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German Pages 244 [245] Year 2005
GEORGE ALEXANDER WOLF
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Strafjustiz
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Β adura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 61
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Strafjustiz Auskunftspflichtige im Verhältnis zweier Sanktionsinstrumente
Von
George Alexander Wolf
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-11561-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Zunächst möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. HansPeter Schneider bedanken, der die Erstellung der Arbeit trotz vielfältiger anderer Verpflichtungen durch zahlreiche freundliche und vor allem anregende Gespräche gefördert hat. Dank schulde ich auch Prof. Dr. Hermann Butzer, der die Zweitbegutachtung übernommen hat. Die Zeit, die er sich für weitere Anregungen genommen hat, ist im universitären Massenbetrieb sicher eine Ausnahme und hat die Arbeit weiter bereichert. Die Dissertation wurde im Dezember 2002 eingereicht. Die im Laufe des folgenden Jahres erschienene Literatur und Rechtsprechung wurde eingearbeitet. Insbesondere wurden die Dissertationen von Dieter Wiefelspütz, Johann Plöd und Anja Weisgerber berücksichtigt. Dem Sekretariat des Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung danke ich für die Ende 2001 gewährte Möglichkeit, für einige Tage das zum Teil unveröffentlichte Gesetzgebungsmaterial zum PUAG einzusehen. Frau Heidemarie Kraft und Frau Ingrid Gieseler danke ich für die freundliche Zusammenarbeit mit den Lehrstühlen für Strafrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hannover. Meinen Freunden und Kollegen Ulrich Gierse, Karin Günther, Christian Ehret und Dennis Miller schulde ich Dank für Berichtigungen und kritische Gespräche. Sandra Köster verdankt diese Arbeit ihre äußere Form und eine gründliche Korrektur. Diese Arbeit ist meinen Eltern, Marion und Gerhard Wolf und meinen Großeltern, Lieselotte und Friedrich Beermann, gewidmet.
Berlin, im Sommer 2004
George Alexander Wolf
Inhaltsverzeichnis Einleitung
15
Λ. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
20
I.
Entwicklung des Strafverfahrens
21
1. Das Inquisitionsverfahren
21
a) Die Grundstruktur des Inquisitionsverfahrens
21
b) Die Beweisregeln des Inquisitionsverfahrens
22
c) Die Objektstellung des Inquisiten
23
2. Der reformierte Strafprozess
24
a) Einleitung
24
b) Die Grundstruktur des Anklageverfahrens
25
c) Die Beweisregeln des Anklageverfahrens
26
d) Die Subjektstellung des Beschuldigten und das Entstehen von Schweigerechten
27
3. Zwischenergebnis II. Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts
28 28
1. Einleitung
29
2. Geschichtliche Grundlagen und geisteswissenschaftliche Wurzeln
30
a) England
30
b) USA
32
c) Beurteilung der englischen und amerikanischen Entwicklung
34
3. Deutsche Entwicklung bis zur Weimarer Republik
35
a) Die Zeit nach den Befreiungskriegen
35
b) Die Revolutionsepoche von 1848
36
aa) Entwicklungssprung für das Enqueterecht
36
bb) Erste Diskussion über Zulässigkeit paralleler Untersuchungen
37
8
Inhaltsverzeichnis
cc) Entwicklung auf Länderebene
38
dd) Kein Untersuchungsrecht in der Verfassung von 1871
39
c) Weimarer Republik
40
aa) Max Weber als „geistiger Vater" des parlamentarischen Kontrollrechts 40 bb) Adaption der Konzeption Webers in der WRV 4. Zwischenergebnis III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
44 44
1. Behandlung der „Betroffenen" in der Weimarer Republik
44
2. Die Zulässigkeit paralleler Untersuchungen
45
a) Gegner paralleler Untersuchungen
47
aa) Praktische Gefährdungen des Strafverfahrens
47
bb) Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes
49
cc) Vorrangstellung des Strafverfahrens
51
b) Befürwortung paralleler Untersuchungen
51
c) Entscheidung auf dem 34. DJT
55
d) Stellungnahme zur heutigen Bedeutung
55
3. Zwischenergebnis
B. Parallele Untersuchungen durch StraQustiz und Untersuchungsausschüsse I.
42
56
58
Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
58
1. Einleitung und Grenzen von Untersuchungen
58
a) Auslöser und Umfang strafrechtlicher Ermittlungen
59
b) Auslöser und Umfang parlamentarischer Untersuchungen
60
aa) Anfangsverdacht zur Legitimation parlamentarischer Untersuchungen?
61
bb) Allgemeine Voraussetzungen und Zulässigkeitsbegrenzungen
61
cc) Das öffentliche Interesse als Grenze?
64
dd) Die Grundrechte als Grenze parlamentarischer Untersuchungen
67
ee) Zusammenfassung
68
Inhaltsverzeichnis
2. Aufgabe und Funktion strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
68
a) Ziele des Strafverfahrens
68
b) Ziele einer parlamentarischen Untersuchung
69
3. Öffentlichkeit im Rahmen strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen a) Öffentlichkeit im Strafverfahren
70 71
b) Öffentlichkeitsprinzip in parlamentarischen Untersuchungsverfahren ..71 4. Sanktionierungen durch Untersuchungsausschüsse und Strafjustiz
73
a) Sanktionierung durch Urteil und diskriminierende Folgen
73
b) Diskreditierung durch gerichtsfreien Abschlussbericht
74
5. Vergleichende Zusammenfassung II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen 1. Anforderung von strafrechtlichen Ermittlungsakten
76 78 78
a) Differenzierung zwischen Regierungs- und Ermittlungsakten
78
b) Terminierung der Aktenherausgabe
79
c) Rechtsgrundlagen für die zeitverzögerte Aktenherausgabe
82
aa) Gefährdung des Ermittlungsverfahrens
82
bb) Gewährleistung des gebotenen Grundrechtsschutzes
84
d) Verfahren der Aktendurchsicht
85
aa) Möglichkeiten der Problemlösung
85
bb) Regelung im PUAG
87
cc) Bewertung der Regelung in § 18 Abs. 4 PUAG
88
2. Mehrmalige Auskünfte und Qualität der Aussage
89
3. Ermittlungsbeauftragte des Untersuchungsausschusses
90
a) Bestellung und Kompetenzen des Ermittlungsbeauftragten
90
b) Bewertung des Ermittlungsbeauftragten
91
aa) Konzentration auf Kernfragen
91
bb) Gefährdung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
92
cc) Praktikabilität des erforderlichen Einsetzungsquorums
93
10
Inhaltsverzeichnis
c) Konfliktpotential zum Strafverfahren 4. Zwischenergebnis III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
94 96 97
1. Das nemo-tenetur-Prinzip als Ausgangspunkt
97
2. Verfassungsrechtliche Begründung des nemo-tenetur-Prinzips
98
a) Uneinheitliche Herleitung in Rechtsprechung und Lehre
98
b) Die Freiheit der Person
100
c) Die Gewissensfreiheit
100
d) Der Anspruch auf rechtliches Gehör
101
e) Das Rechtsstaatsprinzip
102
f)
Die Würde des Menschen
105
aa) Aussagezwang und Objektformel
106
bb) Gewicht des Eingriffs durch Pflicht zur selbstbelastenden Aussage
107
cc) Verächtlichmachung durch Aussagezwang?
109
dd) Ziel des Auskunftsinteresses als Kriterium
110
ee) Zwischenergebnis
111
g) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
112
aa) Einschlägigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
112
bb) Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Rechtsgrundlage
115
3. Zwischenergebnis IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
116 116
1. Nichtanwendbarkeit in parlamentarischen Untersuchungen?
116
2. Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang im PUAG
118
a) Zeugenähnliche Auskunftsperson
119
b) Der „betroffene Zeuge"
120
c) Keine Vertypung des Betroffenen im PUAG
122
d) Stellungnahme zu §§ 20 ff. PUAG
123
e) Mögliche Sonderstellung für betroffene politische Verantwortliche?.. 125 3. Zwischenergebnis V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren
128 129
Inhaltsverzeichnis
1.
Die Bedeutung von Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen
2.
129
a) Stellenwert der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung
129
b) Publizität der Beweiserhebung
131
c) Tatsachenbasis und politische Verwertung von Zeugenaussagen
132
d) Vorzüge der parlamentarischen gegenüber der strafrechtlichen Aufarbeitung
133
e) Zwischenergebnis
135
Bisherige Praxis in den Untersuchungsausschüssen
135
a) Häufigkeit, Problematik und Reichweite der Auskunftsverweigerungen
135
b) Möglichkeiten des Missbrauchs von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
139
aa) Manipulation durch Lancierung einer Anzeige
139
bb) Suggestion der Staatsanwaltschaften
140
3. Effektivitätsverluste parlamentarischer Untersuchungen
141
4. Zwischenergebnis
143
C. Reformvorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten I. Beweisverwertungsverbots-Lösung 1. Grundstrukturen der Gemeinschuldnerentscheidung
144 145 146
a) Konfliktlage bei konkursrechtlichen Auskunftspflichten
147
b) Auskunftspflicht und Selbstbelastungsfreiheit
147
2. Nichtstrafrechtliche Auskunftspflicht und Drittinteressen
148
a) Auskunftsverweigerungsrechte in nichtstrafrechtlichen Verfahren
148
b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht
150
c) Geheimhaltungspflicht
152
d) Beweisverwertungsverbote
152
e) Zwischenergebnis
153
3. Übertragbarkeit auf die Situation des Gemeinschuldners
153
a) Auskunftsverweigerungsrechte im nichtstrafrechtlichen Verfahren.... 154 b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht
154
12
Inhaltsverzeichnis
c) Geheimhaltung
155
d) Beweisverwertungsverbote
155
4. Übertragbarkeit der Gemeinschuldnerentscheidung auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren
156
a) Auskunftsverweigerungsrecht im Untersuchungsausschuss
156
b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht
156
c) Geheimhaltung
157
d) Beweisverwertungsverbot
168
5. Strafrechtliche Beweisverwertungsverbote als Lösungsansatz
159
a) Begriffliche Bestimmung der Beweisverwertungsverbote
159
b) Funktion der Beweisverwertungsverbote
160
c) Problematik der mittelbaren Beweisverwertung: Fernwirkung
161
aa) Grundsätzliche Verneinung der Fernwirkung
162
bb) Grundsätzliche Bejahung der Fernwirkung
162
cc) Vermittelnde Fehlerfolgen- und Abwägungslehre
163
dd) Stellungnahme zum Streitstand
164
d) Auswirkungen auf die Verwertungsverbote der Gemeinschuldnerentscheidung 6. Beweisverwertungsverbotslösung für Untersuchungsausschüsse
166 168
a) Methodik der Übertragung der Gemeinschuldnerentscheidung
168
b) Rechtsähnlichkeit in spezifischen Gesichtspunkten
169
aa) Bedeutung der Auskunftspflicht im nichtstrafrechtlichen Verfahren
169
bb) Auskunftspflicht und drohende Strafverfolgung
171
(1) Allgemeine Wahrscheinlichkeit eines strafrechtlichen Hintergrundes
171
(2) Informationstransfer zum Strafverfahren
172
(3) Zwischenergebnis
173
c) Privatpersonen als Untersuchungsausschusszeugen
173
aa) Auskunftspflicht der Privatperson
174
bb) Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners
177
Inhaltsverzeichnis
cc) Gegenüberstellung der Ursachen und Effekte der Auskunftspflichten
178
dd) Zwischenergebnis
179
d) Reformvorschlag für Privatpersonen
180
aa) Erzwingbare Auskunftspflicht
180
bb) Freiwilligkeit der Aussage
182
(1) Keine Verletzung von Rechten des freiwillig aussagenden Zeugen
183
(2) Zulässigkeit der erschwerten Strafverfolgung
184
(3) Zwischenergebnis
188
e) Politisch Verantwortliche als Untersuchungsausschusszeugen
188
aa) Erforderlichkeit einer eingriffsintensiveren Regelung
188
bb) Politische Verantwortung und Rechenschaftspflicht
190
cc) Übertragbarkeit der Gemeinschuldnerentscheidung
192
f) Verfahrensregelung für kooperierende Private und auskunftspflichtige politisch Verantwortliche 7. Zwischenergebnis II. Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung
194 196 197
1. Kooperationsverhältnis zwischen Untersuchungsausschuss und Strafjustiz
197
2. Verfahrensrechtliches Lösungsmodell
198
a) Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung
199
b) Schwierigkeiten bei Beschleunigung von Strafverfahren
199
3. Verfahrensdauer und Diskontinuitätsprinzip
200
4. Zwischenergebnis
201
III. Kronzeugenregelung 1.
Einleitung
201 201
2. „Kronzeuge" und parlamentarischer Untersuchungsausschuss
202
3. Zwischenergebnis
204
IV. Immunität
204
1. Einleitung
205
2. Umfang des Strafverfolgungsverzichtes
207
14
Inhaltsverzeichnis
3. Zulässigkeit der Immunitätsregelung
208
a) Immunität und Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung
208
b) Zulässigkeit des Strafverfolgungsverzichts
209
c) Zwischenergebnis
210
4. Effektivität parlamentarischer Untersuchungen contra Strafverzicht
211
a) Vorzüge der Immunitätsregelung
211
b) Nachteile der Immunitätsregelung
211
c) Zwischenergebnis
213
5. Weitere Nachteile der Immunitätsregelung
214
a) Strafrechtliche Verfolgung von Aussagedelikten
214
b) Staatsanwaltliche Ermittlungsergebnisse
215
c) Auskunftszwang gegen Jedermann?
215
6. Zwischenergebnis V. Absprache zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen
216 216
1. Definition und Inhalt der „Absprache"
216
2. Übertragbarkeit auf parlamentarisches Untersuchungsverfahren
218
3. Vorteile der „Absprache" zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen
218
4. Grundsatz der Gewaltenteilung
219
5. Zwischenergebnis
220
VI. Parlamentarischer Beichtrichter 1. Einleitung
220 220
2. Inhaltliche Vorgaben und geschichtlicher Vorgänger des Beichtrichters.. 221 3. Diskussion des Beichtrichter-Modells in parlamentarischen Untersuchungen 222 4. Zwischenergebnis
224
D. Ergebnisse
225
Literaturverzeichnis
228
Sachwortregister
243
Einleitung Am 6. April 2001 wurde das seit langem geforderte, immer wieder in Angriff genommene und dennoch nie zu Stande gekommene „Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz) - PUAG - " vom 14. Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen. Die Geschichte dieses Gesetzgebungsvorhabens ist lang: Nicht weniger als vier Anläufe wurden im Deutschen Bundestag seit 1949 unternommen, die allesamt nie realisiert wurden. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des parlamentarischen Enqueterechts, Art. 44 GG und zuvor Art. 34 WRV, standen immer wieder im Mittelpunkt der Kritik, insbesondere der Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. 1 auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess führte zu zahlreichen Unklarheiten. Vielfach wurde deshalb eine Verfassungsänderung gefordert, allerdings konnte auch bei der einstimmigen Verabschiedung des PUAG in diesem Punkt keine Einigkeit erzielt werden. Nicht nur auf Bundesebene wirft die Arbeit der Untersuchungsausschüsse immer wieder große Probleme auf. Dies verdeutlicht sich darin, dass sich die staatsrechtliche Abteilung des Deutschen Juristentages mit diesem Thema dreimalig befasste und eine nahezu unüberschaubar große Menge wissenschaftlicher Literatur zum Untersuchungsausschussrecht veröffentlicht wurde. Jeder Untersuchungsausschuss warf neue Probleme auf, die zahlreiche gerichtliche Entscheidungen, aber auch umfangreiche Klärungsversuche der staatsrechtswissenschaftlichen Literatur nach sich zogen. Gleiches gilt für die Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Deutschen Bundestages. Wie schon einige Untersuchungsausschüsse vor ihm befasste sich dieser Untersuchungsausschuss mit dem Finanzgebaren der Parteien und der politisch Verantwortlichen. Seine Untersuchungstätigkeit und der Erlass des PUAG sind Anlass genug, das Augenmerk wieder verstärkt auf das parlamentarische Enqueterecht zu lenken. Aus diesem Grund wird es zu einem Aufblühen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis kommen, wie schon in der parlamentarischen Beratung des PUAG prognostiziert wurde. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Stellung von Auskunftspflichtigen im Verhältnis von parlamentarischen und strafverfahrensrechtlichen Untersuchungen zu klären. Derlei Doppeluntersuchungen gehen nahezu zwingend mit der Aufklärung von recht großen öffentlichen Skandalen einher, die in Form der Skandalenquete mittlerweile mit die häufigste Art parlamentarischer Untersuchungsausschüsse darstellen. In der Beweiserhebung der Untersuchungsaus-
16
Einleitung
schüsse gibt es daher regelmäßig zahlreiche Auskunftspflichtige, die parallel Beschuldigte eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens sind, oder denen ein solches Verfahren zumindest droht. Innerhalb der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsausschussrecht hat sich diese Problemkonstellation vor allem in der Diskussion um den sog. Betroffenenstatus niedergeschlagen, der zu den umstrittensten Fragen des Untersuchungsrechts zählte. Kernfrage der Diskussion war insbesondere die Reichweite der Auskunftspflicht vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit vor dem Zwang zur strafrechtlichen Selbstbelastung und dem Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. I GG auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess. Durch den Erlass des PU AG hat sich der Gesetzgeber erstmalig zu diesem Themenkomplex geäußert. Mit der Regelung des § 22 Abs. 2 PU AG ist er einer zuvor im Schrifttum vertretenen Auffassung weitgehend gefolgt, da auf eine ausdrückliche Kodifizierung des Betroffenenstatus verzichtet wurde. Inwieweit damit die Auseinandersetzung über den Betroffenen tatsächlich beendet wurde, bleibt indes fraglich. Der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung über den Betroffenen ist weitgehend von seiner zu schützenden Rechtsposition her bestimmt worden. Demgegenüber wird sich diesem Thema in der vorliegenden Arbeit vor allem unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse genähert, wobei die Rechte der Auskunftspflichtigen als Grenze des Untersuchungsrechts beachtet und den Konsequenzen des Nebeneinander von parlamentarischem und strafrechtlichem Untersuchungsverfahren Rechnung getragen werden soll. Die Aktualität des Untersuchungsausschussrechts liegt in einer Zeit, die zum einen eine weitreichende Politikverdrossenheit der Bevölkerung beklagt und zum anderen aufgrund einer sich verstärkenden Personalisierung der Politik eine Reduktion der in der Öffentlichkeit wahrgenommenen parlamentarischen Akteure festzustellen hat, auf der Hand. Eine wirksame parlamentarische Untersuchung bietet in Zeiten, in denen die öffentliche Meinung von großen politischen Skandalen erschüttert wird, die Möglichkeit, der Bevölkerung klar aufzuzeigen, dass die Volksvertretung selbst darum bemüht ist, diese Skandale aufzuklären. Auf der anderen Seite eröffnen erfolgreiche Untersuchungsausschüsse Parlamentariern die Chance einer Professionalisierung, der Publizität ihrer Tätigkeit und der pointierten Austragung des politischen Meinungskampfes. In der Beweiserhebung des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages hat nahezu jeder fünfte Zeuge seine Aussage aufgrund paralleler Untersuchungen der Strafjustiz, zumindest teilweise, verweigert. Die Effektivität der Untersuchungsausschüsse hat durch diese Beschränkung der Beweiserhebung starken Schaden genommen. Diese Einschätzung teilt der 1. Untersuchungsaus-
Inhaltsverzeichnis
schuss des 14. Bundestages in seinem Abschlussbericht. Auch in der Literatur ist die beschränkte Effektivität parlamentarischer Untersuchungen vielfach beklagt worden. Die Tendenz zur Verweigerung der Auskunft wird durch Gerichtsentscheidungen, die das Auskunftsverweigerungsrecht sogar zu Zeugnisverweigerungsrechten ausgeweitet haben, weiter verstärkt. Wird damit der besonderen Bedeutung, die das Grundgesetz als Ergebnis einer langen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung dem parlamentarischen Untersuchungsrecht zumisst, noch genügend Rechnung getragen? Warum entstehen im Spannungsverhältnis von Untersuchungsausschuss und Strafjustiz so viele Auskunftsverweigerungen? Gibt es für auskunftsunwillige Zeugen die Möglichkeit, sich der missliebigen Auskunftspflicht zu entledigen und so die parlamentarische Enquete missbräuchlich zu behindern? Dabei kommt den Aussagen von Zeugen für den Erfolg parlamentarischer Untersuchungsausschüsse eine enorm große Bedeutung zu. Dies gilt in besonderem Maße in Hinblick auf die wichtigste Aufgabe der Untersuchungsausschüsse, der für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Selbstreinigung des politischen Systems und der Wiederherstellung verloren gegangenen Vertrauens. Sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Grenzen der Auskunftspflicht indes starr und übereinstimmend mit den derzeitigen Regelungen des PUAG? Diesen und den damit verbundenen Fragestellungen soll durch diese Arbeit auf den Grund gegangen werden. In chronologischer Reihenfolge ist sie dreigeteilt und gliedert sich in Vergangenheit, Gegenwart und (mögliche) Zukunft der Rechtsverhältnisse von Auskunftspflichtigen im Verhältnis von Strafjustiz und parlamentarischem Untersuchungsausschuss. Vergangenheit. Der erste Teil setzt sich zunächst mit den geschichtlichen Grundlagen von Untersuchungsausschuss und Strafjustiz auseinander. Von fortdauernder Relevanz ist der Rollenwandel des Auskunftspflichtigen im Strafverfahren, eine Entwicklung, die insbesondere in Form der Auskunftsverweigerungsrechte gleichfalls Auswirkungen auf das parlamentarische Enqueterecht hat. Ein in der Literatur bisher kaum behandelter Aspekt ist, dass schon sehr früh in der Entwicklung des Untersuchungsausschussrechts, nämlich zur Zeit der Beratungen der Paulskirchenversammlungen, mögliche Problemlagen aufgrund von Doppeluntersuchungen erkannt und auch diskutiert wurden. Dieser Streit wurde nach einer langen Stagnationsphase des Untersuchungsausschussrechts in der Weimarer Republik unter der Fragestellung, ob parallele Untersuchungen durch parlamentarischen Untersuchungsausschuss überhaupt zulässig sind, wieder aufgegriffen. Bereits diese Auseinandersetzungen enthalten einige grundlegende Aspekte zum Verhältnis der beiden Untersuchungsarten zueinander und den zwischen ihnen stehenden Auskunftspflichtigen. Gegenwart. Im zweiten Teil richtet sich der Blick auf das Nebeneinander der beiden Untersuchungsverfahren. Neben Beginn und Begrenzung der Untersuchungen durch Untersuchungsausschuss und Straljustiz sollen Berührungspunk-
18
Einleitung
te und Problemfelder betrachtet werden, die in der bisherigen Praxis aufgetreten sind. Dabei geht es hauptsächlich um die Herausgabe von staatsanwaltlichen Ermittlungsakten, die Informationen über die Auskunftspflichtigen enthalten und vom Untersuchungsausschuss von Landesbehörden angefordert werden. Soweit dies im Rahmen der behandelten Fragen erforderlich ist, werden in diesem Kontext die Vorschriften des PUAG einbezogen, ihre Regelungen dargestellt und evaluiert. Das gilt speziell für das Institut des Ermittlungsbeauftragten, das als Novität durch das PUAG in das Untersuchungsausschussrecht eingebracht wurde. Es ist in der Praxis noch nicht erprobt worden, so dass Zulässigkeit und Praktikabilität dieses Rechtsinstituts zu klären sind. Im Anschluss erfolgt eine Konzentration auf die Rechtsverhältnisse der Auskunftspflichtigen. Aufgrund der Konsequenzen für das Untersuchungsausschussverfahren werden zunächst die im Strafverfahren entstandenen Auskunftsverweigerungsrechte als Grenze der Auskunftspflicht untersucht. Nach einer grundsätzlichen Herleitung der verfassungsrechtlichen Begründung der Auskunftsverweigerungsrechte im parlamentarischen und strafverfahrensrechtlichen Untersuchungsverfahren folgt eine Evaluation der diesbezüglichen Regelung im PUAG. Dabei wird insbesondere die Frage geklärt, ob durch die gesetzliche Regelung des § 22 Abs. 2 PUAG der Streit über den Betroffenenstatus tatsächlich beendet wurde. Sodann stellt sich die Frage der Auswirkungen der Auskunftsverweigerungsrechte auf das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Nach Herausarbeitung der großen Bedeutung, die Zeugenaussagen innerhalb parlamentarischer Enqueten zukommt, rückt die bisherige Praxis der Untersuchungsausschüsse in den Mittelpunkt des Interesses. Diese weist neben Missbrauchsmöglichkeiten vor allem große Effektivitätsverluste aufgrund Auskunftsverweigerungen gerade der wichtigsten Auskunftspflichtigen auf. Zukunft. Im Anschluss an die Ergebnisse des zweiten Teils erfolgt eine Auseinandersetzung mit Vorschlägen, die während der Beratung des PUAG vorgetragen wurden und eine Optimierung der Auskunftspflichten mit dem Ziel einer Effektivitätssteigerung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse verfolgen. Dabei kann und muss auf die im zweiten Teil gewonnenen Erkenntnisse über die verfassungsrechtliche Begründung der Selbstbelastungsfreiheit zurückgegriffen werden. Daneben erfolgt die Auseinandersetzung mit der Gemeinschuldner-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Grundlegendes zur Selbstbelastungsfreiheit in nicht-strafrechtlichen Verfahren bei betroffenen Drittinteressen enthält. Diese Feststellungen werden nach einer kritischen Würdigung zum Ausgangspunkt der Begründung der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung gemacht, die in verfassungsrechtlich zulässiger Weise für eine künftige Reform des Auskunftsverweigerungsrechts im parlamentarischen Untersuchungsverfahren Modell stehen kann. Ob und wann der Gesetzgeber den Mut für eine solche den Untersuchungsausschussinteressen Rechnung tra-
Inhaltsverzeichnis
gende Reform aufbringen wird, ist freilich offen. Gleichwohl wird, dies lehren die Erfahrungen der Vergangenheit, die Praxis der Untersuchungsausschüsse Modifizierungen des PUAG erforderlich machen. Der dritte Teil dieser Arbeit soll für die damit einhergehenden Beratungen eine tragfähige Grundlage bieten, so dass die zulässige und sinnvolle Optimierung der Auskunftspflichten im Untersuchungsausschussrecht künftig tatsächlich vorgenommen werden kann. Die Arbeit schließt mit einer Darstellung der Ergebnisse in Thesenform. Sie fassen die gewonnenen Erkenntnisse über Auskunftspflichtige von parallelen Untersuchungen durch parlamentarischen Untersuchungsausschuss und Strafverfahren, einhergehende Problemkreise und darauf bezogene Reform Vorschläge zusammen.
Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen Im Folgenden wird nicht die gesamte geschichtliche Entwicklung des Strafverfahrensrechts in Deutschland dargestellt,1 vielmehr soll der Blickwinkel der Betrachtungen aus zweierlei Gründen auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert fokussiert werden: Zunächst, weil dies eine Konzentration auf den Zeitraum ermöglicht, in dem sich auch das parlamentarische Untersuchungsrecht entwickelte.2 Insbesondere aber auch deswegen, weil das Strafverfahren innerhalb dieser Zeit in einigen für diese Arbeit gewichtigen Punkten grundlegende Änderungen erfahren hat. So wurde durch die Umstellung des Verfahrens vom Inquisitionsauf den Anklageprozess die rechtliche Stellung der verdächtigen Personen im Strafverfahren deutlich verbessert, und die bedeutsame Rechtsstellung des „Beschuldigten" überhaupt erst geschaffen. Diese Abänderungen waren von so weitreichender Bedeutung, dass Mittermaier 1845 feststellte, dass jemand, der in den vorausgegangenen 20 Jahren geschlafen habe und nun erwache, meinen könne, dass „ein Jahrtausend über seinem Haupte vorübergegangen" wäre. 3 Diese elementaren Modifizierungen des Strafverfahrensrechts im 19. Jahrhundert enthalten einige Entwicklungstendenzen, die ein Konfliktpotential für den Fall paralleler Untersuchungen durch Strafverfahren und parlamentarischen Untersuchungsausschuss begründen. Dieses Konfliktpotential führte schon in der Weimarer Republik zu umfangreichen rechtspolitischen Diskussionen4 und wirkt fiir das Verhältnis von Auskunftspflichtigen im Fall von Doppeluntersuchungen bis zur heutigen Zeit in Form zahlreicher Probleme nach.5
1 Eine kompakte Darstellung der Entwicklung des Strafverfahrensrechts im germanisch-deutschen Rechtskreis mit der Aufnahme des mittelalterlich-italienischen Rechts im 15. Jhd. und in der weiteren Entwicklung englisch-französischer Rechtsgedanken findet sich bei: Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 67 Rn. 1 ff., § 68 Rn. 3 passim m.w.N. 2 Siehe unten II. 3 Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht, S. 1. 4 Siehe unten III. 2. 5 Siehe unten Β. IV. und V.
I. Entwicklung des Strafverfahrens
21
I. Entwicklung des Strafverfahrens Der „zentrale Epochenwechsel" im Strafverfahrensrecht ist maßgeblich durch den Übergang des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens zum reformierten deutschen Strafprozess gekennzeichnet.6
1. Das Inquisitionsverfahren a) Die Grundstruktur
des Inquisitionsverfahrens
Bei allen Differenzierungen in den deutschen Territorialstaaten galten fur das seit spätestens dem 16. Jahrhundert verbreitete Inquisitionsverfahren dieselben Grundsätze. Zunächst wurde die Strafverfolgung im Gegensatz zu vergangenen Zeiten als staatliche Aufgabe anerkannt. 7 Das Verfahren war zweigeteilt und bestand bei Verbrechen aus einer vorgelagerten Generalinquisition, 8 in der das Vorliegen einer Straftat festgestellt wurde und einer Spezialinquisition, die i.d.R. mit der Verhaftung des Verdächtigen begann und den gegen ihn bestehenden Verdacht untersuchen sollte. 9 Die dazu erforderlichen Tatsachen wurden durch einen Richter, den sog. Inquirenten, aufgebracht, der nicht gleichzeitig der urteilende Richter sein musste, diese Aufgabe aber übernehmen konnte. Die Untersuchung durch einen Richter, die eigentlich die Verfahrensgerechtigkeit erhöhen sollte, verschlechterte indes die Rechtsstellung der tatverdächtigen Person. 10 So lag die Ermittlung des gesamten Sachverhalts, die Konkretisierung des Tatverdachts gegen eine bestimmte Person und das Zusammentragen des gesamten Beweismaterials in der Hand einer richterlichen Instanz, die damit weniger die Rolle eines unbefangenen Richters als vielmehr die eines Verfolgers des Verdächtigen ausfüllte. 11
6
Achenbach, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren, in: FS für das OLG Oldenburg, S. 177 f. 7 Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 92. 8 In deren Verlauf die tatverdächtigen Personen einen gewissen Schutz genossen, so durften sie z.B. nicht gefoltert werden; vergi. Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, S. 53. 9 Schmidt, Einfuhrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 187, 199 passim. 10 Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, S. 54. 11 Collin , Konzipierung, Einrichtung und Anleitung der Staatsanwaltschaft durch das preuß. Justizministerium, S.42; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 69 Rn. 6; Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 287; Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess, S. 41 f.
22
Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
Gegenüber dem untersuchenden Richter blieb der Verdächtige, der sog. Inquisii, weitestgehend rechtloses Verfahrensobjekt. Diese Rechtsstellung repräsentierte den Geist der absoluten Staatsgewalt i.R.d. Strafverfahrens, der in den Untertanen nur „unmündige" Objekte sah. 12 Die zur Abschwächung der absoluten Monarchie führenden Gedanken der Aufklärung und die Entwicklung rechtstaatlich-liberaler Positionen im 19. Jahrhundert waren dann auch die treibenden Kräfte, die die Wende im Strafverfahrensrecht in Richtung des reformierten Strafprozesses nach sich gezogen haben.13
b) Die Beweisregeln des Inquisitionsverfahrens Vor dieser Reform des Strafverfahrens war die Formalität des Beweisrechts, worunter die enge Bindung des Richters an strenge gesetzliche Beweisregeln zu verstehen ist, typisch für den Inquisitionsprozess. Hierunter fällt der Grundsatz, dass vor allem das Geständnis des Verdächtigen das Hauptverfahrensziel ist. 14 Auch hier zeigte sich die äußerst schwache rechtliche Stellung des Tatverdächtigen, da der ihm nachteilige Aussagezwang notfalls mit der peinlichen Frage, also der Folter, unterstützt wurde. Zwar gab es grundsätzlich einen gewissen Schutz für den Verdächtigen, so durch Voraussetzungen, die erfüllt sein mussten, damit gefoltert werden durfte und die Bestimmung, dass ein durch Folter erpresstes Geständnis im Anschluss ohne Folter noch einmal wiederholt werden musste.15 Allerdings wurden diese Regelungen in der Verfahrenswirklichkeit oftmals nicht eingehalten. Auch wurde im praktischen Verfahren im Interesse einer besonders weitreichenden und wirksamen Verfolgung zunehmend die Trennung zwischen General- und Spezialinquisition verwischt, 16 so dass der Verdächtige noch willkürlicher von dem ihn verfolgenden Inquirenten behandelt werden konnte.
12 Seilert/Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 266; Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, S. 51; Schmidt, Einfuhrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 185, 284. So stellte der König bis ins 19. Jahrhundert hinein die oberste Instanz in Strafsachen dar. Vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 69 Rn. 12. 13 Siehe unten 2. a). 14 Als gleichwertig wurde nur die (seltene) Ausnahme der übereinstimmenden Aussage von zwei tatunmittelbaren Zeugen angesehen, vergi. Schaffenstein, Verdachtsstrafe, außerordentliche Strafe und Sicherungsmittel im Inquisitionsprozess, in: ZStW 1989, S. 493 (494). 15 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 69 Rn. 7. 16 Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 208.
I. Entwicklung des Strafverfahrens
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Die schlechte rechtliche Stellung des Inquisiten zeigte sich auch in der Möglichkeit der Verdachtsstrafe 17: Selbst wenn mit dem konsequent gegen den Inquisiten gerichteten Verfahren unter Anwendung strengster Vernehmungsmethoden kein eindeutiger Beweis fiir die Schuld zu erbringen war, bestand die Möglichkeit, auf reine Verdachtsmomente hin den Inquisiten bis zu mehreren Jahren in öffentlichen Anstalten zu verwahren. 18 Ebenfalls zu Lasten des Inquisiten ging das für den Inquisitionsprozess kennzeichnende durchgängig schriftliche mittelbare und geheime Beweis-verfahren, dass dem urteilenden Richter keinerlei lebendige Anschauung des Falles bot und ihn keinerlei Kontrolle durch die Öffentlichkeit aussetzte.19
c) Die Objektstellung des Inquisiten Die Stellung des Tatverdächtigen war die eines rechtlosen Verfahrensobjektes. Aufgrund der in der Praxis entstehenden Verwischung der Grenzen zwischen General- und Spezialinquisition konnte der Verdächtige schlimmstenfalls in jedem Verfahrensabschnitt willkürlich verhaftet werden und in ein Verfahren geraten, dass nach „reinen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten der Obrigkeiten" zur harten Kriminalitätsbekämpfung konstruiert worden war, wobei allerdings der „Einbau aller schützenden Formen" für den unschuldigen Bürger unterlassen worden war. 20 Besonders nachteilig wirkte sich fiir den Inquisiten das Verfahrensziel des Geständnisses als wichtigstes Beweismittel aus. Selbst nach Abschaffung der Folter 21 erfolgten die Vernehmungen unter sehr harten Bedingungen und mit dem alten Problem, dass der nach wie vor mit einer großen Machtfülle ausgestattete Untersuchungsrichter stark dazu tendierte, den Inquisiten überführen zu wollen, und wenig Interesse daran hatte, entlastendes Material zu sammeln.
17
Schaffenstein, Verdachtsstrafe, außerordentliche Strafe und Sicherungsmittel im Inquisitionsprozess, in: ZStW 1989, S. 493 (494). 18 Vergi, zu den Verdachtsstrafen und insbesondere zur „Entlassung aus der Instanz", absolutia ab instantia: Achenbach, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren, in: FS für das OLG Oldenburg, S. 187. 19 Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft, S. 56; Achenbach, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren, in: FS für das OLG Oldenburg, S. 182 f., 185; Henschel, StrafVerteidigung im Inquisitionsprozess, S. 86; Zachariä, Die Gebrechen und Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 156 ff. 20 Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 201. 21 In Preußen durch Friedrich den Großen in seinem ersten Regierungsjahr 1740, vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 70 Rn. 4; Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 253.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
An dieser Stelle wurde das sehr begrenzte Maß an Verteidigungsmöglichkeiten des Inquisiten bedeutsam.22 Abgesehen von möglichen Hinweisen auf schwerwiegende Verfahrensfehler (wie z.B. Personenverwechslungen), beschränkte sich die Hinzuziehung eines rechts-kundigen Verteidigers weitestgehend auf ein Schlussverfahren, das sich der Speziai inquisition anschließt, also einen Zeitpunkt, in dem das gesamte Beweismaterial bereits aktenmäßig erfasst wurde und sich die Verteidigung nur noch auf die Höhe der Strafe beziehen konnte und nicht mehr auf ein ordnungsgemäßes Verfahren gegen den Tatverdächtigen. 23 Zusammengefasst führen die genannten Grundsätze des Inquisitionsverfahrens zu einer rechtlichen Stellung der tatverdächtigen Aussageperson, in der diese der Strafverfolgung durch die Staatsgewalt ohnmächtig gegenüberstand und insofern zu Recht als rechtloses Verfahrensobjekt bezeichnet werden kann.
2. Der reformierte Strafprozess a) Einleitung Der fundamentale Wandel der rechtlichen Stellung von tatverdächtigen Personen im Strafverfahren wurde erst durch die Gedanken der Aufklärung erreicht, die verstärkt ab Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihrer Forderung nach Gerechtigkeit und einer Zurückdrängung des allmächtigen absolutistischen Staates populär wurden und auch auf die Humanisierung der Strafjustiz drängten. 24 Die Kritik am Inquisitionsprozess setzte vor allem bei dessen Grundkonzeption an, nahezu die gesamte Verantwortung in die Hände des Inquirenten zu legen, von dessen Integrität somit die gesamte Gerechtigkeit des Verfahrens abhing. Diese Kritik knüpfte an die geschichtliche Erfahrung an, dass die Untersuchungsrichter ihre Machtfülle oftmals missbrauchten und einseitig daran interessiert waren, unliebsame Inquisiten gezielt zu verfolgen und mit einer strafrechtlichen Verurteilung zu belegen.25
22
Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess, S. 86. Rieß, Der Beschuldigte als Subjekt des Strafverfahrens, in: Vom Reichsjustizsamt zum BM der Justiz, S. 373 (405); Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess, S. 41 f.; bezogen auf Oldenburg: Achenbach, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren, in: FS für das OLG Oldenburg, S. 190. 24 Michels, Der Indizienbeweis im Übergang vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren, S. 45; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 70 Rn. 2 ff.; Achenbach,, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren" in: FS für das OLG Oldenburg, S. 172; Bertram Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 143 ff.; Andrea Schmitt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung, S. 40. 25 Vergi, nur Mittermaier, Die Gesetzgebung und Rechtsausübung im Strafverfahren nach ihrer neuesten Fortbildung, S. 274 f.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte 23
I. Entwicklung des Strafverfahrens
25
Überdies war das Inquisitionsverfahren idealtypisch mit dem durch den erstarkenden Liberalismus stark in die Kritik geratenen absolutistischen Staatsdenken verbunden, so dass die Kritik des einen korrelativ mit der des anderen verbunden war. Mit dieser Kritik und der umfassenden Reformdiskussion setzte sich die Forderung nach der Einführung des Anklageprozesses durch, der schließlich in die Paulskirchenverfassung mitaufgenommen wurde. 26 Das Ergebnis dieser Entwicklung wird als „reformierter deutscher Strafprozess" bezeichnet, auf dessen Boden auch die RStPO von 1877 steht. 27 Bedeutsam werden die Grundsätze des Anklageverfahrens im Kontrast zum Inquisitionsprozess vor allem in Hinblick ihrer Bedeutung fiir die rechtliche Stellung des Beschuldigten. 28
b) Die Grundstruktur
des Anklageverfahrens
Die Erhebung der öffentlichen Klage wurde im Anklageverfahren in die Hände einer nichtrichterlichen Instanz, der Staatsanwaltschaft, gelegt, die allgemein als charakteristisches Organ des akkusatorischen Verfahrens angesehen wird. 2 9 Um den Beschuldigten aus der Lage eines durch den Untersuchungsrichter Verfolgten zu befreien, sollte ein starker Antagonismus zwischen der Staatsanwaltschaft als Trägerin des staatlichen Strafverfolgungswillens und dem erkennenden Gericht als urteilender Instanz geschaffen werden. 30 Mit der neuen Institution der Staatsanwaltschaft war das Strafverfahren nunmehr zwischen einem anklagenden Staatsanwalt und dem mit Strafe bedrohtem Tatverdächtigen polarisiert, so dass der Richter gleichsam in eine unabhängigere Position gedrängt wurde. Zwar schlüpfte der Staatsanwalt insoweit in die Rolle des Inquirenten als auch er die erforderlichen Voruntersuchungen durchfuhrt, allerdings
der deutschen Strafrechtspflege, § 288; Collin , Konzipierung, Einrichtung und Anleitung der Staatsanwaltschaft durch das preuß. Justizministerium, S. 43; Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 246. 26 § 179 der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849, RGBl S. 101. 27 Nachdem die Reich s Verfassung von 1871 dem Reich die Zuständigkeit zur Gesetzgebung über das Strafrecht und das Strafverfahren zugesprochen hatte (Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung vom 16. April 1871, RGBl S. 63), wurden das GVG und die RStPO ausgefertigt, die am 1. Oktober 1879 mit den übrigen Reichsjustizgesetzen in Kraft getreten sind. Vergi. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 299. 28 Damit diese Grundsätze klarer herausgearbeitet werden können, wird auf die Darstellung des eine Brücke zum Inquisitionsverfahren schlagenden Instituts der gerichtlichen Voruntersuchung verzichtet. Vergi, hierzu: Kern/Roxin, Strafverfahrensrecht 12, S. 195 ff.; Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 248. 29 Collin , Konzipierung, Einrichtung und Anleitung der Staatsanwaltschaft durch das preuß. Justizministerium, S. 45; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 70 Rn. 7. 30 Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess, S. 99.
26
Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
ist die Position des Staatsanwaltes von Anbeginn an stärker auf Strafverfolgung ausgerichtet als dies beim Inquirenten der Fall war, dessen Stellung als Richter eigentlich unabhängig sein sollte und dessen Tätigkeit dann de facto gleichwohl sehr deutlich auf Bestrafung des Verdächtigen ausgerichtet war. Im Ergebnis wurde also durch die für das Anklageverfahren erforderliche Einrichtung der Staatsanwaltschaft die Rechtsstellung der tatbeschuldigten Personen verbessert.
c) Die Beweisregeln des Anklageverfahrens Das dem Inquisitionsprozess zugrundeliegende Prinzip des durchgängig schriftlichen Verfahrens, also eines Verfahrens, in dem der rechtsprechende Richter sein Urteil ausschließlich auf der Basis der durch den Inquirenten zusammengetragenen Akten fällt, ist von der Reformliteratur aufs schärfste kritisiert worden. 31 Entsprechend dieser Kritik ist das Beweisverfahren des Anklageverfahrens unmittelbar, mündlich und öffentlich geregelt. 32 Der Öflfentlichkeitsgrundsatz bezieht sich nicht auf die durch die Staatsanwaltschaft durchgeführte Voruntersuchung, sondern allein auf die Hauptverhandlung und besagt, dass allein das, was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wurde, eine Grundlage für das Urteil bilden darf. 33 Im Gegensatz zu dem hinter geschlossenen Gerichtstüren stattfindenden Inquisitionsprozess enthält die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung sowohl ein Element demokratischer Kontrolle als auch einen Schutz des Beschuldigten vor gerichtlicher Willkür. 3 4 Mit dem Übergang von der gesetzlichen Beweistheorie zur freien richterlichen Beweiswürdigung 35 entfallen die für den Inquisiten besonders harten und ungerechten Verdachtsstrafen, überdies wird das Verfahren somit von dem Druck entlastet, um jeden Preis ein Geständnis des Tatverdächtigen zu erhalten. 36
31
Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht, S. 259 ff.; Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 156 ff. 32 Vergi. § 178 der Paulskirchen Verfassung. 33 Henschel, Strafverteidigung im Inquisitionsprozess, S. 96, 101. 34 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 45 Rn. 2 f.; krit. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR Bd. 2, § 35 Rn. 61. 35 Zur freien Beweiswürdigung und ihrer Verbindung mit der Forderung nach der Einfuhrung von Schwurgerichten, vergi. Küper, Historische Bemerkungen zur freien Beweiswürdigung, in: FS für Peters, S. 23 (insbesondere S. 25 ff). 36 Gleichwohl stellten die gesetzlichen Beweisregeln einen Schutz gegen Willkür und nicht nachvollziehbare Subjektivität dar. Vergi. Achenbach, Vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafverfahren" in: FS fur das OLG Oldenburg, S. 182 f.; Henschel, StrafVerteidigung im Inquisitionsprozess, S. 187 m.w.N. in FN 25.
I. Entwicklung des Strafverfahrens
27
d) Die Subjektstellung des Beschuldigten und das Entstehen von Schweigerechten Es ist heute anerkannt, dass mit dem Übergang vom Inquisitions- zum modernen Anklageprozess zugleich der Beteiligte vom Objekt zum Subjekt des Strafverfahrens geworden ist. 37 Diese Änderung zeigt sich in dem Wandel der Rechtsposition des der Strafverfolgung rechtlos gegenüberstehenden Inquisiten zu der des mit eigenen Verfahrensrechten ausgestatteten Beschuldigten. Zwar bleibt auch im Anklageprozess die tatverdächtige Position insoweit Objekt des Verfahrens als sie in Haft genommen und so staatlicherseits der Freiheit beraubt werden kann. An dieser Stelle zeigt sich die Subjektstellung gleichwohl darin, dass ein solcher Eingriff nur unter wesentlich strengeren Voraussetzungen als zulässig angesehen wurde als dies zu Zeiten des Inquisitionsprozesses der Fall war. Die Rechtsstellung des Beschuldigten wurde erheblich durch den oben genannten Umstand verbessert, dass das Geständnis als wesentliches Verfahrensziel aufgegeben wurde, und der Beschuldigte nicht mehr einem Inquirenten ausgesetzt war, dem nahezu jedes Mittel recht und in die Hand gegeben war, dieses Ziel zu erreichen. Entscheidend für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt ist die Anerkennung der Freiheit der Willensentscheidung und -betätigung darüber, ob und inwieweit er zu dem Prozessgegenstand selbst Stellung nehmen will. 3 8 Dem Aussageverweigerungsrecht wurde 1854 durch das Preußische Obertribunal zum Durchbruch verholfen 39 und in den Partikulargesetzen der Länder überwiegend, wenn auch nicht einheitlich, durchgesetzt. 40 An dieser Stelle nimmt der naturrechtlich begründete und dem Gerechtigkeitsdenken der Aufklärung entstammende Grundsatz Gestalt an, dass die tatverdächtige Person als sittlich und moralisch autarker Mensch nicht gezwungen werden darf, an ihrer eigenen Überführung mitzuwirken. Dieser Punkt ist eine deutliche Abkehr von den Grundsätzen des Inquisitionsprozesses. Bei allen fortschrittlichen Motiven, die zu der Einführung der Schweigerechte führte, darf indes nicht übersehen werden, dass dies auch deswegen erfolgen konnte, da durch den Übergang zur freien Beweiswürdigung auf das Geständnis des Beschuldigten verzichtet werden konnte und nun schon das Schweigen ein wesentliches Schuldindiz abgab und die Überführung sicherstellen konnte. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Verrechtlichung des Strafverfahrens wird deutlich, wie eng die Einräumung der Subjektstellung mit der Zulassung eines Verteidigers
37 Rieß, Der Beschuldigte als Subjekt des Strafverfahrens, in: Vom Reichsjustizsamt zum BM der Justiz, S. 373 (375) m.w.N. 38 Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und GVG, S. 59 f. 39 Preuß. Obertribunal GA 1854, S. 414; GA 1856, S. 377; GA 1861, S. 57. 40 Sundelin, Allg. Dt. Strafrechtszeitung 1863, Sp. 133 (Sp. 147).
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
zusammenhängt. Im Gegensatz zum Inquisitionsprozess, der eine Verteidigung erst zuließ, wenn die Beweiserhebung abgeschlossen war, wurde durch den reformierten Strafprozess das Recht des Beschuldigten anerkannt, in jeder Lage des Verfahrens einen Verteidiger hinzuziehen zu dürfen. 41
3. Zwischenergebnis Eingebettet in eine geschichtliche Entwicklung, in der das Bürgertum zusehends seine freiheitlichen Rechte gegenüber der einst übermächtigen Staatsgewalt des absolutistischen Staates einforderte, änderte sich das Verständnis der Rolle von tatverdächtigen Personen innerhalb der staatlichen Strafverfolgung. Im Rahmen des Inquisitionsprozesses ging es um eine Sachverhaltsaufklärung um jeden Preis, die die tatverdächtigen Personen folgerichtig zu rechtlosen Objekten degradierte. In der Forderung und Installierung der Rechtsstellung des Verfahrenssubjektes „Beschuldigter", die sich durch eigene Verfahrensrechte (und insbesondere Schweigerechte) auszeichnet, lag zugleich das Anerkenntnis, dass der staatliche Strafanspruch hinter die persönlichen Freiheitsrechte der tatverdächtigen Person zurückzutreten habe, da die Einräumung von bürgerlichen Freiheitsrechten zugunsten des Beschuldigten zwangsläufig die Abkehr von der „totalen Strafverfolgung" darstellt. Die Integrität des Beschuldigten wird also bewusst und deutlich vor die Effektivierung der Strafverfolgung gestellt. Angesichts der empfindlichen Sanktionsmöglichkeiten des Strafrechts ist das reformierte Strafverfahren, aufgeteilt in ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren und ein gerichtliches Entscheidungsverfahren, mit Sicherungsrechten für den Beschuldigten ausgestattet worden, um diesen gegenüber dem hoheitlichen Zugriff des Staats zu schützen, dessen Machtpotential domestiziert werden soll. Diese Entwicklungen, die gleichsam dem Rechtsstaatsprinzip entstammen, versuchen also, den Freiheitsrechten des Bürgers Rechnung zu tragen. Die zunehmende Absicherung dieser Rechte gipfelte in der RStPO von 1877, deren Regelungen über die Rechte des Beschuldigten größtenteils bis heute gelten.42
II. Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts Die Einforderung von bürgerlichen Freiheitsrechten und der Wandel der absolutistischen Monarchien zu konstitutionellen Monarchien führten nicht nur zu
41 Rieß, Der Beschuldigte als Subjekt des Strafverfahrens, in: Vom Reichsjustizsamt zum BM der Justiz, S. 373 (405), mit Nachweisen über die Rechtslage in den Partikulargesetzen vor 1877 in FN 133. 42 Siehe unten B.III. 1.
II. Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts
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einer grundlegenden Veränderung des Staatswesens überhaupt, sondern zogen auch die Reform des Strafverfahrens nach sich. Triebfeder dieser Entwicklung war vor allem die Forderung nach bürgerlicher Mitbestimmung im Rahmen parlamentarischer Tendenzen und die Eingrenzung, Rationalisierung und Kontrolle der vormals übermächtigen Staatsgewalt. In diesem Kontext steht auch die geschichtliche Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland.
1. Einleitung Über einhundert Jahre brauchte das deutsche parlamentarische Untersuchungsrecht, um sich von seiner ersten vagen verfassungsmäßigen Kodifizierung im Jahre 181643 zu einem echten und wirksamen parlamentarischen Kontrollrecht in der Weimarer Reichsverfassung 44 zu entwickeln. Diese wechselvolle geschichtliche Entwicklung wurde durch die parlamentarischen Untersuchungsrechte in anderen Staaten nachhaltig beeinflusst, zumal diese den Befürwortern der Installierung eines parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland ausdrücklich als Vorbild dienten.45 Dabei können als staatsrechtliche historische Wurzeln zwei Grundströmungen unterschieden werden: 46 Eine relativ konstante englische auf der einen und eine recht wechselvolle doch typische Besonderheiten aufweisende amerikanisch-französisch-belgische auf der anderen Seite. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung und der interessanten Auswirkungen des präsidentiellen Regierungssystems auf das Entstehen des parlamentarischen Kontrollrechts soll von der zweiten Gruppe nur die amerikanische Entwicklung dargestellt werden.
43
Im § 91 der Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach vom 05. Mai 1816. Abgedruckt in: Friedrich, Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 196. 44 Art. 34 WRV. 45 So forderte der Abgeordnete Rosier am 11. Sitzungstag der Paulskirchenversammlung am 3. Juni 1848, dass die „konstituierende Nationalversammlung sich dieselben Befugnisse und Vorrechte beilegen (solle), welche die gesetzgebenden Versammlungen anderer freier Staaten" bereits besäßen. Vergi. St.B.NV., 11. Sitzg., 03. Juni 1848, S. 194. 46 Vergi. Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (153).
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
2. Geschichtliche Grundlagen und geisteswissenschaftliche Wurzeln a) England In der englischen Entwicklung haben - eng verknüpft mit den wichtigsten Ausgangspunkten fur den Parlamentarismus 47 - auch die ersten Untersuchungsausschüsse ihren Ursprung. 48 So werden die ersten parlamentarischen Untersuchungen bereits im Jahre 1340 angesiedelt,49 andere Stimmen in der Literatur stellen für die faktische Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, den select commities, auf das Jahr 1689 und die Bill of Rights 50 ab. Unabhängig von der genauen zeitlichen Verortung bleibt festzuhalten, dass die wegbereitende Entwicklung des englischen Parlamentarismus auch die ersten Blüten eines parlamentarischen Untersuchungsrechts hervorbrachten. Dabei fügt sich die Entstehung dieses Rechts in die wechselvolle und von gegenläufigen Tendenzen geprägte parlamentarische Entwicklungsgeschichte: Am Anfang noch von untergeordneter Bedeutung, etablierte sich das parlamentarische Untersuchungsrecht ab dem 16. Jahrhundert zu einem festen Bestandteil der parlamentarischen Praxis. 51 Allerdings standen sich zu diesem Zeitpunkt noch zwei Ausschussarten gegenüber, einerseits die select commities des Parlaments, andererseits die Royal commissions und die Departmental Commities der Krone. 52 Die Auflösung der sich hieraus ergebenden Konflikte nahm eine mit den zwischen Krone und Parlament bestehenden Machtkämpfen übereinstimmende Entwicklung. Insbesondere die Glorious Revolution und die Bill of Rights von 1689 brachen die Macht der Krone und mit ihr die Bedeutung der Royal commissions. Diese durften ab diesem Umbruch nicht mehr „hören und entscheiden" und richterliche Gewalt ausüben, sondern lediglich untersuchen. 53
47
Vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 397 ff. m.w.N.; Kluxen, Geschichte und Problematik des Parlamentarismus, S. 17 ff. 48 Ziemske, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in England, S. 31. 49 Dabei setzte das Parlament einen Ausschuss zur Prüfung über die Verausgabung der „letztbewilligten Subsidie", vergi. Redlich, Recht und Technik des englischen Parlamentarismus, S. 469. 50 Zur Bill of Rights vergi. Loewenstein, Der englische Parlamentarismus, S. 61. 51 Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 1. Während sich die Ausschüsse zuvor nur um allgemeinere Themen wie Wahl- oder Privilegienkontrolle gekümmert hatten, wandelten sich die select commities ab dem Ende des 17. Jahrhunderts aufgrund des wachsenden Misstrauens des Parlaments gegenüber staatlichen Institutionen stark in Richtung einer parlamentarischen Kontrolle der Regierung, vergi. Ziemske, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in England, S. 31. 52 Diese Royal commissions waren vom Parlament unabhängig und besaßen umfangreiche, gerichtsähnliche Kompetenzen, vergi. Lewald, Enqueterecht und Aufsichtsrecht, AöR 44(1923), S. 269 (282). 53 Steffani, Untersuchungsausschüsse des preußischen Landtages, S. 21.
II. Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts
31
Des Weiteren nahm, gleichfalls parallel zur allgemeinen Entwicklung, die Macht der Ausschüsse des Unterhauses im Verhältnis zu den vormals mächtigeren Ausschüssen des Oberhauses stetig zu. 54 Zu betonen bleibt, dass die select commities nicht von vornherein über die beiden wichtigsten Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, nämlich Zeugenvernehmung und Akteneinsicht, verfügen. Diese Machtbefugnisse werden ihnen vielmehr durch die stets präzis formulierten order of reference zugeteilt.55 Diese werden von der Parlamentsmehrheit beschlossen und spezifizieren Untersuchungsgegenstand, -thema und -befiignisse. 56 Gleichwohl konnten Zeugen aufgrund der historisch bedingten Stellung des englischen Parlaments als höchstem Gerichtshof des Landes57 auch ohne einen order of reference verhört werden, dann allerdings nur vor dem gesamten Plenum.58 Die Bindung der Untersuchung an den Willen der Parlamentsmehrheit und die (bis zum heutigen Tag) fehlende Stärkung der Rechte parlamentarischen Minderheit führte dazu, dass das Enquetewesen in England nach einer Blütezeit zwischen 1830 und 1880 weitestgehend an Bedeutung verlor, 59 da die Mehrheit naturgemäß ein geringes Interesse daran hat, die von ihr getragene Regierung kritisch zu untersuchen. 60 Verstärkt wurde diese Entwicklung 61 durch Einführung der special tribunals of inquiry (1921), die mit parlamentsfremden neutralen Personen besetzt wurden. 62 Doch gerade in der für die deutsche Entwicklung bedeutsamen Phase darf die Ausstrahlungswirkung auf die deutsche Aus-
54
Ab 1871 durfte das Unterhaus selbständig Zeugen vereidigen, was dem Oberhaus bereits seit 1858 gestattet war; vergi. Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (154). 55 Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (154). 56 Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 5. 57 Ein falscher Eid wird damit einhergehend als Missachtung des Gerichts („contempt of court") bestraft, vergi. Redlich, Technik des englischen Parlaments, S. 456 f. 58 Kaufmann, Untersuchungsausschuss und Staatsgerichtshof, 1920, S. 60 f.; Redlich, Recht und Technik des englischen Parlamentarismus, Leipzig 1905, S. 461. 59 Gascard, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in rechtsvergleichender Sicht, S. 3 ff; Redlich, Recht und Technik des englischen Parlamentarismus, S. 450 ff. 60 Eine Ausnahme kann sich in der Konstellation einer Minderheitsregierung ergeben, wie dies Oktober 1924 der Fall war; vergi. Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (164). 61 Vergi, die Feststellung Friedrichs, dass die „Ausschüsse des englischen Parlaments verkümmert" seien. Carl J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 385. 62 Schweizer, Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollfunktionen: Vergleich von House of commons und dem deutschen Bundestag, S. 170; Ziemske, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in England, S. 31 ; diese „Enquetegerichte" sollten dem Parteistreit entzogen werden, um Unabhängigkeit zu gewährleisten, vergi. Gerland, Die Beziehung zwischen dem Parlament und den Gerichten in England, S. 101 insbes. FN 5.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
bildung eines parlamentarischen Kontrollrechts nicht unterschätzt werden. 63 Entscheidend ist insbesondere die enge Bindung des Entstehens des parlamentarischen Untersuchungsrechtes an ein Erstarken des Parlaments insgesamt. Die Frage der Auswirkungen strafrechtlicher und parlamentarischer Doppeluntersuchung auf Auskunftspersonen wurde in der englischen Entwicklung nicht problematisiert. Dies lässt sich mit dem besonderen Fall erklären, dass das englische Parlament zugleich der höchste Gerichtshof des Landes ist, 64 so dass diese Situation als weniger problematisch angesehen wurde als dies bei strikter organschaftlicher Trennung der parlamentarischen und der strafverfahrensrechtlichen Untersuchungsorgane der Fall wäre.
b) USA Man könnte bei der Entstehung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in den USA einen ähnlichen Verlauf wie in England erwarten. 65 Dass dies gleichwohl nicht der Fall war, 66 liegt vor allem daran, dass sich die Mütter und Väter der Verfassung für eine konsequentere Anwendung des Gewaltenteilungsgrundsatzes entschieden haben und so das präsidentielle Regierungssystem entwickelten. Definitorisch kann dies vom parlamentarischen Regierungssystem dadurch abgegrenzt werden, dass die einzelnen Gewalten strikt von einander getrennt sind und insbesondere die Regierung in ihrem Bestand nicht vom Parlament abhängig ist. 67 Eine strenge Beachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes steht einem parlamentarischen Untersuchungsrecht eigentlich entgegen, was insbesondere für eine Kontrolle der Exekutive durch die Judikative gilt. Aus diesem Grund ist ein parlamentarisches Kontrollrecht in der amerikanischen Verfassung mit keinem Wort erwähnt. 68
63
Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 15 FN 52. Die Funktion des höchsten englischen Gerichtes wird vom House of Lords wahrgenommen. Seit dem Appellate Jurisdiction Act (1876) gehören dem juristischen Teil des House of Lords der Lord Chancellor, die Peers, die bereits an Obergerichten tätig waren und in den Stand eines Lords gehobene Berufsrichter („Lords of Appeal in Ordinary"), an. Zur Zusammensetzung des House of Lords, vergi. Alder , Constitutional and Adminstrative Law, London 1989, ch.7.4., S. 126 f. 65 Steffani, Untersuchungsausschüsse des preußischen Landtages, S. 26. 66 Gascard, Das parlamentarische Untersuchungsrecht in rechtsvergleichender Sicht, S. 28 f.; Frost, Die Parlamentsausschüsse, in: AöR 95 (1970), S. 38 (43 f)· 67 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 42 I (S. 411). 68 Fraenkel, Diktatur des Parlaments, ZfP 1954, S. 99 (108); Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (155). 64
II. Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts
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Doch gibt es im Wesentlichen drei Gründe, warum das parlamentarische Kontrollrecht in der amerikanischen Verfassungswirklichkeit eine große Bedeutung gewinnen konnte. Erstens ist es aufgrund der strikten Gewaltenteilung quasi die einzige Möglichkeit des Kongresses, der Regierung und ihr nachgeordneter Behörden Fragen zu stellen, da ein reguläres Interpellationsrecht nicht besteht.69 Dabei entsteht der Druck auf die Regierung zur Beantwortung der Fragen vor allem durch das gewichtige power of purse 70 des Kongresses, den sogenannten „goldenen Zügel der Exekutive", 71 durch den für den Kongress die Möglichkeit besteht, die Arbeit der Regierung durch Nichtbewilligung der erforderlichen Gelder zu boykottieren. Mangels verfassungsrechtlicher Grundlage basiert die Wirksamkeit des parlamentarischen Untersuchungsrechts in erster Linie auf dieser faktischen Druckmöglichkeit. Zweitens wurde anerkannt, dass der Kongress für die ihm obliegende Gesetzgebungsarbeit zwingend auf fundierte Tatsachenkenntnis angewiesen ist. 72 Drittens gewinnt der als „impliedpowers"- Theorie bezeichnete Grundgedanke an Bedeutung, dass die Zuweisung einer Pflicht zugleich das Recht auf die Mittel zur Durchsetzung, einschließlich der Kontrolle, enthalten müsse.73 Obwohl ein parlamentarisches Kontrollrecht einer strengen Gewaltenteilung aufgrund der immanenten Unabhängigkeit der einzelnen Gewalten voneinander eigentlich widerspricht, sollte unter dem „Deckmantel", 74 dass somit Hilfsfunktionen für die Legislative ausgeübt würden, das eigentliche ideengeschichtliche Ziel der Gewaltenteilung erreicht werden: eine Kontrolle und Mäßigung der Machthaber. 75 Trotz dieser etwas gekünstelten Konstruktion wurde diese Ansicht vom supreme court 76 seit einer Entscheidung von 1927 immer wieder bestätigt. 77 Wichtig an dieser Entscheidung ist im Kontext der Problematik des 69 Einen sichtbaren Ausdruck findet dies in der Tatsache, dass im Kongress keine Regierungsbank steht. Vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 42 II 1 (S. 413 a.E.) 70 Nach Art. I, Sektion 9 Abs. 7 der Verfassung der USA gilt: „...no money shall be drawn from the treasury, but in consequence of appropriation by law". 71 Zippelius , Allgemeine Staatslehre, § 31 IV (S. 311). 72 Steffani , Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (155). 73 Fraenkei, Diktatur des Parlaments, ZfP 1954, S. 99 (108). 74 Fraenkei, Diktatur des Parlaments, ZfP 1954, S. 99 (109). 75 Der Gedanke der Gewaltenteilung war seit dem 16. Jhd. weit verbreitet und wurde im 18. Jhd. aufgrund der Schriften von John Locke, Henry Bolingbroke, David Hume und Charles de Montesquieu geradezu ein Modebegriff. Er wurde zu einem wesentlichen Element der liberalen Rechtsstaatsidee und ist von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem Machthaber geprägt. Vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 31 II (S. 304 f.); Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 118 ff. 76 Zur Rolle des Supreme Courts im amerikanischen Verfassungsgefuge, vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 42 II 4 (S. 416 f.). 77 Mc Grain v. Daugherty, 273 US 135 (1927). Dabei behält sich das Gericht vor, das Untersuchungsrecht aufgrund individueller Freiheitsgarantien einzugrenzen.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
Verhältnisses von Strafverfahren zur parlamentarischen Untersuchung, dass seit ihr eine ältere Entscheidung aus dem Jahr 188078 als überholt anzusehen ist, nach der eine parlamentarische Untersuchung nicht zulässig sei, sobald sie mit der Tätigkeit eines Gerichts kollidieren könnte. 79 Anzumerken ist, dass diese grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit eines Nebeneinanders von Strafverfahren und parlamentarischer Untersuchung in der Weimarer Republik, vor allem auf dem Kölner Juristentag 1926, nahezu zeitgleich diskutiert wurde, ohne dass sich allerdings eine nachweisbare Beeinflussung im Schrifttum findet. 80 Insgesamt hat sich das parlamentarische Kontrollrecht zu einem oft genutzten und effektivem Werkzeug des Kongresses entwickelt, das präsidentielle Regierungssystem wird deshalb allgemein als der beste Nährboden für ein starkes parlamentarischer Enqueterecht genannt.81
c) Beurteilung der englischen und amerikanischen Entwicklung Während das aus England stammende Untersuchungsrecht nach einer kurzen Hochphase, die allerdings Vorbildftinktion für Deutschland hatte, nach und nach an Bedeutung verlor, gewann dieses Recht in den USA eine immer größere Bedeutung. Für diese unterschiedliche Entwicklung sind vor allem die unterschiedlichen Regierungssysteme ursächlich; das präsidentielle System der USA lässt ein parlamentarisches Kontrollrecht mächtiger werden als das englische parlamentarische System, welches - gerade ohne Minderheitenschutz - das Enqueterecht, aufgrund der engen Verbindung zwischen Parlamentsmehrheit und der von ihr getragenen Regierung, in die Bedeutungslosigkeit führt. 82 Die Auswirkungen paralleler Untersuchungen von Strafgerichten und Parlamentsausschüssen auf Auskunftspflichtige wurden in beiden Staaten nicht erörtert. In England erklärt 78
Kilbourne v. Thompson, 103 US 168 (1880); vergi. Kurland, Watergate and the Constitution, S. 23 ff. 79 Die Kilbourne v. Thompson-Entscheidung stammt aus der Laisser-faire-Periode des Supreme Courts, in der dieser auch die gesetzgeberische Arbeit des Kongresses sachlich kontrollierte. Diese Phase wurde durch die Verfassungsrevolution von 1937 beendet, so dass die Entscheidung spätestens ab diesem Zeitpunkt ein Anachronismus gewesen wäre. Vergi. Fraenkel, Diktatur des Parlaments, ZfP 1954, S. 99 (127). 80 Siehe unten III. 2. 81 Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 7 f.; Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (155). 82 Auf eine Darstellung der französischen Entwicklung kann - trotz Auswirkungen auf den deutschen Nachbarn - verzichtet werden, da sich insbesondere die amerikanische Diskussion in Hinblick auf die Gewaltenteilung wiederholt; vergi. Steffani, Die Untersuchungsausschüsse des preußischen Landtages, S. 34.
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sich dies (bezogen auf die bedeutsame Zeit des parlamentarischen Kontrollrechts in der Mitte des 19. Jahrhunderts) durch die Sonderrolle des Parlaments als höchsten Gerichtshof, die aufgrund des allgemeinen Verständnisses dieser Institution impliziert, dass eine Paralleluntersuchung nicht als problematisch angesehen werden kann. Außerdem gab es in England wenig „Skandalenqueten", in denen die Probleme paralleler Untersuchung besonders deutlich zu Tage treten; eine „normale", die Gesetzgebung vorbereitende Enquete zieht in der Regel keine strafrechtlichen Ermittlungen nach sich. Beachtlich ist die Entwicklung in den USA, in denen zwischen 1880 und 1927 ein Urteil des Supreme Courts galt, das parlamentarische Untersuchungen im Fall einer zeitgleichen gerichtlichen Untersuchung unter Betonung der erforderlichen Trennung der legislativen von der judikativen Gewalt untersagte. Allerdings war dieses Urteil ein Produkt der später aufgegeben Periode des Gerichts sehr weitreichend in den Bereich der Legislative hinein zu kontrollieren. 83 Aufgrund der anders gearteten Machtverhältnisse sollte die deutsche Entwicklung zunächst einen anderen als die soeben dargestellten Wege einschlagen, obgleich die konstitutionelle Monarchie grundsätzlich große Ähnlichkeiten mit der amerikanischen präsidentiellen Regierungsform aufweist.
3. Deutsche Entwicklung bis zur Weimarer Republik Die 100 Jahre dauernde deutsche Entwicklungsgeschichte des parlamentarischen Untersuchungsrechts lässt sich in drei entscheidende Phasen unterteilen: a) die Zeit unmittelbar nach den Befreiungskriegen, b) die Revolutionsepoche von 1848/49 und die Verfassung von 1871, c) den revolutionären Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik.
a) Die Zeit nach den Befreiungskriegen Die ersten Ansätze eines parlamentarischen Kontrollrechts in der deutschen Verfassungsgeschichte erfolgten 1816 in § 91 der Verfassung von Sachsen Weimar - Eisenach.84 Diese Vorschrift war und blieb die Ausnahme und wurde (abgesehen von einer entsprechenden Verfassungsnorm im Kurfürstentum Hessen 85 ) von den anderen deutschen Staaten nicht übernommen. Mit der Wiener
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Vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 42 II (S. 417). Diese vage Regelung gestattet die Untersuchung allerdings nicht der Volksvertretung, sondern vielmehr den Landesständen und stellt somit einen der vielen Ausflüsse ständischen Denkens dar. 85 § 93 der Verfassung vom 5. Januar 1831. 84
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
Schlussakte hatten sich 1820 die restaurativen Kräfte durchgesetzt, die den entstehenden Machtkampf zwischen Parlamentarismus und Monarchie zugunsten der Krone entscheiden wollten und einer Kontrolle des Königs kritisch gegenüberstanden. 86 Insoweit konnte also nicht annäherungsweise an die dargestellten Entwicklungen in England und den USA angeknüpft werden.
b) Die Revolutionsepoche von 1848 In der Revolutionsepoche von 1848 sollte die Diskussion um ein parlamentarisches Untersuchungsrecht, eingebettet in eine starke Betonung der Machtposition des Parlaments, indes starken Auftrieb erhalten.
aa) Entwicklungssprung für das Enqueterecht Die Revolution von 1848 stellt einen Meilenstein in der Entwicklung eines deutschen parlamentarischen Untersuchungsrechts dar, da hier - wie Egon Zweig in seiner grundlegenden Arbeit über das parlamentarische Untersuchungsrecht feststellt - „ganz unvermittelt, ohne erkennbaren Übergang" 87 von der vorherigen Entwicklung die Auseinandersetzung um ein solches Recht plötzlich stark forciert wurde. 88 Basis dieser Auseinandersetzung war das verbreitete Misstrauen gegenüber der Exekutive, verbunden mit der Tendenz, die Bedeutung der Macht der Legislative sehr stark zu betonen. 89 Deshalb sollte mit einem parlamentarischen Kontrollrecht der Einfluss des Parlaments erweitert werden, weil es somit (wie dies bei den Interpellationsrechten der Fall ist) nicht auf Darstellungen der Exekutive angewiesen, sondern in der Informationsbeschaffung von diesen unabhängig werden sollte. 90 Relativ zügig, bereits am 9. Sitzungstag, wurde deshalb eine das parlamentarische Untersuchungsrecht konstituierende Regelung in die vor-
86 Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (158). 87 Zweig, Die parlamentarische Enquete nach deutschen und österreichischem Recht, ZfP 1913, S. 265 (277) 88 Vergi. Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 9. 89 Steffani spricht in diesem Zusammenhang von einem „offenkundigen Überbetonen", vergi, ders., Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (158). 90 Vergi, die Äußerungen des Abg. Beseler, der die besondere Bedeutung der „Selbständigkeit" (von der Exekutive) betont, vergi. Sten.B.NV S. 2434, 91. Sitztg., 6. Oktober 1848.
