444. Scheer 1987, 447, vgl. Forsthoff 1941b, 8. 59 RKpF 45, vgl. 42 ff. 60 DC 74, vgl. 95. 61 DC 40, vgl. Weber WuG 313 ("Die letzte große /. .. / religionsartige Intellektuellenbewegung war die der russischen revolutionären Intelligenz"). Heller findet im religiösen Eifer des Materialismus einen "reizvollen Beweis für die List der Vernunft" (ZfP 13 (1923), 140). 62 DC 95, vgl. PR 87, TP 80. 63 RKpF 65. LM sieht im Aufstieg Englands eine welthistorische Niederlage für den Katholizismus: "So wurde England der Erbe, der Universalerbe" (LM 53). 64 vgl. D 204f., GLP 87ff., RKpF 64f., KVB 75ff., TP 84, SBV 5. 57 58
2. Fonn und Feind der Kirche
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Schmitt will die Kontinuität der Kirche bewahren, die die Geschichte im anagogischen Sinn hält. Deshalb bestimmt er die Kirche als eine unendliche Form gegenüber dem Vergehen in der Welt. Er fürchtet die marxistische Geschichtsdeutung, die mit den Waffen der Hegeischen Dialektik die geschichtsphilosophische Sinngebung monopolisiert und die Kontinuität der neueren Geschichte ab 1789 stiftet. Katholizismus und Marxismus konkurrieren um die Sinndeutung der Geschichte; ist das Reich Gottes immanent oder transzendent? Lukacs, Bloch und Benjamin sind nur die bekanntesten Vertreter der messianischen Auslegung des Marxismus, gegen die Schmitt andenkt. Diese Motive treten in den 20er Jahren aber noch hinter den aktuellen politischen Kampf zurück. Schmitts erste Furcht und Sorge gilt der Verhinderung der Inordinatio des Bürgerkriegs. "Durch innerliche Krieg/ Und brüderlichen Streit/ wird alles umbgekehrt/ und folget lauter Leid" (Grimmelshausen )
Den Mythos der großen Entscheidungsschlacht teilt die Kirche mit dem Marxismus. In der Entscheidungsschlacht sind die Gegner nach Schmitt nicht gleichwertig, weil das Verhältnis der Diktatur zur Revolution die Beziehung einer Staatsform auf eine auflösende Kraft, eine Beziehung "von Ordnung zu Unordnung" 65 ist. Die "Bewußtseinslage von 1922" kennzeichnet Schmitt deshalb durch das "Gegensatzpaar Autorität gegen Anarchie"66, das aber keine ausschließende, sondern eine dynamische Beziehung bezeichnet: "Der Staat ist nach Hobbes nur der mit großer Macht verhinderte Bürgerkrieg" 67 , Unterdrücker eines ununterdrückbaren Chaos: "Staat und Revolution, Leviathan und Behemoth, sind beide immer vorhanden und potenziell immer wirksam"68. Schmitt konzipiert den Staat als eine Verdrängungsinstanz, die den Triumph des Chaos aufschiebt. Diese sittliche Ordnungsmacht ist deshalb keine Gewaltherrschaft. Eine tyrannische Gewalt stellt sich auf eine Stufe mit der Revolution und löst die politische Form in eine unregierbar revolutionäre Bürgerkriegslage auf. Die sittlich ordnende Diktatur gewinnt dagegen ihren autoritären Charakter durch ihren Bezug zur Idee, die dem Diktat seine Verbindlichkeit gibt. Schmitts Diktaturbegriff unterscheidet sich von der nüchtern-machtpolitischen Auffassung der Marxisten, die Lenin erst 1917 in ,Staat und Revolution' kanonisch formulierte. Dadurch fehlt Schmitt aber eine klare Unterscheidung eines autoritären und diktatorischen Regimes. Im autoritären Ordnungswillen wird durch das Postulat der integrierenden Formierung aller Kräfte zum Gewaltmonopol des Staates die Herrschaft zum Selbstzweck. Der Zweck des autoritären Systems ist die Erhaltung des politischen Status - Ruhe und Ordnung - gegen anarchische Tendenzen. Das Politische hat alles Recht zur Erhaltung seines 6S 66
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5*
PB 307. DC 9, schon PT 83. L 34, vgl. 113. L 55.
Teil I: III. Politische Fonn und allgemeine Feindbestimmung
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Status. Da der Nationalsozialismus diese obrigkeitsstaatliche Überzeugung widerlegte, kehrt Schmitt nach 1945 das Verhältnis von Macht und Recht um, charakterisiert die Bewußseinslage durch das Gegensatzpaar von "Anarchie und Nihilismus" 69 , perpetuiert seine Abstandnahme vo'n der politischen Form und scheint zum Partisanen des Sozialen zu werden. 3. Der anthropologische Untergrund der Option für die politische Form Die Habilitationsschrift ,Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen' rechtfertigt den Staat durch seine Vermittlungsfunktion zwischen Macht und Recht, Geist und Wirklichkeit. Ihre Pointe liegt aber in der Frage nach der Bedeutung des Staates für den Einzelnen. Schmitt begreift den Staat als die Schule der Nation in einem fundamentalen Sinn, der vom vertragstheoretischen Denkschema geleitet ist. Er bekämpft die Machttheorie vom Staat mit ihrer Lehre von der normativen Kraft des Faktischen und entwickelt den Staatszweck aus der Idee des Rechts nach dem Vorbild der Kirche 70 . Der Aufbau der Schrift beschreibt eine Idealisierung des Faktischen; erst im Staat gewinne das Individuum seinen sittlichen Status. Neumann kritisiert die "Legitimationsfunktion"71 einer Rechtsidee, die "das Recht in staatliches und originäres, abstraktes" Recht zerschlage. Darin kann man eine naturrechtliche Spielart sehen 72. Wichtiger ist aber Neumanns Einsicht in die maßstablose "Inhaltslosigkeit"73 der Rechtsidee: "So verleiht Schmitt dem Staat die Würde des Rechts, ohne ihm rechtliche Schranken aufzuerlegen"74. Dies ist unpräzise. Wird der Staat als Rechtsstaat konzipiert, ist er, wie Schmitt schreibt, im Recht, so ist er beschränkt. Deshalb ist die Argumentation nicht sinnlos. Die Legitimationsfigur hat ihren Hauptsinn aber in einer Funktionalisierung des Individuums, die Schmitt mit Hegel als seine Versittlichung begreift. Der volle 69
DC 9, vgl. NE 26, 36, 158f., vgl. E. Jünger, Gärten und Straßen, 30.4. 1939.
70 vgl. WdS 44ff., 81 f., 95f., 103.
Neumann 27. Larenz kritisiert Schmitts Verfassungslehre im Namen der Rechtsidee: "Schmitt unterscheidet in der Rechtsordnung zwei Elemente: ein nonnatives und ein seinsmäßiges. Die Einheit der Rechtsordnung soll allein in dem seinsmäßigen Element, nämlich in der politischen Existenz des Staates liegen. Der Wille des Staates ist nach Schmitt der einzige Ursprung aller Rechtsgeltung" (Carl Schmitts Verfassungslehre. In: BldPh 5 (1931),159). Diese Vennittlung von Existenz und Nonn durch den Willen bemängelt Larenz. Die Nonn habe ein spezifisches Sein, einen "Geltungsbestand", und könne "ihren Geltungsanspruch letztlich in der Idee des Rechts begründen" (159). Aber auch Larenz verfällt der Problematik einer Legitimation durch eine Rechtsidee, die er nicht naturrechtlich fassen will, sondern als Sein des Staates, "Moment einer Einheit" (162) vorstellt. Während die Rechtsidee in WdS dem positiven Recht gegenüber kontaktlos bleibt, fällt sie bei Larenz ins staatliche Recht und weiht unfreiwillig den Gesetzespositivismus und die Willkür des Führers, der den Volksgeist kennt (vgl. Larenz 1934a, 20, 22, 37ff.). 73 Neumann 29. 74 Neumann 28. 71
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3. Der anthropologische Untergrund der Option für die politische Form
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Titel der Schrift hat Gewicht. Pointiert mit Vaihinger gelesen hat die Fiktion eines Wertes des Staates ihre Funktion in der Ethisierung des Individuums zur bedeutenden Person. 1914 konnte dies als eine Apologie der Dienstpflicht bis zur Opferbereitschaft an der Front verstanden werden. Schmitt sieht im Menschen ein spannungsvolles Doppelwesen und konfrontiert sich mit der eigenen Kreatürlichkeit: "Ich achte also darauf in meiner Zelle, und mir leuchtet unmittelbar ein, daß der Mensch nackt ist. / ... / Das alles erkannten ja schon Adam und Eva"75. Schrnitt fehlt Hegels moderierende Vermittlung der ,Stufen des Organischen', die er aus der ,exzentrischen Position' (Plessner) des sündebewußten, erlösungsbedürftigen Christen distanziert betrachtet. Sein anthropologisches Glaubensbekenntnis betont die gefährliche Dynamik des Menschen 76. Die Absetzung von den Theologen 77 ist halbherzig. Heinrich Meier fand im anthropologischen Glaubensbekenntnis den katholischen Glauben an die Erbsünde und erkannte, daß für Schmitt "das Politische in der Erbsünde seine letzte Begründung hat"78. Durch seine individualisierende Selbstunterscheidung lebt der Mensch im Stand der Sünde, den er nur abbüßen kann, indem er sich durch die Parteinahme eine heilsgeschichtliehe Bedeutung gibt. Die Weltgeschichte ist mythisch betrachtet ein Kampf von Adam mit Christus: "Adam und Christus sind der Ausdruck des Antagonismus in der Menschennatur, die überall dieselbe ist. Sündenfall und Erlösung sind der Ausdruck eines ewigen inneren Geschehens"79. Schmitt projeziert eine christliche Psychodynamik in den politischen Kampf. Die pathetische Diagnose permanenter Bürgerkriegslagen wirkt auf versöhnte Gemüter befremdend. Eine psychoanalytische Aufklärung dieser Weltsicht, wie sie Sombart beabsichtigt, ist methodisch unmöglich. Es geht hier auch nicht um eine individuelle Psychodynamik, sondern um deren diskursive Fassung. Schmitt sieht die ,Menschlichkeit des Menschen' (Heidegger) permanent bedroht. Die Herrschaft des Geistigen umlauern die inordinierenden Mächte des Bösen, die das ,arme Ich' (Freud) mit Angst, Ekel und eisernem Willen verfolgt. Ich will die "Bändigung des kreatürlich Verderbten" 80 durch eine zivile Form im Staat! 7S ECS 79. Das klassische Dokument dieser Psychologie sind Augustinus' Bekenntnisse. In Kants Religionsphilosophie ist diese Auffassung der Doppelnatur des Menschen noch deutlich. Für Schmitt zeitgenössisch orientiert Dempf (Christliche Philosophie, Bonn 1938, 21 ff., 142ff.). 76 vgl. D 9, 109, 113, BP 60ff., PR 4ff., GM 24. Laufer (Homo Homini Homo. Das ,Anthropologische Glaubensbekenntnis eines Doktrinärs'. In: Festgabe für Voegelin, Berlin 1962) mißversteht das Glaubensbekenntnis als ontische, wissenschaftlich überprüfbare These: "Damit gibt Schmitt zu erkennen, daß er sich seines Menschenbildes nicht so sicher ist" (327, vgl. dann 341). 77 vgl. BP 63 f. 78 H. Meier 1988, 62. 79 Dilthey zu Franck. In: GS II 85, vgl. Hegel XII 389. 80 Weber RS I 539.
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Teill: III. Politische Fonn und allgemeine Feindbestimmung
Die katholische Form bestimmt Schmitt einerseits als "etwas wesentlich luridisches"81 ,andererseits als etwas Politisches 82 . Paral1el zu seiner Souveränitätslehre entwickelt er eine Ordnungsvorstel1ung für eine normalisierte Lage, die Souveränität in sich birgt. Über den Begriff des Institutionel1en verknüpft er das juridische und politische Moment zum Amtsgedanken, den er mit einer polemischen Spitze gegen einen Parlamentarismus 83 , der im modernen Parteienstaat zur Interessensvertretung degeneriere, und in Anlehnung an den scholastischen Terminus Sichtbarkeit als Repräsentation bezeichnet. Schmitts Begriff des Politischen heißt 1922 Repräsentation. Er formuliert eine "erste Art von. Ordnungsdenken"84, birgt Legitimität, Souveränität und Homogenität in sich und übernimmt die Versittlichungsfunktion der Rechtsidee. Die Repräsentation ist das Formprinzip der Kirche. Die "formale Eigenart des römischen Katholizismus beruht auf der strengen Durchführung des Prinzips der Repräsentation"8s. Die Kirche "repräsentiert /im Unterschied zur parlamentarischen Verfal1sform/ konsequent ,von oben"'86. Ihre Repräsentation legitimiert sich als Personifizierung der Idee. Diese Repräsentation ist nach Bal1 ein "scholastisches Thema, das hier im konkreten Gewande heutiger Prägung erscheint" 87 . In ihm verbinden sich das juridische und politische Element zu einer wahren Staatsinstitution. In der ,Welt des Repräsentativen' lebt die politische Idee und die "Kraft zu der dreifach großen Form": der "ästhetischen Form", der "Rechtsform" und "Machtform" 88. Diese soziale Einheit ist schön, gerecht und stark, die romantische Kunst dagegen Ausdruck einer wahrheitsfernen Zeit, die "keiner Repräsentation mehr fähig ist"89. In der RKpF 49, vgl. 54, 21 ff., 31, WdS 103. vgl. RKpF 24, 27 ff. 83 vgl. RkpF 43, GLP 44f., VL 25, 208ff., vgl. Mant! 1975, 121 ff. Das Kapitel ,Repräsentation und Identität bei Carl Schmitt' geht etwas verzeichnend von der VL aus. Die fundamentale Bedeutung des Repräsentationsbegriffs wurde bald erkannt. Hofmann habilitierte nicht zufällig über: ,Repräsentation - Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19 .Jahrhundert' (Berlin 1974, vgl. ders. Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Staat und Kirche. In: Der Staat 27 (1988), 523/545). Die Weiterführung gibt der ,heimliche Schmittianer' Habennas (vgl. Kennedy 1986) in ,Strukturwandel der Öffentlichkeit'. So mag Kierkegaard richtig liegen, wenn er schreibt: "Die Idee der Repräsentation ist durch das Christentum in die Welt gekommen" (Kierkegaard, Entweder/Oder, Diederichs-Verlag, Jena o.J. GW I 58). Die Entwicklung des Repräsentationsbegriffs von Dahlmann bis Leibholz beschreibt Hartmann, eine soziologische Anwendung findet sich bei Weiß, Stellvertretung. Zu einer vernachlässigten soziologischen Kategorie. In: KZfSS 36 (1984), 43/55. 84 Huber ZgStW 1941a, 5. 85 RKpF 14, vgl. D 48, 130. 86 RKpF 43, vgl. 1917b, 75 (Der "Mittler steigt hernieder, weil die Vennittlung nur von oben nach unten, nicht von unten nach oben erfolgen kann, die Erlösung liegt darin, daß Gott Mensch (nicht daß der Mensch Gott) wird"). 87 Ball 1924, 284. 88 RKpF 36, vgl. 24, 35f. 89 PR 20f., vgl. Bohrer 1989, 292, 303. 81
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3. Der anthropologische Untergrund der Option für die politische Form
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Moderne ist ein ordentlich funktionierendes Staatswesen deshalb die Ausnahme. Im Begriff der Repräsentation überwindet Schmitt den Gegensatz von persönlicher und unpersönlicher Herrschaft und die abstrakten Methodengegensätze von Dezisionismus und Normativismus. Die kirchlichen Repräsentanten gewinnen ihre Würde aus ihrem Amt und seiner Anerkennung durch die Gläubigen. Nicht dem solitären Individuum, sondern dem Einzelnen in seiner Stellung als Repräsentant kommt eine Amtsautorität zu, die status verleiht, wie Schmitt insbesondere am Beispiel des Papstes zeigt. In ,Wert des Staates' heißt es: Der "infallible Papst / ... / ist nichts für seine Person, ist nur ein Instrument, Statthalter Christi auf Erden"90. "Die Würde, die er verlangt und die ihm zugeschrieben wird, gilt nur seinem Amte"91. In ,Drei Arten' heißt es ähnlich: "der Papst ist nur als Haupt der Kirche kraft seines Amtes unfehlbar"92. Die Monarchie erbt die Repräsentationsidee der Kirche. Christus ist für Schmitt der Begründer, Napoleon der letzte Repräsentant der Repräsentation großen Stils 93 . Die Aufhebung des Gegensatzes von unpersönlicher Norm und persönlicher Entscheidung in den Amtsgedanken findet sich in ,Wert des Staates', ,Katholizismus' und ,Drei Arten'. Dies ist für die dezisionistische Deutung der Schriften der zwanziger Jahre entscheidend, die Schmitt anlegte, indem ,Drei Arten' die juristischen Denktypen Normativismus und Dezisionismus in ein ,überpersönliches'94 Ordnungsdenken aufhob. Dieses Bildungsmodell verdeckt die Kontinuität von Schmitts Repräsentationsidee. Der Glaube an eine Versittlichung des Individuums zur Person bildet seit dem Frühwerk den pathetischen Hintergrund des Werkes. Greiffenhagen sieht einen ,konservativen Rückzug auf die Person'95, für den die Betonung der institutionellen Prägung der Person charakteristisch sei. Während Schmitt an der besonderen Würde des politischen Status und der politischen Repräsentation festhält, tendiert dieser Ansatz mit der gesellschaftlichen Entwicklung zur Soziologie, wie sich bei Gehlen und Schelsky zeigt. Auch hier bleibt der Konservatismus der Schicksalsmacht des Kapitalismus dillematisch verbunden. WdS 95. WdS 96, vgl. RKpF 36,40, GLP 44. D verdeutlicht ein dezisionistisches Moment im Repräsentationsgedanken durch die auftragsgebundenen päpstlichen Kommissare im Spätmittelalter. Deren diktatorische Vollmachten werden durch die "Vorstellung der persönlichen Repräsentation und Stellvertretung" (D 48, vgl. 56, 130) legitimiert. Kirchengeschichtlich bedeutet diese Ausweitung der päp'stlichen Souveränität durch die Praxis der päpstlichen Kommissare einen Aufbruch der Amterhierarchie des mittelalterlichen Ordo. Diese "legitime" Revolution (vgl. D 43,58) thematisiert RKpF nicht mehr. Die Aufgaben der Reichsstatthalter sind strukturell analog bestimmt (vgl. RSG 13fT.). 92 DARD 26, vgl. RKpF 24 (Priester), WdS 73 ff., 103 (Richter); und zum Reichspräsidenten heißt es, man dürfe seine "Persönlichkeit nicht isolieren" (1925a). 93 vgl. 1925d, 292. 94 DARD 13. 9S vgl. Greiffenhagen 135. 90
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Schmitt verengt sein institutionelles Denken auf das Politische, das er als einen letzten Hort einer ideellen Vermittlung der Person mit der sozialen Wirklichkeit begreift. Poleniisch setzt er die Repräsentation vom ökonomischen Denken und den gegenwärtig herrschenden Immanenz- und Identitätsvorstellungen ab. "Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen"96. Diese ,Fiktion' (Kelsen) ist ein höheres Sein oder eine Idee, wie Hofmann liest und als überpositives Legitimationsprinzip deutet 97 • Die Bedenken von Leibholz und Larenz 98 gegen diese Repräsentationsidee unterstellen, daß Schmitt auf ein demokratisches Willensbildungsmodell ziele. Aber nicht das Volk, sondern die Idee repräsentiert sich nach Schmitts Begriff. Die Idee lebt als Wes~n des Seins in der Offenbarung. Sie manifestiert sich in Repräsentanten wie dem Papst und dem Monarchen. Hofmanns Darstellung klammert diese Herkunft des Legitimitätsdenkens aus trinitarischen Spekulationen und die ideenpolitische Bedeutung der Berufung auf die Legitimität als Kampfbegriff der Restauration aus. Aber katholische Schriften entwickeln die Idee der Repräsentation, die Schmitts politisches Formdenken bestimmt. Mag das Glaubensbekenntnis auch schwanken, sein "Schwanengesang"99 auf den Katholizismus ist ein Hohelied auf seine politische Form, die Schmitt in der Massendemokratie bewahren möchte. Die Kirche ist das Vorbild für eine geistig orientierte, soziale Einheit. Die Einheit, auf die Schmitts ganzes politisches Denken abzielt, ist nach Harnack das "wichtigste Merkmal der Kirche"loo. 4. Die Bewahrung der Repräsentation
1922 formuliert ,Katholizismus' erstmals den Grundbegriff von Schmitts politischer Theorie, der einen Übergang zur Kritik der Verfassungslage ermöglicht. Aber betrachten wir zur Verdeutlichung seiner grundlegende Bedeutung zunächst das Schicksal dieses Repräsentationsbegriffs im Werk. Schmitt säkularisiert ihn schon Mitte der zwanziger Jahre und überträgt ihn auf den Staat. ,Die Rheinlande als Objekt' nennt die Repräsentation die Machtform der Obrigkeit 1ol . Die ,Verfassungslehre' thematisiert die Kirche nicht besonders, da sie ihr Formprinzip übernimmt. Dies belegt Niekischs These, Schmitt habe den Staat zur Kirche machen wollen 102 . Die ,Verfassungslehre' unterlegt der VL 209. vgl. Hofmann 150, 152. 98 vgl. Larenz. In: Logos 20 (1931), 236. 99 Ulmen 1988, 342. 100 Hamack 308. 101 vgl. ROIP 20ff. 102 vgl. Niekisch 200, 202, Krauss, Von der Kirche über den Staat zum Reich. In: Jugend und Recht 1936 (vgl. dazu Rüthers 140). Für Niekisch treffen sich Kirche und Faschismus in ihrer politischen Fonn (vgl. 102,228). Den Übergang von der Kirche zum Staat erläutert Schmitt an Hobbes (vgl. 1965b, PT 11 99ff., 107f., 121). 96
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4. Die Bewahrung der Repräsentation
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Repräsentation die demokratische Identität und definiert sie als ein politisches Formprinzip neben der Identität. Diese idealtypisch polaren Formprinzipien sind der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft abgelesen und liefern zugleich das Schema für eine verfassungsgeschichtliche Skizze der modernen Säkularisierungsbewegung. Mantl und Hartmann mühen sich an den logischen Problemen dieses Begriffspaars ab, weil sie von den grundsätzlichen Formulierungen der Verfassungslehre ausgehen und Schmitts Ideenpolitik systematisch nehmen. Die systematische Bedeutung der Formprinzipien ist aber nur dialektisch zu denken. Kaiser beschreibt die ,Dialektik der Repräsentation'103 treffend als einen ständigen Integrations- und Desintegrationsprozeß von Staat und Gesellschaft. Durch die Integration des katholischen Repräsentationsbegriffs in die ,Verfassungslehre' stellt Schmitt sich auf den Boden der in ,Geistesgeschichtliche Lage' skizzierten Entwicklung der demokratischen Legitimität, der die Definition der Haltung der Kirche als complexio oppositorum bereits entgegenkam. Der dialektische Kunstgriff dieser Affirmation liegt darin, daß Schmitt, wie näher auszuführen ist, die Repräsentation nicht aus einem demokratischen Willensbildungsprozeß hervorgehen läßt, sondern die in sich homogene Nation durch die Repräsentation dialektisch setzt. Es ist grundverkehrt, in Schmitt einen Theoretiker der plebiszitären Demokratie zu sehen. Vollrath begreift die Dialektik der Formprinzipien jetzt genauer als eine ,identitätsrepräsentative Auslegung des Politischen'; Schmitts Begriff des Politischen gehöre in die Tradition des Staatsgedankens der Allgemeinen Staatslehre, der die "Rechtstätigkeit des Staates ebenso sehr als Herrschaftshandeln"l04 und das Politikmonopol des Staates begründen wollte. Weil aber die Allgemeine Staatslehre nur die juristische Form und nicht die politische Wirklichkeit des Staates begriff, versuche Schmitt diesen Staatsgedanken durch das metajuristische, ,identitätsrepräsentative Paradigma' der Kirchelos zu retten. Ähnlich wie Hofmann versteht Vollrath die Kirche nur als die vorbildliche politische Form für Schmitts ,identitätsrepräsentatives Modell von Demokratie'l06. Demnach will das Politische eigentlich nur seine Identität mit sich selbst repräsentieren: die Selbstbehauptung des Politikmonopols des Staates. Diese Auslegung kann Schmitts Intoleranz gegenüber dem Liberalismus und seine Verwirrung durch den Nationalsozialismus erhellen 107. Das Modell einer Identitätsrepräsentation stammt aber aus trinitarischen Spekulationen. Vollraths Nachweis, daß Schmitt an eine wahre politische Form glaubt, ist deshalb dahingehend zu ergänzen, daß 103 Kaiser. In: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, (Hg) Barion, Berlin 1959,71/81. 104 Vollrath, Wie ist Carl Schmitt an seinen BegrifT des Politischen gekommen? In: Zfl> 36 (1989),151/168,157, vgl. 151fT. lOS vgl. VolIi'ath Zfl> 1989, 164, 161 fT. 106 vgl. Vollrath Zfl> 1989, 166. 107 vgl. Vollrath Zfl> 1989, 164fT.
