Passionspredigten [2. Aufl., Reprint 2021]
 9783112491225, 9783112491218

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passionspredigRn von

D. Wilhelm Bahnsen Generalsuperintendent, Oberkonsistorialrat und Oberpfarrer a. D in Coburg, früher Prediger an der St. Philippus - Jfpostelkircbe in Berlin.

Zweite Auflage.

Berlin • Verlag von Arthur Blaue - 1909.

Im gleichen Verlage erschien:

Herr, bin ich’s? Sieben Passionsbetrachtungen in Charakterbildern aus der Leidensgeschichte.

Von Dr. phil. Hermann Franke. » Geheftet M. 1.—, gebunden M. 2.—.

lese Passionsbetrach* tungen in Charakter­ bildern haben viel Anziehendes. Geschildert sind Simon Petrus, Kaiphas, Pontius Pilatus, Judas Ischanoth, Herodes Antipas, Jo­ hannes der Jünger und Jesus Christus. Der Verfasser ver­ steht es in feiner Weise, die Charakterzüge der einzelnen hervorzuheben und so die Persönlichkeit plastisch vor Augen zu stellen.

»

Dein Reich komme! Nachgelassene Predigten über das

Vaterunser und einige andere Texte

von KARL LÜHR, weiland Pfarrer in Gotha.

Geheftet M. 2.-,

gebunden M. 2.60.

s sind schöne Zeugnisse eines freien und frommen Christenglaubens, die uns hier dargeboten werden, formvollendet, tiefgründig und zu Herzen dringend, modern im besten Sinne des Wortes, insofern sie die unvergänglichen Lebensgedanken des Evangeliums unserm heutigen Geschlechte nahe zu bringen und für unsere Zeit mit ihren viel­ gestaltigen Aufgaben fruchtbar zu machen suchen."

Passionspredlaten von

D. Mlhelm Bahnsen Generalsuperintendent, Oberkonsistorialrat und Oderpfarrer a. D. in Loburg, früher Prediger an der 5t. Philippus-Jfpostelkirche in Berlin.

Zweite Auflage.

Berlin • Verlag von Jlrtbur Slaue • 1909.

Druck von Hugo Wilisch, Chemnitz.

Waviuorv. -iJer Druck vorliegender Predigten, welche meistens in der

Passionszeit des Jahres 1879 in der St. Philippus-Apostel-

Kirche Hierselbst von mir gehalten sind, bedarf eines kurzen Wortes zur Motivierung.

Daß es sich nicht um Predigten handelt, die

beanspruchten, in weiteren Kreisen Aufnahme zu finden, braucht

wohl nicht erst gesagt zu werden.

So sehr es mich natürlich

freuen würde, wenn sie hier und da auch eine sernerstehende

Seele erreichten, die Erbauung in ihnen finden könnte, so kann ich mir doch sagen, daß mein Leserkreis vorzugsweise aus meinen

treuen Zuhörern in der alten und neuen Gemeinde sich bilden wird.

Ihnen seien sie daher vor allem geboten, ihnen mögen

sie eine Erinnerung sein an die gemeinschaftlich im Gdtteshause

verlebten Stunden.

Für mich tritt aber als Motiv zum Druck

noch ein zweites hinzu.

Ich möchte Solchen, die ein Interesse

daran haben, zeigen, wie ich zu predigen pflege.

Nicht als ob

ich diese Sammlung der rabies theologorum zur Beurteilung unterbreiten wollte.

Air einem von Parteiinteressen beeinflußten

Utteil liegt mir wenig.

Sollte aber hier oder da ein unbefan­

genes frommes Gemüt durch dieselbe sich angezogen fühlen und

bekennen: „Hier wird Christus gepredigt", dann hätte ich meinen Wunsch erreicht. Jenes vielgelobte „Zeugnisablegen" der Parteien wird man zwar hoffentlich vergebens in diesen Predigten suchen.

Dagegen ein Zeugnis von der Herrlichkeit des Herrn im edleren Sinne des Wortes möchten auch sie sein. Berlin im Dezember 1879.

Bahnsen, Prediger.

Vorwort zur zweiten Auflage.

Was vor neunundzwanzig Jahren als ein erster Versuch

von mir der Öffentlichkeit übergeben ward, soll in einem Neudruck

hinausgehen. Es wäre unnatürlich, wenn das, was damals der Anfänger von seiner Aufgabe dachte, einem aus dem öffent­ lichen Leben Zurückgetretenen nicht viel anders erschiene. Jedoch

der Umstand, daß gerade die letzten Jahre den Passionspredigten

einen erweiterten Leserkreis gebracht, hat mich überhaupt bestimmt, eine zweite Auflage der ersten folgen zu lassen. Er ist aber auch Grund, weshalb ich geglaubt habe, nichts gegen früher ändern zu dürfen. Daß meine der ersten Auflage beigegebene Arolser Abschiedspredigt hier wegbleibt, hat seinen Grund darin, daß das, was seinerzeit durch den Druck veranlaßt wurde, jetzt nach fast 3 Jahrzehnten als Grund wohl wegfällt. Den an­ fänglichen Plan, eine Reihe Predigten über die Nachtgestalten

der Passionszeit hinzuzufügen, habe ich

aufgeben zu müssen

geglaubt, weil das mich genötigt hätte, zu Arbeiten aus meiner

späteren Amtstätigkeit zu greifen, und ich dann vor die Alter­

native gestellt wäre, entweder ein Ganzes zu bieten, dem die Einheit fehlt, oder doch schließlich zu wesentlichen Änderungen dieser Jugendarbeit zu greifen. Coburg im November 1908. D. Bahnsen, Generalsuperintendent, Oberkonsistorialrat u. Oberpfarrer a. D.

I.

Die Bedeutung de>§ Meidens Jesu. Der Grund, da ich mich gründe,

Ist Christus und sein Blut;

Das machet, daß ich finde

Das ew'ge, wahre Gut.

Amen.

Luk. 18, 31-34.

Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem!" so spricht der Heiland in dem verlesenen Texte zu seinen Jüngern, und wie unendlich

viel liegt doch für ihn in diesen wenigen Worten!

Den ganzen

Inhalt langer, den Augen der Seinen verborgener Seelenkämpfe

hat er in dieselben hineingelegt, den ganzen Inhalt reicher Auf­ schlüsse über sein Leben und seinen Beruf, die in füllen Stunden

sein himmlischer Vater ihm gegeben.

Die Notwendigkeit seines

Leidens und Sterbens ist ihm je länger, desto mehr vor die Seele getreten und die Lösung der Frage, warum ihn, den Sohn des allmächtigen Gottes solch herbes Geschick treffen müsse, hat er

schließlich darin gefunden, daß die Schrift es also wolle, daß der weise Rat Gottes es also bestimmt habe, daß dadurch seine Herrlichkeit bedingt sei, und wenn er nun ausruft: „Sehet, wir

ziehen hinauf gen Jerusalem," so steht ihm dieser Gang in seiner ganzen Bedeutung klar vor Augen.

Aber nicht das gleiche Ver­

ständnis dieses ernsten Ganges findet sich bei denen, an welche der Heiland seine Worte richtet: „Sie aber vernahmen der keins,

und die Rede war ihnen verborgen, und wußten nicht, was das gesagt war;" so heißt es von den Jüngern.

2 „Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem!" so ergeht auch

heute wieder der Ruf an die gesamte Christenheit, heute, da wir abermals in die heilige Passionszeit eintreten.

Aber der

Gegensatz von ehedem wiederholt sich auch hier wieder.

Während

Millionen ihre Hände zum Gebete falten, um den reichen Passions­

segen auf ihre Häupter herniederzuflehen,

während Millionen

den Heiland auf seinem Leidenswege begleiten, der hohen Be­

deutung dieses Ganges sich wohl bewußt, heißt es auch heute noch von Millionen:

„Sie aber vernahmen der keins, und die

Rede war ihnen verborgen, und wußten nicht, was das gesagt war." Während für uns unendliche Segensströme ausgehen gerade

vom Kreuze Christi, heißt es auch heute noch: das Kreuz ist den

Juden

ein Ärgernis

und

den Griechen

eine

Torheit,

bleibt

dieser Segen auch heute noch denen verschlossen, die mit dem Dichten und Trachten der Welt an ihn herantreten.

Aber wie

denn? ist die Grenzlinie eine scharf markierte zwischen denen, die den Segen des Kreuzes mißachten, und denen, die ihn völlig empfinden?

Müssen wir nicht vielmehr sagen: Ach, das eigene

Herz ist der Schauplatz immerwährenden Schwankens; bald folgt es dem Weltsinn, der kühn und selbstvermessen das Kreuz ver­ achtet, bald schwingt es sich wieder empor zu jenen Höhen, wo

es unter des Heilands eigener Zucht immer mehr in die Be­ deutung seines Leidens sich zu vertiefen sucht; bald läßt es vor jenem sich warnen, weil es den Abgrund erkennt, an den er uns

führt, und ist dann auch wohl geneigt, für dieses sich zu öffnen;

bald läßt es wieder von diesem sich abziehen und durch jenen

sich überwinden.

O, eine ernste Warnung für uns alle, bei dem

Eintritt in die heilige Passionszeit ihre große Bedeutung treu zu

erwägen und uns nicht etwa in unsrer Stellung zu ihr schon für vollkommen zu halten!

Darum soll denn heute unsre Aufgabe

sein, den reichen Inhalt zu erforschen, den der Heiland in die Worte gelegt: „Siehe, wir ziehen hinauf gen Jerusalem!" Wir erwägen 1. die Bedeutung seiner Passion für Jesum selbst;

2. ihre Bedeutung für die Jünger; 3. ihre Bedeutung für die ganze Welt.

3

I. „Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er

wird verspottet und geschmähet und verspeiet werden, und sie werden ihn geißeln und töten;" so spricht der Heiland von sich selbst.

Die Zeichen der Zeit hatte er richtig zu deuten gewußt.

Die Schriftgelehrten und Pharisäer, deren Frömmigkeit er einst in das rechte Licht gestellt, als er in die Welt hineingerufen:

„Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn die der Schriftge­ lehrten und Pharisäer!" sie hatten seit lange schon gegen ihn gear­ beitet, sie waren bald am Ziele ihrer Wünsche; und das Volk, das einst ihm zugejubelt, das einst den neuen Propheten in ihm geschaut — ach, er kannte seinen Wankelmut, er wußte, wie

wenig es imstande war, selbständig zu handeln und mit Be­

stimmtheit auszutreten; er wußte, wie es nur allzu geneigt war, den Forderungen des religiösen Lebens dadurch zu genügen, daß

es sich anklammerte an die überlieferten toten Menschensatzungen vergangener Jahrhunderte und damit des Gewissens Stimme einschläferte, die er wachgerufen, als er zu seiner Zeit geredet:

„Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."

Die Todesstunde naht!

wach in seiner Seele?

Aber welche Empfindungen ruft sie

Bemächtigt etwa der Schauder vor dem

Tode, vor den ihm bevorstehenden Qualen sich seiner? Uns hätte

das wohl nahegelegen, denen der Gedanke an den Tod und seine Kämpfe so gar entsetzlich ist.

Genügt doch für uns schon

die Kunde von heraufziehender Lebensgefahr, die Gewißheit, an

einer unheilbaren Krankheit zu leiden, um unserm Leben die

rechte Freudigkeit zu rauben.

Gibt es doch so manche unter

uns, die aus Grundsatz die Kirchhöfe meiden und die Trauer­ häuser fliehen, auch wenn das Gefühl der Pietät sie dorthin ziehen müßte, nur um nicht an ihren Tod erinnert zu werden.

beim Erlöser findet diese Todesfurcht sich nicht.

Aber

Während wir

wohl wenigstens in ähnlichem Falle durch Mienen und Geberden

verraten hätten, wie gewaltig es in unserm Herzen sich rege, 1*

4

während wir ungestüm geklagt hätten über das herbe Geschick, das uns bevorstände, während wir selbst da, wo wir gefaßter sind, wenigstens ein Herz gesucht hätten, an dem wir uns ausweinen

könnten und das Worte des Trostes uns sagen möchte, kann der Erlöser in voller Seelenruhe seinen Jüngern eröffnen: „Er wird

überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und

geschmähet und verspeiet werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen." Ja die ganze Art dieser Eröffnung muß einen wunderbar erhabenen Eindruck

gemacht haben, muß in einer für Menschenherzen fast unbegreif­ lichen Weise erfolgt sein; denn es heißt von den Jüngern: „Sie aber vernahmen der keins, und die Rede war ihnen verborgen,

und wußten nicht, was das gesagt war." Drängt sich denn nun aber, m. L., hier nicht unwillkürlich die Frage uns aus, ob der Erlöser unempfindlich gewesen gegen allen Schmerz? und wenn wir denn auch von vornherein vor der Be­

hauptung zurückschrecken, daß er nicht menschlich zu fühlen im­ stande gewesen, so liegt doch die Annahme nahe, daß er könnte

sein Herz zu jener stoischen Ruhe genötigt haben, wo der Schmerz

keinen Einfluß mehr üben kann.

andern Seite.

Aber wir kennen ihn von einer

Wir wissen, er hatte ein Herz weich wie ein

Mutterherz, ein Herz, das keinem Einfluß gegenüber kalt bleiben

konnte, wir wissen auch, wie er in der späteren Geschichte seines

Leidens uns entgegentritt.

Ich erinnere euch nur an die Tränen

über Jerusalem, an den Seelenkampf in Gethsemane.

Darum

müssen wir tiefer uns versenken in das, was in der Seele des

Erlösers vor sich ging, als er die Worte unsres Textes an die Jünger richtete.

Es muß sein Herz Träger von Vorgängen ge­

wesen sein, die auf den ersten Blick unserm Auge verborgen bleiben.

Es liegt eine Reihe der rätselhaftesten Aussprüche uns vor,

die der Heiland von seinem Leiden getan.

„Ich bin gekommen,

daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn

es brennete schon?

Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit

einer Taufe; und wie ist mir so bange, daß sie vollendet werde"

spricht er an einer Stelle (Luk. 12, 49 und 50).

Als Judas

5 hinausgeht aus dem Kreise der Jünger, um den Heiland zu verraten, da hören mir Jesum sprechen: „Nun ist des Menschen Sohn verkläret, und Gott ist verkläret in ihm" (Joh. 13, 31).

Ja, in jenem Augenblicke, wo Jesus das letzte Mahl mit seinen Jüngern einnimmt, wo ihm fest vor der Seele steht, daß er

hinfort nicht mehr essen werde mit den Seinen, da hören wir ihn sprechen: „Mich hat herzlich verlanget, dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide."

Es geht also ein Verlangen,

eine Sehnsucht nach der Stunde des Todes durch seine Seele.

Ja, der Augenblick, vor dem uns Menschen so schaudert, gilt ihm als ein Augenblick der Verklärung und Erhöhung. Aber was war es, das zu so kühnen Hoffnungen, so kühnen

Worten ihn veranlaßte?

Dachte er daran, wie sterbend schon

mancher Vater zu seinem Sohne Worte ernster Mahnung ge­ sprochen und diese Worte des Sterbenden gewirkt, was der Lebende unter viel Mühe und Sorgen nicht hatte erreichen können? Dachte er an die gewaltige Macht, welche nach dieser Richtung

ein Sterbender auszuüben vermag?

Hoffte er etwa als eine

Marter- und Leidensgestalt erreichen zu können, was unter dem

heiteren Himmel Galiläas ihm versagt gewesen, daß das Volk unter seinem Kreuze in Scharen sich bekehren werde und als den

verheißenen Messias ihn anerkennen?

Dachte er daran, wie so

oft der Menschen Wert erst nach ihrem Tode anerkannt wird, wo der Neid verstummt und mehr oder weniger das Menschen­ herz sich veranlaßt sieht, das Gute in den Vordergrund treten zu lassen? Hoffte er etwa, daß das bei seinen Lebzeiten so ver­

stockte Geschlecht nach seinem Tode empfänglicher werden würde

für die Liebe, mit der er die Welt geliebt?

Dachte er vielleicht

sogar daran, wenn er sterben müßte im Mittelpunkt des Volkes, wo das Heiligtum Jehovas stand und dieser Gott seit alters

seine Macht bewiesen, daß der Vater dann unmittelbar eingreifen

und seinen Gesalbten den Machthabern der Welt hinstellen werde als den, der er war?

O, m. L., sein Herz denkt höher.

In stillen Stunden hat er bei Gott, bei seinem Vater, den Aufschluß gesucht über die Notwendigkeit seines Leidens.

Da

6 mögen wohl Stellen der Heiligen Schrift ihm vor die Seele

getreten sein wie die, wo sie redet vom frommen Knechte Gottes, der um unsrer Missetat willen verwundet wird und um unsrer Sünde willen zerschlagen (Jes. 53, 5).

Als Sohn seinem himm­

lischen Vater treu ergeben, sieht er auch im heraufziehenden Leid

Gottes Vaterliebe, weiß er, daß wie sein Leben so auch sein Tod

der Menschheit großes Heil bringen werde.

Daher die Sehnsucht,

daher das Verlangen nach der Stunde seines Todes. Wohl, um das zu verstehen, dazu gehört ein andres Herz, als wir es für

gewöhnlich besitzen.

Dazu gehört ein Herz, das an sich nicht

denkt, sondern mit Aufopferung alles Eigenwillens nur fragt nach dem Heil der Menschheit. Dazu gehört ein Herz, das von seinem Gottvertrauen nicht läßt, auch da, wo die schwersten Stunden

des Lebens hereinbrechen, ein Herz, das an dem Sieg des Guten, Schönen, Wahren nicht verzweifelt, auch da, wo das Gegenteil

zu triumphieren scheint. Kinder des Staubes, wie wir, sind dessen nicht fähig.

Das vermag einzig der eingeborene Sohn des leben­

digen Gottes.

II. Hat etwa der Sohn Gottes trügerische Stimmen vernom­

men, als er gelernt, daß er sterbe zum Heile der Menschen, daß er sein Blut vergießen müsse zu einer Erlösung für viele?

Wir

blicken zunächst auf die Jünger, welche sich um ihn geschart

und auf welche zuerst seine Segnungen sich erstrecken mußten. Es waren auch für sie Worte ernstester Bedeutung, die der

Heiland zu ihnen sprach:

„Er wird überantwortet werden den

Heiden, und er wird verspottet und geschmähet und verspeiet

werden, und sie werden ihn geißeln und töten." Wir schwanken, ob wir die Jünger glücklich schätzen oder bemitleiden sollen, daß sie den ganzen Umfang dieser Worte nicht verstehen, daß es von

ihnen heißt: „Sie aber vernahmen der keins, und die Rede war ihnen verborgen." Ja, derselbe Wechsel zwischen Seligpreisung und Mitleid erfüllt wohl uns, wie er ein Mutterherz beschleicht, wenn

7 es am Sarge des Gatten hinblickt auf das Kindlein an seiner

Seite, das noch nicht ahnt, was es im Vater verloren. Aber es

hat nicht lange mehr gewährt, da ist das Wort des Meisters den

Jüngern in seinem ganzen Umfange nahegetreten.

Der heitere

Himmel, der einst in Galiläa über ihnen gelacht, als der Heiland ihnen verheißen: „Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen

und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren aus des Menschen Sohn," er hat sich verfinstert, und schwere Gewitterwolken sind

Hast du jemals in deinem

über ihren Häuptern heraufgezogen.

Leben ähnliche Erfahrungen gemacht, wie jene Jünger, hast du

ganz

jemals

andern dich

einem

anvertraut,

mit all deinem

Hoffen dich an ihn angeschlossen, weißt du, wie einem Weibe

ums Herz ist, dem in der Blüte der Jahre der Gatte aus den Armen gerissen wird, was eine Mutter fühlt, die ihr ganzes

Leben ihrem einzigen Sohne geweiht und danach an seinem Sarge

stehen muß? o, dann ahnst du annähernd, was jene Jünger

mit ihrem Meister verloren.

Wir hören daher auch sicherlich nicht umsonst den Erlöser mit banger Besorgnis sprechen zu Petrus:

„Simon, Simon,

siehe der Satanas hat euer begehret, daß er euch möchte sichten, wie den Weizen."

Es ist, als hätte er bei diesen Worten an­

deuten wollen, wie Judas ihn verraten, Petrus ihn verleugnen

und die Jünger alle in große Gefahren kommen würden.

Aber

dennoch hören wir wiederum an andrer Stelle, wie der Erlöser gerade um seiner Jünger willen so freudig seiner Zukunft entgegen­

schaut, hören, wie er zu ihnen sagt:

„Es ist euch gut, daß ich

hingehe.

Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht

zu euch.

So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden."

Und wahrlich, er hatte recht geredet. Siehe, wenn abends der einsame Wanderer die Sonne un­ tergehen sieht, dann beschleichen wohl bange Sorgen sein Herz, ja, es ist ihm, als scheide mit dem untergehenden Lichte alles von ihm.

Der Pfad droht unsicher zu werden, alle Wärme zu

schwinden, alle lieblichen Bilder von der Nacht verhüllt zu wer­ den.

Aber

alsbald

steigt

der Sternenhimmel

empor.

Des

8 Wanderers Brust erweitert sich, und ist die Pracht dieser Erde ihm

auch verhüllt, so tut die Pracht einer höheren Welt sich ihm auf. Tief beschämt fällt er dann wohl anbetend nieder vor des

Schöpfers Weisheit, die er eben getadelt, und sein Herz ist nur

des einen Lobes voll: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel; du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter!" Ähnlich geht es auch in der Welt des Geistes.

Wenn die Lichter dieser Welt schwinden, dann gehen die Lichter der höheren Welt auf.

Die Erfahrung haben auch jene Jünger

gemacht, die einst ihren Meister mußten scheiden sehen. Sie, die mit ihm die Sonne ihres Lebens untergehen sahen — für sie war gerade sein Grab die Geburtsstätte ihrer seligsten Hoffnun­

gen, ihres Glaubens, der triumphieren konnte über Welt und Tod. Was war es, das einst die Jünger zu Jesu hingezogen hatte? Es war die Hoffnung, den gefunden zu haben, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben (Joh. 1, 45). O, selige Herzen, die träumend mit den Farben der lebhaftesten

Phantasie dies Bild sich ausmalen konnten, die dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch manch treues Vater- und Mutter­ herz mit den schönsten Erwartungen erfüllten! Wer hätte glück­ licher sein können als sie, wenn sie schweigend des Meisters Fuß­ stapfen folgten und nach dem Augenblick ausspähten, wo er seine

Schritte nach Jerusalem hinlenken würde, um dort den Thron Davids wieder aufzurichten, wer glücklicher als die Mutter der Söhne Zebedäi, wenn sie im Geiste schon ihre Kinder zur Rechten und Linken des Messiasthrones sah? Und doch, gerade hier

war der Punkt, wo es erst anders werden mußte in ihnen, hier war der Punkt, wo nur der Kreuzestod den Herzen aus den rechten Weg helfen konnte. Alle fleischlichen Messiashoffnungen mußten

zu Grabe getragen werden, danlit edlere aufkommen konnten; der irdischen Erhöhung auf einen weltlichen Thron mußte die irdische Erhöhung ans Kreuz entgegengestellt werden, damit die geistige Majestät im rechten Lichte erscheine. Was halfen alle dunkeln Reden im Sprichwort, alle Worte, die wohl zu ernstem Nach­

denken hätten treiben müssen, aber doch verhallten? Herzen wie

9 die der Jünger konnten nur auf die richtigen Wege gelenkt werden

durch tieseinschneidende Tatsachen, durch die Nacht der Trübsal, die alle irdische Hoffnung mit einem Schlage vernichtete. Es ist wahr, die Jünger hatten wohl eine Ahnung dessen,

was in Jesu verborgen war.