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läufig akzeptierte Geschäftsordnung übernommen, 91 welche dann am 110. Sitzungstag noch einmal geändert wurde. 92 Mit § 99 der niemals in Kraft getretenen Paulskirchenverfassung 93 wurde das Untersuchungsrecht erstmals auf Reichsebene zu einem verfassungsmäßig garantierten Recht des Parlaments erhoben, welches eindeutig nicht nur als Informationsrecht zur Vorbereitung von Gesetzen, sondern als Kontrollrecht gegenüber der Exekutive fungieren sollte.
bb) Erste Diskussion über Zulässigkeit paralleler Untersuchungen Eine besondere Bedeutung für das Verhältnis von Doppeluntersuchungen durch strafrechtliche und parlamentarische Untersuchung gewinnt die Verhandlung am 6. Oktober 1848, dem 91. Sitzungstag der Frankfurter Paulskirchenversammlung. Diese war die erste „ins grundsätzliche" gehende Debatte über das parlamentarische Kontrollrecht auf Reichsebene94 und beschäftigte sich vorrangig mit der Frage, inwieweit ein Kontrollrecht des Parlaments gegen das allseits befürwortete Prinzip der Gewaltenteilung verstoße. Im Rahmen der Diskussion bildeten sich im Wesentlichen zwei Meinungsgruppen: Die erste Gruppe, angeführt vom Abgeordneten Simon, bejahte die Zulässigkeit eigener Untersuchungen neben der gerichtlichen Untersuchung, weil das Parlament „Zeugenaussagen mit eigenen Augen prüfen" 95 müsse. Dem zustimmend meinten andere darüber hinausgehend, dass ein Parlamentsausschuss die Grenzen im Verhältnis zur richterlichen Gewalt „nach eigenem Ermessen" festlegen müsse und im Falle einer Überschreitung die Nationalversammlung kontrollierend über dem Ausschuss stehe. 96 Die andere Gruppe von Abgeordneten war gegen die Zulässigkeit von Zeugenvernehmungen durch einen Parlamentsausschuss, weil dies ausschließlich die Sache von Gerichten sei und anderenfalls die „Würde der Justiz" verletzt würde. 97 Insbesondere wurde auf die „ganz unzulässige Mischung der Gewal91 § 24 der vorläufigen Geschäftsordnung enthält die Bestimmung, dass „die Versammlung einem Ausschuss das Recht einräumen kann, Zeugen und Sachverständige vorzufordern, zu vernehmen und vernehmen zu lassen, oder mit Behörden in Verbindung zu treten, vergi. St.B.NV S. 164. 92 Am 110. Sitzungstag (7. November 1848) erfolgte eine Erweiterung, die vorsah, dass allen Ausschüssen, unabhängig von einem Plenarbeschluss, das Untersuchungsrecht zugestanden wurde; vergi. St.B.NV S. 3139. 93 Verfassung vom 18. März 1849, Art. V., § 99. 94 Steffani, Untersuchungsausschüsse der preußischen Landtages, S. 47. 95 Abg. Simon St.B.NV S. 2431. 96 Abg. Riessen St.B.NV S. 2434. 97 Abg. v. Binder, St.B.NV S. 2432.
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ten" abgestellt, da es „keine Konkurrenz zu gerichtlichen Behörden" geben dürfe. 98 Der Abg. Beseler hob hervor, dass man mit der Schaffung von Ausschüssen zwar die „Selbständigkeit" des Parlaments wünsche, keineswegs aber einen „Gerichtshof begründen" wolle. 9 9 In der erregten Diskussion (in deren weiterem Verlauf sich die Befürworter von eigenen Zeugenvernehmungen durch einen Parlamentsausschuss durchsetzen konnten) über die Abgrenzung zur Gerichtsbarkeit wurde erstmals im Grundsätzlichen die Frage nach der Zulässigkeit von Paralleluntersuchungen aufgeworfen, eine Frage, die erst 70 Jahre später in der Weimarer Republik aufgrund praktischer Probleme umfassend behandelt werden sollte. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass der 6. Oktober 1848 somit die Geburtsstunde der Diskussion über die durch parallele strafrechtliche und parlamentarische Untersuchung entstehenden Probleme darstellt; allerdings wurde diese ausschließlich in der Gewaltenteilung und nicht in den betroffenen Rechten der Auskunftspflichtigen gesehen.
cc) Entwicklung auf Länderebene Die Entwicklung in den deutschen Ländern verlief ähnlich wie die im Reiche: Soweit in den Ländern nach 1848 überhaupt ein parlamentarisches Untersuchungsrecht vorgesehen war, 1 0 0 wurde diesem nach und nach der Kontrollcharakter genommen. Bedeutsam ist die preußische Entwicklung: Dort wurde in Art. 82 der revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850, der Art. 81 der oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 übernahm, ein parlamentarisches Untersuchungsrecht gewährt. Mit dieser Regelung wurde das parlamentarische Kontrollrecht zwar generell gewährt, doch blieb es, mangels genauer Fixierung und Kompetenzbestimmung, ohne Wirkung, 1 0 1 da sich die monarchischen Re98
Abg. Reichens berger, St.B.NV S. 2433 re. Sp., der daraufhinweist, dass es parallele Untersuchungen in England „wohl" auch nicht gebe. 99 Abg. Beseler, St.B.NV S. 2434. 100 So in Schleswig-Holstein (Staatsgrundgesetz vom 15. September 1848, Art. 73); Gotha (Staatsgrundgesetz vom 26. März 1849, § 67); Hamburg (Verfassung vom 11. Juli 1849, Art. 85 und Verfassung vom 28. September 1860, Art. 51); Waldeck-Pyrmont (Verfassung vom 23. Mai 1849, § 66 und Verfassung vom 17. August 1852, § 64). Diese teilweise nur kurzzeitig in kraft befindlichen Verfassungen (Gotha nur bis 3. Mai 1852) sind abgedruckt bei: Biedermann, Die Untersuchungsausschüsse, S. 25 ff. Auch in Bayern findet sich in Ansätzen ein Enqueterecht; vergi. Gesetz den Geschäftsgang des Landtags betreffend vom 19. Januar 1872, Bayr.GBl. S. 173 mit 192 Art. 33 ff.; abgedruckt bei: Rehm, Quellensammlung zum Staats- und Verwaltungsrecht des Königreichs Bayern, S. 112. 101 Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153(161).
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gierungen der Kontrolle widersetzten und diese mangels Ausführungsgesetz nicht zwangsweise durchgesetzt werden konnte. 102
dd) Kein Untersuchungsrecht in der Verfassung von 1871 Nach Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich-Wilhelm IV. von Preußen wurde die Paulskirchenversammlung aufgelöst; die erste gesamtdeutsche Verfassung und mit ihr das Enqueterecht erlangten niemals Rechtswirksamkeit. Einhergehend mit der Schwächung des Parlaments 103 sollte die Bedeutung des parlamentarischen Kontrollrechts in der Verfassungsentwicklung der folgenden Jahre wieder herabsinken. Weder die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867, 104 noch die Verfassung von 1871 sahen ein Untersuchungsrecht des Parlaments vor. 1 0 5 Zwar gab es zwischenzeitlich Versuche, ein solches Recht wieder einzuführen, diese schlugen jedoch aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse fehl. 106 Grund für diese Entwicklung war zum einen die erbitterte Gegnerschaft Preußens in den Verfassungsberatungen, zum anderen aber auch die Selbsteinschätzung der Parlamente, die sich eher als Meinungs- und Diskussionsforen und weniger als agierende Gremien sahen.107 Verbreitet war die (antiparlamentarische) Sorge, dass durch das parlamentarische Kontrollrecht das dringend erforderliche „Vertrauensverhältnis" zwischen Regierung und Parlament gestört würde. 108 Des Weiteren wurde von den Gegnern eines Kontrollrechts ein Argu-
102 Lammers bezeichnete Art. 82 PreußVfg daher als „lex imperfecta": ders., Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, § 94, S. 456. 103 Mit der Beendigung des Verfassungskonflikts durch die Annahme der Indemnitätsvorlage durch das Preußische Abgeordnetenhaus am 3. September 1866 war die parlamentarische Entwicklung in Deutschland insgesamt nachhaltig beschädigt, vergi. EycK Bismarck, Bd. 2, S. 303; Brandenburg, Die Reichsgründung, Bd. 2, S. 206 ff.; Ziekursch, Politische Geschichte, Bd. 1, S. 198 f.; a.A.: Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, 1934, S. 10 f., der in seiner ultrakonservativen Kritik darauf abstellt, dass Bismarck seine Erfolge zur endgültigen Vernichtung des Parlamentarismus habe nutzen müssen und nicht mit der Indemnitätsvorlage auf den Boden der Verfassung habe zurückkehren dürfen. 104 von Holtzendorff/BeTold, Materialien der Deutschen Reichsverfassung, Band 2, S. 85-101. Zu Anträgen den Art. 23 um das „Amendment" zu erweitem, dass der Reichstag „Thatsachen" erheben dürfe, vergi, insbesondere S. 85. 105 Schleich, Parlamentarisches Untersuchungsrecht, S. 10; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 13. 106 So ein Antrag der Sozialdemokraten im Jahre 1891, vergi. Zweig, Das Enqueterecht nach deutschem und österreichischem Recht, ZfP 1913, S. 265 (293 ff.). 107 Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 19. 108 von Roenne/Zorn, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd 1, S. 361.
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ment Rousseaus verwandt, der Untersuchungen als der Exekutive vorbehaltene Verwaltungsakte ansah. 109 Zusammenfassend kann in der Zeit nach 1848 eine Schwächung des Enqueterechts festgestellt werden. Zwar gab es in dieser Zeit einige Untersuchungen des Parlaments, diese waren jedoch ausschließlich Gesetzgebungsenqueten unter Leitung der Exekutive; Kontrollenqueten waren nicht möglich.
c) Weimarer Republik Nach dem Zusammenbruch der konstitutionellen Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges stand man vor der schweren Aufgabe, eine neue demokratische Verfassung zu gestalten. Einhergehend mit der Entscheidung für die republikanische Staatsform und der Einführung des Parlamentarismus wurde die Idee eines parlamentarischen Untersuchungsrechts zu neuem Leben erweckt. Entscheidender Wegbereiter dieser Entwicklung war der Soziologe und Volkswirtschaftler Max Weber.
aa) Max Weber als „geistiger Vater" des parlamentarischen Kontrollrechts Max Weber begründete seinen Ruf als „geistigen Vater" des modernen deutschen Untersuchungsrechts 110 durch eine Artikelserie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Sommer 1917. 111 Bemerkenswert ist Webers Motivation, ein parlamentarisches Kontrollrecht zu installieren, da er auf diesem Wege das Parlament vor allem zu einer „Auslesestätte für politische Führer" 112 machen wollte. Aufgrund des abgeschütteten Beamtentums, das sich hinter seinem Dienstgeheimnis verstecken konnte, sei das Parlament - mangels Informationsmöglichkeit - im Kaiserreich „verfassungsmäßig zur dilettantischen Dummheit" 113 verurteilt gewesen, welche einer Herausbildung von Führungspersönlichkeiten entgegengestanden habe. Weber sah den Weg des Parlaments hin zu einer Art 109
Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 20. Anschütz, WRV, Art. 34 Anm. 1; Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 367; Achterberg, ParlamentsR, S. 151; Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (I960), S. 153 (158); Stephan Schröder, Das parlamentarische Untersuchungsrecht der Weimarer Reichsverfassung, ZParl 1999, S. 715 (716); Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 44. 111 Erschienen als Buch „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland", 1. Auflage, München und Leipzig 1918. 112 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 490. 113 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 488. 1,0
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Kaderschmiede in der Einräumung der Möglichkeit, Regierung und Verwaltung wirksam kontrollieren zu können. Hier lag für ihn die Funktion des Enqueterechts, das er als „gelegentliches Hilfsmittel", als eine „Rute" gegen die „unkontrollierte Beamtenschaft" sah, deren bloßes Vorhandensein zur Kooperation mit dem Parlament verpflichte. 114 Zur Zeit der theoretischen Bearbeitung durch Weber hatte sich in England bereits ein großes Manko des Enqueterechts im Parlamentarismus gezeigt: 115 die mangelnde Bereitschaft, der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit, eine effektive Untersuchung der Exekutive zu unterstützen. Als Reaktion auf diesen Interessenskonflikt kreierte Weber eine Neuheit: das Minoritätsrecht. 116 Laut Weber müsse das parlamentarische Untersuchungsrecht „unbedingt als Minoritätsrecht" 117 ausgestaltet sein, mit dem Recht der Minderheit auf Vertretung, Fragestellung, Nebenbericht. Ein weiteres Element, welches Weber erstmalig in die Diskussion einbrachte, um die Macht der Parlamentsmehrheit zu schwächen, war das Öffentlichkeitsprinzip, das Weber als „Gegengewicht der Publizität" 118 bezeichnete. Die Notwendigkeit, die parlamentarische Mehrheit zu schwächen, ergab sich für Weber allerdings aus abstrakten Erwägungen und nicht als Reaktion auf das englische Beispiel, da er die Wirksamkeit des dortigen, bereits im Niedergang befindlichen Untersuchungsrechts überschätzte. 119 Zusammengefasst basiert Webers Konzeption eines parlamentarischen Untersuchungsrechts auf drei Grundprinzipien: der Verwaltungskontrolle, dem Öffent114 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 489. 1,5 Siehe oben II. 2. a). 116 Dieses Recht wurde auch später nur noch in den Verfassungen von Griechenland, Portugal, Tschechien, Slowenien und Mazedonien installiert; vergi. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 6. In den meisten anderen parlamentarischen Verfassungen wurde dieses Recht nicht mit aufgenommen, vergi, nur: Breedveld, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in den Niederlanden, in: ZParl 1989, S. 66 ff.; Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, S. 10. 117 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 352. 1,8 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 496. 119 Zutreffend daher: Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (169); Stephan Schröder, Das parlamentarische Untersuchungsrecht der Weimarer Reichsverfassung, ZParl 1999, S. 715 (720 FN 27). Dagegen unzutreffend: Friedrich, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S. 25, der alleine darauf abstellt, dass Weber auf das englische Vorbild reagiert habe. Weber selbst betont, das erforderliche Gegengewicht der Publizität und des Minoritätsrechts sei in England durch die gegenseitige „Parteiencourtoisie" gegeben, womit er letztlich das entscheidende Problem der Auswirkungen des Verhältnisses von Parlamentsmehrheit und Regierung auf das parlamentarische Kontrollrecht verkennt. Vergi. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 496.
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lichkeitsgrundsatz und der Einräumung von Minderheitsrechten. Diese Vorstellung konnte Weber in einer vom 9. bis 12. Dezember 1918 im Reichsamt des Inneren stattfindenden Vorbesprechung in den ersten von Hugo Preuß konzipierten Verfassungsentwurf einfließen lassen. 120
bb) Adaption der Konzeption Webers in der WRV Webers drei Grundprinzipien finden sich deutlich im ersten Verfassungsentwurf von Hugo Preuß 121 in Art. 52: „Jedes Haus des Reichstages hat das Recht und auf Verlangen von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, Ausschüsse zur Untersuchung von Tatsachen einzusetzen, wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen des Reiches angezweifelt werden. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich halten. Alle Gerichte und Behörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse Folge zu leisten. Alle behördlichen Akten sind diesem Ausschuss auf Verlangen vorzulegen." 1 2 2 Mit dieser Bestimmung wurde erstmalig in der deutschen Entwicklung ein mit Zwangsrechten ausgestattetes parlamentarisches Kontrollrecht geschaffen. 123 Gleichwohl wurde der Entwurf von der Nationalversammlung in fünf Punkten nicht in Art. 34 WRV übernommen. Erstens wurde der Grundsatz der Öffentlichkeit eingeschränkt, die nun „mit Zweidrittelmehrheit" ausgeschlossen werden konnte. 124 Zweitens wurde der Passus „wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen angezweifelt wird" nicht übernommen. 125 Drittens wurde für die Beweiserhebung auf Vorstoß des Vertreters des Reichsjustizministeriums, Geheimrat Zweigert, sinngemäß auf
120 Vergi. Huber, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Bd. 5, S. 1173; Marianne Weber, Max Weber, S. 688. 121 Weiterfuhrend zu diesem Entwurf, vergi. Apelt, Geschichte der Weimarer Reichsverfassung, S. 56 ff. 122 Abgedruckt bei: Steffani, Untersuchungsausschüsse der preußischen Landtages, S. 78. 123 Der Abg. Schulz aus Bromberg erkannte am 08. April 1919 zutreffend, dass dies „etwas neues für das deutsche Verfassungsleben" sei. Schulz am 08. April 1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 336, S. 264. 124 Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 336, S. 264
-266. 125 Diese Streichung erfolgte durch den Staatenausschuss, der gleichzeitig die von Preuß gewählte Formulierung „Ausschüsse zur Untersuchung von Tatsachen" in den heute geläufigen Ausdruck „Untersuchungsausschuss" änderte, vergi. Niederschriften des Staatenausschusses 1919, 6. Sitzung vom 4. März 1919, S. 24.
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die StPO verwiesen, " eine Regelung, die schon bald nach ihrem Erlass als „missglückt" angesehen wurde. 127 Viertens wurde festgelegt, dass eine Geschäftsordnung das Verfahren und die Zahl der Mitglieder festlegen solle. Fünftens wurde bestimmt, dass das Brief- und Fernmeldegeheimnis unberührt bleiben solle. Von entscheidender Bedeutung ist vor allem die Streichung des als zweites genannten Abschnittes, da dies, entgegen der Konzeption Max Webers, als Erweiterung des parlamentarischen Kontrollrechts über den Bereich der Regierungs- und Verwaltungskontrolle hinaus angesehen wurde. 128 Der Wille der Nationalversammlung, das Untersuchungsrecht in seiner „ganzen potentiellen Ermittlungsbreite wirksam" werden zu lassen, war somit „eindeutig" artikuliert. 129 Masing kritisiert diese Entscheidung als „nicht reflektiert", 130 gleichwohl ist sie als Ausdruck der allgemeinen Ansicht der Nationalversammlung, die Rechte des Parlaments zu stärken und ein allgemeines Informationsrecht einzuräumen, anzusehen. Diesen verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen ausschöpfend, ging die tatsächliche Reichweite der parlamentarischen Untersuchungstätigkeit in der Weimarer Republik in der Folgezeit über eine reine Kontrolle der Verwaltung hinaus. Als Beleg für diese Entwicklung sei die Untersuchungstätigkeit des auf ähnlicher Rechtsgrundlage arbeitenden preußischen Landtages genannt, bei der Steffani von nur drei Kontrollenqueten 131 im engeren Sinne und 21 politischpropagandistischen Enqueten ausgeht.132
126
S. 266.
Vergi. Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 336,
127 Lammers, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, § 94, S. 470 f. 128 Anschütz, WRV, Art. 34, Anm. 2; Meißner, Das neue Staatsrecht des Reiches und seiner Länder, S. 64, betont, dass neben der Regierungskontrolle ausdrücklich die Untersuchungen „wirtschaftlicher und sonstiger Fragen" umfasst sei. Auf Regierungskontrolle beschränkend: Apelt, Geschichte der Weimarer Reichsverfassung, S. 189. 129 Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (158). 130 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 48. 131 Zur Begriffsbestimmung durch Steffani, vergi. Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (174). 132 Steffani, Funktion und Kompetenz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: PVS 1 (1960), S. 153 (175).
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4. Zwischenergebnis Die von der Entwicklung in anderen Staaten beeinflusste Entstehung eines wirksamen parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland dauerte über 100 Jahre und wurde erst 1919 mit Art. 34 der Weimarer Reichsverfassung ganz realisiert. Neben der über weite Zeiträume vorherrschenden Untersuchungsausschussfeindlichkeit finden sich zwei entscheidende Entwicklungssprünge des parlamentarischen Enqueterechts: Zunächst die Diskussionen und Beratungen der Frankfurter Paulskirchenversammlung mit § 99 der niemals in Kraft getretenen Paulskirchenverfassung als Ergebnis. Anschließend, nach einer langen Phase der Retardation, die Weimarer Reichsverfassung, die auf die entscheidenden Vorarbeiten Max Webers zurückgreifen konnte.
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen Bereits sehr früh in der Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, nämlich am 6. Oktober 1848, dem 91. Sitzungstag der Frankfurter Paulskirchenversammlung, findet sich eine erste Problematisierung des Nebeneinanders von Straf- und parlamentarischem Untersuchungsverfahren. Weitere und vertiefende Auseinandersetzungen folgten nach der Kodifizierung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Art. 34 WRV schnell aufgrund der parlamentarischen Untersuchungspraxis, die oftmals parallel zu Untersuchungen der Strafjustiz erfolgte.
1. Behandlung der „Betroffenen" in der Weimarer Republik Die Entwicklung führte in der Weimarer Republik zügig zu den ersten Ansätzen einer Auseinandersetzung über die rechtliche Stellung von Auskunftspersonen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Ausgangspunkt war der bereits 1919 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur Klärung der Kriegsschuldfrage, 133 in dessen Verlauf Personen, denen eine Anklage in einem möglicherweise nachfolgenden Verfahren vor dem Staatsgerichtshof drohte, eidlich vernommen und bei Aussageverweigerungen mit Zwangsstrafen bedacht worden waren. Diese Vorgehensweise führte zu protestierenden Erklärungen der Auskunftspersonen. 134
133
Vergi. Kaufmann, Untersuchungsausschuss und Staatsgerichtshof (1920), S. 13 ff. Vergi, die Äußerungen von Bethmann-Hollweg, v. Ludendorff, Helfferich und v. Hindenburg. Abgedruckt in: Heck, Das parlamentarische Untersuchungsrecht (1925), S. 66 FN 2; vergi. Schachtel, Die sinngemäße Anwendung der Strafprozessordnung auf das Verfahren der Untersuchungsausschüsse, S. 24 ff. 134
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
45
Aus diesem Anlass entwickelte sich 1925 in der Rechtswissenschaft eine Ansicht, die vertrat, dass bei Untersuchungen mit „Strafverfolgungscharakter" die Auskunftspersonen, gleich einem Beschuldigten im Strafprozess, keiner Aussage· und Eidespflicht unterlägen. 135 1931 entwickelte sich eine Gegenauffassung, die aufgrund des gänzlich unterschiedlichen Charakters der beiden Untersuchungsverfahren und vor allem aufgrund des Fehlens einer formellen Beschuldigtenstellung vor dem Untersuchungsausschuss, grundsätzlich alle Auskunftspersonen wie Zeugen behandeln wollte. 1 3 6 Diese beiden Auffassungen markieren den Ausgangspunkt der jahrzehntelang währenden Auseinandersetzung über die Rechtsstellung des „Betroffenen". Dieser umstrittenste Punkt des parlamentarischen Untersuchungsrechts, der durch Erlass der §§ 20 ff. PUAG durch den 14. Bundestag nur scheinbar geklärt wurde, 137 hat hier zwar ihren Ausgangspunkt, wirklich umfassend diskutiert wurde diese Frage in der Weimarer Republik hingegen nicht. Ähnlich der Entwicklung in den USA wurde zunächst nicht das Rechtsverhältnis der Betroffenen und Beschuldigten als Problem erkannt, vielmehr wurde das vorgelagerte Problem erörtert, ob und inwieweit ein Nebeneinander der beiden Untersuchungsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung im Staatswesen zu integrieren sei. Das Ergebnis dieser Diskussion entscheidet darüber, ob ein Nebeneinander der beiden Verfahren zulässig ist und somit das Problem der rechtlichen Stellung von Auskunftspflichtigen im Falle von Doppeluntersuchungen überhaupt erst entstehen kann. Die Frage der Zulässigkeit von Doppeluntersuchungen durch Strafjustiz und parlamentarischem Untersuchungsausschuss wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur der Weimarer Republik umfassend diskutiert.
2. Die Zulässigkeit paralleler Untersuchungen Es ergaben sich in der Untersuchungspraxis der Weimarer Republik immer wieder Konstellationen, in denen sich parlamentarische Untersuchungen und strafrechtliche Ermittlungen denselben Sachverhalten widmeten, 138 während parallele strafrechtliche Ermittlungen bei Gesetzgebungsenqueten praktisch nicht
135
Heck, Das parlamentarische Untersuchungsrecht (1925), S. 65. Kahn, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (1931), S. 40 ff. 137 Siehe unten 2. Teil IV. 2. c). 138 Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die Untersuchungsausschüsse über die Kriegschuldfrage (St.B.RT., Bd. 344, 7. Sitzg., 03. Juli 1920, S. 197.), der Barmat(St.B.RT., Bd. 384, 4. Sitzg., 09. Januar 1925, S. 55 D) und der Fememorduntersuchungsausschuss (St.B.RT., Bd. 388, 147. Sitzg., 23. Januar 1926, S. 5118 A). 136
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
vorkommen werden, kann es wohl kaum eine Missstandsenquete ohne ein solches Parai lei verfahren geben. 139 Die hierdurch entstehenden praktischen Probleme zogen sowohl eine beantragte Verfassungsänderung 140 als auch eine durch den 6. Deutschen Richtertag (1925) forcierte rechtspolitische Diskussion über die Zulässigkeit solcher Doppeluntersuchungen nach sich. Ausgelöst vor allem durch den Untersuchungsausschuss „Barmat" des preußischen 141 Landtages,142 der aufgrund weitreichender parteipolitischer Verwicklungen besonders skandalträchtig wirkte, 143 begann 1925 ein Streit über die Zulässigkeit paralleler Untersuchungen durch Untersuchungsausschüsse und StrafVerfolgungsorgane. Diese Diskussion gipfelte zunächst in dem einstimmig gefassten Entschluss des Sechsten Deutschen Richtertages im Jahre 1925 in Augsburg: „Von der Notwendigkeit einer reinlichen Rechtspflege durchdrungen, erhebt der Deutsche Richtertag lebhaften Widerspruch gegen die Tätigkeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse neben den ordentlichen Strafverfahren. Eine solche Ausdehnung der parlamentarischen Untersuchungen dient nicht der Wahrheitsermittlung; sie bedeutet vielmehr die parteiische Durchkreuzung der Wahrheitsermittlung durch die unparteiische Rechtspflege". 144 Dieser Beschluss führte wiederum zur Behandlung des Themas auf dem 34. DJT in Köln mit den Gutachten von Alsberg, Rosen-
139
Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 348; vergi. Vetter, Rechtsfragen der Parallelität von Strafverfahren und parlamentarischer Untersuchung, ZParl 1989, S. 345 (346). 140 Nach diesem Antrag (St.B.RT 1924, Bd. 407, Anlagen, Nr. 2050) auf Änderung der Verfassung sollte der Art. 34 WRV dahingehend ergänzt werden, dass bei parallelen Gerichtsverfahren das parlamentarische Untersuchungsverfahren ausgesetzt werden solle. Nachdem der Antrag an den Rechtsausschuss überwiesen worden war (St.B.RT 1924 Bd. 389, 179. Sitztag, S. 6314 A), ist er nicht wieder aufgenommen worden. Vergi. Lammers, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, § 94, S. 466 FN 92. 141 Art. 25 PreußVf. kopierte die Bestimmungen des Art. 34 fast wörtlich, so dass bei einer Auswertung zwischen beiden Regelungen nicht zu unterschieden werden braucht. 142 St.B.PrLT., 5. Sitzg., 16. Januar 1925, S. 101 f.; vergi. Wunderlich, Die Fragen des Deutschen Juristentages, in: Deutsche Juristenzeitung 1926, S. 1262 (1262). Der Reichstagsabgeordnete Dr. Wunderlich gehörte auf dem Augsburger Richtertag zu denjenigen, die in Untersuchungsausschüssen eine deutliche Gefahr für die Strafrechtspflege ausmachten, vergi. Deutsche Richterzeitung vom 10. Dezember 1925, Heft 10, Beilage, S. 25. 143 Der Unternehmer Julius Barmat erhielt aufgrund zahlreicher enger Kontakte zu fuhrenden SPD-Funktionären erleichterte Einfuhrgenehmigungen für sein Handelsunternehmen und später im erheblichen Umfang staatliche Kredite, die er aufgrund der Auswirkungen des Inflationsjahres 1923 nicht zurückzahlen konnte. Vergi, zum Sachverhalt: Steffani, Untersuchungsausschüsse des preußischen Landtages, S. 169 f.; Köhler, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts, S. 37 ff. 144 Abgedruckt: Deutsche Richterzeitung 1925, Heft 8, S. 478; Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 73.
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
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berg und der Stellungnahme von Jacobi. Jacobi hielt den Beschluss des Sechsten Richtertages für einen „Notschrei der Strafjustiz", der die „ganze Juristenwelt alarmieren" müsse. 145
a) Gegner paralleler Untersuchungen Die Gegner der Zulässigkeit paralleler Untersuchungen stützten sich in ihrer Ablehnung im Schwerpunkt auf zwei Grunderwägungen: (aa) Die praktischen Gefahrdungen des Strafverfahrens durch parallel arbeitende Untersuchungsausschüsse und (bb) die Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes durch Doppeluntersuchungen. Zusammenfassend stellen sie in dieser Frage eine (cc) Vorrangstellung des Strafverfahrens fest.
aa) Praktische Gefährdungen des Strafverfahrens Als erstes Argument gegen die Zulässigkeit paralleler Untersuchungen wird zunächst auf die Auswirkungen der Zusammensetzung des jeweiligen Kontrollorgans in Hinblick auf die Effektivität der Untersuchungstätigkeit abgestellt: Während im Strafverfahren die Untersuchungstätigkeit in den jeweiligen Verfahrensabschnitten im Schwerpunkt bei einer Person liege (Staatsanwalt bzw. Richter), sei das parlamentarische Untersuchungsverfahren in die Hände von bis zu 20 Personen gelegt, so dass - verstärkt durch die gegenläufigen parteipolitischen Interessen der Mitglieder 146 - eine stringente und effektive Aufklärung des strittigen Sachverhalts verhindert werde. 147 Rosenberg beklagt, dass Erhebungen anderer Stellen vor der strafrechtlichen „Hauptverhandlung den Zweck der Untersuchung nicht bloß gefährden, sondern geradezu vereiteln" könnten. 148 Besonders kritische Stimmen sprachen gar davon, dass die „Pfuscheljustiz" des Reichstages geradezu darauf angelegt sei, die Sachverhalte „möglichst zu verwirren". 149 Neben der Größe der Untersuchungsausschüsse wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass die Mitglieder häufig während des laufenden Verfahrens aus-
145
Jacobi, Gutachten für den 34. DJT, S. 73; vergi, auch Reichert, Verhandlungen des 34. DJT, S. 151. 146 Vergi. Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 16. 147 Wachler, Rechtsgefühl und Untersuchungsausschuss, in: Preußische KreuzZeitung vom 18. Juni 1925, zit. nach: Deutsche Richterzeitung 1925, S. 457. 148 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 14. 149 Bornhak, in: Berliner Börsenzeitung vom 17. Mai 1925, zit. nach: Deutsche Richterzeitung 1925, S. 456.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
gewechselt würden, worunter eine kontinuierliche Aufklärungsarbeit leide. 150 Des Weiteren wird beklagt, dass auch die Auswahl der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses politisch motiviert erfolge: Es gehe in erster Linie um die „Bloßstellung der gegnerischen Abgeordneten", wobei seitens der Ausschussmitglieder und der Parteien eine „Agitationssucht" und ein „Sensationsbedürfnis" vorliege, welches - im Gegensatz zur richterlichen Unabhängigkeit - einer wirklichen Aufklärung des Sachverhalts entgegen stünde. 151 Aufgrund dieser Befangenheit und der klaren Parteilichkeit der Ausschussmitglieder drohten vielerlei Gefahren, wie zum Beispiel eine zu exzessive Untersuchungstätigkeit, denen weder durch (nicht existierende) Befangenheitsregeln noch durch den relativ machtlosen Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses entgegen gewirkt werden könne. 152 Neben den Folgen der personellen Zusammensetzung der Untersuchungsausschüsse wird vor allem auf die Auswirkungen von Doppeluntersuchungen auf den Wert von Zeugenaussagen hingewiesen. Es wird zunächst betont, dass für den Erfolg eines Strafverfahrens qualitativ hochwertige Beweismittel unverzichtbar seien, die Qualität von Zeugenaussagen jedoch durch Doppeluntersuchungen gemindert werde. 153 Dies liege vorrangig daran, dass das strafrechtliche Ermittlungs- und das Zwischenverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden, während Vernehmungen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgrund der verfassungsrechtlichen Bestimmung grundsätzlich öffentlich stattzufinden hätten. Ab einer öffentlich erklärten und durch die Medien verbreiteten Zeugenaussage entfalle aber die Möglichkeit des „taktischen Verhörens", also die Möglichkeit, den Zeugen über die anderen Aussagen im Unklaren zu lassen, um so unmöglich zu machen, dass sich ein Zeuge auf seine Aussage entsprechend vorbereiten könne. 154 Die Möglichkeit, einen Zeugen überraschend mit neuen Tatsachen zu konfrontieren, um dessen unmittelbare Reaktion zu beobachten, entfalle völlig, da vor dem Untersuchungsausschuss alle Beweise öffentlich erhoben und dem Zeugen somit vor seiner eigenen Vernehmung bekannt würden. Die Öffentlichkeit der parlamentarischen Befragung
150
Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 14. Wachler, der allerdings v.a. von der Sorge getrieben wird, dass das laufende Strafverfahren gegen den jüdischen Industriellen Barmat behindert werde, da das Volk ein hartes Urteil gegen diesen „Schädling am Volkskörper" erwarte. 152 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 16 f. 153 Vergi, dazu später: Dichgans, Die Zusammenarbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, in: NJW 1964, S. 957 (958). 154 Bornhak, in: Berliner Börsenzeitung vom 17. Mai 1925, zit: nach: Deutsche Richterzeitung 1925, S. 456; mit besonderem Hinweis auf die nichtöffentliche Vernehmung durch den Untersuchungsrichter: Jacobi, Gutachten für den 34. DJT, S. 82. 151
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könne dazu führen, dass sich der Zeuge mit seiner Aussage zurückhalte, weil er fürchte, sich Unannehmlichkeiten zuzuziehen.155 Darüber hinaus leide die Qualität der Aussage eines Zeugen zwangsläufig unter seiner doppelten Vernehmung: Neben der Möglichkeit, dass sich ein Zeuge auf seine von ihm geplante Falschaussage besser vorbereiten könne, sei immer auch eine (wenn auch unbewusste) Beeinflussung der Erinnerung eines ehrlichen Zeugen möglich, wenn dieser die Vernehmungen der anderen Auskunftspersonen mitverfolge. 156 Außerdem werde der Zeuge, wenn er sich in einem der beiden Verfahren einmal falsch festgelegt und auf seine Aussage einen Eid geschworen habe, anschließend in dem parallel verlaufenden Verfahren nicht mehr zur Wahrheit zurückkehren. 157 Rosenberg weist in seinem Gutachten fiir den 34. DJT auf einen Wertungswiderspruch zum Strafverfahren hin, da vor einem Untersuchungsausschuss Akten öffentlich verlesen werden dürften, die im Strafverfahren gem. § 147 Abs. 2 StPO nicht einmal dem Verteidiger zugänglich gemacht werden dürften, wenn anderenfalls der Untersuchungszweck gefährdet würde. 158 Weiterhin könne der große öffentliche Druck, der auf Auskunftspersonen von Untersuchungsausschüssen laste, die Qualität der Aussage nachhaltig verschlechtern. Als weiteres Argument für die sachgerechtere Aufarbeitung der strafrechtlich relevanten Tatbestände alleine durch das Strafverfahren wird angeführt, dass ein Untersuchungsausschuss jederzeit durch Mehrheitsbeschluss eingestellt werden könne, so dass es nicht gerechtfertigt sei, dass durch das, eventuell folgenlos eingestellte, „unsichere Verfahren" der Untersuchungsausschüsse das für den staatlichen Strafanspruch unabdingbare Beweismaterial verschlechtert würde.
bb) Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes Neben diesen Störungen des Ablaufs des Strafverfahrens wiesen die Kritiker paralleler Untersuchungen unter Betonung des Gewaltenteilungsgrundsatzes auf Gefährdungen der Unabhängigkeit der Justiz hin. 1 5 9 Es wurde insbesondere befürchtet, dass der im Fall parlamentarischer Untersuchungen zwangsläufig entstehende öffentliche Druck die Richter beeinflussen und diese somit bewusst oder unwillkürlich unter den Einfluss politischer Strömungen geraten könn155
Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 23; Lehmann, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 109 f.; vergi. Jacobi, Gutachten für den 34. DJT 83. 156 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 24. 157 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 23. 158 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 24. 159 Kaufmann rückte 1920 den ersten Untersuchungsausschuss zur Kriegsschuldfrage in die Nähe eines „inquisitorischen Untersuchungsgerichts". Vergi. Kaufmann, Untersuchungsausschuss und Staatsgerichtshof, S. 29.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
ten. 160 Grundsätzlich werde durch Paralleluntersuchungen die Gefahr erhöht, dass sich die vom Vertrauen des Parlaments abhängige Spitze der Justizverwaltung in die Ermittlungstätigkeit der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft einmische; diese Gefahr dienstlicher Repressalien werde durch den Umstand vergrößert, dass die ansonsten nichtöffentliche Arbeit des Staatsanwaltes durch den Untersuchungsausschuss in das Licht der Öffentlichkeit gezogen würde. 161 Eine weitere Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Strafverfahrens, insbesondere des Richters, wurde in den Feststellungen und Bewertungen des Untersuchungsausschusses gesehen: Einerseits könne der Richter hiervon inhaltlich beeinflusst werden, andererseits befinde sich der Richter in der misslichen Lage, eventuell zu Ergebnissen zu gelangen, die den Feststellungen des Untersuchungsausschusses widersprächen. 162 Durch einander widersprechende Feststellungen werde aber die Autorität des Richterspruches leiden, außerdem käme es in einer solchen Situation sowohl zu einer Schädigung des Ansehens des Gerichtes als auch des Parlaments. 163 Um diesen unwillkommenen Umstand zu vermeiden, könnte eventuell die Neigung erhöht werden, zu übereinstimmenden Ergebnissen zu gelangen. Ähnliches müsse für die Arbeit des Staatsanwaltes gelten, der das gleichgelagerte Interesse daran haben könne, zu denselben Feststellungen zu kommen wie der Untersuchungsausschuss. Unter dem Gesichtspunkt der Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes wird weiterhin beklagt, dass durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse Interna des Strafverfahrens bekannt würden (z.B. durch Verlesung von Strafakten und Vernehmungen von Richtern und Staatsanwälten), wodurch letztlich die Arbeit der Justiz nachhaltig gestört würde. 164 Als besonders problematisch hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang die im Barmat-Ausschuss bestehende Praxis, Richter gezielt nach ihrer Prozesstaktik zu befragen. 165
160
Jacobi, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 69, 77; vergi, dazu später noch: Koellreuter, Deutsches Staatsrecht, S. 190; instruktiv zu Koellreuter: Rüthers, Carl Schmitt im 3. Reich, S. 82 f., 125 et passim. 161 Jacobi, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 82; Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 25; Oetker, Untersuchung durch einen Reichstagsausschuss während schwebenden Strafverfahrens, in: Gerichtssaal 91 (1925), S. 428 (429). 162 So fürchtete schon 1920 der Präsident des Deutschen Juristentages Kahl um die „Einheit des Schuldbildes": Kahl, Untersuchungsausschuss und Staatsgerichtshof, in: DJZ 1920, Sp. 1 (7); vergi. Jacobi, Gutachten für den 34. DJT, S. 85. 163 Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 25. 164 Detser, Die Untersuchungsausschüsse, in: Deutsche Richterzeitung 1925, S. 455 (455). 165 Wunderlich, Die Fragen des Deutschen Juristentages, in: Deutsche Juristenzeitung 1926, S. 1262(1262).
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
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cc) Vorrangstellung des Strafverfahrens Aus der Durchbrechung der Gewaltenteilung und insbesondere der Behinderung des Strafverfahrens zog diese Meinungsgruppe die Folgerung, dass das Strafverfahren insgesamt das sachgerechtere und effektivere Werkzeug zur Untersuchung der strafrechtlich relevanten Tatbestände sei. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse wurden aufgrund ihrer Struktur und Zielsetzung als unfähig angesehen, die zur Rede stehenden Sachverhalte aufzuklären. Vielmehr behindere ihre Tätigkeit nachhaltig die strafverfahrensrechtliche Arbeit. Daraus folgerte diese Auffassung eine Vorrangstellung des Strafverfahrens gegenüber der parlamentarischen Untersuchung und erhob die Forderung, dass im Fall kollidierender Untersuchungstätigkeit das Strafverfahren zu bevorzugen sei. So dürfe sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nicht mit einem Sachverhalt beschäftigen, solange dieser Teil eines Strafverfahrens sei. 166 Vielmehr habe der parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Untersuchungstätigkeit solange einzustellen bis das Strafverfahren beendet wurde, da aufgrund der Vorrangstellung des Strafverfahrens das parlamentarische Untersuchungsrecht hinter dessen Interessen zurückzustehen habe.
b) Befürwortung
paralleler Untersuchungen
Gleichwohl haben sich schon sehr früh in der Diskussion zahlreiche Gründe gefunden, die für die Zulässigkeit einer parallelen Untersuchung durch Strafverfahren und parlamentarischen Untersuchungsausschuss sprechen. Dabei wurde von dieser Meinung zugegeben, dass es - wie von der ablehnenden Ansicht behauptet - Störungen des Strafverfahrens aufgrund der gleichzeitigen Behandlung desselben Sachverhaltes durch einen Untersuchungsausschuss geben könne, diese sei aber nicht sehr schwerwiegend. 167 So ließ sich der von den Gegnern paralleler Untersuchungen eingangs genannte Hinweis auf die Abhängigkeit des Strafverfahrens von hochwertigen Beweismitteln damit entkräften, dass für den erfolgreichen Abschluss eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses letztlich nichts anderes gelte. Der Hinweis der ersten Ansicht darauf, dass Doppelaussagen die Qualität der Aussagen verschlechterten, wurde nicht bestritten, sondern vielmehr daraufhingewiesen, dass dies keine dem Untersuchungsausschuss eigentümliche Gefahr sei, da dies auch bei parallel verlaufenden Disziplinarverfahren oder Zivilpro-
166 167
S. 79.
Rosenberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 28. Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 363; Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT,
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
zessen der Fall sei. 168 Im Übrigen komme es auch bei großen Strafverfahren zu mehrmaligen Vernehmungen der Auskunftspflichtigen. 169 Mit dem Argument der Verschlechterung der Aussagequalität eine Vorrangstellung des Strafverfahrens zu belegen, sei demnach also nicht möglich. Auch die von den Kritikern von Doppeluntersuchungen benannten Auswirkungen des öffentlichen Drucks sind ein Aspekt, der zunächst nicht bestritten wurde. Gleichwohl stellten die Befürworter paralleler Verfahren darauf ab, dass eine solche Argumentation Ursache und Wirkung verkehre: In aller Regel sei es nämlich so, dass nicht der parlamentarische Untersuchungsausschuss den öffentlichen Druck erzeuge, sondern vielmehr dazu diene, einen bereits bestehenden öffentlichen Skandal aufzuklären. 170 Außerdem gerate ein Strafverfahren nicht nur durch Untersuchungsausschüsse, sondern immer dann unter öffentlichen Druck, wenn ein in der Bevölkerung großes Aufsehen erregender Sachverhalt behandelt werde, über den entsprechend in den Medien berichtet werde, 171 wie es zum Beispiel bei spektakulären Kriminalfällen oder prominenten Tatverdächtigen der Fall sei. Dass sich ein Strafrichter durch den entstandenen öffentlichen Druck in seiner Meinungsbildung nicht beeinflussen lasse, sei nach Jacobi gerade „die Kunst, die wir von ihm verlangen, für die er geschult ist und die unsere Rechtsordnung voraussetzt". 172 Dass der öffentliche Druck durch entsprechende Feststellungen des Untersuchungsausschusses exorbitant erhöht werde, könne jedenfalls nicht festgestellt werden. 173 Um den Vorwurf zu entkräften, dass parallele Untersuchungen den Gewaltenteilungsgrundsatz durchbrächen, wird festgehalten, dass im demokratischen Rechtsstaat eine strikte Trennung der Gewalten nicht gewollt und auch gar nicht möglich sei. 174 Vielmehr gehe es um eine gegenseitige Mäßigung und Begrenzung der jeweiligen Gewalten. Demnach stelle auch nicht jede Beeinflussung der einen durch eine andere Gewalt (wie die hier nicht zu bestreitenden Auswirkungen der Arbeit der Untersuchungsausschüsse auf das Strafverfahren) eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dar. 175 Eine solche liege erst dann vor,
168
Alsberg,, Gutachten für den 34. DJT, S. 373. Eckstein, Verhandlungen zum 34. DJT, 144. 170 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 366. 171 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 81; Alsberg, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 122. 172 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 81; krit.: Lehmann, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 144. 173 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 81. 174 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 351. 175 In einem engen Rahmen kann eine Gewalt sogar Funktionen einer anderen Gewalt übernehmen, z.B. wenn die Exekutive durch Rechts Verordnungen allgemeinverbindliches Recht setzt oder die Rechtsprechung an der Präzisierung des Rechts mitarbeitet. 169
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
53
wenn in den Kernbereich der anderen Gewalt eingegriffen werde. Zwar könne sich die Arbeit eines Untersuchungsausschusses faktisch auf ein Strafverfahren auswirken, doch übe er keinerlei rechtsprechende Gewalt i.S. eines rechtsverbindlichen Urteils aus, da sein Endziel ein sanktionsloser Bericht sei. Zugegeben wurde der ersten Ansicht, dass es unzulässig wäre, wenn der Untersuchungsausschuss die „noch fortdauernde Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörde und Gerichte zum Gegenstand seiner Untersuchung machte und hierüber die Beamten zur Rechenschaft" zöge. 176 Jacobi wies auf dem 34. DJT daraufhin, dass in der Praxis ein Untersuchungsausschuss noch nie in einen Richterspruch oder die persönliche Unabhängigkeit eines Richters einzugreifen versucht habe. 177 Alsberg kam in seinem Gutachten zum selben Ergebnis, wobei er ausdrücklich auf die Erfahrungen mit dem Höfle-, und dem Staatsbankenuntersuchungsausschuss abstellte. 178 Des Weiteren sei das Strafverfahren ein individualisiertes Verfahren, welches das Fehlverhalten einer einzigen bestimmten Person untersuche, während ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss grundsätzlich einen allgemeinen Sachverhalt untersuche, auch wenn sich die Untersuchung de facto überwiegend gegen einzelne Personen richten möge. Die Untersuchung innerhalb des Strafverfahrens sei dabei an die Tatbestände der gesetzlichen Strafvorschriften gebunden, während der parlamentarische Untersuchungsausschuss in seiner Tätigkeit in dieser Hinsicht ungebunden sei, da er auch allgemeine politische Bewertungen anstellen könne. Dies gelte insbesondere für den Beginn der jeweiligen Untersuchung: Während die Staatsanwaltschaft aufgrund des für sie geltenden Legalitätsprinzips zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet sei, sobald ein Verdacht der Verletzung strafrechtlich relevanter Vorschriften bestehe, sei das Parlament in der Einsetzung seiner Untersuchungsausschüsse vollkommen frei und hierzu nicht etwa im Falle eines bestehenden politischen Skandals verpflichtet. Weiterhin blieb die aufgeworfene Frage zu klären, inwieweit und warum einander widersprechende Untersuchungsergebnisse der beiden Verfahren gerechtfertigt sein sollten. Dass diese Möglichkeit auf den ersten Blick befremdlich erscheine, wurde von den Befürwortern paralleler Untersuchungen nicht bestritten. Allerdings könne auf eine ähnliche Situation verwiesen werden, in der ebenfalls bestimmte Sachverhaltsbereiche parallel durchleuchtet werden und gegebenenfalls unterschiedliche Ergebnisse nach sich ziehen können: Gemeint ist das Nebeneinander von Strafund Zivilprozess. Bei diesem Vergleichsbeispiel fänden sich einige Gesichts-
Alsberg, Verhandlungen des 34. DJT, S. 350; vergi. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, §31 IV (S. 311). 176 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 365. 177 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 86; so auch: Rosenberg, Gutachten des 34. DJT, S. 112; Alsberg, Verhandlungen des 34. DJT, S. 120; Schetter, Verhandlungen des 34. DJT, S. 140. 178 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 393.
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Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
punkte, die durchaus Gemeinsamkeiten zu Paralleluntersuchungen durch Strafund Untersuchungsausschussverfahren aufwiesen: 179 So untersuchten sie in der Regel niemals einen genau identischen Sachverhalt, sondern überschnitten sich in ihrer Untersuchungstätigkeit nur in Sachverhaltsteilbereichen. 180 Auch aus diesem Grund sei die Untersuchung eines öffentlichen Missstandes durch die Strafjustiz alleine nicht umfassend genug, da diese an die Strafvorschriften gebunden sei. 181 Möglich sei im Übrigen auch, dass trotz der strafrechtlichen Schuldlosigkeit Einzelner die durch einen Untersuchungsausschuss aufgedeckten Handlungen genügten, um auf die Änderungen von Missständen im Parlament zu drängen. 182 Der von den Gegnern paralleler Untersuchungen unterbreitete Vorschlag, parlamentarische Untersuchungen bis zum Ende eines gegebenenfalls über mehrere Instanzen reichenden Strafverfahrens auszusetzen, bedeute eine zu weitreichende Verschleppung parlamentarischer Untersuchungen. Solle es einen großen öffentlichen Missstand geben, dürfe eine im Allgemeinwohl liegende Reform nicht durch ein jahrelanges Warten auf den Abschluss des Strafverfahrens hinausgezögert werden. 183 Dabei werde das angestrebte Ziel, einander widersprechende Untersuchungsergebnisse zu vermeiden, durch eine Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung nicht erreicht, da der Untersuchungsausschuss auch nach Abschluss des Strafverfahrens zu anderen Ergebnissen kommen könne als dieses.184 Weiterhin sei insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass die in ihrer politischen Funktion so bedeutsamen Skandalenqueten nahezu zwangsläufig Anlass zur Einleitung eines Strafverfahrens gäben und somit gerade die wichtigsten Untersuchungsausschüsse immer ausgesetzt würden und damit a priori zur Wirkungslosigkeit verurteilt wären. 185 Des Weiteren enthalte ein solcher Ausschluss paralleler Untersuchungen eine Missbrauchsmöglichkeit: Schließlich bestünde immer die Möglichkeit (z.B. durch Selbst- oder Fremdanzeige), ein Ermittlungsverfahren gerade mit dem Ziel zu initiieren, den Untersuchungsausschuss lahm zu legen. 186 Eine so einseitige Benachteiligung des par-
179
Vergi. Alsberg,, Gutachten für den 34. DJT, S. 355. Alsberg,, Gutachten für den 34. DJT, S. 356. 181 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 357. 182 Alsberg, Gutachten ftlr den 34. DJT, S. 359. 183 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 358. 184 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 88. 185 Leidig, Verhandlungen des 34. DJT, S. 130. 186 Wunderlich, Die Fragen des Deutschen Juristentages, in: Deutsche Juristenzeitung 1926, S. 1262 (1263 ff.), berichtet davon, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit dem politisch hochbrisanten „Fememord-Untersuchungsausschuss" des Reichstages (St.B.RT., Bd. 388, 147 Sitzg., S. 5118 A) gerade mit diesem Ziel eingeleitet werden soll. Vergi, hierzu später auch Mensching, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 105. 180
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lamentarischen Untersuchungsrechts wäre indes nur dann gerechtfertigt, wenn das staatliche Strafinteresse dem parlamentarischen Untersuchungsrecht vorginge. Hierbei bliebe aber festzuhalten, dass es sich bei den beiden Verfahren um zwei wesensmäßig divergente staatliche Funktionen handelt, zwischen deren Aufgaben weitreichende Unterschiede bestehen.187 Insbesondere sei in den Beurteilungen und Feststellungen eines Untersuchungsausschusses kein Urteil im Sinne der ordentlichen Gerichte zu erblicken. 188 Der Klage der ersten Ansicht darüber, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses parteiisch wären, ist von Jacobi entgegengehalten worden, dass diese Kritik unberechtigt sei, da es im politischen Verfahren der Untersuchungsausschüsse ja genau darum gehe, „die Tatbestände von den unterschiedlichen Parteiseiten aus aufzuhellen". 189
c) Entscheidung auf dem 34. DJT Insgesamt wurden in der Debatte des 34. DJT eine Vorrangstellung des Strafverfahrens und eine zwingende Aussetzung parlamentarischer Untersuchungen im Kollisionsfalle abgelehnt. Die Plenarversammlung fasste im dritten Leitsatz neben der Forderung nach einem Untersuchungsausschussgesetz folgenden Beschluss: „Eine Abänderung der Bestimmungen über parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die auf eine prinzipielle Einschränkung oder Zurückdrängung der Tätigkeit der Ausschüsse empfiehlt sich nicht". Dieser Beschluss fußte auf dem zweiten Leitsatz, der feststellte: „Eine innerhalb dieser verfassungsmäßigen Schranken sich haltende Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse bedeutet keinen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz, weder einen Eingriff in die Art der Entscheidung noch in die „Garantien" der richterlichen Unabhängigkeit". Damit wurde der ersten Meinung und den Forderungen des Sechsten Deutschen Richtertages von 1925 eine deutliche Absage erteilt.
d) Stellungnahme zur heutigen Bedeutung Der Meinungsgruppe, die von einer Vorrangstellung des Strafverfahrens ausgeht und aus diesem Grund die Zulässigkeit paralleler Untersuchungen auf
187 Alsberg., Gutachten für den 34. DJT, S. 387; Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 86; Kahn, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (1931), S. 21; Lammers, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, § 94, S. 466. 188 Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 351·,Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 86; Lewald, Enqueterecht und Aufsichtsrecht, in: AöR 44 (1923), S. 269 (310 ff.). 189 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 91.
56
Α. Entstehung und Grundlagen paralleler Untersuchungen
Kosten des parlamentarischen Untersuchungsrechts verneint, kann wegen der überzeugenden Argumentation der zweiten, heute uneingeschränkt vorherrschenden190 Meinungsgruppe nicht gefolgt werden. Aufgrund der grundsätzlichen Gleichrangigkeit und der wesensmäßigen Verschiedenheit der beiden Verfahren sind Doppeluntersuchungen zulässig. Gleichwohl müssen Paralleluntersuchungen unter gegenseitiger Rücksichtnahme erfolgen. So sollte die Strafrechtspflege durch die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse nicht mehr als nötig behindert werden. Praktische Probleme entstehen hier bei drohenden Terminüberschneidungen der Zeugenvernehmung, bei der Frage der Reihenfolge von Zeugenvernehmung und insbesondere auch bei der Anforderung von strafrechtlichen Ermittlungsakten. 191 Zuzugeben ist den Gegnern von Paralleluntersuchungen allerdings, dass eine Vernehmung von Strafrichtern und Staatsanwälten über ihre Prozesstaktiken in einem laufenden Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht zulässig ist. 192
3. Zwischenergebnis Zu Beginn der Untersuchungsausschusspraxis in der Weimarer Republik zeigte sich, dass die Untersuchungen gehäuft mit parallelen Untersuchungen der Strafjustiz zu teilweise übereinstimmenden Sachverhalten einhergingen. Bei diesen Doppeluntersuchungen wurden häufig dieselben Personen in beiden Verfahren auskunftspflichtig. Dies bildete den ersten Ansatz der Diskussion über die Einrichtung der Sonderstellung des Betroffenen für Auskunftspflichtige, denen aufgrund ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss eine Strafverfolgung drohte. Dieser Punkt zählt zu den umstrittensten Fragen des parlamentarischen Untersuchungsrechts, wobei die Diskussion ihren vollen Umfang erst unter Geltung des Grundgesetzes entfaltete. 193 Umfassend wurde insbesondere auf dem sechsten Deutschen Richtertag 1925 und dem 34. DJT 1926 dagegen die Frage diskutiert, ob Straf- und parlamentarisches Untersuchungsausschussverfahren überhaupt zulässig nebeneinander durchgeführt werden können. Diese Auseinandersetzung wurde mit der heute herrschenden Meinung aufgrund der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der beiden Untersuchungsverfahren dahingehend entschieden, dass parallele Untersuchungen zulässig sind. Die Gegenansicht hat vor allem Gesichtspunkte vorge-
190
Vergi, nur Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 76 mit zahlreichen Nachweisen in FN 361. 191 Vergi. Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 25, 62. 192 Zu der Frage, ob eine Vernehmung von Staatsanwälten nach Abschluss des Strafverfahrens möglich ist: Mensching, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 66. 193 Siehe unten Β. IV. 2. b).
III. Erste Problematisierungen paralleler Untersuchungen
57
bracht, die auf praktische Folgen durch gegenseitige Beeinflussungen und Probleme paralleler Untersuchungen abstellen. Auf die Auswirkungen von Doppeluntersuchungen wird im zweiten Teil dieser Arbeit näher eingegangen.194
194
Siehe unten B. II.
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse Die parlamentarische Enquete und die Untersuchungstätigkeit der Strafjustiz stellen zwei wesensmäßig verschiedene staatliche Funktionen dar, die zulässigerweise parallel erfolgen können. Welche Folgen ergeben sich aus diesem Nebeneinander für Auskunftspflichtige im Verhältnis einer für Skandalaufarbeitungen typischen Doppeluntersuchung? Was wiederum folgt hieraus für das Verhältnis der Untersuchungsverfahren zueinander? Wo bestehen Verbindungen zwischen beiden Untersuchungsarten, die Auswirkungen auf die Effektivität der Untersuchungen haben? Zur Klärung der aufgeworfenen Fragen werden zunächst die wichtigsten Voraussetzungen der Untersuchungsverfahren gegenübergestellt (I.), mögliche Konfliktfälle im Falle paralleler Untersuchungen untersucht (II.) und dann die Rolle der Auskunftspflichtigen betrachtet. Dabei gewinnt die Frage der Grenzen der Auskunftspflicht und ihrer verfassungsrechtlichen Begründung eine besondere Relevanz (III.). Die Grenzen der Auskunftspflicht zeitigen wiederum innerhalb der parlamentarischen Beweiserhebung (IV.) große Auswirkungen auf die Effektivität der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (V.).
I. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen 1. Einleitung und Grenzen von Untersuchungen Die Untersuchungen eines Themenkreises durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und durch die Strafjustiz können sich überschneiden. In der parlamentarischen Untersuchungspraxis ist die Missstandsenquete mittlerweile die häufigste Untersuchungsausschussform. Bei dieser kommt es sogar nahezu ausnahmslos zu Paralleluntersuchungen. Auch wenn durch die beiden Untersuchungsverfahren teilweise sehr ähnliche Fragen und übereinstimmende Sachverhalte untersucht werden, bestehen abweichende Voraussetzungen für die Eröffnung und das zulässige Ausmaß der Untersuchungstätigkeit.
I. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
a) Auslöser und Umfang strafrechtlicher
59
Ermittlungen
Das Strafverfahren beginnt mit dem Erkenntnisverfahren erster Instanz, dem Vorverfahren, das ein rein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren ist. 1 9 5 Dieses Untersuchungsverfahren wird ausgelöst durch einen einfachen Tatverdacht, der nach § 152 Abs. 2 StPO eine Ermittlungspflicht gegen jeden Verdächtigen begründet. Ein einfacher Tatverdacht liegt vor, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass eine strafrechtlich verfolgbare Tat vorliegt. 1 9 6 Eine Konzentrierung der Ermittlung auf einen Verdächtigen erfolgt, sobald ein hinreichend konkreter Anfangsverdacht vorliegt, der gegeben ist, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nach kriminalistischen Erfahrungen die Beteiligung des Betroffenen an einer verfolgbaren Tat als möglich erscheinen lassen. 197 Ziel dieser Ermittlungen ist es, gem. § 160 Abs. 1 (i.V.m. § 170 Abs. 1) StPO die Tat soweit aufzuklären, dass die Entscheidung, ob Anklage zu erheben ist, getroffen werden kann. Dabei ist die Staatsanwaltschaft gem. § 160 Abs. 2 StPO zu einer allseitigen Wahrheitsermittlung verpflichtet und hat nach § 160 Abs. 3 StPO ferner die Umstände zu ermitteln, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat im strafprozessualen Sinn von Bedeutung sind, wovon auch persönliche Lebensumstände umfasst sind. 198 Endzweck des Ermittlungsverfahrens ist die Feststellung, ob ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 170 Abs. 1 StPO vorliegt, der eine Pflicht zur Anklageerhebung begründet. Ein hinreichender Tatverdacht besteht dann, wenn die Staatsanwaltschaft nach Abschluss ihrer Ermittlungen davon ausgehen kann, dass mit Wahrscheinlichkeit dem Beschuldigten in einer künftigen Hauptverhandlung die Tat nachzuweisen und seine Verurteilung zu erwarten ist. 1 9 9 Das Legalitätsprinzip des Strafverfahrens verpflichtet die Staatsanwaltschaft zur Aufnahme von Ermittlungen bei einfachem Tatverdacht und zur Anklageerhebung bei hinreichendem Tatverdacht. 200
195 Das Ermittlungsverfahren wird aufgrund seiner Bedeutung für das Gesamtstrafverfahren als dessen „Kern und Höhepunkt" bezeichnet. Vergi. Wolter, in: SK-StPO, vor § 151 Rn. 22. 196 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 37 Rn. 13; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 393.4; Plöd, in: KMR, StPO, § 152 Rn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 152 Rn. 4. 197 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 152 Rn. 4; krit. zu der Tendenz, das Erfordernis des Anfangsverdachtes durch sog. Initiativermittlungen aufzuweichen: Wolter, in: SK-StPO, vor § 151 Rn. 56 d; vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 37 Rn. 13 m.w.N. 198 Sehr weitgehend Peters, Strafprozess, S. 531; enger dagegen: Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, § 160 Rn. 21; krit. zur Tendenz im Strafverfahren immer stärker Persönlichkeitsausforschungen zu betreiben: Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 87. 199 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 170 Rn. 1 f., § 203 Rn. 2; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 114. 200 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 14 Rn. 1.
60
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Dieses Untersuchungsziel der staatsanwaltlichen Ermittlungen führt zu einer inhaltlichen Begrenzung des Untersuchungsumfangs: Die Untersuchung richtet sich gegen eine bestimmte Person in einem durch die Strafvorschriften begrenzten Rahmen. So wird nicht das Verhalten einer Person allgemein, sondern nur hinsichtlich der möglichen Erfüllung strafrechtlicher Tatbestände geprüft. Eine tiefer gehende Untersuchung der Täterpersönlichkeit kann allerdings vorgenommen werden, soweit dies zur Beurteilung der persönlichen Vorwerfbarkeit erforderlich ist. Der Untersuchungsbeginn und -umfang der strafrechtlichen Ermittlungen sind also begrenzt, einerseits durch das Vorliegen eines Anfangsverdachts, andererseits durch die inhaltliche Bindung an die Straftatbestände. Diese Begrenzung des Umfangs der strafrechtlichen Untersuchung besteht in den sich anschließenden Verfahrensschritten, dem Zwischenverfahren nach §§ 199 ff. StPO und der Hauptverhandlung nach §§ 213 ff. StPO, fort, zumal in diesen Abschnitten die Untersuchung bereits auf eine Person (zur Bezeichnung vergi. § 157 StPO) konzentriert ist.
b) Auslöser und Umfang parlamentarischer
Untersuchungen
Die Repräsentationsfunktion des Parlaments und seine Teilhabe an der politischen Gestaltung des Gemeinwesens201 führt zu einem weiten Kompetenzumfang der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse.202 Das Untersuchungsziel parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist nicht auf Hoheitsakte oder rechtliche Beschlüsse ausgerichtet, sondern auf die Vorbereitung von inhaltlich weiter gefassten politischen Beschlüsse des Parlaments. 203 Grundsätzlich kann das Parlament also Untersuchungsausschüsse zu jedem Vorgang im öffentlichen oder gesellschaftlichen Leben einsetzen, soweit dieser öffentliches Interesse hervorruft. 204 Allerdings wird dieser zunächst sehr weite mögliche Umfang parlamentarischer Untersuchungen durch verschiedene Schranken begrenzt.
201
Achterberg, Parlamentsrecht, S. 446 f.; Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HbStR, Bd. 2, § 30 Rn. 17; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie, S. 49 ff., 63 ff. 202 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 44 Rn. 192; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 7; überaus krit. Masing, Parlamentarische Kontrolle privater Sachverhalte, S. 302 ff. et passim. 203 Versteyl in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 19; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 7. 204 BVerfG, DVB1. 1988, S. 200 (202).
I. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer U n t e r s u c h u n g e n 6 1
aa) Anfangsverdacht zur Legitimation parlamentarischer Untersuchungen? Für das parlamentarische Untersuchungsverfahren könnte - gleich dem Strafverfahren - ein Anfangsverdacht erforderlich sein. Im Schrifttum wurde vereinzelt vertreten, dass das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse verdachtsakzessorisch sein solle, so dass ein Untersuchungsverfahren nur zulässig sei, wenn der konkrete Anfangsverdacht eines Missstandes bestünde. 205 Diese Auffassung ist aber zu Recht vereinzelt geblieben. Das parlamentarische Untersuchungsverfahren ist das Recht zur Selbstinformation des Parlaments 206 und damit zwangsläufig wesentlich weiter gefasst als ein strafverfahrensrechtliches Untersuchungsverfahren, das auf die Untersuchung, ob bestimmte Straftatbestände erfüllt sind, beschränkt bleibt. Insbesondere Untersuchungen, die auf politische Beurteilungen abzielen, können, müssen aber nicht einen Missstand als Ausgangspunkt haben. Weiterhin sind Gesetzgebungsenqueten, auch wenn sie praktisch nicht mehr auftreten, grundsätzlich zulässig 207 und können keinen „Anfangsverdacht" im strafprozessualen Sinn oder „tatsachengestützte Anhaltspunkte" 208 voraussetzen. Folglich ist ein Anfangsverdacht nach herkömmlichem strafprozessualem Verständnis keine Zulässigkeitsvoraussetzung parlamentarischer Untersuchungen.
bb) Allgemeine Voraussetzungen und Zulässigkeitsbegrenzungen Ausgangspunkt einer parlamentarischen Untersuchung ist heute die Regelung des § 1 Abs. 1 PUAG, die wörtlich übereinstimmend mit Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG feststellt, dass der Bundestag „das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht" habe, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Diese Einsetzung erfolgt gem. § 1 Abs. 2 PUAG durch einen Beschluss, woraus zugleich folgt, dass ein entsprechender Beschlussantrag vorliegen muss. 209 Zulässigkeitsbegrenzungen parlamentarischer Untersuchungen ergeben sich aus § 1 Abs. 3 PUAG, der auf verfassungsrechtliche Grenzen hinweist, die aus den 205 Depenheuer/Wienand, Der parlamentarische Untersuchungsauftrag, ZRP 1988, S. 258 (263); Meyer-Böhl, Grenzen der Pflicht zur Aktenvorlage und zur Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 89 if.; neuerdings auch: Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 73. 206 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 54; ders., Opposition und Information, AöR 99(1974), S. 628 (630). 207 Rechenberg in: BK-GG, Art. 44 Rn. 2; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 3. 208 Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 65; BayVerfGH, NVwZ 1995, S. 681 (682); dazu krit. Köhler, Die Grenzen des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NVwZ 1995, S. 664 f. 209 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 13.
62
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Kompetenzen des Deutschen Bundestages folgen. 210 Insoweit rekurriert § 1 Abs. 3 PUAG vollständig die Rechtslage vor Erlass des PUAG. Davon umfasst sind insbesondere die einschlägigen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen, 211 die Untersuchungsausschusspraxis des Bundes und die im Schrifttum herrschenden Feststellungen zur Begrenzung der Zulässigkeit parlamentarischer Untersuchungen. 212 Das Bundesstaatsprinzip steht einem Eingriff des Untersuchungsausschusses in Zuständigkeiten der Länder entgegen:213 Ein Untersuchungsausschuss darf dabei insbesondere keine ausschließlichen Länderangelegenheiten untersuchen, es sei denn, es geht um Kontroll- und Aufsichtsrechte gem. Art. 84, 85 GG, wobei in dem lneinandergreifen von landeseigener Ordnungskompetenz und Bundesaufsicht die Kontrollbefugnis des Bundes auch durch einen Untersuchungsausschuss nicht weiter reichen kann als die Bundesaufsicht selbst. 214 Der Grundsatz der Gewaltenteilung kann zu einer Begrenzung der Untersuchungen gegenüber der Exekutive und der Judikative folgen. Das parlamentarische Untersuchungsrecht entspringt zwar gleichfalls dem Gedanken der Gewaltenteilung, allerdings folgt daraus auch, dass sich die parlamentarische Kontrolle der Regierung nur auf abgeschlossene Vorgänge, soweit sie nicht den Kern-
210 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 13 f.; vergi. VersteyU in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 19. 2,1 Insbesondere BVerfGE 49, 70 ff.; 67, 100 ff.; 76, 363 ff.; 77, 1 ff.; vergi. Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10(10 f.). 212 Vergi, nur Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 24 ff. m.w.N.; hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzung der Tatsachenbezogenheit und der erforderlichen Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes, vergi. Maunz, in: Maunz/Dürig (Vorauf!.), GG, Art. 44 Rn. 11; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 30; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 65. 213 Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 44 Rn. 21; Lässig, Beschränkung des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse aufgrund des Bundesstaatsprinzips, DÖV 1976, S. 727 (733); Kunig, Politische Kontrolle der Bundesregierung durch das Parlament, Jura 1993, S. 220 (222); Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 77 ff.; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 38 ff., 45 ff.; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 44 Rn. 138; weiterhin ist die parlamentarische Kontrolle im Rahmen kommunaler Aufgabenerfüllung begrenzt, vergi. Böckenförde. Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, AöR 103 (1978), S. 1 (1 ff.); krit.: Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 188 f. 214 Vergi, zu dieser problematischen Frage: Lässig, Beschränkung des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse aufgrund des Bundesstaatsprinzips, DÖV 1976, S. 727 (733); AG Bonn, NJW 1989, S. 1101 (1101 f.), Meinhard Schröder, Neuordnung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, E 27 f.
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
bereich der Exekutive umfassen, beziehen darf; es enthält nicht die Befugnis in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. 215 Der Schutz, den die „Eigenständigkeit der Rechtsprechung' genießt, 216 folgt, ebenso wie der Kernbereich der Exekutive, aus dem Gewaltenteilungsprinzip. Allerdings bleibt die Bestimmung des Schutzbereiches in diesem Bereich „formelhaft". 217 Ein Eingriff in den geschützten Bereich der Rechtsprechung könnte in Betracht zu ziehen sein, weil die Untersuchungsausschüsse, ähnlich wie die Gerichte, streitige Sachverhalte untersuchen, die darüber hinaus sogar in Teilbereichen übereinstimmen können. Dass die Abgrenzung der beiden Untersuchungsarten formelhaft verbleibt, liegt vor allem daran, dass nahezu keine Abgrenzung erforderlich ist. Zwar können beide Untersuchungsverfahren sich teilweise sogar überschneidende Sachverhalte erforschen, hingegen erfahren diese durch ein Gerichtsverfahren eine rechtliche, durch ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren eine politische Bewertung. 218 Ein Eingriff in einen durch den Gewaltenteilungsgrundsatz geschützten Bereich der Rechtsprechung und damit eine Verletzung des § 1 Abs. 3 PUAG läge indes dann vor, wenn ein Untersuchungsausschuss mit dem Zweck eingesetzt würde, die Richtigkeit einzelner Gerichtsentscheidungen zu überprüfen. 219
2.5
BVerfGE 67, 100 (139); vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 14; Wiefelspülz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 71 ff.; weiterreichend: Schenke, Empfiehlt sich eine Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, JZ 1988, S. 805 (809). 2.6 Vergi. Morlok, in: Dreier, GG; Art. 44 Rn. 27; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 21; Rechenberg, in: BK-GG, Art. 44 Rn. 7; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 6. 2.7 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 183. 218 Vergi. Schenke, Empfiehlt sich eine Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, JZ 1988, S. 805 (810). 2,9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 14; vergi, auch Maunz: in Maunz/Dürig (Vorauf!.), GG, Art. 44 Rn. 25; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art 44 Rn. 4.
64
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse cc) Das öffentliche Interesse als Grenze?
Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung 220 und Literatur 221 wollte parlamentarische Untersuchungen vor Erlass des PUAG durch das Kriterium des „öffentlichen Interesses" begrenzen. Dieses sollte gewährleisten, dass reine Privatangelegenheiten kein zulässiger Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung sein können, 222 während eine (in der Untersuchungspraxis kaum zu vermeidende) Vermengung von Privatangelegenheit mit einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse einer zulässigen Untersuchung durchaus nicht entgegenstehen sollte. 223 Dass das vorher vielfach diskutierte und zahlreiche Probleme bereitende Kriterium des öffentlichen Interesses nicht in §§ 1 ff. PUAG kodifiziert wurde, könnte dahingehend interpretiert werden, dass auf diese Zulässigkeitsbeschränkung verzichtet werden sollte. 224 Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Erlass des PUAG mit dem Ziel erfolgte, die Untersuchungsausschusspraxis und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Gesetz zusammenzuführen 2 2 5 und insofern Auslassungen im Gesetzestext als ein beabsichtigter Verzicht des Gesetzgebers auf bestimmte Kriterien interpretiert werden könnte. Vorliegend ergibt sich allerdings aus den Gesetzgebungsmaterialien, hier der
220
BVerfGE 67, 100 (140); 76, 363 (382); 77, 1 (39); BayVerfGH, NVwZ 1986, S. 822 (823 f.); BayVerfGH, NVwZ 1995, S. 681 (682). 221 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Art. 44 Rn. 24 f.; Versteyl, in. v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 21; Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10(11); ders., Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 52; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 190 ff.; Köhler, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts, S. 80 ff.; ders., Die Grenzen des Rechts der parlamentarischen Untersuchung, NVwZ 1995, S. 664 (665); Richter, Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsrecht, S. 30 ff.; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht des Bundestages, S. 31 f., Scholz, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (594 ff.); Achterberg, Parlamentsrecht, S. 446. 222 Wiefelspütz. Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10(13); Schröder, Neuordnung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, E 13: Stern, Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG, AöR 109 (1984), S. 199 (229); krit. Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 190. 223 Scholz. Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (594 m.w.N.). 224 Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2605, 2607), der den Verzicht als „beachtliche Innovation" bezeichnet. Dagegen: Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10 (12); Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 76. 225 Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10 (10 f.).
l. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
65
Beschlussempfehlung und dem Bericht des gesetzesvorbereitenden Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, dass von dem in § 1 Abs. 3 PUAG genannten Kriterium der „verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Bundestages" neben anderen Kriterien auch das Erfordernis des öffentlichen Interesses umfasst sein soll. 2 2 6 Der genaue Begriffsinhalt des „öffentlichen Interesses" wird nicht einheitlich bestimmt. Es bestehen unterschiedliche Ansichten darüber, wann ein öffentliches Interesse gegeben ist, insbesondere, ob auf ein faktisches Interesse abzustellen ist oder ob ein normatives Verständnis geboten ist. Nach einer von Böckenförde begründeten Ansicht ist ein faktisches Interesse ausreichend, das gegeben sei, sobald irgendwelche Vorgänge tatsächlich das Interesse der Mehrheit oder einer begrenzten Allgemeinheit der Bevölkerung erregen. 227 Insbesondere die Bedeutung des Parlaments als Volksvertretung innerhalb des Meinungsbildungsprozesses reiche aus, um eine beliebige Materie allein durch eine faktische Befassung mit ihr zum Gegenstand öffentlichen Interesses zu erheben. 228 Dieser Ansicht kann aufgrund ihrer an der Faktizität orientierten Sichtweise und des Fehlens einer inhaltlichen Umgrenzung bei der Definition des zulässigkeitsbegrenzenden Merkmals „öffentliches Interesses" nicht gefolgt werden. 229 Nach der überwiegenden Ansicht handelt es sich beim öffentlichen Interesse um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der konkretisierungsbedürftig und anhand objektiver Kriterien einzelfallbezogen auszulegen sei. 2 3 0 Diese Formulierung kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass völlig unklar bleibt, worin die „objektiven Kriterien" zu sehen sind. 231 Allein die Absicht, absolut geschützte Freiräume von Privatheit zu schaffen, die vollständig ohne Gemein-
226
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfüng, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 14; vergi. Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 38. 227 Böckenförde, Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, AöR 103 (1978), S. 1 (15); Di Fabio , Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 42 ff. 228 Di Fabio , Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 43. Damit gleicht sich diese Ansicht im Ergebnis der Auffassung an, dass mit der Antragstellung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages ein solches Interesse unwiderleglich zu vermuten sei. Vergi. Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607); ders., Referat zum 57. DJT, M 72. 229 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 194; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 28. 230 Richter, Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsrecht, S. 34 ff.; Scholz, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (595); Meinhard Schröder, Neuordnung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, E 22; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 29; Kästner, Parlamentarisches Untersuchungsrecht und richterliche Kontrolle, NJW 1990, S. 2649 (2655). 231 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 194.