Teil I: III. Politische Fonn und allgemeine Feindbestimmung
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dieses Modell selbst katholisch geprägt ist, und das Politische sich nicht völlig von seiner ursprünglichen Idee verselbständigen kann. Unterscheiden wir einen deskriptiven und einen legitimatorischen Sinn 108 der Formprinzipien. Der Begriff Formprinzip enthält die für Schmitt charakteristische Verbindung eines empirischen und ideellen Gesichtspunktes. Mant! bestreitet den deskriptiven Wert der Formprinzipien, die die traditionelle Klassifizierung der Staatsformen nach Quantität und Qualität der Herrschaft 109 zerdenken würden. Schmitt reduziert die Staatsformen tatsächich auf den idealtypischen Gegensatz von Monarchie und Demokratie, wobei der ParlamentarismusIlO als selbstständiger Typus enWillt. In Wirklichkeit seien Identität und Repräsentation aber "nur zwei entgegengesetzte Orientierungspunkte für die konkrete Gestaltung der politischen Einheit"111. Die Monarchie repräsentiert idealtypisch die Repräsentation: "In der Repräsentation der politischen Einheit liegt das politische Prinzip der Monarchie" 112. Dem autoritären Präsidialsystem spricht Schmitt ebenfalls " alle Qualitäten der Repräsentation"113 zu. Indem er die Verfassung des modernen Staates als einen status mixtus ll4 bezeichnet, bewahrt er repräsentative Elemente in der Demokratie residual und schließt eine radikal identitäre Demokratie aus, die den Herrschaftscharakter des Politischen auflöst. Unter dem Gesichtspunkt des Form- oder Herrschaftsaspektes ist ein Minimum an Hierarchie garantiert. Dieser status mixtus meint kein Neben- und Durcheinander, in dem insbesondere ,Legalität und Legitimität' den Zerfall der bürgerlichen Verfassung angelegt findet. Die Identität der Nation bildet sich durch ihre Repräsentation, wie Staat und Gesellschaft sich gegenseitig konstituieren. Eine konzise Begründung dieser Dialektik der Repräsentation, die Schmitt nicht ausführt, findet sich bei Larenz lls . Die Repräsentation erhebt das Volk in den politischen Status. Die deutsche Tradition übersetzte vertragstheoretische Abstraktionen in die alte Unterscheivgl. VL §§ 9, 16. Mant! 1975, 148. 110 vgl. VL 292f., 304f. 111 VL 206, vgl. ff. 112 VL 282. 113 LL VRA 270, vgl. 268. 114 vgl. Mant! 1975, 146ff., Voegelin ZÖR 9 (1931), 100. Zu Aristoteles' Ideal der gemischten Verfassung vgl. Sternberger 1978, 111 ff., 141 ff., 156 ("Die Gemischte Verfassung ist die authentische bürgerliche Verfassung, rekonstruiert unter den Bedingungen der ,Klassen'gesellschaft und der Interessens-Parteiung (. ..(. Die Gemischte Verfassung ist die Verfassung, die Politie, die Politeia schlechthin"). 11S Larenz, Hegels Dialektik des Willens und das Problem der juristischen Persönlichkeit. In: Logos 20 (1931),197/242. Larenzgeht von Hegel aus, um mit Smend und Schmitt zu schließen: "Die Einheit der Verbandspersönlichkeit, die repräsentiert wird, besteht nicht außerhalb der Repräsentation, sondern nur, indem sie repräsentiert wird und sich durch Repräsentation hervorbringt" (236). 108
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4. Die Bewahrung der Repräsentation
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dung von Masse (Pöbel) und Volk. Hegel unterscheidet einen natürlichen und einen politischen Status: "Das Volk ohne seinen Monarchen und die eben damit notwendig und unmittelbar zusammenhängende Gliederung des Ganzen genommen, ist die formlose Masse, die eben kein Staat mehr ist"116. Thomas Mann formuliert diese Unterscheidung von Volk und Masse klar 1l7 , Wilhelm Mommsen findet sie durch semantische Analysen bei Stein, Ranke, Bismarck 118 , Huber findet sie 1944 bei Goethe: "Nicht die Revolution, sondern nur die Autorität hat volkschaffende Kraft"119. Noch Krügers Allgemeine Staatslehre enthält einen Abschnitt zur Unterscheidung von ,Menge und Volk'120. Der Monarch repräsentiert die Herrschaft der Idee auf Erden: ein Gott, ein König. Die politische Idee der Demokratie ist dagegen das politisch erwachte Volk: die Nation. Hinter der Entscheidung zwischen Monarchie und Demokratie steht der metaphysische Gegensatz des Christentums zu einem völkischen Mythos, der die Nation zur Weltanschauung verabsolutiert. Indem Schmitt sich auf den Boden der demokratischen Legitimität stellt, scheint auch er den Tod Gottes akzeptiert zu haben und sich dem völkischen Mythos zu verschreiben. Die Idee der Repräsentation ist überlebt, verdeutlicht ,Staat, Bewegung, Volk' durch die Ausführungen zum Begriff der Führung als "Kernbegriff nationalsozialistischen Staatsrechts"121 geradezu ostentativ. Die tradierten "Allegorien und Repräsentationen"122 seien unzureichend, seit die "unbildliche Realpräsenz" der politischen Führung durch den Volksempfänger tönt. Das Sinnbild für Hitler ist der Lautsprecher 123 . Nach der Begrifflichkeit der ,Verfassungslehre' hat der Nationalsozialismus die Repräsentation deshalb nicht abgeschafft, sondern ihre Gestalt modifiziert und eine neue Grundlage geschaffen. Steil führt aus, daß sich das Volk durch die Akklamation des Führers als ein unterworfenes, ,imaginäres Subjekt'124 konstituiert. Schmitt hält an der autoritären Form fest, wenn er sich auch vom Katholizismus distanziert. Die Form der Repräsentation 116 Rph § 279 Anm, zustimmend Larenz ZgStW 98 (1938), 136f., 146f. Heller sieht hier eine Versöhnung des dynastischen und demokratischen Prinzips und versteht Hegel als "Begründer der Lehre von der Staatssouveränität" (GS II 93). 117 vgl. Mann 24Off. 118 vgl. W. Mommsen, Stein, Ranke, Bismarck, München 1954, 282ff., 20ff., 95ff., 181 ff. 119 Huber 1965, 16, vgl. 17 ("Nur durch monarchisch-aristokratische Repräsentation kann das Volk zu seinem Wesen und zur Form gebildet werden"). "Jede politische Einheit trägt an und für sich ein Minimum politischer Form in sich. Eben durch dieses Minimum unmittelbar gegebener Formen unterscheidet sich die politische Einheit von einer ,formlosen Masse'" (1931/32, 306, vgl. D 25, VL 212, 314f.). Hepp betont, daß die "Metamorphose" (Hepp. In: Quaritsch 1988, 309) zum Staatsvolk in kritischen Zeiten auch eine Leistung der Feindunterscheidung sei. 120 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. 1966, 247ff. 121 SBV 36, vgl. RSG 23. 122 SBV 42, vgl. L 52ff., 1940h, 62f. Der eben ernannte Staatsrat spricht seinem Amt den "Charakter einer Repräsentation" (1933h) zu. 123 vgl. ECS 14, 82. 124 vgl. Steil 68 ff.
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Teil I: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
ist sein kritischer Maßstab im Kampf gegen Versailles, Genf und Weimar, den die ,Positionen und Begriffe' ab 1923 datieren.
IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie 1. Souveränität und Legitimität Schmitt entwickelt seine politische Theorie von der Kirche ausgehend. ,Politische Theologie' und ,Geistesgeschichtliehe Lage' sind kritische Abhandlungen zur politischen Theorie, die den Repräsentationsbegriff aufspalten und eine Spannung von Diktatur und Legitimität darstellen. a) Legitimität der Neuzeit?
aa) Aufbau der ,Politischen Theologie' Die ersten drei Kapitel der ,Politischen Theologie' erscheinen erstmals in der ,Erinnerungsgabe für Max Weber'. Wie Ulmen nachweistl, antwortet Schmitt seinem Lehrer anspruchsvoll bedacht, indem er einen Paradigmenwechsel vollzieht und die Soziologie in seine politische Theologie integriert, wie schon der programmatische Titel andeutet: ,Soziologie des Souveränitätsbegriffs und politische Theologie'. Indem Schmitt soziologische und ideengeschichtliehe Aspekte stärker berücksichtigt, erweitert er die Staatsrechtslehre zur politischen Wissenschaft 2 • Das erste Kapitel gibt eine funktionale ,Definition der Souveränität', die die rechtstheoretische Einsicht ins Staatsrecht trägt, daß das Gesetz erst im Urteil wirklich wird. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" 3 . Schmitt meint, daß die liberale Staatslehre mit dem Ausnahmezustand das Wesen der Souveränität verkennt, eine letzte Instanz der Entscheidung zu sein. Souveränität ist der "Grenzbegriff'4 einer Kompetenz-Kompetenz, die Grenzen setzt und Ordnung schafft. Man kann heute noch sagen: "Regierenkönnen, ein Gemeinwesen ,regierbar' halten, heißt doch, in etwa Herr der Bedingungen zu sein, die das Regieren bestimmen"s. Im Ausnahmezustand enthüllt sich der vgl. Ulmen 1988. vgl. Sontheimer 73 f., 79, Vollrath 1989. 3 PT 11, vgl. D 18, 194, DARD 27f., LL VRA 265 ("der Souverän ist höchster Gesetzgeber, höchster Richter und höchster Befehlshaber zugleich, letzte Legalitätsquelle und letzte Legitimitätsgrundlage"); Heller kehrt Schmitts Formulierung um und will Souveränität vom Normalzustand her begriffen haben (vgl. GS 11 89, 127), anerkennt aber, Schmitt habe eine "fiktive Staats-Souveränität durch die Souveränität eines Staatsorgans ersetzen" (GS 11 88, vgl. 81 ff., 95, 129) gelernt und den Souverän als Subjekt erfaßt. 4 PT 11, vgl. KVB 10ff., VRA 259. 5 Hennis. In: (Hg) Hennis/ Kielmansegg/ Matz, Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung Bd. I, Stuttgart 1977, 13. 1
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1. Souveränität und Legitimität
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Kern eines echten Staates, Souverän zu sein. In dieser Einsicht liegt nach Forsthoff der Wert der Definition 6 , die Huber eine "Quintessenz erlebter Verfassungswirklichkeit"7 nennt. Schrnitt erneuert am Ende der Epoche der Staatlichkeit ihre anfangliehe Idee und überbietet Webers soziologischen Staatsbegriff: "Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, die also richtigerweise nicht als Zwangsoder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist"8. Schmitt will den dem Normativismus inkommensurablen Grenzfall wissenschaftsfähig machen. Vorzüglich schreibt Hofmann, Schrnitt habe "aus der Not des Staates und seiner Rechtsordnung eine Tugend der Rechtswissenschaft gemacht" 9 • Schrnitt verallgemeinert seine staatsphilosophische Erkenntnis zur folgenden Aussage: "Die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme"lo. Er etikettiert dies als eine durch die ,vitale Intensität der theologischen Reflexion' vorbereitete "Philosophie des konkreten Lebens"ll und erhebt einen methodischen Standpunkt zu einer existentiellen Haltung. Eine Anspielung auf Kierkegaard bereitet den Sprung aus einer Methodenreflexion in die politische Theologie vor. Das zweite Kapitel: ,Das Problem der Souveränität als Problem der Rechtsform und der Entscheidung' verdeutlicht die bestimmte Negation der zeitgenössischen, neukantianischen Staatslehre. Schrnitt beruft sich gegenüber Kelsens normativistischem Denken auf Hobbes als dem klassischen Vertreter der dezisionistischen und personalistischen Souveränitätslehre. Hobbes tritt als ein juristisch systematischer Denker ins Werk, das ihn dann geistesgeschichtlich verortet 12 • Der ,Leviathan' geht von Hobbes' Grenzstellung am Beginn der Epoche der Staatlichkeit aus, die Schmitt zu vollenden beansprucht. Deshalb kann Schmitt persönliche Identifikationen herstellen, obwohl er den staatsbezogenen Dezisionismus bald in sein konkretes Ordnungsdenken aufhebt. Hobbes erlebte die Auflösung der politischen Form durch Aufruhr und Bürgerkrieg.. Diese Erfahrung bildete schon den existentiellen Hintergrund der antiken Staatsanschauung 13 , aber erst Hobbes kann dem religiösen Bürgerkrieg mit vgl. ForsthofT 1971, 16. Huber 1988, 34. 8 PT 20, vgl. Heller GS II 65, 120 ("Souverän nennen wir nun jene Entscheidungseinheit, die keiner anderen wirksamen universalen Entscheidungseinheit untergeordnet ist") . 9 Hofmann 67. 10 PT 22, vgl. 43, vgl. GU 6, DARD 29f. Das Zitat ist Kronzeuge der dezisionistischen Lesart (vgl. Koslowski 1982, 114). 11 PT 22, vgl. GLP 76, DC 33. 12 vgl. PT 44,61,66, D 118f., 22f., DARD 27, 41, ECS 63 fT., NE 149, 1952a, 1965b (L) 166ff., PT 11 100fT., 106fT. 13 vgl. BP 29 FN, HdV 7f. 6 7
Teil!: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
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einer absolutistischen Staatslehre antworten, die die Reformationszeit vollendet, indem sie die Frömmigkeit vom Politischen ausschließt. Er ist der klassische Vertreter dieser geschichtlich gebundenen Erkenntnis der Souveränität des Staates. Das dritte Kapitel: ,Politische Theologie' reflektiert die Integration der Soziologie in die juristische Begriffsbildung durch das von der Wissenssoziologie streng unterschiedene Programm einer begriffssoziologischen Methode. Die Begriffssoziologie soll das "metaphysische Bild"14 und die "metaphysische Formel" 15 einer Epoche feststellen. Die wenigen Andeutungen machen den Sinn dieser Methode nicht klar. Schrnitt scheint das Erbe des Historismus zu beanspruchen, wenn er im Epochenbild gewissermaßen die ,Unmittelbarkeit zu Gott'16 findet. Walter Benjamin hat ihn deshalb geschätzt l7 . Man kann auch Nähen von Schrnitts Methode zu Hegel sehen. Die Begriffssoziologie faßt als eine Variation über Hegels Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen die "Struktur" und Verfassung einer Zeit in Gedanken und vermittelt zwischen der alten Theologie und der modernen Technik. Sie erfaßt den Geist der Zwischenzeit l8 . Wenn "die Metaphysik der intensivste und klarste Ausdruck einer Epoche ist"19, wird nicht einsichtig, warum man diese "Struktur" einer Epoche aus der "Form ihrer politischen Organisation"20 ablesen soll. Nach Hegel wären eher umgekehrt die logischen Strukturen in der Verfassungswirklichkeit aufzuzeigen, obwohl die Rechtsphilosophie sich in einem zweideutigen, "unglücklichen PT 60. PR 22; Formulierung bei Dilthey (vgl. GS II 347). Die polaren Kategorien sind vielleicht von Diltheys ,Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus nach seinem geschichtlichen Zusammenhang mit den älteren pantheistischen Systemen' (GS II, vgl. PR 126) abgezogen. 16 vgl. ECS 27 (Der "große HegeI" und der "weise Ranke" setzten sich "zum lieben Gott in die Königsloge des Welttheaters"). Gadamer zeigt, wie der Historismus bei Ranke und Dilthey Hegels Eschatologie des Geistes fortsetzt (vgl. Gadamer 197ff., 216ff.). "Ich aber behaupte: jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eigenen Geist" (vgl. Meinecke, Deutung eines Rankewortes. In: Aphorismen und Skizzen zur Geschichte, Leipzig 1942, zum Verfassungsbegriff vgl. auch Ranke, Politisches Gespräch, (Hg) Schieder, 1955, bes. 52ff.). 17 vgl. B. Witte, Walter Benjamin. Der Intellektuelle als Kritiker, Stuttgart 1976, 112f., 130,216 FN. 18 vgl. Hegel XVIII 74 ("Das Verhältnis der politischen Geschichte, Staatsverfassungen, Kunst, Religion zur Philosophie ist deswegen nicht dieses, daß sie Ursachen der Philosophie wären oder umgekehrt diese der Grund von jenen; sondern sie haben vielmehr alle zusammen eine und dieselbe gemeinschaftliche Wurzel- den Geist der Zeit. Es ist ein bestimmtes Wesen, Charakter, welcher alle Seiten durchdringt und sich in dem Politischen /!/ und in dem Anderen als in verschiedenen Elementen darstellt / .. ./ Es ist aber aufzuzeigen, wie der Geist einer Zeit seine ganze Wirklichkeit und ihr Schicksal nach seinem Prinzipe ausprägt") . 19 PT 60. 20 PT 59. 14 15
1. Souveränität und Legitimität
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Schwebezustand zwischen Nonnativität und Deskriptivität"21 hält. Schmitts Epochenanalyse wendet sich von der Metaphysik zur Jurisprudenz und den ,Machtdispositiven' (Foucoult) seiner Zeit. Nach der These und der Methode der Begriffssoziologie skizziert das Titelkapitel das Geschichtsbild durch eine "Art ideengeschichtlicher Betrachtung" 22 , die von einer politisch-theologischen Übereinstimmung der alten Ordnung ausgeht und den ,Übergang der Transzendenzvorstellungen zur Immanenz vom 18. zum 19. Jahrhundert'23 darstellt, die den politischtheologischen Hintergrund der neukantianischen Rechtslehren von Krabbe und Kelsen bildet. So kann man das begriffssoziologische Programm auch als eine Strategie verstehen, an der Idee der Legitimität festzuhalten und die Moderne mit ihrer Legitimität zu konfrontieren. Das begriffssoziologische Methodenprogramm hält am metajuristischen und metaphysischen Fragen fest und erlaubt je nach Bedarf ein geistesgeschichtliches Vorgehen oder eine soziologische Konkretisierung zeitgemäßer Begriffe. Schmitt versteht die Metaphysik als Ausdruck einer geistesgeschichtlichen Lage, faßt Philosophie primär als ,Rechtslehre'24 auf und macht die Rechtswissenschaft zum Mittler zwischen dem Politischen und Metaphysischen. Er sieht in der Rechtswissenschaft die neuzeitliche Königswissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne und verortet sie ,zwischen Theologie und Technik'25, verfolgt seine begriffssoziologische Methode aber nicht streng, sondern gibt nur einige umstrittene Beispiele 26 . Ansonsten rechtfertigt dieser Methodenentwurf ein Geschichtsbild, das die Begriffspaare Transzendenz und Immanenz, Repräsentation und Identität, Monarchie und Demokratie zum Bild einer Säkularisierungsbewegung der Neuzeit ausmalt. Als Methode und ,Forschungsprogramm' (Lübbe) hat die politische Theologie für das Werk keine zentrale Bedeutung. Sie bildet keinen Ausgangspunkt, sondern einen Bezugspunkt. ab) Schmitts gegenrevolutionäre Stellung Die ,Politische Theologie' spricht Kelsen das Verdienst zu, "auf die methodische Verwandtschaft von Theologie und Jurisprudenz hingewiesen zu haben"27. Kelsens Studie ,Gott und Staat' belegt dies beispielhaft. Sie gliedert sich in zwei Teile; der erste Teil fonnuliert an die Religionskritik von Durkheim, Feuerbach und Freud 28 anschließend ein vorläufiges Ergebnis: "Ist Gesellschaft nur als 21 22 23
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28
Hösle 1988, 423. PT 65, vgl. Beneyto 72. vgl. PT 60ff., VL 237f. vgl. VRA 427. vgl. ECS 74, NE Vorwort, VRA 427. vgl. PT 49 ff. PT 54, vgl. PT 63. vgl. Kelsen. In: Logos 11 (1922/23), 265f., 279f.
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Teill: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
Ideologie zu begreifen, so ist Religion nur eine besondere soziale Ideologie. Sie ist ursprünglich identisch mit jener sozialen Ideologie, die man im weiteren Sinne als Staat bezeichnen kann"29. Die Besonderheit der religiösen Ideologie liege im "anthropomorphen Denkbehelf der Personifikation"30, der die Staatslehre ideologisch beeinflusse. Kelsens politische Theologie will den Personalismus aus dem Staatsdenken ausgrenzen, indem sie an eine moderne Religionskritik anknüpft, die Schmitt zuwider ist. Wie Carnap wittert Kelsen in der Metaphysik nur noch "Scheinprobleme"31. Er konstatiert begriffssoziologische Parallelen 32 und spricht von einer "Analogie zwischen Staat und Gott" 33 . Am Ende fordert er die "Absorption des supranaturalen Gottesbegriffes" als eine Möglichkeitsbedingung für die Naturwissenschaften und eine "Reduktion des überrechtlichen Staatsbegriffes"34 als Vorbedingung für positive Rechtswissenschaft. Dies zeigt die konträre Wertung einer verwandten Gegenwartsdeutung. Schmitt "stemmt sich"3s noch gegen diesen Siegeszug der Moderne und setzt eine gegenrevolutionäre Staatsphilosophie gegen die Demokratisierung. Den Gegensatz der Immanenz- und Transzendenzvorstellungen zeigt er im grellen Licht politisch aggressiver Verfechter. Er nennt de Maistre, Bonald, Cortes auf der einen, Proudhon, Bakunin, Marx und Engels auf der anderen Seite und sieht in Hegel den Begründer der revolutionären Linie. Schmitt schreibt, daß die Immanenzphilosophie "ihre großartigste systematische Architektur in Hegels Philosophie gefunden"36 habe, und die Linkshegelianer wie Kelsen die wahre Beziehung von Gott und Welt verdrehen, indem sie, wie sich selbst bei von Stein typisch zeige 37 , im Vertrauen auf die geschichtliche Entwicklung auf die Entscheidung über die Geschichte verzichten. Diese optimistische ,Lebensphilosophie' versteht Schmitt als den letzten, metaphysischen Kompromiß der liberalen Bourgeoisie und stimmt Cortes in der Auffassung zu, daß eine wahrhaft historische Entscheidung kein Komprorniß sein könne. Von der ,Romantik' bis zur ,Politische Theologie H' analysiert Schmitt die moderne Säkularisierungsbewegung als einen Verlust des Transzendenzbezugs. Die Ersetzung der dynastischen durch die demokratische Legitimitätsidee ist der politische Ausdruck dieses Umbruchs, der das Verhängnis der Neuzeit ist. ,Politische Theologie' und ,Katholizismus' schreibt Schmitt gleichzeitig Anfang Kelsen 268. Kelsen 270. 31 vgl. Kelsen 274. 32 vgl. Kelsen 272 (Souveränität), 275 (Gehorsam), 279 (Wunder), 280f. (Urteil), 281 und 283 (Person). 33 Kelsen 273. 34 Kelsen 284. 35 Hofmann 79, vgl. 154f. 36 PT 64. 37 vgl. PT 76ff. 29
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1. Souveränität und Legitimität
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1922 38 . Der Verklärung der Kirche korrespondiert eine Diskreditierung der Säkularisierung. Das Jahr 1789 markiert in Schmitts Geschichtsbild dabei den Ursprung des Übels. Die Französische Revolution und ihre Folgen thematisieren insbesondere die frühen Schriften zur Diktatur 39 • Später tritt 1789 als Quelle der demokratischen Legitimitätsvorstellungen hinter das für Deutschlands Verfassungsentwicklung entscheidende Jahr 1848 zurück, das Schmitt als eine erste Konsequenz von 1789 versteht und in den Perspektiven einer Reihe von Krisentheoretikern beleuchtet. 1789 bedeutet für ihn eine ,metaphysische Entscheidung'; beginnt mit Descartes und Hobbes die Neuzeit 40 , so beginnt 1789 die Moderne, in der die Legitimität der Neuzeit praktisch wird. In Deutschland verspätete sich aber diese Entwicklung. Deshalb betrachtet Schmitt vorwiegend die ideologischen Kämpfe zwischen 1789 und 1848, ohne auf die bewegte Verfassungsgeschichte dieser Zeit näher einzugehen, die nur ein Aufschub sei. Man sollte Schmitts ideen- und verfassungsgeschichtliche Skizzen nicht zu streng nehmen. Sie wollen mehr glaubwürdig treffend als richtig sein. Die skizzenhaften und polemischen Genealogien haben in der Begründung seiner Gegenwartssicht ihren Sinn.
,Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen' führt 1929 erstmals ein geschlossenes Geschichtsbild der Neuzeit aus. Schmitt nimmt diese Horizontbestimmung in den ,Begriff des Politischen' und in die ,Positionen und Begriffe' auf. Er verbindet eine Stufentheorie der Geschichte mit einer Elitentheorie: Comte mit Pareto. Die Eigenheit der Arbeit liegt aber in ihrer anthropologischen Begründung der Geschichtsdynamik aus einem "Streben nach einer neutralen Sphäre"41, das im Zeitalter der Technik in eine totale Politisierung umschlage. Diese Annahme einer Friedenssehnsucht als Movens der Geschichte paßt schlecht zum ,anthropologischen Glaubensbekenntnis'. Nimmt man diese beiden anthropologischen Thesen des ,Begriffs des Politischen' zusammen, die den Menschen als ein dynamisches, aber auch friedliebendes Wesen auffassen, so ist Schmitts Menschenbild nicht nur auf Hobbes 42 , sondern auch auf Kants Annahme einer ,ungeselligen Geselligkeit'43 des Menschen zu beziehen. Es ist für Schmitts Geschichtsbild charakteristisch, daß er die Legitimität der Neuzeit aus anthropologischen Überzeugungen heraus kritisiert, die sich mit dem Glauben an die Erbsünde vereinbaren lassen. Die Tendenz zur anderen Legitimität bedroht mit der Transzendenz die Autorität. Den epochalen Wandel der Legitimitätsvorstellungen, der jede Autorität und damit das Politische selbst in Frage stellt, kritisiert Schmitt im vgl. Ulmen 1988, 341, vgl. Notiz zur PT (1922). vgl. 1916b, D 116ff. 40 vgl. ARSPh 1937, 630, L 48, 59, PT 61. 41 BP 88. 42 vgl. Hobbes, Leviathan Kap. XIII, XIV. 43 vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (vierter Satz), AA VIII, 20ff. 38
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6 Mehring
Teill: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
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Lichte des Dezisionisten Donoso Cortes im Schlußkapitel der ,Politische Theologie', das die ideenpolitische Vertiefung des Souveränitätsproblems auf das axiomatische Fundament des anthropologischen Glaubensbekenntnisses als der Voraussetzung der Souveränitätslehre zurückführt 44 • Gegen den "aktivistischen Geist der Revolution"45 setzt er eine traditionalistische Linie Bonald, de Maistre, Cortes, die eine "Entwicklung von der /theologisch-begründeten dynastischen/ Legitimität zur Diktatur"46 im Kampf mit der revolutionären Linie beschreibt. Schmitt konstruiert einen Kampf zwischen Autorität und Anarchie, in dem die alte Autorität immer Recht hat. Die Autorität vermittelt Wahrheit und Macht. Die Absetzung der auctoritas von der veritas und potestas verdeckt diese MittlersteIlung, die schon ,Wert des Staates' dem Staat zuwies. Nur der Bezug zur Idee unterscheidet nach Schmitt die Autorität von einer Gewaltherrschaft und legitimiert ihre Macht. Die autoritäre Repräsentation legitimiert sich durch ihre Berufung auf Ideen oder Werte und gewinnt ein Recht zur Macht, zu der sie kein negatives Verhältnis hat. Huber nennt die Unterscheidung von Macht und Autorität, die Webers Unterscheidung von Macht und Herrschaft staatsmetaphysisch umformuliert, "nicht antinomischer, sondern dialektischer Art"47. Ein Ruf nach Autorität wäre zunächst nur ein ohnmächtiges Echo der Krisenanalyse 48 • So schreibt Forsthoff noch 1933: "Autorität ist nur aus der Transzendenz möglich"49. In der Weimarer Endzeit sieht Schmitt dies aber pragmatischer: "Erst aus dem Erfolg und der Leistung ergibt sich Autorität / ... / Dann wird das Problem der verfassungsrechtlichen Legalisierung neuer Institutionen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr bereiten"50. Doch kehren wir zu Schmitts ideenpolitischer Beschreibung des Kampfes der gegenrevolutionären Autoren gegen die Revolution zurück. Donoso Cortes repräsentiert die katholische Kritik von 1848. Schmitt zeigt an Cortes auf, wie der Kampf gegen den Liberalismus zu einem Dezisionismus führt, der BonaIds Vertrauen in die restaurative Kraft der Geschichte verloren hat, schweren Herzens den Tod der dynastischen Idee anerkennt und "schließlich den vgl. PT 72 ff. PT 65. Maschke stellt Unterschiede zwischen dem agnostischen Dezisionismus Hobbes' und dem katholischen Dezisionismus der Gegenrevolutionäre heraus (vgl. Die Zweideutigkeit der ,Entscheidung'. Thomas Hobbes und Juan Donoso Cortes im Werk Carl Schmitts. In: Quaritsch 1988, 193/232, bes. 195f., vgl. Maschke 1987, 130f.). Hobbes figuriert in PT als Klassiker der Methode, Cortes als Klassiker des autoritären Zwecks. 46 PT 72. 47 Huber ZgStW 1941c, 531. 411 vgl. 1925f., 593f. 49 Forsthoff 1933,30. Larenz' völkische Rechtslehre meint dagegen: "Autorität kann aber heute nicht mehr in einer transzendenten Legitimierung, sondern nur in dem Gedanken des verpflichtenden Wertes der Gemeinschaft gefunden werden" (1934b, 187, vgl. kritisch Leibholz 1933, 60ff.). 50 1933m, 94. 44 45
I. Souveränität und Legitimität
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Gedanken der Legitimität / ... / aufhebt"51. Damit bricht die Gegenrevolution mit der Restaurationsideologie und wird diktatorisch. Allerdings fehlt schon aufgrund der spekulativen Bedeutung des diktatorischen Befehls, eine Offenbarung zu sein 52, jene klare Grenze zwischen der autoritären und diktatorischen Herrschaft, die der ,Hüter der Verfassung' benötigt 53 . Die Diktatur verengt die Repräsentation auf die souveräne Spitze mit der kritischen Konsequenz, daß die gesellschaftliche Einheit und Hierarchie in eine Bürgerkriegslage zerfallt, die der Souverän nur mühsam in Form hält. Eine Diktatur ist nach Schmitt als ein permanenter Aufschub der Revolution gerechtfertigt, hat aber eine "Reduzierung des Staates auf das Moment der Entscheidung"S455 zur Folge. ,Politische Theologie', meist als Programmschrift eines staatsrechtlichen Dezisionismus gelesen, endet mit einer Kritik am Hauptvertreter Donoso Cortes. 51 PT 83, vgl. 80.