Der Verkehr, den er mit ihnen

gehabt, die erhabenen Worte, die er zu ihnen geredet, die Ma­ jestät, die aus seinem ganzen Wesen ihnen entgegengetreten, das

alles war nicht spurlos an ihnen vorübergegangen, ja sie konnten zu Bekenntnissen sich nötigen lassen, wie zu jenem: „Herr, wohin

sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens."

ging ihnen, wie so manchem unter uns.

Doch es

Wir werden hingewiesen

auf den Erlöser in den Jahren der Kindheit.

Seine Person,

seine Worte ziehen uns an, und entrüstet hören wir wohl das Gerede derer, welchen der Heiland nur ein Gegenstand des Spottes

ist.

Doch, wenn wir sagen sollten, was eigentlich uns zu ihm

zieht — wie mancher unter uns würde da eine klare und be­ stimmte Antwort schuldig bleiben!

Auch den Jüngern hättest du

alle Schätze der Erde bieten können, außer dem einen wäre

keiner dazu imstande gewesen, seinen Meister dafür zu opfern. Aber wenn sie hätten sagen sollen, was denn den Meister ihnen

so teuer mache, dann hätten sie geschwiegen, und wenn sie auch geantwortet hätten, er sei ja Christus, der Sohn des lebendigen

Gottes, so hätten sie doch über diesen Ausdruck nicht Rechenschaft

geben können.

Hier ist es, m. L-, wo der Segen der Passions­

zeit für sie einsetzt.

der

Es ist wohl eine ernste Prüfungszeit,

eine dem Tode verfallen,

der

da

andre seiner Schwachheit

wenigstens für Augenblicke erliegen muß, aber es ist auch eine Zeit,

da das Saatkorn, das in ihre Herzen hineingelegt ist,

aufkeimen und Frucht bringen muß.

Ihr Herz wird immer

mehr hingelenkt auf die höhere, geistige Bedeutung des Meisters, und als sie am Ostermorgen an seinem Grabe stehen, da wird

der Glaube in ihnen wach: der Herr ist wahrhaftig auferstanden.

Man sagt wohl, auf Regen folgt Sonnenschein.

Hätte eine glän­

zendere Sonne aufgehen können nach den Stürmen und Unge­ wittern, die sie erlebt, als der über Tod und Welt triumphierende

10 Heiland, der von da ab seinen Siegeszug antreten sollte durch den Gang der Jahrhunderte?

III.

Doch, wir kommen zur dritten Frage, die uns heute beschäf­

tigen soll.

Welche Bedeutung hat die Passionszeit des Erlösers

für uns?

Ein heiliger Schauder zieht ein in ein Christenherz,

sobald nach Ablauf eines Jahres die Passionszeit wieder sich

naht, und es ist sicherlich nicht umsonst, daß an dem Tage, an dem sie auf ihrem Höhepunkt angelangt ist, am Karfreitage, auch

solche Herzen zu dem Erlöser sich hingezogen fühlen, welche sonst jahraus, jahrein ihm fernebleiben.

Es ist nicht umsonst, daß der

Erlöser nicht da so mächtig unsre Herzen rührt, wo er, die Menschheit beglückend, an Krankenbetten und an Sterbelagern

steht und sein „Stehe auf und wandle" in dieselbe hineinruft,

nicht da so mächtig, wo er wie Blitzstrahlen die Worte seiner

Bergpredigt in die andächtig lauschende Menge schleudert, als da, wo er leidend und sterbend vor uns steht. Es ist nicht umsonst,

daß in unsern Evangelien gerade die Passionszeit mit besonderer Ausführlichkeit erzählt wird, daß der Apostel Paulus, der doch mit solcher Liebe an seinem Erlöser hängt, aus seinem Leben

nur vereinzelte Tatsachen anführt und seine Gedanken und seine Hoffnung einzig an das Kreuz anknüpft.

Es ist nicht umsonst,

daß gerade das Kreuz das Symbol des Christentums geworden ist, daß es prangt weithin sichtbar auf unsern Türmen, daß es

unsre Gräber ziert und unsre Gotteshäuser kennzeichnet.

Es

ist nicht umsonst, daß gerade die Predigt vom Kreuz es ist, die dem Christentum Eingang verschafft hat in aller Welt.

Aber was ist es denn, was zum Kreuze des Herrn uns zieht?

Ist es nur der Gedanke, daß unser eigenes Leben hie-

nieden eigentlich ein fortlaufender Leidensgang ist, daß wir selbst

so oftmals zu kämpfen haben mit der Feindschaft der Welt, mit Krankheit und anderm Mißgeschick des eigenen Hauses?

Ist es

das, daß unser Herz so eine gewisse Befriedigung darin findet.

11 unter dem Kreuz des Erlösers sich einmal recht auszuweinen

über das Geschick unsres eigenen Geschlechts?

O, es müßten

harte Herzen sein, die in der Passionszeit nicht so etwas von diesem allgemein menschlichen Gefühl empfinden.

allein liegt der Segen der Passionszeit nicht.

Aber darin

Da haben wir

denselben wohl etwa darin zu finden, daß in ihr das hehre Vor­ bild unsres Erlösers ganz besonders erhaben uns vor die Seele

tritt, daß es so manchem, der da seufzt unter der Last dieser Welt und klagt über die vielen Leiden, die ihn betroffen, das

Bild eines wahren Dulders nahebringt und im Gegensatz zu

allen eingebildeten Leiden uns zeigt, was wirkliche Leiden sind, daß es so manchen, der gern als einen Kämpfer Gottes oder einen Märtyrer für die gute Sache sich ausgibt, zuerst hinweist

auf den Hochmut des eigenen Herzens und ihm zuruft: „Lernet

von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig!" Da ist wohl etwa das die Bedeutung der Passionszeit, daß jene

abschreckenden Bilder, die in den Feinden des Meisters uns ent­ gegentreten, uns zeigen sollen, wie tief unser Geschlecht sinken kann, daß dieselben Leidenschaften auch uns beherrschen, welche einst die Brust derer erfüllten, die den Meister an das Kreuz

gebracht, daß wir erkennen, wie die Sünde unaufhaltsam fort­

schreitet und bäumt schon in den ersten Anfängen von uns be­ kämpft werden muß. O, wohl dir, Seele, wenn die heilige Passtons­ zeit dir für dein ganzes Leben ein Vorbild nahebringt, dem du

nachzufolgen geloben willst, wenn sie mit allem Weltsinn dich brechen läßt.

Aber auch damit ist der Segen der Passionszeit

für dich noch nicht erschöpft.

Siehe, dein Erlöser, den du begleitest, er ruft dir ja zu auf Schritt und Tritt: Was ich hier leide, das leide ich um deinet­

willen, das habe ich um deinetwillen auf mich genommen; weil

es der himmlische Vater also bestimmt hat, daß durch mein Leiden und Sterben der Menschheit großes Heil widerfahre, darum lasse

ich mich verspotten, schmähen, verspeien, geißeln und töten.

denn, Menschenherz, kann das dich fühllos lassen?

Nun

Mit Recht

sagen wir ja doch: Es ist ein undankbares Kind, das alle die

12 Mühen und Sorgen vergißt, die Vater und Mutter um seinet­ willen auf sich genommen. Wäre es denn nicht auch der größte

Undank, wenn du die Liebe deines Meisters vergessen wolltest,

nach der er sich selbst geopfert hat um deinetwillen? O, wenn anders dein Herz noch fühlen kann, dann mußt du schließlich sprechen: Liebe, die durch Tod und Leiden Für mich hat soviel getan, Liebe, die mir ew'ge Freuden,

Heil und Seligkeit gewann,

Liebe, dir ergeb' ich mich.

Dein zu bleiben ewiglich.

Ja, das ist die gewaltige Macht der Passionszeit, daß dort

Liebesarme uns aufwärtsziehen, hinauf zu Gott. Was keine Worte ernster Predigt vermögen, keine Mahnungen, keine Strafen, Unter dem Kreuze Christi fällt bußfertig der Sünder nieder, unter dem Kreuze Christi wird er

das vermag die ewige Liebe.

heimgerufen ins Vaterhaus, unter dem Kreuze Christi gewinnt er die Überzeugung, daß seine Missetat ihm vergeben, unter dem Kreuze Christi wird er wieder ein Kind seines himmlischen Vaters. Amen.

II.

Die Tränen Jesu über Jerusalem.

Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, Mich in das Meer der Liebe zu versenken,

Die dich bewog, von aller Macht deS Bösen Mich zu erlösen.

Amen.

L«k. 19, 41-44. 38enn der Wanderer von ferne die Türme der Vaterstadt

erblickt, nach der er sich lange gesehnt, dann klopft ihm wohl das Herz stärker denn sonst bei dem Gedanken, ob er noch am Leben finden würde die Eltern, die er einst verlassen, die Ge­ schwister, aus deren Armen er einst sich losgerissen; und wenn

wir an einen neuen Ort ziehen, wo eine neue Wirksamkeit sich

uns auftut, dann erfüllen wohl Tränen unsre Augen, wenn wir der Zukunft gedenken, die dunkel noch vor uns liegt. Hast

du das im Auge, mein Christ, dann ahnst du, was den Erlöser zu seinen Tränen veranlaßte. Von Osten kommend über die Höhe des Ölberges, sah er die heilige Stadt Jerusalem jetzt vor sich. Zwischen ihm und jenen Bergen, auf denen sie gebaut war, lag nur noch das kleine Kidrontal. Das war die Stadt, wo Jehova seine Wohnung hatte, in deren heiligem Tempel er

einst als zwölfjähriger Knabe sich so glücklich gefühlt. Das war die Stadt, wo die Könige Israels gethront, das war die Königs­ stadt auch des verheißenen Messias, als der er in der Welt aufgetreten war. O, wieviel schöne Erinnerungen, wieviel schöne Hoffnungen und Verheißungen, wieviel liebliche Bilder knüpften

sich ihm an den einen Namen Jerusalem!

14 Wenn sich ein irdischer König den Toren seiner Königs­ stadt naht, da ziehen ihm entgegen die Großen dieser Welt, da entfaltet sich alle Pracht und alle Herrlichkeit derselben, da strahlt das Antlitz des kommenden Herrschers vor Freude, da ruht sein Auge mit Wohlgefallen bei dem fernen Palast, da denkt er an die Krone, an den Thron, die seiner warten. Aber was finden

wir von dem allen hier? In Jerusalem regt sich nichts, um Jesum als König zu empfangen. Der Mann, dem man als

Herrscher huldigte, der wohnte ja im fernen Rom.

Wohl wartete

des Erlösers in Jerusalems Mauern eine Krone; aber es war die Dornenkrone. Wohl sollte dort ein Zepter ihm in die Hand gegeben und ein Purpurmantel ihm angetan, wohl sollte er mit

dem Königsnamen angeredet werden; aber nur der Spott des römischen Soldatenpöbels und des feigen Pilatus sollte sich darin zeigen. Er sollte erhöhet werden, aber nicht auf den Thron, sondern ans Kreuz. Er sollte feierlich seinen Einzug halten, Palmen sollten ihm gestreut werden, Lobgesänge sollten ertönen. Aber das alles sollte nur Zeugnis ablegen vom Wankelmut des Volkes und bald in das Gegenteil umschlagen. Lange ist der Erlöser seines Weges dahingezogen, ohne daß äußerlich zutage

getreten wäre, was im Innern seines Herzens wogte. Jetzt bricht er aus in Tränen, und so laßt uns nun in dieser Stunde dadurch unsre Textesworte für unsre Erbauung uns fruchtbar zu machen suchen, daß wir fragen

1. nach dem Grunde seiner Tränen; 2. ob diese Tränen auch uns etwas sagen.

I. „Und als er nahe hinzukam, sahe er die Stadt an und weinete über sie;* so beginnt unser Text. Wenn die Festpilger sonst der heiligen Stadt sich nahten, dann leuchtete die Freude

aus aller Augen. Jerusalem war ja der Name, dessen schöner Klang sich vererbte von den Vätern auf die Kinder, von Geschlecht auf Geschlecht. „Vergesse ich dein Jerusalem, so werde meiner Rechten

15 vergessen;" so hören wir den Psalmisten sprechen (Ps. 137, 5).

Jerusalem — ein heiliger Schauder zog ja bei diesem Klang durchs Herz.

Hier sehen wir dagegen den Welterlöser weinen

vor seinen Toren.

Konnte es denn seine Seele nicht erheben,

daß er die Stadt vor sich hatte, die Gott sich erkoren, wo einst David, der mächtige Stammvater seines Geschlechtes, gethront,

wo der Tempel stand, wo die Propheten gepredigt? Ja, gerade weil ihm das alles vor der Seele stand, deshalb entrollten Tränen

seinen Augen.

Vor ihm lag ja der Weg, auf dem er am Abend

des Verrates zu den Toren Jerusalems hinausgehen sollte nach

Gethsemane hin.

Zu seinen Füßen rollte der Kidron dahin; er

war einst Zeuge gewesen, wie David fliehend Jerusalem ver­ lassen, er sollte auch Zeuge sein, wie der größte Sohn Davids

in nächtlicher Stunde hinausziehen mußte aus der heiligen Stadt. Vor ihm lag der Palast des Hohenpriesters, wo er Zeugnis ab­ legen sollte, daß er sei Christus, der Sohn Gottes, wo die Feinde sein Todesurteil sprechen und als einen Gotteslästerer den Hei­

ligen Gottes hinausstoßen sollten, wo er erfahren mußte, daß der Jünger, den er für den stärksten gehalten und zu dem er

einst gesprochen:

„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich

meine Gemeinde gründen" — daß der Jünger von ihm sagte: „Ich kenne den Menschen nicht."

Da lag vor ihm die Höhe von

Golgatha, wo das Kreuz ihm errichtet werden und er den letzten

Todeskampf kämpfen sollte.

Ist es wunderbar, wenn dieser An­

blick seine Tränen fließen ließ? Doch, m. L., der Erlöser weint nicht über sich und seine

Schmerzen. Seine Tränen gelten Jerusalem, gelten seinem Volk, dessen Mittelpunkt diese Stadt ist:

„Es wird die Zeit über

dich kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder

mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängsten und werden dich schleifen und keinen Stein auf

dem andern lassen; darum, daß du nicht erkannt hast die Zeit,

darinnen du heimgesucht bist;" so hören wir den Erlöser reden;

und wer einige Jahrzehnte später an derselben Stätte gestanden, wo der Heiland diese Worte gesprochen, der hätte überall sehen

16 können die feindlichen Scharen, die über die Grenzen Judäas hereingebrochen, der hätte das Geschrei und Wimmern der Ster­

benden gehört und die Haufen der Leichen gesehen, welche Jeru­ salems Gassen erfüllten.

Sein Auge hätte geweilt bei den Flam­

men, die von der heiligen Stadt zum Himmel emporloderten,

bei den Gefangenen, die mit verbissener Miene ins unvermeidliche Geschick sich fügen und dem fremden Herrn mit Widerstreben

folgen mußten, um seinen Triumph in der Hauptstadt der Welt zu verherrlichen.

Er hätte mit Entsetzen erzählt, was er gesehen,

eine belagerte Stadt, von einem Schicksal erreicht, wie die Welt­

geschichte vor- und nachher kaum ein schwereres aufzuweisen hat.

Nicht nur von dem Drängen des äußeren Feindes hätte er zu reden gewußt, nicht nur vom grauenhaften Bilde des Hungers,

der innerhalb der Mauern wütete, sondern auch davon, wie die

Belagerten, durch blinden Fanatismus getrieben, in einer an Wahn­

finn grenzenden Weise sich selbst zerfleischten. Dies Schicksal Jerusalems hat der Erlöser vorausgesehen,

als er weinend vor seinen Toren stand.

Denn was war es,

was da innerhalb der Mauern der Stadt wogte?

Tausende

waren aus der Ferne dorthin zusammengeströmt, um das Passah­

fest zu feiern in der heiligen Stadt — und was ging in all den Herzen vor sich?

War es nur der Durst nach dem lebendigen

Gott, der sie bewegte? — Wir wollen hier nicht reden von all

den geheimen Sünden, zu denen besonders große Städte immer Veranlassung bieten, nicht reden von den Schlupfwinkeln des Lasters, die wohl besonders blühen, wenn von nah und fern die

Völker an solchen Mittelpunkten zusammenströmen, nicht reden davon, wie auch Jerusalem trotz der heiligen Festzeit von dem allen genug wird aufzuweisen gehabt haben.

Denn wie wir es

ja noch immer erfahren können, wie die Geschichte an mehr als

einem Beispiel es uns lehrt, werden auch die religiösen Feste, ach, nur allzuoft der Welt eine Gelegenheit, um ihre Feste zu feiern.

Auf ein anderes laßt mich euch Hinweisen.

Was dort ganz

besonders groß gezogen ward, war der Fanatismus.

Aus den

Augen der Jugend leuchtete er den Fremden entgegen.

Unter

17 seinem Gewände trug jeder Patriot den Dolch, um bei passender Gelegenheit den Feind zu töten.

Gegenüber dem Landesfeinde

war eben kein Mittel zu schlecht, wenn es nur zum Ziele führte.

Im Innern selbst war das Volk zersplittert, standen die Par­ teien der Pharisäer und Sadduzäer einander feindselig gegenüber,

und was sie erstrebten, ward mit einem Eifer verfolgt, der einer besseren Sache würdig gewesen. Von ferne erblickt der Erlöser den

Tempel mit seiner Pracht und Herrlichkeit. schaft zu Hause, die

Dort ist die Priester­

das Volk unter tote Menschensatzungen

knechtet, so daß der warme Pulsschlag alles wahren religiösen

Lebens je länger desto mehr vernichtet werden muß.

Tausende

von Opfern werden da gebracht, und reichlich fließt das Blut der Opfertiere, aber die Opfer vergißt man, die Gott gefallen,

welche sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes und zerschla­ genes Herz (Pf. 51, 19); das Wort des Apostels kennt man

nicht:

„Begebet eure Leiber zum Opfer, das da lebendig, heilig

und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottes­

dienst."

Von ferne erblickt der Erlöser den von Herodes neu er­

bauten Palast, und welche Gedanken ruft der nicht in seiner Seele

wach!

O, altes DavidischesKönigsgeschlecht, das einst in dieser

Stadt gethront und im Tempel Jehovas dem höchsten Gotte seine Lieder gesungen, wo bist du geblieben?

Die Kinder und

Kindeskinder des großen Königs, der einst in seiner Not dort

zu Gott gefleht und im Sack und in der Asche Buße getan, sie sind gefallen durch ihre Sünde und Verblendung.

O, edles

Geschlecht der Makkabäer, wo bist du geblieben? Einst hat der greise Vater mit seinen Söhnen voll Heldenmutes die Sache

Gottes verteidigt, aber die kommende Generation hat den Geist

des Vaters nicht bewahrt.

Ein neues Geschlecht hat den Thron

eingenommen, dessen Grausamkeit sich widerspiegelt im Morde der unschuldigen Kinder zu Bethlehem, das das Haupt des Täu­ fers Johannes gefordert. dieses Geschlechts!

O, wieviel Blut klebt an den Händen

Wie hat die Grausamkeit eines Herodes ge­

wütet gegen die letzten Glieder des Makkabäerhauses, wie hat sie Hand angelegt selbst an die eigenen Söhne!

Von fern

2

18 erblickt der Erlöser die Burg Antonia. Dort befindet sich die römische Besatzung, welche die Stadt beherrscht und die Oberhoheit Roms dem Volk immer wieder ins Gedächtnis zurückruft. Teure heimatliche Erde, wie bist du entweiht! Heiden haben deine Tore betreten, was alles ist vorgegangen, bis es dahin gekom­ men! Armes geknechtetes Volk, wie mußt du büßen um deine Vergangenheit! Ihr heidnischen Söldner, wer hat euch gesandt? In Rom ist euer Gebieter. Auf den Wink seines Fingers zittert

und bebt die Erde. Für ihn gibt es nichts Heiliges mehr. Er betet nicht an den lebendigen Gott Himmels und der Erde, son­ dern die Welt mit all ihrer Lust. — Verstehen wir es, wenn unter allen diesen Eindrücken Tränen den Augen des Erlösers

entrollen und er ausruft: „Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ist es deinen Augen verborgen." Unaufhaltsam eilte der Strom der Sünde dahin; aus tausend Schlupfwinkeln

bekam er immer neue Nahrung; schließlich mußte er alles Be­ stehende mit sich fortreißen. Es mußte die Zeit kommen, da des Aufruhrs Fackel loderte, da der Feind über die Grenzen rückte,

da man um Jerusalem und seine Kinder mit ihm eine Wagen­ burg schlagen, es belagern und an allen Orten ängsten, da man es schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen würde.

Der Erlöser hat dieses Gericht vorausgesehen. Aber als er weinend seine Worte sprach, da war die Umkehr noch möglich. An die Bewohner Ninives ergingen ja einst ähnliche Drohungen. Der Prophet Jona verkündigte ihnen: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen." Aber Gott zog seine Hand zurück, weil Jonas Predigt das Volk umkehren ließ. Auch Jerusalem

konnte noch Buße tun. In Jesu selbst war für diese Stadt die Zeit der Heimsuchung gekommen, und auf wie mannigfaltige Weise war der Ruf zur Heimkehr erfolgt! Wie oft hatte er gewarnt vor rastlosem Jagen nach den Schätzen dieser Welt, hatte ge­ sprochen: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt

gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele!"

Wie oft

hatte er gewarnt vor aller blinden Parteileidenschaft, wenn er

19 gerufen: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!" und: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen."

Ja, wie war er ihnen nahegetreten, so liebevoll, so freundlich! Wie hatte er ihnen die Umkehr zu Gott so gar leicht gemacht, wenn er sie daran erinnert, wie der himmlische Vater selbst mit

offenen Armen dem verlorenen Sohne entgegeneilt! hatte nicht gewollt.

Frieden diente.

Aber Israel

Es war ihm verborgen, was zu seinem

Ein Schleier lag vor seinen Augen, durch den

es nicht hindurchblicken konnte, der Schleier der eigenen Ver­

blendung, der eigenen Sünde. O, wie blutete das Herz des Erlösers aus tausend Wunden, als er hinblickte auf Jerusalem!

Es ging ihm in erhöhtem Maße

wie uns, wenn wir im Dunkel der Nacht einen teuren Freund auf einem Wege wissen, der schließlich auf einen Abgrund führt, dem jeder Schritt ihn näherbringen muß.

Wir sehen ihn im

Geiste wandern, wir sehen ihn im Geiste stürzen.

ihm noch nachrufen.

Wir möchten

Aber unser Ruf erreicht ihn nicht mehr,

und wir müssen uns auf den Augenblick gefaßt machen, wo die

Trauerbotschaft von seinem Tode uns überbracht wird.