66
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
wohlrelevanz sind und deshalb von einer parlamentarischen Untersuchung ausgeschlossen werden sollen, ist zu erkennen. 232 Aufgrund dieser Konturlosigkeit des Begriffes „öffentliches Interesses" wird der Effekt dieser vorgeblichen Begrenzung des zulässigen Untersuchungsumfangs vielfach zu Recht bezweifelt. 233 Gleichwohl kann der Wille der gesetzgebenden Gewalt nicht ignoriert werden, der zumindest in den Gesetzgebungsmaterialien dahingehend zum Ausdruck kommt, dass das Parlament auf dieses wirkungslose Begrenzungskriterium nicht verzichten wollte. 2 3 4 Faktisch wird sich in parlamentarischen Untersuchungen, die auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 PUAG stattfinden werden, nichts daran ändern, dass durch ein Minderheitsantrag gem. § 1 Abs. 1 PUAG das Vorliegen des öffentlichen Interesses indiziert wird. 2 3 5 Der Rechtsschutz, der Auskunftspflichtigen im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung durch das Kriterium des „öffentlichen Interesses" gewährt wird, ist jedenfalls nahezu wirkungslos: Soweit eine gerichtliche Kontrolle des Vorliegens des öffentlichen Interesses überhaupt für zulässig gehalten wird, 2 3 6 beschränkt sich diese auf eine Vertretbarkeits- oder Willkürkontrolle, wie sie sich bereits aus der Prüfung der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns ergibt. 237
232 Damit verbleibt dem „öffentliches Interesse" eine minimale Wirkung hinsichtlich der angestrebten Begrenzung parlamentarischer Untersuchungen, die in ihrer Schutzwirkung für den Bürger inhaltlich vollständig in der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgeht, welcher verlangt, dass jeder staatlichen Handelung ein vernünftiger Grund des Gemeinwohls zugrunde liegt (vergi, nur BVerfGE 55, 159 (165)). 233 Studenroth, Die parlamentarische Untersuchung privater Bereiche, S. 65 ff; Köhler, Umfang und Grenzen des Untersuchungsrechts, S. 82 ff; Engels, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 42 f.; Di Fabio , Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 44; Quaas/Zuck, Ausgewählte Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988, S. 1873 (1874); Meyer-Bohl, Grenzen der Pflicht zur Aktenvorlage und zur Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 85 ff. 234 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 14. 235 So bereits vor Erlass des PUAG: Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 44 Rn. 30. 236 Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 61; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 29; Schenke, Empfiehlt sich eine Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, JZ 1988, S. 805 (810); a.A.: Schneider, in: AK-GG 3 , Art. 44 Rn. 11; Köhler, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts, S. 83 f. 237 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 206 f.; Di Fabio , Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 137; Richter, Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsrecht, S. 45; a.A.: Wiefelspütz, Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10 (15).
I. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
67
dd) Die Grundrechte als Grenze parlamentarischer Untersuchungen Die Grundrechte stellen eine weitere Begrenzung parlamentarischer Untersuchungen dar. 2 3 8 Dies folgt daraus, dass der Untersuchungsausschuss als Organteil des Parlaments öffentliche Gewalt ausübt und deshalb über die in Art. 44 Abs. 2 GG genannten Grenzen hinaus aufgrund Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist. 2 3 9 Im Mittelpunkt der potentiell betroffenen Grundrechte stehen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Eigentumsrecht, insoweit es Geschäfts-, Betriebsgeheimnisse schützt. 240 In diese Grundrechte wird vor allem dann eingegriffen, wenn aufgrund einer parlamentarischen Untersuchung private oder betriebliche Geheimnisse bekannt werden. 241 Solche Eingriffe sind mit parlamentarischen Untersuchungen notwendig verbunden und von Art. 44 GG vorgesehen, so dass sie grundsätzlich zulässig sind. 242 Zum gebotenen Grundrechtsschutz bedarf es einer Abwägung zwischen dem durch Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG begründeten Auftrag des Untersuchungsausschusses Missstände und Skandale aufzuklären und den jeweiligen Grundrechten, soweit diese von der Untersuchung betroffen sind. 243 Das Beweiserhebungsrecht der Untersuchungsausschüsse und die betroffenen Grundrechte stehen sich dabei auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber und müssen einander im konkreten Fall so zugeordnet werden, dass beide soweit wie möglich ihre Wirkung entfalten. 244 Dieser Punkt findet sich unter anderem in § 14 Abs. 1 PUAG wieder, der in Nr. 1 besagt, dass die Öffentlichkeit zum Schutz des Grundrechtsträgers ausgeschlossen werden müsse, soweit „Umstände aus den persönlichen Lebensbereichen von Zeugen oder Dritten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörte-
238
Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 70 ff.; Rechenberg, in: BK-GG; Art. 44 Rn. 7; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 28 f.; Scholz, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (604 ff.); Engels. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 34 f.; Meinhard Schröder, Untersuchungsausschüsse, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 46 Rn. 23 ff. 239 BVerfGE 67, 100 (142); 77, 1 (46). Vergi. Scholz, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (604). 240 BVerfGE 67, 100 (142); 77, 1 (46); LincK Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, ZRP 1987, S. 11 (14); Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 34 ff. 241 Zu den verschiedenen Wegen, auf denen z.B. Privatgeheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen können, vergi. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 73. 242 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 212. 243 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 74. 244 BVerfGE 67, 100 (143 f.). Kritisch hierzu Masing, der darauf hinweist, dass „bloßer Abwägungsschutz" dem Bürger keinen stabilen Grundrechtsschutz biete, da eine Abwägung als Entscheidungsfindungsprozess zu unbestimmt sei. Vergi, ders., Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 220.
68
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
rung (gegenüber dem parlamentarischen Untersuchungsinteresse) überwiegende Interessen verletzen" würde. Festzuhalten bleibt, dass der Schutz der Grundrechte im Rahmen parlamentarischer Untersuchung kein absoluter, sondern ein Abwägungsschutz ist, bei dem das Untersuchungsinteresse mit dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung zu einem Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen ist.
ee) Zusammenfassung Der zulässige Umfang parlamentarischer Untersuchungen ist sehr weit gezogen. Dies ist eine Folge der Aufgabe parlamentarischer Untersuchungen, die bestimmte Sachverhalte nicht in rechtlicher, sondern in politischer Hinsicht einer Beurteilung zuführen soll. Aus diesem Grund ist eine parlamentarische Untersuchung nicht an bestimmte Tatbestände gebunden. Allerdings können sich Einschränkungen des inhaltlichen Umfangs der parlamentarischen Investigationen v.a. aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze und entgegenstehender Grundrechte Dritter ergeben. Diese sind mit dem parlamentarischen Untersuchungsinteresse nach einer Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen in praktische Konkordanz zu bringen.
2. Aufgabe und Funktion strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen a) Ziele des Strafverfahrens Eine der wichtigsten Aufgaben des Strafverfahrens ist die Feststellung und Durchsetzung eines im Einzelfall entstandenen legitimen staatlichen Strafanspruchs. 245 Dies soll aufgrund einer richtigen und gerechten Entscheidung erfolgen, die nur durch eine funktionstüchtige Strafrechtspflege durchgesetzt werden kann. 246 Dem Strafmonopol des Staates entspricht ein Justizgewährleistungsanspruch des Bürgers: Wenn er als Opfer einer Straftat schon nicht selbst Vergel-
245
BVerfGE 20, 45 (49); BerlVerfGH NJW 1993, S. 515 (517). Vergi. BVerfGE 33, 367 (383); 34, 238 (248); 38, 105 (118); 41, 246 (250); 44, 353 (374); 51, 324 (343); 80, 367 (378), BVerfG NJW 1996, S. 771 (771); Rieß, Sicherung einer effektiven Strafrechtspflege , StraFo 2000, S. 364 (365 f.); krit. Krack, Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 45. Krack stellt allein auf den Rechtsfrieden als Endzweck des gesamten Kriminalrechts ab und ordnet andere Aspekte als notwendige Nebenziele ein. Vergi, ders., Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 33^16. 246
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
69
tung üben kann, so hat der Staat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, den entstandenen Strafanspruch durchzusetzen. 247 Ein zweiter Aspekt ist die Einrichtung eines rechtstaatlichen Verfahrens, welches eine Strafverfolgung um jeden Preis verbietet. 248 Indem schon die strafrechtliche Untersuchung tief in die Rechte eines möglicherweise doch unschuldigen Bürgers eingreift, folgt aus dem Rechtstaatsprinzip die Pflicht, den möglicherweise Unschuldigen vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. 249 Ein dritter Aspekt ist, dass durch die rechtskräftige endgültige Entscheidung des Gerichts, das Urteil, der Streitfall endgültig geklärt wird und damit Rechtssicherheit und Rechtsfrieden eintreten können. 250
b) Ziele einer parlamentarischen Untersuchung Aufgabe und Funktion der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist die Selbstreinigung des politischen Systems in einer für die Bevölkerung nachvollziehbaren Weise. 251 Aufgrund des Periodizitätsgrundsatzes verbleibt in der Zeit zwischen den Wahlen das Parlament, genauer gesagt, aufgrund der Interessenidentität und Handlungseinheit von Regierung und Parlamentsmehrheit, die Opposition als Kontrollinstanz des Einflussbereiches der Exekutive. 252 Aus diesem Grund erklärt sich die Ausgestaltung der Untersuchungsausschüsse als ein Recht der Minderheit (vergi. Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG, § 1 S. 1 PUAG), nach dem bereits der Antrag eines Viertels seiner Mitglieder für den Bundestag die Verpflichtung nach sich zieht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Besondere Bedeutung gewinnen die parlamentarischen Untersudlungen in Form der sog. Missstands- oder Skandalenquete, die einen öffentlichen Skandal betreffende Sachverhalte untersuchen sollen. 253 Gerade in Zeiten, in denen aufgrund eines Skandals das politische System diskreditiert und instabil ist, kommt den Untersuchungsausschüssen die Aufgabe zu, der Bevölkerung aufzuzeigen,
247
Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 3; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 1 Rn. 2. BGHSt 14, 258 (365); 31, 304 (309); Eberhardt Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Rn. 22 f.; Wolter, in: SK-StPO, vor § 151 Rn. Rn. 25. 249 Sommer mann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 314. 250 Rüping, Strafverfahren, Rn. 9; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 1 Rn. 3; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 6; Krack, Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 33; Krey, Strafverfahrensrecht Bd. 1, Rn. 46. 251 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 60; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 8 ff. 252 Vergi. Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 299 ff. 253 Vergi. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (219); Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 59. 248
70
Β. Parallele Untersuchungen durch Strajustiz und Untersuchungsausschüsse
dass sich die Volksvertretung selbst um Missstände, insbesondere Macht- oder Geldmissbrauch, 254 kümmert. Auf diese Weise kann verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung wiederhergestellt werden. Mithin dient das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Volkssouveränität. 255 Indem das Untersuchungsverfahren ein Verfahren für die Öffentlichkeit ist, findet auch innerhalb des Untersuchungsausschusses die Auseinandersetzung der politischen Gruppierungen statt; der Untersuchungsausschuss ist ein „politisches Kampfinstrument", dessen Arbeit schon aufgrund der gegenläufigen Interessen seiner Mitglieder nicht in richterlicher Unabhängigkeit erfolgen kann. 256 Indem die Untersuchung auf eine politische Bewertung bestimmter Sachverhalte abzielt, besteht ein nicht aufhebbarer Konflikt zwischen der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung und dem politischen Kampf. 257 Das Austragen dieses Kampfes vor den Augen der Öffentlichkeit dient auch dazu, dieser gegenüber die angestrebte Selbstreinigung des politischen Systems zu dokumentieren und das Vertrauen in die Volksvertretung zu stärken.
3. Öffentlichkeit im Rahmen strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen Die Beweiserhebung der parlamentarischen Beweiserhebung hat nach ausdrücklicher Regelung des Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG öffentlich zu erfolgen. Damit hat die Öffentlichkeit im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen einen eigenständigen Charakter und folgt nicht aus einer sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess.
254 Vergi, exemplarisch die Einsetzungsbeschlüsse: BTag-Drs. 14/2139 vom 2. Dezember 1999; NRW-LTag-Drs. 12/4870 vom 6. April 2000; BayLTag-Drs. 14/5501 vom 15. Februar 2000; Berl.LTag-Drs. 14/1122 vom 5. April 2000. 255 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (219). 256 Vergi. Eickel, Referat zum 57. DJT, M 13; Quass/Zuck, Ausgewählte Probleme zum Recht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, NJW 1988, S. 1873 (1880); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 9. 257 Schneider, Referat, in: Tagungsprotokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 13.
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
a) Öffentlichkeit
71
im Strafverfahren
Die ursprüngliche Intention bei der Einführung der Öffentlichkeit in den Strafprozess war vor allem der Schutz vor gerichtlicher Willkür. 2 5 8 Auch im modernen Strafverfahren ist das vorrangige Ziel, eine Kontrolle des Strafverfahrens durch die Öffentlichkeit zu erreichen und nicht, die Öffentlichkeit über die Tat und die Persönlichkeit des Täters zu informieren. 259 Grundsätzlich soll das Strafverfahren vielmehr aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden, da vor Abschluss des Verfahrens die Schuldigkeit des Betroffenen nicht festgestellt wurde und darum eine „Anprangerung des Angeklagten" möglichst gering gehalten werden soll. 2 6 0 Die Absicht, einen möglicherweise Unschuldigen nicht an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren, zeigt sich deutlich darin, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, also vor Feststellung eines hinreichenden Tatverdachts, grundsätzlich nicht öffentlich ist, um die Persönlichkeit des Beschuldigten zu schützen. 261 Daneben soll der Ausschluss der Öffentlichkeit im Vorverfahren dafür sorgen, dass Verdächtige nicht gewarnt werden können und mögliche Beeinflussungen von Zeugen oder Richter unterbleiben. 262 Festzuhalten bleibt, dass die Öffentlichkeit innerhalb des Strafverfahrens nicht darauf abzielt, den untersuchten Sachverhalt oder bestimmte Personen publik zu machen, sondern das Verfahren zu kontrollieren. Der angestrebte Persönlichkeitsschutz kommt insbesondere in der NichtÖffentlichkeit des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens zum Ausdruck.
b) Öffentlichkeitsprinzip
im parlamentarischen
Untersuchungsverfahren
Der Öffentlichkeit parlamentarischer Untersuchungen kommt seit Begründung des parlamentarischen Untersuchungsrechts eine große Bedeutung zu. Max Weber sprach in seinem bekannten Diktum von einem „Gegengewicht der
258 Hassemer, Der Einfluss der Medien auf das Strafverfahren aus strafrechtlicher Sicht, in: Burgstaller/Gerhardt/Hassemer, Der Einfluss der Medien auf das Strafverfahren, S. 62. Vergi, oben 1. Teil 2. b). 259 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 45 Rn. 2 f.; krit. Kloepfer, Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: HdBStR Bd. 2, § 35 Rn. 61; F.-C. Sehr oeder, Strafprozessrecht, Rn. 10. 260 Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 438; anders akzentuiert: F.-C. Schroeder, Strafprozessrecht, Rn. 232. 261 v. Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, S. 101 ff, 229 ff, zu Reformvorschlägen, die eine restriktivere Handhabung des Öffentlichkeitsgrundsatzes vorschlagen: Roxin, StrafVerfahrensrecht 25, § 45 Rn. 3 m.w.N. 262 Hassemer, Der Einfluss der Medien auf das Strafverfahren aus strafrechtlicher Sicht, in: Burgstaller/Gerhardt/Hassemer, Der Einfluss der Medien auf das Strafverfahren, S. 67; v. Becker, Straftäter und Tatverdächtige in den Massenmedien, S. 208.
72
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Publizität", 263 das insbesondere der parlamentarischen Minderheit zugute komme. 264 Sowohl in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG als auch in § 1 Abs. 1 PUAG ist festgehalten, dass die parlamentarische Beweiserhebung öffentlich zu erfolgen habe. Allerdings besteht gem. § 13 Abs. 1 PUAG ein Verbot von Ton- und Filmaufnahmen. 265 Der Öffentlichkeitsgrundsatz des Untersuchungsausschussrechts orientiert sich am allgemeinen Öffentlichkeitsgebot des Art. 42 Abs. 2 GG. 2 6 6 Primäres Ziel dieser Publizität ist nicht die Kontrolle des Ablaufs der Untersuchungen, vielmehr sollen die untersuchten Anstoß erregenden Sachverhalte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei sollen nicht nur die Ergebnisse der Beweiserhebung, sondern gerade auch das konkrete Verfahrensstadium, der Vorgang der Beweiserhebung, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 267 Eine Prangerwirkung im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung ist dabei nicht nur hingenommen, sondern geradezu erstrebt. 268 Schließlich geht es bei parlamentarischen Untersuchungen regelmäßig darum, in skandalumwitterten Zeiten verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen. 269 Dass die Volksvertretung sich selbst um politische Missstände kümmert, eine Selbstreinigung des politischen Systems nicht nur möglich ist, sondern auch stattfindet, macht die Information der Öffentlichkeit erforderlich. Schließlich soll in der Bevölkerung das Bewusstsein (wieder-)entstehen, dass die Volksvertretung Skandalen entgegentritt. In diesem Zusammenhang wurde darüber diskutiert, inwieweit ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren „Theater" ist. 270 Darunter könnte ein Aktionismus zu ver-
263
Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: ders., Gesammelte Schriften, S. 496. 264 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 74; Binder, Öffentlichkeit nach Art. 42 I, 44 I GG und das Recht der Massenmedien, in: DVB1 1985, S. 1112(1117); Quaas/Zuck, Ausgewählte Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988, S. 1873 (1876); Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 26; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 44 Rn. 173. 265 Krit. hierzu: Bräcklein, Öffentlichkeit im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2003, S. 348 (351); Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 377. Gegen die Regelung des § 13 Abs. 1 S. 3: Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 139. 266 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 41; Binder, Öffentlichkeit nach Art. 42 I, 44 I GG und das Recht der Massenmedien, in: DVB1 1985, S. 1112 (1112 ff.); vergi. Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 42 Rn. 3 f. 267 Bräcklein, Öffentlichkeit im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2003, S. 348 (349). 268 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 288. 269 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 60. 270 Tagungsprotokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen v. 16. Mai 2001, S. 23 ff.; vergi, exemplarisch Redebeitrag von Wiefelspütz (MdB), S. 23: „Das ist auch Theater, das ist Inszenierung, das ist Leben pur. Es ist Politik und Parlament pur".
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
73
stehen sein, der zur Beruhigung des Volkes in instabilen Zeiten zunächst den Eindruck entstehen lassen soll, dass sich um Missstände gekümmert wird. Auch wenn diese These insofern zu weitreichend ist, als eine parlamentarische Untersuchung aufgrund der einhergehenden Sachverhaltsaufklärung keine Handlung um der reinen Handlung willen bedeutet, verliert der Ausgangspunkt, dass für die Öffentlichkeit durch parlamentarische Untersuchungen erfahrbar wird, wie sich die im Parlament vertretenen Parteien jeweils um die Aufklärung eines Anstoß erregenden Sachverhalts kümmern, nicht an Bedeutung. Dabei geht es insbesondere um die Realisierung der politischen Verantwortung und die Klärung der Vertrauenswürdigkeit von führenden Persönlichkeiten, die vor allem im Rahmen der politischen Diskussion während und nach den Auskünften vor den Untersuchungsausschüssen erfolgt. 271 Daneben können aber auch Private als Auskunftspflichtige herangezogen werden, 272 für diese ist die anprangernde Wirkung der öffentlichen Beweiserhebung nicht angestrebt, aber nicht zu verhindern, soweit dies für die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses erforderlich ist. 2 7 3 Die Publizität parlamentarischer Untersuchungen hat vorrangig das Ziel, dass die Bevölkerung in die im Untersuchungsausschuss stattfindende politische Auseinandersetzung miteinbezogen wird. Damit soll die Aufarbeitung politischer Skandale vermittelt werden, um eine Beschädigung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Funktionieren des politischen Systems zu verhindern. Demnach hat das Öffentlichkeitsprinzip seinen tieferen Grund im Demokratieprinzip und den damit verbundenen Strukturen demokratischer Repräsentati-
4. Sanktionierungen durch Untersuchungsausschüsse und Strafjustiz a) Sanktionierung durch Urteil und diskriminierende
Folgen
Das strafgerichtliche Sachurteil entscheidet darüber, ob ein staatlicher Sanktionsanspruch besteht oder nicht und lautet auf Verurteilung, Freispruch oder Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung. 275 Neben der klar sanktionierenden Wirkung eines Urteils, am deutlichsten gegeben bei der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, sind auch die faktischen Sanktionswirkungen,
Dazu krit.: Bachmaier (MdB), Untersuchungsausschüsse - schärfstes Kontrollinstrument, in: FAZ Nr. 147 v. 28. Juni 2001, S. 10. 27 1 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37). 272 Krit. Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 296 f. 273 Siehe unten II. l.c). 27 4 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 290. 27 5 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 46 Rn. 1.
74
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
die das Ende eines Strafverfahrens für den Tatverdächtigen, aber auch Dritte zeitigen, zu berücksichtigen. Für den Beschuldigten ist dies vor allem die erhebliche diskriminierende Wirkung, die aus dem Fortbestehen der Verdachtsmomente resultieren kann. 276 Auch für Dritte kann ein Strafurteil de facto Sanktionswirkung entfalten, wenn es Feststellungen enthält, die sein Ansehen in der Öffentlichkeit schädigen, auch wenn sein Verhalten nicht strafbar war. Der durch ein Strafverfahren nur mittelbar betroffene Dritte hat keine Möglichkeiten, sich gegen die ihn betreffenden Feststellungen und Würdigungen des Tatrichters zu wehren; der Schutz des Zeugen beschränkt sich auf einen Verfahrensschutz. 277 Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich missbräuchlich ehrverletzende Behauptungen über einen Dritten in einem Strafurteil befinden, aufgrund der angestrebten Objektivität und Zurückhaltung der Gerichte nicht sehr hoch. Eine Verwendung intimer Sachverhalte, in die auch Dritte involviert sind, lässt sich mitunter jedoch gar nicht vermeiden. Die sanktionierende Wirkung des Strafverfahrens erschöpft sich also nicht nur in einer Verurteilung des Angeklagten, sondern kann faktische Sanktionswirkung auch im Falle eines Freispruchs oder für Dritte entfalten.
b) Diskreditierung
durch gerichtsfreien
Abschlussbericht
Neben der Belastung durch die öffentliche Beweiserhebung kommt insbesondere dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses eine sanktionierende Wirkung zu. Nach Abschluss seiner Untersuchung hat der Untersuchungsausschuss gem. § 33 Abs. 1 PUAG dem Bundestag einen schriftlichen (Abschluss-)Bericht vorzulegen, der den Gang des Verfahrens, die ermittelten Tatsachen und das Ergebnis der Untersuchung wiederzugeben hat. Kommt der Untersuchungsausschuss nicht zu einem einheitlichen Ergebnis, besteht gem. § 33 Abs. 2 PUAG für ordentliche Mitglieder, deren Stellvertreter und beratende Ausschussmitglieder die Möglichkeit, abweichende Sondervoten abzugeben278. Neben diesen Bestimmungen steht Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG, der als von Verfassungs wegen geregelte Ausnahme zur Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG eine gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse von Untersuchungsausschüssen ausschließt.279 Intention dieser Verfassungsregelung ist der Schutz der Un-
27 6
Krack, Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 1 ff. mit der Diskussion eines Rehabilitierungsanspruchs; vergi. S. 28 ff., 50 ff. et passim. 27 7 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 305. 278 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 20. 27 9
Achterberg/Schulte,
in: ν .Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 74; Morlok, in:
Dreier, GG, Art. 44 Rn. 54; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 10; Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 65; Schenke, Empfiehlt sich eine Neuordnung
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
75
tersuchungsausschüsse als eigenständiges parlamentarisches Kontrollinstrument vor Eingriffen und Beeinflussungen durch die Rechtsprechung. 280 Die Sanktionswirkung für den Auskunftspflichtigen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen kann vor allem dadurch entstehen, dass der Untersuchungsausschuss - oder in ihm vertretene Minderheiten - im als Bundestagsdrucksache veröffentlichten Abschlussbericht maligne Vorwürfe und Anschuldigungen gegen den Auskunftspflichtigen erheben können. Soweit es sich um rechtlich erhebliche Tatsachen handelt, genießt der Auskunftspflichtige insofern Schutz, als die Gerichte gem. Art. 44 Abs. 4 S. 2 GG in der Würdigung der zugrunde liegenden Sachverhalte frei sind, so dass insoweit eine richterliche Kontrolle möglich ist. Gleichwohl können durch das Parlament publizierte Feststellungen, die nicht auf einen Tatsachenbeweis abzielen, sondern Bewertungen enthalten, eine den Bürger deutlich belastende und damit sanktionierende Wirkung haben. Darunter fallen beispielsweise Beurteilungen, dass bestimmte Handlungen „politisch" oder „moralisch" falsch oder verwerflich waren. Dass innerhalb des Untersuchungsausschusses regelmäßig weitreichende Meinungsdifferenzen zwischen den konkurrierenden politischen Gruppen bestehen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Auskunftspflichtige oder nur mittelbar beteiligte Dritte im Abschlussbericht mit inkriminierenden oder injurierenden Vorwürfen belegt werden, gegen die sie sich nicht gerichtlich wehren können. Dies hat, gerade hinsichtlich Privater als Auskunftspersonen, vielfach Kritik an der Regelung des Art. 44 Abs. 4 GG nach sich gezogen. 281 Allerdings hat der Gesetzgeber auf diese Kritik mit dem Erlass des PUAG durch die Regelung zum rechtlichen Gehör, § 32 PUAG, reagiert. 282 Mit dieser Vorschrift soll ein gewisser Schutz derjenigen Personen erreicht werden, die indirekt in das Untersuchungsverfahren einbezogen worden sind, ohne dass ihnen die Möglichkeit geboten wurde, sich vor dem Untersuchungsausschuss zu den gegen sie im Abschlussbericht erhobenen Vorwürfen oder zu den über sie er-
der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse?, JZ 1988, S. 805
(816).
280 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 56; vergi, mit weiteren Nachweisen zur Entstehungsgeschichte: Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 300 ff. 281 Vergi. Di Fabio , Rechtsschutz im Untersuchungsverfahren, S. 92 ff; Masing, Parlamentarische Kontrolle privater Sachverhalte, S. 299 f; sehr weitreichend: Kästner, Parlamentarisches Untersuchungsrecht und richterliche Kontrolle, NJW 1990, S. 2649 (2652 ff.). 282 Schneider bezeichnet dies als einen „gewissen Rest" des in das PUAG nicht übernommenen Betroffenenstatus: Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2606). Vergi, allerdings zu der Frage, inwieweit die Diskussion um den Betroffenenstatus tatsächlich durch den Erlass des PUAG beendet wurde: unten IV. 2. c).
76
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
stellten Beurteilungen äußern zu können. 283 Nach der Erörterung des Berichtsentwurfs wird diesen Personen gem. § 32 Abs. 2 PUAG die Möglichkeit gegeben, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, deren wesentlicher Inhalt in den Abschlussbericht mit aufzunehmen ist, womit eine Art Gegendarstellungsrecht eingeräumt wurde. 284 Damit ist allerdings nicht die Möglichkeit eröffnet, die belastende Aussage an sich anzugreifen, sondern nur eine - vom Untersuchungsausschuss nachträglich zusammengefasste - Stellungnahme mitzuveröffentlichen. Damit bleibt der Schutz Dritter vor belastenden Behauptungen beschränkt. Der Gerichtsfreiheit der Abschlussberichte kommt trotz des beschränkten Schutzes der Auskunftspflichtigen und anderer Personen, die im Abschlussbericht erwähnt werden, insofern eine große Bedeutung zu, als verhindert wird, dass eine andere Staatsgewalt in die Eigenständigkeit der parlamentarischen Untersuchung und Beurteilung eingreifen kann. Des Weiteren ist hinsichtlich der Belastung, die durch Vorwürfe in Abschlussberichten entstehen, zu bedenken, dass in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass diese Produkt einer politischen Auseinandersetzung und einer subjektiven politisch motivierten Beurteilung sind. Insofern ist die Belastung, die durch solche Vorwürfe entsteht, geringer einzustufen als dies bei Feststellungen nach einer unabhängig geführten Untersuchung der Fall wäre.
5. Vergleichende Zusammenfassung Vergleicht man den jeweiligen Beginn parlamentarischer wie strafverfahrensrechtlicher Untersuchung, ist festzustellen, dass dieser im Rahmen des Strafverfahrens aufgrund des Legalitätsprinzips zwingend ist, sobald ein Anfangsverdacht gegeben ist. Demgegenüber steht die Aufnahme von parlamentarischen Untersuchungen im freien Ermessen des Parlaments bzw. der nach § 1 Abs. 1 PUAG erforderlichen Einsetzungsminderheit. Auch hinsichtlich des Untersuchungsumfangs bestehen Differenzen: So ist die Untersuchungstätigkeit innerhalb des Strafverfahrens grundsätzlich an Straftatbestände gebunden, auch wenn darüber hinaus, beispielsweise bei der Frage der persönlichen Vorwerfbarkeit im Rahmen der Schuld, persönliche Daten erhoben werden können. Demgegenüber ist der nicht auf eine rechtliche, sondern eine politische Beurteilung abzielende Untersuchungsumfang der parlamentarischen Untersuchung wesentlich weiter gefasst und insbesondere nicht auf die Prüfling begrenzt, ob bestimmte gesetzliche Regelungen eingehalten wurden.
283
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 20. 284 Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2606).
. Das Verfahren strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchungen
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Die Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgt in beiden Untersuchungsverfahren in unterschiedlichem Umfang und aus einer unterschiedlichen Motivation. Im Strafverfahren erfolgt die Beteiligung erst ab der Hauptverhandlung, um den möglicherweise unschuldigen Tatverdächtigen nicht unnötig zu belasten; das Vor- und das Zwischenverfahren erfolgen aus diesem Grund nichtöffentlich. Im Strafverfahren liegt die wesentliche Bedeutung des Öifentlichkeitsgrundsatzes darin, aufgrund der öffentlichen Kontrolle das Vertrauen in die Rechtsprechung zu stärken. Der in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG begründete Öffentlichkeitsgrundsatz umfasst demgegenüber die gesamte Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses vom Beginn der Untersuchungstätigkeit an. Die parlamentarische Investigation ist ein Verfahren gerade für die Öffentlichkeit, es ist ein Verfahren, das gerade die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen will und muss, um seinen Verfahrenszweck, die für die Bevölkerung erkennbare Selbstreinigung des politischen Systems, erreichen zu können. Das Strafverfahren ist ein Instrument zur Durchsetzung des staatlichen Sanktionsanspruchs. Sanktionierende Wirkungen zeigen sich allerdings nicht nur in der Verurteilung des Angeklagten, sondern können faktisch, insbesondere durch Rufschädigungen und weiter bestehende Verdachtsmomente, sogar im Fall eines Freispruchs des Angeklagten, aber auch für nur mittelbar beteiligte Dritte, entstehen. Tatverdächtige und Dritte sind vor ungerechter Behandlung im Strafverfahren indes dadurch geschützt, dass der Richter unparteilich ist und anhand rechtlich bestimmbarer Kriterien zu urteilen hat. Das parlamentarische Untersuchungsverfahren kann im Rahmen der öffentlichen Beweiserhebung, insbesondere aber auch durch den gem. Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG gerichtsfreien Abschlussbericht sanktionierende Wirkung entfalten. Hinsichtlich der Realisierung politischer Verantwortung ist der Untersuchungsausschuss auch ein Instrument zur Sanktionierung, das insbesondere auch Verhaltensweisen erfasst, die nicht unter Strafe stehen. Sanktionierende Wirkungen entstehen dabei vor allem aufgrund negativer Feststellungen über einzelne Personen. Dass das gesamte Verfahren im Rahmen einer antagonistisch geführten politischen Auseinandersetzung erfolgt, erhöht die Wahrscheinlichkeit belastender Behauptungen, auch wenn die Ausschussmitglieder aufgrund Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG zur Mäßigung verpflichtet sind. Gegen die im Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss enthaltenen Feststellungen besteht aufgrund Art. 44 Abs. 4 GG kein Rechtsschutz, allerdings begründet § 32 PUAG eine Art Gegendarstellungsrecht des Betroffenen. Ähnlich, obgleich ohne die Einräumung einer dem § 32 PUAG entsprechende Regelung, ist die Situation im Strafverfahren für mittelbar involvierte Dritte, deren Rechtsschutz im Strafverfahren gleichfalls verkürzt ist, da sich diese auch nicht gegen sie betreffende Feststellungen des Strafrichters wehren können. Zeugen genießen ausschließlich einen Verfahrensschutz; selbst freigesprochene Angeklagte haben unter faktischen Diskriminierungen, insbesondere weiterhin bestehende Verdachtsmomente zu leiden. Demnach ist der Rechtsschutz gegen faktische Sanktionierungen infolge negativer Erwähnungen
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
im parlamentarischen Abschlussbericht oder im Strafverfahren, sowohl im Straf- als auch parlamentarischen Untersuchungsverfahren, begrenzt.
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen Eine parallele Untersuchung kongruenter Sachverhalte durch Strafjustiz und parlamentarischen Untersuchungsausschuss erfolgt vor allem im Rahmen von Skandalenqueten. Fraglich ist, inwieweit sich Probleme ergeben können, wenn beide Untersuchungsverfahren auf dieselben Beweismittel, insbesondere staatsanwaltliche Ermittlungsakten und die Aussagen Auskunftspflichtiger, angewiesen sind.
1. Anforderung von strafrechtlichen Ermittlungsakten In der parlamentarischen Untersuchungspraxis haben sich die gleichzeitige Verwendung von Akten und vom Untersuchungsausschuss an andere staatlichen Stellen gestellte Aktenanforderungen als problematisch erwiesen. In der Ausübung der parlamentarischen Beweiserhebung zeigt sich, dass dies insbesondere ftir die Herausgabe von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten gilt. Diese Akten sind fur die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses vor allem deswegen besonders wichtig, weil durch sie ein Rückgriff auf bereits durch die Staatsanwaltschaften gewonnene Erkenntnisse ermöglicht wird. Damit kann sich der regelmäßig ohnehin unter Zeitdruck stehende Untersuchungsausschuss eigene zeitaufwändige Untersuchungen ersparen. Dabei enthalten die Ermittlungsakten regelmäßig Informationen über Personen, die im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses stehen und vor dem Untersuchungsausschuss als Zeugen auskunftspflichtig sind.
a) Differenzierung
zwischen Regierungs- und Ermittlungsakten
Die verfassungsrechtliche Herleitung des Aktenvorlageanspruchs der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse wurde vor Erlass des PUAG durch die Flick-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Wurde vor dieser Entscheidung der Aktenvorlageanspruch gegenüber der Bundesregierung noch vereinzelt aus dem Recht auf Amtshilfe abgeleitet, 285 so ist es nach dieser Entscheidung als weitgehend geklärt anzusehen, dass sich der als „Wesenskern des Untersuchungsrechts" bezeichnete Aktenvorlagenanspruch gegenüber der Re-
285
Löwer, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, DVB1. 1984, S. 757 (763).
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen
79
gierung direkt aus dem Beweiserhebungsrecht gem. Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG ergibt. 2 8 6 Ist das Herausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses nicht auf Akten der Bundesregierung, sondern auf Akten von Länderregierungen oder auch paralleler Strafverfahren gerichtet, so ist nach allgemeiner Ansicht Art. 44 Abs. 3 GG, die Amtshilfe, als Rechtsgrundlage einschlägig. 287 Der Anspruch auf Amts- und Rechtshilfe hat damit Verfassungsrang und dient der Überbrückung der durch das Gewaltenteilungsprinzip begründeten Trennung von Legislative und Judikative und schließt, ähnlich wie Art. 35 GG, die Bedenken aus, die sich aus der Zugehörigkeit von ersuchten und ersuchenden Behörden zu verschiedenen Behördenträgern (Bund und Länder) ergeben können. 288 Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben haben sich auch in der einfachgesetzlichen Ausformung, dem § 18 PUAG niedergeschlagen: § 18 Abs. 1 PUAG regelt das Verfahren hinsichtlich der Bundesregierung, während § 18 Abs. 4 PUAG an Art. 44 Abs. 3 GG anknüpft und für Streitigkeiten, die z.B. mit Strafverfolgungsbehörden eines Landes über die Herausgabe von Ermittlungsakten entstehen, die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs begründet. 289
b) Terminierung
der Aktenherausgabe
Das Anfordern von Strafakten, insbesondere Ermittlungsakten, soll dem Untersuchungsausschuss in Anbetracht der regelmäßig vorliegenden großen Komplexität der vom Untersuchungsauftrag eingeschlossenen Sachverhalte ermöglichen, auf fremde Ermittlungsergebnisse zurückgreifen zu können. Dabei ist die Terminierung der Aktenherausgabe von entscheidender Bedeutung. Das Untersuchungsverfahren ist ein Verfahren für die Öffentlichkeit, 290 in dem festzustel286
BVerfGE 67, 100 (127 ff.); vergi. Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 18; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 44 Rn. 7 f.; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 149; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 47; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 44 Rn. 25; Meinhard Schröder, Das Akten vorlagerecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, ZParl 1984, S. 473 (477); Schröer, Die Akteneinsicht durch Parlamentsausschüsse, DÖV 1986, S. 86 (91); Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 44 Rn. 182. 287 Jekewitz, Einsicht in Strafakten durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NStZ 1985, S. 395 (396); Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 154: Vetter, Parlamentarisches Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, S. 345 (359); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 48; vergi. BVerfGE 67, 100 (128 f.). 288 Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 47. 289 Vergi. Beschlussempfehlung des Bundestagausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 17. 290 Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 286 ff; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 107; Zeh, Regelungsbedarf und Regelungschancen, DÖV 1988, S. 701 (707); LincK Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, ZRP 1987, S. 11 (15 ff.); Binder, Die „Öffentlichkeit" nach Art. 42 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 S. 1 GG, DVB1. 1985, S. 1112 (1117 f.); Quaas/Zuck, Ausgewählte
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
len ist, dass die Aufmerksamkeit und das Interesse der Bevölkerung an der Untersuchung nach zeitlichen Verzögerungen relativ schnell nachlassen und der investigative Parlamentarismus dadurch wesentlich an Wirksamkeit, die eine Wirksamkeit für die öffentliche Wahrnehmung ist, einbüßt. Aufgrund dessen hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt, dass „schon eine bloße Verzögerung die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle entscheidend in Frage stellen" kann. 291 Der Anspruch aus Amtshilfe auf Herausgabe der Ermittlungsakten an den Untersuchungsausschuss folgt verfassungsunmittelbar aus Art. 44 Abs. 3 GG und einfachgesetzlich aus § 18 Abs. 4 PUAG. Die Amtshilfe verpflichtet staatliche Organe anderen staatlichen Stellen bei den ihnen übertragenen Aufgaben zu helfen. Der rechtliche Ursprung dieser Pflicht wird in der Einheit des Staatsorganismus und der Staatsgewalt,292 einer Ableitung aus dem Bundesstaatsprinzip 293 oder einer komplementären Ergänzung dieser beiden Ansätze gesehen. 294 Verfassungsrechtlich schlägt sich dies in Art. 35 GG nieder, aus dem sich eine Pflicht zur Kooperation ergibt. 295 Dass der Untersuchungsausschuss das höchste Verfassungsorgan, den Bundestag, repräsentiert, sollte zunächst dafür sprechen, dass dessen Aktenherausgabeverlangen unter Berücksichtigung der Bedeutung, der der zeitnahen Erfüllung hinsichtlich der Effektivität der parlamentarischen Untersuchung zukommt, von den Landesbehörden zügig erfüllt werden. Dies ist in der Praxis allerdings teilweise nicht der Fall: Insbesondere bei der Anforderung von Ermittlungsakten kann es nämlich zu Konstellationen kommen, in denen der Untersuchungsausschuss einen Beweisbeschluss erhebt und Akten aus einem Bundesland anfordert, dessen Regierung dem Untersuchungsziel des Ausschusses aufgrund parteilicher Interessen und politischer Verbundenheit mit Untersuchungsobjekten kritisch oder sogar feindlich gegenübersteht. In diesem Fall kann der Landesjustizminister, der gem. § 147 Abs. 1 Nr. 2 GVG der aufgrund § 146 GVG weisungsgebundenen Behörde Staatsanwaltschaft vorsteht, versuchen, die Herausgabe der angeforderten Ermittlungsakten zu verzögern, damit dem politischen Gegner nützliche Informationen erst mit einer solchen zeitlichen Verzögerung an die Öffentlichkeit gelangen, dass deren Interesse daran schon wieder gesunken ist. Die Effektivität der parlamentarischen Untersuchung, die auf die politische Urteilsbildung der Bevölkerung gerichtet ist, ist in diesem Fall also abhängig von Entscheidungsträgern, die kein Interesse an ihr haben und ihr mitunter sogar gegnerisch
Probleme zum Recht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, NJW 1988, S. 1873 (1876). 291 BVerfGE 49, 70 (86). 292 BVerfGE 7, 183 (190); BVerwGE 38, 336 (340). Krit. hierzu: Schlink, Amtshilfe, S. 62 ff.; Wessel, Amtshilfe, S. 84 ff. 293 Bull, in: AK-GG 3, Art. 35 Rn. 8 ff. 294 v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 35 Rn. 2. 295 v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 35 Rn. 2.
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen
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gegenüber stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch im Falle einer unrechtmäßigen Herausgabeverweigerung aufgrund der daraufhin entstehenden Rechtsstreitigkeiten erhebliche zeitliche Verzögerungen eintreten können. Als Beispiel sei hier die gerichtliche Klärung eines Beweisbeschlusses des 1. Untersuchungsausschuss des 14. Bundestages genannt, dessen Durchsetzbarkeit die Gerichte weit über ein Jahr lang beschäftigte. 296 Dies bedeutete für den Untersuchungsausschuss aufgrund des Diskontinuitätsprinzips eine große Belastung, da aufgrund der zu diesem Zeitpunkt nur noch begrenzt verbleibenden Zeit des Untersuchungsausschusses nur noch ein Teil der Unterlagen ausgewertet werden konnte. 297 Neben dem nachlassenden Interesse sind noch zwei weitere negative Folgen einer zeitlichen Verschleppung der Verschleppung von Strafakten zu nennen: Zunächst bieten zeitliche Verzögerungen den von der Untersuchung Betroffenen, die im Besitz der Ermittlungsakten sind, 298 die Gelegenheit, Maßnahmen zur Vereitelung von weiteren Sachverhaltsaufklärungen durch den Untersuchungsausschuss zu ergreifen. So kann die Effektivität der parlamentarischen Untersuchung durch das Vernichten von Unterlagen, zu denen die Ermittlungsakten den Weg weisen, erheblich beeinträchtigt werden. Dass derlei Verschleierungsmaßnahmen im Untersuchungsverfahren tatsächlich oder behauptetermaßen im Raum stehen, belegen die Erfahrungen aus der Untersuchungsausschusspraxis. 299 Zweitens ist aber auch die Situation Betroffener zu berücksichtigen, die zu Unrecht Anschuldigungen und Unterstellungen durch den Untersuchungsausschuss ausgesetzt sind. Eine zügige Aktenübermittlung kann auch in ihrem Interesse liegen, wenn dadurch fälschlich erhobene Vorwürfe aufgeklärt werden können.
296 Beweisbeschluss des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestags 14/140 vom 27. Februar 2000 auf Beziehung der Akten des Ermittlungsverfahrens 6 Js 3204/00 der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, der vom Hessischen Justizministerium am 15. März 2000 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass eine Gefährdung des Ermittlungsverfahrens im Raum stehe. Daraufhin erfolgte das Verfahren „3 VAs 48 / 00" vor dem OLG Frankfurt mit Beschlüssen vom 10. Oktober 2000 und 24. Oktober 2000. Daran schloss sich nach einer Beschwerde des Hessischen Justizministeriums ein Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 2001 (2 ARs 355/00) an. Das Verfahren endete schließlich mit den Beschlüssen des OLG Frankfurts vom 19. März 2001 und vom 23. November 2001, nach denen die Akten dem Untersuchungsausschuss vollständig herauszugeben waren und vom Gericht eine unabhängige Person bestimmt wurde, welche Aktenteile dem Untersuchungsausschuss tatsächlich vorgelegt werden können. 297 Vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300 S. 72 a.E. 298 Vergi. Roxin,, StPO25, § 19 Rn. 64, § 37 Rn. 28. 299 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300 S. 53 ff.
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Insgesamt ist also die große Bedeutung, die eine zügige Beiziehung von Ermittlungsakten für die Effektivität einer parlamentarischen Untersuchung hat, zu betonen, wobei festzuhalten bleibt, dass die Akten in der Praxis oftmals erst nach längerer Zeit übergeben werden, wodurch die Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungen erheblich verringert wird.
c) Rechtsgrundlagen für die zeitverzögerte
Aktenherausgabe
Fraglich ist, aus welchen Gründen die ersuchte Behörde die Herausgabe von strafrechtlichen Ermittlungsakten verweigern kann. Eine Rechtsgrundlage für eine Verweigerung der Aktenherausgabe könnte sich aus zwei Gesichtspunkten ergeben. Zunächst eine mögliche Gefährdung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens und auf der anderen Seite der Schutz vor drohenden Grundrechtsverletzungen durch eine Weitergabe der Ermittlungsakten.
aa) Gefährdung des Ermittlungsverfahrens Aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgt, dass das Legislativ-Organ Untersuchungsausschuss nicht in den Kernbereich der der Exekutive zuzuordnenden staatsanwaltlichen Ermittlungstätigkeit eingreifen darf. 300 Daneben findet die Pflicht zur Amtshilfe eine Grenze im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 301 Die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften darf aus diesen Gründen durch das Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses nicht nachhaltig negativ beeinflusst oder in ihrem Erfolg gefährdet werden. Einfachgesetzlich schlägt sich dieser Gesichtspunkt in der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen und Grenzen der Amtshilfe nieder, die in § 5 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG festhält, dass die ersuchte Behörde nicht Amtshilfe zu leisten braucht, wenn „durch die Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährdet" würde. 302 In der Literatur wird teilweise die entsprechende Anwendung der §§ 4 ff. VwVfG befürwortet, 303 wobei in diesen einfachgesetzlichen Vorschriften
300
Vetter, Parlamentarisches Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, S. 345 (349). v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 35 Rn. 27; BVerfGE 27, 344 (352); 65, 1 (44). 302 Dieser Punkt stimmt mit dem Rechtsgedanken des § 147 Abs. 2 StPO überein, der die Staatsanwaltschaft ermächtigt auch der Verteidigung vor Abschluss der Ermittlungen Akteneinsicht zu verweigern, wenn durch eine Aktenausfolge eine Gefährdung des Untersuchungserfolges zu besorgen wäre. Vergi. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 147 Rn. 7; Roxin, StrafVerfahrensrecht 25, § 19 Rn. 64. 301
303
Jarass/Pieroth,
GG, Art. 44 Rn. 7; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 51, der
darauf hinweist, dass eine Anwendung „hilfreich" sei; demgegenüber stellt Morlok in einem Antrag an der OLG Frankfurt a.M. im Verfahren 3 VAs 48/00 vom 20. Septem-
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen
83
aufgrund der verfassungsrechtlichen Begründung des parlamentarischen Untersuchungsrechts durch Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG nach zutreffender Auffassung keine eigenständige Grenze für die Befugnisse eines Untersuchungsausschusses zu sehen ist. 3 0 4 In Zusammenhang mit der Gefährdung der Effektivität der Strafverfolgung wurde grundsätzlich darauf hingewiesen, dass der Untersuchungsausschuss die Möglichkeit habe, seine Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Ende des justizförmigen Verfahrens auszusetzen.305 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein solches Abwarten aufgrund des Diskontinuitätsprinzips mitunter einem Verzicht auf die parlamentarische Untersuchung gleichkäme. 306 Im Falle einer Parallelität beider Verfahren führt das Ziel eines Ausgleichs im Sinne einer praktischen Konkordanz zu dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. 307 In welchen Fällen kann also der Erfolg des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens durch ein Aktenherausgabeverlangen gefährdet werden? Maunz hat darauf hingewiesen, dass die Herausgabe von Akten geeignet sein könne, das laufende Ermittlungs- bzw. Gerichtsverfahren nicht nur zu verzögern, sondern sogar stillzulegen oder zumindest zu unterbrechen. 308 Dieser Einwand kann als von der technischen Entwicklung überholt zurückgewiesen werden; es ist technisch unproblematisch, sogar überaus umfangreiche Dokumente ohne erhebliche zeitliche Verzögerung durch Fotokopien zu reproduzieren. In Betracht kommt aber, dass öffentliche Äußerungen über das Ermittlungsverfahren im Untersuchungsausschuss den Ermittlungserfolg in Frage stellen oder trotz eines Geheimnisschutzes (vergi. § 15 PUAG) Ermittlungsinterna durch Mitglieder des Untersuchungsausschusses an die Öffentlichkeit gelangen. 309 Mit dem Hinweis auf eine Gefährdung des eigenen Aufgabenkreises ist für die um Aktenherausgabe ersuchte Behörde eine Grundlage gegeben, aufgrund derer die He-
ber 2000, S. 8 darauf ab, dass Art. 44 Abs. 3 GG ein „Sonderrecht" sein, in dessen Rahmen das Verwaltungsverfahrensgesetz „keine Anwendung" finde; unklar: Trossmann, Das Akten forderungsrecht der Untersuchungsausschüsse, in: FS für Schellknecht, S. 21 (35). 304 Beschluss OLG Frankfurt a.M., 3 VAs 48/00 v. 19. März 2001, S. 6 f.; vergi. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 154. 305 Meyer-Bohl, Die Grenzen der Pflicht zur Aktenvorlage und Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 114; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 10, Rechenberg, in: BK-GG, Art. 44 Rn. 32; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 20; Jekewitz, Einsicht in Strafakten durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NStZ 1985, S. 395 (396). 306 Vergi, bereits Jacobi, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 88. 307 BVerfGE 67, 100 (144); Vetter, Parlamentarisches Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, S. 345 (358). 308 Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 56; zustimmend: Vetter, Parlamentarisches Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, S. 345 (359); Jacobi, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 84. 309 Vergi. Schäfer, Einsicht in Strafakten, NStZ 1985, S. 198 (203 f.).
84
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
rausgabe der angeforderten Akten an den ersuchenden Untersuchungsausschuss verweigert werden kann. 310
bb) Gewährleistung des gebotenen Grundrechtsschutzes Aufgrund der Gefahr, dass durch die Herausgabe der Ermittlungsakten Gegenrechte Dritter, insbesondere Grundrechte von in den Ermittlungsakten genannten Personen, verletzt werden können, könnte sich eine weitere Grundlage für eine verzögerte oder gänzlich verweigerte Aktenherausgabe ergeben. Um einen effektiven Schutz dieser Rechte zu gewährleisten, könnte dem Adressaten des Aktenherausgabeverlangens, in dessen Obhut und Verwahrung sich die strafrechtlichen Ermittlungsakten befinden, eine Prüfungskompetenz zustehen. Unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt gem. Art. 1 Abs. 3 könnte sich sogar eine Verpflichtung zur Prüfung darüber, ob und in welchem Umfang Akten herausgegeben werden können, ergeben. 311 In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Herausgabe von Bundesregierungsakten, in der das Gericht feststellt, dass die Regierung zu prüfen habe, ob sich geheimhaltungsbedürftige Tatsachen in den angeforderten Akten befinden 312 und dem in § 96 StPO und § 5 Abs. 2 VwVfG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, 313 kann eine solche Prüfungskompetenz der aktenverwahrenden Behörde angenommen werden. 314 Demnach kann sich aufgrund der durch eine Aktenherausgabe drohenden Grundrechtsverletzungen eine Ursache für eine zeitliche Verzögerung der Herausgabe von vom Untersuchungsausschuss angeforderten Ermittlungsakten ergeben, weil der ersuchten aktenverwahrenden Behörde eine diesbezügliche Prüfungskompetenz zukommt.
310 Ablehnend Jekewitz, der allein dem Untersuchungsausschuss das Recht zugesteht, darüber zu entscheiden, welche Beweismittel er für erforderlich hält: Jekewitz, Einsichten in Strafakten durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NStZ 1985, S. 395 (397). 311 Vergi, zur Grundrechtsbindung der Untersuchungsausschüsse: Rechenberg, in: BK-GG, Art. 44 Rn. 7; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 33 ff.; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 210; Scholz, Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (604 ff.); M. Schröder, Untersuchungsausschüsse, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 46 Rn. 23 ff. 312 BVerfGE 67, 100(138). 3,3 Beschluss OLG Frankfurt a.M., 3 VAs 48/00 v. 19. März 2001, S. 9. 314 Allgemein ein Zuständigkeit der aktenführenden Stelle betonend: Söllner, Gutachterliche Stellungsnahme für den hessischen Landtag vom 21. Juli 2000, S. 19.
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen
d) Verfahren
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der Aktendurchsicht
Die Ablehnung der ersuchten Behörde, die Akten herauszugeben, kann indes nicht endgültige Entscheidung sein, ob der parlamentarische Untersuchungsausschuss die Ermittlungsakten erhält. Im Fall, dass der Aktenherausgabeanspruch aufgrund der genannten Gründe nicht erfüllt wird, stehen sich das aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 GG ergebende Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf der einen Seite und auf der anderen Seite die zu schützenden Individualrechte bzw. die aufgrund des Gewaltenteilungsund Verhältnismäßigkeitsprinzips zu sichernde Wirksamkeit der staatsanwaltlichen Ermittlungstätigkeit, gegenüber. Damit stehen Rechtsgüter mit Verfassungsrang in Konflikt. Das Erzielen eines Ausgleichs im Sinne praktischer Konkordanz erfordert, dass die auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüberstehenden Rechtspositionen im jeweils konkreten Fall so zugeordnet werden, dass beide soweit wie möglich ihre Wirksamkeit entfalten: Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen dem im öffentlichen Interesse liegenden Untersuchungsauftrag des Untersuchungsausschusses und den entgegenstehenden Rechten unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 315
aa) Möglichkeiten der Problemlösung Es kommen mehrere Alternativen in Betracht, wer die angeforderten Akten sichtet und darüber entscheidet, ob sie im Rahmen der parlamentarischen Beweiserhebung Verwendung finden dürfen oder nicht. Zunächst könnten die angeforderten Akten vollständig an den Untersuchungsausschuss ausgehändigt und diesem die Prüfung, inwieweit geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten sind und diese mit Geheimnisschutzmassnahmen gemäß §§ 15, 16 PUAG zu sichern sind, überlassen werden. 316 Jedoch ist zu beachten, dass es aufgrund der gegenläufigen politischen Interessen der im Untersuchungsausschuss vertretenen Abgeordneten immer zu Indiskretionen kommen kann und diese aufgrund der Anzahl der Ausschussmitglieder - diese hat sich in der Praxis bei 11 eingependelt,317 im 1. Untersuchungsausschuss des 14. Bundestages waren es 15 Mitglieder 318 - nur schwer zu verhindern und zu ahnden sind.
315 BVerfGE 67, 100 (144); Vetter, Parlamentarisches Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, S. 345 (360). 316 Vergi. Jekewitz, Einsicht in Strafakten durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NStZ 1985, S. 395 (397). 317 Engels, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 63; vergi. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 37. 318 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300 S. 30 f.
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Demgemäß ist mit der uneingeschränkten Herausgabe der Akten kein verhältnismäßiger Ausgleich gegeben, weil der Schutz entgegenstehender Rechte nur ungenügend gewährleistet wäre. Als nächstes käme es in Betracht, die Durchsicht und Prüfung der Akten der ersuchten aktenverwahrenden Landesbehörde, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Landesdatenschutzbeauftragten, zu überlassen. Doch auch dieses Modell berücksichtigt die gegenläufigen Interessen der im Untersuchungsausschussverfahren vertretenen Parteien zu wenig. Wäre nämlich die ersuchte Behörde aufgrund entsprechender Weisungen der Landesregierung untersuchungsausschussfeindlich eingestellt, führte diese Möglichkeit zu einer unangemessenen Verkürzung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Aktenherausgabeanspruchs. 319 Weiterhin bestünde die Möglichkeit, dass eine unabhängige Person, prädestiniert wären Richter oder Hochschullehrer, die Ermittlungsakten hinsichtlich ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit ventiliert. Diesem Modell hat das Bundesverfassungsgericht in seiner „Neuen Heimat"-Entscheidung hinsichtlich beschlagnahmter Akten den Vorzug gegeben.320 Dieser Vorgehensweise kann entgegengehalten werden, dass die Einschaltung einer dritten Person nicht sachgerecht sei, weil diese mangels Kenntnis der bisherigen Tätigkeit des Untersuchungsausschusses vor allem in Streitfragen nicht zuverlässig darüber urteilen könne, welche Aktenteile für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags relevant seien und welche nicht. 321 Der Vorzug einer Prüfung durch einen unbeteiligten neutralen Dritten liegt in dessen Independenz, die eine von den konfligierenden Parteiinteressen freie Entscheidung gewährleisten kann. Als letzte Alternative wäre das vom Bundesverfassungsgericht so bezeichnete „Vorsitzendenverfahren" zu nennen.322 Nach diesem werden die angeforderten Akten zunächst nur an den Untersuchungsausschussvorsitzenden und seinen Stellvertreter zur Durchsicht und Prüfung der Relevanz und der Geheimhaltungsbedürftigkeit herausgegeben. Indem der stellvertretende Vorsitzende gem. § 7 Abs. 1 2. HS PUAG einer anderen Fraktion als der Vorsitzende angehören muss, treffen also Angehörige zweier im Untersuchungsausschuss konkurrierender Parteien eine Entscheidung, wodurch eine ausgewogene Lösung zu erwarten ist. Des Weiteren ist eine etwaige Indiskretion leichter zuzuordnen als wenn alle Ausschussmitglieder informiert wären. Neben diesen positiven Aspekten sind allerdings auch negative zu berücksichtigen. Zunächst ist es nicht 319
Vergi. BVerfGE 67, 100 (144 f.). BVerfGE 77, 1 (55); krit. Linck, Anmerkung zum Beschluss des BVerfG, DÖV 1988, S. 264 (265); Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 218. 321 Vergi. Beschluss OLG Frankfurt a.M., 3 VAs 48/00 v. 19. März 2001, S. 12. 322 BVerfGE 67, 100 (138 f.); 77, 1 (56). 320
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gesichert, dass der Untersuchungsausschussvorsitzende und sein einer anderen Partei zugehöriger Stellvertreter aufgrund der unterschiedlichen politischen Zielsetzung, die mit der Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses verbunden ist, tatsächlich zu einer einvernehmlichen Entscheidung kommen. Die unterschiedlichen parteipolitischen Interessen des Vorsitzenden und seines Stellvertreters sprechen dafür, dass in Zweifelsfallen eine Entscheidung über die Verwendungsmöglichkeit bestimmter Teile der angeforderten Akten erschwert oder verhindert wird, so dass weiterhin Uneinigkeit besteht.323 In diesem Fall ist die zeitliche Verzögerung zu bedenken, die dadurch eintritt, dass der Untersuchungsausschussvorsitzende und sein Stellvertreter unter Umständen überaus umfangreiche Aktenbestände sichten und beraten müssen, um im Anschluss doch nicht zu einer übereinstimmenden Entscheidung zu kommen, 324 was unter Berücksichtigung des zeitlichen Faktors auf parlamentarische Untersuchungen als negativ einzustufen ist. Weiterhin ist es mit dem Gleichwertigkeitsgrundsatz von Urkunden- und Zeugenbeweis325 kaum vereinbar, dass die Zahl der kenntnisnehmenden Ausschussmitglieder bei Durchsicht und Prüfung von angeforderten Ermittlungsakten beschränkt werden soll, bei geheimhaltungsbedürftigen Zeugenaussagen dagegen nicht. 326 Indem der Ausschussvorsitzende und sein Stellvertreter hinsichtlich ihres Wissens bezüglich des Akteninhalts besser als die übrigen Ausschussmitglieder gestellt sind und damit privilegiert werden, wird zudem der Grundsatz formalisierter Gleichbehandlung der parlamentarischen Mandatswahrnehmung 327 beeinträchtigt. 328 Demnach stehen den Vorteilen, die das Vorsitzendenverfahren bietet, schwerwiegende Nachteile gegenüber.
bb) Regelung im PUAG Mit dem Erlass des PUAG hatte der Gesetzgeber Gelegenheit, sich zu den verschiedenen Alternativen der Aktendurchsicht zu äußern. Der Gesetzgeber 323
Vergi. Beschluss OLG Frankfurt a.M., 3 VAs 48/00 v. 19. März 2001, S. 13. Dieser Vorgang hat im 1. Untersuchungsausschuss des 14. Bundestages über ein halbes Jahr in Anspruch genommen; vergi, die Beschlüsse des OLG Frankfurt a.M., 3 VAs 48/00 v. 19. März 2001 und v. 23. November 2001. 325 Vergi. Roxin, StrafVerfahrensrecht 25, § 15 Rn. 13 ff. 326 Meinhard Schröder, Neuordnung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse?, E 74. 327 Vergi. BVerfGE 40, 296 (317 f.). 328 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 153. Achterberg/Schulte beziehen sich bei ihrer Ablehnung des Vorsitzendenverfahrens allerdings auf das Aktenvorlagerecht auf Vorlage von Regierungsakten des Bundes, während Aktenvorlageansprüche hinsichtlich Ermittlungsakten nicht problematisiert werden; vergi. a.a.O., Rn. 154. 324
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
differenziert dabei in § 18 PUAG zwischen dem Vorlageanspruch gegenüber der Bundesregierung (§ 18 Abs. 1 PUAG) und dem Vorlageanspruch auf sächliche Beweismittel gegenüber Gerichten und Verwaltungsbehörden (§ 18 Abs. 4 PUAG). Hinsichtlich der Regierungsakten ergibt sich aus der Beschlussempfehlung des gesetzesvorbereitenden Bundestagausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, dass auf eine Normierung der „Einzelschritte bei einem Ersuchen auf Vorlage von Beweismitteln und insbesondere von der Festschreibung des sog. Vorsitzendenverfahrens abgesehen" wurde, wobei dieses „bei Bedarf eingesetzt werden könne. 329 Demgegenüber findet sich in § 18 Abs. 4 S. 2 PUAG bezüglich Amts- und Rechtshilfe von Gerichten und Verwaltungsbehörden eine abweichende Regelung, die eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs begründet, der auf Antrag des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder entscheidet. Dabei wird in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 18 Abs. 4 ausdrücklich auf die Fälle von Streitigkeiten mit „Strafverfolgungsbehörden eines Landes auf Herausgabe von Ermittlungsakten" hingewiesen.330
cc) Bewertung der Regelung in § 18 Abs. 4 PUAG Der Gesetzgeber hat sich mit der Regelung des § 18 Abs. 4 PUAG für die Überprüfung der angeforderten Unterlagen durch einen neutralen Dritten, den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof, entschieden.331 Ergänzend anzumerken ist, dass sich der Gesetzgeber mit § 30 Abs. 4 S. 2 PUAG in einer ähnlichen Interessenslage, nämlich bei der Entscheidung über die Aufhebung von Geheimhaltungsgraden bezüglich der von Privaten erlangten Beweismitteln, gleichfalls für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof entschieden hat. Die Einschaltung des Ermittlungsrichters bietet gegenüber den anderen möglichen Verfahrensweisen einen Vorteil hinsichtlich der zu erwartenden Objektivität der Entscheidung. Gegenüber dem sog. Vorsitzendenverfahren schließt die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters eine langwierige und gegebenenfalls ergebnislose Streitigkeit zwischen Untersuchungsausschussvorsitzendem und seinem Stellvertreter aus. Dies ist unter Beachtung des Zeitdrucks, unter dem die Beweiserhebung von Untersuchungsausschüssen insbesondere aufgrund des Diskontinuitätsprinzips steht, 332 als positiv zu beurtei-
329
Beschlussempfehlung des Bundestagausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14 / 5790, S. 17. 330 Beschlussempfehlung des Bundestagausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14 / 5790, S. 17. 331 Krit.: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 356. 332 Hierzu kritisch: Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 44 Rn. 25.
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len. Andererseits kann der mitunter enorme Umfang der angeforderten Unterlagen einer zügigen Prüfung durch eine einzelne Person, vorliegend dem Ermittlungsrichter, entgegenstehen. Würden dem Ermittlungsrichter aus diesem Grund Hilfspersonen zur Seite gestellt, erhöhte sich die Gefahr einer Indiskretion, diese wäre allerdings aufgrund der richterlichen Neutralität unwahrscheinlicher, als wenn man die Prüfung dem Untersuchungsausschuss überließe. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es hinsichtlich der Prüfung, inwieweit Aktenherausgabeverlangen zu Recht verweigert werden, keine umfassend befriedigende Lösung geben kann. Insbesondere das Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses hat aufgrund der mit der erforderlichen Prüfung einhergehenden zeitlichen Verzögerung nahezu zwingend zu leiden. Gleichwohl ist der gesetzgeberischen Entscheidung mit § 18 Abs. 4 PUAG eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof zu begründen, insofern zuzustimmen, als sie den schonendsten Ausgleich der betroffenen rechtlichen Interessen bei jeweils optimaler Wirksamkeit herstellt.
2. Mehrmalige Auskünfte und Qualität der Aussage Ein Gesichtspunkt, der bereits in der Weimarer Republik als Problematik im Verhältnis von Strafjustiz und parlamentarischem Untersuchungsverfahren erkannt wurde, ist die abnehmende Qualität der Aussagen von Auskunftspflichtigen aufgrund mehrfacher Aussagen zum selben Sachverhalt. 333 Führte diese mögliche Folge einer doppelten Aussage im strafrechtlichen Schrifttum damals noch zur Ablehnung paralleler Untersuchungen durch Straf- und parlamentarischem Untersuchungsverfahren, 334 ist die Prognose der mehrfachen Auskunftspflicht in verschiedenen Untersuchungsverfahren von der Untersuchungspraxis bestätigt worden._Parallel zur Untersuchungstätigkeit des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages fanden gleichzeitige Ermittlungen durch elf Staatsanwaltschaften, fünf weitere Ermittlungsverfahren in ausländischen Staaten, durch zwei Gerichtsverfahren und durch vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Länderebene statt. 335 Aufgrund der mitunter gegebenen Übereinstimmung der in die untersuchten Skandale involvierten Personengruppe ist davon auszugehen, dass mehrere Personen sogar häufiger als zweimal zu übereinstimmenden Sachverhalten aussagen mussten. Dem Hinweis auf die abnehmende Qualität der Zeugenaussagen, insbesondere aufgrund der Beeinflussung der Erinnerung des Auskunftspflichtigen, aber auch durch die Festlegung auf einmal getätigte Aussagen ohne straffreie Rückkehrmöglichkeit zur Wahr333
Vergi. Jacobi, Verhandlungen zum 34. DJT, S. 82. Siehe oben 1. Teil III. 2. c). 335 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 32-42. 334
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heit, ist nicht zu bestreiten. Allerdings sollten die Auswirkungen von mehrmaligen Vernehmungen zum selben Sachverhalt aufgrund ihrer Geringfügigkeit nicht überbewertet werden. Weiterhin lassen sich mehrfache Vernehmungen einzelner Auskunftspflichtiger aufgrund der Zulässigkeit paralleler Untersuchungen und der Gleichberechtigung der Untersuchungsarten gar nicht verhindern, so dass die grundsätzlich mögliche Brauchbarkeitsminderung der Aussage hinzunehmen ist.
3. Ermittlungsbeauftragte des Untersuchungsausschusses Mit Erlass des PUAG wurde die neue Institution des Ermittlungsbeauftragten in das parlamentarische Untersuchungsrecht eingeführt. Inwieweit dieses Novum zu Konflikten mit dem Strafverfahren führen kann, ist nach einer Klärung der Kompetenzen dieses neu geschaffenen Rechtsinstituts einzuschätzen.
a) Bestellung und Kompetenzen des Ermittlungsbeauftragten Der Ermittlungsbeauftragte kann jederzeit und muss auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder (§ 10 Abs. 1 S. 1 PUAG) bestellt werden; die Person des Ermittlungsbeauftragten wird gem. § 10 Abs. 2 S. 1 PUAG mit einer Mehrheit von Zweidritteln der Ausschussmitglieder bestimmt. Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit soll gewährleistet werden, dass der Ermittlungsbeauftragte von einer breiten Mehrheit im Untersuchungsausschuss getragen wird, um die fiir seine Arbeit notwendige Akzeptanz zu finden. 336 Wird die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, so bestimmt der Ausschussvorsitzende gem. § 10 Abs. 2 S. 2 PUAG in Einvernehmen mit seinem Stellvertreter die Person des Ermittlungsbeauftragten. Aufgabe von Ermittlungsbeauftragten ist es, sächliche Beweismittel zu beschaffen und zu sichten und die zu beurteilenden Sachverhalte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufzubereiten. Damit soll die bei komplexen Sachverhalten sehr schwerfällige und zeitaufwändige Vorarbeit dem Untersuchungsausschuss abgenommen werden, damit sich dieser auf die eigentlichen Kernfragen reduzieren kann. 337 Die Kompetenzen des Ermittlungsbeauftragten ergeben sich aus § 10 Abs. 3 PUAG. Hierzu gehören vor allem das Beschaffen und Sichten der sächlichen Beweismittel von öffentlichen Stellen (§ 18 PUAG) und von herausgabepflich-
336
Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15. 337 Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses fiir Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15.
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tigen Privaten (§ 30 PUAG), das Recht auf Augenscheinnahme (§ 19 PUAG) sowie informatorische Anhörungen von Zeugen und Sachverständigen (§ 10 Abs. 3 S. 6). Wird einem entsprechenden Begehren des Ermittlungsbeauftragen hinsichtlich der sächlichen Beweismittel nicht Folge geleistet, bedarf es gem. § 10 Abs. 3 S. 5 PUAG eines förmlichen Beweisbeschlusses des Untersuchungsausschusses nach § 17 Abs. 1 PUAG. Nach Abschluss seiner Tätigkeit, die auf sechs Monate begrenzt sein soll (§ 10 Abs. 1 S. 2 PUAG), 3 3 8 erstattet der Ermittlungsbeauftragte gem. § 10 Abs. 3 S. 9 PUAG dem Untersuchungsausschuss schriftlich und mündlich einen Bericht, der einen lediglich empfehlenden Charakter hat. 339
b) Bewertung des Ermittlungsbeauftragten Fraglich ist, wie sich das neu geschaffene Institut des Ermittlungsbeauftragten in das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einfügt.
aa) Konzentration auf Kernfragen Die Kreation des Ermittlungsbeauftragten intendiert vorrangig, dem Untersuchungsausschuss zeitintensive und umfangreiche Vorarbeit abzunehmen und diesem damit zu ermöglichen, schnell und konzentriert auf die Schwerpunkte der Untersuchung einzugehen.340 Dadurch soll der Ermittlungsbeauftragte laut Bachmaier einer „ausgewogeneren Aufgabenerfüllung" dienen. 341 Der Gedanke der Arbeitserleichterung gilt in besonderem Maße für kleinere Fraktionen, deren Mitgliederanzahl im Untersuchungsausschuss klein ist und die über keinen großen Mitarbeiterstab verfügen, so dass das einzelne Untersuchungsausschussmitglied einem mitunter übergroßen Arbeitspensum entgegen-
338
Die zeitliche Begrenzung soll einer Verschleppung der Untersuchung vorbeugen und grenzt den Ermittlungsbeauftragten von dem aus dem US-amerikanischen Recht bekannten unabhängigen Sonderermittler ab, der aufgrund seiner Unabhängigkeit auch über die Dauer seiner Untersuchungen entscheidet und im Übrigen kein Parlamentsorgan, sondern eine spezielle Einrichtung der Strafverfolgung ist. Vergi. Winkelmann, Bericht über eine Delegationsreise zum Thema des Untersuchungsrechts und Untersuchungsverfahrens in den USA in: Drucksache des BTag-Ausschusses für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung zum Untersuchungsrecht und Untersuchungsverfahren 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, S. 7 f. 339 Vergi. Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2606). 340 Bachmaier, Plenarprotokoll des 14. BTages, 165. Sitzung am 6. April 2001, S. 16145. 341 Bachmaier, Der Ermittlungsbeauftragte, NJW 2002, S. 348 (348).
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
sieht. 342 Dieser erhoffte positive Effekt der Arbeitserleichterung ist der einzige Grund, der sich in den Protokollen der parlamentarischen Beratung zur Begründung der Einführung des Ermittlungsbeauftragten findet. 343 Dabei ist allerdings fraglich, ob man eine Arbeitserleichterung für die kleineren Fraktionen nicht auch anders, ohne Entscheidungsgewalt über die Auswahl und Sichtung von Beweismitteln an eine Institution außerhalb des Untersuchungsausschusses abzugeben, hätte erreichen können. Plöd berichtet in diesem Zusammenhang von seiner Erfahrung aus der Praxis der Untersuchungsausschüsse, dass „den einzelnen Fraktionen im Ausschuss jeweils eine Arbeitsgruppe mit mehreren Juristen zur Verfügung steht, die das Beweismaterial aufarbeiten und bewerten kön-
bb) Gefährdung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme Ausgangspunkt der parlamentarischen Beweiserhebung ist Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG nach dem die Vorschriften über den Strafprozess auf die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses sinngemäß anzuwenden sind. Im Strafverfahren, namentlich in der Hauptverhandlung, gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Dieser besagt, dass die Beweisaufnahme nicht anderen Personen überlassen werden darf, sondern die Beweise vom urteilenden Gericht in der Hauptverhandlung selbst wahrgenommen werden müssen.345 Auch wenn der Begriff der „sinngemäßen Anwendung" nicht einheitlich bestimmt wird, 3 4 6 ist davon ausgehen, dass - insbesondere bei einer funktionalen Auslegung - der Grundsatz der Unmittelbarkeit aufgrund des Verweises von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auch innerhalb parlamentarischer Untersuchungen gilt. Daneben besagt Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG, dass der Untersuchungsausschuss - und eben kein Unterausschuss oder ein Ermittlungsbeauftragter - die erforderlichen Beweise in öffentlicher Verhandlung erhebt. Durch die Delegation der Beweiserhebung mittels der Vorauswahl der Beweismittel durch den Ermittlungsbeauftragten wird der
342
Hörster (MdB), Redebeitrag, in: Protokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 31. 343 Van Essen, Plenarprotokoll des 14. BTags, 165. Sitzung am 6. April 2001, S. 16151; vergi. Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2608). 344 Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 90. 345
Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 44 Rn. 2; Friedrich-Christian
Sehr oeder, Straf-
prozessrecht, Rn. 250 ff.; Beulke, Strafprozessrecht Rn. 410 ff. 346 Vergi. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 44; Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564 (608 f.); Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 119 f.; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 260 f.
