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German Pages 358 Year 2016
Johannes Breuer Genre und Gender
Edition Medienwissenschaft
Johannes Breuer, geb. 1986, wurde im Rahmen der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne an der Universität zu Köln promoviert. Er ist u.a. Mitglied des interdisziplinären Zentrums »Gender Studies in Köln« (GeStiK). Freiberuflich geht er sowohl wissenschaftlichen Lehrtätigkeiten als auch Projekten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere Filmproduktionen, nach. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gender Studies und Queer Theory, Mediendiskurse und Medientheorie.
Johannes Breuer
Genre und Gender Zur Komplexität der Verknüpfung zweier Kategorien im Musicaldiskurs
Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2015 als Dissertation von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen. Unterstützt wurde das Projekt durch die a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne.
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Inhalt
Einleitung. Intersektionalität, Interdependenz und interkategoriale Verknüpfungen | 11 1
Die Diskursivierung von Genre und Gender. Anstöße in ihrer gemeinsamen Beobachtung | 27
1.1 1.2 1.3
Genresynkretismus: Die Relevanz kontextueller Einbettungen | 29 Genderdichotomie: Das Potenzial interkategorialer Beobachtungen | 35 Gender in Genre(s) und die Tendenz wechselseitiger Essentialisierungen | 40 Eine methodische Problemstellung? Zur Umakzentuierung des Repräsentationsbegriffs | 46 Momente des Widersprüchlichen als diskursinhärente Phänomene: Ein perspektivisches Wechselspiel | 50
1.4 1.5
2
Genre, Gender und das Musical. Die Betrachtung einer Kategorienkrise in ihrer diskursiven Formung | 57
2.1
Kategorien in der Krise: Die Verknüpfung von Genre und Gender als Artikulation der Komplexität diskursiver Prozesse | 58 Das ›Musical‹: Potenziale der Exemplifizierung und Operationalisierung durch sprachliche Praktiken | 69 Der Musicaldiskurs zwischen Genre und Gender: Zur Spezifik seiner Rekonstruktion | 79
2.2 2.3
3
Genre und Gender im wissenschaftlichen Musicaldiskurs. Zwischen peripheren Einschriften und konstitutiven Verbindungen | 91
3.1
Wissenschaftliches Wissen um das Musical und seine Beobachtung mittels der Zeitschrift Screen | 93 Konstruktionsbedingungen wissenschaftlichen Genrewissens: Die Kontextualisierung des Musicals | 103 Narrative Anordnungen des Musicals: Gender als Spektakel | 113 Geschlechterbilder des Musicals: Genre als Reflexion gesellschaftlicher Phänomene | 130 Ein Deutungsgewebe: Zur Artikulation einer Kategorienkrise in der Assoziation von Sinngebungen | 146
3.2 3.3 3.4 3.5
4
Genre und Gender im publizistischen Musicaldiskurs. Zwischen zentralen Einzelfällen und übergreifenden Bezugnahmen | 157
4.1
Publizistisches Wissen um das Musical und seine Beobachtung mittels der Zeitschrift DER SPIEGEL | 159 Konstruktionsbedingungen publizistischen Genrewissens: Die Kontextualisierung durch das Musical | 168 Das Musical als ›Frauengenre‹: Eine Bestimmung mittels Diskursakteuren | 179 Musicalisierungen: Gender in der Beobachtung des Verhältnisses zwischen Genre und Prätext | 197 Eine Deutungskonkurrenz: Zur Artikulation einer Kategorienkrise im Konflikt interkategorialer Verknüpfungen | 212
4.2 4.3 4.4 4.5
5
Genre und Gender im audiovisuellen Musicaldiskurs. Zwischen potenziellen Assoziationen und umfassenden Funktionen | 223
5.1
Audiovisuelles Wissen um das Musical und seine Beobachtung in der Materialisierung von Diskursen in und um Medien | 226 Operationalisierungsmöglichkeiten audiovisuellen Genrewissens: Die Kontextualisierung als Musical | 236 5.2.1 Fremdattribution durch Prototypikalität: Eine relative Genrezuordnung | 241 5.2.2 Selbstattribution durch Titelkonstruktionen: Eine relationale Genrezuordnung | 248 SINGIN’ IN THE RAIN Genre, Gender und die Potenzialität ihrer Verbindung | 255 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR Genre, Gender und die Hervorbringung von Figuren | 271 Eine Deutungsexpansion: Zur Artikulation einer Kategorienkrise im Feld um Genre, Gender und Medien | 289
5.2
5.3 5.4 5.5
6
Von der Differenz zur Differenzierung. Konzeptionelle Anstöße in der Beobachtung einer Relation | 299
6.1
Unschärfen in der Eindeutigkeit: Wirkmächtige Sinnstiftungen und Potenziale ihrer Betrachtung | 301 Unschärfen in der Beschreibung: Queere Theorien und Potenziale einer analytischen Gewichtung | 307 Unschärfen in der Verknüpfung: Familienähnlichkeit und Potenziale im Verweis auf die Beobachterabhängigkeit | 315
6.2 6.3
Literaturverzeichnis | 327
Internetseiten | 335 Material der Zeitschrift Screen | 335 Material der Zeitschrift DER SPIEGEL | 337 Audiovisionen | 343 Film | 343 Fernsehen | 343 Theater | 343 Internet | 344 Anhang 1: Prototypen des Musicals. Eine Annäherung an die Kategorisierung medialer Artefakte | 345 Anhang 2: Prototypische Kategorievertreter des Musicals. Eine Annäherung an die Typizität wissenschaftlicher Bezeichnungspraktiken | 353
Danksagung
Mein Dank gilt zunächst der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, welche mir den regen Austausch über disziplinäre Grenzen und tradierte Pfade hinaus ermöglichte. Im Besonderen bedanke ich mich bei Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Speer und Dr. Artemis Klidis-Honecker, bei den Klassenleitern Prof. Dr. Hanjo Berressem und Prof. Dr. Frank Hentschel sowie bei den vielen Mitarbeitern und Promovierenden, die mir allesamt in vielfältiger Weise Anregung und Unterstützung waren. Nicht minder bin ich meinen Betreuern zu großem Dank verpflichtet: Herrn Prof. Dr. Lutz Ellrich, der dem Projekt wohlwollend zur Seite stand und sich durch das teils mühevolle Dickicht meiner Argumentation kämpfte, Frau Prof. Dr. Claudia Liebrand, die mir ungemein produktive Ratschläge gab und mich in meiner Arbeit bestärkte, sowie Herrn Prof. Dr. Peter W. Marx, der stets interessiert war und mir wertvolle Impulse vermittelte. Ihr Engagement förderte mich und mein Projekt gleichermaßen. Ich bedanke mich ferner bei Frau Prof. Dr. Irmela Schneider, bei den Mitarbeitern und bei den Studierenden am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln. Durch ihr Interesse, durch die teils aufreibenden Diskussionen und die mitunter überraschenden Blickwinkel entstanden äußerst konstruktive Anstöße. Und nicht zuletzt gebührt freilich auch meinen Freunden und meiner Familie großer Dank. Sie standen mir mit Rat und Tat zur Seite, inspirierten das Projekt und haben dazu beigetragen, es in produktive Bahnen, ja sogar verständliche Sätze zu lenken. Ohne ihre Begleitung, ihre Unterstützung und ihren Einsatz wären die vergangenen Jahre wohl kaum denkbar, geschweige denn erfolgreich gewesen.
Einleitung Intersektionalität, Interdependenz und interkategoriale Verknüpfungen
Dieser Arbeit liegt eine – auf den ersten Blick vielleicht simple – Annahme zugrunde: Genre und Gender offenbaren in ihrer Kopplung eine äußerst komplexe, zuweilen widersprüchliche und präzise zu erfassende Relation. Die Kategorien haben etwas miteinander zu tun und dieses ›etwas‹ ist nur schwerlich auf einen Nenner zu bringen. Doch gerade durch diese – in sich ambivalente – Relation kann die vielfach vorgebrachte Diagnose ihrer Krise geschärft werden. Gerade durch die Komplexität einer Verbindung von Genre und Gender wird das ›Unbehagen‹ an kategorialen Einteilungen samt der ihnen jeweils inhärenten Spannungsmomente ersichtlich. Von daher handelt es sich bei der Kopplung von Genre und Gender nicht bloß um ein vielschichtiges Arrangement interkategorialer Verknüpfungen, vielmehr tritt sie auch als Möglichkeit auf, um sich der Komplexität diskursiver Prozesse selbst anzunähern. Mit dieser Annahme, so simpel sie auch klingen mag, eröffnet sich ein weitläufiges Feld verschiedener Fragestellungen, die in dieser Arbeit behandelt werden. Wie ist etwa die Kopplung von Genre und Gender zu perspektivieren, wenn sie doch als komplexes Arrangement unterschiedlichster interkategorialer Bezüge auftritt? Wie lässt sich dies untersuchen? Welche Beispiele mögen sich dabei als geeignet erweisen? Und nicht zuletzt: Welche Entwürfe scheinen trotz – und aufgrund – der Annahme einer schwerlich zu vereinheitlichenden Beschreibung produktiv, um sich der Komplexität interkategorialer Verknüpfungen überhaupt anzunähern, um sie in den Kontext einer Kategorienkrise zu rücken und hierin als Artikulation der Vielfalt diskursiver Prozesse zu begreifen? Nun ergeben sich mit der zugrundeliegenden Annahme allerdings nicht bloß verschiedene Fragestellungen. Sie liest sich indes auch ein Stück weit redundant. So kann die in den letzten Dekaden rasant zugenommene Forschung zu Genre und Gender als Ergebnis der komplexen Arrangements interkategorialer Verbindungen
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begriffen werden, wodurch die vorgebrachte Vermutung mehr als Kondensat bisheriger Forschung denn als Anstoß für weitere Überlegungen auftritt. Und auch die Frage nach der spezifischen Artikulation einer kategorialen Krise wirkt schon aufgrund ihrer häufigen Diagnose nahezu uninteressant, zumal sie die Notwendigkeit einer ›Lösung‹ (samt deren Potenziale) vermeintlich in den Hintergrund stellt. Inwiefern ist diese Annahme also überhaupt produktiv? In welchem Verhältnis steht sie zu anderen Ansätzen, die sich der Verbindung von Kategorien widmen? Und wie verortet sie sich in der aktuellen Forschung, wenn sowohl die gemeinsame Beobachtung von Kategorien, von Genre und Gender, als auch die Diagnose ihrer Krise bereits bekannt, ja sogar evident sein mag? Dies soll anhand einer interdisziplinären und problemorientierten Rahmung beantwortet werden, sodass die hier verfolgte Vermutung als Ergänzung, aber auch als Erweiterung bisheriger Untersuchungen begreifbar wird – als ein Versuch, in dem Impulse der Gender Studies und der Medienkulturwissenschaft gleichermaßen berücksichtigt werden. So mag das Verhältnis zwischen Kategorien sicherlich Angelpunkt vielfältiger Diskussionen sein; es gerät gar zu einem Gegenstand, der in der genderwissenschaftlichen Intersektionalitätsforschung und in der medienkulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Interdependenz von Genre und Gender äußerst zentral ist. Und sicherlich geschieht dies auch vor dem Hintergrund einer Krisendiagnose, denn Voraussetzung scheint bei beiden doch die Einsicht in die Konstruiertheit von Kategorien zu sein. Allerdings mangelt es an Entwürfen, die sich dem Wie einer solchen Hervorbringung widmen, die aus der Relation der Kategorien heraus nach den spezifischen Prozessen ihrer Konstruktion fragen – zumal die erwähnten Ansätze verschiedentlich Leerstellen bergen, denen in ihrer Verknüpfung entgegenzuwirken ist. Unter dem Begriff der Intersektionalität formiert sich derzeit eine Forschungsperspektive, die gar »auf dem besten Weg [ist], zu einem neuen Paradigma in den Gender und Queer Studies zu avancieren.«1 So geht es zunehmend nicht mehr ›nur‹ darum, Gender als »normatives Ausschlussverfahren«2 kenntlich zu machen und die Einteilung nach Geschlechtern – häufig ›Mann oder Frau‹ – anhand singulärer Konstruktionsprozesse, etwa ihrer Naturalisierung, zu verfolgen. Vielmehr gilt es, dies auch mit Blick auf weitere Kategorien und ihre Kreuzungen, Überlappungen, Schnittmengen, kurz: mit Blick auf Intersektionen zu untersuchen.3 In Teilen der
1
Gabriele Winkler/Nina Degele: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld 2009, S. 10.
2 3
Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies. Berlin 2008, S. 12. Die Vielzahl der Begriffe, die allesamt in der Intersektionalitätsforschung florieren, ist frappierend und bildet eine methodische Schwierigkeit, wie es sich auch in den Alterna-
E INLEITUNG
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Queer Theory, der Postcolonial Studies und vieler weiterer Bereiche präfiguriert und durch einen rechtswissenschaftlichen Anstoß seitens Kimberlé Crenshaws initiiert,4 sollen Verschränkungen aufgezeigt werden, die im Zusammenspiel verschiedener Unterdrückungsmechanismen identitätspolitisch wichtiger Alternativen bedürfen.5 Dadurch bietet Intersektionalität, zumindest in der Absicht Crenshaws, »a provisional concept linking temporary politics with postmodern theory«.6 Doch das Interesse der Intersektionalitätsforschung richtet sich neben dieser enorm brisanten Intention auch auf eines der entscheidenden Probleme der Gender Studies: das sogenannte Etc.-Problem. Zwar wird der Verschränkung verschiedener Differenzbildungen nämlich durchaus häufig und schon seit geraumer Zeit nachgegangen – derartige Entwürfe verbleiben aber zumeist an der »Triade Race, Class, Gender«7 und ergänzen sie durch ein et cetera. Auf diese Weise werden »bestimmte Kategorien in ihrer Verknüpfung mit Gender favorisiert«;8 gerade die These einer Triple Oppression scheint Nährboden für eine Vielzahl äußerst diverser (und fraglos produktiver) Betrachtungen zu sein – auch wenn weitere Kategorien darin kaum Erwähnung finden. Umgekehrt entstehen Unschärfen, denn in der Beliebigkeit eines et cetera werden die Prozesse einer Verbindung zwischen Kategorien gewissermaßen voraussetzend übergangen und gar nicht erst präzise erfasst.
tiven Heterogenität, Diversity oder Interdependenz zeigt. Vgl. hierzu Katharina Walgenbach/Gabriele Dietze/Antje Hornscheidt/Kerstin Palm: Einleitung. In: dieselben (Hg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen/Farmington Hills 2007, S. 7-22, hier S. 7. 4
Crenshaws Vorstoß gilt gemeinhin als einer der ersten und zugleich wirkungsvollsten Ansätze, der die Verbindung von Gender mit anderen Kategorien über den Begriff der Intersektionalität ins Zentrum rückt. Vgl. Kimberlé Crenshaw: Intersectionality and Identity Politics: Learning from Violence Against Women of Color. In: Mary Lyndon Shanley/ Uma Narayan (Hg.): Reconstructing Political Theory. Feminist Perspective. University Park, Pennsylvania 1997, S. 178-193, hier S. 180.
5
Vgl. ebd., S. 178.
6
Ebd., S. 180.
7
Dagmar Vinz: Klasse und Geschlecht – eine umkämpfte Verbindung in Theorien zu Intersektionalität und Diversity. In: Sandra Smykalla/dies. (Hg.): Intersektionalität zwischen Gender und Diversity. Theorien, Methoden und Politiken der Chancengleichheit [Forum Frauen- und Geschlechterforschung 30]. Münster 2011, S. 61-75, hier S. 61.
8
Antje Hornscheidt: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen. Aspekte sprachlicher Normalisierung und Privilegierung. In: Katharina Walgenbach/Gabriele Dietze/dies./Kerstin Palm (Hg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen/Farmington Hills 2007, S. 65-105, hier S. 92.
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Der Fokus auf Intersektionen nun soll dazu eine Alternative bilden. Wie es mitunter bereits in der Beschreibung als Kreuzung anklingt,9 gilt es, punktuelle Momente einer Verknüpfung verschiedener Kategorien zu beobachten und ihr Zusammenwirken ebenso wie ihre Konflikte – ihre Über- und Durchkreuzungen – herauszuarbeiten. Die Spezifik solcher Intersektionen steht hierbei im Zentrum, denn erst in ihrer genauen Erfassung kann die Verschränkung verschiedener Differenzbildungen samt ihrer teils drastischen Konsequenzen entschlüsselt werden und schließlich Lösung erfahren. Die Komplexität des metaphorischen Straßennetzes soll also anhand singulärer Verbindungen zwischen Kategorien, ihrer vielfältigen ›Interaktionen‹ und ihrer zuweilen perfiden Verfasstheit beleuchtet werden. Allerdings eröffnet dies eine Schwierigkeit, die sich gar als Mangel einer Auseinandersetzung mit der Frage, »how to study intersectionality«,10 begreifen lässt. So geht die Intersektionalitätsforschung »tendenziell von isolierten Strängen aus«,11 unter denen sich dann zwar einzelne Verbindungen in ihrer Spezifik identifizieren lassen – abseits dieser werden Kategorien jedoch weiterhin separiert. Aus dem Straßennetz voller verschiedener Kreuzungen wird eine Einbahnstraße, die Gefahr läuft, dass »traditionelle Vorstellungen davon, was eine Kategorie ist, reproduziert und verfestigt werden«12 – zumal demgegenüber das Potenzial eines et cetera, etwa im Sinne einer nicht abschließbaren Signifikation,13 unberücksichtigt bleibt. Die auch von Crenshaw beabsichtige methodische Anregung, »a methodology that will ultimately disrupt the tendencies to see [categories like] race and gender as exclusive or separable«,14 gerät in einen Fallstrick; selbst mit dem Verweis auf singuläre Überlappungen kann eine Vorgängigkeit von Kategorien beibehalten werden, womit sich womöglich sogar erneut eine Vorgängigkeit der Dichotomie ›Mann oder Frau‹ behaupten ließe.
9
In der Betonung der Intersektionalität von Gender eröffnet sich ein weitläufiges Feld, das die Verbindung von Gender mit anderen Kategorien als Moment in einer Reihe vieler Weiterer begreift, die Metapher der Kreuzung als Teil eines großen Verkehrsnetzes entwirft. Allerdings bestehen – weiterhin – verschiedene Präferenzen, sodass gegenwärtige Diskussionen Gefahr laufen, das et cetera schlicht wegfallen zu lassen. Vgl. auch die Einschätzung bei Winkler/Degele: Intersektionalität, S. 12.
10 Leslie McCall: The Complexity of Intersectionality. In: Signs. Journal of Women in Culture and Society 3.30/2005, S. 1771-1800, hier S. 1771 [Herv. i.O.]. 11 Walgenbach/Dietze/Hornscheidt/Palm: Einleitung, S. 9. 12 Hornscheidt: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen, S. 98. 13 Vgl. hierzu etwa auch Judith Butler: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity [2. Auflage]. New York/London 1999, S. 196. 14 Crenshaw: Intersectionality and Identity Politics, S. 178.
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Obgleich die hier nur knapp skizzierte Intersektionalitätsforschung durchaus »eines der aktuellsten und interessantesten Forschungsgebiete«15 darstellt und konzeptionelle wie methodische Öffnungen verspricht, so bestehen dennoch Schwierigkeiten, durch die man hinter die eigentliche Absicht zurückfallen kann. Das Etc.Problem und seine Lösung entlang singulärer Intersektionen verdeutlicht dies mit Blick auf die Frage, wie das Verhältnis zwischen Kategorien überhaupt zu erfassen ist – zugleich entsteht aber auch eine Anregung: In der Intersektionalität von Kategorien wird ein Weg erschlossen, um sich ihrer diskursiven Genese wie auch Wirkmacht anzunähern, um Gender als »ein in und durch Diskurse bedeutungsmäßig gefülltes oder in und durch Diskurse überhaupt erst geschaffenes Kategoriensystem«16 zu untersuchen. Und genau dieser Weg soll in der vorliegenden Arbeit eingeschlagen werden, denn das Interesse an der Kopplung von Genre und Gender ist weder per se (und damit vorausgehend) als ein exklusives Moment ebendieser beiden Kategorien zu begreifen noch fungiert es als schlichter Ersatz für ein et cetera.17 Stattdessen wird die in der Intersektionalitätsforschung angestoßene Konzeption und insbesondere ihre methodische Orientierung zum Anlass genommen, um anhand der Verbindung der Kategorien ihre Entstehung, ihre Geltung sowie ihre inhärenten Spannungsmomente offenzulegen. Sowohl Genre als auch Gender werden in ihrer Relationalität untersucht, in ihrer konstitutiven Verquickung, mittels derer die Kategorien überhaupt erst hervorgebracht werden. Der Spezifik solcher Verknüpfungen gilt dabei besondere Aufmerksamkeit, denn diese erlaubt es, eine vorgängige Bestimmung der Kategorien (sowie ihrer Verbindungen) zu vermeiden –
15 Patricia Purtschert/Katrin Meyer: Die Macht der Kategorien. Kritische Überlegungen zur Intersektionalität. In: Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung 28.1/2010, S. 130-142, hier S. 130. 16 Hornscheidt: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen, S. 75. 17 Ein solcher Zugriff würde letztlich in die hier angerissenen Problemfelder münden. Allerdings unterminiert dies innerhalb der derzeitigen Ausrichtung der Intersektionalitätsforschung nicht die Notwendigkeit, auch abseits identitätsstiftender Kategorien Verquickungen nachzuzeichnen – zumal Genres umgekehrt Anteil an Identitätskonstruktion und ihrer zwanghaften Verfasstheit haben: Eine Kennzeichnung als ›Krimifan‹ oder ›Musicalstar‹ mag zwar voluntaristisch erscheinen und lediglich Präferenzen bzw. Leistungen ausdrücken, durch die Gewichtung entlang etablierter Genrebegriffe ist dies aber keinesfalls beliebig, womit sich tendenziell eine normierende Dimension innerhalb der Schaffung einer Identität qua Genre abzeichnet. Besonders deutlich wird dies auch in der Verquickung zu Gender, beispielsweise indem der woman’s film als Genreeinteilung zugleich eine geschlechtliche Kategorisierung mit sich führt, welche in der Kennzeichnung einer Präferenz oder einer Leistung mitunter sogar spannungsvoll sein mag.
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zumal jene konstitutive Beziehung zwischen Genre und Gender, wie es die Medienkulturwissenschaft pointiert, auch als eine Wechselseitige zu betrachten ist. Während das Verhältnis zwischen Kategorien in der Intersektionalitätsforschung seit den 2000er Jahren zunehmend im Fokus steht, so ist dies zumindest implizit auch in anderen Kontexten angelegt: in der Medienkulturwissenschaft etwa und ihrer gemeinsamen Betrachtung von Genre und Gender.18 Dabei gelangt eine Perspektive zu Gewicht, die in unterschiedlicher Weise darauf aufmerksam macht, dass sich beide Kategorien einander bedingen. Genre und Gender sind etwa forschungsgeschichtlich »bereits von Beginn der feministischen Filmforschung in den 70er-Jahren an als wechselseitige Bezugsgrößen zu begreifen«;19 ihre Relation ist als ein »kompliziertes Wechselspiel«20 zu bestimmen. Die Beziehung beider lässt sich demnach als Abhängigkeit konzeptualisieren, als Interdependenz, die jedoch nicht per se gegeben ist, sondern – vergleichbar zur Intersektionalitätsforschung – darauf gründet, dass sie im »Zusammenspiel heterogener Diskurse«21 prozessiert wird. Aber auch hier treten – ebenso vergleichbar zur Intersektionalitätsforschung, allerdings spezifisch anhand der diskutierten Verbindungen – Problemfelder hervor. Die Palette der Entwürfe, die sich der Interdependenz von Genre und Gender widmen, ist überaus vielfältig und reicht beispielsweise »[v]om Western (das männliche Gegenstück zum Melodrama) zum Musical (das Genre, welches die Fetischisierung des weiblichen, jedoch auch männlichen Körpers zum Spektakel in den nicht narrativen Musikeinlagen geradezu erzwingt), vom Film Noir (die intelligente, sexuell aktive und dominante Femme fatale muss sich erst in den letzten Filmminuten – Hoch-
18 Abseits des Interesses am Verhältnis zwischen Kategorien zeigen sich im Übrigen auch Parallelen in der disziplinären Relevanz. So kann hier – ähnlich zur Einschätzung von Gabriele Winkler und Nina Degele – eine Entwicklung als Paradigma behauptet werden; etwa heißt es jüngst bei Peter Scheinpflug: »Die Interdependenz von Genre und Gender hat in den letzten Jahren in den filmwissenschaftlichen Genre-Theorien eine beinahe schon dominante Stellung als Paradigma eingenommen.« Peter Scheinpflug: Formelkino. Medienkulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo. Bielefeld 2014, S. 201. 19 Gereon Blaseio: Genre und Gender. Zur Interdependenz zweier Leitkonzepte der Filmwissenschaft. In: Claudia Liebrand/Ines Steiner (Hg.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, S. 29-44, hier S. 30. 20 Claudia Liebrand: Gendertopographien. Kulturwissenschaftliche Lektüren von Hollywoodfilmen der Jahrhundertwende. Köln 2003, S. 10. 21 Irmela Schneider: Genre und Gender. In: Elisabeth Klaus/Jutta Röser/Ulla Wischermann (Hg.): Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Wiesbaden 2001, S. 92-102, hier S. 99.
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zeit oder Tod – der symbolischen Ordnung unterwerfen) zum Horrorfilm (die Visualisierung monströser Weiblichkeit auf der einen und die Erzählung des dem System erfolgreich trotzenden ›final girls‹ auf der anderen Seite).«22
Jedoch teilt sich, wie es verschiedene Arbeiten zeigen,23 das Gros der Forschung in zwei Richtungen, die entweder genderspezifische Genrepräferenzen oder genrespezifische Genderrepräsentationen untersuchen. Entlang dieser ergeben sich unterschiedliche Zugriffe – gleichwohl zeigen sich für beide Richtungen aber ähnliche Probleme, die schon in der vorgeschlagenen Benennung anklingen. So handelt es sich bei beiden um eine mehr oder weniger offensichtliche Unterordnung: Gender ist Teil von Vorlieben, die sich entlang verschiedener Genres differenzieren, oder Gender ist Teil dessen, was ein Genre darstellt. Obwohl »eine Vorentscheidung der Prädominanz des Kulturellen (Gender) beziehungsweise Medialen (Genre) zu vermeiden«24 ist und die jeweiligen Ansätze produktive Beiträge zur Erfassung des Verhältnisses zwischen den Kategorien leisten – einem Aspekt wird kaum nachgegangen: der wechselseitigen Konstitution beider Kategorien in ihrer Verknüpfung. Von einigen durchaus wichtigen Ausnahmen abgesehen tendieren die beiden großen Richtungen innerhalb der Forschung zu Genre und Gender dazu, »[a]uf der Folie eines undifferenzierten Genre-Begriffs […] Verschiebungen auf der Ebene der Gender-Repräsentationen«25 zu beobachten oder sie geraten in eine bereits methodisch angezeigte Problemlage, wenn »aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit Rückschlüsse auf vermeintlich männliches oder weibliches Rezeptionsverhalten gezogen werden.«26 Und beides führt dazu, dass Gender »überwiegend als Merkmal
22 Andrea B. Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung. Marburg 2008, S. 75. 23 Vgl. etwa ebd., S. 74 f. oder auch Scheinpflug: Formelkino, S. 204. 24 Claudia Liebrand/Ines Steiner: Einleitung. In: dieselben (Hg.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, S. 7-15, hier S. 15. 25 Blaseio: Genre und Gender, S. 43. 26 Irmela Schneider: Genre, Gender, Medien. Eine historische Skizze und ein beobachtungstheoretischer Vorschlag. In: Claudia Liebrand/Ines Steiner (Hg.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, S. 16-28, hier S. 23. Im Grunde handelt es sich dabei sogar um zwei Probleme. Zum einen stellt die Operationalisierung eine zumeist unbeachtete Schwierigkeit dar, denn: Welches Beschreibungssystem wird überhaupt angelegt, über ›welches‹ Gender – das Anatomische, das Genetische, das Vestimentäre etc. – wird wie eine Auskunft ermittelt? Zum anderen wird einer solchen Perspektive zumeist eine Kausalbeziehung angehängt, die sich aufgrund der Zugriffsweise, einer Korrelation von Genrepräferenz und Genderzuordnung, gar nicht ergeben kann und daher bestenfalls Hypothesen generiert.
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der Genres angesehen [wird] und nicht umgekehrt.«27 Dies hat – wie es sich auch für die Intersektionalitätsforschung in ihrer Betonung identitätsstiftender Kategorien behaupten lässt – zur Konsequenz, dass Genre kaum als Teil von Gender begriffen wird. Wichtiger aber ist, dass dadurch eine genrekonstitutive Dimension von Gender unberücksichtigt bleibt: Wenn Gender von vorne herein als eine genrerelevante Größe begriffen und dahingehend untergeordnet wird, so stellt sich gar nicht erst die Frage, wie Gender Einzug in Genre(s)28 erhält und dabei zur Bestimmung beiträgt. Dies ist bereits entlang des jeweiligen textanalytischen Vorgehens29 oder – deutlicher noch – mit Blick auf das Rezeptionsverhalten beantwortet, sodass auch hier eine Leerstelle ruht, welche mitunter noch zu weiteren Kurzschlüssen einlädt.30 Wenngleich die Absicht der medienkulturwissenschaftlichen ›Interdependenzforschung‹ im Aufzeigen der wechselseitigen Konstitution beider Kategorien besteht, so formieren die zurzeit gängigen Modelle doch eine vorausgehende und darin äußerst prekäre Zugriffsweise – eine Zugriffsweise, die bei allen Unterschieden auch in der Beobachtung von Intersektionen, in der Engführung auf separierte Bereiche einer Kreuzung, auftritt. Die beiden hier umrissenen Forschungsfelder verbindet allerdings noch mehr:31 eine gemeinsame Axiomatik, die als Kategorienkrise gleich doppelt zu berücksichtigen ist – sie avanciert zur theoretisch privilegierten Perspektive, gerät aber auch zur häufig un(ter)bestimmten Diagnose. Unter dem Begriff der Krise lässt sich eine Vielzahl von Phänomenen subsumieren, die allesamt im Kontext eines Zweifels an Kategorien, ihrer Gültigkeit und Eindeutigkeit stehen. Ob es dabei um Beobachtungen des Postmodernen, des Trans-
27 Blaseio: Genre und Gender, S. 43. 28 Diese inkludierende Klammersetzung wird im Folgenden häufig verwendet. Sie verdeutlicht, dass sowohl die Kategorie Genre als auch einzelne Genrekategorien gemeint sind und beide durch Gender beeinflusst werden können; mit Einschränkungen mag sogar die Generizität im Sinne einer Genrezuordbarkeit durch Gender bedingt sein. 29 Der hier verwendete – weite – Textbegriff gründet auf Annahmen der Cultural Studies, ist allerdings gerade im Hinblick auf die medienspezifische Verfasstheit kultureller Artefakte zu reflektieren. 30 Frappierend ist in dieser Hinsicht, dass nur wenige methodische Überlegungen erfolgen und insbesondere Operationalisierungen zumeist unbeachtet bleiben; selbst die Korpuswahl wird oft kaum erläutert. 31 Die Nähe beider Ansätze wird im Übrigen sogar in der Aufnahme der jeweils anderen Bezeichnungspraktiken deutlich. Vgl. etwa die nicht erfolgende Unterscheidung von Interdependenz und Intersektionalität bei Christine Gledhill: Introduction. In: dies. (Hg.): Gender Meets Genre in Postwar Cinemas. Urbana/Chicago/Springfield 2012, S. 1-11, hier S. 1 oder sogar die Entscheidung für Interdependenz anstelle von Intersektionalität bei Walgenbach/Dietze/Hornscheidt/Palm: Einleitung, S. 9.
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vestitischen und des Hybriden, um die Unschärfe, die Übertretung und die Vieldeutigkeit von Kategorien oder um Differenzierungsbedürfnisse, politische Interventionen und die Suche nach neuen Wegen in der Beschreibung jener kategorialen Entgrenzungen geht – facettenreich lässt sich eine »category crisis«32 diagnostizieren, »a failure of definitional distinction, a borderline that becomes permeable, that permits of border crossings from one (apparently distinct) category to another«.33 Auch in Berücksichtigung ihrer je eigenen Spezifika erscheint schon das Aufkommen und die Präsenz solcher Ansätze charakteristisch, um ein zunehmendes Interesse an kategorialen Überschreitungen, am Verlust der Geltung und der Statik von Kategorien zu konstatieren, zumal dies eine Fülle alternativer Konzepte mit sich bringt, die unterschiedlich produktiv sein mögen. Im Rahmen dieses weitläufigen (und keinesfalls bloß akademischen) Interesses an kategorialen Entgrenzungen bietet der Begriff der Krise eine Möglichkeit zur summarischen Beschreibung, da er nicht die bloße Verneinung kategorialer Einteilungen meint, sondern mehr noch als eine Herausforderung gilt, vor der Kategorien stehen.34 Und genau darin liegen Potenziale. So bricht die Krisendiagnose mit der normierenden Wirkmacht kategorialer Einteilungen, indem sie zeigt, dass Kategorien – im Konnex aus Wissen und Macht verortet – als Leistungen diskursiver Prozesse angesehen werden müssen. Kategorien sind nichts Gegebenes, sondern Entstandenes; ihre Unschärfe und Überschreitung ist ›vorprogrammiert‹, denn in der Betonung ihrer konstruierten Herkunft ergibt sich ihre Flexibilität. Dies zeichnet sich auch in den beiden hier skizzierten Bereichen ab, denn beide gründen darauf, dass die jeweils fokussierten Kategorien nicht von vorne herein als unhintergehbare Größen auftreten. Vielmehr sind sie das Ergebnis verschiedener Hervorbringungsund Stabilisierungsprozesse, die sich ihrerseits in der Beziehung zwischen Kategorien herauskristallisieren – entsprechend der Intersektionalitätsforschung als ein spezifisches Arrangement und entsprechend der ›Interdependenzforschung‹ als ein Wechselseitiges. Allerdings birgt die Krisendiagnose nicht bloß Potenziale – sie eröffnet hingegen auch Schwierigkeiten, indem der Wirkmacht kategorialer Einteilungen samt ihrer epistemischen Relevanz nur bedingt Aufmerksamkeit geschenkt wird. So sind Kategorien nicht allein das Resultat machtgetränkter Konstruktionsleistungen, die es erlauben, ihre Geltung zu hinterfragen und sie dadurch zu kritisieren. Stattdessen dienen sie ebenso der Beobachtung, sie sind ein – wenn nicht gar der – konstitutive
32 Marjorie Garber: Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety [1992]. New York 1997, S. 16. 33 Ebd. 34 Vgl. grundlegend Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Freiburg/München 1959, S. 105.
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Faktor, über den Wissen generiert wird. In dieser Hinsicht erweisen sie sich als überaus produktiv und sind letztlich nicht bloß Folge, sondern auch Teil jener Konstruktionsprozesse. Die Krisendiagnose trägt dem jedoch nur eingeschränkt Rechnung, denn obgleich sie genau diese Perspektive in einem diskurstheoretischen Rahmen anlegt, so mündet sie häufig in einer Kritik, die sich durch das Versagen (»failure«) von Kategorien begründet und mehr das Ergebnis denn den Prozess betont.35 Außerdem wird gerade durch die Tendenz einer Lösung, durch das Ersetzen und unter Umständen durch das Propagieren von Alternativen, die Komplexität jener Hervorbringungs- und Stützungsprozesse, die Wechselseitigkeit machtgetränkter und wissensgenerierender Mechanismen, aus den Augen verloren. Wenn sich Kategorien als ungenügend erweisen, warum sollten sich dann – so ließe sich zuspitzen – diejenigen Prozesse, die sie hervorbringen und innerhalb derer sie verankert sind, als komplexe und vielschichtige Arrangements gestalten? Die Diagnose einer Kategorienkrise führt demnach zu einer Dopplung: Zum einen sind mit ihr Defizite verbunden, die sich gerade in der Lösung durch alternative Konzepte zeigen und hierin den Ermöglichungscharakter kategorialer Unterscheidungen ausblenden – zumal vielfach die darin evozierten beobachtungstheoretischen Konsequenzen, die Frage etwa, wie Kategorien in ihrer Krise zu erfassen sind, kaum berücksichtigt werden. Zum anderen erwachsen diese Problemfelder jedoch aus einer Perspektive, die aufzeigen möchte, wie Kategorien ›funktionieren‹, wie sie im Konnex aus Wissen und Macht entstehen, zirkulieren und sich festigen. Und genau hierin liefern sowohl die Intersektionalitätsforschung als auch die Betrachtung der Interdependenz zwischen Genre und Gender wichtige Impulse, durch die die Krise zu einem Beobachtungsansatz und nicht bloß zu einer Diagnose wird. Insofern auf der einen Seite die Beschreibungsadäquatheit kategorialer Einteilungen mit dem Verweis auf ihre konstruierte Herkunft ins Wanken gerät – die Krise diagnostiziert wird und alternative Konzepte auf den Plan ruft –, auf der anderen Seite aber die ›Interaktion‹ von Kategorien hierin einen Zugang bildet, um ebenjene Feststellung zu plausibilisieren – die Krise als Phänomen zu analysieren und überhaupt erst zu begründen –, gelangt die Beziehung zwischen Kategorien und insbesondere zwischen Genre und Gender zu Brisanz. Sie ist in ihrer diskursiven Gestaltung zu untersuchen, im Spannungsfeld zwischen Wissensgenerierung und Machtausübung, das sich entsprechend der Intersektionalitätsforschung in der Verbindung
35 Dies mag sich insbesondere in identitätspolitischen Kontexten zeigen, kann jedoch auch – wie es Ian Hacking darstellt – als eine argumentative Strategie innerhalb konstruktivistischer Ansätze gelten, die sich dann – wie es Irmela Schneider hervorhebt – für die Kopplung von Genre und Gender als überaus prekär erweist. Vgl. Ian Hacking: The Social Construction of What? Cambridge, Massachusetts/London 1999, S. 9 sowie Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21.
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zwischen Kategorien spezifisch beobachten lässt und das entsprechend der ›Interdependenzforschung‹ für Genre und Gender als wechselseitig hervorzuheben ist. Der Begriff der Krise, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt, bündelt sich demnach entlang seines konzeptionellen (jedoch nicht zwingend diagnostischen) Gehalts und eröffnet ein Verständnis, das Kategorien in ihrer Verknüpfung als Manifestationen des Konnexes aus Wissen und Macht bestimmt, das sie als Teil des »Regime[s] des Wissens«36 analysiert und darin gleichfalls verortet.37 Dem Diskursbegriff kommt somit eine dreifache Position zu, wobei dies – auch in Anbetracht einer methodischen Sensibilisierung – nicht eine Auflösung »im Nebel eines ›alles ist Diskurs‹«38 zur Folge haben soll: Er erlaubt es, (1) Kategorien als Instrumente des Wissens und der Macht zugleich zu begreifen, wobei (2) ebendiese Einsicht dann als Kategorienkrise spezifische Diskursformationen aufruft und schließlich (3) anhand der Kopplung von Genre und Gender – als eine Entscheidende dieser Formationen – beobachtet werden kann. Die vorliegende Arbeit betrachtet die Verknüpfung von Genre und Gender entlang der hier umrissenen Forschungsfelder als Zugriff auf diskursive Prozesse und beabsichtigt dadurch, die vielfach vorgebrachte Diagnose ihrer Krise zu spezifizieren. Innerhalb dieses diskurstheoretischen Rahmens eröffnen sich bereits vorab verschiedene Konsequenzen: Zunächst müssen disziplinäre und sprachliche Grenzen nicht gewahrt werden, sondern sind mittels des zugrundeliegenden Verständnisses zu verbinden. Dem wird in der Arbeit schon durch die nicht erfolgende Differenzierung zwischen dem literaturwissenschaftlichen Begriff der Gattung und dem filmwissenschaftlichen Begriff des Genres39 sowie in der variablen Verwendung von
36 Michel Foucault: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts. In: ders./Walter Seitter (Hg.): Das Spektrum der Genealogie. Bodenheim 1996, S. 14-28, hier S. 20 [Herv. i.O.]. 37 Dieser Zugriff wird etwa auch von Lann (vormals Antje) Hornscheidt angeregt, denn »mit einem diskursiven Verständnis [kann] zugleich auch die Schaffung von Gender als Kategorie bzw. kategoriale Klassifizierung in den Fokus genommen werden«. Hornscheidt: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen, S. 75 [Herv. i.O.]. 38 Andrea D. Bührmann/Werner Schneider: Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse. Bielefeld 2008, S. 14. 39 Unter Genre wird in dieser Arbeit die Einteilung medialer Artefakte begriffen, sodass etwa auch Gattung ebenso wie Format hinzuzählen. Dies erlaubt es, verschiedene disziplinäre Entwürfe zusammenzudenken, trägt aber auch bestehenden Diskurshegemonien, beispielsweise der Dominanz englischsprachiger Genretheorien, Rechnung – zumal sich umgekehrt eine Differenzierung »auf die angloamerikanische Forschungsdebatte nicht rückbeziehen [lässt]«. Blaseio: Genre und Gender, S. 32 [in Anm.].
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Geschlecht und Gender40 Rechnung getragen. Doch auch abseits dieser ›Vorbemerkungen‹ ergeben sich weitere Folgen, die gerade für die angelegte Beobachtung bedeutsam sind. Anstatt Kategorien im Kontext einer Krisendiagnose als unnötig, weil unzureichend, abzutun (oder sie im Rahmen ihrer wissensgenerierenden Potenziale als notwendiges Übel zu werten), tritt ihre diskurstheoretisch angezeigte Komplexität. Sie zeichnen sich durch eine Vielschichtigkeit aus, die, wie es Andrea Seier im Rückgriff auf Michel Foucault formuliert, durch eine »›taktische Polyvalenz‹ einzelner Diskurse und Diskurselemente innerhalb eines vielfältigen und beweglichen Kräfteverhältnisses«41 entsteht. Genau diese Vielfalt und Dynamik äußert sich – so die Vermutung – in der changierenden, zuweilen widersprüchlichen Verbindung von Genre und Gender. Wenn nun aber die Kategorien in ihrer Komplexität hervortreten sollen und über die Diskursivierung42 interkategorialer Kopplungen Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Spezifik (sowie die ihrer Krise) gewonnen werden können, dann sind auch diejenigen Mechanismen, durch die eine Kopplung überhaupt arrangiert wird, in ihrer Vielfalt zu untersuchen. Es geht folglich nicht darum zu zeigen, inwiefern Kategorien als unzureichende, vielleicht auch unausweichliche Größen auftreten, sondern anhand ihrer Kopplung sowie ihrer verschiedenen Kontexte zu verdeutlichen, inwiefern sie in sich von Ambivalenzen geprägt sind – wobei der Begriff der Ambivalenz als umbrella term fungiert und in diskursanalytischer Hinsicht je unterschiedlich zu füllen ist. Umgekehrt darf jenes Ungenügen jedoch nicht außer Acht gelassen werden; es soll keineswegs eine Nobilitierung von Kategorien, eine Konzeption als statische
40 Die Begriffe Gender und Geschlecht werden variabel verwendet, da es jegliche geschlechtliche Einteilung, auch Medizinische und Biologische, als Konstruktionsprozesse zu beobachten gilt; spätestens mit Judith Butlers Revision der Sex-Gender-Trennung wird zur Beschreibung lediglich ein Begriff, Gender bzw. – wie im Deutschen üblich – Geschlecht, benötigt. Dieser ›Umkodierung‹ von Geschlecht als Gender soll im Gebrauch beider Begriffe Rechnung getragen werden. 41 Andrea Seier: Kategorien der Entzifferung: Macht und Diskurs als Analyseraster. In: Hannelore Bublitz/Andrea D. Bührmann/Christine Hanke/dies. (Hg.): Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt a.M./New York 1999, S. 75-86, hier S. 81. 42 Der Begriff der Diskursivierung – obgleich selten verwendet – ist als Beschreibung eines Beobachtungsprozesses bewusst gewählt. Er markiert die im diskurstheoretischen Rahmen wichtige Ausgangsannahme, dass Diskurse »nicht direkt als reale Entitäten zugänglich [sind]. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Beobachter-Unterstellung«. Reiner Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms [3. Auflage]. Wiesbaden 2011, S. 208 [in Anm.].
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und womöglich wesenhafte Entitäten, angeregt werden. Wohlwissentlich um diese Gefahr wird daher Abstand davon genommen, Zuschreibungen zu formieren, etwa mit Blick auf das gewählte Beispiel eine Kategorisierung als Musical vorzunehmen. Stattdessen soll – beobachtungstheoretisch begründet – an Zuschreibungen angeschlossen werden.43 Dadurch können sie einerseits direkt als beobachterrelative Setzungen hervortreten; es sind ausschließlich Attributionen, die als solche schon konstruierte Sinngebungen darstellen. Andererseits wird hierbei aber ebenso betont, dass derartige Zuschreibungen nicht beliebig oder gar wirkungslos sind, indem sie methodisch konsequent in ihrer diskursiven Einbettung beleuchtet werden.44 Dieses Moment, das das Verhältnis von Genese und Wirkmacht anhand von Attributionen erschließt, begründet sich allerdings auch von anderer Seite: So wird eine ›eigene‹ Kategorisierung nicht vermieden, weil dies die vermeintlich bessere Option darstellt, sondern weil dadurch Anregungen erfolgen, weil dadurch die Frage, wann etwa eine Beschreibung als Musical entsteht und Geltung erlangt, in den Vordergrund tritt. Anstelle Genre und Gender also neuerlich in Stein zu meißeln45 oder sie in ihrer Krise gänzlich zu verabschieden, geht es vielmehr darum, dass die Kategorien be-
43 Von daher wird etwa auch die (während der Entstehung der Arbeit häufig gestellte) Frage, ob das Film- oder das Theatermusical im Fokus steht, zunächst möglichst unbeantwortet bleiben, denn selbst solche scheinbar basalen Differenzierungen gilt es in der Beobachtung von Diskursen zu erschließen. Grundlage bleibt indes aber stets das Musical, d.h. der Begriff als eine sprachliche Praktik, die sinntragend und zugleich sinnstiftend ist. 44 Der Anschluss an Attributionen vermag es dabei auch ein Problemfeld zu vermeiden, das der Betonung der Beobachterabhängigkeit zumindest implizit innewohnt: Wenn die Konstrukthaftigkeit von Kategorien in ihrer beobachterrelativen Setzung hervorgehoben wird, dann neigt eine derartige Perspektive doch zugleich dazu, Kategorien einer Beliebigkeit preiszugeben, sie allein als vom Beobachter gesetzte und kontingente Instrumente zu begreifen. Dies ignoriert allerdings, dass selbst in einer Beobachtung Grenzen bestehen, indem etwa auch hier sprachliche Regulierungen als wirkmächtige Einschränkungen fungieren. Außerdem läuft diese Perspektive Gefahr, den Beobachter als entscheidende Instanz auszuweisen und ihn dadurch diskursiven Mechanismen zu entheben, im Grunde sogar neuerlich ein autonomes Subjekt wieder einzuführen. Dieses Spannungsmoment beobachtungstheoretischer Überlegungen wird in dieser Arbeit freilich nicht gelöst, es soll aber eine Sensibilisierung angeregt werden. 45 Diese Formulierung stellt nicht bloß eine Anspielung auf architektonische Praktiken dar, die sowohl Genre als auch Gender mitunter plakativ hervorheben, sondern eröffnet auch eine Erweiterung – beide Kategorien ließen sich womöglich ebenfalls anhand dispositivanalytischer Zusammenhänge fokussieren, innerhalb eines »Ensemble[s], das Diskurse, Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze,
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reits in sich genau dieses Feld um Statik und Dynamik, essentialistische und konstruktivistische Konzeptionen beinhalten und somit aus sich heraus ein Changieren zwischen diesen Positionen begründen. Die Verknüpfung beider stellt dabei – wie es die Arbeit demonstrieren soll – ein geeignetes Mittel zur Verfügung, um jenes Changieren nachzuzeichnen, um es in seiner Brisanz, aber auch in seinen Konsequenzen hervorzuheben, womit schließlich eine Annäherung an die vielfältigen und widerstreitenden Gesichtspunkte ihrer Konstitution stattfindet. Daraus erwachsen die für die Arbeit leitenden Fragen: Wie verläuft eigentlich die Kopplung von Genre und Gender? Wie gestaltet sie sich in Diskursen? Und inwiefern trägt die Analyse interkategorialer Verknüpfungen – die gerade aktuell vielfach diskutiert werden – auch dazu bei, der Spezifik einer Kategorienkrise, dem spannungsvollen Verhältnis zwischen Genese und Wirkmacht, auf die Schliche zu kommen? In dieser Hinsicht ist den Verflechtungen von Genre und Gender besondere Aufmerksamkeit zu schenken; sie stellen einen Zugang dar und operieren in einer Wechselseitigkeit, sie ›verbinden‹ Intersektionalität und Interdependenz. Genau dadurch bildet die eingangs genannte und womöglich schlichte Vermutung einen Ansatz – sie zeigt einen Weg auf, mit dem sich genre- und gendertheoretische Überlegungen ergänzen und zugleich erweitern können. Diese Arbeit versteht sich folglich als Anregung, um das durchaus komplexe Wechselspiel von Genre und Gender überhaupt zu erfassen, und formuliert entsprechend ihr Ziel: Anstelle eines Auswegs aus den vielfältigen Aporien, die sich in der Kopplung von Genre und Gender manifestieren, bedarf es mehr noch ihrer genauen Aufarbeitung;46 es geht um eine präzise Bestandsaufnahme, die in der Diskursivierung von Genre und Gender Innovation verspricht, insofern sie sich gerade nicht Alternativen verpflichtet
administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst«. Obgleich dieser Ansatz hier nicht verfolgt wird, so bildet er doch einen Ausblick, dessen Potenziale bislang noch nicht eingehend eruiert wurden. Michel Foucault: Ein Spiel um die Psychoanalyse. Gespräch mit Angehörigen des Departement de Psychoanalyse der Universität Paris/Vincennes [1977]. In: ders. (Hg.): Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S. 118-175, hier S. 119 f. 46 Dies mag ein Stück weit unbefriedigend sein – scheint doch das Aufzeigen der vielfältigen Problemfelder in der Kopplung von Genre und Gender zugleich die Notwenigkeit ihrer Lösung nach sich zu ziehen. Genau diese Notwendigkeit steht aber in Frage, sobald in der Konstitution der Kategorien spannungsvolle Prozesse wirksam sind, die sich gewissermaßen selbst (und ihre durchaus prekären Effekte) in Zweifel ziehen. Von daher muss eine Alternative auf die angelegte Beobachtung, auf das Herausarbeiten jener ambivalenten Konstellationen in der Verknüpfung von Genre und Gender, gerichtet sein, nicht aber einen Ausweg bilden.
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fühlt, sondern grundlegender Einblicke gewährt – Einblicke in die Konstitution der Kategorien, die aus ihrer spezifischen Verbindung heraus als komplexer Prozess konkurrierender Einschätzungen und Effekte hervortritt. Um sich diesem Ziel der Arbeit anzunähern, bedarf es zunächst einiger Vorüberlegungen, die den beabsichtigten Zugriff unter zwei verschiedenen Voraussetzungen beleuchten: Er verlangt zum einen die Vermittlung von Genese und Wirkmacht, die bezüglich der jeweiligen Kategorien, aber gerade auch mit Blick auf ihre Kopplung angezeigt ist. Dies wird entlang der gegenwärtigen Forschung durch eine Perspektive ermöglicht, die die Wechselseitigkeit einander widerstreitender Momente betont, sodass sowohl die Hervorbringung als auch die Stützung der Kategorien aus ihrer Kopplung heraus berücksichtigt werden kann (Kapitel 1). Zum anderen ist eine Schärfung im Vorgehen von Nöten, denn in der Anerkennung der Komplexität diskursiver Prozesse sowie im angelegten Krisenbegriff eröffnen sich beobachtungstheoretische Konsequenzen. Diese gilt es nicht nur, in der Verquickung unterschiedlicher Forschungspositionen zu konturieren, sondern auch in ihrer Bedeutung für die Exemplifizierung und Operationalisierung durch das Musical bzw. genauer: durch den Musicaldiskurs hervorzustellen (Kapitel 2). Daran anschließend wird eine diskursanalytische Rekonstruktion der Verknüpfung von Genre und Gender verfolgt, wobei sich dies auf konstitutive Deutungsmuster in der Wissenschaft (Kapitel 3), in der Publizistik (Kapitel 4) und in Audiovisionen (Kapitel 5) beschränkt. Neben den jeweiligen epistemischen Kontexten, den Geltungs- und Konstruktionsbedingungen des prozessierten Wissens, gilt der changierenden Verfasstheit solcher Sinngebungen besondere Aufmerksamkeit; die äußerst vielfältigen Verknüpfungen zeigen verschiedene Spannungsmomente, die in ihrer Beziehung untereinander, in ihrer Einbettung in die Diskursebenen und im Verhältnis der Deutungsmuster auf unterschiedliche Weise zur Artikulation einer kategorialen Krise führen. Schließlich eröffnen sich Anstöße, die die Beschäftigung mit Genre und Gender bereichern, denn anstelle eines Auswegs können aus der präzisen Rekonstruktion heraus Ansätze generiert werden, die ihre Beobachtung – die Wahl von Beispielen, die Frage nach Beschreibungsinstrumenten und letztlich sogar die Beziehung von Genre und Gender selbst – in den Fokus rücken. Dahingehend soll ein Ausblick skizziert werden (Kapitel 6), der bewusst nicht Fazit, sondern Einstieg ist und sich in die Absicht dieser Arbeit integriert: Es soll ein Beitrag geleistet werden, der in der Gewichtung methodischer, analytischer und schließlich auch konzeptioneller Überlegungen vielfältige Potenziale entfaltet – Potenziale, die nicht zuletzt disziplinäre Entwürfe näher zusammenrücken lassen und so zu weiterer Forschung einladen.
1 Die Diskursivierung von Genre und Gender Anstöße in ihrer gemeinsamen Beobachtung
Genre stellt eine wichtige Bezugsgröße für film- und medienwissenschaftliche Untersuchungen dar, ebenso wie auch Gender eine kulturwissenschaftliche Reflexion von Medien bereichert. Beide sind von immenser Relevanz und wohl kaum aus der aktuellen Forschung wegzudenken. Allerdings erweist sich die gemeinsame Betrachtung der Kategorien als ein kompliziertes Unterfangen, das nicht zuletzt Schwierigkeiten in der Beobachtung selbst beinhaltet: Während die Forschung ein äußerst divergentes Bild zeichnet, in welchem schon die Potenziale der gemeinsamen Untersuchung sehr unterschiedlich bewertet werden,1 so steht sie doch auch vor konzeptionellen Herausforderungen, die das Verhältnis von Genese und Wirkmacht betreffen. Wie können etwa Genres als synkretistische Größen in ihrer diskursspezifischen und diskursübergreifenden Verhandlung hervortreten, ohne an essentialisierenden und tautologischen Bestimmungen festzuhalten?2 Wie ist eine Be-
1
Eines der prägnantesten Beispiele zu diesen Divergenzen bietet das Handbuch Gattungstheorie, in welchem gleich zwei Aufsätze nach dem Verhältnis der Kategorien fragen. Während Andreas Blödorn jedoch verschiedene Perspektiven wiedergibt und in unterschiedlicher Weise ihren Gewinn konturiert, so verweist Tom Kindt in seinem Aufsatz schlicht darauf, dass die gemeinsame Untersuchung ein Desiderat darstellt, dessen Potenzial durchaus fragwürdig ist. Vgl. Andreas Blödorn: Geschlecht und Gattung. In: Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart/Weimar 2010, S. 64-66, hier S. 65 f. und Tom Kindt: Feministische Literaturwissenschaft und Gender Studies. In: Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart/Weimar 2010, S. 231-232, hier S. 232.
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Tautologische und wesenhafte Bestimmungen mögen durchaus verbunden sein. Wenn beispielsweise ein Genremerkmal die Zuordnung zu einem Genre bestimmt und umgekehrt das Genre durch eine Merkmalszuordnung abgegrenzt wird (›der Film ist ein Musical, weil gesungen wird‹ – ›weil der Film ein Musical ist, wird gesungen‹), dann scheint
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obachtung von Gender zu leisten, die einerseits die wirkmächtige Dichotomie ›Mann oder Frau‹ als solche berücksichtigt, die sich andererseits jedoch auch ihrer Hervorbringung, ihrer Unbestimmtheiten und Dynamiken widmet? Und inwiefern ermöglicht sich eine Lösung dieser Schwierigkeiten in der gemeinsamen Betrachtung von Genre und Gender? Im folgenden Kapitel werden terminologische, perspektivische und schließlich konzeptionelle Anregungen skizziert, die das Potenzial einer gemeinsamen Beobachtung von Genre und Gender gerade in der Vermittlung von Genese und Wirkmacht demonstrieren und so eine Schärfung des verfolgten Zugriffs, der Diskursivierung beider Kategorien, intendieren. Dazu gilt es zunächst, Differenzierungen zu entwickeln, denn während ihre diskurstheoretische Einfassung seit geraumer Zeit florieren mag, so bestehen dennoch Schwierigkeiten, denen in der gemeinsamen Betrachtung von Genre und Gender entgegenzuwirken ist: Mit der Diskursivierung beider Kategorien kann eine Erweiterung genretheoretischer Überlegungen stattfinden, indem – ohne statischen Verständnissen verhaftet zu bleiben – die kontextuelle Einbindung von Genre(s) zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung wird (Kapitel 1.1). Und auch für die Beobachtung von Gender erweist sich das Interesse an der Verknüpfung beider Kategorien als produktiv, denn in der Analyse des Einflusses von Gender auf andere Diskurse, wie Genrediskurse, entsteht eine Möglichkeit, sowohl Genese als auch Wirkmacht abzubilden, genderdichotome Konstellationen dabei aber weder fortzuschreiben noch in ihrer Bedeutung zu negieren (Kapitel 1.2). Doch obgleich die Untersuchung von Genre und Gender für beide Kategorien äußerst aufschlussreich ist, so scheint sie keinesfalls immun gegenüber Tendenzen einer wechselseitigen Essentialisierung. Diese lassen sich exemplarisch anhand der Beschäftigung mit Genderrepräsentationen in Genre(s) über einen großen Zeitraum hinweg konstatieren (Kapitel 1.3) und sind, wie es die gegenwärtige Umakzentuierung des Repräsentationsbegriffs zeigt, nicht (allein) als methodischer Mangel zu werten (Kapitel 1.4). Vielmehr wird auch hier die Problematik im Verhältnis von Genese und Wirkmacht virulent – zeichnet sich doch bereits die Rede von einem Genre oder einem Geschlecht als essentialisierend aus, obwohl Gegenteiliges angenommen wird. Die Beobachtung von Genre und Gender verlangt daher nach einem perspektivischen Wechselspiel, das die wirkmächtigen Effekte ihrer Kopplung verfolgt, zugleich aber auch inhärente Spannungsmomente sowie Grenzen einer Verbindung betont (Kapitel 1.5). Dadurch kann die Vielschichtigkeit interkategorialer Verknüpfungen hervortreten und die in der Forschung zentrale Position einer Diskursivierung weiter gestaltet werden. Es eröffnet sich ein Zugriff, der sowohl Genre
in dieser Tautologie zumindest implizit eine Essenz des Genres durch, die jenen argumentativen Zirkelschluss kaschieren mag.