II. Wir fragen zum andern, ob die Tränen des Erlösers nicht

auch uns etwas zu sagen haben.

Wenn der Heiland heute vor

unsern Toren stände, ob er dann wohl auch weinen würde?

Wohl, draußen auf unsern Gräbern würde er die Kreuze er­ blicken mit viel schönen Inschriften, und die würden ihm sagen,

daß durch seines Geistes Kraft sein Evangelium hinausgetragen sei in alle Welt, wie er selbst einst geboten. Ja, wenn der Uns«

rigen einer ihm begegnete, und er ihn fragte, wie es stünde um unsre Religion, dann würde er antworten: Christi Namen tragen die Bewohner dieser Stadt, ihm haben sie ihre Gotteshäuser

errichtet, ihm ertönen ihre Lieder; die Götzentempel, welche einst

ihre Ahnen in diesen Gegenden erbaut, sind gefallen, und wenn 2*

20 hin und wieder ein jüdisches Gotteshaus sich zeigt, dann knüpft

sich trotz all seiner Herrlichkeit doch der Gedanke an dasselbe, daß die Weissagung Jesu Christi einst in Erfüllung gegangen,

daß Jerusalem zerstört und seine Kinder in alle Lande zerstreut Aber

sind.

wenn der Erlöser

näherträte

welche Erfahrung würde er da machen!

in unsre

Gassen,

Er würde die Gottes­

häuser suchen, in denen sein Name verkündigt werden sollte, und würde verwundert fragen: Warum liegen sie gar so abgelegen?

warum sind sie gar so klein?

Er würde nähertreten und die

kleine Schar derer durchmustern, die er versammelt findet, und

wenn anders es uns eine Gewißheit ist: Er kennet seine Scharen Am Glauben, der nicht schaut —

Er kennet sie an der Liebe, Die seiner Liebe Frucht; —

dann müssen wir uns sagen, wie mancher würde auch da nicht bestehen können vor feinem scharfen Blick, wie mancher, der mit seinem Glauben, seiner Liebe sich gerühmt, würde zuschanden

werden!

Der Heiland würde hören, was von Altar und Kanzel

verkündigt wird, und wenn er die Eiferer sähe von hüben und drüben, dann würde er verwundert fragen: „Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid?" — Weiter würde er ziehen durch unsre

Gassen und neben den kleinen unansehnlichen Gotteshäusern die

glänzenden Gebäude sehen mit all ihrer Pracht und Herrlichkeit, und wenn er einträte in diese Räume — was würde er finden! Sollen wir ihn noch weiter begleiten auf seinen Wegen durch unsre Stadt, hören, was er sagen würde, wenn er hineinschaute

in die mannigfaltigen Gesichter derer, die auf den Gassen ihm begegnen, wenn er hineinschaute in alle jene Räume, wo das

Laster sich breitmacht! daß

er

auch

Ich denke, wir glauben auch so schon,

über unsre Stadt seine Tränen weinen würde

und dabei ausrufen:

Es ist doch noch immer die alte Welt,

mit denselben Leidenschaften, derselben Erdenlust, derselben Ge­

nußsucht, demselben Hochmut, demselben Wankelmut!

Es gibt

auch heute noch Tausende von Pharisäern und Schristgelehrten,

21

wenn sie auch meinen Namen im Munde führen. Taufende von Pilatusnaturen, bei denen die Entscheidung über mich und meinen heiligen Namen abhängt von allerhand politischen Gründen und selbstsüchtigen Interessen, Tausende von gemeinen Judasseelen, die mich verkaufen können um eitlen Erdentand, Tausende, die über mich sprechen: ,Kreuzige ihn!" und Barrabas losbitten können. Auch in dieser Stadt werde ich und der Geist der Wahrheit,

der von mir ausgeht, vor manches Gericht gezogen und beschul­ digt, daß ich Gott gelästert, auch hier wird mir manche Dornen­ krone geflochten, auch hier mancher Geißelschlag gegen mich ge­

richtet, auch hier manches Kreuz für mich erhoben! — Und das ist die Frucht all der Leiden und Qualen, die ich einst erduldet um euretwillen, das die Frucht alles Märtyrerblutes, das für meinen Namen hat fließen müssen, das die Frucht aller treuen Arbeit, die in meinem Dienste verrichtet wird, das die Frucht

alles edlen Strebens von jetzt bald 1900 Jahren! Liebe Gemeinde! daß wir das doch recht tief uns einprägen

möchten, der Heiland weint heute auch über unsre Stadt. Er ruft auch uns heute zu: „Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen."

Ein Schleier liegt heute auch vor unsern Blicken, und wenn zeitweilig denn auch ein greller Blitzstrahl als Zeichen nahen Ungewitters diesen Schleier durchbohrt hat, und das Verderben unserm Auge ent­ gegengetreten ist, im großen und ganzen wird der Schleier nicht von uns entfernt. Wohl hören wir hin und wieder gewaltige Klagen, aber zu einem wirklichen Abhelfen des Übels kommt

es nicht, und so eilen wir denn auch immer mehr dem Gericht entgegen, das die Weltgeschichte über uns halten wird. Jeru­ salems Sünden haben dereinst ihren Fluch getragen; wähnen wir

nicht, daß die unsrigen leer ausgehen werden; und möchte es oft so scheinen, als könnten sie triumphieren, es bleibt dennoch dabei: „die Sünde ist der Leute Verderben", und „was der Mensch säet, das wird er ernten." Ja, wenn unser Volk aus seiner Vergan­ genheit es nicht lernen will, dann wird es das aus der Zukunft

22 lernen müssen. Heute ist auch für uns noch die Zeit der Heim­ suchung da.

O, daß doch die Tränen des Erlösers uns das tief

in das Herz prägten! unsres

Nur durch einen energischen Aufschwung

religiös-sittlichen Lebens

kann unserm Volke

geholfen

werden; nicht, als ob es sich darum handelte, mit äußerem Zwang

hier vorzugehen oder überlebte Formen des religiösen Lebens und veralteten Buchstabendienst wieder ans Tageslicht zu ziehen; da­ durch würden wir das Gegenteil erreichen von dem, was wir erstreben; denn „der Buchstabe tötet; aber der Geist macht lebendig". Nein, darum handelt es sich, den Geist des Meisters wieder wach­

zurufen in der geistig oft toten Menschheit, sein Bild ihr vor die Seele zu stellen, wie er wirklich über diese Erde dahingegegangen.

Das Bild veraltet nie, der Geist behält immer seine

Kraft. Weinend steht der Erlöser heute vor unsern Toren.

bist ja sonst doch nicht unempfindlich gegen Tränen.

Du

Wenn sie

deinem Kinde herabrollen über die heißen Wangen, dann fragst

du ja doch nach seinem Schmerz, und wenn sie dem Auge deines

Vaters oder deiner Mutter entquellen in dem Augenblicke, wo sie dir Vorwürfe machen über dein Leben, da machen sie doch

Eindruck auf dich — und des Erlösers Tränen könnten dich gefühllos lassen?

Hältst du seine Tränen nur für solche eines

religiösen Schwärmers, seine Worte nur für solche eines lästigen Mahners? O, blick hinein in dein eigenes Leben!

Wie oft hast

du da schon geklagt: Wenn ich in früheren Jahren gewußt hätte,

wohin meine Trägheit mich führte, ich hätte mich mehr ange­ strengt; wenn ich gewußt hätte, welche Folgen ein leichtfertig Wort, eine unüberlegte Handlung hätte, ich hätte sie zurück­ gehalten.

Wie oftmals standest du schon am Ende einer langen

Reihe von Sünden und sagtest dir, wenn du einst ihre Quelle, ihren Ursprung gekannt, du hättest dich mehr in die Zucht des

Geistes genommen. klar

zu

sehen

Und heute willst du meinen, daß dein Auge

imstande sei?

Sei dessen

gewiß,

weil dein

Heiland weiß, wohin deine Wege führen, deshalb weint er über dich, und nur, weil du es nicht weißt, deshalb weinst du nicht

23 mit ihm.

Darum laßt es tief euch in die Seele dringen, wenn

der Erlöser zu euch spricht:

„Wenn du es wüßtest."

Er tritt

mit diesen Worten heran an die Jugend seit jenem Tage, da

er zum ersten Male sprach: „Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht."

Er tritt mit ihnen heran an das Alter,

wenn er ihm immer wieder zuruft:

nicht."

„Alter schützt vor Torheit

Euch, ihr Kinder, die ihr dem Tage eurer Konfirmation

entgegengeht, die ihr unterwiesen worden in der heilsamen Lehre und immer nur zu geneigt seid, sie euch aus dem Sinn zu

schlagen, euch, ihr Erwachsenen, denen nicht genug kann einge­

prägt werden, welches die Schätze für die Ewigkeit sind, euch

allen redet der Heiland ins Gewissen.

Er möchte gern, daß

eure Augen sich auftäten, um zu erkennen, welches der Weg des

Lebens und welches der des Todes ist.

Nun denn, wir stehen in der heiligen Passionszeit.

Keine

Zeit ist wohl mehr geeignet als diese, auf der einen Seite die Nachtbilder der Sünde uns vor die Seele zu stellen, auf der

andern das Bild des eingeborenen Gottessohnes, der triumphiert als Herrscher über Sünde und Welt.

Keine Zeit ruft wohl mehr

als diese uns zu: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung

fallet."

Amen.

III.

Bethanien. O Haupt voll Blut und Wunden,

Voll Schmerz und voller Hohn; O Haupt, zum Spott gebunden

Mit einer Dornenkron'; O Haupt, sonst schön gekrönet

Mit aller Pracht und Zier, Jetzt aber hoch verhöhnet:

Gegrüßet seist du mir! Amen.

Mark. 14, 3-9. Als ich das letztemal zu euch redete, sahen wir den Erlöser

auf der Höhe des Ölbergs seine Tränen weinen über Jerusalem. Danach ist er eingezogen in die heilige Stadt.

Er hat den

Tempel gereinigt von den Käufern und Verkäufern; denn sein

Haus sollte ein Bethaus sein; aber man hatte es zur Mörder­ grube gemacht.

Er ist den Schlingen der Pharisäer und Sad­ Er hat von des Ölbergs Höhe jene ernste

duzäer entgangen.

Rede gegen die Leiter des Volkes gehalten.

Damit sind die

ersten Tage seines Aufenthaltes in Jerusalem verflossen.

Unser heutiger Text zeigt uns den Heiland in Bethanien, wohin er wahrscheinlich während dieses seines letzten Aufenthaltes in Jerusalem an jedem Abend zurückkehrte, und wenn ich gerade

diesen Text für unsre heutige Betrachtung mir gewählt habe, so hat das darin seinen Grund, daß derselbe so recht das Gegen­ bild uns bietet von dem, was am vorigen Sonntag uns nahe­

gebracht ward. Jerusalem und Bethanien! nicht wahr, schon diese

beiden Namen rufen so gar verschiedene Empfindungen in uns

25 wach?

Bethanien! das Wort hat für ein Christenohr einen so

lieblichen Klang!

Es erinnert uns ja an die drei Geschwister

Maria, Martha, Lazarus, die dort in Frieden und Glück mit­ einander wohnten, erinnert uns an jene Worte des großen Friede­ fürsten, der dort bei dem Tode des Lazarus eingekehrt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubet, der wird

leben, ob er gleich stürbe;" erinnert uns an jene liebliche Erzäh­

lung, nach der der Heiland bei seinem Scheiden seinen Jüngern segnend die Hände aus das Haupt gelegt.

Jerusalem dagegen!

wie unendlich viel Sünde und Schuld knüpft sich an diesen Namen! und wenn wir Christen auch von einem himmlischen Jerusalem zu reden gewöhnt sind, so ist das nur ein Beweis dafür, wie das irdische Jerusalem uns genötigt hat, all unser

Hoffen und Sehnen, welches wir an dasselbe angeknüpst, einzig

und allein aus eine bessere Welt zu richten.

Waren denn nicht

auch für den Erlöser Jerusalem und Bethanien gewaltige Gegen­ sätze? Jerusalems Namen soll getilgt werden aus der Geschichte

der Völker, Bethanien dagegen wird

in dem

Textes ein bleibendes Gedächtnis gesichert.

Weibe unsres

Jerusalem verwirft

seinen kommenden König, in der Stille Bethaniens dagegen wird

er gesalbt.

Jerusalem ist bemüht, den größten Sohn unsres

Geschlechtes zu vernichten, in Bethanien dagegen tut ein armes Weib für den Erlöser, was sie tun kann.

Jerusalem ist für

dm Heiland der Ort seiner letzten schweren Kämpfe.

Bethanien

dagegen der Ort, wo er seine letzte Ruhe sucht und seinen letzten Friedensgruß spendet. Von Jerusalem ist der Erlöser mit Tränen,

mit Vorwürfen geschieden, von Bethanien dagegen mit dem freund­

lichen Blicke, der auf jenes Weib fällt, welches ihn ehrt.

Von

Jerusalem muß er mit dem Bewußtsein Abschied nehmen, daß

keiner in seinen Mauern weile, der sein Herz ihm weihen könne, hier in Bethanien dagegen sehen wir ein Herz ganz sich ihm hingeben. Laßt uns darum denn heute jene Szene in Bethanien in ähnlicher Weise betrachten, wie wir am vorigen Sonntag von den Tränen des Erlösers über Jerusalem geredet. miteinander

Wir suchen

26

1. in das Verständnis des erzählten Vorganges ein­

zudringen und fragen 2. was wir aus dieser Erzählung lernen sollen.

I. „Sie hat getan, was sie tun konnte"; so spricht der Heiland

in unserm Texte von dem Weibe, welches ihn salbt. Hätte sie ein schöneres Zeugnis sich wünschen können? Beneiden wir sie nicht darum, daß dies Wort ihr nachhallt aus des Erlösers Munde,

wir, denen das Gewissen an jedem verflossenen Tage immer wieder das Gegenteil zuruft, die wir so oft doch nur allzu ver­ zagt dem Augenblicke entgegensetzen müssen, wo wir abgerufen werden aus dieser Welt und vor dem Richterstuhle unsres Gottes

erscheinen müssen?

Wie klagen wir uns immer wieder von neuem

an, daß so viele edle Keime in unsre Herzen hineingelegt wor­

den, die unentwickelt geblieben, daß so viele edle Antriebe uns zuteil geworden, die wir vernachlässigt haben! Wahrlich eine Veranlassung für uns, in das uns zu versenken, was in unsrem Texte uns vorgeführt wird! „Und da er zu Bethanien war in Simons, des Aussätzigen, Hause und saß zu Tische, da kam ein Weib;" so wird uns er­ zählt. Wir werden also hineingeführt in eine Tischgesellschaft,

und das mag uns wohl wundernehmen, wenn wir bedenken, daß seine Zukunft Jesu schon deutlich vor Augen stand. Hatte er ja doch schon klar und bestimmt seinen Jüngern eröffnet: „Ihr wisset, daß nach zwei Tagen Ostern wird, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden, daß er gekreuzigt werde" (Matth. 26,2). Aber der Erlöser gehört nicht zu denen, die in den Tagen ihres Leides sich am liebsten ganz aus den Kreisen der Ihrigen zurück­ ziehen, die wie von der Freude, so auch vom Schmerz sich ganz mit fortreißen lassen. Sein Inneres ist nicht der Schauplatz immerwährenden Ausundniederwogens niederbeugender und trö­ stender Gedanken, wie das bei uns, ach, nur allzuoft der Fall ist. Seine Zukunft kennt er, und er schaut ihr klaren Auges

27 entgegen. Solange es dagegen Tag ist, und er noch bei den Seinen ist, weiß er, daß er für sie da ist, daß er sich ihnen zu widme»

hat. Auch von dieser Stunde, in der er mit den Seinen zu Tische sitzt, weiß er, daß Segensströme von ihm ausgehen, und daß sie

als reiche Liebesströme zu ihm zurückkehren sollen; daher der

Erlöser zu dieser Stunde in diesem Kreise.

Denn das ist doch

für uns von vornherein selbstverständlich, daß es sich hier nicht um ein Gastmahl handelt, wie die Welt sie oft feiert, wo leicht­

fertige Gespräche geführt werden, wo man nur danach trachtet, in angenehmem Sinnenkitzel einige Stunden zu verbringen.

Doch um das in unsrem Texte Erzählte zu verstehen, laßt

uns zuerst das Weib näher ins Auge fassen, von welchem uns erzählt wird.

Es ist nicht unmöglich, daß der Simon, in dessen

Hause Jesus sich befindet, deshalb unter dem Namen des Aus­ sätzigen bei den ersten Christen bekannt gewesen ist, weil Jesus

ihn einst von seinem Aussatz geheilt hatte.

Ferner ist es möglich,

daß Simon der Vater oder der Hauswirt, jedenfalls wohl ein Verwandter oder Freund des Hauses der drei Geschwister gewesen.

Wir sehen also Jesum in einem Kreise von Freunden, denen er

viel Liebe erwiesen hat, und die ihm daher viel Dank schuldig sind, ja wenn das erwähnte Weib gar die Maria selbst gewesen, dann wissen wir, was sie zu Jesu hingetrieben.

Und was tut sie?

Sie bringt ein Glas mit unverfälschtem

und köstlichem Nardenwasser, zerbricht das Glas und gießt seinen Inhalt auf Jesu Haupt.

Kann denn eine solche Handlung von

so großer Bedeutung sein, daß Jesus spricht: „Wo dies Evan­ gelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, das sie jetzt getan hat"? Wir möchten

glauben, solche und ähnliche Handlungen würden doch gar oft vollzogen im Leben.

Ja, wenn wir denn auch erfahren, daß die

Salbung eine Ehrenbezeugung war, die man im Morgenlande besonders großen Lehrern darbrachte, so könnten wir es wohl

verstehen,

daß der Erlöser sie als eine große Tat gepriesen

hätte, wenn die Priester Jerusalems gekommen wären zu solchem

Dienst.

Damit wäre ja die Erklärung gegeben worden, daß die

28 Wächter des jüdischen Heiligtums den verheißenen Messias in Jesu erkannt hätten, daß sie ihre gottlosen Anschläge bereut, daß

die Vorwürfe, die Jesus ihnen gemacht, ihnen tief ins Herz ge­ gangen wären.

Selbst wenn ein Pilatus oder Herodes zu dieser

Tat sich verstiegen hätte, hätte dieselbe eine Bedeutung gehabt.

Denn sie hätte Zeugnis davon abgelegt, daß die Machthaber ihr Augenmerk auf Jesum gelenkt, seine Bedeutung erkannt hätten

und bereit gewesen wären, ihre Autorität einzusetzen, damit Jesus Aber hier handelt es sich um die Tat eines ein­

geehrt würde. fachen Weibes.

Auch dann hätten wir Jesu Worte verstanden,

wenn die Szene unsres Textes sich abgespielt hätte vor den Augen einer großen Volksmenge.

Dann wäre das rührende Bild

doch vielleicht manchem durchs Herz gegangen, dann hätten doch

vielleicht manche von denen sich erweichen lassen, die nach wenig Stunden rufen konnten: „Kreuzige, kreuzige ihn," und wenn sie

denn auch für den Augenblick sich noch verstockt hätten, dann hätte dies Bild doch für die Zukunft ein Samenkorn in ihre Herzen gestreut, das in späteren Stunden des Lebens seine Frucht gebracht.

Aber jetzt spielt sich diese Szene ab in einem kleinen

Freundeskreise, und nicht einmal die Kunde von derselben dringt an der Feinde Ohr.

bestimmt, sichern?

Nun, was ist es denn, was den Erlöser

der Tat der Maria

ein bleibendes Gedächtnis zu

Gefällt ihm das, daß dieses Weibes Herz zu einem

letzten Liebesdienst an einem bald von dieser Erde Scheidenden

sich anschickt?

Nicht wahr, das ist doch ein schöner Zug des

Menschen, daß er, dessen Leben sonst dahingeht unter soviel

Zank und Streit, unter soviel Hader und Neid, daß er da, wo der Bruder mit bleiche» Wangen auf dem Sterbebette liegt und

die dürren Hände ihm entgegenstreckt, daß er da wenigstens seine Feindschaft vergißt, ja zu Diensten der Liebe sich rüstet; und wir

könnten es verstehen, wenn auch der Heiland diesem Zuge bei

der salbenden Maria ein bleibendes Gedächtnis hätte sichern wollen.

Aber auch damit ist die Bedeutung dieser Tat nicht

erschöpft.

Soviel,

m. L.,

steht nach dem Gesagten uns jedenfalls

29 unerschütterlich fest: das, was Jesum veranlaßt, die Tat der Maria zu preisen, ist nicht die äußere Handlung, nicht der etwaige Er­

folg, den sie gehabt; ja auch die Ansicht müssen wir von vorn­

herein fernhalten, daß Jesus etwa in jenen Stunden, in denen von

allen Seiten die Feindschaft der Welt auf ihn einstürmte, die Tat der Maria, die so vereinzelt dastand, zu überschätzen geneigt

gewesen.

Die Tat der Maria war groß, groß an sich selbst,

groß als Zeugnis von dem, was im Innern ihres Herzens vor

sich ging.

Menschen merkten wohl, wie das Nardenwasser mit

seinem Wohlgeruch das Haus erfüllte, und auch der Evangelist

Johannes erzählt uns (Kap. 12, 3): „Das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe."

Aber dem Heiland war das die Haupt­

sache, daß die Tat der Maria als ein Opfer gen Himmel stieg,

Gott zu einem süßen Geruch.

Menschen sahen wohl, wie Maria

ihr Glas zerbrach und den Inhalt in Strömen ausschüttete über

Jesu Haupt.

Aber Jesu war das das Größte, daß Maria ihr

Herz dem Heilande ausschüttete zugleich mit dieser Tat.

ab, wieviel Geld

Men­

schen

schätzten wohl

koste.

Jesu war das die Hauptsache, daß eine sittliche Tat voll­

die

gebrauchte

bracht ward, die einen Wert hatte für die Ewigkeit.

Salbe

Ja, erst

dann verstehen wir die Handlung der Maria recht, wmn wir

bedenken, daß sie hervorgegangen ist aus einer Liebe, die keine Kosten, keine Mühe scheut, die das Liebste und Schönste dem

geben will,

der sie zuerst geliebt.

Es

ist

keine Huldigung,

wie jene Festpilger sie dem Heilande darbrachten, als sie riefen: „Hosianna, dem Sohne Davids, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn; Hosianna in der Höhe!"

keine laute Ver­

sicherung, wie Petrus sie gab, als er sprach: „Und wenn dich alle verlassen, so will ich dich nimmermehr verlassen." Nein, hier

vollzieht sich eine unscheinbare Handlung, lautlos, prunklos. Aber ob auch laut die Lieder der Festpilger erschollen weit hinein in das Land, sie sind verhallt, und nur mit einer gewissen Wehmut

können wir ihrer gedenken, während in der Tat der Maria ein Denkmal der Liebe dem Erlöser gesetzt ist, dauerhafter denn Erz

und Stein.