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Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt. Die Arbeit des Ermittlungsbeauftragten unterscheidet sich nämlich von einer reinen unterstützenden Zuarbeit dadurch, dass der Ermittlungsbeauftragte eine eigenständige Entscheidungsmacht über die Auswahl und Sichtung der sächlichen Beweismittel hat. 347 Durch die Bestellung eines Ermittlungsbeauftragten befreien sich die Untersuchungsausschussmitglieder somit von einer ihrer ureigensten Obliegenheiten, die im Mittelpunkt jedes parlamentarischen Untersuchungsverfahrens stehen, und aus diesem Grunde nicht delegierbar sind. 348 Diese Annahme wurde mit dem nicht überzeugenden Hinweis bestritten, dass auch im Strafverfahren vor der Hauptverhandlung Zeugen durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft vernommen werden würden, ohne dass dies den Grundsatz der Unmittelbarkeit verletze. 349 Bei diesem Argument bleiben jedoch neben der Frage, ob der Vergleich überhaupt sachgerecht ist, die sich aus § 10 PUAG ergebenden weiterreichenden Befugnisse des Ermittlungsbeauftragten unberücksichtigt. 350 Das Institut des Ermittlungsbeauftragten droht den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung zu verletzen. Dies wäre mit dem Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess nicht zu vereinbaren. 351
cc) Praktikabilität des erforderlichen Einsetzungsquorums Die Person des Ermittlungsbeauftragten 352 ist gem. § 10 Abs. 2 S. 1 PUAG mit einer Mehrheit von zwei Dritteln zu bestimmen. Ziel dieser Regelung ist es, dass die Arbeit des Ermittlungsbeauftragten von einem möglichst großen Kon347
Undeutlich in dieser Frage: Schmidt (MdB), Plenarprotokoll des 14. BTages, 165. Sitzung am 6. April 2001, S. 16148, der darauf abstellt, dass der Ermittlungsbeauftragte „lediglich eine dienende Funktion" „im Innen Verhältnis" habe. Vergi. Pieper/Viethen, Erläuterungen zum PUAG, in: Das Deutsche Bundesrecht, 34 I A, S. 22. 348 Schneider, Spielregeln fur den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2608); gleichfalls gegen die Abgabe von Verantwortung der Parlamentarier an den Ermittlungsbeauftragten: Wiefelspütz (MdB), Redebeitrag, in: Protokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 24; Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 90; anderer Ansicht: Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 44 Rn. 196. 349 Bachmaier, Der Ermittlungsbeauftragte, NJW 2002, S. 348 (348). 350 Schneider, Letztmals: Der Ermittlungsbeauftragte, NJW 2002, S. 1328 (1328). 351 Dieser Punkt bedarf einer umfangreicheren Prüfung, die an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann und spezielleren Abhandlungen über den Ermittlungsbeauftragten vorbehalten ist. 352 Zu Recht kritisiert Plöd, dass sich im PUAG keine Regelung darüber findet, welche Qualifikation der Ermittlungsbeauftragte haben muss oder aus welchem Personenkreis er auszuwählen ist: Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 91.
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
sens begleitet wird. 3 5 3 Gegen die erforderliche Zweidrittelmehrheit kann eingewandt werden, dass somit die Einsetzungsminderheit von einem Viertel der Mitglieder (§ 10 Abs. 1 S. 1 PUAG) gegebenenfalls auf einen Ermittlungsbeauftragten angewiesen ist, mit dessen Person sie nicht einverstanden ist. 354 Daneben ist ein solch hohes Maß an Übereinstimmung zwischen den im Untersuchungsausschuss vertretenen Mitgliedern in der Praxis nicht zu erwarten. Schließlich ist die Arbeit im Untersuchungsausschuss nicht vorrangig von einem gemeinsamen Aufklärungsinteresse geprägt, sondern den gegenläufigen Interessen konkurrierender politischer Parteienvertreter. Dass in dieser gespannten Lage eine Zweidrittelmehrheit erreicht wird, ist überaus unwahrscheinlich. Dies hat zu der überzeugenden Prognose geführt, dass es gar nicht zu der Einsetzung des Ermittlungsbeauftragten aufgrund einer Zweidrittelmehrheit kommen werde. 355 Wird der Ermittlungsbeauftragte hingegen aufgrund einer (in der Praxis ebenfalls unwahrscheinlichen) Einigung zwischen Untersuchungsausschussvorsitzenden und seinem Stellvertreter bestimmt (§ 10 Abs. 2 S. 2 PUAG), ist das Ziel, dass die Arbeit des Ermittlungsbeauftragten von einem breiten Konsens begleitet wird, von Anbeginn an verfehlt.
c) Konfliktpotential
zum Strafverfahren
Auch wenn von der Unzulässigkeit der Delegation der Beweiserhebung an den Ermittlungsbeauftragten und der fehlenden Praktikabilität des zur Bestimmung erforderlichen Einsetzungsquorums von einer Zweidrittelmehrheit auszugehen ist, ist eine Einsetzung von Ermittlungsbeauftragten gleichwohl zukünftig nicht auszuschließen. Demnach bedürfen deren Konsequenzen einer Ventilierung, wobei an dieser Stelle eine Konzentration auf das Verhältnis zum Strafverfahren vorgenommen wird. Fraglich ist, inwieweit das noch nicht in der Praxis erprobte Untersuchungsausschussinstrument „Ermittlungsbeauftragter" Probleme im Verhältnis zum Strafverfahren aufwerfen kann. Ausgangspunkt könnten bereits Abhängigkeiten der Person des Ermittlungsbeauftragten von den am Strafverfahren beteiligten Organen der Strafjustiz sein. Hier wird die Regelung relevant, dass der Ermittlungsbeauftragte gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 PUAG im Rahmen seines Auftrags unabhängig ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers können deshalb Angehörige von Justiz oder Verwaltung nur dann
351
Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15; Bachmaier, Plenarprotokoll des 14. BTags, 165. Sitzung am 6. April 2001, S. 16145. 354 Schneider, Redebeitrag, in: Protokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 31. 355 Wiefelspütz (MdB), Redebeitrag, in: Protokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 24.
II. Mögliche Konfliktlagen paralleler Untersuchungen
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zum Ermittlungsbeauftragten bestimmt werden, wenn sie für den Zeitraum ihrer Tätigkeit als Ermittlungsbeauftragter von ihren dienstlichen Aufgaben freigestellt werden. 356 Damit ist ein Konflikt in der Person des Ermittlungsbeauftragten zunächst ausgeschlossen. Gleichwohl könnten, gerade bei parallelen Untersuchungen, Probleme zwischen der Arbeit des Ermittlungsbeauftragten und den Strafverfolgungsorganen in Zusammenhang mit Auskunftspflichtigen entstehen. Dabei ist zunächst zu klären, inwieweit Auskunftspflichten im Rahmen der Arbeit der Ermittlungsbeauftragten überhaupt entstehen können. Nach § 10 Abs. 3 S. 6 PUAG dürfen Ermittlungsbeauftragte Personen ausschließlich „informatorisch anhören". Daraus folgt, dass eine erzwingbare Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen alleine dem Untersuchungsausschuss vorbehalten ist 3 5 7 und eine Auskunft vor dem Ermittlungsbeauftragten nicht der Wahrheitspflicht unterliegt. 358 Mangels Auskunftspflicht vor dem Ermittlungsbeauftragten besteht somit keine Möglichkeit, dass in diesem Punkt Konflikte zwischen Ermittlungsbeauftragtem und Strafverfahren entstehen. Aus dem Recht zur Beschaffung und Sichtung von sächlichen Beweismitteln (§ 10 Abs. 4 S. 2 ff.) können sich keine anderen Probleme ergeben als die, die diesbezüglich zwischen Untersuchungsausschuss und Strafjustiz bestehen, da im Falle einer nichtfreiwilligen Herausgabe ein Beweisbeschluss gem. § 17 Abs. 1 PUAG des Untersuchungsausschusses erforderlich ist. 359 Insofern kann auf die Feststellung über Aktenherausgabeverlangen von Untersuchungsausschüssen verwiesen werden. 360 Dasselbe gilt für den Fall, dass im Strafverfahren Akten benötigt und angefordert werden, die sich aufgrund einer freiwilligen Herausgabe im Gewahrsam des Ermittlungsbeauftragten befinden: Auch hier greift die Pflicht zur Amtshilfe und zur Kooperationen zwischen den einzelnen staatlichen Organen. 361
356
Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15. 357 Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15 358 Schmidt (MdB), Redebeitrag, in: Protokoll der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 29. 359 Vergi. Bachmaier, Der Ermittlungsbeauftragte, NJW 2002, S. 348 (348). 360 Siehe oben II. 1. 361 Der 1. Untersuchungsausschuss des 14. Bundestages hat dem Ersuchen verschiedener Staatsanwaltschaften ausnahmslos entsprochen. Vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300 S. 47.
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Die Ausgestaltung der Regelung der Institution des Ermittlungsbeauftragten bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass zwischen diesem, sollte er tatsächlich einmal von einem Untersuchungsausschuss bestellt werden, und der Strafjustiz Konflikte in der jeweiligen Aufgabenerfüllung entstehen können.
4. Zwischenergebnis Der Anspruch des Untersuchungsausschusses auf Herausgabe von Gerichtsund insbesondere staatsanwaltlichen Ermittlungsakten ergibt sich aus der Amtshilferegelung des Art. 44 Abs. 3 GG und ist einfachgesetzlich in § 18 Abs. 4 S. 1 PUAG kodifiziert. Die Durchsetzung dieses Anspruchs wurde in der Untersuchungspraxis oftmals von der ersuchten aktenverwahrenden Behörde mit dem Hinweis auf eine ernstliche Gefährdung des Erfolges ihrer eigenen Aufgaben und dem gebotenen Grundrechtsschutz der Betroffenen verweigert. Damit wurde die Effektivität der parlamentarischen Beweiserhebung deutlich beeinträchtigt. Der Gesetzgeber hat sich unter den verschiedenen Verfahrensmöglichkeiten der Durchsicht und Prüfung der Akten in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Herausgabeverweigerung in § 18 Abs. 4 S. 2 PUAG für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof entschieden. Dieser Entscheidung ist unter Berücksichtigung alternativer Lösungsmöglichkeiten aufgrund ihrer Sachdienlichkeit zuzustimmen. Gleichwohl ist es unvermeidbar, dass die unter Zeitdruck stehenden Beweiserhebungen der Untersuchungsausschüsse unter den erforderlichen Prüfungen der mitunter überaus umfangreichen Akten leiden müssen. Unproblematisch ist dagegen, dass Auskunftspflichtige aufgrund des Nebeneinanders von Untersuchungsausschüssen und Strafverfahren gegebenenfalls mehrfach aussagen müssen. Die deswegen mögliche Minderung der Qualität der Aussage ist erstens minimal und zweitens aufgrund der Zulässigkeit und Gleichberechtigung paralleler Untersuchungsverfahren nicht zu vermeiden. Das mit § 10 PUAG neu in das parlamentarische Untersuchungsrecht eingeführte Institut des Ermittlungsbeauftragten ist aufgrund eines drohenden Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme überaus fragwürdig. Eine Einsetzung des Ermittlungsbeauftragten mit der im Untersuchungsrecht systemwidrigen Zweidrittelmehrheit (§ 10 Abs. 2 S. 1 PUAG) ist zukünftig nicht zu erwarten. Insgesamt ist das Institut des Ermittlungsbeauftragten als verfehlt abzulehnen. Keine spezifischen Probleme birgt im Verhältnis zur Strafjustiz und zu den Auskunftspflichtigen indessen die virtuelle Einsetzung des Ermittlungsbeauftragten.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte Im Rahmen der Beweiserhebung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zählt die Reichweite der Auskunftspflicht von Zeugen seit jeher zu den umstrittenen Fragen. 362 Dabei findet die Auskunftspflicht in den strafprozessrechtlich und grundgesetzlich begründeten Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechten ihre Grenzen.
1. Das nemo-tenetur-Prinzip als Ausgangspunkt Das nemo-tenetur-Prinzip (im Folgenden teilweise als NTP abgekürzt) ist der im Strafverfahren geltende Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, durch eigenes Tun an seiner Strafverfolgung mitzuwirken. 363 Damit stellt das NTP die Grundlage der Aussagefreiheit des Beschuldigten im Strafprozess dar, welche der Konfliktsituation Rechnung tragen soll, in der sich der Beschuldigte befindet. 3 6 4 Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Beschuldigte in einer Abwehrposition gegenüber den strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten befindet, die für ihn einen Verlust an Rechtsgütern wie Freiheit, Vermögen und Ehre nach sich ziehen können. In diesem Fall wird es als wider die Natur des Menschen angesehen, wenn sich der Beschuldigte als Waffe gegen sich selbst verwenden lassen müsste, 365 da es eine Leugnung des natürlichen Selbsterhaltungstriebes wäre, sich völlig der Strafverfolgung unterzuordnen. 366 Es ist demgemäß allgemein anerkannt, dass es kein Grundsatz der Strafprozessordnung ist, die Wahrheit „um jeden Preis" zu erforschen. 367 Im Strafverfahren wird diesem Problem vor allem durch § 136 Abs. 1 S. 2 StPO Rechnung getragen, 368 demzufolge der Beschuldigte darauf hinzuweisen 362
Vergi. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 129. Flankierende Selbstbezichtigungsverbote gibt es darüber hinaus im Zivilprozessrecht (§ 384 Nr. 2 ZPO), in der Abgabenordnung (§ 103 S. 1 AO), im Verwaltungsverfahrensrecht (§ 65 Abs. 2 S. 1 VwVfG) und im Sozialrecht (§ 21 Abs. 3 SGB X). Verfassungsrechtlich fragwürdig ist die Regelung des § 8 AsylVfG; vergi, hierzu die Kritik bei: Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 25 Rn. 13. 364 Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 136 Rn. 21 m.w.N. 365 Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 145 m.w.N. auf naturrechtliche Begründungsansätze in Rechtsprechung und Lehre. 366 Rüping, Zur Mitwirkungspflicht des Beschuldigten und Angeklagten, in: JR 1974 S. 135 (136 FN 14 f.). 367 BGHSt 14, 358 (365); Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 24 Rn. 16; Störmer, Strafprozessuale Verwertungsverbote, Jura 1994, S. 621 (621). 368 Vergi. Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht aufgeklärten Beschuldigten, S. 46 ff. 363
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschsse
ist, dass er sich in der Vernehmung auf die Fragen seines Gegenübers nicht einzulassen braucht. 369 Das Erforschen der Wahrheit „um jeden Preis", wird dadurch geschwächt, dem Befragten ist es möglich, sich den Fragen jederzeit zu entziehen. Aber auch im Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO und der Zeugenschutzbestimmung des § 68 a StPO findet sich der Grundgedanke des NTP wieder: 3 7 0 im Gegensatz zum normalen Zeugen, der seit jeher im Interesse einer erfolgreichen Ermittlung zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet ist (vergi. §§ 153 ff. StGB), wird diese Pflicht für denjenigen Zeugen suspendiert, der sich (oder einen Angehörigen) vor Strafverfolgung bzw. Ehrverletzungen schützen will. Dies erfolgt aufgrund der im Vergleich zum Beschuldigten gleichgelagerten Konfliktsituation des Zeugen, sich selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, wegen seines Schweigens Zwangsmitteln wie Ordnungsgeld oder Beugehaft ausgesetzt zu werden (vergi. § 70 StPO) oder durch eine Falschaussage einen neuen Straftatbestand zu verwirklichen (vergi. §§ 153 ff. StGB).
2. Verfassungsrechtliche Begründung des nemo-tenetur-Prinzips Die Frage nach der rechtlichen Herleitung des NTP ist gleichwohl nicht mit dem Hinweis auf die oben genannten einfachgesetzlichen Vorschriften des Strafverfahrensrechts beantwortet. Dabei sind die gesetzliche Begründung des NTP und die Bestimmung der Reichweite desselben, insbesondere fur die Frage von Aussageverweigerungsrechten im Falle paralleler Untersuchungen durch Strafjustiz und parlamentarischen Untersuchungsausschuss, von Relevanz.
a) Uneinheitliche Herleitung in Rechtsprechung und Lehre Erste Anhaltspunkte fur die rechtliche Begründung des NTP könnten sich aus den einfachgesetzlichen Vorschriften ergeben. Allerdings setzen die die Aussageverweigerungsrechte betreffenden Vorschriften die Geltung des allgemeinen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst aussagen
369
Entsprechendes gilt auch bei einerrichterlichen Vernehmung (§ 243 Abs. 4 S. 1 StPO), für jemanden, der aufgrund eines Haftbefehls ergriffen wurde (§115 Abs. 3 S. 1 StPO), für den vorläufig Festgenommenen (§ 128 Abs. 1 S. 2 StPO), sowie für Vernehmung durch einen Staatsanwalt oder durch Polizeibeamte (§§ 163 a Abs. 3 S. 2 und 163 Abs. 4 S. 2 StPO). 370 Rogali, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 238.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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zu müssen, zwar als selbstverständlich voraus, begründen dieses Privileg hingegen nicht selbst. 371 Zwar enthalten die den Beschuldigten betreffenden Vorschriften die Pflicht der verhörenden Person den Hinweis auf das Recht (§115 Abs. 3 S. 1 StPO) bzw. die Freiheit (z.B. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO) nicht zur Sache aussagen zu müssen, zu geben, allerdings wird die Herkunft dieses Privilegs in diesen Vorschriften nicht eindeutig festgestellt. Für die den Zeugen betreffenden § 55 StPO, der im Falle drohender Selbstbelastung ein Auskunftsverweigerungsrecht gewährt, gilt entsprechendes. 372 Nachdem sich aus den einfachgesetzlichen Regelungen keine Herleitung des NTP ergibt, muss zur Bestimmung der rechtlichen Grundlage des NTP weiterhin festgestellt werden, dass das Verbot des Zwanges zur selbstbezichtigenden Aussage nicht allein ein beachtenswerter Rechtsgrundsatz ist, der sich aus der Geschichte des deutschen Strafverfahrensrechts ergibt, 373 sondern vielmehr mit der allgemeinen Auffassung als ein Prinzip mit Verfassungsrang anzusehen ist. 3 7 4 Herrscht in diesem grundsätzlichen Punkt Einigkeit, so bestehen doch bei der Herleitung aus den Regelungen des Grundgesetzes Unterschiede. Diese Differenzen können wiederum Auswirkungen auf die Reichweite der Auskunftsverweigerungsrechte haben, was insbesondere daraus resultiert, inwieweit das NTP der absolut geschützten und damit abwägungsresistenten Menschenwürde zugeordnet wird. Im Schrifttum 375 und der Rechtsprechung 376 wird die verfassungsrechtliche Grundlage des NTP überwiegend in der Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG erkannt. Allerdings finden sich auch andere Ansichten, die im Folgenden untersucht werden.
371 BVerfGE 38, 105 (113), 55, 144 (150); BGHSt 1, 39 (40); 20, 281 (282); 25, 325 (330); Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 104, Dingeldey, Das Prinzip der Aussagefreiheit im Strafprozessrecht, JA 1984, S. 407 (408); a.A. ohne Begründung: Peters, Der Strafprozess, S. 207. 372 BVerfGE 38, 105 (113); BGHSt 1, 39 (40). 373 Zur historischen Entwicklung: Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 157 f.; Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 67 ff; Nothelfer·, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 3 ff. 374 BVerfGE 38, 105 (113 f.); Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 124, 139 ff.; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 140; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 40; Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen, S. 96 ff. 375 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 380; Kühl, Freie Beweiswürdigung des Schweigens des Angeklagten, JuS 1986, S. 115 (117 FN 17). 376 BVerfGE 38, 105 (114 f.); 55, 144 (150); 56, 37 (43); BGHSt 14, 358 (364 f.).
100 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
b) Die Freiheit der Person Eine Ansicht vertritt, dass das Schweigerecht des Beschuldigten ein subjektives öffentliches Recht darstelle, das „im weitesten Sinne im Grundrecht der persönlichen Freiheit" (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) wurzele. 377 Nach heute herrschender Ansicht ist unter „persönlicher Freiheit" allein die körperliche Bewegungsfreiheit zu verstehen. 378 Zu einer Herleitung des NTP aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG käme man also nur über das Konstrukt, dass durch eine erzwungene Selbstbelastung und eine nachfolgende strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingegriffen werden. Dem kann entgegengehalten werden, dass somit ausschließlich die Fälle erfasst würden, in denen eine Freiheitsstrafe droht, während Fälle, in denen nur eine Geldstrafe droht, nicht erfasst würden, da durch eine solche nicht einmal der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG berührt wäre. Folglich kann aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG das NTP nicht als verfassungsunmittelbares Prinzip hergeleitet werden, das allgemeine Gültigkeit besitzt.
c) Die Gewissensfreiheit Eine weitere mögliche Herleitung des NTP wird in Art. 4 Abs.l GG, der als unverletzlich garantierten Freiheit des Gewissens, gesehen. 379 Unter Gewissen versteht man ein real erfahrbares Phänomen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. 3 8 0 Dem Verständnis des von der Rechtsprechung so umschriebenen Gewissensbegriffs hat sich die Literatur weitestgehend angeschlossen.381 Als Gewissensentscheidung kann Jede ernste sittliche Entscheidung, d.h. an den Kategorien
377
Wessels, Schweigen und Leugnen im Strafverfahren, JuS 1966, S. 169 (171). Starch, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 180; Podlech, in: AK-GG2, Art. 2 Abs. 2 Rn. 44 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 366; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 413; eine früher vereinzelt vertretene Auffassung, dass auch die Freiheit der Willensentschließung mitgeschützt sei, ist aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und vor allem des Verhältnisses zu Art. 2 Abs. 1 GG als überholt anzusehen. Vergi. Dürig, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 49 FN 2. 379 Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 146 ff. (150); Zippelius, in: BK-GG, Art. 4 Rn. 40. 380 BVerfGE 12, 45 (54); BVerwGE 9, 97 (97 f.). 381 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 522; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 125; Zippelius, in: BK-GG, Art. 4 Rn. 34 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4Rn. 13. 378
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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von „Gut" und „Böse" orientierte Entscheidung" gesehen werden, zu der sich der Einzelne innerlich „unbedingt" verpflichtet fühlt. 3 8 2 Dem Staat kommt indes nicht das Recht zu, zu bestimmen, was unter der Sittlichkeit zu verstehen ist; welchen Maßstab der Einzelne an „sittlich verpflichtende" Entscheidungen legt, darf der Staat nicht kontrollieren. 383 Eine verlangte Übereinstimmung der Gewissensentscheidung mit einem vorgegebenen Rahmen würde die Gewissensfreiheit demnach verletzen. 384 Zu einer Herleitung des NTP eignet sich die Gewissensfreiheit aus diesem und dem zur Ablehnung von Art. 2 Abs. 2 GG genannten Grunde, dass die Verfassungsnorm keine allgemeingültige Herleitung gewährleistet, nicht: Zwar mag es in Ausnahmekonstellationen Beschuldigte geben, die es aufgrund fester persönlicher Überzeugung (z.B. religiöser Art) als verbindlichen Gewissensbefehl empfinden, sich selbst in einem Strafverfahren nicht zu belasten. 385 Indem dies jedoch nicht den Regelfall darstellt, lässt sich somit keine allgemeingültige Begründung des NTP in der Gewissensfreiheit finden. Die verfassungsrechtliche Herleitung des NTP ergibt sich somit nicht aus der als unverletzlich garantierten Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG.
d) Der Anspruch auf rechtliches Gehör Die vereinzelt vertretene Auffassung, die Begründung des nemo-teneturPrinzips aus der Verfassung ergebe sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1, Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG), stellt in der Begründung vor allem auf den Wortlaut dieser Vorschriften ab. So hält Art. 104 Abs. 3 GG fest, dass der Richter dem Beschuldigten Gelegenheit zu Einwendungen zu geben habe. Aus der Formulierung, dass eine bloße Gelegenheit zur Äußerung erforderlich sei, wird gefolgert, dass somit eine Aussagepflicht ausgeschlossen sei. 3 8 6 Diesem Argument könnte wiederum die Tatsache entgegengehalten werden, 382 BVerfGE 12, 45 (55); BVerwGE 9, 97 (97 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte Rn. 522. 383 Starch, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 60; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts Rn. 383 FN 18 m.w.N.; insbesondere zur Säkularisierung der Gewissensfreiheit: Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 127 m.w.N. in FN 36. 384 Unter dieser Prämisse ist deshalb die Argumentation falsch, dass eine Aufhebung des NTP schon deshalb mit Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar wäre, weil das Gewissen das Eingestehen begangenes Unrecht verlange; vergi. Fischer, Divergierende Selbstbelastungspflichten, S. 105. 385 Bosch, Aspekte des Nemo-Tenetur-Prinzips, S. 45 386 Niese, Narkoanalyse als doppelfunktionelle Prozesshandlung, ZStW 63 (1951), S. 219 ff.; Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 51.
102 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
dass damit keine allgemeingültige Herleitung des NTP gefunden ist, da sich Art. 104 Abs. 3 GG ausschließlich auf Vernehmungen durch den Richter bezieht, während andere Organe nicht erfasst werden. 387 Stichhaltig verwerfen lässt sich mit diesem Gedanken ein Herleitungsansatz aus Art. 104 GG jedoch nicht, da der Versuch „naheliegend erscheint", den engen Anwendungsbereich im Wege eines Analogieschlusses oder des argumentum a maiore ad minus auf nichtrichterliche Vernehmungsorgane auszuweiten. 388 Doch geht dieser Erweiterungsgedanke jedenfalls dann fehl, wenn sich bereits aus der engeren Grundkonstellation keine Begründung des NTP ergibt. Der auf den Wortlaut abstellenden Ansicht ist zuzugeben, dass das Wort „Gelegenheit" im allgemeinen Sprachgebrauch darauf hindeutet, dass es dem Beschuldigten freisteht, ob er sich äußern will oder nicht. Insofern wird durch den Wortlaut der Art. 103 Abs. 1, 104 Abs. 3 GG keinesfalls eine Aussagepflicht begründet, allerdings wird auch nicht zwingend ausgeschlossen, dass dies an anderer Stelle gesetzlich begründet werden könnte. 389 Dass durch diese Vorschriften allein positiv ein Äußerungsrecht eingeräumt wird, nicht jedoch negativ ein Schweigerecht, verdeutlicht die ratio dieser Verfassungsnormen, welche darin liegt, dem Beschuldigten das Recht zu geben, sein rechtliches und tatsächliches Wissen beisteuern zu können, um so an einer gerechten Entscheidung mitzuwirken. 390 Dieses Recht verbessert neben der Aussagefreiheit die Rechtsstellung des Beschuldigten, allerdings stehen diese beiden Verfahrensrechte nebeneinander und begründen sich nicht gegenseitig. Das Recht sich zu äußern, enthält nicht das Recht, im Fall drohender Selbstbelastung zu schweigen. Das Verbot des Zwanges zur selbstbezichtigenden Aussage ergibt sich somit nicht aus dem grundgesetzlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör.
e) Das Rechtsstaatsprinzip In Rechtsprechung 391 und Literatur 392 findet sich häufig die Formulierung, dass sich das NTP aus rechtsstaatlichen Grundsätzen ergebe. Demnach ist fraglich, inwieweit das Selbstbezichtigungsverbot seine rechtliche Grundlage im
387
Wassermann, in: AK-GG 2, Art. 103 Rn. 12; Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 5. Nothelfer, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 52. 389 Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 125. 390 BVerfGE 9, 89 (95); Pieroth/SchlinK Grundrechte, Rn. 1076 f.; Rüping, in: BKGG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 4 ff. 391 BVerfGE 38, 105 (113); 55, 144 (150); BGH, StV 2001, S. 257 (257 f.); BGHSt 1,39 (40). 392 Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen, GA 1978, S. 193 (198); Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 140 ff., S. 157; Müller-Dietz, Die Stellung des Beschuldigten im Strafprozess, ZStW 93 (1981), S. S. 1177 (1208). 388
. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte 103
Rechtsstaatsprinzip 393 findet. Unter Rechtsstaat versteht man einen Staat, dessen Ziel die Gewährleistung von Freiheit und Gerechtigkeit im staatlichen Bereich ist und dessen Machtausübung durch Recht und Gesetz begrenzt ist. 3 9 4 Das Rechtsstaatsprinzip wird von seinen geschriebenen 395 und ungeschriebenen 396 Einzelteilen geprägt, so dass bei der Untersuchung, ob und inwieweit sich das NTP verfassungsrechtlich aus dem Rechtsstaatsprinzip herleitet, auf diese Teilelemente abgestellt werden muss. Zunächst soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit untersucht werden, da das Bundesverfassungsgericht die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang mit dem Argument begründet hat, dass anderenfalls für den Beschuldigten eine „Unzumutbarkeit" vorläge. 397 Das Kriterium der „Unzumutbarkeit" ist ein Teilelement der uneinheitlich benannten Prüfungspunkte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 398 und wird nach der heute wohl überwiegend verwendeten Diktion als letztes Kriterium unter dem Begriff der Verhältnismäßigkeit i.e.S. geprüft, nach der im Rahmen einer Abwägung festgestellt wird, ob zwischen Eingriff und Zweck ein recht gewichtetes Verhältnis besteht. 399 An dem Wertungsgrundsatz der Abwägung zeigt sich jedoch, dass es sich bei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz um ein rein „regulatives Prinzip" handelt, mit dem Entscheidungen wertfrei geprüft, 400 jedoch keinesfalls neue rechtliche Grundlagen geschaffen werden sollen. 401 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann also durchaus ei393
Die normative Herleitung des Rechtsstaatsprinzips ist uneinheitlich. Teilweise (BVerfGE 35, 41 (47), 48, 210 (221)) wird ausschließlich auf Art 20 Abs. 3 GG abgestellt, demgegenüber wird teilweise betont, dass sich dieses Prinzip nicht aus Art. 20 GG ergebe (ausdrücklich BVerfGE 30, 1 (24)). An anderer Stelle wird der Rechtsstaatsgrundsatz als ungeschriebene Verfassungsnorm bezeichnet, der sich aus dem Zusammenwirken der Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4; Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG und der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergebe (vergi. BVerfGE 2, 380 (403); 45, 187 (246); ähnlich: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 183 ff.) Zusammenfassend: Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 63 ff. Im Kontext zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Selbstbezichtigungsgebotes sind indes allein die rechtlichen Folgen des Rechtsstaatsprinzips relevant, so dass eine genaue Bestimmung der normativen Grundlage an dieser Stelle nicht zu erfolgen braucht. 394 Zu weiteren Definitionsansätzen: Stern, Staatsrecht I, § 20 III, S. 781; nach Hesse ist im Rechtsstaat das Recht der „primäre Ordnungsfaktor", vergi., ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 195. 395 Vergi. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 21 ff. 396 Verhältnismäßijgkeitsprinzip, Rechtssicherheit und Veitrauensschutz, Grundsatz des fair trial und das Obermaßverbot; vergi. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 256 f. 397 BVerfGE 56, 37 (49). 398 Vergi. Stern, Staatsrecht III / 2, S. 782 ff; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19 m.w.N. 399 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 289. 400 Hierzu kritisch: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 291 ff. 401 Henkel, Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit als regulatives Prinzip, in: FS für Mezger, S. 249 (267 f.; 303 f.).
104 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
ne eigene Bedeutung im Rahmen von Entscheidungen über die Reichweite des NTP haben, verfassungsrechtlich begründen vermag er die Schweigebefugnisse hingegen nicht. Die Rechtsprechung stellt unter anderem auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip entstammende Unschuldsvermutung* 02 als Rechtsgrundlage des NTP ab. 403 Inhaltlich begründet die Unschuldsvermutung eine gesetzliche Annahme der Schuldlosigkeit der tatverdächtigen Person. Dieser Meinungsgruppe kann mit Rogali entgegengehalten werden, dass das Verbot der erzwungenen Selbstbezichtigung selbst dann gelten könnte, wenn der Tatverdächtige als schuldig vermutet werden würde. 404 Das NTP realisiert für die Aussageperson nur dann den beabsichtigten Schutz, wenn es ergänzend neben der Unschuldsvermutung besteht,405 da sonst jedes Schweigen als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte. 406 Der Unschuldsvermutung kommt in Bezug auf das NTP nur eine ergänzende, aber keine rechtsbegründende Stellung zu. Somit stellt die Unschuldsvermutung nicht die verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang dar. Des Weiteren wird das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Recht auf ein faires Verfahren 0 7 (vergi. Art. 6 Abs. 1 EMRK) als verfassungsrechtliche Grundlage des NTP genannt, da aus der gebotenen „Selbstbeschränkung der staatlichen Mittel gegenüber den beschränkten Mitteln des Einzelnen" 408 unter dem Gesichtspunkt der Fairness eine Schweigebefugnis geboten sei. Allerdings sind die Konkretisierungen des Fairnessgebotes eher vage. 409 So stellt das Bundesverfassungsgericht fest, das Recht auf ein faires Verfahren enthalte keine „in
402 BVerfGE 19, 342 (347); 22, 254 (265); 53, 152 (162); a.A.: Stürner, „Fair trial", JZ 1980, S. 1 (3 FN 24 m.w.N). 403 Wessels, Schweigen und Leugnen im Strafverfahren, JuS 1966, S. 169 (173); Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen, GA 1978, S. 193 (199); Rüping, Zur Mitwirkungspflicht des Beschuldigten, JR 1974, S. 135 (138); vergi. Dingeldey, Das Prinzip der Aussagefreiheit im Strafprozess, JA 1984, S. 407 (409). 404 Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 109 ff. 405 Nothelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 40. 406 Vergi, zu dieser problematischen Frage: Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensmäßige Wahrheitsermittlung, NJW 1981 S. 1757(1758). 407 BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 40, 95 (99); 46, 202 (210); 52, 203 (207); 63, 45 (61); 65, 171 (174 f.). 408 BVerfGE 38, 105 (111); Buchholz betont, dass das faire Verfahren ein Eigenwert sei, der die Akzeptanz der richterlichen Entscheidung in der Öffentlichkeit und bei Beschuldigten erhöhe; vergi, ders., Der Betroffene im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 80. 409 Vergi. Tettinger, Fairness und Waffengleichheit, S. 51.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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allen Einzelheiten bestimmte Gebote und Verbote", es bedürfe vielmehr der „Konkretisierung je nach den sachlichen Begebenheiten". 410 Dabei kommt dem Recht auf ein faires Verfahren die Funktion eines akzessorischen Hilfsanspruches dergestalt zu, dass die bereits bestehenden Rechte des Tatverdächtigen möglichst effektiv umzusetzen sind. Indem das Recht auf ein faires Verfahren allein auf die Sicherstellung bestehender Rechte beschränkt ist, ist es nicht geeignet, selbst originäres Recht zu begründen, 411 sondern stellt sich selbst vielmehr als „ausfüllungsbedürftiges Blankett" auf der Grundlage des jeweils geltenden Rechts dar. 4 1 2 Aus diesem Grund kann das Recht auf ein faires Verfahren nicht zur verfassungsrechtlichen Begründung des NTP herangezogen werden. Insgesamt betrachtet ergibt sich aus keinem der Teilelemente des Rechtsstaatsprinzips eine verfassungsrechtliche Herleitung des nemotenetur-Prinzips. Insofern ist dessen Rechtsgrundlage nicht das Rechtsstaatsprinzip. Die im NTP enthaltene Machtbeschränkung des Staates verkörpert zwar einen maßgebenden Gesichtspunkt des Rechtsstaatsgedankens, ohne gleichwohl durch diesen verfassungsrechtlich begründet zu sein.
j) Die Würde des Menschen In den Stellungnahmen der Rechtsprechung 413 zum NTP wird in der Mehrzahl die Würde des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Begründung des NTP genannt, ebenso in der Literatur zum N T P . 4 1 4 Würde eine Pflicht zur Aussage tatsächlich die Menschenwürde des Auskunftspflichtigen beeinträchtigen, so wäre dies aufgrund der fehlenden Einschränkungsmöglichkeit der Menschenwürde zwingend rechtswidrig 415 und damit das NTP vollständig abwägungsresistent konstituiert.
4,0
BVerfGE 57, 250 (276). Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Rn. 86; Heubel, Der „fair trial" - ein Grundsatz des Strafverfahrens, S. 139, vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 11 Rn. 9 ff. 412 Nothelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 50. 413 BVerfGE 38, 105 (114 f.); 55, 144 (150); 56, 37 (42); BGHSt 14, 358 (364 f.); BVerwGE, NJW 1968, S. 2121 (2121). 4.4 Dreier, in: ders., GG, Art. 1 Rn. 81; Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 61 f.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 380; Kühl, Freie Beweiswürdigung des Schweigens des Angeklagten, JuS 1986 S. 115 (117 FN 17); vergi. Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 140. 4.5 Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen, GA 1978, S. 193 (195). 411
106 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
aa) Aussagezwang und Objektformel Den Schutzbereich der durch Art.l Abs.l GG garantierten Menschenwürde zu bestimmen, unterliegt aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit des Begriffes zahlreichen Schwierigkeiten. 416 Das Bundesverfassungsgericht griff in seiner frühen Rechtsprechung auf die von Dürig begründete sog. Objektformel 417 zurück, nach der es der menschlichen Würde widerspräche, vom Staat zum bloßen Objekt, 418 zu einem bloßen Mittel oder zu einer vertretbaren Größe herabgewürdigt zu werden. Später wurde die Bestimmung allein nach der Objektformel aufgegeben und verstärkt auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt, wobei teilweise auf das subjektive Kriterium der „verächtlichen Behandlung" abgestellt wurde. 419 Dieses Kriterium ist nicht unumstritten und wird, wie die anderen über die reine Objektformel hinausgehenden Ansätze, im weiteren Verlauf behandelt. Als Ausgangspunkt soll zunächst die Frage geklärt werden, ob der Zwang zu einer selbstbezichtigenden Aussage im Strafverfahren den Beschuldigten tatsächlich zu einem bloßen Objekt im Staate degradierte. Dies ist von besonderer Relevanz, wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgeht,420 dass die Objektformel alleine zwar keine eindeutige Bestimmung einer Menschenwürdeverletzung erlaubt, aber zumindest die Richtung andeutet.421 Bei der Feststellung einer Objektstellung hat das Bundesverfassungsgericht oftmals 422 mit dem Gegensatzpaar des sich selbst bestimmenden Subjekts und des fremdbestimmten Objekts gearbeitet. 423 Unter diesem Gesichtspunkt könnte eine Objektstellung des aussagepflichtigen Beschuldigten bejaht werden, wenn man berücksichtigt, dass die der Menschenwürde immanente Freiheit der Willensbestimmung durch einen Zwang zur Selbstbelastung gebeugt würde. Dies könnte
416 Höfling, Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, S. 857 (860); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 353-358, mit dem Hinweis auf zweieinhalbtausend Jahren Philosophiegeschichte, die auf diesem Begriff lasten. 4,7 Dürig, Der Grundrechtssatz der Menschenwürde; AöR 81 (1956), S. 117 (127); ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rn. 28, 34. 418 Vergi. BVerfGE 9, 89 (95). 4,9 Vergi. BVerfGE 30, 1 (26); NJW 1993, S. 3315 (3315); Podlech, in: AK-GG3, Art. 1 Rn. 15; Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Rn. 57 ff.; krit.: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 360. 420 BVerfGE 30, 1 (25 f.). 421 Beachtlich allerdings das Sondervotum in BVerfGE 30, 33 (40), nach dem mit der Objektformel „keineswegs nur die Richtung" angedeutet werde, sondern „unmittelbar*4 der Maßstab gesetzt werde. 422 BVerfGE 27, 1 (6); 38, 105 (114); 45, 187 (228); 50, 166 (175); 57, 250 (275). 423 Kritik hierzu: Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 141; Höfling, Unantastbarkeit der Menschenwürde, in: JuS 1995, S. 857 (860); Kühne, Strafprozessuale Beweisverwertungsverbote und Art. 1 GG, S. 76 ff.
III. Begründung der strafrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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den Beschuldigten aus der Position eines selbstbestimmten Subjekts in eine fremdbestimmte Objektstellung drängen. Diesen Gesichtspunkt scheint das Bundesverfassungsgericht seinen Erwägungen zugrunde zu legen, wenn es feststellt, dass es „unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre", wenn ein Mensch gezwungen werden würde, durch eigene Aussage „die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen". 424 Allerdings lassen sowohl die Urteilsbegründung als auch die Stellungnahmen der sie stützenden Literatur eine genaue Begründung dieser Aussage vermissen. Gegenteilig könnte der Zwang zur Aussage gerade Ausdruck der Achtung sein, die dem Beschuldigten im Strafverfahren entgegengebracht wird; einerseits, weil seine Aussage ernst genommen wird, andererseits, weil er letztlich nur die Konsequenzen seines eigenen Handelns zu tragen hat. 425 Demnach kann an dieser Stelle noch kein eindeutiges Ergebnis mit der Anwendung der Objektformel erzielt werden. Will man nun der Gefahr wirksam begegnen, dass die Objektformel aufgrund ihrer Unbestimmtheit als „beliebig einsetzbare Floskel instrumentalisiert" wird, 4 2 6 sind zusätzliche Wertungskriterien erforderlich, die nun im Folgenden in ihren Auswirkungen auf die Selbstbezichtigungsfreiheit betrachtet werden.
bb) Gewicht des Eingriffs durch Pflicht zur selbstbelastenden Aussage Bei der Herausarbeitung weiterer Kriterien neben der Objektformel gewinnt der Umstand besondere Bedeutung, dass jeder Eingriff in die Menschenwürde eine Verletzung dieses Grundrechts ist, 427 weil die Menschenwürde im Wertesystem des Grundgesetzes oberstes Konstitutionsprinzip ist und deshalb weder im Interesse anderer Grundrechte noch durch andere Werte mit Verfassungsrang beeinträchtigt werden darf. 428 Diese fehlende Restriktionsmöglichkeit der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG lässt im Wege einer „vergewissernden Kontrollüberlegung" 429 Rückschlüsse auf die Konkretisierung des Menschenwürdebegriffs zu: Indem die Verfassung jeden Eingriff in den Schutzbereich ausnahmslos als rechtswidrig einstuft und somit jedwede Abwä-
424
BVerfGE 56, 37 (42). Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen, GA 1978, S. 193 (197); Fischer, Divergierende Aussagepflichten, S. 97; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 51. 426 Höfling, Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, S. 857 (860). 427 BVerfGE 75, 369 (380): Höfling, Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, S. 858 (859). 428 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 365. 429 Höfling. Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, S. 857 (860). 425
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
gung mit noch so wichtigen Staatsinteressen 430 oder elementaren Drittinteressen verbietet, kann dies nur bedeuten, dass allein ein absoluter Kernbereich von Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird. 4 3 1 Demnach ist der von der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Bereich eng auszulegen, so dass ein Eingriff nur bei schweren Beeinträchtigungen gegeben ist, 4 3 2 während minderschwere Eingriffe allein nach der Maßgabe der anderen Grundrechte zu beurteilen sind. Aufgrund dessen ist an dieser Stelle fraglich, ob die durch einen Zwang zur Aussage verursachte Schwere des Eingriffs tatsächlich ausreicht, um eine Objektstellung des Beschuldigten zu bejahen. Zwar könnte man argumentieren, dass der Beschuldigte wider seinem Willen als eine Art „Registriermaschine" 433 zur Wiedergabe und Auswertung seiner Sinneswahrnehmungen als bloßes Objekt genutzt wird, was sich als schwerer Eingriff interpretieren ließe. Andererseits könnte man eine Aussagepflicht wiederum als zwangsläufige Folge der Subjektstellung des Beschuldigten begreifen, da er ohne eigene Beteiligung zwangsläufig Objekt eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens wäre. 434 Wenn an dieser Stelle somit keine eindeutige Festlegung zu erzielen ist, ist zudem zu bedenken, dass ein Beschuldigter in einem Strafverfahren häufig und zwangsläufig als fremdbestimmtes Objekt behandelt wird. 4 3 5 Die tatverdächtige Person wird bereits durch die Aufnahme personenbezogener strafrechtlicher Ermittlungen zum „Objekt" der Strafverfolgung, was sich sehr deutlich in den möglichen Eingriffen in die körperliche Integrität (z.B. einer Blutentnahme auf der Rechtsgrundlage des § 81 a StPO 4 3 6 ) zeigt. 437 Eine besonders herausragende Schwere eines Zwanges zur Selbstbelastung kann demgegenüber nicht festgestellt werden, gerade wenn man berücksichtigt, dass als eindeutige Menschenwürdeverletzungen schwerwiegende Eingriffe wie völlige Entrechtung einer Person, 430 Selbst in den Fällen staatlichen Notstandes erfolgt keine Rechtfertigung; vergi. Podlech, in: AK-GG 3, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 73. 431 BVerfGE, Bay. Vbl. 1971, S. 99 (142 ff.); Zippelius, in BK-GG, Art. 1 Rn. 16; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 5. Zur Legitimation der Vorgehensweise die begriffliche Konturierung des Menschenwürdebegriffs über die (fehlenden) Schranken vorzunehmen; vergi. Höfling, Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995, S. 857 (860). 432 Vergi, die Übersicht bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 361 f. 433 Dieser Ausdruck findet sich bei Dürig, Der Grundrechtssatz der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 111 (128) bezogen auf den durch Verwendung der in § 136 a StPO genannten Mittel verursachten Ausschluss der Willensfreiheit. 434 Bosch, Aspekte des Nemo-Tenetur-Prinzips, S. 38. 435 Kühne, Strafprozessuale Beweisverbote, S. 78 ff; Niese, Narkoanalyse als doppelfunktionale Prozesshandlung, ZStW 63 (1951), S. 219. 436 Diese Vorschrift wird teilweise für grundgesetzwidrig gehalten vergi. Sautter , Pflicht zur Duldung, AcP 161, S. 215 (247 ff.); überzeugend dagegen: BVerfGE 47, 239 (248). 437 Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdacht! gen, G A 1978, S. 193 (196), vergi. Rogali, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 141.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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Zwangsarbeit, Terror, Massenmord und Menschenversuche genannt werden. 438 Dass ein Zwang zur Selbstbelastung schlussendlich nur mit der jedenfalls menschenrechtswidrigen Folter durchgesetzt werden könnte, 439 ändert nichts daran, dass die grundsätzliche Pflicht zur Aussage jedenfalls keinen schweren Eingriff in die Menschenwürde darstellt.
cc) Verächtlichmachung durch Aussagezwang? Als weiteres zusätzliches Kriterium ist der oben bereits erwähnte Ansatz des Bundesverfassungsgerichts zu untersuchen, der auf eine subjektive Komponente i.S. einer verächtlichen Behandlung des Bürgers abstellt. An den bisherigen Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts ist jedenfalls auffallend, dass allein - wenn auch eher formelhaft als wirklich begründet - die Kriterien der Objektformel geprüft und bejaht wurden. Indes hatte das Gericht selbst festgestellt, dass die Objektformel allein die Richtung weise 440 und als weitergehendes Kriterium darauf abgestellt, dass die Behandlung des Menschen darüber hinaus eine subjektive Komponente im Sinne einer „Verächtlichmachung" enthalten müsse, um wirklich von einer Menschenwürdeverletzung ausgehen zu können. Dieses zusätzliche Kriterium stellt letztlich eine Reaktion darauf dar, dass in der modernen technisierten Massengesellschaft der Bürger dem Staat zwangsläufig auch als Objekt gegenübersteht. Da dies allerdings teilweise bei geringster Eingriffsintensität geschieht (z.B. bei der Vergabe von Personenkennziffern an Zivildienstleistende), kann hieraus nicht zwingend auf eine Menschenwürdeverletzung geschlossen werden. Vielmehr muss die Objektformel einschränkend modifiziert werden. Nachdem mit der reinen Anwendung der Objektformel kein eindeutiges Ergebnis erzielt wurde, bleibt somit die Frage zu klären, ob in der Verpflichtung zur Aussage eine verächtliche Behandlung zu erblicken ist. Wenn man diese, wie das Bundesverfassungsgericht, daran festmacht, dass in der Behandlung ein „Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt" zu Tage treten müsste, 441 so ist dies im vorliegenden Zusammenhang nicht der Fall. Allein in dem Umstand, dass eine Person verpflichtet wird auszusagen, kann nicht in jedem Fall ein Ausdruck der Verachtung der Person gesehen werden, auch wenn dies in Einzelfällen, wie zum Beispiel bei vorsätzlich entehrenden Fragen, der Fall sein kann. Im Regelfall zeigt sich gegenteilig gerade die Achtung der Person in der Tatsache, dass Wert auf ihre
438 439 440 441
Vergi. Maunz, in: Maunz/Dürig (Vorauf!.), GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 30. Vergi. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 51 i.V.m. 46. BVerfGE 30, 1 (25 f.). BVerfGE 30, 1 (26).
110 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Aussage, auf ihre Sicht der Dinge gelegt wird. Eine Verachtung der Person und damit eine Verächtlichkeit der Behandlung läge eher dann vor, wenn die Aussage des Beschuldigten innerhalb des Verfahrens gerade nicht beachtet werden würde. 442 Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob das zusätzliche subjektive Element der Verächtlichmachung geeignet ist, die Unbestimmtheit der Objektformel aufzuheben, 443 kann hier offen bleiben, da dieses Kriterium vorliegend jedenfalls nicht erfüllt ist. Also scheidet die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG nach dem bisher Festgestellten als Grundlage der Selbstbezichtigungsfreiheit aus.
dd) Ziel des Auskunftsinteresses als Kriterium In der Frage, ob die Menschenwürdegarantie die verfassungsrechtliche Grundlage der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang ist, wurde im Schrifttum weiterhin ein differenziertes Lösungsmodell vorgeschlagen. In Anlehnung an den Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts 444 sieht es Nothelfer als unvereinbar mit der Menschenwürde an, wenn das Auskunftsverlangen primär der Strafverfolgung diene. 445 Dies gelte allerdings allein für den zweiseitigen Interessenskonflikt zwischen staatlichem Strafverfolgungswillen und dem Selbstschutzinteresse des Bürgers, während ein selbstbezichtigender Auskunftszwang in Verfolgung andersgearteter Informationsinteressen (beispielsweise zivil-, sozial-, Steuer- oder wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Art), also bei Hinzutreten eines dritten über die Strafverfolgung hinausgehenden Interesses, gerade keine Verletzung der Menschenwürde darstellen solle. 446 Indem die Beweiserhebung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse als derart „andersgeartetes Informationsinteresse" einzuordnen wäre, läge für diese Untersuchung Ergebnisgleichheit mit den bisherigen Feststellungen vor, da auch nach Nothelfers Auffassung in der hier relevanten Konstellation die verfassungsrechtliche Begründung eines Schweigerechts der Auskunftsperson nicht in der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG zu sehen wäre. Allerdings ist auch dieser Ansatz als nicht überzeugend abzulehnen. Zu dieser Feststellung trägt entscheidend bei, dass Nothelfer, der zunächst selbst festhält, dass es sich bei der Frage, ob durch einen Selbstbezichtigungszwang die Würde der Aus442
Der grundgesetzliche Anspruch auf rechtliches Gehör ist zugleich Menschenwürdeschutz; vergi. BVerfGE 7, 53 (57 f.); 39, 156 (168); 55, 1 (5 f.); 63, 332 (337); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 1. 443 Vergi. Höfling, Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, JuS 1995 S. 857 (860) m.w.N. 444 BVerfGE 57, 37 ff. 445 Nothelfer, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 74. 446 Nothelfer, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 77.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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kunftsperson verletzt werde, um eine den Maßstäben absoluter Richtigkeit entzogene Wertungsfrage handelt, 447 sich im Folgenden auf die apodiktische These zurückzieht, dass die Aussagefreiheit eben nur in zweiseitigen Interessenskollisionen durch die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sei. Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass der Schutzbereich der Menschenwürde eng zu fassen ist, weswegen er durch einen Zwang zur Selbstbelastung nicht zwangsläufig verletzt ist. Selbst wenn man diese Wertungsfrage bejahen sollte, ist es darüber hinaus nicht plausibel, warum dies nur bei zweiseitigen Interessenskonflikten der Fall sein sollte. Gerade aus Sicht des Schutzobjektes, also des auskunftspflichtigen Trägers der Menschenwürde, macht es keinen Unterschied, wie viele Interessen konfligieren, solange er sich selbst belasten muss. Wichtigster Gesichtspunkt, der zur Ablehnung des Differenzierungsansatzes führt, bleibt allerdings der Schutz des höchsten Verfassungsgutes, der Menschenwürde. Damit diese unbedingt gewährleistet wird, darf die Menschenwürde nicht eingeschränkt werden und bleibt somit bei allen widerstreitenden Interessen, unabhängig ihres Gewichts, ausnahmslos abwägungsresistent. Eine Auffassung, die zwischen zwei- und mehrseitigen Informationsinteressen im Fall drohender Selbstbelastung differenziert, umgeht gerade diesen Gesichtspunkt und führt Abwägungsgesichtspunkte über die Hintertreppe wieder ein. Eine dogmatisch überzeugende Lösung ist somit mit einem Differenzierungsmodell nicht gefunden.
ee) Zwischenergebnis Berücksichtigt man, dass allein ein enger und absoluter Kernbereich menschlicher Existenz durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird, 4 4 8 ist nicht in jeder Konstellation (insbesondere bei betroffenen Drittinteressen 449 oder geringsten drohenden strafrechtlichen Folgen fiir die Aussageperson) eine Menschenwürdeverletzung der zur Aussage verpflichteten Person gegeben. Allerdings können bei der erforderlichen Betrachtung im Einzelfall Fälle auftreten, in denen ein Aussagezwang einen schweren Eingriff in den Kernbereich der menschlichen Existenz verursacht und damit eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt. Zöge man die Menschenwürde als Rechtsgrundlage des NTP heran, so hätte dies zur Konsequenz, dass die Selbstbezichtigungsfreiheit nur in diesen eng begrenzten Fällen bestände, da anderenfalls gar keine Beeinträchtigung und damit auch keine Verletzung der Menschenwürde vorläge, so dass das NTP als Ausprägung der Menschenwürde konsequenterweise keine Anwendung fände. Also
447 448 449
Nothelfer, Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 74 FN 517. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 10; Zippelius, in: BK-GG, Art. 1 Rn. 16. Siehe unten 3. Teil I. 1.
112 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
ist mit der Menschenwürde keine allgemeingültige Rechtsgrundlage gegeben, so dass Art. 1 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang ausscheidet. Der wohl herrschenden Meinung ist darin zuzustimmen, dass das dem Auskunftspflichtigen eingeräumte Recht, im Falle einer drohenden Selbstbelastung zu schweigen, auch Ausdruck des Respekts des Staates vor den Rechten seiner Bürger ist und somit der Wahrung der Menschenwürde dient. Damit ist jedoch gleichwohl nicht automatisch die Menschenwürde als verfassungsrechtliche Grundlage der Schweigebefugnis determiniert. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Rechtsgrundlage des NTP nicht im höchsten Rechtsgut der Verfassung, der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG, zu sehen ist.
g) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit Das Bundesverfassungsgericht hat in neueren Entscheidungen teilweise entgegen seiner vorherigen Rechtsprechung, wenn auch unter unkommentierter Verweisung auf sie, nicht mehr die Menschenwürde als verfassungsrechtliche Grundlage des NTP genannt, sondern vielmehr auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG abgestellt. 450 Fraglich ist, inwieweit diese Akzentverschiebung in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Richtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zutreffend ist.
aa) Einschlägigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Als weitere verfassungsrechtliche Begründung der Freiheit vom Zwang zur Selbstbezichtigung wird das in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit genannt. 451 Zunächst ist zu klären, ob in diesem Zusammenhang auf die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebende allgemeine Handlungsfreiheit, dem Auffanggrundrecht gegenüber spezielleren Grundrechtsgewährleistungen 452 oder das aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergelei450
Vergi. BVerfGE 95, 220 (241 f.); anders hingegen: BVerfG, NJW 1999, S. 779 (779). In dieser Entscheidung wird auf Menschenwürde, allgemeine Handlungsfreiheit und Rechtsstaatsprinzip abgestellt. 451 Nothelfer, Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang, S. 83; Günther, Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen, GA 1978, S. 193 (198), Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 137; Seebode, Über die Freiheit die eigene Strafverfolgung zu unterstützen, JA 1980, S. 493 (496); Maier, Reichweite des Verwertungsverbotes nach § 393 AO, wistra 1997, S. 53 (53); Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989, S. 857 (861). 452 Vergi. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 369.
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte 113
tete allgemeine Persönlichkeitsrecht abzustellen ist. 4 5 3 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat die Aufgabe „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen". 454 Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Fallgruppen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen enger als die sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit ergebenden Rechte 455 und sind demgemäß im Fall der Einschlägigkeit für die konkrete Entscheidung zuerst heranzuziehen. 456 A u f der Basis der Einzelverbürgungen des Rechts am gesprochenen Wort und am eigenen Bild, 4 5 7 des Rechts auf Gegendarstellung, 458 des Rechts von der Unterschiebung nicht erklärter Äußerungen verschont zu bleiben 459 , des Schutzes der persönlichen Ehre 4 6 0 und der Privat- oder Geheimsphäre 461 hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. 462 Dieses in den soeben genannten Einzelverbürgungen bereits „angedeutete" Recht beinhaltet „die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden". 463 Bis zum Volkszählungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht zur Sicherung privater Informationen seine vielfach kritisierte „Sphärentheorie" 4 6 4 angewandt, die mit abnehmender Schutzintensität zwischen einer In-
453 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird dogmatisch hergeleitet aus Art. 2 Abs. 1 GG und dessen Grenzen, wobei als unantastbare Grenze Art. 1 Abs. 1 GG (der sog. Menschenwürdegehalt) einzubeziehen ist; vergi. BVerfGE 54, 148 (155 f.); Dreier, in: ders., GG, Art. 2 I Rn. 50; Starck versteht die Menschenwürde als „eine Art Auslegungsrichtlinie", ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 I Rn. 85. 454 BVerfGE 54, 148(153). 455 BVerfGE 54, 148 (153); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 I Rn. 83; Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989, S. 857 (858). 456 BVerfGE 54, 148 (153); a.A. Krause, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, JuS 1984, S. 268 (269). 457 BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 54, 148 (155); 87, 334 (340). 458 BVerfGE 63, 131 (142). 459 BVerfGE 34, 269 (282 f.); 54, 208 (217). 460 BVerfGE 54, 208 (217). 461 BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6); 32, 373 (379); 89, 69 (82 f.). 462 BVerfGE 65, 1 (1 ff.). 463 BVerfGE 65, 1 (42); 80, 367 (373). 464 Vergi. Podieck, in: AK-GG 3, Art. 2, Rn. 35 ff.; Schlink, Die Amtshilfe, S. 191 ff.; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, HbStR, Bd. 6, § 129 Rn. 34 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 376.
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timsphäre, einer Privat- oder Geheimnissphäre und einer äußeren Sozialsphäre unterschieden hat. 4 6 5 Auch wenn eine genaue Einteilung in einzelne Sphären nicht möglich ist 4 6 6 und die Sphärentheorie vom Bundesverfassungsgericht nunmehr nicht mehr ausdrücklich angewendet wird, 4 6 7 ist fraglich, ob durch einen Selbstbezichtigungszwang in den so zumindest umschriebenen 468 Schutzbereich eingegriffen würde. Eine Auskunftsperson ist im Strafverfahren grundsätzlich verpflichtet, umfassend - auch über die intimsten Bereiche ihres Lebens - Auskunft in der nach § 169 S. 1 GVG grundsätzlich öffentlichen 469 Hauptverhandlung zu geben. Auch wenn die Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre gemäß § 171 b GVG ausgeschlossen werden kann, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Einzelheiten aus dem intimsten Bereich der Auskunftsperson an die Gerichtsöffentlichkeit gelangen und im Anschluss daran über die Medien verbreitet werden. In besonderem Maß ist hiervon der Beschuldigte bzw. Angeklagte betroffen, da im modernen Strafprozess immer stärker Persönlichkeitsforschung betrieben wird, wobei außer der Persönlichkeit des Angeklagten auch die seiner Bezugspersonen in das Blickfeld des Gerichts rücken. 470 Darüber hinaus liegt im Zwang zur Selbstbelastung das Eingestehen eigenen Versagens, wodurch die Ehre und das Ansehen des Beschuldigten in der Öffentlichkeit beschädigt werden. Demnach ist der unfreiwillig Aussagende gezwungen, wider seinem Willen persönliche Lebenssachverhalte zu offenbaren, so dass in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Also kommt in diesen Fällen das der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber speziellere allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Anwendung. Damit ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die verfassungsrechtliche Bestimmung gefunden, in die in jeder Konstellation eingegriffen wird, sobald eine Aussageperson gezwungen wird auszusagen. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass in bestimmten Fällen ein Aussagezwang eine Menschenwürdeverletzung darstellen kann. Dies kann in besonderen Konstellationen wie zum Beispiel vorsätzlich-entehrender bzw. schikanierender Fragen oder einer zu starken Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte im Rahmen des Strafverfahrens (geht es nur darum, an dem Ange465
Vergi. BVerfGE 6, 32 (41); 38, 312 (320); 90, 255 (260). Kunig, Der Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung, Jura 1993, S. 595 (602); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 376. 467 Vergi. BVerfGE 80, 367 (373). 468 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Inhalte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht genau bestimmt, sondern nur vorläufig umschrieben werden können. Vergi. BVerfGE 65, 1 (41); 79, 256 (268). 469 Zur Entstehung: Siehe oben 1. Teil 2. c). 470 Äußerst kritische Bewertung dieser Entwicklung bei Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 87. 466
III. Begründung der strafverfahrensrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechte
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klagten ein „Exempel zu statuieren", kann durchaus eine Menschenwürdeverletzung vorliegen 471 ) der Fall sein. Nach dem hier vertretenen engen Verständnis des Menschenwürdebegriffs ist dies gleichwohl nur in seltenen Ausnahmekonstellationen der Fall, die einer allgemeingültigen Begründung entgegensteht.472 Die in allen Fallkonstellationen einschlägige verfassungsrechtliche Begründung des NTP liegt somit im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Auskunftspflichtigen.
bb) Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Rechtsgrundlage Fraglich ist nun, welche Konsequenzen aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des nemo-tenetur-Prinzips im allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgen. Vorweggenommen sei die Feststellung, dass das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung im Strafverfahren, obwohl nicht unter dem abwägungsresistenten Schutzschild des höchsten Verfassungsgutes, der Menschenwürde, stehend, durch die Verfassung nachhaltig geschützt ist. Bei einem ausschließlich der Strafverfolgung dienenden Zwang zur Selbstbelastung ist dem Ergebnis der auf die Menschenwürde abstellenden Ansichten zuzustimmen, die in diesem Fall von der Verfassungswidrigkeit ausgehen. Allerdings ist dies, anders bei einer Verletzung der Menschenwürde, nicht von vornherein so, sondern folgt als Ergebnis aus der im Rahmen von Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorzunehmenden Abwägung. 473 Bei dieser Abwägung liegt ein so großes Übergewicht bei den betroffenen Rechten der tatverdächtigen Person, der neben der Offenbarung intimster Lebenssachverhalte eben auch die Strafverfolgung droht, dass das Abwägungsergebnis zwingend dahingehend antizipiert ist, dass das Strafverfolgungsinteresse zurücktritt und ein umfassendes Schweigerecht besteht. Ein Zwang zu einer Aussage, die den Auskunftspflichtigen der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, ist somit auch bei der Herleitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht grundsätzlich unzulässig. Etwas anderes gilt allerdings in den Fällen, in denen andersgeartete Drittinteressen staatlicher oder privater Art ins Spiel kommen; diesem Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Gemeinschuldnerbeschluss474 zugestimmt, ohne allerdings die zu starke Betonung der Bedeutung der Menschenwürde in Zusammenhang mit dem Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung ausdrücklich 471 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rn. 47; vergi. BVerfGE 28, 386 (391). 472 Siehe oben III. 2. f) dd). 473 Vergi. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 382 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 19 ff; Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989, S. 857 (862). 474 Siehe unten 3. Teil I. 1.
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Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
aufzugeben. Die Feststellung des Gerichts, dass das Persönlichkeitsrecht des Auskunftspflichtigen „unverhältnismäßig" beeinträchtigt würde, 475 wenn erzwungene Selbstbelastungen zur Strafverfolgung verwendet würden, widerspricht der Ableitung aus der Menschenwürde, die abwägungsresistent ist und somit das Abstellen auf die UnVerhältnismäßigkeit überflüssig machte. Darüber hinaus wäre es nach dem Gemeinschuldnerbeschluss so, dass eine Menschenwürdeverletzung bei betroffenen Drittinteressen nicht vorläge, anderenfalls schon. Unter Berücksichtigung der Abwägungsresistenz der Menschenwürde ist dieses Ergebnis nicht richtig. Aus diesem Grund ist die ergebnisgleiche Herleitung des nemo-tenetur-Prinzips aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sachgerecht und dogmatisch überzeugend.
3. Zwischenergebnis Die verfassungsrechtliche Herleitung des nemo-tenetur-Prinzips folgt entgegen uneinheitlicher oder anderslautender Ableitungen in Rechtsprechung und Lehre aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Auskunftspflichtigen. Demnach ist ein Zwang zur strafrechtlichen Selbstbelastung am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu messen. Daraus folgt, dass der verfassungsrechtlich verbürgte Schutz vor drohender Selbstbelastung nicht zwingend allumfassend ist. Vielmehr ist, speziell bei Interessen, die über die reine Strafverfolgung hinausreichen, eine Güterabwägung der konfligierenden Interessen erforderlich.
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen Nachdem nunmehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht als verfassungsrechtliche Begründung der Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang erkannt wurde, ist fraglich, ob und inwieweit dieses zunächst einmal primär strafverfahrensrechtliche Prinzip innerhalb des Beweiserhebungsverfahrens von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Geltung erlangt.
1. Nichtanwendbarkeit in parlamentarischen Untersuchungen? Welche Gründe sprechen gegen die Geltung des nemo-tenetur-Prinzips im parlamentarischen Untersuchungsverfahren? Diese für eine Nichtanwendbarkeit
475
BVerfGE 56, 37 (49).
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
117
des NTP sprechenden Gesichtspunkte könnten vor allem aus den weitreichenden Unterschieden zwischen beiden Verfahrensarten resultieren. Der wichtigste Unterschied ist, dass dem Zeugen einer parlamentarischen Untersuchung unmittelbar keinerlei strafrechtliche Sanktionen drohen. 476 Hieraus ist schon früh geschlossen worden, dass deshalb das auf den Strafprozess zugeschnittene nemotenetur-Prinzip nicht auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren übertragen werden könne. 477 Doch gerade die Konstellation einer parallelen parlamentarischen und strafrechtlichen Untersuchung zeigt die Unzulänglichkeit dieser Argumentation. In diesem Fall ist die auf eine Person konzentrierte strafrechtliche Untersuchungstätigkeit immer eine Teilmenge der weiter gefassten parlamentarischen Untersuchung. Auch wenn dem betroffenen Zeugen durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss keinerlei unmittelbare Strafe droht, könnte seine durch den Ausschuss erzwungene Aussage gleichwohl in einem parallel verlaufenden Strafverfahren verwertet werden. Der Informationstransfer zwischen beiden Verfahren ist sowohl durch die Medienberichterstattung als auch durch die dienstliche Anwesenheit von Staatsanwälten in den öffentlichen Sitzungen der Untersuchungsausschüsse gewährleistet. Darüber hinaus können die Strafverfolgungsbehörden Aktenvorlage begehren und sind dabei nur durch § 96 StPO begrenzt. 478 Damit wäre die strafrechtliche Sanktion nicht unmittelbare, aber mittelbare Folge des Untersuchungsausschussverfahrens. 479 Trotz des strukturellen Unterschiedes der unmittelbar fehlenden Sanktion ist damit gerade unter Beachtung des rechtsstaatlichen Gebotes der effektiven Umsetzung von verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten eine Anwendung des Selbstbezichtigungsverbotes auch vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen geboten. Anderenfalls könnte die strafverfahrensrechtliche Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang immer durch in anderen Verfahren erzwungene Aussagen umgangen werden. 480 Das Schweigerecht wäre sinnlos, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Aussage gegen den Willen des Aussagenden strafrechtlich verwertet werden dürfte. 481 Aus diesem Grund ist mit der ganz allgemeinen
476 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (38); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 8 ff. 477 Kahn, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 42. 478 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (218). 479 Buchholz, Der Betroffene, S. 81, 88 ff. 480 Kölbel/MorloK Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen; ZRP 2000, S. 217 (219), Buchholz, Der Betroffene, S. 86. 481 Vergi. Reiß, Zwang zur Selbstbelastung nach der neuen Abgabenordnung, NJW 1977, S. 1436 (1437); BVerfGE 56, 37 (50), hierzu vertiefend: Siehe unten 3. Teil I. 1.
118 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Auffassung von der Geltung des NTP auch im parlamentarischen Untersuchungsverfahren auszugehen.482
2. Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang im PUAG Es ist nunmehr fraglich, wie die gesetzliche Umsetzung des NTP im PUAG erfolgt und wie sich diese auf die Zeugen auswirkt. Rechtlicher Ausgangspunkt ist die Regelung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG, dass auf die Beweiserhebung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse „die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung" finden. Diese aus der Weimarer Reichsverfassung stammende 483 und ins Grundgesetz übernommene Regelung verschaffte dem parlamentarischen Untersuchungsrecht so viele Unklarheiten, dass sie eine seit „sieben Jahrzehnten währende Auslegungsmühe" nach sich gezogen hat. 4 8 4 Entgegen der Absicht der Verfassungsmütter und -väter, die mit dieser Regelung den Untersuchungsausschüssen vorrangig Zwangsmittel gegenüber Zeugen und Sachverständigen in die Hand geben wollten, wurden damit zugleich die in der StPO enthaltenen Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechte von Zeugen und Beschuldigten auch für die Beweiserhebungen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wirksam und maßgebend. 485 Entgegen weit verbreiteten Forderungen nach einer dem Untersuchungsausschussrecht gerecht werdenden Verfassungsänderung 486 hat der 14. Deutsche Bundestag eine solche aufgrund Schwierigkeiten bei der erforderlichen Mehrheitsbil-
482
Nack, Gutachtliche Stellungnahme, S. 2, in: BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung - Drks. 14-G-46 vom 8. Mai 2000; Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37 ff.); Buchholz, Der Betroffene, S. 82; Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 183 ff.; Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3332). 483 Siehe unten 1. Teil 3. c); vergi. Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607). 484 Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 55; vergi. Schneider, Referat 57. DJT, M 67; Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 49; Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 44 Rn. 119; Alsberg, Gutachten zum 34. DJT, S. 342, 370. 485 Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333). 486
Achterberg/Schulte,
in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 126; Schnei-
der, Referat zum 57. DJT, M 89; Bryde, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 14; vergi. Enquete-Kommissionen Verfassungsreform BTag-Drs. VI/3829, S. 15; 7/5924, S. 52; Köhler, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten, S. 218 f.; Bartsch, Gutachten für den 45. DJT, S. 216 f.; Schenke, Empfiehlt sich eine Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, JZ 1988, S. 805 (813).
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
119
dung nicht vorgenommen. 487 Der Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf die Regelungen des Strafprozesses bleibt erhalten und gilt für die Regelungen des PUAG.
a) Zeugenähnliche Auskunftsperson Unproblematisch ist der Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. 1GG auf die strafprozessualen Beweiserhebungsmöglichkeiten, soweit die Auskunftsperson vor dem Untersuchungsausschuss dem Zeugen im Strafprozess ähnelt. Unter einem Zeugen versteht man im Strafprozessrecht eine „Beweisperson, die in einem nicht gegen sie selbst gerichteten Verfahren Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen gibt". 4 8 8 Der wichtigste Bestandteil dieser Definition ist, dass das Strafverfahren nicht gegen die Auskunftsperson gerichtet ist, was übertragen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren bedeutet, dass das Untersuchungsinteresse nicht der Auskunftsperson selbst, sondern anderen Personen gilt. Die Zielrichtung und die Auswirkungen der parlamentarischen Untersuchung entsprechen in diesem Fall somit gänzlich der Situation eines Zeugen im Strafprozess. Unterschiede ergeben sich allein in dem Zweck der jeweiligen Befragung, nämlich einerseits der parlamentarischen Kontrollfunktion, andererseits des staatlichen Strafverfolgungswillens. Indem die zu ermittelnden Tatsachen die Auskunftsperson im jeweiligen Verfahren nicht unmittelbar selbst betreffen, ist die Schutzbedürftigkeit so gering einzustufen, dass im Strafprozess kaum Auskunftsverweigerungsrechte eingeräumt sind. Diese beschränken sich auf die Abschirmung schutzwürdiger Vertrauensbeziehungen der Auskunftsperson (vergi. § 52 Abs. 1 StPO) und Konstellation, in denen die Gefahr besteht, dass die erteilte Auskunft in einem nachfolgenden Strafverfahren gegen die Auskunftsperson selbst (oder enge Verwandte) verwendet wird (vergi. § 55 Abs. 1 StPO). Im Rahmen parlamentarischer Untersuchung gelten diese Regelungen aufgrund der Verweise von § 22 Abs. 1 und 2 PUAG auf §§ 52, 53, 53 a StPO entsprechend. Dass die im Strafverfahren geltende Wahrheitspflicht auch für die Auskunftspflichtigen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren durchzusetzen ist und ein dem strafverfahrensrechtliches Instrumentarium des Zeugniszwanges (vergi. § 70 Abs. 1, 2 StPO) ähnliches Instrument auch im
487 Vergi. Wiefelspütz (MdB), Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 20. Dass die Verfassung nicht geändert würde, war „gleichsam Geschäftsgrundlage der parlamentarischen Beratungen", so Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 288. 488 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, vor § 48 Rn. 1; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1000; vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 26 Rn. 1.