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als auch Gender in ihrer Verquickung offenlegt und dazu beiträgt, die Problematik im Verhältnis von Genese und Wirkmacht als eine produktive Herausforderung zu begreifen.
1.1 G ENRESYNKRETISMUS : D IE R ELEVANZ KONTEXTUELLER E INBETTUNGEN Genres stellen »Begriffe der Verständigung«3 dar und so gilt es, wirkmächtige Konventionalisierungen im Umgang mit ihnen und in ihrer Zuordnung abzubilden, jedoch auch ihre je spezifischen historischen und kulturellen Situierungen zu berücksichtigen. Ihre Beobachtung kann nicht bei eindeutigen und statischen Konzeptualisierungen ansetzen, sondern muss stattdessen den Gebrauch von Genres in den Vordergrund rücken. Dies eröffnet aber bereits im Zugriff eine Schwierigkeit, die das Verhältnis von Genese und Wirkmacht betrifft: Wie kann der scheinbar selbstverständliche und konventionalisierte Umgang mit ihnen gegenüber seiner durchaus flexiblen Einbettung und Herkunft vermittelt werden? Wie lassen sich Prozesse einer Herstellung von Genre(s) beobachten, wenn ihnen gegenüber doch eine vermeintlich eindeutige Verwendung dominiert? Diese Fragestellung ist gleich in mehrfacher Hinsicht drängend, denn in einer Analogie mit dem Begriff des Synkretismus zeigt sich, dass Genreeinteilungen sowohl in ihrem Gebrauch als auch in ihrer Bestimmung herausgefordert sind – dass ihre Eindeutigkeit stets und von verschiedenen Seiten her als Ergebnis unterschiedlicher Konstruktionsleistungen angesehen werden muss. Dies verlangt allerdings eine Ergänzung bisheriger Studien, die in ihrer Konzentration auf Diskursakteure dazu tendieren, beide synkretistischen Dimensionen engzuführen und sie spezifischen Kontexten zu entheben. Anstelle der in der Definition und in der Verwendung angelegten Unschärfen treten lediglich retrospektive Dynamisierungen auf, die Gefahr laufen, in einer vordefinierenden Zugriffsweise zu münden und die Komplexität von Genrediskursen zu ignorieren. Doch warum bietet überhaupt der Begriff Synkretismus eine Folie, um diese Schwierigkeiten – terminologisch geschärft – zu erfassen? Dazu gilt es festzuhalten, dass der Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet wird. So beschreibt Synkretismus, häufig synonym mit Eklektizismus, zunächst eine Verknüpfung verschiedener Stile und Epochen4 oder – in Über-
3
Knut Hickethier: Art. Genre [genre]. In: Leon R. Tsvasman (Hg.): Das Große Lexikon
4
Dies betrifft etwa seine kunstgeschichtliche Anwendung; Synkretismus kennzeichnet hier
Medien und Kommunikation. Würzburg 2006, S. 126-127, hier S. 127. verschiedene Strömungen, beispielsweise den Historismus des 19. Jahrhunderts, auch
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tragung – eine Zusammenfügung unterschiedlicher Genres. In dieser Bedeutung ist eine Perspektive auf die Herkunft von Genrekategorien besonders naheliegend, ja mehr noch: Das Phänomen der Genrekombination, mitunter auch als Genrehybridität erfasst, avanciert zu einem Fixpunkt, um sich der Diskursivität von Genreeinteilungen zu vergewissern, um sie ihrer Vorgängigkeit zu entheben und eine antiessentialisierende Konzeption anzuregen, wenn nicht gar zur Voraussetzung ihrer Untersuchung zu erklären.5 Es ergeben sich vielfältige Differenzierungen, die etwa ihre kulturelle Spezifik betreffen6 oder eine Unterscheidung verschiedener Kombinationen anstoßen.7 Und nicht zuletzt stellt sich mit einer Zuordnung zu mehreren Genres auch die Frage nach der Plausibilität von Genreeinteilungen, sodass ihre mitunter aporetische Verfasstheit in den Fokus rückt.8 Doch in der Analogie zu Synkretismus eröffnet sich noch eine weitere Dimension, die diesen Begriff attraktiv macht, um das Potenzial einer diskurstheoretischen Einfassung von Genre(s) samt ihrer Problemfelder aufzuzeigen. So wird Synkretismus in seiner linguistischen Anwendung auch zur Beschreibung eines morphologischen Markers genutzt, der mit einer identischen Form unterschiedliche Werte eines Merkmals ausdrückt, welche ihrerseits Ähnlichkeiten aufweisen.9 Dies lässt sich
wenn die Bezeichnung Eklektizismus dominiert. Vgl. Anonymus: Art. Eklektizismus. In: Nikolaus Pevsner/Hugh Honour/John Fleming (Hg.): Lexikon der Weltarchitektur [Penguin Dictionary of Architecture, 3. Auflage]. München 1992, S. 184, hier S. 184. 5
Vgl. hierzu die forschungshistorischen Anmerkungen bei Schneider: Genre, Gender,
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Dies umfasst auch Kritik, etwa in der Darstellung als ›Genreinzucht‹ bei Janet Staiger:
Medien, S. 18 f. Hybrid or Inbred: The Purity Hypothesis and Hollywood Genre History [1997]. In: Barry Keith Grant (Hg.): Film Genre Reader III. Austin 2003, S. 185-199, hier S. 196. 7
Eine produktive Variante findet sich bei Scheinpflug durch eine Differenzierung zwischen Genremixing und Genrehybridität. Vgl. Scheinpflug: Formelkino, S. 135-140.
8
Claudia Liebrand und Ines Steiner sprechen in diesem Zusammenhang gar von der Vorgängigkeit der Hybridität, die erst in simplifizierenden Lektüren eine Genrezuordnung erlaubt. Vgl. Liebrand/Steiner: Einleitung, S. 8 f.
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Zur Verdeutlichung kann das Wort ›Musical‹ herangezogen werden, da es im Deutschen nur zwei Varianten in der Kasusflexion aufweist: ›Musical‹ und ›Musicals‹. Das Morphem ›–s‹ markiert aber fünf unterschiedliche Kasus, wobei (bis auf den Genitiv Singular) alle Verwendungen einen Pluralmarker darstellen. Es ist also synkretistisch und kodiert unterschiedliche, ihrerseits jedoch ähnliche Informationen. Vgl. hierzu auch die Annahme eines Syncretism Principle, welches die Ähnlichkeit der Form als eine Ähnlichkeit in der Funktion behauptet, etwa bei Artemis Alexiadou/Gereon Müller: Class Features as Probes. 2005, S. 1-47, URL: http://www.uni-leipzig.de/~muellerg/mu55.pdf [Zugriff 10.12.2011], hier S. 2-5.
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auf Genrekategorien übertragen, da mit einem Genrebegriff – wie mit einem linguistischen Marker – verschiedene, aber durchaus ähnliche Informationen kodiert werden. Beispielsweise wird das Musical zwar vielfältig angewendet, es beschreibt jedoch mehrheitlich sowohl Theater- als auch Filmartefakte,10 die oftmals durch Eigenschaften, etwa durch die Verknüpfung von Gesang und Narration, bestimmt werden. Diese Merkmale oder Konventionen – je nach Berücksichtigung ihrer Historizität11 – können mit den Informationen des linguistischen Markers gleichgesetzt werden: Sie sind unterschiedlich, aber ähnlich, was ihre mehrheitliche Anwendung betrifft; die Form als Genrebezeichnung ›Musical‹ bleibt stabil, während die Kodierung über diesen Begriff mehrdeutige Informationen enthält. Synkretismus kann somit nicht nur zur Darstellung einer Kombination mehrerer Genres dienen, sondern beschreibt auch die Verwendung eines Genres in seiner Mehrdeutigkeit. Und genau in dieser Hinsicht ergibt sich eine Ergänzung diskurstheoretischer Modelle, wie sie etwa von Steve Neale oder Rick Altman vorgeschlagen werden. So betont Neale eine mehrdimensionale Genredefinition, welche industrielle und produktionsbezogene Gegebenheiten, aber auch Einflüsse des Publikums und dessen Erwartungen beinhaltet. Er argumentiert, dass bestimmte und bestimmbare »regimes of verisimilitude«12 anzunehmen sind, die wiederum an Kon-
10 Eine exemplarische Recherche möglichst unterschiedlicher Publikationen zeigt diese mehrheitliche Verwendung, insofern lediglich zwei Fernsehproduktionen bei einer Gesamtnennung von 626 Artefakten dem Musical zugeordnet werden. Auffällig ist zudem, dass nur sieben der elf Publikationen einen medialen Bezug in ihren Titeln markieren, obgleich auch alle Übrigen die Anwendung für Theater- oder Filmartefakte spezifisch vornehmen bzw. zumindest in verschiedene Verzeichnisse unterteilen. Die Verwendung des Genres erfolgt also anhand bestimmter Medien (Theater oder Film), dies wird jedoch nicht stetig betont, sodass sich innerhalb der Kategorisierung ebenfalls eine synkretistische Dimension abzeichnet. Vgl. Anhang 1. 11 Obwohl die Unterscheidung zwischen Merkmalen und Konventionen selten explizit erfolgt, kann sie geeignet sein, um wichtige Differenzierungen darzustellen. So mag ein Genre durch bestimmte Konventionen geprägt sein – diese erlauben es aber, Aushandlungsprozesse und Änderungen zu berücksichtigen. Die Bestimmung eines Genres durch Merkmale hingegen enthält eine Überzeitlichkeit und setzt zumindest implizit eine Essenz des Genres voraus. 12 Steve Neale: Questions of Genre [1990]. In: Barry Keith Grant (Hg.): Film Genre Reader III. Austin 2003, S. 160-184, hier S. 161. Dieser Reprint ist bewusst gewählt, obwohl sich die Originalerscheinung auch im Korpusmaterial der diskursanalytischen Rekonstruktion findet. Mit ihm soll ein Unterschied zwischen der hier zur Diskussion stehenden Perspektive einer Diskursivierung und ihrer späteren ›Umsetzung‹ bereits anhand der Quellangabe nachvollzogen werden.
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zepte einer kulturellen Wahrhaftigkeit13 gebunden sein können. Genres werden hier also grundlegend in ihrer Aushandlung fokussiert, wie es auch bei Altman und seiner Ergänzung des semantisch-syntaktischen Ansatzes der Fall ist – in seiner Sicht gestalten sich sie jedoch nicht ausschließlich zwischen Produzierenden und Rezipierenden, sondern werden auch in den jeweiligen (Genre-)Filmen aktualisiert und erweitert.14 Beide Autoren verfolgen eine Diskursivierung von Genre(s); die Einteilung medialer Artefakte wird als ein Prozess begriffen, der sich zwischen verschiedenen Instanzen gestaltet. Jedoch eröffnen diese Modelle eine Gefahr: Entlang einer in der Funktion von Genres verorteten Eindeutigkeit lassen sie zwar Flexibilisierungen anhand unterschiedlicher Akteure mit ihren je eigenen Genrebegriffen zu – letztlich ermöglicht sich dies aber erst, nachdem ein Genre in seiner Pragmatik und in seinem Gebrauch vordefiniert wurde. Bereits die statische Identifikation der Diskursakteure setzt eine Bestimmung voraus, um die sich dann jene Akteure positionieren lassen. Implizit definieren diese Ansätze also, was ein Genre ist, um dann genau diesen Zugriff zu dynamisieren. Die synkretistische ›Gestalt‹ von Genre(s) erfährt darin allerdings nur bedingt Berücksichtigung – entlang einer auf Abgrenzung ausgerichteten Kondensation verschiedener Merkmale, die Akteure an Genres herantragen, und/oder entlang einer historischen Dimensionierung der verschiedenen synkretistischen Verwendungen. Es entstehen folglich Kurzschlüsse, sodass etwa die von Neale genannten Publikumserwartungen zu notwendigen Bedingungen avancieren, die eine kombinatorisch-synkretistische Dimension außen vor lassen: »Singing in a musical is not just a probability; it is a necessity. It is not just likely to occur; it is bound to.«15 Und darin lässt sich dann auch eine Historisierung betreiben, in der die intern-synkretistische Dimension zum linearen Ablösungsprozess,
13 Diese Übertragung des Begriffs verisimilitude basiert auf dem Kollektiv gender et alia, welches in der Übersetzung eines Aufsatzes von Christine Gledhill jene Bezeichnung wählt. Als Wahrscheinlichkeit oder Wirklichkeitsnähe kann der Begriff von Neale jedoch auch andere Bedeutungen umfassen. Vgl. nebst der Auseinadersetzung mit Neales Konzept Christine Gledhill: Überlegungen zum Verhältnis von Gender und Genre im postmodernen Zeitalter. Übersetzt von Dagmar Fink und Katja Wiedersporn für gender et alia. In: Monika Bernold/Andrea B. Braidt/Claudia Preschl (Hg.): Screenwise. Film, Fernsehen, Feminismus. Dokumentation der Tagung ›Screenwise. Standorte und Szenarien zeitgenössischer feministischer Film- und TV-Wissenschaften‹, 15.–17. Mai 2003 in Wien. Marburg 2004, S. 200-209, hier S. 202. 14 Vgl. Rick Altman: Reusable Packaging. Generic Products and the Recycling Process. In: Nick Browne (Hg.): Refiguring American Film Genres. History and Theory. Berkeley/ Los Angeles/London 1998, S. 1-41, hier S. 35. 15 Neale: Questions of Genre, S. 161.
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sogar zum Gründungsmythos, gerät: »The musical came from Broadway (and its songs from Tin Pan Alley).«16 Die Diskursivierung von Genre(s), wie sie von Neale und auch Altman vorgeschlagen wird, läuft Gefahr, eine implizite Statik anhand der Fokussierung von Diskursakteuren zu vermitteln. Sie lässt jedoch noch einen weiteren Aspekt unberücksichtigt: Wie es Christine Gledhill darstellt, sind Genres keinesfalls als singuläre Entitäten, als ein ›Diskurs für sich‹, aufzufassen. Vielmehr spiegeln, assoziieren und überarbeiten sie jeweils unterschiedlich »kulturelle Kodes«17 – Kodes, in denen nicht zuletzt auch Gender eine immense Rolle spielt. Anstelle statischer Momente, um die sich dann Diskursakteure positionieren (lassen), gilt es, »dialogische Konflikte und Aushandlungen«18 zu betonen, die ihrerseits über Genrediskurse hinaus Wirkung zeigen und umgekehrt von anderen Diskursen gespeist werden. Gledhill hebt demnach hervor, dass Genrediskurse etwa auch innerhalb wissenschaftlicher und publizistischer Auseinandersetzungen geformt werden und in ihren interdiskursiven Verflechtungen, mitunter in der Verflechtung zu Gender, analysiert werden müssen.19 Genau darin erklärt sich ihre Produktivität: »[G]enre as boundaries are defined, eroded, defended, and redrawn. Genre analysis tells us not just about kinds of films, but about the cultural work of producing and knowing them.«20 Wenn nun aber sowohl die Vielfalt des Diskursgeflechts, in dem Genres hergestellt und verortet werden, als auch ihre Dynamik in der gleich doppelten Analogie zu Synkretismus berücksichtigt werden soll, so kommt es zu einem Problem, das schon bei der Frage beginnt, was ein Genre ist bzw. wie seine Hervorbringung im Kontrast zu seiner Wirkungsweite erfasst werden kann. Einerseits bietet bereits die Vorannahme, dass es einen eindeutigen Diskursgegenstand – ein Genre, mithin zumindest einen eindeutigen Genrebegriff – gibt, Anlass, um zu tautologischen oder wesenhaften Bestimmungen zurückzukehren und seine Genese gar nicht erst zu beleuchten. Andererseits gilt es, in Anbetracht der Wirkmacht von Genrekategorien herauszuarbeiten, wie jene entsteht und welche Effekte sie birgt, inwiefern ein Gen-
16 Ebd., S. 176. Damit sei nicht unterstellt, dass dieses historische Narrativ ›falsch‹ wäre – es ist aber (auch in Neales Zugriff) als ein solches zu betrachten, womit sich die Frage eröffnet, zu welchem Zeitpunkt und für wen es warum als wahrhaftig gilt. Selbst Genregeschichten wären also durch Aushandlungsprozesse zu erschließen. 17 Gledhill: Überlegungen zum Verhältnis von Gender und Genre im postmodernen Zeitalter, S. 209. 18 Ebd. 19 Gledhill spricht in diesem Zusammenhang auch von einer »critical discursivity«. Christine Gledhill: Rethinking Genre. In: dies./Linda Williams (Hg.): Reinventing Film Studies. London 2008, S. 221-243, hier S. 223. 20 Ebd., S. 222.
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re etwa als konventionalisierter Verständigungsbegriff »für die Organisation von Wissen«21 bedeutend ist und hierzu womöglich auch auf Gender rekurriert. Zwar versuchen Genreforschungen selbst dies als Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Instanzen zu betrachten, solche Modelle neigen allerdings dazu, die Komplexität von Genrediskursen zugunsten der Pragmatik dieser Einteilung auszublenden oder die wirkmächtigen Effekte ihrer diskursspezifischen und diskursübergreifenden Generierung gar nicht erst zu erläutern.22 Beides zu untersuchen – die dynamische Genese eines Genres in ihrer (inter-) diskursiven Verknüpfung und ihre Wirkmacht als pragmatisch eindeutige, ja erfolgreiche Zuordnung –, kann jedoch nur dann geleistet werden, wenn innerhalb der Diskursivierung die spezifische Einbettung in den Vordergrund rückt. Folglich muss weder Neale noch Altman widersprochen werden, es muss jedoch deutlicher, als dies bei beiden der Fall ist, auf die Einfassung geachtet werden, in der Genres hergestellt und gestaltet werden. Dies kann Produzierende wie Rezipierende sensu Neale, aber auch Filme sensu Altman oder wissenschaftliche und publizistische Diskursebenen sensu Gledhill umfassen. Grundlegend bedarf es allerdings stets einer genauen Erläuterung dieser Kontexte und damit verbunden einer Sensibilisierung gegenüber ihren Grenzen – Grenzen, die sich etwa in Synkretisierungen äußern. Gerade dies ist in der Fokussierung von Genre und Gender zu leisten, denn hier wird die Vielfalt von Genrediskursen anerkannt, zugleich erhält sie aber auch einen Angelpunkt, der nicht nur nachträglich Dynamisierungen erlaubt, sondern die verschiedenen Mechanismen der Konstitution und Geltung anhand ihrer je eigenen Kontexte offenlegt.
21 Hickethier: Art. Genre [genre], S. 126. 22 Beides trifft häufig auf Funktionsbeschreibungen zu, wie sie in der Position von Barry Keith Grant ersichtlich werden. So spricht er von einer notwendigen Nützlichkeit, ohne die Genrekategorien nicht entstehen und zirkulieren. Er blendet dabei allerdings historische Entwicklungen aus, die mitunter einer solchen Funktionalität entgegenwirken und auch deren konstitutives Moment differenzieren. Wenn der Nutzen des Musicals etwa in der Einteilung entlang verschiedener Medien (Film oder Theater) kaum besteht, so stellt sich in Grants Argumentation die Frage, warum es dennoch Verwendung findet. Zwar treten hier auch partiell Ergänzungen auf, die die mediale Verortung beispielsweise als Film- oder als Theatermusical hervorheben und womöglich zur Re-Funktionalisierung beitragen. Da sie jedoch nur teilweise, vornehmlich im Rahmen einer Zuordnung zum Genre, vorkommen, gründen sie wohl kaum auf einer Notwendigkeit, sondern sind eher in Reaktion auf den Verlust der Nützlichkeit zu perspektivieren – als ein Gegengewicht, das sicherlich nicht allein, sondern in spezifischen Zusammenhängen, eben etwa im Rahmen einer Kategorisierung, zur Konstitution des Musicals beiträgt. Vgl. Barry Keith Grant: Film Genre. From Iconography to Ideology. London/New York 2007, S. 23.
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1.2 G ENDERDICHOTOMIE : D AS P OTENZIAL INTERKATEGORIALER B EOBACHTUNGEN Das Verhältnis von Genese und Wirkmacht – die Frage, wie die konstruierte und dynamische Herkunft einer Kategorie gegenüber ihren weitläufigen und überaus umfassenden Konsequenzen erfasst werden kann – bildet nicht allein in Genreuntersuchungen einen wichtigen Ansatz, sondern ist auch für die Beobachtung von Gender von enormer Relevanz. Allerdings zeigt sich dabei (auch im Unterschied zu Genre) eine Asymmetrie, denn obgleich ihre Genese durchaus Abweichungen birgt, so stellt die Kategorie Gender doch eine äußerst wirkmächtige Konstruktion dar, die gerade in der Einteilung ›Mann oder Frau‹ statischen Konzepten verhaftet bleibt. Ja selbst Konstellationen, die in jener Dichotomie nicht enthalten sind, werden häufig nur entlang dieser beschrieben und somit – implizit oder auch explizit – integriert.23 Dies stellt die Beobachtung von Gender vor ein Problem: Während in Genreuntersuchungen die Abgrenzbarkeit verschiedener Genres und die genreeigenen Bedeutungsensembles entlang ihrer je diskurs- und zeitspezifischen Aushandlung differenzierbar sind und derart eine Kontextualisierung erlauben, so ist dies bei Gender kaum der Fall. Eine Genrebezeichnung als Musical bedeutet womöglich innerhalb der Produktion, dass ein großes Budget benötigt wird, für Rezipierende eventuell, dass gesungen wird, und bezüglich des Fernsehens wird dieser Begriff vielleicht gar nicht verwendet.24 Trotz der hier durchaus bestehenden Gefahr, in tautologische oder wesenhafte Bestimmungen zurückzufallen, kann das Musical auf diese Weise in seiner diskursiven Vielfalt beobachtet werden.
23 Sogar die zurzeit nicht nur in gender- und identitätskritischen Zusammenhängen häufig verwendeten Konstruktionen über das Präfix ›trans-‹ bilden darin kaum Alternativen, denn grundlegend wird auch hier »das ›alte‹ Modell der terminologischen Repräsentation gleichsam reproduziert«; selbst solche Entwürfe rekurrieren meist auf ›Mann oder Frau‹ als Basis einer Erfassung. Peter Weichhart: Das ›Trans-Syndrom‹. Wenn die Welt durch das Netz der Begriffe fällt. In: Melanie Hühn/Dörte Lerp/Knut Petzold/Miriam Stock (Hg.): Transkulturalität, Transnationalität, Transstaatlichkeit, Translokalität. Theoretische und empirische Begriffsbestimmungen. Berlin 2010, S. 47-70, hier S. 49. 24 Hier zeigen sich Potenziale der Überlegungen von Neale – allerdings gilt es, die spezifischen Kontexte zu beachten. So ergibt sich die Annahme, dass das Musical bezüglich des Fernsehens nicht verwendet wird, aus einer exemplarischen Sichtung möglichst unterschiedlicher Publikationen (Anhang 1). Es lassen sich jedoch auch Gegentendenzen identifizieren, womöglich gar eine aktuelle Verschiebung innerhalb der akademischen Verhandlung (!), indem erste Abschlussarbeiten zum ›Fernsehmusical‹ veröffentlicht werden, etwa Stephanie Boniberger: Musical in Serie. Von Buffy bis Grey’s Anatomy: Über das reflexive Potenzial der Special Episodes amerikanischer TV-Serien. Stuttgart 2013.
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Indes ist jene Kontextualisierung für Gender kaum möglich. Zwar lassen sich durchaus Prozesse der Naturalisierung und Normierung geschlechtlicher Einteilungen beobachtet, sofern Gender – wie es zumindest im deutschsprachigen Raum prägend erscheint – als sich wiederholender, performativer Akt konzeptualisiert und zugleich Sex25 als vorgängige Kategorie verabschiedet wird.26 In dieser Hinsicht ist etwa eine biologisch-medizinische Bestimmung ebenso wie das dadurch angelegte Sex-Gender-Schema als Konstruktionsleistung aufzufassen; Gender wird dieser Perspektive folgend performiert27 – und zwar zwischen wirkmächtig konstruierten, für natürlich zu haltenden dichotomen Gegensätzen: ›entweder Mann oder Frau‹. Wie es schon die Verwendung von Anführungszeichen intendiert,28 gilt es auch hier, die diskursive Einbettung dieser Kategorie und ihrer Unterscheidung hervorzuheben, denn erst diese reguliert, wie Geschlechtlichkeit überhaupt aufgeführt werden muss.29 Doch obwohl darin eine Perspektive auf die Konstruktion geschlechtlicher Einteilungen eröffnet wird, so besteht dennoch ein Problem, wenn die nicht voluntaristische Zwangsstruktur geschlechtlicher Hervorbringungen auch in ihrer Iteration entlang einer Dichotomie beschrieben wird. Es kommt zu einer vordefinierenden Zugriffsweise, die Gender auf ›Mann oder Frau‹ engführt, dabei allerdings Gefahr läuft, die äußerst perfide Herkunft dieser Einteilung zu reproduzieren – handelt es
25 Entsprechend der eindeutschenden Verwendung von Gender werden auch weitere Begriffe, etwa Sex sowie Class, Race oder Age, großgeschrieben. 26 Vgl. grundlegend Butler: Gender Trouble, insbesondere S. 185-198. 27 Der hier angelegte Performanzbegriff reiht sich in die Tradition sprechakttheoretischer Betrachtungen ein, auch wenn Butler diese im Kontext feministischer Theorien um die Betonung der Körperlichkeit erweitert und zugleich kritisiert. Vgl. Judith Butler: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie. In: Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a.M. 2002, S. 301-320, hier S. 303 f. 28 Abseits dieser Absicht, die in der Verwendung von einfachen Anführungszeichen auf die konstruierte Herkunft jener Einteilung aufmerksam machen möchte, ermöglicht sich darin auch eine Differenzierung zwischen der wirkmächtigen Distinktion ›entweder Mann oder Frau‹ sowie der unterschiedlichen Kennzeichnungen, die als Geschlechter fungieren (können) – auch über ›Mann‹ und ›Frau‹ hinaus. Von daher soll dies für Gender konsequent umgesetzt werden, wohingegen etwa für das Musical nur an einigen Stellen, insbesondere wenn es um die sprachliche Verfasstheit und ihre sinnstiftende sowie sinntragende Dimension geht, Anführungszeichen verwendet werden. 29 Butler spricht von »forced reiteration of norms« und betont somit die zwanghafte Struktur geschlechtlicher Performanzen bereits in ihrer Hervorbringung. Judith Butler: Bodies That Matter. On the Discursive Limits of ›Sex‹. New York 1993, S. 94.
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sich bei Gender doch, wie es Judith Butler betont, um »a construction that regularly conceals its genesis«.30 Von daher stellt sich die Frage, wie genau dieses Verhältnis erfasst werden kann. Wie kann eine Vermittlung von Genese und Wirkmacht geleistet werden, die einerseits spezifische Konstruktionsprozesse bar eines vorausgehenden Verständnisses um ›Mann oder Frau‹ offenlegt, die andererseits aber auch ihre Wirkmacht – und zwar gerade in der Verdeckung der Herkunft, in der Engführung um ›Mann oder Frau‹ – berücksichtigt? Und inwiefern liefert die für Genre(s) notwendige Kontextualisierung diskursiver Prozesse dazu womöglich sogar Anregungen? Um sich dieser Fragestellung anzunähern, ist zunächst ein Vergleich zwischen Genre und Gender anhand von Marilyn Fryes Unterscheidung zwischen Binarität, Polarität und Dichotomie hilfreich – zumal er eine terminologische Schärfung mit sich bringt, innerhalb derer sich schließlich Potenziale einer Diskursivierung beider Kategorien skizzieren lassen. So unterscheidet Frye verschiedene Kategorien durch die in ihnen beinhalteten Differenzen sowie durch ihr Ausmaß und ihre Geltung.31 Ähnlich der Sprachwissenschaft und ihrer Unterteilung in konträrer, inkompatibler und kontradiktorischer Antonymie32 gelangt sie in ein Schema, welches Kategorien als Unterscheidungen betrachtet, die gerade in ihren Ausschließungen Besonderheiten aufweisen: Binäre Kategorien zeichnen sich für Frye dadurch aus, dass ihre Zuordnung einer nicht spezifischen anderen Zuordnung gegenübersteht; ein bestimmter Gültigkeitsbereich wird eingeteilt »into those things which are its members, and everything else, presented simply as ›not this category‹«.33 Anders ist es bei dichotomen Kategorien, die klassifikatorisch die Zuordnung und die Nicht-Zuordnung betreffen, beide Bereiche spezifizieren und zu »mutually exclusive and exhaustive [...] absolute opposites«34 führen. Während sich binäre Kategorien also nur auf einen Teil der Unterscheidung beziehen, umfassen Dichotomien die Bezeichnung beider Seiten – wobei diese Systematik als heuristische Annäherung gelten muss, da sie das Problem einer Nicht-Zuordnung als Zuordnung ausblendet.35
30 Butler: Gender Trouble, S. 190. 31 Vgl. Marilyn Frye: Art. Categories and Dichotomies. In: Lorraine Code (Hg.): Encyclopedia of Feminist Theory. London/New York 2000, S. 73-74, hier S. 73. 32 Vgl. hierzu auch die entsprechenden Zuordnungen bei Christine Haag: Flucht ins Unbestimmte. Das Unbehagen der feministischen Wissenschaft an der Kategorie. Würzburg 2003, S. 122 [in Anm.]. 33 Frye: Art. Categories and Dichotomies, S. 73 [Herv. i.O.]. 34 Ebd. [Herv. i.O.]. 35 So ließe sich eine binäre Kategorie durchaus als dichotom kennzeichnen, denn wenn ihre Zuordnung nicht erfolgt, findet doch zugleich auch eine Bestimmung als ›nicht entsprechend dieser Kategorie‹ statt.
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Für Genre und Gender nun kann diese Systematik äußerst produktiv sein, da sie eine Differenzierung beider Kategorien insbesondere in ihrer Geltung ermöglicht. So ließe sich Genre in Berücksichtigung kombinatorischer Synkretisierungen als binäre Kategorie bestimmen. Eine Genrezuordnung erfolgt entlang der Frage ›entweder – oder nicht‹, denn diese Kategorie besitzt keine sich einander ausschließenden Unterscheidungen. Entweder wird somit beispielsweise ein Film als Musical bezeichnet oder er wird es nicht – es erfolgt aber keine weitere notwendige oder spezifische Zuordnung; eine Bestimmung als Musical erlaubt durchaus auch eine Bestimmung als Western. Umgekehrt kann, wenn die Zuordnung zum Musical nicht zutrifft, nicht auf die Zugehörigkeit zu einem anderen Genre geschlossen werden; ist ein Film kein Musical, so bedeutet dies nicht automatisch, dass er ein Western ist. Gender hingegen kann dichotom konzeptualisiert werden, indem die Frage ›entweder Mann oder Frau‹ zentral ist und nur eine dieser Zuordnungen diskursiv als akzeptabel gilt.36 Insofern beinhaltet Gender sich einander ausschließende Gegensätze. Doch diese sind keinesfalls eindeutig und umfassend, da im Verweis auf die performative Genese jener Unterscheidung durchaus ›Zwischenphänomene‹ oder gar Alternativen, Umkodierungen und Verschiebungen angezeigt sind. Frye greift dies auf und betont für Gender eine eigentlich polare Struktur, ein Spektrum von mehr oder weniger zutreffenden Unterscheidungen – »but people often refer to polar opposite categories as ›dichotomous‹.«37 Dieser Hinweis ist überaus relevant. So lässt sich Gender im Ergebnis diskursiver Regulierungen als dichotom kennzeichnen, auch wenn in der Genese dieser Kategorie polare Graduierungen angelegt sind und hierin die Absolutheit dichotomer Gegensätze fragwürdig wird. Entlang der Unterscheidung von Binarität, Polarität und Dichotomie38 ergibt sich somit nicht nur ein Unterschied zwischen Genre und Gender – zugleich ermöglicht sich für Gender auch eine Differenzierung zwischen Konstitution und Wirkmacht.
36 Dies kann im Begriff der Intelligibilität weiter spezifiziert werden und verweist dabei wiederum auch auf die Performanz des Geschlechtlichen. Vgl. hierzu Butler: Gender Trouble, S. 23. 37 Frye: Art. Categories and Dichotomies, S. 73. Eine Begründung dieser Annahme bleibt Frye jedoch schuldig, wodurch sich eine Ergänzung in diskurstheoretischer Hinsicht geradezu aufdrängt. 38 Eine solche Differenzierung wird allerdings nicht einheitlich verwendet, sodass sie teilweise terminologisch angepasst werden muss. Beispielsweise unterscheidet Antke Engel, deren Dissertation im Verlauf der Arbeit noch eine wichtige Rolle einnehmen wird, zwischen Klassifikation und Binarität – im Schema Fryes entspräche dies jedoch dichotomen und polaren Kategorien. Vgl. Antke Engel: Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation. Frankfurt a.M. 2002, S. 100.
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Allerdings bleibt die Frage ihrer Vermittlung damit weiterhin unbeantwortet: Wie kann eine Abbildung der Genese als polare Kategorie und ihrer Wirkmacht als dichotome Gegenüberstellung erfolgen? Lassen sich polare Graduierungen überhaupt darstellen oder sind diese nicht ausgeschlossen – gerade wenn sich ihre Beschreibung doch als kaum immun gegenüber einer Reduktion auf die Differenz ›Mann oder Frau‹ erweist?39 Außerdem wird in der Wirkmacht der Dichotomie noch eine weitere Schwierigkeit ersichtlich. So scheint – ausgehend von der Einteilung ›Mann oder Frau‹ – eine Spezifizierung ihrer diskursiven Einbettung kaum möglich. Das Eine schließt das Andere aus und daher lassen sich unterschiedlichste Kontexte in der Dichotomie zusammenführen, umgekehrt lassen sich hierin diskurs- und zeitspezifische Rahmungen ausblenden.40 Die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ dagegen als unmaßgeblich darzustellen, widerspricht ihrer weitläufigen Wirkmacht und stellt die Beschreibung von Gender auch in Ermangelung begrifflicher Alternativen vor ein Problem. Doch genau hier tun sich Potenziale auf – Potenziale, die die Fokussierung interkategorialer Verknüpfungen zwischen Genre und Gender betreffen: Indem der Einfluss geschlechtlicher Konstellationen innerhalb seiner Verquickungen zu anderen – auch binären – Kategorien, wie Genre, hervortritt, kann die Wirkmacht von Gender berücksichtigt werden; Gender erweist sich über vielfältige Diskurse hinweg für andere Kategorien als bedeutend und gelangt in eine äußerst zentrale Position. Hierin obliegt man aber nicht einer undifferenzierten Dichotomie, da in Anbetracht der interkategorialen Verknüpfung zugleich auch eine Kontextualisierung erfolgt; Gender ist innerhalb seiner Verquickungen zu anderen Kategorien hervorzustellen, darin aber gleichzeitig auch spezifisch gerahmt. Außerdem zeichnet sich in
39 Dies zeigt sich in vielfältigen Bereichen, sodass, wie es Ulla Bock und Dorothee Alfermann etwa für Androgynie feststellen, gar von einer Paradoxie gesprochen werden kann, die im Rekurs auf eine Genderdichotomie bei gleichzeitiger Zurückweisung besteht. Vgl. Ulla Bock/Dorothee Alfermann: Androgynie in der Diskussion: Auflösung der Geschlechterrollengrenzen oder Verschwinden der Geschlechter? Eine Einleitung. In: dieselben (Hg.): Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung. Bd. 4: Androgynie. Vielfalt der Möglichkeiten. Stuttgart/Weimar 1999, S. 11-34, hier S. 13. 40 Wie wirkmächtig die Einteilung in ›Mann oder Frau‹ ist, zeigt sich im Übrigen nicht bloß anhand diskursübergreifender Verknüpfungen, die etwa Sexualität ohne Gender kaum denkbar machen. Zudem wird diese Problematik auch innerhalb der Gender Studies selbst, in den diversen Diskussionen eines strategischen Essentialismus, deutlich. Dieser widerspricht zentralen Grundannahmen, sein Potenzial begründet sich aber darin, dass er dezidiert die Wirkmacht geschlechtlicher Einteilungen zur Basis nimmt, um deren Veränderung herbeizuführen. Vgl. auch im Hinblick auf dessen Folge einer Trennung von Theorie und Praxis Schößler: Einführung in die Gender Studies, S. 16.
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der Gestaltung interkategorialer Verbindungen ab, wie Gender als ein wirkmächtiges Element, als Teil und unter Umständen sogar als Konstituens anderer Kategorien überhaupt entsteht; es ermöglicht sich ein Blick auf die Genese geschlechtlicher Einteilungen, die nicht als Dichotomie vorausgesetzt werden müssen, sondern in ihrer Entstehung als Dichotomie (aber auch in womöglich anderer Unterscheidung) hervortreten.41 Im ›Umweg‹ einer Beobachtung interkategorialer Verknüpfungen kann man der Problemlage zwischen Genese und Geltung also zumindest ansatzweise gerecht werden – zumal im Anschluss an Fryes Differenzierung das Verhältnis verschiedener Kategorien auch als ein Verhältnis verschiedener Wirkmacht in ihrer gegenseitigen Beeinflussung zu betrachten ist.
1.3 G ENDER IN G ENRE ( S ) UND DIE T ENDENZ WECHSELSEITIGER E SSENTIALISIERUNGEN Die bislang dargestellten Anstöße markieren zum einen Voraussetzungen in der gemeinsamen Betrachtung von Genre und Gender: Weder kann allein bei einer Genderdichotomie angesetzt werden noch ist die bloße Rahmung von Genres durch eindeutige Konventionen, die erst rückwirkend anhand von Diskursakteuren flexibilisiert werden, ausreichend. Zum anderen eröffnen sie jedoch auch Potenziale: Die Fokussierung von Genre und Gender ermöglicht es, diskursübergreifend die Komplexität von Genre(s) zu berücksichtigen und sie hierin einem spezifischen Kontext zuzuführen, ebenso wie eine Sensibilisierung gegenüber dem problematischen Verhältnis um die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ und ihre Herkunft stattfindet. Die Diskursivierung beider Kategorien gestattet folglich eine Annäherung an ihre Konstitution und beachtet zugleich ihre Geltung. Allerdings werden diese Anstöße – in ihrer Axiomatik und in ihren Potenzialen – bei der gemeinsamen Untersuchung von Genre und Gender kaum berücksichtigt, da in der Bezugnahme der Kategorien das Verhältnis von Genese und Wirkmacht häufig ausgeklammert wird und so nicht selten wechselseitige Essentialisierungen entstehen. Die Verknüpfung von Genre und Gender gerät zu einem Ansatz, um statische und wesenhafte Bestimmungen der Kategorien zu formieren; sie dient einer Ent-Synkretisierung von Genre(s) und blendet die Herkunft einer Gender-
41 In dieser Hinsicht wird zum Beispiel auch die Frage drängend, inwiefern eigentlich unabhängige Konstellationen, sogar Attribute wie ›männlich‹ oder ›weiblich‹, als Konstituenten einer Dichotomie fungieren, also etwa zu ›männlich oder weiblich‹ werden. Obgleich gerade ihre Differenzierung kaum konsequent erfolgen kann – und wird –, so gilt es doch, an einigen Stellen auf diese mitunter expliziten Konstruktionsprozesse einzugehen, wozu auch jene Attribute in Anführungszeichen gesetzt werden.
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dichotomie aus. Ein eingängiges Beispiel zu dieser Tendenz findet sich in der Betrachtung genrespezifischer Genderrepräsentationen, wobei (auch in Vorbereitung des zweiten Kapitels) die Beschäftigung mit dem Musical zur Illustration dienen soll: Anhand von Altmans einflussreicher Studie The American Film Musical kann die wechselseitige Essentialisierung in der Kopplung der Kategorien aufgezeigt werden – darüber hinaus offenbart sie sich aber auch in ihrer Hartnäckigkeit, denn aktuelle Publikationen, etwa Kelly Kesslers Destabilizing the Hollywood Musical, nehmen zwar Abgrenzungen zu Altman vor, sie geraten jedoch weiterhin in eine solche Tendenz. In der 1987 erschienenen Monografie The American Film Musical stellt Altman seinen viel beachteten semantisch-syntaktischen Ansatz vor und entwickelt ihn am Beispiel des Musicals. Ausgangspunkt ist hierbei eine Kritik an tautologischen Genredefinitionen sowie die Forderung nach mehrdimensionalen Zugriffen. Vor dem Hintergrund, eine analytische Ausrichtung produktiv zu machen, welche »conceptual relationships as fundamental«42 ansieht, schlägt Altman eine Differenzierung semantischer und syntaktischer Elemente vor; anhand dieser sollen Dynamiken hervortreten, die es sowohl für historische Perspektiven als auch für das Verhältnis zwischen Einzelfilm und generischer Konvention zu beachten gilt.43 Zugleich gestaltet sich darin eine Bestimmung des Musicals, die als Alternative zu »[t]raditional notions of narrative structure«44 fungiert und im Weiteren auch eine (nicht unproblematische) Unterscheidung dreier Subgenres mit sich bringt:45 Das Genre ist Altman zufolge in der Gegenüberstellung eines heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Paares zu kennzeichnen – »we alternate between the male focus and the female focus, working our way through a prepackaged love story whose dynamic principle remains the difference between male and female.«46
42 Rick Altman: The American Film Musical. Bloomington/Indianapolis 1987, S. 20. 43 Vgl. ebd., S. 100 f. 44 Ebd., S. 28. 45 Altman unterscheidet für das Musical drei Subgenres entlang ihrer Darstellung eskapistischer Ziele: »Each subgenre thus concretizes a particular kind of make-believe: fairy tale: to be in another place (whence the worldwide, aristocratic, travelogue semantics); show: to be in another body (whence the emphasis on everything related to the stage illusion); folk: to be in another time (whence the semantic emphasis on America of yesteryear).« Auffällig ist dabei, dass diese Kriterien in der Analyse semantischer und syntaktischer Elemente zuvor keinerlei Erwähnung finden und sich nicht aus der Exemplifizierung des Genremodells ergeben. Ebd., S. 127 [Herv. i.O.]. 46 Ebd., S. 20.
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Altmans Entwurf sammelt sich entlang der Darstellung von Gender – als sogenannte dual focus structure wird sie zum bestimmenden Kriterium des Musicals, wobei dies stets auf die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ rekurriert.47 Und genau dadurch gelangt Altman in eine Essentialisierung, denn er verweist weder auf die Historizität und diskursive Festigung dieser Unterscheidung noch stellt er die Frage, wie überhaupt die Konvention einer genderdichotomen Inszenierung mit dem Musical verbunden wird.48 Artikuliert Altman also zunächst noch ein Unbehagen gegenüber statischen Genrebestimmungen und betont die Notwendigkeit, Dynamiken zu berücksichtigen, so bereitet eine Genderbestimmung nach den kritisierten Maßstäben keine Bedenken. Zwar sieht er die Hervorstellung des heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Paares durchaus skeptisch,49 dies unterminiert aber keinesfalls dessen genrekonstitutive Position – eine Position, die kombinatorische Synkretisierungen ausblendet und eine Ent-Historisierung beider Kategorien erreicht.50 Mit der Behauptung einer genderdichotomen Inszenierung gelangt Altman in eine Bestimmung des Musicals, welche wechselseitige Essentialisierungen gestaltet. Dabei würde sein Entwurf eigentlich eine Betrachtung performativer Hervorbringungsleistungen entlang unterschiedlicher historischer Konstellationen ermöglichen: Als Genrekonvention (entsprechend einer Differenzierung zu Genremerkmalen) müsste sowohl untersucht werden, wie historisch situierte Genderkonzepte Einfluss auf Genrebetrachtungen nehmen, als auch, inwiefern Konstruktionspro-
47 In der Ausführung semantischer und syntaktischer Elemente des Musicals wird bei zehn Kennzeichen insgesamt sechsmal auf Gender und vor allem auf eine Genderdichotomie verwiesen. Hierin zeigt sich im Übrigen auch, dass die Abgrenzung semantischer und syntaktischer Elemente keinesfalls derart eindeutig ist, wie es teils im Anschluss an Altman behauptet wird, etwa bei Tim Kane: The Changing Vampire of Film and Television. A Critical Study of the Growth of a Genre. Jefferson/London 2006, S. 3-19. 48 Letzteres holt Altman als historisches Moment der Genrewerdung nach, obgleich seine Ausführungen lediglich die Entwicklung von Publikumserwartungen betreffen. Vgl. Altman: Reusable Packaging, S. 5. 49 Altman spricht in diesem Kontext von »[s]exual stereotyping and a strict moral code«. Altman: The American Film Musical, S. 25. 50 So ist die Genderdichotomie bei Altman stets das bestimmende Moment des Musicals und weist keinerlei Änderungen auf. Selbst in einem seiner aktuellen Aufsätze mag zwar zunächst eine Verschiebung anklingen, indem das Musical als rite de passage von homosozialen zu heterosexuellen Beziehungen betrachtet wird. Aber sogar hier gerät aus dem Blick, dass die Hervorstellung einer Genderdichotomie überhaupt erst deren Konstruktion bewirkt und sich dabei fortwährend aktualisiert. Vgl. Rick Altman: From Homosocial to Heterosexual: The Musical’s Two Projects. In: Steven Cohan (Hg.): The Sound of Musicals. London/Basingstoke/New York 2010, S. 19-29, hier S. 25.
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zesse der Genderdichotomie entlang einer Genregeschichte variieren. Mit einer solchen Vorgehensweise könnte dann sogar Altmans Forderung nach Untersuchungen zu Genres in ihrer gegenseitigen Beeinflussung genüge getan werden, denn über die Hervorbringung (!) von Gender ließen sich jene »inter-generic relationships«51 ohne Essentialisierungen beobachten. Wenngleich Altman mit seinem Entwurf eine dynamische Betrachtung und einen mehrdimensionalen Zugriff beabsichtigt, sein semantisch-syntaktischer Ansatz überaus produktiv ist und vielfältige Anstöße vermittelt, so erweist sich seine Auseinandersetzung mit dem Musical und dessen Darstellung einer Genderdichotomie als äußerst prekär, da sie Tendenzen birgt, die Altman schon aufgrund seiner Prämissen vermeiden müsste. Bei dieser Bewertung ist freilich zu berücksichtigen, dass gendertheoretische Auseinandersetzungen vor allem ab den 1990er Jahren eine immense Bedeutung gewonnen haben und seither elaborierte Modelle zur Betrachtung entwerfen. Wenn Altman also etwa »secondary categories«52 betont, die an die Genderdichotomie im Musical gebunden sind, so mögen sich – aus heutiger Sicht – Ansätze abzeichnen, die Gender performanztheoretisch begreifen. Allerdings kann die Tendenz einer wechselseitigen Essentialisierung dadurch nicht (allein) als eine historisch bedingte Erscheinung gelten, deren Änderung mit dem Aufkommen der Gender Studies eintritt, denn sie zeigt sich bis in die jüngste Zeit, wie es etwa die Arbeit von Kessler demonstriert. Kessler unternimmt den Versuch, ein Genrekonzept zu nutzen, das die Performativität dieser Kategorie auch in ihrem Bezug zu Gender hervorhebt. Sie betont: »Like genre, gender readability relies not on an individual or isolated act but the contextual reiteration of a series of acts or performances that circulate within an overall discourse of gender.«53 Jedoch betrachtet sie nicht die diskursiven Mechanismen dieser Etablierungs- und Aktualisierungsprozesse, sondern ist an historischen Veränderungen des Musicals interessiert, welche sich dann über Genderrepräsentationen manifestieren. Es wird also eine historische Aufarbeitung geleistet, die zunächst keine Genrekonvention stabil voraussetzt, sondern jene als Teil soziokultureller Änderungen perspektiviert54 und damit im Grunde sogar eine Dynamisierung von Genre durch Gender betreibt. Allerdings entsteht trotz dieses Ziels nicht selten der Eindruck, dass eine Genrekonvention zwar änderbar ist, ein Konsens über das Musical aber weiterhin existiert. Und genau dieser wurzelt, wie auch bei Altman, in der Genderdichotomie und
51 Altman: The American Film Musical, S. 114. 52 Ebd., S. 33. 53 Kelly Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical. Music, Masculinity and Mayhem. Basingstoke/New York 2010, S. 133. 54 Vgl. ebd., S. 3 sowie S. 10.
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ihrer Repräsentation; die entlang verschiedener Genrekonventionen entwickelten historischen Änderungen55 verbleiben in der Betrachtung von Gender einer Dichotomie treu, welche dadurch erneut zum bestimmenden Kriterium des Musicals wird und essentialisierende Verständnisse schürt.56 In dieser Hinsicht mögen sich zwar Unterschiede zu Altman abzeichnen, es dominieren jedoch Gemeinsamkeiten: Einerseits findet ein Bezug zu Gender statt, der weniger einer Naturalisierung von Geschlecht folgt, andererseits wird, wie bei Altman, durch Gender eine Konstruktion des Genres in seiner Abgrenzbarkeit ermöglicht. Bestimmte und bestimmbare Genderperformanzen sind Genrekonventionen des Musicals, sie mögen sich zwar historisch aktualisieren, zugrunde liegt ihnen aber stets die Vorgängigkeit eines durch die Genderdichotomie ›vereindeutigten‹ Genres. Von daher fallen einzelne Distanzierungen wenig ins Gewicht; wenn Kessler etwa eine Änderung der von Altman behaupteten Lösung der handlungstragenden Konflikte in der Ehe aufzeigt,57 so hat dies hat keine Folgen für die Genderdichotomie. Vielmehr greift Kessler hiermit eine ideologiekritische Dimension auf, die schon bei Altman angedeutet wird. Und darin kristallisiert sich noch eine weitere Gemeinsamkeit heraus. Nicht nur, dass beide, Altman und Kessler, eine Bestimmung des Musicals über die Genderdichotomie leisten, beide erlauben zudem in ähnlicher Weise – wenn auch in unterschiedlicher Dominanz – eine performative Betrachtung der Kategorien. Während diese bei Altman allerdings tendenziell einer Essentialisierung untergeordnet ist (er betont sekundäre Kategorien), so wird sie bei Kessler zum zentralen Ausgangspunkt, womit gar eine Parallelisierung zu Butlers Argumentation behauptet wird: »This Butlerian version of gender construction can explain both the creation and maintenance of a film genre and the materialization of gender within the genre itself. [...] Not until various films repeat similar stories, visuals, and ideologies can the genre truly take an identifiable shape. Only through articulating itself via the repetition of these characteristics can a film perform as ›a musical.‹«58
55 Kessler fokussiert neben motivischen und inszenatorischen Änderungen hauptsächlich Transformationen zwischen Bühne und Film sowie die Integration von Gesang auf narrativer Ebene. Vgl. ebd., S. 4-7. 56 Besonders deutlich ist dies auch im Titel der Monografie abzulesen, insofern ›Männlichkeit‹ bei Kessler der Genderdichotomie entspringt und in der Arbeit zur Gleichsetzung von ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹ führt. 57 Vgl. Altman: The American Film Musical, S. 51 und dazu Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical, S. 33. 58 Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical, S. 134.
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Doch diese Bezugnahme erweitert Kessler nicht um die Frage, wie der Prozess der Materialisierung59 von Genre und Gender erfolgt, vielmehr stellt sie auf Basis dessen einzelne historische Änderungen dar. So fragt sie nicht, wie Butler nachträglich in der zweiten Auflage als Ziel ihres Gender Trouble formuliert: »What other foundational categories of identity – the binary of sex, gender, and the body – can be shown as productions that create the effect of the natural, the original, and the inevitable?«60 Kessler nutzt zwar, wie bei Altman bereits anklingt, eine performative Konzeption, jedoch betrachtet sie lediglich deren Effekte, nicht aber ihre Bedingungen. Somit verbleibt sie auf einer Ebene, die zwar durchaus aufschlussreich eine Genregeschichte in Bezug auf Gender schreibt, sie verfolgt aber nicht das Ziel Butlers, die Genese diskursiver Effekte durch eine performative Bestimmung (und die Beschreibung subversiver Potenziale) zu ermitteln.61 Dies ist nicht als mangelndes Interesse an einer solchen Fragestellung zu deuten, sondern steht im Kontext eines Zugriffs, der in der Verknüpfung von Genre und Gender Essentialisierungen forciert, das Musical (ungeachtet seiner Synkretisierungen) festzurrt und auch die Genderdichotomie (ungeachtet ihrer Genese) stützt. Trotz dieser Kritik gilt es, das Potenzial der Arbeiten hervorzuheben, da beide bei einer überaus virulenten Problemlage ansetzen: Wie können Genreuntersuchungen erfolgen, die nicht ›Resten‹ einer wesenhaften Bestimmung obliegen, die kein Wesen und keinen Konsens voraussetzen, um ein Genre zu betrachten? Altman und Kessler sehen diese Spannung und gewichten sie je unterschiedlich. So verweist Altman auf Probleme einer »simple, tautological definition«62 und stellt mit seinem semantisch-syntaktischen Modell eine Alternative vor – auch wenn eine Überwindung der kritisierten Ansätze für das Musical fragwürdig bleibt. Und daher bewertet Kessler Altmans Beschreibung als ungenügend für das Genre ab den 1960er Jahren,63 hält aber gleichwohl an der bei Altman bereits ausgeführten Genrekonvention einer Darstellung der Genderdichotomie fest. Die Parallelität der synkretistischen und dennoch eindeutigen Verfasstheit, letztlich Konstitution und Wirkmacht, wird also durchaus als Problemfeld erkannt – allerdings muss dieses in der Verknüpfung zu Gender grundlegender beleuchtet werden, da wechselseitige Essentialisierungen hier nicht per se ausschlossen sind, sondern unter Umständen sogar lanciert werden.
59 Der Begriff der Materialisierung spielt bei Butler eine besondere Rolle. Er soll aus der Trennung von Materialität und Diskurs führen sowie hinter die Prämisse einer prädiskursiven Materialität treten. Vgl. Butler: Bodies That Matter, S. 29 f. 60 Butler: Gender Trouble, S. xxix. 61 Zwar geht es Butler durchaus um normierende Konsequenzen, diese werden jedoch auch in ihren Bedingungen verfolgt. Vgl. dazu etwa Butler: Bodies That Matter, S. 30. 62 Altman: The American Film Musical, S. 92. 63 Vgl. Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical, S. 33.
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1.4 E INE METHODISCHE P ROBLEMSTELLUNG ? Z UR U MAKZENTUIERUNG DES R EPRÄSENTATIONSBEGRIFFS Während das Verhältnis von Genre und Gender in der aktuellen Forschung häufig entlang von Genderrepräsentationen in einem oder auch mehrerer Genres erläutert wird und darin ganz unterschiedlichen Zwecken dient (vom Genrevergleich bis zur Genregeschichte), so begründet sich diese Vielfalt auch unter konzeptionellen Gesichtspunkten – im Bemühen, beide Kategorien »nicht ahistorisch [zu] fixieren, sondern dynamisch [zu] begreifen«.64 In dieser Hinsicht betont Andrea B. Braidt gar, dass »anti-essentialistische Vorschläge zur Theoretisierung von Gender und Genre Konjunktur haben, und zwar vor allem, wenn es um eine Annäherung an Fragen der filmischen Repräsentationsmodalitäten geht.«65 Allerdings zeigt sich in der exemplarischen Erläuterung der Arbeiten von Altman und Kessler auch ein anderes Bild: Beide fokussieren zwar vornehmlich genrespezifische Genderrepräsentationen, sie geraten entlang dieser Ausrichtung jedoch in eine wechselseitige Essentialisierung der Kategorien. Insofern stellt sich die Frage, woher diese Differenz in der Betrachtung von Genre und Gender kommt. Wodurch erklären sich die mitunter sogar widersprüchlichen Einschätzungen zur Beobachtung genrespezifischer Genderrepräsentationen? Und welche Konsequenzen können daraus abgeleitet werden? Eine mögliche Antwort hierzu gibt Braidt. Sie zeigt, dass Vorannahmen zur Verortung von Gender in Genre(s) als das »Hauptproblem der meisten Ansätze«66 gelten können, da sie einer methodischen Schwierigkeit obliegen. Im »Schnitt durch die Strukturen des filmtheoretischen Argumentierens in Bezug auf die Kopplung von Gender und Genre«67 zeigen sich laut Braidt ›wesentliche‹ Annahmen, die das Verhältnis der Kategorien in der Forschung präfigurieren und auf diese Weise überhaupt erst begründen: Gender wird als Publikumsmerkmal oder als Textmerk-
64 Liebrand/Steiner: Einleitung, S. 7. Auch forschungsgeschichtlich ist dies angezeigt, denn »mit dem ›performative turn‹ der Gender Studies Anfang der 90er-Jahre lässt sich eine starke Zunahme der gemeinsamen Untersuchung von Gender und Genre konstatieren.« Blaseio: Genre und Gender, S. 39. 65 Andrea B. Braidt: Einleitung: Gender und Genre in den Filmwissenschaften. In: Monika Bernold/dies./Claudia Preschl (Hg.): Screenwise. Film, Fernsehen, Feminismus. Dokumentation der Tagung ›Screenwise. Standorte und Szenarien zeitgenössischer feministischer Film- und TV-Wissenschaften‹, 15.–17. Mai 2003 in Wien. Marburg 2004, S. 196-199, hier S. 197 f. 66 Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, S. 88. 67 Ebd., S. 75.