Ob auch die Versicherung des Petrus bestimmt und

30 energisch erschien, er hat gewankt, während Marias Liebe felsen­

fest geblieben ist bis ans Ende. Seht, m. L., weshalb der Erlöser spricht: „Wo dies Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, das sie jetzt getan hat." Während die Welt den Erlöser von sich stößt, die

Feinde Jesu bald am Ziele ihrer Wünsche sind, in einer Zeit, da nach wenig Stunden die eigenen Jünger fliehen können, da vollzieht Maria ihre Liebestat.

Ja, hier ist ein Herz, das den

Erlöser verstanden, das jenes Wort des Meisters sich tief einge­ prägt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt, sondern inwendig in euren Herzen." Sollte darum je eine Zeit hereinbrechen, in der die Welt für die Tat der Maria kein Verständnis hätte, in der

dieselbe zurücktreten müßte hinter die großen völkerbewegenden Ereignisse, zurücktreten hinter neue, von der Welt aufgestellte

Vorbilder wahrer Frömmigkeit, dann würde das Zeugnis davon

ablegen, daß das Christentum nicht mehr in alter Lauterkeit ge­ predigt würde unter den Menschen; und wollen wir etwas lernen für unsre vielfach so glaubens- und liebeleere Zeit, wo die Gegensätze der Ansichten so gewaltig aufeinanderplatzen, wo alle meinen, sie müßten die Gewalt in Händen haben, um wahres Christentum zu gründen, — die Tat der Maria ist mit der Predigt des Evangeliums unzertrennlich verbunden, hier sollen sie lernen, wie sie es anfangen müssen, um Christen zu werden. Das führt uns

daher auf den zweiten Teil unsrer heutigen Betrachtung.

II. Geht heute auch durch unsre Seele ein Verlangen, daß dereinst einmal über unser Leben aus dem Munde des Erlösers

das Wort erklinge „er hat getan, was er tun konnte?" Nun denn, da wollen wir von der Maria unsres Textes lernen.

Allerdings, das ist uns nicht vergönnt, daß der Heiland leiblich

in unser Haus einkehrt wie in das ihrige. Aber hoffentlich weiß auch unser Haus davon zu erzählen, daß sein Geist in demselben

31 Wohnung gemacht.

Wir schauen ihm zwar nicht mehr wie Maria

in sein leibliches Angesicht.

Aber hoffentlich steht das bei uns

unerschütterlich fest, daß sein Auge auch aus Himmelshöhen noch

aus uns herniederschaut, schirmend, segnend, liebevoll, erbarmend.

Wir hören zwar nicht mehr seine leibliche Stimme.

Aber hof­

fentlich haben auch wir schon in unsern Herzen die Stimme

seines Geistes vernommen:

„Kommet her zu mir alle, die ihr

mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." Wir wissen

zwar nicht davon zu reden, daß er, wie einst bei Maria, leiblich

an den Krankenbetten und Sterbelagern der Unsrigen gestanden. Aber hoffentlich haben auch wir in Stunden der Trübsal und Not zu ihm gerufen und die Erfahrung gemacht, daß er die

Auferstehung und das Leben ist.

Persönlich steht er zwar nicht

vor uns als einer, der dem Tode entgegengeht.

vernehmen noch immer die Kunde:

Aber auch wir

„Er ist um unsrer Missetat

willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen." Soll

diese Liebe uns denn nicht zu einer ähnlichen Liebestat treiben, wie Maria sie vollzog? Können denn auch die Nardenströme sich

nicht mehr über das irdische Haupt des Erlösers ergießen, der Liebe Ströme können immer noch fließen.

hat einst gesagt:

Seht, der Heiland

„Was ihr getan habt einem unter diesen meinen

geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan."

Er hat verheißen:

„Wo zwei oder drei unter euch versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter euch." Die Liebe gegen den Erlöser können wir daher nach zwei Seiten hin beweisen, einmal in tätiger Liebe gegen die Brüder, sodann aber auch in unmittelbaren

Ergüssen des frommen Gemüts. Allerdings, m. L., gegen beides erhebt sich die Welt. Schon in unsrem heutigen Texte wird uns erzählt:

„Da waren etliche,

die wurden unwillig und sprachen: ,Was soll doch dieser Unrat?

Man könnte das Wasser um mehr denn dreihundert Groschen verkauft haben und dasselbe den Annen geben/ über sie."

Und murrten

Nach den andern Evangelien waren jene Murrenden

die Jünger selbst und speziell Judas Jschariot.

Nach dem Evan­

gelisten Johannes soll dieser sogar die Worte gesprochen haben.

32 nicht weil er nach den Armen fragte, sondern weil er die Kasse führte und ein Dieb war. Gemeine Judasseele, in der die Selbst­ sucht einen solchen Höhepunkt erreicht, daß sie nicht nur selbst nicht zu geben vermag, sondern auch auf unredliche Weise nach

dem noch trachtet, was andere für höhere Zwecke zu opfern

bereit sind! Gott sei's gedankt, daß die Selbstsucht solchen Höhe­ punkt doch nur bei den wenigsten unsres Geschlechts erreicht! Aber dennoch ist sie es immer noch, welche Tausende veranlaßt,

ihre Gaben zurückzuhalten, wo Arme an ihre Türen klopfen. Wir dürfen nicht ungerecht sein gegen unsre Zeit, und darum müssen wir anerkennen, daß gerade die Bereitwilligkeit zum Geben

an die Armen bedeutende Fortschritte gemacht hat; und wenn wir zurückschauen auf die letzten Jahre, da meine ich, müßten wir

das Zeugnis unsrem deutschen Volke ausstellen, daß es an Händen niemals gefehlt hat, die bei der Not der Brüder sich auftaten. So tief also nach dieser Seite hin das Christentum eingedrungen

ist in unser Volk, so unbewußt es selbst in manchen Herzen wirkt, die ihm sonst ihre offene Feindschaft erklären, so sehr ist es aus der andern Seite zu bedauern, daß die unmittelbaren Ergüsse des frommen Gemüts so wenig mehr zutagetreten. M. L., ich rede hier nicht von allen jenen krankhaften Erscheinungen, welche

so oft im Bunde mit der Religion auftreten, nicht von heuchle­

rischen Mienen, nicht von sündiger Menschenvergötterung, nicht von schwülstiger Rede über Christum und die Seinen.

Aber das

bedauere ich, daß die Liebe zu Christo so lau unter uns ge­

worden ist, daß der Mund nicht mehr von ihm redet, weil das Herz nicht mehr von ihm voll ist, daß die Maria unsres Textes

so wenig Nachfolger unter uns findet. Und wieviel Gelegenheit fände sich doch dazu! Wie manche Stunde gibt es doch, da in der Stille des Kämmerleins deine Hände zum Gebet sich falten könnten, wie oftmals läuteten die Kirchenglocken und luden

dich ein zum gemeinsamen Gebet, zum gemeinsamen Gesang, zur gemeinsamen Andacht! Wie oft erklang an dein Ohr die Aufforderung, zum Tische des Herrn zu kommen! Wie oftmals hattest du Gelegenheit, durch Spenden von Gaben für die Sache

33 Jesu Christi zu beweisen, wie teuer dieser Name dir sei!

Aber

hier ist der Punkt, wo so gern der Verstand zu klügeln und das

Herz zu entschuldigen beginnt, auch dann, wenn der Mensch den

Christennamen nicht aufgeben möchte. Jünger den Einwurf machen:

Konnten doch selbst die

„Man könnte das Wasser um

mehr denn dreihundert Groschen verkauft haben und dasselbe

den Armen geben."

Derselbe Sinn tritt immer wieder zutage,

wenn wir die Menschen sprechen hören:

Gotteshaus;

Ich gehe nicht ins

bei der Arbeit wende ich meine Zeit besser an,

oder: Ich gehe nicht zum Tisch des Herrn; meine Religion ist: Tue recht und scheue niemand, oder: Ich gebe keine Beiträge

für kirchliche Zwecke; bei den Armen ist das Geld besser ange­ wandt.

So verständlich auf der einen Seite solche Reden in

unsern Tagen sind, wo die Religion so oft im Bunde mit Er­

scheinungen auftritt, die auf jeden ehrlichen Menschen nur ab­

schreckend wirken können, so betrübend sind sie auf der andern Seite, und wenn wir wohl gar sehen müssen, wie der freche Hohn der Welt über alle Äußerungen religiösen Lebens sich ergießt und eine gewisse Freude daran hat, das fromme Gemüt zu stören, dann klingt richtend auch in unsre Zeit hinein das

Wort des Meisters: „Laßt sie mit Frieden; was bekümmert ihr sie." Die Äußerungen des religiösen Lebens haben ihre eigene

Stätte und im Menschenleben ihr eigenes Recht.

Wohl, unsrer

rastlos vorwärtseilenden Zeit ist es eigen, bei allem nur nach

dem Nutzen zu fragen, den es für das praktische Leben hat. Wissenschaft, Kunst, Religion werden danach gemessen und alle

in diesen schnöden Knechtesdienst hinabgezogen.

Dabei soll denn

die Religion nur soweit ein Recht in unsrem Volksleben besitzen,

als sie die Völker in ihrer Roheit bändigt, sie zum Gehorsam

erzieht gegen die Gesetze

des Staates, als sie den einzelnen

mit Furcht erfüllt vor einem künftigen Gericht und dadurch an­ treibt zu immer genauerer Pflichterfüllung.

Ja, die das alles

nicht brauchen, die schämen sich nicht, offen auszusprechen, daß

sie das Christentum, ja wohl alle Religion, entbehren könnten. O, welche Verblendung gegenüber dem, was den Menschen zum 3

34 Menschen macht! Als wenn unser Leben aufginge nur in Erden­ genuß; als wenn unser Herz keine andern Bedürfnisse hätte! O, es ruht tief in unserm Innern ein Verlangen nach Gott. Den Gott

ähnlichen Menschen, den zieht es zu seinem Ursprung hin.

Er

weiß von sich, daß er göttlichen Geschlechtes ist, und in dieser

Welt geht es ihm ähnlich, wie dem Pilgrim im fremden Lande. Er bekommt Heimweh und sucht mit Liebe alle Spuren auf,

die ihn an die Heimat erinnern können.

Neben der Arbeit steht

ja die ängstliche Sorge und Mühe, neben dem Ringen und Kämpfen stehen die vielen Stunden, in denen wir lernen müssen: Mit unsrer Kraft ist nichts getan!

Mit den Tagen, in denen wir

schwelgen im Erdengenuß, wechseln die Tage, in denen Trübsal und

Not uns heimsuchen.

Da wird denn das Heimweh wach, und

wohl uns, wenn in solchen Stunden die Heimat uns nicht ver­ schlossen ist.

Siehe, hier liegt der Segen, den die unmittelbaren

Ergüsse des frommen Gemütes haben.

Er strömt reichlich auf

das Haupt dessen, der sie übt, sodann aber werden auch Ströme lebendigen Wassers von ihm ausgehen auf seine Umgebung. Beides

muß man in der Welt erfahren.

Bete, singe dem Herrn deine

Lieder, lausch aus seine Worte, geh zu seinem Tische, opfere deine Gaben für seine heiligen Zwecke, und du wirst erfahren,

du gehst gesegnet von seinem Antlitz weg.

Und willst du die

Völker bekehren, willst du die zügellosen Massen wieder zum

Herrn deinem Gott zurückführen, willst du bauen am Reiche deines Gottes:

dann komm mit

einer Mariatat,

mit einem

Mariaherzen, und es wird nicht vergeblich sein!

M. L., es ist eine einfache Erzählung, welche unser heutiger Text uns nahebringt, und doch eine ergreifende Predigt.

Mit

gewaltigem Ernst ruft sie einem jeden von uns zu: Blick hinein in dein eigen Herz! Hier ist die Stätte für deine nächste Arbeit.

Nur dann, wenn du hier mit Treue geschafft, wird es auch dir einst nachklingen: Er hat getan, was er tun konnte.

Amen.

Die Fußivaschung. O Lamm GotteS, unschuldig Für uns am Kreuze geschlachtet.

Und doch erfunden geduldig,

Wie sehr du wurdest verachtet! All Schuld hast du getragen,

Sonst müßten wir verzagen, Erbarm' dich unser, o Jesu!

Amen.

Joh. 13, 1-15.

Am vorigen Sonntage

betrachteten wir miteinander die

Erzählung von der Salbung in Bethanien.

Wir sahen, wie

Jesus diese Handlung an sich geschehen ließ, ja wie er sie ver­

herrlichte in jenem Worte: „Wo dies Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis,

das sie jetzt getan hat."

In der Tat, je tiefer wir in das uns

versenkten, was damals uns vorgestellt ward, desto klarer ward uns, was den Erlöser seinerzeit zu diesem Ausspruch veranlaßte. Heute ist es abermals eine Handlung von tiefernstem Sinne,

die uns nahegebracht wird, und wenn wir bedenken, daß an dem­

selben Abend das heilige Abendmahl eingesetzt worden ist, daß in diese letzte Zeit des Weilens Jesu auf Erden auch jene uns

sonst so rätselhafte, aber als Symbol so vielsagende Verfluchung des Feigenbaumes fällt, so drängt sich uns wohl die Frage auf,

woher gerade in den letzten Tagen und Stunden des Erlösers seine Vorliebe für diese Handlungen stammt.

Wir kommen hier

nicht aus mit der Bemerkung, daß der Morgenländer überhaupt zu symbolischen Handlungen einen besonderen Hang hat, wie 3*

36 uns das allerdings ja auch im Alten Testamente nahetritt.

Es

bleibt dabei immer wieder die Frage, warum sie gerade gegen das Ende des Lebens Jesu sich so drängen. Auch darin möchte ich den Grund für diese Erscheinung nicht suchen, daß ein mit

bangen Todesahnungen erfülltes Herz besonders leicht zum Ge­ heimnisvollen geneigt ist. Wir dürfen des Erlösers hohe Seele nicht so aus das Gewöhnliche herabziehen. Vielleicht kann das eigene Wort des Meisters an Petrum uns ein Wegweiser sein.

Er spricht:

„Was ich tue, das weißt du jetzt nicht; du wirst

es aber hernach erfahren." Das war eben eine traurige Beob­ achtung, die der Erlöser an seinen Jüngern gemacht, und die er

noch je länger, desto mehr machen mußte, daß ihnen das volle Verständnis für ihn fehlte. Wie oft, wie ernst hatte er mit ihnen

geredet; aber wie oft heißt es: „Sie vernahmen der keines, und die Rede war ihnen verborgen," oder ähnlich.

Mehr träumend

denn wachend waren sie mit nach Jerusalem gezogen.

Noch in

Bethanien hatten sie gar kein Verständnis gezeigt für das, was Maria an Jesu tat, ja, wenige Stunden später konnten sie

schlafen, als der Erlöser in Gethsemane rang. Hier halfen in der letzten Stunde keine Worte, keine Mahnungen mehr; und ob der Erlöser noch so deutlich geredet hätte, sie hätten ihn nicht verstanden, weil fleischliche Messiashoffnungen ihre Herzen be­ herrschten. Darum greift Jesus zur Handlung. O, es zog wohl schon mancher Jüngling hinaus ins Leben, dem sein Vater viel

redete von des Lebens Ernst und Gefahren, den er viel ermahnte, und dem er viel gute Lehren mit auf den Weg gab. Doch die Worte verhallten und waren bald vergessen. Aber als er in der Ferne weilte und des Lebens Ernst erfuhr, da gedachte er dessen,

wie der Vater beim Abschied mit Augen voll Tränen ihn an­ geschaut, wie er die Arme um ihn geschlungen, die Blicke gen Himmel gerichtet und segnend seine Hände ihm aufs Haupt gelegt

habe; und das ging dem Sohne durchs Herz.

dann die Erinnerung

auch

Daran knüpfte

manche Mahnungen und manche

Weisungen vergangener Zeiten an. Ahnt ihr jetzt, was ange­ sichts des nahen Todes den Erlöser veranlaßte zu solcher Vor-

37

liebe für Handlungen von besonderer symbolischer Bedeutung? Es war seine tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens, welche

ihm sagte, daß dieselben Jünger, die seine Worte nicht verstanden, seine Handlungen sich einprägen würden, daß an sie dermaleinst

ihr Nachdenken sich knüpfen und damit alles der Vergessenheit entrissen werden würde, was so Gefahr lief, verlorenzugehen. In diesem Sinne laßt uns denn auch heute unsren Text be­

trachten.

Unser Thema:

Die Fußwaschung Jesu, eine Predigt von dem, was das Christentum bietet und fordert.

Sie predigt uns laut:

1. vom Werk der Erlösung; 2. von der Bedingung der Erlösung;

3. von der Verpflichtung der Erlösung.

I. „Jesus stand auf vom Abendmahl, legte seine Kleider ab

und nahm einen Schurz und um gürtete sich.

Danach goß er

Wasser in ein Becken, hob an, den Jüngern die Füße zu waschen

und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war;" so

heißt es in unsrem Texte.

Erinnert uns das nicht an jenes

Wort des Apostels Paulus (Philipper 2, 6): „Ob er wohl in

göttlicher Gestalt war, äußerte er sich selbst und nahm Knechts­ gestalt an.

Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum

Tode, ja zum Tode am Kreuz"?

Gedenken wir nicht unwill­

kürlich dessen, daß Jesus, „ob er wohl reich war, doch arm ward

um unsertwillen"?

Der Sohn des allmächtigen Gottes legte seine

Kleider ab, und doch, wie herrlich hätte er sich schmücken können!

Er, mit so großen Gaben des Geistes ausgerüstet, hätte ohne Zweifel bald zu den größten des Jahrhunderts gerechnet wer­

den können und iu Pracht und Herrlichkeit sich hüllen.

Er, der

sich als den verheißenen Messias erkannt hatte, dem die Volks-

massen, wenn auch nur zeitweilig, sich angeschlossen hatten, er

hätte nur zu winken gebraucht, und Tausende wären bereit ge­ wesen, ihm zu helfen, den Thron der Väter zu gewinnen.

Aber

38 er verschmähte diese Gewänder und nahm einen Schurz und um­ Die niedrige Knechtsgestalt war die Stellung, die er sich zuwies, und sein Los kennzeichnet er selbst mit den Worten: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem gürtete sich.

Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da

er sein Haupt hinlege."

Denn er wußte es wohl:

Das Werk

der Erlösung, der Befreiung von Sünde und Schuld, zu dem er in die Welt gekommen war, das forderte dies von ihm. Hier in den Tiefen menschlicher Not, hier ruhen ja die schlimmsten Fallstricke für ein Herz, das auf dem ganzen Gange durch das Erdenleben den Glauben an den Vater im Himmel sich bewahren

möchte. Ein Leben, das nur Stunden der Freude und des Glückes kennt, ja, das lernt den Glauben schon festhalten, daß nur gute

und nur vollkommene Gaben von oben herabkommen, vom Vater des Lichts. Aber da, wo schwere Gewitterwolken Herauf­ ziehen, da wird es dem Auge schwer, durch die Wolken, durch den Schleier hindurch nur das reinste Licht zu erblicken. Haben wir es denn nicht selbst an uns erfahren: Solange noch die volle Jugendkraft uns geblieben war, solange noch alle Wünsche in Erfüllung gingen, solange der Kreis der Lieben um uns her noch eng geschlossen war, da redeten wir wohl viel von dem gütigen

Gott und Vater. Aber wie bald verstummte diese Rede, wenn wir vor den Ruinen unsres Glücks, vor den Grenzen unsrer Kraft, vor den Gräbern der Unsrigen standen! Der Erlöser hat deshalb gerade die Tiefen dieses Erdenlebens aufgesucht, um auch

hier seine erlösende Macht zu zeigen. Ja, wenn es in unsrem Texte heißt: „Danach goß er Wasser in ein Becken, hob an, den Jüngern die Füße zu waschen und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war", so erinnert uns das unwillkürlich daran,

wie er selbst sein Leben hat dahingeben können für die Sünder, wie sein Blut geflossen ist um ihretwillen, wie durch sein im Tode erst vollendetes Erlösungswerk die Menschheit gewaschen

wird von ihren Sünden; und wie sehr dem Erlöser das bei seiner Handlung vor Augen stand, ersehen wir aus den Worten unsres

Textes:

„Wie er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt

39 waren, so liebte er sie bis ans Ende."

Wenn wir ihn endlich

umhergehen sehen im Kreise seiner Jünger und bedenken, wieviel

Schwachheit, wieviel Sünde da noch herrschte, wie da Judas sich befand, dem „der Teufel es schon in das Herz gegeben hatte,

daß er Jesum verriete"; wenn wir sehen, wie der Erlöser selbst

an diesem Judas nicht vorübergeht: erinnert uns das dann nicht daran, wie er sein Erlösungswerk allen, auch dem größten Sünder anbietet?

Aber, m. L., wenn unsre heutige Erzählung uns nahe­ gebracht wird, dann gehen unsre Gedanken noch weiter.

selbst ist es, der sich zu uns herniederneigt.

Gott

Er, der Heilige

und Gerechte, vor dem kein sündiger Mensch bestehen, er, der

Allwissende, vor dem kein Makel des Herzens verdeckt werden kann;

er, der Allmächtige, der nur seine Hand auszustrecken

braucht, um den Sünder zu vernichten: er umgürtet sich mit dem Schurz der Liebe, der Gnade, der Barmherzigkeit.

Er, der

Überweltliche, der Unnahbare neigt selbst sich hernieder, um uns

zu reinigen von unsren Sünden; er, die heilige Liebe selber, gießt

die Ströme seines Geistes aus, die die Seele erquicken und die Füße, befleckt und beschwert vom Staub der Erde, reinigen, so

daß sie wieder frei und ungebunden ihrem ewigen Ziele zueilen können. Mußte das alles denn nun aber den Jüngern nicht seit lange schon klar sein?

Wie oft hatte der Erlöser doch schon

davon zu ihnen geredet!

Wie mußte das doch schon aus seinem

ganzen Wesen und Benehmen ihnen deutlich geworden sein!

Ja,

wenn er eingegangen wäre auf die Ideen, welche sie beseelten,

auf die Lieblingspläne, welche sie hegten, wenn er eingegangen wäre auf ihre fleischlichen Messiashoffnungen und ihnen gesagt

hätte, wann er seinen Thron aufrichten würde, und wer zu seiner Rechten und wer zu seiner Linken sitzen würde, dafür hätten sie

ein Ohr gehabt, und das hätten sie ihrem Gedächtnis eingeprägt. Aber hier galt es, Dinge ihnen an das Herz zu legen, die ihnen so gar fernlagen, ja, die erst dann Eingang finden konnten,

wenn

aus

ihren Herzen viel Vorurteile weggeschafft waren;

40 und das wissen wir, ach, leider nur allzu gut aus eigenster Er­ fahrung, wie schwer das ist.

Von großem Segen mußte daher

für die Jünger gerade die Handlung ihres Meisters sein. Wenn

in den Tagen der kommenden Trübsal ihre Herzen, ihre Ge­

danken bei ihrem dahingeschiedenen Meister verweilten; wenn alle

fleischlichen Messiashoffnungen endlich zu Grabe getragen wurden: dann mußte ihnen das Bild vor die Seele treten, das sie einst mit Staunen erfüllt hatte und ihnen unerklärlich geblieben war,

das Bild, wo der Erlöser schweigend seine Kleider ablegte und ihnen die Füße zu waschen begann.