120 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Rahmen parlamentarischer Untersuchungen notwendig ist, war schon vor Erlass des PUAG anerkannt 489 und wurde mit § 27 Abs. 2 PUAG kodifiziert.
b) Der „ betroffene
Zeuge "
Problematischer als die Behandlung der zeugenähnlichen Auskunftsperson ist die rechtliche Stellung von Auskunftspersonen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die stärker in den Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses gerückt sind. Problematisch an der sinngemäßen Übertragung der strafprozessualen Vorschriften in dieser Konstellation ist der Umstand, dass sich das parlamentarische Untersuchungsverfahren zwar nicht unmittelbar gegen eine Person richtet, die durch eine mögliche strafrechtliche Verurteilung bedroht ist, sondern insbesondere bei Skandalenqueten das Fehlverhalten einer im einzelnen bestimmbaren Personengruppe untersucht wird, 4 9 0 deren Mitglieder gleichwohl nicht Beschuldigte im strafprozessualen Sinn sind. Diese Personen können als Betroffene bezeichnet werden. Unter Betroffenen werden allgemein - wenn auch unter Abweichung in Einzelheiten - Personen verstanden, gegen die sich aufgrund des Untersuchungsauftrages die parlamentarische Untersuchung ganz oder teilweise richtet, wobei sich diese - auch faktische - Betroffenheit gleichfalls erst während der Untersuchung herausstellen kann. 491 Die rechtliche Stellung einer derart von einer parlamentarischen Untersuchung betroffenen Auskunftsperson ist seit dem Entstehen des parlamentarischen Untersuchungsrechts eines der am umfassendsten diskutierten Probleme im Rahmen der Beweiserhebung von Untersuchungsausschüssen. 492 Hier passen die Zeugenvorschriften der StPO nicht, da diese nur den Fall erfassen, in denen die Auskunftsperson gerade nicht im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Auf der anderen Seite steht der Anwendung der Beschuldigtenvorschriften entgegen, dass auf „Betroffene" nicht kurzerhand die strafverfahrensrechtlichen Beschuldigten Vorschriften angewandt werden können, 493 da die prozessualen Rechte des Beschuldigten im 489
Vergi. BVerfGE 77, I (48 ff.); a.A. Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 59 m.w.N. auf älteres Schrifttum; Günther/Seiler, Vereidigung von Zeugen durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, NStZ 1993, S. 305 (305 f.). 490 Buchholz, Der Betroffene, S. 59 m.w.N. in FN 5; vergi, beispielhaft: BTag-Drs. 14/2139; 14/2686. 491 Müller-Boysen, Der Betroffene, S. 72 ff.; Buchholz, Der Betroffene, S. 76 ff., 156 ff.; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 264. 492 Quaas/Zuck, Ausgewählte Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988, S. 1873 (1877); Buchholz, Der Betroffene, S. 59 FN 6 f. m.w.N.; Meinhard Schröder, Bedarf das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einer Reform?, E 45; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 124; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 46 ff. 493 Vetter, Rechtsfragen der Parallelität von Strafverfahren und parlamentarischer Untersuchung, ZParl 1989, S. 345 (353); Müller-Boysen, Der Betroffene, S. 150 ff.
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
121
Strafverfahren, wie zum Beispiel das Recht auf Stellung von Beweisanträgen (vergi. §§ 129, 244-246 StPO) oder insbesondere Befangenheitsanträgen (vergi. § 24 Abs. 3 StPO), sich nicht in das politische Verfahren einer parlamentarischen Untersuchung fügen. 494 Wichtigste Auswirkung der Diskussion um die den „Betroffenen" einer parlamentarischen Untersuchung einzuräumende Rechtsstellung ist die Frage nach der Reichweite der Auskunftsverweigerungsrechte. In dieser Frage hatte sich, gerade vor Erlass des PUAG, 4 9 5 eine Vielzahl sich teilweise inhaltlich überschneidender Meinungen entwickelt. Die in der Literatur wohl überwiegend vertretene Ansicht hielt einen besonders weitreichenden Schutz der „betroffenen" Auskunftsperson für erforderlich, was sie mit einer starken Betonung der Auskunftsverweigerungsrechte und möglichen Ehrverletzungen der Betroffenen begründet. 496 Mit unterschiedlich weitreichenden Einschränkungen kam diese Meinungsgruppe zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht, wie es in §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 4 StPO für den Beschuldigten im Strafverfahren normiert ist. 497 Eine andere Meinungsgruppe plädierte zwar ebenfalls für die Einräumung einer Betroffenenstellung, wollte dabei jedoch den Umfang der Aussageverweigerungsrechte an § 55 StPO angleichen.498 Eine weitere Meinungsgruppe hielt die Aussageverweigerungsrechte nach § 55 StPO ebenfalls für ausreichend und trat dabei für eine Gleichbehandlung aller Auskunftspersonen vor einem Untersuchungsausschuss ein, lehnte also die rechtliche Sonderstellung des „Betroffenen" von vornherein ab. 499 Begründet wurde dies mit der Vermeidung einer frühzeitigen Diskriminierung der Auskunftsperson, einer an-
494
Die „Befangenheit" der Ausschussmitglieder ist im „politischen Kampfinstrument" der Untersuchungsausschüsse zwingend gegeben, da sich hier Ausschussmehrheit und -minderheit mit gegenläufigen Interessen gegenüberstehen. Insoweit ist die Forderung nach Unparteilichkeit der Ausschussmitglieder (vergi. Klein, Die Wahrheit zwischen den Fronten, FAZ vom 28. Mai 2001, S. 10) illusorisch. 495 Inwieweit sich durch den Erlass des PUAG der Streit erledigt hat: Siehe unten IV. 2. c). 496 Vergi. Buchholz, Der Betroffene, S. 82-86, 96-101 m.w.N. 497 Quaas/Zuck, Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988, S. 1873 (1877); Beckedorf, Rechtsstellung des Betroffenen, ZParl 1989, S. 35 (48 ff.); Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen, S. 105 ff.; Wohlers, Die Mitwirkungsbefugnis des Betroffenen, NVwZ 1994, S. 40 (40 f.). 498 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 45; Pabel, Verhängung von Beugehaft durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, NJW 2000, S. 788 (790); Di Fabio, Rechtschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, S. 48 f.; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 141; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht, S. 41. 499 Schneider, Referat zum 57. DJT, These 25; ders., Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333); Zeh, Regelungsbedarf und -chancen für das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1988, S. 701 (706); Arndt, Podiumsbeitrag zum 57. DJT, Bd. 2 M 183.
122
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
dernfalls drohenden Behinderung der Untersuchungstätigkeit aufgrund umfassender Aussageverweigerungen gerade der wichtigsten Informationsträger, einer dem politischen Verfahren der Untersuchungsausschüsse ansonsten zuerkannten unangemessenen Gerichtsähnlichkeit und mit der Gefahr zeitaufwendiger Gerichtsverfahren der Auskunftspersonen zur Erlangung der privilegierten Betroffenenstellung. 500
c) Keine Vertypung des Betroffenen
im PUAG
Die letztgenannte Ansicht, die in dieser Frage von mehreren Landesuntersuchungsausschussgesetzen501 und den sog. IPA-Regeln 502 abweicht, hat sich im PUAG durchsetzen können. In §§ 20 ff. PUAG findet sich keine Unterscheidung zwischen den Auskunftspersonen, allerdings wird Untersuchungsausschusszeugen in einigen Punkten (vergi. §§ 20 Abs. 2, 21, 22 Abs. 2, 26, 27 PUAG) eine andere Rechtsposition als Zeugen im Strafverfahren eingeräumt. 503 In der der Entscheidung des Gesetzgebers vorausgehenden Diskussion innerhalb des gesetzesvorbereitenden Bundestagsausschusses für Wahlprüfimg, Immunität und Geschäftsordnungsfragen wurde die Auseinandersetzung über die Betroffenenrechte aufgegriffen und unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH für Strafsachen auf die Schwierigkeiten einer Nichteinräumung der Betroffenenstellung hingewiesen, die rechtlich als „keineswegs unproblematisch" angesehen wurde. 504 In der Beschlussfassung des federführenden Bundestagausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung wird als Begründung für die fehlende Einräumung einer Sonderstellung des „Betroffenen" angeführt, dass damit „schwierige Abgrenzungsschwierigkeiten ebenso vermieden" werden wie „Auseinandersetzungen bei der Zuordnung der Auskunftspersonen zum Kreis der Betroffenen, betroffenen Zeugen oder Zeugen". 505 Damit schließt 500
Langner, Podiumsbeitrag, in: Thaysen/Schüttemeyer, Bedarf das Recht der Untersuchungsausschüsse einer Reform, S. 55 (58); Schneider, Referat zum 57. DJT, M 83; Zeh, Regelungsbedarf für das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1988, S. 701 (705). 501 Eine Einräumung der Betroffenenstellung findet sich z.B. in § 13 I 2 BayUntersuchungsausschussG, § 15 I 1 RhPfUntersuchungsausschussG; vergi. Robbers, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Wahlrecht, JuS 1996; S. 116 (118), der diese landesgesetzlichen Bestimmungen falschlich dahingehend interpretiert, dass die Einräumung der Betroffenenstellung „inzwischen klargestellt" sei. 502 BTag-Drs. V/4209. Vergi, insbesondere § 18 Abs. 1 Nr. 4, § 18 Abs. 3 Nr. 2. 503 Zu den Einzelheiten: Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 241 f.; ders., Das Untersuchungsausschussgesetz des Bundes, ZParl 2002, S. 551 (567). 504 Rogali, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 40. 505 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 04. Januar 2001, BT-Drs. 14/5790, S. 21.
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
123
sich der Ausschuss im Wesentlichen der Argumentation der Auffassung an, die sich gegen die rechtliche Vertypung einer Sonderstellung des „Betroffenen" aussprach. Darüber hinaus stellt der Geschäftsordnungsausschuss auf die bisherige Praxis der Untersuchungsausschüsse auf Bundesebene ab, nach der noch niemandem der Status eines Betroffenen im Sinne der IPA-Regeln zuerkannt wurde. 506
d) Stellungnahme zu §§ 20 ff PUAG Es ist zunächst zu klären, ob der lange und umfangreich geführte Streit über die rechtliche Behandlung der „betroffenen" Aussagepersonen durch das lange geforderte Untersuchungsausschussgesetz 507 aus der Welt geschafft ist; 5 0 8 schließlich war es das Ziel der Kodifikation des parlamentarischen Untersuchungsrechts, die in der Untersuchungspraxis aufgrund der unklaren Rechtslage entstandenen Rechtsfragen durch eine gesetzgeberische Entscheidung zu klären. Zunächst ist festzuhalten, dass in §§ 20 PUAG keine Differenzierung der Auskunftspersonen vorgenommen wird, auf die Einräumung einer rechtlichen Sonderstellung also nach dem Wortlaut des Gesetzes verzichtet wird. Damit könnte die Frage der rechtlichen Behandlung der „Betroffenen" abschließend geklärt sein. Auch wenn in dem einfachgesetzlichen PUAG auf den Betroffenenstatus verzichtet wird, bleiben allerdings der Verweis des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf die sinngemäße Anwendung der Regeln über den Strafprozess und die möglicherweise kollidierenden Grundrechte der Auskunftspersonen bestehen. Mit der unterlassenen Änderung der Verfassung setzt sich der Gesetzgeber in den Regelungen des PUAG über die Vorstellung zweier Deutscher Juristentage hinweg, 506 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 04. Januar 2001, BT-Drs. 14/5790, S. 21. Zu dieser Frage weitergehend: Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 126; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 240. 507 Es gab in den letzten Jahren praktisch keine wissenschaftliche Abhandlung zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die nicht ein Tätigwerden des Gesetzgebers gefordert hätte. Vergi. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 126; Schneider, Referat zum 57. DJT, M 89; Köhler, Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts, S. 218 f.; Bryde, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 14. 508 Gehäuft finden sich im Schrifttum Zweifel darüber, ob durch die geforderte gesetzliche Regelung alle in der Praxis bestehenden Probleme befriedigend gelöst werden können; vergi. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000 S. 217 (220); Gres warnt davor, „von diesem Gesetz allzu viel zu erwarten; vergi, ders., Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 19; Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2601 (2607); Pieper/Viethen, Erläuterungen zum PUAG, in: Das Deutsche Bundesrecht I A 34, S. 13.
124 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
nach deren Beschlüssen auch Art. 44 GG geändert werden sollte, da eine Reform des parlamentarischen Untersuchungsrecht „ohne Verfassungsänderung... Stückwerk bleiben müsste". 509 Fraglich ist, ob die unterlassene Verfassungsänderung Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Auskunftspflichtigen hat, die im Interesse sowohl einer parlamentarischen als auch einer strafrechtlichen Untersuchung stehen. Dass sich in der Frage der Reichweite der Schweigebefugnisse aus Art. 44 GG unter Umständen über die Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes hinausreichende Rechte ergeben können, wurde bereits bei den Gesetzesberatungen des federführenden Bundestags-Geschäftsordnungsausschusses festgestellt: In dessen Beschlussempfehlung heißt es, dass es dem Ausschuss „bewusst" gewesen sei, dass „eine über die Regelung des Untersuchungsausschussgesetzes hinausgehende Zuerkennung von Rechten in bestimmten Sonderkonstellationen durch die Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden" könne. 510 In diesem Punkt zeigt sich ein überaus widersprüchliches Verständnis vom Ergebnis der Gesetzesberatungen in dieser Frage: Während der Vertreter der zweitgrößten Fraktion im Bundestag hinsichtlich des Themas „Betroffenenstatus" abschließend festhält, dass man diesen Status „ausdrücklich nicht geregelt habe", weil es in diesem Punkt „keinen Konsens, keine Einigung" gegeben habe, man jedoch davon ausgehen müsse, dass Art. 44 GG den Betroffenenstatus im Einzelfall nicht ausschließe,511 stellte demgegenüber der Vertreter der größten Fraktion im Parlament fest, dass im PUAG auf „den Rechtsstatus des Betroffenen verzichtet" werde. 512 In seiner nach Erlass des PUAG erschienenen Dissertation stellt sich auch der Vertreter der Mehrheitsfraktion, Wiefelspütz, auf den Standpunkt, dass diese Frage gesetzlich nicht gelöst worden, sondern der „Rechtsfortbildung anheim gegeben" worden sei. 513 In der Unklarheit, ob die Regelung der §§ 20 ff. PUAG ein bewusster Verzicht des Gesetzgebers auf die Einrichtung der rechtlichen Sonderstellung des „Betroffenen" oder eine bewusste Offenlassung dieses umstrittenen Themas ist, liegt bereits die Grundlage für spätere gerichtliche Auseinandersetzungen, die entstehen werden, sobald Zeugen über §§ 20 ff. PUAG hinausreichende Betroffenenrechte für sich in Anspruch nehmen möchten. Dabei ist davon auszugehen, dass der Zeuge sich in einem solchen Fall auf die eben genannten Äußerungen 509
Beschluss Nr. 12 des 45. DJT 1964; vergi. Beschluss Nr. 2 des 57. DJT 1988. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 04. Januar 2001, BT-Dr. 14/5790, S. 21 r. Sp. 511 Schmidt (MdB), 165. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 6. April 2001, S. 16148; ähnlich bereits: Schmidt, BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-48 vom 28. März 2001, S. 6. 510
512 Wiefelspütz 2001, S. 16156. 513 Wiefelspütz,
(MdB), 165. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am 6. April Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 255.
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
125
in den Gesetzgebungsmaterialien stützen wird. Indem die Verweisung des Art. 44 Abs. 2 S. 1GG auf die „sinngemäße Anwendung" der Regelungen des Strafprozesses bestehen bleibt, ist somit mit dem PUAG dieser umstrittene Bereich nicht abschließend geklärt worden. 514 Das mit der Kodifikation des Enqueterechts angestrebte Ziel, die im Untersuchungsrecht bestehenden Unklarheiten auszuräumen und eine gesicherte Rechtslage zu schaffen, ist in diesem Punkt also verfehlt worden. Indes ist die Leistung des 14. Deutschen Bundestages, die seit Jahrzehnten geforderte Kodifikation des investigativen Parlamentarismus überhaupt realisiert wurde, als Fortschritt zu begrüßen, auch wenn der große Wurf einer Verfassungsänderung aufgrund des Konflikts zwischen Regierungskoalition und Opposition nicht gelang. 515
e) Mögliche Sonderstellung für betroffene politische Verantwortliche? Fraglich ist, inwieweit innerhalb der Diskussion über den Betroffenenstatus und schließlich in den Vorschriften des PUAG auf die möglichen Besonderheiten, den politische Verantwortung im spezifisch politischen Verfahren der Untersuchungsausschüsse hinsichtlich der Reichweite von Auskunftspflichten nach sich ziehen könnte, eingegangen wurde. Innerhalb der Auseinandersetzung über die Behandlung von Auskunftspersonen vor einem Untersuchungsausschuss wurde in der Literatur neben der Unterscheidung zwischen zeugenähnlichen und betroffenen Personen weitergehend zwischen „betroffenen" Privaten und „betroffenen" Amtsträgern differenziert. 516 Besondere Bedeutung hat diese tiefergehende Unterscheidung für die Meinungsgruppe, die dem „Betroffenen" aus Rechtsschutzgesichtspunkten ein umfassendes Schweigerecht einräumen wollte. Diese Differenzierung hat sich in den Beratungen zum PUAG allerdings nicht durchsetzen können, 517 so dass sich in §§ 20 f f , insbesondere in § 22 Abs. 2
514
Vergi. Klein, Die Wahrheit zwischen den Fronten, FAZ vom 28. Mai 2001, S. 10; Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 70; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 478. 515 Vergi. Wiefelspütz (MdB), Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 20; ders., Untersuchungsausschuss und öffentliches Interesse, NVwZ 2002, S. 10 (10). 516 Quaas/Zuck, Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988 S. 1873 (1877); Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (38 f.); Partsch, Gutachten für den 45. DJT, S. 210 f.; Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen, S. 119 ff; a.A. Buchholz, Der Betroffene, S. 176. 5,7 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 04. Januar 2001, BT-Drs. 14/5790, S. 21.
126 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
PUAG weder eine Vertypung des „Betroffenen" noch des „betroffenen Amtsträgers" findet. 518 Auch wenn diesem Unterscheidungsmodell der Weg in die gesetzliche Realisierung versagt geblieben ist, bleiben dessen entscheidende Gedanken relevant. Dies liegt zunächst am inhaltlichen Zusammenhang mit den soeben dargestellten Auffassungen zur Behandlung der „Betroffenen", insbesondere aber auch daran, dass die Verantwortung politischer Amtsträger im parlamentarischen Untersuchungsrecht eine besondere Rolle spielt. Demgemäß gibt es im Rahmen der Reform Vorschläge zur Effektivierung der Arbeit von parlamentarischen Untersuchungen immer wieder Ansätze, für politisch Verantwortliche Sonderregelungen zu schaffen, die dieser Verantwortlichkeit gerecht werden sollen. 519 Die Diskussion dieser Sonderregelungen ergibt sich aus den grundsätzlichen Unterschieden zwischen rechtlicher und politischer Verantwortlichkeit. Auf die (straf-)rechtliche Verantwortlichkeit soll an dieser Stelle nicht vertieft eingegangen werden: Zu nennen ist zunächst die enge Bindung der Verantwortung an die gesetzlichen Tatbestände und dann insbesondere das Grundprinzip, dass die Integrität des Beschuldigten vor die Effektivierung der strafrechtlichen Verfolgung gestellt wird. Demgegenüber ist die politische Verantwortung durch gänzlich andere Gesichtspunkte charakterisiert. Politisches Handeln ist nicht allein an Gesetze gebunden, sondern insbesondere an die rechtlich nicht genau abgrenzbare Pflicht „richtig" und „gut" zu handeln. 520 Diese Pflicht ist die „Kehrseite von politischem Vertrauen", 521 welches der politisch verantwortliche Amtsträger 522 in Anspruch nimmt. Das Urteil über die politische Amtsführung liegt beim Vertrauensgeber, also dem Volk, welches in der Demokratie durch das Parlament repräsentiert wird. 5 2 3 Indem das „Richtige" und „Gute" politischen Handelns nicht objektivierbar ist, unterliegt die politische Verantwortlichkeit - im Gegensatz zur rechtlichen - keineswegs nur einer reinen Gesetz-
518
Anders noch ein Entwurf aus der 11. WP des Bundestages; vergi. Sten.Ber. BTag, 11. WP, Drks. Band 360, Nr. 1896 (§ 15 Abs. 3). 519 Siehe unten 3. Teil I. 1. 520 Masing, Parlamentarische Kontrolle privater Sachverhalte, S. 234. 521 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37). 522 Zum Verständnis des Amtsbegriffes als Strukturprinzip demokratischer Repräsentation: Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 294 ff.; Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 II 5 b; Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HbStR Bd. 2, § 30 Rn. 19 m.w.N.; vergi. Meyer, Die Stellung der Parlamente, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 9, 11 ff. 523 Vergi. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 130 ff., Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 III (S. 627 ff.); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 287 ff.
IV. Das nemo-tenetur-Prinzip innerhalb parlamentarischer Untersuchungen
127
mäßigkeitskontrolle, 524 sondern der nichtobjektivierbaren Prüfung, ob eine bestimmte Maßnahme politisch betrachtet „schlecht" war oder ob bestimmte politische Protagonisten „vertrauenswürdig" sind. 525 Die Offenheit dieser Begriffe führt zu einer Ausweitung der Verantwortung von politischen Amtsträgern. Indem es bei der Beurteilung politischen Handelns keine absoluten Wertungsmaßstäbe gibt, zeigt sich politische Verantwortlichkeit als eine, die im Gegensatz zur rechtlichen, auch ohne persönliche Schuld besteht. 526 Das Schuldprinzip begrenzt die Verantwortung genauso wenig, wie die Unschuld Grund für die Übertragung der politischen Verantwortung war. 5 2 7 Dieser Gesichtspunkt ist auch für das parlamentarische Untersuchungsrecht des Art. 44 GG bedeutsam, das neben Art. 38, 42, 42, 67 und 68 GG grundgesetzlicher Ausdruck der Rechenschaftspflicht des politisch Verantwortlichen ist. Soweit es die Amtsführung betrifft, genießt der politisch Verantwortliche nicht denselben Schutz wie normale Bürgerinnen und Bürger. 528 Die Unterscheidung zwischen Amts- und Privatperson ist über Jahrhunderte gereifte Kulturleistung und ein konstituierendes Element der demokratischen Rückbindung der Staatsgewalt. Damit verbunden ist das Risiko der Übernahme eines politischen Amtes: Rechenschaft und Ehre stehen unwiderruflich im politischen Kräftefeld. 529 Die Rechenschaftspflicht führt nicht dazu, dass das nemo-tenetur-Prinzip für den politisch Verantwortlichen nicht gälte. Schließlich ist auch das Persönlichkeitsrecht des politischen Amtsträgers nicht sicherungslos gestellt, was zum Beispiel bei Verleumdungen oder persönlichen Ehrabschneidungen innerhalb parlamentarischer Befragungen zum Tragen kommen kann. 5 3 0 Dasselbe gilt in besonderem Maße auch für den Fall drohender strafrechtlicher Selbstbelastung. Zwar unterliegt der politisch Verantwortliche einer besonders weitreichenden
524 Di Fabio , Rechtsschutz im parlamentarischen Verfahren, S. 36 ff.; Maura , in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 21. 525 Zu letzterem: Hennis , Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: FS für Smend, S. 51 (55 ff.); vergi. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 II 5 (S. 618) 526 Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 65 Rn. 50 f.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 65 Rn. 1; Hermes, in: Dreier, GG, Art. 65 Rn. 39; Schröder, Bildung, Bestand und parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung, HbStR II, § 51 Rn. 54 ff. (S. 624). 527 Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001, S. 14. 528 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000 S. 217 (218 insbesondere FN 13); Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001, S. 14. 529 Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001, S. 14. 530 In diesem Fall genießt der Amtsträger in differenzierter Weise Schutz. Vergi. Dreier, in: ders. GG, Art. 5 I, II Rn. 219; Art. 2 I Rn. 53 FN 207 m.w.N.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 123 f. m.w.N.
128
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Rechenschaftspflicht, 531 doch kann hier im Grundsatz nichts anderes als für jeden anderen Bürger auch gelten: Droht die gesteigerte Auskunftspflicht des politisch Verantwortlichen auf dessen bürgerlichen Freiheitsstatus durchzuschlagen, was z.B. bei einer strafrechtlich verfolgbaren Verfehlung in Zusammenhang mit der Ausübung des politischen Amtes der Fall ist, so ist der Amtsträger durch das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich begründete nemo-tenetur-Prinzip von dem Zwang zur Aussage befreit, soweit die Gefahr besteht, dass diese Aussage in einem Strafverfahren tatsächlich gegen ihn verwendet wird. Allerdings könnte der politischen Verantwortung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Auskunftspflicht eine gesonderte Bedeutung zukommen. 532 Innerhalb der Vorschriften des PUAG, die keine Differenzierungen zwischen den Auskunftspflichtigen vornehmen, gelten die §§ 20 ff. PUAG de lege lata auch für den politisch verantwortlichen Amtsträger ohne Einschränkungen oder Regelungen, die dessen Sonderrolle Rechnung tragen.
3. Zwischenergebnis Das nemo-tenetur-Prinzip wird im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen durch die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten in §§ 20 ff., insbesondere § 22 Abs. 2 PUAG, geschützt. In diesen Regelungen wurde auf die Einrichtung eines „Betroffenenstatus" ebenso verzichtet, wie auf eine differenzierte und erweiterte Auskunftspflicht für politisch Verantwortliche. Entgegen der Erfüllung der weit verbreiteten Forderung nach Erlass eines Untersuchungsausschussgesetzes hat der 14. Deutsche Bundestag auf eine den Erlass des PUAG begleitende Änderung des Art. 44 GG verzichtet. Insbesondere aufgrund der fehlenden Umgestaltung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG mit seinem Verweis auf die Regelungen des Strafprozesses ist von einer Renaissance der Diskussion des Betroffenenstatus auszugehen, sobald sich ein Auskunftspflichtiger im Verhältnis strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchung auf weitergehende Auskunftsverweigerungsrechte beruft. Für das Wiederaufleben der Auseinandersetzung über die Reichweite der Auskunftspflichten ist in den Gesetzgebungsmaterialien des PUAG aufgrund von Widersprüchlichkeiten in dieser Frage bereits die Basis gelegt.
531
Im Rahmen dieser Rechenschaftspflicht gelten allgemeine Rechtsprinzipien wie die Unschuldsvermutung nur eingeschränkt. So muss der Amtsträger zum Beispiel selbst belegen, dass seine Amtsführung vertrauenswürdig ist und kann sich nicht auf eine „politische Unschuldsvermutung" berufen. Vergi. Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (42). 532 Siehe unten 3. Teil I. 6. d).
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren
129
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren Nach der Bestimmung der Reichweite der Auskunftspflicht von Auskunftspersonen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren ist fraglich, welche Auswirkungen auf die Effektivität parlamentarischer Kontrolle hieraus resultieren. Zugrunde gelegt wird hierbei insbesondere die Bedeutung der Aussagen von Auskunftspflichtigen, die in der Doppelrolle als Zeugen und Beschuldigte einer parallelen Untersuchung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf der einen und einem Strafverfahren auf der anderen Seite unterliegen. In dieser Grundkonstellation wird § 22 Abs. 2 PUAG einschlägig, der „in Anlehnung" an § 55 StPO dann ein Auskunftsverweigerungsrecht einräumt, wenn dem Zeugen oder einem seiner Angehörigen wegen der Beantwortung von bestimmten Fragen eine Untersuchung nach einem „gesetzlich geordneten Verfahren" droht, worunter - weiter gefasst als bei § 55 StPO - neben straf- auch ordnungswidrigkeitsrechtliche Ermittlungsverfahren und beamtenrechtliche Disziplinarverfahren verstanden werden. 533 Der Einfluss dieser gesetzlichen Regelung auf die Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse soll anhand der grundsätzlichen (1.) Bedeutung von Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen, in Hinblick auf (2.) die Zuerkennung von Auskunftsverweigerungsrechten innerhalb der bisherigen Untersuchungspraxis und (3.) deren Auswirkungen auf die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen durchleuchtet werden.
1. Die Bedeutung von Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen a) Stellenwert
der tatsächlichen Sachverhalts außlärung
Im Vergleich zum Strafverfahren kommt der Zeugenaussage vor Untersuchungsausschüssen ein gänzlich anderer Stellenwert zu. In der strafVerfahrensrechtlichen Praxis wird insbesondere der Urkundsbeweis als besonders sicheres Mittel der Sachverhaltsaufklärung geschätzt. 534 Diese Einschätzung folgt aus den besonders strikt gefassten Formalvoraussetzungen strafrechtlicher Verantwortung 535 und dem Umstand, dass im Rahmen des Strafverfahrens alle erhebli533
Beschlussempfehlung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 04. Januar 2001, BT-Drs. 14/5790, S. 22. 534 „...das Beste ist immer - noch so schön und richtig der Zeugenbeweis auch ist noch der Urkundsbeweis." Nack,, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 10. Mai 2000, Protokoll G-32, S. 36; vergi. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 15 Rn. 20. 535 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37).
130 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
chen Tatsachen bewiesen werden müssen, so dass die tatsächliche Aufklärung des Sachverhalts absolute Priorität genießt. 536 So muss gem. § 170 StPO „genügend Anlass" zur Erhebung öffentlicher Klage bestehen. Grundlage hierzu kann nur ein fester Tatsachenkern sein, bloße Einschätzungen oder Vermutungen des Staatsanwalts reichen hierzu nicht aus, auch wenn es sich in dieser Frage um eine Prognose darüber handelt, ob eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist oder nicht. 5 3 7 Demgegenüber ist für die im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung erfolgende politische Beurteilung keine lückenlose tatsächliche Sachverhaltsaufklärung erforderlich. Wie sich aus den Ausführungen zur politischen Verantwortung ergibt, geht es hier nicht um die Ermittlung endgültiger Wahrheiten, da es diese in Fragen politischer Beurteilungen nicht gibt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass auf eine gewisse Tatsachenbasis gänzlich verzichtet werden könnte. Fraglich ist, inwieweit sich aus den unterschiedlichen Zielrichtungen parlamentarischer und strafrechtlicher Untersuchung Unterschiede in der erforderlichen Reichweite der Tatsachenermittlung ergeben. Im Strafverfahren geht es um die Frage einer strafrechtlichen Verurteilung einer Person, also eines einschneidenden Eingriffs in den subjektiven Freiheitsstatus der tatverdächtigen Person. Aus diesem Grund ergibt sich das Erfordernis der größtmöglichen tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung, die sich als Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verdichtet haben muss, was nur aufgrund einer festen Tatsachengrundlage möglich ist. 5 3 8 Die Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zielt - gerade im Fall der Skandalenquete - auf die Aufklärung von Sachverhalten, die großes öffentliches Aufsehen erregen, die im Regelfall der Minderheitsenquete 539 im Verantwortungsbereich der Regierung liegen und auf Missstände hindeuten. 540 In einer solchen Situation, in der das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie gestört ist, dienen die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse der „Selbstreinigung des politischen Systems insgesamt", 541 in einer für das Volk öffentlich nachvollziehbaren Weise,
536
ff.
537
Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 24 Rn. 6; Eisenberg,, Beweisrecht der StPO, Rn. 1
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO; § 170 Rn. 1 f.; BGHSt 23, 304 (306). BGH, StV 1982, S. 256 (256); StV 1986 S. 61 (61); NStZ 1987, S. 474 (474); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 91; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rn. 2. 539 Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sind vor allem ein kontrollpolitisches Instrument der Opposition bzw. der parlamentarischen Minderheit: Vergi. BVerfGE 49, 70 (79); Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 239 f.; Scholz, Parlamentarisches Untersuchungsrecht und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 565 (593 FN 106) m.w.N. 540 Eickel Referat zum 57. DJT, M 13. 541 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 60. 538
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren131
um so das gestörte Vertrauen wieder herzustellen. Dieses Ziel kann allerdings auch erreicht werden, wenn der fragliche Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt wurde; anders als im Strafverfahren kann es zur „politischen Verurteilung" durchaus ausreichend sein, wenn bestimmte Verdachtsmomente vom Verdächtigten nicht glaubhaft aus dem Weg geräumt werden können.
b) Publizität der Beweiserhebung Aus dem Umstand, dass das parlamentarische Untersuchungsverfahren eine positive Wirkung in der Wahrnehmung der Bevölkerung entfalten soll, erklärt sich die ausdrückliche Regelung des Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG, dass die Beweiserhebung grundsätzlich öffentlich zu erfolgen habe. Damit ist eine Ausnahme zur regelmäßigen NichtÖffentlichkeit der Ausschussarbeit statuiert, wie sie sonst im Bundestag Usus ist, 542 woraus folgt, dass die Entscheidung über die Öffentlichkeit im Sinne des Art. 42 GG 5 4 3 nicht dem Parlament obliegen soll, sondern - bei der Ermöglichung von Ausnahmen - bereits von Verfassung wegen getroffen ist. 544 Um seiner Funktion als Wiederhersteller verloren gegangenen Vertrauens in der Öffentlichkeit gerecht werden zu können, präsentiert sich das parlamentarische Untersuchungsverfahren somit als ein Verfahren gerade für die Öffentlichkeit. 545 Demgegenüber kommt der Öffentlichkeit im Strafverfahren eine andere Rolle zu, da dieses Verfahren grundsätzlich ein ,justizinternes Verfahren" 546 bleiben soll, wenn auch unter Kontrolle der Öffentlichkeit. 547 Daneben soll der Streitgegenstand nicht zu sehr an die Öffentlichkeit gezerrt werden, um eine frühzeitige „Anprangerung des Angeklagten", 548 dessen Schuld bis zur Verurteilung noch nicht festgestellt ist, zu vermeiden. Dieser Gedanke 542 Zeh, Das Ausschusssystem des Bundestages, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 39 Rn. 25. 543 Binder, Öffentlichkeit nach Art. 42 I, 44 1 GG und das Recht der Massenmedien, DVB1. 1985, S. 1112(1118). 544 Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 14; Quaas/Zuck, Ausgewählte Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, NJW 1988, S. 1873 (1876); Zeh, Regelungsbedarf und Regelungschancen für das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1988, S. 701 (707). 545 Richter, Privatpersonen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 102; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 289; vergi. Schröder, Altes und Neues zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse aus Anlass der CDU-Spendenaffôre, NJW 2000, S. 1455 (1458). 546 Peters, Strafprozess, § 60 II (S. 554). 547 Die ursprüngliche Funktion der öffentlichen Kontrolle und des Schutzes vor Willkür (Siehe oben, 1. Teil 2. c) ist weitestgehend verloren gegangen; vergi. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 169 GVG Rn. 1; Mavr, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 169 GVG Rn. 2; a.A. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 45 Rn. 2. 548 Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 438.
132 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
liegt auch der Einteilung des Strafverfahrens zugrunde: die ersten beiden Stufen, also staatsanwaltliches Ermittlungs- und gerichtliches Zwischenverfahren sind zum Schutz des eventuell unschuldigen Tatverdächtigen nichtöffentlich. Anders als das Strafverfahren zielt das parlamentarische Untersuchungsverfahren also auf das Erreichen der Öffentlichkeit ab, 5 4 9 insofern geht es genau darum, bestimmte Personen in der Öffentlichkeit zu vernehmen. Geht es ganz allgemein um die Untersuchung und die allgemeine Bekanntmachung des untersuchten (meist skandalbehafteten) Sachverhaltes vor einer möglichst breiten Öffentlichkeit, so ist im Hinblick auf die Zeugen die anprangernde Wirkung der Befragung vor der Öffentlichkeit nicht nur „hingenommen, sondern geradezu angestrebt". 550 Aufgrund der großen Publizität, insbesondere der Skandalenqueten, kann das Verfahren der Untersuchungsausschüsse für das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Auskunftspersonen beeinträchtigender sein als das im Übrigen von vornherein auf bestimmte Tatbestände begrenzte Strafverfahren. 551
c) Tatsachenbasis und politische Verwertung
von Zeugenaussagen
Die Bedeutung der Zeugenaussagen erschöpft sich somit bei weitem nicht allein in der Erlangung von Tatsachenwissen. Gerade bei der Befragung von Verantwortungsträgern zeigt sich ein besonderer Eigenwert, sobald der Untersuchungsausschuss als „politisches Kampfinstrument", wenn auch unter Beachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Grundregeln, einzelne Zeugen besonders „hart" vernimmt. Einschränkungen ergeben sich hier vor allem durch den absolut geschützten Teil der Privatsphäre der Zeugen. 552 Neben der Erlangung von Tatsachenwissen geht es bei der Zeugenvernehmung darum, in der öffentlichen Wahrnehmung ein Zeichen dafür zu setzen, dass sich die Volksvertretung selbst mit Nachdruck um Missstände im politischen System kümmert. Insbesondere bei politisch Verantwortlichen kommen den Zeugenaussagen in Hinblick auf die politische Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungen eine bedeutsame Aufgabe zu: Diese werden in die unangenehme Situation gebracht, sich öffentlich rechtfertigen zu müssen, ohne sich dabei (wie z.B. i.R. parlamentarischer Anfragen) hinter vorgefertigten Manuskripten verstecken zu kön549
c).
550
Vergi, bereits Weber, Parlament und Regierung, S. 353, 359. Siehe oben Α. II. 3.
Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 288. Scholz, Sachverständigenanhörung des 1. Untersuchungsausschusses der 10. Wahlperiode, Protokoll 2, S. 114, 118 f.; zit. nach: Richter, Privatpersonen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 60 FN 61. 552 Dieser schützt nach der etwas vagen Umschreibung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere Informationen mit „streng persönlichem Charakter"; vergi. BVerfGE 65, 1 (46); 67, 100 (144). Zu Einschränkungen für politisch Verantwortliche: Richter, Privatpersonen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, S. 60 ff. 551
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren133
nen. 553 Dies ist in einer Lage, in der das öffentliche Vertrauen aufgrund eines Skandals gestört ist, von besonderer Bedeutung, da somit den Bürgern deutlich gezeigt wird, dass sich die Verantwortungsträger rechtfertigen müssen. Auf der anderen Seite bietet sich für den Zeugen immer auch die Möglichkeit, sich vor dem Untersuchungsausschuss entsprechend wirksam zu verteidigen und somit aus der parlamentarischen Vernehmung politisch gestärkt hervorzugehen. 554 Gerade die intensive Befragung eines Zeugen, einschließlich Verdächtigungen und noch nicht bewiesener Unterstellungen, zeigt noch einmal den politischen Charakter der Untersuchung, die eine Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition darstellt. 555 Dies ist für die öffentliche Wahrnehmung und Beurteilung einer Zeugenvernehmung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse insofern besonders, als allgemein bekannt ist, dass es sich, anders als im Strafverfahren, nicht um eine neutrale Befragung durch einen objektiven Richter handelt, sondern um ein polarisiertes Verfahren, in dem der politische Gegner die Konfrontation sucht. Allerdings muss auch das parlamentarische Untersuchungsverfahren den Nachweis zumindest eines Tatsachenkerns gewährleisten, 556 um seine politische Wirksamkeit zu erreichen, da das Volk letztlich das Verfahren auch nach seiner Fairness beurteilt. Allein durch die Verbreitung nicht belegbarer Behauptungen ist es jedenfalls nicht möglich, die aufgewühlte öffentliche Meinung zu beschwichtigen.
d) Vorzüge der parlamentarischen gegenüber der strafrechtlichen Aufarbeitung Fraglich ist, ob eine strafverfahrensrechtliche Aufarbeitung eines politischen Skandals mit strafrechtlichem Hintergrund gegenüber einer parlamentarischen Untersuchung nicht eventuell sachgerechter ist, wenn man berücksichtigt, dass die tatsächliche und objektive Sachverhaltsaufklärung innerhalb eines Strafver553
Vergi, zum Verfahren: Schreiner, Geschäftsordnungsrechtliche Befugnisse des Abgeordneten, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 18 Rn. 4348. 554 Parlamentarische Untersuchungen sollen nach Max Weber der Herausbildung von politischen Führungspersönlichkeiten dienen (siehe oben A. II. 3. c)). Allerdings ist das Profilieren innerhalb parlamentarischer Untersuchungen faktisch deshalb schwer, weil sich der zu befragende Amtsträger aufgrund der Untersuchung regelmäßig in einer defensiven Position befindet; vergi. Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (38, FN 25). 555 Bichel, Referat zum 57. DJT, M 13; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 255. 556 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 64; Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (39); demgegenüber zu starke Betonung der erforderlichen tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung bei Bickel, Referat zum 57. DJT, M 13.
134 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
fahrens eine wesentlich höhere Bedeutung hat als dies innerhalb parlamentarischer Untersuchungen der Fall ist. Auch wenn nur eine gewisse Tatsachenbasis als Ergebnis der parlamentarischen Investigationen erforderlich ist, kann hieraus nicht gefolgert werden, dass eine allein strafrechtliche Aufarbeitung genüge. Eine solche ist aus verschiedenen Gründen nicht geeignet, die Hauptaufgabe der parlamentarischen Enquete, die Reinigung des politischen Systems in einer für die Allgemeinheit nachvollziehbaren und diese befriedigenden Weise zu bewältigen. Insbesondere würden die Vernehmungen bis zur Hauptverhandlung nichtöffentlich erfolgen und im Fall eines Nichtverhärtens des Verdachts somit gar nicht vor der Öffentlichkeit erfolgen. Des Weiteren sind die unterschiedlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, unter denen strafrechtliche und parlamentarische Untersuchungen erfolgen. So ist es im Rahmen eines bestehenden öffentlichen Skandals nicht allein mit einer Klärung der strafrechtlichen Verantwortung getan. Speziell die öffentliche Vernehmung der Zeugen gewährt der Bevölkerung Einblicke in das sonst eher Verborgene des politischen Systems und gewährleistet somit eine Transparenz der tatsächlichen Machtausübung, die erforderlich ist, um das Vertrauen in das politische System zu stärken, beziehungsweise in Fällen großer Skandale wieder herzustellen. In aller Regel hängt in diesem Punkt der Erfolg von Untersuchungsausschüssen wesentlich von den Zeugenaussagen ab. 5 5 7 Letztlich geht es im parlamentarischen Untersuchungsverfahren nicht nur um die Verifizierung von umstrittenen Sachverhalten, sondern auch und gerade um die politische Auseinandersetzung an sich, von der eine Katharsis in skandalumwitterten Zeiten ausgeht. Die Auseinandersetzung mit dem Zeugen im Rahmen der Befragung lässt sich in seinen politischen Effekten in der Öffentlichkeit durch kein anderes Beweismittel ersetzen, auch wenn diese, wie der Urkundsbeweis, oftmals einen höheren Beweiswert haben. Demgemäß ist die Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungen insgesamt von den Zeugenaussagen abhängig, so dass, anders formuliert, die Reichweite der Auskunftsverweigerungsrechte über die Effektivität derartiger Untersuchungen bestimmt. Diese Feststellung kann bestehen bleiben, obgleich durchaus berechtigterweise festgestellt wurde, dass auch die Auskunftsverweigerung eines Zeugen politisch gegen diesen verwandt werden kann, 558 da politische Vertrauenswürdigkeit auch ohne positiven Nachweis einer vorwerfbaren Handlung einzig aufgrund von Schein und Wahrscheinlichkeit in Zweifel gezogen werden kann. 559
557 Danckert, Aussagezwang in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, ZRP 2000, S. 476 (476); vergi. Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages, S. 64 ff., 92 ff.; Studenroth, Die parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 136. 558 Bryde, Öffentliche Anhörung des BTag-Ausschusses fur Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 16. 559 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (39).
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren135
e) Zwischenergebnis Nicht zu leugnen, sondern positiv hervorzuheben ist der Umstand, dass dem parlamentarischen Untersuchungsverfahren ein nicht aufhebbarer Zielkonflikt immanent ist zwischen der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung und seiner Rolle als politischem Kampfinstrument. Dieser Konflikt kulminiert in der Befragung von Zeugen durch den Untersuchungsausschuss, wodurch letztlich die Grundlage erfolgreicher parlamentarischer Untersuchungen gebildet wird. Damit kommt den Zeugenaussagen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren eine überaus große Bedeutung zu.
2. Bisherige Praxis in den Untersuchungsausschüssen a) Häufigkeit,
Problematik und Reichweite der Auskunftsverweigerungen
Einleitend zu klären ist die Frage, in welchem Umfang ein Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss zur Aussage verpflichtet ist, wenn er zugleich Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist oder zumindest die Möglichkeit hierzu besteht. Die erfolgreiche Aufklärungsarbeit der Untersuchungsausschüsse hängt, wie oben dargestellt, im Wesentlichen von Zeugenaussagen ab. Gerade im Fall von Skandalenqueten werden Sachverhalte untersucht, die im Regelfall mit schweren persönlichen Verfehlungen zusammenhängen, die aufgrund ihrer möglichen strafrechtlichen Relevanz ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren nach sich ziehen. Die Hauptpersonen sind somit oftmals zugleich die wichtigsten Zeugen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, aber auch Beschuldigte eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Im Parteispenden-Untersuchungsausschuss des 14. Bundestages560 erfolgten parallele Ermittlungen durch elf verschiedene Staatsanwaltschaften (und darüber hinaus fünf weitere Ermittlungsverfahren in ausländischen Staaten und vier parallel arbeitende Untersuchungsausschüsse auf Länderebene) und durch zwei Gerichtsverfahren. 561 Diese führten dazu, dass sich von den insgesamt vernommenen 117 Zeugen alleine 24 Zeugen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht
560
Der Untersuchungsausschuss sollte zunächst untersuchen, inwieweit Entscheidungen der vormaligen Bundesregierung durch finanzielle Zuwendungen beeinflusst wurden (BT-Drs. 14/2139 vom 2. Dezember 1999). Im weiteren Verlauf wurde der Untersuchungsauftrag um die Frage erweitert, ob in Zusammenhang damit gegen „Bestimmungen des Parteiengesetzes, gegen Aufsichts- und Dienstpflichten (...)" verstoßen wurde (BT-Drs. 14/2686 vom 18. Februar 2000). 561 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 32^2.
136 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
gem. § 55 StPO berufen haben, darunter zwei sogar weitergehend auf ein Schweigerecht gem. § 136 StPO analog. 562 Anhand der eben genannten Zahlen wird deutlich, wie stark eine parlamentarische Untersuchung durch die infolge dieser parallelen Ermittlungen resultierenden Auskunftsverweigerungsrechte behindert bzw. erschwert werden kann. Der Untersuchungsausschuss spricht in seinem Abschlußbericht in diesem Zusammenhang von „empfindlichen Aufklärungsdefiziten". 563 Weiterhin ist die hintergründige Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zu bedenken, dass insbesondere bei „Skandalenqueten" eine „Neigung zur Auskunftsverweigerung besteht", die als „gewisser Ausweg" erscheinen möge. 564 Dieser Umstand resultiert nicht zuletzt aus der hochrangigen Stellung zahlreicher Zeugen, die nicht nur erfahren im politischen Geschäft, sondern oftmals auch umfassend politisch und rechtlich beraten sind und häufig ein vitales Interesse daran haben, gerade nicht umfassend aussagen zu müssen. Die Grenze der Aussagepflicht eines Zeugen im Beweiserhebungsverfahren eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses bestimmt sich nach § 22 Abs. 1, 2 PUAG. Indem diese Regelung inhaltlich mit der bisherigen Praxis übereinstimmt, den Umfang der Auskunftsverweigerungsrechte aufgrund des Verweises von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG und des nemo-tenetur-Prinzips anhand von § 55 StPO zu bemessen,565 kann auf die Erfahrungen mit der Untersuchungspraxis vor Erlass des PUAG und deren Beurteilung in der Literatur zurückgegriffen werden, da insoweit die Voraussetzungen durch Erlass des Untersuchungsausschussgesetzes nicht geändert wurden. Die rechtmäßige Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, weil er bei wahrheitsgemäßer Aussage Angaben machen müsste, die einen Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO begründen 566 oder sogar ein früheres strafbares Verhalten vollständig aufdecken würden. 567 Problematisch ist, dass diese Situation für die hier be-
562 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 89. Zu § 136 StPO: Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 254. 563 Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 87. 564 BVerfGE 76, 363 (384); vergi. Engels, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, S. 86. 565 Allerdings mit einer Erweiterung auch auf disziplinarrechtliche Verfahren, vergi. Beschlussempfehlung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 18. 566 Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 55 Rn. 10; Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 55 Rn. 6; BGH NStZ 1994, S. 499 (500); BVerfG, StV 2002, S. 177. 567 OLG Zweibrücken, wistra 1994, S. 357; Pfeiffer, StPO, § 55 Rn. 1.
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren
137
trachtete Auskunftsperson, die zugleich Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und Zeuge einer parlamentarischen Untersuchung ist, grundsätzlich immer einschlägig ist, solange die beiden Verfahren übereinstimmende Sachverhaltsbereiche untersuchen, auch wenn zu beachten ist, dass § 55 StPO im Gegensatz zu §§ 136 Abs. 1 S. 2; 243 Abs. 4 S. 1 StPO keine umfassende Aussagefreiheit einräumt, sondern das Auskunftsverweigerungsrecht vielmehr auf verfängliche Fragen bzw. Teile des strafverfahrensrechtlichen Beweisthemas beschränkt. 568 Nachdem nunmehr die Umgrenzung der Auskunftspflicht bestimmt wurde, sind die hieraus resultierenden Probleme innerhalb von Beweiserhebungsverfahren zu betrachten. Insbesondere im Hinblick auf § 22 Abs. 2 PUAG und die Beweiserhebung vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss könnte aus den Grenzen der Auskunftspflicht gefolgert werden, dass zumindest die politische Verwertbarkeit der Zeugenaussage erhalten bleibt, solange der Ausschuss auf Fragen verzichtet, deren Beantwortung den Zeugen mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht, auch wenn die tatsächliche Sachverhaltsaufklärung durch Auskunftsverweigerungen zwangsläufig erschwert wird. Diesem Ansatz ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich das Auskunftsverweigerungsrecht - als Ausnahme vom Grundsatz, dass § 55 StPO nicht zur Verweigerung der gesamten Aussage berechtigt 569 - zu einem Zeugnisverweigerungsrecht ausweiten kann, soweit die gesamte in Betracht kommende Aussage in einem so engen Zusammenhang steht, dass nichts verbleibt, was ohne die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesagt werden könnte. 570 Dafür ist es ausreichend, dass die Fragen an den Zeugen den Verdacht nur mittelbar begründen, sei es auch nur als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude.571 Nach dieser von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung 572 übernommenen sog. Mosaiktheorie reichen allerdings bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten für die Annahme der Gefahr einer Strafverfolgung nicht aus. 573 Hier entsteht jedoch in beiden Verfahren das praktische Dilemma bezüglich der Reichweite der Auskunftsverweigerungsrechte: Solange die Aussage des Zeugen noch nicht bekannt ist, kann man nicht beurteilen, inwieweit er sich zu Recht auf § 55 StPO bzw. § 22 Abs. 2 PUAG beruft.
568 569
(760). 570
Pfeiffer, StPO, § 55 Rn. 1; Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 55 Rn. 6. Dahs, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 35 Rn. 4; OLG Stuttgart, NJW 1950, S. 760
BGHSt 10, 104 (105); 17, 245 (247); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1115; Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 55 Rn. 2; vergi. Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 252 f. 571 BGH, StV 1987, S. 328; BGH, NJW 1994, S. 2839 (2840); BGH, NJW 1998, S. 1728 (1729); Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 55 Rn. 11. 572 OVG NJW 1999, S. 80 (80). 573 BGH NJW 1994, S. 2839 (2840) m.w.N.
138
Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Im Strafverfahren muss der Zeuge gemäß § 56 StPO auf Verlangen glaubhaft machen, dass die Fragestellung strafrechtlich verfänglich ist. Auch im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen kann auf diese Vorgehensweise nicht verzichtet werden, weil anderenfalls eine missbräuchliche Berufung auf die Auskunftsverweigerungsrechte nicht verhindert werden könnte, und somit die Sachverhaltsaufklärung gefährdet werden würde. 574 Sollte die Glaubhaftmachung allerdings nur über Angaben möglich sein, die in ihrer strafrechtlichen Relevanz der eigentlichen Aussage gleichkommen, genügt die bloße Versicherung des Zeugen, er selbst gehe nach bestem Wissen und Gewissen von einer strafrechtlichen Konsequenz seiner Aussage aus. 575 De facto übt der Zeuge somit selbst die Definitionsherrschaft über die Reichweite seiner Auskunftspflicht aus, 576 auch wenn die Entscheidungsbefugnis beim Gericht liegt, das die Rechtmäßigkeit im pflichtgemäßen Ermessen prüft. 577 Darüber hinausreichend muss das Schweigen des Zeugen nach Ansicht des Landgerichts Berlin sogar erörterungslos akzeptiert werden, soweit der Zeuge bereits nach Aktenlage verdächtig ist. 5 7 8 Diesem Punkt kann in der Praxis der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse eine große Bedeutung zukommen. So hat das Landgericht Berlin unter Abstellung auf diesen Gesichtspunkt eine Beschwerde des 14. Deutschen Bundestages gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten als unbegründet verworfen, 579 mit dem das Amtsgericht den Beschluss des Parteispenden-Untersuchungsausschusses abgelehnt hatte, einen Hauptzeugen nach § 70 Abs. 2 S. 1 StPO in Beugehaft zu nehmen, nachdem dieser unter Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO die Beantwortung fast aller
57 4
Buchholz, Der Betroffene, S. 106; vergi. Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO, § 55
Rn. 7. 57 5
Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1125; Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbelastung, S. 103 ff.; Buchholz, Der Betroffene, S. 107 m.w.N. 576 Diesen gewichtigen Punkt lässt Wiefelspütz unerwähnt. Vergi, ders., Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 251. 57 7 Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 55 Rn. 18; Paulus, in: KMR-StPO, § 55 Rn. 12; Senge, in: KK- StPO, § 55 Rn. 13; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 55 Rn. 10. 578 So zumindest der weitreichende Beschluss des LG Berlin v. 14. September 2000 (503 Qs 58/00), S. 9; allerdings wird in dem dort zitierten BGHSt 28, 240 (258) lediglich festgehalten, dass nicht offenkundige Tatsachen offenbart werden müssen. Ob aus dieser von der Literatur geteilten Feststellung (vergi. Dahls, in: Löwe/Rosenberg, § 55 Rn. 17; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 56 Rn. 2; Bosch, Aspekte des nemotenetur-Prinzips, S. 254) im Umkehrschluss tatsächlich gefolgert werden kann, dass eine Erörterung bekannter Tatsachen unzulässig ist, ist fraglich. Die Feststellungen des LG Berlin sind in Hinblick auf die Funktionalität parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nicht überzeugend. 579 Beschluss des LG Berlin v. 14. September 2000 (503 Qs 58/00), S. 1; vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 96.
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren139
Fragen des Ausschusses verweigert hatte. Der amtsgerichtliche Beschluss stellte dabei v.a. darauf ab, dass der Zeuge zugleich Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sei und in einer solchen Konstellation eine Abgrenzung zwischen den jeweiligen Untersuchungsgegenständen nicht trennscharf möglich sei, weshalb im Zweifel zu Gunsten des betroffenen Zeugen von einem umfassenden Schweigerecht auszugehen sei. 580 Diese im Hinblick auf die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen sehr weitreichende Auslegung des § 55 StPO, die das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen in praxi nahezu immer zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht ausweitet, sobald ein paralleles Ermittlungsverfahren durchgeführt wird, wurde vom LG Berlin im Ergebnis, wenn auch mit einer inhaltlichen Akzentverschiebung in der Begründung, bestätigt. Hervorgehoben wurde in diesem Beschluss der oben genannte Punkt, dass das Schweigen eines Zeugen erörterungslos zu akzeptieren sei, soweit die zur Zeugnisverweigerung berechtigenden Tatsachen offenkundig seien, was jedenfalls dann gegeben sei, sobald dem Untersuchungsausschuss die entsprechenden staatsanwaltlichen Ermittlungsakten vorlägen. 581
b) Möglichkeiten des Missbrauchs von strafrechtlichen Er m itti ungsv erfahr en
Indem die Aufklärungsziele der Untersuchungsausschüsse den Interessen einzelner Zeugen oder Personengruppen zuwiderlaufen können, ist die Frage zu klären, ob und auf welchem Wege die aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen oder disziplinarrechtlicher Verfahren eingeräumten Auskunftsverweigerungsrechte Optionen für eine missbräuchliche Behinderung der Untersuchungsausschussarbeit eröffnen.
aa) Manipulation durch Lancierung einer Anzeige Zunächst ist zu beachten, welche Vorteile die derzeitige Rechtslage für den aussageunwilligen Untersuchungsausschuss-Zeugen bietet, der als Privatperson keine Angaben zu möglichen persönlichen Verfehlungen machen möchte oder im Fall eines politisch Verantwortlichen einer Befragung zu politischen Entscheidungen aus dem Weg gehen möchte. Will sich ein Zeuge seiner Aussagepflicht durch Aussageverweigerungsrechte entledigen, so reicht die Lancierung einer anonymen Selbstanzeige; noch manipulationsanfalliger sind die von § 22
580 Beschluss des AG Tiergarten v. 10. Juli 2000 (353 AR 141/00); dazu krit. Schneider,, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333). 581 Beschluss des LG Berlin v. 14. September 2000 (503 Qs 58/00), S. 9.
140 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
Abs. 2 PUAG - im Gegensatz zu § 55 StPO 582 - umfassten Disziplinarverfahren (...„nach einem gesetzlich geordneten Verfahren"). 583 Die Initiierung eines solchen Verfahrens muss nicht einmal heimlich im Rahmen einer namenlosen Selbstanzeige erfolgen, sondern kann ganz offiziell zur Selbstreinigung beantragt werden und dann während seiner Dauer auf diesem Wege die Auskunftspflichten vor einem Untersuchungsausschuss suspendieren. 584 Folglich ist es für einen Zeugen relativ einfach möglich und machbar, einer von ihm nicht gewünschten Befragung durch einen Untersuchungsausschuss aus dem Weg zu gehen.585
bb) Suggestion der Staatsanwaltschaften Des weiteren ergeben sich durch die Tätigkeit von Staatsanwaltschaften, die die Aufnahme und die Dauer von Ermittlungsverfahren bestimmen können, weitere Möglichkeiten, die Zeugenvernehmungen der Untersuchungsausschüsse negativ zu beeinflussen: wird ein Ermittlungsverfahren zeitlich oder im Umfang ausgedehnt, können die daraus resultierenden Auskunftsverweigerungsrechte die Arbeit der Untersuchungsausschüsse nachhaltig beeinträchtigen. Bereits auf dem 34. Juristentag im Jahre 1926 wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass Ermittlungsverfahren explizit mit der Absicht eingeleitet werden könnten, die Arbeit der Untersuchungsausschüsse lahmzulegen;586 Dieser Fall soll im Zusammenhang mit dem „Fememord-Untersuchungsausschuss" des Reichstages tatsächlich eingetreten sein. 587 Auch wenn in der Zeit nach Erlass des PUAG gerade im Vergleich zur politisch instabilen Zeit der Weimarer Republik grundsätzlich von einer rechtsstaatlich einwandfreien und demgemäß entpolitisierten Arbeit der gem. § 146 GVG weisungsgebundenen Behörde „Staatsanwaltschaft" auszugehen ist, muss die problematische Möglichkeit erkannt werden, dass gerade in einer ausgeprägt ungefestigten Lage, wie sie mit großen öffentlichen Skandalen einhergehen kann, die Arbeit der Untersuchungsausschüsse „von außen" nachhaltig beeinträchtigt werden kann. Man bedenke nur Konstellationen, in denen es dem politischen Interesse einer Landesregierung 582
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 55 Rn. 1; Paulus, in: KMR-StPO, § 55 Rn. 5; a.A. Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 165. 583 Vergi. Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 251 f. 584 Schneider, Spielregeln für einen investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607). 585 Vergi. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 216 (218), Schneider, Spielregeln für einen investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2606). 586 Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, Bd. 2, S. 89. 587 Wunderlich, Die Fragen des Deutschen Juristentages, Deutsche Juristenzeitung 1926, S. 1262 (1263 ff.).
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren141
oder persönlichen Motivationen ihrer Mitglieder entspräche, die Arbeit eines Untersuchungsausschusses auf Landes- aber auch auf Bundesebene zu behindern. Durch eine - auch inoffizielle - Weisung an die Staatsanwaltschaften, andersgeartete Beeinflussungen oder deren Tätigwerden im Wege eines vorauseilenden Gehorsams, 588 ließen sich Ermittlungsverfahren ins Leben rufen, die die wichtigsten Informationsträger als aussagepflichtige Zeugen sperren und so die Aufklärungsarbeit nachhaltig erschweren könnten. Dass eine Beeinflussung von Staatsanwaltschaften im Zusammenhang mit der Arbeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durchaus als möglich angesehen wird, zeigt sich daran, dass zur Zeit des 14. Bundestages nach Presse Veröffentlichungen 589 auf Länderebene ein mit dem Bundesuntersuchungsausschuss inhaltlich eng verknüpfter Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen wurde, der klären sollte, „ob und gegebenenfalls inwieweit in Verbindung mit möglicherweise unzulässiger Einflussnahme auf strafrechtliche Ermittlungen eine rechtswidrige Verknüpfung von Staats-, Partei-, Wirtschafts- und Privatinteressen stattgefunden hat". 5 9 0
3. Effektivitätsverluste parlamentarischer Untersuchungen Was ist aber die Folge der derzeitigen Regelung der Auskunftsverweigerungsrechte im Hinblick auf die Effektivität und die politische Wirksamkeit des parlamentarischen Kontrollrechts? Nahezu zwangsläufig wird der Untersuchungsablauf dadurch beeinträchtigt, dass sich gerade die wichtigsten Zeugen der parlamentarischen Beweiserhebung aufgrund der durch ihre Beschuldigtenstellung in parallelen Ermittlungsverfahren entstehenden Auskunftsverweigerungsrechte entziehen können und somit nichts zur Informationswirkung beitragen, wodurch die Erfüllung des Untersuchungsauftrages nahezu unmöglich gemacht wird. 5 9 1 Weiterhin ist ein auskunftsverweigernder Zeuge auch im geringeren Maße „politisch verwertbar"; zwar wird auch eine Auskunftsverweigerung in der öffentlichen Diskussion innerhalb der Bevölkerung nicht gänzlich
588 Vergi. Goetz/Neumann/Schröm, Allein gegen Kohl, Kiep und Co., S. 69 ff., 183 ff. zu den verschiedenen Möglichkeiten, die Arbeit von Staatsanwälten auch ohne direkte Weisung nachhaltig zu beeinflussen. 589 Goetz/Neumann/Schröm, Allein gegen Kohl, Kiep und Co., S. 1 ff. 590 Bay.LTag 14.WP, Drs. 14/5770 vom 15. Februar 2001, S. 1. 591 Pabel, Verhängung von Beugehaft durch einen Untersuchungsausschuss, NJW 2000, S. 789 (790); Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333); Zeh, Regelungsbedarf und Regelungschancen für das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1988, S. 701 (706); vergi. Bachmaier, Plädoyer für ein besseres Untersuchungsrecht, Recht und Politik 2000, S. 197 (199).
142 Β. Parallele Untersuchungen durch Strafjustiz und Untersuchungsausschüsse
ohne Wirkung bleiben, 592 zumal der Zeuge somit einen gegen ihn bestehenden Verdacht nicht aus dem Weg räumen kann, 593 was der politische Gegner durchaus gegen ihn verwenden kann und wird. Auch wenn der auskunfitsverweigernde Zeuge somit durchaus eine politische Wirkung entfaltet, so kann doch festgehalten werden, dass dies niemals an eine tatsächlich durchgeführte Befragung des Zeugen heranreicht. Geht man davon aus, dass die Hauptfünktion des parlamentarischen Kontrollrechts in der für das Volk nachvollziehbaren Selbstreinigung des politischen Systems unter Beibringung der dazu erforderlichen Tatsachen liegt, muss bei der Beurteilung der Effektivität der Untersuchungen auch und gerade auf die erzielte öffentliche Wirkung abgestellt werden. Dass diese gerade in Konstellationen, in denen die Strafverfolgung des im Untersuchungsausschuss die Aussage verweigernden Zeugen im weiteren Verlauf folgenlos eingestellt wird, verheerend ist, liegt auf der Hand - wobei dies in besonderem Maße für Fälle gilt, in denen politisch Verantwortliche betroffen sind. In diesem Fall wird die in einen öffentlichen Skandal verwickelte Person gerade nicht belangt und muss sich aufgrund der bestehenden Aussageverweigerungsrechte weder politisch noch rechtlich verantworten. Der durch die Einrichtung des parlamentarischen Untersuchungsrechts beabsichtigte Effekt, den Bürgern zu zeigen, dass sich die Volksvertretung selbst um die Missstände im politischen System kümmert - die Häufungen parlamentarischer Untersuchungen in jüngster Zeit sind auch als Zeichen dafür zu verstehen, dass die Volksvertreter diesem nachkommen wollen 5 9 4 - verkehrt sich somit geradezu in das Gegenteil, da der Eindruck entsteht, dass das Parlament dem öffentlichen Skandal machtlos gegenübersteht. Schlimmstenfalls kann der Eindruck entstehen, dass die politischen Mandatsträger insgesamt das Interesse haben, bestimmte Sachverhalte nicht wirklich aufzuklären. Verstärkt wird dieser Effekt durch die öffentliche Wahrnehmung, die in skandalbewegten Zeiten den Untersuchungsausschuss trotz seiner Stellung als Unterorgan des Bundestages595 anstelle desselben setzt, 596 so dass ein Scheitern des Untersuchungsausschusses als Scheitern des Parlaments insgesamt interpretiert wird. Das zu schwinden drohende Vertrauen der Bevölkerung in das par-
592 Vergi. Bryde, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfling, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 16; Depenhauer, Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll v. 16. Mai 2001, S. 11. 593 Dies ist allerdings faktisch schwer, weil die Zeugen in der Regel ohnehin in der Defensive stehen. Vergi. Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (38). 594 Schneider, Spielregeln für einen investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2605). 595 BVerfG, DVB1 1988, S. 200 (201); vergi. Maunz, in: Maunz/Dürig (Voraufl.), GG, Art. 44 Rn. 3. 596 Schneider, Referat zum 57. DJT, M 61.
V. Auswirkungen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren143
lamentarische System kann umso besser erhalten oder sogar wiederhergestellt werden, je wirksamer die parlamentarische Enquete funktioniert.
4. Zwischenergebnis Den Aussagen von Zeugen kommt innerhalb parlamentarischer Untersuchungen eine überaus große Bedeutung zu. In der Praxis des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages hat sich jedoch gezeigt, dass nahezu jeder fünfte Zeuge seine Aussage aufgrund der Selbstbelastungsfreiheit verweigert. Diese Tendenz wird durch gerichtliche Entscheidungen, die das Auskunftsverweigerungsrecht sogar zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht ausweiten, weiter gestützt. Dabei haben die Auskunftspflichtigen de facto die Definitionsherrschaft über die Reichweite ihrer Auskunftspflicht inne. Durch die Auskunftsverweigerungsrechte, die sich für Untersuchungsausschusszeugen gem. § 22 Abs. 2 PUAG aufgrund von Straf- oder Disziplinarverfahren ergeben, entstehen sowohl für aussageunwillige Einzelpersonen als auch für aufklärungsunwillige Parteien oder andere einflussausübende Gruppierungen Möglichkeiten, das parlamentarische Untersuchungsverfahren missbräuchlich zu behindern. Die Erfüllung der wichtigsten Aufgabe des parlamentarischen Kontrollrechts, die Selbstreinigung des politischen Systems in einer für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren und überzeugenden Weise, wird durch die zahlreichen Auskunftsverweigerungen nachhaltig erschwert. Insbesondere wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass weder eine rechtliche noch eine politische Verantwortung realisiert wird, kann sich die angestrebte stabilisierende Wirkung des politischen Systems in skandalbehafteten Zeiten geradezu in ihr Gegenteil verkehren.
C. Reformvorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten Die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Ineffektivität der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist weit verbreitet. 597 Die Reaktionen hierauf reichen von Forderungen, das Untersuchungsrecht des Parlaments gänzlich abzuschaffen 598 bis zu unterschiedlich weitreichenden Vorschlägen, die Effektivität der Untersuchungen zu steigern. Anknüpfungspunkt dieser Vorschläge ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Parteispendenausschuss des 14. Bundestages - insbesondere die Auskunftspflicht der Zeugen, die zugleich Beschuldigte eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind und sich deshalb auf Auskunftsverweigerungsrechte berufen können. Allerdings stellen die Reformvorschläge nicht nur eine Reaktion auf die spezifische Situation des Parteispenden-Untersuchungsausschusses dar, sondern begrenzen die festgestellten allgemeinen Missbrauchsmöglichkeiten von aussageunwilligen Auskunftspersonen. Dabei basieren die Reformvorschläge, trotz der weit verbreiteten und berechtigten Forderung 599 nach einer Änderung des Art. 44 GG, auf der bestehenden Verfassungsrechtslage. Damit wird der Erfahrung Rechnung getragen, dass sich das Parlament mit einer Änderung der verfassungsrechtlichen Regelung des parlamentarischen Untersuchungsrechts sehr schwer tut, obwohl schon seit der Weimarer Republik insbesondere die Verfehltheit des sinngemäßen Verweises auf die Vorschriften des Strafprozesses allgemein beklagt wird. Aus diesem Grund sollen die Reformvorschläge in einer künftigen Änderung des § 22 Abs. 2 PUAG einfachgesetzlich realisierbar sein, ohne dass dafür die Zweidrittelmehrheit zur Verfassungsänderung erforderlich wäre. Allerdings ist zu berücksichtigen, welche Auswirkungen die Reform Vorschläge auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren und die Tätigkeit der Strafjustiz haben. Dabei sind die verschiedenen Konstellationen zu berücksichtigen, die den jeweiligen Untersuchungen zugrunde liegen können. So besteht grundsätzlich zwischen
597 Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (476); Jekewitz, Parlamentarische Untersuchungsverfahren, Recht und Politik 2000, S. 215 (215); Bachmaier, Plädoyer für ein besseres Untersuchungsrecht, Recht und Politik 2000, S. 197 (199). 598 Massing, in: Schüttemeyer/Thaysen, Bedarf das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse der Reform, S. 132 ff. 599 Vergi, statt vieler nur: Schröder, Verhandlungen des 57. DJT, E 1, E 42 ff.; Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 69 f.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
145
den beiden Untersuchungsverfahren ein Kooperationsverhältnis, wie es insbesondere in Art. 44 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. Allerdings müssen Vorschläge zur Optimierung parlamentarischer Untersuchungen gerade auch Fälle erfassen, in denen dieser Pflicht zur gegenseitigen Kooperation zuwidergehandelt oder sie zumindest vernachlässigt wird. Den einzelnen Reformvorschlägen liegt durchgängig die Ausgangslage zugrunde, dass sich bei parlamentarischen Untersuchungen regelmäßig drei verfassungsrechtlich begründete Rechtspositionen gegenüberstehen: Zunächst die Selbstbelastungsfreiheit des Auskunftspflichtigen, das Untersuchungsrecht des Parlaments und schließlich die Strafverfolgungspflicht 600 des Staates. Wie dieses Spannungsverhältnis interessensgerecht und verfassungsrechtlich zulässig gelöst werden kann, wird mit den folgenden Reformansätzen untersucht.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung Im Rahmen der Diskussion um den Erlass des PUAG hat sich eine Meinungsgruppe gebildet, die bei der Ausgestaltung der Aussagepflicht im Untersuchungsausschussrecht auf die in der Gemeinschuldner-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen w i l l . 6 0 1 Zum Ausgleich der sich in diesem Problemkreis gegenseitig belastenden verfassungsrechtlichen Schutzgüter, also dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden individuellen Schutzrecht des Auskunftspflichtigen vor erzwungener strafrechtlicher Selbstbelastung und dem sich aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG ergebenden parlamentarischen Kontrollrecht, soll nach dieser Meinungsgruppe die vor dem Untersuchungsausschuss erzwungene Aussage 602 oder zumindest die freiwillig getätigte 603 mit einem strafrechtlichen Verwertungsverbot verbunden werden. Darüber hinaus finden sich Ansätze, die eine Sonderrege-
600
BVerfGE 46, 214 (223); 49, 24 (54). Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (478); Ströbele, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfling, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 57; Ströbele, Ergänzungsvorschlag, Presseerklärung vom 25. August 2000, S. 1; Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333); Maier, Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 45 f.; Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001, S. 14. 602 Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (479). 603 Die Beschränkung auf freiwillig getätigte Aussagen findet sich bei Schneider, Wortäußerung, in: Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll v. 16. Mai 2001, S. 40; ders., Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607) unter Hinweis auf die südafrikanische „Truth and Reconciliation Commission" (TRC). 601
146
C. Reform vorschlage zur Optimierung der Auskunftspflichten
lung fur politisch Verantwortliche fordern. 604 Indem die Kollision zwischen Selbstbelastungsfreiheit und parlamentarischem Aufklärungsinteresse einseitig durch die Übernahme der Regelungen der §§ 55 f. StPO in § 22 PUAG aufgelöst wurde, führte dieser Reformvorschlag zu der Notwendigkeit einer Modifizierung des PUAG. Dies entspräche einer im Zuge der Beratungen zum PUAG getroffenen Voraussage, dass „irgendwann dieses Gesetz eine Regelung enthalten (wird), die die Arbeit des Untersuchungsausschusses noch effektiver macht, als sie heute ist". 6 0 5
1. Grundstrukturen der Gemeinschuldnerentscheidung Die diesem Vorschlag zugrunde liegende Idee, die Wahrheitsfindung in einem anderen Verfahren als dem Strafverfahren trotz drohender Selbstbelastung der Auskunftsperson dadurch zu sichern, dass die verschiedenen Verfahren insofern voneinander abgeschüttet werden als der Gebrauch der in einem anderen Verfahren erhobenen Information für das Strafverfahren gesperrt wird, folgt aus der Gemeinschuldnerentscheidung, 606 die als wichtigstes Modell für andere Fälle uneingeschränkter außerstrafprozessualer Auskunftspflichten gilt. 6 0 7 Fraglich ist, ob sich dieses Modell auf andere Rechtslagen, wie das parlamentarische Untersuchungsverfahren, rechtlich zulässig übertragen lässt. Dazu sind zunächst die Strukturen der in der Gemeinschuldnerentscheidung behandelten Rechtsfragen herauszuarbeiten.