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mal verstanden; geschlechtliche Konstellationen werden Generischen untergeordnet, und zwar im Hinblick auf zwei Größen, die wiederum für eine Genrebestimmung dominant erscheinen – das Publikum oder der (filmische) Text. Dadurch ergeben sich jedoch nicht bloß, wie einleitend dargestellt, verschiedene thematische Leerstellen, durch die insbesondere die Wechselseitigkeit der Kategorien in einem unidirektionalen Verhältnis betrachtet wird – vielmehr entsteht laut Braidt auch »eine methodische Leerstelle«,68 die zu Essentialisierungen verleitet. So sei das Verhältnis der Kategorien in seiner Bedeutungsgenerierung (und daher auch in seiner Wechselseitigkeit) vorweggenommen; die »Rolle von Gender und Genre im Filmverstehensprozess«69 wird gar nicht erst betrachtet. Selbst Lektüren, die als solche auf der Annahme nicht abschließbarer Signifikationsprozesse gründen,70 erscheinen bei Braidt überaus kritisch, denn in ihrer Beschreibung textueller Genresowie Genderkonventionen bestünde die Gefahr, dass »durch die Lektüre [...] die festgestellte Genretransposition/Hybridisierung [...] letztendlich eine Stabilisierung der (theoretischen und dem Filmtext vorgängigen) Genre-(und Gender-)grenzen zur Folge«71 hat. Eine statische Bestimmung der Kategorien kann demnach gestützt werden, wie es auch bei Altman und Kessler der Fall ist, wenn das Musical betrachtet und auf die Darstellung der Genderdichotomie zurückgeführt wird – wenn beide Kategorien von vorne herein in ein Verhältnis gesetzt werden, das ihre weitere Untersuchung entlang der Axiomatik als Publikums- oder Textmerkmal determiniert und so Prozesse signifikatorischer Erzeugung unterschlägt. Die Position Braidts ist nicht zu unterschätzen – gibt sie doch nicht bloß eine Antwort auf die Frage, warum wechselseitige Essentialisierungen erfolgen, sondern stellt auch eine Kritik an aktuellen Auseinandersetzungen dar. Allerdings gilt es, Differenzierungen zu berücksichtigen, denn Braidt entwickelt aus dieser Problematik heraus ein Konzept, welches kognitionswissenschaftlich gerahmt die Wahrnehmungsbezogenheit von Genre und Gender hervorstellt und letztlich eine empirische Alternative produktiv machen will.72 Zugunsten einer systematisierenden Übersicht gerät dabei jedoch die Spezifik der kritisierten Ansätze, insbesondere der textuellen Fokussierungen,73 aus den Augen – ihre in der Umakzentuierung des Repräsenta-
68 Ebd., S. 88. 69 Ebd., S. 8. 70 Vgl. hierzu grundlegend Liebrand: Gendertopographien, S. 11 f. sowie die Ausführungen in Kapitel 5.1. 71 Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, S. 85 [Herv. i.O.]. 72 Vgl. zur Zielsetzung ebd., S. 7-11. 73 Bei Ansätzen, die sich dem Publikum widmen, ist dies durchaus anders – immerhin zeigen sie bereits in der Operationalisierung und in der Aussagekraft Schwächen. Dies wird von Braidt allerdings kaum innerhalb ihres Vorschlags einer kognitionswissenschaftlich
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tionsbegriffs beabsichtige Verschiebung, die sich der Gefahr einer Essentialisierung durchaus annimmt. So betont beispielsweise Claudia Liebrand die »Effekte eines prekären kulturellen Konstruktionsprozesses«74 der Genderdichotomie und hebt zugleich ihr kompliziertes Verhältnis zu Genre(s) hervor: »Semantische Besetzungen von Gender verdanken sich medialen Limitationen; alternative Gender-Kodierungen erzwingen genrespezifische Innovationen.«75 Bei Gledhill wird jene Dynamik im Rahmen diskurstheoretischer Zugriffe diskutiert, insofern die textuelle Repräsentation von Gender eine Dimension innerhalb kultureller Verhandlungen darstellt und in Genre(s) geäußert wird.76 Und auch viele weitere Perspektiven können hier eingereiht werden,77 sodass der Frage nach genrespezifischen Genderrepräsentationen durchaus ein Interesse an prozessualen Momenten im Verhältnis der Kategorien und insbesondere in seiner Bedeutungsgenerierung innewohnt. Obgleich die genannten Zugriffe in ihren analytischen Gewichtungen zu unterscheiden sind,78 so gilt es, den Konsequenzen derartiger Beobachtungen Aufmerksamkeit zu schenken: Sie verfolgen eine Perspektive, die nicht in Essentialisierungen gefangen bleibt, wohl aber die Wirkmacht der Kategorien berücksichtigt und auf diese Weise – in der Repräsentation selbst – die wechselseitige Bedingtheit von Genre und Gender aufzeigen kann. Wenn Gledhill also betont, dass Bezüge zwischen Genrediskursen und Genderrepräsentationen bestehen, indem »Repräsentation nicht als Endprodukt von Ideologien oder bestimmten ästhetischen Praktiken, sondern als eigene[r] Beitrag zu kulturellen Aushandlungsprozessen zu denken [ist]«,79 dann wird der Repräsentationsbegriff als solcher einer Dynamik zugeführt.
fundierten Betrachtung (und damit letztlich auch innerhalb ihrer eigenen Perspektive auf das Publikum) berücksichtigt. 74 Liebrand: Gendertopographien, S. 18 [in Anm.]. 75 Ebd., S. 10. 76 Vgl. Gledhill: Überlegungen zum Verhältnis von Gender und Genre im postmodernen Zeitalter, S. 209 und Gledhill: Rethinking Genre, S. 239. 77 Beispielsweise verfolgt Kathrin Mädler eine ähnliche Ausrichtung, wenn sie den performativen Austausch zwischen Genre und Gender anhand verschiedener Filmlektüren betont, während Scheinpflug sogar eine Betrachtung vorlegt, die für den Giallo eine mediale Differenzierung des Genres entlang filmischer Genderrepräsentationen nachzeichnet. Vgl. Kathrin Mädler: Broken Men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit – Krisen von Gender und Genre im zeitgenössischen Hollywood-Film. Marburg 2008, S. 18 sowie Scheinpflug: Formelkino, S. 216 f. 78 Nichtsdestotrotz lassen sich auch dahingehend Gemeinsamkeiten pointieren, die in dieser Arbeit letztlich zur Verbindung von text- und diskursanalytischen Verfahren führen. 79 Gledhill: Überlegungen zum Verhältnis von Gender und Genre im postmodernen Zeitalter, S. 200.
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Und dies lässt sich noch weiter zuspitzen, denn Antke Engel zeigt in ihrer Arbeit, dass Repräsentationen nicht bloß in einem Austauschverhältnis stehen. Für sie gilt es, den Repräsentationsbegriff zu dynamisieren, »weil sich die Repräsentation mit der Norm verknüpft, weil die Repräsentation kein neutrales Medium der Darstellung oder gar Abbildung ist, sondern eine soziale Praxis oder Technologie, die konstitutiv wirksam ist, das heißt Bedeutungen produziert und Wirklichkeit konstruiert.«80
In dieser Hinsicht lassen sich eigenständige Prozesse signifikatorischer Erzeugung fokussieren, die zugleich in einem reflexiven Verhältnis verortet sind, denn: »Repräsentation unterliegt sozio-historischen Bedingungen, aber sie ist auch eine Möglichkeit, in eben diese verändernd einzugreifen.«81 Sowohl Engel als auch Gledhill betonen demnach, dass Repräsentationen nicht als Abbildungen zu verstehen sind – damit aber auch keiner Essenz bedürfen, die ihnen vorausgeht. Vielmehr werden Aushandlungen fokussiert, die sich etwa in der Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse gestalten und hierin überhaupt erst zur Annahme einer Abbildung führen. Kurzum: Repräsentation ist nicht Darstellung, sondern Herstellung.82 Im Rahmen dieser Umakzentuierung des Repräsentationsbegriffs zeigt sich entgegen der Kritik von Braidt, dass die Untersuchung von Genderrepräsentationen in Genre(s) die Tendenz einer wechselseitigen Essentialisierung durchaus problematisiert. Repräsentationen werden in ihrer Verwobenheit zwischen Genre und Gender (Liebrand), zwischen Diskursen (Gledhill) und zwischen soziokulturellen Aushandlungen (Engel) aufgezeigt und somit einer Dynamik innerhalb ihrer Bedeutungsgenerierung zugeführt. Zwar mögen die von Braidt kritisierten Beispiele wie auch die Arbeiten von Altman und Kessler in Essentialisierungen zurückfallen, dies aber allein durch eine textuelle Vorannahme zu begründen, erscheint unzureichend: Ein Zugriff auf genrespezifische Genderrepräsentationen kann, wie Braidt betont, dazu neigen, Essentialisierungen fortzuführen, er mag dazu tendieren, eine Genderdichotomie als Ausgangspunkt zu wählen oder aber Genre und Gender dem textuellen Fokus folgend lediglich im Rahmen audiovisueller Verhandlungen zu berücksichti-
80 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 18. 81 Ebd. 82 Dies mag zwar quer zu anderen Entwürfen stehen, nichtsdestotrotz verbietet sich darin aber eine generalisierende Kritik, wie sie etwa plakativ seitens der Non Representational Theory formuliert wird – zumal konkret dieser Entwurf durchaus in das hier skizzierte Verständnis integriert werden könnte. Vgl. zur Non Representational Theory einleitend Nigel Thrift: Life, but not as we know it. In: ders. (Hg.): Non Representational Theory. Space, Politics, Affect. London/New York 2008, S. 1-26, hier S. 5-18.
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gen.83 Auch bildet die bloße Orientierung an »Eigenschaftskatalogen«84 sicherlich einen Fallstrick für viele Untersuchungen. Doch die Reduktion als eine durch die textuelle Verortung erfolgende Essentialisierung von Genre und Gender, wie sie Braidt zugegebenermaßen in der Absicht einer Systematisierung vornimmt, erklärt dieses Phänomen nicht. Die vorgängige Existenz der Kategorien ist stattdessen, wie es die Umakzentuierung des Repräsentationsbegriffs zeigt (und wie es interessanterweise selbst Braidt einräumt), durch »die Erschaffung, Zirkulation und Rezeption von Texten innerhalb kultureller Kontexte«85 beeinflusst. Genau dadurch kann die wechselseitige Essentialisierung von Genre und Gender aber nicht allein als eine methodische Problemstellung gelten, sondern lässt sich ebenso als eine diskursive Strategie beobachten – als eine diskursive Strategie, die »symptomatisch und problematisch zugleich«86 ist.
1.5 M OMENTE
DES W IDERSPRÜCHLICHEN ALS DISKURSINHÄRENTE P HÄNOMENE : E IN PERSPEKTIVISCHES W ECHSELSPIEL
Mary Gerhart verweist bereits 1992 auf die gemeinsame Etymologie von Genre und Gender: »[T]he family of genre and gender carries two general senses: the categorical and the productive.«87 Einerseits sind Genre und Gender als Ordnungssysteme zur Gruppierung und Einordnung dienlich; sie ermöglichen in ihrer kategorialen Dimension Systematisierungen und Zuordnungen. Dabei obliegen sie jedoch spezifischen Kontexten, sodass beide weder ahistorisch noch kulturübergreifend Gültigkeit besitzen. Und dies führt zur zweiten etymologischen Dimension, indem Genre und Gender Unterscheidungen hervorbringen, diese entlang ihrer je eigenen Grenzen produzieren und reproduzieren. Beide Dimensionen stehen in wechselseitiger Beziehung, denn während eine Kategorie Zuordnung findet, so stellt sie diese doch
83 Dies kann etwa für Altmans Position behauptet werden, wenn er seinen semantischsyntaktischen Ansatz um eine pragmatische Dimension erweitert, jedoch in der Analyse von Werbeplakaten filmnah verfährt. Vgl. Altman: Reusable Packaging, S. 39. 84 Andrea B. Braidt: Film-Genus. Zu einer theoretischen und methodischen Konzeption von Gender und Genre im narrativen Film. In: Claudia Liebrand/Ines Steiner (Hg.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film. Marburg 2004, S. 45-66, hier S. 46. 85 Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, S. 40. 86 Schneider: Genre und Gender, S. 98. 87 Mary Gerhart: Genre Choices, Gender Questions. Norman/London 1992, S. 98 [Herv. i.O.].
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zugleich auch her. Demnach kommt Gerhart zu dem Schluss: »[I]t is possible to understand the categorical and the productive senses of genre and gender as interdependent.«88 Dieser etymologische Hinweis ist im Rahmen der gemeinsamen Untersuchung von Genre und Gender besonders aufschlussreich. Mit ihm kann begründet werden, dass beide Kategorien grundlegend verbunden sind und ihre perspektivische Trennung Probleme enthält. So erscheint, wie Gerhart betont, etwa eine disziplinäre Differenzierung unnötig, wenn die Zugehörigkeit zu einer der Kategorien betrachtet wird: »There is some evidence, however, that there need not be a disciplinary split on the issue of what it means to ›belong‹ to a genre or to a gender.«89 Die Suche nach Verknüpfungsmöglichkeiten birgt überdies eine Gefahr, denn die Trennung der Kategorien verstellt den Blick: Es wird nicht untersucht, wie es zur Kopplung von Genre und Gender kommt und inwiefern sie sich dabei sogar als konstitutiv wirksam erweist. Vielmehr wird schlicht einer disziplinären Aufteilung gefolgt, die Verbindungen als methodische Zugriffe vorstellt90 und sie mitunter in der Peripherie verortet, etwa als »Seiten-Zweig einer funktionsgeschichtlichen Gattungsgeschichtsschreibung«.91 Doch welche weiteren Konsequenzen lassen sich aus diesem etymologischen Hinweis ableiten? Welche Bezüge werden zu den gezeigten Spannungsmomenten im Verhältnis von Genese und Wirkmacht eröffnet? Und inwiefern kann darin sogar die Tendenz einer wechselseitigen Essentialisierung berücksichtigt werden, wenn diese eben nicht ›bloß‹ als eine methodische Problemstellung gelten kann? Auf Basis der bisherigen Ausführungen liegt der Vorschlag nahe, die Verknüpfung von Genre und Gender als diskursiven Prozess zu beobachten. Dieser enthält – so die Vermutung – sowohl Essentialisierungen als auch Destabilisierungen, er zeigt in der Verbindung der Kategorien die Wechselseitigkeit der hervorbringenden und der begrenzenden, der produktiven und der kategorialen Dimensionen gleicher-
88 Ebd., S. 101. 89 Ebd., S. 99. 90 Mutmaßlich bietet der Begriff der Kopplung hierbei auch eine Differenzierungsmöglichkeit, indem er weniger intentional als der Begriff der Verbindung das Augenmerk auf tatsächliche, d.h. in Diskursen formierte Relationen lenkt. Allerdings ist eine solche Unterscheidung nicht in der Forschung aufzuzeigen und letztlich nur entlang der Frage, ob eine Position als Diskursmaterial betrachtet wird, vorzunehmen, sodass auf eine konsequente Differenzierung verzichtet wird. Stattdessen soll in der kollektiven Beschreibung als Verknüpfung jedoch beides betont werden – die in Diskursen formierte Relation und ihre Beobachtung als eine in Diskursen formierte Relation. 91 Rüdiger Zymner: Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft. Paderborn 2003, S. 203.
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maßen: Zwar können Genre und Gender nicht als eindeutige Kategorien vorausgesetzt werden; sie erweisen sich als äußerst dynamische und stets kontextuell gebundene Verständigungsbegriffe. Doch genau hierin zeichnet sich die Rede von einem Genre oder einem Geschlecht bereits als essentialisierend aus. Dadurch bewirkt nicht der Zugriff (wie bei Braidt) eine wechselseitige Essentialisierung, sondern die sprachliche Verfasstheit der Kategorien vermittelt auf Basis diskursiver Sedimentierung ihre Wesenhaftigkeit. Dies führt dazu, dass Momente der Essentialisierung auftreten, jedoch auch deren Ungenügen hervorgehoben wird. Scheinbar widersprüchliche Einschätzungen lassen sich somit als Ergebnis ein und desselben Diskurses begreifen – ein Diskurs, der Genre und Gender in Verbindung setzt. Wenn Genre und Gender diskursiviert werden und darin nicht die Vorgängigkeit (zumindest einer) der Kategorien als Grundlage ihrer Verknüpfung dient, so gilt es, diskursspezifische und diskursübergreifende Mechanismen in den Blick zu nehmen. Die Konstruktion der Kategorien ist entlang der Funktion einer Aussagengenerierung sowie durch den unterstellten Aussagezusammenhang als diskursiver Prozess zu beschreiben.92 Allerdings ist damit eine Schwierigkeit verbunden: Wenn Konstitution und Gültigkeit, die produktive Hervorbringung und die kategoriale Klassifikation zugleich präsent sind (und dies letztlich auch die Interdependenz der Kategorien begründet), so tendiert die Rede von einem Genre oder einem Geschlecht doch hingegen dazu, die hervorbringenden Momente zu unterschlagen. Wird beispielsweise das Musical oder die ›Frau‹ als Repräsentation untersucht, dann stellt sich eine Annahme ein, die beide als vorgängig ausweist und wechselseitige Essentialisierungen gestaltet. Wie sehr man auch die sprachlich-performative Hervorbringung betont – ihr Effekt einer normierenden Invarianz bleibt im sprachlichen Gebrauch erhalten. Dies ist allerdings nicht bloß kommunikativen Funktionen geschuldet, sondern resultiert mehr noch aus der »sprachpraktische[n] Wirklichkeitskonstruktion in Diskursen«,93 denn jene »funktioniert über Differenzbildungen und Bedeutungsbzw. Sinnverkettungen.«94 Die Analyse diskursiver Prozesse mag zwar daran interessiert sein, etwa die ›Verkettung‹ von Genre und Gender aufzuzeigen, sie ist aber schon in ihrer sprachlichen Formung ebendiesen Prozessen unterworfen. Sie
92 In dieser Hinsicht »fungieren Aussagen gleichsam als Atome, als konstitutive systematische Bestandteile diskursiver Formierungen bzw. Diskursen.« Bührmann/Schneider: Vom Diskurs zum Dispositiv, S. 26. Vgl. grundlegend auch Foucaults Diskursbegriff als »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören«. Michel Foucault: Archäologie des Wissens [L’archéologie du savoir, 1969]. Übersetzt von Ulrich Köppen. Frankfurt a.M. 1973, S. 156. 93 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 94 Ebd.
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schließt zwangsläufig an Differenzbildungen an, welche ihrerseits für Genre und Gender essentialisierende Annahmen sowie Trennungen disziplinärer Art bergen. Kurzum: Die Diskursivierung beider Kategorien erlaubt es, die wechselseitige Konstruktion von Genre und Gender zu verfolgen – sie ist jedoch innerhalb diskursiver Prozesse gefangen; sie bedient sich der Sprache als diskursive Sedimentierung,95 womit ein statisches Verständnis kaum zu vermeiden ist. Und genau dadurch entstehen Potenziale. Die Tendenz einer wechselseitigen Essentialisierung kann anhand der diskursiven Wirklichkeitskonstruktion (und im Weiteren auch anhand der autologischen Verfasstheit diskursanalytischer Zugriffe) begründet werden – durch sie rückt jedoch noch ein anderer Aspekt in den Fokus: ihre Komplexität. So enthält die diskursive Wirklichkeitskonstruktion »immer auch im- oder explizite Ausschließungen anderer Deutungsmöglichkeiten, Abwertungen konkurrierender Positionen, […] Bezüge zu weiteren unterstützenden Konzepten usw.«96 In dieser Hinsicht erklärt sich etwa, warum eigentlich nicht essentialisierende Vorschläge, wie die von Altman und Kessler, dennoch wesenhafte Annahmen bergen, umgekehrt wird der laut Braidt immense ›Boom‹ nicht essentialisierender Vorschläge zum Symptom wesenhafter Vorstellungen. Unterschiedlichste Einschätzungen bezüglich der Verknüpfung von Genre und Gender lassen sich folglich als Teil und Effekt ein und desselben Diskurses begreifen, der die produktive und kategoriale Dimension der Kategorien in der Wechselseitigkeit ihrer Verbindung hervorstellt. Es zeigt sich ein großes Spektrum, das in den Positionen von Braidt und Katrin Mädler sogar widersprüchlich erscheint und dennoch als diskursinhärent zu perspektivieren ist. Während Braidt, wie bereits erläutert, betont, dass die Kopplung von Genre und Gender insbesondere in einer textuellen Verortung wechselseitige Essentialisierungen bewirkt – »den verschiedenen theoretischen Ansätzen [liegt eine] implizite oder explizite Konzeption der Kategorien als fixierte, stabile, a-historische und universale Einheiten [zugrunde]«97 –, so finden sich demgegenüber auch Positionen, die die interkategoriale Verknüpfung gerade in Anbetracht einer textuellen Verortung anders gewichten und ihr einen nahezu gegenteiligen Effekt zuschreiben. Etwa betrachtet Mädler die Kopplung von Genre und Gender entlang einer performativen Konzeption der Kategorien als wechselseitige Ent-Essentialisierung:
95 Dieses Verständnis von Sprache findet sich auch in Teilen der Linguistik und steht im Kontext performanztheoretischer sowie pragmatischer Ansätze. Vgl. dazu etwa Heiko Motschenbacher: Language, Gender and Sexual Identity. Poststructuralist Perspectives. Amsterdam/Philadelphia 2010, S. 33-37. 96 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 97 Braidt: Film-Genus. Zu einer theoretischen und methodischen Konzeption von Gender und Genre im narrativen Film, S. 46.
54 | G ENRE UND G ENDER »Genre und Gender treten in einen sich gegenseitig performativ beeinflussenden Austausch, gehen auseinander hervor [...]. In ihrer Wechselwirkung und gegenseitigen Beeinflussung werden Genre und Gender historisierbar. [...] Sowohl die Brüchigkeit als auch der konstruierte Charakter beider Komponenten, Gender und Genre[,] werden in ihrer ungewöhnlichen Paarung sichtbar, beide werden denaturalisiert.«98
In der Verbindung von Genre und Gender wird laut Mädler die diskursive Konstruktion der Kategorien, ihre dynamische und instabile Genese, ersichtlich. Dies plausibilisiert sich durch verschiedene Filmlektüren; sie zeigen die Abhängigkeit von Genre und Gender, sie demonstrieren die in der Kopplung auftretenden Widersprüche und erlauben es letztlich, die Wirkmacht der Kategorien zu hinterfragen. Beide Aussagen betonen, dass Genre und Gender wechselseitig zu beobachten sind, sie ziehen daraus jedoch unterschiedliche Konsequenzen. Während Braidt die Gefahr sieht, dass wechselseitige Stabilisierungen erfolgen, die ihrerseits auf einen textuellen Zugriff zurückgeführt werden, so wählt Mädler just dieses Verfahren und gelangt zu einem anderen Ergebnis, nämlich dass wechselseitige Stabilisierungen hierin vermeidbar sind. Die Gegenteiligkeit beider Positionen mag zwar nicht in Gänze zu halten sein – verweist Braidt doch auf Potenziale einer textuellen Verortung zur Operationalisierung ihres kognitionswissenschaftlichen Modells,99 während Mädler Grenzen ihrer Filmlektüren erwähnt.100 Und dennoch ist auffällig, dass die Beobachtung von Genre und Gender zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen führt: Entweder bewirkt die Verknüpfung der Kategorien eine wechselseitige Essentialisierung oder aber sie ermöglicht eine wechselseitige Dekonstruktion, entweder schreibt sie die Wirkmacht der Kategorien fort oder sie zeigt deren konstruierte und keinesfalls wesenhafte Verfasstheit, entweder stützen Genre und Gender einander oder sie stellen einander in Frage. Diese nahezu widersprüchlichen Einschätzungen erklären sich nicht ausreichend durch das Interesse der jeweiligen Arbeiten oder gar durch ihre disziplinäre Zugehörigkeit – vielmehr operiert diese Unterschiedlichkeit in genau jenem Spannungsmoment von Genese und Wirkmacht, welches Gerhart schon in der Etymologie der Kategorien aufzeigt. Somit scheinen zwei Richtungen zu dominieren, die beide zwar den wechselseitigen Austausch von Genre und Gender hervorheben, jedoch in unterschiedlichem Maße auf Essentialisierungen oder deren Gegenteil verweisen. Aus einer diskurstheoretischen Perspektive heraus gilt es, beide Positionen nicht allein in ihrer Unterschiedlichkeit zu kennzeichnen oder aber den Versuch zur Synthese der Ansätze zu unternehmen. Vielmehr lassen sich die Positionen als Ergebnis
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Mädler: Broken Men, S. 18 [Herv. i.O.].
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Vgl. Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, S. 106.
100 Vgl. Mädler: Broken Men, S. 29.
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eines Diskurses begreifen, der als solcher jene Gegensätzlichkeit erst hervorbringt. So kann Gender, vor allem die Dichotomie ›Mann oder Frau‹, dazu dienen, den Diskursgegenstand, ein Genre, herzustellen und – entsprechend Braidt – Essentialisierungen bewirken. Zugleich ist hierin jedoch – entsprechend Mädler – auch ein Ungenügen aufzuzeigen, das in der diskursiven Verknüpfung der Kategorien hervortritt und beide in ihrer Brüchigkeit betont. Gender wird als Möglichkeit zur Formation eines Genres ausgewiesen, die gleichzeitig ihr eigenes Unvermögen birgt. Wenn nun also sowohl die hervorbringende als auch die begrenzende, die produktive und die kategoriale Dimension gleichermaßen in der Komplexität diskursiver Prozesse zu berücksichtigen ist, dann erscheinen die Positionen von Braidt und Mädler nicht bloß widersprüchlich – vielmehr stellen sie ein Spektrum dar, welches sich aus einem Genrediskurs in seinen Kopplungen zu Gender ergibt. In dieser Perspektive umfasst die Verknüpfung von Genre und Gender sehr unterschiedliche Einschätzungen und Effekte zugleich. Doch nicht bloß das Spektrum zwischen wechselseitigen Stabilisierungen und Irritationen wird hierbei bedeutend. Vielmehr vermittelt dieser Ansatzpunkt auch einen Anstoß für die bisher erläuterten Problemstellungen innerhalb der Beobachtung der Kategorien – für Genres, die als synkretistische Größen über viele Diskurse bzw. Diskursebenen hinweg verhandelt werden, für Gender, das als dichotome Kategorie eine überaus wirkmächtige Konstruktion bildet, deren Genese schwierig zu ermitteln ist, und schließlich für die Verknüpfung beider, die nicht in wechselseitigen Essentialisierungen münden soll, hierzu aber nicht allein einer anderen, methodisch relevanten Verortung bedarf: Die Diskursivierung beider Kategorien verlangt eine differenzierte Betrachtung, die nur dann zu leisten ist, wenn ihre Komplexität, die Komplexität diskursiver Prozesse, anerkannt wird. Statt die Kopplung von Genre und Gender also allein auf wechselseitige Essentialisierungen oder wechselseitige Destabilisierungen zu reduzieren, bewirkt sie beides – sie ist ambivalent, und zwar spezifisch innerhalb derjenigen Kontexte, in denen es überhaupt zur Verbindung der Kategorien kommt. Es bedarf folglich eines perspektivischen Wechselspiels, das die produktive und die kategoriale Dimension zugleich hervorstellt, das die spannungsvollen Momente der Kategorien gerade in ihrer Verknüpfung offenlegt und sie in gleich zweifacher Weise als wechselseitig begreift: in der interkategorialen Verbindung selbst, die von unterschiedlichen Ambivalenzen geprägt ist, und im überaus schwierigen Verhältnis zwischen Genese und Wirkmacht, welches in der Diskursivierung von Genre und Gender Impulse zur Vermittlung erhält.
2 Genre, Gender und das Musical Die Betrachtung einer Kategorienkrise in ihrer diskursiven Formung
Das Verhältnis von Gerne und Gender wird in der aktuellen Forschung vielfältig diskutiert und lässt sich im Zuge unterschiedlicher Zugriffe, aber auch durch unterschiedliche methodische und konzeptionelle Problemfelder als äußerst divergent bewerten. Es zeigt sich ein großes Spektrum, welches von Tendenzen einer wechselseitigen Essentialisierung über Potenziale ihrer Destabilisierung bis hin zur grundlegenden und interdependenten Verknüpfung beider Kategorien reicht. Genre und Gender bilden damit jedoch nicht bloß, wie eingangs dargestellt, wichtige medien- und kulturwissenschaftliche Bezugsgrößen – ihr Verhältnis selbst gibt Anstoß zur Analyse. Und genau diesen Impulsen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. So entsteht in der Diskursivierung von Genre und Gender eine Möglichkeit, um sowohl die hervorbringende als auch die begrenzende Dimension der Kategorien zu berücksichtigen, um die in der interkategorialen Verbindung inhärenten Spannungsfelder zu beobachten und sich dabei der Komplexität diskursiver Prozesse anzunähern. Hierzu ist zu fragen, wie Genrediskurse überhaupt im Hinblick auf Gender verlaufen, wie die Wechselseitigkeit der Kategorien in unterschiedlichen Diskursebenen geformt wird und inwiefern dies Rückschlüsse auf ihre Konstitution, aber auch auf ihre Wirkmacht zulässt. Konzeptionell gestattet die Beantwortung dieser Fragen schließlich Anschlüsse an unterschiedliche theoretische Felder und lädt zur weitergehenden Untersuchung ein – zuallererst sind jedoch methodische Überlegungen anzustellen. Das folgende Kapitel dient gleich in mehrfacher Weise der Präzisierung; es soll das Vorgehen als auch die Analyse selbst schärfen und so der Diskursivierung von Genre und Gender gerade in ihrer Notwenigkeit einer genauen Beobachtung gerecht werden. Dies umfasst zunächst das Phänomen einer Kategorienkrise – eines überaus virulenten Zweifels an Kategorien, der sich, so die Vermutung, in der Kopplung
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von Genre und Gender spezifisch äußert, hierin aber weder allein Lösung noch allein Auslöser ist: Wenn sich die interkategoriale Verbindung von Ambivalenzen geprägt zeigt, und dies sogar die wechselseitige Konstitution von Genre und Gender betrifft, dann kann die Verknüpfung der Kategorien nicht entlang chronologischlinearer Ordnungen erfasst werden. Sie ist kein Ursprung und auch keine Reaktion. Vielmehr gerät die Verbindung von Genre und Gender im unabschließbaren Verhältnis um Krise und Lösung zur Artikulation – gewissermaßen zu einem spezifischen Zugriff auf die vielfach diagnostizierte Kategorienkrise (Kapitel 2.1). Um sich diesem Verständnis in der Diskursivierung von Genre und Gender anzunähern, bedarf es einer differenzierten Beschreibung, sodass die Komplexität der interkategorialen Verknüpfungen hervortreten kann – ohne, wie es in der Krisendiagnose häufig geschieht, alternative Entwürfe zu protegieren oder diskursspezifische Geltungsbedingungen zu ignorieren. Dahingehend müssen gleich zwei Aspekte diskutiert werden: die Exemplifizierung durch das Musical und das diskursanalytische Vorgehen selbst. So gilt es zunächst, eine Operationalisierung des Beispiels zu entwerfen, die das skizzierte Spannungsfeld um Genese und Wirkmacht berücksichtigt, die die Hervorbringung diskursiver Sinngebungen betont, darin aber nicht auf ihre Wirkungslosigkeit insistiert. Dies wird – trotz genretheoretisch geäußerter Kritik – durch eine begriffsgeleitete, an sprachlichen Praktiken orientierte Zugriffsweise ermöglicht, womit ein Anschluss an das im vorherigen Kapitel dargestellte Verständnis diskursiver Wirklichkeitskonstruktion, an ihre sprachliche Verfasstheit und ihre Vielfalt konkurrierender Einschätzungen, stattfindet (Kapitel 2.2). Daneben (und teils damit verbunden) muss das Vorgehen selbst unter verschiedenen Voraussetzungen – in seiner Ausrichtung an der wissenssoziologischen Diskursanalyse, in seiner Identifikation der Diskursebenen und in seinem korpusimmanenten Fokus – beleuchtet werden, sodass sich die Spezifik der verfolgten Rekonstruktion, ihre Grenzen und ihr Gewinn, verdeutlichen kann (Kapitel 2.3).
2.1 K ATEGORIEN IN DER K RISE : D IE V ERKNÜPFUNG VON G ENRE UND G ENDER ALS ARTIKULATION DER K OMPLEXITÄT DISKURSIVER P ROZESSE Die Verknüpfung von Genre und Gender kann als Artikulation einer kategorialen Krise gelten, die sich der diskurstheoretisch angezeigten Komplexität der Kategorien annimmt und jene in ihrer Verquickung spezifisch formt. Diese – in der Knappheit der Formulierung womöglich kryptisch klingende – Annahme gründet auf zwei verschiedenen Ansätzen, die durch die aktuelle Forschung auf unterschiedliche Weise plausibilisiert werden können und in dieser Arbeit gewissermaßen als Referenzpunkte dienen. So zeigt sich zum einen ein zunehmender Zweifel an Katego-
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rien, der, wie einleitend dargestellt, auch das Interesse an ihren Verknüpfungen schürt; unter dem Nenner einer Kategorienkrise lassen sich vielfältige Phänomene subsumieren, die allesamt die Instabilität und Prozessualität von Kategorien, ihr letztlich kontingentes Entstanden-Sein und ihre Unschärfe betonen. Dies führt allerdings häufig dazu, dass – wie es Engel für Gender formuliert – »die Behauptung der Instabilität und Ambiguität der Kategorie […] einen Rahmen schafft, in dem historische und kulturelle Widersprüche integrierbar werden.«1 Strategien, die aus der Krisendiagnose erwachsen, erweisen sich mitunter als kontraproduktiv, indem sie Problemfelder reproduzieren, indem sie ihr Interesse zumeist auf randständige Phänomene verlagern2 und zugleich die eigentliche Vielschichtigkeit kategorialer Einteilungen, etwa auch ihre inhärenten Spannungsmomente, nicht berücksichtigen. Von daher mag die Kategorienkrise zwar eine Kritik an Kategorien darstellen, sie gründet jedoch – möchte man nicht in die Fallstricke jener Kritik geraten – mehr noch auf der Anerkennung der Komplexität kategorialer Einteilungen. Zum anderen – und dies ist gerade für die Kopplung von Genre und Gender von Interesse – kann diese selbst »einen Ausweg aus der Krise«3 bilden. So stabilisiert, wie es Irmela Schneider darstellt, der interkategoriale Bezug ein Verständnis von Genre und Gender, welches in wechselseitigen Essentialisierungen mündet und die Kategorien ihrer Krise enthebt. Allerdings ist dieses ›diskursive Kalkül‹ nur bedingt erfolgreich, manifestiert sich in der Verbindung beider Kategorien doch auch Gegenteiliges: Insofern Genre und Gender in ihrer hervorbringenden und in ihrer begrenzenden Dimension zugleich betont werden müssen – eines perspektivischen Wechselspiels bedürfen, das sich nicht zuletzt auch aus der (von Schneider verfolgten) diskurstheoretischen Verortung heraus begründet4 –, kann die Verknüpfung beider Kategorien nicht allein eine Lösung bereitstellen. Vielmehr bringt sie aufgrund ihrer Ambivalenz je spezifisch eine Krise um Kategorien hervor; die Verquickung von Genre und Gender wird zum Kristallisationspunkt, an dem sich widerstreitende Prozesse diskursiver Sinngebung abzeichnen.
1
Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 14.
2
Hierbei muss betont werden, dass die Fokussierung von Phänomenen, die sich nicht im Zentrum kategorialer Unterscheidungen bewegen, durchaus legitim, sogar überaus relevant ist – dass dies jedoch Gefahr läuft, bestehende Machtverhältnisse zu reproduzieren. Und zwar nicht nur, weil der ›Sonderfall‹ als ein solcher womöglich betont wird, sondern weil dies auch scheinbar eindeutige Konstellationen, etwa die Dichotomie ›Mann oder Frau‹, in ihrer Wirkmacht reinstalliert. Vgl. dazu etwa Butler: Gender Trouble, S. 189.
3
Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 22.
4
Vgl. nochmals Kapitel 1.5, insbesondere die Ausführungen zur diskursiven Wirklichkeitskonstruktion, in der immer auch konkurrierende, mitunter widersprüchliche Einschätzungen enthalten sind.
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Beide Ansätze – zusammengebracht – erlauben es, den Begriff der Krise aus bestehenden Problemfeldern heraus zu schärfen, ihn (trotz seines inflationären Gebrauchs)5 als zugrundeliegendes Phänomen einer diskursanalytischen Rekonstruktion der Verknüpfung von Genre und Gender zu bestimmen und so schließlich insbesondere den epistemischen Gehalt der interkategorialen Verbindung hervorzuheben. Dazu reicht es allerdings keineswegs aus, bloß festzuhalten, dass Gerne und Gender ›in der Krise‹ sind, dass beide Kategorien in vielfacher Weise thematisierungsbedürftig erscheinen und nicht (mehr?) von sich aus gültige Zuordnungen bereitstellen. Vielmehr eröffnet genau jene Krisendiagnose Probleme – sie verbleibt zumeist an einer Kritik stehen und entwirft daraus folgernd Alternativen. Diese Alternativen nun werden von Engel in feministischen und queeren Ansätzen6 aufgezeigt; sie identifiziert zwei unterschiedliche Strategien, die der dominanten Normierung geschlechtlicher und sexueller Identitäten entgegenwirken sollen und als Reaktion auf eine kategoriale Krise um Gender begreifbar sind: die Vervielfältigung oder die Auflösung von Unterscheidungen, mit dem Ziel hegemonialen bzw. heteronormativen Entwürfen zu entgehen. Diese Strategien bleiben jedoch keinesfalls auf die Gender Studies beschränkt. Sie zeigen sich, zumindest ansatzweise, auch in der Genretheorie: Beispiele, wie die Hierarchisierung und Differenzierung entlang von Subgenres – im Sinne einer Vervielfältigung – oder aber eine grundlegende Kritik im Zuge der Frage nach Nutzen und Plausibilität von Genreeinteilungen – im Sinne einer Auflösung –, können als Möglichkeiten verstanden werden, um die regulierende Wirkung von Genre(s) zu unterminieren. Obgleich sich diese Entwürfe nicht aus derselben Problemlage speisen mögen, so verfahren sie doch in Manchem ähnlich zu den Gender Studies und eröffnen bereits darin ihre Brisanz. Allerdings werden die von Engel diskutierten Strategien der Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit Kategorien, mit ihrer Wirkmacht und ihrer Genese, nicht gerecht. So betont Engel, »dass eine Strategie der Vervielfältigung der Geschlechter dem Identitätsprinzip verhaftet bleibt und nicht geeignet ist, Hierarchisierungen ab-
5
Ansgar Nünning spricht in diesem Zusammenhang auch von »einer erstaunlichen Zurückhaltung, dieses offenbar ubiquitäre Phänomen [der Krise] wissenschaftlich genauer zu erforschen«. Ansgar Nünning: Krise als Erzählung und Metapher: Literaturwissenschaftliche Bausteine für eine Metaphorologie und Narratologie von Krisen. In: Carla Meyer/Katja Patzel-Mattern/Gerrit Jasper Schenk (Hg.): Krisengeschichte(n). ›Krise‹ als Leitbegriff und Erzählmuster in kulturwissenschaftlicher Perspektive. Stuttgart 2013, S. 117-144, hier S. 118.
6
Engel fasst diese mitunter auch als »queer/feministisch« zusammen, obwohl darin historische Kontexte und Unterschiede in politisch-emanzipativen Zielen ausgeblendet werden. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 10.
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zubauen«,7 während der Ansatz einer Auflösung universalistisch »die Kritik von Machtrelationen wie auch den Kampf für Unterschiedlichkeiten unterläuft.«8 Dies kann auf Entwürfe der Genreforschung übertragen werden. So steht die Beobachtung von Subgenres vor den gleichen Problemen, wie sie bei Genres auftreten, etwa in der Frage nach Synkretisierungen und Möglichkeiten ihrer Berücksichtigung. Zudem bleibt die Gewichtung und Historizität in der Differenzierung durch Subgenres häufig unterkomplex.9 Und auch die Auflösung von Genrekategorien, die eine Möglichkeit bieten kann, das Konzept grundlegend zu hinterfragen, vermag es nicht, den pragmatisch wirkmächtigen Umgang mit Genres in seinen auch analytischen Potenzialen zu berücksichtigen. Hierbei werden außerdem häufig alternative Kategorisierungen, etwa Star- oder Auteurkonzepte, genutzt, die jedoch durchaus ähnliche Schwierigkeiten bergen.10 Die Auflösung oder die Vervielfältigung von Kategorien sind sowohl für Genre als auch für Gender überaus fragwürdig und stehen letztlich einer Auseinandersetzung mit ihnen entgegen – wenngleich beide Strategien auf der Diagnose einer Kategorienkrise wurzeln und hierin zunächst äußerst plausibel erscheinen. Es bedarf folglich eines anderen Zugriffs; anstelle aus der Instabilität kategorialer Unterscheidungen heraus, weitere Genres respektive Geschlechter abzuleiten oder jeweils die ›gesamte‹ Kategorie zurückzuweisen, ist eine Alternative in ihrer Beobachtung angezeigt, die aus der Kategorienkrise selbst Potenziale entwickelt. Und hierzu unterbreitet Engel einen Vorschlag, der auch für die Verknüpfung von Genre und Gender produktiv sein kann. Aufbauend auf der Analyse und der Kritik an Strategien der Vervielfältigung oder der Auflösung entwickelt Engel einen Zugriff, der »[d]ie dekonstruktive Reartikulation des Repräsentationsbegriffs [...] als Modus sozialer Bedeutungsproduk-
7
Ebd., S. 163.
8
Ebd.
9
Hier kann, wie in Kapitel 1.3 erwähnt, exemplarisch auf Altmans Differenzierung dreier Subgenres des Musicals verweisen werden; ihre Einteilung ergibt sich nicht aus der Analyse semantischer und syntaktischer Elemente und wird kaum innerhalb seines Genremodells verortet.
10 Star- oder Auteurkonzepte können im Rahmen funktionaler Aspekte ähnlich zu Genre verfahren, sie dienen zum Beispiel ebenfalls der Einordnung und Systematisierung. Sie bergen – entgegen Genre – jedoch eine Eindeutigkeit in ihrer scheinbar historischen Unhintergehbarkeit, in ihrer vermeintlichen ›Faktizität‹. Eine Betrachtung der Bezüge zwischen solchen Konzepten und dem Musical findet sich in der diskursanalytischen Aufarbeitung, da sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der publizistischen, mit Einschränkungen sogar in der audiovisuellen Verhandlung des Genres Verbindungen zwischen ihm und verschiedenen Akteuren gestalten werden.
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tion und Wirklichkeitskonstruktion hervorhebt [und] ein politisches Potenzial der ›Repräsentation als Intervention‹ [eröffnet].«11 Engel setzt unter anderem bei der Frage an, wie Gender und Sexualität diskursiv verbunden werden, und fokussiert hierzu Repräsentationen, die selbst als Teil und Ergebnis jener Verbindung gelten. Repräsentationen zeigen die Verknüpfung von Gender und Sexualität, sie offenbaren ihre normierende Kraft, aber auch ihre je eigenen Spannungen und Grenzen. Dabei kann es allerdings nicht darum gehen, »Ambiguität, Instabilität und Kontingenz als Abbild oder Annäherung an eine geschlechtliche ›Wahrheit‹ zu behaupten«,12 sondern es gilt, eine Verhältnisbeschreibung zwischen Normierung und Destabilisierung zu leisten. Wie es mitunter in queeren Theorien betont wird,13 sind prozessuale Momente hervorzuheben, indem generierende Mechanismen normativer Verständnisse und ihr inhärenter Aufbruch ins Zentrum der Betrachtung rücken. Insofern liefert Engel einen Ansatz, der sich der Komplexität diskursiver Prozesse widmet – und zwar, indem ihre »heterogenen und widerstreitenden Artikulationen [...] auf eine Vieldeutigkeit und Kontextgebundenheit«14 hindeuten, welche folglich nicht Alternativen verlangt, sondern ›an sich‹ hervorgestellt werden muss. Auf den Punkt gebracht: Aus der Einsicht, dass Kategorien nicht von vorne herein statische und unhintergehbare Größen darstellen – sie in der Krise sind –, bedarf es nicht ihrer Auflösung oder Vervielfältigung, sondern einer differenzierten Betrachtung, die Ambivalenzen schon in der Konstitution der Kategorien aufzeigt. Engel sieht dabei Repräsentationen als eine Zugriffsmöglichkeit und betont die Verbindung von Gender und Sexualität – dies lässt sich allerdings auch über Repräsentationen hinaus auf die Verknüpfung von Genre und Gender übertragen und zugleich ergänzen. Während Engel den signifikatorischen Eigenanteil von Repräsentationen hervorhebt und ihn als in sich widerstreitend und dynamisch markiert, so lässt sich dies für Prozesse diskursiver Sinngebung generalisieren. Sicherlich können Repräsentationen besonders augenscheinlich Mehrdeutigkeiten und unter Umständen mehrdi-
11 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 235. 12 Ebd., S. 14. 13 Obgleich Engel Kritik an queeren Theorien äußert und diese häufig an einer Gegenüberstellung von Queerness und Heteronormativität festhalten, so zeigen sich durchaus auch Alternativen, die die Beobachtung einer Relation betonen. Bei Nikki Sullivan heißt es etwa in Bezug zu Filmen: »[Q]ueer does not function here as a label that one can appropriately (or otherwise) apply to (the essence of) a particular text. Rather than functioning as a noun, queer can be used as a verb, that is, to describe a process, a movement between viewer, text, and world, that reinscribes (or queers) each and the relations between them.« Nikki Sullivan: A Critical Introduction to Queer Theory. New York 2003, S. 192. 14 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 96; vgl. auch ebd., S. 128 f.
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mensionale Zuschreibungen erfüllen – wie es aber anhand ihrer kontextuellen Einbettung sowie durch die diskursive Wirklichkeitskonstruktion en général plausibilisiert werden kann, gilt dies prinzipiell für jegliche Diskursformation.15 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Ambivalenz diskursiver Sinnzuschreibung nicht einer Beliebigkeit gleichkommt, sondern erst aus ihrer Spezifik heraus zu beobachten ist – dass erst die genaue Betrachtung der jeweiligen Formation ihrer ambivalenten Verfasstheit gerecht wird und dass dies auch für ihre Wirkmacht bzw. für die jeweiligen Geltungsbedingungen zu berücksichtigen ist. »Je genauer sich der beobachtende Blick auf eine einzelne diskursive Formation richtet, desto stärker werden wiederum die darin gegeneinander abgegrenzten und rekonstruierbaren ›Subformationen‹ deutlich«.16 Nicht nur Repräsentationen eröffnen also gerade in der Verbindung von Kategorien vieldeutige Konstellationen, vielmehr ist jede diskursive Sinnstiftung als ambivalent zu begreifen, wobei dies die Notwendigkeit ihrer präzisen Betrachtung nach sich zieht. Wenn nun aber die Verknüpfung von Kategorien laut Engel zentral sein kann, um sich der Ambivalenz diskursiver Sinnstiftung anzunähern, dann gibt auch die Verbindung von Genre und Gender dahingehend Auskunft. Sie kann als Beobachtungsmöglichkeit von Diskursen dienen, die ihrerseits Konflikte »zwischen Normalismus und Realismus, zwischen Konstruktionismus und Ontologismus und vor allem zwischen Essenzialismus und Anti-Essenzialismus«17 besonders deutlich hervortreten lassen. Doch nicht allein das Wechseln zwischen diesen Positionen ist in der Kopplung von Genre und Gender angezeigt, grundlegender noch zeigt sich hierin ihre Wechselseitigkeit, indem beide Kategorien zugleich auseinander hervorgehen und sich einander stützen. Derart sind zwar Unterscheidungen, wie Essenz oder Konstrukt, relevant – die Verknüpfung von Genre und Gender selbst folgt jedoch nur schwerlich einer klaren Zuordnung. Dies wird mitunter (und zumeist eher implizit) auch in der Forschung zu beiden Kategorien betont. Zwar setzt sich zunehmend die These einer wechselseitigen Essentialisierung durch – Gerhart weist beispielsweise auf diese Problematik hin, indem Genretheorien häufig in normative Bestimmungen zurückfallen, gerade wenn sie auf Gender rekurrieren;18 Schneider stellt diese Gefahr exemplarisch bei John Fiske19 vor und versucht einen beobachtungstheoretischen Entwurf produktiv
15 Vgl. nochmals Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 16 Ebd., S. 228 f. An diesem Punkt – in der Betonung der Beobachterabhängigkeit – begründet sich im Übrigen auch die variable Verwendung von Diskurs und Diskursebene. 17 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 19 f. 18 Vgl. Gerhart: Genre Choices, Gender Questions, S. 48. 19 Konkret dient Fiskes Konzept der genderspezifischen Fernsehformate als Beispiel. Vgl. dazu John Fiske: Television Culture. London/New York 1987, S. 217.
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zu machen; und Braidt sieht, wie erwähnt, gar einen ›Boom‹ nicht essentialisierender Vorschläge,20 sodass sich die wechselseitige Stützung der Kategorien als eine virulente Problematik erweist, die in der aktuellen Forschung nach Lösungen verlangt. Wenn es nun aber darum geht, dynamische Momente einer Kopplung zu beobachten – die Verbindung von Genre und Gender im Rahmen einer Konzeption durch Hermeneutik (Gerhart), Nachträglichkeit (Schneider) oder Wahrnehmungsbezogenheit (Braidt) einer Alternative zuzuführen –, dann sind darin in gewissem Maße auch Tendenzen der wechselseitigen Essentialisierung in ihrer Spezifik zu berücksichtigen; sie sind nicht allein zu lösen, sondern überhaupt erst zu konturieren.21 Und genau hierdurch offenbart sich eine Krise, die in einem unabschließbaren Verhältnis betont werden muss. Schneider stellt dar, dass genretheoretische Überlegungen seit den 1980er Jahren ein Spannungsmoment aufweisen: Einerseits werden essentialisierende Ansätze vermieden, sodass letztlich die mitunter perfiden Konstruktionsprozesse der Kategorie im Zentrum wissenschaftlicher Aufmerksamkeit stehen. Andererseits bildet der Rückgriff auf Gender hierin jedoch »ein[en] Weg der Normalisierung, ein[en] Versuch, Unvermeidbares ausfindig zu machen. Der Rekurs auf Gender-Konzepte erlaubt noch einmal diskursiv die Genre-Klassifikation.«22 Und dies gilt auch in Umkehrung.23 Die Verknüpfung der Kategorien erweist sich daher als äußerst widersprüchlich. So formuliert Schneider in Bezug auf Ian Hacking und Marjorie Garber: »Sie [genretheoretische Reflexionen] wissen um diese Vermeidbarkeit und suchen nach Spuren des Unvermeidbaren. Sie wissen um die Kategorienkrise und suchen einen Ausweg aus der Krise.«24 Das Ungenügen wesenhafter Bestimmungen wird demnach in Genretheorien zwar aufgezeigt, jedoch wählen sie genau dieses als
20 Vgl. Braidt: Einleitung, S. 197. 21 Auch der in Kapitel 1 unterbreitete Vorschlag, die wechselseitige Essentialisierung von Genre und Gender nicht bloß als methodisches Problem, sondern als Teil und Effekt diskursiver Prozesse zu betrachten, hebt jene Notwendigkeit hervor – zumal darin eine Vermittlung von Genese und Wirkmacht ermöglicht wird. 22 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21 f. 23 Vgl. ebd. 24 Ebd. Eine Basis der von Schneider vorgebrachten Perspektive stellen Hacking und Garber dar. Hacking liefert einen systematisierten Zugriff auf die Argumentationen konstruktivistischer Ansätze und verweist beispielsweise auch für Gender auf eine kritische Dimension. Er fragt: »What is said to be constructed, if someone speaks of the social construction of gender? Individuals as gendered, the category of gender, bodies, souls, concepts, coding, subjectivity, the list runs on.« Garber indes beschäftigt sich mit Crossdressing und stellt dadurch die Diagnose einer Kategorienkrise. Hacking: The Social Construction of What?, S. 9 [Herv. i.O.]; vgl. auch Garber: Vested Interests, S. 16.
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Ausgangspunkt, um anhand von Gender in wechselseitige Essentialisierungen zurückzufallen.25 Hier ist der Begriff der Krise überaus produktiv. So lassen sich zwar sowohl für Genre als auch für Gender unterschiedlichste Phänomene heranziehen, die auf einen Zweifel an den Kategorien aufmerksam machen, die ein Verständnis von Kategorien als kontingent entstandene und unscharfe Größen betonen26 – doch weitergehend kann die Krise auch als Austragungsort gelten, an dem unterschiedliche Wege erprobt werden, um eine Lösung zu finden. Dadurch ist sie nicht bloß als Diagnose, als Befund eines Ungenügens von Kategorien, auszuweisen, sondern wird zu einer Herausforderung, wie es auch Reinhart Koselleck für das Verhältnis politischer und geschichtsphilosophischer Wechselwirkungen gezeigt hat. Er betont, dass es »im Wesen einer Krise [liegt], daß eine Entscheidung fällig ist, aber noch nicht gefallen. Und es gehört ebenso zur Krise, daß offen bleibt, welche Entscheidung fällt.«27 In diesem Sinne erweist sich die Kategorienkrise als ein Prozess, ja mehr noch: Sie eröffnet zwar eine Kritik an Kategorien und führt diese einem Zweifel zu, sie trägt darin aber primär den »perspektivenabhängige[n] Sinn- und Bedeutungszuschreibungen«28 Rechnung. Krisenhafte Erscheinungen sind als »Resultate von Beobachtungsleistungen und von Interpretationen«29 anzusehen, sie erweisen sich als dynamische Konstellationen, die diagnostischen Wert, aber auch die Notwendigkeit einer Lösung bergen und sich hierbei in einem unabschließbaren Verhältnis bewegen – letztlich sogar auf die Bedingtheit zwischen ihrer Beobach-
25 Genau dies zeigt sich auch in der Auseinandersetzung mit dem Musical; wie in Kapitel 1.3 dargestellt, üben Altmann und Kessler Kritik an statischen Genrebestimmungen, geraten aber im Rekurs auf Gender erneut in dieses Problem. 26 Die Menge der Phänomene, die zur Krisendiagnose herangezogen werden, ist immens. So führt Garber etwa eine Vielzahl von Beispielen an, die allesamt als Ausdruck einer Krise um Gender verstanden werden; sie spricht von »crossdresser« (S. 4), von »›drag‹ and ›voguing‹« (S. 4), aber auch von »›androgyne‹ or ›hermaphrodite‹« (S. 11) und der medizinischen Konstruktion von Transsexualität »to describe persons who are either ›pre-op‹ or ›post-op‹« (S. 106). Obgleich diese Phänomene für Garber allesamt eine Krise artikulieren, so scheint doch ein Problem in der genauen Bestimmung zu liegen, das sich auch als ein Problem des bloßen Diagnostizierens begreifen lässt – zumal Garber letztlich generalisierend eine Figur des Dritten hervorhebt: »The ›third‹ is a mode of articulation«. Garber: Vested Interests, S. 11. 27 Koselleck: Kritik und Krise, S. 105. 28 Nünning: Krise als Erzählung und Metapher, S. 130. 29 Lars Koch/Waltraud ›Wara‹ Wende: Krisenkino – Zur Einleitung. In: dieselben (Hg.): Krisenkino. Filmanalyse als Kulturanalyse: Zur Konstruktion von Normalität und Abweichung im Spielfilm. Bielefeld 2010, S. 7-13, hier S. 7.
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tung und ihrer Hervorbringung zusteuern. Und dies umfasst die Verknüpfung von Genre und Gender in besonderem Maße. Insofern die Verbindung von Genre und Gender durch Ambivalenzen geprägt ist, wechselseitige Essentialisierungen und deren Ungenügen enthält, zeigt sich, dass der Ausweg aus der Krise die Krise selbst erst artikuliert. Ihre Lösung, die Kopplung beider Kategorien, schreibt zugleich krisenhafte Konstellationen fort und kann daher auch als Auslöser gelten. In der Verknüpfung von Genre und Gender treten demnach diskursive Mechanismen hervor, die sich als Reaktion und als Ursache einer Krise um Kategorien begreifen lassen; die Kategorienkrise ist Effekt und Bedingung einer interkategorialen Verbindung – zumal nicht nur die Kopplung ambivalent verfährt, sondern auch die Krise selbst als Prozess anzusehen ist. Dadurch erklären sich allerdings nicht bloß die einleitend dargestellten Problemfelder, etwa das Unterschlagen des Ermöglichungscharakters kategorialer Einteilungen, vielmehr kann die Kategorienkrise so auch in ihrer epistemischen Relevanz betont werden. Sie lässt sich als überspannendes Phänomen einer Verknüpfung von Genre und Gender begreifen und hat Konsequenzen für das darin generierte Wissen, welches sich seinerseits durch die Reziprozität um Stützung und Irritation, durch ambivalente Arrangements auszeichnet. Betrachtet man die beiden hier verfolgten Perspektiven – die Annahme einer Kategorienkrise, die sich in der Kopplung von Genre und Gender gestaltet, und die Annahme der Komplexität diskursiver Prozesse, die nicht die Konstruktion von Alternativen verlangt, sondern einer genauen Betrachtung bedarf –, so eröffnet sich eine Gemeinsamkeit: In der Beobachtung von Wechselseitigkeiten innerhalb der Verknüpfung von Kategorien entstehen Diskrepanzen, inkonsistente und zuweilen aporetische Momente. Schneider verweist auf diese in der von ihr prominent gesetzten These einer (Re-)Essentialisierung;30 die Suche nach Krisenlösungen oder nach Unvermeidbarem, wie es Schneider mit Garber und Hacking für die Genretheorie in ihren Bezugnahmen zu Gender hervorhebt, produziert erst die Problematik einer Essentialisierung, obgleich sie diese eigentlich zu umgehen versucht.31 Und genau dies zeigen auch die von Engel kritisierten Strategien, wenn die Kopplung von Gender und Sexualität im Zentrum steht. Insofern nähern sich sowohl Schneider als auch Engel einer Problemlage an, die gleichermaßen für Genre und Gender relevant ist.