Wie ein Licht aus der Höhe

mußte dann die Erkenntnis in ihnen aufgehen, daß der verheißene Messias ein Diener der Menschheit gewesen, daß sein Segen,

den er der Welt gespendet, darin bestanden habe, die Welt von Sünde und Schuld zu befreien.

So ward denn die Fußwaschung

ihnen eine stille Predigt über das Werk der Erlösung.

Selige

Jünger, denen in den Tagen, wo sie einsam und verlassen da­ standen in der Welt, wo wirre Gedanken in ihnen auf- und niederwogten, wo sie hinausziehen sollten über ferne Meere und

in ferne Lande, um das Evangelium von Christo zu predigen, eine feste Tatsache vor Augen stand, an der ihre Gedanken

immer von neuem wieder sich orientieren, und in der sie gleich­ zeitig der Welt ein Bild machen konnten von dem, dessen Namen

sie verkündigten.

Selig auch wir, die wir in den Tagen, wo die

Kämpfe um den Erlöser und sein Werk so heftig entbrannt sind,

wo man hier dieses, dort jenes für die Hauptsache erklärt, an der Fußwaschung ein festes Denkmal haben, an dem uns zuge-

rnfen wird, daß das des Erlösers Bedeutung sei, in dienender Liebe die Welt von Sünde und Schuld zu befreien.

II.

Weiter heißt es in unsrem Text:

„Da kam er zu Simon

Petro, und derselbe sprach zu ihm: ,Herr, solltest du mir meine Füße waschen?" Jesus antwortete: ,Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen Teil an mir." Spricht zn ihm Simon Petrus:

41 ,Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt/ * Es bestand im Morgenlande die Sitte, daß vor dem Mahle die Füße gewaschen wurden, und zwar geschah dies meistens durch die Sklaven. Entschieden ist diese Sitte hier nicht beob­ achtet worden, vielleicht deshalb, weil keine Dienenden vorhanden

waren, und weil unter den Jüngern keiner gewesen, der zu diesem Dienste sich hätte herablassen wollen. Wie beschämend war es

daher für sie, als sie Jesum sich umgürten sahen, und er anfing ihnen die Füße zu waschen, und wir verstehen Petrum vollkom­ men, wenn er spricht: „Herr, solltest du mir meine Füße waschen?" Aber wenn uns das Werk der Erlösung fest vor Augen steht,

dann ist es uns ebenso verständlich, wie Jesus dem Petrus ant­ worten mußte: „Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen

Teil an mir."

Der ganze Segen des Erlösungswerkes würde ja

einem Menschen verlorengehen, wenn er sich weigerte, dasselbe

an sich geschehen zu lassen, und wir können jenen Petrus nur glücklich schätzen, daß er schließlich ebenso energisch die Waschung gefordert, als er sie anfangs verweigert hat; daß er die Beschämung, welche in der Tat Jesu für ihn lag, schließlich auf sich nahm und, ohne zu schauen, im Glauben und Vertrauen

das Heil annahm, welches Jesus ihm bot. Hiernach laßt uns unsren Blick erweitern und hineinschauen in die Welt, welcher das Werk der Erlösung angeboten ward.

Auch hier wiederholt sich im großen, was in Petrus uns ent­ gegengetreten. Die göttliche Gnade tritt der Welt nahe; die Welt erfährt:

„Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen

eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben"; aber beschämt blickt jeder in sein Herz und fragt sich: das tat Gott für mich;

aber was tat ich für ihn?

Ich hätte alle Zeichen der Huldi­

gung, der Liebe ihm zu Füßen legen, ich hätte ihm zu jedem Knechtesdienst bereit sein sollen; aber ich habe es nicht getan, ich bin nicht bereit gewesen; anstatt dessen neigt sich Gott selber hernieder, um mir mit seiner Liebe zuvorzukommen. Aus Mil­

lionen Munde klingt es daher, und zwar mit verschiedenster

42 Betonung dem Weltheilande entgegen, was Petrus gesprochen.

Hier betont man: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Der Ruf kommt aus den geängsteten Herzen, welche die Sünde drückt,

und welche nach Erlösung sich umsehen. Sie können es nicht glauben, daß der Gott selbst, welcher erzürnt ist, die Gnade ihnen anbieten könnte.

Sie denken sich ihren Gott wie ihr eigenes

Herz, das so leicht gekränkt ist und nach Rache schreit, wenn eine Beleidigung ihm zuteil wird. Sie meinen, ihr Gott

könnte Gefallen haben am Tode des Gottlosen, und können nicht glauben, daß er will, daß der Gottlose sich bekehre und lebe. Rastlos hin- und hergetrieben, ruft bald aus halb hof­

fender, bald aus zweifelnder, bald aus verzweifelnder Brust der Mensch: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Dort betont man: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Das kommt

aus den Herzen, die sich nicht mögen beschämen lassen, die die

göttliche Gnade gegenüber andern Menschen wohl preisen, aber von sich meinen, daß sie dieselbe nicht nötig hätten. Da klingt es, als wollten sie sagen: Ich gehöre nicht zu Denen, die deine Gnade brauchen. Geh hin in andre Häuser, wo die Verwor­ fenen unsres Geschlechtes wohnen! Ich kann meinem „Gotte

danken, daß ich nicht bin wie andre Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie jener Zöllner." Ja, an manchen Orten

sucht wohl das beschämte Herz sich dem Erlöser zu entziehen mit den Worten: Solltest Du mir die Füße waschen? Du, der du am Kreuze gestorben bist, den die Menschen unter die Verbrecher gerechnet haben, du bist mir ein Ärgernis und eine Torheit, du rufst mich fort vom Markte des Lebens, nicht nur um mir

die Freuden und Genüsse dieser Welt zu rauben, sondern auch um mich untüchtig zu machen für meine Arbeit hienieden. Nim­ mermehr sollst du mir die Füße waschen. ' M. L., haben wir nicht alle schon die Petrusworte in dieser mannigfaltigsten Betonung vernommen? Klingen sie uns nicht entgegen aus Vergangenheit und Gegenwart? Und doch — wie viel Ursache hätten wir, diese Worte zu unterdrücken! Der himm­

lische Vater will ja zudecken unsre Sünde, will in Liebe uns

43 wieder aufnehmen; und wir wollen trotzdem ihm nicht folgen?

Töricht wäre das

schon,

Herrn entgegenzutreten. zu verschmähen.

dem streng gebietenden Worte des

Viel törichter noch ist es, seine Liebe

„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen

Teil an mir," ruft der Erlöser hinein in die Welt, und ich

denke, wir wissen, was es heißt: keinen Teil haben an ihm. Es heißt: Leben.

keinen Teil haben am Heil, keinen Teil haben am

Darum du, der du sprichst: Herr, solltest du mir die

Füße waschen, bedenke, der Herr selber hat gesagt:

„Ob deine

Sünden gleich blutrot wären, so sollen sie doch schneeweiß wer­

den."

Du, der du sprichst: Solltest du mir die Füße waschen,

bedenke: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms,

den wir an Gott haben sollten, und werden alle gerecht aus seiner

Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist."

Du, der du sprichst: Herr, solltest Du mir die Füße waschen,

bedenke wohl: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein an­ drer Name uns Menschen gegeben, darinnen wir könnten selig

werden, denn der Name Jesus Christus."

O, so bitten wir denn

an Christi Statt, lasset euch versöhnen mit Gott! Laßt euch er­

lösen von euren Sünden! die du erfüllen mußt?

Und was gehört dazu als Bedingung,

Es gehört dazu die Demut, die sich vor

Gottes Liebe beugt, die angesichts dieser Liebe ihre Sünde er­ kennt und bekennt, sie bereut und von ihr befreit werden möchte.

Es gehört dazu der freudige Glaube, der dessen gewiß ist, daß die in Christo uns angebotene Gnade von Gott stammt, daß je mehr

wir uns dem Meister anschließen, wir um so mehr von der Sünde befreit werden, die uns anhaftet; der freudige Glaube, der dem

Herrenworte traut: „Wer von mir gewaschen ist, der ist ganz rein." Auch hier rufen wir aus:

Selige Jünger, daß der Herr

am Abend vor seinem Scheiden euch die Füße gewaschen!

Wenn

dereinst nach seinem Hingang die Frage entstand nach dem, was

Bedingung der Erlösung sei, wenn sich mächtig die Parteistreitig­ keiten erhoben, ob die Christen noch zu binden seien an das mosaische Gesetz oder nicht, hier hattet ihr eine Tat des Erlösers,

welche noch mächtiger euch zurief: Lasset euch waschen von eurer

44 Sünde und eurer Schuld durch euren Erlöser in Buße und Glauben; mehr fordert er nicht von euch.

Selig die Kirche Jesu

Christi, die, in fortlaufendem Kampfe um die Wahrheit, hier einen Halt hat, an dem sie lernen kann, was Jesus fordert, die

einst, als die Mächte der Finsternis in ihr eigenes Gebiet einge­ drungen waren, wo sie lehrte, daß des Menschen eigene gute Werke und der blinde Anschluß an die Kirche mit ihren Satzungen

das Heil verdienen, daß da auch diese Tat des Erlösers ihr zu­ rief: Wer von mir gewaschen ist, der ist ganz rein.

Selig die

evangelische Kirche zumal, die auch hier immer wieder lernen

kann, auf wie festem, echt christlichem Grunde sie erbaut ist,

wenn sie den Grundsatz hochhält: „Der Mensch wird nicht gerecht

durch des Gesetzes Werk, sondern allein durch den Glauben an die Gnade Gottes in Christo Jesu." III.

Nachdem der Heiland seinen Jüngern die Füße gewaschen,

nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und begann mit ihnen ein Gespräch darüber, wozu seine Liebestat sie nun antreiben sollte. „Wisset ihr, was ich euch getan habe?" spricht er;

und wahrlich, je mehr sie in das Verständnis eindrangen, desto mehr mußte ihnen klar werden, wozu sein Beispiel sie verpflichtete.

Zunächst sahen sie nur, wie Jesus, ihr Herr und Meister, ihnen die Füße gewaschen, und schon betritt lag ein mächtiger Antrieb.

Der

Jünger sucht ja doch dem Meister möglichst ähnlich zu werden,

und jede Tat ist schon deshalb ihm nacheifernswert, weil sie der Meister unternommen.

Trat aber erst in späteren Jahren alles

das ihnen vor die Seele, was der Erlöser ihnen damit an das Herz legen wollte, lernten sie erst, wie des Messias Bestimmmtg

dienende Liebe ist, ja wie Gottes eigenes innerstes Wesen Liebe zu den Seinen ist, hatten sie das alles erst in seinem ganzen Umfange erfahren, dann lernten sie auch die Verpflichtung kennen, welche das Werk der Erlösung uns auferlegt.

„So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen,"

45 spricht der Erlöser, und das scheint uns allerdings von vornherein selbstverständlich, daß er damit nicht etwa von uns fordert, die Fußwaschung als eine symbolische Handlung in unsrer Mitte

fortzupflanzen, wie wir etwa die Feier des heiligen Abendmahles unter uns begehen. Siehe, dann kommst du vielmehr der Wei­ sung des Erlösers nach, dann wäschst du der Menschheit gleichsam die Füße, wenn du ebenso wie der Meister in deinem Beruf, an dem Platz, an dem du der Menschheit zu dienen hast, treu bist

bis ans Ende. Der Mann, der alle Freuden und Genüsse meidet, der verzichtet auf Kosten verursachende Vergnügungen, der viel­

mehr sein erworbenes Geld heimträgt für Weib und Kind; der Mann, der am Morgen froh und wohlgemut an die Arbeit zieht,

ob sie ihm gleich Schwielen in der Hand verursacht, und seine Schweißtropfen zur Erde fallen läßt, weil daheim die Seinen auf ihn rechnen; die Mutter, die an der Wiege ihres Kindes

bleibt, die da waltet im häuslichen Kreise und nicht Kinder und Haus leichtfertigen Dienstboten anvertraut, die ihr Glück nicht sucht draußen in der Welt, sondern am häuslichen Herde; der Gelehrte, der in alle Tiefen des Menschenlebens hinabsteigt, der nicht mit Vorurteilen an seine Arbeit herangeht, dem nicht von

vornherein das Resultat feststeht, bei dem er anlangen will, son­ dern es erst sorgfältig sucht, dessen einziges Bestreben es ist, die Wahrheit zu suchen, und sollten die gewonnenen Resultate der Welt auch noch so wenig passen und ihm noch so wenig Lorbeeren

von ihr eintragen: die alle kommen dem Gebote der Erlösers

„So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen." Wohl, m. L., das kostet viel Überwindung. Denn das nach:

stolze, eitle Menschenherz macht andre Ansprüche, dem gefällt es besser, in den Kreisen sich zu bewegen, wo Ruhm zu ernten ist unb die Menschen angesehene Stellung ihm zuteil werden lassen.

Selig, rufen wir auch hier aus, die Jünger, die Kirche, denen in der Fußwaschung des Meisters so eine bleibende

Anweisung gegeben ist, wozu die Erlösung durch Christum uns ver­ pflichtet. Wenn die Jünger hinauszogen in die Welt und Schmach

46 und Schande ihrer warteten, dann rief diese Tat des Erlösers ihnen zu:

Es ist mein Wille also, daß ihr um der Menschheit

willen das auf euch nehmen sollt.

Wenn die Diener der Kirche

im Mittelalter ihre Stellung verkannten und sie benutzten, um eigener Genußsucht und Ehrsucht zu fröhnen, dann trat ihnen

strafend und warnend das Bild vor die Seele, wo der Meister seinen Schurz nahm, um den Jüngern die Füße zu waschen.

Und wenn wir alle, die wir seinen Namen tragen, die wir eifern für seine Sache, vor seinem Bilde stehen, wie ruft es uns da zu: Laß fahren den Hochmut deines Herzens, demütige dich

selbst,

leg ab alle Gewänder, in die du so gern dich hüllen

möchtest, und wisse dich als ein Diener derer, die mit dir auf

einem Wege zur Heimat wallen.

O, du treuer Meister, der du in die tiefsten Tiefen dieses Erdenlebens dich erniedrigt hast um unsertwillen, rufe du auch

heute einem jeden unter uns zu: Wisset ihr, was ich euch getan habe?

Predige du uns gewaltig, daß es uns zu Herzen gehe,

wie teuer du uns erlöst hast und was du von uns forderst; dazu segne auch diese Stunde an unsren Herzen.

Amen.

V.

Gethsemane. Gnade sei mit uns und Friede von Gott unsrem

Vater und unsrem Herrn Jesu Christo.

Amen.

Matth. 26, 36-46. Stille Nacht, heilige Nacht!

Alles schläft, einsam wacht Nur das traute, hochheilige Paar — so beginnt ein allbekanntes Weihnachtslied, und nach leiser Ver­

änderung wären diese Worte wahrlich eine passende Überschrift

für die Erzählung, die ihr soeben vernommen habt.

Still war

die Nacht, in der der Erlöser nach der Feier des letzten Passah­ mahles die Stadt Jerusalem verließ und mit seinen Jüngern über den Kidron hinüber seine Schritte nach der Richtung des Ölberges lenkte. Der Lobgesang, der zur Feier des Mahles

gehörte, war verstummt.

Die Reden, welche Jesus noch aus dem

Wege mit den Jüngern angeknüpft, waren beendet.

gingen die Jünger dem Meister nach.

Schweigend

Kein Laut drang aus dem

fernen Jerusalem an der Wandernden Ohr. Kein Geräusch unter­

brach die Stille der schönen Frühlingsnacht. Nacht.

Auch heilig war die

Denn ob es auch die Nacht war, welche durch die schwär­

zeste Tat der Menschheit gebrandmarkt ist, durch den Verrat des Judas am eingebornen Gottessohns, ob auch in ihr die Sünde

der Menschen einen ihrer furchtbarsten Triumphe feierte; diese trüben Erinnerungen werden bei weitem ausgewogen durch den

48 Sieg, den der Sohn Gottes hier errungen.

Alles schläft.

Die

Tausende der Festpilger, welche von nah und fern herbeigeströmt

sind in die heilige Stadt und am Tage in den Straßen auf-

und niederwogten, hat zum Teil der Schlaf umfangen.

Die

eigenen Jünger des Meisters sehen wir einschlafen, und wir hören,

wie der bittere Vorwurf sie trifft: Könnt ihr denn nicht eine

Stunde mit mir wachen?

Ja, ob man auch im Tempel rege

genug ist, um dem Verräter die nötigen Helfershelfer zur Ver­

fügung zu stellen, ob man mit gespannter Erwartung dem Augen­ blick entgegensieht, wo Jesus als Gefangener eingebracht werden soll, ist diese Rührigkeit im Grunde etwas anderes, als ein Zeugnis von dem geistigen Schlaf, in den die Machthaber Jeru­

salems, in den die ganze Welt versunken ist?

Einsam wachend

finden wir hier den Erlöser in der Stille Gethsemanes, einsam

wachend unter den schlafenden Freunden, einsam wachend unter der träumenden Menschheit.

Doch, wie so ganz anders klingen die Worte am Weihnachts­

feste, wie anders als Überschrift über der Erzählung von Geth­ semane!

schütternd.

Dort freudig und verheißungsvoll, hier trübe und er­ Denn dort enden sie in die frohe Kunde:

„Christ,

der Retter ist da," hier stehen am Schluß die Worte: „Stehet auf, lasset uns gehen; siehe, er ist da, der mich verrät."

Dort

sind sie Ausdruck der Freude über das aufgehende Licht, hier eine

Beschreibung der unheimlichen Stille vor dem Sturme.

Und

doch — wenn wir uns fragen, welche Stille ergreifender und verhängnisvoller gewesen für die Menschheit — ich würde der

Nacht von Gethsemane den Vorzug geben, und fragt ihr mich weshalb, so würde ich euch antworten: Weil der Erlöser uns hier so fast unbegreiflich menschlich nahetritt und dann trotzdem in seiner ganzen göttlichen Größe vor uns steht.

Wir hören

Jesum klagen: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod." Wir sehen ihn sich niederwerfen zur Erde;

wir hören ihn beten:

„Vater ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht

wie ich will, sondern wie du willst."

Aber gleich darauf sehen

wir ihn wiederum vor uns in seiner göttlichen Majestät.

Er

49 merkt, rote der Verräter kommt mit der Häscher Schar und spricht gewissermaßen als Sieger: „Stehet auf, lasset uns gehen;

siehe, er ist da, der mich verrät."

Wir reden daher heute mit­

einander dergestalt von der Erzählung über die Vorgänge in

Gethsemane, daß wir fragen 1.

nach dem, was den Heiland niederbeugt;

2.

nach dem, was den Heiland erhebt.

I.

Seit lange schon hat Jesus seinen sichern Tod vor Augen gesehen.

Er hat anfangs voller Ruhe seinen Jüngern eröffnet:

„Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen

Sohn wird überantwortet werden den Heiden."

Das Los,

welches ihm in Jerusalem zuteil werden sollte, hat ihn darauf vor den Toren der Stadt zu seinen Tränen veranlaßt.

Bei

den feierlichen Vorgängen in Bethanien klingt der Gedanke an den nahen Tod mit einer gewissen Wehmut durch in den Worten:

„Sie ist zuvorgekommen meinen Leichnam zu salben zu meinem Begräbnis."

Bei der Fußwaschung weist die ganze Symbolik

der Handlung auf die von Jesu selbst seinem Tode beigelegte

Bedeutung hin.

Doch, gerade darin zeigt sich die volle Mensch­

heit Jesu, daß er sich erst immer mehr in diesen Gedanken an seinen Tod hineinleben, ja hineinringen muß.

Wenn der

Krieger hinauszieht in den Kampf fürs Vaterland, dann ent­

rollen wohl Tränen seinen Augen bei dem Gedanken: du weihst dich jetzt dem Tode; aber wiederum schaut er auch noch kühn

dem Gedanken entgegen und stimmt mit ein in die Kriegs- und Siegeslieder seines Volkes.

Doch, wenn er näher dem Schlacht­

felde kommt, wenn von ferne der Donner rollt, wenn die feind­ liche Kugel ihn zu Boden streckt, so daß er dem weiterziehenden Heere nicht mehr folgen kann, wenn er da nur das Röcheln der Sterbenden hört und auch des eigenen Todes gewiß wird, wenn er denkt an die fernen Lieben, an die Eltern, an Weib und Kind: ja, dann erfährt er, daß das Sterben doch so leicht nicht 4

50 ist, als er einst sich geträumt.

M. L-, wir haben schon das letzte

Mal die Bemerkung gemacht, daß wir den Erlöser nicht aus das

Niveau des Gewöhnlichen herabziehen dürfen.

Aber auch ihm

tritt die ganze Gewalt seines Todes erst näher, je näher er ihm kommt.

Wir sehen ihn daher am Tage vor seinem Tode nieder­

fallen auf sein Angesicht und hören ihn beten: „Mein Vater, ist

es möglich, so gehe dieser Kelch von mir."

Wir hören ihn reden

zu den Jüngern: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod."

Wir merken, wie tief es ihn bekümmert, daß sie schlafen und

ruhen wollen und nicht eine Stunde mit ihm wachen können.

Von jeher haben die Feinde des Christentums gemeint, es zeige sich hier eine Schwäche des Erlösers, die ihn hinter anderen

zurückstehen lasse.

Man weist darauf hin, wie doch so mancher

Jüngling kühn hinausziehe in den Kampf fürs Vaterland; den schrecke nicht Tod, nicht Beschreibung alles Elends, das ihm be­

vorstehe.

Man weist hin auf Sokrates, jenen Weisen Griechen­

lands, der einst gelassen den Giftbecher trank, den man ihm reichte, auf die Philosophenschule der Stoiker, die gelassen alles

Leid zu tragen lehrte, auf die große Zahl der christlichen Mär­

tyrer, welche unter Liedern und Gebeten auf Scheiterhaufen und unter Steinwürfen verscheiden konnten.

Doch, m. L., es gilt für

uns klar zu durchschauen, was den Erlöser beugte, um danach

sofort den gewaltigen Unterschied zwischen ihm und den Genannten zu erkennen.

Ist es nur der Gedanke

an den Spott und Hohn der

Menschen, die ihm bevorstanden, nur die klare Erkenntnis dessen,

was er von den Leidenschaften des Volkes, von der Roheit der

Römer, von der Wut der Priester zu erwarten hatte? Ist es nur der Gedanke an alle Marter und Qualen, die der Tod am

Kreuze mit sich bringt? O, seid versichert, das alles hätte seine

hohe Seele nicht gebeugt!

Da ist es denn aber wohl der Ge­

danke, in der Blüte der Jahre scheiden zu müssen von dieser Erde? Allerdings, unter uns würde das manchem schwer genug,

ja, zu schwer gewesen sein.

Denn das Bewußtsein zu haben, daß

wir doch noch gar nichts geschafft haben, das ist uns so drückend.

51 Und wenn der Unsrigen einer in den besten Jahren von uns

scheiden muß, dann hören wir wohl die Angehörigen klagen: Ach,

warum so frühe!

Wieviel Hoffnungen hatte sein Vater, seine

Mutter auf ihn gesetzt!

Ein so blühendes Leben, das noch so

froh in die Zukunft blickte, wie hätte das noch das Leben ge­ nießen können! Doch auch von solchen Gedanken ist der Erlöser

fern.