vgl. Nyssen. In: Quaritsch 1988, 182. Schmitt rückt aus diesem Grund die Jurisprudenz an die Theologie. Forsthoffs bedeutende Studie über ,Recht und Sprache' (Halle 1940) zeigt diesen religiösen Untergrund des Entscheidungsdenkens. Richter und Theologen verwalten und verkünden das entscheidende Wort auf Basis eines Grundtextes. Forsthoffintendiert eine "Wiederherstellung der juristischen Hermeneutik" (1940, 18, vgl. 17 ff., 3, 12) im Bewußtsein ihrer theologischen Grundlagen. S3 vgl. HdV 137 FN, VL 75, L 68. 54 PT 83. Ausführlich relativieren DARD und ,Über die zwei großen Dualismen des heutigen Rechtssystems' (PB 261 ff.) den Dezisionismus. Von Krockows bewundernswürdig konzipierte ,Entscheidung' (1958) ist die maßgebende dezisionistische Deutung im Anschluß an Löwith (vgl. knapp Sontheimer 260ff.). Nach Krockow entlarvt ein zeitgeistiger Dezisionismus, der im Grunde das Politische mit Diktatur identifiziere (vgl. 61), sich selbst (vgl. 94), indem er "auf die Dauer" (94, vgl. 98, 102) eine "praktische Unhaltbarkeit der dezisionistischen Position" beweise und inhaltliche Erfüllung fordere. Warum diese nationalsozialistisch wird, bleibt offen. Sachlich begeht Krockow den Fehler, Dezisionismus mit der Orientierung am Ausnahmezustand gleichzusetzen (vgl. 57, vgl. DARD 29) und als Gegensatz zum späteren Ordnungsdenken darzustellen. ss Beneyto hält an der dezisionistischen Auslegung fest und vertritt die Betrugsthese, daß Schmitt die ,Politische Theologie als politische Theorie' (Berlin 1983, vgl. Beneyto, Apokalypse der Modeme. Die Rechtstheorie von Donoso Cortes, Stuttgart 1988) einsetze, und die politische Theologie das Politische ideologisch verkläre und weihe. Beneyto meint falschlieh, RKpF sei Schmitt die "Bestätigung seiner Theorie des Politischen in der Wirklichkeit" (83, vgl. 87). Daß Schmitt umgekehrt die politische Theologie durch eine Reflexion des Katholizismus entwickelt, ist werk biographisch leicht zu belegen. Beneyto ignoriert aber ,Sichtbarkeit der Kirche' von 1917 und datiert RKpF falschlieh nach PT. Die Kirche diene Schmitt nur zur Verewigung seines Dezisionismus: "Um der Freund/ Feind Stabilisierung /!/ Dauer zu verleihen - da sie ja aus der Dezision lebt- wird die Dezision perpetuiert / ... / Nur die Aufhebung und simultan-kontinuierliche Beibehaltung der Dezision vermag die letzte Stabilität der Freund- und Feindschaftslinien zu sichern" (86). Konsequenterweise ist BP für Beneyto nicht nur ein Kriterium, sondern die "begriffiiche Ausformulierung der Schmittschen Theorie des Politischen" (91). Im theologischen Moment sieht er eine "Inanspruchnahme des eschatologischen Vorbehaltes der Kirche für politisch-theoretische Zwecke" (88, vgl. 93,106, 155f.). Deren Funktion sei eine" 'Sakralisierung' der Politik" (108). Politische Theologie wird unausdrücklich als eine Legitimationsideologie verstanden. Beneyto zielt auf eine erneute Erledigung der politi c sehen Theologie, wonach "die politische Theologie Carl Schmitts im Grunde politische Mythologie bedeutet" (180). Ich nenne dies die Betrugsthese. S2
6*
Teil I: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
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Die dezisionistische Deutung verengt die Souveränitätslehre auf eine Orientierung am Ausnahmezustand. Man neigt zur Unterstellung, der Ausnahmezustand sei für Schmitt die Regel oder gar Wunschnorm des Politischen, damit der Diktator im Narzißmus permanenter Souveränitätsbeweise schwelge. Schmitts politisches Denken kann aber nicht auf eine Diktaturtheorie verengt werden, da der Souverän lediglich die entscheidende Spitze der Repräsentation des Staates ist. b) Die Ideengeschichte demokratischer Legitimität und das Lösungsmndell des politischen Mythos
Während die ,Politische Theologie~ 1922 einen Umbruch der Metaphysik konstatiert und mit der Souveränität und dem Glauben an die Gefährlichkeit des Menschen zwei systematische Einsichten hervorhebt, gelangt die ,Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus' 1923 zu einer dialektischen Darstellung des Wandels der Legitimitätsvorstellungen. Sie bedenkt das Problem der Legitimitätsgrundlagen staatlicher Autorität ideengeschichtlich und behandelt "einige entscheidende Momente der Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts"56. Wer die ,Geistesgeschichtliche Lage' nur als eine Parlamentarismuskritik liest, verkürzt die Themenstellung und verkennt die prinzipielle Absicht und innere Einheit der Schrift. Nach Sternberger findet sich eine vergleichbare Parlamentarismuskritik bereits bei Swift. Sie wäre demnach so alt wie der neuzeitliche Parlamentarismus, was nicht wundert, wenn eine bürgerliche Öffentlichkeit zu seinen Voraussetzungen gehört: "Doch welch ein Unterschied der Gesinnung und Absicht!" 57. Schmitt muß seine Kritik prinzipiell anlegen 58 und diese Prinzipien - Diskussion und Öffentlichkeit - vielleicht sogar verzeichnen, um, wie er mit brutaler Offenheit schreibt, "den letzten Kern der Institution des modernen Parlaments zu treffen"59. Die ,Geistesgeschichtliche Lage' skizziert die Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts als einen Wandel der führenden Legitimitätsvorstellungen und behandelt eine Dialektik demokratischer "Rechtfertigungsideologien"60 . Erich Kaufmann nähert sich dieser Einheit und dem Aufbau der Schrift, wenn er meint, sie D X. Sternberger, Jonathan Swift, earl Schmitt und die parlamentarische Diskussion. In: Insel-Almanach auf das Jahr 1962, 19. 58 Nach Steil ist "Schmitts Liberalismuskritik vom Standpunkt eines radikalen Liberalismus lausl formuliert, der die ursprünglichen Ideale noch ernst nimmt" (58). Steil bezeichnet GLP als einen "desillusionierten Liberalismus" (57). Im Kontext des Gesamtwerkes ist dies abwegig. Maschke abstrahiert ,Drei Motive im Anti-Liberalismus earl Schmitts' (1988b) und beschreibt den inneren Zusammenhang des meta-politischen, theologischen Motivs mit den innen- und außenpolitischen Motiven der Liberalismuskritik. Ansonsten gibt der Sammelband über ,earl Schmitt und die Liberalismuskritik' «Hg) Hansenl Lietzmann 1988) zum Thema wenig her. 59 GLP 30, vgl. Wittmayer AÖR 8 (1925), 231 ff. 60 Thoma. In: ASwSp 53 (1924/25), 212. 56 57
1. Souveränität und Legitimität
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sei "nach einem spiritualistischen geschichtsphilosophischen Schema der Verfallstheorie aufgebaut"61. Schmitt wendet sein Geschichtsbild auf den Begriff der Legitimität an: "Die Entwicklung von 1815-1918 läßt sich darstellen als Entwicklung eines Legitimitätsbegriffes: von der dynastischen zur demokratischen Legitimität"62. ,Politische Theologie' verwendete das Wort Legitimität zunächst noch im Sinn des gegenrevolutionären Kamptbegriffs der Restauration und schloß mit derEinsicht in den notwendigen Bruch der Gegenrevolution mit der Legitimität, eine Einsicht, die Schmitt in die Reihen der Konservativen Revolution führt. Was von Metternich bis Stahl Legitimität hieß, nennt Schmitt jetzt genauer eine dynastische Legitimität, um für die Volkssouveränität den Begriff der demokratischen Legitimität einzuführen, der Webers demokratische Wendung des alten Legitimitätsanspruchs zur Frage nach den allgemeinen Motiven der Fügsamkeit aufnimmt. 1923 wendet Schmitt sich von der Kirche, der alten Legitimität und von Stahl ab, und der italienische Fascismus tritt als die wirkliche Antwort an die Stelle der gegenrevolutionären Ideologen; Schmitt bejaht im Begriff der demokratischen Legitimität aber nicht einfach die demokratische Bewegung, sondern eine Massenbewegung mit autoritären Zielen. Die ,Geistesgeschichtliehe Lage' thematisiert eine Zwischenzeit der LegitimitätsvorsteIlungen, die genauer eine Entwicklung innerhalb der demokratischen Legitimität beschreibt. Dies betont Leibholz nur, wenn er meint: "Aber die Krise der parlamentarischen Demokratie geht nicht nur darauf zurück, daß der Liberalismus glaubenlos geworden ist / ... /, sondern auch darauf, daß der Liberalismus in seinen Grundlagen durch die Eigengesetzlichkeit der Demokratie selbst weitgehend entwurzelt worden ist" 63 . ,Die Auflösung der liberalen Demokratie und das autoritäre Staatsbild' beschreibt 1933 die geistesgeschichtliche Lage im Lichte von ,Legalität und Legitimität', lehnt aber Schmitts politische Folgerungen ab und entwickelt die später einflußreiche Rechtfertigung des modernen Parteien staates durch die These vom "Strukturwandel, der sich im Rahmen der modernen Demokratie vollzogen hat"64. Die Stufen der Demokratisierung sind nach Schmitt folgende: Die liberale "Metaphysik" und Legitimität basiert auf den Prinzipien von Öffentlichkeit und Diskussion 6s . Diese Willensbildung geht in einen Rationalismus über, wenn dem Glauben an eine Wahrheitsfindung durch Diskussion 66 der Glaube an die Kaufmann. In: Deutsche Rundschau 84 (1958), 1014. GLP 39; der Titel lehnt sich deshalb an H. Maier, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen der konstitutionellen Theorie, Tübingen 1914 (vgl. D 194 FN) an. 63 Leibholz 1933, 50. 64 Leibholz 1933, 51, vgl. 53f. 6S vgl. GLP 43ff., VL 319, VRA 317. 66 Gegenüber Weber, der das moderne Parlament als Instrument der Führerauslese verteidigt (vgl. GLP 12), gibt Schmitt dem Parlament wieder einen emphatischen Sinn (vgl. Hennis 1973, 125ff.). So kommt es zu einer problematischen Argumentationsfigur, die einen Idealbegriff gegen die Verfassungswirklichkeit ausspielt (vgl. Hennis 53ff.). Die 61
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Diktatur der Vernunft 67 folgt, den die Jakobiner mit Hegel und Marx teilen. Diesem absoluten Rationalismus der Willensbildung, einer an sich philosophischen Legitimität, folgt antithetisch die irrationale, plebiszitäre Form der demokratischen Legitimität in den aktuellen Bewegungen Syndikalismus und Fascismus. Der gerade zur Macht gelangte Fascismus tritt siegreich an die Stelle der Gegenrevolutionäre und der Kirche. Er ist die Antwort und löst das Autoritätsproblem im Massenzeitalter. Die historische Antwort enthält eine staatsphilosophische Option: den Willen zum Mythos als Grund der Autorität des Politischen. Den "Kern /des Syndikalismus/ bildet eine Theorie des Mythus, die den stärksten Gegensatz zum absoluten Rationalismus und seiner Diktatur bedeutet, aber gleichzeitig, weil sie eine Lehre unmittelbarer aktiver Entscheidung ist, einen noch stärkeren Gegensatz zu dem relativen Rationalismus des ganzen Komplexes, der sich um Vorstellungen wie Balancierung, öffentliche Diskussion und Parlamentarismus gruppiert" 68 . Schmitt entdeckt im Zusammenhang mit dem Fascismus SoreI für den deutschen Sprachraum 69 ; Sorel stehe im "geistesgeschichtlichen Zusammenhang"70 einer Linie Proudhon, Bakunin, Bergson und übermittle dem Syndikalismus den politischen Mythos vom Generalstreik, der eine "Fähigkeit zum Handeln und zum Heroismus"71 bewirke. Schmitt betont den antipolitischen, vitalen Antiintellektualismus des Mythos. In der Entwicklung zum Irrationalismus bejaht er den Willen zum Glauben. Er sieht einen politischen Gegensatz des Nationalismus zum Klassenkampfmythos; der "stärkere Mythos" liege dabei "im Nationalen" 72 , was Sorel durch seine Leninapologie eingestanden habe und Mussolini gegenwärtig beweise. Vor allem liege im Mythos die "Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie"73. Der Mythos stiftet eine nationale Homogenität und Identität. Er übernimmt die Funktion der politischen Idee der Kirche. Während Meinecke in der Republik die ,Staatsform des sozialen Friedens'74 und Heller sogar in der Sozialdemokratie die Macht der Versöhnung sah, traut Schmitt der Republik diese Formkraft nicht zu. Seine Deutung des italienischen Faschismus bedeutet deshalb noch keine vorgängige politische regierungstechnische Begründung findet Schmitt "anspruchslos" und zieht die Diskussion in die "Sphäre eines prinzipiellen Interesses" (GLP 7). 67 vgl. GLP 37, D 109ff. 68 GLP 80. 69 Schmitt beansprucht dies im Hinweis (PB 313). Kodalle wirft die Frage erneut auf (In: Quaritsch 1988, 102ff.). 70 GLP 78. 71 GLP 80. 72 GLP 88, vgl. VL 233 f., 1978, 334 ("Die legale Machtübernahme von 1933 konnte nur als nationale Revolution gelingen"); zum Bolschewismus vgl. Kirchheimer, Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus. In: ZfP 17 (1927/28), 593/611. 73 GLP 89, vgl. Hofmann 168, Schieder 1989, 19ff. 74 eit. Klueting. In: HZ 242 (1986), 80.
2. Fingierte Legitimitäten
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Option für den Nationalsozialismus. Schmitt fand im Faschismus aber die Wirklichkeit der autoritären Form, die er als einen Wesenszug des wahren Staates begreift. In der zweiten Auflage der ,Geistesgeschichtlichen Lage' verdeutlicht eine Vorbemerkung den geschichtsdialektisch begründeten Gegensatz des Parlamentarismus zur Massendemokratie. In einer Antikritik zu Richard Thomas Kritik führt Schmitt näher aus, daß die Verteidigung des Parlamentarismus als ein wenigstens einigermaßen funktionierendes politisches System und eine Regierungsmethode keineswegs genügt; Schmitts prinzipielle Betrachtung versucht die politische Idee des Parlamentarismus vom Verhandlungs- und Verständigungspragma von Kaufleuten abzugrenzen 74a • Im Unterschied zum ökonomischen Denken verlangt die politische Idee nach Schmitts Überzeugung den Glauben an eine wahre Politik, die den Parlamentarismus in seinem anfänglichen Vertrauen auf eine Wahrheitsfindung durch die öffentliche Diskussion beseelte. Die politische Idee kennt keine Kompromisse. Mit dem Verlust des Glaubens an eine wahre Politik ist der Parlamentarismus eigentlich gar keine Staatsform mehr und verkommt zum geistlosen Betrieb. Schmitt stellt den Glauben an die wahre Politik über das politische Pragma; seiner Meinung nach hat der bürgerliche Parlamentarismus sich selbst überlebt: Den Glauben an die politische Idee vertreten nur noch die ,absolutistischen Integrationsparteien' (Sigmund Neumann 1932). 2. Fingierte Legitimitäten Bis 1923 erarbeitet Schmitt die Grundbegriffe seiner politischen Theorie: Repräsentation, Souveränität und Legitimität. Souveränität und Legitimität legen die Repräsentation in einen Macht- und Geltungsaspekt aus. Der Repräsentationsbegriff ist der ,höhere Dritte', analog der Aufhebung des Normativismus und Dezisionismus ins Ordnungsdenken. Nach 1923 wendet Schmitt sich zur konkreten Institutionenkritik, die zugleich innen- und außenpolitisch erfolgt. a) Das Legitimationsproblem im Völkerrecht
aa) Das Postulat der Sichtbarkeit der Macht Die demokratischen und nationalistischen Bestrebungen sind seit der Französischen Revolution ineinander verstrickt. Das nationale Selbstbestimmungsrecht ist ein völkerrechtliches Postulat der demokratischen Bewegung. In den Arbeiten gegen Versailles und Genf anerkennt Schmitt deshalb die demokratische Legitimität, indem er ein deutsches Selbstbestimmungsrecht beansprucht 7s . ,Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik' behandeln 1925 in vgl. GLP 8 ff. vgl. ROIP 9, 15, 24, NSVR 18 (,Grundrechtekatalog') 28, ZAkDR 1936c, 211, 1948/50, 30, vgl. PB 200 ("Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes") . 74a
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zwei Teilen politische und moralische Gefahren der Lage. Der Wiederabdruck in den ,Positionen und Begriffe' läßt den zweiten Teil wegfallen. Gerade die Behandlung der moralischen Gefahren ist aber für die Gesamteinschätzung wichtig, weil Schmitt dort in einer Flugschrift der ,Rheinischen Zentrumspartei'76 den christlichen Begriff der Obrigkeit erläutert, der von der politischen Form der Kirche bestimmt ist. Die Obrigkeit zeigt ihre Macht offen. Ihre Machtform ist die Repräsentation 77. Eine moralische Gefahr bedeuten dagegen die modernen, heimlichen Herrschaftsmethoden, die" Treue und Gehorsam" verunklären. In der Kritik am Genfer Völkerbund entdeckt Schmitt eine Leitvorstellung seines politischen Denkens: die Forderung, daß die Machtmittel und Machthaber öffentlich sichtbar sein sollen, damit man sich nach der Relation von Schutz und Gehorsam eindeutig verhalten kann. In den Arbeiten zur Parteienkritik könnte ebenfalls stehen: "Das Charakteristikum der Zeit liegt darin, daß der wirkliche Machthaber verborgen"78 bleibt. Die Kritik der indirekten Gewalten potestas indirecta - steht hier bereits "zwischen den Zeilen" 79 . Huber schreibt: "Denn wirkliches Recht ist nur als eine öffentliche, sichtbare Ordnung möglich" so. Man sollte diese Forderung nicht als ein Betrugsmanöver abtun, sondern wie Hofmann von einem "horror"81 Schmitts vor der Inordinatio ausgehen. Die politischen und moralischen Gefahren heißen "Unrecht der Fremdherrschaft" und "Betrug der Anonymität"82. Die anonyme Fremdherrschaft im Namen der Menschheit steigert die politische Unterdrückung zur sittlichen Gefahr. Betrug heißt das Schlüsselwort für diesen sittlichen Untergrund der politischen Kritik 83 . Das Feind-Kriterium hat die Klärungsfunktion, dem Betrug durch Aufdeckung der Machtmethoden und Machthaber zu entkommen. Jaspers erkennt 1931 als die moderne Sophistik, daß einer Sprache der Verschleierung eine revoltierende Sprache gegenübertritt 84 • Auch Schmitts vgl. Schmitts Einschätzung des Zentrums als Mitte und Achse Weimars (1971, 270). vgl. ROIP 16, 21 f., vgl. Eschenburg 100ff. 78 ROIP 22, vgl. BP 76f., VL 247, 1930e, 255. Nach 1945 entwickelt Schmitt Dialektiken der Macht (vgl. GM 14f.) und systematisiert drei Tendenzen: Drang zum Geheimen, Zwang zur Selbstbehauptung und eine Gegen-Richtung der Macht zur Sichtbarkeit und Öffentlichkeit (vgl. 1959b, 92f., GM 29). Den Kampf gegen die potestas indirecta autorisiert Schmitt in Hobbes (vgl. PB 260). 79 Huber ZgStW 1941a, 27. 80 Huber ZgStW 1941a, 43. 81 Hofmann 160, vgl. 20. 82 ROIP 22. 83 Schmitts Theorie des Betrugs schließt an Hegels Kritik des abstrakten Verstandes an (vgl. GU 15, PR 117). Sie entwickelt sich über die Kritik der romantischen Ironie (vgl. PR 105fT.). Im politischen Denken bestreitet Schmitt gegen Versailles, Lenin variierend (vgl. BP 63), die Möglichkeit des Volksbetruges (vgl. nur einige aufgelesene Stellen: PR 115 ff., GLP 38, 56, ROIP 22,25, PB 63, 114, 143, BP 76, DC 78), um dann den Selbstbetrug einzugestehen (vgl. ECS 87 fT.). Biographisch ist das Scheitern von Schmitts erster Ehe hier wichtig (vgl. Rüthers 161 f.). 76
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2. Fingierte Legitimitäten
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Entschleierungen schlagen in Gegenideologien um. Seine Begriffe wollen nicht nur die Sache klären, sondern darüber hinaus eine imperiale Kraft haben. In der Nahme des Namens liegt eine "Tendenz zur Sichtbarkeit, Öffentlichkeit und Krönung" 85 . Zuletzt verschafft der Begriff dem Worthaber Souveränität. Während die Zerstörung staatlicher Autorität und Souveränität 86 politisch gefährlich ist, bedeutet die weitergehende Zerstörung des Vertrauens in die Obrigkeit eine moralische Gefahr 87 . Der Kampf richtet sich deshalb gegen die indirekten Machtmethoden eines modernen Imperialismus, der Deutschland vor die Existenzfrage stellt, wie der Aufsatz ,Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet' 1928 verdeutlicht. Deutschland kann seiner Natur und Lage nach nicht als Satellitenstaat im Großraum eines Reiches existieren 88 . Es kommt Schmitt deshalb darauf an, den Völkerbund in seiner Legitimierungsfunktion des status quo 89 als eine politische Justiz der Alliierten 90 darzustellen. Er meint, eine ehrliche Relation von Rechten und Pflichten, Schutz und Gehorsam könne es nur geben, wenn der politische Charakter des Rechts offen benannt und eine justizförmige Politik ausgeschlossen wird. Eine Fußnote von ,Kernfrage des Völkerbundes' zitiert Hegel als den einzigen Klassiker, der eine analoge Lage beschreibt: "Hand in Hand nämlich mit dem fortschreitenden Ausbau des Rechtsschutzes ging die Auflösung des deutschen Reiches und die Entwicklung jenes unmoralischen Zustandes, dessen Verzweiflung in der Schrift des jungen Hegel über die deutsche Verfassung zum Durchbruch kommt. Dieses geniale und großartige Jugendwerk enthält durch jene Sätze des deutschen jVölkerrechts-j Kommentars eine neue Aktualität. Vielleicht kann man es für die nächsten Jahrzehnte als einen Prüfstein benutzen jsodaß ... j man bei jedem Buch und jeder Abhandlung sofort feststellen kann, ob der Verfasser Hegels Schrift über die deutsche Verfassung kennt oder nicht. Deutschlands Einheit und Größe ist schon einmal das Opfer einer Juridifizierung geworden"91. Nach der früheren Ablehnung im Zusammenhang der Marxismuskritik entdeckt Schmitt hier seine politische Nähe zu Hege!. Dies ist sein Absprung zur Hegelnahme, die um 1930 im Staatsdenken beginnt. Schmitt bezieht seine Gegenwartsanalysen immer vgl. K. Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1931,41 ff. 1959b, 104. 86 vgl. ROIP 7, 14ff., 27. 87 vgl. ROIP 19ff. 88 vgl. PB 107. 89 vgl. KVB 38, 80, PB 43, 1930a, 309, NSVR 20, 25, 1933i. 90 vgl. PB 101 ff., KVB 52f. Schmitt behandelt deshalb die Rolle der USA und ihre ökonomisch-imperialistische Umdeutung der Monroedoktrin (vgl. KVB 72ff., PB 88ff., 162ff., vgl. Oruchmann). 91 KVB 39; diese Verfassungsschrift wird als vorbildliche und markante Lageanalyse immer wieder Bezugspunkt (vgl. VL 47,127, HdV 90, BP 62, ZgStW 1940g, 10, PB 192). Heller gab dagegen die Verfassungsschrift 1919 bei Reclam nicht zur Warnung, sondern als eine ,Quelle der Machtideologie' (vgl. OS I 20) heraus. 84
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wieder auf Hegels analoge Verfassungsanalyse des zerfallenden Reiches und verweist mehrfach auf die parallele Lage. Da er später eine ,große Parallele' zwischen der religiösen Lage der Gegenwart und der christlichen Zeitenwende sieht, kann man diese Bezugnahme auf Hegels Verfassungsschrift als die übrigens auch von Huber gezogene 92 ,kleine Parallele' bezeichnen, die Schmitt als ein Schreckbild für die Gegenwart zitiert. ab) Die Forderung nach Homogenität
Es ist ein Grundsatz von Schmitts Rechtsdenken, daß alles Recht nur unter "Voraussetzung der normalen Situation" und als ,Einheit von Ordnung und Ortung' gilt. Hier liegt die Doppelfeindschaft zu den rechtsphilosophischen Hauptlinien des Naturrechts und des Rechtspositivismus begründet, die seine eigenartige Stellung innerhalb der damaligen Rechstheorie charakterisiert und ihm den Vorwurf der ,Situationsjurisprudenz' eintrug. ,Kernfrage' formuliert formelhaft: "Kein Recht gilt im Leeren, alles Recht ist Situationsrecht"93 . Demnach müßte Schmitt die normative Kraft des status quo eigentlich anerkennen; Schmitt bekämpft aber die Legitimierungskr;l n des Völkerbundes, indem er seine Legitimität bezweifelt. Er definiert einen IdealbegrifT für einen Bund, um den Völkerbund auszuschließen. Der status quo - Versailles - ist legal - Genf - und legitim, wenn der Völkerbund mehr als ein Büro oder Bündnis der Alliierten "zum Schutz ihrer Beute"94 ist: nämlich ein ,echter Bund'; dies nennt Schmitt die ,Kernfrage des Völkerbundes'9s. Garantie und Homogenität sind die in den zwei Hauptkapiteln der Schrift behandelten Kriterien für die Normalität eines Bundes. Schmitt beurteilt die Garantien des Völkerbundes nach der Relation von Schutz und Gehorsam und stellt fest, daß sie keinen Schutz vor den modernen, indirekten Methoden der Westlichen Hemisphäre bieten 96 , die er durchgängig als einen ökonomischen Imperialismus bezeichnet. Diese Methoden unterlaufen die Garantien der Völkerbundsatzung, in der Schrnitt eine merkwürdige Superlegitimität, eine "Garantie der Legitimität des status quo"97, findet. Die Legalisierung des Status quo legitimiert sich nämlich selbst, indem sie einen Vertrag zum Bund verklärt. Dies ist aber kein Beweis für die seinsmäßige Ordnung des Bundes. Eine wahrhafte Garantie der Einheit Europas, die "fünf oder sechs riesenhafte Leviathane"98 bindet, könne nur in der Homogenität des Völkerbundes liegen. Seine Forderung nach einem homogenen ,Geist'99 bestrei92 93 94
9S 96 97 98
vgl. Hegel-Motti zu ,Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (1932), 1935a, 1935c. KVB 22, vgl. 42, DARD 23f. KVB 37. vgl. PB 210, vgl. Gruchmann 128f. vgl. KVB 35f. KVB 38, vgl. ff. KVB 55, vgl. D 118f. (Leviathan definiert als "Einzelheit verschlingende Einheit").