30 Schneider spricht unter anderem von einer Re-Essentialisierung, da sie die Kopplung von Genre und Gender im Rahmen exemplarischer Positionen, aber auch im Kontext einer forschungsgeschichtlichen Verortung verfolgt. Vgl. zu Letzterem insbesondere Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 18 und S. 23. 31 Vgl. ebd., S. 21.
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Während Engel allerdings eine (mitunter prekäre) strategische Intervention erproben will,32 stellt Schneider von beobachtungstheoretischer Seite eine Alternative vor.33 Die Verknüpfung von Genre und Gender rückt hierbei in ein diffiziles Verhältnis, denn, »[w]enn man Gender als einen diskursiven Prozess begreift und die Einteilung in männlich und weiblich als vermeidbar voraussetzt, [dann] verbietet sich der Rückgriff auf diese Unterscheidung«.34 Dennoch ist er – wie es die bisherigen Beispiele und die spätere diskursanalytische Aufarbeitung demonstrieren – für das Musical überaus präsent. Es schließt sich für Schneider die Frage an: »Wie müssen wir das Verhältnis von Gender und Genre reformulieren, so dass wir die diskursiven Mechanismen begreifen, die die Bedingungen herstellen, damit in der Kopplung von Genre und Gender ein vordiskursives Geschlecht vorausgesetzt werden kann?«35 Und genau in dieser Hinsicht wird die von Engel angestoßene Perspektive, der Verweis auf in sich ambivalente und eigenständige Signifikationsprozesse, zu einem Ansatzpunkt. Für Engel sind Möglichkeiten zur Reformulierung und zur Analyse der Bedingungen vordiskursiver Verständnisse nicht etwa in der Vervielfältigung oder Auflösung von Kategorien gegeben, sondern erst in der Problematik selbst produktiv. Insofern das »Spannungsverhältnis zwischen Kontingenz und Wirkungsmächtigkeit [...] nicht unbedingt als theoretisches Dilemma oder pragmatischer Widerspruch interpretiert werden [muss]«,36 eröffnet sich dessen Potenzial: Die kategorialen und machtgebundenen Mechanismen, die ein vordiskursives Geschlecht auch als Möglichkeit zur Essentialisierung von Genre entstehen lassen, können selbst als Ansatzpunkt dienen, um ihre Bedingungen und ihr Ungenügen zu beobachten. Sie formieren in sich widersprüchliche Konzeptualisierungen und erlauben es weitergehend auch, Strategien der Herstellung ebensolcher in sich widerstreitender Verständnisse zu berücksichtigen. Es kann demnach nicht um eine Reformulierung, um eine Alternative oder gar um eine Lösung gehen, vielmehr muss eine Schärfung ihrer Beobachtung geleistet werden, die sich den ambivalenten Konstellationen diskursiver Sinngebung in ihren je spezifischen Kontexten widmet.
32 Engel schlägt aus dieser Problematik heraus eine Intervention vor, die sie terminologisch als VerUneindeutigung bündelt und strategisch einsetzt. Dadurch gerät sie jedoch in eine argumentative Schwierigkeit – obgleich durchaus analytische Potenziale eröffnet werden, die es am Ende der Arbeit noch zu skizzieren gilt. Vgl. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 224 f. sowie Kapitel 6.2. 33 Vgl. Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 24 f. 34 Ebd., S. 23. 35 Ebd., S. 27. 36 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 14.
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Schneiders Vorschlag zur Betrachtung von Genre und Gender kann mit Engels These inhärenter Ambivalenzen und ihrer Eigenständigkeit ergänzt und in Beziehung gesetzt werden. Dies betrifft auch Schneiders Rekurs auf Sigmund Freuds Konzept der Nachträglichkeit im Rahmen beobachtungstheoretischer Überlegungen – einen Bereich, den Engel in der Absicht, eine Interventionsmöglichkeit zu entwickeln, ausblendet. Die »Aporie, dass ich nicht etwas und zugleich mich selbst als Beobachter beobachten kann«37 und die Schlussfolgerung, dass Genres »nachträglich [gebildet werden], und zwar nur nachträglich, postobservativ, nicht nur als Genres beschreibbar, sondern überhaupt erst als Genres konstituiert [sind]«,38 bedeuten für Schneider eine notwendige Verschiebung: »Nicht die zeitliche Linie eines Vorher/Nachher, sondern ein rekursiver Prozess muss angenommen werden.«39 Da dies bei Engel in den Hintergrund tritt, ist es sinnvoll, ihren Ansatz um jenen Aspekt der Rekursivität zu ergänzen und auf diese Weise zu differenzieren: Die Fokussierung diskursiver Prozesse, deren Spannungsverhältnisse und Grenzen von Engel betont werden, zeigt sich als abhängig von der jeweiligen Beobachterposition und ist nicht in chronologischen Ordnungen zu fassen. Ihre Ambivalenz entspringt einer Rekursivität, sie ist als Schlussfolgerung aus der Wiedereinführung einer Unterscheidung zu verstehen, die die Beobachtung von Unterscheidungen überhaupt erst ermöglicht.40 In der Beschreibung diskursiver Prozesse einer Verknüpfung von Genre und Gender vervollständigt sich das von Engel entworfene Programm und berücksichtigt zugleich die von Schneider angeregten Überlegungen: Während Engel ihren »Ausgangspunkt in hegemonialen Repräsentationen und Praktiken«41 wählt, um sie »verschieben, umarbeiten und reartikulieren«42 zu können, so gilt es zudem, dieses Verhältnis als abhängig von der Beobachterposition zu betonen. Während ein Ziel Engels darin besteht, »Diskurse und Praxen immer wieder daraufhin zu befragen, inwiefern sie dazu beitragen, Normalitätsregime zu delegitimieren und Hierarchisierungen abzubauen«,43 so sind diese Prozesse auch ergänzend in ihren ›Leistungen‹ zu analysieren – ob als Essentialisierung von Genre und Gender, als virulenter und
37 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 26. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Diese beobachtungstheoretische Dimension, die in der diskursanalytischen Aufarbeitung unter methodischen Gesichtspunkten relevant sein wird, findet abschließend mittels Ludwig Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit auch für die Beziehung von Genre und Gender ein Pendant. Vgl. Kapitel 6.3. 41 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 163. 42 Ebd. 43 Ebd., S. 235.
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produktiver Zweifel oder als eine Möglichkeit zur Krisenlösung, die die Krise erst hervorbringt. Darin ist jedoch auch Schneiders Ansatz zu erweitern, denn aus der von ihr vorgeschlagenen, diskurstheoretischen Perspektive heraus kann die interkategoriale Kopplung nicht allein als Reaktion auf zunehmend differente Mediennutzungen und -entwicklungen verortet werden44 – es gilt stattdessen, viel grundlegender zu fragen, wie die Verknüpfung der Kategorien überhaupt verläuft, welche Ambivalenzen sie birgt und inwiefern sich darin eine Kategorienkrise artikuliert. Die hier angelegte Argumentation lässt sich wie folgt zusammenfassen: Während aus der Krisendiagnose häufig Alternativen abgeleitet werden – es zur Auflösung oder Vervielfältigung kommt – und während gerade die Kopplung von Genre und Gender als neuerliche Stützung – als Lösung einer Krise – auftritt, so ist die Krise um Kategorien demgegenüber mehr noch in ihrer diffizilen Verfasstheit zu betonen. Sie wird, wie es Schneider darstellt, erst über ihre Lösung hervorgebracht, wodurch sie beobachtungstheoretisch fundiert in einem nicht abschließbaren Arrangement zu verorten ist. Und sie lässt sich, wie es Engel impliziert, anhand von inhärenten Ambivalenzen diskursiver Prozesse verfolgen, womit sich zugleich die Notwenigkeit einer präzisen Betrachtung abzeichnet. Die Verknüpfung von Genre und Gender wird entlang dieser Überlegungen als Beobachtungsmöglichkeit einer kategorialen Krise ausgewiesen; die Rekonstruktion interkategorialer Verbindungen gibt Auskunft über ein sich nahezu als Paradigma entfaltendes Verständnis, das Kategorien und ihre Unschärfe betont, aufgrund der Ambivalenz einer Verknüpfung sowie im unabschließbaren Verhältnis zwischen Krise und Lösung jedoch ebenso gegenteilige Annahmen enthält.
2.2 D AS ›M USICAL ‹: P OTENZIALE DER E XEMPLIFIZIERUNG UND O PERATIONALISIERUNG DURCH SPRACHLICHE P RAKTIKEN Auf Basis der bislang dargestellten Überlegungen gilt es, die Verknüpfung von Genre und Gender in ihrer Ambivalenz offenzulegen und dadurch zu zeigen, wie eine Kategorienkrise artikuliert wird. Um dies zu leisten, muss jedoch exemplifiziert werden. So bildet die Fokussierung eines Beispiels nicht nur einen legitimen
44 Während Schneider diese These in ihrem Aufsatz Genre, Gender, Medien starkmacht, so stellt sie wenige Jahre zuvor dar, dass »Genre-Forschung, die die Gender-Frage in ihr Untersuchungs-Design eingeschlossen hat, […] als eine Kontext-Forschung durchgeführt werden [muss]«. Zwar ist also die Fokussierung medialer Konstellationen durchaus wichtig, eine Engführung auf jenen Kontext allein reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Schneider: Genre und Gender, S. 101; vgl. auch Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 27.
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Weg zur Plausibilisierung, vielmehr erlaubt sie auch erst eine präzise Beobachtung, deren Notwendigkeit sich wiederum direkt aus den bisherigen Perspektiven – sowohl aus dem Phänomen einer Kategorienkrise als auch aus der Ambivalenz interkategorialer Kopplungen – ergibt. Das Exemplifizieren ist von daher, mit Ludwig Wittgenstein gesprochen, »nicht ein indirektes Mittel der Erklärung – in Ermangelung eines Bessern«,45 sondern unabdingbarer Teil der hier verfolgten Vermutung. Es stellt sich allerdings die Frage, welches Beispiel wie untersucht werden kann. Zur Auswahl können die bislang unterbreiteten Ausführungen erste Hinweise geben: So zeigt die Gegenüberstellung von Altmans und Kesslers Arbeiten (Kapitel 1.3) wichtige Problemlagen, die anhand des Musicals dekliniert werden und dabei den interkategorialen Bezug zu Gender betreffen. Und auch die skizzierten Perspektiven auf die Kopplung selbst sind hierbei relevant, denn – wie es die Kontrastierung von Mädlers und Braidts Positionen (Kapitel 1.5) verdeutlicht – ist die Verbindung von Genre und Gender zwar in je einzelnen Entwürfen zentral, doch gerade ihre ambivalente Verfasstheit wird selten berücksichtigt. Das Musical, bislang auf die wissenschaftliche Diskursebene beschränkt, kann demnach einen Impuls vermitteln, den es jedoch unter folgenden Fragestellungen genauer in den Blick zu nehmen gilt: Welche Verknüpfungen zu Gender werden im Musicaldiskurs überhaupt geäußert? Welche Position nimmt die Verbindung der Kategorien ein? Und wie wird dabei das Spektrum zwischen Essentialisierung und Destabilisierung, zwischen produktiver und kategorialer Dimension spezifisch gestaltet? Das Beispiel des Musicals regt zu unterschiedlichen Überlegungen an und bildet einen geeigneten Rahmen, um die Relation von Genre und Gender diskursanalytisch zu untersuchen. Doch schon hier stößt man auf ein Problem: Das Musical als ein Beispiel zu nutzen, um die Verknüpfung von Genre und Gender in ihrer Ambivalenz offenzulegen, (ver)leitet in die Frage, was denn überhaupt das Musical ist. Es schleicht sich ein statisches, wenn nicht gar wesenhaftes Verständnis ein, das nach abschließbaren und eindeutigen Bestimmungen verlangt. Und dies hat auch methodische Konsequenzen, denn um den Musicaldiskurs in seinen Verbindungen zu Gender zu untersuchen, müssen zunächst Kriterien zur Operationalisierung gefunden werden, die sich genau dieser Problemstellung annehmen und gerade im Verhältnis von Genese und Wirkmacht eine differenzierte Beobachtung erlauben. Dazu lohnt zunächst der Blick auf genretheoretische Auseinandersetzungen. So betont beispielsweise Barry Keith Grant, dass Genres eine Übereinkunft darstellen – »an implicit contract. They encourage certain expectations on the part of spec-
45 Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen [1953]. Frankfurt a.M. 1971, S. 51 § 71 [Herv. i.O.]. Da es sich in der Wittgenstein-Forschung zum Konsens entwickelt hat, die Paragrafennummerierung zu übernehmen, wird diese neben der Seitenzahl angegeben.
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tators, which are in turn based on viewer familiarity with the conventions.«46 Doch obgleich hier, wie auch in anderen Positionen, eine dynamische Bestimmung angelegt wird, so verbleiben diese Entwürfe nicht selten auf einer Ebene, die letztlich zu ahistorischen Beschreibungen und Tautologien neigt – und zwar gerade dann, wenn es um die Exemplifizierung geht: Insofern genrespezifische Konventionen angeführt werden, ist der Rückschluss, dass ein Genre durch Konventionen bestimmt werden kann, immer nur als ein historisches Moment zu verstehen und weitergehend anhand der je spezifischen Kontextualisierungen zu betrachten; den Prozess einer Genreverhandlung gilt es als solchen zu beobachten. Demgegenüber heißt es bei Grant aber schlicht: »In musicals the narrative halts for the production numbers wherein characters break into song and dance; often the characters perform for the camera (rather than for an audience within the film) and are accompanied by non-diegetic music that seems suddenly to materialise from nowhere.«47
Hier wird die von Grant hervorgehobene Aushandlung ausgeblendet, sodass ein Verständnis aufkommt, welches Konventionen eines Genres nicht historisch situiert oder danach fragt, wie das Verhältnis zwischen generischen Konventionen und Genrezuordnung zu betrachten ist. Stattdessen werden ausgehend vom Musical Konventionen abgeleitet und diese werden dann wiederum zur Bestimmung des Genres herangezogen.48 Trotz der Berücksichtigung von Dynamiken und einem Ansatzpunkt, der Diskursivierungen erlaubt, bleibt ein statisches Verständnis erhalten. Um diese Tendenz einer tautologischen, mitunter essentialisierenden Bestimmung zu vermeiden, kann ein anderer Weg in der Operationalisierung eingeschlagen werden. So wird eine Fokussierung anhand sprachlicher Praktiken verfolgt, die das Genre lediglich danach bestimmt, ob eine derartige Bezeichnung angelegt wird. Die Frage lautet also nicht, was das Musical ist, welche Konventionen oder Merkmale zur Auswahl herangezogen werden können, sondern wann das Wort ›Musical‹ als Genrebezeichnung überhaupt auftritt, in welchen Kontexten der Begriff gebraucht wird.49 Hierdurch ergeben sich, auch über die Vermeidung essentia-
46 Grant: Film Genre, S. 21. 47 Ebd., S. 10. 48 Diese Tendenz zeigt sich bei Grant auch in der historischen Situierung des Musicals, die in ähnlicher Weise bestimmte Konventionen voraussetzt. Vgl. ebd., S. 39-44. 49 Da der Fokus der Arbeit ohnehin auf der sinntragenden und sinnstiftenden Dimension diskursiver Prozesse liegt, wird im Folgenden teils auch abkürzend von einer begriffsgeleiteten Operationalisierung gesprochen. Außerdem entfällt in diesem Zusammenhang eine Differenzierung zwischen sprachlicher Praktik, Wort, Bezeichnung und Begriff.
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lisierender Bestimmungen hinaus, unterschiedliche Potenziale – der Vorschlag einer begriffsgeleiteten, an sprachlichen Praktiken orientierten Zugriffsweise wird allerdings gerade in genretheoretischen Überlegungen vielfach kritisch bewertet. Diese Einwände müssen freilich berücksichtigt werden, zumal sie umgekehrt verdeutlichen, wie sehr die Genretheorie an statischen Verständnissen festhält, obwohl sie Gegenteiliges beabsichtigt.50 Zwar mag sich die Frage aufdrängen, wie in einem diskurstheoretischen Rahmen eine andere, nicht begriffsgeleitete Operationalisierung aussehen könnte, eine solche Sicht steht jedoch im Widerspruch zu genretheoretischen Studien, die gerade eine an sprachlichen Praktiken orientierte Vorgehensweise kritisieren. Allem voran wird dazu die Varianz von Genrebegriffen als Einwand gegen ein solches Verfahren ins Feld geführt. So zeichnen sich Genres – und insbesondere ihre lexikale Ebene – durch verschiedene und nicht konsistente, synkretistische Verwendungen aus, sie wandeln sich und sind »vielfach semasiologischer Variabilität unterworfen.«51 Hinzu kommen inter- und intralinguale Bezeichnungsunterschiede,52 womit weitergehend auch Konsequenzen für historische Perspektiven als Einwände geltend gemacht werden. Von daher betrachtet etwa Rüdiger Zymner das hier zur Diskussion stehende Vorgehen als induktiv, insofern die Ignoranz von »Schwankungen der Wortgeschichte«53 einen »recht diffusen Textkorpus«54 zur Folge hat und geschichtliche Verschiebungen nicht abbilden kann.55 Diese Kritikpunkte sind keinesfalls zu ignorieren, sie können allerdings auch als Potenziale ausgewiesen werden – sowohl für das generelle Vorgehen als auch für das Beispiel des Musicals, mitunter sogar für die hier schon in der Wortbildung auftretende Verknüpfung zu Gender.
50 Die hier diskutierten Ansätze und ihre Kritik an einer Operationalisierung durch sprachliche Praktiken können in dieser Hinsicht auch als symptomatisch für eine Kategorienkrise gelten, die sich laut Schneider durch genau jene Spannung auszeichnet. Vgl. nochmals Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21. 51 Rüdiger Zymner: Zur Gattungstheorie des ›Handbuches‹, zur Theorie der Gattungstheorie und zum ›Handbuch Gattungstheorie‹. Eine Einführung. In: ders. (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart/Weimar 2010, S. 1-6, hier S. 4. 52 Vgl. auch in Bezug auf ihre Untersuchbarkeit Zymner: Gattungstheorie, S. 61. 53 Ebd., S. 125. 54 Ebd. 55 Zymner übt Kritik an einem begriffsgeleiteten Vorgehen durch das Beispiel des Aphorismus, insofern »eine Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem Lehrsatz und literarischem Aphorismus [...] nicht mehr zu erwarten [ist].« Genau diese Unterscheidung kann jedoch bereits als eine historische Umkodierung des Begriffs perspektiviert werden und muss keineswegs, wie es Zymner in seiner Kritik impliziert, eine Merkmalsmenge oder gar eine wesenhafte Basis beinhalten. Ebd.
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Zunächst eignet sich eine Operationalisierung anhand sprachlicher Praktiken, um vordiskursive Perspektiven auf Genre(s) zu vermeiden, die Wirkmacht ebenjener Verständnisse jedoch auch nicht auszublenden: Im Rahmen ihrer sprachlichen Verfasstheit sind Genres zuallererst Begriffe – konstruierte sprachliche Äußerungen, die nicht als Benennung eines Wesens auf eine dahinterliegende Entität verweisen. Allerdings drängt sich genau dieses Verständnis gerade in der pragmatischen Verwendung auf. Sie birgt essentialisierende Annahmen – nicht zuletzt aufgrund der »kulturell eingeübten und tradierten Regeln der Sprachspiele«,56 die als Bedingungen im Umgang mit Genre(s) zum Teil der diskursiven Wirklichkeitskonstruktion werden.57 Von daher können in der Orientierung an der Begrifflichkeit Genese und Wirkmacht beidseitig hervortreten; Genre (und auch Gender) ist als eine historische Kommunikationsform zu verstehen, die durch ihren Gebrauch innerhalb unterschiedlicher Diskurse geprägt wird.58 Und dies betrifft ebenso Umkodierungen, da das von Zymner behauptete Ergebnis dieses Verfahrens – eine diffuse Menge, die unter einem Genrebegriff summiert wird – ja gerade die Frage virulent macht, was diese überhaupt vereint. Anstelle aber einer normativen Ausrichtung, die mithilfe eines Merkmalskatalogs von vorne herein festlegt, inwiefern sich ein Genre ändert, tritt die Umkehrung dessen. So kann gefragt werden, welche Differenzierungen wann und vor allem auf welche Weise als relevant erachtet werden, um etwa interne Verschiebungen im Gebrauch eines Genres zu behaupten. Damit aber nicht genug, denn das Potenzial einer Operationalisierung durch sprachliche Praktiken, seine Vermittlung von Genese und Wirkmacht samt der Vermeidung essentialisierender Annahmen, lässt auch unter historischen Gesichtspunkten, diachron und synchron, aufzeigen – exemplarisch anhand des Musicals sogar noch ergänzen. So eröffnet sich hierin eine Perspektive, die Ambivalenzen des Begriffs und seine mitunter konkurrierenden Verwendungen betont, zugleich jedoch historisch bedingte Stabilisierungen auf verschiedenen Ebenen (auch in der Kopplung zu Gender) nachzeichnet. Dazu eignet sich zunächst der Blick auf die Wortbildung, denn das Musical kann zwar als eine Adjektivierung des Nomens ›music‹ über das gebundene Morphem ›–al‹ gelten, an die sich dann wiederum eine Nominalisierung durch Konversion bzw. Null-Derivation anschließt – aus Musik wird musikalisch und schließlich das Musical.59 Doch genau dieser Prozess birgt wichtige Erkenntnisse, für Altman gar einen entscheidenden Wendepunkt.
56 Ebd., S. 59. 57 Vgl. hierzu nochmals Kapitel 1.5. 58 Vgl. Hickethier: Art. Genre [genre], S. 127. 59 Einen Überblick über Wortbildungsmechanismen, die auch im sprachübergreifenden Austausch berücksichtigt werden, bietet Hilke Elsen: Grundzüge der Morphologie des Deutschen. Berlin/Boston 2011, S. 7 f.
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Altman betrachtet terminologische Divergenzen im Umgang mit Genres, insbesondere ihr paralleles Auftreten als Adjektiv und Nomen: »Stressing discrepancy rather than coincidence, we cannot help but notice that generic terminology sometimes involves nouns, sometimes adjectives. Indeed, the very same word sometimes appears as both parts of speech: musical comedies or just plain musicals, Western romances or merely westerns, documentary films or film documentaries.«60
Anhand dieser Auffälligkeit eröffnet sich für Altman eine historische Formation, die Einblicke in die Genrewerdung61 erlaubt: Ausgehend von einer adjektivischen Verwendung zeigt sich, dass mit der Nominalisierung (wie auch mit Neologismenbildungen) eine Unabhängigkeit der Genrebezeichnung eintritt,62 die derart eine Etablierung als eigenständiges Genre nachvollziehbar macht. Entgegen der linguistischen Aufarbeitung, welche in der schlichten Reihung ›music zu musical zu dem Musical‹63 einen linearen (Ablösungs-)Prozess nahelegt, lassen sich mit dem hier
60 Altman: Reusable Packaging, S. 3 [Herv. i.O.]. 61 In anderem Zusammenhang betont Joseph Vogl, dass die Untersuchung von Medien einer Problematik obliegt, wenn sie ihren Gegenstand »in einem substanziellen und historisch dauerhaften Sinn [fasst]. Was Medien sind und tun, wie sie funktionieren und welche Effekte sie hervorbringen, der Ort, den sie innerhalb kultureller und sozialer Praktiken einnehmen, ihre Rolle als spezifische Kulturtechniken – all das und der Begriff des Mediums selbst lassen sich nicht auf eine elementare Definition und auf einen einfachen Schnitt oder Gegenstand reduzieren.« Für Genre(s) kann dies in zweierlei Hinsicht übertragen werden: Zum einen ist auch hier von einer Bestimmung Abstand zu nehmen, die sich womöglich ahistorisch auf einen übergreifenden Definitionsansatz einlässt. Zum anderen kann diese Kategorie als Teil eines Medien-Werdens gelten, insofern Vogl in seinem Fazit die symbolische Formation von Wissen um Medien hervorhebt. Dies wird im Verlauf der Arbeit noch im Rahmen der audiovisuellen Diskursebene zu beleuchten sein, hier allerdings vornehmlich im Kontext Schneiders Überlegungen, die in eine vergleichbare Richtung zielen. Joseph Vogl: Medien-Werden: Galileis Fernrohr. In: ders./Lorenz Engell (Hg.): Archiv für Mediengeschichte. Bd. 1: Mediale Historiographien. Weimar 2001, S. 115-123, hier S. 121; vgl. auch Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 24 f. 62 Dieser Prozess ist durchaus als Konflikt zu betrachten und verweist auf unterschiedliche Gebrauchskontexte, die teils konkurrieren. Altman spricht sogar von einem Tyranneiverhältnis, das in der Verwendung als adjektivische Hinzunahme zu einer bereits etablierten Begrifflichkeit besteht: »When a descriptive adjective becomes a categorical noun, it is thus loosened from the tyranny of that noun.« Altman: Reusable Packaging, S. 3. 63 Zwar macht die im Deutschen übliche Großschreibung den Unterschied nominalen und adjektivischen Gebrauchs deutlich, dies gilt jedoch nicht sprachübergreifend.
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verfolgten Schwerpunkt diskursive Verschiebungen, Unterschiede und parallele Entwicklungen darstellen, die laut Altman für die Genrewerdung markante Etappen und Brüche markieren. Anhand von Filmplakaten64 rekonstruiert Altman den sprachlichen Gebrauch und zeigt, dass das Wort ›musical‹ um 1900 zunächst als Adjektiv in Beziehung zu anderen (Genre-)Beschreibungen Verwendung findet. Obgleich eine Genremarkierung aufgrund wirtschaftlicher Interessen tendenziell vermieden werde, da sie formelhaft dem werbenden Anspruch einer Innovation widerspräche,65 so vermag es Altman dennoch, wichtige Impulse in der Genrewerdung darzustellen: Das Wort ›musical‹ wird zunächst als ›musical comedy‹, ›musical drama‹, ›musical romance‹, ›musical farce‹ und – dies mag nicht nur durch die Etablierung genrebezogener Konventionen redundant klingen – als ›all-talking, all-singing, all-dancing musical melodrama‹ verwendet.66 Im Rahmen der Filmwerbung fungiert die Bezeichnung ›musical‹ also als eine adjektivische Hinzunahme zu einer bereits als Genre etablierten Begrifflichkeit67 und hat in diesem Gebrauch weitreichende Konsequenzen: Etwa ließe sich die häufige Beschreibung des Musicals als Abkürzung für Musical Comedy hierauf zurückführen, obwohl dies seiner begrifflich weitläufigen Verwendung auch abseits der Bezüge zur Comedy entgegensteht. Darüber hinaus zeigt sich, dass das Musical als Kategorisierung filmischer Artefakte bereits vor der technischen Etablierung des Tonfilms auftritt. Dadurch geraten auch scheinbar selbst-
64 Altman untersucht in einer exemplarischen Auswahl Werbeplakate zu unterschiedlichen Filmen und leitet hierdurch eine begrifflich fokussierte Entwicklung im Gebrauch von Genres ab. Die genannten Beispiele entstammen seiner Untersuchung. Vgl. Altman: Reusable Packaging, S. 5 und S. 35. 65 Diese Vermutung, die Altman formuliert und die auch bei Neale auftaucht, erweist sich für das Musical aktuell als nicht haltbar. Eine werbende Verwendung der Genrebezeichnung findet sich sehr wohl und wird im Verlauf der Arbeit durch das Kriterium der Selbstattribution im Titel sogar zur Korpuswahl genutzt. Vgl. Kapitel 5.2.2. 66 Unklar ist, inwieweit nicht (auch) ein nominalisierter Gebrauch vorliegen könnte, der mit anderen Genrebeschreibungen ein Kompositum bildet. Diese – innerhalb historischer Perspektiven unwahrscheinliche – Möglichkeit findet bei Altman keinerlei Berücksichtigung, sie ist aber für die aktuelle Verwendung durchaus zu reflektieren und stellt in ihrer Unschärfe ein weiteres Potenzial der begriffsgeleiteten Operationalisierung dar. 67 Diese Spur lässt sich ebenso in der Wissenschaft, etwa durch die Übernahme literaturwissenschaftlicher Genrebezeichnungen in frühen Auseinandersetzungen zum Film, aufzeigen und verweist somit zusätzlich auf die starke Verknüpfung philologischer und filmwissenschaftlicher Genrestudien. Vgl. hierzu beispielsweise die knappen Ausführungen bei Graeme Turner: Film as Social Practice [2. Auflage]. London/New York 1993, S. 38 und S. 45 sowie die Verweise bei Rick Altman: Film/Genre. London 1999, S. 1 f.
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verständliche Merkmale, wie der Einsatz von Musik und Gesang, zu historischer Komplexität – sind diese doch innerhalb unterschiedlicher Kontexte situiert und eben nicht bloß als Ergebnis technischen Fortschritts zu begreifen. Ende der 1920er Jahre findet sich schließlich das Wort ›musical‹ auch (!) nominal verwendet und dies verweist für Altman auf seine Etablierung als eigenständiges Genre. Hierbei betont er drei Änderungen, welche zu dem in der Nominalisierung angezeigten Status führen: (1) »Abandoning the add-on approach«68 als Standardisierung studiobezogener Formationen in der Herstellung und Vermarktung von Filmen, (2) die Verbindung namensgebenden Materials (beim Musical ist dies Musik) mit übergreifenden Konstellationen (bei Altman ist dies im Rahmen der dual focus structure »music as both catalyst and expression of heterosexual romance«69) und (3) Erwartungen des Publikums, die anhand von Genrezuordnungen ausgebildet werden. Von Interesse ist hierbei, dass diese drei Aspekte durch die Verwendung als Nomen und damit durch eine lexikale Änderung abbildbar werden; die Nominalisierung übernimmt eine Indikatorfunktion, anhand derer Altman dann die Genrewerdung genauer entschlüsselt. Die historische Entwicklung eines Genres kann – das zeigen die bisherigen Hinweise – anhand einer Vorgehensweise erforscht werden, die sich dem begrifflichen Gebrauch widmet, selbst wenn dieser nicht konsequent erfolgt, da ja weiterhin eine parallele Verwendung adjektivischer und nominaler Bezeichnungen stattfindet. Aus dem Aufkommen nominaler Konstruktionen können Stabilisierungen im Umgang mit einem Genre abgeleitet werden, diese sind aber nicht als umfassende Ablösungsprozesse zu begreifen, insofern terminologische Divergenzen immer noch auftreten und das Wort ›musical‹ nach wie vor auch als Adjektiv verwendet wird. Und genau hier lassen sich Verknüpfungen zu Gender identifizieren, die in ihrer konnotativen Assoziation schon auf lexikaler Ebene bedeutsam sind und darin über die von Altman genannten Bezüge zur dual focus structure hinausreichen. Während Altman anhand der begrifflichen Änderung einen ›sichereren‹ Umgang mit dem Genre nachzeichnet, der seinerseits durch Erwartungen des Publikums und durch filmische Konstanten präzisiert wird, so kann jener Effekt einer Stabilisierung auch in der Verbindung mit Gender eintreten. Etwa stellen Ian Conrich und Estella Tincknell dar, dass das Musical häufig anhand seiner (vermuteten) Adressierung betrachtet wird und dies eine Abwertung des Genres innerhalb unterschiedlicher Diskursebenen zur Folge hat: »One reason for the critical devaluation of musicals seems to be their feminised status within film culture«.70 In der konno-
68 Altman: Reusable Packaging, S. 5. 69 Ebd. 70 Ian Conrich/Estella Tincknell: Introduction. In: dieselben (Hg.): Film’s Musical Moments. Edinburgh 2006, S. 1-13, hier S. 2.
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tativen Verknüpfung des Musicals mit ›Weiblichkeit‹ tritt eine Marginalisierung auf, die das Genre und sein Publikum, aber etwa auch die dem Genre zugeordneten Stars betrifft, und in dieser Konstellation äußerst einflussreich ist71 – nicht zuletzt schon begrifflich, wie es sich in der Konsequenz zeigt, die beide Autoren aus der konnotativen Wertung ableiten: Conrich und Tincknell versuchen von Musical Moments zu sprechen und führen damit das Genre implizit auf seine adjektivische Verwendung zurück.72 Dies mag in Anbetracht der Wirkmacht der Genrekategorie nicht überzeugen, eröffnet aber ein interessantes Spannungsmoment, welches als Teil des Musicaldiskurses zu perspektivieren ist: Einerseits findet eine Stabilisierung des Genres statt, indem es auf verschiedenen Ebenen eine konnotative Aufladung erhält, genau diese besteht andererseits aber in einer Marginalisierung, die in der Assoziation zu Gender wurzelt. Die hier skizzierte Verknüpfung der Kategorien führt demnach in gewisser Weise zu einer ambivalenten Perspektive, auch wenn – zumindest für Conrich und Tincknell – die Abwertung des Genres lediglich nach alternativen Strategien in der Benennung verlangt. Durch die von Altman betrachteten Etablierungskontexte im Rahmen der nominalen und adjektivischen Verwendung, aber auch anhand der konnotativen Assoziation des Genres mit ›Weiblichkeit‹ wird deutlich, dass in einer sprachlichen Fokussierung sehr unterschiedliche Dimensionen enthalten sind. Der Schwerpunkt auf begriffliche Zusammenhänge ist für das Musical überaus produktiv und erlaubt vielfältige Anschlüsse. Dabei lohnt auch der Blick auf interlinguale Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten,73 zumal diese häufig als Begründung gegen eine lexikale Ausrichtung in Genrestudien herangezogen werden. Für das Musical zeigt sich allerdings genau hier eine Besonderheit: Es findet nominal – als Genrekategorie sensu Altman – zwar durchaus spracheigene Alternativen, es offenbart sich aber ebenso ein sprachübergreifender Gebrauch. Gerade im Deutschen ist dies präsent; beispielsweise wird das Musical im Kluge, dem bekannten etymologischen Wörterbuch, zwar als Kurzform von Musical Comedy ausgewiesen, es werden jedoch auch sprachspezifische »(Scherz-)Bildungen wie Grusical«74 berücksichtigt. Das Digitale
71 Vgl. etwa für filmwissenschaftliche Auseinandersetzungen ebd. 72 Vgl. ebd., S. 5 f. 73 Diese Sprachunterschiede sind auch relevant, wenn es um die Frage geht, ob Genres ausschließlich auf Hollywood bezogen werden können. Auseinandersetzungen um den sogenannten Genre-Film präferieren diese Einschränkung, jedoch erlaubt die Fokussierung sprachlicher Praktiken eine Erweiterung, da viele Genrebegriffe in ihrem Gebrauch nicht hollywoodspezifisch auftreten. 74 Anonymus: Art. Musical. In: Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache [23. Auflage]. Hg. u. bearb. v. Elmar Seebold. Berlin/New York 1995, S. 576, hier S. 576 [Herv. i.O.].
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Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts tut dies ebenfalls, obgleich nicht sprachspezifische Weiterführungen erläutert werden, sondern das Musical schlicht als »Übernahme (Mitte 20. Jh.) von amerik.-engl. musical«75 gilt. Und auch in vielen weiteren Zusammenhängen findet sich diese – zumindest im Deutschen äußerst virulente – sprachübergreifende Verwendung.76 Anhand sprachlicher Praktiken wird eine Spur sichtbar, die den interlingualen Austausch etwa auch als interkulturellen Austausch ausweist und zugleich durch spracheigene Weiterführungen kulturspezifische Momente herausstellt. Freilich ist dies lediglich als eine Option zu betrachten, die weitere Präzisierungen benötigt und in dieser Arbeit nur durch das in der Diskursanalyse genutzte Material angedeutet werden kann – eröffnet dieses mitunter eine ›Internationalisierung‹ des Musicaldiskurses, die in der Übernahme des Begriffs rekonstruierbar ist, auch wenn dadurch keinesfalls ein Beginn des interlingualen Austauschs definiert werden soll.77 Vielmehr dient die Beobachtung sprachlicher – sprachübergreifender und sprachspezifischer – Praktiken dazu, weitere Fragen bezüglich kultureller und historischer Situierungen aufzuwerfen. Und so sind sicherlich auch Einschränkungen bei diesem Ansatz zu verdeutlichen, etwa indem das Musical nicht als einzige Form der Kategorisierung gelten kann und gerade in Konkurrenz zu anderen steht. Eine Operationalisierung entlang sprachlicher Praktiken eröffnet, wie die Ausführungen verdeutlichen sollen, vielfältige Potenziale. Sie erlaubt es, das Musical nicht nach analytisch ausgerichteten Entwürfen oder gar in einer tautologischen Merkmalsmenge zu bestimmen, vielmehr wird der sprachliche Gebrauch zum Aus-
75 Anonymus: Art. Musical. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (dwds.de), URL: http://www.dwds.de/?qu=musical&view=1 [Herv. i.O.; Zugriff 11.06.2012]. 76 Unterstützt wird diese Einschätzung im Übrigen nicht nur durch die Fülle deutschsprachiger Auseinandersetzungen mit dem Musical, sondern auch durch die damit auftretenden Probleme, wenn es etwa um nationalspezifische, deutsche Musicals in englischsprachigen Texten geht. So zeigt sich beispielsweise bei Antje Ascheid eine äußerst ambivalente Begriffsbestimmung, die einerseits schon im ersten Satz eine Gleichsetzung von Musikfilm und Musical vollzieht, andererseits darin aber eine Abgrenzung intendiert. Letztlich führt dies sogar dazu, dass – entgegen des Ziels – völlig offen, was das deutsche Musical ist; es geht vielmehr um das Verhältnis zwischen ›internationalem‹ Musical und deutschem Musikfilm. Vgl. Antje Ascheid: Germany. In: Corey K. Creekmur/Linda Y. Mokdad (Hg.): The International Film Musical. Edinburgh 2012, S. 45-55, hier S. 45 f. 77 Für den publizistischen Musicaldiskurs wird daher bewusst auf eine deutschsprachige Materialbasis, die Zeitschrift DER SPIEGEL, zurückgegriffen; mit ihr lässt sich die Weitläufigkeit des Genrediskurses schon anhand sprachlicher Praktiken skizzieren. Vgl. hierzu Kapitel 4.1.
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gangspunkt genommen, um diskursive Mechanismen seiner Sinnstiftung abzubilden. Wenn das Musical nominal genutzt wird, so sind nicht bloß Kriterien wie die vermeintlich namensgebende Musik relevant – stattdessen reflektieren sich hierin Aspekte der Konstitution und der kommunikativen Funktion von Genreeinteilungen, zugleich sind sie aber auch als deren Effekte wirksam. Gerade weil sich beispielsweise Unterschiede im adjektivischen und nominalen Gebrauch finden oder weil spracheigene, aber auch sprachübergreifende Verwendungen erfolgen, eignet sich eine an der Begrifflichkeit ausgerichtete Operationalisierung. Die reduktionistische Formel ›als Musical gilt das, was als Musical bezeichnet wird‹ setzt sich zwar der von Zymner vorgebrachten Kritik eines induktiven Verfahrens aus, welches für historische Perspektiven unbefriedigend sein mag – im diskurstheoretischen Rahmen können damit aber Probleme einer Essentialisierung vermieden werden, es eröffnet sich eine differenzierte Perspektive auf das Verhältnis von Genese und Wirkmacht, und sogar eine Verknüpfung mit Gender tritt hervor, die im Rahmen des begrifflichen Gebrauchs konstitutiven Anteil an der Hervorbringung des Musicals hat.
2.3 D ER M USICALDISKURS ZWISCHEN G ENRE UND G ENDER : Z UR S PEZIFIK SEINER R EKONSTRUKTION Zusammenfassend wird in dieser Arbeit der Vermutung nachgegangen, dass die Verknüpfung von Genre und Gender eine diskursive Strategie darstellt, die von Ambivalenzen, zuweilen Widersprüchen geprägt ist, wodurch sie eine kategoriale Krise spezifisch artikuliert. Ein Vorgehen entlang sprachlicher Praktiken um das Musical, die Orientierung entlang seines nominalen – oder zumindest des möglichen nominalen78 – Gebrauchs, erweist sich dabei als geeignet, um das Verhältnis von Genese und Wirkmacht samt seiner je eigenen Kontexte abzubilden. Die nachfolgenden drei Kapitel werden entsprechend eine Rekonstruktion des Musicaldiskurses in seinen Verbindungen zu Gender vornehmen, wobei (auch in Anbetracht der Hinweise von Gledhill)79 die wissenschaftliche (Kapitel 3), die publizistische (Kapitel 4) und die audiovisuelle Diskursebene (Kapitel 5) im Fokus steht. Hierzu gilt es allerdings bereits vorab, einige Voraussetzungen zu klären, die sowohl die Grenzen als auch den Gewinn der verfolgten Diskursivierung von Genre und Gender deutlich machen. Dies umfasst drei Aspekte: (1) die gewählte Methodik, die in Reiner Kellers wissenssoziologischer Diskursanalyse gründet, jedoch
78 Das Problem der Unterscheidung wird im englischsprachigen Material noch deutlich gemacht; zentral ist hierbei die Nachvollziehbarkeit der Auswahl. 79 Vgl. nochmals Gledhill: Rethinking Genre, S. 223.
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verschiedentlich Umakzentuierungen erfährt; (2) die Bestimmung der Diskursebenen, welche im Anschluss an Attributionen der Beobachterabhängigkeit Rechnung trägt und – ohne implizite Tautologien – die Wirkmacht derjenigen Kontexte betont, in denen das untersuchte Material steht;80 und schließlich (3) eine korpusimmanente Fokussierung, die sich auf die wechselseitige Konstitution der Kategorien konzentriert und darin zugleich eine Auswahl der analysierten Sinngebungen trifft. Diskursanalytische Vorgehensweisen zeichnen sich durch eine große Vielfalt aus; es lassen sich unterschiedliche (und ihrerseits auch unterschiedlich elaborierte) Verfahren differenzieren, die von der Linguistischen über die Kritische und die Critical bis hin zur Soziologischen Diskursanalyse reichen.81 Obwohl bestimmte Annahmen als Grundlage gelten mögen,82 so ist ihre Bandbreite doch immens. Von daher wird eine methodische Einschränkung unabdingbar, die in der Orientierung an Kellers Verfahren der wissenssoziologischen Diskursanalyse bestehen soll. Dieser Zugriff besitzt gleich mehrere Vorteile: Zunächst setzt er sich kritisch mit anderen diskursanalytischen Verfahren auseinander und ermöglicht es hierdurch, Ergänzungen vorzunehmen. So stellt Keller Voraussetzungen der Diskursforschung dar, betont aber auch eigene Schwerpunkte im Hinblick auf soziologische Zusammenhänge, epistemologische Fragestellungen und die Vielfalt der zu untersuchenden Phänomene: »Die Diskursforschung [Kellers] interessiert sich nicht nur für die im Zeichengebrauch konstruierten Gegenstände, sondern auch für den Konstruktionsprozess selbst, also die Bedeutungsgenerierung als strukturierten Aussagezusammenhang und regulierte Handlung. Im Unterschied zu Foucault betont sie die Rolle der handelnden Akteure im Prozess der Diskursproduktion und Diskursrezeption. Im Anschluss an Foucault beschäftigt sie sich mit den gesellschaftlichen Effekten von Diskursen.«83
80 Die audiovisuelle Diskursebene bedarf dabei einer gesonderten Thematisierung der Zugriffsweise. Hier werden zwei verschiedene Verfahren gewählt, die jedoch beide in eine ähnliche Richtung gehen. 81 Die hier genannten diskursanalytischen Verfahren werden auch von Keller ausgeführt, diese Liste ließe sich aber noch um einige Varianten ergänzen. Vgl. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 115. 82 Allem voran wäre wohl sicherlich Foucaults Verständnis von Diskursen im Spektrum aus Wissen und Macht zu nennen, wobei es selbst hier Unterschiede in den jeweiligen Gewichtungen gibt. 83 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 12; vgl. dazu auch den knappen Überblick im Rahmen einer forschungsgeschichtlichen Verortung bei Reiner Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse – Der Müll der Gesellschaft. In: ders./Andreas Hirse-
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Keller entwirft entsprechend dieser Ausrichtung eine »inhaltliche Erschließung von Diskursen«,84 ein äußerst stringentes Verfahren, das – in Abhängigkeit zur verfolgten Fragestellung – verschiedene Instrumente bereitstellt, um sich den in Diskursen prozessierten Sinngebungen anzunähern. Sowohl durch die grundlegende Ausrichtung seines Forschungsprogramms als auch durch dessen ›Werkzeuge‹ erweist sich Kellers Entwurf für die Analyse der Verknüpfung von Genre und Gender im Musicaldiskurs als besonders interessant; er erlaubt es, die interkategoriale Verbindung gerade auf ihre wissensgenerierenden Prozesse hin zu befragen. Dazu soll dezidiert der Begriff des diskursiven Deutungsmusters dienlich sein.85 Er schließt an die Frage an, »welche(s) Wissen, Gegenstände, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. durch Diskurse als ›wirklich‹ behauptet werden, mit welchen Mitteln [...] dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und -ressourcen diesen Prozessen zugrunde liegen.«86 Der Fokus auf Deutungsmuster erlaubt es, kollektive Wissensvorräte und Wissensordnungen als solche zu beobachten, sie kontextuell zu situieren und anhand bestimmter Sinngebungen, die sich in einzelnen Äußerungen mehr oder weniger umfassend aktualisieren, zu systematisieren. Deutungsmuster sind in diesem Zusammenhang »grundlegende bedeutungsgenerierende Schemata, die durch Diskurse verbreitet werden und nahe legen, worum es sich bei einem Phänomen handelt.«87 Ihre Analyse und Systematisierung »impliziert einerseits eine typisierende Deskription, andererseits einen Prozess der Dekonstruktion«.88 Dadurch wird in diesem Begriff ein Zugriff nahegelegt, der sogar in Parallele zur vermuteten Ambivalenz einer Verknüpfung von Genre und Gender steht89 – zeichnet sich Letztere
land/Werner Schneider/Willy Viehöver (Hg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 2: Forschungspraxis [3. Auflage]. Wiesbaden 2008, S. 197-232, hier S. 197 f. und S. 204 f. 84 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 243. 85 Dieser Begriff findet auch in anderen diskursanalytischen Verfahren – mitunter sogar in dispositivanalytischen Kontexten – Verwendung, etwa bei Bührmann/Schneider: Vom Diskurs zum Dispositiv, S. 29. 86 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 87 Ebd., S. 243. 88 Ebd., S. 272 [Herv. i.O.]. 89 Da Keller die Analyse von Deutungsmustern in ein übergeordnetes Interpretationsrepertoire einfügt, ließen sich sogar dahingehend Übertragungen für die Artikulation einer kategorialen Krise vornehmen. Das Interpretationsrepertoire umfasst laut Keller jedoch zusätzlich »Klassifikationen, Phänomenstrukturen und narrative Strukturen«, deren Betrachtung hier nur partiell erfolgen soll, sodass die Unterscheidung zwischen Deutungsmuster und Interpretationsrepertoire letztlich unberücksichtigt bleibt. Ebd., S. 240.
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doch, so zumindest die Annahme, durch ein Spektrum konkurrierender Einschätzungen aus, die einerseits Stabilisierungen der Kategorien verfolgen, andererseits aber genau diese in ihrer Konstruiertheit offenlegen.90 Im Hinblick auf das Interesse der Arbeit und gerade durch die Gewichtung epistemologischer Zusammenhänge ist Kellers Verfahren überaus nützlich, obgleich etwa nur eingeschränkt betrachtet werden soll, welche »Praktiken als diskursunabhängig […] entstandene, tradierte und vollzogene Handlungsmuster«91 gelten können. Die Grundlagen dieser, die von Foucault »als Strukturzusammenhänge begriffen[en] [...] Praktiken und Aussagekomplexe«,92 können jedoch sehr wohl aufgezeigt werden. Im Einzelnen sind dazu auch Änderungen vorzunehmen. So wird bewusst nicht jeder analytische Schritt des Programms von Keller vollzogen, zumal diese ohnehin »gegenstandsbezogen akzentuiert«93 werden müssen. Statt einer umfassenden Dokumentation der Diskurspositionen und der Diskursakteure beispielsweise rücken Attributionen in den Vordergrund, die seitens beteiligter Akteure und Institutionen formuliert werden. Und auch auf eine vergleichende Betrachtung unterschiedlicher Praxisfelder wird verzichtet, da stattdessen lediglich der sprachliche Gebrauch des Wortes ›Musical‹ (im Sinne einer solchen Praktik) Auskunft über diese mitunter diskursspezifischen Bereiche – insbesondere im Rahmen ihrer je eigenen Geltungsbedingungen – geben soll.94 Neben diesen Einschränkungen und Umakzentuierungen wird Kellers Ansatz auch um einige Aspekte ergänzt. Im Zuge der begriffsgeleiteten Operationalisierung bieten sich dabei vor allem Impulse der Kritischen Diskursanalyse um Siegfried Jä-
90 Dies sollte jedoch keinesfalls als zirkuläre Vorgehensweise missverstanden werden, immerhin gilt es, der Spezifik der Deutungsmuster ebenso wie der Ambivalenz ihrer interkategorialen Kopplungen Rechnung zu tragen. 91 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 228. 92 Ebd., S. 206. Dahingehend soll im Übrigen auch das Verhältnis zwischen Praktiken und Diskursen entlang einer Wechselseitigkeit – nicht aber in einer Gegenüberstellung (wie sie auch Keller impliziert) – erfasst werden. 93 Ebd., S. 192. 94 Des Weiteren werden auch Anpassungen in der Analyse selbst vorgenommen, etwa wird auf die Erstellung von Samples verzichtet. Dieser Zwischenschritt einer Materialreduktion durch die Auswahl einer »möglichst adäquate[n] Repräsentation des (virtuellen) Gesamtkorpus« kann über das korpusimmanente Vorgehen ausgelassen werden, insofern die Materialmenge zwar mitunter groß ist, aber überschaubar bleibt. Außerdem ist eine zunächst erfolgende Kondensation unnötig, da dies in der Darstellung einzelner Deutungsmuster entlang von Beispielen ohnehin geschieht – deren Auswahl basiert jedoch auf dem ›gesamten‹ Korpus und läuft nicht Gefahr, anhand der Samples vordefiniert zu werden. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse – Der Müll der Gesellschaft, S. 213.
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ger an, insofern gerade hier die sprachliche Konstitution im Zentrum steht.95 Keller markiert allerdings das Problem dieses Ansatzes, der mitunter in eine Ideologiekritik zurückfiele und durch den sprachlichen Schwerpunkt nur partiell den Komplex aus Wissen und Macht sensu Foucault untersuchen könne.96 Diese Einwände sind nicht zu unterschlagen, gleichwohl verspricht eine kritische Sichtung des Materials, die darin auftretenden Deutungsmuster einer Kopplung von Genre und Gender zu erkennen und mittels ausgewählter Beispiele auf ihre normierende Wirkmacht, aber auch auf ihre diskursinhärenten Spannungen und Grenzen hin zu befragen. Außerdem gilt es in Bezugnahme zu Jürgen Link, diskursübergreifende Sinngebungen hervorzustellen, insofern Deutungsmuster grundlegend in einer Relation zueinander stehen und sogar über verschiedene Diskursebenen hinweg selektiv in Verbindung treten.97 Dies wird gerade mit Blick auf die Artikulation einer Kategorienkrise relevant – nicht nur, weil sie als ein äußerst umfassendes und vielschichtiges Phänomen gilt, sondern auch, weil die Beziehung der Deutungsmuster (neben weiteren Aspekten) hierin einen Modus ihrer Hervorbringung eröffnet, das Wie der Artikulation kennzeichnet. Abseits dieser methodischen Verortung ist eine weitere Präzisierung vorzunehmen: Um tautologische, mitunter wesenhafte Bestimmungen innerhalb der diskursanalytischen Rekonstruktion zu vermeiden und damit auch nicht in die Probleme einer Diskursivierung mittels der alleinigen Fokussierung von Diskursakteuren zu geraten, gilt es, die Einbettung der analysierten Deutungen in spezifische Kontexte zu berücksichtigen. Dies wird mitunter schon durch die Orientierung entlang
95 Vgl. überblickshaft zur Kritische Diskursanalyse Siegfried Jäger/Jens Zimmermann: Das Netz der Begriffe der KDA. In: dieselben (Hg.): Lexikon Kritische Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste. Münster 2010, S. 6-23, hier S. 15 sowie weitergehend zum Vorgehen Siegfried Jäger: Einen Königsweg gibt es nicht. Bemerkungen zur Durchführung von Diskursanalysen. In: Hannelore Bublitz/Andrea D. Bührmann/Christine Hanke/Andrea Seier (Hg.): Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt a.M./New York 1999, S. 136-147, hier S. 137. 96 Vgl. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265 und S. 158. Dass diese Problematik durchaus zentral ist, zeigt sich mitunter schon die Benennung als Kritische Diskursanalyse. 97 Vgl. zur Betrachtung interdiskursiver Zusammenhänge, die in dieser Arbeit jedoch auch im Hinblick auf übergreifende Konstellationen innerhalb einer Diskursebene erfasst werden, Jürgen Link: Kulturwissenschaftliche Orientierung und Interdiskurstheorie der Literatur zwischen ›horizontaler‹ Achse des Wissens und ›vertikaler‹ Achse der Macht. Mit einem Blick auf Wilhelm Hauff. In: Georg Mein/Markus Rieger-Ladich (Hg.): Soziale Räume und kulturelle Praktiken. Über den strategischen Gebrauch von Medien. Bielefeld 2004, S. 65-83, hier S. 67 f.
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sprachlicher Praktiken innerhalb der Korpuserstellung geleistet, ebenso wie auch die Betrachtung exemplarischer Ausschnitte hierzu ihr Übriges tut.98 Allerdings müssen solche Überlegungen weitergehend auch in die Erschließung der Diskursebenen selbst einfließen. Dazu soll an Attributionsprozesse, Selbstzuschreibungen beteiligter Instanzen, angeschlossen werden, sodass eine Zuordnung der gewählten Materialbasis zur jeweiligen Diskursebene aus dieser selbst heraus plausibilisiert werden kann. Es ergibt sich ein Ansatzpunkt, der problematische Reduktionen in der Identifikation eines Diskurses bzw. einer Diskursebene vermeidet und zugleich eine Sensibilisierung gegenüber ihrer Beobachterabhängigkeit leistet. Während schon die Identifikation eines Diskurses statische Momente aufweisen kann, um die sich dann beispielsweise Diskursakteure positionieren lassen, so bietet demgegenüber die Hervorhebung spezifischer Kontexte eine Alternative. Sie erlaubt es, die Weitläufigkeit diskursiver Prozesse zu berücksichtigen, aber auch ihre Dynamik und ihre Wirkmacht zu betonen.99 Dies stellt die diskursanalytische Rekonstruktion allerdings vor ein Problem: Wie kann eine flexible Kontextualisierung erfolgen, wenn doch zugleich ihre Statik innerhalb der sprachlichen und analytischen Setzungen vermittelt wird? Wie kann der wissenschaftliche Musicaldiskurs etwa als ein historisch variables und vielfältiges Arrangement beobachtet werden, wenn doch schon in seiner Markierung als ›Wissenschaft‹ Tür und Tor geöffnet wird, um ihn normativ und überzeitlich zu bestimmen? Und dies nimmt erheblichen Einfluss auf die Materialauswahl. Wenn beispielsweise eine Publikation als Teil des wissenschaftlichen Diskurses gilt, so basiert dies auf einer Annahme, die letztlich voraussetzt, was Wissenschaft ist, um darauf aufbauend dann den wissenschaftlichen Diskurs anhand jener Publikation zu untersuchen. Dadurch erwachsen jedoch nicht nur Tautologien. Es stellt sich überdies auch die Frage, inwiefern die Zuordnung zu einer Diskursebene ihre jeweiligen Geltungsbedingungen abbilden kann, wenn sich Letztere doch eigentlich erst anhand der Analyse zeigen. So ließe sich zwar etwa unter funktionalen Gesichtspunkten diskutieren, ob eine bestimmte Publikation wissenschaftlich ist – inwiefern diese Zuordnung aber innerhalb der Publikation Relevanz besitzt und vor allem, wie sich dies darin zeigt, bleibt letztlich denjenigen funktionalen Maßstäben
98 Während die Fokussierung sprachlicher Praktiken allgemeine Zusammenhänge im Rahmen der Materialauswahl, etwa angelegte Unschärfen oder Sprachwandlungsprozesse in der Auseinandersetzung mit dem Musical, beobachtbar macht, so ist die Fokussierung einzelner Beispiele geeignet, um eine Kontextualisierung der jeweiligen Verknüpfung von Genre und Gender im Rahmen des Materials, etwa im Rahmen eines wissenschaftlichen Artikels, zu leisten. Beides hängt jedoch zusammen, sodass die verfolgten Kontexte auch in ihrer gegenseitigen Beeinflussung nachzuzeichnen sind. 99 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 1.1.