Alle Weltsucht war ihm ja von vornherein ferngeblieben,

und wenn er andererseits noch die volle Kraft feines Armes

fühlte, noch die volle Jugendfrische seines Geistes erkannte; wenn

er das Bewußtsein von sich hatte, noch Tausende zur Buße

rufen, noch an tausend einzelnen Seelen arbeiten zu können: so konnte er auch hier in den Gedanken sich hineinringen, wenn cs anders kommt, dann ist es also bestimmt in dem Willen des

himmlischen Vaters. Um des Erlösers Zittern und Zagen recht zu verstehen,

müssen wir bedenken, wer er war, was er beabsichtigt, und was er erreicht hatte.

Mit hohen Gedanken war er eingetreten in

den Kampf des Lebens.

Selbst stehend in dem innigsten Ver­

hältnis zu seinem himmlischen Vater, selbst sich wissend als den

eingebornen Sohn Gottes, hatte er darin das Heil der Welt erblickt, daß auch sie dieser seligen Gemeinschaft teilhaftig werde,

hatte er oftmals gen Himmel gefleht, daß sie eins bleibe, gleich

wie er eins sei mit seinem Vater.

Wieviel Entsagung, wieviel

Kämpfe hatte er darum auf sich genommen!

Jetzt stand er am

Ende seines Lebens, und was war erreicht? Das Volk, das einst

ihm zugejubelt, sollte jetzt bald rufen: „Kreuzige, kreuzige ihn!" Von den Zwölfen, die er näher an sich gezogen, mit denen er

so oft gebetet, und die er so treu unterwiesen, war der eilte jetzt

hinausgegangen, um seinen Verräterplan ins Werk zu setzen, der

andere, der Festesten einer, konnte ihn im nächsten Augenblicke

verleugnen.

Sie alle hatten ihn nicht verstanden, und die drei

Liebsten fand er schlafend in der für ihn so ernsten Stunde; und

doch waren sie es, in deren Hände er sein Werk legen mußte,

die in seinem Geiste weiterwirken sollten.

Die Antwort der

Welt auf die Liebe, die er ihr entgegengebracht, war das Kreuz, 4*

52 das man ihm errichtete, und seine Behauptung, daß er Gottes Sohn sei, brandmarkte sie mit der Entgegnung, er habe Gott

Er war gekommen zu dem Volk der Verheißung,

gelästert.

dessen heilige Schriften auf ihn Hinwiesen, dessen Propheten von ihm geweissagt hatten, dessen Gott sein Gott war.

Aber gerade

dieses Volk stieß ihn von sich.

Was konnte er danach erwarten

von den Völkern der Heiden?

Er hatte der Menschen Herzen

gründlich kennen gelernt, er wußte, schwach wie die Jünger sind

sie alle, mit Vorurteilen sind sie alle behaftet, für reine Reli­ giosität, für den

einen Vater im Himmel haben sie alle so

wenig Verständnis; wachen können sie alle nicht, schlafen wollen sie, und in Anfechtung fallen müssen sie.

Wenn es sich darum

handelt, irdische Schätze zu erwerben, dann sind sie bereit, und wie manche Nacht kann da durchwacht werden, wenn es gilt, einen Gewinn zu

erlangen oder teure Schätze zu bewahren,

wenn es gilt, Freude und Genuß sich zu verschaffen.

Aber wachen

auf sein eigenes Herz, für seiner Seele Heil, das will der Mensch

nicht.

Und wenn das alles nun dem Erlöser vor die Seele trat,

war es wunderbar, wenn er anfing zu zittern und zu zagen?

Konnten nicht solche Gedanken in ihm sich regen, wie diese: Verließest du dazu die Stille des Vaterhauses? Rissest du deshalb

dich fort aus den Armen einer liebenden Mutter? Verzichtetest du deshalb auf die Ruhe des bürgerlichen Lebens in deiner Vater­

stadt Nazareth? Gingst du deshalb fort aus der stillen friedlichen

Heimat in Galiläa hinein in das sturmbewegte, kampfesreiche Leben der Welt? Einst glaubtest du ja doch eine Stimme Gottes zu vernehmen, die auf diese Bahnen dich rief, und alle gegen­ teiligen

Bestrebungen

Lockungen des Satans.

Vernunft,

wiesest

du

von

dir

als

versucherische

War es denn doch eine Stimme der

die einst dich bewegen wollte, in der Heimat zu

bleiben und am eigenen häuslichen Herd das Glück zu genießen?

Verstehen wir es, wenn der Erlöser, das alles zusammenfassend, seinem Herzen mit den Worten Luft macht: „Meine Seele ist

betrübt bis in den Tod?" O, wenn ein Vater oder eine Mutter

aus dieser Welt mit dem Bewußtsein scheidet, es bleiben Kinder

53 zurück, die noch nicht versorgt sind, derer keine Liebeshände sich

annehmen werden, nicht wahr? dann wird ihnen das Scheiden doppelt schwer; und wenn wir einen Lieblingsplan verfolgt haben, haben demselben auch wohl viele Opfer gebracht, aber dabei die Erfahrung machen müssen, daß die Welt so gar kein Verständnis

dafür zeige, wie sind wir dann so verzagt! Ja, roemt wir Diener am Wort nach viel Mühe und Anstrengung am Ende unseres Lebens stehen und merken, wie wenig wir doch erreicht haben, wieviel Mißverständnis, wieviel böser Wille uns hindernd in den

Weg trat, dann wird auch uns das Scheiden doppelt schwer. Aber wir gehen dahin und werden durch andere wieder ersetzt;

unsere Kraft ist so schwach, und die Kraft anderer wird die mistige weit überragen; unser Pfündlein ist so gering und sollte es jeweilen vergraben werden, würden andere es doch wieder ans Tageslicht bringen; in Gethsemane dagegen ringt der Sohn Gottes, der als der Eingeborne des Vaters über uns allen steht; in ihm hat das Licht in der Finsternis geschienen, und wenn es erlischt, wird's ewig finster bleiben; er hat das Höchste im Herzen

getragen, was die Menschheit beglücken kann, was die Verheißung hat dieses und des zukünftigen Lebens, und mit ihm fcheint auch dieses Leben völlig verloren zu sein.

M. L., denkt euch hinein

in die Lage eures Meisters, und ihr werdet verstehen, warum er spricht: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod."

II. Zuni andern tritt nun die Frage uns nahe, was in Geth­ semane den Heiland wiederum erhob? — Was ist es, was des Jünglings Brust hebt, wenn er hinausgeht in den Kampf fürs Vaterland, wenn er mit lauteni Rufen den feindlichen Kugeln entgegeneilt? Es ist nicht selten der Rausch der Begeisterung der fast fieberhaft in den Stunden der Gefahr des Vaterlandes sich fortpflanzt vom einen auf den andern; es ist oft die be­ ständige Aufregung, der Schall begeisternder Lieder, der alle nüchterne Reflexion verdrängt; es ist der Tatendurst, der Drang

54 nach äußerer Ehre, der jugendliche Leichtsinn, der, ach, nur allzu geneigt ist, von jedem Augenblicke des Lebens mehr die lichte,

als die dunkle Seite ins Auge zu fassen.

Es sei ferne von uns,

zu unterschätzen, was unsere deutsche Jugend bis 1870 und 71 erst geleistet hat.

Aber wenn wirklich nur da hätte gelobt und

gepriesen werden sollen, wo der Gedanke an den Tod bei voller Nüchternheit durch das Bewußtsein überwunden wäre: du weihst

dich jetzt dem Vaterlande, wie manches Lob hätte da verstummen, wie mancher Mund, der jetzt zu eitlem Ruhme sich auftut, hätte sich da schließen müssen! Ja, selbst da, wo dies Bewußtsein tat­

sächlich den Sieg davongetragen, wäre es da nicht gestützt ge­ wesen durch eine Jahrtausende lange Geschichte der Menschheit? Wie ost lehrt sie uns doch, daß das Vaterland gerettet worden

durch das Blut der Braven, die für dasselbe in den Tod ge­

gangen!

Aber hier in Gethsemane rang der Erlöser mit einem

Tode, von dem Heil ausgehen sollte für die ganze Welt, Ver­

söhnung für alle zerschlagenen Herzen, Erlösung von der Sünde für alle, die den Kampf des Lebens kämpfen möchten, und keine

Geschichte lehrte ihn, daß früher Ähnliches geschehen.

Als So­

krates einst gelassen den Giftbecher trank, da hatte er das Be­ wußtsein, er habe sein Ziel erreicht, er ließe Jünger zurück, die

zum Teil größer wären

als er selbst, sein Tod würde seinen

Eindruck nicht verfehlen, weder unter den eigenen Anhängern,

noch unter den Richtern, die ihn nur mit geringer Majorität verurteilt, noch unter den Gleichgültigen, bei denen seine über­

zeugungstreue doch ihre Wirkung tun würde.

Wo aber lag für

Jesum eine äußere Veranlassung zu ähnlicher Hoffnung?

Wenn

die christlichen Märtyrer seinerzeit freudig schieden und noch von

ihren Scheiterhaufen ihre Lieder zum Himmel emporgingen, dann half ihnen ihre glühende Phantasie, die das Bild ihnen ausmalte,

wie der Heiland selber, wie er, der Gestorbene und Auferstandene, ihnen entgegentrete und die Siegerkrone ihnen darreiche.

Aber

hier in Gethsemane rang eine Seele, welche durch keine äußern

Vorgänge auf diese Krone verwiesen ward.

Was das Herz jener

alten Philosophen, der Stoiker, beruhigte angesichts des bittersten

55 Leids, war der Gedanke an das nun einmal unvermeidliche Ge­ schick, an das über uns schwebende Verhängnis, dem keiner ent­

gehen kann, und in das daher jedes Herz sich fügen muß, das

Bewußtsein, damit der Tugend zu leben, die eben Übereinstim­

mung des Menschen mit seinem Schicksal fordert.

Hier ward

daher der Schmerz unterdrückt, aber das Herz nicht gehoben. Aber was ist denn das Eigentümliche, was in Gethsemane

erhebend wirkt? Laßt uns bedenken: nachdem Jesus in jenem

Saale mit seinen Jüngern das Osterlamm gegessen und das

heilige Abendmahl eingesetzt, da ist er hinausgegangen in Gottes freie Natur.

Dort verdeckten ihm ja keine Wände den freien

Blick gen Himmel, dort konnte er ja in der mond- und stern­

hellen Nacht ungestört mit seinem himmlischen Vater reden und ihm sein ganzes Herz ausschütten.

Und als er da rang, er, der

Sohn Gottes, vor dem Angesicht seines himmlischen Vaters, was

war es da, was ihn erhob?

Ward ein äußeres Zeichen vom

Himmel ihm gegeben, nachdem er etwa sehnsüchtig ausgespäht? Verfinsterte sich der Mond vor den Schmerzen des Gottessohnes?

Zogen am fernen Horizonte schwere Gewitterwolken zusammen, um die Welt zu vernichten, die Welt, welche sich rüstete zur schwärzesten Tat?

Fiel etwa ein Blitzstrahl hernieder auf des

Tempels Gebäude, um jene Rotte zu verderben, welche dort ihre Pläne schmiedete? Rief etwa eine Stimme hernieder aus Him­ melshöhen: Im fernen Osten ziehe ich meine Streiter zusammen, die über die Welt herfallen werden, um das Blut meines Sohnes

zu rächen? Nein, alles bleibt ruhig.

Einsam bleibt der Gottes­

sohn; die Erde schweigt, und der Himmel schweigt mit ihr.

Wer

ihn dort auf seinen Knien hätte liegen sehen, beleuchtet vom

blassen Scheine des Mondes, der durch die Blätter fiel, er hätte glauben können, daß auch der himmlische Vater ihn verlassen habe.

Und dennoch hätte der Zuschauer etwas gesehen.

Er hätte

bemerkt, wie sein Blick sich änderte, wie das eben noch in tiefer

Trauer zur Erde gewandte Auge sich erhob und wie verklärt gen

Himmel blickte.

Derselbe, der eben noch sprach: „Meine Seele ist

betrübt bis in den Tod", ist umgewandelt zu dem, vor welchem.

56 wie Johannes erzählt, die Schar der Häscher zurückweicht und zu Boden fällt. — Was hat sich ereignet?

Ist das Gebet in

Erfüllung gegangen: Mein Vater, ist es möglich, daß dieser

Kelch von mir gehe? ist der bittere Kelch des Todes ihm er­ lassen?

O, wir wissen, was folgte.

Der Kelch des Todes ist

getrunken; aber was genommen ist, ist das, was für den Erlöser

das Bittere dieses Kelches war.

Genommen ist der Kelch des

Zweifels, ist die versucherische Stimme.

erzählt uns (Kap. 22, 43):

Der Evangelist Lukas

„Es erschien ihm ein Engel vom

Himmel und stärkte ihn;" und das Wort gibt uns den Schlüssel

des Rätsels.

Unsichtbar fremdem Auge, nur dem eigenen Herzen

vernehmlich, naht sich der himmlische Bote, streckt der himmlische Vater selbst seine Hand nach seinem Sohne aus, und es ist ihm, als vernähme er von neuem die Stimme: „Dies ist mein lieber

Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." Herr selber ihm zuriefe:

Es ist ihm, als ob der

du ruhst auch jetzt in den Stunden

der schwersten Angst in meinen Vaterhänden; du wirst von der Welt verhöhnt und verspottet, ja gekreuzigt werden; aber dann,

wenn es vollbracht ist, dann nehme ich dich auf in meine Vater­

arme und gerade, weil du am Kreuze gestorben, wird dich die Welt anrufen und verehren; du ziehest von dannen in der Blüte deiner Jahre, und obgleich dein Werk nur noch unscheinbar und klein ist — so hast du doch ein Saatkorn hineingestreut in die

Menschenherzen, das dereinst aufgehen muß.

Mein heiliger Geist

wird einst als ein befruchtender Regen sich hinabsenken auf sie, und alsdann werden die Keime aufgehen zu einem gewaltigen

Baum, unter dem die Vögel des Himmels ihre Nester bauen.

Mein Sohn bist du, mein Sohn bleibst du; aber dein Weg durchs Kreuz ist von mir gewollt nach meinem weisen Vaterrat.

Seht,

m. L-, diese Stimme ist es, die der Erlöser in Gethsemane ver­ nommen.

Sie ist es, welche selbst über den Anblick der immer

wieder schlafenden Jünger ihn sich hinwegsetzen läßt, welche ihn

kühn dem Tode entgegengehen heißt. Aber mit welchen Gefühlen, welchen Entschließungen wollen

wir denn heute von Gethsemane scheiden? Warnen lassen wollen

57 wir uns

von den Jüngern, welche

abseits

schlafen

können,

während Jesus im Gebete ringt, und wenn wir heute geneigt

sein sollten, sie deshalb zu richten, dann wollen wir uns daran erinnern lassen, wie oft wir ein Ähnliches tun.

Siehe, wenn

du heute fortzögest von dieser Stätte, wo der ringende Meister dir nahegetreten, und es ginge kein Stachel dir durch deine Seele

über die Sünde,

die du begangen, dann hättest du als ein

Schlafender vernommen, was der Heiland für dich getan.

Um

deiner Sünde willen hat dein teurer Erlöser ja auch in Geth­

semane gerungen.

Du trägst ja auch die Sünde an dir, um

deretwillen er das Werk der Erlösung auf sich genommen hat, ja, in den Tod gegangen ist.

Und wenn du nun von dannen gingest,

ohne feste Entschließungen, in Zukunft weniger als bisher zu klagen über herbe Unglücksfälle und schwere Schicksalsschläge, in

Zukunft wie dein Erlöser zu beten: Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir, dann hättest du abermals als ein

Schlafender vernommen, was der Heiland für dich getan.

Darum

wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet.

Amen.

VI.

Der TodeFgang. Der am Kreuz ist meine Liebe, Meine Lieb' ist Jesus Christ, Dem ich treu zu sein mich übe. Weil er mein Erlöser ist. Was die Welt liebt, hasset Gott; Ihre Liebe bringt den Tod. Jesum will ich nie betrüben, Meinen Jesum will ich lieben. Amen. Luk. 23, 26-31. Nie heilige Passionszeit, in der wir stehen, naht sich ihrem

Höhepunkte.

Denn mit dem heutigen Tage treten wir ein in die

sogenannte stille Woche, welche gar wohl geeignet erscheint, auch da selbst, wo sonst das rastlose Leben der Alltäglichkeit den

Menschen bewegt, einmal Halt zu gebieten und die Gedanken

auf den Ernst zu richten, welcher im Leiden unseres Meisters uns nahegebracht wird.

Es ist der Palmsonntag, den wir heute feiern,

der seinen Namen hat von den Palmen, welche das Volk einst dem Meister auf den Weg streute, als er zum letzten Male seinen

Einzug hielt in die heilige Stadt.

Da könnte es euch nun wohl

wundernehmen, daß ich gerade die verlesenen Textesworte mir für unsere heutige Betrachtung gewählt habe.

Scheinen sie doch

so ganz das Gegenteil von dem zu bieten, was ihr wohl er­

wartet.

Ihr gedenket des feierlichen letzten Einzuges Jesu in

Jerusalem, und ihr werdet gestellt vor seinen schaudererregenden letzten Auszug.

Ihr gedenket des Meisters inmitten der be­

geisterten Scharen galiläischer Festpilger, die ihm ihr Hosianna

59 singen, und ihr findet ihn hier inmitten zweier Übeltäter, „die

mit ihm abgetan werden sollen."

Ihr gedenket der grünen Pal­

menzweige, die das Volk dem Heiland auf den Weg streut, und eure Aufmerksamkeit wird hier auf den dürren Kreuzespfahl ge­ lenkt, den der Erlöser aus seinen Schultern trägt. Aber ist denn nicht gerade dieser Gegensatz gar wohl imstande, die rechte Palmsonntagsstimmung in uns wachzurufen? Wie könnten wir

des Einzuges gedenken, ohne den Auszug uns zu vergegenwär­ tigen, wie den freudigen Hostannaruf hören, ohne mit Wehmut den weiteren Verlauf uns vorzustellen? O, daß wir mit dem Bewußtsein in die fülle Woche einträten und durch dieselbe hin­ durchgingen, daß das menschliche Herz so gar wankelmütig ist,

daß Verherrlichung und Verwerfung des Heiligsten in ihm oft so nahe beieinanderliegen. 'Wenn darum heute die stille Woche für uns beginnt; wenn ein heiliger Schauder hindurchzieht durch unsere Herzen; wenn wir mehr denn sonst wohl zum Heilande

uns hingezogen fühlen: dann sollen wir es uns gesagt sein lassen, wie ernst wir es damit zu nehmen haben, wie sehr wir zu wachen haben über unser eigenes Herz. So möge denn dies heute unser Thema sein: Mit welchen Entschließungen sollen wir den Hei­ land begleiten auf seinem Gang nach Golgatha?

1. unser Kreuz auf uns zu nehmen; 2. aufrichtiger Reue uns hinzugeben; 3. hinzublicken auf die Güte, aber auch aus den Ernst und das Gericht unseres Gottes.

I.

„Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen, Simon von Kyrene, der kam vom Felde, und legten das Kreuz auf ihn, daß er es Jesus nachtrüge;" so beginnt unser Text. nicht, was hier von dem Simon uns erzählt wird.

Viel ist es Aus der

Darstellung des Evangelisten Markus erfahren wir auch nur noch,

daß er ein Vater des Alexander und Rufus gewesen (Kap. 15, 21),

60 und wenn der Evangelist Veranlassung dazu hatte, dies besonders zu erwähnen, so mögen die beiden Söhne wohl in der Christen­ heit, für welche er schrieb,

bekannt gewesen sein.

Ja, die An­

nahme liegt vielleicht nahe, daß sie selbst Christen gewesen.

Im

übrigen sind wir darauf angewiesen, mit unserer Phantasie näheres

über den Simon uns auszumalen.

„Er kommt vom Felde", heißt

es in unserm Text, und da denken wir doch unwillkürlich daran, wie er da gearbeitet hat im Schweiße seines Angesichts.

Wie mag

er da wohl unter des Tages Last und Mühe schon in dem Ge­

danken sich gefreut haben, daß alsbald des Festes Tage kämen, wo er ruhen könnte von seiner Arbeit.

So zieht er denn an

jenem Morgen der heiligen Stadt zu; aber als er von der Höhe

des Berges herniedersteigt, da begegnet ihm der Zug der drei zum Kreuzestode Verurteilten, von denen der eine, Jesus, als­

bald unter der Last des Kreuzes erliegt, und plötzlich werden seine Pläne und Gedanken durchkreuzt.

Die römischen Soldaten,

welche sich wohl selbst zu diesem Knechtesdienste für zu gut ge­

halten haben mögen, requirieren ihn, um Jesu Kreuz auf seine Schultern zu legen.

Wir brauchen hier nicht viel darüber zu

reden, ob sie den Simon deshalb wählten, weil draußen vor den

Toren wohl wenig andere geeignete Personen ihnen begegneten,

da die ganze Volksmenge sich in die Stadt zusammendrängte, oder weil er ein einfacher Sklave war, der diesen Knechtesdienst sich schon gefallen lassen mußte, oder weil er etwa ein Anhänger

Jesu gewesen.

Die Hauptsache ist die, daß Simon ohne Murren

das Kreuz dem Erlöser nachträgt, daß er sich für diesen Knechtes­ dienst nicht für zu gut hält, daß er nicht erst lange fragt, warum gerade er und nicht ein anderer zum Tragen des Kreuzes bestimmt

worden sei. Seht, m. L., in diesen angedeuteten Zügen aus dem Leben des

Simon von Kyrene liegt eine große Zahl vortrefflicher Winke für uns.

Wie oftmals wird das Kreuz des Herrn auch uns auf

die Schultern gelegt; ja, wenn wir einmal nachfragten bei den einzelnen, die hier versammelt sind, von wie gar verschiedenem Kreuz würden wir da hören!

Wie manchen Familienvater drückt

61 gerade in dieser Zeit die bange Sorge, wie es ihm gelingen solle,

Weib und Kind durchs Leben zu führen! Wie mancher trägt

sein schweres Kreuz in dem traurigen Unfrieden, der im Hause

herrscht, wo er Ruhe und Frieden finden möchte, wenn er heim­

kehrt aus

dem Kampfe des Lebens.

Reden wir nicht von

schwerem Kreuz, das uns auferlegt sei, auch dann, wenn wir gestellt

werden an Krankenbetten und Sterbelager, wenn unsere schönsten Pläne vereitelt werden, wenn unsere Lieblingswünsche nicht in

Erfüllung gehen? Und ist nicht auch das eine bittere Erfahrung, die wir so oft machen, daß das Kreuz plötzlich für uns kommt, daß es gerade da uns auserlegt wird, wo wir eben in dem Ge­ danken uns zu freuen beginnen, daß ein Teil schwerer Mühe,

schwerer Arbeit bald von uns genommen werden soll?

Wie oft

klagt doch ein Mutterherz: eben ist mein eines Kind gesund, und eben sind die schweren Nachtwachen erst vorüber, eben hoffte ich mich wieder zu erholen, da ward ich plötzlich an den Sarg des

zweiten Kindes gestellt!