2. Fingierte Legitimitäten
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tet die Möglichkeit eines universalen, kosmopolitischen Bundes loo , da alle innere Einheit durch eine Grenze gewonnen wird. Variieren wir zur Verdeutlichung dieser Konzeption die spätere Kampfformel: ,Homogenität gegen Universalismus' . Welche Homogenität schlägt Schmitt für einen möglichen Völkerbund vor? Zunächst stellt er den Verlust der alten Einheit der europäischen Ordnung fest. Die Einheit des christlichen Europa sei entfallen, und das Nationalstaatsprinzip, das im 19. Jahrhundert als ein Credo an die Stelle der Religion trat, zeige im 20. Jahrhundert eher Sprengkraft als Integrationskraft lol . In dieser Lage verwendet Schmitt implizit seinen Begriff des Politischen, indem er andeutet, daß ein europäischer Geist möglicherweise durch die Einigungskraft der Feindunterscheidung erneuert werden könne, namentlich durch einen Zusammenschluß der europäischen Kulturnationen gegen Rußland lo2 , der Rußland wieder aus Mitteleuropa herausdrängt: "Ein Bündnis wird durch den gemeinsamen Feind zusammengehalten"lo3. Schmitt macht den Gegensatz zum bolschewistischen Rußland zum ,Prüfstein auf die Kernfrage des Völkerbundes' und wendet sich gegen die drohende Aufnahme Moskaus in Genf. Ein europäischer Bund gegen Moskau wäre für Schmitt akzeptabel. ,Der Völkerbund und Europa 'l04 richtet sich insbesondere gegen die Rolle der USA, die in einem europäischen Bund ebenfalls nichts zu suchen hätten. ,Sowjet-Union und Genfer Völkerbund' meint dann, daß die Selbsttäuschungen Wilsons am russisch-bolschewistischen Problemlos gescheitert seien, und die verschiedenen ,Wandlungen' des Völkerbundes die letzten Chancen Europas verspielten, zu einem echten Bund zu werden lO6 . In Bismarck sah Schmitt den letzten Vertreter der klassischen Kabinettpolitik. Man kann die nationalen Interessen gegenwärtig nicht mehr am Verhandlungstisch schlichten, wenn nur Verträge zwischen innerlich verbündeten Staaten wirklich etwas gelten. Man kann aber versuchen, eine fehlende Substanz durch Feindmythen zu supplementieren. An die Stelle einer substanziellen Homogenität tritt dann der Prozeß einer Einigung oder Regeneration durch Absetzung vgl. PB 213. vgl. KVB 19, 64, 78, GLP 14ff. 101 vgl. KVB 57. 102 vgl. KVB 75ff., NSVR 27, VGO 11, 37, DJZ 1936d (,Sprengung der LocamoGemeinschaft durch Einschaltung der Sowjets'). 103 KVB 63, vgl. Kaufmann 99 ("von Schmitt angestrebte Einigung des Volkes mittels eines nationalen Mythos"); Hofmann (vgl. 138ff.) sah ebenfalls die konstitutive Bedeutung des "einheitsstiftenden, nationale Homogenität verheißenden politischen Mythos" (77). Rußland verstand den Völkerbund tatsächlich als eine feindliche Allianz (vgl. Schieder, Die Probleme des Rapallo-Vertrages, Köln 1956, 58ff.). 11» 1928. In: PB 88ff. 105 vgl. 1934h, 267. 106 vgl. NSVR 25ff., 1934h, 266, PB 210ff. 99
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Teil!: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
vom Anderen. Die "Einigung Europas"lo7 setzt aber eine Gleichberechtigung Deutschlands voraus, die Genf versagte. Unter Berufung auf Hitler bezeichnet Schmitt 1936 dann die völkische Substanz und Verwandtschaft als eine mögliche Homogenitätsgrundlage l08 , ohne ein ,völkisches Völkerrecht' näher vom nationalistischen Credo zu unterscheiden. Hier zeigen sich Verbindungen zwischen dem Bundbegriff und der später vertretenen Großraumlehre. Der ersten Fassung des ,Begriffs des Politischen' kreidete schon der Herausgeber an, daß sie in einer Reihe über ,Probleme der Demokratie' gehalten wurde. Schmitt behandelt die zwischenstaatlichen Feindbeziehungen aber auch wegen ihrer innenpolitischen Bedeutung. Das Grundproblem der Demokratie ist der demokratischer Grund selbst, die substanzielle Homogenität des Demos, die gegenwärtig nur durch Feindunterscheidungen zu gewinnen sei. In einfacher Form ist dieses Rezept bekannt: Außenpolitik, die sogenannte große Politik, eint die Nation. Dies war ja das ,Erlebnis der Augusttage 1914'. So erläutert Huber: "erst das Erlebnis des gemeinsamen Feindes macht die politische Zusammengehörigkeit deutlich" 109. Man kann hier von einer mythischen Einungsfunktion der Feindunterscheidung sprechen. Die Feindtheorie antwortet auf eine Krise der nationalen Substanz und sucht die staatliche Einheit und nationale Identität dialektisch zu retten. Die in den völkerrechtlichen Schriften vorausgesetzte nationale Homogenität Deutschlands ist in Wirklichkeit problematisch. b) Der Begriff der homogenen Demokratie
Das Feindkriterium beherrscht die Außenpolitik. Der politische Sinn dieses Kriteriums ist es, die innerstaatliche Klassenkampflage in die zwischenstaatlichen Beziehungen abzudrängen. Zwischen 1926 und 1928 entwickelt Schmitt seine Demokratietheorie, die den im völkerrechtlichen Kampf vorausgesetzten Mythos nationaler Homogenität reflektiert, indem sie innenpolitisch das nationalistische Moment gegen das marxistische Klassenbewußtsein und den Parlamentarismus ausspielt. Das polemische Schema dieser Demokratietheorie entwickelt ,Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie', ein Aufsatz von 1926, den Schmitt einleitend der zweiten Auflage der ,Geistesgeschichtlichen Lage' voranstellt. Staatsrechtlich expliziert dies 1927 ,Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie'. Die ,Verfassungslehre' bringt diese Auslegung 1928 in ein System, ,Legalität und Legitimität' spitzt sie 1932 zu, und ,Staat, Bewegung, Volk' löst sie 1933 auf.
107 108 109
1934h, 268. vgl. PB 213, DJZ 1936d, 34Of., vgl. Gruchmann 128f. Huber 1935c, 44.
2. Fingierte Legitimitäten
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ba) Das politische Existential der Öffentlichkeit
Gleichzeitig mit der Feststellung der Inhomogenität des Völkerbundes definiert Schmitt die Demokratie an Rousseau anschließend als eine "Identität von Regierenden und Regierten" 110. Diese Definition unterscheidet sich von Hegels Betonung des Herrschaftscharakters des Politischen: "Die allererste Bestimmung ist überhaupt der Unterschied von Regierenden und Regierten"lll. Schmitts Definition scheint den Herrschaftscharakter des Staates nicht hinzunehmen, sondern klassisch geschult eine freiheitliche Verfassung zu suchen, "et nous recevons en corps chaque membre cornme partie indivisible du tout" 112. Den Nationalsozialismus versteht man gelegentlich geradezu als den totalitären Vollstrecker dieser identitären Idee der französischen Revolution 112a . In welcher Hinsicht besteht aber ein Homogenitätsband? Fraenkel zeigt, daß Schmitt die politische Willens bildung in die Fiktion eines apriorischen Gemeinwillens abdrängt ll3 und als Volksgeist auffaßt. Schmitt meint, es sei "zu beachten, daß die volonte generale nach dem Contract social unabhängig von der Regierungsform ist"114. Er vereinnahmt Rousseau seiner Theorie und betont schon in der sehr genauen Darstellung innerhalb der ,Diktatur', daß die moderne Demokratisierungsbewegung ihren Kirchenvater mißverstanden habe us . Schmitt stellt sich unter einer Demokratie eine substanzielle und homogene Identität 116 des Volkes vor, deren politischer Charakter lediglich in der nationalen Gesinnung besteht. Die Identität des Volkes besteht im politischen Willen zur substanziellen Eigenheit und sittlichen Einmütigkeit. GLP 20, vgl. VL 234ff., PT 63. Hegel XII 63, vgl. Ranke, Politisches Gespräch, (Hg) Schieder, 1955, 48. Marx wertet dies Faktum als den Unterschied von Unterdrückten und Unterdrückern (vgl. Marx 525). Weber nennt alle politischen Verbände ein "auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen" (WuG 822). Huber schreibt über ,Das Staatsoberhaupt des deutschen Reiches': "Zur Demokratie gehört nach einem bekannten Wort die ,Identität von Regierung und Regierten', zum Führerstaat dagegen die Unterscheidung (natürlich nicht die Trennung und der Gegensatz) von Führung und Gefolgschaft" (ZgStW 1935b, 228, vgl. ForsthofT, Der totale Staat, 2. 1934, 36f.). 112 Rousseau, Du Contrat Social!. 6. In: Bibliotheque de la Pleiade. Oeuvres completes III, Gallimard 1975, 361; vgl. Kant MdS I § 46, AA VI 314, D 115, 117. 112. vgl. G. Ritter, Europa und die deutsche Frage, München 1948, 45ff.; K. D. Bracher, Zeitgeschichtliche Kontroversen, München 2. 1976, 57. 113 vgl. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 6. 1974, 204fT. 114 D 122. m vgl. D 116fT., GLP 20, L 105, NE 121ff., 1962; ForsthofT geht nach 1945 hinter Rousseau auf Montesquieu zurück (vgl. D 101 ff., vgl. Taschenbuchausgabe: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze. Ausgewählt, übertragen und eingeleitet von ForsthofT, München 1967). 116 vgl. GLP 19, 35f., VL 223, 228f., 234f., vgl. Mantl1975, 142fT., Heller GS 11 423ff. (,Politische Demokratie und soziale Homogenität', 1928). 110 111
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Teil I: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
Heller schreibt: "Soziale Homogenität ist immer ein sozial-psychologischer Zustand, in welchem die stets vorhandenen Gegensätzlichkeiten und Interessenkämpfe gebunden erscheinen durch ein Wirbewußtsein und -gefühl" 117. Ein solches in Ansätzen stets vorhandenes Zugehörigkeitsgefühl bezeichnet Schmitt als Demokratie. Diese Staatsgesinnung ist aber keine Staatsform. Die Demokratie legt Schmitt geradezu spartanisch aus. Seine Definition hat eine mehrfach polemische Bedeutung. Schmitt wollte im Kampf gegen Versailles den Völkerbund mit seinen eigenen Waffen schlagen. Seine Berufung auf das demokratische Selbstbestimmungsrecht setzte den Mythos einer nationalen Einheit voraus, den der pluralistische Parlamentarismus aber nach seiner Auffassung zersetzte. Schmitts Affekt gegen die in der Weimarer Verfassung nur negativ erwähnten Parteien richtet sich gegen eine mit der Idee der Repräsentation angeblich unvereinbare Mediatisierung des Volkes. Indem der Parlamentarismus seine Prinzipien aufgibt, verliere er seine an der Idee des Ganzen orientierte Repräsentationskraft und verkomme zur sozialen Interessenvertretung. Die Methoden plebiszitärer Willensbildung versprechen dagegen eine Lösung des Homogenitätsproblems. Schmitt spielt die Öffentlichkeit der Straße gegen die Wahlkabine aus. Er geht von einem Politikverständnis aus, das den Liberalismus ausgrenzt: "Volk ist ein Begriff des öffentlichen Rechts. Volk existiert nur in der Sphäre der Publizität" 118. Diese antikisierende Auffassung steht durchgängig neben der Betonung der Feindunterscheidung. Den Akklamationsbegriff führt Schmitt im Zusammenhang mit dem Bolschewismus und Fascismus ein 119. Aufgrund seiner Überzeugung vom öffentlichen Charakter großer Politik neigt er dazu, dem bürgerlichen Zeitalter die Fähigkeit zur Politik abzusprechen. Die Öffentlichkeit des Politischen, bereits eine Forderung im Kampf gegen die potestas indirecta, versteht er als ein Existential. Das Kriterium der Öffentlichkeit ist vielleicht sogar fundamentaler als das Feindkriterium, da jede Feindunterscheidung eine souveräne und öffentliche Feindbestimmung voraussetzt. ,Legalität und Legitimität' verdeutlicht die Entwicklung des Gegensatzes des bürgerlichen Parlamentarismus zu den Tendenzen des Massenzeitalters. In der Krise des Parlamentarismus verliere das Parlament sein Monopol der Repräsentation und relativiere seine eigene Stellung, wenn es plebiszitäre Gesetzgebungsverfahren zuläßt. Es kommt zum Gegensatz von Legalität und Legitimität, in dem das Parlament selbstmörderisch legale Möglichkeiten für eine andere Legitimität eröffnet. ,Volksbegehren und Volksentscheid' ahnte schon 1927 diese fatalen Konsequenzen der Zulassung eines außerordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, das eigentlich nur zur sachlichen Kontrolle des Reichstages Heller GS II 428. GLP 22, vgl. PB 51, 110f., VL 243. Den AkklaqJ.ationsbegriff entwickelt Schmitt in Anschluß an Petersons (vgl. VV 34, vgl. Hofmann 34) Forschungen zum römischen Christentum. 119 vgl. GLP 22f., VV 34f., VL 83f., PT II 52, 62. 117
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2. Fingierte Legitimitäten
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vorgesehen war 120 . Die Schrift verknüpft die Souveränitätslehre mit der Demokratietheorie, indem sie das Volk im außerordentlichen Volksgesetzgebungsverfahren als den Souverän 121 erkennt. Schmitt versucht diese außerordentliche Souveränität des Volkes aber wieder zu begrenzen, indem er praktisch bedeutsame Finanzfragen aus dem Volksgesetzgebungsverfahren ausschließt 122 und nach der ,natürlichen Grenze der unmittelbaren Demokratie' fragt. Er begrenzt die Volkssouveränität auf die Gesetzgebung und betont die Abhängigkeit des Volksentscheids von der Fragestellung 123 . Schmitt expliziert die Akklamation als ein "demokratisches U rphänomen" 124, dessen Votum nur ja oder nein kenne und im Unterschied zur Listenwahl nur Personen akklamiere: Führer, Feldherrn oder Imperatoren. Durch seine Akklamation konstituiert sich das Volk als homogene und politische Öffentlichkeit, indem es sich Führer wählt. Souveränitätsprobleme und Legitimitätsprobleme werden zugleich gelöst, indem das Volk sich als ein den Führern unterworfenes Subjekt konstituiert. Diese zirkuläre Konstitutionslogik kann man auch folgendermaßen formulieren: Die Identität des Volkes schafft die Repräsentation des Führers. Schmitt interpretiert die moderne Massendemokratie mit dem geläufigen Modell vom modernen ,Caesarismus' 125, das sich bei Tocqueville, Burckhardt, Weber, Spengler, Meinecke und anderen in verschiedenen Ausprägungen findet. Gemeinsam ist diesen Prognosen und Beschreibungen der Physiognomie des Zeitalters eine leise Verachtung der Demokratisierung, die mit der Aristokratie auch jene Bildungsschicht nivelliert, die diese Analysen hervorbringt. Obwohl die Massendemokratie traditionelle Kulturwerte zerstört, erscheint sie aber immer noch besser als ein Verwaltungs staat, der keine Politik und kein Ansehen der Person mehr kennt. Die soziale Beziehung von Führer und Gefolgschaft gehört nach Weber zum Typus der charismatischen Herrschaft, die der revolutionäre Gegentypus zur modernen bürokratischen Herrschaft im mechanistischen Zeitalter ist. Weber hat für seine Charismatheorie den modernen Demagogen vor Augen, der die Massen mit sich reißt: "Der Typus des Befehlenden ist der Führer. Der Typus des Gehorchenden ist der ,JÜnger"'126. Die charismatische Herrschaft hebt den Entfremdungscharakter von Herrschaft momentan auf. Der Führer aber macht große Politik, indem er die Zukunft stiftet. Im nüchternen Gedanken der Führerauslese klingt noch Hegels Lehre vom welthistorischen Heroen an, der weiß, "was not und was an der Zeit ist", vgl. VV 9ff., 51. vgl. VV 47f., VL 259f. 122 vgl. VV 14ff., 52ff. 123 vgl. VV 45 ff., 52. 124 VV 34, vgl. ff, VL 83f., 243ff., 260, 277, 315, 350. 125 vgl. D 4, 32, NE 32; vgl. Mommsen 407ff., 416ff., 449ff. 126 Weber WL 482, PT 11, 52. 120 121
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TeilT: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
sich die "nächste Stufe"127 des Weltgeistes zum Zwecke macht und zum ,Seelenführer' eines bewußtlosen Volkes wird. Schmitt nennt die Wahl vom 5.März 1933 ein "Plebiszit" 128 für Hitler, das mit dem Führer zugleich die nationalsozialistische Verfassung besiegelte. Die Machtübernahme selbst war aber keine plebiszitäre und revolutionäre Akklamation, sondern ein Selbstmord Weimars und eine legale Revolution, so viele Einschränkungen dieser nationalsozialistischen Selbstdeutung auch gegenüber zu machen sind. Schmitt hat den "Aktionsradius plebiszitärdemokratischer Verfahren drastisch reduziert"129 und eine "Entwertung des Volkes als Staatsorgan"130 betrieben. ,Staat, Bewegung, Volk' definiert "das Volk als die im Schutz und Schatten der politischen Entscheidungen wachsende unpolitische Seite" 131 , die nach Hegel ,nicht weiß, was sie will'132. Dies läßt zweifeln, ob Schmitt mit dem Volk einen neuen Staat machen wollte. bb) Fingierung der Demokratie
Oft versteht man 133 Schmitts Entwicklung als eine antiliberale Hinwendung zur plebiszitärdemokratischen Legitimität und zu Hitler. Der Souverän verschwindet nach Schmitt aber nicht nur in der Wahlzelle l34 , sondern erscheint auch nicht wirklich auf der Straße. Der Liberalismus pluralisiert das Volk zur Masse. Aber auch die Straßendemokratie ist nicht der Nation gemäß. Preuß schreibt: "Charakteristisch für Schmitt ist / ... / die Entgegensetzung eines unorganischen, abgründig formlosen und idealiter sich in Akklamation äußernden Volkswillens zu den konstitutionellen Formen" 135. Diesen plebiszitären Anstrich nimmt Schmitt systematisch zurück. Der Aufstand der Massen wäre Revolution und Bürgerkrieg. Deshalb kann er trotz allem die Grundentscheidung der Weimarer Verfassung als Form bejahen. Die ,Verfassungslehre' nimmt in einer Dialektik der Repräsentation die demokratische Legitimität auf, um der Massendemokratie das Formprinzip der Repräsentation zu unterschieben. Sie übernimmt den plebiszitär-demokratischen Geltungsgrund um den Preis einer zirkulären Begründung des Verhältnisses von Volk und Nation l36 • Der politische Wille des Volkes ist die verfassungs127 Hegel XII 46. E. Cassirer wies eindringlich auf die Bedeutung Hegels für den Mythus des 20.Jahrhunderts hin (vgl. Der Mythus des Staates, Frankfurt 1985, 322ff.). 128 SBV 8, vgl. 19340, 28 . 129 Maus 1986, 121. 130 Mantl1975, 134. 131 SBV 12. 132 vgl. PB 23, Larenz ZfDK 1 (1935), 52ff. 133 vgl. nur Preuß 1987,401 ff. 134 vgl. PB 111. 135 Preuß 1987, 411f. 136 vgl. Hofmann 132ff.
2. Fingierte Legitimitäten
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gebende Gewalt, die ein Volk in Bewegung bringt und zur Nation macht. Die Nation ist immer Staatsnation 137. "Nation bedeutet gegenüber dem allgemeinen Begriff Volk ein durch politisches Sonderbewußtsein individualisiertes Volk" 138. Dieses nationale Selbstbewußtsein sei mit dem revolutionären Klassenbewußtsein unvereinbar 139 , meint Schmitt. Deshalb tritt in seinem Denken bald das politische Volk in Gestalt der Bewegung an die Stelle der Nation. Schmitt macht die von Sieyes 14ü formulierte demokratische Legitimität von 1789 zur politischen Idee der ,Verfassungslehre', deren politische Theologie er bei Spinoza 141 erstmals formuliert findet. Dies sollte zu Denken geben: Die jüdische Erfindung der demokratischen Legitimität behandelt die ,Verfassungslehre' noch anmerkungsweise, die jüdische Liberalisierung des absoluten Staates führt der ,Leviathan' dann aus. Wie später gezeigt wird, spielt Schmitts Verfassungsbegriff die Idee der Demokratie polemisch gegen die Weimarer Verfassungswirklichkeit aus. Hier soll zunächst nur der Zweifel am plebiszitären und völkischen Fundament von Schmitts Demokratietheorie deutlicher werden. Schmitt gibt der revolutionären Idee von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes eine entscheidende Wendung: "Die öffentliche Meinung ist die modeme Art der Demokratie" 142. Der schwierige Begriff der öffentlichen Meinung ist für seine Demokratieverständnis zentral. Schmitt beteiligt sich an der damaligen Diskussion, sieht einen ,Strukturwandel der Öffentlichkeit' (Habermas) und erkennt in den neuen Medien Film und Rundfunk gewaltige ,Machtpositionen des modemen Staates'. Begriffsgeschichtlich markiert seine Auffassung vielleicht einen Wendepunkt zum Glauben an die entmündigende Kraft der Meinungsmache durch technische Medien. Schmitt versteht Demokratie als Staatsgesinnung, reduziert die Willensäußerungen des Volkes auf einfache Anerkennungsakte und betont, daß Plebiszite aufgrund des unpolitischen Charakters des Volkes meist eine überwältigende Zustimmung ergeben 143 • Schließlich löst er den Volkswillen in die ungreifbar gelenkte öffentliche Meinung auf. Den Volkswillen denkt Schmitt in eine Affirmation der Obrigkeit um. So entreißt er den Marxisten die politische Theorie der unmittelbaren Demokratie. Der Akklamationsbegriff trifft seine beiden politischen Gegner, indem er die bürgerliche Wahl für unpolitisch und unzeitgemäß erklärt und das autoritäre Moment in der ,Lehre von der unmittelbaren Demokratie' aufzeigt. Ähnlich wie Rousseau und Kant 144 137 138 139
140 141 142 143 144
vgl. Koellreutter, Integrationslehre und Reichsreform, Tübingen 1929, 7. VL 231, vgl. 50f., vgl. Leibholz 1967, 250. vgl. VL 234. vgl. D 140ff., VL 77ff., vgl. Breuer 1984a, Pasquino 1988. vgl. VL 80, D 142, GLP 41, 1978,337, L 86ff., 91. VL 246, vgl. ff, 83f., 1930b, VRA 367ff. vgl. VL 86 f. vgl. Kant MdS § 47, AA VI 315, vgl. Larenz 1934b, 101 ff.
7 Mehring
Teill: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
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"hypostasiert"145 Schmitt die Wirklichkeit des Souveräns. Er fingiert die nationale Homogenität 14ö im Kampf gegen Genf und im Begriff der verfassungsgebenden Gewalt und sieht die "Herstellung der nationalen Homogenität" in Wirklichkeit als eine "Aufgabe"147 an, wie insbesondere die knappe Arbeit über den ,Bürgerlichen Rechtsstaat' verdeutlicht. 1933 heißt es dann: "Wir suchen eine Bindung / ... / in uns selbst und unserer eigenen Art". Ins "Erfordernis einer Artgleichheit"148 münden alle Fragen und Antworten. Es war eine große Verführung, im Nationalsozialismus den einigenden Gleichschalter zu sehen. Der völkische Mythos wurde nicht nur in seiner rassischen Fassung fatal, sondern auch in einer bei Schmitt wie Heidegger zu findenden Idealisierung, die den deutschen Imperialismus durch eine Sendungsideologie rechtfertigt. Die regulative Idee völkischer Einheit ist nur im geschichtlichen Auftrag zu verwirklichen 149. Die Absetzung eines politischen Begriffs des Volkes vom ,natürlichen' Volksbegriff verbindet sich mit der Betonung der geschichtlichen Existenz und Sendung. Die Einheit des Volkes ist nicht gegeben, sondern aufgegeben, und die völkische Idee schlägt in eine Sendungsideologie um.
Hofmann 133. vgl. VL 215 ("Die Gefahr einer radikalen Durchführung des Prinzips der Identität liegt darin, daß die wesentliche Voraussetzung - substanzielle Gleichartigkeit des Volkes - fingiert wird") . 147 Hofmann 141. 148 SBV 46, vgl. NSVR 8, vgl. Walz, Artgleichheit gegen Gleichartigkeit. Die beiden Grundprobleme des Rechts, Hamburg 1938. Schmitz nennt den terminologischen Wandel von Homogenität zu Artgleichheit ein "politisches Postulat" (174). Greiffenhagen spricht zutreffend von einem Wandel "von dem formalen Begriff der Gleichartigkeit zur politischen Kampfesformel der Artgleichheit" (298). Maus sieht dagegen eine "äußerliche Akkomodation" (1986, 89, vgl. 113f.) eines Bürgerlichen. 149 vgl. Huber ZgStW 1935a, 35, 1937, 57 ("Zum Begriff des politischen Volkes gehört neben der naturhaften Art die geschichtliche Idee. Die geschichtliche Sendung weist aus der Vergangenheit in die Zukunft"). Heideggers Rektoratsrede denkt ,Selbstbehauptung' mit Tönnies Terminus "Wesenswillen" (vgl. 1983a, 10, 14, 18), "Selbstbehauptung ist ursprünglich Wesensbehauptung" (1961, I 73), Entschlossenheit zur Eigenart. "Aber: wir wollen, daß unser Volk seinen geschichtlichen Auftrag erfüllt. Wir wollen uns selbst" (1983a, 19). Die Selbstentschlossenheit ist als geschichtliche Sendung gedacht. Heidegger begründet dies gegenläufig zum Nationalsozialismus in seiner Auseinandersetzung mit Hölderlin, auf die er sich direkt nach dem Mißlingen des Rektorats verlegt (vgl. Ott 240). Schon ,Der Ursprung des Kunstwerks' stellt diese Aufgabe, die ,staatsgründende Tat' (vgl. 1980,48, vgl. Schwan) im Wissensdienst am deutschen Volk durch Hölderlins Dichtung zu bedenken (vgl. 1980,64). Die frühere Position der Sorge um sich gibt Heidgger auf, um sich entschlossen in die Macht des Anfangs zu stellen und das Abendland durch den geistigen Auftrag Deutschlands zu retten. 145
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3. Die Suche der Eigenart durch ,Ausscheidung' des Fremden
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3. Die Suche der Eigenart durch ,Ausscheidung' des Fremden a) Die zweideutige VordenkerroUe
War Schmitt ein Führer, Jünger oder Partisan des Nationalsozialismus? Er rechtfertigte sich in Nürnberg, er habe "Phrasen einen Sinn zu geben" versucht 150. Wollte Schmitt aus einem geistigen Überlegenheitsgefühl heraus "Helfer und Interpret der nationalsozialistischen Ideologie" 151 werden, "Mitarbeiter", wie er selber meinte 152 , oder gar ein ,Führer des Führers'lS3? Innerhalb des nationalsozialistischen Rechtssystems haben seine Schriften bei aller unzweifelhaften Affirmation 154 der bestehenden Machtverhältnisse die Eigenheit, daß Schrnitt in seiner Vordenkerrolle nationalsozialistische Formeln und Verhältnisse grundsätzlich definiert, deren entlarvende Konkretion und Durchsetzung aber meist anderen überläßt. In Darstellungen der nationalsozialistischen Rechtslehre gelten seine Schüler deshalb oft als Ausleger 155 • Ein Rückschluß auf Schmitts verschwiegene Meinungen ist aber unmöglich und eit. Wieland 1987, 112, vgl. 120f. Majer 143. 152 DR 1936i, 184. 153 Pöggeler, Den Führer führen? Heidegger und kein Ende. In: PhR 32 (1985), 26/67, vgl. Schwans ,Nachtrag 1988'. 154 Diese Tatsachen zählt Leibholz in einem Leserbrief (FAZ vom 24. 7. 1973, 9) gegen alle Entschuldigungsversuche auf. Schmitt deutet das Staats- und Rechtssystem im Umriß (SBV, DARD), kämpft für die Gleichschaltung der Justiz, rechtfertigt die Völkerrechtspolitik (NSVR) und die Morde des 30. Juni 1934, kommentiert die Ras&engesetzgebung als ,Verfassung der Freiheit', bekämpft den Neutralitäts- und Kriegsbegriff des Völkerbundes (WdK) und vertritt eine imperiale Reichsidee (VGO). Gegen diese Affirmationen stützen sich die Verteidiger auf wenig mehr als eine ,esoterische' Lektüre des L, die ECS vorschrieb. ISS vgl. schon Muth 1971, 132ff. Die Kritik des nationalsozialistischen Rechtssystems scheint sich mit ihrer zunehmenden Polemik wieder auf Schmitt zu konzentrieren. Müller stellt ihn als ,den Staatsdenker' und "Vordenker" (51) des Nationalsozialismus heraus (Müller 1987, 50ff.). Rüthers ,Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich' (München 1988) ist geradezu als Schmittbuch zu lesen. Im ersten Teil geht Rüthers von der These aus, daß die juristische Gleichschaltung eine Selbstgleichschaltung war, die von den juristischen Methodenlehren ausging. Rüthers zeigt als ,Rechtslehre im Nationalsozialismus' (Teil I) das ,Instrumentarium' (B) der Umwertung des bestehenden Rechts. Die erste Lehre aus der nationalsozialistischen Rechtsentartung sei: "Es ist möglich, eine ganze Rechtsordnung allein durch Interpretation umzuwerten" (176, 219). Dieses Instrumentarium der Umflilschung (,unbegrenzte Einlegung') zeigt Rüthers an den Entwürfen von Schmitt und Larenz auf und weist DARD eine hohe Bedeutung zu (vgl. 112, 59ff.). Das konkrete Ordnungsdenken sei unbestimmt (vgl. 63ff., 70, vgl. DARD 36f.) und habe eine primär polemische, antipositivistische Tendenz (vgl. Rüthers 73, 75). Im zweiten Teil nimmt Rüthers Schmitt als ,Paradigma' eines nationalsozialistischen Rechtswissenschaftlers, der das institutionelle Risiko des Staatsrechtlers - Verstrickung und Verführung durch die Macht - repräsentiert (vgl. 99 ff., 173). In diesem Teil versucht Rüthers durch genaue Interpretation der berüchtigsten Arbeiten jede Apologetik auszuschließen. 150 151
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Teil!: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
sachlich nur begrenzt wahrscheinlich. Gerade entscheidende Formulierungen sind zweideutig, wie dies aus Heideggers Rektoratsrede bekannt ist 156 . Schmitt verdunkelt seine Überzeugungen nicht nur durch eine bewußt angelegte doppelte Lesbarkeit, sondern auch durch seinen verknappenden und demagogischen Stil. In der nationalsozialistischen Zeit verfaßt er neben dem ,Leviathan' nur Programm- und Kampfschriften. Während Huber die völkische Staats anschauung systematisch und verfassungsgeschichtlich expliziert, beschränkt sich Schmitt auf die Grundlinien und -begriffe und bleibt negativ an Weimar fixiert. b) Das Programm einer substanziellen Rechtswissenschaft im Kampf gegen die ,geistige Unterwerfung'
Die Programmschrift ,Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens' analysiert 1934 die juristischen Denktypen und ordnet sie rechtsgeschichtlieh ein. Schmitt hebt den Normativismus und Dezisionismus in ein germanisches Ordnungsdenken auf. Darin liegt ein Überlegenheitsanspruch seiner Rechtswissenschaft, der auch in späteren Arbeiten deutlich wird. Um diesen Anspruch zu wahren, behauptet ,Drei Arten' eine historische Kontinuität. Exponiert heißt es: "In Deutschland hat das konkrete Ordnungs- und Gemeinschaftsdenken niemals aufgehört"157. Kurz und strategisch verfälschend skizziert Schmitt die Entwicklung vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, um dann seitenlang 158 Hegels ,totales und bewußtes Ordnungsdenken' zu erläutern, das nichts anderes als die Theorie des objektiven Geistes meint. Hegel markiert als ,System und Summe des deutschen Widerstandes gegen 1789' einen Höhe- und Wendepunkt der Selbstbehauptung des deutschen Geistes gegen den Einbruch des bürgerlichen Liberalismus und Normativismus. Im preußischen Beamtentum und im Heer überlebte nach Schmitts Auffassung 159 der deutsche Ordnungssinn, um im Nationalsozialismus wiederaufzustehen. Dieser deutsche Geist trägt geschichtliche Narben und muß wieder zu seinem Wesen befreit werden. Larenz bemüht sich gar nicht erst um eine historische Konstruktion, sondern behauptet: "Der Nationalsozialismus hat in Deutschland eine neue, die spezifisch deutsche Rechtsidee zur Geltung gebracht. Nicht zum mindesten darin liegt seine weltgeschichtliche Bedeutung. Wir glauben, daß die deutsche Rechtsidee für die nächste geschichtliche Epoche dazu bestimmt ist, die der Französischen Revolution abzulösen" 160 • Neben der Deutung der Ereignisse und dem Kampf um die Durchsetzung nationalsozialistischer Rechtsvorstellungen beschäftigt Schmitt der rechtsge156 vgl. Sternberger, Die großen Worte des Rektors Heidegger. Eine philologische Untersuchung. In: Schriften VII, Gang zwischen Meistern, Frankfurt 1987, 221/231. 157 DARD 42. 158 vgl. DARD 44/47. 159 vgl. DARD 50, insgesamt SZZR. 160 Larenz 1934a, 38.