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vorbehalten, die bereits zuvor definiert wurden. Eine Publikation als wissenschaftlich zu begreifen, bedeutet noch lange nicht, dass dies auch in der Publikation selbst so verstanden wird und dass sich dadurch dann ein entsprechender Zusammenhang für eine diskursanalytische Aufarbeitung ergibt. Vielmehr bedingt bereits die Identifikation des Materials die zu erwartenden Resultate, wobei sie zugleich Gefahr läuft, eine Statik innerhalb der Zuordnung zu einer spezifischen Diskursebene zu vermitteln. Auch hier bedarf es folglich einer anderen Zugriffsweise, die sich dieser Schwierigkeit annimmt – und die zudem noch eine weitere Maßgabe beachtet: die Beobachterabhängigkeit von Diskursen. Wie Keller anmerkt und wie es über den Begriff der Diskursivierung betont werden soll, handelt es sich bei Diskursen um »eine nach groben Kriterien (z.B. Leitbegriffe, spezifische Bezüge auf Praxisfelder) vorgenommene Zusammenhangsvermutung im Hinblick auf beobachtbare, dokumentierte, aber zugleich disparate, verstreute weltliche (Aussage-)Ereignisse.«100 Durch diese Unterstellung eines Zusammenhangs verschiedener Aussagen, durch die Vermutung eines Diskurses samt seiner unterschiedlichen Ausprägungen, wird einer Prämisse gefolgt, die als solche zu reflektieren ist – zumal sie ohne Thematisierung die eigentlich autologische Verfasstheit einer diskursanalytischen Rekonstruktion, also ihre eigene Einbindung in diskursive Prozesse, allzu schnell verschleiert. Es bedarf daher einer Betonung derjenigen Umstände, unter denen überhaupt erst von einem Diskurs gesprochen wird, wobei sowohl die Konstruktion von Diskursen und Diskursebenen im Sinne der zu beobachtenden Phänomene als auch die darin erfolgende Prägung der Materialauswahl ersichtlich werden muss.101 Die drei hier skizzierten Schwierigkeiten – die Gefahr statischer Identifikationen und impliziter Tautologien durch die Zuordnung zu einem Diskurs bzw. zu einer Diskursebene, die Problematik in der Berücksichtigung von Geltungsbedingungen entlang der Materialauswahl und die Sensibilisierung gegenüber den eigenen Prämissen innerhalb einer diskursanalytischen Rekonstruktion – rufen erneut die Notwendigkeit einer präzisen Zugriffsweise auf. Hierzu bietet die Fokussierung sprachlicher Praktiken eine Möglichkeit. So verspricht dieser Weg für den Diskursgegenstand, das Musical, eine produktive Beobachtung, die Rückschlüsse auf dessen Hervorbringung erlaubt, seine kontextuellen Rahmungen betont und nicht vorab bestimmt, was das Genre ist. Dieses Verfahren kann jedoch auch für die Erschlie-
100 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 208 [in Anm.]. 101 Christian Pundt spricht in seiner Arbeit über Medien innerhalb diskurstheoretischer Entwürfe gar von einem »Transparenzgebot«, das insbesondere die Verschränkung von Interpretationshaltung und Materialerstellung betrifft. Christian Pundt: Medien und Diskurs. Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens. Bielefeld 2008, S. 239 [Herv. i.O.].
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ßung der Diskursebenen genutzt werden – und zwar, indem ein Anschluss an Attributionsprozesse stattfindet. Etwa markiert sich die Zeitschrift Screen schon in ihrer Gründung als wissenschaftlich, DER SPIEGEL differenziert sich durch eine Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Veröffentlichtem, und selbst Audiovisionen, die in ihrer diskursanalytischen Aufarbeitung besonderes schwierig zu erfassen sind, operieren zumindest mit dem Begriff ›Musical‹, indem sie ihn etwa im Titel verwenden.102 All diese Aspekte begründen die jeweilige Auswahl des Materials und die Zuordnung zu einer Diskursebene, sie geben aber ebenso Hinweise auf spezifische Geltungsbedingungen und tragen darin zugleich ihrer beobachterrelativen Verfasstheit Rechnung. Indem an genau diese Attributionen angeschlossen wird, wird direkt ersichtlich, dass es sich um Konstruktionen handelt, um Prämissen oder gar Axiome, die den darauf aufbauenden analytischen Prozess bedingen. Zugleich werden sie aber aus dem Material heraus begründet, sie ergeben sich durch Zuschreibungen beteiligter Instanzen, womit sie nicht nur als beobachterabhängige Grundlagen hervortreten, sondern womit auch ihre Wirkmacht – zumindest im Rahmen des ausgewählten Materials – betont werden kann. Da die beobachterrelative Setzung gleichzeitig eines Anspruchs, eines Selbstverständnisses oder gar einer Forderung der Beteiligten entspricht, erweist sie sich als wirkungsvoll – sowohl für die Rekonstruktion als auch für das je fokussierte Material. Und schließlich bedeutet der Anschluss an Attributionen, wie auch bei der Operationalisierung des Musicals, dass nicht vorab womöglich gar wesenhafte Bestimmungen vorausgesetzt werden, denn die Zuschreibung ist als solche bereits eine kontextualisierende Bestimmung, die aus den jeweiligen historisch-dynamischen und vielfältigen Sinngebungen erwächst, womit dann rückwirkend sowohl ihre Genese als auch ihre Geltung beleuchtet werden kann. Kurzum: Der Anschluss an Attributionen macht die Konstruktionsprozesse einer Analyse samt ihrer Umstände, ihrer Spezifik und ihrer Einschränkungen deutlich, und vermag es zugleich, derartige Einsichten auch für die jeweiligen Diskursebenen selbst zu vermitteln. Neben diesen beiden Überlegungen, der Präzisierung (durch) Kellers Verfahren der wissenssoziologischen Diskursanalyse und der kontextualisierenden Konstruktion der Diskursebenen mittels Attributionen, ist noch eine weitere Schärfung vorzunehmen. So werden die Diskursebenen nicht in all ihren Facetten, ja noch nicht einmal in all ihren interkategorialen Kopplungen verfolgt, sondern korpusimmanent im Hinblick auf Deutungsmuster analysiert, die eine konstitutive Verbindung von Genre und Gender gestalten. Es soll aufgezeigt werden, wie es zur Verknüpfung der Kategorien kommt, inwiefern diese eine wechselseitige Bestimmung eröffnet und
102 Diese Zuschreibungen werden in den jeweiligen Kapiteln genauer beleuchtet und dienen hier zunächst lediglich der Illustration.
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wo genau sich dabei Ambivalenzen im Spektrum zwischen Essentialisierung und Destabilisierung, zwischen Statik und Dynamik, zwischen produktiver und kategorialer Dimension auftun. Hierin zeichnet sich der Gewinn der Rekonstruktion ab: Statt eines allgemeinen Verweises auf die lange Tradition der Naturalisierung einer Geschlechterdichotomie und statt einer Abgrenzung zur teils genretheoretisch formierten Behauptung eines dem Genre zugrundeliegenden Wesens – wie sie sich zum Beispiel in den Positionen von Braidt und Mädler als allgemeine Tendenzen einschreiben mögen –, gilt es, die Verknüpfung der Kategorien präzise zu beobachten und sie in ihren je eigenen Ambivalenzen zu betonen.103 Dadurch rücken Mechanismen in den Vordergrund, welche die Wechselseitigkeit von Genre und Gender kennzeichnen und im Weiteren Aussagen über die diskursspezifische Artikulation einer kategorialen Krise zulassen. Mit einer solchen korpusimmanenten Fokussierung konstitutiver Verbindungen eröffnen sich also Potenziale – zugleich gehen damit aber auch Einschränkungen einher. Obwohl Genre und Gender in ihrer Weitläufigkeit sowie Historizität äußerst vielschichtig zu perspektivieren sind und beide etwa mit dem performative turn (wie es Gereon Blaseio darstellt)104 oder mit einer zunehmenden Differenzierung des Mediensystems (wie es Schneider darstellt)105 an Komplexität gewinnen, so sollen derartige Tendenzen in der diskursanalytischen Rekonstruktion lediglich anhand des Korpusmaterials abgebildet werden – sofern sie denn hierin überhaupt auftreten. Es besteht demnach durchaus die Gefahr, wichtige Formationen aus den Augen zu verlieren und insbesondere historische Prozesse nur sehr eingeschränkt in ihrer Relevanz beurteilen zu können. Dies stellt sicherlich ein Problem dar, birgt jedoch auch Vorteile im Hinblick auf die Spezifik der getroffenen Aussagen. In diesem Sinne ist die hier verfolgte korpusimmanente Rekonstruktion keinesfalls immun gegenüber Materialeffekten und vermag es nur bedingt – bedingt durch die Materialauswahl und ihre Operationalisierung – Auskunft über die Dominanz bestimmter Deutungsmuster einer Kopplung von Genre und Gender zu geben. Umgekehrt immunisiert sich das korpusimmanente Vorgehen jedoch gegenüber einseitigen Betrachtungen, die die Komplexität diskursiver Prozesse gerade in der Verbin-
103 Die Erfassung unter dem umbrella term Ambivalenz und auch die Beschreibung entlang des Spektrums zwischen Essentialisierung und Destabilisierung, zwischen Statik und Dynamik, zwischen produktiver und kategorialer Dimension mag dieser Absicht entgegenstehen. Beides soll allerdings in der Rekonstruktion spezifiziert werden – gewissermaßen dienen diese Deskriptionen also als Platzhalter für je verschiedene Konstellationen, die in der Verknüpfung von Genre und Gender entstehen und prozessiert werden. 104 Vgl. Blaseio: Genre und Gender, S. 30. 105 Vgl. Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21 f.
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dung von Genre und Gender nur bedingt berücksichtigen – etwa bedingt durch die ihnen zugedachte Funktion einer Essentialisierung oder einer Destabilisierung, wie es bei Braidt und Mädler der Fall ist.106 Dahingehend tritt die Rekonstruktion als Ergänzung bisheriger Untersuchungen auf, umgekehrt ist sie ihrerseits jedoch auch durch bestehende Forschung zu ergänzen. Die folgenden drei Kapitel werden zunächst jeweils einleitende Anmerkungen zur Materiallage und zur Vorgehensweise formulieren sowie eine kritische Reflexion der Korpuswahl und der darin zu skizzierenden Geltungsbedingungen vornehmen. Dies schließt grundlegende Aspekte in der Betrachtung des Musicals innerhalb der Diskursebenen an und erlaubt es, rückwirkend die Spezifik in der Konstruktion von Wissen um das Genre – samt ihrer Konsequenzen für die Verknüpfung zu Gender – aufzuzeigen. Darauf aufbauend werden je zwei Deutungsmuster exemplarisch erläutert.107 Diese gestalten in unterschiedlicher Dominanz (!) eine konstitutive Kopp-
106 Hiermit erklärt sich für die Darstellung der Deutungsmuster auch die Zurückhaltung im Verweis auf andere Studien, da durch die korpusimmanente Fokussierung zunächst das Material selbst im Vordergrund steht. Zwar wird an einigen Stellen auch auf andere Positionen eingegangen, dies dient jedoch vornehmlich der Kenntlichmachung von ›Problemen‹ innerhalb der analysierten Sinngebungen. Indes wird die Frage nach der diskursspezifischen Artikulation einer Kategorienkrise im Verhältnis der Deutungsmuster beantwortet und referiert dazu auf die bereits erläuterten Positionen (insbesondere auf Garber, Gerhart, Koselleck und Schneider), wobei diese als Referenzpunkte einer Beschreibung entlang der jeweiligen Diskursebenen akzentuiert werden. 107 Dass jeweils zwei Deutungsmuster betrachtet werden, dient verschiedenen Zwecken: Zunächst zeigt sich die Vielfalt interkategorialer Verknüpfungen, die keineswegs nur auf die beiden großen Richtungen in der Forschung, auf genrespezifische Genderrepräsentationen oder genderspezifische Genrepräferenzen, zurückgeführt werden können. Darüber hinaus erlaubt diese Auswahl, das Verhältnis der Deutungsmuster in den Blick zu nehmen, sodass Konsequenzen für die Artikulation einer Kategorienkrise in genau dieser Relation hervortreten können. Und schließlich ist die Auswahl der Komplexität interkategorialer Verbindungen geschuldet, sodass sie zunehmend von ›naheliegenden‹ Kopplungen in weniger offensichtliche, gleichwohl aber dennoch wirkmächtige Verknüpfungen übergeht. Dieser Aufbau hat allerdings eine weitere Konsequenz und birgt womöglich ein Missverständnis: Während etwa für die audiovisuelle Diskursebene Deutungsmuster erarbeitet werden, deren Verbindung von Genre und Gender wenig direkt erscheint, beispielsweise nur in ihrer Potenzialität angezeigt wird, so bedeutet dies keine Generalisierung. Es ließen sich auch augenscheinlichere Verbindungen zeigen, in Anbetracht der zuvor umrissenen Kopplungen soll jedoch die Vielfalt interkategorialer Verknüpfungen zur Auswahl anleiten.
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lung von Genre und Gender, wobei sie nicht nur eine wechselseitige Bestimmung der Kategorien eröffnen, sondern zugleich auch je verschiedene Spannungsmomente äußern. Schließlich lassen sich dadurch Mechanismen in der Artikulation einer kategorialen Krise identifizieren, die in der Relation der Deutungsmuster als diskursspezifisch gelten können. Das Ziel der Rekonstruktion ist es somit zu zeigen, •
•
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dass Genre und Gender in einem konstitutiven Verhältnis stehen, diese Kategorien also stetig neu in Relevanz zueinander beobachtet werden und sich dabei in unterschiedlichem Maße wechselseitig bedingen; dass die Verknüpfung von Genre und Gender Notwendigkeiten und Potenziale des interkategorialen Bezugs ausweist, aber auch Grenzen und Spannungsfelder hervorbringt, womit sie ambivalent verfährt; und dass diese ambivalente Verknüpfung der Kategorien im Kontext ihrer Krise steht – einer Kategorienkrise, die als epistemische Herausforderung das generierte Wissen um Genre und Gender umspannt und hierin je spezifisch artikuliert wird.
3 Genre und Gender im wissenschaftlichen Musicaldiskurs Zwischen peripheren Einschriften und konstitutiven Verbindungen
Wenn man ein Genre als Diskurs perspektiviert, der sich durch zugeschriebene Artefakte und unterschiedliche Akteure, durch genretheoretische Auseinandersetzungen und genrehistorische Modelle, aber auch in der Verknüpfung mit anderen Diskursen gestaltet, so ist zu fragen, wie die Kategorie hierin Sinn erhält, welche Deutungsmuster herausgearbeitet werden können und wie sich diese ändern. Zum einen mag ein Genrediskurs darum bemüht sein, seinen Gegenstand, sein Genre, zu konstituieren, eine Eindeutigkeit zu generieren und dieser Geltung zu verschaffen. Zum anderen sind damit jedoch Brüche, Irritationen und Dynamiken verbunden, denn ein Diskurs speist sich nicht durch Vorgängigkeit seines Gegenstands, sondern stellt ebenjene her. Und genau dieses Verhältnis gilt es, gerade mit Blick auf die Kopplung zu Gender in seiner Wechselseitigkeit zu beschreiben. Hierzu leiten drei Fragestellungen an: Wie finden im Musicaldiskurs Verknüpfungen zu Gender statt, die eine konstitutive Position einnehmen und beide Kategorien bestimmen? Inwiefern zeigen sich dabei Ambivalenzen, die zur wechselseitigen Stützung der Kategorien beitragen, zugleich aber auch Gegenteiliges bewirken, indem sie Grenzen und Spannungsfelder ersichtlich werden lassen? Und inwiefern bringt dies eine epistemische Herausforderung, eine Krise um Kategorien, hervor, die das im interkategorialen Bezug generierte Wissen umspannt? Dieses Kapitel widmet sich der Rekonstruktion des wissenschaftlichen Musicaldiskurses in seinen Verknüpfungen zu Gender. Zunächst wird dazu die Auswahl des zugrundeliegenden Materials, die britische Zeitschrift Screen, erläutert und als Zugriffsmöglichkeit auf die akademische Formation von Wissen um das Musical diskutiert. In besonderem Maße ist hierbei Korpuserstellung hervorzuheben, denn diese gestattet entlang der Orientierung an sprachlichen Praktiken durch gleich zwei
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Phänomene – der nicht konsistenten Unterscheidung adjektivischer und nominaler Verwendung sowie der häufig peripheren, oft einmaligen Nennung des Genres – einen Einblick in die Geltung wissenschaftlichen Wissens (Kapitel 3.1). Darauf aufbauend werden einige Beobachtungen vorangestellt, die sich aus dem Korpus heraus den Konstruktionsbedingungen in der Genese wissenschaftlichen Genrewissens zuwenden und zugleich einen Überblick zu den äußerst vielfältigen Genderbezügen vermitteln. Dabei entstehen Ansatzpunkte zur kontextuellen Rahmung der analysierten Deutungsmuster und zugleich tritt hervor, welche Grundlagen im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt bestehen, um vom Musical zu sprechen. Es verdeutlicht sich eine Tendenz, die – terminologisch als Kontextualisierung des Musicals gebündelt – zeigt, dass weniger das Einzelgenre als vielmehr die mit ihm assoziierten Konzepte, etwa die Kategorie Genre oder auch Kategorisierungen durch Auteurs, im Fokus der Wissenschaft stehen. Der wissenschaftliche Musicaldiskurs und seine Deutungsmuster sind also dadurch zu rahmen, dass sie selbst das Musical rahmen; die dem Genre zugedachten Sinngebungen stehen im Kontext zu Konstruktionsbedingungen, die ihrerseits das Musical in verschiedene Kontexte einspannen und darin nicht zuletzt auch Spuren einer Verbindung zu Gender aufweisen (Kapitel 3.2).1 Vor diesem Hintergrund werden zwei Deutungsmuster erarbeitet, die konstitutive Verknüpfung zwischen Genre und Gender gestalten und zugleich je unterschiedliche Spannungsfelder prozessieren. Dies umfasst zum einen eine Sinngebung, die narrative Anordnungen des Musicals durch Gender differenziert; entlang einer Trennung von ›Mann oder Frau‹ wird eine Trennung zwischen Fortgang und Stillstand einer Handlung behauptet – auch wenn dies diskursinterne Diskrepanzen offenbart (Kapitel 3.3). Zum anderen werden Geschlechterbilder2 untersucht, die sich über das Musical fokussieren lassen, in der Zirkularität ihrer Argumentation jedoch die darin angelegten Bestimmungen der Kategorien in Zweifel ziehen (Kapitel 3.4). Beide Deutungsmuster eröffnen demnach interkategoriale Verbindungen, die in verschiedener Weise, nicht zuletzt auch in ihrer Ambivalenz, zu differenzieren sind – gleichwohl aber Parallelen aufweisen. Und genau diese geben schließlich
1
Diese Dopplung – eine Kontextualisierung, die selbst zum Kontext einer Beobachtung wird – schürt Missverständnisse. Nochmals: Es geht darum, dass das Musical innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses in verschiedene Überlegungen eingestellt ist, dass es kontextualisiert wird. Und genau diese Tendenz kann wiederum zu einem Rahmen werden, um die Verknüpfung von Genre und Gender genauer zu verfolgen, sie wird zu einem Kontext für die Analyse interkategorialer Verbindungen.
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Begrifflich schließt dies an die Frauenbildforschung an, da Parallelen in der Argumentation bestehen. Vgl. als Überblick zur Frauenbildforschung Schößler: Einführung in die Gender Studies, S. 68-71.
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Auskunft über die Artikulation einer Kategorienkrise; die Verknüpfung von Genre und Gender tritt in der Relation der Deutungsmuster und im Verhältnis zu den eingangs dargestellten Bedingungen wissenschaftlichen Wissens als spezifisches Symptom sowie Ergebnis einer epistemischen Herausforderung auf. Außerdem gestattet sich darin eine methodische Reflexion, die am Ende der Arbeit in einem Anstoß zur Beobachtung der Kategorien münden soll (Kapitel 3.5).
3.1 W ISSENSCHAFTLICHES W ISSEN UM DAS M USICAL UND SEINE B EOBACHTUNG MITTELS DER Z EITSCHRIFT S CREEN Um die Verknüpfung von Genre und Gender innerhalb des wissenschaftlichen Musicaldiskurses zu verfolgen, ist es zunächst nützlich, festzuhalten, dass ein Spezialdiskurs untersucht wird. Dies hebt neben wichtigen Besonderheiten in der Konstruktion von Sinngebungen3 den eigentlichen Gegenstand der diskursanalytischen Aufarbeitung hervor. So bildet nicht das Musical in einer womöglich wesenhaften Bestimmung den Ausgangspunkt, vielmehr wird die wissenschaftliche Diskursebene ab Mitte des 20. Jahrhunderts (ab 1969) in ihren Strategien zur Betrachtung dieses Genres analysiert und auf die darin hervortretenden Bezüge zu Gender hin befragt. Davon ausgehend, dass Genrereflexionen stets von der Operation einer Zuordnung und Abgrenzung anhand von Genrebegriffen Gebrauch machen oder diese Operation selbst fokussieren,4 lassen ebenjene Prozesse die Beobachtung diskursi-
3
Der Begriff des Spezialdiskurses betont wichtige Unterscheidungen, etwa bezüglich der Wirkmacht, er ist jedoch im Hinblick auf das Konzept des Interdiskurses kritisch zu fassen. So nutzt Keller zur Differenzierung das Kriterium der Zugänglichkeit, welche in einem Spezialdiskurs eingeschränkt sei. Demgegenüber macht Link allerdings deutlich, dass interdiskursive Verbindungen auftreten und somit auch einer Beschränkung der Zugänglichkeit entgegengewirkt werden kann. Von daher lassen sich zwar Unterscheidungen über den Begriff des Spezialdiskurses treffen, diese sollen im Folgenden aber nicht bloß in der Zugänglichkeit wurzeln, sondern Strategien der Legitimierung von Wissen ebenso wie interdiskursive Verflechtungen einbeziehen. Obgleich dies hier zunächst lediglich für den wissenschaftlichen Diskurs herausgearbeitet wird, so gilt es, im späteren Verlauf der Arbeit zu dieser Diskussion zurückzukehren, insbesondere wenn die publizistische Diskursebene im Fokus steht. Vgl. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 235 und Link: Kulturwissenschaftliche Orientierung und Interdiskurstheorie der Literatur zwischen ›horizontaler‹ Achse des Wissens und ›vertikaler‹ Achse der Macht, S. 73.
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Genau dieser Prozess der Ausschließung qua Zuordnung bzw. der Zuordnung qua Ausschließung ist laut Keller ein grundlegendes Prinzip, über das, wie in Kapitel 1.5 ausge-
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ver Sinnstiftung zu. Diskurse werden dabei als Orte der (Re-)Produktion von Wissen und der Legitimierung von Deutungen wie Handlungen verstanden. Es wird ermittelt werden, welche Aussageformationen sich seit dem gewählten Beginn der Auseinandersetzung rekonstruieren lassen und wie diese eine Verknüpfung von Genre und Gender gestalten. Hierzu sind allerdings zunächst Mechanismen aufzuzeigen, die – spezifisch für die akademische Diskursebene – den Konnex aus Wissen und Macht in seinem prozessualen Vollzug betreffen und es ermöglichen, Aspekte der Diskurskontrolle, aber auch der diskursiven Hervorbringung zu untersuchen. Wenn Foucault die Ordnung des Diskurses betrachtet, so unterscheidet er drei Ausschließungssysteme, die zur Regulierung, aber auch zur produktiven Formierung eines Diskurses beitragen: »das verbotene Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns; der Wille zur Wahrheit«,5 wobei Letzterer in der historisch-genealogischen Untersuchung von Denksystemen6 zunehmend »immer stärker, immer tiefer und unausweichlicher«7 dominiert. Diese Kontroll- und Hervorbringungsprozeduren sind im Spezialdiskurs der Wissenschaft ebenso wie in seiner Auseinandersetzung mit dem Musical besonders relevant. Zwar entfalten jegliche Diskurse ihre wirklichkeitsstiftenden Effekte »über die durch sie prozessierten Wissensordnungen, die durch institutionalisierte diskursive Praktiken im Sinne von Wissenspolitiken hergestellt, durchgesetzt, stabilisiert oder verändert, umgestürzt werden, und die schließlich als vorherrschende Bedeutungen, Sinngehalte, Deutungsmuster das alltägliche Denken und Handeln der Menschen als gesellschaftliche Praxis orientieren.«8
Doch gerade die Herstellung, Legitimierung und Normierung von Wissen treten im Spezialdiskurs Wissenschaft sehr deutlich hervor. Obgleich Foucault betont, dass Wissen und Wissenschaft nicht identisch sind,9 so scheint eine immense Wirkmacht von wissenschaftlichem Wissen auszugehen. Dies begründet sich vornehmlich über ein Wahrheitspostulat, das durch unterschiedlichste Strategien seiner Konstruktion
führt, die »sprachpraktische Wirklichkeitskonstruktion in Diskursen funktioniert«. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 5
Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses [L’ordre du discours. Inauguralvorlesung am Collège de France 02.12.1970]. In: ders. (Hg.): Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann [10. Auflage]. Frankfurt a.M. 2007, S. 9-49, hier S. 16.
6
So der Titel des Lehrstuhls, welchen Foucault am Collège de France ab 1970 innehatte.
7
Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 16.
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9
Vgl. etwa Foucault: Archäologie des Wissens, S. 262.
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genährt wird – vom Anspruch einer Objektivität über eine (vermeintlich) reflexive Zugangsweise bis hin zu einer präzisen Begrifflichkeit. Allerdings muss gerade durch diese diskursspezifischen Geltungsbedingungen verdeutlicht werden, dass »wissenschaftliche Aussagen ihre ›Gegenstände‹ weder einfach abbilden, noch diese kommentieren«.10 Stattdessen hat der Spezialdiskurs ebenso Anteil an der Konstitution seiner Objekte und prozessiert Wissen zu diesen, das jedoch keinesfalls als eine wahre oder neutrale Erkenntnis zu begreifen ist. Vielmehr stellt auch wissenschaftliches Wissen eine immer schon regulierte und regulierende Sinngebung dar. Um diese Perspektive nicht allein in theoretischer Hinsicht zu plausibilisieren, sondern auch in der analytischen Aufarbeitung fruchtbar zu machen, muss zunächst die Korpus- bzw. Dossierwahl11 thematisiert werden und verschiedene Überlegungen einbeziehen: Indem Institutionalisierungen Anteil an der Konstruktion wissenschaftlichen Wissens und seiner Wirkmacht haben, indem aber auch Verknüpfungen unterschiedlicher Diskurse stattfinden und grundlegend Deutungsmuster als ebensolche zu perspektivieren sind, gilt es, bereits innerhalb der Erschließung des Materials ein besonderes Augenmerk auf die kontextuelle Rahmung und die darin hervortretende Legitimierung des prozessierten Wissens zu legen. Hier eröffnet sich auch die Frage, auf welchem Wissenschaftsbegriff die Auswahl beruht und wie ein Ansatz gestaltet werden kann, der nicht rein normativen Kriterien oder ausschließlich praktikablen Bedingungen in der Durchführung folgt. Die vorgenommene Fokussierung durch die Zeitschrift Screen versucht, diese verschiedenen Aspekte zu beachten und nutzt sowohl im Hinblick auf die Wissenschaftlichkeit des Journals als auch in der Erstellung des Korpus einen (mutmaßlich) geeigneten Zugriff. So wird zwar einerseits thematischen Zusammenhängen und pragmatischen Prämissen Raum gegeben, andererseits wird aber in der Betrachtung der Geschichte und aktuellen Geltung der Zeitschrift ihre akademische Verortung als ein Zuschreibungsprozess begriffen, womit sich dann auch eine Reflexion der zugrundeliegenden Wissenschaftsauffassung ermöglicht.
10 Hagen Schölzel: Spielräume der Wissenschaft. Diskursanalyse und Genealogie bei Michel Foucault. In: Robert Feustel/Maximilian Schochow (Hg.): Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse. Bielefeld 2010, S. 17-32, hier S. 24. 11 Mit Dossier wird laut Jäger »ein Corpus bezeichnet, das einen ganzen Diskursstrang nicht vollständig abdeckt, sondern aus Gründen, die dem Gegenstand oder auch pragmatischen Bedingungen der Projektdurchführung geschuldet sind, wohlbegründet reduziert wird.« Ein Dossier ist folglich ein lückenhaftes Korpus, wobei unklar bleibt, inwiefern Vollständigkeit zu erreichen ist und wie eine genaue Differenzierung beider vorgenommen werden kann. Von daher wird das Kollektivum Korpus präferiert. Siegfried Jäger: Art. Dossier. In: ders./Jens Zimmermann (Hg.): Lexikon Kritische Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste. Münster 2010, S. 55, hier S. 55.
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In der Suche nach einer angemessenen Grundlage zur Beobachtung des wissenschaftlichen Musicaldiskurses bildet die britische Zeitschrift Screen aufgrund verschiedener Faktoren eine geeignete Option. Zunächst sind dabei Schwerpunkte im Gegenstand der hier verfolgten Fragestellung zu nennen. So kann die Screen als thematisch bedeutend gelten, denn genretheoretisch relevante, wenn nicht gar kanonische Texte – darunter etwa Neales Questions of Genre – sind hier häufig im Erstdruck erschienen. Und auch Gender stellt einen wichtigen Akzent der Zeitschrift dar, wie es beispielsweise die sogenannten Screen-Reader12 illustrieren. Außerdem mag das Journal als eine der ältesten film- und medienwissenschaftlichen Publikationen gelten, die regelmäßig, meist vierteljährlich, veröffentlicht wird und damit eine diachrone Orientierung in der Untersuchung erlaubt. Abgesehen von diesen praktikablen Gesichtspunkten gilt es jedoch auch, weitere Aspekte zu berücksichtigen und zu zeigen, dass die Auswahlkriterien nicht nur normativen Begründungen entspringen. Im Rahmen von »Grenzziehungsprobleme[n]«13 und aufgrund der notwendigen Auseinandersetzung mit der kontextuellen Situierung der Zeitschrift wird ein Ansatz verfolgt, der ähnlich zur Operationalisierung des Musicals verfährt. Dabei wird nicht ein normativer oder ahistorischer Begriff von Wissenschaft angelegt, vielmehr wird die Zuordnung der Zeitschrift zum Spezialdiskurs durch unterschiedliche Attributionen erschlossen, die in ihrer Geschichte und aktuellen Geltung auftreten. Gerade anhand der Institutionalisierung der Screen lässt sich dies verdeutlichen; die
12 Bisher sind sechs dieser Reader in einem Zeitraum von 1977 bis 2007 erschienen, wobei gleich zwei gendertheoretischen Perspektiven nachgehen: The Sexual Subject: A Screen Reader in Sexuality (Hg. v. Mandy Merck, London/New York 1992) und Queer Screen: A Screen Reader (Hg. v. Jackie Stacey und Sarah Street, London/New York 2007). Beide variieren in den thematischen Schwerpunkten und in der Zusammenstellung. Während Letzterer – neben einer umfassenden Dokumentation der in der Screen ausgetragenen BOYS DON’T CRY-Debate – einen queertheoretischen Fokus setzt, so basiert der Erstgenannte auf einer im Zugriff schwerlich zu vereinheitlichenden Konzeption, die unterschiedliche Aufsätze von der Psychoanalyse über Zuschauerschaft bis hin zu Männlichkeitsbildern versammelt. Hierin zeigt sich, dass vielfältige Auseinandersetzungen in der Screen geführt werden, die ihr Augenmerk auf Gender richten und mutmaßlich sogar die historische Entwicklung genderorientierter Fragestellungen in medienwissenschaftlichen Kontexten abbildbar machen. 13 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 270 [Herv. i.O.]. Im Einzelnen umfassen diese »das Problem der Bestimmung von Untersuchungszeiträumen und -gegenständen, die Fragen der Eingrenzung und des Zusammenhangs des auszuwertenden Materials und das Problem der Zuordnung von Dokumenten/Praktiken bzw. einzelnen Inhalten zu Diskursen.« Ebd.
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Markierung ihrer Wissenschaftlichkeit ist als eine Zuschreibung zu begreifen, sodass ihre akademische Verortung nicht anhand von Kriterien eines wie auch immer gearteten Wissenschaftskonzepts vordefiniert werden muss. Es wird folglich eine Perspektive entworfen, die nicht in Probleme einer Bestimmung dessen, was wissenschaftlich ist, gerät und doch zugleich die Auswahl als Zugriffsmöglichkeit auf den wissenschaftlichen Musicaldiskurs begründet. Hierzu ist der knappe Blick auf die Entstehung der Zeitschrift unumgänglich, wobei Darstellungen beteiligter Personen und Einrichtungen genutzt werden. Bereits ab 1959 gab die britische SEFT, die Society for Education in Film and Television, die Zeitschrift Screen Education heraus. Diese gilt als Vorgänger der Screen14 und verfolgte einen didaktischen Schwerpunkt, der aus der Praxis des Unterrichtens stammt und an die zuvor erschienene film teacher anschloss.15 Zunehmend kam es zu Kooperationen der SEFT mit dem British Film Institut (BFI), in deren Folge 1969 erstmalig die Screen veröffentlicht wurde. Diese beinhaltete zunächst noch Screen Education Notes, stand aber im Unterschied zur praxisnahen Screen Education in der Absicht einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Medien. Und so wurden grundlegende Änderungen vom thematischen Zuschnitt bis hin zum Layout vorgenommen,16 die zum einen Abgrenzungen zur Screen Education intendierten und zum anderen »serious academic attention«17 erregen wollten. Die so entstandene Zeitschrift Screen nahm Einfluss auf die Institutionalisierung einer Film- und Medienwissenschaft, insbesondere in Großbritannien. Darüber hinaus erschienen Screen-Reader, Sammlungen unterschiedlicher Artikel, die der Zeitschrift zu (zusätzlicher) internationaler Beachtung verhalfen, wodurch die Publikation auch aktuell einen großen Stellenwert innerhalb wissenschaftlicher Auseinander-
14 Dass die Screen in direkter Beziehung zur Screen Education steht, zeigt sich auch in der Zeitschrift selbst. So beginnt die Screen in der Nummerierung ihrer Ausgaben mit Vol. 10 und betont darin den Anschluss an das vorher erschienene Journal. 15 Die Zeitschrift film teacher wurde zwischen 1952 und 1959 unregelmäßig von der SFT, der Society of Film Teachers, herausgegeben und änderte zwischenzeitlich ihren Titel in SFT Newsletter. Die SFT ist der direkte Vorläufer der SEFT und benannte sich 1959 mit dem erstmaligen Erscheinen der Screen Education um. Eine knappe Übersicht zu dieser historischen Entwicklung findet sich auf der Internetseite der University of Glasgow. Vgl. University of Glasgow: Screen History. In: gla.ac.uk, URL: http://www.gla.ac.uk/ services/screen/history/ [Zugriff 24.04.2012]. 16 SEFT-Mitglied und zeitweiliger Mitherausgeber Terry Bolas führt diese Unterschiede besonders deutlich auf, obgleich er seinen Schwerpunkt auf die Geschichte der Screen Education legt. Vgl. Terry Bolas: Screen Education. From Film Appreciation to Media Studies. Bristol/Chicago 2009, S. 170. 17 Ebd., S. 7.
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setzungen besitzt.18 Hier schließt sich die weitere Geschichte der Screen an, da 1989 die SEFT in der Herausgeberschaft durch das John Logie Baird Centre der University of Glasgow abgelöst wurde und mittlerweile gänzlich durch das BFI finanziert wird. Es zeichnet sich eine zunehmende Akademisierung ab, die die zunächst didaktisch geprägte und aus der Praxis geborene Screen Education durch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Medien und eine stark institutionalisierte Zeitschrift, die Screen, ersetzt.19 Ohne einen rein normativen Wissenschaftsbegriff kann diese knappe Skizze zur Entstehung der Zeitschrift Screen eine Begründung der hier vorgenommenen Auswahl leisten und die Zuschreibung als wissenschaftliche Publikation plausibilisieren. So zeigt sich in der Gründung der Zeitschrift eine Akademisierungsabsicht, die auch in ihrer aktuellen Relevanz innerhalb der disziplinären Landschaft und im institutionalisierten Charakter ihrer Betreuung hervortritt. Die Screen wird bereits in ihrer Entstehung als wissenschaftlich markiert und durch die beteiligten Einrichtungen in dieser Hinsicht weiter gestärkt. Auch ihre heutige Geltung stabilisiert diese Zuordnung, wobei offenbleibt, was wann als Wissenschaft gilt – zumal sich dies ohnehin ändert.20 Die hier vorgenommene Auswahl schließt also an Attributionsprozesse an, nimmt jedoch keine problematische Reduktion durch eine Bestimmung dessen vor, was wissenschaftlich ist.
18 Dies lässt sich auch in der Bezeichnung Screen Theory verdeutlicht. Dieser vor allem im englischen Sprachraum gebräuchliche Ausdruck markiert theoretische Impulse der 1970er Jahre, die apparative Anordnungen fokussieren und eine vor allem an Jacques Lacan sowie Louis Althusser anschließende Beobachtung von Medien vornehmen. Hierbei findet begrifflich eine direkte Assoziation mit der Zeitschrift Screen statt, die als Publikationsorgan dieser etwa von Laura Mulvey oder Colin MacCabe vertretenen Positionen dient(e). Vgl. auch im Kontext historischer Entwicklungen der Screen Theory Gill Branston: Why theory? In: Christine Gledhill/Linda Williams (Hg.): Reinventing Film Studies. London 2008, S. 18-33, hier S. 24 und S. 27 f. 19 Bolas bezeichnet den Status der Screen als »the most obvious legacy from SEFT« und folgt, wie es auch in seinem Vergleich zum Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies deutlich wird, einer Perspektive, die diese Entwicklung gerade im Hinblick auf die Einstellung der Screen Education und die Auflösung der SEFT kritisch beurteilt. Bolas: Screen Education, S. 7; vgl. auch ebd., S. 267. 20 Eine historische Perspektive auf den Wissenschaftsbegriff kann sehr große Zeiträume behandeln und äußerst weitläufige Verschiebungen (bis hin zu epistemischen Verwerfungen) fokussieren. Anhand der Screen und der Screen Education lassen sich jedoch schon innerhalb weniger Jahrzehnte Änderungen aufzeigen, die, wie es Bolas ausführt, insbesondere die Institutionalisierung einer Film- und Medienwissenschaft in Großbritannien betreffen.. Vgl. ebd., S. 232 f.
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Ähnlich zur Operationalisierung des Musicals wird anhand der Zuschreibung eine Zugriffsmöglichkeit auf den wissenschaftlichen Diskurs gewählt und damit einem statischen, wenn nicht gar essentialisierenden Verständnis von Wissenschaft entgegengewirkt. An diesem Punkt tritt ein zunächst ausschließlich praktikabel anmutender Vorteil zur Erfassung des Materials hinzu: Durch den relativ großen Zeitraum der kontinuierlichen Veröffentlichung erlaubt es die Zeitschrift Screen, ein umfangreiches Spektrum abzubilden und somit Verschiebungen innerhalb der wissenschaftlichen Verhandlung des Musicals zu berücksichtigen. Dies wird durch den Zugriff über ein Onlinearchiv gewährleistet und kann den pragmatischen Bedingungen der Untersuchung gerecht werden. Allerdings lassen sich hierdurch auch Praktiken und Implikationen der Archivierung in ihren wissens- und machtbezogenen Effekten aufzeigen.21 So ist ein Onlinearchiv einerseits als Erweiterung des Spezialdiskurses zu verstehen, insofern das von Keller zur Bestimmung genutzte Kriterium der Zugänglichkeit erhöht wird. Die Archivierung via Internet kann andererseits jedoch auch als zusätzliche Normierung begriffen werden, da sich mit der erhöhten Zugänglichkeit beispielsweise schneller ein Kanon ausbildet, der wissenschaftliches Wissen festigt. Diesen Aspekt gilt es zu berücksichtigen und später in der Betrachtung anderer Diskursebenen genauer zu beleuchten. Im Rahmen sehr unterschiedlicher Überlegungen, die die Zuordnung zum wissenschaftlichen Diskurs und die pragmatischen Prämissen seiner Rekonstruktion betreffen, erweist sich die Zeitschrift Screen als eine geeignete Materialbasis, um die akademische Auseinandersetzung mit dem Musical in einem Zeitraum zwischen 1969 und 2011 auszuwerten.22 Damit anhand dieser Zeitschrift ein Korpus generiert werden kann, wird eine an der Begrifflichkeit ausgerichtete Operationalisierung verfolgt. Obgleich einige Kritikpunkte an diesem Verfahren berechtigt sein mögen, so sollte in den bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein, welchen Gewinn eine derartige Vorgehensweise gerade in der Vermittlung von Genese und Wirkmacht birgt. Entsprechend dieses Ansatzes wird zur Auswahl das Wort ›musical‹ genutzt, das zwischen 1969 und 2011 in 398 Artikeln der Zeitschrift Screen Verwendung findet.23 Hierbei erweisen sich einige Ausschließungen aufgrund formaler Aspekte als notwendig,24 sodass letztlich 363 Beiträge die Grundlage der Diskurs-
21 Vgl. grundlegend auch Foucault: Archäologie des Wissens, S. 170 und S. 188 f. 22 Dieser Zeitraum begründet sich in den pragmatischen Bedingungen und nicht etwa durch thematische oder im Material ersichtliche Besonderheiten. So wird der Beginn durch das Archiv und die Gründung der Zeitschrift gesetzt; das Ende der Materialauswertung markiert den letzten vollständig erschienenen Jahrgang zu Beginn der Recherche. 23 Vgl. das Onlinearchiv unter URL: http://screen.oxfordjournals.org/ [Zugriff 24.04.2012]. 24 So gibt es im Archiv etwa Überschneidungen unterschiedlicher Artikel, wodurch auch Texte aufgeführt werden, die das Wort ›musical‹ nicht verwenden. Diese wurden aus-
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analyse bilden und nach weiteren Differenzierungen entlang des nominalen und adjektivischen Gebrauchs verlangen. Mit diesem Kriterium lassen sich außerdem schon in der Materialsichtung zur Erstellung des Korpus zwei Phänomene skizzieren, die Einblicke in die Geltungsbedingungen wissenschaftlichen Genrewissens gewähren.25 Zunächst kann mithilfe der Fokussierung sprachlicher Praktiken berücksichtigt werden, dass der Musicaldiskurs keinesfalls eine abgeschlossene und begrenzte Position innerhalb des wissenschaftlichen Spezialdiskurses einnimmt. Vielmehr zeigt sich, dass Bezüge zum Musical in unterschiedlicher Weite erfolgen, dass sie teilweise lediglich als Anmerkungen oder einzelne Kommentare gestaltet sind und dies zugleich in vielfältigen Zusammenhängen geschieht. Zwar mag dadurch im Rahmen der »Geltungsansprüche einer Untersuchung [...] das Problem der Sättigung des Analyseprozesses«26 virulent werden; beispielsweise ist zu fragen, welchen Beitrag diese peripheren Verweise für die wissenschaftliche Verhandlung des Musicals leisten – tauchen sie doch in Kontexten auf, die wenig direkt an eine Genrebetrachtung anschließen und wiederum nur äußerst selten innerhalb anderer Genrereflexionen aufgegriffen werden. Demgegenüber offenbaren sie allerdings, welche Wirkmacht der wissenschaftliche Musicaldiskurs wann besitzt und unter welchen Prämissen vom Musical als scheinbar selbstverständlicher Begriff ausgegangen wird – wird das Genre eben nur beiläufig oder einmalig erwähnt und bedarf vermeintlich keiner weiteren Ausführung.
geschlossen, ebenso wie auch darauf verzichtet wurde, Anzeigen und Hinweise zu Veranstaltungen, in denen das Wort ›musical‹ vorkommt, zu berücksichtigen, da diese nur in wenigen Jahrgängen gegeben sind. Außerdem wurden Indexe sowie Beiträge, die lediglich in Quelltiteln das Wort ›musical‹ nennen, nicht in das Korpus aufgenommen. Zwar mögen Letztere Indizien zu diskursrelevanten Texten geben – diese sind jedoch äußerst unzuverlässig, da sie nicht mit der Verhandlung des Genres korrelieren müssen. Mit dem so eingeschränkten Korpus lässt sich hingegen genauer zeigen, wann und vor allem in welcher Form Diskursereignisse, etwa die Veröffentlichung zentraler Texte zum Musical, auftreten – findet doch eine Auseinandersetzung statt, die über die bloße Auflistung von Quellen hinausgeht. 25 Geltungs- und Konstruktionsbedingungen bestimmen einander wechselseitig, sie sollen in dieser Arbeit jedoch im Hinblick auf ihre Beobachtung unterschieden werden: Während sich Geltungsbedingungen als Tendenzen bereits in der Korpuserstellung zeigen und auf diese Weise etwa auch übergeordnete Zusammenhänge eröffnen, so werden Konstruktionsbedingungen aus dem generierten Korpus heraus rückwirkend beleuchtet und erlauben derart spezifische Einblicke in die Verhandlung des Musicals, wobei dies zugleich eine Kontextualisierung der interkategorialen Verknüpfungen gestattet. 26 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 270 [Herv. i.O.].
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Das zweite Phänomen betrifft die Wortbildung und ihrer Unschärfe. So kann das Wort ›musical‹ im Englischen ein Adjektiv mit der Bedeutung ›musikalisch‹ darstellen, es kann aber auch nominal als Genrebezeichnung verwendet werden. Für die Korpuserstellung sind diese Gebrauchsweisen zu differenzieren und lediglich die nominale Verwendung ist im Sinne einer Genrekategorie zu berücksichtigen. Allerdings verläuft jene Differenzierung inkonsistent und muss darin als eine diskursinhärente Erscheinung perspektiviert werden: Wenn sprachliche Regelungen (und Regulierungen) als diskursive Sedimentierung im wissenschaftlichen Diskurs ›umgesetzt‹ werden, folglich ein semantischer Unterschied zwischen nominaler und adjektivischer Verwendung besteht, so kann diese Differenz im lexikalen Auswahlkriterium zur Operationalisierung genutzt werden. Dadurch mag sich zwar die Gefahr essentialisierender Perspektiven auftun, das Musical scheint existent – jedoch wird nur der Begriff als bestehend angesehen. Dieser verweist nicht auf ein Wesen, sondern auf Konstruktionsleistungen im Bezeichnungsprozess selbst: »Naming contributes to a process of redrawing boundaries and redefining relationships. But such processes are neither originary nor innocent.«27 Da im Englischen allerdings nur wenige Differenzierungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Wort ›musical‹ und seinen adjektivischen bzw. nominalen Gebrauch bestehen, zeigt sich, dass bereits mit dem hier gewählten Vorgehen uneindeutige, mitunter synkretistische Verwendungen berücksichtigt werden können. Diese ergeben sich nicht aufgrund des Auswahlkriteriums, sondern sind schon in der diskursiven Konstitution des Musicals – im Wort selbst – angelegt und müssen daher abgebildet werden: Zwar ist etwa eine Differenz des adjektivischen und nominalen Gebrauchs in der Deklination erkennbar und auch weitere Indizien, wie Satzstellung oder Artikelzusatz, ermöglichen eine Unterscheidung. Jedoch kann eine definitive Festlegung der nominalen Verwendung nicht in Gänze erfolgen. So lassen sich insbesondere zusammengehörige Konstruktionen, etwa ›musical comedy‹, nicht immer entlang des nominalen oder adjektivischen Gebrauchs zuordnen, da sie entweder ein Kompositum bilden oder eine adjektivische Hinzunahme zu einem Nomen darstellen. Auch in Berücksichtigung der Ausführungen von Altman bezüglich der Genrewerdung28 mag eine Differenz zwischen ›Musical-Komödie‹ und ›musikalischer Komödie‹ bestehen, diese ist jedoch nicht durchgehend erkennbar und wird im wissenschaftlichen Diskurs nicht fortwährend gezogen. Und dies verstärkt sich sogar, wenn periphere Bezüge, etwa einmalige Nennungen, erfolgen – ist die Verwendung des Wortes ›musical‹ doch einerseits selbstverständlich (sie wird nicht weiter ausgeführt und nur erwähnend eingebunden), andererseits aber missverständlich (lässt die begriffliche Konstruktion keine Festlegung als Adjektiv oder
27 Gledhill: Rethinking Genre, S. 232. 28 Vgl. erneut Altman: Reusable Packaging, S. 3 f.
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Nomen zu und verweigert sich der damit verbundenen semantischen Unterscheidung). In diesem Fall tritt die Ambivalenz von Kategorien bereits in ihrer sprachlichen Formung hervor.29 Mit der Operationalisierung durch sprachliche Differenzen im Gebrauch des Wortes ›musical‹ erschwert sich scheinbar die Erstellung eines Korpus und sie mag gerade bei nicht eindeutigen Zuordnungen zu kritisieren sein. Allerdings lässt sich dies auch als Potenzial ausweisen: Zum einen kann einer Bestimmung nach tautologischen oder essentialisierenden Kriterien entgegengewirkt werden – muss doch keinesfalls ein eindeutiges Merkmal herangezogen werden, das die Beschreibung als Musical begründet, insofern sprachlich bereits Unschärfen angelegt sind. Zum anderen ist die periphere Verwendung ein geeigneter Indikator, um die Wirkmacht diskursiver Deutungsmuster anzuzeigen, da sie die Effekte einer Konstitution des Genres hervorhebt. Hier ermöglicht der Begriff ›musical‹ im einmaligen Gebrauch eine rückwirkende Betrachtung, insofern zentrale Sinngebungen aufgerufen werden, die gerade keiner ausführlichen Thematisierung bedürfen. Anders formuliert: Ein peripherer Verweis auf das Musical zeigt die Geltung des wissenschaftlichen Diskurses und die Wirkung seiner Deutungsmuster, die in der analytischen Aufarbeitung die Konstituenten dieser Interpretationen beobachtbar machen. Durch die Berücksichtigung der grammatisch nicht durchgehend zu differenzierenden Verwendung erweist sich diese Wirkmacht jedoch auch als fragwürdig, insofern sie in ihrer Ambivalenz gebrochen wird. Die Zeitschrift Screen bildet mit ihren 363 Artikeln, in denen das Wort ›musical‹ zur Anwendung kommt, eine Grundlage zur diskursanalytischen Rekonstruktion. Entlang der Unterscheidung des sprachlichen Gebrauchs entsteht ein Korpus von 201 Texten, die eine nominale Konstruktion wählen oder aber (in etwa einem Viertel der Artikel) nicht mit dem Kriterium der Wortart einzuteilen sind – selbst wenn weitere Anhaltspunkte berücksichtigt werden.30 Anhand dieses Korpus lassen
29 Dass diese Spannung auch im untersuchten Material ›erkannt‹ wird, lässt sich anhand einiger früher Artikel zeigen, die – unüblich für das Englische – das Wort ›musical‹ großschreiben, wenn explizit (und teils sogar im Unterschied zur adjektivischen Verwendung) das Genre behandelt wird. Dies kann als Indiz für die Relevanz der begrifflichen Unschärfe gewertet werden, allerdings hat sich jener Versuch historisch nicht durchgesetzt und findet sich entsprechend nur in wenigen Artikeln, interessanterweise häufig dann, wenn es um pädagogische Themen und um das BFI sowie die Screen Education geht. Vgl. etwa Colin McArthur: Problems of Providing Film Study Materials. In: Screen 11.2/ 1970, S. 16-21, hier S. 16 oder auch Daniel Millar: The Use of Extracts in Film Teaching [1968]. In: Screen 10.4-5/1969, S. 67-79, hier S. 70. 30 So kann ebenfalls ein Ausschluss erfolgen, wenn eine Auseinandersetzung stattfindet, die allein auf musikalische Elemente oder Musikgenres verweist. Diese kontextabhängige
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sich verschiedene Deutungsmuster generieren, die zeigen, wie das Musical verhandelt wird, welches wissenschaftliche Wissen zu diesem Genre wann auftritt und wie es Geltung erlangt. Dabei erweist sich die Verknüpfung zu Gender als ein relevanter Parameter, der zwar unterschiedlich gewichtet wird, grundlegend aber als Teil des wissenschaftlichen Musicaldiskurses zu betrachten ist. Und dies umfasst vielfältige Bereiche, die ihrerseits in diskursspezifische Konstruktionsbedingungen eingestellt sind und im Folgenden überblickshaft skizziert werden sollen, um schließlich in Berücksichtigung spezifischer Kontexte zwei Deutungsmuster differenziert in den Blick nehmen zu können.
3.2 K ONSTRUKTIONSBEDINGUNGEN WISSENSCHAFTLICHEN G ENREWISSENS : D IE K ONTEXTUALISIERUNG DES M USICALS Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass der wissenschaftliche Musicaldiskurs anhand eines über die Zeitschrift Screen gewonnenen Korpus beobachtet werden kann und dass sich dabei eine an sprachlichen Praktiken orientierte Operationalisierung als produktiv erweist; mit ihr lassen sich Essentialisierungen vermeiden, die nicht nur in der Bestimmung des Diskursgegenstands, des Musicals, sondern auch in der Zuordnung als wissenschaftliche Publikation bzw. als Teil einer wissenschaftlichen Diskursebene auftreten können. Wichtiger aber ist, dass durch einen solchen Zugriff bereits beinhaltete Ambivalenzen in der Auseinandersetzung mit dem Musical abgebildet werden; es findet eine Sensibilisierung statt, die zum einen das Problem scheinbar eindeutiger Zuordnungen und ihrer durchaus komplexen Einbettung mittels der Selbstattribution der Wissenschaftlichkeit berücksichtigt und die zum anderen die in sich konfliktäre Verfasstheit des Genres in seiner begrifflichen Unschärfe betont. Doch welche Konsequenzen ergeben sich hierdurch für die Analyse interkategorialer Verknüpfungen? Inwiefern kann die Spezifik der Diskursebene in ihrer Formation wissenschaftlichen Wissens um das Musical hervortreten? Und wodurch zeichnet sich jene überhaupt aus? Um sich diesen Fragen anzunähern, gilt es vorab, eine knappe Skizze zu entwerfen, die Auskunft über die Auseinandersetzung mit dem Musical innerhalb der wissenschaftlichen Diskursebene gibt, die ihre Konstruktionsbedingungen in der Verhandlung des Genres offenlegt und dadurch eine Kennzeichnung der spezifischen Position interkategorialer Verbindungen erlaubt. Hierbei ist allerdings zu
Auswahl ist jedoch sehr beschränkt und gilt lediglich für eine Großzahl von Texten, die etwa an Christian Metz oder Theodor W. Adorno anschließen – obgleich selbst hier fallabhängige Entscheidungen notwendig sind.
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berücksichtigen, dass eine Betrachtung derjenigen Voraussetzungen, unter denen eine wissenschaftliche Aussage erst als solche überhaupt Geltung erlangt, der kontextuellen Rahmung Aufmerksamkeit schenken muss. Durch die Gewichtung derartiger Kontexte werden implizite Tautologien vermieden; es eröffnet sich eine (genauere) Beschreibung der Diskursebene, die die Wirkmacht einer akademischen Auseinandersetzung sowie etwa auch den von Foucault beschriebenen Willen zur Wahrheit für die wissenschaftliche Betrachtung des Musicals differenziert verfolgt. Von daher wird eine solche Kennzeichnung aus dem Diskurs heraus vorgenommen – sie stützt sich auf das untersuchte Material und soll rückwirkend seine Spezifik in der Generierung von Genrewissen deutlich machen.31 Zwei Faktoren lassen sich dabei identifizieren: Zum einen zeigt sich ein Bestreben der Diskursebene, das als Kontextualisierung des Musicals zusammengefasst werden soll. Dieses stützt sich auf Differenzierungen, es stellt das Genre in spezifische Zusammenhänge ein und trägt so zur Gültigkeitserhöhung wissenschaftlicher Aussagen um das Musical bei. Gleichfalls lässt sich diese Tendenz aber auch als eine Bedingung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung begreifen, sie bildet »gewissermaßen das Nadelöhr, durch das […] eine wissenschaftliche Argumentation hindurch musste, um im System der Wissenschaft einen Geltungsanspruch zu erlangen.«32 Zum anderen eröffnen sich damit verbunden äußerst vielfältige interkategoriale Verknüpfungen, die jedoch – möchte man der Spezifik der Diskursebene Rechnung tragen – unterschieden werden können: Während in den folgenden beiden Kapiteln konstitutive Verbindungen genauer in den Blick genommen werden, die als Deutungsmuster die Reziprozität beider Kategorien und ihre ambivalente Verfasstheit offenlegen, so können demgegenüber auch periphere Assoziationen beobachtet werden. Diese gelten zwar lediglich als Inskriptionen, mögliche Anschlüsse innerhalb einer weiter gefassten Sinngebung – sie sind jedoch ebenso Teil wissenschaftlichen Genrewissens. Von daher beruhen sie nicht bloß auf spezifischen Konstruktionsbedingungen, die ihrerseits hierin exemplifiziert werden sollen, sondern zeigen auch, wie die wissenschaftliche Diskursebene in ihren interkategorialen Verknüpfungen überhaupt verfährt, wie die Kopplung der Kategorien grundlegend in die Diskursebene eingebettet ist und sich schließlich als konstitutiv erweisen kann. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Genre(s) mag davon geprägt sein, dass sie die Kategorie(n) anhand konzeptioneller Entwürfe behandelt und darin weitläufige, mitunter abstrakte Theoretisierungen vornimmt. So verweist etwa Zymner auf ebendiese Tendenz; für ihn zeichnen sich wissenschaftliche Zugriffe –
31 Dieses Vorgehen begründet sich im Übrigen auch durch die verfolgte diskursanalytische Methodik. Vgl. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 265. 32 Pundt: Medien und Diskurs, S. 34.