Wie oft klagt doch der Geschäftsmann:

eben erst habe ich einen großen Verlust gehabt, kaum ist er ein

wenig überwunden, da trifft mich ein neuer! Wie oft ist es bei

so manchen unter uns zum Aberglauben geworden, daß ein Unglücksfall nie allein über uns komme, sondern immer noch

weitere nach sich ziehe! Aber wie schwer wird es uns in solchen

Fällen, unser Kreuz aus uns zu nehmen!

Es kommen solche

Gedanken in unsern Herzen auf wie diese: Warum bin ich denn immer ausersehen, das Kreuz zu tragen? .Es gehen ja doch Tausende mit mir durch das Leben, denen nichts auferlegt wird.

Gibt es denn keine Gerechtigkeit mehr über den Sternen, die danach Freud' und Leid verteilt, wie der einzelne sich stellt zu

seinem Gott? In solchen Stunden möge dann Simon von Kyrene uns

vor die Seele treten als das Bild eines treuen Kreuzträgers.

Mag es ihm auch wohl anfangs recht ungelegen gekommen sein,

daß er Jesu das Kreuz nachtragen mußte, wieviel seliger wird er nach diesem Gange nach Jerusalem zurückgekehrt sein! Selig war er schon in dem Bewußtsein, so einem Armen und Erschöpften

62 wenigstens einen Liebesdienst erwiesen zu haben.

Sollte er aber

in späteren Jahren wirklich mit seinem Hause ein Christ geworden sein, wie beseligend mußte dann erst der Augenblick ihm er­

scheinen, wo er dem Meister zuerst sein Kreuz nachgetragen, ja,

wie dankbar mußte er dann dafür sein, daß ihm gerade einst das Kreuz auferlegt worden sei.

O, wie oftmals geht es ähnlich im

Menschenleben, daß in späteren Jahren erst uns klar wird, wie gerade die Stunden, die uns früher nicht gefielen, so segensreich

waren für uns.

Der Knabe murrt wohl, wenn des Lehrers

züchtigende Hand ihn trifft, ihm scheint es zuviel, wenn von ihm

verlangt wird, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Unterricht in der Schule zu folgen, und wenn dann auch in den Erholungs­ stunden noch Anforderungen an ihn gestellt werden.

Der Mann

dagegen schaut dankbar auf die Stunden zurück, wo er mit Emst und Strenge zur Arbeit angehalten ward, der Mann beklagt jede Stunde, die einst unausgenutzt vorübergegangen.

Damm, mein

Christ, wenn schweres Kreuz dir auferlegt wird; wenn die Wege,

die dein Gott mit dir geht, dir nicht gesallm mögen: dann vergiß

das eine nicht, dein Auge gleicht noch gar sehr dem des Kindes. Es liegt ein Flor noch vor demselben, der dich nicht klar und

deutlich sehen läßt.

Aber einst wird dieser Flor schwinden, einst

dein Auge klarer sehen.

Ob schon hinieden oder erst dann, wenn

du die irdische Hülle wirst abgelegt haben — die Stunde kommt,

wo auch du erkennen wirst, daß des Herrn „Gerichte wohl unbe­

greiflich und seine Wege unerforschlich sind", aber daß dmnoch

nur Segen aus seiner Hand stammt, daß in Tränen gesäet, aber in Freuden geemtet werden soll.

Gerade der erste schwere

Kreuzesgang wird nicht selten wie für Simon der erste Gang

zum Heil.

Denn wie oft lehrt uns die Geschichte, daß Leid

und Trübsal erst die Bekehrung des Sünders zuwege brachten.

Gerade der Gang auf die höchsten Höhen des Leids und der Trübsal läßt eben diese Höhen als die Berge erscheinen, von denen uns Hilfe naht, ja unendliche Ströme des Segens stießen.

Gerade das Kreuz, das uns so lästig und schwer dünkt, von dem

wir glauben möchten, es sei ohne allen Gmnd uns auferlegt.

63 gerade das wird uns zu einem Kreuz des Herrn, nach seiner

Weisheit, nach seinem Vaterrat für uns bestimmt.

Wenn wir

darum heute den Heiland begleiten auf seinem Gang nach Gol­

gatha, dann möge das unser erstes Bestreben sein, unser Kreuz willig auf uns zu nehmen.

II. „Es folgte ihm aber nach ein großer Haufe Volks und Weiber, die klagten und beweinten ihn;" so heißt es weiter in

unserm Text, und ich meine, es müßte uns wohltuend berühren, daß wir aus dem Leidensgange dessen, den wir so innig lieben möchten, wenigstens einige Herzen finden, die noch zu Tränen

gerührt werden können.

Bei den Priestern, bei Pilatus, bei

Herodes, die seit lange schon sich gewöhnt haben, mit Menschen­

blut zu spielen, ja, es kalten Herzens fließen sehen können, wenn

es ihren Interessen dient, da können wir keine Tränen erwarten. Ja, selbst bei den Jüngern erfahren wir nichts von Tränen über das Schicksal des Meisters, weil der Gedanke an ihre eigene

Rettung alle anderen in den Hintergrund treten läßt.

Aber es

ist von Bedeutung, daß der Erlöser nicht ohne weiteres die Tränen der ihn Begleitenden gebilligt hat, und das veranlaßt

denn auch uns, nach dem Grunde dieser Tränen zu fragen. Wer waren diejenigen, welche klagend und weinend dem Erlöser

folgten? Waren es etwa nur jene Weiber Galiläas, welche seit lange schon alle Worte seines Mundes ihm ablauschten? Nein,

wir hören, wie der Erlöser sie nachher anredet als Töchter von Jerusalem.

Wir werden daher wohl nichts Falsches annehmen,

wenn wir manche von ihnen auch selbst unter denen uns denken,

welche vor wenigen Stunden noch ihr „Kreuzige, kreuzige ihn" gerufen.

Das eben ist eine allbekannte Erfahrung, daß die große

Menge des Hetzens, des Verurteilens, des Verdammens nicht müde wird, aber schließlich, wenn es ernst wird, doch vor den

äußersten Konsequenzen zurückschreckt.

Andere mögen wohl deshalb

geweint haben, weil der Zug der Verurteilten zum Richtplatze

64 ihr weichliches Gemüt mit sich fortriß. Sie hätten auch dann geweint, wenn es sich nur um den Tod des ruchlosesten Ver­ brechers gehandelt hätte. Es ist für uns alle ja eben nur zu natürlich, daß uns schaudert, wenn wir uns in die Lage derer versetzen, welche von ferne schon die Richtstätte erblicken und ihre Qualen schon in nächster Nähe vor Augen sehen. Hier sahen sie

nun Jesum vor sich, ermattet durch schwere Seelenkämpfe und

durch Erfahrungen der traurigsten Art, verunstaltet von den Geißelschlägen und der Dornenkrone, mit denen man ihn gequält hatte. Noch andere mögen wohl geweint haben über den be­

gabten Jüngling, der durch seine Schwärmerei selbst in sein Elend gerannt sei. Wir kennen aus eigenster Erfahrung ja auch genug solcher Naturen, die keineswegs ohne Gefühle sind, die für das Tragische im Menschenleben ein volles Verständnis haben, denen

aber alles Streben für Ideale, alle Aufopferung für höhere als irdische Dinge unter den Begriff der Schwärmerei fällt. Solche Naturen mögen wohl die Reden Jesu gehört und seine gewal­ tigen Taten gesehen haben, und als sie ihn inmitten der zwei Übeltäter zum Richtplatze ziehen sehen, da mögen ihre Tränen

wohl geflossen sein.

Noch andere endlich waren dem Erlöser wohl

schon nähergetreten, sei es, daß sie sich noch nur zu ihm hingezogen fühlten und ihre Sympathien für ihn im Herzen trugen, sei es, daß sie schon offen oder verborgen sich mit ihm ausgesprochen hatten. Sie beweinten in ihm wirklich einen Verlust; ihnen entstand durch seinen Heimgang wirklich eine schmerzliche Lücke in ihren Kreisen. O,

wer zählt die

Gründe all der Tränen, welche den

Augen entquollen, als der Erlöser nach Golgatha zog. Aber wenn er mit seiner Kenntnis der Menschenherzen die Scharen überblickte, dann drängten sich ihm die Worte über die Lippen: „Weinet nicht über mich; weinet über euch selbst und über

eure Kinder." Tränen, wie segensreich sie Zeugnis der göttlichen Traurigkeit wirket, so niemand gereuet. Selig sind denn sie sollen getröstet werden. Aber

könnten sie sein, wenn wären, die eine Reue ja, die da Leid tragen; die Tränen müssen den

65 rechten Gegenstand haben.

Die Scharen, die den Erlöser be­

gleiteten, sie sollten hineinblicken in ihre eigenen Herzen. begleiteten ja den Helland der Welt bis an sein Kreuz.

Sie

Diese

Tatsache sollte ihnen klar vor Augen stehen, und dann sollten

sie sich fragen nach dem Grunde derselben.

Hier tat sich ihnen

nämlich ein Abgrund auf, der ihre Tränen veranlassen sollte, der Abgrund ihrer Sünde, ihrer Schuld.

Was Jesus einst be­

klagt, als er gesprochen: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Küchlein

unter ihre Flügel; aber ihr habt nicht gewollt"; worüber er einst

geweint, als er vor den Toren der Stadt stand und sprach:

„Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser

deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient; aber nun ist es vor deinen Augen verborgen": über das alles sollten auch sie weinen.

Daß Israel die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannte, daß das Licht in der Finsternis schien, aber die Finsternis es nicht begreifen

wollte, das war das Traurige, und deswegen sollten die einzelnen

an ihre Brust schlagen. Aber, m. L., heute sind wir es ja, die dem Erlöser nach­ schauen, wo er nach Golgatha hinaufzieht.

Unser Herz ergreift

es, daß er, der schon soviel gemarterte und zum Tode verur­

teilte auch sein Kreuz noch tragen muß und schließlich unter der Last desselben zusammenbricht. Solche Schreckensszenen erschüttern

uns Mark und Bein, und manche, denen die Tränen nur allzu

leicht entströmen, sind auch unter uns wohl zum Weinen geneigt. Ja, wenn wir Hinblicken auf die Tausende, welche sogar in dieser

Woche gefühllos an dem Kreuze vorübergehen, dann mag viel­ leicht so etwas von Wohlgefallen an uns selbst bei uns zu finden

sein, daß wir angesichts so vieler moderner Pllatus-, Judas-

und Priesternaturen wenigstens noch Tränen für den Erlöser übrig haben. Aber da klingt es denn auch an unser Ohr: „Weinet

nicht über mich; weinet über euch selbst und über eure Kinder." Das mag euch vielleicht wunderbar erscheinen.

Denn ihr seid es

ja nicht, welche den Erlöser an das Kreuz geschlagen.

Gerade

euch ist er ja im Gegensatz zu den Tausenden, die ihn verachten, 5

66 von Jugend auf lieb und teuer gewesen; und nun ergeht gerade

an euch die Aufforderung: „Weinet nicht über mich, sondern über euch selbst und über eure Kinder. “

Verhielt es sich nicht ähnlich

mit den Volksmassen, an welche Jesus zuerst diese Worte richtete? Sie hatten ja doch auch den Heiland nicht ans Kreuz gebracht, sie standen ja doch noch besser da als jene Radikalen, die mit

List und Trug ihre Pläne durchzusetzen gesucht.

Und jene Weiber

speziell, was trugen sie denn für Schuld an dem, was die Männer

in ihrem Rate beschlossen?

Das sei ferne.

Wollen wir sie für schuldlos halten?

Sie waren ja die Mütter derer, die den Meister

an das Kreuz gebracht; sie hatten sie einst aus ihren Knien ge­

wiegt; sie waren ihre Gattinnen, und in der Stille des Hauses kamen sie alle Tage mit ihnen zusammen.

O, wieviel vermag

eine Mutter über ihr Kind, ein Weib über seinen Mann, und gerade darin besteht ja des Weibes Aufgabe, das Gemüt, welches

bei ihm ganz besonders ausgeprägt ist, auch bei andern zu pflegen. Die Keime wahren religiösen Lebens sollen die Mütter schon in der Kinder Herzen legen, soll die Gattin fördern in des Mannes

Brust.

Aber diesen Dienst hatten die Weiber Jerusalems nicht

verstanden, und anstatt wahrer Religiosität hatten sie einen Fana­

tismus großgezogen, vor dessen letzten Früchten sie jetzt erbeben mußten.

Und nun, ihr Lieben, die ihr hier versammelt seid, fragt

euch, wie steht es um euch?

Vielleicht befindet sich auch unter

euch hier und da eine Mutter, eine Gattin, die auf den Sohn

oder Gatten nur mit der trüben Erinnerung Hinblicken kann, daß auch er schon oftmals sein „Kreuzige, kreuzige ihn" über den Hei­ land der Menschen gesprochen. Nun, Mutterherz, frag' dich, Gattin,

frag' dich, hast du getan, was du tun konntest?

Es ist richtig,

daß die größte Zahl derer, welche unsre Gotteshäuser besuchen, dem weiblichen Geschlechte angehören.

O, daß sie dankbar dafür

zum Himmel aufschauten, zu dem Gott, der die so große Sehn­

sucht nach ihm ihnen in das Herz gelegt, aber daß sie auch das eine nie vergäßen, wie jede Gabe unsres Gottes zugleich eine

Aufgabe ihnen stellt; und diese ist keine geringere, als wahre Religiosität

den Herzen nahezubringen, die ihnen nahetreten;

67 daß sie bei beobachteten Mißerfolgen nicht alsbald mutlos würden

oder wohl gar meinten, die Herzen seien doch zu hart, als daß religiöses Leben in ihnen einen Platz haben könnte. Das Men­

schenherz müßte ja ganz entmenscht sein, wenn ihm der Trieb zu Gott, der edelsten einer, wirklich ganz sollte verlorengegangen sein; daß sie namentlich sich immer wieder fragten, ob die Schuld vielleicht in ihnen liege.

Alle wahre Religiosität muß anziehend

wirken, muß schließlich die Herzen überwinden. Aber das ist das Traurige in unsern Tagen, daß mit dem Eifer für Sachen des religiösen Lebens soviel Anverstand sich paart, soviel törichtes Geschwätz, soviel blindes, sündiges Aburteilen und Verdammen,

soviel unverstandene Phrasen, soviel persönlicher Hochmut, soviel unnütze Klatscherei, und das alles trägt nicht die geringste Schuld daran, weshalb es um das Christentum so schlecht unter uns

bestellt ist. Von Jugend auf dem Kindesherzen nahegebracht, kann solches Treiben nur das Gegenteil wirken von dem, was es oft wirken soll. Darum wollen wir alle, die wir heute hier versammelt sind, uns zurufen lassen: Weinet über euch selbst und über eure Kinder! Unser eigenes Herz ist ja die Stätte, aus der so viele Sünden in Gedanken, Worten und Taten stammen; und wenn wir mit bitterer Wehmut hinschauen auf die Tausende um uns her, die den Erlöser verachten und verschmähen, dann wollen wir es uns gesagt sein lassen, auch wir gehören der Gesellschaft an, in der so etwas möglich ist, auch von uns gehen

so viele Einsiüsse aus, die dem verneinender^ Geiste in die Hände arbeiten, und wir ahnen oft nicht, welche Tragweite ein leicht­ fertiges Wort, eine unüberlegte Handlung hat. Wenn wir darum

heute den Erlöser auf seinem Marterwege nach Golgatha begleiten, dann möge das Zweite unser Bestreben sein, aufrichtiger Reue uns hinzugeben.

III.

Ja, wenn diese Aufforderung gerade heute an uns ergeht, wo wir in die fülle Woche eintreten, und wenn wir von Jugend 5*

68 auf gewohnt sind, die Kunde zu vernehmen, daß das Leiden und Sterben des Meisters geschehen sei um unsrer Sünde willen,

werden wir dann nicht gezogen durch die Liebe Gottes, der seinen eingeborenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahin­ gegeben hat?

So gar freundlich ergeht doch der Ruf zur Heim­

kehr in das Vaterhaus.

Doch es ist Menschenart, sich den Ge­

danken an Gottes Gnade zu einem Ruhekissen werden zu lassen oder trotz der angebotenen Gnade in der Sünde zu verharren.

Aber der Erlöser hat in unsrem heutigen Text ein ernstes Wort gesprochen: „ ... denn siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher

man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die

nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäuget haben. Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallet über uns; und zu den Hügeln: Decket uns.

Denn so man das tut

am grünen Holz, was soll am dürren werden?" Mit diesen Worten weist der Erlöser hin auf das Gericht, das einst über Jerusalem

hereinbrechen werde. Es muß — das ist seine Meinung — in solcher schreckenerregenden Weise über Israel hereinbrechen, daß die Mütter selig zu preisen stnd, welche kein Kind umgeben wissen

von dem allgemeinen Schrecken.

Von einem Volk, das einen

Unschuldigen und Gerechten verurteilen kann, ist eben nichts mehr zu erwarten als eine Herrschaft der Leidenschaften und der Sünde,

eine Herrschaft des Wahnsinns und des Verbrechens, wie sie tat­ sächlich für Israel angebrochen ist.

Reben der Gnade unsres Gottes tritt in der heiligen Passions­ zeit auch uns sein gewaltiger Ernst nahe, und wenn unsre Zeit

so groß ist in der Verachtung des Gottessohnes, so tritt auch uns die Frage entgegen:

So das geschieht am grünen Holze, was

soll am dürren werden?

Wir wollen hier absehen von dem Segen

fürs religiöse Leben, dem man sich damit verschließt.

Aber was

haben wir von einem Volk zu erwarten, dem das Heiligste nicht

mehr heilig ist?

Wird es noch achten können die Bande der

Pietät, die uns knüpfen an Familie und Vaterland?

Wenn der

Jüngling die Vorschriften dessen nicht mehr heilighält, der, mit der Strahlenkrone des Göttlichen umgeben, warnend und gebietend

69 ihm zur Seite stehen möchte, wie sollen wir dann von ihm er­

warten, daß er auf der Menschen Gebote und Warnungen etwas

geben werde, wenn sie ihm lästig werden? Wenn unsre Zeitge­ nossen für die höchsten Fragen des Menschenlebens kein Interesse

mehr zeigen, wie können wir dann auch nur mit einiger Sicher­

heit annehmen, daß sie noch etwas mehr können als esse» und trinken und danach sterben? Wenn eine im Knechtesdienste mensch­ licher Selbstsucht stehende Wissenschaft mit allerhand leeren Phrasen den Gott im Himmel für einen überwundenen Standpunkt zu

erklären vermag, wo können wir da noch etwas von dem Ernst erwarten, den die wahre Wissenschaft fordert, von der dienenden

Hingabe an das eine hohe Ziel, lediglich nach dem zu streben,

was Wahrheit ist auch im kleinsten und geringsten?

Wenn wir

hören aus beredtem Munde, daß Jesus eigentlich nichts andres gewesen als ein unglücklicher Schwärmer; wenn wir hören, wie

man seine heiligsten Absichten mit Füßen tritt: wie können wir

da erwarten, daß überhaupt ein Kind unsres Geschlechtes noch

eine gerechte Würdigung finden werde, daß unsrem Volke eine klare Erkenntnis dessen bleibe, was gut und böse ist?

Es wird

wohl vielfach behauptet, es sei gleichgültig für unser Leben, wie ein Mensch zu seinem Gotte stehe. sich hinreichend, wie falsch dies ist.

Aus dem Gesagten ergibt Ja, es ist nicht umsonst, daß

die Zeit, da man leichtfertig über Gott und

göttliche Dinge

hinwegeilt, zugleich die Zeit ist, da die Gefängnisse nicht aus­

reichen, da die Verbrechen sich mehren, da die Ordnungen des Staates und sein Oberhaupt einem großen Teile des Volkes

nicht mehr heilig sind.

So das geschieht am griinen Holze, was

soll am dürren werden?

O, daß wir darum unter dem Kreuze Christi auch der dritten Forderung nachkommen wollten, wohl der Güte unsres Gottes,

aber gleichzeitig auch seines Ernstes und seines Gerichtes eingedenk

zu bleiben.

Geht's weiter auf dem Weg der Sünde, dann geht

es auch weiter auf dem Wege des Verderbens.

Denn Gerech­

tigkeit erhöhet ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verder­

ben.

Amen.

VII.

Aarfreitag. Seele, komm' zum Golgatha, Hin zu deines Jesu Kreuze! Und bedenke, was dich da Für ein Tod zur Buße reize!

Hier kannst du nicht fühlloS sein, Hier muß dich die Sünde reu'n. Amen.

J»h. 19, 28-29.

J0aft du jemals den hereinbrechenden Abend auf hoher See oder auf einem Berge verlebt, dann wird der Augenblick dir

unvergeßlich fein, als die Sonne allmählich am Horizonte verschwand, Am Tage war

und ihre letzten Strahlen dein Auge erreichten.

sie dir vielleicht oftmals lästig gewesen, hattest du deine Blicke vielleicht nicht zu ihr emporgerichtet.

Aber jetzt, als sie von präch­

tigem Abendrot umgeben ins Meer hinabsank, da war ihr An­

blick so anziehend, als der kühle Abendwind sich erhob, da waren ihre letzten warmen Strahlen dir so wohltuend.

Wehmutsvoll

ließest du sie untertauchen, sehnsuchtsvoll gedachtest du des Augen­ blicks,

da sie von neuem dir aufgehen würde.

Christenheit am Karfreitage nicht

ähnlich?

Geht es der

Millionen Blicke

wenden sich heute der untergehenden Lebenssonne zu, Millionen selbst, denen sie im Treiben des Alltagslebens lästig oder doch gleichgültig ist, — und was ist der Grund?

Ach, die Toten­

stille, die heute in so manchen Häusern herrscht, wo endlich ein­ mal alle Geschäfte ruhen, die Totenstille, die aus so manchem Auge heute uns entgegentritt, in das wir blicken, sie zeugt davon.

71 daß die Menschheit es fühlt, wie gewaltig die untergehende, vom Blut gerötete Lebenssonne heute ihre Blicke aus sich zieht, wie sie

heute ihre

heißesten Strahlen zu uns herübersendet, daß

die Menschheit es fühlt, wie ohne jene Strahlen dieses Erden­ leben doch so kalt, so tot erscheint.

Daß denn alles dahin­

wirken möchte, daß wir heute mit gespannter Aufmerksamkeit nach

Golgatha blicken, wo der Erlöser verscheidet, daß eine Wehmut auch in uns wach würde über sein Scheiden, daß eine Sehnsucht

in

uns

Herzen!

lebendig

würde

seinem Auferstehen in unsern

nach

Zu dem Ende laßt uns heute unsre Gedanken um

das Wort des sterbenden Meisters gruppieren, welches wir soeben vernommen haben.

Wir betrachten den Ruf: Mich dürstet!

1. als ein Wort vom Kreuz;

2. als ein Wort zum Kreuz.

I.

„Danach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet!'" so heißt

es in unserm Text.

Nicht wahr? ein einfaches, kurzes Wort,

scheinbar zu kurz, um alle Ereignisse des Karfreitages zu um­ spannen, scheinbar zu einfach, um all unsren Gefühlen am heu­

tigen Tage einen Ausdruck zu verleihen.