3. Die Suche der Eigenart durch ,Ausscheidung' des Fremden
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schichtliche und rechtsvergleichende Kampf gegen die ,geistige Unterwerfung' um die Eigenart und Artgleichheit, wie Homogenität jetzt heißt. Er fordert "Wahrheit gegen die Fiktion"161 und bezeichnet zwei Rezeptionen als Verdrängungsakte des aristotelisch-thomistisch-germanischen Ordnungsdenkens: die Rezeption des römischen Rechts und der liberalistischen Begriffswelt 162 . Die Eigenart sucht Schmitt methodisch durch Abstraktionen dieser Überlagerungen zu fassen. Die Abstraktion des römischen Rechts von der deutschen Rechtsentwicklung ist dabei eine neue Aufgabe, die Schmitt vielleicht aufgrund ihrer Bodenlosigkeit niemals so energisch wie den Kampf gegen den Liberalismus angeht. Dieser Kampf gegen das ,Gegenbild des römischen Rechts'l63 radikalisiert die Polemik gegen den Rechtspositivismus bis zur Preisgabe der Rechtswissenschaft, auf die Schmitt sich erneut ab 1936 besinnt. Es muß deutlich gesagt werden, daß Schmitts ,Kampf gegen den jüdischen Geist' in der Rechtswissenschaft keine einmalige Konzession oder Entgleisung ist. Den feindlichen Geist des Liberalismus, Rechtspositivismus und Normativismus sieht Schmitt in seinem Antipoden Kelsen verkörpert. Es liegt ein wissenschaftspolitischer Triumph in seiner Aussage: "Ein jüdischer Autor hat für uns keine Autorität"l64. Schmitts Kritik der Legalitätsgläubigkeit ist mit seiner religiösen Feindschaft zum Judentum verbunden, dem er einen bodenlosen Rationalismus vorwirft. Schmitt hat vermutlich differenzierter über die sogenannte Judenfrage gedacht, als in seiner Kampfansage zum Ausdruck kommt. Der Gegensatz zwischen Judentum und Christentum konzentriert sich für ihn auf die Frage, ob ein souveräner Herr (Schöpfer) oder das Gesetz das Chaos bannt 16s . Den jüdischen Gesetzesglauben versteht Schmitt als einen Priesterbetrug am Herrn; die Exegeten herrschen heimlich über das Gesetz, und der Mensch zwingt Gott. Schmitt glaubt ernsthaft an das schreckliche Hitlerwort, das er zur Eröffnung als Leitsatz und zum Abschluß der ideologisch programmatischen Kampfestagung zitiert, und das wir seiner Bedeutung wegen hier zitieren müssen: ,,'Indem ich mich des Juden erwehre', sagt unser Führer Adolf Hitler, ,kämpfe ich für das Werk des Herrn"'l66. Schmitt setzt Recht gegen Gesetz, Rechtswahrer gegen Rechthaber und radikalisiert das Anliegen der historischen Rechtsschule: Die "Lehre vom Volksgeist und die Wiederbelebung des historischen Sinnes drangen nicht zu ZAkDR 1934m, 11. vgl. DARD 10, JW 1934b, 717, 1934m, 11, DR 1934d, 226, 1936a, 17, vgl. differenziert G. Dahm, Zur Rezeption des römisch-italienischen Rechts, Darmstadt 1955. 163 vgl. M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974, 30ff. 164 DJZ 1936g, 1195; Majer stellt diese Kampfansage in den universitätspolitischen Zusammenhang (vgl. Mayer 135ff.), Rüthers versteht sie aus Schmitts Lage (vgl. Rüthers 125ff.); dagegen J. Habermas, Der deutsche Idealismus der jüdischen Philosophen. In: Philosophisch-politische Profile, Frankfurt 1973, bes. 64f. 165 vgl. DARD 13ff. (Lex oder Rex), DJZ 1936g, 1193. 166 DJZ 1936g, 1199, vgl. 1936j, 14. 161
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Teil I: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
Blut und Boden vor / ... / Sie führte diese Romanisten nicht zum deutschen Volk, sondern in die römische Rechtshistorie" 167. Schmitt greift hier das Schlagwort Darres gegen die historische Rechtsschule auf, die schon Hegel heftig bekämpfte, verläßt aber den geschichtlichen Boden des objektiven Idealismus nicht und bemüht sich nicht weiter um eine Begründung des Rechts aus der völkischen Substanz, die so fatal wie lächerlich ist. Schon ,Gesetz und Urteil' folgte der germanistischen Lehre vom Volkswillen nicht, und selbst Schmitts nationalsozialistische Arbeiten zur Gleichschaltung der Rechtswissenschaft fingieren die nationale Homogenität insbesondere durch den Begriff der Artgleichheit: "earl Schmitt hat nie den untauglichen Versuch unternommen, die Wesensmerkmale der trügerischen Gemeinschaft aufzudecken, die die Faschisten als Volksgemeinschaft ausgaben"168. Schmitt betreibt die Gleichschaltung l69 pragmatisch. Den Kampf gegen das römische Recht führt er gegen "volksfremde Rechtssätze"17o, enger aber gegen seinen Denk- und Juristentypus l7l . In der Unsicherheit aller Begriffe fordert er an Freisler anschließend keine "Justizreform, sondern Juristenreform"172. Um die Nachträglichkeit der Gesetzgebung zu überbrücken, entwirft Schmitt zur schnelleren Selbstgleichschaltung hermeneutische Leitsätze, die "Kennzeichen des neuen Stils"173 seien. Den Kampf gegen die ,Logik der geistigen Unterwerfung' führt er um den Titel des 167 DJZ 1936a, 19, vgl. DR 1936i, 181, vgl. Larenz, Volksgeist und Recht. Zur Revision der Rechtsanschauung der Historischen Schule. In: ZtDK 1 (1935). Larenz bezieht sich aufDARD (40, 46) und betrachtet seine Rezension von DARD als "Ergänzung" (40) des Aufsatzes. 168 Meister 1967, 952f. 169 vgl. zum Ton: DJZ 1934f., 691, 698, DJZ 1935f., 1134, ZAkDR 1935d, 437. Schmitt erarbeitet Leitsätze nationalsozialistischer Auslegung (vgl. Majer 101 ff.) und einen Gesetzesbegriff: "Gesetz ist Plan und Wille des Führers" (vgl. DJZ 1934f., 695, ZAkDR 1935d, 439, DR 1936i, 184, vgl. zur Einschätzung WdS 21). Vergleichen wir damit eine juristisch nicht streng zu nehmende Formulierung. Heidegger meint: ,Der Führer selbst und allein ist die heutige und zukünftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz' (vgl. Ott 160f., Schwan 240f.). Schmitt betont dagegen den Plancharakter. Forsthoff definiert Plan als die ,spezifische Aktionsform des Führerstaates auf dem Gebiet der Wirtschaft und Technik' mit der ,Eigenform eines Zusammenklangs von Rationalität und Ethos' (Führung und Planung. In: DR 7 (1937), 45f.). Huber versucht dem tyrannischen Führerwillen Form und Zweck zuzusprechen (Der Führer als Gesetzgeber. In: DR 9 (1939), 275/8). Er unterscheidet förmliche Willensentscheidungen von beiläufigen Willensäußerungen, die lediglich Auslegungsmaßstäbe seien (vgl. 276). Dann interpretiert Huber den Gesetzesbegriff mit DARD als die ,mit dem Mittel der Norm durch den Entscheid des Führers gestaltete konkrete Ordnung' (vgl. 276). Hier zeigt sich der im Effekt fruchtlose Versuch, dem tyrannischen Führerwillen Form und Zweck zu geben (vgl. VRA 430ff.). 170 ZAkDR 1934m, 11. 171 vgl. DR 1934d, 225ff., ZAkDR 1934m, 11. Es ist zu erinnern, daß schon GU die Rechtspraxis des Richters untersuchte. 172 SBV 44, vgl. Majer 113. 173 DJZ 1935e, 922, vgl. DR 1934, vgl. Larenz 1934a, 34ff.
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Rechtsstaates l74, da er im Umdenken der Rechtsbegriffe l7s eine notwendige Aufgabe sieht. ,Drei Arten' ermöglicht nach Rüthers eine ,unbegrenzte Einlegung'l76. Die Rechtswissenschaft gerät in die Hände eines Propagandaapparates, und Schmitt führt diese Ummünzung forciert durch. Er glaubt an den fiktiven Status des Rechtssystems und an die einigende Kraft einer Propaganda, die durch ihre totale Herrschaft über die öffentliche Meinung Homogenität bewirken soll. In seiner üblen Kampfansage an den ,jüdischen Geist' meint er zuletzt: "Uns beschäftigt der Jude nicht seiner selbst wegen. Was wir suchen, ist unsere unverfälschte eigene Art, die unversehrte Reinheit unseres deutschen Volkes"l77. Dies übersteigert die frühere Rede von Existenz, Eigenart, Artgleichheit und nähert sich völkisch-verstiegenen Vorstellungen, die der Nationalsozialismus mit souveränem Zynismus verwertete. Schrnitt sucht aber keinen germanischen Archetypus. Volk ist ihm, wie Maus schreibt, "kein Substanzbegriff'l78. Er sagt zwar, daß die "Bestimmung dessen, was deutsch ist / ... / Sache des deutschen Volkes"l79 sei, in Wirklichkeit bestimmt aber der Führer: "lch, der Staat, bin das Volk" (Nietzsche)180 /181. Das Problem der völkischen Substanz der Nation behandelt Schmitt nicht mit letztem Ernst. Wie die Völkischen wußten, bleibt er ein nationaler Denker, der vom politischen Status ausgeht und die völkische Substanz nur fingiert. Schmitt durchstößt die Einheit der deutschen Nation nicht zu einem bodenlosen Rassismus und bleibt ein gegenwartsbezogener Denker, obwohl er romantischen Homogenitätsvorstellungen zuneigt. Er bleibt seinem Fiktionalismus treu und übersteigert ihn zur Fiktion seiner Überwindung im politischen Mythos völkischer Eigenart. Weil Schrnitt den Normativismus durch sich selbst betrügt, ist seine Kritik ebenso polemisch wie uneindeutig. Gleichzeitig mit dem Kampf gegen den jüdischen Geist in der Rechtswissenschaft' beginnt Schmitt sich auf die Legisten und ,Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft' zu besinnen. Er bezeichnet dies 1936 als eine Aufgabe "philosophischer Art" und sucht die "weltanschauliche Vertiefung" einer "Wesenserkenntnis", die aufgrund der geistigen Natur des Menschen geschicht174 vgl. ZgStW 1935b, 199 ("geistige Eroberung des Wortes und Begriffes Rechtsstaat"), 1935c, 1935g, SZZR 21 f., 41 f. Schon in RKpF (41) heißt es: "Jede Ordnung ist eine Rechtsordnung und jeder Staat ein Rechtsstaat". Sachlich sieht Maus hier die Spitze einer Tendenz der Preisgabe formaler Bestimmungen, eine "Funktionsanpassung" (1986, 87, vgl. 4Off., 80f.), und wendet den Formalismusvorwurf gegen Schmitt. 175 vgl. DR 1934d, 229, JW 1934b, 713, VGO 29, PB 304f. 176 vgl. Rüthers 54 ff. 177 DJZ 1936d, 1199, vgl. SBV 46 . 178 Maus 1986, 114. 179 ZAkDR 1936c, 206. 180/181 Nietzsche, Zarathustra: ,Vom neuen Götzen', SW IV 61.
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Teil I: IV. Das Legitimitätsproblem der Demokratietheorie
lich sei. So versteht er "den Satz des Roger Bacon, daß einige Kapitel des Aristoteles mehr Rechtswissenschaft enthalten als das ganze Corpus juris civilis, und so können wir vielleicht noch hinzufügen, daß für das Verhältnis einiger Kapitel von Hegels Rechtsphilosophie zu den bürgerlichen Kodifikationen des 19.Jahrhunderts und der ihnen zugehörigen Rechtswissenschaft Entsprechendes zu sagen wäre"182. ,Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft' bezeichnet die Rechtswissenschaft dann als einen Hüter der "Grundlage eines rationalen Mensch-Seins" 183. Rüthers bezweifelt neuerdings, daß Schmitt dies schon während des Krieges so sagte l84 ; jedenfalls legitimiert auch Schmitts rechtsgeschichtliche Besinnung zunächst einen politischen Führungsanspruch. Ein rechtswissenschaftsgeschichtlicher Aufsatz über ,Das ,Allgemeine deutsche Staatsrecht' als Beispiel rechtswisenschaftlicher Systembildung' überträgt 1940 den in ,Völkerrechtliche Großraumordnung' erhobenen Führungsanspruch auf die deutsche Rechtswissenschaft. Schmitt gibt den Willen zur Bildung der Eigenart durch Abgrenzung vom Andersartigen auf und beurteilt die Rezeption insbesondere des konstitutionellen Verfassungsrechts positiv, weil er der deutschen Rechtswissenschaft nun die Aufgabe zuweist, das Recht der eroberten Staaten im Großraum des deutschen Reiches in ein ,deutsches Gemeinrecht' zu integrieren. An der Entstehung des Allgemeinen Deutschen Staatsrechts weist Schmitt unter Berufung auf Hegel eine "totalitäre Tendenz / des deutschen Geistes / zum ,Systematisieren'" 185 nach, die die Rezeptionen in eine höhere Einheit aufhebt. Das "kennzeichnende Merkmal der bisherigen deutschen Rechtswissenschaft" sei bisher eine "eigentümliche Verbindung von Rezeption und Systembildung"186 gewesen, die sich erneut bewähren muß. Schmitts wissenschaftsgeschichtliche Vergewisserung bezeichnet im Begriff eines ,deutschen Gemeinrechts' zugleich die systematische Aufgabe der Rechtswissenschaft, dem Reich die geistige Führung und ein homogenes und deutsches Recht im mitteleuropäischen Großraum zu behaupten 187 . Wie noch näher gezeigt wird, distanziert Schmitt sich nicht 1936, sondern erst 1942 angesichts der militärischen Niederlage vom Nationalsozialismus. ,Land und Meer' markiert diese Wendung durch eine Burckhardtsche Abstandnahme vom Reich zugunsten einer weltgeschichtlichen Betrachtung. In ,Die Lage der europäischen Rechtswissenschaften' repräsentiert Savigny 1943/44 diese Kehre. An die Stelle der systematischen Durchdringung gegenwärtiger Rezeptionen tritt die geschichtliche Besinnung auf eine gemeinsame Tradition. Schmitt 182 183 184
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DJZ 1936a, 21. VRA 422. vgl. Rüthers 2. 1989, 146f. ZgStW 1940g, 8, vgl. 1942a, 9f. ZgStW 1940g, 7. vgl. ZgStW 1940 g, 23 f.
V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
105
spricht nicht mehr von der Schaffung eines deutschen Gemeinrechtes, sondern vom Common Law 188 einer durch die Rezeption des römischen Rechts und seiner Rechtswissenschaft gewachsenen europäischen Rechtswissenschaft 189. Die Überlegenheit des deutschen Geistes sieht er nicht mehr in seiner durch Hegel repräsentierten systematischen Kraft, sondern in der durch Savigny repräsentierten Abstandnahme l90 vom gegenwärtigen, tyrannisch beschleunigten Gesetz zugunsten der geschichtlichen Rückschau. Schmitt gibt den Überlegenheitsanspruch des deutschen Geistes nicht einfach auf, sondern verlagert ihn auf die individuelle, geschichtliche Besinnung: von der Systemphilosophie auf den Historismus. Die deutsche Rechtswissenschaft bleibt den englischen Praktikern und französischen Legisten überlegen 191, weil sie das Problem der Legalität erkannt und eine historistische "Antwort" gegeben habe, die die "Einheit und Folgerichtigkeit des Rechts"192 wahrt. Schmitt versteht ,Savigny als Paradigma der ersten Abstandnahme von der gesetzes staatlichen Legalität' und bezeichnet Bachofen als den ,wahren Erben Savignys'193, dessen Erbe ,Der Nomos der Erde' dann im Vorwort übernimmt. Die ,geistige Unterwerfung' unter den herrschenden Zeitgeist, der sich weder abspalten noch überwinden ließ, bekämpft Schmitt zuletzt durch einen konservativen Rückzug ins "Asyl" der Rechtsgeschichte.
v. Hegel im Frühwerk und die Leitbegriffe von Schmitts politischer Theorie bei Hegel
Schmitt ist kein Hegelianer, seine Hegelnahme ist keine Hegelforschung und sein Hegelbild bleibt konventionell. Er ist aber gewiß ein solider Kenner insbesondere der Rechts- und Geschichtsphilosophie. Es zeigen sich Spuren des Hegelfans, der den ideengeschichtlichen Tiefsinn und die ungeheure Sprachgewalt goutiert. Neben systematischen und strategischen Berufungen finden sich deshalb marginale und verstiegene Erwähnungen. Hegellektüre zeigt sich im ganzen Werk und begleitete Schmitt vermutlich lebenslang. Er teilt mit Hegel die Neigung zur Anstrengung des Begriffs, entwickelt seine Weltanschauung aber aus katholischen Quellen, ohne sich aus der damaligen Glaubenskrise in den philosophischen Idealismus retten zu können. Philosophen sind für Schmitt vgl. VRA 380, 396. vgl. VRA 388 ff., 391 ff. 190 zum Verhältnis Savigny / Hegel vgl. VRA 428 f. 191 vgl. 1941a, 1942a, VRA 413f., 414 ("Den englischen Praktikern einer reich gewordenen Society und den französischen Legisten eines zentralisierten Gesetzesstaates tritt mit Savigny das wissenschaftliche Rechtswahrertum eines europäischen Reiches entgegen"). 192 vgl. VRA 408, vgl. 403 ("Die Rechtswissenschaft repräsentiert die Einheit des Rechtswillens"). 193 vgl. VRA 416. 188
189
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Teil!: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
keine Hüter der Wahrheit und kein ,isolierter Priesterstand'l mehr. Seine Stellung zu Hegel durchläuft drei Phasen mit den Wendepunkten 1920 und 1930. 1. Hegel im Frühwerk
An der Dissertation ,Über Schuld und Schuldarten' wurde das Fehlen einer näheren Auseinandersetzung mit Hegels Strafrechtstheorie 2 bemängelt. Schmitt hat diese Auseinandersetzung sogleich nachgeholt, denn ,Gesetz und Urteil' erwähnt Hegel mehrfach 3 und zitiert noch in Schülermanier ganze Paragraphen. Zwei Übernahmen sind bedeutungsvoll. Schmitt erwähnt "Hegels geniale Wendung"4 gegen abstraktes Verstandesdenken, die als eine Quelle seiner Kritik des Betruges gelten kann, und findet den rechtstheoretischen Dezisionismus s von ,Gesetz und Urteil' bei Hegel vorbereitet; die "abstrakte Bedeutung des Entschiedenseins" wurde "in ihrem Zusammenhang mit der richterlichen Entscheidung / ... / nur von Hegel einer besonderen Beachtung gewürdigt"6. Dieses "Postulat der Rechtsbestimmtheit"7, das Schrnitt später auch bei Hobbes findet 8 , ist der "Ausgangspunkt"9 für die in ,Gesetz und Urteil' aufgestellte Formel: "Eine richterliche Entscheidung ist heute dann richtig, wenn, anzunehmen ist, daß ein anderer Richter ebenso entschieden hätte"lo. Das Postulat geht der Formel für die richtige richterliche Entscheidung voraus, deren Formulierung analog Kants Kategorischem Imperativ die "formale Maxime"ll der Verallgemeinerbarkeit einer Entscheidung für den empirischen Typus des Richters aufstellt. ,Wert des Staates' ergänzt unter Berufung auf Hegel, daß die Dezision in der Natur des Willens liege 12 • Damit ist die Nähe von Hegels Willensbegriff zum Standpunkt von ,Gesetz und Urteil' erkannt. vgl. Hegel XVII 344. VRA 428, vgl. die pauschale Erwähnung SchSch 5. 3 vgl. GU 15, 19,49, 64, 80, 92. 4 GU 15. S vgl. Hofmann 23. 6 GU 49, vgl. 104, vgl. Hegel II 484f., Rph § 214 Anm, vgl. Hösle 1988,485 ("Hieraber nur hier - hat nach Hegel das seinen Platz, was wir heute Dezisionismus nennen") . 7 GU 59f., vgl. 62f., 71,111, 1913c, 165. 8 vgl. D 22. 9 GU 55, vgl. 1913c, 165. 10 GU 71, vgl. 100, 1913c. 11 Hofmann 34, vgl. ff. Hofmann unterscheidet Postulat und Formel nicht sorgfältig genug, wenn er das Ergebnis nur in der Formel als "utilitaristische Modifikation des Kantischen Kategorischen Imperativs" (36) sieht. Das Postulat der Rechtsbestimmtheit ist ein eigenständiges Ergebnis und nicht "vordergründig an Hegel und Bentham" (36) orientiert. Hegels Postulat der Rechtsbestimmtheit setzt Schmitt gerade von Benthams liberalem Postulat der Rechtssicherheit ab (vgl. GU 63 ff., DARD 33 f.). 12 vgl. WdS 86, vgl. Hegel Rph Einleitung, vgl. Larenz 1931 . 1
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I. Hegel im Frühwerk
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Bevor Schmitt den Sittlichkeitsstaat rechtsphilosophisch begründet, kritisiert er 1913 sehr konzise mit ,Schopenhauers Rechtsphilosophie' eine vertragstheoretische und liberalistische Konstruktion, einen erklärten Erzfeind Hegels und einen Lieblingsautor des Bürgertums im späten 19. Jahrhundert 13. ,Wert des Staates' erwähnt Hegel selten 14, am Schluß findet sich aber eine bedeutsame Bezugnahme, wonach Angelus Silesius und Hegel den unmittelbaren und mittelbaren Bezug zum Absoluten repräsentieren. Versteht man die Ausführungen zum Willens begriff als einen Nachtrag zu ,Gesetz und Urteil', so steht Hegel lediglich am Schluß der Abhandlung als Repräsentant einer Staatsphilosophie, die die Erziehungsfunktion des Staates begreift. ,Wert des Staates' begründet jene Autorität des Staates dem Einzelnen gegenüber, die ,Über Schuld und Schuldarten' im Strafrecht entdeckte: "Staat und Verbrecher stehen einander nicht wie zwei bewußte Stirnerianer gegenüber, sondern der Staat ist hier konsequenter Hegelianer" 15 . Sehr hegelianisch wirkt denn auch das Ziel der Abhandlung, "den Staat in seiner Vernünftigkeit lzul erkennen"16. Indem, Wert des Staates' die rechtsphilosophische Legitimation der Staatsmacht mit einer Berufung auf Hegel beschließt, begreift Schmitt bereits 1914 Hegels System als ein klassisches Zeugnis der deutschen Staatsanschauung. Man kann deshalb von einer Kontinuität seiner Staatsanschauung bis in die nationalsozialistische Zeit hinein sprechen. Es wurde bereits ausgeführt, daß ,Nordlicht' Schmitts Grundstellung an Däubler und Hegeli? anschließend entwickelt. Insgesamt beziehen ,Gesetz und Urteil', ,Wert des Staates' und ,Nordlicht' ihre Leitbegriffe Entscheidung, Staat und Geist auf Hegel, der als eine systematische Autorität fungiert. Dieser meistgenannte Autor des Frühwerks 18 hat eine singuläre Stellung. Die Zeitgenossen Vaihinger, Rathenau und Däubler haben eine hohe, aber begrenzte Bedeutung, andere Autoritäten spielen keine Rolle; Hobbes wurde bis 1920 wohl nicht einmal genannt. Nach seiner Positionsnahme wird Schmitt die logozentrische Grundstellung des Protestanten Hegel aber gefährlich. Die ,Romantik' sieht ihn bereits als Systemphilosophen der modernen Ontologie 19, der durch seine Christologe den Marxismus ermöglichte 20 . Der Marxismus wirft einen Schatten auf Hegel, der als ein Exekuteur der Romantik 21 aber auch die 13 vgl. 1913a, ZgStW 1940g, 17 ("Das letzte und größte dieser Systeme, Hegels Philosophie des objektiven Geistes, versank unter dem Hohngelächter Schopenhauers und eines ahnungslos mitlachenden Bürgertums"). 14 vgl. WdS 80, 86, 90, 109. 15 SchSch 5, vgl. f. 16 WdS 7. Hegels Rechtsphilosophie wollte "nichts anderes sein, als der Versuch, den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen" (Rph Vorrede). 17 vgl. N 55, 1912e, 32. 18 vgl. Hofmann 54 FN. 19 vgl. PR 94, HZ 1921, 384, GLP 58. 20 vgl. PR 95. 21 vgl. PR 107.