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auch im Kontrast zum »alltäglichen Umgang«33 und einer historisch bedingten »Verwissenschaftlichung«34 – dadurch aus, dass sie »Einzelphänomene begrifflich explizit zu erfassen, zusammenzufassen und zu koordinieren und überdies zu erklären [versuchen]«.35 Insofern findet eine systematische und systematisierende Auseinandersetzung statt, die sich nicht zuletzt auch für das Musical aufzeigen lässt, etwa in den bereits erläuterten Positionen von Altman und Kessler: Beide verhandeln das Genre über die Konstruktion eines spezifischen Genreverständnisses, sie stellen die Eigenheiten des Musicals aus, indem sie es für unterschiedliche Überlegungen exemplifizierend erläutern und zur Entwicklung eines Genremodells (Altmans semantisch-syntaktischer Ansatz) oder als Beispiel für eine bestimmte Historiografie (Kesslers Entwurf einer ›performativen‹ Genregeschichte) nutzen. Und beide greifen darin auf Gender zurück, um die Eigenheiten des Musicals genauer zu bestimmen – etwa als dual focus structure (Altman) oder als die historisch bedingte Abkehr von dieser (Kessler). Jedoch stellt sich die Frage, ob sich diese Tendenz genretheoretischer Abstraktion samt ihrer Bezugnahmen zu Gender auch im untersuchten Material zeigt, und vor allem, wie sie sich dort manifestiert, wenn doch schon die formalen Bedingungen, etwa die Veröffentlichung als Zeitschriftenartikel, andere sind. Diese Frage nach der Spezifik einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Musical, welche rückwirkend ihre Bedingungen enthüllt (und zugleich einen Ansatzpunkt zur Kontextualisierung interkategorialer Verknüpfungen liefert), lässt sich unter der Maßgabe ihrer korpusimmanenten Betrachtung unterschiedlich beantworten. Möchte man dabei zunächst quantitativen Maßstäben Raum geben, so erhält die Tendenz, das Genre mittels einer Verortung innerhalb übergeordneter Zusammenhänge zu betrachten, dadurch Plausibilität, dass es – obgleich in 201 Artikeln genannt – lediglich siebenmal im Titel auftaucht. Es scheint zunächst wenig zentral und ließe sich wohl kaum als Angelpunkt, sondern vielmehr als peripheres Exempel wissenschaftlicher Überlegungen begreifen. Dass das Musical – innerhalb dieser Tendenz zur Abstraktion – jedoch durchaus vielschichtig thematisiert wird, zeigt sich, wenn ein genauerer Blick in diejenigen Zusammenhänge geworfen wird, in denen es im Korpus Erwähnung findet. Hierzu bildet die Diskussion zwischen Edward Buscombe und Richard Collins ein frühes Beispiel. Sowohl Buscombe als auch Collins skizzieren Wege, um eine Genregeschichte zu schreiben, und fragen grundlegend danach, wie die Kategorie Genre überhaupt erfasst werden kann. Buscombe distanziert sich hierzu von Ansätzen um »themes
33 Zymner: Zur Gattungstheorie des ›Handbuches‹, zur Theorie der Gattungstheorie und zum ›Handbuch Gattungstheorie‹, S. 4. 34 Ebd., S. 2. 35 Ebd.
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and archetypes«36 sowie von auteurorientierten Modellen.37 Stattdessen betont er visuelle Kennzeichen, die sich schon aufgrund des Mediums Film als bedeutend für eine Konzeptualisierung von Genre erweisen und es sogar erlauben, die kontextuelle Rahmung einer darauf wurzelnden Einteilung zu berücksichtigen. In dieser Perspektive wird also ein Genremodell vorgeschlagen, das sich der Spezifik der Kategorie über ihre Relevanz für ein Medium, den Film, annähert. Und genau hierin wird auch das Musical verortet. Das Musical besitzt bei Buscombe einen exemplarischen Status und fungiert als Illustration, um verschiedene Annahmen zu plausibilisieren. Etwa heißt es: »Musicals, too, would repay attention. Nor need visual elements be the only defining ones, for film is not only a visual art.«38 Das Genre dient der Kenntlichmachung der audiovisuellen Beschaffenheit des Films und findet dadurch einen Kontext, in dem es für die Wissenschaft und ihre Betrachtung der Kategorie wichtig wird.39 Demgegenüber heißt es wenig später jedoch: »All the same, the major defining characteristics of genres will be visual: guns, cars, clothes in the gangster, clothes and dancing in the musical (apart from the music, of course!), castles, coffins and teeth in horror movies.«40 Hier wird der aufgerufene und für das Musical überaus relevante Zusammenhang, die Audiovisualität des Films, ein Stück weit verlassen; es kommt zu einer Abstraktion, mittels derer das Konzept Genre selbst in den Vordergrund rückt, sodass im Weiteren schließlich auch Buscombes Vorschlag einer ikonografischen Annäherung zentral wird.41 Durch diese Gewichtung erweist sich das Musical als eine durchaus komplexe Erscheinung, denn – wie es in der Klammersetzung zumindest angedeutet wird – integriert es sich nur zum Teil in die von Buscombe argumentierte Genrebestimmung und gewinnt bereits darin einen besonderen Status, der letztlich allerdings auf der Selbstverständlichkeit der angenommenen Genrespezifik gründet (»of course!«).
36 Edward Buscombe: The Idea of Genre in the American Cinema. In: Screen 11.2/1970, S. 33-45, hier S. 41. 37 Vgl. ebd., S. 40. 38 Ebd. 39 Die enge Verbindung von Musik und Musical findet sich im Material bereits mit den ersten Artikeln und wird, wie es die publizistische Diskursebene zeigt, sogar noch früher erwähnt. Insofern schließt sich Buscombe hier einer Deutung an, die diskursübergreifende Relevanz besitzt. Dennoch ist die Erwähnung von Musik bei Buscombe exponiert – steht sie doch im Kontrast zur Nennung anderer Beispiele und ergänzt sein Genremodell, welches vornehmlich visuelle Merkmale betont. 40 Buscombe: The Idea of Genre in the American Cinema, S. 41. 41 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Buscombes Entwurf bei Steve Neale: Genre and Hollywood. London/New York 2000, S. 13.
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Im Hinblick auf die Einfügung des Musicals in Buscombes Genremodell zeigt sich, dass es als Illustration fungiert, um verschiedene Überlegungen zu plausibilisieren, dass es hierin aber auch eine Besonderheit darstellt, die in diesem Fall einer zusätzlichen Erwähnung bedarf. Das Musical wird somit grundlegend in einen Kontext – in Buscombes Konzeptualisierung der Kategorie Genre entlang ihres Verhältnisses zum Medium Film – eingebettet und dies erlaubt seine durchaus variable, mal exakte, mal beiläufige Beobachtung. Und genau in dieser Kontextualisierung des Musicals, in der Rahmung des Genres über ein Genremodell, kommt es zur Genderinskription, die allerdings keine direkte Verknüpfung zur Folge hat. Buscombe betont, dass die vestimentäre Markierung einer Geschlechterzugehörigkeit einen Ansatzpunkt liefert, um die für ihn zentralen visuellen Genrekennzeichen auch in ihrem narrativen Einfluss hervorzuheben. So behauptet er: »The men in Westerns wear clothes that are aggressively masculine, sexy in a virile sort of way. […] Likewise, the clothes of the women determine that they will be either very feminine or very masculine.«42 Die Hervorbringung von Gender nimmt dabei Einfluss auf narrative Elemente (»few Westerns have a strong love interest«43) und führt bei Buscombe letztlich zur Verbindung ikonografischer Kennzeichen und filmischer Handlungen.44 Obgleich der Verweis auf geschlechtliche Konstellationen hier nur beiläufig geschieht und etwa auch in der späteren Kritik von Seiten Collins nicht aufgegriffen wird, so bietet Gender für Buscombe dennoch eine Möglichkeit, um sein Konzept zu erweitern. Doch dies hat nicht nur Konsequenzen, die sein Genremodell betreffen, sondern die auch dessen Kontextfunktion für das Musical umfassen: Indem das Musical exemplifizierend in einen Genrebegriff eingestellt ist, der wiederum auf Gender rekurriert, wird es vorne herein auch mit Gender verbunden, obgleich dies – wie es im Begriff der Inskription deutlich werden soll – nicht zur Folge hat, dass das Musical explizit über Gender bestimmt wird. Es zeichnet sich eine (nicht nur mit Zymner, sondern auch durch die Selbstattribution) wissenschaftliche Reflexion ab, welche das Musical entlang je spezifischer Kontexte erwähnt und es genau hierin implizit mit Gender assoziiert. Doch dies ist nicht nur im einzelnen Artikel Buscombes der Fall, sondern kann auch innerhalb des unterstellten Aussagezusammenhanges, innerhalb des Diskurses, nachgezeichnet werden, wie es bei Collins deutlich wird. Im direkten Verweis Buscombes Artikel und in der Absicht einer Abgrenzung betont Collins, dass die dort angeführten Elemente »not intrinsically meaningful«45
42 Buscombe: The Idea of Genre in the American Cinema, S. 38 f. 43 Ebd., S. 39. 44 Vgl. auch ebd., S. 38 f. 45 Richard Collins: Genre: A Reply to Ed Buscombe. In: Screen 11.4-5/1970, S. 66-75, hier S. 68.
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sind. Stattdessen muss ihre je spezifische Einbindung in Einzelfilme berücksichtigt werden, sodass Collins von einem Repertoire unterschiedlicher Motive, Handlungsverläufe und Situationen ausgeht, welches in Filmen genrespezifisch geformt wird. Und auch dies plausibilisiert er im Verweis auf das Musical: »[T]hough it shares with the Western a delight in movement, colour and harmony, [the musical] is more sophisticated, less naturalistic, not keyed to time or place«.46 In ähnlicher Weise – aber mit durchaus konträren Folgen – dient das Musical hier ebenfalls der Exemplifizierung; es steht auch hier im Kontext eines Genreverständnisses, das bei Collins darauf gründet, dass gerade visuelle Elemente »themselves unspecific, ambiguous and intrinsically without meaning«47 sind. Und auch dies umfasst Genderinskriptionen, denn bei Collins wird die Inszenierung von Gender im Western genutzt, um anhand von Einzelfilmen die Varianz in der Bedeutungskonstitution visueller Motive zu betonen: »Hunt Bromley, the town squirt in The Gunfighter wears the characteristic clothes but is not thereby virile and masculine – and though Randolph Scott and John Wayne wear the same kind of clothes there is a world of difference in their ›meaning‹«.48 Vergleichbar zu Buscombes Artikel wird über den Verweis auf die Inszenierung von Gender ein Genremodell gestützt, welches, wie es auch die spätere Gegenüberstellung zwischen Western und Musical zeigt, ebenso für Letzteres Geltung besitzt.49 Trotz der beabsichtigten Abgrenzung und trotz der je unterschiedlichen Genremodelle – ein Aspekt verbindet die beiden Artikel im Hinblick auf ihre Verhandlung des Musicals: Zentral ist für beide der exemplarische Status, durch den das Genre als Illustration fungiert, um verschiedene Überlegungen und ihre weitläufige Anwendung zu plausibilisieren.50 Sowohl Buscombe als auch Collins veranschaulichen ihre Positionen im Verweis auf das Musical, sodass das Genre von vorne herein in eine Konzeptualisierung implementiert ist, die ihrerseits wiederum mit Gender verbunden wird. Obgleich die Inskription von Gender lediglich in einzelnen
46 Ebd., S. 70. 47 Ebd., S. 74. 48 Ebd., S. 68 [Herv. i.O.]. 49 Auch zuvor erwähnt Collins das Musical in vermeintlich selbstverständlicher Abgrenzung zum Western: »It is true of course that the clothes, locations, weapons, etc., displayed in Westerns are particularized – a still from Alan of the West or Rio Bravo could not be mistaken for a still from a gangster or war film or from a musical.« Ebd., S. 68 [Herv. i.O.]. 50 Die Weitläufigkeit, mit der das Musical zur Illustration dient, verdeutlicht sich im Übrigen schon anhand der vergleichenden Bezugnahmen, denn sowohl Buscombe als auch Collins widmen sich vornehmlich dem Western, stellen diesen jedoch zur Plausibilisierung ihrer Genremodelle exemplarisch dem Musical gegenüber.
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Bereichen auftritt und der Eindruck entstehen mag, dass ihre Bedeutung gering ist, so lässt sie sich doch zumindest als Fragment einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Musical begreifen und kann darin als Teil seiner Kontextualisierung entworfen werden. Und genau diese Kontextualisierung des Musicals stellt eine grundlegende Tendenz im wissenschaftlichen Diskurs dar – immerhin zeigt sich, dass Buscombe und Collins trotz der diversen Unterschiede in genau diesem Punkt übereinstimmen. Neben den hier skizzierten Positionen genretheoretischer Abstraktion treten im wissenschaftlichen Diskurs auch weitere Kontextualisierungen auf. So wird das Genre teils schon begrifflich mit bestimmten, zumeist genrehistorischen Erscheinungen korreliert. Es entsteht etwa das Berkeley-Musical, sodass im Rückgriff auf einen Auteur eine Geschichte des Genres geschrieben werden kann, die jenen Kontext – Busby Berkeley – als spezifisch für das Musical ausweist.51 Dies führt Differenzierungen ein, mittels derer eine historische Perspektive auf das Genre ermöglicht wird – und zwar, indem seine Reduktion im Rekurs auf andere Kategorien stattfindet. Entsprechend Zymners Hinweis zur Wissenschaftlichkeit bemühen sich diese Kontextualisierungen »um Transparenz in dem Sinn, dass sie Vorannahmen, Vorurteile ebenso wie axiomatische Basisannahmen und konstitutive Bezugstheorien möglichst offenlegen.«52 Dies mag durch den Status als Kompositum zwar lediglich rudimentär erfolgen; die Bedingungen solcher Perspektiven werden etwa vor dem Hintergrund eines historiografischen Verständnisses wenig offensichtlich und behaupten nicht selten (wie auch bei Buscombe und Collins) Selbstverständlichkeiten.53 Umgekehrt kann aber genau hierin, in der Kompositumkonstruktion, eine Vorannahme hervortreten, die darin besteht, dass das Musical – einer solchen Einschränkung zufolge – eben etwas mit Berkeley zu tun hat. Und auch dieses ›etwas‹, diese Prämisse in der Verhandlung des Genres, arrangiert Genderinskrip-
51 Dies betrifft neben Auteurs auch Stars, Studios und (inter)nationale Gesichtspunkte, über die etwa das MGM-Musical oder das Bollywood-Musical entstehen. 52 Zymner: Zur Gattungstheorie des ›Handbuches‹, zur Theorie der Gattungstheorie und zum ›Handbuch Gattungstheorie‹, S. 2. 53 Gerade im Verweis auf Auteurs oder Stars kommt es zu jener schein-evidenten Stabilisierung, insofern der aufgerufene Kontext eine Unhintergehbarkeit birgt, die die Perspektivität der Geschichtsschreibung (mitunter sogar ihren Status als Sinngebung) unterminiert. Wird beispielsweise vom Berkeley-Musical gesprochen, so können zum einen die Person, zum anderen ihre Musicals als geschichtlich belegt gelten – dass jedoch ein Auteur die (zusätzliche) Kategorisierung überhaupt erlaubt und in der Verbindung zum Genre eine historische Formation entsteht, die wiederum Ansatzpunkt für weitere Überlegungen sein kann, ist dem Modus einer solchen Geschichtsschreibung und nicht etwa der historischen ›Faktizität‹ geschuldet.
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tionen, wie es exemplarisch in der Auseinandersetzung mit Sally Potter und dem »paired-down musical«54 THE GOLD DIGGERS55 hervortritt. Der im Material recht häufig genannte Film THE GOLD DIGGERS findet eine Sinngebung, indem er als Ausnahme gilt. So wird darauf verwiesen, dass in seiner Hervorbringung von Gender Abweichungen zu ›klassischen‹ Genrekonventionen des Musicals bestehen, etwa aufgrund des »refusal to countenance the heterosexual ›boy-meets-girl‹ narrative contract«.56 Hier kommt es zu einer Verknüpfung von Genre und Gender, die – auch in Assoziation zu weiteren Deutungsmustern57 – die Sonderstellung des Films begründet. Interessanterweise beschränkt sich dies jedoch nicht bloß auf Genderrepräsentationen, vielmehr wird dabei auch ein Kontext aufgerufen, der mitunter sogar eine Grundlage für diese Behauptung bildet. Während der Film THE GOLD DIGGERS in seiner Genderinszenierung einen besonderen Status erhält, so geht dies mit Beschreibungen einher, die stets auf seine Entstehung referieren. Schon durch beiläufige Akzentuierungen, wie »[m]ade by an all-women group, including writer/director Sally Potter«,58 erfährt der Film eine Bestimmung, die zugleich eine Genderzuschreibung seines Auteurs mit sich bringt – THE GOLD DIGGERS ist ein Musical, das von einer Regisseurin kreiert wurde. Vergleichbar zum Berkeley-Musical findet also ein Rückgriff auf andere Kategorien statt, mit der Hervorhebung von Gender innerhalb dieser Rahmung bedingt sich jedoch ein anderer thematischer Fokus, durch den THE GOLD DIGGERS zumeist vor dem Hintergrund feministischer Theoriebildung behandelt wird. Dies gestattet weitere Ansatzpunkte, die wiederum beispielsweise historische Konstellationen beleuchten – nun aber vornehmlich entlang ihrer ideologischen Wurzeln, die sich erst mit der Rahmung durch Auteurs und im Verweis auf Gender anhand des Musicals beobachten lassen.59
54 Mandy Merck: Composing for the Films. Mandy Merck asks Lindsay Cooper about Scoring the Independents. In: Screen 25.3/1984, S. 40-54, hier S. 47. 55 THE GOLD DIGGERS, UK 1983, R: Sally Potter. 56 Penny Florence: A Conversation with Sally Potter. In: Screen 34.3/1993, S. 275-284, hier S. 275 [Herv. i.O.]. 57 So findet eine Assoziation mit Geschlechterbildern des Musicals (Kapitel 3.4) statt, die sich aus dem hier zentralen Spektrum stereotyper oder emanzipativer Entwürfe speist. 58 Merck: Composing for the Films, S. 40. 59 Die historische Dimension tritt im gewählten Beispiel zurück, sie lässt sich aber etwa in einem Bericht über das Providence Women’s Film Festival zeigen, obgleich begrifflich ein uneindeutiger Fall vorliegt. So fasst Maggie Hennefeld das Programm des Festivals zusammen und betont dessen Potenzial für feministische Deutungen, die sich ihrerseits allerdings erst in der Verbindung des Musicals mit verschiedenen Auteurs und ihrer Genderzuschreibung ermöglichen. Vgl. Maggie Hennefeld: The Providence Women’s
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Kennzeichnend für die Diskursebene ist, wie es die hier skizzierten Beispiele verdeutlichen sollen, dass das Musical grundlegend in einen Rahmen eingestellt wird und sich hierüber eine Auseinandersetzung mit ihm begründet. Diese Kontextualisierung geschieht auf unterschiedliche Weise, sie nutzt etwa Genremodelle, kann aber auch im Rückgriff auf andere Kategorien, im Verweis auf Auteurs, stattfinden. Obgleich dies teils Wertungen zur Folge hat – typsicherweise »lavish musicals«60 – oder eine Reduktion des ›gesamten‹ Genres auf bestimmte Situationen seiner Geschichte erfolgt – typischerweise MGM-Musicals61 –, so gelangt das Genre in jener Kontextualisierung zu Komplexität; es wird eingebettet und kann hierin als ein Spezifisches hervortreten. Dies hat indirekte Verknüpfungen mit Gender zur Folge, wobei jene vornehmlich den Kontext selbst, also etwa ein Genremodell, eine Genregeschichte oder gar eine Ideologie, betreffen und sich dadurch erst ihre Beziehung zum Musical ergibt. Mit Blick auf die Frage, inwiefern diese Kontextualisierung des Musicals eine Beobachtung der Konstruktionsbedingungen innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses erlaubt, so ist – abseits eines Vergleichs, der für die publizistische Verhandlung etwa eine Kontextualisierung durch das Genre zeigt – darauf hinzuweisen, dass sie in vielfältigen Bereichen auftritt. Sie umspannt gewissermaßen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Musical – trotz der unterschiedlichen Kontexte, die gewählt werden, trotz intendierter Abgrenzungen, wie etwa zwischen Buscombe und Collins, und trotz ihrer weitläufigen Folgen, durch die das Musical für verschiedenste Überlegungen gleichermaßen als Beispiel fungiert. Wenngleich bestimmte Bereiche in besonderem Maße hervorzuheben sind, etwa die hier umrissenen genretheoretischen Reflexionen, so zeigt sich die Kontextualisierung des Musicals im untersuchten Material vielfach. Und mehr noch: Sie ist überaus wirkmächtig, wie es die skizzierten Artikel in ihrer Unterschiedlichkeit und historischen Weitläufigkeit verdeutlichen können. Auch in Berücksichtigung der häufig peripheren Erwähnung des Genres eröffnet sich ein Bestreben der Diskursebene, welches mit dem zuvor erläuterten Willen zur Wahrheit und der hierin spezifischen, sowohl selbstverständlichen als auch
Film Festival, Brown University, Providence, 12–17 October 2010. In: Screen 52.3/2011, S. 391-397, hier S. 393. 60 Kingsley Canham: Review: Charles Higham & Joel Greenberg, Hollywood in the Forties. In: Screen 10.2/1969, S. 97-103, hier S. 98. 61 Dies führt mitunter sogar zu äußerst beiläufigen Erwähnungen, etwa bei Charlotte Brunson in der Nennung des Genres innerhalb der Betrachtung zweier britischer Fernsehserien: »Like MGM musicals, both these series cost a lot, and, as importantly, looked as if they cost a lot.« Charlotte Brunson: Problems with Quality. In: Screen 31.1/1990, S. 67-90, hier S. 85.
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missverständlichen, Verwendung des Begriffs ›musical‹ in Beziehung steht: Während das Genre in eine Position gerückt wird, die in der Beiläufigkeit seiner Erwähnung scheinbar evident ist, so kennzeichnet sich die Diskursebene doch auch durch eine zumeist abstrahierende, kontextschaffende Auseinandersetzung, in der das Musical erst seine Selbstverständlichkeit, mitunter gar seine ›Wahrheit‹, erhalten kann. Anders formuliert: Die von Foucault erläuterten und in der Wissenschaft besonders expliziten Ausschließungssysteme, gerade das Wahrheitspostulat wissenschaftlicher Aussagen, erhalten im Musicaldiskurs mittels der Kontextualisierung des Genres Ausformung; die Spezifik einer akademischen Auseinandersetzung mit dem Musical ist – zumindest innerhalb der Grenzen eines korpusimmanenten Vorgehens – als eine Einbettung des Genres in andere Konzeptualisierungen zu begreifen. Als Konstruktionsbedingung verstanden setzt der wissenschaftliche Diskurs demnach die Kontextualisierung des Musicals voraus, um es dann mitunter sehr beiläufig zu behandeln, wodurch sogar formale Vorgaben, etwa die Kürze eines Artikels, zu Gewicht gelangen. Es zeigt sich, welche Voraussetzungen eine wissenschaftliche Aussage rückblickend erfüllen musste – sie musste sich als kontextualisierend, sowohl abstrahierend als auch spezifizierend, erweisen. Die hier umrissene und aus dem Material gewonnene Kontextualisierung des Musicals tritt als eine (!) Konstruktionsbedingung in der Generierung wissenschaftlichen Genrewissens auf. Sie zeigt aber nicht nur, dass die akademische Verhandlung über Kontexte arrangiert wird – zugleich werden darin auch erste Spuren einer Assoziation mit Gender ersichtlich, die allerdings als Inskriptionen zumeist den aufgerufenen Kontext selbst betreffen. Doch dies ist zu ergänzen: So formieren sich im wissenschaftlichen Diskurs auch Deutungsmuster, die eine Verknüpfung zu Gender gestalten, um das Musical überhaupt zu bestimmen. Hierin wird in unterschiedlicher Dominanz eine Beziehung der Kategorien offenbar, die in diskursspezifische Konstruktionsbedingungen eingestellt ist und sich entsprechend als kontextualisierend erweist – weitergehend aber auch eine Wechselseitigkeit zwischen Genre und Gender eröffnet, die zugleich in ambivalente, mitunter widersprüchliche Konstellationen einer interkategorialen Verbindung mündet. Diese reziproke Abhängigkeit von Genre und Gender gilt es – samt ihrer widerstreitenden Momente –, im Folgenden anhand zweier Deutungsmuster in den Blick zu nehmen, exemplarisch zu konkretisieren und innerhalb der Diskursebene, auch in Bezug zu den bislang unterbreiteten Annäherungen, zu verorten.
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3.3 N ARRATIVE ANORDNUNGEN DES M USICALS : G ENDER ALS S PEKTAKEL »Woman displayed as sexual object is the leit-motif of erotic spectacle: from pin-ups to striptease, from Ziegfeld to Busby Berkeley, she holds the look, plays to and signifies male desire. Mainstream film neatly combined spectacle and narrative. (Note, however, how in the musical song-and-dance numbers break the flow of the diegesis.) The presence of woman is an indispensable element of spectacle in normal narrative film, yet her visual presence tends to work against the development of a story line, to freeze the flow of action in moments of erotic contemplation. This alien presence then has to be integrated into cohesion with the narrative.«62
Mit diesen Worten erläutert Laura Mulvey eine Position, die in filmwissenschaftlichen Auseinandersetzungen – nicht zuletzt aufgrund der Verbindung psychoanalytischer und feministischer Theoriebildung – große Aufmerksamkeit gefunden hat.63 Doch auch unabhängig vom enormen Stellenwert ihrer Überlegungen greift Mulvey in einer Klammerbemerkung eine im wissenschaftlichen Musicaldiskurs überaus präsente Formation auf, die das analysierte Material wie ein roter Faden durchzieht: So wird das Musical in seiner Spezifik und seiner Geschichte, in seiner Ästhetik und seiner sozialen Bedeutung stets durch das Verhältnis von Narration und Spektakel betrachtet und erhält in diesem Rahmen eine Dichte, die die Genderdichotomie als konstitutives Element benötigt. Dies zeichnet sich bei Mulvey in besonderem Maße ab. In ihrer Betrachtung des Films und seiner apparativen Strukturen wird die Dichotomie von Gender zu einer zentralen Figur, indem Mulvey die »to-be-looked-atness«64 der ›Frau‹ einer dem ›männlichen‹ Blick zukommenden Aktivität gegenüberstellt. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass geschlechtliche Unterschiede – als Machtverhältnisse konzeptualisiert – Konsequenzen für mediale Anordnungen, insbesondere für Blickkonstellationen, haben: »In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between active/male and passive/ female.«65 Auf Basis dieser Überlegung entwickelt Mulvey nun eine Perspektive, in
62 Laura Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Screen 16.3/1975, S. 6-18, hier S. 11. 63 Vgl. zum Verlauf psychoanalytischer Filmtheorie und zur Relevanz Mulveys Susan Hayward: Art. Psychoanalysis. In: dies. (Hg.): Key Concepts in Cinema Studies. London/ New York 1996, S. 273-295, hier S. 294 f. 64 Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema, S. 11 [Herv. i.O.]. 65 Ebd., S. 8. Schon in diesem Zitat tritt hervor, dass keine Unterscheidung zwischen ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹, ›Frau‹ und ›Weiblichkeit‹ gezogen wird, denn anhand der geschlechtlichen Trennung (»sexual«) findet zugleich auch eine Dichotomisierung der
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der sowohl der Film als auch das Kino die ›Frau‹ erotisieren und der Blick in dieser medialen Konfiguration ›männlich‹ ist. So wird die ›Frau‹ als Schauobjekt, der ›Mann‹ hingegen die Diegese bestimmend als »Bearer of the Look«66 konzeptualisiert. Diese Gegenüberstellung ist laut Mulvey für das Mainstream-Kino entscheidend, denn dort findet eine Kombination der ›männlichen‹ Narration mit der Zurschaustellung von ›Weiblichkeit‹ statt, die darauf gründet, dass es sich bei der ›Frau‹ zugleich um ein Konstituens und um eine Abweichung des phallozentrischen bzw. patriarchalen Systems67 handelt: Die ›Frau‹ fungiert als »lynch pin«68 einer machtgetränkten Ordnung, die sich im Film und im Kino über die von Mulvey beschriebene Blickanordnung niederschlägt. Wie Mulvey exemplarisch ausführt und wie es auch im eingangs zitierten Ausschnitt deutlich wird, lässt sich die Kombination einer ›männlichen‹ Narration und eines ›weiblichen‹ Spektakels in verschiedensten Bereichen veranschaulichen; sie wird gar zu einem »leit-motif«, welches auf der Doppelfunktion der ›Frau‹ gründet. Dahingehend tritt die Kombination laut Mulvey gar als ein Weg auf, um das zugrundeliegende Machtverhältnis geschlechtlicher Unterschiede nicht zu gefährden, denn die Integration ›weiblichen‹ Spektakels wird zum Garant einer »narrative verisimilitude«,69 die sich ihrerseits als Ergebnis der phallozentrischen bzw. patriarchalen Ordnung im Mainstream-Kino verankert. Doch der in Klammern gesetzte Verweis auf das Musical und seine »song-anddance numbers« scheint eine Besonderheit darzustellen (»Note«):70 Das Spektakel in der Inszenierung von ›Weiblichkeit‹ und die Entwicklung einer Handlung entlang des ›männlichen‹ Blicks werden hier segmentiert, nicht – wie Mulvey zufolge üblich – kombiniert. Damit wird dem Genre ein Status verliehen, durch den es als Ausnahme, aber auch als Illustration fungieren kann, denn über seine Inszenierung
Attribute »male« und »female« statt. Von daher kann auch in den Ausführungen keine Differenzierung vorgenommen werden. 66 Ebd., S. 12. 67 Beide Beschreibungen finden in Mulveys Artikel Verwendung und verdeutlichen auch in ihrer Parallelität den eigentlichen Zugriff, die Verbindung psychoanalytischer und feministischer Theoriebildung. 68 Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema, S. 6. 69 Ebd., S. 12. 70 Auch in Anbetracht des gesamten Artikels ist der Verweis auf das Musical untypisch, da Mulvey mediale Strukturen en général betrachtet und lediglich zwei weitere Genrebezüge vornimmt: eine Erwähnung von Molly Haskells Analyse des buddy movies und eine Bemerkung zum film noir im Rahmen des filmischen Umgangs mit Kastrationsangst. Wie auch beim Musical stehen beide Verweise in Klammern und werden nicht weiter behandelt. Vgl. ebd., S. 11 und S. 13.
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von Gender im Verhältnis von Spektakel und Narration zeigt sich sowohl eine Abweichung in der von Mulvey beschriebenen Anordnung als auch die Wirkmacht ihrer Grundlage. Das Musical bricht mit den »flow« der Diegese, welcher für Mulvey Ausdruck der patriarchalen bzw. phallozentrischen Ordnung ist und hierin hervortritt; das Musical bricht jedoch zugleich auch mit den Konventionen des »normal narrative film«, indem es segmentierende »song-and-dance numbers« enthält und dadurch zum Sonderfall wird. Die hier umrissene Betrachtung ist in zweierlei Hinsicht von Interesse. Zum einen erlaubt sie eine Bestimmung des Musicals, welches sich von anderen, ›normalen‹ Filmen abhebt und in seiner narrativen Anordnung eine Besonderheit darstellt. Das Genre wird entlang seiner Eigenheiten erwähnt, es wird als ein spezifisches Genre betrachtet und erfährt genau in dieser Betonung eine Definition.71 Zum anderen ist das für das Musical kennzeichnende narrative Arrangement mit Gender verbunden – und zwar nicht nur durch die Grundannahme einer Verbindung zwischen Film, Kino und patriarchaler bzw. phallozentrischer Ordnung, sondern auch durch die narrative Anordnung selbst, über die Segmentierung narrativer Bereiche entlang genderdichotomer Konstellationen. Und durch ebendiese beiden Aspekte zeigt sich ein reziprokes Verhältnis in der Verknüpfung von Genre und Gender. Die von Mulvey genannten »song-and-dance numbers« sind als narrative Anordnungen grundlegend, aber auch für das Musical spezifisch mit Gender assoziiert. Sie erlauben eine Bestimmung des Genres, indem es Mulvey zufolge die Handlung in einer exzessiven Inszenierung der ›Frau‹ unterbricht. Doch nicht bloß über Gender wird hier eine narrative Anordnung kreiert. Vielmehr lässt sich dies auch umkehren, denn erst durch eine solche Kennzeichnung des Genres wird die ideologisch bestimmte Dichotomie von Gender beobachtbar. Indem das Musical seine Handlung unterbricht, wird eine Erotisierung der ›Frau‹ ersichtlich, die wiederum Mulveys Überlegungen stützt und die Erwähnung des Musicals sogar in Gänze plausibilisiert. Von daher wird eine Verbindung vorgenommen, die beide Kategorien wechselseitig bestimmt; es entsteht eine Abhängigkeit, indem erzählerische und inszenatorische Bereiche differenziert werden und diese Trennung mittels Gender zur Definition des Genres herangezogen wird – wie auch in Umkehrung erst durch diese Definition die für Gender betonten Bereiche, die Relevanz der Kategorie im Mainstream-Kino und ihre ideologische Verfasstheit, plausibilisiert werden können.
71 Die bloße Kenntlichmachung eines Genremerkmals oder einer Genrekonvention – im Beispiel »song-and-dance numbers« – mag zunächst nicht als eine umfassende Genredefinition gelten. Durch ihre Hervorhebung entsteht aber ein Moment der Bestimmung, welches auch in Ermangelung anderer Kennzeichnungen definierend wirkt und in diesem Fall sogar gänzlich die Betrachtung des Musicals begründet.
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Mulveys Artikel lässt sich als Beispiel eines Deutungsmusters begreifen, das die Relation exzessiver Repräsentationen und erzählerischem Fortgang einer Handlung als Spannungsverhältnis darstellt und für das Musical im Verweis auf die Genderdichotomie eine spezifische Gegenüberstellung dieser Sphären behauptet. Der exemplarische Status begründet sich dabei sowohl über die für die Diskursebene kennzeichnende Position des Musicals, die in einer tendenziell beiläufigen Erwähnung besteht, als auch über die explizite Betrachtung von Gender, die sich in Mulveys Position als überaus einflussreich erweist.72 Und beides ist für das Deutungsmuster einer narrativen Anordnung zentral, da es sich in der scheinbaren Evidenz einer Unterscheidung zwischen Fortgang und Stillstand einer Narration73 ebenso wie in der Wirkmacht einer Unterscheidung von ›Mann oder Frau‹ entfaltet. Das hier zur Diskussion stehende Deutungsmuster kreist um die Frage, ob und wie Narrative im Musical gestaltet sind, wie sie in spektakelhaften Inszenierungen gebrochen, unterlaufen oder gewandelt werden. Und dies lässt sich durch Gender beantworten, wobei gerade die Trennung zwischen Fortgang und Stillstand einer Narration über die Genderdichotomie genährt wird. Eine Bestimmung des Musicals mittels der Unterscheidung narrativer Bereiche gründet in diesem Deutungsmuster also auf dem Rekurs zu Gender, da er die kennzeichnende Unterbrechung der Narration in exzessiven Repräsentationen wurzeln lässt. Kurzum: Die narrativen Sphären um Fortgang und Stillstand, die für das Musical als bestimmend vorausgesetzt werden, differenzieren sich erst entlang der Dichotomie ›Mann oder Frau‹ ebenso wie Gender mittels einer Trennung narrativer Sphären zum dichotomen Unterschied erhoben wird. Mit einer solchen Sinngebung eröffnen sich unterschiedliche Dimensionen, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung stetig neu verhandelt, sowohl aktualisiert als auch gefestigt werden. So umfasst das Deutungsmuster etwa die Rede von
72 Dennoch muss, wie es auch Keller darstellt, beachtet werden, dass die gesamte Abbildung eines Deutungsmusters durch einzelne Artikel nicht möglich ist und in diesem Fall etwa die psychoanalytische Betrachtung ergänzend in die zugrundeliegende Sinngebung einfließt. 73 Die Unterscheidung zwischen Fortgang und Stillstand einer Narration mag auf den ersten Blick einleuchten, sie ist jedoch dennoch als konstruierte Sinngebung auszuweisen. Und so betont auch Bhaskar Sarkar ihre Kulturspezifik in der Orientierung an hermeneutischen Konzepten, während sich Arthur Knight etwa ihrer Historizität annimmt und aufzeigt, dass die Integration von Musik erst in den 1940er Jahren überhaupt berücksichtigt wird. Vgl. Bhaskar Sarkar: The Mellifluous ›Illogics‹ of the ›Bollywood Musical‹. In: Steven Cohan (Hg.): The Sound of Musicals. London/Basingstoke/New York 2010, S. 41-53, hier S. 42 f. sowie Arthur Knight: Disintegrating the Musical. Black Performance and the American Musical Film. Durham/London 2002, S. 14.
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narrativen Freiheiten; das Musical dient als »obvious and extreme example with its systematic ›freedom‹«.74 Hierin erhält das Genre zugleich eine Wertung, die eskapistisch, aber auch avantgardistisch sein kann. Jenes Spektrum wird allerdings selten entlang einer spezifischen Kontextualisierung, etwa durch eine historische Verortung, begrenzt – vielmehr ermöglicht die zentrale Gegenüberstellung narrativer Sphären eine übergreifende Wertung, deren Grundlage der Verweis auf Gender und mit ihm zumeist auf Ideologien des Genres ist.75 Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf musical interludes bzw. musical numbers, welche (wie auch bei Mulvey) als Unterbrechung der Narration und als Möglichkeit zur spektakelhaften Genderinszenierung gleichermaßen hervorgehoben werden. Auch im Verweis auf eine unrealistische Darstellung zeitlicher oder räumlicher Ordnungen schafft der wissenschaftliche Musicaldiskurs somit ein Spezifikum des Genres, zu dessen Betrachtung er sich schließlich verschiedenen Impulsen medienwissenschaftlicher Theoriebildung bedient76 und etwa an Tom Gunnings Konzept des cinema of attractions anknüpft.77
74 Stephen Heath: Narrative Space. In: Screen 17.3/1976, S. 68-112, hier S. 97. 75 Vgl. eine eskapistische Wertung etwa bei Steve Neale: Propaganda. In: Screen 18.3/ 1977, S. 9-40, hier S. 38 f. oder deutlich später bei Barbara Klinger: Becoming Cult: The Big Lebowski, Replay Culture and Male Fans. In: Screen 51.1/2010, S. 1-20, hier S. 5. Eine avantgardistische Wertung, die teils direkt in Abgrenzung zur eskapistischen Deutung steht, findet sich bei Jeffrey Sconce: ›Trashing‹ the Academy: Taste, Excess, and an Emerging Politics of Cinematic Style. In: Screen 36.4/1995, S. 371-393, hier S. 372 und S. 383 f. sowie bei Michele Pierson: CGI Effects in Hollywood Science-Fiction Cinema 1989-95: The Wonder Years. In: Screen 40.2/1999, S. 158-176, hier S. 164. 76 Zu nennen sind hier zunächst die diskursprägenden Arbeiten von Altman und Richard Dyer, die im Verlauf dieses Kapitels noch Erwähnung finden. Davon abgesehen werden aber auch andere Publikationen aufgegriffen, etwa Jane Feuer: The Hollywood Musical (London/Basingstoke 1982). Außerdem finden Bezüge zu weitläufigen medienwissenschaftlichen Fragestellungen statt, die komparatistische oder historische Modelle nutzen und bestimmte Theoriestränge, wie eben die Psychoanalyse, verfolgen. Vgl. als Beispiel zur Rezeption Feuers im Kontext dieses Deutungsmusters Ravi Vasudevan: The Melodramatic Mode and the Commercial Hindi Cinema: Notes on Film History, Narrative and Performance in the 1950s. In: Screen 30.3/1989, S. 29-50, hier S. 45. 77 Vgl. grundlegend Tom Gunning: The Cinema of Attractions. Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde [1986]. In: Thomas Elsaesser (Hg.): Early Cinema. Space, Frame, Narrative. London 1990, S. 56-62 sowie den Bezug zu Gunning bei Laleen Jayamanne: Sri Lankan Family Melodrama: A Cinema of Primitive Attractions. In: Screen 33.2/1992, S. 145-153, hier S. 148 oder bei Pierson: CGI Effects in Hollywood Science-Fiction Cinema 1989-95: The Wonder Years, S. 164.
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Doch nicht nur diese unterschiedlichen Weiterführungen sind für das Deutungsmuster und insbesondere für sein weitläufiges Auftreten verantwortlich, denn in der Fokussierung narrativer Anordnungen und ihrer Differenzierung mittels Gender wird zumeist auch eine Oberflächlichkeit des Musicals behauptet.78 Diese steht zwar, indem sie eine Qualität impliziert, mit eskapistischen oder avantgardistischen Wertungen in Beziehung,79 die Verknüpfung von Genre und Gender gewinnt durch sie aber ebenso an Brisanz: Zum einen ermöglicht sich durch die Behauptung einer Oberflächlichkeit des Musicals eine performanztheoretische Bestimmung von Geschlecht, welche Teile der Gender Studies präfiguriert und im Beispiel schon dadurch anklingt, dass die für Mulvey zentrale Unterscheidung von ›Mann oder Frau‹ als ein Machteffekt begriffen wird. Und so verweist etwa auch Tom Brown über 30 Jahre nach der Veröffentlichung Mulveys auf ebendiesen Zusammenhang, wenn er darstellt, dass zwar häufig »spectacle and narrative as opposites«80 gelten, dies jedoch mit Blick auf Gender als eine Interaktion aufzufassen ist, in der die exzessive Inszenierung als Hervorhebung des Konstruktcharakters geschlechtlicher Unterscheidungen wirkt. Insofern grenzt sich Brown von dem hier skizzierten Deutungsmuster zwar ein Stück weit ab, indem er die Trennung narrativer Sphären auch für das Musical problematisiert,81 er schließt sich jedoch gleichfalls einer Betrachtung an, in der die Oberflächlichkeit des Musicals als Potenzial für Gender und insbesondere für dessen konstruktivistische Konzeption gilt. Demgegenüber wird die Oberflächlichkeit des Musicals jedoch auch negativ ausgelegt und kassiert damit Potenziale einer performanztheoretischen Bestimmung ein. Hier muss allerdings auf Unterschiede verwiesen werden: Während einerseits in der Wertung des Genres Urteile getroffen werden, die sich implizit durch die Be-
78 Der Begriff der Oberflächlichkeit ist, obgleich er sich im untersuchten Material wenig direkt referenzieren lässt, bewusst gewählt, insofern er divergente – positive und negative – Wertungen abbildet. 79 So schon bei Collins: Genre: A Reply to Ed Buscombe, S. 70, aber auch bei Jennifer Batchelor: From ›Aida‹ to ›Zauberflöte‹. Jennifer Batchelor considers the Opera Film. In: Screen 25.3/1984, S. 26-39, hier S. 27 sowie S. 31 und in einem Interview bei Corinne Squire: Toute Une Heure. Corinne Squire talks to Chantal Akerman. In: Screen 25.6/ 1984, S. 67-72, hier S. 70. 80 Tom Brown: Spectacle/Gender/History: The Case of Gone with the Wind. In: Screen 49.2/ 2008, S. 157-178, hier S. 158. 81 Bei Brown heißt es zunächst abgrenzend und nicht weiter ausführend in einer Klammerbemerkung: »[T]he spectacle associated with, for example, the musical and the Western is of a quite different order«. Doch dieser Ausschluss wird bereits auf der nächsten Seite relativiert, wenn im Anschluss an Dyer wiederum das Musical behandelt wird. Ebd.; vgl. auch ebd., S. 159.
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hauptung einer Oberflächlichkeit begründen und im Verweis auf die Trennung narrativer Sphären lediglich den ›Schauwert‹ des Genres – »its decoration«82 – behandeln, so eröffnen sich demgegenüber auch negative Konnotationen, die sich gerade aus der Exzessivität der Genderinszenierung speisen und darin ideologische Konstellationen kritisieren. Letzteres betrifft auch Mulveys Auseinandersetzung. So wird das Musical zu einem Beispiel, das sich durch den Verweis auf eine patriarchale bzw. phallozentrische Ordnung samt ihrer Kondensation im Kino wie im Film gestaltet und derartige Ideologien in der Segmentierung narrativer Bereiche veranschaulicht. Im Sinne ihrer »Destruction of Pleasure as a Radical Weapon«83 ist die Verortung des Genres – obgleich nur beiläufig erwähnt – bereits ausschlaggebend, um auch seine Genderinszenierung als Reproduktion von Machtverhältnissen zu begreifen bzw. anzugreifen. Dabei wird jedoch der iterative Gehalt einer solchen Reproduktion unterschlagen, während dies nicht gleichbedeutend mit einer Naturalisierung von Geschlecht ist, wie sie Mulvey häufig vorgeworfen wird. Indem Mulvey eine Perspektive anlegt, die die spektakelhafte Inszenierung der ›Frau‹ als Ausdruck einer machtgetränkten Ordnung begreift und hierdurch das Musical im Hinblick auf seine unterbrechende Narration bestimmt, gestaltet sich ein Verständnis, das dem Genre wie auch seiner Geschlechterinszenierung vorgängig ist – ein Verständnis beider als ideologiereproduzierende Kategorien, die eine patriarchale bzw. phallozentrische Ordnung stützen. Genau darin, in der Reproduktion von Ideologien, kann auch erst eine Unterscheidung zwischen ›Mann oder Frau‹ als natürlich gelten.84 Dies mag Teile der Gender Studies vorwegnehmen, durch die immense Gewichtung einer kritischen Auseinandersetzung (und im Weiteren auch durch die periphere Erwähnung des Musicals) rückt jedoch diese Verbindung – die Perspektive einer Reproduktion des naturalisierenden Verständnisses, das folglich immer schon iterativ ist – aus dem Blick. Und so schreibt sich eine statische Konzeption der Genderdichotomie in Mulveys Überlegungen ein, wenn sie über den Verweis auf »song-and-dance numbers« eine konstitutive Verknüpfung von Genre und Gender vollzieht.85 Durch die Exzessivität in der Konstruktion von
82 David Spiers: Interview with Jack Gold. In: Screen 10.4-5/1969, S. 115-128, hier S. 119. 83 Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema, S. 7 [Herv. i.O.]. 84 Dieser Aspekt ist bei Mulvey gerade im einleitenden Teil zentral, wenn etwa auf die Begründungsfigur einer natürlichen Geschlechterdichotomie in psychoanalytischen Perspektiven – auf »anatomy in Freud’s famous phrase« – referiert wird. Jedoch verliert dies an Bedeutung, wenn im Weiteren dann eine Gegenüberstellung von ›Mann‹ und ›Frau‹ anhand der beschriebenen Blickanordnung erfolgt. Ebd. 85 Obgleich im Verlauf des Artikels durchaus Differenzierungen vorgenommen werden, so betreffen diese nicht das Musical, womit sich Mulveys Position gar in die Tradition einer ideologiekritischen Genretheorie einordnen ließe.
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Gender wird dem Musical also eine Ideologie zugedacht, die kritisiert wird, deren Dynamik als Reproduktion jedoch auch in der interkategorialen Kopplung kaum hervortritt, sodass Mulveys Auseinandersetzung erst auf diese Weise in Essentialisierungen gelangt.86 Das analysierte Material legt nahe, dass in diesem Deutungsmuster ein Ansatz verfolgt wird, der beharrlich als Anlass dient, dem Musical einen inszenatorischen und ideologischen Gehalt zu geben. Derart zeigt sich eine wirkmächtige diskursive Sinngebung, die ein Spektrum unterschiedlicher Wertungen eröffnet und weitergehende Beobachtungen erlaubt, zugleich aber auch das Genre in einer stabilen Konzeption mittels Gender – genauer: mittels der in der Verknüpfung ermöglichten Differenzierung narrativer Bereiche und ihrer statischen Ideologiereproduktion – fixiert. Auf der einen Seite treten Potenziale hervor, die sich dem Musical in der Verbindung zu Gender widmen und jenem Konnex über narrative Anordnungen Gewicht verleihen, ihn zum Ansatzpunkt nehmen, um Genderideologien zu kritisieren und diese wiederum in ihrer medialen Formung zu beleuchten. Auf der anderen Seite neigt dieses Deutungsmuster zu einem statischen Verständnis, das für das Genre ein einzelnes Merkmal87 – die narrative Unterbrechung – zum Substrat seiner Spezifik erklärt, wobei die Kopplung zu Gender in eine konstitutive Position rückt, um ebenjenes Merkmal überhaupt zu generieren, es über die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ zu bündeln und dem Musical dadurch eine wenig dynamische Ideologie zuzuschreiben. Genau diese Spannung ist in der Verknüpfung von Genre und Gender selbst angelegt und führt zu diskursinhärenten Widersprüchen, wie es sich in der Gegenüberstellung der Position von Mulvey mit einem Entwurf Neales zeigt. Während Mulvey bereits 1975 auf die Trennung von Spektakel und Narration im Musical aufmerksam macht und dabei der Genderdichotomie als konstituierendes Element einen überaus großen Stellenwert einräumt, so kann auch Neale diesem Deutungsmuster in ähnlicher Weise zugeordnet werden – jedoch birgt dies eine entscheidende Abweichung. Neale betrachtet nämlich Repräsentationen von ›Männlichkeit‹ und wertet diese als effeminierende Inszenierung:
86 So banal diese Feststellung auch sein mag, sie ist nicht in ihrer Brisanz für den wissenschaftlichen Musicaldiskurs zu unterschlagen, denn dadurch geschieht häufig ein Anschluss an ein weiteres Deutungsmuster, an die Fokussierung von Geschlechterbildern (Kapitel 3.4), insofern auch hier der ideologische Gehalt einer Genderrepräsentation zentral ist und eine Bestimmung des Musicals erlaubt. 87 Die Rede von einem Merkmal ist – entsprechend einer Differenzierung zur historisierbaren Konvention – entscheidend, denn in diesem Deutungsmuster erweist sich die narrative Unterbrechung als stabil. Sie wird zwar in einzelnen Bereichen, etwa auch bei Mulvey durch den Bezug zu einer bestimmten Geschlechterordnung, implizit in einen zeitlichen Kontext eingestellt, sie wird aber nicht selbst historisiert.
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»Such instances of ›feminisation‹ tend also to occur in the musical, the only genre in which the male body has been unashamedly put on display in mainstream cinema in any consistent way. (A particularly clear and interesting example would be the presentation of John Travolta in Saturday Night Fever.)«88
Folgt man dieser Position, dann ist das Musical durch eine Darstellung von Gender gekennzeichnet, die den ›Mann‹ erotisiert und ihn als Objekt der Inszenierung ausstellt (»put on display«). Hierin liegt das Besondere des Genres, das, wie es heißt, als Einziges so verfährt und äußerst konsequent jene Erotisierung des ›Mannes‹ verfolgt – »in any consistent way«.89 Es wird also wiederum eine Spezifik generiert, die das Musical sowohl erkennbar als auch abgrenzbar macht, wobei auch dies im Kontext übergreifender Kennzeichnungen medialer Arrangements steht, sodass das Genre hierin beispielhaft-illustrativ, aber auch symptomatisch-eminent erläutert wird. Neale geht davon aus, dass die bisherige Forschung zu Repräsentationen vornehmlich durch die feministische Filmtheorie sowie durch die Gay Studies – allgemeiner noch durch »the Women’s Movement and the Gay Movement«90 – geprägt ist. Zwar seien dadurch produktive Beiträge entstanden, ein Defizit jedoch besteht: »[T]he images and functions of heterosexual masculinity within mainstream cinema have been left undiscussed.«91 Dieser Leerstelle möchte Neale nun entgegenwirken, indem er – wiederum im Rahmen psychoanalytischer Theoriebildung – danach fragt, inwiefern die filmische Repräsentation von ›Männlichkeit‹ sowie die mit ihr verbundene identifikatorische Anordnung innerhalb des Kinos zu konzeptualisieren ist, inwiefern Übertragungen der bisherigen Forschung möglich sind, aber auch, wie Spezifika berücksichtigt werden können bzw. müssen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung greift Neale auf Mulveys Darstellung zurück, betrachtet jedoch Inszenierungen von ›Männlichkeit‹. Diese zeichnen sich laut Neale zwar mitunter durch die von Mulvey beschriebenen Strategien in der Darstellung aus, etwa durch eine Fragmentarisierung, allerdings werden hierin andere Funktionen für die identifikatorische Position der Zuschauerschaft erfüllt: »We
88 Steve Neale: Masculinity as Spectacle. Reflections on Men and Mainstream Cinema. In: Screen 24.6/1983, S. 2-17, hier S. 15 [Herv. i.O.]. 89 Interessant ist dabei auch die gewählte Verlaufsform, denn sie verdeutlicht, dass sich das Musical historisch weitläufig über die Erotisierung des ›Mannes‹ gestaltet. 90 Neale: Masculinity as Spectacle, S. 2. Die Überblendung der akademischen und der sozialen Auseinandersetzungen, der ›Studies‹ und der ›Movements‹, findet sich auch in anderen Artikeln und resultiert mitunter aus der Position der gewählten Zeitschrift. Vgl. hierzu erneut Bolas: Screen Education, S. 7 f. 91 Neale: Masculinity as Spectacle, S. 2.
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see male bodies stylised and fragmented by close-ups, but our look is not direct, it is heavily mediated by the looks of the characters involved. And those looks are marked not by desire, but rather by fear, or hatred, or aggression.«92 Demzufolge betont Neale für ›Männlichkeit‹ also identische Strategien in der Inszenierung, im Unterschied zu Mulvey wird ihre Wirkung jedoch nicht als Erotisierung beschrieben – mit einer Ausnahme: dem Musical. Neale nennt zunächst mit »[t]he presentation of Rock Hudson in Sirk’s melodramas«93 einen Bereich, in dem die Inszenierung des ›Mannes‹ als Erotisierung hervortritt, dies aber zugleich eine Effeminierung bedeutet, welche letztlich die Konstanz der ›Frau‹ als Schauobjekt demonstriert.94 Und genau diese Ausnahme, dieser »particularly interesting case«,95 zeichnet schließlich nicht bloß »Sirk’s melodramas« aus, sondern wird gar zu dem entscheidenden Merkmal des Musicals. So ist dieses, wie oben zitiert, durch eine Erotisierung des ›Mannes‹ gekennzeichnet, die zugleich eine Effeminierung bewirkt, wobei offenbleibt, inwiefern sich diese Ausnahme in die grundlegende Perspektive Neales integriert, denn – abseits des Verweises auf die Relevanz der ›Frau‹ als Schauobjekt – beschließt Neale seinen Artikel wiederum mit dem Bezug zu Mulvey und der Annahme eines im Kino wie im Film stets ›männlichen‹ Blicks. Neales Artikel vermittelt schon in der Kenntlichmachung eines Desiderats vielfältige Anstöße und kann, wie es gerade seine diversen Reprints verdeutlichen, für gendertheoretische Perspektiven als überaus zentral gelten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Repräsentationen, die im Kontext der »socially defined and constructed categories of male and female«96 auf Prozesse hin befragt werden, die ebenjene Unterscheidung um ›Mann oder Frau‹ hervorbringen und stützen.97 Neale intendiert folglich eine Betrachtung, die sich nicht der Genderdichotomie verschreibt, sondern die deren Konstruktion im Rahmen des Films sowie des Kinos beleuchten möchte. Doch dieser Prämisse wird nicht konsequent nachgekommen. Notorisch ist hierbei die im Artikel wenig stringente Differenzierung zwischen ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹, welche zwar vielleicht gar nicht umfassend erfolgen kann98 – bei Neale je-
92 Ebd., S. 14. 93 Ebd. 94 Vgl. ebd., S. 14 f. 95 Ebd., S. 14. 96 Ebd., S. 5. 97 Etwa heißt es schon grundlegend: »Every film tends both to assume and actively to work to renew those orders, that division.« Ebd. 98 Eine derartige Differenzierung ist äußerst schwierig zu treffen, geschweige denn konsequent umzusetzen. Generell muss jedoch betont werden – und dies setzt die Arbeit voraus –, dass ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ nicht in einem äquivalenten Verhältnis
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doch in eine Perspektive mündet, die in gleich mehrfacher Hinsicht konträr zu seinen Grundannahmen steht. Im Kontext seiner forschungsbezogenen Einordnung stellt Neale einleitend dar, dass in der bisherigen Verhandlung von ›Männlichkeit‹ Reduktionen erfolgen, welche umgekehrt eine Spezifizierung seiner Betrachtung zur Folge haben – er betrachtet heterosexuelle Männlichkeitsentwürfe. Doch genau diese Einschränkung wird im Weiteren zum Problem, da er mit Blick auf die Rezeption sowie durch die Beschreibung als effeminierende Inszenierung nicht bloß ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹ nahezu unreflektiert in eine Verbindung setzt, sondern dies auch mit Heterosexualität koppelt. So betont er zwar, dass es ihm um heterosexuelle ›Männlichkeit‹ geht – wie sich dies aber im Rahmen seiner Beobachtung medialer Inszenierungen begründet, wodurch die Repräsentation als heterosexuell gilt, bleibt gänzlich unbehandelt. Dadurch nimmt er letztlich sein Ergebnis, die Behauptung einer nicht erotisierenden Inszenierung des ›Mannes‹, vorweg, denn wenn Neale untersuchen möchte, wie die »socially defined and constructed categories of male and female« entstehen und zirkulieren, so kann der Ausschluss nicht heterosexueller Entwürfe nicht von vorne herein erfolgen. Und zwar nicht (nur) weil Sexualität mit Gender überaus vielfältig verknüpft ist,99 sondern weil er damit (auch) hinter seine Prämissen zurückfällt und durch den Ausschluss überhaupt erst die nicht erotisierende Blickanordnung – bei identischen Inszenierungsstrategien – behaupten kann. Die Verbindung von ›Mann‹, ›Männlichkeit‹ und Heterosexualität bewirkt eine heteronormative ›Deckung‹, welche sich lediglich aus sich selbst heraus, d.h. aus dem gewählten Fokus auf Inszenierungen und der vermeintlich nicht erotisierenden Blickanordnung, ergibt.
zur Dichotomie ›Mann oder Frau‹ stehen. Auch ein ›Mann‹ kann ›weiblich‹, eine ›Frau‹ ›männlich‹ sein, ja sogar geschlechterfreie Konstellationen lassen (mitunter prekäre) Semantisierungen durch ›Männlichkeit‹ und/oder ›Weiblichkeit‹ zu. Genau in diesen Fallstrick einer Äquivalenz gerät jedoch Neale, wenn er Prozesse einer Effeminierung anhand des Musicals betrachtet. 99 Dieses »Produkt zivilisatorischer Zurichtungen«, wie Franziska Schößler die Verbindung von Gender und Sexualität treffend beschreibt, schlägt sich bereits in Bezeichnungen wie heterosexuell und homosexuell nieder – markiert sich hierin doch auch die Annahme zweier Geschlechter. Allerdings sind sexuelle Präferenzen damit keinesfalls ausschließlich geschlechtlich konnotiert, wie es etwa auch Engel betont, um auf die binäre Struktur von Sexualität zu verweisen. Von daher erklärt sich die ausbleibende Setzung von Anführungszeichen; Sexualität ist nicht allein (auch wenn Neale dies impliziert) in der Distinktion ›entweder heterosexuell oder homosexuell‹ sowie ihrer Pole ›heterosexuell‹ und ›homosexuell‹ bestimmt. Schößler: Einführung in die Gender Studies, S. 12; vgl. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 100.