604 Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001,S. 14. 605 Ströbele, Sten.Prot.BTag, 14. WP, 165. Sitzung, 06. April 2001, S. 16150. 606 BVerfGE 56, 37 ff.; Besprechungen von Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757 ff; Dingeldey, Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit, NStZ 1984, S. 529 (530); Reiß, Auskunftsverweigerungsrechte bei Gefahr der Strafverfolgung in öffentlichrechtlichen Verfahren, NJW 1982, S. 2540 (2540f.); Schäfer, Bemerkungen zu „nemo tenetur se ipsum accusare, in: FS Dünnbier (1982) S. 11 (28 ff); Streck, Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum strafrechtlichen Verwertungsverbot bei Aussagen des Gemeinschuldners, StV 1981, S. 362 (362); vergi. Kramer, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2001, S. 386 (387). 607 Vergi. Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 105 ff; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 56; Dingeldey, Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit, NStZ 1984, S. 529 (530); Nack, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 35; Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217
(220).
. Beweisverwertungsverbots-Lösung
a) Konfliktlage
bei konkursrechtlichen
147
Auskunftspflichten
In der der Gemeinschuldnerentscheidung zugrunde liegenden Fallkonstellation ging es entscheidend darum, ob die gem. §§ 75, 100, 101 Abs. 2 KO unbeschränkte und im Fall pflichtwidriger Verweigerung durch den Einsatz von Zwangsmitteln erzwingbare Aussagepflicht des Gemeinschuldners im Konkursverfahren im Falle drohender strafrechtlicher Selbstbelastung (insbesondere in Zusammenhang mit Konkursvergehen) mit der Freiheit vom Zwang zur Selbstbelastung vereinbar ist, da zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und dem Informationsinteresse des Gläubigers auf der einen Seite und der fur den Gemeinschuldner geltenden Selbstbelastungsfreiheit auf der anderen Seite ein Konflikt besteht. Unter Anwendung der Regelungen der KO bestand für den strafbedrohten aber aussagepflichtigen Gemeinschuldner nur die Möglichkeit, sich entweder selbst zu belasten (bzw. durch eine Falschaussage ein neues Delikt zu verwirklichen) oder aber wegen der Verweigerung der Aussage Zwangsmitteln ausgesetzt zu sein. Die KO enthielt für diesen Konflikt keine Regelung. Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es im Fall einer aus vorkonstitutioneller Zeit stammenden Regelung, in der sich aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Ergänzungsbedürftigkeit ergebe, es Sache der Richter sei, die Gesetzeslücken bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber mit einer möglichst engen Anlehnung an das geltende Recht und unter Rückgriff auf die Vorschriften der Verfassung zu schließen.608 Aus diesem Grund untersucht das Gericht die Ergänzungsbedürftigkeit der KO und die in der Gesamtrechtsordnung geltenden Regelungen, die den Konflikt zwischen Auskunftspflicht und Selbstbezichtigungsfreiheit betreffen.
b) Auskunftspflicht
und Selbstbelastungsfreiheit
Einleitend trägt das Gericht seine Auffassung zu Rechtsgrundlage und Geltung des nemo-tenetur-Prinzips vor. Durch einen Zwang zur Selbstbezichtigung im Strafverfahren wird nach Ansicht des Gerichts zugleich die Würde des Menschen berührt, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet werde. 609 Eingehend prüft das Gericht die Verwirklichung des Schutzes vor einer strafrechtlichen Selbstbelastung. Dazu stellt das Gericht zunächst fest, dass die geltende Rechtsordnung „kein ausnahmsloses Gebot" kenne, nach dem „niemand zu Auskünften oder zu sonstigen Handlungen gezwungen werden darf, durch
608 BVerfGE 56, 37 (51) unter Verweis auf BVerfGE 37, 67 (81); 49, 286 (301 ff.); 33, 23 (34). 6
BVerfGE 56, 37 ( 4 ) .
148
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
die er eine von ihm begangene strafbare Handlung" offenbaren müsse.610 Allerdings sei der Schutz gegen Selbstbezichtigungen für Zeugen, Prozessbeteiligte und insbesondere für Beschuldigte in Strafverfahren oder entsprechenden Verfahren sehr weitreichend und zeige sich insbesondere im Zeugnisverweigerungsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren. Dies folgt für das Bundesverfassungsgericht aus dem nemo-tenetur-Prinzip, das es als Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung bezeichnet, der aus der Achtung der Menschenwürde entspringe. Dass die verfassungsrechtliche Grundlage des nemo-teneturPrinzips im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Aussagepflichtigen zu sehen ist, wird vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht klar herausgearbeitet. 611 Indem die KO zwar eine Pflicht zur Aussage, aber keinen Schutz des nemo-tenetur-Prinzips, das durch eine Übertragung der im Konkursverfahren gemachten Aussagen in ein Strafverfahren leicht ausgehebelt werden könnte, enthielt, kam das Gericht zur verfassungsrechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit dieser Regelung.
2. Nichtstrafrechtliche Auskunftspflicht und Drittinteressen Nach diesen in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allgemein akzeptierten Feststellungen zu den Schweigerechten im Strafverfahren beginnen die für die vorliegende Untersuchung relevanten Teile des Gemeinschuldnerbeschlusses mit der Prüfung, inwieweit der Schutz vor Selbstbelastung in anderen als dem Strafverfahren in der Rechtsordnung zu verwirklichen ist.
a) Auskunftsverweigerungsrechte
in nichtstrafrechtlichen
Verfahren
Zur Darstellung der grundsätzlichen Möglichkeiten, die gegenläufigen Interessen bei nichtstrafrechtlichen Auskunftspflichten und betroffenen Drittinteressen zu einem Ausgleich zu bringen, sucht das Bundesverfassungsgericht nach weiteren gesetzlichen Regelungen, mit denen der Gesetzgeber auf die bestehende Konfliktlage reagiert hat und betrachtet zunächst die Situation für Prozessparteien und Zeugen im Zivilprozess. Weitgehend unproblematisch sei die Behandlung der „gewöhnlichen" Prozessbeteiligung eines strafrechtlich Tatverdächtigen. So könne dieser im Rahmen der Sachverhaltserforschung herangezo-
610
BVerfGE 56, 37 (42). BVerfGE 56, 37 (43) unter Verweis auf BVerfGE 18, 105 (113) und BGHSt 14, 358 (364). Zu einer kritischen Bewertung dieser Auffassung kann auf die Ausführungen im Teil B. verwiesen werden: Die verfassungsrechtliche Begründung des nemo-teneturPrinzips liegt alleine im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Auskunftspflichtigen. Siehe oben B. III. 3. 611
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
149
gen werden, wie zum Beispiel durch die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Erklärung über behauptete Tatsachen (§ 138 Abs. 1, 2 und 4 ZPO), doch dürfe er im Fall drohender Selbstbelastung die Aussage verweigern. 612 Fraglich ist, wie diese Einräumung von Schweigerechten verfassungsrechtlich zu bewerten ist und welche Rechtsgüter in der Konstellation der zivilrechtlichen Auskunftspflicht bei drohender Selbstbelastung miteinander in Konflikt geraten. Im Spannungsverhältnis von Informationspflicht und möglicher Selbstbelastung finden sich vier konfligierende Rechtsgüter, nämlich der privatrechtliche Rechtsanspruch der Gegenseite, der Schutz des Tatverdächtigen vor der drohenden Selbstbezichtigung, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und schließlich der privatrechtliche Anspruch des Tatverdacht igen, 6,3 die in praktische Konkordanz gebracht werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht misst zwei Rechtsgütern ein größeres Gewicht zu, zunächst im Einklang mit der bereits zuvor herrschenden Meinung die absolute Priorität des privatrechtlichen Anspruchs der Gegenseite,614 weiterhin wird gemäß der herrschenden strafprozessualen Auffassung 615 die Selbstbelastungsfreiheit als Grenze der Auskunftspflicht im Zivilverfahren genannt,616 was zu der Einräumung der Schweigerechte führt. Der Schutz des privatrechtlichen Anspruchs der Gegenseite erfolge dadurch, dass die durch die Freiheit vom Selbstbelastungszwang geschützten Prozessparteien im Fall einer Auskunftsverweigerung das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung tragen. Das heißt, dass der tatverdächtige Auskunftspflichtige nicht gleichzeitig ein Auskunftsverweigerungsrecht in Anspruch nehmen und seine privaten Rechte voll durchsetzen könne. 617 Dies folgt im Fall, dass der Auskunftsverweigernde die Beweislast trage bereits daraus, dass er mangels Vortrag sein Beweisrisiko nicht bewältigen könne. Liegt die Beweislast hingegen beim Gegner des Tatverdächtigen, gehe die Aussageverweigerung 618 grundsätzlich zu Lasten der aussageverweigernden Par-
612 Vergi. RGZ 156, 265 (269); Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO25, § 138 Rn. 7; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 138 Rn. 21. 613 Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757(1759). 6,4 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozeß, S. 177. 615 BGHSt 14, 358 (364); 31, 304 (308); Pfeiffer, in: KK-StPO, Einl. Rn. 107. 616 BVerfGE 56, 37 (44). 6,7 Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757(1759). 618 Kritisch zur Verwendung des Begriffs „Aussageverweigerungsrecht" durch das BVerfG in diesem Zusammenhang, weil die eingeräumte Schweigemöglichkeit nicht die grundsätzliche Pflicht zur Aussage suspendiert: Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757 (1759).
150
C. Reformorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten
tei, 6 1 9 wobei der drohende Prozessverlust als Sanktion für die Missachtung der (trotz der Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung) fortbestehenden prozessualen Gebundenheit zur Aussage anzusehen sei. Als eine Möglichkeit, die Problematik der Auskunftspflichtigen in der in Rede stehenden Verfahrenssituation zu lösen, zeigt das Bundesverfassungsgericht also die Einräumung von Schweigerechten auf: Trotz der grundsätzlichen Pflicht zur Aussage, ende diese Pflicht im Zivilprozess bei einer drohenden Selbstbezichtigung;620 inhaltsgleiche Bestimmungen gelten im Sozialrecht nach § 65 Abs. 3 SGB AT und dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB AT i.V.m. § 67 ff. SGB X. Auch hier werde ein Schutz vor Selbstbelastung durch die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten gewährleistet, wobei der Auskunftsverweigernde allerdings das Risiko einer ihm nachteiligen Tatsachenwürdigung trage. In einer Gesamtschau der gesetzlichen Regelungen stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Gesetzgeber, insbesondere in neueren Gesetzen, als Lösung für die Interessenkollision Auskunftsverweigerungsrechte bei drohenden Selbstbezichtigungen aufgenommen habe. 621 So zum Beispiel im Kartellrecht (§ 46 Abs. 5 GWB), aber auch in verwaltungsrechtlichen Gesetzen (vergi. § 15 Abs. 3 BundesleistungsG, § 44 Abs. 3 AußenwirtschaftsG, § 58 Abs. 3 WeinG, § 46 Abs. 1 S. 2 WaffenG, § 32 Abs. 1 BundesseuchenG). Das Einräumen von Auskunftsverweigerungsrechten für den Auskunftspflichtigen stellt also auch in anderen Verfahren als dem Strafverfahren eine weit verbreitete gesetzgeberische Reaktion auf den bestehenden Interessenskonflikt dar.
b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht Anders ist die Lage nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts für „solche Personen, die aus besonderen Rechtsgründen rechtsgeschäftlich oder gesetzlich verpflichtet sind, einem anderen oder einer Behörde, die für diese notwendigen Informationen zu erteilen". 622 Solche Pflichtübernahmen sind insbesondere zivilrechtlicher Art. Informationspflichten infolge freiwilliger Übernahme können sich z.B. aus §§ 666, 1435, 1698, 1890, 1978 I, 2130, 2218 619
Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, S. 176; Thomas/Putzo, ZPO23, § 383 Rn. 1 f.; vergi, anders: Damrau, in: MüKo-ZPO, § 384 Rn. 4; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO25, § 383 Rn. 1 f. 620 Vergi. RGZ 156, 265 (269); Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO25, § 138 Rn. 7; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 138 Rn. 21. 621 BVerfGE 56, 37 (46); krit. zu der Vorgehensweise aus einfachgesetzl. Regelungen verfassungsrechtliche Schlussfolgerungen zu ziehen: Wolff Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 110. BVerfGE 56, 37 ( 4 ) .
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
151
BGB 6 2 3 ergeben, wobei solche Auskunftspflichten teilweise ausschließlich der Klärung des Anspruchsinhaltes bei feststehendem Anspruchsgrund dienen, wie dies z.B. bei §§ 687 Abs. 2, 681, 666, 1379, 1605, 2314 BGB der Fall ist. 624 Darüber hinaus ist es ein zu Gewohnheitsrecht erstarkter Rechtsgrundsatz, dass innerhalb rechtlicher Sonderbeziehungen ein präparatorischer Informationsanspruch entsteht, soweit der Hauptanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht, und sich der Gläubiger die zur Rechtsdurchsetzung erforderlichen Informationen nicht anderweitig beschaffen kann. 625 Die zivilrechtliche Rechtsprechung hat die verfassungsrechtlich bedenkliche Tendenz, in den Fällen der materiell-rechtlichen Informationspflichten die drohende Strafverfolgung aufgrund einer Selbstbezichtigung außer acht zu lassen und die Information trotzdem zu erzwingen. 626 Ungeklärt bleibt allerdings die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Vorgehensweise. Heinrich Amadeus Wolff kritisiert zu Recht, dass das Bundesverfassungsgericht in der Gemeinschuldner-Entscheidung nicht dazu Stellung bezieht, ob derlei Auskunftspflichten ohne flankierende Auskunftsverweigerungsrechte überhaupt verfassungsgemäß sind, 627 was nach den Ausführungen des Gerichts zum nemotenetur-Prinzip mehr als fragwürdig erscheint. Schließlich könnte so das Schweigerecht im Strafverfahren, durch die Verwendung von in anderen Verfahren gewonnener Aussagen, umgangen werden. Das Bundesverfassungsgericht lässt in diesem Punkt selbst deutliche Zweifel erkennen, wenn es feststellt, dass die unbeschränkte Auskunftspflicht in der höchstrichterlichen (zivilrechtlichen und strafrechtlichen) Rechtsprechung „bislang als geboten und gerechtfertigt beurteilt worden" sei. 628 Auch wenn in diesem Punkt die verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit angezweifelt werden kann, 629 soll hierauf an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden. Vorliegend geht es - wie auch bei den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts - zunächst um eine Systematisierung der gesetzgeberischen Lösungsmöglichkeiten bei dem zwischen Auskunftspflicht und drohender Selbstbelastung in einem anderen als dem Strafverfahren bestehenden Interessenkonflikt. Als zweite Alternative, den Konflikt
623
(532).
Dingeldey, Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit, NStZ 1984, S. 529
624 Vergi. Dingeldey, Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit, NStZ 1984, S. 529 (532). 625 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 261 Rn. 8. 626 Vergi. RGZ 140, 403 (403 f.); RGSt 60, 290; BGHZ 10, 385 (387); 41, 318 (323); BGHZ NJW 1995, S. 387; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 261 Rn. 8. 627 Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 109. 628 BVerfGE 56, 37 (46) mit Verweis auf RGSt 60, 290 und BGHZ 41, 318. Kursive Hervorhebung durch Verf. 629 Stürner, der die Rechtmäßigkeit einer Pflicht zur Selbstbelastung bejaht. Vergi. ders., Die Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, S. 188.
152
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
zwischen Auskunftspflicht und drohender Selbstbelastung aufzulösen, zeigt das Gericht also für besonders verpflichtete Auskunftspersonen die Möglichkeit auf, die Auskunftspflicht trotz drohender Selbstbelastung uneingeschränkt durchzusetzen.
c) Geheimhaltungspflicht Eine dritte Möglichkeit, trotz drohender strafrechtlicher Selbstbelastung, die benötigten Informationen von den Auskunftspflichtigen zu erhalten, findet das Bundesverfassungsgericht im Bundesstatistikgesetz:630 Soweit dort eine uneingeschränkte Auskunftspflicht vorgesehen sei, unterlägen die Daten grundsätzlich der Geheimhaltung (vergi. §§ 15, 16 Abs. 2 BStatG). Demnach bleibe der Auskunftspflichtige zur Auskunft verpflichtet, er sei allerdings insofern vor der Strafverfolgung geschützt, als die den Behörden gegenüber gemachten Angaben von diesen nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden dürfen. Auch dieser im Gemeinschuldnerbeschluss genannte Lösungsansatz hat in der Diskussion um die Effektivierung parlamentarischer Untersuchungen seinen Niederschlag gefunden. 631
d) Beweisverwertungsverbote Als weitere Möglichkeit, den Konflikt zwischen Selbstbelastungsfreiheit und Aufklärungsinteresse in einem anderen als dem Strafverfahren aufzulösen, benennt das Bundesverfassungsgericht die Regelungen der Abgabenordnung. 632 Aufgrund der Abhängigkeit des Fiskus von den Angaben des Steuerpflichtigen und der Absicht, den ehrlichen Steuerpflichtigen gegenüber dem unehrlichen nicht zu benachteiligen, werde in diesem Verfahren an der Auskunftspflicht festgehalten. 633 Der Steuerpflichtige könne nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO zur Aussage gezwungen werden, auch wenn er dadurch Tatsachen offenbaren muss, die ihn strafrechtlich belasten. Durch diesen Aussagezwang wird den spezifischen Interessen des Steuerverfahrens Rechnung getragen, doch ist fraglich, wie dabei 630
BVerfGE 56, 37 (47). Vergi. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217(220). 632 BVerfGE 56, 37 (47). 633 Vergi. Reiß, Zwang zur Selbstbelastung nach der neuen Abgabenordnung, NJW 1977, S. 1436 (1436); a.A. Rogali, Die Missachtung des Verbots der Selbstbelastung im geltenden und kommenden Abgabenrecht, ZRP 1975, S. 278 (280), der für eine Beseitigung der Mitwirkungspflicht eintritt, sobald eine Selbstbelastung droht. Nur auf freiwillige Mitwirkung des Steuerpflichtigen abstellend: von Briel, Effektive StrafVerteidigung versus intensive Steuerfahndung, StrafFo 2002, S. 37 (38). 631
1. Beweisverwertungsverbots-Lösung
153
die durch das nemo-tenetur-Prinzip geschützten Interessen des Auskunftspflichtigen geschützt werden. In der Abgabenordnung wird der Konflikt folgendermaßen aufgelöst: Der Steuerpflichtige muss zwar aussagen und sich dabei sogar gegebenenfalls strafrechtlich selbst belasten, seine Aussage unterliegt gem. § 393 Abs. 2 S. 1 AO jedoch in Fällen von Nichtsteuerstraftaten einem strafprozessualen Bewertungsverbot, so dass sie nicht gegen ihn verwendet wird. 6 3 4
e) Zwischenergebnis
In der Gemeinschuldnerentscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht vier Möglichkeiten fest, wie die konfligierenden Rechtsgüter im Fall einer Auskunftsverweigerung in einem nichtstrafrechtlichen Verfahren, in dem Drittinteressen von der Auskunft abhängig sind, einem Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz zugeführt werden können. Von diesen vier Alternativen einer gesetzgeberischen Lösung werden zwei aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung besonders umfangreich dargestellt, nämlich einerseits die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten, andererseits die Beibehaltung der Auskunftspflicht in Verbindung mit einem strafprozessualen Verwertungsverbot. Diese beiden Möglichkeiten stellen gegenpolige Lösungsansätze dar. Während Auskunftsverweigerungsrechte besonders wirksam vor strafrechtlicher Selbstbelastung schützen und dabei eine erschwerte Sachverhaltsaufklärung implizieren, stellt die Beweisverwertungsverbotslösung die Sachverhaltsaufklärung in den Vordergrund, auch wenn dadurch stärker in die Rechte des Auskunftspflichtigen eingegriffen wird.
3. Übertragbarkeit auf die Situation des Gemeinschuldners Nach der Darstellung der gesetzgeberischen Möglichkeiten zur Auflösung der Interessenskollision untersucht das Bundesverfassungsgericht die besondere Rolle des Gemeinschuldners als strafrechtlich bedrohtem Auskunftspflichtigen und dabei insbesondere die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den Auskunftspflichtigen in anderen nichtstrafrechtlichen Verfahren. 635 Ziel der Untersuchung ist dabei, für das in der Konkursordnung nicht geregelte Problem eine bundesverfassungsgerichtliche Lösung zu finden, die der bestehenden Rechtsla-
634 Vergi. Göll, Steuergeheimnis und abgabenrechtl. Offenbarungsbefugnis, NJW 1979, S. 90 (94). 635
BVerfGE 56, 37 (48).
154
C. Reform Vorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten
ge am ähnlichsten ist und bis zur Regelung durch den Gesetzgeber zu gelten hat. 636
a) Auskunftsverweigerungsrechte
im nichtstrafrechtlichen
Verfahren
Im Vergleich zu den Auskunftspflichtigen im Strafverfahren stellt das Gericht fest, dass die Aussage des Gemeinschuldners anders als die Aussage des Beschuldigten nicht als Grundlage seiner strafrechtlichen Verurteilung dienen solle, während ihn vom strafprozessualen Zeugen unterscheide, dass er zu seinem Gläubiger in einem Pflichtenverhältnis stehe. Mangels Rechtsähnlichkeit mit den Auskunftspflichtigen im Strafverfahren bliebe zunächst die Übertragung der für die Prozessparteien im Zivilverfahren geltenden Regelungen. Hierfür spreche, dass der Gemeinschuldner nach herrschender Auffassung die Stellung einer Partei einnimmt, allerdings bestünden erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Auswirkungen eines möglichen Schweigens.637 Wie oben ausgeführt, gehe die unterlassene Mitwirkung des Auskunfitsverweigernden im Zivilverfahren (und auch im Sozialrecht) zu seinen eigenen Lasten. Gänzlich anders sei die Situation beim Gemeinschuldner, auf dessen Auskünfte der Gläubiger angewiesen ist, da diese im Regelfall eine der wichtigsten Quellen zur Aufklärung der fraglichen Sachverhalte sind. Durch ein Schweigen des Gemeinschuldners würde also der Gläubiger einseitig belastet, was letztlich dazu führe, dass die Einräumung eines Auskunftsverweigerungsrechts den unehrlichen gegenüber dem ehrlichen Gemeinschuldner zu Lasten des Gläubigers begünstige. Insofern sei die Interessenslage ähnlich wie die Situation im Steuerverfahren, die den Gesetzgeber zu der Regelung des § 393 AO motiviert habe. Im Ergebnis wird die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten als Lösungsmöglichkeit des bestehenden Konflikts also verneint.
b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht Auf die Möglichkeit, die zwangsbewehrte Auskunftspflicht des Gemeinschuldners ohne Rücksicht auf eine strafrechtliche Selbstbelastung durchzusetzen, geht das Bundesverfassungsgericht nicht vertiefend ein. Dies widerspräche nach der Betonung der verfassungsrechtlichen Begründung und des auch faktisch zu gewährleistenden Schutzes des nemo-tenetur-Prinzips auch der grundlegenden inhaltlichen Ausrichtung der Gemeinschuldnerentscheidung, die die
636 BVerfGE 56, 37 (51) unter Verweis auf BVerfGE 37, 67 (81); 49, 286 (301 ff.); 33, 23 (34). 3
BVerfGE 56, 37 (48).
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
155
Möglichkeit der uneingeschränkten Durchsetzung zwar aufzeigt, sie aber nicht hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit prüft.
c) Geheimhaltung Auch auf eine durchsetzbare Auskunftspflicht des Gemeinschuldners in Verbindung mit einer Geheimhaltung der offenbarten Informationen wird durch das Bundesverfassungsgericht nicht weiter eingegangen. Diese Vorgehensweise scheiterte insbesondere an ihrer Praktikabilität: Eine Geheimhaltungspflicht könnte insbesondere gegenüber dem Gläubiger und dessen Anwalt nicht wirksam durchgesetzt werden.
d) Beweisverwertungsverbote Anders als die letztgenannten Möglichkeiten prüft das Gericht die Kombination einer Auskunftspflicht des Gemeinschuldners mit einem strafrechtlichen Beweisverwertungsverbot umfangreich. Dabei knüpft es zunächst an den genannten Gedanken an, dass der ehrliche gegenüber dem unehrlichen Gemeinschuldner nicht benachteiligt werden solle. Darüber hinaus falle beim Gemeinschuldner besonders ins Gewicht, dass er nicht unfreiwillig dem Gläubiger verpflichtet wurde, sondern seine besondere Pflichtenstellung diesem gegenüber freiwillig und auch im eigenen Interesse eingegangen sei. In dieser besonderen Stellung hält das Bundesverfassungsgericht an der uneingeschränkten Auskunftspflicht des Gemeinschuldners fest. Die Rechtmäßigkeit dieser Pflicht entnimmt das Gericht dem Gedanken,638 dass das Grundgesetz die Spannung Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit gelöst hat, 639 so dass es der Einzelne hinnehmen müsse, wenn der Gesetzgeber seine Handlungsfreiheit zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens einschränke, solange die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibe. 640 Das Bundesverfassungsgericht argumentiert in diesem Punkt mit dem durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Rechtsschutz, der seine Grenzen in den Rechten anderer finde, so dass es keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigungen geben könne, soweit dadurch schutzwürdige Interessen
638 639
BVerfGE 56, 37 (48). Vergi. BVerfGE 4, 7 (15); 8, 274 (329), 27, 344 (351); 33, 303 (334); 50, 290
(353).
640
BVerfGE 56, 37 (49). Dass diese Feststellungen des Gerichts mit seiner eigenen Herleitung des nemo-tenetur-Prinzips in Widerspruch geraten, wurde bereits dargelegt. Siehe oben B. III. 2. g).
156
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Dritter berührt würden. 641 Allerdings sei trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit der Auskunftspflicht die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang zu achten, so dass eine strafrechtlich belastende Aussage des Gemeinschuldners nicht „gegen seinen Willen zweckentfremdet" und im Rahmen der Strafverfolgung verwertet werden dürfe. 642 In dieser Lage hält das Bundesverfassungsgericht ein an § 136 a StPO und § 393 Abs. 2 AO angelehntes strafrechtliches Verwertungsverbot für die sachgerechte Lösung. 643 Diese bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben wurden vom Gesetzgeber eineinhalb Jahrzehnte später mit § 97 InsO 644 645
umgesetzt.
4. Übertragbarkeit der Gemeinschuldnerentscheidung auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren Fraglich ist, ob und welche in der Gemeinschuldnerentscheidung enthaltenen Lösungsmodelle sich auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren übertragen lassen, dabei die Effektivität der Untersuchungen steigern und zugleich die konfligierenden Rechte einem angemessenen Ausgleich zuführen können.
a) Auskunftsverweigerungsrecht
im Untersuchungsausschuss
Das Einräumen von Auskunftsverweigerungsrechten ist gem. § 22 Abs. 2 PUAG geltende Rechtslage, entsprach auch vor Erlass des PUAG der Untersuchungsausschusspraxis646 und bietet keine Möglichkeit, die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen zu erhöhen.
b) Durchsetzung der zwangsbewehrten Auskunftspflicht Eine uneingeschränkte Durchsetzung der Auskunftspflicht würde dazu führen, dass Zeugen parlamentarischer Untersuchungen dazu verpflichtet wären, sich strafrechtlich selbst zu belasten und dann aufgrund dieser Auskunft strafrechtlich belangt werden. Damit würde der sich aus dem allgemeinen Persön641
BVerfGE 56, 37 (49). BVerfGE 56, 37 (50). 643 BVerfGE 56, 37 (52). 644 BTag-Drs 12/7302, S. 166. 645 Vergi. Richter, Auskunfts- und Mitteilungspflichten, wistra 2000, S. 1 (2); Lüke, in: Kübler/Prütting, InsO, § 97 Rn. 1, 4 ff. 646 Vergi, nur Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages, BTag-Drs. 14/9300, S. 87. 642
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
157
lichkeitsrecht des Zeugen ergebende nemo-tenetur-Grundsatz unverhältnismäßig in seinem Kernbereich verletzt. Folglich ist mit einer solchen Vorgehensweise keine verfassungsrechtlich zulässige Regelung gefunden, die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen zu steigern.
c) Geheimhaltung Es bestünde die Möglichkeit, den sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 22 Abs. 2 PUAG berufenden Zeugen in nichtöffentlicher Sitzung zu vernehmen, zur Aussage zu verpflichten und die dabei erlangten Informationen durch die Ausschussmitglieder geheim zu halten. Dies ähnelt zunächst der Behandlung privater Geheimnisse vor Erlass des PUAG 6 4 7 und den §§ 14 Abs. 1, 15 PUAG. Durch eine solche Geheimhaltungspflicht ließe sich die angestrebte Effektivitätssteigerung parlamentarischer Enqueten erreichen, da dem Ausschuss die bisher verweigerten Auskünfte für seine Untersuchungen nutzen könnten. Gleichzeitig bliebe das Auskunftsverweigerungsrecht geschützt, da die vom Zeugen offenbarten Informationen nicht zu seiner strafrechtlichen Verfolgung genutzt würden. Trotz dieser Vorteile entfallt die Möglichkeit, die Selbstbelastung des Zeugen und das parlamentarische Untersuchungsinteresse durch eine Geheimhaltung der Aussage einer praktischen Konkordanz zuzuführen aus zwei Gründen. 648 Erstens lässt sich eine Geheimhaltung von wichtigen Informationen aufgrund möglicher Indiskretionen durch den mehrköpfigen und von starken gegenläufigen Interessen geprägten Untersuchungsausschuss nicht wirksam umsetzen.649 Zweitens fügt sich eine Geheimhaltung auch nicht in das System der parlamentarischen Enqueten, die gem. Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG ihre Beweise öffentlich erheben und vom Grundsatz der Öffentlichkeit leben. 650 Folglich kommt die Aufrechterhaltung der Auskunftspflicht des möglicherweise
647
BVerfGE 67, 100 (142); Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 50; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 109; Binder, Die Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1 GG, DVB1. 1985, S. 1112 (1116 f.); vergi. Studenroth, Die parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 88 f. 648 Vergi. Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 261. 649 Schließlich bestünde somit die Möglichkeit unliebsame Zeugen durch anonyme Weitergabe von strafrechtlich belastenden Informationen an die Staatsanwaltschaft wirksam zu demontieren; vergi. Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 280. 650 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 12; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 107; Binder, Die Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1 GG, DVB1. 1985, S. 1112 (1117 f.); Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 280.
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
strafbedrohten Zeugen in Verbindung mit einer Geheimhaltung der erlangten Information zur Optimierung der Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse nicht in Betracht.
d) Beweisverwertungsverbot Nachdem die drei anderen in der Gemeinschuldnerentscheidung genannten Lösungsmöglichkeiten als denkbare Effektivitätssteigerungen ausgeschlossen wurden, verbleibt die Erörterung der Beweisverwertungsverbotslösung. Von grundlegender Bedeutung ist hierbei die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Pflicht zur Auskunft in einem anderen als dem Strafverfahren trotz drohender strafrechtlicher Selbstbezichtigung verfassungsgemäß ist, weil es kein verfassungsrechtliches Gebot gibt, das einen Zwang zur aktiven Selbstbelastung als solchen kategorisch verbietet, sondern nur ein Gebot, das den Auskunftspflichtigen vor einem Aussagezwang schützt, soweit seine Aussage zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung genutzt werden kann. Dieses Gebot kann neben der Suspendierung der Auskunftspflicht durch die Einräumung von Schweigerechten auch bei Beibehaltung der Auskunftspflicht durch ein strafprozessuales Verwertungsverbot erreicht werden. Daraus folgt die Frage, welche Faktoren vorliegen müssen, um eine Konfliktlösung über Verwertungsverbote gegenüber der Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten als die sachgerechtere Lösung erscheinen zu lassen. Bei der Prüfung der gesetzlichen Regelungen, die eine rechtmäßige Informationserlangung mit einem Beweisverwertungsverbot belegen, ist immer eine Rechtslage gegeben, bei der ein sehr großes Interesse an der Aufklärung der „wahren" und „tatsächlichen" fraglichen Sachverhalte besteht, was sich insbesondere in der ratio legis des § 393 AO zeigt. In diesen Fällen würde die erforderliche Erlangung von Informationen und damit die erfolgreiche Abwicklung der für das Staatswesen eminent wichtigen Verfahren durch die Einräumung von Schweigerechten nachhaltig erschwert oder sogar gänzlich unmöglich gemacht, so dass damit das Instrument der Beweisverwertungsverbote der sachgerechte Weg ist, die konfligierenden Rechtsgüter auszugleichen. Gleichwohl ist vom Bundesverfassungsgericht im Gemeinschuldnerbeschluss zu Recht herausgearbeitet worden, dass der Zwang zur Aussage bei einer drohenden Selbstbelastung trotz der Einräumung von Beweisverwertungsverboten einen schwereren Eingriff in die Rechte des Auskunftspflichtigen darstellt, als dies bei Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten der Fall ist. Schließlich muss der Auskunftspflichtige - regelmäßig und gegen seinen Willen - ihn selbst inkriminierende oder injuriierende Auskünfte erteilen. In den Fällen der Beweisverwertungsverbote muss also ein wesentlich höheres Interesse an der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung bestehen. Allerdings
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
159
besteht an dieser Stelle ein weiter Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers. 651 Inwieweit dieser Spielraum im Kontext parlamentarischer Untersuchungen ausgeschöpft werden sollte, wird im weiteren Verlauf diskutiert.
5. Strafrechtliche Beweisverwertungsverbote als Lösungsansatz Bevor nun die Übertragbarkeit der aus der Gemeinschuldnerentscheidung gewonnenen Grundsätze auf das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse diskutiert wird, 6 5 2 ist zunächst auf die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote einzugehen. Die Konsequenzen der Gemeinschuldnerentscheidung können nämlich nicht eingeordnet werden, ohne zu zunächst zu klären, was unter den Beweisverwertungsverboten zu verstehen ist, die in dem Urteil als Lösungsansatz vorgeschlagen werden. So hat insbesondere die strittige Frage nach der Reichweite der Beweisverwertungsverbote im Sinne einer Mittelbarkeit unter dem Begriff der „Fernwirkung" zu einer umfangreichen Auseinandersetzung geführt, 653 die ihrerseits Auswirkungen auf die Diskussion der Reformvorschläge zur Effektivierung parlamentarischer Untersuchungen hat. 6 5 4
a) Begriffliche
Bestimmung der Beweisverwertungsverbote
Eine einheitliche Terminologie hat sich bei der Behandlung der Beweisverwertungsverbote noch nicht durchsetzen können, doch besteht insoweit Einigkeit darüber, dass es sich um einen Unterfall der Beweisverbote handelt. Beweisverbote sind alle Rechtsnormen, die eine Einschränkung der Beweisführung im Strafverfahren enthalten. 655 Dabei sind die Beweisverwertungsverbote zu-
651
Vergi. Stürner, Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981, S. 1757(1761). 652 Siehe unten I. 6. 653 Rogali , Über die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises im Strafprozess, JZ 1996, S. 944 (948); Boujong, in: KK-StPO, § 136 a Rn. 42; Peters„ Strafprozess, S. 338; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 404; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO. Einl. Rn. 57 m.w.N.; krit. zur Bedeutung der Diskussion: Dencker, Verwertungsverbote, S. 76 FN 242. 654 Nack, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 36; Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (220); Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, ZRP 2000, S. 476 (478). 655 Pfeiffer, StPO, Einl. Rn. 14; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einleitung Rn. 50; Pfeiffer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 117; Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 24 Rn. 13; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 454; Störmer, Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafprozess, Jura 1994, S. 393 (393), Rogali, Die Lehre von den strafpro-
160
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
nächst einmal als Ausnahme des in § 261 StPO konstituierten Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zu verstehen, die es dem Richter verbieten, bestimmte Beweise als Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung zu nutzen. 656 Neben diesem relativ engen, allein auf die richterliche Beweiswürdigung in der Hauptverhandlung abstellenden Verständnis, geht ein weit verbreitetes Begriffsverständnis davon aus, dass sich der Begriff der Beweisverwertung über das Stadium der Beweiswürdigung hinaus bereits auf die vorangehende Phase der Beweisaufnahme und damit die Beweiserhebung erstrecken soll, so dass bereits die Einführung des Beweismittels in die Hauptverhandlung als unzulässig angesehen wird. 6 5 7 Noch weitreichender ist das Verwertungsverbot des im Gemeinschuldnerbeschluss genannten § 136 a stopp, 658 bei dem das Verwertungsverbot über den Bereich der Hauptverhandlung hinausreicht. 659 Dies folgt neben der systematischen Stellung der Vorschrift aus der in § 163 a Abs. 3 und Abs. 4 StPO angeordneten entsprechenden Anwendung des § 136 a StPO innerhalb des Ermittlungsverfahrens, so dass allgemein die Geltung in allen Verfahrensabschnitten, also nicht nur in der Hauptverhandlung, sondern auch schon im Ermittlungsverfahren und im Zwischenverfahren, angenommen wird. 6 6 0
b) Funktion der Beweisverwertungsverbote Nach der begrifflichen Klärung der Beweisverwertungsverbote ist fraglich, welchen Sinn und Zweck dieses Rechtsinstrument innerhalb des Strafverfahrens ausfüllt. Allgemein werden Beweisverwertungsverbote als Schutzinstrumente der Individual- und Grundrechte bezeichnet. 661 Im Regelfall ist ein Verwertungsverbot die Konsequenz eines rechtswidrigen Eingriffs in die Rechte des Bürgers, exemplarisch hierfür ist § 136 a StPO (vergi. Art. 13 Abs. 5 S. 2 GG),
zessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (7). Auf den anderen Unterfall, die Beweiserhebungsverbote, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vergi, hierzu Roxin, a.a.O., Rn. 14-17. 656 BGHSt 27, 355 (357); 28, 122 (128); 29, 109 (110); 31, 296 (299 f.); Senge, in: KK-StPO, vor § 48 Rn. 27. 657 Vergi. Peres, Strafprozessuale Beweisverbote und Beweisverwertungsverbote (1991), S. 13. 658 BVerfGE 56,37 (51). 659 Pfeiffer, StPO, § 136 a Rn.13; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 356; Rogali , Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (10 ff.) 660 Peters, Strafprozess, § 41 II 4 b (S. 337); Rogali , in: SK-StPO, § 136 a Rn. 14; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozess, S. 53; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, StPO25, § 136 a Rn. 61. 661 Rogali, Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (19, 21); vergi. Pfeiffer, in: KK-StPO, Einl. Rn. 117.
I. Beweisverwrtungsverbots-Lösung
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es gibt aber auch vereinzelt Verwertungsverbote infolge rechtmäßiger Eingriffe, so bei dem genannten § 393 Abs. 2 A O 6 6 2 und weiterhin in den Regelungen § 7 Abs. 3 G-10, 6 6 3 § 51 Abs. 1 BZRG, 6 6 4 § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und vormals § 34 Abs. 1 StVollzG. 6 6 5
c) Problematik der mittelbaren Beweisverwertung:
Fernwirkung
Nach der begrifflichen und funktionalen Bestimmung der Beweisverwertungsverbote sind deren Auswirkungen auf die Beweiserhebung innerhalb der strafverfahrensrechtlichen Praxis zu klären. Unzweifelhaft ist, dass das Verwertungsverbot die direkte Verwendung des unmittelbar erlangten Beweismittels zur Strafverfolgung untersagt. 666 Dagegen ist insbesondere zwischen Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dasjenige Beweismittel, welches erst aufgrund solcher Informationen gewonnen wurde, die ihrerseits einem unverwertbaren Beweiserhebungsergebnis entstammen, ebenfalls einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Der Streit wird dabei vielfach innerhalb der Behandlung des Verwertungsverbotes gem. § 136 a Abs. 3 StPO ausgetragen, stellt sich jedoch als ein allgemeines Problem jeglicher Beweisverwertungsverbote dar 6 6 7 und umfasst somit auch das in der Gemeinschuldnerentscheidung neben § 136 a StPO genannte Beweisverwertungsverbot des § 393 A O . 6 6 8
662
Vergi. BayOLG, NStZ 1997, S. 92; an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Vorschrift bestehen allerdings Zweifel, vergi. Rogali , in: SK-StPO, Rn. 159; auch gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung, die zur Anwendung dieser Vorschrift gekommen wäre, vergi. Nack, Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 35. 663 Vergi. BGHSt 29, 244 (244); LG Hannover, StV 1986, S. 522; OLG Köln, NJW 1979, S. 1216 ff. 664 Vergi. BGHSt, NStZ 2000, S. 110. 665 Alte Fassung, aufgehoben durch 4. StVollzÄnderG vom 26. August 1998 (BGBl. I, S. 2461). 666 Rogali , Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (39); Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rn. 55 ff.; Senge, in: KK-StPO, vor § 48 Rn. 45. 667 Vergi. HanacK in: Löwe/Rosenberg24, StPO, § 136 a Rn. 67, Rogali , in: SKStPO, § 136 a Rn. 91; Störmer, Dogmatische Grundlagen, S. 239; Gundlach, in: AKStPO, § 136 a Rn. 80; Wisser, in: Klein, AO, § 393 Anm. 7 d. 668 Vergi, von Briel, Effektive StrafVerteidigung versus intensive Steuerfahndung, StrafFo 2002, S. 37 (43).
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
aa) Grundsätzliche Verneinung der Fernwirkung Vor allem von der Rechtsprechung wird die rechtliche Relevanz der Beweisverwertungsverbote im Sinne einer Fernwirkung grundsätzlich abgelehnt.669 Diese Ansicht wird von dem sie tragenden Schrifttum vor allem mit kriminalpolitischen Argumenten unterstützt. 670 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes dürfe ein Verwertungsverbot „nicht ohne weiteres dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird". 6 7 1 Insbesondere bestünde anderenfalls die Gefahr, dass Anfangsfehler bei der Ermittlung die Ergebnisse der Gesamtermittlung zerstören könnten. Weiterhin wurde in der Literatur mit dem Rechtsgefuhl der Bevölkerung argumentiert, die es nicht nachvollziehen könne, wenn in Fällen, in denen allseitig die strafrechtliche Verfehlung des Beschuldigten angenommen werde, die Strafverfolgung aufgrund strafprozessualer Beweisverwertungsverbote unmöglich gemacht werde. 672 Dabei wird betont, dass diese Erwägung keineswegs „bloß auf Emotionen" beruhe, sondern eine solche Verfahrensregelung vielmehr „schlicht der Gerechtigkeit" widerspräche. 673 Im Interesse einer möglichst weitreichenden Wahrheitsermittlung und einer wirksamen Strafverfolgung begrenzt diese Auffassung also die Reichweite der Beweisverwertungsverbote allein auf das unmittelbar erlangte Beweismittel, während alle durch dieses Beweismittel gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren verwertbar sein sollen.
bb) Grundsätzliche Bejahung der Fernwirkung Die der Rechtsprechung entgegengesetzte Auffassung befürwortet eine Fernwirkung, will also auch die mittelbar erlangten Beweisergebnisse von dem Beweisverwertungsverbot umfasst sein lassen.674 Diese Meinung beruft sich vor allem auf rechtsstaatliche Prinzipien, den Schutzzweck der Beweisverwertungsverbote und im Hinblick auf rechtswidrig erlangte Beweismittel, dass mit Anerkennung einer Fernwirkung jedweder Anreiz für die Ermittlungsbehörden
669
BGHSt 27, 355 (357 f.); 32, 68 (71); 34, 362 (364); BGH StV 1995, S. 398. Vergi. Müller, in: KMR-StPO, § 136 a Rn. 20; Kramer, Unerlaubte Vernehmungsmethoden, Jura 1988, S. 520 (524 ff.). 671 BGHSt 27, 355 (357 f.); 32,68 (71); 34, 362 (364); 672 Vergi. Sarstedt, Verhandlungen des 46. DJT, S. 23. 67 3 Schäfer, in: Löwe/Rosenberg, StPO24, Einl. Kap. 14 Rn. 49. Nicht übernommen von Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO25, Einl. Abschn. K, Rn. 92 ff. 67 4 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 24 Rn. 47 m.w.N. in FN 25; Peters, Strafprozess, S. 338; Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 495; Gundlach, in: AK-StPO, § 136 a Rn. 83 ff.; Stör mer, Dogmatische Grundlage der Beweisverwertungsverbote, S. 237 ff.; ähnlich: Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 482. 670
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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genommen werde, Beweismittel rechtswidrig zu erlangen. In diesem Punkt orientiert sich diese Ansicht an der US-amerikanischen fruit-of-the-poisonoustree-doctrine 615 Teilweise wird eine Verwertbarkeit mittelbar erlangter Beweismittel ausnahmsweise dann für zulässig erachtet, wenn sie im weiteren Verlauf der Ermittlungen höchstwahrscheinlich - und nicht nur möglicherweise auf zulässigem Weg ebenfalls erlangt worden wäre. 676 Diese Auffassung sieht die ratio der Beweisverwertungsverbote vor allem darin, den Betroffenen vor den Auswirkungen des mit einem Verwertungsverbot belegten Beweismittels nachhaltig zu schützen, was nicht wirksam erfolge, wenn das Beweismittel mittelbar, quasi durch die Hintertür, eben doch als Basis für die weitere Strafverfolgung diene.
cc) Vermittelnde Fehlerfolgen- und Abwägungslehre Eine dritte Ansicht steht vermittelnd zwischen den beiden erstgenannten Auffassungen, indem sie keine grundsätzliche Entscheidung trifft, sondern vielmehr unter Beachtung der Funktion des jeweiligen Beweisverwertungsverbotes und einer Betrachtung des Einzelfalls eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vornimmt. 6 7 7 In diesem Punkt besteht eine Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, die mehrfach festgestellt hat, dass die Grenzen der Verwertungsverbote nicht ein für allemal festliegen, sondern sich nach der Sachlage und der Art des Verbots richten. 678 Auch wenn diese Ausführungen für eine einzelfallabhängige Vorgehensweise zu sprechen scheinen, bleibt die Rechtsprechung in der Praxis klar bei ihrer deutlichen Ablehnung und restriktiven Handhabung der Fernwirkung der Beweisverwertungsverbote. Fraglich ist, welche Gesichtspunkte nach der Fehlerfolgen- und Abwägungslehre im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen und einem Ausgleich zuzuführen sind. Die beiden wichtigsten Kriterien der Abwägungs- und Fehlerfolgenlehre sind die Schwere des Verstoßes in seinen Auswirkungen auf das zu schützende Individualinteresse einerseits und das staatliche StrafVerfolgungsin-
675
Vergi. Harris, Verwertungsverbot für mittelbar erlangte Beweismittel, StV 1991, S. 313 (313 ff.). 67 6 Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 24 Rn. 47. 67 7 Rogali , Die Lehre von den strafprozessualen Be weis verboten, ZStW 91, S. 1 (39 f.); Maiwald, Zufallsfunde bei zulässiger Telefonüberwachung, JuS 1978, S. 379 (384); Hanack, in: Löwe/Rosenberg, StPO25, § 136 a Rn. 67, Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 408. 678 BGHSt 27, 355 (357) m.w.N. auf ältere Rspr.; 29, 244 (249); 31, 307 ff.; 35, 32 (34 f.); 37, 30 (32); 38, 215 (219 f.); 38, 372 (373f.).
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
teresse andererseits. 679 Eine Fernwirkung wäre nach dieser Auffassung immer dann zu bejahen, wenn die Gewinnung des mittelbaren Beweismittels auf einem Verstoß gegen die Menschenwürde oder einer anderen schwerwiegenden Grundrechtsverletzung beruhte. 680 Unter Missachtung des nemo-teneturPrinzips erlangte Beweismittel unterlägen damit stets einer uneingeschränkten und absoluten Fern Wirkung. 681 Unter Berücksichtigung der Geltungskraft der Grundrechte hat sich der BGH in einer Entscheidung zu § 7 Abs. 3 G-10 aufgrund der „Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieser Grundrechte im freiheitlich demokratischen Staat" 682 bei einer Verletzung des Art. 10 GG der vermittelnden Auffassung angeschlossen und eine Fernwirkung bejaht. 683 Diese Entscheidung wurde allerdings in späteren Urteilen wieder relativiert 684 und stellt somit keine entscheidende Kehrtwende der Rechtsprechung dar. Insgesamt verschließt sich die Fehlerfolgen- und Abwägungslehre einem grundsätzlichen Lösungsansatz, sondern will vielmehr die widerstreitenden Interessen einzelfallgerecht durch eine Abwägung zu einem befriedigenden Ausgleich bringen.
dd) Stellungnahme zum Streitstand Die Frage der zulässigen Verwendbarkeit von mittelbar erlangten Beweismitteln umfasst zugleich die Frage nach der Erforderlichkeit der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung im Rahmen des Strafverfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt auf die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung, 685 die erforderliche Aufklärung gerade schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens 686 und auch das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess, die sowohl zur Überführung von Tätern als auch zur Entlastung Unschuldiger vonnöten sei, 6 8 7 hingewiesen. Diese 67 9
Rogali , Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (39 f.); Senge, in: KK-StPO, vor § 48 Rn. 45; Maiwald bejaht grundsätzlich Fernwirkung, macht jedoch Ausnahmen für Fälle schwerer Kriminalität; ders., JuS 1978, S. 379 (384). 680 Rogali , Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (40). 681 Walter, in: SK-StPO, vor § 151 Rn. 207. 682 Vergi. BGHSt 29, 244 (249). 683 BGHSt 29, 244 (251), wobei eine Beschränkung auf Nichtkatalogtaten erfolgte. 684 Vergi. BGHSt 32, 68 (71). 685 BVerfGE 19, 342 (347); 20, 45 (49); 20, 144 (147). 686 BVerfGE 29, 183 (194). 687 BVerfGE 32, 373 (381); 57, 250 (274 f.); 63, 45 (61).
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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Gesichtspunkte, und dabei insbesondere das allgemein akzeptierte strafverfahrensrecht liehe Interesse an einer tatsächlichen Aufklärung des Sachverhalts, 688 könnten zunächst dafür sprechen, eine Fernwirkung im Interesse der Wahrheitsermittlung abzulehnen, da diese durch jede Bejahung einer Fernwirkung erschwert wird. Allerdings bliebe dabei unberücksichtigt, dass die Befürchtung, durch die Einräumung der Fernwirkung könnte aufgrund der erschwerten Wahrheitsfindung infolge eines einzelnen Beweisverwertungsverbots gleich das „gesamte Strafverfahren lahmgelegt" 689 werden, nicht realistisch ist, und für diese Annahme auch jeglicher empirischer Beweis fehlt. 690 Die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, auf anderem Wege Beweismittel zu beschaffen, wird durch Beweisverwertungsverbote keineswegs beschnitten, allein der Weg über die mit einem solchen Verbot belegten Beweismittel ist verstellt. 691 Entgegen der mit dem Rechtsempfinden der Bevölkerung argumentierenden Auffassung kann festgehalten werden, dass mit diesem Argument nahezu alle eingeräumten und grundgesetzlich gebotenen Rechte des Beschuldigten beschnitten werden könnten. 692 Allerdings kann auch die entgegengesetzte Auffassung, die grundsätzlich von einer Fernwirkung ausgeht, nicht überzeugen, sobald beispielsweise im Fall eines Verwertungsverbots aufgrund eines Verfassungsverstoßes die Schwere des Verstoßes so gering wäre, dass eine Fernwirkung aufgrund der Schwere der Straftat unverhältnismäßig wäre. Schließlich wird die Strafverfolgung zwar nicht vollständig unmöglich gemacht, jedenfalls aber zumindest erschwert, so dass auch der vom Bundesverfassungsgericht zu Recht betonten Gebotenheit einer effektiven Strafverfolgung ausreichend Rechnung zu tragen ist. Weiterhin lässt sich die fruit-of-the-poisonous-tree-doctrine aufgrund der weitreichenden Unterschiede des nordamerikanischen zum deutschen Strafverfahren nicht einfach übertragen. 693 Insoweit ist der Feststellung des Bundesgerichtshofes zuzustimmen, dass die Reichweite der Verwertungsverbote nicht a priori feststeht, sondern sich vielmehr aus der Sachlage des Einzelfalls und der Art des zugrunde liegenden Beweisverwertungsverbots ergibt. Im Ergebnis verbleibt aus den oben genannten
688
Vergi. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1 m.w.N. BGHSt 27, 355 (358). 690 Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozess, S. 79 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 405. 691 Vergi. LG Stuttgart, ZInsO 2001, S. 135. 692 Ähnlich Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 405, der dieser Ansicht vorwirft, nach ihr habe das Strafrecht die „Aufgabe, die primitivsten Rachegefühle abzufangen". 693 Bedeutsam ist insbesondere die unterschiedliche Rolle der Staatsanwaltschaft, vergi. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 367 a FN 23; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rn. 57. 689
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Gründen die Fehlerfolgen- und Abwägungslehre als überzeugende Ansicht zur Bestimmung der Reichweite der Beweisverwertungsverbote. Diese Meinungsgruppe berücksichtigt im Gegensatz zu den beiden anderen Auffassungen zu Recht die Vielgestaltigkeit der existierenden Beweisverwertungsverbote; schließlich stellt es im Einzelfall einen durchaus erheblichen Unterschied dar, ob ein Beweisverwertungsverbot infolge einer rechtmäßigen oder einer rechtswidrigen Beweismittelerlangung entstanden ist. Somit wird im Folgenden der Abwägungs- und Fehlerfolgen lehre zur Bestimmung der Reichweite von Beweisverwertungsverboten gefolgt.
d) Auswirkungen auf die Verwertungsverbote der Gemeinschuldnerentscheidung Fraglich ist, welche Effekte die Fehlerfolgen- und Abwägungslehre auf die in der Gemeinschuldnerentscheidung genannten Beweisverwertungsverbote der §§ 136 a StPO, 393 Abs. 2 S. 1 AO und den als gesetzgeberische Konsequenz erlassenen § 97 Abs. 1 S. 3 InsO hat. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Gebotenheit und der großen Bedeutung der Regelung des § 136 a StPO zieht die Beweismittelerlangung unter Verstoß gegen diese bedeutsame Schutzvorschrift eine uneingeschränkte Fernwirkung nach sich. 694 Zu bestimmen ist die Reichweite der Beweisverwertungsverbote nach § 393 Abs. 2 AO und § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, bei denen es sich um Verwertungsverbote handelt, die gerade ein rechtmäßig erlangtes Beweismittel mit einem Verwertungsverbot verknüpfen, also im Unterschied zu den Verwertungsverboten des allgemeinen Prozessrechts nicht um unzulässig erlangte Beweismittel, denen ein Beweiserhebungsverbot vorgeschaltet war. Infolge der Rechtmäßigkeit der Informationserlangung bleibt die Reichweite der Verwertungsverbote gem. §§97 Abs. 1 S. 3 InsO, § 393 Abs. 2 AO, die sich in der InsO allein auf die Auskünfte des Schuldners beziehen, während in der AO alle Beweismittel, selbst diejenigen, die „durch bloßes Dulden oder Einsichtnahme" zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangt sind, 695 eingeschlossen sind, zunächst fraglich. Erster Anhaltspunkt ist die Strafrechtspraxis nach Verkündung der Gemeinschuldnerentscheidung, die die „Verwertung" der Angaben des Gemeinschuldners nach § 100 KO ausgeschlossen hat. In der strafrechtlichen Praxis wurden im Anschluss an die Gemeinschuldnerentscheidung die durch die unverwertbare Aussage des Gemeinschuldners gewonnenen Erkenntnisse genutzt, um neue 694
Vergi. Rogali Die Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91, S. 1 (40); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 408; Wolter, in: SK-StPO, vor § 151 Rn. 207 m.w.N. 695 Vergi. Klein, in: Klein/Orlopp, AO, § 393 Anm. 7 c.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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Beweismittel aufzufinden und mit dem dadurch begründeten Anfangsverdacht ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. 696 Allerdings erübrigt ein Verweis auf die strafrechtliche Praxis nicht die Prüfung ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen dieser Vorgehensweise sogar die erzwungene Auskunft im Falle einer Selbstbelastung trotz Verwertungsverbots mittelbar doch zur strafrechtlichen Verfolgung des Auskunftspflichtigen genutzt werden konnte. Dies stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Auskunftspflichtigen dar, 6 9 7 dessen sich aus dem nemo-tenetur-Prinzip ergebenden Rechte vollständig ausgehöhlt werden. Schließlich könnte dieses Prinzip anderenfalls de facto immer durch Aussagezwang in nicht-strafrechtlichen Verfahren umgangen werden. Dieser Einschätzung hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der Verabschiedung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO angeschlossen. In der Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages wird klargestellt, dass eine „Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf'. 6 9 8 Hier zeigt sich der zu Recht bestehende Wille des Gesetzgebers, ausdrücklich eine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots zu normieren. Dies belegt auch deutlich die Begründung des Regierungsentwurfs: „Nach dem Sinn des Verbotes dürfen auch solche Auskünfte nicht verwertet werden, zu denen die Auskunft den Weg gewiesen hat. A u f der anderen Seite hindert das Verbot nicht an der Verwendung von Tatsachen, die den StrafVerfolgungsbehörden bereits bekannt waren". 699 Eine im Rahmen des Verfahrens gemachte Aussage darf also weder unmittelbar noch mittelbar zur Strafverfolgung genutzt werden. 700 Der herrschenden Meinung im Strafprozessrecht ist zu Recht vorgehalten worden, dass sie die ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien gesetzgeberisch intendierte Fernwirkung geflissentlich übersehen hat. 7 0 1 Es ist also festzuhalten, dass im Rahmen des als Konsequenz der Gemeinschuldnerentscheidung erlassenen Verwertungsverbotes innerhalb der InsO von einer Fernwirkung auszugehen ist. Demzufolge ist die strafverfahrensrechtliche Praxis, mit einem Verwertungsverbot belegte Aussagen mittelbar eben doch zu
696
Richter, Auskunfts- und Mitteilungspflichten nach §§ 20, 97 InsO, wistra 2000, S. 1 (2). 697 Siehe oben B. III. 3. 698 BTag-Drs. 12/7302, S. 5. 699 Begr. zu § 24 RegE, BTag-Drs. 12/2443, S. 71 ff. 700 Vergi. Lüke, in: Kübler/Prütting, InsO, § 97 Rn. 4; App, in: Wimmer, InsO, Rn. 12 a.E.; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 260. 70 1 Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, ZRP 2000, S. 476 (478). Dieser wichtige Gesichtspunkt findet bei Weisgerber keine Erwähnung: Weisgerber, Das Beweiserhebungsveifahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 278.
168
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunspflichten
verwenden, als verfassungswidrig abzulehnen. Es verbleibt die Frage der Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes gem. § 393 Abs. 2 AO. Auch im Rahmen dieser Regelung würde das Recht auf Freiheit vom Zwang zur selbstbezichtigenden Aussage de facto ausgehöhlt werden, wenn in diesem eine Fernwirkung abgelehnt werden würde. Somit hat aufgrund der ähnlichen rechtlichen Lage hinsichtlich der betroffenen Rechte der Auskunftsperson bei § 393 Abs. 2 S. 1 AO dasselbe zu gelten. 702
6. Beweisverwertungsverbotslösung für Untersuchungsausschüsse Nach der Feststellung, dass die Beweisverwertungsverbote eine Fernwirkung entfalten, ist nunmehr die Zulässigkeit einer gesetzlichen Einführung der Beweisverwertungsverbotslösung in das parlamentarische Untersuchungsverfahren zu prüfen.
a) Methodik der Übertragung von Grundsätzen der Gemeinschuldnerentscheidung Grundlage der Beweisverwertungsverbotslösung innerhalb der vorliegenden Vorschläge zur Optimierung der Auskunftspflicht sind in der Regel die in der Gemeinschuldnerentscheidung ausgeführten Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts. Lassen sich allerdings die Grundstrukturen dieser Entscheidung auf das Spannungsverhältnis der im Untersuchungsausschussverfahren divergierenden Rechtsgüter übertragen? Ähnlich der Prüfung eines möglichen Analogieschlusses, der bei Übertragung eines Tatbestandes auf einen anderen ähnlichen, aber vom Gesetzgeber nicht geregelten Tatbestand zulässig ist, 703 ist bei der Frage der Einschlägigkeit der Gemeinschuldnerentscheidung und einer möglichen Übertragung der in ihr gewonnenen Erkenntnisse auf die Regelungen der Auskunftspflicht innerhalb parlamentarischer Untersuchungen vor allem festzustellen, ob und inwieweit eine Rechtsähnlichkeit vorliegt zwischen der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Konstellation und derjenigen des strafbedrohten Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Rechtsähnlichkeit bedeutet, dass zwei Sachverhalte in einigen Hinsichten übereinstimmen, in anderen aber nicht, da sie sich sonst nicht „ähnlich", sondern „gleich" wären; sie müssen allerdings gerade in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Punkten übereinstimmen. 704 Im Folgenden erfolgt deshalb
70 2 703 70 4
Reinecke, Die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten, S. 128 FN 5. Vergi. Larenz, Methodenlehre, S. 381. Larenz, Methoden lehre, S. 381.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
169
ein bewertender Vergleich zwischen Unterschieden und Gemeinsamkeiten der beiden Verfahrensarten.
b) Rechtsähnlichkeit
in spezifischen Gesichtspunkten
aa) Bedeutung der Auskunftspflicht im nichtstrafrechtlichen Verfahren Ausgangspunkt der Prüfung der Rechtsähnlichkeit ist eine Gegenüberstellung des Stellenwertes, den Zeugenaussagen innerhalb der Beweiserhebung des jeweiligen Verfahrens innehaben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Lappas-Beschluss festgestellt, dass „die Möglichkeit zur Erzwingung des Zeugnisses vor dem Untersuchungsausschuss unentbehrlich" sei und dass sich die Sachaufklärung „auch und gerade im Untersuchungsverfahren auf die Bekundungen von Zeugen" stützen können müsse. 705 In diesem Zusammenhang ist auf die bereits festgestellte Bedeutung der Zeugenaussagen zur tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung einerseits 706 und die „politische Verwertbarkeit" 707 andererseits hinzuweisen. Somit zeigt sich die Abhängigkeit der Untersuchungsausschüsse vom Zeugenbeweis und damit die Wichtigkeit der Aussagepflicht in diesem Verfahren. Demgegenüber wird die Bedeutung der Aussage des Gemeinschuldners im Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren nicht eindeutig beurteilt. So hält ihn das Bundesverfassungsgericht im Konkursverfahren für einen „der wichtigsten Informationsträger", auf dessen Auskünfte der Gläubiger „angewiesen" sei. 708 Im Ergebnis ähnlich stellt eine Meinung im insolvenzrechtlichen Schrifttum fest, dass die Auskünfte und Mitwirkungen des Schuldners „häufig" unerlässlich seien. 7 0 9 Andere schätzen den Stellenwert seiner Auskünfte noch höher ein und halten es beim Schuldner für kennzeichnend, dass er „allein" zu den erforderlichen Informationen „imstande" sei. 710 Aus dieser Abhängigkeit von den Auskünften des Schuldners folgt dessen gesetzliche Pflicht zur Auskunft gem. § 97 Abs. 1 S. 1 InsO.
705 706 707 708 70 9
BVerfGE, 76, 363 (384). Siehe oben Β. IV. l.a). Siehe oben Β. IV. l.a). BVerfGE 56, 37 (48). Eickmann, in: HK-InsO, § 97 Rn. 1; vergi. Lüke, in: Kübler/Prütting, InsO, § 97
Rn. 2. 710 Nack, Gutachten für BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Ausschuss-Drucksache, 14-G-46 v. 08. Mai 2001, S. 7; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 277.
170
C. Reform orschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Sowohl im Insolvenz- als auch im parlamentarischen Untersuchungsverfahren liegt also eine Verpflichtung zur Aussage vor, woraus auf das Vorliegen einer Rechtsähnlichkeit geschlossen werden könnte. Dagegen könnte allerdings eingewandt werden, dass die bisherigen Ausführungen auf einen unterschiedlichen Stellenwert der Aussagen im jeweiligen Verfahren schließen lassen. Insbesondere die Ansicht, der Schuldner „alleine" sei zur Beschaffung der erforderlichen Informationen geeignet, könnte dazu führen, die Auskunftspflicht des Schuldners gegenüber der des Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss als höherwertig einzuschätzen. Schließlich ist in der praktisch häufigsten Form parlamentarischer Untersuchungen, der Skandalenquete, im Regelfall eine Personenmehrheit zur Aufklärung der fraglichen Sachverhalte in der Lage und nur in seltenen Ausnahmekonstellationen ein Zeuge alleine. Doch kann hieraus keine allgemein größere Bedeutsamkeit der Auskunft des Schuldners gegenüber der eines Untersuchungsausschuss-Zeugen gefolgert werden; so liefert der Zeuge innerhalb einer Skandalenquete zwar gewöhnlich nur ein Mosaiksteinchen des strittigen Sachverhaltes, doch muss dabei berücksichtigt werden, dass die Untersuchungsaufträge der Untersuchungsausschüsse regelmäßig komplexere Sachverhalte umfassen als im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu klären sind. Die einzelne Aussage des auskunftspflichtigen Zeugen kann, isoliert betrachtet, in ihrem Aufklärungsgehalt dem Rang der Auskunft des Schuldners nachstehen, in der Zusammenschau mit den anderen Zeugen ist dies jedoch nicht der Fall, gerade wenn man die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte verbreitete Tendenz zur Aussageverweigerung bei Skandalenqueten berücksichtigt. 711 Der einzelnen Auskunft kommt schließlich nicht nur die Funktion der Aufklärung des jeweiligen Teilsachverhaltes zu, sie kann darüber hinaus in einem Dominoeffekt Sachverhaltserforschungen in anderen Bereichen anstoßen. Weiterhin darf im Gegenzug die Bedeutung der Aussage des Schuldners auf das Insolvenzverfahren nicht überschätzt werden. So ist die Auffassung, der Schuldner sei grundsätzlich „alleine" zur Sachverhaltsaufklärung in der Lage, 712 nicht realistisch und praxisfern. Aus diesem Punkt heraus eine Unähnlichkeit herleiten zu wollen, käme einer Überbetonung der Unterschiede, die zwar im Einzelfall, aber keineswegs grundsätzlich bestehen, gleich. Im Ergebnis handelt es sich also bei den verglichenen Auskunftspflichten um Auskunftspflichten in jeweils nichtstrafrechtlichen Verfahren, deren Stellenwert im jeweiligen Verfahren im Wesentlichen ähnlich bedeutend ist, die im einzelnen bestehenden Unterschiede sind nicht von solchem Gewicht, dass sich daraus eine Ungleichheit ergäbe. Somit liegt in der Frage der Auskunftspflicht und 7,1
BVerfGE 76, 363 (384). Nack, Gutachten, BTag-GO-Ausschuss-Drks. 14-G-46 v. 08. Mai 2001, S. 7; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 277. 712
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
171
ihrer Bedeutung für das jeweilige Verfahren Rechtsähnlichkeit vor, die einer Übertragung der Grundsätze der Gemeinschuldnerentscheidung nicht entgegensteht.
bb) Auskunftspflicht und drohende Strafverfolgung Die Frage, inwieweit die Verpflichtung als Zeuge im jeweiligen Verfahren auszusagen regelmäßig eine Strafverfolgung aufgrund einer Selbstbelastung nach sich zieht, soll unter zwei Aspekten betrachtet werden. Zunächst einmal die allgemeine Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt strafrechtlich relevante Themen Untersuchungsgegenstand des jeweiligen Verfahrens sind und von der Auskunftspflicht umfasst sind und zweitens, ob die in den nicht-strafrechtlichen Verfahren gemachten Aussagen tatsächlich in ein Strafverfahren überführt und somit gegen den Auskunftspflichtigen verwendet werden.
(1) Allgemeine Wahrscheinlichkeit
eines strafrechtlichen
Hintergrundes
In Bezug auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren lässt sich festhalten, dass die praktisch häufigste Form, die Skandalenquete, nahezu ausschließlich mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einhergeht. 713 Exemplarisch hierzu seien die Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene zur Zeit des 14. Deutschen Bundestages genannt,714 deren Untersuchungsgegenstände um die unrechtmäßige Verwendung von Partei- und öffentlichen Geldern und die mögliche Beeinflussung von Politikern durch Wirtschaftsunternehmen kreisten und demgemäß von zahlreichen Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung, Bestechlichkeit und anderen einschlägigen Delikten begleitet wurden. 715 Mit der Pflicht zur Aussage besteht somit für den in diese Sachverhalte involvierten Zeugen regelmäßig die Gefahr, sich zu möglicherweise strafrechtlich verfolgbaren Verfehlungen äußern zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Auskunftspflicht vor einem Untersuchungsausschuss auch strafrechtlich belastende Bereiche umfasst, ist sehr hoch. 713
Jekewitz, Die Einsicht in Strafakten durch pari. Untersuchungsausschüsse, NStZ 1985, S. 395 (396); Vetter, Rechtsfragen der Parallelität von Strafverfahren und parlamentarischer Untersuchung, ZParl 1989, S. 345 (346). 714 BT-Drs. 14/2139, 14/2686; z.B. BayLT-Drs. 14/5770. 715 Zur Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages erfolgten parallele Ermittlungen durch elf verschiedene Staatsanwaltschaften (und darüber hinaus fünf weitere Ermittlungsverfahren in ausländischen Staaten und vier parallel arbeitende Untersuchungsausschüsse auf Länderebene) und durch zwei Gerichtsverfahren (vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages. Vergi. BTag-Drs. 14/9300, S. 32^2).
172
C. Reform orschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Demgegenüber kommen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vor allem Vermögensdelikte im Zusammenhang mit der Verschiebung von Massegegenständen in Betracht. 716 Gerade weil die Aufklärung von Insolvenzstraftaten zu den schwierigsten Aufgaben der Strafverfolgung zählt, sind genaue Schätzungen über den Anteil paralleler Strafverfahren schwierig. In Schätzungen wird angenommen, dass dies überaus häufig der Fall ist, so reicht die angenommene Spannbreite von 50 % bis 80 %, teilweise sogar über 90 % . 7 1 7 Demnach liegt auch im Insolvenzverfahren grundsätzlich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass die Auskunftspflicht strafrechtlich bedeutsame Sachverhalte umfasst.
(2) Informationstransfer
zum Strafverfahren
Neben der grundsätzlichen Verpflichtung zur Aussage über Sachverhalte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen strafrechtlichen Bezug haben, könnte die Rechtsähnlichkeit verneint werden, wenn es in einem der beiden Verfahren wesentlich unwahrscheinlicher wäre, dass die strafrechtlich relevante Information tatsächlich zur Strafverfolgung genutzt wird. Im Fall der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ist der Informationstransfer zum Strafverfahren sehr gut gewährleistet. So sitzen teilweise dienstlich verpflichtete Staatsanwälte im Zuschauerraum, um die Aussage mitzuschreiben und gegebenenfalls gegen den Aussagenden verwenden zu können. Darüber hinaus findet gerade bei Skandalenqueten eine breite Medienberichterstattung statt, die viel stärker als bei normalen Strafverfahren von eigenen Recherchen der Medien begleitet w i r d , 7 1 8 die selbst als außerdienstlich erlangte Information 719 strafrechtliche Ermittlungen auslösen könnten. Demnach ist der Informationstransfer zwischen parlamentarischen Untersuchungsverfahren und Staatsanwaltschaft sehr sicher gewährleistet, so dass eine strafrechtlich kompromittierende Aussage auch tatsächlich zur Strafverfolgung verwendet wird. Fraglich ist die Gewährleistung des Informationstransfers beim Insolvenzverfahren. Sind im Regelfall private Anzeigen das auslösende Moment strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, 720 kommt diesen im Rahmen von Insolvenzverfahren eine ungleich geringere Bedeutung zu. 7 2 1 Der Beginn der Strafverfolgung in 716
Lüke, in: Kübler/Prütting, InsO, § 97 Rn. 5. Beck, in: Janovsky/Wabnitz, Hb. Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 71; nach Eisenberg, Kriminologie, § 47 Rn. 41 reichen die Schätzungen von 22 % bis zu 75 %. 718 Nack, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 38. 719 Pfeiffer, StPO, § 160 Rn. 3. 720 Nach Schätzungen etwa 90 %, vergi. Kühne, StrafprozessR, Rn. 314. 721 Nur etwa 7 % der bearbeiteten Fälle von Wirtschaftskriminalität gehen auf private Anzeigen zurück, vergi. Eisenberg, Kriminologie, § 26 Rn. 39. 7,7
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
173
diesem Bereich ist demnach entscheidend von staatlicher Kontrolle abhängig, 722 so dass der Beachtung des Legalitätsprinzips 723 in diesem Bereich eine große Bedeutung zukommt. Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungen erlangt die Staatsanwaltschaft üblicherweise aufgrund von Mitteilungen des Insolvenzgerichts nach der „Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen", 724 einer bundesweit geltenden Vereinbarung zwischen dem Bundesminister/der Bundesministerin der Justiz und den Landesjustizverwaltungen, nach der möglicherweise strafrechtlich verwertbare Informationen der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft mitzuteilen sind. 7 2 5
(3) Zwischenergebnis Es sind sowohl innerhalb parlamentarischer Untersuchungen als auch bei Insolvenzverfahren regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit strafrechtlich relevante Bereiche von der Auskunftspflicht der Zeugen umfasst, darüber hinaus ist bei beiden Verfahren sehr sicher gewährleistet, dass gegebenenfalls erfolgte Selbstbelastungen de facto auch wirklich den Strafverfolgungsbehörden zugeführt und zur Strafverfolgung genutzt werden. In diesem Punkt liegt folglich eine Rechtsähnlichkeit vor.
c) Privatpersonen
als Untersuchungsausschusszeugen
In Anlehnung an die Diskussion der Betroffenenstellung soll im Folgenden zwischen Privatpersonen und politisch Verantwortlichen differenziert werden, 726 um etwaigen Besonderheiten im jeweiligen Vergleich zur rechtlichen Lage des Gemeinschuldners Rechnung tragen zu können.