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Teil!: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Kritik des Bourgeois vorbereitet. So wird Schmitts Wertschätzung Hegels um 1920 ambivalent. Die Fülle der Monographien der 20er Jahre beginnt mit der ,Diktatur'. Die erste Auseinandersetzung mit Hobbes innerhalb der ,Diktatur' ist rein ideengeschichtlich gehalten, Hegel spielt keine Rolle 22 • Am Schluß prospektiert Schmitt eine besondere Darstellung, wie "der Begriff /der Diktatur/ sich im systematischen Zusammenhang mit der Philosophie des 19. Jahrhunderts und im politischen Zusammenhang mit den Erfahrungen des Weltkriegs entwickelt hat" 23 • Mit dem Akzent einer Parlamentarismuskritik ist ,Geistesgeschichtliche Lage' diese Weiterführung, die das Herrschaftsproblem kontrapunktisch von der Seite seiner Legitimität her angeht. Sie entwickelt "einige entscheidende Momente der Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts"24. Die ,Diktatur' verweist insbesondere auf das dritte Kapitel, das die Diktatur im marxistischen Denken behandelt. Dort heißt es, die rationalistische Diktatur im marxistischen Denken baue ihre "metaphysische Evidenz" auf dem methodischen "Boden" von Hegels Geschichtsphilosophie, und Marx erbe von Hegel die eigentlich überlebte aufklärerische Idee der Vernunftdiktatur 25 • Schmitts Hegelrezeption weitet sich im Zusammenhang mit der Marxismuskritik zur Kritik der Geschichtsphilosophie aus. Den geschichtsphilosophischen "Hegelianismus" stellt er später als einen dritten geschichtsmächtigen Hauptzug des deutschen Geistes neben den Katholizismus und Protestantismus 26 • Die ,Geistesgeschichtliche Lage' ist Schmitts breiteste Auseinandersetzung mit Hegel, die niemals den Umfang und die Form einer selbstständigen Studie annimmt. Sie bezeichnet Hegel zunächst als einen Liberalen; Hegel sei ein Systematiker der liberalen Diskussion 27 und ein Vertreter des rechtsstaatlichen Organisationsprinzips der Gewaltenteilung 28 • Um 1848 verlor Hegels Dialektik aber ihren liberalen Sinn und verkam zur geschichtsphilosophischen Methode einer Selbstlegitimierung der revolutionären Bewegung. Lukacs' ,Geschichte und Klassenbewußtsein' stellte die Dialektik dann als den Kern des Marxismus und seine überlegene Totalitätsperspektive 29 dar und rückte den Marxismus wieder an Hegel heran. Den "Kern der marxistischen Argumentation" behandelt Schmitt gleichzeitig ebenfalls im "Zusammenhang mit Hegels Geschichts22 Hobbes in D vgl. 22ff., 30f., 118. Die einzige Erwähnung Hegels stellt fest, daß dessen Philosophie für einen systematischen Begriff der Diktatur unfruchtbar sei (D 147, vgl. GLP 69). Kervegan verweist dagegen zurecht auf die Nähe von Hegels Tyrannisbegriff zu Schmitts Diktaturtheorie (vgl. 1988,381 ff.). 23 D 205. 24 D X, vgl. D 146f., D Vorwort 3. 1963. 25 vgl. GLP 57f., D 142. 26 vgl. ECS 17. 27 vgl. GLP 58, 52. 28 vgl. GLP 52, 55, 58f., VL 39. 29 vgl. Lukacs II 13 ff.
1. Hegel im Frühwerk
109
dialektik"30. Er spricht mit deutlicher Reserve vom "Geschichtsglaubejnj"31, von "Geschichtslogik", "Geschichtskonstruktion", "Evolution" und "Entwicklungsmetaphysik". Der Geschichtsphilosoph begeht die Todsünde, mit selbst bewußtem "Hochrnut"32 den Heilsplan Gottes einsehen zu wollen. Hegel erscheint in seiner wirkungsgeschichtlichen Stellung als der Mittler einer "Methode zur Geschichtskonstruktion"33 , die eine Verschärfung politischer Feindschaft legitimiert. In der antithetischen Zuspitzung dreigliedriger Einteilungen sieht Schmitt den spezifischen Hegelianismus des Marxismus. Daneben macht er einen methodologischen Einwand; die Dialektik beweise sich zirkulär durch eine "Selbstgarantie"34 und rationalisiere lediglich den politischen Willen. Sie sei "nur ein intellektuelles Instrument geworden für eine in Wahrheit nicht mehr rationalistische Motivierung"35. Dieses geschichtsdialektische Denken pervertiert den Geist ähnlich wie das ökonomische Denken zu einer berechnenden, instrumentellen Vernunft. Während Schmitt die dialektische Methode in ihren politischen und religiösen Funktionen ablehnt, bejaht er die Idee einer Theodizee der Geschichte. Aus dieser Bonner Zeit überliefert Bendersky die Anekdote, daß Schmitt mitten im Straßenverkehr gedankenverloren stehenblieb, um die List der Vernunft zu erläutern 36 . Während er Hegels Versuch einer dialektischen Nachschrift des göttlichen Heilsplans entschieden ablehnt, scheint er in der List der Vernunft ein katholisches Moment entdeckt zu haben: die unbegreifliche, betrügerisch erscheinende Opferung des Einzelnen und der Volksgeister für den Heilsplan 37. Daß man der listenreichen Vernunft logisch auf die Schliche kommen und die Heimkehr zu Gott begreifen könne, hat Schrnitt nie geglaubt. In seinem Staatsund Geschichtsdenken spielt die List Jer Vernunft aber eine wichtige Rolle. Nach 1923 dominiert der politische Kampf im Denkgang. Eine ideengeschichtliche Selbstverständigung verfestigte sich zum politischen Urteil, und die Leitbegriffe der politischen Theorie sind erarbeitet. Ideengeschichtliche Untersuchungen und politische Theorie treten deshalb zugunsten tagespolitischer und verfassungstheoretischer Schriften zurück. Es finden sich deshalb Mitte der zwanziger Jahre nur noch gelegentliche Erwähnungen Hegels. Die wichtigsten GLP 68, vgl. 64ff., PT 56f., 1955d, 154, 164, 1952a, 181, 1952b, 7,11. DC 24. 32 NE 77 (superbia), vgl. 1946/47, 14. 33 GLP 71, vgl. 76, 67. Nach E. Cassirer (Freiheit und Form, Berlin 1916, 183) begleitet dieser Vorwurf die Entwicklung der Geschichtsphilosophie seit Herder. Er verschärft sich, seitdem durch Niebuhr und Ranke ein quellenkritischer Historismus der Geschichtsphilosophie entwachsen ist. Hegel gibt den Vorwurf zurück (vgl. XII 22) und höhnt gegen Niebuhr (vgl. XII 367f.) über die "sogenannte höhere Kritik" (vgl. XII 18). 34 GLP 73, vgl. 75. 35 GLP 76, vgl. Larenz 1934b, 175ff. 36 Bendersky 47. 37 vgl. PR 94f., 116ff., 133. 30 31
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Teil!: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Verweise betreffen seine Staatsanschauung und die Methode hegelianischer Ideengeschichtsschreibung 38 • Im Aufbau zeigen die ,Verfassungslehre' und der ,Hüter der Verfassung' eine Affinität zu Hegels dialektischer Konstitutionslogik 39 • Die ,Verfassungslehre' erwähnt Hegel mehrfach in ideengeschichtlichen Exkursen, so zur Stellung in der Verfassungsgeschichte 40 , Gewaltenteilung41 , dem Begriff des Gesetzes 42 und der öffentlichen Meinung43 • Wichtig sind die Erwähnungen der politischen Schriften. Erst als Schmitt Mitte der zwanziger Jahre nämlich Hegels politischen Positionen zur Kenntnis nimmt, wird er ihm freundlicher. Insbesondere durch die 1926 erstmals erwähnte "geniale"44 Jugendschrift zur Verfassung Deutschlands scheint er Hegel als einen politischen Denker entdeckt zu haben. Eine Wende findet sich Ende der zwanziger Jahre im Zusammenhang mit einer verfassungsgeschichtlichen Klärung der deutschen Staatsanschauung. Zusammengefaßt scheint Hegel für Schmitt zunächst eine systematische Autorität gewesen zu sein. Dann entdeckt er seine ideengeschichtliche Bedeutung und sieht in ihm einen großen Repräsentanten und Vollender des deutschen Geistes am Vorabend der Revolution von 1848. Hegel verliert seine systematische Unschuld und wird Schmitt in seiner MittlersteIlung problematisch. Gerade deshalb nimmt er die Auseinandersetzung auf. Ab 1930 verbindet Schmitt die systematische und repräsentative Bedeutung Hegels zu einer ideenpolitischen Hegelnahme und beruft sich an Schlüssels teIlen auf Hegel als die im Kampf gegen die Revolution entscheidende Autorität. 2. Verdeutlichung des spekulativen Sinns von Schmitts politischen Kernbegriffen durch Heget
Neben der katholischen und juristischen Bildungstradition unterscheidet Schmitt von Hegel die umwälzende Erfahrung des gesellschaftlichen Wandels, den er quasi ontogenetisch wiederholt, indem er aus ländlicher Herkunft ins metropolisehe Berlin zieht. Aufgrund ihrer unterschiedlichen metaphysischen Stellung verhalten sich Hegel und Schmitt zum Politischen unterschiedlich. Obwohl auch Hegel ein politischer Mensch war, trat er die Flucht in den Begriff an. Indem Schmitt dagegen die heilsgeschichtliche Aufgabe der Kirche auf die Politik delegierte, entschied er sich zum Pakt "mit diabolischen Mächten"45. 1925e, 94, vgl. PB 23, 46, 49, 1955d, 153, VRA 429. Schmitt geht vom ,Begriff der Verfassung' aus, analysiert seine Bedeutungen und konkretisiert ihn. Sehr deutlich ist diese dialektische Logik auch in Hubers ,Verfassung' (1937). 40 vgl. VL 6. 41 vgl. VL 39, GLP 52. 42 vgl. VL 141 . 43 vgl. VL 249, GLP 59. 44 BP 62, vgl. KVB 39. 38 39
2. Verdeutlichung von Schrnitts politischen Kembegriffen durch Hegel
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Seine Theodizee erhält die kämpferische Gestalt einer politischen Theologie, während der Protestant Hegel die Rechtfertigung Gottes als die Aufgabe der Philosophie versteht. Beide denken das Politische spekulativ. Schmitts politische Theorie schließt sich in ihrer Entwicklungsphase nicht an Hegel an. Der Repräsentationsbegriff stammt aus der katholischen Tradition, der Legitimitätsbegriff zweigt von Weber ab, und der Souveränitätsbegriff bezieht sich auf Bodin und Hobbes. Aus dem Prinzip des Geistes entwickelt Hegel eine Freiheitsphilosophie, deren aufklärerische Züge Schmitt ablehnt. Da Schmitt aber in der idealistischen und staatsmetaphysischen Tradition steht, finden sich trotzdem Nähen in den politischen Grundbegriffen. Hegels Begriff des Souveräns und der Gliederung des Staates erhellt die idealistischen Motive, seine Historisierung der demokratischen Homogenität stellt Schmitts politisches Pathos geschichtsphilosophisch in Frage. a) Homogenität: die Nation als Polis
Griechenland und Rom, Athen und Sparta sind die großen Mythen der politischen Ideengeschichte. Schmitt bezieht sein Demokratieideal auf einen aufklärungskritischen Rousseau, der die identitäre Demokratie für Genf nach dem Vorbild Spartas entwickelte. Sparta verneint das athenische Paris, die politische Tugend verdammt die aufgeklärte Zivilisation. Hegel findet dagegen in Athen das Herz der schönen griechischen Welt. Athen repräsentiert die Künste, während Sparta die "politische Tugend" bis zur Preisgabe der schönen griechischen Individualität an die abstrakte Herrschaft der "Substanzialität"46 verabsolutiere. Schmitt versteht den homogenen, substanziellen und identitären Volksgeist geradezu als die Wirklichkeit der Demokratie. Hier deutet sich eine unterschiedliche Demokratievorstellung an, die es genauer zu bestimmen gilt. Während in der orientalischen Welt der Despotismus und in der spätrömischen und germanischen Welt die Monarchie herrschte, nennt Hegel "die demokratische Form in Griechenland die welthistorische Bestimmung"47. Die politische Demokratie ist ein Werk der griechischen Sittlichkeit: "Das Hauptmoment der Demokratie ist sittliche Gesinnung"48, der nach Hegel bis zur Sophistik die Selbstverständlichkeit von Sitte und Gewohnheit wesentlich war. Die Sitte wurde nicht moralisch reflektiert und der Einzelne lebte in Eintracht mit der Gemeinschaft als ein schönes Individuum. Für Hegeliebten die antiken Griechen in der harmonischen Welt der "existierenden Heimatlichkeit"49, und Weber PS 554, vgl. 557. XII 315. 47 XII 306. 48 XII 307, vgl. f, Rph § 151. Das Verderben beginnt mit der moralischen Infragestellung der Sittlichkeit bei den Sophisten (vgl. XII 309, 323, 326ff., Rph § 185) und insbesondere mit Sokrates, dem Märtyrer und "Erfinder der Moral" (XII 329, vgl. XVIII 441 ff.). 49 XVIII 175, vgl. 173 ff. 45
46
112
Teill: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
er paraphrasiert Iphigenie entsagungsvoll: "Wenn es erlaubt wäre, eine Sehnsucht zu haben, so nach solchem Lande, solchem Zustande"50; Heimatlichkeit stifte heute nur noch die Philosophie 51 . Die Polisdemokratie ist für Hegel ein vom Weltgeist überlebtes Ideal: "Dies ist die wahrhafte Stellung der demokratischen Verfassung: ihre Berechtigung und absolute Notwendigkeit beruht auf dieser noch immanenten objektiven Sittlichkeit. In den modernen Vorstellungen von der Demokratie liegt diese Berechtigung nicht" 52. Schmitt versteht die Demokratie ebenfalls als eine identitäre Sittlichkeit, kann die Verfassungsstruktur der modernen Demokratie aber nur noch durch eine caesarische Repräsentation bestimmen und oktrojiert dem griechischen Sittlichkeitsideal ein römisches Herrschaftsmodell auf. Diese Verbindung der Schönheit mit der Macht ist nach Hegel unmöglich und durch den Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit überlebt. Wie Schmitt hält Hegel die Ausgrenzung gegen Andere für eine Möglichkeitsbedingung der Demokratie. Die Sklaverei "war notwendige Bedingung einer schönen Demokratie. / ... / Die Gleichheit der Bürger brachte das Ausgeschlossensein der Sklaven mit sich" 53. Dies widerspricht aber dem Wesen des Menschen, weshalb die klassische Demokratie heute weder ein Ideal noch Wirklichkeit sein kann. Eine öffentliche Existenz, eine wirklich politische Existenz freier Harmonie der Individuen in der Sitte, ist dem absoluten Geist nicht mehr gemäß. Schon Hegels Aristoteleskritik macht deutlich 54, daß die identitäre Demokratie geschichtlich überlebt sei. Dem wahren Staat sind seine einzelnen Bürger nicht unwesentlich, weil Volk und Staat nur durch die Staatsgesinnung der Bürger leben. Hegel rechtfertigt nicht die "Einzelheit verschlingende Einheit"55 des Leviathan. Gegen jede völkische Vereinnahmung 56 muß betont werden, daß die völkische Substanz nur im geschichtlichem XVIII 173. vgl. XVIII 175, IV 365 f. 52 XII 308, vgl. Rph § 160f. 53 XII 311. 54 vgl. XIX 225 ff. 55 D 118. 56 Larenz' Deutung der Volksgeistbestimmung von Rph § 156 unterschlägt das Eigenrecht des Familiengeistes (vgl. Die Bedeutung der völkischen Sitte in Hegels Staatsphilosophie. In: ZgStW 1938, 132ff.). Daß Larenz Hegel bewußt vereinseitigt, zeigt ,Recht und Sitte', die Hegels Antigonedeutung behandelt (vgl. ZfDK 5 (1938), 250 ff., vgl. Sittlichkeit und Recht. Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Rechtsdenkens und zur Sittenlehre. In: Recht und Reich, (Hg) Larenz, Stuttgart 1943, 169/413, Kap. Hegel ebd. 292/332). Systematisch entscheidend ist aber das (auch bei Schmitt anzutreffende) spinozistische Mißverständnis, der Einzelne stehe in einem akzidentiellen und unwesentlichen Verhältnis zur völkischen Substanz. Der Volksgeist bedarf als Substanz der Subjektwerdung durch die Volks- und Staatsgesinnung (vgl. Rameil, Sittliches Sein und Subjektivität. Zur Genese des Begriffs der Sittlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie. In: Hegel-Studien 16 (1981), 123/162; vgl. Siep, Was heisst: ,Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit' in Hegels Rechtsphilosophie? In: Hegel-Studien 17 (1982), 75/96). 50 51
2. Verdeutlichung von Schmitts politischen Kembegriffen durch Hegel
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Vollzug der Subjekte wirklich ist. Mit der Entwicklung des moralischen Bewußtseins und seiner gesinnungsethischen Rationalisierungen verliert die Polis in Hege1s System des absoluten Geistes deshalb an existentieller Bedeutung. Der Geist kehrt in sich und findet religiöse Gehalte in sich selbst. Es ist eine Schuld des Neuhumanismus bis in die Verstrickungen der Professoren und bis in die Gymnasien hinein, daß er nicht gleich Hegel oder noch Hannah Arendt die zeitgemäße Grenze des antiken Ideals feststellte. Im Erweckungspathos hat dieser neuhumanistische Mythos ein relatives Recht. Es wurde aber fatal, daß dies Gegenbild eines politischen Menschentums die Errungenschaften der Aufklärung verdrängte. In der Überlebtheit des Polisideals liegt ein Grund der Krise und Melancholie politischer Wissenschaft, deren klassische Ansprüche unerhört bleiben. b) Die Idee des Sittlichkeitsstaates und die Souveränität
Der Terminus Repräsentation wird Hegel durch den Parlamentarismus aufgedrängt. Er findet sich besonders in der frühen Verfassungsschrift, die das "System der Repräsentation"57 im Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Lehenssystem erörtert. Die Idee der Repräsentation "ist aus Deutschland gekommen, aber es ist ein höheres Gesetz, daß dasjenige Volk, von dem aus der Welt ein neuer universeller Anstoß gegeben wird, selbst am Ende von allen übrigen zugrunde geht und sein Grundsatz, aber es selbst nicht bestehe. Deutschland hat sein Prinzip, das es der Welt gegeben, für sich nicht ausgebildet"58. Während Hegel den Parlamentarismus eine echte Repräsentation heißt, unterscheidet Schmitt die kirchliche Repräsentation von modernen Spätformen. Sachlich steht Hegels Theorie vom objektiven Geist aber Schmitts Repräsentationsbegriffnahe, wenn sie den Staat als ,Wirklichkeit der sittlichen Idee' definiert und den Monarchen als die souveräne Spitze begreift, durch die der Staat seine Persönlichkeit gewinne. Hegel nimmt sich die aufgeklärte und konstitutionelle Monarchie zum Vorbild und beschreibt den Sittlichkeitsstaat begriffssoziologisch als einen Beamtenstaat. Das Beamtenturn und die Stände sind die Mittler von Staat und Gesellschaft. Marx übersetzt: "Die Korporationen sind der Materialismus der Bürokratie, und die Bürokratie ist der Spiritualismus der Korporationen"59. Hegels ständischer Sittlichkeitsstaat ruht auf der Ignorierung des Pöbels, der sozial deklassierten Schichten mit politisch negativer Gesinnung 60 • Die weitere soziale 57 I 533, vgl. 533 ff., 523. 58 I 537; Schmitt zitiert dies (PB 113). In der Rechtsphilosophie behandelt Hegel die
Repräsentationsidee nur in Auseinandersetzung mit dem liberalen Parlamentarismus (vgl. Rph § 311,309 Zusatz, XI 105ff.). Die Schrift über die Reformbill von 1830 zeigt, daß Hegel am ständischen Denken festhält, trotzdem er den Siegeszugs des Parlamentarismus (vgl. XI 117f.) und der demokratischen Legitimität (vgl. XI 112, 127f.) sieht. 59 Marx 58, vgl. ff. 8 Mehring
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Teil I: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Entwicklung und Lösung sah Hegel wohl nicht, wie Huber meinte 61 , im daseinsfürsorgenden Staatsinterventionismus, sondern im modernen Kolonialismus, wie Schmitt zustimmend bemerkte 62 . Die soziale Frage bedrohte die Einheit des Staates und seine Repräsentationskraft. Während die marxistische Linie die revolutionäre Konsequenz des Klassenkampfes zog, suchte Lorenz von Stein Hegels Staatsidee durch eine reformistische Lösung zu bewahren. Schmitt knüpft an von Stein an, hat aber ein Scheitern der Reformversuche vor Augen, deren politischer Reflex ja der bis zur Unregierbarkeit zerstrittene Weimarer Parlamentarismus war. Er neigt deshalb zur Aufnahme eines gegenrevolutionären Klassenkampfes. Hegel definiert den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee. In den Katastrophen der neueren deutschen Geschichte haben wir das spekulative Bewußtsein dieser Staatsidee verloren, die keineswegs purer Unsinn ist, sondern im Gegenteil den oft phrasenhaften Bekenntnissen zur Verfassung Sinn geben kann. Welches Unverständnis liegt im diffusen Vertrauen auf die Verfassung bei einem gleichzeitig verbreiteten Mißtrauen gegen den Staat! Forsthoffs ,Der Staat der Industriegesellschaft' beginnt mit einer ,Erinnerung an den Staat'63. Man schimpft und spottet oft über Staatsvergötzung, muß sich aber die Frage gefallen lassen, von wem man am ehesten Gerechtigkeit erwartet. Es überschreitet unseren Rahmen, die heutige ,Bewahrung und Wandlung' (Huber) dieser Staatsanschauung auch nur anzudeuten. Doch vergegenwärtigen wir uns näher ihren Sinn. Hegel nennt den Staat auch die ,Wirklichkeit der konkreten Freiheit'M. Im Staat verwirklicht sich die Freiheit und gewinnt ihre Rechtsgestalt. In der Sprache Schmitts heißt dies, daß die absolute Verfassung in den positiven Verfassungsgesetzen zum Ausdruck kommt. Der Staat setzt Freiheit durch die Gesetzgebung wirklich, vollzieht und schützt sie. Dieser einfache Zusammenhang von Geist und Freiheit, Recht und Staat geriet durch den katastrophalen Machtmißbrauch des Nationalsozialismus derart in Vergessenheit, daß die Staatsidee des deutschen Idealismus nicht mehr verstanden wird. Es ist deshalb nötig, auf die Impulse ihrer Entwicklung zurückzufragen. Sie entsteht in einer Kritik am Freiheitsbegriff des Liberalismus.
t50 vgl. Rph § 244 Zusatz, 301 Anm. Für Weber (vgl. WuG 533 f., 177ff.) und Schmitt (vgl. RKpF 34, VL 234) ist der Klassenbegriff rein ökonomisch bestimmt, während die ständische Lage die "Zumutung einer spezifisch gearteten Lebensführung" (WuG 535, vgl. 179, RS I 274) stellt. 61 vgl. Huber 1935c, 36, ZgStW 99 (1938), 417ff., 1975,319/343. 62 vgl. VRA 495. 63 Forsthoffläßt keinen Zweifel, daß die Bundesrepublik "kein Staat im hergebrachten Sinn des Begriffs mehr ist" (1971,158, vgl. 47,165, vgl. Rumpf, Land ohne Souveränität, 1969), da sie Repräsentation und Souveränität verloren habe. So versteht Forsthoff die Bundesrepublik als einen ,Rechtsstaat mit staatsideologischer Unterbilanz' (vgl. Rechtsstaat im Wandel, 2. 1976, 14ff.). 64 Hegel Rph § 260, vgl. Huber 1975, 33.