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Obgleich sicherlich die historische Verortung des Artikels zu berücksichtigen ist und die Zirkularität der Argumentation wenig direkt hervortreten mag, so stellt sie doch eine gegenteilige Tendenz dar, die in einem Spannungsverhältnis zur grundlegenden Annahme, zum Verweis auf die Konstruiertheit geschlechtlicher Einteilungen, steht. Und genau diese Spannung wird in der Verknüpfung von Genre und Gender noch um einiges virulenter: Fokussiert man im Rahmen von Neales Argumentation diesen interkategorialen Bezug, dann entsteht ein Problem, das sich über die mangelnde Differenzierung von ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹ als ReEtablierung einer statischen Differenz begreifen lässt. So ist die Beschreibung als Erotisierung für den von Neale betonten Sonderfall des Musicals zentral – er bestimmt das Genre, indem es als Einziges eine Erotisierung des ›Mannes‹ betreibt. In der weiteren Verbindung dieser Erotisierung mit einer Kennzeichnung als Effeminierung müsste sich jedoch auch die Frage stellen, wodurch ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ überhaupt differenzierbar werden und wie sich dies im Musical manifestiert. Bei einer Beobachtung von Effeminierungen kann keine vorgängige Existenz von Geschlecht angenommen werden, denn im Grunde handelt es sich um eine Zuschreibung verschiedener Attribute, deren Genese in der Fokussierung einzelner Performanzen zu ermitteln wäre. Dies mag Neale auch beabsichtigen, wenn er grundlegend nach Repräsentationen fragt und diese als Teil eines Aushandlungsprozesses geschlechtlicher Einteilungen begreift. Doch indem er die Effeminierung zugleich mit dem Sonderfall einer erotisierenden Inszenierung im Musical verschaltet, lässt er offen, inwiefern Erotisierung und geschlechtliche Zuschreibung überhaupt zusammenhängen. Warum handelt es sich trotz der Annahme eines im Kino wie im Film stets ›weiblichen‹ Schauobjekts und trotz identischer Inszenierungsstrategien immer noch um eine Inszenierung von ›Männlichkeit‹? Dies kann Neale nur dann offenlassen, wenn die Vorgängigkeit von Sex impliziert wird, wenn der ›Mann‹ – »the male body« – als Basis einer Effeminierung angenommen wird. Und dadurch gerät Neales Argumentation, Klaus Rieser zufolge, letztlich auch entlang der Behauptung einer Effeminierung in einen »Zirkelschluss: Was nicht eindeutig hegemoniale Männlichkeit ist, muss weiblich sein.«100 Neale verlässt also den Ausgangspunkt seiner Argumentation, wichtiger aber: Er gelangt in eine statische Dichotomie, über die sich die Frage, was ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ differenziert, gar nicht erst stellt – stattdessen ist es der erotisierte ›Mann‹, der zugleich als effeminiert gelten muss.
100 Klaus Rieser: Gender ist kein Nullsummenspiel. Nicht-normative Männlichkeit und ›Feminisierung‹. In: Andrea Ellmeier/Doris Ingrisch/Claudia Walkensteiner-Preschl (Hg.): Screenings. Wissen und Geschlecht in Musik – Theater – Film. Wien/Köln/Weimar 2010, S. 129-144, hier S. 133.
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Die hier erläuterten Artikel von Mulvey und Neale eröffnen verschiedene Spannungsmomente, die insbesondere die Konzeptualisierung von Gender betreffen. So zeigt sich bei beiden eine Tendenz, die als Re-Etablierung einer statischen Dichotomie die eigentliche Prämisse einer dynamischen Perspektive unterwandert. Sowohl Mulvey als auch Neale verweisen in ihren Artikeln gleich mehrfach auf die konstruierte Hervorbringung von Gender und betrachten sie innerhalb medialer Zusammenhänge. Gleichwohl wird dies durch ein wenig flexibles Verständnis der iterativen Reproduktion von Geschlechterideologien (Mulvey) oder durch eine mitunter heteronormative Beschreibung eigentlich prozessual gedachter Inszenierungsweisen (Neale) nicht konsequent verfolgt. Allerdings ist jene spannungsvolle Betrachtung von Gender nicht nur entlang der jeweiligen Artikel nachzuzeichnen. Sie betrifft auch die Bestimmung des Musicals – und zwar nicht bloß aufgrund dieser Probleme, sondern mehr noch aufgrund der ambivalenten Verknüpfung, die das Deutungsmuster um narrative Arrangements und deren Differenzierung mittels einer Genderdichotomie umspannt. Zunächst ist dabei eine große Nähe zwischen den Überlegungen festzustellen: Sowohl Mulvey als auch Neale erwähnen einen besonderen Status des Musicals, und obwohl Neale gerade in diesem Ausschnitt nicht explizit auf Mulvey eingeht, so können beide Positionen doch im thematischen Feld um Spektakel und Narration verortet werden. Beide beschäftigen sich beiläufig mit dem Musical, indem sie es entlang von Gender behandeln. Und beide leisten genau darin, in der Hervorhebung einer Besonderheit, eine Bestimmung des Genres, die sich in der Verbindung zu genderdichotomen Konstellationen generiert – in Form der Zurschaustellung von Gender und der Unterbrechung einer Narration. Als Beispiele sind diese Aufsätze besonders aufschlussreich. So erhält das Musical über den Verweis auf Gender eine Spezifik, die sich ihrerseits als Deutungsmuster einer unterbrechenden Narration im wissenschaftlichen Diskurs verankert. Mulvey führt dies als »song-and-dance numbers« aus, Neale hingegen in der Zurschaustellung als »put on display«. Außerdem mag sich schon hier die Wirkmacht jener Sinngebung abzeichnen, denn sowohl Mulvey als auch Neale erläutern in der Betrachtung medialer Inszenierungen bzw. Ideologien das Musical lediglich einmal und stellen es entsprechend beiläufig wie auch selbstverständlich in den Bezug zu Gender. Doch gerade diese Verknüpfung ruft Ambivalenzen hervor und ist im Hinblick auf ihre Diskursivierung als widersprüchlich zu kennzeichnen. So entsteht trotz der vielfältigen Gemeinsamkeiten ein Gegensatz in der Inszenierung als Blickobjekt: Neale sieht im Musical das einzige Genre, welches den ›Mann‹ zur Schau stellt, während Mulvey dies für die ›Frau‹ betont. Zwar verweist Mulvey auf die ideologische Reproduktion von Geschlecht, während Neale auf Prozesse der Effeminierung aufmerksam macht – doch genau darin zeichnen sich Tendenzen ab, die, wie dargestellt, die zweigeschlechtliche Differenz als vorgängig ausweisen und so auch in der Bestimmung des Musicals einer statischen Dichotomie obliegen.
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Konzentriert man sich nun auf die Relation der beiden Ansätze und verortet sie innerhalb des wissenschaftlichen Musicaldiskurses, so wird eine Diskrepanz offenbar. Diese betrifft weder die Konzeptualisierung des Genres an sich noch die eigentliche Verknüpfung zu Gender, insofern beides zwar äußerst voraussetzungsvoll ist, zugleich aber ohne ausführliche Thematisierung als Garant einer eindeutigen Konstitution wirkt. Stattdessen umfasst jene Diskrepanz das Verhältnis der jeweiligen Positionen innerhalb des Deutungsmusters und insbesondere die Bindung des Genres an eine Genderdichotomie: Obgleich beide Bemerkungen zum Musical als solche scheinbar selbstverständlich anmuten, so stellt sich doch in ihrem Vergleich die Frage, was denn nun im Musical die Handlung unterbrechend als Spektakel inszeniert wird – ist es die ›Frau‹ oder der ›Mann‹? Und dadurch stellt sich wiederum auch die Frage, was denn nun das Musical ist – ist doch unklar, was im Verhältnis von Spektakel und Narration zur Schau gestellt wird und wie sich jene Sphären überhaupt differenzieren. Nicht nur die jeweiligen Konzeptualisierungen sind also von Spannungen geprägt, vielmehr ist es die interkategoriale Verknüpfung innerhalb dieses Deutungsmusters, die Ambivalenzen preisgibt. Es entsteht ein Prozess, der Widersprüche beinhaltet, indem die Kopplung von Genre und Gender gerade in ihrer konstitutiven Relevanz eine konfliktäre Anordnung eröffnet. Man mag dabei verführt sein, diese Ambivalenz entlang der skizzierten Re-Etablierung einer statischen Dichotomie lediglich als Essentialisierung zu beschreiben oder durch die Prämisse einer konstruktivistischen Perspektive auf Gender Gegenteiliges anzunehmen – und beides entbehrt auch nicht der Plausibilität. Anstelle aber dieser Annahmen tritt eine Wechselseitigkeit, die aus dem Widerspruch in der Inszenierung als Spektakel die Destabilisierung eines Deutungsmusters begründet, das zugleich stabilisierend eine Konstitution von Genre und Gender arrangiert. Es ist der diskursive Vollzug, die Diskursivierung der Verknüpfung, die Ambivalenzen zeigt und sowohl stabilisierend als auch destabilisierend wirkt. Um diese Beidseitigkeit als immanenten Teil der Kopplung von Genre und Gender zu begreifen, lohnt der knappe Blick auf die Konstanz des Deutungsmusters. So kann es innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses als kontinuierlich gelten, insofern das Musical im Rekurs auf Gender stets durch das Verhältnis von Spektakel und Narration betrachtet wird.101 Es lassen sich allerdings Variationen feststellen, die im Verlauf des untersuchten Zeitraums anhand der Referenz zu zwei Forschungspositionen besonders deutlich hervortreten. Dies betrifft zum einen, ini-
101 Von daher stellen die Positionen von Neale und Mulvey auch kein historisches Moment einer Änderung dar, vielmehr wird das Musical in seiner narrativen Anordnung stets entlang einer spektakelhaften Inszenierung von ›Mann oder Frau‹ behandelt – teilweise sogar in der Gegenüberstellung beider Annahmen, wie etwa bei Brown: Spectacle/ Gender/History: The Case of Gone with the Wind, S. 158.
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tiiert durch Altmans Arbeit, die Verknüpfung narrativer Anordnungen mit dem Spektakel eines heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Paares, letztlich die von Altman identifizierte dual focus structure.102 Hier wird zumeist auf die für das Musical kennzeichnende Unterbrechung verwiesen, indem sie in der Gegenüberstellung von ›Mann‹ und ›Frau‹ Begründung erfährt und als eine Verflechtung der narrativen Sphären konzeptualisiert wird – als »intertwining the success of the show and the formation of the romantic couple«,103 wie es im Rückgriff auf Altman heißt. Zum anderen wird (häufiger noch) in Assoziation zu Richard Dyer eine utopische Auslegung exzessiver Inszenierungsweisen im Musical gewählt, womit das Genre Ideologeme der Unterhaltung reproduziert.104 Und auch dies steht im Kontext des zugeschriebenen narrativen Spezifikums, welches im Verweis auf die Genderdichotomie als ideologische Konstellation gilt – das Musical wird im Rückgriff auf Dyer etwa als eines der »female-coded genres«105 betrachtet. Die beiden hier nur kurz erwähnten Ansätze führen zu Umakzentuierungen und erlauben es zugleich, das Deutungsmuster einer narrativen Anordnung des Musicals zu stärken – kann es doch für unterschiedliche Beobachtungen gleichermaßen bedeutsam sein. Dabei gewinnt allerdings auch der interne Widerspruch an Brisanz, insofern die Genderdichotomie (teils sogar über die bloße Inszenierung als Blickobjekt hinaus) immer noch zur Differenzierung narrativer Sphären herangezogen wird.106 Und diese Relevanz von Gender zeigt sich auch in der Verbindung zu anderen Sinngebungen, in deren Folge ein Genrevergleich als naheliegend gilt.
102 Exemplarisch zeigt sich dies bei Kathleen K. Rowe, die im Anschluss an Altman gar ein feministisches Potenzial entwirft, das in Konflikten der Inszenierung von ›Mann‹ und ›Frau‹ im Musical hervortritt. Vgl. Kathleen K. Rowe: Roseanne: Unruly Woman as Domestic Goddess. In: Screen 31.4/1990, S. 408-419, hier S. 418. 103 Lyn Phelan: Artificial Women and Male Subjectivity in 42nd Street and Bride of Frankenstein. In: Screen 41.2/2000, S. 161-182, hier S. 169 [in Anm.]. 104 Vgl. grundlegend Richard Dyer: Entertainment and Utopia [1977]. In: Rick Altman (Hg.): Genre: The Musical. A Reader. London/Boston/Henley 1981, S. 175-189 sowie als Beispiele für die äußerst vielfältigen Verweise Ava Rose/James Friedman: Television Sport as Mas(s)culine Cult of Distraction. In: Screen 35.1/1994, S. 22-35, hier S. 31 und Dolores Tierney: Silver Sling-Backs and Mexican Melodrama: Salón México and Danzón. In: Screen 38.4/1997, S. 360-371, hier S. 362. 105 Julianne Pidduck: Travels with Sally Potter’s Orlando: Gender, Narrative, Movement. In: Screen 38.2/1997, S. 172-189, hier S. 174. 106 Für die erwähnten Weiterführungen mag der skizzierte Widerspruch in der Inszenierung als Blickobjekt zunächst gelöst sein, ist es laut Dyer und Altman doch das Paar, ›Mann und Frau‹, die im Musical als Spektakel inszeniert werden – ob nun als Ausdruck einer Ideologie der Unterhaltung oder als dual focus structure. Allerdings verliert sich dann
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Der Vergleich zwischen Genres bildet im wissenschaftlichen Diskurs eine Möglichkeit, um wichtige Parallelen in der Verfasstheit der Kategorie zu zeigen, er kann Unterschiede und Gemeinsamkeiten zutage fördern, die zur Bestimmung dessen, was Genre ist, beitragen. Dies findet auch im Vergleich des Musicals mit anderen Genres statt, wobei sich im Kontext seiner Bestimmung durch narrative Unterbrechungen Bezüge zur spektakelhaften Inszenierung von Gender besonders deutlich zeigen107 – und zwar vornehmlich in den 1980er und 1990er Jahren anhand des Vergleichs zur Pornografie.108 Das Deutungsmuster einer narrativen Anordnung wird dabei in der Betonung exzessiver Genderinszenierungen zu dem verbindenden Merkmal beider Genres und führt mitunter sogar in die Annahme einer »structural
auch die Differenzierung narrativer Bereiche, eine Trennung von Fortgang und Stillstand einer Handlung ist nicht mehr durch die Genderdichotomie zu ziehen. Und so erklärt sich, dass sowohl im Verweis auf Dyer als auch auf Altman zumeist lediglich eines der beiden angenommenen Geschlechter erwähnt wird, wie zitiert, das Musical etwa als »female-coded« gilt. 107 Die Genres, die im Vergleich zum Musical verhandelt werden, können in ihrem historischen Auftreten differenziert werden und fokussieren sich durch verschiedene Kennzeichen: Neben dem Vergleich zur Pornografie, welcher über narrative Anordnungen vor allem ab den 1980er Jahren zentral ist, wird zuvor das Melodrama über inszenatorische Aspekte in ein zumeist hierarchisierendes Verhältnis gesetzt, während ab den 1990er Jahren die (Romantic) Comedy über Parallelen in der Figurenkonstellation mit dem Musical verglichen wird. Vgl. als Beispiele Geoffrey Nowell-Smith: Dossier on Melodrama: Minnelli and Melodrama. In: Screen 18.2/1977, S. 113-118, hier S. 117 sowie Ian Garwood: Must You Remember This? Orchestrating the ›Standard‹ Pop Song in Sleepless in Seattle. In: Screen 41.3/2000, S. 282-298, hier S. 282. 108 So unerwartet dieser Befund sein mag – er stützt sich auf diverse Artikel, von denen mit Paul Willemens Beitrag ein besonders prägnanter und historisch prägender Ansatz ausgeführt wird. Dabei sei auch angemerkt, dass sich die Annahme einer Nähe zwischen Musical und Pornografie unter anderen Gesichtspunkten(!) ebenso in weiteren Diskursebenen nachzeichnen ließe, etwa in der audiovisuellen Verhandlung durch THE FIRST NUDIE MUSICAL (USA 1976, R: Mark Haggard/Bruce Kimmel) oder in der Publizistik über die Konstruktion von »Sex-Musicals«, etwa bei Anonymus: PERSONALIEN. Arthur Michael Ramsey. In: DER SPIEGEL 36/1970, S. 149, hier S. 149. Obgleich diese Beispiele hier nicht ausführlich thematisiert werden können, so verdeutlichen sie doch, dass es sich bei dem Bezug zur Pornografie nicht bloß um einen Materialeffekt aufgrund des korpusimmanenten Vorgehens handeln kann. Vgl. als Spektrum weiterer Beispiele auch Beverley Brown: Review: Linda Williams, Hard Core: Power, Pleasure and the Frenzy of the Visible. In: Screen 32.1/1991, S. 114-119, hier S. 118 und Susan Barrowclough: ›Not A Love Story‹. In: Screen 23.5/1982, S. 26-37, hier S. 32 f.
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similarity«.109 Dies begründet sich bei Paul Willemen über vier Faktoren, um die sich der gesamte Genrevergleich zwischen Musical und Pornografie im wissenschaftlichen Diskurs orientieren ließe: »Firstly, the musical and the porn film are the only two durable cinematic genres which derive their generic label from the specific scenes which form part of the film. […] Secondly, and related to this, the importance of generically obligatory sequences makes for a weak narrative structure […]. The narrative functions primarily to motivate and link the musical/sex numbers. […] Thirdly, the necessity to include such self-contained, relatively autonomous segments arranged as spectacles ›arresting‹ the look and thus, to some extent at least, suspending the narrative, makes for films that proceed in a halting rhythm. […] Fourthly, in both genres the interrupting segments consist of bodies displaying their physicality, either in isolation or in unison.«110
Willemen sieht bereits 1980 wichtige Berührungspunkte zwischen Musical und Pornografie, welche eine Bestimmung der Genres (»generically obligatory«) leisten und in der Parallelführung von »musical/sex numbers« besonders explizit den Bezug zum Deutungsmuster einer narrativen Anordnung hervorstellen. Und dies gilt auch für die konstitutive Position, die Gender hierin innehat. So generiert sich die Nähe beider Genres zwar über die Relevanz einer bestimmten Szenenfolge, einer bestimmten Strategie in der Inszenierung, über die Blickanaordnung und die Äußerlichkeit in der Darstellung von Körpern – all dies ist aber mehr oder weniger offensichtlich mit Gender verbunden. Außerdem erwähnt Willemen abschließend einen Unterschied zwischen indischen und US-amerikanischen Musicals, der sich wiederum über Gender gestaltet,111 womit diese Kategorie rückwirkend als eine Prämisse auftritt, welche die Betrachtung des Musicals – und zwar auch im Vergleich zur Pornografie – erst bedingt.112 Während weitere Indizien herangezogen werden könnten, um die enge Verbindung zwischen dem Deutungsmuster einer narrativen Anordnung des Musicals und dem Vergleich zur Pornografie zu demonstrieren,113 darin die Relevanz von Gender jedoch nicht überpointiert werden sollte – ist ein Genrevergleich doch keinesfalls allein durch Gender bestimmt und auch nicht nur auf Pornografie beschränkt –, so
109 Paul Willemen: Letter to John. In: Screen 21.2/1980, S. 53-65, hier S. 64. 110 Ebd., S. 64 f. 111 Vgl. ebd., S. 65. 112 Auch Willemens These einer »substitution of singing for sex« ergänzt dies. Ebd., S. 64. 113 Sogar in Neales Behauptung einer Erotisierung ließen sich diese Parallelen skizzieren – zumindest wenn angenommen wird, dass Pornografie eine solche Erotisierung ins Extrem wendet.
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eröffnet dieser knappe Ausblick eine Antwort auf die Frage, wie die Verknüpfung von Genre und Gender im wissenschaftlichen Musicaldiskurs verläuft. Es verdeutlicht sich, dass verschiedene Interpretationen in Beziehung stehen und sich einander beeinflussen, nicht nur Weiterführungen, sondern auch Überlagerungen erlauben. Von daher wird ein Potenzial ersichtlich, das den interkategorialen Bezug in seiner Produktivität, als Ermöglichung von Genrevergleichen, hervorhebt. Es verdeutlicht sich aber noch etwas Anderes. So eröffnet die exemplarische Gegenüberstellung von Mulveys und Neales Entwürfen einen Widerspruch, der durch die Genderdichotomie in ihren narrativen Einfluss entsteht. Diese diskursinterne Diskrepanz bildet jedoch keinen Ansatzpunkt, um etwa die hier skizzierten Positionen zu hinterfragen, sondern gestattet vielmehr den Anschluss weiterer Beobachtungen. Dadurch tritt erneut die Wirkmacht einer solchen Verknüpfung hervor, sodass sich resümieren lässt: In der Verbindung von Genre und Gender über das Verhältnis narrativer Unterbrechungen und spektakelhafter Inszenierungen gelangt eine Perspektive zu Gewicht, die weder allein Essentialisierungen noch allein Destabilisierungen bewirkt; sie eröffnet in ihrer diskursiven Formung eine Widersprüchlichkeit und erlaubt dennoch eine wechselseitige Bestimmung der Kategorien, wobei beides im Kontext einer Re-Etablierung der Genderdichotomie steht. Und diese Deutung nun erhält auf unterschiedliche Weise Brisanz; sie zeigt sich in der peripheren Erwähnung des Musicals, in den für Gender einflussreichen Beispielen und in den assoziierten Weiterführungen, sie wird aber auch über andere Sinngebungen, etwa im Genrevergleich, gestützt. Von daher festigt sich sogar eine Ambivalenz – obgleich dies keinesfalls die einzig konstitutive Verknüpfung von Genre und Gender ist.
3.4 G ESCHLECHTERBILDER DES M USICALS : G ENRE ALS R EFLEXION GESELLSCHAFTLICHER P HÄNOMENE In Assoziation zur Bestimmung des Musicals entlang seiner unterbrechenden Narration und spektakelhaften Inszenierung von Gender offenbart sich im wissenschaftlichen Diskurs ein weiteres Deutungsmuster, das jedoch durchaus als eigenständig zu perspektivieren ist. Auch hier werden Genre und Gender in eine konstitutive Verbindung gerückt, Grundlage bildet aber die Beobachtung von Gender selbst. So wird gefragt, wie Geschlechter dargestellt werden, welche Repräsentationen von Gender wann auftreten, und vor allem, inwiefern diese in unterschiedlichen historischen Konstellationen Auskunft über gesellschaftliche Phänomene geben. Dies wird im Rückgriff auf das Musical konkretisiert, sodass das Genre infolgedessen als eine Reflexion von Geschlechterbildern bestimmt wird. Der Blick richtet sich nun also auf seine kulturelle Bedeutung, indem es als Spiegel histori-
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scher, teils politischer Erscheinungen beobachtet wird, die ihrerseits Gender betreffen und in ein signifikatorisches Verhältnis zwischen der Repräsentation und ihrem gesellschaftlichen Korrelat gesetzt werden.114 Innerhalb dieses Deutungsmusters lassen sich zwei unterschiedliche Positionen differenzieren. Beide betreffen vornehmlich Weiblichkeitsentwürfe115 und bestimmen das Musical vor allem ab Mitte der 1980er Jahre als ein normierendes oder als ein subversives Genre. Einerseits wird dazu die im Musical nachzuzeichnende Darstellung von Gender als eine Naturalisierungs- bzw. Disziplinierungsstrategie gedeutet, die derartige gesellschaftliche Prozesse stützt; das Genre gilt etwa im Verweis auf Dyer als »antidote to the social tensions«116 und gelangt so in eine Perspektive, die es zum Abbild historischer Geschlechterordnungen macht, welche ihrerseits kritisiert werden. Andererseits wird jedoch auch behauptet, dass aus jener Genderdarstellung heraus eine Kritik erfolgt, die sich bereits innerhalb des Musicals artikuliert;117 es führt etwa – wiederum in Bezug zu Dyer – »to the exposure of con-
114 Dass schon die Verbindung zwischen einer Repräsentation und ihrer Referenz, ihrem Korrelat, als Signifikation gelten muss, wird etwa auch bei Engel betont. Vgl. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 140. 115 Ausnahmen bilden häufig Ansätze, die das Musical kulturvergleichend situieren, wie es etwa auch bei Willemen der Fall ist, wenn er die Inszenierung der ›Frau‹ im indischen Musical der Inszenierung von ›Mann‹ und ›Frau‹ im Hollywoodmusical gegenüberstellt. Anhand exemplarischer Filmanalysen zeigt sich dies ebenso bei Jeanette Hoorn und Dimitris Eleftheriotis – hier jedoch im Kontext des australischen bzw. griechischen Kinos. Vgl. Willemen: Letter to John, S. 65 sowie Jeanette Hoorn: Comedy and Eros: Powell’s Australian films They’re a Weird Mob and Age of Consent. In: Screen 46.1/ 2005, S. 73-84, hier S. 78 und Dimitris Eleftheriotis: Questioning Totalities: Constructions of Masculinity in popular Greek Cinema of the 1960s. In: Screen 36.3/1995, S. 233-242, hier S. 240. 116 Julianne Pidduck: Of Windows and Country Walks: Frames of Space and Movement in 1990s Austen Adaptations. In: Screen 39.4/1998, S. 381-400, hier S. 382 [in Anm.]. 117 Die Bandbreite subversiver Deutungen ist groß, wurzelt aber häufig in einer Kritik an patriarchalen Ordnungen. Außerdem können weitere Sinngebungen einflussreich sein, insofern sie zwar über die Darstellung von Geschlechterbildern hinausgehen, die Konsequenz – das subversive Musical – jedoch identisch ist. Etwa entwirft Sheila Whitaker so feministische Perspektiven auf die Distribution, während auch Carol Flinn eine ähnliche Deutung anlegt, hier aber im Rahmen von Dyers Überlegungen. Darüber hinaus kann die im Material weitläufige Auseinandersetzung mit JOHANNA D’ARC OF MONGOLIA
(D 1989, R: Ulrike Ottinger) dieser Sinngebung zugeordnet werden: Der Film
gilt nicht als Musical, wird im wissenschaftlichen Diskurs aber zur Genrereflexion genutzt, da eine der Figuren als US-amerikanischer Musicalstar Einfluss auf die Handlung
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flicts and ideological contradictions«,118 sodass die repräsentierte Geschlechterordnung in Zweifel gezogen wird. Entweder stellt das Musical also normierende Geschlechterbilder dar oder aber es lässt diese Normierung hervortreten. Beides wird in unterschiedlicher Weise plausibilisiert, nicht zuletzt auch in der Beschäftigung mit einzelnen, dem Genre zugeordneten Artefakten. Und dennoch kann jenes Spektrum in der Bewertung des Musicals als Ergebnis (und als Weiterführung)119 ein und derselben Sinngebung gelten, denn die grundlegende – konstitutive – Verknüpfung von Genre und Gender gestaltet sich in beiden Positionen identisch. Anhand der Betrachtung des Musicals entlang seiner Darstellung von Geschlechtern eröffnet sich im wissenschaftlichen Diskurs eine Kopplung von Genre und Gender, die beide Kategorien wechselseitig bestimmt. Im Vergleich zum zuvor umrissenen Deutungsmuster verschiebt sich aber die Betrachtungsweise, da der Blick nun auf Gender gerichtet ist und hierin erst das Interesse am Musical begründet wird.120 So dient das Genre zumeist als Einschränkung, es wird mitunter in einer Liste »[f]amiliar examples«121 erwähnt und ermöglicht dadurch die Fokussierung
nimmt und derart eine gesellschaftliche Dimension in der Assoziation des Genres mit seinen ›weiblichen‹ Stars filmisch behandelt. Vgl. Sheila Whitaker: Feminism and Exhibition. Notes by Sheila Whitaker. In: Screen 23.3-4/1982, S. 132-134, hier S. 132 und Carol Flinn: The ›Problem‹ of Femininity in Theories of Film Music. In: Screen 27.6/ 1986, S. 56-73, hier S. 68 sowie exemplarisch zu JOHANNA D’ARC OF MONGOLIA Annette Kuhn: Encounter Between Two Cultures. A Discussion with Ulrike Ottinger introduced by Annette Kuhn. In: Screen 28.4/1987, S. 74-79, hier S. 76 und Kristen Whissel: Racialized Spectacle, Exchange Relations, and the Western in Johanna d’Arc of Mongolia. In: Screen 37.1/ 1996, S. 41-67, hier S. 49 und S. 63. 118 Rose/Friedman: Television Sport as Mas(s)culine Cult of Distraction, S. 29. 119 Wie auch für das zuvor erläuterte Deutungsmuster können die unterschiedlichen Wertungen als Weiterführungen einer Genrekonstitution via Gender gelten, jedoch gestalten sie sich hier äußerst direkt. Von daher sind sie ebenso als ein Ergebnis des Deutungsmusters anzusehen, das sich – wie es die genannten Beispiele in der Bezugnahme zu Dyer zeigen – nicht entlang verschiedener Forschungspositionen differenziert, sondern im Spektrum ihrer Wertungen die Tragweite der Sinngebung erhöht. 120 Da Genre und Gender in beiden Deutungsmustern in ein Verhältnis wechselseitiger Bestimmung gerückt werden, ist die Frage des Ausgangspunkts einer Beobachtung nicht endgültig zu beantworten. Es zeichnet sich aber ein Unterschied in der Dominanz ab, zumal hier nicht ein diskursinterner Konflikt in der Konstitution durch eine Genderdichotomie entsteht, sondern eine Asymmetrie, die Geschlechterbilder genrespezifisch untersucht, das Musical dabei aber un(ter)bestimmt lässt. 121 Barbara Klinger: Film History Terminable and Interminable: Recovering the Past in Reception Studies. In: Screen 38.1/1997, S. 107-128, hier S. 120.
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von Geschlechterbildern, die sich mittels jener Einschränkung als spezifisch für eine soziale und/oder historische Konstellation erweisen (sollen). Und dennoch muss auch hier die Wechselseitigkeit der Verknüpfung hervorgehoben werden, denn obgleich Gender den Ausgangspunkt bilden mag und im Rekurs auf das Musical beobachtet wird, so erlaubt es diese Einschränkung durch das Genre doch erst, die angelegte Perspektive überhaupt herzustellen: Ohne das Musical kann jene Deutung als normierende oder subversive Darstellung nicht plausibilisiert werden, im Grunde gar nicht erst entstehen; ohne Gender bleibt unklar, was das Musical ist, und es erübrigt sich seine Betrachtung. Dabei gelangen aber nicht nur Genre und Gender in eine wechselseitige Bestimmung – vielmehr tritt ihre Verbindung auch äußerst direkt in eine Relation zu den skizzierten Konstruktionsbedingungen wissenschaftlichen Genrewissens, die hierin noch einmal hervortreten können. Insofern die Bestimmung des Musicals in diesem Deutungsmuster eine reziproke Beziehung zu Gender offenbart, gleichzeitig aber auch eine äußerst zentrale Fokussierung geschlechtlicher Konstellationen angelegt wird, lässt sich vermuten, dass Gender bzw. die sich in der Genderrepräsentation spiegelnde Geschlechterordnung den entscheidenden Rahmen bildet, um überhaupt vom Musical zu sprechen. Im Verweis auf seinen Status als Beispiel oder Einschränkung zur Beobachtung von Geschlechterbildern findet demnach sowohl eine Bestimmung des Genres als auch seine Kontextualisierung statt. Und dadurch mag sich sogar die enorme Relevanz dieser Sinngebung erklären – zumal sie im Korpusmaterial selbst betont wird: Etwa stellt Neale in seiner Diskussion des von Altman herausgegebenen Sammelbands Genre: The Musical122 abschließend dar, dass »issues of sexuality, gender and the representation of women in the musical«123 eine produktive Ergänzung bisheriger Überlegungen bilden. Dies betrifft allerdings nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Genre, da Neale zusätzlich noch das von ihm identifizierte Desiderat einer Beschäftigung mit ›Männlichkeit‹ (schon vor seinem Artikel Masculinity as Spectacle) erwähnt124 und weitergehend auch eine Abgrenzung gegenüber anderen filmwissenschaftlichen Zugriffen, etwa gegenüber dem Cahiers du Cinéma, verfolgt.125 Neale leitet also aus der Beschäftigung mit Genderrepräsentationen im
122 Vgl. grundlegend Rick Altman (Hg.): Genre: The Musical. A Reader. London/Boston/ Henley 1981. 123 Steve Neale: Authors and Genres. Two Recent Re-Assessments are considered by Steve Neale. In: Screen 23.2/1982, S. 84-89, hier S. 88. 124 Vgl. ebd., S. 88 f. 125 Neben der Relation zu den skizzierten Konstruktionsbedingungen betrifft die Fokussierung von Genderrepräsentationen in diesem Fall auch den institutionalisierten Charakter der Zeitschrift Screen, wodurch eine weitere Spezifizierung ihres ideologischen Ortes möglich wäre.
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Musical verschiedene Weiterführungen ab und skizziert sowohl thematische Leerstellen als auch Positionierungen innerhalb der Forschung. Diese mögen sich zwar sicherlich nicht allein durch das hier zur Diskussion stehende Deutungsmuster ergeben,126 gleichwohl gelangt es aber zu Relevanz – und zwar eben nicht bloß in seiner genrekonstitutiven Verknüpfung zu Gender. Vielmehr sind es die Konstruktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens, welche in der Beobachtung des Musicals entlang von Genderrepräsentationen äußerst direkt hervortreten und dann weitergehende Überlegungen bezüglich der Wissenschaft selbst, ihrer Desiderate und ihrer Standorte, anschließbar machen. Die bislang noch wenig konkretisierte Betrachtung von Geschlechterbildern formiert ein reziprokes Verhältnis zwischen Genre und Gender, das in besonderem Maße in die Konstruktionsbedingungen des wissenschaftlichen Diskurses eingestellt ist. Doch trotz der Wechselseitigkeit einer Kopplung und trotz der Kontextualisierung des Musicals über Gender entstehen innerhalb dieses Deutungsmusters nicht selten Perspektiven, die merkwürdig unscharf in ihren Genreausführungen sind – obwohl Geschlechterbilder hierin grundlegend als genrespezifisch untersucht werden. Dies kann zunächst über die interkategoriale Verknüpfung selbst eine Begründung erfahren, denn beide Kategorien werden zirkulär in eine Verbindung gesetzt, sodass es letztlich in der Gestaltung von Prämissen zur Re-Etablierung statischer Bestimmungen kommt. Und diese stehen, obgleich Gegenteiliges intendiert ist, einer genauen Betrachtung entgegen: Indem auf der einen Seite die Beobachtung von Geschlechterbildern im Sinne ihrer dynamischen Signifikation erfolgt, ihr Verhältnis zu gesellschaftlichen Erscheinungen diskutiert wird und bereits dadurch nicht als ›reine‹ Abbildung gelten kann – zugleich jedoch auf der anderen Seite eine Einschränkung durch das Musical vorgenommen wird und sich diese nur mittels der diskutierten Geschlechterbilder ergibt, so wird die Repräsentation von Gender vordefiniert, und zwar über einen wenig reflektierten Genrebegriff. Die Einschränkung durch das Musical unterminiert die eigentliche Dynamik im Ansatzpunkt des Deutungsmusters und lässt sich letztlich nur zirkulär begründen, denn das Musical zeichnet sich durch die anhand des Musicals untersuchten Geschlechterbilder aus. Dadurch führt diese Sinngebung ihre eigenen Grenzen relativ offensichtlich vor – und zwar in der interkategorialen Verknüpfung selbst. Doch dies ist nicht das einzige Resultat der Kopplung von Genre und Gender. Sie führt nämlich auch Grenzen anderer Deutungsmuster vor und kann als Reaktion auf andere Sinngebungen innerhalb des Diskurses deren Erweiterung forcieren.
126 So ist etwa darauf zu verweisen, dass die Verortung gegenüber dem Cahiers du Cinéma auch aus Neales Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Auteur und Genre erwächst und sich keinesfalls allein über die Fokussierung von Geschlechterbildern im Musical begründet. Vgl. Neale: Authors and Genres, S. 85.
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Dies betrifft interessanterweise häufig Genrebestimmungen, sodass sich – trotz der eher beiläufigen Erwähnung des Musicals – behaupten lässt: Die inkonsistenten Bezugnahmen zum Genre sind nicht nur symptomatisch für seine zirkuläre Definition über Geschlechterbilder, sondern auch produktiv für seine weiteren, im Diskurs prozessierten Bestimmungen.127 Die Verknüpfung von Genre und Gender ist folglich als ambivalent zu beschreiben; sie führt nicht bloß die Probleme des Deutungsmusters vor, sondern tritt auch als Ergänzung, mitunter als Korrektiv anderer Deutungsmuster auf. Ein besonders deutliches Beispiel hierzu bildet Nadine Wills’ Artikel ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, insofern ein Anschluss an die zuvor dargestellte Sinngebung geschieht, der Schwerpunkt aber von der narrativen Besonderheit des Genres auf eine gesellschaftliche Dimension von Gender verlagert wird.128 Wills betrachtet den crotch shot129 und äußert die Annahme, dass dieser dazu führt, dass das Musical zur Naturalisierung und gesellschaftlichen Normierung der »often unstable relationship between gender (femininity) and sex (female)«130 beiträgt. Eine spezifische Konstellation in der Blickanordnung, der crotch shot, lässt als Inszenierungsstrategie eine spezifische Genderkonstellation im Musical entstehen, welche Wills terminologisch als ›110 Per Cent Woman‹ bündelt. Und genau diese ist in der ›Übereinstimmung‹ von Sex und Gender als »excessively delineated femininity«131 durch soziohistorische Aspekte zu rahmen, etwa als Reaktion auf den
127 Dabei ist zu beachten, dass die Problematisierung anderer Sinngebungen immer auch eine Interpretation dieser darstellt. Insofern zeichnen sich nicht nur Prozesse ab, die die Wirkmacht bestimmter Sinngebungen demonstrieren, sondern auch ihre Rezeption innerhalb des Diskurses offenlegen. 128 Obgleich dieser Artikel durch die äußerst zentrale Betrachtung des Musicals, welches schon im Titel erwähnt wird, untypisch für das untersuchte Material erscheint, so ist er als Beispiel gleich mehrfach – für das Deutungsmuster selbst, für dessen Ambivalenz und für die damit verbundene Position innerhalb des Diskurses – von Interesse. Der exemplarische Status mag also durchaus zu kritisieren sein, neben den erwähnten Faktoren erlaubt es diese Auswahl aber auch, ein (sogar historisch) größeres Spektrum des Korpus wiederzugeben. 129 Laut Wills ist hier nicht bloß eine Kameraeinstellung gemeint, sondern eine spezifische Konstellation in der Blickanordnung. Unter crotch shot versteht sie »any particular moment when attention is drawn to the female genital area, either diegetically (by movement, costume, set, and so on) or technically (through cutting, framing or camera movement).« Nadine Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical. In: Screen 42.2/2001, S. 121-141, hier S. 124. 130 Ebd., S. 122. 131 Ebd., S. 121.
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»women’s entry into the workforce«132 zu begreifen. Von daher versteht Wills das Musical als Ausdruck einer Geschlechterordnung, die sich in der Verbindung von Sex und Gender auszeichnet und auf ihre gesellschaftlichen Grundlagen hin zu befragen ist. Interessant ist diese Beschreibung gleich in mehrfacher Hinsicht. So wird hier eine Effeminierung betrachtet, die nicht, wie es Neale bezüglich des Musicals behauptet, ausschließlich den ›Mann‹, sondern auch die ›Frau‹ umfasst: Vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Verständnisses »based on assumptions about gender as distinct from sex, ideas about gender performativity (Judith Butler) and femininity as masquerade (Joan Riviere and Mary Ann Doane)«133 ermöglicht sich bei Wills eine Beobachtung der Verbindung von Sex und Gender. Genau diese bewirkt Wills zufolge im crotch shot eine Naturalisierung, sie leistet eine Effeminierung der ›Frau‹ und spiegelt derartige soziohistorische Prozesse. Anstelle der Vorgängigkeit von Sex wird ebendiese als Resultat einer bestimmten Inszenierung begriffen in dem Sinne, dass eine Repräsentation von Gender erfolgt, die jene Vorgängigkeit als Sex herstellt – und zwar in der Konstruktion einer ›Deckung‹ von Sex und Gender entlang des crotch shot. Dadurch umfasst sie, wie es auch die Beispiele um Shirley Temple oder Sonja Henie verdeutlichen sollen,134 sogar einen »potentially problematic female body«.135 Mit dieser Perspektive widmet sich Wills also implizit dem bei Neale problematischen Verhältnis zwischen ›Mann‹ und ›Männlichkeit‹ und leistet zugleich eine Betrachtung, die die soziohistorische Relevanz einer Verbindung von Sex und Gender pointiert. Sie kann darin allerdings auch als Teil einer Deutung gelten, die das Musical an ›Weiblichkeit‹ bindet, womit – wie es etwa Conrich und Tincknell darstellen136 – zugleich Wertungen implementiert werden.137 Die hier umrissene Betrachtung wird, wie es Wills schon eingangs in einer Anmerkung darstellt, »[f]or the purposes of this essay«138 anhand des Musicals erläutert. Dieses trägt zu jener Normierung in der Verbindung von Sex und Gender bei
132 Ebd., S. 122. 133 Ebd. [in Anm.]. 134 Vgl. ebd., S. 130-133. 135 Ebd., S. 132. 136 Vgl. nochmals Conrich/Tincknell: Introduction, S. 2. 137 Nicht zufällig greift Wills daher auch eine eskapistische Wertung auf, die an das zuvor dargestellte Deutungsmuster anschließt, hier aber die gesellschaftliche Relevanz – eine illusorische Haltung des Genres und der Geschlechterordnung der 1930er Jahre – betont. Vgl. Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, S. 127. 138 Ebd., S. 121 [in Anm.].
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und dient darin als Artikulation solcher gesellschaftlichen Phänomene. Außerdem wird das Genre von Wills genutzt, um Differenzierungen zu entwickeln, etwa zwischen einem »›posed‹ crotch shot«139 und einem »accidental crotch shot«.140 Allerdings liegt genau in dieser ›nützlichen‹ Einschränkung eine Spannung, die die Verknüpfung von Genre und Gender betrifft. Auf der einen Seite steht mit dem crotch shot und – wichtiger noch – mit dem gesellschaftlichen Phänomen einer normierenden Verbindung von Sex und Gender eine weitläufige Erscheinung, die, wie Wills gleich mehrfach betont, nicht genrespezifisch ist. Es handelt sich beim crotch shot weder um ein genuines Musicalmerkmal, noch ist er in seiner Geschichte und Verwendung ausschließlich an das Genre gebunden – »[t]he crotch shot is not confined to the musical as a genre.«141 In Bezug zu verschiedenen genretheoretischen Überlegungen142 betont Wills zwar seine Relevanz und untersucht ihn als »part of the generic iconography of the US film musical«,143 sie hebt aber ebenso die Weitläufigkeit dieser Blickanordnung abseits des Musicals hervor. Und für die mit dem crotch shot verbundene Genderrepräsentation ist dies noch bedeutender – wird sie ja als Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses, der Verknüpfung sozialer und biologischer Vorstellungen von Geschlecht, verstanden, womit sie etwa auch »within the sociohistorical context of US concepts of female dress«144 oder als »one of the central body techniques«145 zu berücksichtigen ist. Es wird folglich eine Inszenierungsweise betrachtet, die sich unter anderem im Musical findet, grundlegend aber als Basis einer historischen Perspektive auf ›Weiblichkeit‹ fungiert; die Repräsentation von Gender wird zwar anhand des Musicals untersucht, in keiner Weise jedoch auf dieses begrenzt.
139 Ebd., S. 126. 140 Ebd. 141 Ebd., S. 123. Auch in Kontrast zu Altman und Lucy Fischer kommt Wills zu dem Schluss: »However, the crotch shot was neither simply a reductive signifier of femininity in the Hollywood musical nor was it limited to Berkeley’s films or to 1930s musicals generally.« Ebd., S. 125. 142 Etwa greift Wills neben Altman und Fischer auch Dyers (vgl. ebd., S. 122), Gerald Masts (vgl. ebd., S. 125 f.) sowie Feuers (vgl. ebd., S. 128) Betrachtungen zum Musical auf und nimmt eine Erweiterung des Konzepts der body genres von Linda Williams vor (vgl. ebd., S. 138). In all diesen Bezügen wird stets die Relevanz des crotch shot und des ›weiblichen‹ Körpers betont, sodass teils Abgrenzungen erfolgen, häufiger aber noch ergänzende Verbindungen hergestellt werden. 143 Ebd., S. 124. 144 Ebd., S. 123. 145 Ebd., S. 124.
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Demgegenüber steht allerdings die Einschränkung, die Wills durch das Musical vornimmt. Diese mag als nützlich gelten und sicherlich Potenziale bergen. Außerdem ist sie in der Wissenschaftlichkeit der Betrachtung ›vorgegeben‹, denn diese basiert auf einer Einbindung des Genres in weiter gefasste Überlegungen, die sich hier als Analyse einer historischen Geschlechterordnung, als Entschlüsselung einer Naturalisierungsstrategie und als Erläuterung des crotch shot gleich mehrfach jener Konstruktionsbedingung, der Kontextualisierung des Musicals, verschreiben. Und dennoch ist markant, dass die Einschränkung durch das Genre – bis auf das zitierte Nützlichkeitspostulat und mit ihm eine historische Begrenzung – nicht weiter ausgeführt oder begründet wird.146 Vielmehr kommt es sogar zur Umkehrung: Fragt man danach, was bei Wills das Musical auszeichnet, so gelangt man zu den von ihr analysierten Geschlechterbildern. Bei Wills werden diese in Ermangelung einer Thematisierung der gewählten Einschränkung zwangsläufig zum bestimmenden Kriterium, anhand dessen überhaupt erst beurteilt werden kann, was das Genre ist. Betrachtet Wills einleitend das Musical noch als ein Beispiel für die von ihr beschriebene Genderkonstellation und begreift es als Spiegel einer Geschlechterordnung samt ihrer »most significant ›problems‹ between 1933 and 1957«,147 so ist umgekehrt das Musical allein durch ebenjene Genderkonstellation zu perspektivieren. Genau hierin wird eine Genrebestimmung geleistet, die zirkulär verfährt: Das Musical kennzeichnet sich durch eine Genderrepräsentation, die sich wiederum erst anhand des Musicals zeigt; es kann als Einschränkung für die von Wills behauptete Effeminierung in der Verbindung von Sex und Gender dienen, weil es durch die Darstellung einer Effeminierung in der Verbindung von Sex und Gender bestimmt ist. Genre und Gender stehen demnach in einer Wechselseitigkeit, die sich aufgrund der jeweils vorausgesetzten Perspektiven gestaltet, sodass die Kategorien in ihrer gegenseitigen Bedingtheit zu zirkulär begründeten Größen geraten. Dieses Verhältnis kann als charakteristisch für die hier skizzierte Sinngebung gelten und führt nicht selten in eine Re-Etablierung essentialisierender Verständnisse. So wird zum einen, wie es bei Wills trotz der Trennung von Sex und Gender geschieht, eine Dichotomie impliziert, deren Statik sich zwar erst als Resultat der von ihr beschriebenen Effeminierung behauptet – die aber dennoch auch in der Auseinandersetzung mit einzelnen Stars und ihrer potenziell ›problematischen‹ Körperlichkeit beibehalten wird.148 Außerdem gelangt Wills schon einleitend in einen
146 Von daher erklärt sich auch die eingangs umständliche Formulierung der Annahme Wills’: Zum einen wird die Naturalisierung von Gender via crotch shot untersucht, zum anderen eine Einschränkung durch das Musical vorgenommen – die Relation beider Ansätze bleibt jedoch außen vor. 147 Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, S. 122. 148 Vgl. beispielsweise ebd., S. 124 f.
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argumentativen Fallstrick, denn die effeminierte ›Frau‹, die ›110 Per Cent Woman‹, ist laut ihr das Ergebnis eines »female body where sex and gender are […] codependent, stereotyped and stylized«.149 Gerade hier sind Sex und Gender kaum entsprechend der von Wills genannten konstruktivistischen Ansätze zu trennen, denn wenn ein »female body« den Ausgangspunkt einer Effeminierung darstellt, so schleicht sich doch wieder eine Bestimmung ein, die (ähnlich zu Neale) Sex als vorgängig ausweist. Zum anderen wird ein Genrebegriff angelegt, der mittels Gender in eine Merkmalsmenge führt und auch hierin ein vorgängiges Verständnis erzeugt. Wie es Braidt als allgemeine Tendenz darstellt, ermöglicht sich durch die Fokussierung von Genderrepräsentationen eine Genrebestimmung, die beide Kategorien festschreibt – und zwar selbst dann noch, wenn sie eigentlich als dynamische Größen gelten.150 Dies findet im Beispiel gleich mehrfach statt, etwa wenn Wills darauf verweist, dass »problematic female bodies […] essential to the musical«151 sind oder behauptet: »As a genre, the musical populates itself with […] a repetitious mono-femininity.«152 Diese Ansätze beruhen zwar auf einer dynamischen Konzeption von Gender und leisten – als Konventionen verstanden – eine historisch flexible Bestimmung des Musicals, gleichfalls entsteht hier aber auch ein statisches Verständnis, das sich schon sprachlich als Notwendigkeit zur Bestimmung begreifen lässt (»essential«) und das die weitere Betrachtung Wills’ – samt der zugedachten Funktion des Genres in der Verbindung von Sex und Gender – stützt. Von daher verfährt die zugrundeliegende Verknüpfung spannungsvoll; sie führt die Probleme einer zirkulären Bestimmung über Geschlechterbilder vor, indem sie argumentative Schwierigkeiten entstehen lässt. Obwohl eigentlich eine historische Situierung des Genres und vor allem seiner Geschlechterbilder verfolgt wird, obwohl Sex und Gender unterschieden werden und obwohl mit dem Fokus auf Inszenierungsweisen performative Hervorbringungsmechanismen fokussiert werden könn(t)en, gelangt Wills auch in gegenteilige Tendenzen, die sich über die Re-Etablierung einer Vorgängigkeit von Sex (als Grundlage von Gender) und über die Re-Etablierung einer statischen Genrebestimmung (als Merkmalsmenge des Musicals) zeigen. Und genau diese Gestaltung von Prämissen, die dem eigentlichen Verständnis entgegenstehen, wird auch in den vielfältigen Zusammenhängen deutlich, die in diesem Deutungsmuster berücksichtigt werden. So steht die Interpretation durch Geschlechterbilder mitunter in Nähe zur
149 Ebd., S. 121. 150 Vgl. Braidt: Film-Genus. Zu einer theoretischen und methodischen Konzeption von Gender und Genre im narrativen Film, S. 46. 151 Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, S. 131. 152 Ebd., S. 136.
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Beobachtung anderer soziokultureller Kategorien, von denen insbesondere Race und Class betont werden.153 Allerdings zeichnet sich hierin schon konzeptionell ein Unterschied ab, der mit der Tendenz zur Re-Etablierung essentialisierender Verständnisse konträr zum eigentlich dynamischen Ansatzpunkt zu verbinden ist. Dies zeigt sich etwa bei Jo Labanyi. Labanyi, der in seinem Artikel einen genrevergleichenden Zugriff auf das spanische Kino während des Franco-Regimes wählt, betont die Verknüpfung von Gender und Race im Rahmen einer Fokussierung signifikatorischer Prozesse innerhalb des folkloric musical.154 Diesbezüglich heißt es: »[T]he racial other is figured as female or as a feminized male.«155 Neben der Effeminierung ›männlicher‹ Figuren156 wird hier gerade die Beziehung zwischen Race und Gender genutzt, um eine komplexe Beziehung zwischen filmsicher Repräsentation und außerfilmischem Korrelat zu behaupten, denn genau diese Inszenierungsstrategie wird im Verlauf des Artikels als Potenzial einer Identifikation für »spectators belonging to groups categorized as ›other‹«157 diskutiert. Dadurch kann Labanyi letztlich zeigen, dass die von ihm betrachteten Genres nicht nur »as the regime’s mouthpiece«158 fungieren, sondern auch »resistent readings«159 ermöglichen. Doch demgegenüber gestalten sich Prämissen, die der Annahme eines komplexen Signifikationsprozesses zumindest für Gender entgegenstehen. So findet bei Labanyi weder eine Umkehrung der behaupteten Inszenierung statt, noch wird die
153 Vgl. hierzu auch die Einschätzungen innerhalb des Materials selbst bei Robert Stam/ Louise Spence: Colonialism, Racism and Representation. An Introduction by Robert Stam and Louise Spence. In: Screen 24.2/1983, S. 2-20, hier S. 7 sowie bei Klinger: Film History Terminable and Interminable: Recovering the Past in Reception Studies, S. 120. 154 Der Begriff folkloric musical wird als Übertragung des spanischen folklórica genutzt und teils auch schlicht als musical übersetzt, obgleich man zunächst einen Unterschied entlang der verschiedenen sprachlichen Praktiken betonen möchte. 155 Jo Labanyi: Race, Gender and Disavowal in Spanish Cinema of the Early Franco Period: The Missionary Film and the Folkloric Musical. In: Screen 38.3/1997, S. 215-231, hier S. 216. 156 Interessanterweise wird die Effeminierung ›männlicher‹ Figuren hier allerdings nicht (wie etwa bei Neale) im Verhältnis von Narration und Spektakel verortet. Labanyi hingegen fokussiert jene Effeminierung durch »the role of seductive others endowed with the ability to voice emotion«, nimmt also ein gesangliches Talent, das zugleich eine Genrekonvention in Musikstücken und Emotionalität herstellt. Ebd., S. 229. 157 Ebd., S. 217. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 216.
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Interdependenz in der Hervorbringung unterschiedlicher Kategorien genauer verfolgt – und zwar obwohl Race und Gender als »inseparably linked«160 gelten. Beispielsweise wird das racebezogene ›Other‹ also im effeminierten ›Mann‹ oder in der ›Frau‹ dargestellt, dass diese Inszenierung umgekehrt aber auch das genderbezogene ›Andere‹ mittels Race auszeichnet, bleibt in Labanyis Artikel außen vor161 und wird nicht als Potenzial einer ›resistenten‹ Rezeption entworfen.162 Dies ist markant, da Labanyi zwar behauptet, dass Zuschauende in die Identifikationsposition ›weiblicher‹ Figuren gerückt werden und weitergehend hierdurch gezeigt werden kann, dass Sex eine Form von Gender ist.163 Allerdings steht dies gerade nicht in Bezug zur Genderrepräsentation, da diese laut Labanyi ›nur‹ zur filmischen Konstruktion von Race beiträgt und darin wiederum erst eine abweichende Identifikation ermöglicht wird. Durch das ›Zwischenschalten‹ von Race, durch die von Labanyi behauptete und nur einseitig betrachtete Hervorbringung von Race durch Gender, verliert sich ein entscheidender Teil der Argumentation – stellt sich doch die Frage, warum die Identifikation mit ›weiblichen‹ Figuren gleichbedeutend mit der Kenntlichmachung der Konstruiertheit von Sex ist, insofern Gender doch eigentlich zur Repräsentation von Race beiträgt und diese erst identifikatorische Relevanz besitzt. Zumindest wird aber – gleich mehrfach – hinter die Annahme einer dynamischen Konzeption zurückgefallen, wenn es um die Hervorbringung von Gender geht: Zunächst gestaltet sich die Beschreibung über eine Dichotomie, welche die Vorgängigkeit von Sex impliziert und gerade in der Markierung als Effeminierung, ähnlich wie bei Neale, zum Problem wird. Hier sind auch die genannten Faktoren in der Konstruktion von Gender nicht mit denen von Race identisch, sondern legen eher ein außerfilmisches Korrelat nahe, das als solches (!) die filmische Darstellung von Gender determiniert.164 Und schließlich wird dies durch die fehlende Begründung in der Gleichset-
160 Ebd. 161 Allein für den missionary film wird dies als »[m]iscegenation [...] construed as the incorporation of the female native other into the individual and collective male colonizing body« erwähnt. In der Verwendung von Musik und Tanz parallelisiert Labanyi dieses Genre zwar mit dem (folkloric) musical, eine weitere Darstellung der Konstruktion von Gender durch Race wird jedoch nicht vorgenommen. Ebd., S. 219; vgl. auch zum Verhältnis der Genres ebd., S 220. 162 Die einzige Ausnahme bildet die Erwähnung eines aktuellen »revival with Spanish gay audiences«. Dies steht aber weder in Bezug zur Rezeption während des FrancoRegimes noch wird hier eine abweichende Lesart unterstellt. Ebd., S. 230. 163 Vgl. ebd. 164 So sind in der Auseinandersetzung mit Gender nicht filmische Inszenierungen relevant, sondern vornehmlich Stars und Paratexte. Vgl. ebd., S. 225.