72 2
Dannecke, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Rn. 19. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 14 Rn. 1. 724 Vergi. z.B. BayJMBl. 1998, S. 64, Beilage zu NJW 1998, Heft 38. 72 5 Köhler, in: Janovsky/Wabnitz, Hd. des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Rn. 492 f. 726 Vergi. Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 265 m.w.N. insbes. FN 174-176. 72 3
174
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
aa) Auskunftspflicht der Privatperson Die Rechtsgrundlage der Zeugenstellung im parlamentarischen Untersuchungsverfahren ist § 20 Abs. 1 S. 1 PUAG, der in diesem Punkt die einfachgesetzliche Ausformung der verfassungsrechtlichen Verweisung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess ist. In diesem bestehen die Pflichten der Zeugen im Wesentlichen darin, vor dem Vernehmenden zu erscheinen, auszusagen und die Aussage zu beteuern. 7 2 7 Abgesehen von der fehlenden Pflicht zur Beteuerung in Form einer Vereidigung, die, entgegen der alten Rechtslage, 7 2 8 aufgrund der problematischen Vorgehensweise der Untersuchungsausschüsse 729 nicht in das PUAG übernommen wurde, 7 3 0 bestehen diese Pflichten auch vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Diese Verpflichtung, die in einem Strafverfahren jeden Bürger, der z.B. zufallig einen Verkehrsunfall beobachtet hat, treffen kann, kann auch jeden Bürger treffen, sobald er in einen von einem Untersuchungsausschuss untersuchten Sachverhalt involviert ist und muss als Eingriff in die Rechte des Bürgers verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sein. Allgemein wird diese Verpflichtung eher vage als staatsbürgerliche Pflicht bezeichnet, die von der StPO vorausgesetzt und in anderen einschlägigen Vorschriften nur konkretisiert wird. 7 3 1 Genauer lässt sich dieser status-activus-Fall, also die Pflicht zur Aussage, 732 als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezeichnen, 733 welcher zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung verhältnismäßig 734
sein musste. 72 7
Rogali , in: SK-StPO, vor § 48 Rn. 125. Vergi. Quaas/Zuck, Probleme zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. NJW 1988, S. 1873 (1878). 729 Auch der Parteispenden-Untersuchungsausschuss des 14. Deutschen Bundestages wollte einen Hauptzeugen vereidigen, obgleich das PUAG bereits erlassen war, für die laufende Untersuchung indes noch nicht rechtlich bindend wirkte. Vergi. Wiefelspütz, Der Eid im Untersuchungsausschuss, ZRP 2002, S. 14 (15); vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300, S. 82 ff.; krit. hierzu: Schmidt, Keine Vereidigung im Untersuchungsausschuss, FAZ v. 17. Oktober 2001, S. 17; Schaefer, Vereidigung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, NJW 2002, S. 490 (491); Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 149 ff. 730 Vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 15. 731 RGSt 18, 350 (351); BVerfGE 49, 280 (284); 76, 363 (383); Paulus, in: KMRStPO, vor § 48 Rn. 26; Plöd, Die Stellung des Zeugen in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, S. 134. 732 Die Pflicht des Zeugen zu erscheinen und auszusagen ist ein Eingriff in die al lg. Handlungsfreiheit des Zeugen, vergi. Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 269 f. 733 Klenke, Zum Konflikt zwischen parlamentarischem Enqueterecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen, NVwZ 1995, S. 644 (645); Ma728
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
175
Das Ziel der Aussagepflicht eines Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist einerseits die Beibringung von Informationen zur Aufklärung strittiger Sachverhalte und andererseits die Verwendung der Aussage im politischen Meinungskampf. Dies dient der von Art. 44 GG intendierten Selbstreinigung des politischen Systems und ist somit als Ziel verfassungsrechtlich legitimiert. Die Aussagepflicht des Zeugen ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich, so dass für den Vergleich zur Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners insbesondere auf den Gesichtspunkte der Angemessenheit abzustellen ist. A u f dieser Stufe stehen sich das parlamentarische Kontrollrecht und das Grundrecht des Zeugen auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber. Die überragend wichtige und sich im Rahmen der Abwägung regelmäßig durchsetzende Bedeutung des Enqueterechts soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden. 735 Allerdings ist auf zwei abwägungsrelevante Gesichtspunkte aufgrund ihrer besonderen Bedeutung im Vergleich zur Auskunftspflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren gesondert hinzuweisen. Zunächst der bereits genannte Punkt, dass die Aussagepflicht im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung ohne eigenes Zutun entstehen kann, ein beliebig entstandener Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand ist hierbei ausreichend. Ein zweiter beachtenswerter Punkt ist die Frage der erschwerten Durchsetzung des gebotenen Geheimnisschutzes, der für Daten mit persönlichem Bezug bei ähnlichen Verfahren (beispielsweise Steuer-, sozial-, beamten-, Straßenverkehr-, oder strafrechtlichen Verfahren) aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefordert wird. 7 3 6 Zwar sind Daten mit streng persönlichem Charakter, worunter ausschließlich Angelegenheiten zu verstehen sind, die ausnahmslos der engsten Privatsphäre oder der Intimsphäre zuzurechnen sind, von vornherein nicht vom Beweiserhebungsrecht des Parlaments umfasst, 737 auch wenn sie, was äußerst
sing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, S. 269 f. Krit. zur Terminologie: Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 108. Wiefelspütz erwägt nicht unüberzeugend, ob sich die Zeugnispflicht vor einem Untersuchungsausschuss nicht direkt aus Art. 44 Abs. 1 GG ergibt: Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 242. 734 Benda , Privatsphäre und Persönlichkeitsprofil, FS für Geiger, S. 23, 37 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 111. 735 Soweit „Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich von Zeugen oder Dritten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen könnten", kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung i.R.d. Abwägung stärker zur Geltung kommen. Dem trägt das PUAG Rechnung, indem es für diesen Fall gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 PUAG den Ausschluss der Öffentlichkeit zulässt. 736 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 111 m.w.N. in FN 350 ff. 737 Zum Schutz der Intimsphäre vergi. BVerfGE 6, 32 (41); 34, 238 (245); 54, 143 (146); 80, 367 (373 f.).
176
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
selten der Fall ist, beweiserheblich sein sollten. 738 Allerdings lässt sich das parlamentarische Untersuchungsrecht gerade im Fall der Skandalenquete unter Ausklammerung von Privatgeheimnissen nicht durchsetzen, so dass diese vom Beweiserhebungsrecht umfasst sein müssen, soweit es „tatsachengestützte Anhaltspunkte" dafür gibt, dass sie der Aufklärung von Missständen dienlich sind; allerdings bietet das Kriterium der „tatsachengestützten Anhaltspunkte" aufgrund seiner inhaltlichen Unschärfe keinen wirklichen Schutz. 739 Vor der Äußerung privater Daten und der Gefahr, dass diese in die Öffentlichkeit gelangen, kann die Rechtsordnung den Bürger allerdings in keinem der Bereiche vollständig schützen, in denen solche Daten vonnöten sind. 740 Das PUAG trägt dem gebotenen Geheimnisschutz durch einen möglichen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 14 Abs. 1 PUAG und darüber hinaus durch einen möglichen Geheimnisschutz gem. § 15 PUAG Rechnung. Private Geheimnisse können gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PUAG mit einem Geheimhaltungsgrad versehen werden, der sich nach der Geheimschutzordnung des Bundes richtet (Anlage 3 zur GO-BT). Indem diese dem Wortlaut nach private Geheimnisse nicht erfasste, sondern auf den staatlichen Bereich ausgerichtet war, wurde zeitgleich zur Verabschiedung des Gesetzesentwurfes des PUAG eine entsprechende Erweiterung der Geheimschutzordnung beschlossen.741 Es gibt indes verschiedene Faktoren, die dazu führen, dass ein angestrebter Geheimnisschutz im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen de facto weit weniger effektiv ist als dies in anderen behördlichen oder gerichtlichen Verfahren der Fall ist. 74 2 Die Anfälligkeit für mögliche Indiskretionen ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass ein mehrköpfiges Gremium - wie der parlamentarische Untersuchungsausschuss - immer anfälliger für Indiskretionen ist als dies z.B. bei einem kleinen gerichtlichen Spruchkörper der Fall ist. Hinzu kommt, dass es in dem politischen und polarisierten Verfahren der Untersuchungsausschüsse immer Interessen gibt, missliebige Zeugen in der Öffentlichkeit durch die Lancierung bestimmter Informationen in der Presse zu diskreditieren. 743 Zusammengefasst sind die für einen Vergleich zur Auskunftspflicht im Insolvenzverfahren wichtigsten Punkte das unverschuldete Entstehen der Aus738
Klenke, Zum Konflikt zwischen parlamentarischen Enqueterecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen, NVwZ 1995, S. 644 (646). 739 Köhler, Die Grenzen des Rechts der parlamentarischen Untersuchung im privaten Bereich, NVwZ 1995, S. 664 (664 f.). 740 Klenke, Zum Konflikt zwischen parlamentarischem Enqueterecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen, NVwZ 1995, S. 644 (647). 741 Vergi. BTag-Drs. 14/5790, S. 16. 742 Klenke, Zum Konflikt zwischen parlamentarischem Enqueterecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen, NVwZ 1995, S. 644 (647). 743 Zum Anteil der Presse an der Aufarbeitung politischer Skandale, vergi. Germis, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politischer Skandal, S. 21 f.
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kunftspflicht des Untersuchungsausschusszeugen und die mögliche Verpflichtung zur Äußerung auch privater Daten zu nennen. Zwar ändert auch der dargelegte Umstand, dass die Daten des Bürgers durch § 14 Abs. 1 PUAG, also den Ausschluss der Öffentlichkeit, nicht wirksam geschützt werden, nichts an der grundsätzlichen Verhältnismäßigkeit der Auskunftspflicht, doch können diese Gesichtspunkte Aufschluss darüber geben, inwieweit Rechtsähnlichkeit mit der Auskunftspflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren besteht.
bb) Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners Die Rechtsgrundlage der Auskunfts- und Mitwirkungspflicht des Schuldners ist § 97 Abs. 1 S. 1 InsO, der eine verfahrensrechtliche Pflicht öffentlichrechtlicher Art begründet, die unmittelbar erzwungen werden kann. 744 Worin liegt die Pflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren ursächlich begründet? Die Pflicht des Schuldners zur Auskunft ist ein besonderer Pflichtenkreis im Interesse der Gläubiger und dient gem. § 1 InsO der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger. Für den Vergleich mit der Auskunftspflicht des Untersuchungsausschusszeugen ist bedeutsam, wie der Schuldner in diese Pflichtenstellung geraten ist. Vorrangig abzustellen ist hierbei darauf, dass der Schuldner für das Entstehen dieser Verpflichtung selbst verantwortlich ist: Die Übernahme dieses Pflichtenkreises beruht auf einem eigenen Willensentschluss des Schuldners durch eine Willenserklärung, die der Schuldner freiwillig und in aller Regel aus wirtschaftlichem Interesse im Rahmen des Erwerbslebens abgegeben hat. Den besonderen Pflichtenkreis, der den Schuldner zur Auskunft verpflichtet, hat dieser also freiwillig und aus Eigeninteresse übernommen. Des Weiteren ist hervorzuheben, wie weit die Auskunftspflicht des Schuldners gem. § 97 Abs. 1 S. 1 InsO reicht. Die Auskunftspflicht erstreckt sich inhaltlich auf alle rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die für das Insolvenzverfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. 745 Durch diese Begrenzung auf rechtliche und wirtschaftliche Bereiche, können private Bereiche, wenn überhaupt, nur mittelbar und sehr schwach betroffen sein, so dass sich die Frage eines Geheimnisschutzes im Falle dieser Auskunftspflicht gar nicht stellt. Zusammengefasst entsteht die Auskunftspflicht als Folge eines willentlichen Entschlusses des Schuldners, der hierdurch Vorteile erhalten wollte. Weiterhin ist festzuhalten, dass private Daten von der Auskunftspflicht weitgehend nicht erfasst sind.
744 745
Passauer, in: MüKo-InsO, § 97 Rn. 13. Passauer, in: MüKo-InsO, § 97 Rn. 14.
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
cc) Gegenüberstellung der Ursachen und Effekte der Auskunftspflichten Ausgangspunkt der Darstellung der Rechtsgrundlagen, tatsächlichen Begründungen und Auswirkungen der Auskunftspflicht von Privatpersonen als Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss und des Schuldners im Insolvenzverfahren ist die Frage, inwieweit zwischen dem parlamentarischen Untersuchungs- und dem Insolvenzverfahren in Bezug auf die rechtliche Lage der Auskunftspflichtigen nach einem bewertenden Vergleich in den zentralen Punkten eine derart weitreichende Übereinstimmung in Form der Rechtsähnlichkeit besteht, dass hieraus die rechtliche Zulässigkeit einer Übertragung der wesentlichen Regelungen von einem Verfahren auf das andere - vorliegend vom Insolvenz- auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren - gefolgert werden kann. Beginnt man diesen Vergleich mit dem jeweiligen Ursprung der Auskunftspflicht, also ihrer rechtlichen Voraussetzung und derjenigen Handlung des Auskunftspflichtigen, die diese Voraussetzung erfüllt und damit die Pflicht zur Auskunft ausgelöst hat, so finden sich weitreichende Unterschiede. Die Rechtspflicht des Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss entsteht unwillentlich; sie kann jeden Bürger treffen, ohne dass dieser besondere Verantwortung hätte übernehmen wollen, 746 auch wollte der spätere Zeuge durch die seine Auskunftspflicht auslösende Handlung nicht unbedingt einen persönlichen Vorteil erlangen. Der Pflicht zur Aussage steht also kein sie ausgleichender Vorteil gegenüber. Gänzlich anders stellt sich die Situation bei der Verpflichtung des Gemeinschuldners dar: Dieser wusste, worauf er sich einließ. Die gem. § 97 Abs. 1 InsO entstehende Auskunfts- und Mitwirkungspflicht stellt die synallagmatische Folge davon dar, dass der Schuldner die von ihm gewünschte Leistung vom Gläubiger erhielt; diese Leistung stellt in Bezug auf die Auskunftspflicht also einen Ausgleich dar. Ein anderer weitreichender Unterschied zeigt sich in der inhaltlichen Reichweite der jeweiligen Auskunftspflicht. So ist die Pflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren auf rechtliche und wirtschaftliche Bereiche, also einem relativ engen und unprivaten Bereich, begrenzt. Demgegenüber können innerhalb einer parlamentarischen Untersuchung sogar äußerst private schlimmstenfalls intime Bereiche in den Blickfeld der Untersuchung geraten und damit im Rahmen der Auskunftspflicht virulent werden. Ein Beispiel hierfür ist der „Wörner/Kießling"-Untersuchungsausschuss, der u.a. der Frage nachging, ob der der Homosexualität bezichtigte Bundeswehrgeneral Dr. Kießling zu Recht aus dem aktiven Dienst der Bundeswehr entlassen worden war. 747 In einer solchen Lage 746
Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 260. Vergi. BTag-Drs. 10/1604 S. 16-35; ausführliche Darstellung bei: Germis, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politischer Skandal, S. 104-121. 747
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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ist es für den Auskunftspflichtigen besonders misslich, dass das gesamte Beweiserhebungsverfahren des Untersuchungsausschusses vor dem Hintergrund eines großen öffentlichen Interesses und grundsätzlich öffentlich erfolgt. Mangels wirksamen Geheimnisschutzes können somit private oder sogar intime Daten einer Person de facto an die Öffentlichkeit gelangen und so die soziale Stellung einer Person nachhaltig beeinträchtigen. Bei dem Vergleich der Begründung und Folgen der Auskunftspflichten eines privaten Untersuchungsausschusszeugen und eines Insolvenzschuldner ist von einer Kreuzstellung der wesentlichen Gesichtspunkte auszugehen: So steht der Freiwilligkeit der Übernahme der Auskunftspflicht im Insolvenzverfahren deren Unfreiwilligkeit im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung gegenüber. Ebenso erlangt der Schuldner im Zusammenhang mit der Übernahme der Auskunftspflicht einen Vorteil, was beim Untersuchungsausschusszeugen im Regelfall nicht der Fall ist. 748 Weiterhin stehen sich eine Einschränkung der Auskunftspflicht auf rechtliche und wirtschaftliche Bereiche beim Insolvenzverfahren und eine weiter reichende, in privaten Bereichen jedenfalls auch umfassende, Auskunftspflicht beim Untersuchungsausschuss gegenüber. Nach diesen Feststellungen bleibt festzuhalten, dass sich zwischen einer auskunftspflichtigen Privatperson und einem Insolvenzschuldner zahlreiche weitreichende Unterschiede finden.
dd) Zwischenergebnis Bei den methodischen Vorüberlegungen über die Vorgehensweise hinsichtlich der Beantwortung der aufgeworfenen Frage, inwieweit die Übertragung der Grundsätze der Gemeinschuldner-Entscheidung auf das Beweiserhebungsverfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse rechtlich zulässig und der Effektivierung dienlich ist, wurde diese Frage mit dem Vorliegen einer Rechtsähnlichkeit verknüpft. 749 Aus dem bewertenden Vergleich zwischen der Begründung und den Auswirkungen der Auskunftspflichten eines Insolvenzschuldners und einer Privatperson als Zeugen einer parlamentarischen Untersuchung ergeben sich in den wesentlichen Aspekten keine Übereinstimmungen,
748 Ausnahmen könnte man in Fällen sehen, in denen die Auskunftspflicht des Zeugen durch eine wirtschaftliche Betätigung ausgelöst wurde, die in einem politischen Skandal mündete. Allerdings könnte mitunter ein Vorteil darin gesehen werden, dass sich der Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss öffentlich rechtfertigen kann. Dies ist indes aufgrund der Defensivität der Zeugen im Regelfall nicht gegeben. Vergi, zu diesem Gesichtspunkt bezogen auf Amtsträger: Masing, Politische und rechtliche Verantwortlichkeit, in: ZRP 2001, S. 36 FN 25. 749
Siehe oben I. 6. a).
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
sondern sogar entgegengesetzte Gesichtspunkte. Eine Rechtsähnlichkeit ist in diesem Punkt somit nicht gegeben. 750
d) Reformvorschlag für Privatpersonen Fraglich ist, ob und inwiefern sich die fehlende Rechtsähnlichkeit in diesem Punkt auf den Reformvorschlag der Meinungsgruppe auswirkt, die eine Beweisverwertungsverbotslösung fur die Effektivitätssteigerung parlamentarischer Untersuchungen befürwortet.
aa) Erzwingbare Auskunftspflicht Nachdem nunmehr in verschiedenen verglichenen Punkten eine Rechtsähnlichkeit (hinsichtlich der Bedeutung der Auskunft im jeweiligen Verfahren, der Wahrscheinlichkeit, dass strafrechtlich relevante Bereiche von der Auskunftspflicht umfasst sind und schließlich die Gewährleistung des Informationstransfers zum Strafverfahren) festgestellt wurde, und in einem, der Begründung und den Auswirkungen der jeweiligen Auskunftspflicht, verneint wurde, ist fraglich, ob letzteres allein zur Verneinung der Rechtsähnlichkeit insgesamt fuhrt. Schließlich müssen nicht alle verglichenen Punkte gleich sein, da dann keine Rechtsähnlichkeit, sondern eine Rechtsgleichheit vorläge. Eine Verneinung der Rechtsähnlichkeit hätte die Verneinung der Zulässigkeit der Übertragung der in der Gemeinschuldner-Entscheidung gewonnenen Lösungsansätze auf das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Konsequenz. In diesem Fall wäre dem Teil der hier untersuchten Meinungsgruppe, die zur Effektivierung parlamentarischer Untersuchungen uneingeschränkt die Beweisverbotslösung vertritt, 751 eine Absage zu erteilen. Die Frage der Rechtsähnlichkeit ist im Rahmen eines bewertenden Vergleichs zu klären, so dass auch diejenigen Rechte der auskunftspflichtigen Privatperson zu beachten sind, die betroffen wären, bejahte man die Rechtsähnlichkeit insgesamt und damit die Übertragbarkeit des Lösungsmodells der Gemeinschuldner-Entscheidung auf das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Dies bedeutete, dass die Privatperson nicht nur von der re-
75 0
Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 260. Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (478); Ströbele, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 57; Ströbele, Ergänzungsvorschlag, Presseerklärung vom 25. August 2000, S. 1; H.-P. Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333); Maier, Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 45 f. 75 1
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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gulären Auskunftspflicht berührt wäre, sondern darüber hinaus auch dann aussagen müsste, wenn sie sich damit inhaltlich strafrechtlich belastete, wobei die strafrechtliche Verwertung der erlangten Information durch ein Beweisverwertungsverbot ausgeschlossen werden würde. Mangels strafrechtlicher Verfolgungsgefahr gäbe es für Privatpersonen keinerlei Auskunftsverweigerungsrechte mehr, so dass jede Aussage, ungeachtet ihres Inhalts, stets mit den Maßnahmen des Zeugniszwanges erzwingbar wäre. Führte man eine solche Regelung ein, so hätte sie - ungeachtet flankierender Maßnahmen des Zeugenschutzes - eine immense Effektivitätssteigerung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Konsequenz. Damit wäre die Zielsetzung der Untersuchung, also die Prüfung der zulässigen Möglichkeiten, die Effektivität parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu steigern, in diesem Punkt erreicht. Gleichwohl ist fraglich, ob eine solche Vorgehensweise mit den vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Gemeinschuldner-Entscheidung entwickelten Vorgaben vereinbar ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seinen zutreffenden Ausführungen über die Auswirkungen des nemo-teneturPrinzips klargestellt, dass es rechtlich zulässig ist, in nicht-strafrechtlichen Verfahren Aussagen auch dann zu erzwingen, wenn sie einen strafrechtlich selbstbelastenden Inhalt haben, solange durch ein Verbot die strafrechtliche Verwertung ausgeschlossen wird. 7 5 2 Das Bundesverfassungsgericht knüpfte an diese Vorgehensweise jedoch verschiedene Voraussetzungen. Zunächst wurde ein großes öffentliches Interesse an der tatsächlichen Aufklärung des fraglichen Sachverhalts gefordert. Dieses Kriterium ist mit einer parlamentarischen Untersuchung gleichfalls erfüllt, Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG legitimiert nicht nur die parlamentarische Untersuchung an sich, sondern begründet auch das öffentliche Interesse und erhebt obendrein die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen zur verfassungsrechtlichen Ziel vorgäbe. Spricht dies zunächst für die Zulässigkeit der Übertragbarkeit, darf gleichzeitig eine zweite bundesverfassungsgerichtliche Vorgabe nicht übersehen werden: So stellte das Bundesverfassungsgericht zutreffend fest, dass der Auskunftspflichtige durch die Beweisverwertungsverbotslösung nicht in seinen grundgesetzlich garantierten Rechten verletzt wird, 7 5 3 allerdings wird so wesentlich stärker in seine Rechte eingegriffen als dies bei der Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten der Fall ist. Bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses schwereren Eingriffs stellt das Gericht besonders darauf ab, dass der Gemeinschuldner die Pflicht selbst, freiwillig und aus Eigeninteresse übernommen habe. Dieser Punkt ist bei einer Privatperson als Zeugen eines parlamentarischen Untersuchungsausschus-
752 753
Siehe oben I. 1., 2. BVerfGE 56, 37 (48 ff.).
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
ses eindeutig nicht gegeben. Hierauf ist von der Gegenmeinung, die sich insgesamt gegen die Zulässigkeit einer Beweisverwertungsverbots-Lösung ausspricht, deutlich hingewiesen worden. 754 In diesem Punkt ist dieser Auffassung zuzustimmen. Es ist nicht angemessen, dass ein Bürger, der keinen besonderen Pflichtenkreis in eigenem Interesse übernommen hat, in die Situation gebracht wird, vor der Öffentlichkeit unter Anwendung von Maßnahmen des Zeugniszwangs über eigene Verfehlungen Auskunft erteilen zu müssen. Bedenkt man das große öffentliche Interesse an den Beweiserhebungen der Untersuchungsausschüsse, könnte dies dazu führen, dass die gesellschaftliche Stellung einer Person nachhaltig beeinträchtigt wird, ohne dass dies Risiko von einem besonderen Pflichtenkreis, den die Person durch freien Willensentschluss und in eigenem Interesse zuvor übernommen hat, umfasst gewesen wäre. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit fallt bei der Abwägung innerhalb der Angemessenheit besonders schwerwiegend ins Gewicht, dass die Auskunftsperson den Maßnahmen des Zeugniszwanges ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund kann den Vertretern der Beweisverwertungsverbots-Lösung, soweit diese die Beweisverwertungsverbots-Lösung uneingeschränkt auf erzwingbare Auskunftspflichten von Privatpersonen zur Anwendung kommen lassen wollen, 7 5 5 nicht gefolgt werden. Im Ergebnis ist die Beweisverwertungsverbots-Lösung, bezogen auf erzwingbare Auskunftspflichten von Privatpersonen als Zeugen parlamentarischer Untersuchungen, also mangels Verhältnismäßigkeit kein rechtlich zulässiger Weg, um die Effektivität parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu erhöhen.
bb) Freiwilligkeit der Aussage Ein anderes Ergebnis als bei erzwingbaren Auskunftspflichten könnte zustande kommen, soweit die Beweisverwertungsverbots-Lösung auf freiwillig getätigte Aussagen begrenzt wird, Maßnahmen des Zeugniszwangs also nicht zur Anwendung kommen, sondern sich der Zeuge selbst mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt. Diese Begrenzung der Beweisverwertungsverbots-Lösung wird unter Hinweis auf die US-amerikanischen Erfahrungen und die Arbeit der Truth and Reconciliation Commission in Südafrika im Schrifttum
75 4 Nack, Gutachten, BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 98 f.; ohne tiefergehende Begründung auch: Kempf, Thesen zum Anwaltstag 2000, AnwBlatt 2000, S. 14 (14). 75 5 Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (479); Ströbele, in: Anhörung des BTag-Ausschusses ftir Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 57.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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vorgeschlagen. 756 Gegen eine solche eingeschränkte BeweisverwertungsverbotsLösung zur Neugestaltung der Auskunftspflicht im parlamentarischen Untersuchungsverfahren können sich vor allem aus zwei Aspekten heraus Einwände ergeben: Zunächst einmal aufgrund möglicher Beeinträchtigungen von geschützten Rechtsgütern der Auskunftsperson, andererseits die aus diesem Reformvorschlag resultierende erschwerte Strafverfolgung des UntersuchungsausschussZeugen unter Berücksichtigung des Strafanspruchs des Staates.
(1) Keine Verletzung von Rechten des freiwillig
aussagenden Zeugen
Hinsichtlich des Zeugen verringern sich durch die Begrenzung der Beweisverwertungsverbots-Lösung auf freiwillig getätigte Aussagen die betroffenen Interessen des Auskunftspflichtigen im Rahmen der Abwägung deutlich, schließlich erhält der Auskunftspflichtige in diesem Fall für seine Auskunft den entscheidenden Vorteil, dass die von ihm mitgeteilten Informationen strafrechtlich nicht gegen ihn verwertet werden dürfen. Damit ist der Zeuge zwar nicht gänzlich straffrei gestellt, wie es bei einer Immunitätsregelung der Fall wäre, 757 allerdings ist nach der hier vertretenen Auffassung auch die mittelbare Verwertung der von ihm getätigten Auskünfte nicht mehr zulässig. 758 Je mehr der Zeuge offenbart, desto stärker schützt er sich gleichwohl selbst vor der Strafverfolgung. Setzt man eine tatsächlich wirksame Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes voraus, die durch ein an US-amerikanische Regeln angelehntes Verfahren zu regeln ist, 7 5 9 so sind keine Gründe ersichtlich, die in Hinblick auf den freiwillig aussagenden Zeugen gegen die BeweisverwertungsverbotsLösung sprechen. Der bloße Hinweis darauf, dass ein Verwertungsverbot nach bisher herrschender Meinung in der Rechtsprechung jedenfalls keine Fernwirkung entfalte, 760 kann - mangels eigenen Erklärungsinhalts - als Gegenargument diesem Ergebnis nicht entgegenstehen. Zumal dieses Argument eigentlich nur in Zusammenhang mit erzwingbaren Auskunftspflichten genannt wird. Al-
75 6 Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607). 757 Diese wichtige Differenzierung unterlässt Wolfframm, Wortäußerung, Protokoll der Tagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 31. 75 8 Danckert, Aussagezwang im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZRP 2000, S. 476 (478). 759 Siehe oben I. 4. c) dd). 76 0 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (220); Nack, Gutachten, BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 99 insbes. FN 27; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 279. Dazu ausführlich die Diskussion der mittelbaren Beweisverwertung. Siehe oben C. I. 5. c).
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lerdings ließe es sich auch gegen eine auf freiwillige Aussagen limitierte Beweisverwertungsverbots-Lösung verwenden, wenn man darauf abstellte, dass die dem Zeugen gemachte Zusage, also die NichtVerwertung der in seiner Aussage enthaltenen Informationen gegen ihn selbst, de facto nicht eingehalten werden könnte. Indem allerdings von einer wirksamen Fernwirkung der Beweisverwertungsverbote auszugehen ist, ist auch dieser mögliche Einwand nicht in der Lage, eine Verletzung von Rechten des freiwillig aussagenden Zeugen darzulegen. Demnach ist die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung hinsichtlich der betroffenen Rechte des freiwillig Aussagenden, insbesondere des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, zulässig.
(2) Zulässigkeit der erschwerten Strafverfolgung Eine rechtliche Unzulässigkeit der auf freiwillige Aussagen limitierten Beweisverwertungsverbotslösung könnte sich indes daraus ergeben, dass mit einer solchen Regelung zugunsten der Leistungsfähigkeit parlamentarischer Untersuchungen zumindest teilweise auf den staatlichen Strafanspruch verzichtet wird. Die große Bedeutung dieses Anspruchs ist nicht zu bestreiten und wurde zu Recht vielfach betont, obwohl er - aufgrund seiner vorausgesetzten Selbstverständlichkeit - nicht ausdrücklich konstituiert wurde. 761 Den Gegnern einer Beweisverwertungsverbotslösung dient er als Hauptargument zur Ablehnung einer solchen Regelung im Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse.762 Allerdings kann diese Argumentation nicht komplett überzeugen. Schließlich verzichtet der Staat durch die Einführung eines Beweisverwertungsverbotes nicht vollständig auf die Strafverfolgung der Auskunftsperson, sondern nur auf die Verwertung der Informationen, die in der Aussage des Zeugen enthalten waren; besonders beachtenswert ist dabei, dass es sich hierbei um beweiserhebliche Hinweise handelt, die der Staat durch die Beweiserhebungen im Untersuchungsausschuss und auch im Strafverfahren regelmäßig nicht erhalten hätte, da sich die Auskunftsperson jeweils auf das entsprechende Auskunftsverweigerungsrecht berufen hätte. Unabhängig von der Aussage des Untersuchungsausschuss-Zeugen erlangte Informationen werden dagegen weiterhin zur Strafverfolgung genutzt, da die Staatsanwaltschaft bei einer Verwertungsverbots-
76 1 Schmidt-Jortzig, Grenzen der staatlichen Strafgewalt, in: FS für BVeriG (2001), S. 505 (505); vergi. BVerfGE 19, 342 (347); 20, 45 (49); 20, 144 (147); 77, 65 (76). 76 2 Schmidt (MdB), Wortäußerung, Protokoll der Tagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 16. Mai 2001, S. 29: „ (...) halte ich es schlechterdings wirklich für undenkbar und nicht akzeptabel, dass der Staat auf seinen Strafanspruch verzichtet".
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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Lösung - anders als bei Einführung einer Immunitätsregelung - aufgrund des Legalitätsprinzips weiter zu strafrechtlichen Ermittlungen verpflichtet bleibt. 763 Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs kein Prinzip ist, das um jeden Preis durchgesetzt werden müsste, 764 so in Fällen, in denen es Grundrechte zu schützen gilt, wie beim nemo-teneturPrinzip, 765 oder, in engen Ausnahmefallen, wenn ein besonders großes Aufklärungsinteresse gegeben ist, was zum Beispiel im Bereich der Bekämpfung von Betäubungsmittelkriminalität (vergi. § 31 Abs. 1 BtMG), aber auch zur Durchsetzung eines gerechten Steuerverfahrens (vergi. § 393 AO) angenommen wird. Dies könnte sich auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren übertragen lassen. Das besonders große öffentliche Interesse ist beim parlamentarischen Untersuchungsverfahren aufgrund der verfassungsrechtlichen Legitimierung durch Art. 44 GG gegeben. Dass die Anwendung der Beweisverwertungsverbots-Lösung ein Ausnahmefall bleibt, ist durch die Entwicklung entsprechender Verfahrensregeln zu gewährleisten. 766 Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die mit diesem Reformvorschlag verbundene Steigerung der Effektivität parlamentarischer Untersuchung nach den US-amerikanischen Erfahrungen auch dann eintritt, wenn die Untersuchungsausschüsse von diesem Mittel nur äußerst selten Gebrauch machen. So wurde von der der VerwertungsVerbots-Lösung entsprechenden „use /m/www/>>"-Regelung767 in dem von zahlreichen parlamentarischen Untersuchungen geprägten Zeitraum von 1996-2000 von den verschiedenen und gemeinsamen Ausschüssen beider Häuser des Kongresses 768 in nur 12 bis 13 Fällen Gebrauch gemacht. 769
76 3 Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 72. 764 BGHSt 11, 353 (356); 17, 236 (237); Rogali , Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 145. 76 5 Hanack, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 136 Rn. 21 m.w.N. 766 Siehe unten I. 6. f). 767 Vergi. Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 41. 768 In den USA haben sämtliche reguläre Ausschüsse beider Häuser (standing committees ") ein eigenständiges Recht zur Untersuchung (vergi. House Roule XI, § 1 (b) ( 1 ); Senate Roule XXV1, § 1 ). Daneben gibt es separate eigenständige Untersuchungsausschüsse (select committees ") und gemeinsame Ausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus {Joint committees' 4). Vergi. Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, S. 303. 76 9 Winkelmann, Bericht der Delegationsreise des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung in die USA, Ausschussdrucksache Geschäftsordnung, 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, S. 5.
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Demgegenüber wurde in Deutschland §31 BtMG im Zeitraum von 1982— 1998 6100 Mal angewendet.770 Allerdings zeigt sich nach den amerikanischen Erfahrungen, dass nicht nur im konkreten Anwendungsfall, sondern in allen parlamentarischen Untersuchungen die Effektivität durch die bloße Existenz der „iuse-immunity "Regelungen erhöht wird. Schließlich erfolgen Aussagen von höhergestellten Persönlichkeiten oder Prominenten immer vor dem Hintergrund, dass ihre Aussage möglicherweise durch Aussagen von Sekretärinnen, Sekretären oder anderen (im Regelfall wegen Beihilfe strafbedrohten) Mitarbeitern, auf die die „useimmunity"- Regelungen angewendet werden könnten, widerlegt werden, und sie so sowohl in der Öffentlichkeit diskreditiert als auch von der strafrechtlichen Ahndung ihrer Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss bedroht sind. Somit wird auch in Untersuchungen, in denen die „wse-//w/wwwYy"-Regelung nicht angewendet wird (dies erfolgt aufgrund der besonderen Rechtfertigung, die eine solche Vorgehensweise vor der Öffentlichkeit erfordert, nur in Untersuchungsverfahren, die aufgrund des Verfahrens oder der darin verwickelten Persönlichkeiten als besonders wichtig erachtet werden), die Aussagebereitschaft und -qualität gestärkt. Aus diesem Grund wird die Möglichkeit, die Aussage eines Zeugen trotz des fünften Zusatzes der amerikanischen Verfassung, 771 der die konstitutionelle Garantie des nemo-tenetur-Prinzips in den Vereinigten Staaten darstellt, zu erhalten, zu den „unabdingbaren Voraussetzungen für effektive Untersuchungen" gezählt. 772 In den Gesprächen, die auf der Delegationsreise des Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Vorbereitung der Beschlussfassung des PUAG geführt wurden, zeigten sich einige der amerikanischen Gesprächspartner geradezu überrascht darüber, wie in Deutschland parlamentarische Untersuchungsausschüsse ohne eine entsprechende Regelung wirksam arbeiten können. 773 Insgesamt sind also die zu erwartenden Folgen der Einführung einer der „use-immunity " entsprechenden Regelung nach den praktischen Erfahrungen in den USA als positiv zu beurteilen.
77 0
Mühlhoff/Pfeiffer, Der Kronzeuge - Sündenfall des Rechtsstaates oder unverzichtbares Mittel der Strafverfolgung, ZRP 2000, S. 121 (123). 771 Der fünfte Zusatz der Verfassung sichert zu, dass „wo person...shall be compelled in any criminal case to be a witness against himself. Vergi. Rosenberg , An Introdu tion to the Law, Practice and procedure of Congressional Inquiry, S. 36-38, m.w.N. aus der Rechtsprechung. 77 2 Winkelmann, Bericht der Delegationsreise des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung in die USA, Ausschussdrucksache Geschäftsordnung, 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, S. 5. 773 Gespräch des Verfassers mit dem Sekretär des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Dr. Winkelmann, am 6. Dezember 2001.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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Fraglich bleibt indes, ob dies alleine es rechtfertigt, dass die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, zumindest teilweise, erschwert wird. 7 7 4 Bildet man zur Beantwortung dieser Frage eine Fallkonstellation, in der die Aufklärung eines großen Skandals von der Aussage eines grundsätzlich aussagewilligen Zeugen abhängt, der allerdings aufgrund eines Strafverfahrens (oder sogar nur eines Disziplinarverfahrens), welches ihn nur mit einer äußerst geringen Strafe bedroht, gem. § 22 Abs. 2 PUAG die Aussage verweigert und somit die Aufklärung des Skandals weiter verhindert, wodurch die Stabilität des politischen Systems insgesamt eventuell nachhaltig beschädigt wird, so wird deutlich, dass dieses Ergebnis nicht sachgerecht sein kann. Unter besonderen Umständen und in Ausnahmefallen kann das öffentliche Interesse an der Aufklärung eines Missstandes durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wichtiger sein, als die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bis in den letzten Punkt. 775 Berücksichtigt man die amerikanischen Erfahrungen, in denen die wenigen Anwendungen der „use immunity " innerhalb zahlreicher Untersuchungsverfahren eine deutliche Steigerung der Effektivität der parlamentarischen Untersuchungen insgesamt nach sich zogen, kann an der Verhältnismäßigkeit nicht gezweifelt werden. Der Umstand, dass einzelne, in parlamentarische Untersuchungen involvierte Bürger ihre Strafverfolgung durch umfassende Aussagen vor Untersuchungsausschüssen nachhaltig erschweren können, kann auch unter rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn man einbezieht, welchen Aufklärungseffekt gerade diese in eigenem Interesse umfangreichen Aussagen des Zeugen innerhalb des das politische System selbstreinigenden und damit stabilisierenden Verfahrens der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse haben werden. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses und des zu beachtenden Umstandes, dass eine limitierte Beweisverwertungsverbotslösung innerhalb der Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse nicht der Regel-, sondern vielmehr der Ausnahmefall sein soll, ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Reformvorschlages auch hinsichtlich der erschwerten Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegeben.
774 Dieser Punkt wird auch in den USA kritisiert, insbesondere wenn Hauptverantwortliche straflos ausgehen. Vergi. Streit, Parlamentarische Untersuchungen in den USA, Drucksache BTag-Ausschuss Geschäftsordnung, 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, S. 26. Beispielhaft ist hier das Iran-Contra-Verfahren zu nennen, infolge dessen der hauptbelastete Oliver North strafrechtlich nicht belangt werden konnte; vergi. United States vs. North, 910 F.2d 841 (Department of Columbia Circuit 1991), zit. nach Streit, a.a.O. Vergi, instruktiv hierzu: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 287 f. 77 5 Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607).
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C. Reform Vorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten
(3) Zwischenergebnis
Die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung, also eine zunächst auf freiwillig kooperierende Auskunftspflichtige begrenzte, ist verfassungsrechtlich zulässig. Aufgrund der mit ihr zu erzielenden Steigerung der Effektivität von parlamentarischen Untersuchungen ist sie ein empfehlenswertes Modell zur Optimierung der Auskunftspflicht von Zeugen parlamentarischer Untersuchungen.
e) Politisch Verantwortliche
als Untersuchungsausschusszeugen
Nachdem nunmehr die Zulässigkeit einer auf freiwillig kooperierende Zeugen limitierte Beweisverwertungsverbots-Lösung festgestellt wurde, ist zu prüfen, ob fiir die im parlamentarischen Untersuchungsverfahren besonders bedeutsame Personengruppe der politisch Verantwortlichen gegebenenfalls eine rechtliche Sonderrolle und damit die Zulässigkeit einer weitergehenden Regelung gegeben ist. 776 Für Privatpersonen wurde bereits klargestellt, dass eine Erweiterung der Beweisverwertungsverbots-Lösung auf erzwingbare Auskünfte jedenfalls unverhältnismäßig wäre. Fraglich ist, ob dies für politisch Verantwortliche anders wäre. 777
aa) Erforderlichkeit einer eingriffsintensiveren Regelung Indem eine Erweiterung der Beweisverwertungsverbots-Lösung auch auf erzwingbare Auskunftspflichten wesentlich stärker in die Rechte der Zeugen eingreift, ist fraglich, ob eine Begrenzung auf freiwillig aussagende Zeugen nicht bereits ausreichend ist, um die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen signifikant zu erhöhen. Hierfür ist es notwendig zu klären, welche Art von Zeugen typischerweise bereit sein werden, von der limitierten Beweisverwertungsverbots-Lösung Gebrauch zu machen und freiwillig umfassend auszusagen. Zweitens ist von entscheidender Bedeutung, ob die Möglichkeiten, den Untersuchungsablauf von außen durch die Initiierung von strafrechtlichen Ermittlungen nachhaltig zu erschweren, 778 durch eine Begrenzung auf freiwillig gemachte Aussagen wirksam begrenzt werden können.
776 Vergi. Masing, Das Parlament ist kein Gericht, das Gericht kein Parlament, FAZ v. 08. Februar 2001,S. 14. 777 Dieser Ansatz wurde in der parlamentarischen Beratung des PUAG „nicht vertieft" behandelt, weil man kein „Sonderrecht" habe schaffen wollen: Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 261; ablehnend auch: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 277. 778 Siehe oben Β. V. 2. b).
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Welche Art von Zeugen wird sich also im Regelfall auf eine freiwillige Aussage einlassen und welche nicht? Beachtlich ist dabei insbesondere die Interessenlage des hier gesondert geprüften politisch verantwortlichen und einflussreichen Zeugen. Der allgemeine Nachteil eines Zeugen, der sich trotz des Rechtes auf Auskunftsverweigerung auf eine freiwillige Aussage einlässt, ist, dass er sich öffentlich zu begangenem Unrecht bekennen und dabei oftmals weitere Personen belasten muss. Bedenkt man die vor den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen häufige Fallkonstellation, dass das mögliche Fehlverhalten einer politischen Gruppe, sei es eine ehemalige Regierung, sei es eine Oppositionspartei, untersucht wird, so sind einige Besonderheiten zu beachten. Mitglieder dieser Gruppierungen haben im Regelfall als politisch Verantwortliche lange Zeit quasi berufsbedingt an der Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Reputation gearbeitet. Ein öffentliches Eingestehen strafrechtlich vorwerfbaren Verhaltens trifft politisch Verantwortliche stärker als Menschen, die in einem weniger stark dem öffentlichen Interesse ausgesetzten Sektor arbeiten. Durch eine freiwillige Selbstbelastung könnte zunächst einmal das „politische Erbe" von Prominenten nachhaltig gefährdet werden. Für andere Mitglieder der untersuchten Personengruppe bedeutet das öffentliche Bekennen eine deutliche Verschlechterung der beruflichen Aussichten in diesem von der öffentlichen Meinung abhängigen Berufsfeld. Insgesamt ist hier also von einer äußerst geringen Aussageneigung auszugehen, zumal zu berücksichtigen ist, dass der freiwillig aussagende politisch Verantwortliche mit einer Belastung anderer Personen aus seinem politischen Umfeld und einer möglichen Aufklärung des fraglichen Sachverhalts aus einem Personenkreis aussteigt, von dem er oftmals abhängig ist, der ihm jedenfalls häufig aufgrund seines Einflusses nachhaltigen Schaden zufügen könnte. Ein solcher Vorgang widerspricht den Erfahrungen mit der Arbeit der Untersuchungsausschüsse in der Praxis, in der eine parlamentarische Untersuchung zu einem Zusammenrücken der untersuchten Gruppe führt. Demnach ist gerade bei den häufig betroffenen politisch Verantwortlichen die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich auf die freiwillige Nutzung der Beweisverwertungsverbots-Lösung berufen, als eher gering einzustufen. Als zweiter Punkt ist die aufgeworfene Frage zu klären, ob durch die limitierte Beweisverwertungsverbots-Lösung die Verdunkelungsgefahr durch politisch einflussreiche Kreise nachhaltig eingeschränkt werden kann. Die dargestellten Möglichkeiten, 779 dass durch das Einwirken politischer, einflussreicher Kreise auf die Ermittlungen und Tätigkeit der Staatsanwaltschaften die Arbeit der Untersuchungsausschüsse in aufklärungsfeindlichem Interesse behindert werden kann, bleiben durch eine begrenzte Beweisverwertungsverbots-Lösung weiterhin bestehen. Schließlich handelt es sich regelmäßig um Fälle, in denen der Zeuge und die ihn stützende, um seine Nichtaussage bemühte Gruppierung gerade nicht an der Aufklärung
779
Siehe oben Β. V. 2. b).
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C. Reform vorschlage zur Optimierung der Auskunftspflichten
des fraglichen Sachverhalts interessiert sind. Demgemäß wird der Zeuge auch nicht freiwillig aussagen, da er sich seinen Interessen gemäß auf sein aus der staatsanwaltlichen Ermittlungstätigkeit resultierendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 22 Abs. 2 PUAG berufen kann. Gerade bei den interessantesten Zeugen, den politisch Verantwortlichen, ist die Neigung, ohne Zwang Selbstbelastendes zu offenbaren, wie festgestellt, besonders gering. Weiterhin hat gerade diese Personengruppe noch den größten Einfluss darauf, durch selbst oder vom Umfeld initiierte Strafverfahren weder dort noch im Untersuchungsverfahren aussagen zu müssen. Diese Feststellungen sprechen indes nicht dafür, auf die Einführung einer limitierten Beweisverwertungsverbots-Lösung zu verzichten, schließlich kann sie in Einzelfällen und dabei insbesondere bei Privaten zur Verbesserung der Aufklärungsarbeit beitragen. Im Ergebnis kann jedenfalls festgehalten werden, dass eine Begrenzung der BeweisverwertungsverbotsLösung auf freiwillig mitwirkende Zeugen die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen nicht exorbitant erhöhen wird. Folglich ist es nicht a priori unverhältnismäßig, weitergehend zu untersuchen, ob stärker in die Rechte der Zeugen einschneidende Reformvorschläge, wie die uneingeschränkte Beweisverwertungsverbots-Lösung auch für erzwingbare Auskunftspflichten, zumindest beschränkt auf den umgrenzten Personenkreis der politisch Verantwortlichen, verfassungsrechtlich zulässig und sinnvoll sind.
bb) Politische Verantwortung und Rechenschaftspflicht Bevor nun die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer gesteigerten Auskunftspflicht von politischen Verantwortlichen als Zeugen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse diskutiert wird, ist zunächst einmal der Rahmen aufzuzeigen, den die Verfassung für Auskunftspflichten als Folge politischer Verantwortung zieht. Schließlich finden sich in den Bestimmungen des Grundgesetzes verschiedene Regelungen, die eine besondere Rechenschaftspflicht für politische Verantwortung im parlamentarischen Verfahren implizieren. Zuvörderst ist hier Art. 44 GG zu nennen, doch kann diese Auskunftspflicht neben politisch Verantwortlichen auch Privatpersonen treffen. 780 Rechenschaftspflichten, die ausschließlich infolge politischer Verantwortlichkeit entstehen, zeigen sich insbesondere in Art. 38 Abs. 1 GG, der das Recht der Parlamentarier auf Anfragen an die Regierung begründet, 781 in der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament aufgrund Art. 67, 68 G G 7 8 2 und im Zitierrecht gem. Art. 43 Abs. 1 GG. 7 8 3 Das Zitierrecht legt den Mitgliedern der Bundesregierung die Verpflich780 78 1 78 2 78 3
Vergi. Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, S. 238 ff. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 34. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 67 Rn. 1. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Bd. 1, S. 999.
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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tung auf, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen. Diese umfassenden Regelungen einer umfassenden Rechenschaftspflicht erklären sich durch die Übernahme politischer Verantwortung, insbesondere durch das Amt der Regierung. Eine Regierung in der Demokratie ist nicht autarke Macht, sondern vielmehr eine vom Volk verliehene und zur verantwortlichen Ausübung übertragene Macht. 7 8 4 Dieser Treuhandgedanke kommt heute insbesondere durch das politische Amt zum Ausdruck, 785 das zugleich die Ermächtigung zum Handeln im Namen des Volkes wie das Ermöglichen einer Kontrolle desselben fundiert. 786 Die Verpflichtung zur Ablegung des Amtseides, für die Regierung nach Art. 64 Abs. 2, 56 GG, ist Ausdruck dieses Rechtsverhältnisses, das dem Grundgedanken Rechnung trägt, dass in einer parlamentarischen Demokratie die im politischen Amt zum Ausdruck kommende Repräsentation unmittelbar an das Volk gebunden bleibt 7 8 7 und aufgrund dieser Verantwortung eine Auskunftspflicht gegenüber den parlamentarischen Repräsentanten des Volkes enthalten muss. 788 Die Rechenschaftspflicht des politisch Verantwortlichen stellt also einen besonderen Pflichtenkreis dar, der seine Begründung insbesondere im Repräsentationsgedanken innerhalb der parlamentarischen Demokratie hat und grundgesetzlich in den Art. 38, 42 bis 44, 67 oder 68 GG normiert ist. Der Maßstab dieser Regelungen und ihrer Auslegung ist dabei nicht die Freiheit und Subjektivität der verantwortlichen Personen, sondern die Funktionalität und Rationalität im demokratischen Verfahren. 789 Die Rechenschaftspflicht des politisch Verantwortlichen zeigt sich also als besonderer Pflichtenkreis, durch den in die Rechte und Interessen des Auskunftspflichtigen eingegriffen wird. Gleichwohl ist auch der politisch Verantwortliche - wie jeder Bürger - davor geschützt, sich selbst strafrechtlich belasten zu müssen; der im Vergleich zu Privatpersonen weiter zu ziehende Rahmen der Rechenschaftspflicht endet also dort, wo die Auskunft auf den privaten
78 4
Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, S. 235. Zum Treuhandgedanken, vergi. Morlok, Demokratie und Wahlen, in: FS BVerfG (2001), S. 559 (572); Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, S. 68 f., 70 ff. 78 6 Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, S. 236. 78 7 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HbStR Bd. 2, § 30 Rn. 19; Meyer, Die Stellung der Parlamente, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 4 Rn. 11 ff.; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 217; m.w.N.: Morlok, Demokratie und Wahlen, in: FS BVerfG (2001), S. 559 (572); vergi. BVerfGE 9, 268 (280). 78 8 Morlok, Demokratie und Wahlen, in: FS BVerfG (2001), S. 559 (573); Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte, S. 237. 78 9 Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37); krit. hierzu Depenheuer, Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 8, 40. 785
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C. Reformorschläge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Freiheitsstatus des politischen Amtsträgers als Bürger durchzuschlagen droht. 790 Insoweit ist der Auffassung zu widersprechen, die insbesondere von Masing vertretene Einräumung einer Sonderrolle für politisch Verantwortliche bedeute, dass Amtsträger „Personen minderen Rechts" seien.791 Allerdings ist die Rechenschaftspflicht aufgrund des besonderen Pflichtenkreises, in dem sich der politisch Verantwortliche befindet, auch gegen seine Interessen weit auszulegen.
cc) Übertragbarkeit der Gemeinschuldnerentscheidung Fraglich sind die Konsequenzen, die sich aus den bisherigen Feststellungen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer limitierten Beweisverwertungsverbots-Lösung, begrenzt auf politische Amtsträger, ergeben. In dieser Frage ist nach den methodischen Vorüberlegungen 792 vor allem festzustellen, inwieweit zwischen der rechtlichen Situation des politisch Verantwortlichen und derjenigen des Gemeinschuldners, wie sie in den Ausführungen der Gemeinschuldnerentscheidung des Bundesverfassungsgericht festgestellt wurden, Rechtsähnlichkeit besteht. Die vom Bundesverfassungsgericht zu Recht herausgearbeitete Spezifität der Konstellation des aussagepflichtigen aber strafbedrohten Gemeinschuldners, die zur Beweisverwertungsverbotslösung als sachlich gebotene und rechtlich zulässige Auflösung des bestehenden Interessenskonflikts führte, ist vor allem der besondere Pflichtenkreis, in den der Gemeinschuldner gegenüber seinem Gläubiger freiwillig und in eigenem Interesse eingetreten ist. 793 Das zweite ausschlaggebende Kriterium, das die Aufrechterhaltung der Auskunftspflicht in Kombination mit einem strafprozessualen Verwertungsverbot rechtfertigte, obwohl somit stärker in die Rechte des Auskunftspflichtigen eingegriffen wird als durch die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten, ist das besondere Aufklärungsinteresse des Gläubigers. Dass den politisch Verantwortlichen eine weitreichende, hinsichtlich seiner Amtsführung umfassende Auskunftspflicht, trifft, wurde soeben dargestellt. Indem sich dies als besonderer Pflichtenkreis darstellt, ist insofern eine Übereinstimmung zur Umschreibung der Situation des Gemeinschuldners gegeben. Zur Bejahung einer Rechtsähnlichkeit müsste der politisch Verantwortliche gleich dem Gemeinschuldner freiwillig und in eigenem Interesse in diesen Pflichten-
790
Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (37). 791 Wiefelspütz, Vereinigung für Parlamentsfragen, Tagungsprotokoll vom 16. Mai 2001, S. 22. 792 Siehe oben I. 6. a). 793 BVerfGE 56, 37 (48 ff.).
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
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kreis eingetreten sein. Der politisch Verantwortliche tritt ohne Zwang und aufgrund eigenen Willensentschlusses ein Amt an, von dem er weiß, dass es ihm auf Zeit, jederzeit aktualisier-, aber auch abrufbar, fiduziarisch verliehen wurde und dass es ihn in der parlamentarischen Demokratie dazu verpflichtet, über sein Handeln Rechenschaft abzulegen. Dabei weiß der Einzelne, dass diese Pflicht einen Rückzug in den „Binnenraum privater Moralität" 7 9 4 versperrt und eine gesteigerte öffentliche Rechenschaftspflicht impliziert. Demnach übernimmt der politisch Verantwortliche, gleich dem Gemeinschuldner, freiwillig den besonderen Pflichtenkreis, der seine gesteigerte Auskunftspflicht begründet. Andererseits könnte daran gezweifelt werden, dass diese Pflicht im eigenen Interesse übernommen wurde. Dieser Punkt trat beim Gemeinschuldner deutlicher zutage, da er die Verpflichtung dem Gläubiger gegenüber einging, um einen persönlichen materiellen Vorteil zu erhalten. Demgegenüber ließe sich für den politisch Verantwortlichen anführen, er übernehme das politische Amt nicht in eigenem, sondern vielmehr im allgemeinen Interesse - schließlich ist eine parlamentarische Demokratie zwingend darauf angewiesen, dass sich Bürger finden, die öffentliche Ämter übernehmen. Gleichwohl käme eine Verneinung des Eigeninteresses im Regelfall einer Überbetonung des demokratischen Ethos bei der Übernahme der oftmals gut dotierten und mit gesellschaftlichem Ansehen verbundenen öffentlichen Ämter gleich. Demnach ist die Freiwilligkeit der Übernahme des besonderen Pflichtenkreises, der zu einer gesteigerten Auskunftspflicht fiihrt, für politisch Verantwortliche im Gegensatz zu privaten Untersuchungsausschusszeugen gegeben. Die weiteren in der GemeinschuldnerEntscheidung festgestellten Voraussetzungen, also die Abhängigkeit der Sachverhaltsaufklärung von Aussagen und das besondere Interesse an der Aufklärung (im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen aufgrund Art. 44 GG) sind für den politisch Verantwortlichen als Zeugen parlamentarischer Untersuchungen gleichfalls erfüllt. Gegen eine Rechtsähnlichkeit wurde in der einzigen umfangreicheren Untersuchung dieser Frage vor dem Erlass des PUAG eingewandt, dass im Untersuchungsausschuss, anders als bei der Gemeinschuldner-Entscheidung, kein Grundrecht mit dem grundrechtlich geschützten nemo-tenetur-Prinzip kollidiere. 7 9 5 Allerdings wurde dabei die Frage, ob den Rechten des Parlaments ein ähn-
794
Masing, Politische Verantwortlichkeit und rechtliche Verantwortlichkeit, ZRP 2001, S. 36 (39). 795 Nack, Gutachten, Drucksache BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 100. Übereinstimmend später auch Weisgerber, die eine Übertragbarkeit der Gemeinschuldnerentscheidung mit der Begründung verneint, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung das Auskunftsverweigerungsrecht „nur zugunsten privater Informationsinteressen anderer Bürger eingeschränkt" habe: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 277.
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C. Reform vorschlage zur Optimierung der Auskunftspflichten
lieh hohes Gewicht wie einem entgegenstehenden Grundrecht zukomme, ausdrücklich „offengelassen", da die Beweisverwertungsverbots-Lösung entgegen der hier vertretenen Auffassung 796 aufgrund der Verneinung einer Fernwirkung von vornherein als verfassungsrechtlich unzulässig eingestuft wurde. Allerdings ist das grundrechtlich geschützte Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seiner Forderung gegen den Schuldner dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Untersuchung politischer Missstände mindestens gleichrangig. 797 Folglich kann dieser Einwand nicht zu einer Verneinung der Rechtsähnlichkeit führen. Nach den bisherigen Ausführungen steht fest, dass zwischen der in der Gemeinschuldnerentscheidung festgestellten Rechtsposition des Gemeinschuldners und derjenigen des politisch Verantwortlichen als Zeuge parlamentarischer Untersuchungen in den wesentlichen Punkten Rechtsähnlichkeit besteht. Also ist eine Übertragung der Grundsätze der Gemeinschuldner-Entscheidung und damit die hier untersuchte Beweisverwertungsverbots-Lösung limitiert auf politisch Verantwortliche zulässig. Demnach kann ein aufgrund drohender Selbstbelastung die Aussage verweigernder politisch Verantwortlicher mit Maßnahmen des Zeugniszwangs zur wahrheitsgemäßen Aussage gezwungen werden, solange die Aussage mit einem strafverfahrensrechtlichen Beweisverwertungsverbot belegt wird.
β Verfahrensregelung
für kooperierende Private und auskunftspflichtige politisch Verantwortliche
Die grundsätzliche Zulässigkeit der Beweisverwertungsverbots-Lösung hinsichtlich freiwillig getätigter Aussagen von Privatpersonen und erzwingbarer Aussagen von politisch Verantwortlichen ist weiterhin davon abhängig, dass die Anwendung der limitierten Beweisverwertungsverbots-Lösung nur unter strenger Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgt. 798 Damit findet zunächst eine Begrenzung auf Fälle statt, in denen zu erwarten ist, dass die Aussage des Zeugen zu einem Durchbruch bei der Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses führt. Die limitierte Beweisverwertungsverbots-Lösung sollte bei mehreren in Betracht kommenden Zeugen nur bei denjenigen angewendet
796
Siehe oben I. 5. d). Anderer Ansicht ist Weisgerber, die allerdings unzutreffend davon ausgeht, dass das Bundesverfassungsgericht in der Gemeinschuldnerentscheidung deutlich gemacht habe, dass es die Verfolgung privater Interesse grundsätzlich höher bewerte als die staatlicher Stellen: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 277. 798 Vergi. Ströbele, Drucksache BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 vom 10. Mai 2000, S. 56. 797
I. Beweisverwertungsverbots-Lösung
195
werden, die sich am geringsten strafbar gemacht haben, aber möglichst viel über den zu klärenden Sachverhalt wissen. 799 Diese sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende Vorgabe muss zur Klarstellung in die Verfahrensregelung der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung mit aufgenommen werden. Gleichwohl liegt die Auswahl des Zeugen im Ermessen des Ausschusses, der Ausschuss sollte sich an diese Vorgabe halten. Aufgrund der im Regelfall einer parlamentarischen Untersuchung zugrunde liegenden vielgestaltigen Lebenssachverhalte ist in diesem Punkt eine Art „Ermessensreduzierung auf Null" ausgeschlossen, so dass ein individueller Anspruch eines Zeugen auf Anwendung bzw. Nichtanwendung der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung hinsichtlich seiner Aussage regelmäßig nicht entstehen kann. Dass Aussagen von Zeugen eines Untersuchungsausschusses mit einem strafverfahrensrechtlichen Beweisverwertungsverbot belegt werden, sollte auf jeden Fall die absolute Ausnahme und keinesfalls den Regelfall darstellen. 800 Schließlich ist hinsichtlich der freiwillig getätigten Aussagen der Privatpersonen zu berücksichtigen, dass die (verfassungsrechtlich gebotene) Strafverfolgung wenn nicht unmöglich gemacht, so doch aber zumindest deutlich erschwert wird. Bei den erzwingbaren Aussagen der politisch Verantwortlichen tritt zu diesem Aspekt noch ein weiterer hinzu, nämlich der Umstand, dass durch ein erzwungenes Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens auch dann tief in die Rechte des Zeugen eingegriffen wird, wenn eine strafrechtliche Verfolgung im Anschluss ausgeschlossen ist. Demgemäß ist bei der gesetzlichen Umsetzung der Beweisverwertungsverbots-Lösung zu beachten, dass sie nur zulässig anwendbar ist, wenn das öffentliche Interesse an der parlamentarischen Aufklärungsarbeit wichtiger ist als die übrigen tangierten Interessen. Darüber hinaus ist die wirksame Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes sicherzustellen. Für die Umsetzung dieser verfassungsrechtlich gebotenen Vorgaben bietet sich eine Orientierung an den gesetzlichen Regelungen in den Vereinigten Staaten an, die die Sicherung der Fernwirkung der Beweisverwertungsverbote besonders effektiv gewährleisten: 801 Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Beschluss des Untersuchungsausschusses, dass eine Zeugenaussage mit einem Beweisverwertungsverbot belegt werden soll, innerhalb eines Zeitraumes von maximal 20 Tagen (in denen sie gegebenenfalls noch weiterermit799 Dieselbe Zielsetzung findet sich innerhalb des staatsanwaltlichen Ermessens innerhalb des amerikanischen /mmKwYy-Verfahrens, vergi. Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42 1. Sp.). 800 Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2608). 801 Andere Ansicht: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 291, die ihre Ablehnung vor allem damit begründet, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Beweisverwertungsverbote keine Fem Wirkung entfalten würden.
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
teln kann) das bereits vorhandene Beweismaterial zu versiegeln und bei Gericht zu hinterlegen, damit in einem späteren Strafverfahren sicher geklärt werden kann, ob Informationen aus der vor dem Untersuchungsausschuss abgegebenen Aussage unzulässigerweise für weitere Ermittlungen direkt oder indirekt verwendet worden sind. 802 Den Beschluss, dass eine Aussage mit einem Beweisverwertungsverbot belegt werden soll, trifft der Ausschuss mit einer 2/3Mehrheit, daneben kann dies auch mit einer Mehrheit im Parlament entschieden werden. 803 Die Befürchtung, dass von der Beweisverwertungsverbots-Lösung exzessiver oder missbräuchlicher Gebrauch gemacht werden könnte, kann mit den Erfahrungen in den USA (die eine äußerst geringe Anwendung der useimmunity- Regelung belegen) und dem Umstand, dass diese Vorgehensweise, die zu einer Straffreiheit eigentlich strafwürdiger Untersuchungsausschusszeugen führen kann, vor der Öffentlichkeit einen erheblichen Rechtfertigungsdruck aufbaut, 804 ausgeräumt werden. Sollte die Anwendung der Beweisverwertungsverbots-Lösung daran scheitern, dass eine Abgeordnetengruppe sich weigert, sie auf die Aussage eines sie wahrscheinlich belastenden Zeugen anzuwenden, ist dies ein Punkt, der die politische Auseinandersetzung beflügeln und damit die Effektivität der parlamentarischen Untersuchungen steigern kann. Zur Sicherung der Persönlichkeitsrechte des Zeugen und als weiterer Anreiz zur freiwilligen Nutzung der Beweisverwertungsverbots-Lösung sollte bei der Frage der Anwendung zwingend darüber mitentschieden werden, ob gem. §§ 14 ff. PUAG der Ausschluss der Öffentlichkeit und die Geheimhaltung der Aussage erfolgen soll. Dabei genießt eine Privatperson auch in diesem Punkt eine größere Schutzbedürftigkeit als politische Amtsträger.
7. Zwischenergebnis Eine limitierte Beweisverwertungsverbotslösung ist verfassungsrechtlich zulässig. Von einer solchen Regelung ist, dies zeigen die Erfahrungen mit der ähnlichen Rechtslage in den USA, auch im Fall einer seltenen Anwendung, eine
802 Winkelmann, Untersuchungsrecht und Untersuchungswesen in den USA, BTagAusschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Ausschussdrucksache 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, S. 3. 803 Streit, Parlamentarische Untersuchungen in den USA, BTag-Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Ausschussdrucksache 14-G-54 vom 12. Oktober 2000, Anlage 2, S. 13. 804 So zutreffend auch Weisgerber mit dem Hinweis, dass so etwas nur sehr schwer vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen sei: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 292. Dieser Gesichtspunkt lässt es als sicher erscheinen, dass die politischen Akteure eines Untersuchungsausschusses von der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung nur sehr vorsichtig Gebrauch machen werden.
II. Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung
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deutliche Steigerung der Effektivität der parlamentarischen Beweiserhebung zu erwarten. Die erschwerte Strafverfolgung hat deswegen gegenüber dem parlamentarischen Untersuchungsinteresse in Einzelfällen zurückzutreten. Die Zulässigkeit der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung entfällt, wenn die Fernwirkung der Beweisverwertungsverbote nicht sicher gewährleistet wird, da der Zeuge dann in seinem Recht auf Freiheit vor strafrechtlicher Selbstbelastung, das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG ergibt, verletzt würde. Zur Sicherung der Fernwirkung, also der Erstreckung des Beweisverwertungsverbotes auf mittelbar durch die Auskunft erlangte Beweismittel, wird vorliegend die Übernahme der USamerikanischen Regelung vorgeschlagen. Diese bestimmen die Hinterlegung der staatsanwaltlichen Ermittlungsakten bei einem Gericht, sobald der Untersuchungsausschuss die Anwendung der Beweisverwertungsverbotslösung beschlossen hat. Die Anwendung der limitierten BeweisverwertungsverbotsLösung impliziert allerdings nicht die Aufhebung des Legalitätsprinzips, so dass die Strafverfolgung des Auskunftspflichtigen möglich bleibt.
II. Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung Mit der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung wurde ein Modell gefunden, mit dem in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Effektivität parlamentarischer Untersuchungen erhöht werden kann. Mit diesem Vorschlag sollten insbesondere die Möglichkeiten verringert werden, dass sich auskunftsunwillige Zeugen missbräuchlich auf Auskunftsverweigerungsrechte gem. § 22 Abs. 2 PUAG berufen oder die Untersuchungstätigkeit in unzulässiger Weise durch Strafverfahren behindert wird. Diese Konstellationen sind zwar mitunter gegeben, allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung der Beweisverwertungsverbotslösung eine Belastung für den Zeugen darstellt und keinesfalls jedes mit einem Untersuchungsausschuss einhergehende Strafverfahren betrieben wird, um den Untersuchungsausschuss in seiner Tätigkeit zu behindern. Deshalb ist festzustellen, ob sich nicht Verfahrensmöglichkeiten bieten, die einen schonenderen Umgang der beiden Untersuchungsverfahren miteinander ermöglichen als die Beweisverwertungsverbotslösung, die die Effektivität der Untersuchungsausschüsse in Ausnahmefällen zu Lasten der Strafjustiz erhöht.
1. Kooperationsverhältnis zwischen Untersuchungsausschuss und Strafjustiz Gerade in politisch brisanten Fällen kann der Eindruck entstehen, dass sich Untersuchungsausschuss und Strafverfolgungsorgane in ihrer Arbeit gegenseitig
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
behindern. 805 Gleichwohl ist fraglich, ob demgegenüber verfassungsrechtlich nicht im Gegenteil ein kooperierendes Verhalten geboten wäre. Eine erfolgreiche parlamentarische Untersuchung ist von der Unterstützung durch andere staatliche Stellen, insbesondere im Rahmen der Beweiserhebung, abhängig. Diesem Gesichtspunkt wird verfassungsrechtlich mit der Regelung des Art. 44 Abs. 3 GG Rechung getragen, die Gerichte und andere Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. Allerdings führt dies nicht zu einer Vorrangstellung der parlamentarischen gegenüber der strafrechtlichen Untersuchung, vielmehr werden die beiden Untersuchungsarten untereinander lediglich rechtlich gleichgestellt. 806 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind also nicht auf ein Konkurrenz-, sondern vielmehr auf ein Kooperationsverhältnis der beiden Untersuchungsverfahren ausgerichtet. 807
2. Verfahrensrechtliches Lösungsmodell Fraglich ist, welche Möglichkeiten zur Steigerung der Effektivität sich böten, wenn die beiden Untersuchungsverfahren tatsächlich miteinander kooperierten. Die Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungen wird vor allem durch die zahlreichen Auskunftsverweigerungen von Zeugen stark belastet,808 die gem. § 22 Abs. 2 PUAG die Auskunft verweigern dürfen, sobald die Gefahr droht, dass sie sich mit ihrer Aussage selbst belasten könnten. Eine verfahrensrechtliche Möglichkeit, zumindest dem im Ergebnis nicht strafbedrohten Zeugen das Auskunftsverweigerungsrecht zu nehmen, bestünde darin, dass das parlamentarische Untersuchungsverfahren solange ausgesetzt wird, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist und endgültig darüber befunden wurde, ob sich der Zeuge tatsächlich einer Strafverfolgungsgefahr aussetzt.809 Berücksichtigt man das Kooperationsverhältnis zwischen beiden Untersuchungsverfahren, könnte man in diesem Fall im Gegenzug eine Pflicht der Strafjustiz zu einem beschleunigten Verfahren begründen.
805
Z.B. folgte dem Beweisbeschluss des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestags 14/140 vom 27. Februar 2000 auf Beiziehung von Ermittlungsakten ein langwieriges Gerichtsverfahren, vergi. Beschlussempfehlung und Bericht des 1. Untersuchungsausschusses, BTag-Drs. 14/9300 S. 72 a.E.; vergi, insbesondere auch Abschlussbericht des bay. Untersuchungsausschusses, BayLTag-Drs. 14/10000 v. 09.07.2002, S. 1 ff., 38 ff. 806 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 18; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 17. 807 Vergi. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 51. 808 Siehe oben Β. V. 3. 809 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (220).
II. Aussetzung der parlamentarischen Untersuchung
a) Aussetzung der parlamentarischen
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Untersuchung
Ein Untersuchungsausschuss kann im Einvernehmen mit den Antragstellern das Untersuchungsverfahren aussetzen, wenn eine baldige Aufklärung auf andere Weise oder die Behinderung eines Strafverfahrens zu erwarten ist. 810 Zur Verringerung der Auskunftsverweigerungen bräuchte nicht einmal das gesamte Verfahren ausgesetzt werden. Es würde bereits ausreichen, wenn die Vernehmungen von Zeugen, die sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht aufgrund eines parallelen Strafverfahrens berufen würden, solange auszusetzen bzw. auf der Vernehmungsliste nach hinten zu setzen, bis der strafrechtliche Verdacht durch die Strafjustiz geklärt ist. In diesem Punkt müsste sich der Untersuchungsausschuss gem. § 17 Abs. 3 PUAG „möglichst einvernehmlich" auf eine solche Vorgehensweise einigen, anderenfalls verweist § 17 Abs. 3 S. 2 PUAG auf die (abwechselnde) Reihenfolge der Zeugen entsprechend der Vorschriften der Geschäftsordnung des Bundestages über die Reihenfolge der Rede. Die Reihenfolge, in der Zeugen vernommen werden sollen, gab in früheren Untersuchungsausschüssen regelmäßig Anlass zu Auseinandersetzungen. 811
b) Schwierigkeiten
bei Beschleunigung von Strafverfahren
Als Reaktion auf die Zurückstellung der Zeugenvernehmung durch den Untersuchungsschuss müsste die Strafjustiz aufgrund des Kooperationsverhältnisses zum parlamentarischen Untersuchungsverfahren verpflichtet werden, das Strafverfahren zu beschleunigen. Allerdings waren die bisherigen Bemühungen das Strafverfahren zu beschleunigen, nicht zuletzt aufgrund der zwingenden Einhaltung rechtstaatlich gebotener Grundsätze, nicht sehr erfolgreich. 812 Die Dauer der Strafverfahren ist immer noch sehr lang: Im Jahr 2001 betrug beispielsweise die durchschnittliche Dauer eines Strafverfahrens vor dem Amtsgericht ab Eingang des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft 6,6 Monate, vor dem Landgericht als Berufungsinstanz sogar 14,1 Monate. 813 Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass die vielfach beklagte rechtsmissbräuchliche Nutzung von Verfahrensrechten durch Strafverteidiger 814 mit deutlich verfahrensverzögern-
8,0
Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 18. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790, S. 17. 812 Vergi. Schlüchter/Fülber/Putzke, Herausforderung: Beschleunigtes Verfahren, S. 6 et passim, Gössel, Gutachten zum 60. DJT, C 30 ff. 8.3 Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: Oktober 2002. 8.4 Rebmann, Strafprozessuale Beschleunigung von Großverfahren, NStZ 1984, S. 241 (246); Gössel, Gutachten zum 60. DJT, C 19. 811
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
der Wirkung gerade auch in Zusammenhang mit der Aufarbeitung politischer Skandale zu befurchten ist.
3. Verfahrensdauer und Diskontinuitätsprinzip Fraglich ist, ob sich durch ein Abwarten der parlamentarischen Untersuchung bis zum Abschluss strafrechtlicher Ermittlungen (gegebenenfalls begrenzt auf einzelne Zeugen) eine Effektivitätssteigerung erzielen lässt. Dabei fallen zwei Spezifitäten des Enqueterechts besonders ins Gewicht: Zunächst das Diskontinuitätsprinzip, nach dem der Untersuchungsausschuss seine Untersuchungstätigkeit spätestens zum Ende der Legislaturperiode des ihn einsetzenden Bundestages beendet haben muss. Kann das Strafverfahren also nicht rechtzeitig beendet werden, was insbesondere zu fürchten ist, wenn der Untersuchungsausschuss eher zum Ende der Legislaturperiode eingesetzt wird, ist der Zeuge für den Untersuchungsausschuss de facto gesperrt. Dies Ergebnis perpetuiert damit allerdings genau die festgestellte Situation, 815 dass die Effektivität der Untersuchungsausschüsse unter den fehlenden Aussagen starken Schaden nimmt. 816 Daneben lebt das parlamentarische Untersuchungsverfahren in besonderem Masse von der politischen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, einer Aufmerksamkeit, die allerdings schnell nachlässt, sobald große zeitliche Verzögerungen eintreten. Insofern leidet die Effektivität der parlamentarischen Untersuchung, wenn die Vernehmung besonders bedeutsamer Zeugen erst auf das Ende eines Strafverfahrens verschoben wird. Gleichwohl kann Achterberg/Schulte nicht zugestimmt werden, dass die Aussetzung des Untersuchungsverfahrens (zumindest wenn es auf einzelne Zeugen begrenzt wird) bis zum Ende des Strafverfahrens einem Verzicht auf die parlamentarische Untersuchung insgesamt praktisch gleichkäme. 817 Schließlich kann es in Einzelfallen durchaus möglich sein, dass das Strafverfahren so zeitnah abgeschlossen wird, dass dem Zeugen die Berufung auf § 22 Abs. 2 PUAG genommen wird, ohne dass die Effektivität der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse darunter leidet. 818 Indem dies indes Ausnahmekonstellationen sind, kann die auf das Ende des Strafverfahrens verzögerte Vernehmung von Zeugen die Anwendung der Beweisverwertungsver-
815
Vergi, oben B.V. 3. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217(220). 8,7 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 19. 818 Dies wird vorrangig bei Untersuchungsausschüssen der Fall sein, die gleich zu Beginn der Legislaturperiode eingesetzt wurden und sich gleichzeitig das Strafverfahren frei von politischen Beeinflussungen oder Behinderungsversuchen des Zeugen schnell abwickeln lässt. 816
III. Kronzeugen rege lung
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botslösung nicht ersetzen, begrenzt auf Erfolg versprechende Konstellationen jedoch ergänzen.