2. Verdeutlichung von Schmitts politischen Kembegriffen durch Hegel
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Gehen wir von einer an sich wieder fragwürdigen Definition Hubers aus, die den polemischen Ursprung enthüllt. "Während das Prinzip des Staates die Idee ist, ist das Prinzip der Gesellschaft das Interesse"65. Diese Definition nennt eine Tendenz damaliger Vorurteile über den englischen und deutschen Geist. Während die liberalistische Tradition das Interesse politisch garantiert, intendiert die deutsche Tradition eine Bildung der Interessen zur Idee. Hegel bezeichnet die Bildung sogar als ein "Interesse der Idee"66, da er überall eine List der Vernunft entdeckt. Dem Pragma des Liberalismus stellt sich, vereinfacht und verallgemeinernd gesprochen, das deutsche Erziehungspathos gegenüber. Aus der Erfahrung der Geschichte ist hier eine Korrektur angebracht. Der Parlamentarismus hat nach Schmitt mit dem Vertrauen in die politische Überzeugungskraft, der regulativen Idee eines politischen Konsenses, sein ideelles Prinzip verloren. Man kann darin gerade seine Stärke sehen. Der vielzitierte Verfassungskonsens ermöglicht die politische Kompromißbereitschaft. Die regulative Idee des Politischen ist nicht die Orientierung am Konsens, wie dies bei Schmitt und noch bei Habermas anklingt, sondern das politische Pragma des Kompromisses und das Ethos der Toleranz. Im bürgerlichen Sinn dient die Mehrheitsregel nach Sternberger "nicht als Ersatz der Einmütigkeit, sondern wird zu einem Gesetz eigener Würde" 67 . Individualismus und Kollektivismus schließen sich nicht aus, sondern gehören zur individuellallgemeinen Humanität. Das Grundgesetz verbindet deshalb das liberale Rechtsstaatprinzip mit dem Sozialstaatprinzip zur einen Idee eines sozialen Rechtsstaates, der die Idee der Menschenwürde auslegt 68 • Überprüfen wir relativ anspruchslos das Interessensprinzip der liberalistischen ,Gesellschaftsideologie' (Schmitt). Den klassischen Liberalismus englischer Herkunft kennzeichnet ein oft negativ genannter Freiheitsbegriff. Als das natürliche Recht des Individuums gilt die Sicherung des Eigentums als seines Eigensten, das nach Locke Leben, Freiheit und Besitz 69 umfaßt. Der Gesellschaftsvertrag garantiert den sicheren Genusses dieses Eigentums 7o . Die Freiheit von Herrschaftszumutungen bleibt das Ideal, liberale Kerngedanken sind deshalb ,Abschaffen, Entgrenzen, Freisetzen'71. Die Freiheit vom Staat dient der Kultur, insbesondere aber dem möglichst unbeschränkten Wirtschaften. Während Hobbes aus der Überlebensnot der Bürgerkriegslage denkt, dient Huber 1965,129, vgl. PT II 23f., Larenz 1934b, 104. Rph § 187. 67 Stemberger, Grund und Abgrund der Macht, Frankfurt 1962,102; Schmitt erkennt die "Offenhaltung der gleichen Chance" (V RA 285, vgl. HdV 144f., 1932d) als das materiale Gerechtigkeitsprinzip des Parlamentarismus. 68 vgl. Huber 1965, 249ff., bes. 267ff. 69 vgl. Locke, (Hg) Mayer-Tasch, Stuttgart 1974, Über die Regierung VII § 87. 70 vgl. Locke, Über die Regierung VIII § 95, IX § 124. 71 vgl. Hennis 1987, 199. 65
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Teill: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Lockes Naturrechtskonzeption 72 der Rechtfertigung des werdenden Kapitalismus, dem der traditionale Antikapitalismus gerade noch ein schlechtes Gewissen machen konnte. "Das Glück will ,legitim' sein"73. Die Unterwerfung unter den Mehrheitsentscheid faßt Locke nur pragmatisch auf, und seine Rechtfertigung des Besitzes ist flach 74. Erst Rousseau ethisiert das Mehrheitsprinzip. Indem er der Mehrheit Recht gibt, erhebt er den volonte de tous zum volonte generale und übersetzt den gemeinsamen in einen allgemeinen Willen. Kant definiert den Staat wie Cicero als die "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetze" und folgt Rousseau, wenn er die Gesetzgebung als ,übereinstimmenden und vereinigten Willen'7S faßt. Insbesondere Hegel betont diesen Übergang des ,atomistischen' Liberalismus in eine Philosophie der Sittlichkeit76 • Die staatsethische Kritik des Vertragsdenkens gehört in der Folge zum Gemeingut der deutschen Staatsanschauung. So heißt es noch im ,Leviathan': "Die souverän-repräsentative Person ist unverhältnismäßig mehr, als die summierte Kraft aller beteiligten Einzelwillen bewirken könnte" 77 • Hegel entdeckt selbst bei Hobbes, dessen Denken die Dialektik von Herr und Knecht beeinflußte 78, im Prinzip "nichts Spekulatives, eigentlich Philosophisches"79 , sondern nur einen ,metaphysizierenden Empirismus'8o. Die Freiheitsidee des klassischen Liberalismus fand in Deutschland selten einen fruchtbaren Boden. Vom englischen Empirismus aus dem dogmatischen Schlummer gerissen 81 vollendet Kant die Aufklärung im Prinzip des transzendentalen Ich als Ursprung der Freiheit. Selbst Humboldt betrachtet die ,Grenzen der Wirksamkeit des Staates' im Zusammenhang mit einem humanistischen Bildungsideal, das in den Staatsdienst mündet 82 . Der deutsche Liberalismus wurde nationallivgl. Strauß 256 f. Weber RS I 242. 74 vgl. dagegen Hegels Definition des Eigentums als ,Dasein der Persönlichkeit'; vgl. dazu Ritter, Person und Eigentum in Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts' § 34 bis 81. In: Metaphysik und Politik, Frankfurt 1969. 7S Kant MdS § 46, AA VI 313. 76 vgl. XX 307, Rph § 258, Larenz 1934b, 101 ff. (Fichte als Rückschritt 114ff.), Huber. In: DJZ 39 (1934), 955. Noch Hösle spricht von einem ,symmetrischen Egoismus' des Vertragsdenkens bei Kant und Fichte (1988, 468). 77 L 52, vgl. D 120ff., VL 246, VGO 44, GLP 19f., 55, DJZ 1935f., 1135, L 51 f., VRA 77 ("Die Verfassung ist aber kein Vertrag"). 78 vgl. Siep, Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften. In: Regel-Studien 9 (1974),155/207. 79 Regel XX 226. 80 vgl. XX 223. 81 Kant, Prolegomena, AA IV 260. 82 vgl. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, Reinbek 1963, 90f., 106, vgl. Kittler, Das Subjekt als Beamter. In: Die Frage nach dem Subjekt, (Rg) Frank/Rauchet, Frankfurt 1988. 72 73
2. Verdeutlichung von Schrnitts politischen Kembegriffen durch Hegel
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beral. Dem Individualismus wurde eine Persönlichkeitstheorie gegenübergestellt, wonach der Einzelne seine Freiheit im System des objektiven Geistes entwickeln sollte. Gehlen führt aus, daß dessen wichtigste Institution die Sprache sei. Diese herrschende Meinung, daß der Volksgeist in der Sprache wurzelt, geschichtlich dadurch bedingt, daß die deutsche Nation weder im Staat, noch im Reich ihre Einheit fand, verband sich mit dem neuhumanistischen Glauben an eine besondere Verwandtschaft zum griechischen Geist, aus dem Heidegger noch eine dem Nationalsozialismus gegenläufige Begründung einer deutschen Sendung entwickelt. Gadamer rettet die Tradition, indem er Verstehen als den Prozeß einer traditionsbildenden Horizontverschmelzung auslegt S3 . Sternberger rehabilitiert dagegen den bürgerlichen Vertragsgedanken 84 • Im ersten Weltkrieg stand der deutschen Publizistik aber bereits ein Arsenal von Klischees über den englischen Geist zur Verfügung. Man lese nur Sombarts ,Händler und Helden'! Deutschland demokratisierte sich im 19. Jahrhundert durch Reformen von oben. Die idealistische Kritik negiert den Liberalismus deshalb nicht einfach, sondern verklärt ihn, indem sie den vertragstheoretischen Ansatz bei der individuellen Willkür vom idealistischen Willensbegriff aus wiederholt und den naturrechtlichen Individualismus in einen Deutschen Sozialismus aufhebt, der eine Konsequenz des antiliberalen Humanismus ist. Hegel entwickelt die Rechtsphilosophie aus dem Begriff des Willens. Schroff lehnt er die Übertragung der Vertragsidee aus der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, wo sie ihr Recht in den Grenzen der Sittlichkeit hat, auf den Staat ab. Die Aufhebung der Vertragstheorie in die Staatsmetaphysik deutet schon der Untertitel an: ,Naturrecht und Staatswissenschaft'. Der deutsche Idealismus macht den von Hobbes vollzogenen fundamentalen "Wechsel von einer Orientierung an den natürlichen Pflichten zu einer Orientierung an den natürlichen Rechten"SS aufgrund seiner Wesensbestimmung des Menschen wieder rückgängig. Den ,Hedonismus' (Strauß) der Vertragstheorie lehnen die lutheranischen Stammväter der deutschen Staatsidee ab. Schmitts Zugehörigkeit in diese Tradition zeigen ,Schopenhauers Rechtsphilosophie', ,Wert des Staates' und ,Staatsethik und pluralistischer Staat' besonders deutlich. vgl. Gadamer 265ff., 289. 'Lebende Verfassung' wendet sich gegen die "künstliche Unterscheidung zwischen dem natürlichen Menschen und dem gezähmten Bürger" (1956, 18), die nur den verstaatlichten Bürger als gesitteten Menschen anerkennt. So gewinnt Sternberger einen humanen Standpunkt (vgl. 13, 20), der das Politische nicht als Grund, sondern als einen Zweck der Kultur ansieht. Weil er den Menschen nicht an das Politische fesselt, kann er ,Gerechtigkeit für das neunzehnte Jahrhundert' (1975) fordern, den Bürger rehabilitieren (lch wünschte ein Bürger zu sein, 1967) und politische Kultur repräsentieren. Als ein AntiSchmitt denkt Sternberger die Begriffe des Politischen und der Verfassung als die Idee des Friedens (Die Politik und der Friede, 1986) und der Vereinbarung (Herrschaft und Vereinbarung, 1986). 8S Strauß 189, vgl. 259. 83
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Teill: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Der wahre Staat erhebt sich nach dieser Staatsanschauung über den ,Not- und Verstandesstaat' , der ein Kampfplatz für Parteiinteressen im Dienst des Systems der Bedürfnisse ist. Hegel hält den Übergang von der Gesellschaft zum Staat und die Versittlichung der Interessen durch ihre Verallgemeinerung im Abhängigkeitssystem der Bedürfnisse für notwendig. Er bezeichnet die konkrete Person mit ihren besonderen Zwecken als das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft 86 . Deren Vertragsfreiheit bedeute eine Versuchung, die eigenen Interessen zu verabsolutieren, mächtig genug, zum allgemeinen Verderben auszuschlagen. Da aber die Verwirklichung selbstsüchtiger Zwecke ein "System allseitiger Abhängigkeit"87 bedingt, binde eine List der Vernunft die Selbstsucht. Ein System der Sittlichkeit bilde sich aus der wild wirtschaftenden Gesellschaft heraus und hebe schon im äußeren Not- und Verstandesstaat an. Marx nennt diesen Prozeß der sozialen Einbindung des rücksichtslosen Wirtschaftens spöttisch eine ,Transsubstantion'88, weil er angesichts der sozialen Frage bezweifelt, daß der Privategoismus durch seine gesellschaftliche Formierung relativiert wird; er stellt bekanntlich eine Formierung unversöhnlicher Klassengegensätze fest. Seit Marx und von Stein wird die Beziehung von Staat und Gesellschaft als ein Konfliktverhältnis gedacht, das die gesellschaftliche Entwicklung selbstständig nicht versöhnt. Weber und Schmitt diagnostizieren dann eine Vergesellschaftung des Staates, die sich von der Idee des Sittlichkeitsstaates weit entfernte. Während Weber an eine Wiederversittlichung des Staates gegenüber dem anethischen Schicksal im Kapitalismus nicht glaubt, hält Schmitt am besonderen Wert des Politischen fest. Hegel glaubt an eine ,List der Idee oder Institution'89, die partikulare Interessen ins organische Ganze des Staates integriert; diese "Idealität aller besonderen Berechtigung"90 sei das Signum der staatlichen Souveränität. Der Monarch vollendet die Einheit und Persönlichkeit des Staates gegenüber dem System der Bedürfnisse. Aus spekulativen Motiven betont Hegel die Entscheidungsfunktion des Monarchen 91 . Im ,Ich will' des Monarchen beweist der Staat seine souveräne Freiheit gegenüber der Gesellschaft. Nur in der Monarchie ist das vernunftgemäße "letzte Selbst des Staatswillens" und die "individuelle Spitze" manifest. Der Monarch muß aber kein absoluter Herrscher und die souveräne Vernunft selbst sein, sondern sich nur vernünftig verhalten. "Es ist bei einer vollendeten Organisation nur um die Spitze formellen Entscheidens zu tun, vgl. Rph § 182. Rph§183. 88 vgl. Marx 92,95, 109, 112. Riedel zeigt, daß der StaatsbegritT in der Geschichtsschreibung überlebte (Der Staatsbegriff der deutschen Geschichtsschreibung des 19.Jahrhunderts in seinem Verhältnis zur klassisch-politischen Philosophie. In: Der Staat 2 (1963), 41/63). 89 vgl. HdV 88, 102, VRA 46. 90 Rph § 278 Anm. 91 vgl. Rph § 279, vgl. f("Monarch das "schlechthin aus sich Anfangende"), vgl. Heller GS II 93f. 86
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2. Verdeutlichung von Schmitts politischen Kernbegriffen durch Hegel
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und man braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der ,Ja' sagt und den Punkt auf das I setzt / ... /. In einer wohlgeordneten Monarchie kommt dem Gesetz allein die objektive Seite zu, welchem der Monarch nur das subjektive ,Ich will' hinzuzusetzen hat". Diese Zustimmung repräsentiert, daß die Menschheit zur Vernunft gekommen ist und sich selbst bestimmt. "Dieses ,Ich will' macht den großen Unterschied der alten und modernen Welt aus, und so muß es in dem großen Gebäude des Staates seine eigentümliche Existenz haben. Leider wird aber diese Bestimmung nur als äußerliche und beliebige angesehen". Zwar finden sich auch bei Hegel Ansätze der für Schmitt charakteristischen Reflexion der Souveränität "im Zustande der Not"92, insgesamt überwiegt aber die metaphysische Begründung. Der wahre Staat benötigt zu seiner Idealität einen Souverän. Nur durch das Staatsoberhaupt ist der Staat an sich selbst Persönlichkeit und repräsentiert seine Suprematie über der Gesellschaft. Der Monarch ist ein aufgeklärter Hausvater, der das Familienprinzip liebevoller Sorge über dem Gesellschaftlichen als ,sittliche Wurzel' des Staates wieder zur Geltung bringt 93 . Merkwürdigerweise neigt der Rechtshegelianismus dazu, in der marxistischen Herausforderung mit einem Krisenblick auf die Moderne Hegels Begriff des objektiven Geistes auf einen Dualismus von Staat und Gesellschaft zu verengen und die Familie zu vergessen. So legt Larenz die Sittlichkeit als ein Diktat der völkischen Sitte aus, indem er die relativ selbstständige Berechtigung der Familie übergeht 94 • Dies tilgt nicht nur das moralische und sittliche Recht der Familie, sondern auch das Wesen des Sittlichkeitsstaates, Familie und Gesellschaft fürsorglich zu umhegen. Während der Mensch in der bürgerlichen Gesellschaft um seine Selbstbehauptung kämpft, handelt er in der Hingabe an Familie und Staat sittlich. Deshalb kann es auch nur zwischen Staat und Familie wahrhaft tragische Konflikte geben, wie Hegel gerne am Beispiel der Antigone verdeutlicht 9s . Der Staat versöhnt die gesellschaftliche Selbstständigkeit mit der familiären Hingabe und realisiert die Liebe, Einheit im Andern in geistiger Form zu sein. Der wahre Staat ist als ein Antipode der Gesellschaft nicht zu begreifen. Nach Schmitt gebraucht die positivistische Staatslehre "die Begriffe ,Staatspersönlichkeit' oder ,Staatsorgan' unter Verzicht auf jede systematische Bewußtheit"96. Die anthropomorphe Staatsanschauung ist uralt und einfach. Rph § 278 Anm, vgl. Marx 39f., Kervegan 1988, 381 fT. vgl. Rph § 255, 262, 286 Anm. 94 vgl. ZgStW 98 (1938), 132fT., ZfDK 5 (1938), 250ff.; Gehlen möchte die Staatsethik vom hypertrophen Familiarismus des ,Humanitarismus' unterscheiden (vgl. Moral und Hypermoral, 1969). 9S Gegen Sombart ist auf Hegels Selbstkntik des patriarchalischen Staatsdenkens zu verweisen; vgl. III 352 ("Indem das Gemeinwesen sich nur durch die Auflösung des Selbstbewußtseins in das allgemeine sein Bestehen gibt, erzeugt es sich an dem, was es unterdrückt und was ihm zugleich wesentlich ist, an der Weiblichkeit überhaupt seinen inneren Feind"). 96 HP 12f. 92
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Teil I: V. Hegel im Frühwerk und Schmitts Leitbegriff
Thomas Mann schreibt: "Als Knabe personifizierte ich mir den Staat gern in meiner Einbildung" 97 . Bilder und Fabeln ergeben sich nach Schmitt für die Beziehungen der Staaten "wie von selbst"98. Die Metaphern dieser Staatsanschauung können das geistige, seelische oder auch triebhafte Moment betonen. Die Romantik gebrauchte gern eine floristische Metaphorik, im Zeitalter des Imperialismus wurde die Staatsperson gefährlicher versinnbildlicht. Die Geschichte dieser Metaphern spiegelt den geistesgeschichtlichen Wandel vom Logozentrismus zum Vitalismus. Neben diesen zeitbedingten Metamorphosen der Metaphorik gibt es auch einen konstanten Kern, der zum Urphänomen des Politischen gehört. Schmitt analysiert den polemischen Sinn der ,organischen Staatslehre'99, die er aber nicht so prinzipiell kritisiert wie die ,mechanistische' Staatsauffassung. In der Analogie zum Organismus fand die romantische Staatslehre eine aufklärungskritische Metapher loo für die hierarchisch gegliederte Einheit im Staat. Außenpolitisch erscheint der Staat mehr als Interessensmacht. Von Hobbes bis Hegel betonte die Tradition diese unterschiedlichen Sichtweisen auf den Staat als geistiges und machtvolles Gebilde. Die organische Staatslehre wandert mit vitalistischem und sozialdarwinistischem Akzent über Rudolf Kjellen 101 in die Geopolitik. Die Krise des Vernunftglaubens erreichte ihr Endstadium in der nationalsozialistischen Ersetzung der Bildungsidee durch ein' schreckliches Züchtungsexperiment. Der Grundfehler dieses Staatsmythos liegt im Einheitszwang. Die in der deutschen Geschichte angelegte und beispielsweise von Meinecke vertretene Unterscheidung von Machtstaat und Kulturnation akzeptiert dieser Staatsmythos nicht, sondern beharrt darauf, daß das Volk als Nation erst im Staat seine Idealität fände. Dies beschreibt Huber als ,Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewusstseins'102 von Möser zu Hegel. Mit dieser Entwicklung Mann 239. PB 108, vgl. L 77, DARD 57. 99 vgl. HP lOff., PR 157 ("Erst unter dem Einfluß Hegels und nach der Trennung von Fichte" von Schelling formuliert). 100 vgl. M. Frank, Der kommende Gott, Frankfurt 1982, 169ff.; vgl. Meyer, Mechanische und organische Metaphorik politischer Philosophie. In: Archiv für Begriffsgeschichte 13 (1969), 128(199; vgl. rehabilitierend Smid, Recht und Staat als Maschine. Zur Bedeutung einer Metapher. In: Der Staat 27 (1988), 325(350. Tönnies' Anwendung auf Gemeinschaft und Gesellschaft gab den Metaphern neue Kraft. Scheuner weist darauf hin, daß die organologische Vorstellung über Smend in den Begriff des Staatsorgans eingeht (vgl. Der Beitrag der deutschen Romantik zur politischen Theorie, Opladen 1980, 69ff.,72). 101 vgl. Kjell{:n, Der Staat als Lebensform (Stockholm 1916), Berlin4. 1924,31 f., 35ff., 51 ff., 103; vgl. Hennings Lehrbuch ,Geopolitik. Die Lehre vom Staat als Lebewesen', Leipzig 1928 . 102 Huber, Strassburger Antrittsrede, Strassburg 1942; durch seine europäische Perspektive relativiert dies O. Vossler, Der Nationalgedanke von Roussseau bis Ranke, München 1937. 97
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2. Verdeutlichung von Schmitts politischen Kembegriffen durch Hegel
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vertraute sich das Volk der Obrigkeit und dem Führer an. Der 20. Juli, vollbracht von früheren Trägern dieses Staatsmythos, symbolisiert ein Ende des deutschen Sonderwegs 103 •
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vgl. Hennis 1968, 226 ff.
Teil II
Staats-, Feind- und Geschichtsdenken und die Autorisierungsfunktion "egels VI. Kampf um die politische Form 1. Der Wille zum Staat a) Hegels Staat
Hegels Staatsphilosophie bildet das "Leitbild" (Hofmann)1 von Schmitts Verfassungsanalysen und das Schema seiner Deutung des nationalsozialistischen Systems. Ausführungen zur Staatsanschauung Hegels finden sich wieder im Lexikonartikel ,Absolutismus' von 1926. Nach der Darstellung des ,Absolutismus des Staates', der schon früher erörterten Jakobinerdiktatur, behandelt Schmitt dort Preußentum und Sozialismus als konkurrierende Staatsabsolutismen. Schmitt faßt Preußen erstmals als eine Gegenmacht zur revolutionären Bewegung auf und nennt Hegels Rechts- und Staatsphilosophie eine "bedeutende Synthese,,2/3 des 18. Jahrhunderts, die durch ihre Differenzierung von Staat und Gesellschaft Preußen begreife. Er überführt die christliche Idee der Obrigkeit in den Begriff der Suprematie des Staates und liest aus der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft seine Formprinzipien Repräsentation und Identität ab. Huber formuliert den Grundgedanken dieser Staatsmetaphysik wiefolgt: "Während das Prinzip des Staates die Idee ist, ist das Prinzip der Gesellschaft das Interesse". Hierin liegt der Wert des Staates und das Gebot der Versittlichung der Interessen durch eine ,List der Idee oder Institution'. Heute sagen wir leichthin: Auch der Staat hat Interessen. Aber wir erwarten nicht nur Daseinsvorsorge, sondern auch eine gerechte und gute Politik und verstehen den Staat als ein gemeinsinniges Korrektiv. In seiner vor der Kant-Gesellschaft 1929 gehaltenen Zusammenfassung der Pluralismuskritik - ,Staatsethik und pluralistischer Staat' - versucht Schmitt jene klassische Staatsethik zu erneuern, die "von Plato bis Hegel die Einheit des Staates als höchsten Wert"4 auffaßte. Er verbindet dabei die ,,staatsethik Hofmann 116, vgl. Sontheimer. In: NPL 3 (1958), 765. 1926c, 33 vgl. DRiZ 1931g, 271. Nach GLP systematisiert Hegel die liberale Diskussion (GLP 58), nach DARD ist er die "systematische Zusammenfassung" der "Ströme und Richtungen deutschen Widerstandes"(DARD 45). 4 PB 137. 1
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1. Der Wille zum Staat
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Hegels"S mit Hobbes und dem italienischen Fascismus und nimmt die gegenwärtige Staatskrise als eine Chance, die Idee des Sittlichkeitsstaates durch den Verweis auf den politischen Wert der Staatseinheit durchzusetzen. Schmitt tarnt seine Modellvorstellung von der autoritären Form des wahren Staates begriffssoziologisch, indem er stets betont, daß Hegels Rechtsphilosophie die damalige Wirklichkeit begriffen habe: "Soziologisch spiegelt sich in diesem System der preußische Beamtenstaat des 19.Jahrhunderts wieder" 6. In der Soziologisierung liegt eine Historisierung. Bekanntlich zementiert Schmitt kein Staatsmodell, sondern meint, daß der neuzeitliche Staat an sein Ende gekommen sei. Die supranationale Ordnungsmacht des Reiches tritt im Nationalsozialismus an seine Stelle. Schmitts Staatsidee ist deshalb genauer als eine Idee vom wahren Politischen zu bezeichnen, Muster einer politischen Form für jede Staatsform. Schmitt ist deshalb auch kein Staatsphilosoph, sondern ein politischer Philosoph, der einen nie vollständig explizierten Begriff des Politischen zum Prüfstein der Verfassung macht und fragt, ob sie Staat macht. Hier liegt die Eigenart seines ,antiliberalen Staatsgedankens' (Sontheimer)1. b) Schmitts Verfassungslehre
Schmitt schreibt keine Allgemeine Staatslehre, sondern eine Verfassungslehre. Weil der Staat ,ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff' sei, entwickelt er auch keine Allgemeine Verfassungslehre, die staatsbildende Ordnungen und Mächte typisiert, sondern eine idealtypische Verfassungslehre des bürgerlichen Rechtsstaats im Zuschnitt auf Weimars. Die ,Verfassungslehre' versteht sich als eine ,Staatslehre ohne Staat'9. In der vermeintlich kritischen Lage der Staatsidee in der Weimarer Republik rettet sich Schmitt in den Gedanken, daß der Staat eine wandlungsfähige Verfassung sei, und die "Ordnung des Staates durch seine Verfassung"lO regeneriert werden kann. Dieses Verhältnis von Ideal und Wirklichkeit formuliert er in einem paradoxen Postulat: "Der Staat soll wieder Staat werden"ll. 5 PB 133, vgl. 114, vgl. Giese, Hegels Staatsidee und der Begriff der Staatserziehung, Halle 1926; Nähen von Schmitts Staatsethik zu Hegel betont Kervegan (vgl. 1988, 375ff.). 6 1926c, 33, vgl. HP 23, 1931g, SBV 13, 28, NE 121, PB 112,292, 1935c, 5, ZgStW 1935b, 191f., 199. 7 vgl. Sontheimer 192ff. 8 vgl. Hofmann 125. 9 vgl. Koellreutter, Der nationale Rechtsstaat. Zum Wandel der deutschen Staatsidee, Tübingen 1932, 12. Koelireutter liest die VL als das ,politische Programm' der Affinnation des bürgerlichen Rechtsstaates. Er sieht in der "Grundkategorie" des BP auch die "Grundposition" der VL, lehnt Schmitt 1933 vom völkischen Standpunkt aus ab und behandelt ihn "zusammenfassend als den Vertreter des ,liberalen Machtsstaates'" (1933, 12). Schmitz meint: "Wenn man die Staatslehre earl Schmitts mit einem Satz charakterisieren müßte, so könnte man sie am treffensten als eine Staatslehre ohne Staat kennzeichnen" (79, vgl. f). 10 Hensel ASwSp 61 (1929), 181 f., vgl. Huber 1935c, 46f.
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TeilII: VI. Kampf um die politische Fonn
Die, Verfassungslehre' geht deshalb nicht von der Weimarer Verfassungswirklichkeit aus, sondern vom idealen Prinzip des bürgerlichen Rechtsstaates, und macht die Idee der Verfassung zum politischen Hebel gegen das positive Verfassungsgesetz. Huber nennt dies in Anschluß an Hege! einen ,politischen Verfassungsbegriff 12 und zeigt 1931, daß Schmitts Analysen der Verfassungswirklichkeit die Frage nach der Geltung der Weimarer Verfassungsnorm aufwerfen 13. In der Krise des Staates emanzipiert Schmitt die Begriffe des Politischen und der Verfassung, um die Idee des Staates zu retten. Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus, wie der bekannte Auftakt des ,Begriffs des Politischen' lautet 14 . Mit Weimar war kein Staat zu machen, weil Deutschland nicht souverän war. Souveränität begreift Schmitt aber als ein Wesenskriteriumjedes echten Staates, Hegel nennt die Souveränität des Staates sogar seinen "wahrhaften absoluten Endzweck" 15. Indem die, Verfassungslehre' vom ,Begriff der Verfassung' ausgeht, bringt sie ein politisches Moment, die demokratische Legitimität als Ge!tungsgrund der Legalität, wieder ins Staatsrecht und stellt die Weimarer Republik grundsätzlich zur Disposition. Böckenförde betont den Vorrang der politischen Form und Repräsentation und meint, es sei für Schmitt eine "Prämisse, daß der Staat der Verfassung vorausliegt, nicht die Verfassung den Staat erst konstituiert"16. Dem ist nur insoweit zuzustimmen, daß Schmitt mit dem politischen Volk auch ein Minimum an Form voraussetzt. Wenn ein Staat aber nicht souverän ist, muß die Verfassung Staat machen: "Was der Staat ist, entscheidet eben die Verfassung im Hinblick auf eine als normal vorausgesetzte Sachlage"17. Böckenförde klärt nicht den Zusammenhang des ,Begriffs des Politischen' mit dem ,Begriff der Verfassung', also die Beziehung zwischen der politischen Unterscheidung und Entscheidung, weil er die Notwendigkeit der Feindunterscheidung für die Verfassungsdynamik ausblendet 18 , obwohl er den ,Begriff des Politischen als 11 1933m, 87.1934 ist "das Deutsche Reich der Deutsche Staat geworden" (DJZ 1934g, 779). Für Forsthoffbedeutet der nationalsozialistische Staat die "Rückkehr des deutschen Volkes zur staatlichen Fonn" (Der totale Staat 2. 1934, 9). 12 vgl. Huber ZgStW 99 (1938), 397, 1935c, 5ff., 53, Larenz ZgStW 1938a, 144ff., vgl. Hegel Rph § 269. 13 vgl. Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt. In: BldPh 5 (1931/32),302/315, bes. 303f., 308, 312, vgl. 1935c, 48, 52f. 14 vgl. BP 20, PT H, 25; der Schmittschule liegt der Staat am Herzen. Dies ist ein Indiz, daß Schmitts Diagnose wohl keine Affinnation des Endes der Staatlichkeit ist; vgl. nur Scheuner, Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen in der neueren Staatslehre' (Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978). Scheuner beginnt den Aufsatz ,Staat' im Abschnitt ,Der Begriff des Politischen' fast trotzig: "Vom Staat her bestimmt sich auch der Begriff des Politischen" (1978, 26). 1S Hegel Rph § 328. 16 Böckenförde 1988, 288. 17 D 213. 18 vgl. Hepp. In: Quaritsch 1988, 310. Kaufmann (Recht ohne Regel? Die philosophischen Prinzipien in Carl Schmitts Staats- und Rechtslehre, Freiburg 1988) entwickelt
1. Der Wille zum Staat
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Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk' versteht. Huber 19 und Bilfinger haben dagegen direkt gesehen, daß jede Verfassungsentscheidung eine potentiell feindliche Abgrenzung mit sich bringt. Bilfinger erörtert bereits die wesentlichen Argumente in der Frage nach dem "Verhältnis vom Politischen zum Staat"20. Er macht auf eine zusammenfassende Definition der ,Verfassungslehre'21 aufmerksam, erkennt im Entscheidungscharakter der Verfassung die Feindunterscheidung und sieht die Entscheidung der Weimarer Verfassung gegen das Rätesystem. Schrnitt betont darüber hinaus, daß die Reichsverfassung sich zwar gegen die Monarchie, aber nicht eindeutig gegen die Kirche 22 entschieden habe. Bilfinger resümiert als Credo der ,Verfassungslehre': "Es wird hier überall für den Staat gekämpft" 23 . Schmitt trennt Verfassung und Verfassungsgesetz. Dies ermöglicht eine politische Kritik der Verfassung, indem es die Konfrontation eines Verfassungsebenfalls eine systematische Deutung vom BP aus. Er unternimmt den "Versuch der systematischen Aufarbeitung" mit der Methode einer "Sprach- und Begriffsanalyse" (22). Kaufmann formuliert eine ,antiuniversalistische Grundthese' als "Quintessenz aus vier Thesen" (14), die er in vier Hauptteilen entwickelt. Danach läuft Schmitts Stellung zu Moral, Demokratie, Anthropologie und Recht darauf hinaus: "Es ist weder wünschenswert noch möglich, ein menschliches Gemeinwesen anhand von Regeln zu ordnen, die sich gegenüber universell gültigen Kriterien rational rechtfertigen lassen" (14). Dies besagt, daß Schmitt kein Naturrecht vertritt. Kaufmann treibt für dieses gängige Urteil viel Aufwand. Eine genaue Kritik müßte der Methode gelten, die zu einem verständigen Räsonnement verleitet. Nur ein Beispiel: Kaufmann destilliert einige Argumente von Schmitts Positivismuskritik (vgl. 257ff.), um selbst die Frage zu behandeln: ,Was ist Rechtspositivismus?' (§ 13). Er zeigt dann (§ 14), daß Schmitt die Fragestellung der "analytische/nl Rechtswissenschaft, zu der auch Kelsen zählt, 1...1 völlig mißversteht" (275). Schmitt hat aber nicht die analytische Rechtswissenschaft, sondern Kelsen kritisiert. Kaufmann bringt Schmitts Argumente auf einen modernen Diskussionsstand und unterstellt eine Systematik, um Inkonsistenzen zu zeigen. Dabei kommt aber wenig heraus. Kaufmann widmet sich ausführlich der Korrektur von Schmitts Positionen und Begriffen. So korrigiert er Schmitts Hobbes- und Rousseaubild. So zeigt er, "daß Schmitt zwar einige tatsächlich vorhandenen Probleme des modernen Parlamentarismus ausspricht, der Großteil seiner Argumente aber auf begriffsgeschichtliche und systematische Irrtümer zurückzuführen ist" (133). So erläutert uns ein ,Exkurs: Was ist Moral?' (77ff.). So erörtert Kaufmann die Frage: ,Soll einer oder sollen viele herrschen?' (137ff.), die in einen trivialen Katalog von ,notwendigen Institutionen' mündet (vgl. 148). Sollte Schmitt nichts davon gewußt haben? Was soll man von einer sprachanalytischen Methode halten, die zugibt: "Zu ermitteln, ob die Veränderungen während des Dritten Reiches - hier relevant ist etwa die Aufgabe des Staatsbegriffs zugunsten des Begriffs des Reiches persönlicher Anpassung oder aber theoretischer Fortentwicklung entsprangen, ist eher Aufgabe biographischer Forschung als begriffiicher Analyse" (109, vgl. Quaritsch 1988, 16). 19 vgl. Huber 1931 I 32, 310, 1935c, 43. 20 Bilfinger, Verfassungsrecht als politisches Recht. In: ZfP 18 (1928/29), 281 198, bes. 294ff. 21 VL 214. 22 vgl. VL 29ff., 35f., 162f. 23 Bilfinger 1928 129, 295.