Wir erwarten eine

längere Beschreibung aller Marter und Qualen unsres Meisters,

wir wollen uns ausweinen beim Anblick dessen, was einst ge­ schehen.

Und doch ist der Text so inhaltsreich, gibt uns soviel

zum Nachdenken, ergreift so gewaltig unser Herz.

Wir dürfen

zwar nichts in ihm suchen, was nicht in ihm liegt, nicht etwa

den Ruf Jesu in dem Sinne verstehen wollen, als dürste seine

Seele in der Zeit herben Leides nach Gott, nach dem lebendigen Gott.

Nein, in dem Rufe Jesu gibt der einfache leibliche Durst,

das Bedürfnis nach einem Labetrunk sich einen Ausdruck, und

trotzdem ist das Wort Jesu für uns so bedeutungsvoll. uns dasselbe miteinander zu erklären suchen.

Laßt

72 Es ist hier nicht der Ort, alle Marter und Qualen der

Gekreuzigten zu schildern.

Es genüge hier die eine Bemerkung,

daß der Kreuzestod einer der furchtbarsten war, den Menschen ersonnen.

Darin sind alle Berichte des Altertums über diese

Todesart einig, und wer den Beschreibungen der Alten folgt, der

weiß auch, daß unter den furchtbaren Qualen und großen Blut­ verlusten das Gefühl des Durstes nur zu natürlich war. Jesu kam noch andres hinzu.

Bei

Seitdem er hinausgezogen nach

Gethsemane, reihte sich ihm ja schon Marter an Marter.

Die

Nacht, welche dem Todestage voraufging, brachte ihm ja einen herben Schlag nach dem andern.

Seine Feinde schleppten ihn

vor den Hohenpriester, vor den Hohen Rat, vor Pilatus und vor Herodes.

Sie geißelten ihn und setzten ihm die Dornen­

krone auf das Haupt.

Ja, sie legten ihm das schwere Kreuz auf

seine Schultern, damit er selbst es nach Golgatha hinaustrüge. Dort hefteten sie ihn ans Kreuz, und während der

heftigen

Schmerzen, die er da erduldet, nagt noch an seiner Seele der

Schmerz über die Welt, in der selbst die Treuesten in der Stunde der Anfechtung ihn verlassen haben, nagt noch an seiner Seele die bange Frage, ob auch der himmlische Vater sich von ihm

losgesagt habe.

Ist es wunderbar, daß er da einen Labetrunk

verlangt, daß er ausruft: „Mich dürstet"? — Aber dennoch würden wir weit davon entfernt sein, ein volles Verständnis des „Mich

dürstet" schon zu besitzen, wenn wir bei diesen Betrachtungen

stehenblieben.

Ja, selbst dann, wenn wir uns veranlaßt sähen,

unsre Tränen zu weinen über das Entsetzliche, was uns nahe­ getreten, würden wir die Worte des Meisters noch nicht gewür­

digt haben.

Im Gegenteil, wollten wir heute in weibischer Art

als solche uns gerieren, die kein Blut sehen können, wir würden

nicht als wahre Jünger unter dem Kreuze des Meisters stehen, der sein „Mich dürstet" in erhabener Majestät und nicht mit

irgendeinem Zeichen des Unwillens über seine Lippen bringt. Die christliche Kunst hat ja sinnig die drei Gekreuzigten auf

Golgatha so dargestellt,

daß die zwei Übeltäter zur Rechten

und Linken ihrem Schmerze den heftigsten Ausdruck verleihen.

73 während Jesus still ergeben in ihrer Mitte am Kreuze hängt. Wahrlich, das entspricht ja auch dem Tode dessen, der für seine Mörder beten kann: „Vater, vergib ihnen; denn ste wissen nicht,

was ste tun*, der unter den heftigsten Qualen nicht an sich denkt, sondern bald dem Schächer verheißt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage

dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein", bald zur eigenen

Mutter, zum Lieblingsjünger sich wendet mit den Worten: „Siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!*, der nicht nach

Menschenart in seinem Schmerz sich in sich selbst zurückzieht oder ein Klagelied über die eigenen Leiden anstimmt, sondern nur mit

seinem Gotte ringt und weiß, daß er seinen Geist befiehlt in

seines Vaters Hände.

M. L-, das „Mich dürstet* des Erlösers

erhält sein Licht erst dann, wenn wir auf die einleitenden Worte unseres Textes achten.

Danach hat Jesus erst dann den Ruf

getan, als er wußte, daß schon alles vollbracht war.

Daraus

ergibt sich: nicht das ist des Erlösers Wille, den Leidenskelch von sich zu weisen; er hat ihn zu trinken begonnen, er will

ihn auch trinken bis ans Ende.

Aber etwas anderes ist es, die

Schmerzen fliehen, welche Gott ihm auferlegt hat, als unzer­

trennlich von seinem hohen Beruf, etwas anderes ist es, zur Linderung der Schmerzen das zu begehren, was Gott ihm nicht

vorenthalten, sondern vielmehr selbst ihm bietet.

Wir alle wissen

es ja doch: groß ist ein Menschenherz, das gottergeben sich findet in das nun einmal unvermeidliche Geschick als in den Willen

des himmlischen Vaters, aber töricht, ja sündig ist es, selber die Qualen zu suchen oder auch nur zu erhöhen.

Mich dürstet! so

ruft der Erlöser, und damit zeigt er ein Verlangen nach dem Trunk, der keinem Gekreuzigten versagt war, und den auch ihm keine göttliche Weisung vorenthielt.

O, m. L., wie tief läßt so aufgefaßt das Wort des Erlösers in seine Seele uns blicken!

Vergessen wir doch nicht, wer die­

jenigen waren, die seinen Ruf vernahmen!

Wir sind nur zu

geneigt zu glauben, wenn der Sohn Gottes also ruft, dann müssen die Tiefen der Erde sich aufschließen und alle Ströme

ihm dienstbar werden.

Aber wir wissen, die ihm dienen konnten

74 und durften, waren die Menschen unter seinem Kreuz. Da standen, seine erbittertsten Feinde, die Schriftgelehrten und Pha­ risäer, die endlich ihr Ziel erreicht hatten. Aber Hohngelächter war ihre Antwort auf des Erlösers Ruf. „Andern hat er ge­ holfen; aber sich selbst kann er nicht helfen. Bist du Gottes Sohn,

so steige hernieder vom Kreuze!" so mochten sie wohl sprechen. Da standen ferner die römischen Kriegsknechte. Die waren seit lange gewohnt, an den unterjochten Völkern ihren Übermut auszu­ lassen.

Sie hatten wohl gelernt, Dörfer zu plündern und Städte

zu berauben; aber ihr Herz hatten sie nicht gebildet; in ihrer Roheit waren sie abgestumpft gegen alles Mitleid. Was war

also von ihnen zu erwarten, als höchstens einige Worte brutalen

Witzes? Wohl standen unter dem Kreuze noch treuere, edlere Seelen. Die Mutter, die den Heiland einst auf ihren Armen gewiegt und der „das Schwert jetzt durch die Seele ging", wie

gern hätte sie noch einmal dem Sohne den Schweiß von der Stirne gewischt, wie gern hätte sie den teuersten Trank ihm gereicht!

Der Lieblingsjünger Johannes, der so oft an seiner

Brust gelegen, der ihn so oft begleitet hatte in jene füllen Stunden, wohin nicht alle ihm folgen durften, wie gern wäre er

herzugeeilt, und die trauernden Weiber, die ihn von Galiläa nach Jerusalem hinbegleitet hatten, wie gern hätten sie ihre letzte Habe geopfert, wenn sie damit den Zutritt zum Kreuze sich hätten

erkaufen können! Aber was half das alles! Gerade diese liebenden Herzen durften dem Kreuze sich nicht nahen. Sie durften des Sterbenden Schmerzen nicht lindern, wenn die Römer es wehrten. Wenn der Heiland aber dennoch rief: „Mich dürstet!", wovon zeugt das dann? Ich meine, es beweist, wie er unter allen Martern und Qualen doch das Vertrauen zur Menschheit nicht verloren

hat. Er hat noch trotz aller trüben Erfahrungen den Glauben sich bewahrt, daß ein Menschenherz, ob auch in Sünden verstrickt,

ob auch in Roheit versunken, nicht so entmenscht sein könnte, um vor einer Liebestat an einem Sterbenden, wie er es war, sich zu verschließen. — Und er hat sich nicht getäuscht: „Da stand ein Gefäß voll Essig.

Sie aber füllten einen Schwamm mit

75 Essig und legten ihn um einen Asop, und hielten es ihm dar zum Munde;" so wird uns erzählt. Man findet allerdings

vielfach die Ansicht verbreitet, als sei diese Darreichung des Essigs noch ein letztes Bubenstück gewesen, mit dem die sündige Mensch­

heit den Welterlöser von sich gestoßen. Doch diese Ansicht ist falsch. Der Trank, um den es sich handelte, war allerdings saurer Wein, aber ein Trank, wie überhaupt Arbeiter und Sol­ daten desselben sich bedienten. Weh mag es uns daher immerhin tun, daß die Welt für ihren Erlöser in der Stunde seiner größten

Qualen nichts anderes übrig hat, als jenen Essigtrank; aber wir wollen nicht Bosheit suchen, wo sie nicht gefunden werden darf. So läßt denn nun doch das einfache „Mich dürstet" uns einen tiefen Blick tun in des Erlösers Herz. Es ist uns, als sollte dieser Ruf der Welt noch einmal Gelegenheit geben zu einer Tat der Menschlichkeit am eingebornen Sohne Gottes, damit das „Kreuzige, kreuzige ihn" und der bittere Spott gegen den

Gemarterten doch nicht das letzte wäre, was die Welt ihrem

Heilande entgegengebracht. Dann aber gewinnt das „Mich dürstet" für unser Ohr alsbald noch einen anderen Klang. Es ist uns endlich, als riefe der Heiland es uns zu, um damit zu sagen: Auch noch am Kreuz schmachte ich nach der Menschen Seelen,

auch am Kreuze noch schmachte ich nach euch! Es ist uns, als riefe der sterbende Erlöser von Golgathas Höhe herab: Auch jetzt noch dürstet mich nach dir, du sündige Stadt Jerusalem zu meinen

Füßen, auch jetzt noch nach euch, die ihr wohnet auf dem ganzen Erdkreis! Mich dürstet nach euch, die ihr sitzet aus den Thronen, nach euch, die ihr jammert in der Stille eures Kämmerleins! Mein Blick schweift über die Jahrhunderte dahin. Mich dürstet

nach allen, die noch dahingehen werden über diese Erde. Ich sehe den Laus der Weltgeschichte sich abspielen. Völker werden kommen und werden gehen, Völker werden siegen und werden zugrunde gehen. Menschen werden sich freuen und wiederum trauern und zagen. Mich aber dürstet nach ihnen allen. Von meinem Kreuze herab rufe ich ihnen allen zu: „Kommet her zu

mir alle, die ihr mühselig und

beladen seid, ich will euch

76 erquicken!" Mich dürstet nach dir! so ruft er am heutigen Tage

auch einem jeden unter uns zu.

Seele, siehe, da hängt er am

Kreuze, bedeckt mit Schmach und Schande, heimgesucht von dem schwersten Leid, und das alles nahm er aus sich um deinetwillen,

weil ihn dürstete nach dem Heil auch deiuer Seele!

Kanust du

dem allen heute gefühllos uud kalt mit zusehen, oder vernimmst du seine Stimme: Siehe, das alles tat ich sür dich! was tust du jetzt für mich?

II. Liebe Gemeinde, wie wollen wir denn heute, an diesem

großen Tage, dem teuren Heilande antworten?

Einst trat er

ja in der Hitze des Mittags beim Jakobsbrunnen jenem Weibe

auch mit der Bitte entgegen: „Gib mir zu trinken!" Damals war

es aber auch nicht seine letzte Absicht, den eigenen Durst zu Nein, damals redete er schon von lebendigem Wasser,

stillen.

das er zu geben vermöge, damals schon suchte er in des Weibes Herz

einen Durst wachzurusen

darreiche.

nach

diesem

Wasser,

das

er

Wenn er nun in der heißesten Stunde seines Lebens

in die Welt hineinrnst: „Mich dürstet!", so will er auch die Ant­ wort haben: Heiland, uns dürstet nach dir!

Darum betrachten

wir heute das Wort „Mich dürstet" nicht nur als ein Wort vom Kreuz, sondern auch als ein Wort zum Kreuz.

O, wie

verheißungsreich wäre es doch für uns, wenn wir heute ailsrusen könnten: Uns dürstet! Hat doch der Heiland einmal gesagt: „Selig

sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden"

(Matth. 5, 6) und „wen da dürstet, der

komme zu mir und trinke" (Joh. 7, 37).

Der Trank, den er uns

reicht, hat eben einen ewigen Wert.

Am Abhange eines Berges

zieht ein einsamer Wanderer dahin.

Des Lebens Glück hat er

genossen.

Er ist hinausgeeilt aus der Gesellschaft der Menschen.

Der leibliche Durst quält ihn.

Er suchte nach einem Trank.

Da

rauscht abseits ein Heller Quell. Er eilt hinzu. Doch er hält inne. Über dem einsamen Quell erhebt sich ein Kreuz. Der

77 Wanderer sieht seinen gekreuzigten Erlöser vor sich.

Wohltuend

ist ihm wohl der Trank, den der Quell ihm gewährt, aber reichere Segensströme gehen noch aus von dem einfachen Kreuz und er­

quicken seine Seele.

Also wird aller Welt der Segen des Kreuzes

zuteil, gehen Ströme lebendigen Wassers von ihm aus über sie,

Ströme, die kostbarer sind als alle Schätze der Erde.

Wenn

die Welt nur Durst haben wollte danach!

Doch ach! wonach dürstet sie in Wahrheit? Wonach dürstete

jene Menschen, die unter dem Kreuz auf Golgatha standen? Die Kriegsknechte, die es bewachten,

seiner armseligen Habe.

sie dürstete nach dem Besitz

Denn es wird uns erzählt, daß sie sich

seine Kleider teilten und um seinen Rock das Los warfen.

Die

Schriftgelehrten und Pharisäer, die vorübergingen, sie dürstete

nach seinem Blut, nach Befriedigung ihrer Rachgier, ihrer Herrsch­ sucht.

Jerusalem, ja, die ganze Welt, die zu den Füßen Jesu

lag, sie dürstete nach Sünde und Schande, nach Genüssen dieses Lebens, nach Ehre und Ansehen bei den Menschen.

Ja, selbst

die eine, die weinend unter seinem Kreuze stand, die eigene Mutter, sie dürstete wohl nach ihm, aber nicht nach ihm als

einzigem Retter und Heiland ihrer Seele, sondern nach ihm als dem leiblichen Sohne. Nur eine wirklich dürstende Seele läßt sich vernehmen, über eines Verbrechers Lippen kommen die

Worte: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich eingehest!* und wie bestimmt erhält er die Versicherung: „Wahrlich, ich sage

dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!" Doch, was die Welt verschmäht, danach dürstet den Himmel, den Vater selbst

dürstet jetzt nach seinem Eingebornen; denn es heißt weiter gleich nach unserm Texte: Da nun Jesus den Essig genommen hatte,

sprach er: „Es ist vollbracht," und neigte das Haupt und verschied.

O, daß heute nicht auch wir beschämt würden durch die

Worte des Schächers! daß heute nicht auch bei uns der Durst

des Vaters nach dem Sohne ohne Nachahmung bliebe! dings, des Durstes ist viel unter den Menschen. stürmt der Jüngling hinaus ins Leben.

Aller­

Tatendurstig

Durstig nach den Gütern

der Erde finden wir den Mann in der Blüte seiner Jahre,

78 Durstig nach den

finden wir ihn noch bis in sein hohes Alter.

Tiefen der Wissenschaft läßt der Gelehrte seine Blicke schweifen

zurück in die graue Vorzeit, hinauf in den Himmel, hinab in die

Tiefen der Erde.

Wer wäre unter uns, der diesen Durst unter­

schätzen wollte? Im Gegenteil, wir tadeln den Jüngling, der

träumend ins Leben hineinschaut, den Mann, der nicht schafft für Weib und Kind; wir tadeln alle diejenigen, die für Wissen­ schaft und Kunst so wenig Verständnis zeigen.

Aber wie steht

es um unsern Durst nach dem Herrn? Wollen wir sagen: wenn

wir dort einst hätten stehen können unter dem Kreuze des Er­ lösers, dann hätte uns auch brennender Durst nach ihm erfaßt? Jene erhabene Martergestalt mit Augen zu sehen, das hätte uns überwältigt?

O, Seele, vergiß nicht: je heller das Licht ist, desto

schärfer ist auch der Schatten abgegrenzt!

Wer weiß, welche

Finsternis sich auf dich gelegt hätte! Wie du heute gebrandmarkt

daständest vor den Augen der Welt!

Auch dein Herz ist noch

nicht zubereitet zu einem solchen, das wahren Durst nach dem Heilande empfinden könnte, ist es heute nicht und wäre es auch damals nicht gewesen. Worin zeigt sich denn nun aber bei uns der rechte Durst nach dem Heilande der Welt? In den Liedern, die wir hier

singen? In den Gebeten, die wir hier gen Himmel senden? In dem Verlangen, das wir heute haben, uns um den Tisch des

Herrn zu scharen? Das alles kann Zeugnis unseres Durstes sein, und wohl uns, wenn es das wäre!

Aber es muß dazu

zugleich Frucht eines Herzens sein, das der Liebe Gottes sich auftut, wie die Blume ihren Kelch der Sonne öffnet, wenn sie

heiß auf dieselbe

herniederscheint. Frucht eines Herzens,

das

nach dem Erlösungswerke lechzt, wie die ausgedörrte Natur im Sommer nach sanftem Regen vom Himmel.

Ist dein Herz also

beschaffen? Fühlt es heute eine Dürre in sich, weil es die Quelle des Lebens verlassen? Drückt dich, mit anderen Worten gesagt,

heute deine Sünde, deine Schuld?

Sehnst du dich nach Erlö­

sung? Wirft die Liebe, die von Golgatha herüber heute dir

winkt, ihre warmen Strahlen dir zu? Tust du dieser Liebe dich

— auf in Buße und Glauben?

79



Siehe, Seele, dann dürstet dich

nach dem, was auf Golgatha geschehen ist, dann dürstet dich

nach deinem sterbenden Heilande. Nun denn, liebe Gemeinde,

wir gehen jetzt wieder von

Golgatha fort, hinaus ins Alltagsleben.

Möge denn der Durst,

der heute in uns wachgerufen, auch bleiben, damit je länger,

desto mehr die Segensströme auf uns übergehen,

heißem Kampf für uns gestritten und gelitten ist.

um die in

Wahrlich, das

wäre der beste Dank, den wir dem teuren Erlöser darbringen könnten für all seine Liebe.

Amen.

Inhalt Seite

1. Die Bedeutung des Leidens Jesu.......................................... 1 (Luk. 18, 81—34)

2. Die Tränen Jesu über Jerusalem........................................13 (Luk. 19, 41—44)

3. Bethanien............................................................................... 24 (Mark. 14, 3-9)

4. Die Fußwaschung.................................................................... 35 (Joh. 13, 1-15)

5. Gethsemane............................................................................... 47 (Matth. 26, 36-46)

6. Der Todesgang..........................................................................58 (Luk. 23, 26—31)

7. Karfreitag............................................................... (Joh. 19, 28—29)

70

Im gleichen Verlage erschien:

Holtzmann, H. J.,

früher Professor in Straßburg,

Gesammelte Predigten. (4 Abteilungen ä M. 2.—.) Geh. M. 8.—, geb. M. 9.—.

Hieraus einzeln:

Predigten gehalten im Akademischen Gottesdienst. Geheftet M. 3.—.

Akademische Predigten. Geheftet M. 4.—, gebunden M. 5.—.

Predigten aus späterer Zeit. Geheftet M. 2.-. s sind religiöse Meditationen über Bibelstellen, keine Gemeinde­ predigten" - dies Urteil unterschreibt Verfasser selbst»aber gerade in dieser Gestalt mögen sie der Privatlektüre vor andern dienen durch ihren außerordentlich reichen Gedankengehalt, eine in die Tiefe gehende Behandlung der Bibel, ruhige Klarheit und eire Schlichtheit der innersten Überzeugung, die keinen äußeren Aufwand braucht. Bei der Fülle der Themen, die in die Gegenwart einschlagen, recht ein relig. Lesebuch für Suchende und Denkende " Lit Rundschau f. d. evang Deutschland,

B

hat mit der Neuherausgabe seiner Predigten allen denen, die ihn als Gelehrten und Forscher bewunderten, ein Geschenk gemacht, • durch das sie ihn als Menschen lieb gewinnen werden. Sie werden jederzeit eine Quelle tiefer und feiner Gedanken werden können; die verhaltene Kraft religiösen Denkens, die auf jeder Seite in Bildern von hoher poetischer Schönheit und in Worten von unvergeßlicher Prägung hervorbricht, - - Möchten sich an seinen Schätzen viele bereichern. Theol. Rundschau. VI. 2.

Von demselben Verfasser erschienen im gleichen Verlage:

" " Evangelienpredigten. = 1.1. Advent bis Exaudi. 11. 1. Pfingsttag bis letzter Trinitatissonntag. Jeder Band geh. M. 5.—, geb. M. 6.—. Bei Erscheinen von Bd. II der Evangelienpredigten schrieb O. Weingart im „Protestantenblatt“: „Vor uns liegt jetzt eine voll ausgereifte Frucht, ein abgeklärtes Erzeugnis gediegenster pastoraler Arbeit, eine ganz prächtige Gabe für seine alten Freunde, Theologen und Laien. Protestantische Freiheit in den Denk- und Empfindungsformen, nur Gebundenheit an die unveräußer­ lichen Prinzipien der evangelischen Wahrheit — das sind die Grundzüge auch dieser seiner jüngsten Predigtsammlung Meisterhaft, oft durch Originalität überraschend ist dieTextbehandlung; durchweg glücklich die Deutung und Verwertung biblischer Gedanken und Ereignisse; kurz, merksam, gut vermittelt und motiviert bis auf wenige Ausnahmen Thema und Teilung, die Sprache formenschön usw. Der höchste Reiz und Vorzug dieser Predigten scheint uns über­ haupt die Gewissenhaftigkeit zu sein, mit der der Verfasser in die Tiefe geht und die religiös-sittlichen Fragen anfaßt und sie ebensosehr mit dem Scharfsinn des Wissenschaftlers wie mit der frommen Einfalt christlicher Erfahrung löst oder doch zu lösen versucht. Möchte es eine große und immer größer werdende Gemeinde sein, die sichtbar oder unsichtbar unter seiner Kanzel sitzt«

Epistelpredigten. Das Christentum der Bergpredigt. In Predigten dargelegt.

Geh. M. 3.—, geb. M. 4.—.

Das Gebet ■ des Herrn. geb. “ M. " h? 2.75. Die Stellung der evan­ gelischen Kirche zur

Feuerbestattung.

Ein erweiterter Vortrag. - Geh. M. 1,—.

Andachtsbuch

für evangelische Christen, besonders reifere Konfirmanden.

Geb. M. 2.—.