4. Zwischenergebnis Zwischen den Verfahren der Strafjustiz und der Untersuchungsausschüsse besteht ein Kooperationsverhältnis. Aus diesem folgt die Möglichkeit, dass der Untersuchungsausschuss seine Untersuchungen (insgesamt oder bezogen auf einzelne Zeugen) bis zur Beendigung des Strafverfahrens aussetzt und im Gegenzug der Strafjustiz die Pflicht auferlegt wird, das Strafverfahren zu beschleunigen. Allerdings stehen dieser Vorgehensweise das Diskontinuitätsprinzip, die Abhängigkeit des Untersuchungsausschusses vom durch zeitliche Verzögerungen nachlassenden Interesse der Öffentlichkeit und praktische Probleme der Beschleunigung von Strafverfahren entgegen. Gleichwohl kann es Konstellationen geben, in denen eine Aussetzung ein schonender Ausgleich der Interessen der beiden Untersuchungsverfahren und auch des Auskunftspflichtigen ist. In diesen Fällen ist eine Aussetzung des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens zulässig und auch sinnvoll. Als alleiniges Mittel zur Effektivitätssteigerung parlamentarischer Untersuchungen kommt diese Vorgehensweise aufgrund seines begrenzten Anwendungsbereichs jedoch nicht in Betracht.
I I I . Kronzeugenregelung 1. Einleitung Neben der Beweisverwertungsverbots-Lösung und der Aussetzung des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens gibt es noch weitere Möglichkeiten, den Interessenskonflikt zwischen parlamentarischem Untersuchungsrecht und den Rechten von Auskunftspersonen, die im Verhältnis sowohl von strafrechtlicher als auch parlamentarischer Untersuchung stehen, über die derzeitigen Regelungen des PUAG (insbesondere § 22 Abs. 2 PUAG) hinaus, zugunsten der Untersuchungseffektivität der Parlamentsausschüsse zu optimieren. In der Literatur wurde hierzu die Einführung einer Kronzeugenregelung in das parlamentarische Untersuchungsausschussverfahren genannt. 819 Dieses strafverfahrensrechtliche Aufklärungsinstrument wurde nahezu zeitgleich zur gesetzgeberischen Beratung des PUAG vor allem als Mittel zur Bekämpfung der organisier-
8,9 Vergi. Morlok, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 33, 89; Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (221); vergi. Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333).
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
ten Kriminalität rechtspolitisch diskutiert 820 und vom Bundestag schlussendlich abgelehnt,821 nachdem die praktischen Erfahrungen mit einem befristeten Zeitgesetz822 nach Ansicht der Parlamentsmehrheit nicht überzeugend waren.
2. „Kronzeuge" und parlamentarischer Untersuchungsausschuss Bevor nun die praktischen und dogmatischen Probleme, die mit der Einführung einer Kronzeugenregelung zusammenhängen, betrachtet werden, 823 ist zunächst festzustellen, ob eine Übertragung der Kronzeugenregelung auf das Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse definitorisch einschlägig ist. Fraglich ist also, was unter einem „Kronzeugen" zu verstehen ist. Unter „Kronzeuge" wird ein Straftäter verstanden, dem der Staat dafür, dass er offen sein Wissen über die Straftaten anderer preisgibt, Zugeständnisse in Zusammenhang mit der Verfolgung oder Bestrafung eigener Straftaten macht. 824 Der Terminus „Kronzeuge" ist die deutsche Übersetzung des englischen „kings evidence" und resultiert daraus, dass im monarchischen England Anklage und Beweis im Namen des Königs bzw. der Königin erfolgen, so dass der Zeuge der Anklage, der für den Staat aussagt, seine Angaben im Namen der Krone tätigt 8 2 5 . Passt dieser definitorische Rahmen der Kronzeugenregelung indes auf eine Optimierung der Auskunftspflichten des Zeugen innerhalb des Verfahrens von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen? Für diese Frage sind dreierlei Punkte besonders zu beachten. Erstens ist innerhalb der Definition des „Kronzeugen" entscheidend, dass der Kronzeuge „sein Wissen über unbekannte bzw. noch nicht überführte Tatbeteiligte den staatlichen Organen offenbart". 826 Im Mittelpunkt der Begriffsbestimmung des „Kronzeugen" steht also, dass der
820 Schaefer, Zu einer möglichen Neuauflage der Kronzeugenregelung, NJW 2000, S. 2325 (2326), vergi. BTag-Drs. 14/6539 S. 2 ff. 821 Sitzung vom 21. Februar 2002 auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, vergi. BTag-Drs. 14/8284 v. 18. Februar 2002. 822 Vergi, hierzu ein Gutachten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen für den Bundesinnenminister: Mühlhoff/Pfeiffer, Der Kronzeuge, ZRP 2000, S. 121 (123 f.) 823 Vergi. Kunert/Bernsmann, Neue Sicherheitsgesetze - mehr Rechtssicherheit?, NStZ 1989, S. 455 (456). 824 Bocker, Der Kronzeuge, S. 8 ff., 11; Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO, Rn. 442; ohne Erforderlichkeit der Drittbelastung: Mühlhoff/Pfeiffer, Der Kronzeuge, ZRP 2000, S. 121 (122). 825 Bocker, Der Kronzeuge, S. 8; krit. Bernsmann, Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts, JZ 1988, S. 539 (539 FN 2); Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen, ZRP 1987, S. 41 (41) 826 Bernsmann, Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts, JZ 1988, S. 539 (539).
III. Kronzeugenregelung
203
Staat für die Überführung weiterer Straftäter als Belohnung auf seinen Strafanspruch gegenüber dem in seinem Aufklärungsinteresse aussagenden Straftäter ganz oder zum Teil verzichtet. Die Überführung anderer straffällig gewordener Personen ist allerdings nicht der Gesichtspunkt, der im Rahmen der parlamentarischen Zeugenvernehmung die ausschlaggebende Rolle spielt. Natürlich geht es in der Beweiserhebung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse auch um tatsächliche Sachverhaltsaufklärung. 827 Im genuin politischen parlamentarischen Untersuchungsverfahren sind die zahlreichen Auskunftsverweigerungen speziell deswegen misslich, weil Auskunftspersonen aufgrund paralleler Untersuchungen der StraQustiz nach § 22 Abs. 2 PUAG die Auskunft verweigern, so dass der Untersuchungsausschuss nicht in einer für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Weise Aufklärungsarbeit leisten, politische Verantwortung realisieren und Verantwortliche zur Rechenschaft zwingen kann. Innerhalb der Befragung gerade der wichtigsten Zeugen geht es idealtypisch also nicht um die Überführung anderer Straffälliger, sondern vielmehr um das Eingestehen eigenen politisch vorwerfbaren Fehlverhaltens, obgleich dies möglicherweise auch strafrechtlich Vorwerfbares aufweist. Demnach ist die rechtliche Lage von Auskunftspflichtigen im Verhältnis strafrechtlicher und parlamentarischer Untersuchung anders als diejenige eines Kronzeugen im Strafverfahren. Aus diesem Grund scheidet eine „Kronzeugenregelung" innerhalb parlamentarischer Untersuchungen begrifflich aus. 828 Zweitens erfasst die Kronzeugenregelung andere Auskunftspersonen als diejenigen, deren Auskunftspflichten zur Erhöhung der Effektivität parlamentarischer Untersuchungen gegenüber den derzeitigen PUAG-Vorschriften modifiziert werden sollen. Die Kronzeugenregelung erfasst typischerweise Auskunftspersonen, deren strafrechtliche Schuldigkeit festgestellt wurde, 829 die also ohne den Handel („Deal") mit den Strafverfolgungsorganen sicher einer Verurteilung entgegensähen. Demgegenüber beziehen sich Reformvorschläge hinsichtlich Zeugen parlamentarischer Untersuchungen vor allem auf Fallgruppen, in denen der Auskunftspflichtige Beschuldigter eines parallelen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist oder ein solches Verfahren droht, und der Zeuge infolgedessen vor dem Untersuchungsausschuss gem. § 22 Abs. 2 PUAG die Aussage verweigern kann. 830 Im Unterschied zur Ausgangslage der Kronzeugenregelung ist die strafrechtliche Verantwortung des Auskunftspflichtigen also gerade nicht festgestellt, so dass die Gefahr droht, dass der Auskunftspflichtige in beiden Verfahren aufgrund einer möglichen strafrechtlichen Selbstbelastung die Aus-
827
Siehe oben Β. V. l.a). Schneider, Spielregeln für den investigativen Parlamentarismus, NJW 2001, S. 2604 (2607). 829 Bocker, Der Kronzeuge, S . U . 830 Siehe oben Β. V. 2. 828
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
sage verweigert und sein Fehlverhalten weder durch die Strafjustiz noch durch die parlamentarische Untersuchung festgestellt wird. In dieser Situation ist die Ausgangslage für Verhandlungen mit dem Auskunftspflichtigen ungleich schlechter, insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass unter der derzeitigen Rechtslage Möglichkeiten bestehen, durch rechtsmissbräuchliches Verhalten Sachlagen zu schaffen, in denen sich der auskunftsunwillige Zeuge auf Auskunftsverweigerungsrechte berufen kann. 831 Drittens ist die Kronzeugenregelung ein Instrument, das eingerichtet wurde, um den Strafverfolgungsorganen, namentlich der Staatsanwaltschaft, eine effektivere Straftatverfolgung zu ermöglichen. 832 Die Staatsanwaltschaft ist indes behördlich organisiert und somit vorrangig der Exekutive zuzuordnen. Eine Übernahme der Kronzeugenregelung für die Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse berücksichtigte nicht die Sonderrolle des Untersuchungsrechts als Recht des Parlaments: Mit der immanenten Betonung der Effektivität der Strafverfolgung läuft eine Kronzeugenregelung dem System des investigativen Parlamentarismus zuwider, indem es bereits begrifflich die Erforderlichkeit der tatsächlichen Sachverhaltsaufklärung überbetont und damit eine Vergerichtlichung des Untersuchungsverfahrens nach sich zieht. Der im parlamentarischen Untersuchungsverfahren gegenüber einem Strafverfahren andersgearteten Interessenslage, insbesondere das Nebeneinander von tatsächlicher Wahrheitsfindung und politischer Auseinandersetzung, wird eine Kronzeugenregelung somit bereits terminologisch nicht gerecht.
3. Zwischenergebnis Eine Übertragung der strafrechtlichen Kronzeugenregelung auf die Beweiserhebung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse kommt nach dem allgemeinen Verständnis dieser Rechtsfigur nicht in Betracht. Insbesondere wäre die begriffliche Übertragung dieses Begriffs in das Untersuchungsausschussrecht irreführend, da von der ratio der Kronzeugenregelung innerhalb der Strafjustiz eine Ausgangslage erfasst ist, die nicht mit der typischerweise bei parlamentarischen Untersuchungen vorliegenden Problematik übereinstimmt.
IV. Immunität Eine weitere Ansicht sieht in der Suspendierung der staatsanwaltlichen Ermittlungspflicht hinsichtlich der vom Untersuchungsausschusszeugen vor dem 831 832
Siehe oben Β. V. 2. b). Bernsmann, Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts, JZ 1988, S. 539 (540).
IV. Immunität
205
Ausschuss gemachten Aussage die „einzige Möglichkeit für eine Gesetzesänderung" in Richtung einer Effektivitätssteigerung parlamentarischer Untersuchungen, da somit Auskunftsverweigerungsrechte des Zeugen ausgeschaltet werden könnten. Hierfür verwendet diese Auffassung den Ausdruck „Immunität". 8 3 3
1. Einleitung Mangels gesetzlicher Fixierung im deutschen Recht findet sich keine einheitliche Definition der „Immunität" und auch kein spezifisches Schrifttum bezüglich dieses Rechtsinstitutes, 834 wenn man von der Abgeordnetenimmunität absieht, 835 die hier allerdings nicht einschlägig ist. Zunächst ist also festzustellen, was im Folgenden unter „Immunitätsregelung" verstanden wird. Dabei soll eine enge Anlehnung an die Definition des „Kronzeugen", allerdings unter Verzicht auf das Kriterium der Drittbelastung, erfolgen. Allgemein beschrieben geht es bei der Einräumung von Immunität für eine beweiserhebliche und sich auf Auskunftsverweigerungs- oder Zeugnisverweigerungsrechte berufende Auskunftsperson darum, dass staatlicherseits auf die Durchsetzung des Strafanspruchs verzichtet wird, um die Aussage der Auskunftsperson zu erhalten. Hinsichtlich der Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs ist zwischen verschiedenen Möglichkeiten einer Regelung zu differenzieren. In Betracht kommt zunächst die Gewährung einer völligen Straffreiheit (sei es durch den Verzicht auf Strafverfolgung oder durch ein gerichtliches Absehen von Strafe) und weiterhin eine Honorierung der Aussagebereitschaft auf der Strafzumessungsebene. 836 Letztere Alternative, die Strafreduktion, liefe übertragen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren auf das im Strafprozess bekannte „Aushandeln" mit der Auskunftsperson hinaus. Inwieweit dies als Modell für die parlamentarische
833
Rogali , in: Anhörung des BTag Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 73; vergi, bereits früher: Alsberg, Gutachten für den 34. DJT, S. 377. Dazu ablehnend: Jacobi, Verhandlungen des 34. DJT, S. 100. 834 Dasselbe gilt für die englischsprachige Literatur in Zusammenhang mit Kronzeugen und den verschiedenen Spielarten der Immunitätsregelungen, vergi. Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (41). „The key question, though rarely recognized as such, is (...)", Amar , Constitution and Criminal
Procedure, S. 46 ff. 835 Klein , Immunität und Indemnität, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 17 Rn. 38 ff; Magiern, in: Sachs, GG, Art. 46 Rn. 11 f.; Schneider, in: AK-GG 2 , Art. 46 Rn. 9 ff; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 278. 836 Vergi, entsprechend zu Kronzeugenregelung: Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1337.
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Beweiserhebung rechtlich zulässig und unter praktischen Gesichtspunkten zweckmäßig ist, wird separat untersucht. 837 Damit verblieben hinsichtlich der Organisation des Strafverfolgungsverzichtes als Ansatzpunkte die Staatsanwaltschaften durch eine Suspendierung der aus der Legalitätspflicht resultierenden Ermittlungspflicht, und zweitens die erkennenden Gerichte, denen durch eine gesetzliche Ausnahme zu den geltenden strafprozessualen Regelungen der Abschluss des Strafverfahrens durch ein Urteil, also die formgebundene und mit instanzerledigender Wirkung versehene Entscheidung, die aufgrund einer Hauptverhandlung ergeht, 838 untersagt werden könnte. Fraglich ist also, auf welchem Wege eine Immunitätsregelung in das parlamentarische Beweiserhebungsverfahren zu integrieren wäre: durch ein Ansetzen bei den Staatsanwaltschaften oder bei den Gerichten. Anknüpfungspunkt zur Beantwortung dieser Frage ist die Situation, die unter der derzeitigen Regelung des § 22 Abs. 2 PUAG den Auskunftsverweigerungen der Zeugen typischerweise zugrunde liegt, und welche, einschließlich der festgestellten Missbrauchsmöglichkeiten, 839 überhaupt erst zu der Diskussion über eine mögliche Optimierung der Auskunftspflichten von Untersuchungsausschusszeugen führte. 840 Im Regelfall sind die auskunftsverweigernden Zeugen innerhalb der parlamentarischen Untersuchungen nämlich nicht Angeklagte einer parallelen strafverfahrensrechtlichen Hauptverhandlung, sondern vielmehr Beschuldigte eines zeitgleichen staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens. Demgemäß ist der eingangs genannten Ansicht, die innerhalb der parlamentarischen Beratungen zum PUAG dargelegt wurde, 841 zuzustimmen: Eine „Immunitätsregelung" kann, übertragen auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren, zunächst nur an die Aufhebung der staatsanwaltlichen Ermittlungspflicht anknüpfen. Zur Beurteilung dieses Reformvorschlages ist also darauf abzustellen, inwieweit es im Falle der rechtlichen Zulässigkeit sinnvoll wäre, den Untersuchungsausschüssen das Recht einzuräumen, die Staatsanwaltschaften von der strafverfahrensrechtlichen Pflicht zur Ermittlung zu befreien, um so fur wichtig erachteten Zeugen die Möglichkeit zu nehmen, für sich das durch die drohende strafrechtliche Selbst-
837
Siehe unten C. V. Roxin, Strafverfahrensrecht 25, § 46 Rn. 1 f.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 989; Schlüchtern in: AK-StPO, § 260 Rn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 260 Rn. 10. 839 Siehe oben Β. V. 2. 840 Vergi. Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (219). 841 Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 73; Rogali begrenzt seinen Vorschlag aufgrund des StrafVerzichtes auf Zeugen und schließt strafrechtlich Beschuldigte und nach den Grundsätzen der IPA-Regeln (vergi. BTag-Drs. V/4209) als Betroffene zu behandelnde Auskunftspersonen ausdrücklich aus; vergi. Rogali , S. 108. 838
IV. Immunität
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bezichtigung begründete Privileg der Auskunftsfreiheit nach § 22 Abs. 2 PUAG in Anspruch nehmen zu können.
2. Umfang des Strafverfolgungsverzichts Fraglich ist zunächst, inwieweit eine Immunitätsregelung Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der Beweisverwertungsverbotslösung aufweist, die im Rahmen dieser Untersuchung als ein geeignetes und zulässiges Mittel für eine Effektivierung der parlamentarischen Beweiserhebung erkannt wurde. 842 Der beiden Reformvorschlägen gemeinsame Grundgedanke ist der Verzicht auf die staatliche Strafverfolgung, um der Auskunftsperson die Berufung auf die Freiheit vom strafrechtlichen Selbstbelastungszwang versagen zu können. Unterschiede könnten sich hingegen im Ausmaß, in dem auf die Strafverfolgung verzichtet wird, ergeben. In diesem Punkt kann auf die nordamerikanischen Immunitätsregelungen verwiesen werden, die zwischen „use immunity ", welche in etwa unserer Beweisverwertungsverbotslösung entspricht, 843 und der „,transactional immunity ",844 die mit der hier untersuchten Immunitätsregelung übereinstimmt, unterscheiden. Die „transactional immunity " ist außerordentlich weitreichend. Sie verhindert jede Strafverfolgung für einen in der immunisierten Beweisaufnahme zur Darstellung gebrachten Lebenssachverhalt und zwar ohne Einschränkungen auch in Fällen, in denen der Staatsanwaltschaft Informationen aus einer von der Aussage unabhängigen Quelle vorliegen. 845 Die Immunität umfasst also nicht nur einen materiellrechtlichen Straftatbestand, sondern den gesamten während der immunisierten Beweiserhebung behandelten einheitlichen geschichtlichen Vorgang. Demnach erstreckt sich die Suspendierung der staatsan wait liehen Ermittlungspflicht auf die gesamte Tat im prozessualen Sinn. 846 Insoweit besteht eine Übereinstimmung mit der Beweisverwertungsverbotslösung, allerdings zeigt sich ein signifikanter Unterschied bei der unabhängig von der immunisierten Zeugenaussagen erlangten Information. Während diese bei der Immunität zu Strafverfolgungszwecken vollständig „gesperrt" ist,
842
Siehe oben I. 7. Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 41. 844 Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42); vergi. Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1341). 845 „Transactional immunity", which accords full immunity. This means that once a witness has been compelled to testily about an offence, he may never be prosecuted for that offence, no matter how much independent evidence might come to light; vergi. Allen/Kuhns , Constitutional Crime Procedure, S. 970 ff. 846 Vergi. Schlüchtern in: AK-StPO, § 264 Rn. 8 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, § 264 Rn. 2; BGHSt 22, 375 (385). 843
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
darf sie bei der Beweisverwertungsverbotslösung genutzt werden und ist aufgrund des Legalitätsprinzips sogar ein zwingender Grund für die Aufnahme von staatsanwaltlichen Ermittlungen. 847 Die staatsanwaltliche Ermittlungspflicht wird durch eine Immunitätsregelung also ausnahmslos suspendiert, bei der Beweisverwertungsverbotslösung beschränkt sich dies hingegen alleine auf die Informationen, die in der Aussage des Zeugen enthalten sind. 848 De facto kann der Zeuge aufgrund der Fernwirkung der Beweisverwertungsverbote im Falle einer umfassenden Aussage selbst gewährleisten, dass er weitgehend vor einer Strafverfolgung gesichert ist. Gleichwohl ist der Schutz, den die Beweisverwertungsverbotslösung dem Zeugen vor strafrechtlicher Verfolgung bietet, nicht absolut, während dies bei der Immunitätsregelung in jedem Fall gegeben ist.
3. Zulässigkeit der Immunitätsregelung Aufgrund ihrer weitreichenden Ähnlichkeit erfolgt die Untersuchung der rechtlichen Zulässigkeit vor allem unter dem Hintergrund eines Vergleiches zur Beweisverwertungsverbotslösung.
a) Immunität und Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung Die Immunitätsregelung berührt das durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht begründete verfassungsmäßige Privileg des Schutzes vor einem Zwang zur strafrechtlichen Selbstbelastung. Gleich der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung hinsichtlich der Behandlung von politisch Verantwortlichen, zielt auch die Immunitätsregelung darauf ab, durch ein Absehen von der Strafverfolgung der Auskunftsperson die Möglichkeit einer Berufung auf das grundrechtlich gebotene Auskunftsverweigerungsrecht zu nehmen. Der Zweck der „Immunisierung" eines Zeugen liegt also insbesondere darin, einen Zwang zur Aussage zu begründen. 849 Indem somit verfassungsmäßig garantierte Rechte der Auskunftsperson beschränkt werden könnten, ist die rechtliche Zulässigkeit einer
847 Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 72 f.; vergi. Friedrich-Christian Sehr oeder, Strafprozessrecht, Rn. 63 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 17. 848 Zur „use immunity": Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42). 849 Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1342); Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 41; vergi. Allen/Kuhns, Constitutional Crime Procedure, S. 965.
IV. Immunität
209
solchen Regelung fraglich. 850 Allerdings wurde bereits im Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts überzeugend dargelegt, dass es keine Verletzung des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleiteten nemotenetur-Prinzips darstellt, wenn der Auskunftspflichtige aufgrund höherer Interessen zur strafrechtlich selbstbelastenden Aussage gezwungen wird. 8 5 1 Dies gilt allerdings nur, solange garantiert ist, dass der inkriminierende Inhalt der Auskunft aufgrund strafprozessualer Beweisverwertungsverbote nicht innerhalb eines Strafverfahrens gegen den Aussagenden verwendet wird. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Erwägungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch eine Immunitätsregelung? Die Immunitätsregelungen gehen in der Frage der Ausschaltung der Verwendungsmöglichkeiten der erzwungenen Auskunft in ihrem Schutzgehalt über die Regelungen der Beweisverwertungsverbotslösung hinaus, da durch sie garantiert ist, dass der sich selbst Belastende vor einer strafrechtlichen Ahndung gesichert ist. Die Beweisverwertungsverbote bieten demgegenüber aufgrund des möglichen Rückgriffs auf von der erzwungenen Aussage unabhängige Informationsquellen ein Weniger an Schutz. Wenn schon der geringere Schutz der Beweisverwertungsverbote zu keiner Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Auskunftspflichtigen führt, dann ist dies - argumentum a maiore ad minus - bei der wirkungsvolleren Kautel der Immunitätsregelung auch nicht der Fall. Folglich wird der Auskunftspflichtige durch die Immunitätsregelung nicht in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
b) Zulässigkeit des Strafverfolgungverzichtes Neben der NichtVerletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Auskunftsperson könnte die Aufhebung der strafverfahrensrechtlichen Ermittlungspflicht und damit die Aufgabe der Strafverfolgung insgesamt eine rechtliche Unzulässigkeit begründen. Die Pflicht des Staates zur Strafverfolgung ist grundgesetzlich geboten und für das Gemeinwesen von einer überaus großen Bedeutung, 852 da „elementare Werte des Gemeinschaftslebens" geschützt wer-
850 Inwieweit ein Zwang zur Selbstbelastung verfassungsrechtlich zulässig ist, wurde auch in den USA kontrovers diskutiert und zeigt sich insbesondere in divergierenden Supreme Court-Entscheidungen (Brown v. Walker, 161 U.S 591 (1896) und Kastigar v. United States, 406 U.S. 441 (1972) Vergi, hierzu: Allen/Kuhns, Constitutional Crime Procedure, S. 952 ff.; Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42); Amar , Constitution and Criminal Procedure, S. 46. 851 Siehe oben C. I. 1. 852 BVerfGE 19, 342 (347); 20, 45 (49); 20, 144 (147); vergi. Appel, Verfassung und Strafe, S. 63 m.w.N., S. 428.
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C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
den. 853 Allerdings wurde das Gewicht, das auf die Durchsetzbarkeit dieses Anspruches gelegt wurde, im Laufe der Strafrechtsgeschichte zusehends verringert. 854 Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Pflicht zur Strafverfolgung kein Prinzip ist, dass um jeden Preis durchgesetzt werden müsste. 8 5 5 Unter Verweis auf diesen Gesichtspunkt konnte die rechtliche Zulässigkeit der Beweisverwertungsverbotslösung bejaht werden. 856 Wie wirkt es sich aus, dass durch die Immunitätsregelung die Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruches im Gegensatz zur Beweisverwertungsverbotslösung vollständig aufgegeben wird? Zunächst spricht der totale Strafverfolgungsverzicht angesichts der großen Relevanz dieses Anspruches gegen die rechtliche Zulässigkeit. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Nichtdurchsetzung des Anspruchs „um jeden Preis" impliziert, dass aufgrund höher gelagerter Interessen auf eine Strafverfolgung in toto verzichtet werden kann. Dies wird auch vom Gesetzgeber angenommen, was sich unter anderem in den Regelungen der §§ 31, 31 a BtMG sowie den §§ 129 Abs. 6, 129 a Abs. 5, 261 Abs. 10 StGB zeigt. Allerdings ist die gänzliche Aufgabe ein so großer Einschnitt in die grundsätzliche Pflicht des Staates, Straftaten zu erforschen und Verantwortliche zu bestrafen, dass dies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als ultima ratio erfolgen darf. Insoweit stellt sich die Immunitätsregelung zunächst als rechtlich zulässig dar, 857 allerdings unterliegt sie aufgrund des weiterreichenden Strafverzichtes einem höheren Rechtfertigungsdruck als die Beweisverwertungsverbotslösung.
c) Zwischenergebnis Der Vergleich zur Beweisverwertungsverbotslösung zeigt, dass der sicherere Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Auskunftsperson, den die Immunitätsregelung gewährt, für die rechtliche Zulässigkeit dieses Reformvorschlages spricht. Durch den dafür ursächlichen weiterreichenden Umfang des Strafverzichtes wird die Immunitätsregelung zur Optimierung der Auskunftspflichten im parlamentarischen Untersuchungsverfahren nicht von vornherein unzulässig. Gleichwohl wird aufgrund dessen eine Prüfung, welche Regelung den spezifischen Interessen des Untersuchungsverfahrens besser gerecht wird, erforderlich.
853
BVerfGE 27, 18 (29); 39, 1 (46); 45, 187 (253); vergi. 90, 145 (175). Siehe oben I. Teil 1.2. 855 BGHSt 11, 353 (356); 17, 236 (237); Rogali Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 145. 856 Siehe oben 3. Teil I. 6. 857 Bezweifelnd Wiefelspütz, der die Immunitätsregelung (zutreffend) als Systembruch zur bisherigen Rechtslage ansieht. Ders., Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 261. 854
IV. Immunität
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4. Effektivität parlamentarischer Untersuchungen contra Strafverzicht Welcher Reformvorschlag den Untersuchungsausschussinteressen unter Berücksichtigung der Reichweite des jeweils einhergehenden Strafverzichts besser gerecht wird, ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile der Immunitätsregelung gegenüber der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung.
a) Vorzüge der Immunitätsregelung Die Immunitätsregelung böte dem parlamentarischen Untersuchungsverfahren einen Vorteil: Hinsichtlich des durch den Strafverfolgungsverzicht gesicherten Schutzes der betroffenen Rechte von Auskunftspersonen wäre es möglich, jeden Zeugen einer parlamentarischen Untersuchung einem Zwang zur Aussage auszusetzen, ohne das dies - wie bei der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung 858 - auf freiwillig Aussagende oder politisch Verantwortliche zu beschränken wäre. Aufgrund des größeren Anwendungsbereiches könnte somit eine größere Effektivität der Zeugenvernehmungen erreicht werden, wobei gleichzeitig der grundgesetzlich geforderte Schutz des nemo-tenetur-Prinzips absolut sicher gewährleistet wäre.
b) Nachteile der Immunitätsregelung Fraglich ist, ob dies nicht durch gewichtigere Nachteile kompensiert wird, die die Immunitätsregelung nach sich zieht. Basis dieser Mankos ist die vollständige Aufgabe der Strafverfolgung, die in der Suspendierung der staatsanwaltlichen Ermittlungspflicht zum Ausdruck kommt. Hinsichtlich der praktischen Folgen ist vor allem auf Missbrauchsgefahren hinzuweisen, die sich in den USA im Rahmen der weitgefassten „,transactional immunity " zeigten: Abusiv bemühten sich strafrechtlich schwer belastete Zeugen, in ihren Aussagen eine möglichst große Anzahl bekannter und unbekannter Straftaten zu nennen, um sich in dem „Immunitätsbad" von ihrer strafrechtlichen Verantwortung reinzuwaschen.859 In diesen Fällen kommt es zu Empörungen in der Bevölkerung, die sich in ihrem Gerechtigkeitsempfmden empfindlich gestört sieht, so dass die Strafrechtspflege insgesamt in Misskredit gebracht wird. 8 6 0 Diese Situation lässt 858
Siehe oben C. I. 6. Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1341). 860 Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (43). 859
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C. Reform orschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
sich auf das Verfahren der Untersuchungsausschüsse übertragen, wobei hinzukommt, dass hier der Eindruck entstehen kann, dass eine der Untersuchungsausschussparteien die Straflreistellung bestimmter, ihr politisch verbundener, Zeugen vorsätzlich unterstützt. 861 Diese Gefahr kann zwar durch die dem Untersuchungsausschuss auferlegte Verpflichtung, lediglich solche Zeugen auszuwählen, die nach Kenntnisstand der Untersuchung nur geringe strafrechtliche Schuld auf sich geladen haben, dabei aber über möglichst viele Informationen über den untersuchten Sachverhalt verfugen, 862 minimiert werden. Vollends gebannt werden kann die Missbrauchsgefahr dagegen nicht. Allerdings ist dies auch bei der Beweisverwertungsverbotslösung nicht möglich, so dass fraglich ist, inwieweit hinsichtlich der Missbrauchsmöglichkeit Divergenzen bestehen. Innerhalb einer Befürwortung der Beweisverwertungsverbotslösung wurde gefragt, ob es denn ein so schlimmer Schaden sei, wenn sich die derzeitige Situation umkehre, die Zeugen also allzu gesprächig würden, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, da damit jedenfalls dem Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses gedient sei. 863 Die Immanenz der Missbrauchsmöglichkeiten spricht indes umso stärker gegen einen Reformvorschlag, als mit ihm ein staatlicher Strafverzicht einhergeht. Schließlich ist das primäre Ziel der Diskussion um eine Optimierung der Auskunftspflichten nicht der Schutz von Straftätern vor Strafverfolgung, sondern die effektivere Ausgestaltung der Beweiserhebung von Untersuchungsausschüssen. Demgegenüber ist die mit Immunitätsregelung und Beweisverwertungsverbotslösung einhergehende geminderte Effektivität der Strafverfolgung nur ein notwendiges Mittel, um das inquisitive Potenzial des für das parlamentarische Staatswesen überaus wichtigen Instituts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu verbessern. Das für eine Demokratie unabdingbare Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat und seine Organe kann durch die Reformvorschläge gleichfalls beeinträchtigt werden. Es ist zu berücksichtigen, wie ein Verzicht auf Strafverfolgung dem Ansehen des Staates schadet: Einerseits verletzt die Privilegierung einzelner Straftäter das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Andererseits sind Strafverzichtsregelungen immer das staatliche Eingeständnis, dass eine Sachlage ohne die Hilfe eines möglicherweise oder bewiesenermaßen Straffälligen nicht eigenständig aufgeklärt werden kann. Aufgrund dessen gilt es, den Verzicht auf Strafverfolgung so gering wie möglich zu halten. Potentielle Straftäter, 861 Diesem Punkt sollte gleichwohl nicht zuviel Wichtigkeit beigelegt werden. Schließlich wäre es für eine Partei im Untersuchungsverfahren überaus schädlich, wenn der Eindruck entstünde, dass sie „ihre" Zeugen von der Strafverfolgung befreien wolle. Hinsichtlich der Evaluation der Bevölkerung - und darauf sind die Untersuchungsausschüsse ausgerichtet - wäre dies fatal. Folglich wird ein virulentes Interesse daran bestehen, genau diesen Eindruck zu vermeiden. 862 Vergi. Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42). 863 Schneider, Die hilflosen Aufklärer, NJW 2000, S. 3332 (3333).
IV. Immunität
213
die vor einem Untersuchungsausschuss zur Aussage angehalten werden sollen, brauchen einen ausreichenden Schutz ihrer Grundrechte, namentlich ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts, jedoch keinesfalls eine umfassende Privilegierung gegenüber anderen Auskunftspersonen. Dieser Punkt könnte gegen die Immunitätsreglung sprechen, die sich in Abgrenzung zur Beweisverwertungsverbotslösung gerade durch eine vollständige Suspendierung der Strafverfolgungspflicht auszeichnet. Die Beweisverwertungsverbotslösung gewährt genau jenes Minimum an Strafverzicht, das notwendig ist, um insbesondere politisch Verantwortliche als Untersuchungsausschusszeugen in Ausnahmefällen einem Zwang zur Aussage aussetzen zu können. 864 Gegenüber der Immunitätsregelung hat dies den Vorteil, dass eine Strafverfolgung grundsätzlich möglich bleibt, solange sie auf der Basis von Informationen erfolgt, die aus einer von der Aussage unabhängigen Quelle stammen. Die Schutzgewährung des nemo-tenetur-Prinzips reicht nicht weiter, als dass niemand aufgrund seiner erzwungenen selbstbelastenden Aussage strafrechtlich verfolgt werden darf. De facto wird zwar auch die Beweisverwertungsverbotslösung dazu führen, dass Straftäter oftmals nicht bestraft werden können, allerdings bleibt die grundsätzliche Möglichkeit der Strafverfolgung bestehen. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten ist es nicht unwahrscheinlich, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen auf Hinweise von strafbaren Handlungen stoßen, die mit der vor dem Untersuchungsausschuss gemachten Aussage keine Verbindung aufweisen. Es ist kaum begründbar, warum diese aus unabhängigen Quellen stammenden Informationen nicht zur Strafverfolgung genutzt werden sollten. Schließlich trägt der Aussagende in diesem Fall nicht zu seiner eigenen Strafverfolgung bei, so dass auch seine aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht resultierende Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang nicht verletzt ist. Demgemäß ist der durch die Immunitätsregelung konstituierte Verzicht auf eine Strafverfolgung zu weitreichend. Daneben ist das differenzierte Modell der Beweisverwertungsverbotslösung, das gerade soviel Schutz gewährt wie grundgesetzlich geboten ist, dabei indessen die Gelegenheit zur Verfolgung von Straftätern offen hält, insgesamt als Lösungsvorschlag für das Untersuchungsausschussverfahren zweckentsprechender.
c) Zwischenergebnis Aufgrund des im Vergleich zur Beweisverwertungsverbotslösung zu weitreichenden Strafverfolgungsverzichts ist die Immunitätsregelung als Reformvor-
864 Zur limitierten Beweisverwertungsverbotslösung mit ihrer differenzierten Ausgestaltung hinsichtlich Privatpersonen und politisch Verantwortlichen: Siehe oben C. I. 6.
214
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
schlag zur Optimierung der Auskunftspflichten innerhalb parlamentarischer Untersuchungen abzulehnen.
5. Weitere Nachteile der Immunitätsregelung Neben dieser bereits aus grundsätzlichen Erwägungen erfolgenden Ablehnung der Immunitätsregelung sind weitere Punkte gegeben, die gegen diesen Vorschlag und für die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung sprechen.
a) Strafrechtliche
Verfolgung
von Aussagedelikten
Ausgehend von der Erfahrung, dass im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung Zeugen oftmals ein Interesse daran haben, nicht die Wahrheit zu sagen, erlangt die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Auskunftsdelikten gesteigerte Relevanz. Die Strafbarkeit von Falschaussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wurde durch die Gestaltung des Tatbestandes von § 153 Abs. 2 StGB gewährleistet, die im Zuge des Erlasses des PUAG erfolgte. 865 Dass der Zeuge durch seine Immunisierung nicht vor der Strafverfolgung aufgrund von Falschaussagen innerhalb der immunisierten Beweiserhebung geschützt wird, 8 6 6 ist im Rahmen der Immunitätsregelung zweckmäßig. Schließlich soll der Zeuge zur Aussage gezwungen werden, wobei die Brauchbarkeit der Aussage dadurch gewährleistet werden soll, dass für die Auskunftsperson der Druck bestehen bleibt, die Wahrheit sagen zu müssen. In diesem Punkt gleichen sich die Rechtslagen von Immunitätsregelung und limitierter Beweisverwertungsverbotslösung. Allerdings führt die Aufhebung der staatsanwaltlichen Ermittlungspflicht dazu, dass die Auskunftsdelikte schwerer verfolgbar werden, weil die zugrunde liegenden Sachverhalte nicht mehr umfassend untersucht werden. Demgemäß ist die Gefahr, der sich ein falschaussagender immunisierter Zeuge aussetzt geringer als dies bei Beweisverwertungsverbotslösung der Fall wäre. Es ist davon auszugehen, dass dies zu einer minderen Qualität der Zeugenaussagen fuhren wird, einem Phänomen, das durch Erfahrungen mit ähnlichen Regelungen im Ausland bereits festgestellt wurde. 867
865
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BTag-Drs. 14/5790 S. 21. 866 Oehler, Kronzeugen und Erfahrungen mit Kronzeugen im Ausland, ZRP 1987, S. 41 (42). 867 Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1349).
IV. Immunität
b) Staatsanwaltliche
215
Ermittlungsergebnisse
Weiterhin zeitigt die Suspendierung der staatsan wait liehen Ermittlungspflicht neben dem primär angestrebten Schutz der Auskunftsperson nachteilige Nebenfolgen für die Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse. Schließlich kann der Untersuchungsausschuss gem. § 18 Abs. 4 PUAG sächliche Beweismittel, insbesondere Akten, von den Staatsanwaltschaften anfordern. 868 Diese Möglichkeit wird durch die Immunitätsregelung genommen, da ohne Ermittlungen auch keine Akten erstellt werden. Demgegenüber kann sich der Untersuchungsausschuss im Rahmen der Beweisverwertungsverbotslösung auf mögliche Erkenntnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren stützen.
c) Auskunftszwang gegen Jedermann? Fraglich ist, inwiefern der gegenüber der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung erweiterte Kreis von Auskunftspflichtigen, die einem Aussagezwang ausgesetzt werden können, gegen die Immunitätslösung sprechen könnte. Hinsichtlich der Effektivierung ist eine verbreiterte Anwendungsmöglichkeit des Zeugniszwangs positiv zu beurteilen. Allerdings stellt jeder Aussagezwang, auch wenn er durch entsprechende Absicherung aufgrund der Immunisierung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Zeugen nicht verletzt, einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dar. 869 Auch wenn das durch Art. 44 Abs. 1 GG konstituierte Aufklärungsinteresse der Untersuchungsausschüsse die Verhältnismäßigkeit von derlei Belastungen begründen könnte, ist zu beachten, dass der auf freiwillig aussagende Private und politisch Verantwortliche begrenzte Anwendungsbereich der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung jedenfalls weitaus stärker für deren Angemessenheit spricht. Schließlich werden Privatpersonen nur erfasst, wenn sie aus eigenem Antrieb die Aussage wünschen, während eine echte Auskunftspflicht nur für politisch Verantwortliche entsteht, was im Lichte derer fakultativen Amtsund damit Verantwortungsübernahmen gerechtfertigt erscheint. Die durch die Immunitätsregelung eröffnete Möglichkeit jedermann im Rahmen der parlamentarischen Beweiserhebung trotz drohender strafrechtlicher Selbstbelastung zur Aussage mit Mitteln des Zeugniszwangs anhalten zu können, spricht somit im
868
Dass Untersuchungsausschüsse die Ermittlungsakten beiziehen und die zuständigen Staatsanwälte informatorisch anhören, war bereits vor Erlass des PUAG Usus, vergi. Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages, BTag-Drs. 14/9300, S. 36 ff.; vergi, die Parallel verfahren zum Untersuchungsausschuss „Transnuklear", BTag-Drs. 11/7800, S. 17. 869 Rogali , in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 108.
216
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Vergleich zu der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung gegen die Verhältnismäßigkeit dieses Reformvorschlages.
6. Zwischenergebnis Der gegenüber der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung zu weitreichende Verzicht auf Strafverfolgung spricht gegen Immunitätsregelung als Reformvorschlag, auch wenn der Personenkreis, der durch diesen Reformvorschlag innerhalb parlamentarischer Untersuchungen zur Aussage angehalten werden kann, größer ist. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Suspendierung der staatsanwaltlichen Ermittlungspflicht die Wahrscheinlichkeit einer minderen Qualität der Aussage des immunisierten Auskunftspflichtigen erhöht, wodurch der Nutzen innerhalb der parlamentarischen Beweiserhebung minimiert wird.
V. Absprache zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen Als weiterer Reformvorschlag käme eine entsprechende „Absprache" zwischen dem Untersuchungsausschuss und den aufgrund von drohenden Strafverfolgungen auskunftsverweigernden Zeugen in Betracht.
1. Definition und Inhalt der „Absprache" Die Diskussion des in der Strafverfahrenspraxis entwickelten Phänomens der „Absprache" begann Ende der 1980er Jahre. Zwar gab es bereits zuvor Handlungsmuster, die mit der später in der Literatur als „Absprache" bezeichneten Vorgehensweise übereinstimmen, doch wurde darüber in der Literatur zunächst „schamhaft" geschwiegen. 870 Im Folgenden entwickelte sich eine antipodisch geführte Auseinandersetzung über diesen Problemkreis, 871 deren Beendigung
87 0 Weigend, Der BGH vor der Herausforderung der Absprachenpraxis, in: FS für BGH (2000), S. 1011 (1011); Küpper/Bode, Absprachen im Strafverfahren, Jura 1999, S. 351 (351); der erste Aufsatz zu diesem Thema wurde unter dem Pseudonym „Detlev Deal aus Mauschelhausen", StV 1982, S. 545-552 veröffentlicht. 87 1 Schöcl7, in: AK-StPO, vor § 151 Rn. 6 ff.; Pfeiffer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 29 a ff.; Schlüchter, in: SK-StPO, vor § 123 Rn. 23 ff.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Einleitung Rn. 119 a; Rönnau, Absprachen im Strafprozess, S. 19; Tscherwinka, Absprachen im Strafprozess, S. 13 ff.
V. Absprache zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen
217
durch eine Stellungnahme des Gesetzgebers nicht zu erwarten ist. 8 7 2 Mangels gesetzgeberischer Begriffsklärung entwickelte sich eine Vielzahl von Umschreibungen in der Literatur wie z.B. Konsens, informeller Kontakt, Kooperation, deal, Vergleich oder gentleman-agreement. 873 Der BGH benutzt die Begriffe Vorgespräch, 874 Verständigung 875 und Absprache. 876 Die Prüfung der möglichen Übertragbarkeit der im Strafverfahren entwickelten Absprachepraxis auf die parlamentarische Beweiserhebung erfordert zunächst eine Begriffsklärung. Indem eine Absprache im Prinzip in allen Stadien des Strafverfahrens getroffen werden kann, variieren die Inhalte der dies umschreibenden Begriffsbestimmungen so stark, 877 dass im Folgenden von der praktisch häufigsten Absprachenform ausgegangen wird: Eine Absprache im Strafverfahren besteht dann im Wesentlichen darin, dass die Vorstellungen der Prozessbeteiligten über Gang und Ergebnis des Verfahrens zur Deckung gebracht und anschließend entsprechend prozediert werden. 878 Fraglich ist, was dies in der praktischen Umsetzung innerhalb eines Strafverfahrens bedeutet. Für den Angeklagten bedeutet dies, dass er im Regelfall ein (Teil-)Geständnis offeriert, während das Gericht - eventuell unter Einbeziehung der Staatsanwaltschaft - eine erstrebte Verurteilung zur Bewährung, gegebenenfalls auch eine Anregung zur Einstellung gem. §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO, als Gegenleistung offeriert. 879 A u f ein Grundmodell reduziert, erfolgt also staatlicherseits die Zusage eines Verzichts auf Strafe, nachdem der Straffällige zugesichert hat, dass er ein dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zuvor der inhaltlichen Ausrichtung nach bekannt gemachtes Geständnis ablegt.
872
Vergi. Weigend, Der BGH vor der Herausforderung der Absprachenpraxis, in: FS für BGH (2000), S. 1011 (1016); Siolek, Neues zum Thema der Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1993, S. 422 (427). 87 3 Rönnau, Absprache im Strafprozess, S. 22 jeweils m.w.N. 874 BGHSt 37, 298 (304). 875 BGHSt 38, 102(104). 876 BGH wistra 1992, S. 309 (310). 87 7 Satzger, Die Unwirksamkeit eines „ausgehandelten" Rechtsmittelverzichts, JuS 2000, S. 1157 (1157); Tscherwinka, Absprachen im Strafprozess, S. 71 ff. 87 8 Dahs, Absprachen im Strafprozess, NStZ 1988, S. 153 (154). Weitere, teilweise detailliertere Definitionen vergi. Niemöller, Absprachen im Strafprozess, StV 1990, S. 34 (35); Tscherwinka, Absprachen im Strafprozess, S. 19. 87 9 Küpper/Bode, Absprachen im Strafverfahren, Jura 1999, S. 351 (353); Übersicht bei: Tscherwinka, Absprachen im Strafprozess, S. 38 f.; Rogali , in: Anhörung des BTagAusschusses für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 40.
218
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
2. Übertragbarkeit auf parlamentarisches Untersuchungsverfahren Die Absprache könnte als Ausgangspunkt eines Reformvorschlages zur Optimierung der Auskunftspflichten im Untersuchungsausschussverfahren herangezogen werden. So könnte ein aufgrund einer möglichen Strafverfolgung die Aussage verweigernder Untersuchungsausschusszeuge staatlicherseits, in diesem Fall vom Untersuchungsausschuss, die Zusage auf einen Strafverfolgungsverzicht erhalten, wenn er sich verpflichtet, über einen vom Untersuchungsauftrag umfassten Sachverhalt auszusagen, über den er anderenfalls aufgrund der drohenden Strafverfolgung geschwiegen hätte.
3. Vorteile von Absprachen zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen Fraglich ist zunächst, welche Vorteile eine Absprachemöglichkeit zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen gegenüber der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung, aber auch gegenüber der bestehenden Rechtslage, aufwiese. Zunächst ist durch jede Möglichkeit, auskunftsverweigernde Zeugen zu einer Aussage zu motivieren, eine Effektivierung der parlamentarischen Beweiserhebung gegeben, auch wenn, wie es hier der Fall ist, nur freiwillig mitwirkende Zeugen erfasst werden, also kein Zwang zur Aussage begründet wird. Insoweit stellt sich, zumindest begrenzt auf freiwillig mitwirkende Privatpersonen, dieselbe Lage wie bei der limitierten Beweisverwertungsverbotslösung dar. Diesem Reformvorschlag gegenüber hat die Absprache indessen einen Vorzug: So ist der Untersuchungsausschuss bei der Beweisverwertungsverbotslösung insbesondere bei unter Zwang aussagenden politisch Verantwortlichen zum Zeitpunkt des Beschlusses darüber, ob die Aussage mit einem Beweisverwertungsverbot (bzw. einer Immunisierung) belegt und damit überhaupt erst ermöglicht werden soll, im Unklaren darüber, was der Inhalt der Aussage sein wird. Aufgrund dessen wird die Entscheidung darüber, in welchem Umfang, insbesondere für welche Straftatbestände und die Anzahl ihrer rechtswidrigen und schuldhaften Verwirklichungen, die Strafverfolgung durch die Beweisverwertungsverbote erschwert wird, ins Ungewisse getroffen. 880 Demgegenüber können im Falle einer Verhandlung mit dem Zeugen genaue Vereinbarungen darüber getroffen werden, was der Zeuge aussagen wird und in welchem Umfang er eine strafrechtliche Verantwortung eingestehen wird. Auf diesem Wege werden die Missbrauchsmöglichkeiten reduziert, da der Zeuge durch weitreichende Ausführung sich unvorhersehbar von strafrechtlichen Verantwortungen „reinwaschen" kann. Darüber hinaus bietet die Absprache den Vorteil, dass es hier kein Alles880
Vergi, hierzu die US-amerikanischen Erfahrungen: Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1347).
V. Absprache zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen
219
oder-Nichts-Prinzip gibt, da es möglich ist, mit dem Zeugen keinen Strafverzicht, sondern nur eine Reduktion der Strafe bzw. die Verhängung einer Bewährungsstrafe auszuhandeln. Damit ist in der sensibel zu behandelnden Frage des staatlichen Strafverzichts gegenüber der Beweisverwertungsverbotslösung eine wesentlich bessere Möglichkeit gegeben, fein abgestufte Einzelfallentscheidungen zu treffen. 881
4. Grundsatz der Gewaltenteilung Neben der Berücksichtigung der Bedeutung der Strafrechtspflege und dabei speziell die im Legalitätsprinzip zum Ausdruck kommende Pflicht des Staates zur Verfolgung von Straftaten, 882 könnten Absprachen zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen. Die Zusagen des Untersuchungsausschusses in Richtung eines Strafverzichtes könnten einer gerichtlichen Entscheidung gleichkommen. Der sich aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ergebende Grundsatz der Gewalten- bzw. Funktionentrennung ist eine ganz wesentliche Schranke der parlamentarischen Untersuchungstätigkeit. 883 Die Bedeutung dieses Grundsatzes wird aufgrund seiner eindeutigen grundgesetzlichen Belegung nicht bestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Funktionentrennung als „grundlegendes Prinzip der freiheitlich demokratischen Grundordnung", als einen der „wesentlichen Grundsätze der freiheitlichen Demokratie" und als „tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes" bezeichnet. 884 Eine Verhandlung zwischen Untersuchungsausschuss und auskunftsverweigernden Zeugen setzt voraus, dass der Ausschuss verbindliche Zusagen über die Verwendung der vom Zeugen geäußerten Information im Strafverfahren und dabei insbesondere über die Höhe des Strafmaßes treffen kann. Das ist im Einfluss auf die Strafverfolgung, insbesondere auch im Vergleich zu einem Beweisverwertungsverbotsbeschluss, sehr weitreichend und gleicht das Ergebnis der Absprache einem gerichtlichen Urteilsspruch an, indem es diesen vorwegnimmt. Damit würde in den zentralen Funktionsbereich der Judikative, nämlich verbindliche Entscheidung in Form von Strafurteilen zu fällen, eingegriffen, mithin die Funktionstrennung zwischen Legislative und Exekutive gänzlich auf-
881
Vergi. Weigend, Anmerkungen zur Diskussion um den Kronzeugen, in: FS für Jescheck, S. 1333 (1347). 882 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1 m.w.N. 883 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 44 Rn. 25 f.; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 44 Rn. 59; Schneider, in: AK-GG3, Art. 44 Rn. 6. 884
BVerfGE 3, 225 (247).
220
C. Reform orschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
gehoben. Damit verstößt eine Absprache zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und ist damit unzulässig.
5. Zwischenergebnis Die Einräumung einer an der strafverfahrensrechtlichen Absprache orientierten Verhandlungsmöglichkeit zwischen Untersuchungsausschuss und Zeugen ist unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Strafverfolgungspflicht positiv zu beurteilen, da der Strafverzicht, der notwendig ist, um die im öffentlichen Untersuchungsinteresse erforderliche Zeugenaussage zu erhalten, einzelfallgerecht ihrem Gewicht nach möglichst gering gehalten werden kann. Dieser den anderen Reformvorschlägen bestehende Vorteil kann indes nicht verhindern, dass eine solche Vorgehensweise aufgrund eines Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.
VI. Parlamentarischer Beichtrichter Als weiterer Reformvorschlag wurde von Morlok die Möglichkeit genannt, einen „parlamentarischen Beichtrichter" ins Leben zu rufen. 885
1. Einleitung Dieser Vorschlag zielt vom Ansatz her darauf ab, nur Zeugen eine Auskunftsverweigerung zuzugestehen, bei denen die tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind. Es soll also das Problem behoben werden, dass es für den Untersuchungsausschuss mitunter überaus problematisch ist, das Vorliegen der tatsächlichen Begründung des Auskunftsverweigerungsrechts festzustellen. Daraus folgert Morlok, dass der Zeuge nahezu selbst die Reichweite seiner Auskunftspflicht bestimmt. Dieser Grundannahme kann unter Berücksichtigung der Missbrauchsmöglichkeiten 886 und der auskunftsverweigerungsfreundlichen Rechtsprechung 887 zugestimmt werden.
885 Morlok, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 33, 89; Kolbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (221); Morlok, Mehr Effektivität für Untersuchungsausschüsse, Recht und Politik 2000, S. 208 (209 ff.). 886 Siehe oben Β. V. 2. 887 Beschluss des AG Tiergarten v. 10. Juli 2000 (353 AR 141/00); Beschluss des LG Berlin v. 14. September 2000 (503 Qs 58/00).
VI. Parlamentarischer Beichtrichter
221
Morlok will das Dilemma, dass sich der Zeuge auf § 22 Abs. 2 PUAG berufen kann, ohne dass feststeht, ob die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dadurch beheben, dass sich der Zeuge gegenüber einem unabhängigen zum Schweigen verpflichteten Richter erklären muss, der im Anschluss darüber entscheidet, ob die Auskunft verweigert werden darf oder nicht.
2. Inhaltliche Vorgaben und geschichtlicher Vorgänger des Beichtrichters Das Institut des Beichtrichters ist darauf ausgerichtet eine richterliche Entscheidung über das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts herbeizuführen. Abweichend von der derzeitigen Rechtslage würde die Entscheidung über die tatsächliche strafrechtliche Verfolgungsgefahr, also über „Grund und Grenzen" des Aussageverweigerungsrechts einem neutralen Dritten übertragen, dem gegenüber der Zeuge zur Aussage verpflichtet wäre, nachdem der Untersuchungsausschuss Zweifel an der Berechtigung zur Aussageverweigerung geäußert hat. 888 Beachtenswert an diesem Vorschlag ist, dass zumindest im „Nebenverfahren" der Beichtrichter-Vernehmung ein Aussagezwang besteht, der keine Freiräume in Form von Auskunftsverweigerungsrechten akzeptiert. Zum Schutz des Zeugen vor möglichen Fehleinschätzungen des Beichtrichters, die zu einer Aussage trotz drohender Strafverfolgung geführt haben, schlägt Morlok die Einrichtung von Beweisverwertungsverboten vor, einen Rechtsweg gegen die Entscheidungen des Richters möchte er dagegen aufgrund der erforderlichen Zeitnähe nicht eröffnen. 889 Für den Fall, dass der Zeuge dem Beichtrichter tatsächlich strafrechtlich verfolgbare Auskünfte erteilt, soll dieser durch eine Verschwiegenheitspflicht daran gehindert werden, die Informationen weiterzugeben, so dass der Zeuge vor einer Strafverfolgung geschützt sei. 890 In Übereinstimmung mit Morlok ist auf den strafrechtsgeschichtlichen Ausgangspunkt dieses Reformvorschlages ausdrücklich hinzuweisen, findet er seinen Anstoß doch in Diskussionen von Nazi-Juristen wie dem seinerzeitigen Staatssekretär Freisler. 891 Trotz seines Entstehungszusammenhangs bleibt das
888 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (222). 889 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217(222 FN 42). 890 Vergi. Morlok, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 33; Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (222). 891 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (221). Weitere Nachweise auf strafrechtsgeschichtliche Literatur in FN 3639.
222
C. Reformvorschlge zur Optimierung der Auskunftspflichten
Institut des Beichtrichters aufgrund seiner inhaltlichen Unbelastetheit diskussionswürdig.
3. Diskussion des Beichtrichter-Modells in parlamentarischen Untersuchungen Zunächst einmal spricht für das Beichtrichtermodell, dass damit offenkundig unzulässige Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungen als solche erkannt werden, und der Zeuge Maßnahmen zur Erzwingung des Zeugnisses ausgesetzt werden kann. Damit steigert dieser Reform Vorschlag die Effektivität der parlamentarischen Beweiserhebung. Fraglich ist indessen, wie es sich auswirkt, dass gegen die Entscheidung des Beichtrichters kein Rechtsweg eröffnet werden soll. Im Rahmen der dem Erlass des PUAG vorgelagerten Diskussion wurde der Vorschlag Morloks mit der Begründung abgelehnt, dass der Beichtrichter sein Wissen gar nicht geheim halten könne, weil er gegebenenfalls Beugehaft anordnen müsse und diese der Beschwerde unterliegen müsse. 892 Dem effektiven Rechtsschutz des Bürgers kommt aufgrund Art. 19 Abs. 4 GG tatsächlich eine große Bedeutung zu. Allerdings ist fraglich, in welcher Konstellation der Beichtrichter überhaupt Beugehaft anordnen können sollte. In Betracht käme ein Nichterscheinen oder Nichtaussagen des Untersuchungsausschusszeugens vor dem Beichtrichter. Ein solches Verhalten wäre indes als grundlose Zeugnisverweigerung i.S.d. § 27 Abs. 1 PUAG zu interpretieren, schließlich sollte der Zeuge nach Morloks Vorstellung zum Beichtrichter geschickt werden, nachdem er vor dem Untersuchungsausschuss die Aussage verweigert hatte. 893 Dabei hätte der Untersuchungsausschuss dem Zeugen mit der Vorladung zum Beichtrichter gerade die Möglichkeit geboten darzulegen, dass es sich nicht um eine grundlose Verweigerung handelt. Im Fall, dass sich der Zeuge dem Beichtrichter verweigert und damit das Angebot ausschlägt seine Berechtigung zur Aussageverweigerung zu belegen, ist nicht ersichtlich, warum dann der Beichtrichter Beugehaft anordnen können sollte. Konsequent wäre es in dem Fall, dass dies gem. § 27 Abs. 2 PUAG der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes auf Antrag des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder anordnet. Gegen eine solche Entscheidung ist dann eine Beschwerde statthaft, über die gem. § 36 Abs. 3 PUAG der Bundesgerichtshof entscheidet, so dass dem Bürger Rechts-
892 Nack, in: Anhörung des BTag-Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 35. Nach Erlass des PUAG: Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 281. 893 Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217(222).
VI. Parlamentarischer Beichtrichter
223
schütz gegeben ist. Demnach ist das Institut des Beichtrichters nicht aufgrund fehlenden Rechtsschutzes abzulehnen. Als Argument gegen das Beichtrichter-Modell kann auf die Folgen einer Fehleinschätzung des Beichtrichters, insbesondere einer falschen negativen Einstufung der strafrechtlichen Relevanz der Aussage, abgestellt werden, so dass der Zeuge aussagen muss und sich unter Verstoß des nemo-tenetur-Prinzips strafrechtlich selbst belastet. Morlok selbst schlägt in diesem Fall ein Beweisverwertungsverbot vor. 8 9 4 Dies ist insofern widersprüchlich, als Morlok eine Beweisverwertungsverbotslösung als grundsätzliche Lösungsmöglichkeit mit der Begründung ablehnt, dass der Zeuge nicht wirksam vor strafrechtlichen Ermittlungen geschützt werde, die durch seine Aussage ausgelöst werden könn.
895
ten. Weiterhin ist fraglich, inwieweit ein Beichtrichter die im parlamentarischen Untersuchungsverfahren bestehenden Missbrauchsmöglichkeiten wirksam minimieren kann. In Anbetracht der Komplexität der zu untersuchenden Sachverhalte, der regelmäßig einhergehenden zahlreichen Ermittlungsverfahren, 896 ist es sehr zweifelhaft, ob ein Einzelrichter tatsächlich die Strafverfolgungsgefahr für den Zeugen schnell und umfassend beurteilen kann 897 und zum Beispiel missbräuchlich initiierte staatsanwaltliche Ermittlungen als solche erkennen kann. Als weiterer Kritikpunkt ist zu nennen, dass mit dem Institut des Beichtrichters nicht darauf reagiert werden kann, dass selbst Bagatellverfahren gem. § 22 Abs. 2 PUAG ein Auskunftsverweigerungsrecht begründen und damit im Falle eines überaus wichtigen Zeugen das gesamte Untersuchungsverfahren nachhaltig erschweren können. In einer solchen Situation hülfe ein Beichtrichterverfahren gegenüber der durch die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung eröffneten Möglichkeit, die Zeugenaussage mit einem strafrechtlichen Beweisverwertungsverbot zu belegen und den Zeugen dann mit einem Zwang zur Aussage zu belegen, nicht weiter. Zu kurz greift freilich die Vorgehensweise, das Beichtrichtermodell als „bizarren Fremdkörper in der bundesdeutschen Rechtskultur" zu bezeichnen und mit dieser Feststellung zu begründen, dass man diesen Vor-
894
Kölbel/Morlok, Geständniszwang in parlamentarischen Untersuchungen, ZRP 2000, S. 217 (222). 895 Vergi. Morlok, in: Gutachtliche Stellungnahme für BTag-Ausschuss für Wahlprüfting, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll G-32 v. 10. Mai 2000, S. 90. 896 Vergi, den Abschnitt „Parallelverfahren" im Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages, BTag-Drs. 14/9300, S. 32 - 42. 897 Allein die vom 1. Untersuchungsausschusses des 14. Bundestages vom Hessischen Ministerium für Justiz angeforderten Akten des Strafverfahrens 6 Js 3204 / 00, die nur einen Teilaspekt der Gesamtuntersuchung betrafen, hatte bereits einen Umfang von mehr als 10000 Seiten, vergi. Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das OLG Frankfurt am Main v. 20. September 2000, S. 9.
224
D. Ergebnisse
schlag nie ernsthaft erwogen habe. 898 Einzig der Umstand, dass ein rechtspolitischer Vorschlag mit der zu vor bestehenden Rechtslage deutlich bricht, sollte nicht das einzige Argument zu seiner Ablehnung darstellen.
4. Zwischenergebnis Der Vorschlag, das unkonventionelle Institut eines Beichtrichters im Rahmen der parlamentarischen Beweiserhebung zu installieren, kann trotz einer möglichen Effektivierung der Vernehmungen aufgrund der Ausschaltung von offenkundig grundlosen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungen nicht überzeugen. Zum einen ist angesichts der regelmäßig sehr komplexen Sachverhalte zu bezweifeln, dass ein Einzelrichter das angestrebte Ziel einer rechtsverbindlichen, schnellen und richtigen Entscheidung über das Vorliegen der tatsächlichen Gründe einer Selbstbelastungsgefahr und drohender Strafverfolgung erreichen kann. Zum anderen werden die der bestehenden Rechtslage immanenten Missbrauchsmöglichkeiten von auskunftsunwilligen Zeugen nicht durchgreifend genug aufgehoben. Außerdem konnte die Frage des Rechtsschutzes gegen Fehlentscheidungen des Beichtrichters nicht überzeugend gelöst werden.
898
Wiefelspütz,
Das Untersuchungsausschussgesetz, S. 261.
D. Ergebnisse 1. Mit der Reform des Strafprozesses wandelt sich die Rolle des Tatverdächtigen vom Objekt zum Subjekt des Strafverfahrens. Die Effektivierung der Strafverfolgung wird hinter die Integrität des Beschuldigten gestellt. Mitte des 19. Jahrhunderts werden Schweigerechte des zuvor uneingeschränkt auskunftspflichtigen Beschuldigten anerkannt. Die rechtliche Position des Tatverdächtigen hat sich in der geschichtlichen Entwicklung immer weiter verbessert. 2. Die Entwicklung des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland wurde durch die Entwicklung in anderen Staaten beeinflusst. In den USA wurde die Problematik von Auskunftspflichtigen im Verhältnis von Doppeluntersuchungen unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung problematisiert. In England wurde dieser Punkt hingegen nicht diskutiert. 3. Bereits sehr früh in der Entwicklung des Untersuchungsausschussrechts in Deutschland, am 6. Oktober 1848, wurde in der Frankfurter Paulskirchenversammlung erstmalig über Probleme, die im Zuge paralleler Untersuchung durch parlamentarischen Untersuchungsausschuss und Strafjustiz entstehen, debattiert. 4. In der Weimarer Republik fand eine breit angelegte Auseinandersetzung darüber statt, ob parallele Untersuchungen überhaupt zulässig sind. Die Meinungsgruppe, die für eine Vorrangstellung des Strafverfahrens eintrat, konnte sich richtigerweise nicht durchsetzen. Mit Untersuchungsausschuss und Strafjustiz stehen sich zwei grundsätzlich gleichberechtigte Verfahren mit einer unterschiedlichen Zielsetzung gegenüber, so dass parallele Untersuchungen zulässig sind, auch wenn gegenseitige Beeinträchtigungen möglich sind. 5. Das in § 10 PUAG kodifizierte und als Novität in das Untersuchungsausschussrecht eingeführte Rechtsinstitut des Ermittlungsbeauftragten gefährdet den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und ist deshalb abzulehnen. Darüber hinaus passt die zu seiner Bestimmung erforderliche Zweidrittelmehrheit systematisch nicht ins Untersuchungsausschussrecht. 6. Die strittige Diskussion über den „Betroffenen" ist trotz der Nichtaufnahme in § 22 Abs. 2 PUAG nur scheinbar beendet. Sie kann aufgrund von Widersprüchlichkeiten in den Gesetzgebungsmaterialien wieder aufleben. 7. Gerade die wichtigsten Zeugen machen innerhalb parlamentarischer Untersuchungen gehäuft von Auskunftsverweigerungsrechten Gebrauch. Dabei haben die Auskunftspflichtigen de facto die Definitionsherrschaft über die Reich-
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D. Ergebnisse
weite ihrer Auskunftspflicht inne. Es bestehen Missbrauchsmöglichkeiten für den Auskunftspflichtigen oder politisch interessierte Dritte, Situationen entstehen zu lassen, in denen die Aussage nach der derzeitigen Rechtslage verweigert werden kann. 8. Die Tendenz, dass parlamentarische Untersuchungen durch Auskunftsverweigerungen in ihrer Effektivität nachhaltig beeinträchtigt werden, wird durch gerichtliche Entscheidungen, die das Auskunftsverweigerungsrecht sogar zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht ausweiten, weiter gestützt. 9. Die verfassungsrechtliche Begründung der Selbstbezichtigungsfreiheit folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG und nicht aus der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde. Dies gewinnt an Relevanz, sobald die Auskunftspflicht nicht nur der Strafverfolgung, sondern darüber hinaus Drittinteressen dient. 10. Als Ausgleich der konfligierenden Interessen bei einer drohenden strafrechtlichen Selbstbelastung durch eine Auskunftspflicht in einem nichtstrafrechtlichen Verfahren mit betroffenen Drittinteressen gibt es vier Alternativen: Die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten, die Durchsetzung der Auskunftspflicht, die Geheimhaltung der Aussage oder die Belegung der Aussage mit einem strafverfahrensrechtlichen Beweisverwertungsverbot. 11. Das in der Gemeinschuldnerentscheidung genannte Beweisverwertungsverbot entfaltet eine Fernwirkung auf mittelbar erlangte Beweismittel. Anderenfalls würde das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung missachtet und der Auskunftspflichtige in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG verletzt. 12. Zwischen der Auskunftspflicht von Privatpersonen als Untersuchungsausschusszeugen und Insolvenzschuldnern bestehen so große Unterschiede hinsichtlich der Begründung und der Reichweite der Auskunftspflicht, dass eine Übertragung des Lösungsmodells der Gemeinschuldner-Entscheidung in diesem Fall nicht in Betracht kommt. Dies gilt allerdings nur für eine Verpflichtung zur Aussage. Bei freiwillig Aussagenden ist die Anwendung der Beweisverwertungsverbotslösung dagegen zulässig. 13. Aus dem Vergleich zum Gemeinschuldner folgt, dass politisch Verantwortliche, die aufgrund drohender Selbstbelastung die Aussage verweigern, mit Maßnahmen des Zeugniszwangs zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet werden können, solange die Aussage nicht strafrechtlich gegen sie verwendet wird. 14. Die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung ist nur unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bezüglich der erschwerten Strafverfolgung zulässig. Daraus folgt, dass sie nur im Ausnahmefall angewendet
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darf. Die Effektivität der Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist Zulässigkeitsvoraussetzung. Um dies zu erreichen, bietet sich die Orientierung an den sehr wirksamen US-amerikanischen Vorschriften an. 15. Zwischen dem parlamentarischen Untersuchungs- und dem Strafverfahren besteht ein Kooperationsverhältnis. Aufgrund der Abhängigkeit des Untersuchungsausschusses von zeitnahen Zeugenvernehmungen kommt die Aussetzung des Untersuchungsverfahrens bis zur Beendigung des Strafverfahrens bei gleichzeitiger Verpflichtung der Strafjustiz zu einem beschleunigten Verfahren gleichwohl nur in Ausnahmefällen als sachgerechter Interessenausgleich in Betracht. Die limitierte Beweisverwertungsverbots-Lösung kann durch eine solche Vorgehensweise ergänzt, jedoch nicht ersetzt werden. 16. Eine Immunitätsregelung wäre zur Optimierung der Auskunftspflichten gleichfalls zulässig, allerdings ist der mit ihr einhergehende Strafverzicht im Vergleich zur Beweisverwertungsverbotslösung zu weitreichend, so dass die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung als Reformvorschlag vorzugswürdig ist. 17. Die Möglichkeit einer Absprache mit dem Untersuchungsausschusszeugen böte im Vergleich zur Beweisverwertungsverbotslösung den Vorteil, dass der mögliche Strafverzicht von vornherein festzulegen und einzelfallgerecht zu bestimmen wäre. Eine solche dem Untersuchungsausschuss überlassene Entscheidung gliche indes einem gerichtlichen Urteil so stark, dass der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt wäre. 18. Das von Morlok vorgeschlagene Beichtrichter-Modell böte den Vorteil, dem Zeugen die Definitionshoheit über die Reichweite seiner Auskunftspflicht zu nehmen und damit bestehende Missbrauchsmöglichkeiten auszuschalten. Allerdings wurde die Frage des Rechtsschutzes gegen Fehlentscheidungen des Beichtrichters nicht überzeugend gelöst. Daneben schafft die limitierte Beweisverwertungsverbotslösung sachgerechtere Lösungen in Fällen, in denen wegen einer drohenden Bagatellbestrafung eine für den Untersuchungsausschuss wichtige Aussage verweigert wird und deswegen nach der bestehenden Rechtslage (und auch nach der des Beichtrichter-Modells) die Untersuchungsausschussinteressen gänzlich unberücksichtigt bleiben müssen.
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Ermittlungsrichter 88, 89, 225 Ermittlungsverfahren 55, 59, 83, 89, 130, 140-143, 169, 173 Falschaussage 49, 98, 149, 188 Fernwirkung 161, 163-184, 196-199 Gemeinschuldnerentscheidung 148, 155-192 Generalinquisition 21 Gesetzgebungsenqueten 40, 46 Gewaltenteilungsgrundsatz 33,47, 50, 53,61 Glorious Revolution 31 Grundrechte 67, 68, 84, 108, 124, 162, 166,215 Hauptverhandlung 26, 48, 59, 77, 92, 93, 135, 162, 209 Immunität 65, 88, 123, 185-188,207219 Inquistionsprozess 22-28 Interpellationsrecht 33, 37 Kronzeugenregelung 204 ff. Legalitätsprinzip 59, 76, 175, 187, 199,
210, 221 Menschenwürde 100, 106-117, 166 Monarchie, konstitutionelle 35 Nationalversammlung 38, 43, 44 Nemo-tenetur-Prinzip 97, 117, 128-130, 153, 196
244
Sachregister
Öffentliches Interesse 60, 65, 183 Öffentlichkeitsprinzip 41, 71, 73 Opposition 69, 126, 134, 191 Parallele Untersuchungen 17, 53, 58, 228 Parlamentarismus 30, 36, 40-42, 80, 126, 206 Parlamentsmehrheit 31, 35, 41, 69, 204 Paulskirchenverfassung 25, 37, 44 Paulskirchenversammlung 25, 37, 44 Politische Verantwortliche 126 Politische Verantwortung 126, 127, 144, 192, 193, 205 Privatpersonen 175, 180-184, 190, 197 218 Publizität 16, 42, 72-74, 132, 133 Rechtliches Gehör 102, 103 Rechtsprechung 63, 64, 75, 99 ff., 153, 163 ff., 223 Rechtsstaat 28, 53, 68, 103-105, 133, 141, 164, 189 Royal Commissions 30, 31 Sanktionierungen 73, 78 Schweigerechte 27-29, 151-153, 228
Select Commities 30, 31 Skandal, politischer 73, 202 Skandalenquete 16, 35, 55, 69, 78, 121, 131, 172-178 Spezialinquisition 21-25 Strafrechtspflege 56, 68, 214, 221 Strafverfolgungsverzicht 208-220 Supreme Court 34, 35 Tatverdacht 21, 59, 60, 71 Untersuchungsausschusspraxis 57, 62 ff., 81, 158 Use immunity 187, 209 Verteidiger 24, 28, 49, 202 Vorsitzendenverfahren 86-89 Weimarer Republik 17, 20, 34-57, 141 Zeugenaussage 18, 38, 48, 87, 130 ff., 202,214 Zeugenvernehmung 31, 38, 56, 133 ff., 171,211,222 Zeugnisverweigerungsrecht 17, 97, 122, 138, 141,208, 223