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Teil 11: VI. Kampf um die politische Form
gesetzes mit der Tradition oder einer dynamisch fortgeschrittenen Verfassungswirklichkeit erlaubt. Dann analysiert Schmitt in zwei weiter differenzierten Dichotomien einen absoluten und relativen, einen positiven und idealen Begriff von Verfassung. Da er stets für die politische Form und Einheit votiert, vertritt er wohl einen absoluten Verfassungsbegriff, der sich gewiß nicht in seinem normativen Sinn erschöpft. Die ,Verfassungslehre' definiert die absolute Verfassung als den ,Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung'24. Schmitts positiver Verfassungs begriff vermittelt die absolute und relative Bedeutung. Im Lichte der absoluten Verfassung enthüllen ihre relativen Normen eine sinnvolle Grundentscheidung, die dem Idealbegriff der bürgerlichen Verfassung entspricht. Die Differenzierung der positiven Verfassungsentscheidung und der absoluten Ordnung zielt auf ihre Einheit, wie das konkrete Ordnungsdenken später deutlicher macht. Schmitts positiver Verfassungsbegriff zielt auf die absolute Verfassung einer zu sich selbst entschiedenen, umfassenden Ordnung. Verfassungen wollen gelten und konzipieren keinen Zwischenzustand. Die positive Entscheidung zur Verfassung möchte sich zur Daseinsform verabsolutieren. Die positiv zu bejahende absolute Verfassung ist ein Gesamtzustand der politischen Einheit und Ordnung, der den Volksgeist in eine ,Form der Formen' und ,Institution der Institutionen'25 integriert. Schmitts Verfassungsbegriff scheint zwischen dem Entscheidungs- und Ordnungsaspekt zu schwanken, weil sein Fundament, der Begriff des demokratischen Willens als Legitimationsquelle und Ursprung der Verfassung, unklar bleibt, wie die folgende Definition belegt: "Das Wort ,Wille' bezeichnet im Gegensatz zu bloßen Normen eine seinsmäßige Größe als Ursprung eines Sollens. Der Wille ist existentiell vorhanden"26. Diese umstrittene Definition, die ein Sollen aus einem Wollen und somit eine sittliche Selbstbindung entwickelt, begründet den Übergang der Entscheidung zur Ordnung nicht rechtsphilosophisch. Schmitt versucht die homogene Ordnung nicht aus dem demokratischen Willensentscheid abzuleiten, vermeidet es, erneut in eine Diskussion mit der neukantianischen Rechtsphilosophie einzutreten, und assoziiert die Legitimationsquelle des Volkswillens nur mit romantischen Volksgeistlehren, ohne eine eindeutige Stellung zu beziehen. Hegels Rechtsphilosophie entwickelt die Verfassung weit stringenter aus dem Begriff des Willens als ihrem Prinzip. Aber es ist ja im Sinne der demokratischen Legitimität, daß die Verfassungsentscheidung keiner weiteren dialektischen Rechtfertigung bedarf. Dies ist ihr Ursprungsmythos seit der Französischen Revolution. Die plebiszitäre Entscheidung zur Ordnung gibt dem Legalitätssystem seine Legitimität, die durch Verfassungstreue stillschweigend und permanent bestätigt wird. vgl. VL 3, 20fT., HdV 63 FN, 70. vgl. VL 9, DARD 57, 47. 26 VL 9, vgl. 21, 75ff.; Schmitt übersetzt hier Rousseau (D 120: "Die volonte generale ist immer Recht"); vgl. Scheuner, Die Legitimationsgrundlage des modemen Staates. In: Legitimation des modemen Staates, (Hg) Achterbergj Krawietz, Wiesbaden 1981, 1 j 14. 24 2S
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Schmitt reflektiert seinen Verfassungsbegriff rechtsgeschichtlich. Er verbindet die antike Auffassung der Verfassung als Daseinsweise 27 mit der mittelalterlichen, statisch-hierarchischen und der dynamisch-integrierenden Staatsanschauung, für die er Hegel, von Stein und Smend nennt 28 . Sie findet sich noch in Hesses ,Grundzügen des Verfassungsrechts'29. In Wirklichkeit will Schmitt diese Verfassungs begriffe aber nicht .harmonisieren, sondern hebelt vielmehr den status quo von der demokratischen Dynamik her aus, wie bereits sein Akklamationsbegriff zeigte. Die ,Verfassungslehre' macht mit dem demokratischen Willen die Idee der Volkssouveränität zum überragenden Geltungsgrund und zur positiven Kraft der Verfassung. Sie ist der "Versuch eines Systems" 30. Der erste Abschnitt ,Begriff der Verfassung' könnte auch ,Legitimität der Verfassung' heißen. In der Alternative von dynastischer und demokratischer Legitimität ist die Entscheidung gefallen 31 . Die Idee der Monarchie läßt sich nicht mehr erfolgreich verteidigen. Es ist deshalb für Schmitt ein Gebot der Klugheit, die demokratische Idee zu akzeptieren und sich auf die Bewahrung des Formaspektes zu verlegen. Die nächsten Abschnitte behandeln die rechtsstaatlichen und politischen Bestandteile des bürgerlichen Verfassungsstaates. Der liberale Rechtsstaat mit seinem in den Grundrechten seine Garantie findenden, negativen Freiheitsbegriff32 setzt das politische Organisationsprinzip der Gewaltenteilung voraus. Er hat nur Anteil am Staat, steht ihm aber im Prinzip fremd gegenüber, wie insbesondere das Übergangskapitel ,Bürgerlicher Rechtsstaat und politische Form' zeigt, das die Lehre von den politischen Formprinzipien erläutert, deren unterschiedliche Legitimationsideen der erste Abschnitt der ,Verfassungslehre' behandelte. Aus diesen Formprinzipien entwickelt Schmitt die Staatsformen als ,politische Bestandteile der modernen Verfassung'. Der dritte Abschnitt, der diese Bestandteile näher entwickelt, geht systematisch und weitläufig von der identitären Demokratie aus, trägt aber über die ,Grenzen der Demokratie' das Formprinzip Repräsentation wieder hinein. Diese Dialektik der Repräsentation behandelten wir bereits ausführlicher. Der Lehre von der Demokratie stellt die ,Verfassungslehre' die Lehre von der Monarchie gegenüber, um dann den status mixtus des aristokratischen Parlamentarismus zu entwickeln. Schmitt lehnt aber eine gemischte Verfassung im vgl. VL 4. vgl. VL 6. 29 vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 14. 1984, 5f. 30 VL IX, vgl. Vorbemerkung und Vorwort der VL, HdV 70 ("System eines demokratischen Verfassungsstaates"); Hintzes Rezension (HZ 139 (1929), 562/568; vgl. Scheuner NPL 1 (1956), 181/188) gibt einen transparenten Überblick, Hense! (ASwSp 61 (1929),181/195) einen kommentierenden Durchgang. 31 vgl. dagegen Hege! Rph § 279 Anm ("Am nächsten trifft / ... / die Vorstellung zu, das Recht des Monarchen als auf göttliche Autorität gegründet zu betrachten"). 32 vgl. VL 126, vgl. Kaufmann 192ff. 27 28
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Teil 1/: VI. Kampf um die politische Form
Sinne einer unentschiedenen Verfassung ab 33 . Es geht ihm nicht um eine regierungstechnisch nützliche Übernahme der Vorzüge jeder Staatsform. Ein Wirrwarr der Prinzipien legt seiner Meinung nach den Untergang einer Verfassung an, wie die ,Verfassungsrechtlichen Aufsätze' verdeutlichen, die Schmitt als ,Materialien zu einer Verfassungslehre' herausgab. Die ,Verfassungslehre' bejaht zwar den Entscheidungscharakter der Weimarer Verfassung 34 , bestreitet aber, daß der parlamentarische Gesetzgebungsstaat eine eigene Staatsform sei. Sie endet mit Weimar und der ,Auflösung des Parlaments'. Der letzte Abschnitt, die ,Verfassungslehre des Bundes', ist ein Überhang aus ,Kernfrage', der das demokratische Prinzip der ,Verfassungslehre' auf die zwischenstaatlichen Beziehungen überträgt, die völkerrechtliche Bedeutung der Verfassung unterstreicht und der Verfassungsentscheidung den Bündnisvertrag als zwischenstaatlichen Konstitutionsakt gegenüberstellt. Nach Ansatz und Anlage entfaltet die ,Verfassungslehre' die Antithese von Parlamentarismus und Massendemokratie. Die Wirklichkeitsverzerrung ihres idealtypischen Begriffsapparats haben Voegelin mit einigem Verständnis, KraftFuchs mit barschen prinzipiellen Bemerkungen aufgezeigt 35 . Die ,Verfassungslehre' tendiert nicht nur dazu, die Weimarer Verfassung als eine Übergangslösung darzustellen, sondern trägt auch an den dogmatischen Konsequenzen von Schmitts staatsrechtlichen Schriften. Sie nimmt den Repräsentationsbegriff aus ,Katholizismus' wieder auf und integriert ihn mit dem Formprinzip der Identität zu einem Beschreibungsmodell, das nicht von den Sachen selbst abgelesen ist. Voegelin spricht treffend von einer "Zwei-Sinnigkeit / ... /, die aus einem Zusammentreffen der Anschauungsfülle mit einem traditionsgebundenen Begriffsapparat entsteht"36. Bedenkt man die prägende Kraft, die Schmitt echten Begriffen zutraut, so spricht die ,Verfassungslehre' dem status quo das Urteil, ein Übergang zu sein 37 . Der rechtsstaatliche Parlamentarismus erscheint als ein Zwischenzustand ohne eigene Kraft und Form. Diese Prognose verschärft ,Legalität und Legitimität'. ,Staatsgefüge und Zusammenbruch' meint dann rückschauend: "Die Weimarer Verfassung gab eine Antwort auf eine entfallene, von der wirklichen Gegenwart gar nicht mehr gestellte Frage. Der Sieg der vgl. Hösle 1987, 17. vgl. VL 23 ff. 35 vgl. Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre. In: ZÖR 9 (1930), 511/41, Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien. In: ZÖR 11 (1931),89/109. 36 Voegelin ZÖR 1931, 107. 37 Ähnlich bestimmt SZZR die konstitutionelle Monarchie als Zwischenzustand. Dies überprüft Böckenförde zustimmend (Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19.Jahrhundert. In: Böckenförde 1976) und hält im Anschluß an Schmitt für das "Vorhandensein einer eigenen politischen Form" ein "eigenes, einheitsverbürgendes politisches Formprinzip" und eine "eigene politische Legitimität" für ausschlaggebend (ebd. 124), die der moderne Staat aber nicht habe (vgl. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: Böckenförde 1976). 33
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liberalen Demokratie, der sich in der Weimarer Verfassung kundgab, war nur posthum. Er war in die Vergangenheit gerichtet, ohne Gegenwart und ohne Zukunft, unwirklich, der Sieg, den ein Gespenst über den Schatten seines Gegners davonträgt"38. Schon 1928 verdeutlicht der Aufsatz ,Bürgerlicher Rechtsstaat' diese politischen Intentionen der ,Verfassungslehre'; die Weimarer Verfassung biete dem Volk Möglichkeiten, "seine politische Form zu finden. Es handelt sich für die Verfassungswirklichkeit der nächsten Zeit darum, die Demokratie aus ihrer Verhüllung durch liberale Momente zu retten"39. Im Namen der Verfassung erfolgt ein Angriff auf den Staat um des Politischen willen. Weil mit Weimar kaum Staat zu machen ist, schreibt Schmitt eine Verfassungslehre. Weil er an der klassischen Auffassung festhält, daß der souveräne Staat alle politische Gewalt in sich konzentrieren und die Gesellschaft entpolitisieren soll, betont er die kritische Lage der Weimarer Verfassung. An die ,Verfassungslehre' schließt die Frage nach dem Hüter der Verfassung an. Böckenförde bezeichnet zurecht die Sorge um das Politikmonopol des Staates als den ,roten Faden' des staatsrechtlichen Werkes4{l. Mit der Beschränkung der Staatsgewalt höre für Schmitt der "Staat als selbsttragende politische Einheit"41 zu existieren auf. Dies war aber nach Schmitts Analysen die außen- und innenpolitische Lage. Diese Verfassungslage verdeutlicht eine verfassungsgeschichtliche Skizze, die den demokratischen Integrationsprozeß der Gesellschaft als eine Wendung zum totalen Staat darstellt. c) Verfassungsgeschichtliche Vertiefung
Vor seiner Deutung des Weimarer Präsidialsystems skizziert Schmitt eine Verfallslinie der deutschen Staatsanschauung und geht dabei von dem durch Smend wiederentdeckten Lorenz von Stein aus. Die ,Verfassungslehre' bezeichnet von Stein als "Grundlage" des verfassungstheoretischen Denkens im 19.Jahrhundert und als die "Vermittlung, in welcher Hegels Staatsphilosophie lebendig blieb"42. Stets behandelt Schmitt von Stein als einen Mittler Hegels. Hegel kann so kryptisch im Schatten bleiben. Ein Hauptgrund hierfür ist die Konzentration auf das Entscheidungsjahr 1848, in dem der posthume Siegeszug des deutschen Liberalismus begann. Cortes, Marx, Bauer, Kierkegaard, Bakunin, Stirner sind andere für Schmitts Werk bedeutende Kritiker der geistesgeschichtlichen Katastrophe im Vormärz von 1848, Junghegelianer mit Ausnahme des katholischen Antihegelianers Cortes43 . SZZR 43. 1928,131, vgl. PR 18f., AÖR 1929,212 (den pluralistischen Auflösungserscheinungen "habe ich in meiner Verfassungslehre das System eines demokratischen Verfassungsstaates mit einem positiven VerfassungsbegrifT entgegengestellt"). 40 vgl. Böckenförde 1988, 293, Vollrath ZfP 1989, 151 fT. 41 Böckenförde 1988, 287. 42 VL 6. Huber, Forsthoffund Böckenförde beziehen sich immer wieder auf Stein (vgl. Forsthoff (Hg): Lorenz von Stein. Gesellschaft. Staat. Recht, Frankfurt 1972). 38
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TeillI: VI. Kampf um die politische Fonn
Die ,Verfassungslehre' nennt Hegels System die "letzte große Staatsphilosophie"44 und einen Anfang der deutschen Staatsanschauung. Diese Einschätzung behält Schmitt bei. Den Grenzpunkt des Untergangs des ancien regime markiert er durch den Tod Hegels und die fast gleichzeitige Prognose der modernen Demokratisierung und Zentralisierung durch Tocqueville45 . Um 1848 ist das Verhältnis von Staat und Gesellschaft nicht mehr als ein logisch notwendiger Übergang zu denken, sondern von Stein faßt die Beziehung soziologisch konkret als einen Kampf auf. Hier liegt die Parallele zu Schmitts Lageanalyse. Die Berliner Antrittsrede ,Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre' gibt 1930 einen "kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der letzten drei Generationen des deutschen Staatsrechts"46. Die Skizze geht von der "auf Hegel aufbauenden Staatslehre des jungen Lorenz Stein"47 aus. Hegel wird zur Basis einer Verfalls skizze staatlicher Souveränität durch den allmählichen Zerfall der konstitutiven Differenz von Staat und Gesellschaft, der über Stein, Gneist, Gierke im total integrierten Staat bei Preuß und Smend zum Ende kommt 48 • Es ist vorgezeichnet, Schmitt in diese Linie als einen letzten Widerstand der politischen Idee gegen die gesellschaftliche Entwicklung hineinzuschreiben. Schmitt meint, daß der Staat mit seiner totalen Beanspruchung durch gesellschaftliche Aufgaben und Forderungen seine Souveränität verliert. Diese totale Beanspruchung des Staates kritisiert Schmitt also nicht im Hinblick auf die privaten Freiheiten des Bürgers, sondern auf den Verlust seiner Handlungsfähigkeit. Der Staat der Industriegesellschaft kann sich diesen Forderungen aber nicht mehr entziehen; man würde ihm ,Staatsversagen' (Jänicke) vorwerfen. Das Schema der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bildet ein Gerüst für konkrete Analysen. So differenziert ,Hüter der Verfassung' die Verfassungswirklichkeit durch die präziseren Schlagworte Pluralismus, Polykratie und Föderalismus. Schrnitts Ausführungen zum quantitativ und qualitativ totalen 43 Nahezu alle Schriften stellen diese entscheidende Bedeutung von 1848 heraus. Die Selbstauflösung des Idealismus und den Siegeszug des Positivismus zeigt Schmitt auf allen Ebenen auf (vgl. nur NE 32f., 188, 267, ECS 80ff., DC 80ff., TW 41; zu Lorenz Stein vgl. VL 309, DARD 42, ZgStW 1940g, 12, 1940f. (Die Stellung Lorenz von Steins in der Geschichte des 19.Jahrhunderts». Marx ist meist ausgeklammert! Stein steht an seiner Stelle, da er die bürgerliche Lösung des Klassenkampfes versprach (vgl. Huber ZgStW 99 (1938),393/439, bes. 418, 426). 44 PB 114. 4S vgl. DC 88, ECS 28 f. 4ö HP 3. 47 HP 13, vgl. 22. 48 vgl. HP 7,13, AÖR 1929, 220ff., BP 25, DARD 47ff., VRA 30f., ZgStW 1940g; die Verfalls skizze arbeitet Huber im historischen Teil einer programmatischen Arbeit aus (,Die deutsche Staatswissenschaft' ZgStW 1935a, 5ff., vgl. Scheuner, Hegel und die deutsche Staatslehre des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978).
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Staat modifizieren ebenfalls das Grundschema 49 • Man braucht eigentlich nur die Titel der diagnostischen Schlüsselaufsätze ,Wendung zum totalen Staat' (1931) und ,Weiterentwicklung des totalen Staates' (1933) zu bedenken, die mit Hegelscher Dialektik argumentieren; in der Weiterentwicklung schlägt die Wendung zur totalen Integration der Gesellschaft in die Wiederauferstehung des qualitativ starken 50 Staates um. Moderner gesprochen: Demokratisierung bedeutet im Effekt eine Politisierung aller Sozial bereiche, die eine neue Entpolitisierung erfordert und ermöglicht. Die Totalität des Politischen ist das Schicksal. Man soll dies Schicksal bejahen und die ,negative' zur ,positiven' Totalität erheben 51, um erneut Souveränität zu gewinnen. Freiwillige Unterwerfung ist deshalb auch ein staatsethisches Gebot im totalen Staat. Schon 1929 meint Schrnitt, daß die Integration der Gesellschaft "bereits ihren Höhepunkt überschritten hat und eine starke Gegentendenz zum Statischen erkennbar"52 sei. Eine Zusammenfassung dieses Gedankengangs ist der Lexikonartikel zum Stichwort ,Politik' im Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften von 1936. Schrnitts verfassungsgeschichtliches Schema ist die Genealogie einer Krisenlage und ein Mythos des Ursprungs, Verfalls und der Wiederauferstehung des souveränen Staates. Seine Methode erliegt den Gefahren der Geistesgeschichte. Schon Huber kritisierte die Herleitung einer Tendenz zum totalen Wirtschaftsstaat aus "ideologischen Wandlungen" 53. Die immer gleiche Schematik von Schmitts Skizzen erweckt den Eindruck, die Verdammung der modernen Säkularisierungsbewegung sei ihm wichtiger als die Erfassung der Lage. Der Zusammenbruch der Weimarer Republik repräsentiert in seinem Geschichtsbild einen Endund Wendepunkt. Bentin stellt diese Entwicklung von 1930 bis 1933 besonders klar dar 54 • 49 vgl. VRA 342f., 359ff., vgl. noch Forsthoff 1971,24,79. Schmitt autorisiert diese Dialektik in Hegel (vgl. BP 62, schon WdS 30). Böckenförde bezeichnet die "Autbebung der Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft" als das "totalitäre Modell" (Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart. In: Böckenförde 1976, bes. 197, 193) und sieht die Differenzierung von Staat und Gesellschaft als Möglichkeitsbedingung für individuelle Freiheit an (vgl. Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, Opladen 1973). so vgl. 1930e, 253, 1930f., 844, SBV 33, 1934f., 695, 1935c, 10. 51 vgl. ZAkDR 1934m, 12, DR 19340, 27. 52 AÖR 1929, 224, vgl. 220, 233. 53 Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931, 25, vgl. ff. Auch in Huber 1975, 58ff. 54 Bendersky zeigt Schmitt in Weimar etwas naiv als einen verfassungs- und staatstreuen Autor, der erst bei der Ausdeutung der Präsidialkabinette (vgl. 112ff.) ins Fahrwasser der Rechten gerät und durch die rechte Publizistik ausgeschlachtet wird (vgl. 133 ff., 168). Maus rückt Schmitt dagegen in die Nähe des Tatkreises (Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der Konservativen Revolution. In: Maus 1986). Bentin versteht Schmitts Entwicklung als einen staatsrechtlichen Bewältigungsversuch der Wirtschaftslage (vgl. 4f., 116) in enger Zusammenarbeit mit Popitz. Die Studie heißt: ,Johannes Popitz
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TeilII: VI. Kampf um die politische Form d) Hüter der Verfassung?
Die verfassungsgeschichtliche Entwicklungslinie beschreibt Schmitt von der konstitutiven Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ausgehend, die Hegels Modell vorgibt. Die haltenden Kräfte - insbesondere Beamtenturn und Reichspräsident - begreift er als neutrale Größen, die den Staat durch eine überparteiliche Sachlichkeit am Leben erhalten, die eine Parteinahme für die gemeinwohlorientierte Existenz des Staates ist. Sind diese neutralen Kräfte aber auch Hüter der Verfassung? Bevor Schmitts Option für neutrale Größen als eine Anwendung von Hegels Modell erläutert wird, sind die kritischen Analysen der Verfassung darzustellen. Dabei leitet uns die Frage, ob Schmitts Deutung der Verfassungskrise beim Zusammenbruch der Republik einer republikanischen und konservativen Sorge um den Bestand und Schutz der Verfassung resultierte. Oft versteht man Schmitts Unterscheidung zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz als eine Wegbereitung des Verfassungsschutzes 55 • Neuerdings wurde Schmitt ernsthaft als ein, Vater der Verfassungsväter' bezeichnet 56. Wenn die ,Verfassungs lehre' auch eine Verfassungsgerichtsbarkeit begreiflich machen kann, ist deshalb noch nicht ausgemacht, daß Schmitts Analysen die Weimarer Verfassung hüteten. Verständnisschwierigkeiten bereitet ihre Überzeugung, daß der Verfassungsschutz im Ausnahmezustand eine Aufgabe der Exekutive sein soll. Schmitt stellt sich gegen die damals schon gängige Auffassung, in der Justiz den Hüter der Verfassung zu erblicken. Es wird sich zeigen, daß er den Schutz einer bürgerlichen Verfassung von ihrem idealen Organisationsprinzip der Gewaltenteilung aus entwickelt und die Weimarer Verfassung schützen will, indem er ihren Kompromissen gegenüber die Grundentscheidungen der Verfassung durchzusetzen versucht. und earl Schmitt - Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland'. Kapitel zwei zeigt Schmitts Zusammenarbeit mit Popitz 1930-1933 als eine "Form der staats-theoretischen Bewältigung des neuen Wirtschafts- und Interventionsstaates" (4). Bentin erkennt die Entpolitisierungsaufgabe des starken Staates und eine Differenz zum späteren nationalsozialistischen Totalstaat (vgl. 111 f., 114f., 160). Er sieht Popitz in der Tradition preußischer (vgl. 23) und Hegelscher Staatsidee (vgl. 34), betont Übereinstimmungen im Interesse am Fortbestand des Berufsbeamtenturns (vgl. 99, 125, 139, vgl. Schmitt 1975, 106), einer staatlichen Einheit (126), autoritärer, diktatorischer Führung (99,111, 133) und besonders Übereinstimmungen in der Wirtschaftstheorie (113, 125). Eine Differenz sieht Bentin in Schmitts abschätzigem Urteil über Popitz' ,Bildungsreligion' (52, 128) und der Frage nach der Geschichtlichkeit der Staatsidee (58f., 134ff.). 1975 rechtfertigt Schmitt seine Mitarbeit am Reichsstatthaltergesetz mit seiner Freundschaft zu Popitz. Der Freund telegraphierte, während Schmitt sinnigerweise auf einer Osterreise nach Rom war, "dann machte ich einfach mit. Das war aber auch schon meine Mitarbeit mit Hitler" «1975, 106f.). Dagegen zeigt Bentins erstes Kapitel Popitz' Weg in den Widerstand. 55 vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt 1971, 317f. 56 vgl. Lietzmann, Vater der Verfassungsväter? earl Schmitt und die Verfassungsgründung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Hansen / Lietzmann 1988, 107/118; dazu Scholz, Vater der Verfassungshüter? Wie earl Schmitt Einfluß auf die Entstehung des Grundgesetzes nahm. In: FAZ, vom 15.2.1989.
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Verfassungsrechtliche Aufsätze von 1929 bis 1932 gruppiert Schmitt unter ,Das Problem des Hüters der Verfassung und der verfassungsrechtlichen Garantien' als Antworten auf eine ,Ausgangslage' , die er durch Reichstagsauflösungen und das Vordringen eines ebenso disparaten wie anspruchsvollen, mithin ideologisch brauchbaren Grundrechtsteils gekennzeichnet sieht. Diese Aufsätze stehen demnach im Umkreis der Fragestellung der Monographie ,Hüter der Verfassung' von 1931, der ersten größeren Arbeit seit der ,Verfassungslehre' und Schmitts transparentester Gesamtdarstellung der Verfassungslage. Schriften von 1931 bis 1933, darunter ,Legalität und Legitimität', charakterisieren die ,Verfassungsrechtlichen Aufsätze' dagegen als politische Antworten auf ,Ausnahmezustand und Bürgerkriegslage' . Gehen wir diese Aufsätze unter der Leitfrage nach dem Verfassungsschutz durch. ,Zehn Jahre Reichsverfassung' kennzeichnet Schmitt durch ein Vordringen der grundrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Da in der offenen Verfassungslage die Rechtspraxis an Gestaltungsmacht gewinnt, gilt ihm die Justiz zunächst als der "eigentliche Träger jenes Vordringens" 57. Als Jurist ist Schmitt für die Gefährdungen der Verfassung durch die Justiz besonders empfindlich. In der Festgabe für das Reichsgericht fragt er 1929, ob ,Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung' in Betracht kommen soll; er meint, daß "der ,Hüter der Verfassung' sich heute weniger gegen die Exekutive als gegen die gesetzgebenden Instanzen richtet" 58, und ermahnt das Reichsgericht, nicht in diesen politischen Prozeß einzugreifen, weil die Justiz durch ihre Politisierung "alles zu verlieren und die Politik nichts zu gewinnen" 59 habe. Aus Furcht vor einer justizförmigen Politik lehnt Schmitt eine politische Justiz ab, weist die Justiz in ihre "eigene verfassungsmäßige Sphäre"6