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zung einer Identifikation mit ›weiblichen‹ Figuren und der Kenntlichmachung der Konstruiertheit von Sex noch virulenter – impliziert dies doch womöglich, dass eine ›abweichende‹ Identifikation mit ›abweichenden‹ Konzeptualisierungen einhergeht, dass die eingenommene Perspektive ›weiblicher‹ Figuren eine Perspektive auf Gender zur Folge hat, die den historischen Konstellationen nicht entspricht – zumindest sofern in den historischen Kontexten des Franco-Regimes denn die Natürlichkeit von Geschlecht vorausgesetzt wird. Diese Dopplung einer Abweichung führt also unter Umständen dazu, ihre periphere Verortung noch zu verstärken. Während Labanyi allerdings die Aktivität der Rezipierenden gegenüber der historischen Situation des Franco-Regimes betont und sich dadurch jene ›Schieflage‹ in der Tendenz zu statischen Verständnissen über Gender (konträr zu Race) erklären mag, so ist Wills hingegen mehr noch an Signifikationen interessiert, die sie in Bezug zu historischen Geschlechterordnungen nachzeichnet und durch das Musical einschränkt. Genau darin wird jedoch deutlich, dass die statischen Voraussetzungen nicht einseitig als Effekte einer Verknüpfung von Genre und Gender gelten können; zwar führt die Verbindung der Kategorien aufgrund ihrer Zirkularität in Probleme, die die Bestimmung des Musicals über Geschlechterbilder betreffen – sie führt aber auch Probleme anderer Genrebestimmungen vor. Im Grunde wird sie gar zu einem Korrektiv und demonstriert die Notwendigkeit von Ergänzungen, die bei Wills das zuvor dargestellte Deutungsmuster um narrative Anordnungen betreffen. Anhand von Wills’ Artikel können einige Felder skizziert werden, die die Fallstricke einer Genrekonstitution über Geschlechterbilder deutlich machen; gerade die Tendenz zu statischen Verständnissen aufgrund der zirkulären Argumentation mag diese Spannung einer Sinngebung, die sich selbst in Zweifel zieht, hervortreten lassen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang aber nicht bloß, dass das Deutungsmuster relativ offensichtlich Schwierigkeiten in der angelegten Bestimmung des Musicals gestaltet. Vielmehr sind diese Ansätze auch innerhalb des Diskurses zu verorten. Und dazu gibt Wills explizit Auskunft. So macht sie schon einleitend darauf aufmerksam, dass sie nur Filme behandelt, »in which song and dance are an essential part of the musical spectacle.«165 Diese Einschränkung, die nicht bloß in der Unschärfe einer solchen Konstruktion (›Musical-Spektakel‹ oder ›musikalisches Spektakel‹?) Zweifel hervorruft, wird im Verlauf des Artikels an Geschlechterbilder gebunden. Etwa heißt es abschließend in Bezug zur soziohistorischen Relevanz der identifizierten Geschlechterbilder: »In the musical, all problems and resolutions are displaced onto performances of femininity and onto the sexual spectacle embodied by the ›110 per cent woman‹.«166
165 Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, S. 121 [in Anm.]. 166 Ebd., S. 138.
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Die von Wills angeregte Genredefinition wird durch die einschränkende Betrachtung über »musical spectacle« nicht nur ein Stück weit(er) redundant und steht somit im Kontext ihrer zirkulären Argumentation. Vielmehr ergibt sich in der eingangs formulierten Einschränkung und ihrer weiteren Bindung an Genderrepräsentationen auch eine andere Konsequenz: Der Artikel lässt sich als Reaktion auf die Deutung entlang narrativer Besonderheiten des Musicals begreifen. Dies hebt Wills sogar hervor, wenn sie im Rückgriff auf Mulvey abschließend versucht, die für die Narration des Musicals zentrale Formel »woman=spectacle«167 zu erweitern.168 In dieser Hinsicht tritt Wills’ Bestimmung des Musicals – seine effeminierende Repräsentation der ›Frau‹ – als Ergänzung auf, wobei dies nicht Ersatz bedeutet, denn Wills hält immer noch an einem Spektakel fest, allerdings eben im Verweis auf Geschlechterbilder, auf die Verbindung zwischen der Repräsentation und ihrem soziohistorischen Korrelat. Dadurch schließt sie sich zunächst einer Betrachtung von Gender an; wie auch bei Mulvey wird die spektakelhafte Inszenierung der ›Frau‹ als Ausdruck einer Ideologie und ihrer gesellschaftlichen Wirkung verstanden. Der Unterschied aber besteht in der Konsequenz für das Musical, denn wenn es als Spiegel eines gesellschaftlichen Phänomens begriffen wird, dann kann Gender nicht ›nur‹ für seine Narration relevant sein und ist entsprechend auch abseits dieser zu untersuchen – als »complicated negotiation«,169 dessen Ergebnis zwar mit Mulveys Einschätzung übereinstimmt, dessen Analyse mit Blick auf das Musical jedoch zu korrigieren ist.170 Wills greift also gerade nicht auf die von Mulvey behauptete Wertung als patriarchale bzw. phallozentrische Inszenierung zurück, um diese zu ergänzen; im Grunde schließt sie sich sogar an. Wills greift aber sehr wohl auf die sich bei Mulvey abzeichnende Musicaldefinition zurück und forciert deren Erweiterung. Auf den Punkt gebracht: Wills sieht, wie es auch Mulvey tut, eine prekäre Machtrelation in der filmischen Konstruktion von Gender – diese ist aber konträr zu Mulvey für das Musical nicht nur im (ebenfalls prekären) narrativen Spektakel einer Inszenierung der ›Frau‹ gegeben, sondern auch abseits dessen, etwa im crotch shot, nachzuzeichnen und darin sogar ein Stück weit zu differenzieren.171 Das Genre ge-
167 Ebd., S. 141. 168 Dass Wills in Reaktion auf eine Deutung durch narrative Anordnungen steht, wird auch einleitend – in der Kritik an der »overall structure of the musical« entlang der Zurschaustellung von ›Weiblichkeit‹ – deutlich. Ebd., S. 122. 169 Ebd., S. 141. 170 Für diese Erweiterung ist es im Übrigen völlig unmaßgeblich, ob sie bei Mulvey schon angelegt ist. Vielmehr handelt es sich hier um eine Interpretation, die Wills an Mulveys Artikel heranträgt. 171 Diese Tendenz ließe sich gleich in doppelter Weise pointieren – in der Differenzierung des crotch shot und in der historischen Verortung des Musicals. Allerdings zeigt sich
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langt so zu Komplexität, denn in dieser Umakzentuierung wird deutlich, dass – trotz der zunächst anklingenden Statik aufgrund der zirkulären Bestimmung – Spuren gelegt werden, die ebendieser Statik entgegenwirken. Allerdings betrifft dies dann andere äußerst wirkmächtige Ansätze, wie den um narrative Anordnungen und spektakelhafte Inszenierungen von Gender.172 Neben weiteren Gesichtspunkten, die dafür sprechen, dass Wills’ Artikel in der Verknüpfung von Genre und Gender nicht nur Probleme des interkategorialen Bezugs demonstriert, sondern ebenso Ergänzungen formiert,173 lassen sich auch andere Beiträge heranziehen, die in ähnlicher Weise zeigen, dass das Deutungsmuster – bei all seinen Schwierigkeiten in der Kopplung zu Gender – Öffnungen anregt, die vornehmlich das Musical und seine Definition im wissenschaftlichen Diskurs betreffen. So bleibt etwa bei Kathleen K. Rowe völlig offen, was die »heavy artillery of the musical and its conventions«174 meint, wenn sie diese anführt, um zu zeigen, dass die gesellschaftlich wirksame Spannung zwischen einer »female unruliness and its opposite, the ideology of the self-sacrificing wife and mother«,175 allein im Rückgriff auf das Genre gelöst werden kann. Dadurch entsteht wiederum eine zirkuläre Bestimmung mittels Geschlechterbildern; nur die von Rowe anhand des Musicals analysierten Genderrepräsentationen können für das Musical kennzeichnend sein. Zugleich eröffnet sich aber eine Erweiterung, denn Rowe fokussiert interessanterweise eine Serienepisode176 und legt dadurch Spuren zur Betrachtung des Genres außerhalb von Film oder Theater, wie es nicht nur in der Wissenschaft sonst üblich erscheint.177 Und auch Labanyi, der für Gender, wie gezeigt, in problema-
entlang der Re-Etablierung eines statischen Genreverständnisses auch Gegenteiliges, sodass die angeregte Erweiterung letztlich ebenfalls ambivalent verfährt. 172 Im Grunde regt Wills sogar Diskursivierungen an, wenn sie darauf verweist, dass der crotch shot »a sociohistorical als well as textual convention« darstellt und in einem »whole set of similar discourses« zu untersuchen ist. Dies spricht allerdings gegen Wills’ eigenen Zugriff, insofern die genrespezifische Einschränkung um das Musical auch in dieser Hinsicht unzureichend erscheint. Wills: ›110 Per Cent Woman‹: The Crotch Shot in the Hollywood Musical, S. 124. 173 Der häufige Einschub zum Musical »as a genre« legt womöglich gar nahe, dass sich Wills der ambivalenten Begrifflichkeit annimmt und diese sowohl aufzuzeigen als auch aufzulösen versucht. 174 Rowe: Roseanne: Unruly Woman as Domestic Goddess, S. 418. 175 Ebd., S. 415. 176 ROSEANNE (USA 1988-1997): SWEET DREAMS (dt. EIN TRAUM VOLL SEIFENSCHAUM), S02 E08, R: John Pasquin, Erstausstrahlung USA 07.11.1989. 177 Dass das Musical häufig auf Theater oder Film eingeschränkt wird, zeigt sich nicht zuletzt auch in der Annäherung an die Typizität einzelner Artefakte (Anhang 1) – hier ist
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tische Tendenzen gerät, gesteht dem Genre bereits sprachlich Öffnungen zu: Er betrachtet das folkloric musical, das den spanischen Begriff folklórica übersetzen soll,178 wobei genau daraus eine Unschärfe entspringt, wenn er zugleich das Verhältnis gegenüber dem Musical (etwa im Sinne eines Subgenres oder einer kulturspezifischen Adaption) unbehandelt lässt. Hierin kann sein Artikel als Reaktion auf wirkmächtige Einschränkungen, auf die häufige Betrachtung des Hollywoodmusicals, gelten, insofern er sich einer Differenzierung und damit verbunden auch einer Hierarchisierung entgegenstellt. Außerdem tun sich in der variierenden Begriffsverwendung um einzelne Artefakte (mal sind es folklóricas, mal folkloric musicals, mal musicals) Synkretisierungen auf – bleibt doch unklar, in welchem Verhältnis die Beschreibungen stehen, sodass sie womöglich gar Kombinationen darstellen. Die hier exemplarisch umrissenen Erweiterungen sind keinesfalls reduktionistisch in der Verknüpfung von Genre und Gender zu begründen, dennoch bleibt aber markant, dass wenn eine Betrachtung genrespezifischer Geschlechterbilder erfolgt, solche Tendenzen äußerst direkt identifiziert werden können. Und dies, obwohl der Ansatzpunkt der Deutung in der Repräsentation von Gender liegt und das Musical darin zumeist nur beiläufig als Einschränkung dient. Dadurch zeigt sich zunächst, dass die hier prozessierten Ergänzungen weniger innerhalb eines Ansatzes verortet sind, dass sie nicht als Weiterführungen der zugrundeliegenden Sinngebung durch Geschlechterbilder gelten können. Es sind nicht Bezüge, die sich, wie es bei Neale geschieht, wenn er auf Mulvey verweist, in ein und demselben Deutungsmuster abspielen – zumal sehr unterschiedliche Aspekte als Ergänzungen auftreten, von einer Öffnung anderer Verknüpfungen, wie bei Wills, bis hin zur Erweiterung der sprachlichen Unschärfe, wie bei Labanyi. Die skizzierten Korrekturen beziehen sich stattdessen auf andere Deutungsmuster, auf andere im Diskurs prozessierte Genrebestimmungen. Und dadurch ergibt sich eine weitere Konsequenz, denn obgleich die Genrekonstitution im Verweis auf Geschlechterbilder zirkulär verfährt, so ist dies doch nicht das einzig relevante Moment in der Diskursivierung einer solchen Verbindung. Vielmehr ist die Verknüpfung von Genre und Gender, wie sie diesem Deutungsmuster zugrunde liegt, in ihrem diskursiven Auftreten zu untersuchen, sie ist, wie es bereits die jeweiligen Bezugnahmen zu anderen Sinngebungen deutlich machen, als diskursinhärentes Phänomen zu perspektivieren und kann dahingehend als ambivalent gelten, denn: Die Grenzen dieses Ansatzes werden zwar vorgeführt, aber auch Grenzen anderer Ansätze werden aufgezeigt; es ergibt sich eine Beidseitigkeit – eine sich (durch ihre
dies jedoch ebenso als ein Materialeffekt durch die Auswahl der Screen bedingt. Vgl. zu Letzterem Kapitel 3.5. 178 Vgl. Labanyi: Race, Gender and Disavowal in Spanish Cinema of the Early Franco Period: The Missionary Film and the Folkloric Musical, S. 216.
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Zirkularität) selbst in Zweifel ziehenden Deutung, die (über Öffnungen) andere Deutungen in Zweifel zieht. Diese Ambivalenz basiert also nicht, wie im zuvor skizzierten Deutungsmuster, auf einer in der Sinngebung auftretenden Widersprüchlichkeit, sondern liegt im eigentlichen Zugriff. Während der Hervorbringung von Gender Aufmerksamkeit geschenkt wird, wird vorausgesetzt, was überhaupt das Musical ist, insofern es zirkulär durch seine Geschlechterbilder bestimmt wird. Diese Geschlechterbilder sind in einen dynamischen Signifikationsprozess eingestellt, wodurch sich auch eine dynamische Bestimmung des Musicals eröffnen müsste. Dies geschieht allerdings erst über Leerstellen anderer Sinngebungen, über die Notwendigkeit von Ergänzungen, womit sich schließlich eine Dynamik des Genres innerhalb des Diskurses, nicht aber in seiner Konstitution innerhalb des Deutungsmusters abzeichnet. Während auf den ersten Blick also schlicht eine Einschränkung durch das Musical zur Beobachtung von Geschlechterbildern vorgenommen wird, so erweist sich diese Bezugnahme als durchaus komplex; während die Verknüpfung im Deutungsmuster selbstäußerst spannungsvoll verfährt, so gestaltet sie sich innerhalb des Diskurses äußerst produktiv.
3.5 E IN D EUTUNGSGEWEBE : Z UR ARTIKULATION EINER K ATEGORIENKRISE IN DER ASSOZIATION VON S INNGEBUNGEN Fokussiert man innerhalb des wissenschaftlichen Musicaldiskurses Kopplungen zu Gender, so zeigt sich, dass diese großen Einfluss auf die Konstitution des Genres haben. Erst im Verweis auf Gender erfolgt eine Bestimmung des Musicals, umgekehrt wird aber auch erst anhand des Musicals eine Beobachtung von Gender geleistet.179 Die Verknüpfung beider Kategorien ist darin als wechselseitig auszuweisen und lässt sich besonders deutlich anhand zweier Sinngebungen nachzeichnen: Zum einen wird das Musical durch seine narrative Anordnung gekennzeichnet, wobei die spektakelhafte Inszenierung von Gender zu einem Genremerkmal wird, das die Sphären um Fortgang und Stillstand einer Narration trennbar macht. Dies eröffnet eine Genrebetrachtung, die die Genderdichotomie zur Differenzierung benötigt, zugleich aber in genau dieser Differenz einen diskursinternen Widerspruch produziert. Zum anderen ist die Analyse von Geschlechterbildern maßgeblich für eine Genrebestimmung, da sich ebenjene als Kennzeichen des Musicals begreifen lassen. Die Repräsentation von Gender wird entlang des Genres in ihrem signifika-
179 Dies bedeutet allerdings nicht zwangsläufig eine umfassende Bestimmung – zumeist sind es einzelne Merkmale, die in ihrer alleinigen Hervorstellung zur Definition führen und sich innerhalb des Diskurses verankern.
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torischen Verhältnis zu einem gesellschaftlichen Korrelat beobachtet, umgekehrt wird das Musical hierin zum Spiegel gesellschaftlicher Phänomene. Aber auch dies führt in eine Spannung, denn die zirkuläre Argumentation genrespezifischer Geschlechterbilder unterminiert den eigentlich dynamischen Ansatzpunkt – obgleich sie innerhalb des Diskurses Ergänzungen, ja sogar Erweiterungen anderer Sinngebungen forciert. Wie es die exemplarischen Ausführungen zeigen, bilden die beiden hier umrissenen Deutungsmuster nicht nur je eigene Sinngebungen und Problemstellungen aus, vielmehr prozessieren sie in der Verknüpfung von Genre und Gender auch je unterschiedliche Ambivalenzen. In dieser Hinsicht lässt sich die Verbindung der Kategorien gleich mehrfach in die von Gerhart identifizierten Dimensionen, der Produktiven und der Kategorialen, verorten: Sie bringt zunächst Genrebestimmungen hervor, die in ihrer Wechselseitigkeit auch Genderbestimmungen bewirken. Dieser produktive Aspekt steht allerdings im Rahmen von Tendenzen, die als ReEtablierung statischer Verständnisse die begrenzende, im Sinne Gerharts die kategoriale Dimension betreffen. Darüber hinaus treten die hier entworfenen Deutungsmuster als Möglichkeiten zur Differenzierung auf – im Rekurs auf Gender lassen sich Fortgang und Stillstand einer Handlung unterscheiden; im Rekurs auf das Musical werden Geschlechterbilder beobachtbar. Diesem Ermöglichungscharakter gegenüber ist es jedoch gerade die Dichotomie ›Mann oder Frau‹, die in der Vorgängigkeit einer solchen Beschreibung für die akademische Auseinandersetzung einen konstanten Faktor darstellt, um den sich herum Bestimmungen des Genres samt ihrer Weiterführungen sammeln. Dies betrifft sowohl die Beobachtung von Geschlechterbildern als auch die Behauptung narrativer Anordnungen, sodass unabhängig vom jeweiligen Fokus, unabhängig von der ›Richtung‹ einer Differenzierung, die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ erhalten bleibt.180 Und, wie es die diskutierten Beispiele zeigen, betrifft dies sogar Perspektiven, die die Konstruiertheit von Geschlecht zum Ausgangspunkt nehmen, auf ihre machtgetränkte Wirkung verweisen (Mulvey), ihre sozialkonstruierte Herkunft betonen (Neale) oder eine Trennung von Sex und Gender intendieren (Wills). Von daher ist die Invarianz in der vorgängigen Beschreibung um ›Mann oder Frau‹ aber weniger mit einem naturalisierenden Verständnis gleichzusetzen – vielmehr ist es die dichotome Konzeption der Kategorie selbst, die im Anschluss an eine solche kontingent entstandene Unterscheidung
180 In der Pauschalität einer solchen Aussage mag dies sicherlich zu problematisieren sein, es ist aber dennoch beachtlich, dass beide Deutungsmuster eine derartige Differenz vorgängig anlegen, dass sie Gender allein durch ›Mann oder Frau‹ erfassen – und das, obwohl sie ja durchaus die Herkunft dieser Kategorie beobachten und entsprechend eine vorgängige Beschreibung vermeiden müssten. Vgl. dazu erneut auch Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 23.
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Differenzierungen erlaubt, obgleich ihrer tendenziell invarianten Konzeption dann auch Widersprüche und Inkonsistenzen folgen.181 Die Differenz ›Mann oder Frau‹ wird im wissenschaftlichen Musicaldiskurs als Differenzierungsmöglichkeit genutzt, mit ihr verbunden entstehen jedoch ebenso Grenzen, die in Ermangelung ihrer Thematisierung wiederum zur statischen und generalisierenden Dichotomie führen. Dabei ist aber nicht nur auf die Weitläufigkeit interkategorialer Verknüpfungen zu verweisen, die etwa auch als Inskriptionen innerhalb derjenigen Konstruktionsbedingungen auftreten, die eine wissenschaftliche Aussage um das Musical erst als wissenschaftliche Aussage begründen. Vielmehr zeichnet sich genau hierin ein Aspekt ab, der für die Frage, wie im wissenschaftlichen Musicaldiskurs eine Kategorienkrise Formung erhält, aufschlussreich ist. So wird die Doppelstruktur der produktiven und kategorialen Dimension auf spezifische Weise gestaltet; die akademische Auseinandersetzung mit dem Musical differenziert zwar ihre Beobachtungsgegenstände,182 sie ›insistieren‹ darin jedoch zugleich auf eine Genderdichotomie. Und dies ist um einen weiteren Faktor zu ergänzen: die Verquickung von Deutungsmustern. Innerhalb des untersuchten Materials gibt es starke Hinweise auf die Verschränkung verschiedener Sinngebungen. Die Genrekonstitution über narrative Anordnungen eröffnet etwa Genrevergleiche, während die Bestimmung über Geschlechterbilder eine Erweiterung anderer Genredefinitionen impliziert. Obgleich für beide darauf hinzuweisen ist, dass die jeweiligen Sinngebungen dennoch als eigenständig gelten können, so legt das Material doch nahe, die Verbindung von Deutungsmustern als äußerst virulent (und keinesfalls nur als potenziell) zu begreifen, zumal sie, wie angedeutet, je unterschiedliche Assoziationen entstehen lässt. Von daher tritt ein Deutungsgewebe hervor, in welchem verschiedene Interpretationen – teils sehr selektiv, wie beim Genrevergleich zur Pornografie, teils sehr umfassend, wie bei der Erweiterung anderer Sinngebungen – in Verbindung stehen.183 Und auch dies
181 Die von Frye behauptete häufige Verwechslung polarer und dichotomer Kategorien kann demnach auch in der Wissenschaft aufgezeigt werden, womöglich sogar gerade in konstruktivistischen Perspektiven. 182 Hier ist der Plural wichtig, denn beide, sowohl Genre als auch Gender, erfahren vielfältige Differenzierungen, denen gegenüber eine vorgängige Beschreibung um ›Mann oder Frau‹ erhalten bleibt. Es ist keinesfalls allein eine Differenzierung des Genres durch Gender bzw. durch eine Genderdichotomie – trotz der vorgängigen Beschreibung um ›Mann oder Frau‹ geht es auch um Fragen, die etwa die Hervorbringung von Gender betreffen. 183 Dies führt unter Umständen sogar dazu, dass mögliche Deutungskonflikte ausgeblendet werden, wie es sich im Übrigen auch anhand der verschiedenen Wertungen des Musicals – normierend oder subversiv, eskapistisch oder avantgardistisch – zeigt.
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ist für die Artikulation einer Kategorienkrise von Interesse. Doch wie lässt sich dieses Tableau unterschiedlicher Beschreibungen – die wechselseitige Konstitution von Genre und Gender, die Hartnäckigkeit einer Differenz um ›Mann oder Frau‹ bei gleichzeitiger Differenzierung und die Verschränkung verschiedener Sinngebungen – in Anbetracht der Ambivalenz interkategorialer Verknüpfungen in ein Verhältnis setzen, das Auskunft über die diskursspezifische Hervorbringung einer epistemischen Herausforderung im Umgang mit Kategorien gibt? Folgt man der Argumentation Schneiders, dann kann zunächst schlicht festgestellt werden, dass eine Krise um Kategorien Einzug in den wissenschaftlichen Musicaldiskurs erhalten hat. So lässt sich, wie es Schneider in Bezug zu Garber formuliert, bereits in der wechselseitigen Konstitution von Genre und Gender zeigen, »dass die das abendländische Denken und Sprechen strukturierende zweiwertige Logik – etwas ist weiß oder schwarz, männlich oder weiblich, groß oder klein – ihre Selbstverständlichkeit und Plausibilität verloren«184 hat. Sowohl Genre als auch Gender erweisen als thematisierungsbedürftig, wobei ihre Verknüpfung Schneider zufolge nicht nur einen Weg darstellt, um jenen Zweifel auszumerzen, sondern grundlegender noch diesen überhaupt erst anzeigt. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Wie,185 nach der spezifischen Artikulation einer solchen Krise, wenn diese doch, wie es sich in Engels Position plausibilisieren lässt, zugleich in die komplexe Verfasstheit diskursiver Prozesse selbst eingebettet ist. Dazu bietet Garbers Beschreibung einen Ansatzpunkt. Garber diagnostiziert für Gender eine Kategorienkrise – »a crisis which is symptomatized by both the overestimation and the underestimation«.186 Dies zeigt
184 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21. 185 Auch mag sich die Frage nach dem Wann stellen – hierzu kann jedoch nur begrenzt Auskunft gegeben werden, denn durch das korpusimmanente Vorgehen im Rahmen der Fokussierung einer Publikation zeichnen sich Materialeffekte besonders deutlich in der historischen Verortung ab. Naheliegend (und nicht sehr befriedigend) ist aber die Annahme, dass dies vor dem untersuchten Zeitraum geschehen ist, wenn sich doch selbst frühe Beispiele, etwa Buscombe und Collins, der Frage nach einer Definition von Genre widmen und dabei eine (freilich eher implizite) Verknüpfung zu Gender leisten. 186 Garber: Vested Interests, S. 11 [Herv. i.O.]. Die im Folgenden anregte Übertragung der Begriffe overestimation und underestimation entlang einer Komplexitätssteigerung und einer Simplifizierung durch diskursive Prozesse mag zunächst nicht überzeugen, da beide doch ein an Subjekte ausgerichtetes und wertendes Feld abbilden, das schwerlich mit dem Komplex aus Wissen und Macht sensu Foucault kompatibel erscheint. Bei Garber sind overestimation und underestimation jedoch – trotz der wenigen Ausführungen – als »phenomenon of our time« ausgewiesen und damit nicht (allein) an individualisierte Zugriffe oder Praktiken gebunden. Ebd.
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sich für sie in der Virulenz von Phänomenen, die die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ in Zweifel ziehen, dadurch dass sie nicht entlang dieser Unterscheidung Zuordnung finden. Insbesondere Crossdressing ist diesbezüglich zentral und verleiht der Differenz ›Mann oder Frau‹ einen Status, durch den sie nicht (mehr) als adäquat gelten kann und zusätzlicher Beschreibungen bedarf. Konterkariert wird dies jedoch durch eine Tendenz zur Rückführung jener Phänomene auf die Dichotomie, womit eine Simplifizierung erfolgt; Crossdressing wird gerade anhand der Unterscheidung von ›Mann oder Frau‹ betrachtet. Beides ist laut Garber überaus präsent und kristallisiert sich letztlich in einer Figur des Dritten heraus,187 welche die Differenz ›Mann oder Frau‹ gleichermaßen stützt und in Frage stellt. Dies lässt sich auf die interkategoriale Verknüpfung von Genre und Gender im akademischen Musicaldiskurs übertragen. So erlaubt diese einerseits eine Simplifizierung, die gerade in der vorgängigen Beschreibung einer Dichotomie hervortritt und im Weiteren dann auch die Genrekonstitution betrifft. Die Differenz ›Mann oder Frau‹ wird in vielfältiger Weise zum Garant einer Bestimmung, während sich zugleich die äußerst beiläufige Erwähnung des Musicals als charakteristisch für den simplifizierenden Umgang mit dem Genre erweist. Andererseits trägt die Kopplung der Kategorien zur Komplexitätssteigerung bei – ergeben sich mit ihr doch erst Differenzierungen narrativer Bereiche sowie eine Beobachtung genrespezifischer Geschlechterbilder samt ihrer Verbindungen mit einem gesellschaftlichen Korrelat. Overestimation und underestimation finden also ihr Pendent im Verhältnis von Genre und Gender bzw. genauer: in den Effekten ihrer konstitutiven Verknüpfung, womit sich simplifizierende und komplexitätssteigernde Beobachtungen gleichermaßen formieren, womit die vorgängige Beschreibung um ›Mann oder Frau‹ sowie die beiläufige Erwähnung des Musicals, aber auch die Differenzierung narrativer Bereiche und die Betrachtung signifikatorischer Verhältnisse ermöglicht werden. Obgleich diese Zuordnung der von Garber identifizierten Symptomatik zunächst den Eindruck erwecken mag, dass eine klare Trennung erfolgen kann, so ist dies doch ein wenig diffiziler: Anstelle (und an die Stelle) einer Figur des Dritten tritt die interkategoriale Verknüpfung selbst. Mit ihr werden die von Garber behaupteten Symptome einer Kategorienkrise, aber auch diejenigen Probleme, die mit der Konstruktion eines Dritten einhergehen, etwa die Frage ihrer Beschreibung oder die implizite Zweiwertigkeit in der Differenz zum Dichotomen,188 nicht kaschiert, sondern
187 Vgl. ebd. 188 Diese Problematik wird etwa auch von Dirk Baecker erläutert; in seiner Betrachtung gilt sogar Kultur als eine Figur des Dritten, die »ihrerseits einen binären Code, nämlich den der Unterscheidung von Binarität und (mindestens) Tertiarität«, zur Folge hat. Vgl. Dirk Baecker: Der Einwand der Kultur [1996]. In: ders. (Hg.): Wozu Kultur? [2. Auflage]. Berlin 2001, S. 98-111, hier S. 107.
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in einem anderen Feld verortet – in der Relation der Kategorien.189 Und ebendiese Relation zeichnet sich durch Ambivalenzen, durch interne Widersprüche und Asymmetrien aus, die sowohl innerhalb einzelner Deutungsmuster als auch im Verhältnis verschiedener Sinngebungen prozessiert werden. Die Symptomatik einer Krise findet sich für den wissenschaftlichen Musicaldiskurs also nicht nur im Oszillieren zwischen Komplexitätssteigerung und Simplifizierung, sondern weist vielmehr noch eine eigenständige Gestaltung in der ambivalenten Verknüpfung von Genre und Gender auf. Dies mag zunächst kaum verwundern und stützt auch Schneiders Überlegungen, genau hier schließt sich jedoch die Assoziation unterschiedlicher Deutungsmuster an. So tritt in der Rekonstruktion des wissenschaftlichen Musicaldiskurses ein Deutungsgewebe, ein Netz verschiedener Sinngebungen, hervor, das aufgrund seiner Bedeutung und seiner Vielschichtigkeit, in der Persistenz und in der Spezifik der Verbindungen, aber auch aufgrund seiner Relevanz für die analysierten Interpretationen als Grundlage einer interkategorialen Kopplung gelten kann.190 Über diese wird die vorgängige Beschreibung von Gender entlang der Differenz ›Mann oder Frau‹ als eine Konstante im wissenschaftlichen Musicaldiskurs arrangiert, mittels derer dann Genrewissen generiert werden kann – auch wenn dieses Wissen im grundlegenden Spannungsfeld zwischen Invarianten und Differenzierungen steht. Die Verquickung von Deutungsmustern bildet demnach ein Fundament, über das die Amibivalenz einer interkategorialen Verknüpfung installiert wird – zumal sich diese in der Assoziation verschiedener Sinngebungen noch intensiviert. Insofern verschiedene Interpretationen aneinander anschließen, verschärft sich zunächst die Skepsis gegenüber den Kategorien, gegenüber ihrer Statik und ihrer Adäquatheit, sodass ihre Plausibilität innerhalb des zugrundeliegenden Prozesses einer Sinngebung ins Wanken gerät. Und selbst die sich in der Kopplung von Genre
189 Garber bezieht in ihrer Analyse durchaus interkategoriale Verbindungen ein, indem sie darstellt: »As we will see throughout this study, class, gender, sexuality, and even race and ethnicity – the determinate categories of analysis for modern and postmodern cultural critique – are themselves brought to crisis in dress codes and sumptuary regulation.« Allerdings markiert sie in diesem Kontext (vergleichbar zur Intersektionalitätsforschung) lediglich die identitätserzeugende Relevanz von Kategorien, sodass ihre wissensstiftende Funktion nur in dieser Hinsicht Berücksichtigung erfährt. Garber: Vested Interests, S. 28. 190 Diese Einschätzung strebt keine Verallgemeinerung an, jedoch kann sie auch abseits der vielfältigen Verbindungen innerhalb der skizzierten Deutungsmuster genährt werden, insofern sich vergleichend in der publizistischen Diskursebene etwa ein konkurrierendes Verhältnis identifizieren lässt und die Verknüpfung von Genre und Gender derart zum Austragungsort verschiedener Konflikte einer Sinnstiftung wird.
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und Gender abzeichnende Ambivalenz bleibt in der Verbindung verschiedener Deutungen erhalten. Der Widerspruch in der Inszenierung als Blickobjekt und damit die Unschärfe in der Trennung um Fortgang und Stillstand einer Narration, aber auch die Schwierigkeiten der zirkulären Genrebestimmung über Geschlechterbilder werden nicht einfach dadurch gelöst, dass sie auch in Genrevergleichen eine Rolle spielen oder als Ergänzungen anderer Genredefinitionen auftreten. Demgegenüber wird die Ambivalenz einer Verknüpfung von Genre und Gender jedoch auch entschärft, da sich die Kategorien in ihrer Wirkmacht über viele Deutungsmuster hinweg behaupten, verschiedene Anschlüsse sowie Weiterführungen erlauben. Mitunter mögen darin sogar bestehende Problemfelder kaschiert werden; im Genrevergleich erhält eine Trennung zwischen Spektakel und Narration zumindest auch für andere Genres, für Pornografie, Plausibilität, während bei der Betrachtung von Geschlechterbildern die zirkuläre Genrebestimmung in den Hintergrund tritt, sobald mit ihr doch zugleich Probleme anderer Zugriffe aufgezeigt werden können. Insofern die Verquickung verschiedener Deutungsmuster auch mit den Konstruktionsbedingungen wissenschaftlichen Genrewissens ›kompatibel‹ ist – die Kontextualisierung des Musicals gewissermaßen einen Anschluss verschiedener Interpretationen forciert191 – mag man verführt sein, diese Lesart einer Lösung der bestehenden Ambivalenzen durch das Deutungsgewebe als naheliegend(er) zu begreifen. Doch »Verdeckung und Verschärfung der Krise sind ein und derselbe Vorgang. In der Verdeckung liegt gerade die Verschärfung und umgekehrt.«192 Die Verbindung von Deutungsmustern, welche in sich Spannungen tragen, erlaubt es, jene Spannungen zu kaschieren, sie in ihrer Bedeutung zu minimieren und dadurch auch das vielfach konstatierte Misstrauen gegenüber einem statischen Verständnis von Kategorien abzumildern. Das Deutungsgewebe mag sogar als Lösung einer kategorialen Krise gelten. Allerdings führt dies ebenso dazu, dass die Krise um Kategorien intensiviert wird – vermeidet die Assoziation von Interpretationen zwar womöglich eine Hervorstellung der inhärenten Ambivalenzen innerhalb der Verknüpfung von Genre und Gender, zugleich werden diese Ambivalenzen jedoch weiterläufiger.193 Die Verquickung von Deutungsmustern kann in dieser Hinsicht
191 Dies ist freilich zu relativieren, denn die Kontextualisierung des Musicals ist nicht auf einzelne Deutungsmuster beschränkt, wie es demgegenüber für den spezifischen Anschluss verschiedener Sinngebungen durchaus der Fall zu sein scheint. 192 Koselleck: Kritik und Krise, S. 156. 193 Mitunter mögen sich sogar neue Spannungsfelder ausbilden, die auf die in der Kopplung von Genre und Gender generierten Sinnstiftungen zurückwirken. Allerdings bestünde zur Plausibilisierung dieser Annahme eine Voraussetzung in der präzisen Analyse der assoziierten – auch über das Musical hinausgehenden – Deutungen, sodass diese Möglichkeit im Status einer Vermutung verbleiben muss.
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als spezifisch für den wissenschaftlichen Musicaldiskurs gelten und ist beidseitig in der Artikulation jener Phänomene – der Krise und ihrer Lösung – hervorzuheben. Zusammenfassend ergibt sich folgende Konsequenz: Die Verknüpfung von Genre und Gender zeigt auch im Sinne Schneiders eine Kategorienkrise, die für den wissenschaftlichen Musicaldiskurs zwischen Komplexitätssteigerung und Simplifizierung, zwischen den von Garber identifizierten Symptomen einer overestimation und einer underestimation oszilliert. Hierbei kommt es allerdings nicht zur Konstruktion einer Figur des Dritten, vielmehr bildet die interkategoriale Verbindung aufgrund ihrer Ambivalenz den Austragungsort – trotz einer Tendenz zur invarianten Beschreibung von Gender über die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ erfolgen Differenzierungen, wobei dieses Verhältnis auch im Rahmen je unterschiedlicher Spannungsfelder innerhalb der Verknüpfung der Kategorien nicht allein Essentialisierungen oder allein Destabilisierungen zur Folge hat. Es formiert ein Deutungsgewebe, in dem es teils sehr selektiv, teils sehr umfassend zum Anschluss verschiedener Sinngebungen kommt. Und genau dies ist als diskursspezifische Artikulation einer Kategorienkrise auszuweisen, denn, wie es in der Bezugnahme zu Koselleck deutlich wird, kann die Assoziation verschiedener Deutungsmuster als Stützung einer Ambivalenz begriffen werden, die beidseitig Krise und Lösung hervorstellt, intensivierend und kaschierend wirkt. Anhand der Zeitschrift Screen und der berücksichtigten 201 Artikel zeigt sich, dass die Verknüpfung von Genre und Gender innerhalb eines Deutungsgewebes arrangiert wird, welches für den wissenschaftlichen Musicaldiskurs als spezifischer Ausdruck einer epistemischen Herausforderung gelten kann, insofern die Kategorien im Spannungsfeld zwischen Differenzierungen und Invarianten Wissen hervorbringen. Doch trotz dieses ersten Einblicks in die diskursive Formung einer Kategorienkrise ist es notwendig, darauf verweisen, dass die Rekonstruktion selbst als eine Konstruktionsleistung zu verstehen ist, die durch verschiedene Faktoren geprägt wird und die ihrerseits zu reflektieren sind. Dies umfasst zwei verbundene Bereiche, die hier zunächst lediglich von Seiten ihrer methodischen Implikationen erläutert werden – die am Ende der Arbeit jedoch auch einen konzeptionellen Anstoß zur Beobachtung der Kategorien vermitteln sollen. Zunächst tritt die Frage der Vollständigkeit auf. So mag jene als ein Ideal gelten, das von immenser Bedeutung ist und Potenziale birgt – verlangt es doch beispielsweise nach einer Reflexion der mitunter divergenten Prozesse, in denen die diskursive Genese von Sinngebungen und Phänomenkonstitution stattfindet. Inwiefern Vollständigkeit allerdings zu erreichen ist und ob sie in den hier erläuterten Deutungsmustern adäquat abgebildet wird, kann nur bedingt eingeschätzt werden – bedingt durch die gewählten Schwerpunkte: Obgleich durchaus versucht wird, möglichst vielfältige Perspektiven auf das Musical aufzuzeigen, und schon in der Nennung unterschiedlicher Artikel ihre Überprüfbarkeit gesteigert wird, so bleiben
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dennoch verschiedene Sinngebungen ausgeklammert.194 Dies begründet sich durch die Fokussierung konstitutiver Verknüpfungen von Genre und Gender sowie durch die Orientierung an einer einzelnen Publikation, da beides zwar mit Bedacht ausgewählt ist, die Abbildung des ›gesamten‹ wissenschaftlichen Musicaldiskurses darin jedoch nur begrenzt stattfinden kann. Und auch die Rekonstruktion der Deutungsmuster selbst hat Grenzen, etwa aufgrund der exemplarischen Annäherungen sowie durch das Interesse an ambivalenten Spannungsmomenten. Zum zweiten muss die Materialauswahl in ihrem Einfluss auf die vorliegende Rekonstruktion berücksichtigt werden. Die Zeitschrift Screen bildet zwar aufgrund unterschiedlicher Überlegungen eine geeignete Basis, allem voran aufgrund ihres historischen Umfangs und ihrer als Zuschreibung geltenden Wissenschaftlichkeit, zugleich gehen damit jedoch bestimmte Perspektiven einher, die sich in der Analyse niederschlagen – etwa in der Fokussierung des Musicals als Filmgenre: Zwar lässt sich diese grundlegende Sinngebung auch durch Ansätze der Genretheorie als ein Fundament begreifen, um das Musical zu betrachten. Doch die alleinige Reduktion dieser Prämisse als eine in der Wissenschaft basale Sinnstiftung trägt nur unzureichend der Beobachterposition, welche sich in der Materialauswahl spiegelt, Rechnung.195 Außerdem zeigt sich hierin, dass trotz eines ›medienneutralen‹196 Zugriffs, der in der Orientierung an sprachlichen Praktiken (und ihrer Unschärfe) keine vordefinierende Bestimmung anlegt, dennoch einzelne Deutungen vorweggenommen werden. Diese erweisen sich als prägend für die Rekonstruktion und die in ihr eingenommene Perspektive, sodass sich weitergehend die Frage stellt, wodurch jene Prägung auch als eine Grundlage zur Beobachtung von Genre und Gender berücksichtigt werden kann.
194 Dies zeigt sich schon im Verhältnis zur Recherche prototypischer Graduierungen (Anhang 2), insofern wissenschaftliche Publikationen etwa mit dem Begriff ›concept(ual) musical(s)‹ operieren und darin eine Gewichtung ideologischer, politischer oder auch metaphorischer Aussagen vor dem eigentlichen Narrativ geltend machen. Dies lässt sich in der Screen allerdings nicht nachweisen, der Begriff findet hier keine Verwendung – obwohl er in den beiden skizzierten Sinngebungen durchaus anschlussfähig wäre. 195 So ist das Musical zwar in seiner synkretistischen Dimension nicht eindeutig entlang eines Mediums zuzuordnen und wird mehrheitlich sowohl für Theater- als auch für Filmartefakte verwendet. Innerhalb der genannten Beispiele der Rekonstruktion gilt es jedoch nahezu ausschließlich als Filmgenre, womit sich letztlich auch die Materialauswahl in ihrem Einfluss abzeichnet – macht die Zeitschrift Screen doch schon in ihrem Titel deutlich, dass die Leinwand, der Film und das Kino im Vordergrund stehen. 196 ›Medienneutral‹ meint hier, dass der verfolgte Zugriff keine Bestimmung des Musicals entlang einzelner Medien voraussetzt, dass er nicht vorab ›gängige‹ Einschränkungen als Film- oder Theatermusical reproduziert.
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Das von Keller entworfene Programm bietet dazu eine erste methodische Antwort, insofern betont wird, dass Diskurse »[e]ine nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen«197 darstellen. Entsprechend wird bereits in dem für diese Arbeit zentralen Beispiel, im Musicaldiskurs selbst, eine Unterstellung formiert, die die Abgrenzbarkeit des Diskurses und seine Bestimmung betrifft, womit sich dann etwa auch eine Spezifik in der Artikulation einer Kategorienkrise behaupten lässt. Keller hebt mit diesem Verweis eine Notwendigkeit hervor, denn für ihn ist die Unterstellung eines Diskurses entlang der »verschiedenen Schritte der Dateninterpretation«198 zu reflektieren. Allerdings eröffnet sich darin nicht nur eine analytische Maßgabe, sondern mehr noch ein konzeptioneller Rahmen, insofern die beiden hier skizzierten Einschränkungen, die Frage der Vollständigkeit und die der Prägung, (auch abseits ihrer methodischen Implikationen) auf Prämissen verweisen – Prämissen, die in der Abhängigkeit der Rekonstruktion von der zugrundeliegenden Beobachtung kulminieren. Dies bringt, wie es noch zu zeigen gilt, Potenziale mit sich, zugleich entstehen jedoch auch Grenzen, die in der Betonung von Voraussetzungen, von Umständen und Relativierungen erst eine Diskursivierung von Genre und Gender ermöglichen.199
197 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 234. 198 Ebd., S. 270 [Herv. i.O.]. 199 Dies ist somit nicht als rückwirkende Begründung des mitunter umständlichen Stils zu werten, sondern fungiert als Vorbereitung eines Anstoßes in der Beobachtung von Genre und Gender, den es abschließend in der Arbeit noch zu entwerfen gilt.
4 Genre und Gender im publizistischen Musicaldiskurs Zwischen zentralen Einzelfällen und übergreifenden Bezugnahmen
Durch die Diskursivierung von Genre und Gender, durch eine an Prozessen der Wissensgenerierung und -normierung interessierte Betrachtung beider Kategorien und durch einen mittels des Musicals exemplifizierten Zuschnitt dieser Schwerpunkte ermöglicht sich die Analyse verschiedener Deutungsmuster. Innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung treten dabei Ansätze hervor, die die Kategorien wechselseitig bestimmen und ebenjenen konstitutiven Momenten Geltung verleihen. Zugleich geraten derartige Sinngebungen jedoch in Kurzschlüsse und produzieren nicht selten Verwerfungen. Insofern wird eine ambivalente Beziehung offenbar, die vor dem Hintergrund einer epistemischen Herausforderung in ihrer Komplexität nicht zu unterschätzen ist. Allerdings ist dies zu erweitern, denn Genre und Gender stehen – teils konträr – in unterschiedlichen Wissensfeldern und bedürfen schon daher einer vielschichtigen Perspektivierung. Dies kann durch die Analyse verschiedener Diskursebenen und ihrer Relation zueinander geleistet werden; neben der Wissenschaft treten weitere Aushandlungen in den Fokus – die Publizistik etwa, die anhand anderer Deutungen eine Hervorbringung von Genre und Gender gestaltet, deren interkategoriale Verknüpfung anders verläuft und die letztlich andere epistemische Ordnungen prozessiert. Das folgende Kapitel leistet eine Rekonstruktion des publizistischen Musicaldiskurses in seinen Verbindungen zu Gender. Zunächst wird dazu wiederum anhand der Materialauswahl, der Zeitschrift DER SPIEGEL, zu fragen sein, inwiefern hier eine spezifische Formation von Wissen entsteht, die im Begriff der Publizistik gebündelt werden kann. Neben der Operationalisierung, die, wie zuvor, ein großes Gewicht auf Attributionen seitens beteiligter Akteure legt, rückt dabei insbesondere die Position der Diskursebene selbst in den Vordergrund. Ihre Identifikation erschwert sich
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zwischen interdiskursiven Verquickungen und einem vermeintlich öffentlichen Diskurs, sie ermöglicht zugleich aber Differenzierungen, die – nicht zuletzt im bewusst deutschsprachig gewählten Material – Implikationen für die Wirkmacht spezifischen Genrewissens haben (Kapitel 4.1). An diese Überlegungen anschließend werden Konstruktionsbedingungen aufgezeigt, die eine Einbettung der Deutungsmuster in die Diskursebene erlauben und Konsequenzen für die hier äußerst weitläufigen Genderbezüge – samt ihrer Analyse – mitbringen. So werden im publizistischen Diskurs oftmals verschiedenste Beobachtungen durch das Musical angeregt, diese beschränken sich allerdings nicht auf das Genre und geben erst rückwirkend ihre sinnstiftende Dimension preis. Und dies betrifft auch die diversen Verknüpfungen zu Gender; sie lassen sich als Ergebnis jener Konstruktionsbedingung einer Kontextualisierung durch das Musical begreifen, sodass Gender (auch im Unterschied zur Wissenschaft) erst innerhalb der durch das Genre gerahmten Betrachtungen eine – dennoch konstitutive – Rolle einnimmt (Kapitel 4.2). Darauf aufbauend werden zwei Deutungsmuster analysiert, die jenen konstitutiven Anteil hervortreten lassen und zugleich unterschiedliche Ambivalenzen produzieren. Dies umfasst zum einen eine Bestimmung des Musicals, die sich entlang seiner Diskursakteure generiert; das Genre wird im Verweis auf das Geschlecht seiner Rezipierenden zum ›Frauengenre‹, gestattet hierbei aber auch die Betrachtung von Genderrepräsentationen, die als Begründung des Publikumsinteresses fungieren. Im Grunde entstehen also gleich zwei Verknüpfungen, die beide auf einer einzigen Sinngebung wurzeln – genau darin jedoch zum Konflikt führen (Kapitel 4.3). Zum anderen kann eine konstitutive Verbindung der Kategorien innerhalb der Beobachtung des Verhältnisses zwischen einem Prätext und seiner Transformation in ein Musical – der Musicalisierung1 – aufgezeigt werden. Obgleich der interkategoriale Bezug hier nur anteilig Geltung hat, so erlaubt der Rekurs auf Gender eine Bestimmung dieser Relation und plausibilisiert sie zugleich. Das zugrundeliegende Verhältnis gerät allerdings auch zur Eigenschaft und operiert somit in einer Spannung, die durch Gender keinesfalls gelöst wird (Kapitel 4.4). Beide Deutungsmuster zeigen konstitutive Verknüpfungen, sie eröffnen jedoch ebenso ein ambivalentes Wechselspiel, das nicht bloß in den jeweiligen Kopplungen, sondern auch vergleichend zur wissenschaftlichen Verhandlung als eigenständig gelten kann. Und dies ist für die Frage nach der diskursspezifischen Artikulation einer Kategorienkrise von besonderem Interesse – kann jene doch anhand der Beziehung der Deutungsmuster sowie im Verhältnis zum wissenschaftlichen Musicaldiskurs entschlüsselt
1
Dieser Begriff findet sich im untersuchten Material vielfach und soll – auch in Anerkennung der Wirkmacht diskursiver Prozesse – entsprechend übernommen werden. Vgl. beispielsweise den frühen Gebrauch bei Anonymus: MUSICAL. Cervantes. Testament des Sklaven. In: DER SPIEGEL 5/1968, S. 140, hier S. 140.
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werden, zumal Letzteres wiederum methodische Implikationen birgt, die der Vorbereitung eines Anstoßes in der gemeinsamen Beobachtung der Kategorien dienen (Kapitel 4.5).
4.1 P UBLIZISTISCHES W ISSEN UM DAS M USICAL UND SEINE B EOBACHTUNG MITTELS DER Z EITSCHRIFT DER SPIEGEL Um zu rekonstruieren, wie das Musical in der Publizistik entlang der Verknüpfung zu Gender verhandelt wird, wie es hierin Sinn erhält und Geltung erlangt, ist zunächst überhaupt zu fragen, inwiefern ein publizistischer Diskurs zu greifen ist, in welcher Hinsicht diese Beschreibung adäquat erscheint und welches Verständnis der Diskursebene zugrunde liegt. Dies ermöglicht es, den Gegenstand der Diskursivierung festzulegen und im Weiteren die getroffene Materialauswahl zu plausibilisieren. Allerdings stößt man dabei auf eine Problemstellung, die nicht bloß für die Identifikation des publizistischen Musicaldiskurses eine Rolle spielt, hier aber in besonderem Maße relevant ist: die Verquickung verschiedener Diskurse und Diskursebenen. So muss, wie es viele diskursanalytische Vorgehensweisen betonen, beachtet werden, »dass die einzelnen Diskursebenen in sich stark verflochten sind«,2 dass Wissensordnungen einander beeinflussen und verschiedene Diskurse selektiv in Verbindung treten.3 Diese – interdiskursiven – Verknüpfungen besitzen eine immense Wirkmacht, allerdings erschwert sich dadurch die Identifikation einzelner Diskursebenen in ihrer Spezifik. Es stellt sich beispielsweise die Frage, was abseits der interdiskursiven Bezugnahmen kennzeichnend ist, und umgekehrt, welche Kriterien sich überhaupt für ein solches ›Zwischen‹ differenzieren lassen.4 Wie
2
Siegfried Jäger: Diskurs als ›Fluss von Wissen durch die Zeit‹. Ein transdisziplinäres politisches Konzept zur Deutung gesellschaftlicher Wirklichkeit [2005]. In: ders./Margarete Jäger (Hg.): Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden 2007, S. 15-37, hier S. 28.
3
Die Verbindung unterschiedlicher Diskurse (und im Weiteren auch die Verbindung unterschiedlicher Diskursebenen) erfolgt dabei, wie es Link betont, »nicht in professionellen Wissenskombinaten, sondern in selektiv-symbolischen, exemplarisch-symbolischen, also immer ganz fragmentarischen und stark imaginären Brückenschlägen«. Link: Kulturwissenschaftliche Orientierung und Interdiskurstheorie der Literatur zwischen ›horizontaler‹ Achse des Wissens und ›vertikaler‹ Achse der Macht, S. 73.
4
Link hebt statt dieser insbesondere für eine Operationalisierung relevanten Kriterien ihr historisches Auftreten hervor – Interdiskurse scheinen das Ergebnis von »moderne[n] differenziert-spezialistische[n] Kulturen« zu sein. Dieser Hinweis ist insofern äußerst
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kann also in ihrer Verquickung eine Beschreibung der jeweiligen epistemischen Ordnungen erfolgen, unter denen Wissen etwa als wissenschaftlich oder als publizistisch gilt? Diese Frage ist für den publizistischen Diskurs besonders drängend, da er häufig nicht spezifisch betrachtet wird. Stattdessen treten Generalisierungen auf, die ihn als ›öffentlichen Diskurs‹ begreifen und nur in der Gegenüberstellung zu anderen Diskursebenen, allem voran in der Gegenüberstellung zum wissenschaftlichen Spezialdiskurs, kennzeichnen. Dadurch geraten allerdings seine je eigenen, nicht aber abgeschlossenen Hervorbringungs- sowie Geltungsbedingungen in den Hintergrund, die Verquickung von Diskursen und Diskursebenen wird in der Identifikation qua Abgrenzung ausgeblendet und nicht selten kommt es zu Simplifizierungen diskursiver Sinngebung. All dies führt zur Behauptung eines »gesellschaftlichen Gesamtdiskurs[es]«,5 der sich aufgrund mangelnder Differenzierung in der Publizistik bündelt und sogar in methodologischen Ansätzen, etwa in Kellers Verfahren der wissenssoziologischen Diskursanalyse, angenommen wird. Eine Differenzierung unterschiedlicher Diskursebenen gestaltet sich häufig anhand ihrer Wirkmacht, anhand ihrer Geltung im Hinblick auf verschiedene Diskursbeteiligte. Etwa grenzt Keller so einen öffentlichen Diskurs von einem Spezialdiskurs ab,6 indem er die Zugänglichkeit des Spezialdiskurses als begrenzt ansieht. Dieses Kriterium ist allerdings überaus fragil. So zeigt sich in dieser Arbeit, dass durch die Onlinearchivierung der Zeitschrift Screen zumindest tendenziell einer Beschränkung des wissenschaftlichen Diskurses entgegengewirkt wird. Und auch anhand der Zeitschrift DER SPIEGEL lässt sich verdeutlichen, dass im äußerst vielschichtigen Verweis auf Wissenschaft eine öffentliche Zugänglichkeit des Spezialdiskurses behauptet werden kann.7 Insofern zeigen sich hier bereits erste Spuren interdiskursiver Verbindungen, die es in ihrer selektiven Kombination hervorzustellen gilt und mit denen letztlich das gewählte Kriterium Kellers ins Wanken gerät.
produktiv, da er das Was in ein Wann ummünzt, die Zugriffsmöglichkeit hierauf bleibt allerdings weiterhin außen vor. Ebd. 5
Jäger/Zimmermann: Das Netz der Begriffe der KDA, S. 16.
6
Vgl. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 235.
7
Im Material zeigen sich verschiedene Bezüge zur Wissenschaft, die in unterschiedlichem Maße – und darin sicherlich selektiv – auf ebendieses Wissen um das Musical rekurrieren, die etwa auf Adorno verweisen und interessanterweise sogar Garbers Arbeit zur Kategorienkrise um Gender im Rahmen einer publizistischen Auseinandersetzung mit dem Musical erwähnen. Vgl. etwa Anonymus: MUSIK. Adorno. Man empfindet Licht. In: DER SPIEGEL 11/1963, S. 73-74, hier S. 73 und Barbara Supp: GESELLSCHAFT. Engel mit großen Füßen. SPIEGEL-Redakteurin Barbara Supp über die Lust auf Travestie. In: DER SPIEGEL 35/1992, S. 222-226 (ohne S. 224 und S. 225), hier S. 223.
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Doch statt der Reflexion solcher Grenzen und – damit verbunden – einer Kennzeichnung, die nicht nur in der Abgrenzung, sondern auch in der Verquickung zum Spezialdiskurs wurzelt, tendiert Keller hingegen dazu, eine derartige Unterscheidung schlicht zu unterschlagen. So finden verschiedene Diskurse und Diskursebenen zwar durchaus Berücksichtigung, wenn Keller aber seine Grundlegung eines Forschungsprogramms gegenüber anderen Zugriffen verortet oder exemplifizierend erläutert, tritt eine Generalisierung auf, der gegenüber eine Differenzierung durch Zugänglichkeit kaum aufrechtzuerhalten ist. Dadurch gerät der als zugänglich vorausgesetzte öffentliche Diskurs zum Abbild jeglicher Diskurse; anstelle der noch bei Foucault differenzierten »[i]nterne[n] Prozeduren, mit denen die Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben«,8 tritt der Diskurs en général. Dies mag zwar auf verschiedene Weise plausibilisiert werden – nicht zuletzt auch durch Medien und ihre zeitgeschichtliche Relevanz9 –, ist jedoch unbefriedigend, wenn die Verquickung von Diskursen und Diskursebenen nachgezeichnet werden soll und ein Schwerpunkt dabei auf den sich einander verstärkenden, sich aber ebenso einander widersprechenden Wissensordnungen liegt. Um dieser Problemlage entgegenzuwirken, bedarf es einer Differenzierung. So mag zwar die Rede von dem Diskurs in verschiedenen Zusammenhängen durchaus plausibel sein, um aber die (Re-)Produktion und Geltung von Genrewissen entlang ihrer Verknüpfungen zu Gender offenzulegen, sind unterschiedliche Diskurse bzw. Diskursebenen zu betrachten. Und diese Notwendigkeit ergibt sich auch im Rahmen einer Simplifizierung diskursiver Sinngebungen – scheinen doch, um das Beispiel des Musicals noch einmal zu bemühen, verschiedene Zugriffe durchaus identisch, was jedoch deren kontextuelle Gebundenheit und ihre immer nur begrenzte sowie begrenzende Konstitution nicht ausblendbar macht: Ob das Genre in der Wissenschaft »erzählenden Gesang als künstlerisches Ausdruckmittel [sic!] [verwendet], das den Realitätsfluss der Handlung unterbricht«,10 oder ob es in der Publizistik heißt, das Musical »unterbricht so oft wie möglich den Fortgang der Hand-
8
Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 17.
9
Dies kann bei Keller in seiner Definition des öffentlichen Diskurses demonstriert werden – ist dieser laut ihm doch ein »Diskurs mit allgemeiner Publikumsorientierung in der massenmedial vermittelten Öffentlichkeit«. Dass aber auch akademische Auseinandersetzungen durch Medien an Präsenz in einer wie auch immer bestimmten Öffentlichkeit gewinnen und dass Verquickungen zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft bestehen, die den Geltungsbedingungen beider Diskursebenen ein Stück weit gerecht werden und sicherlich medial vermittelt sind, bleibt unbehandelt. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 235.
10 Dorothee Ott: Shall we Dance and Sing? Zeitgenössische Musical- und Tanzfilme. Konstanz 2008, S. 66.
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lung«,11 mag zunächst kaum differenzierungsbedürftig sein. Allerdings sind mit diesen Definitionen unterschiedliche Prozesse ihrer Genese und ihrer Geltung verbunden, die schon dadurch Differenzen entstehen lassen. So konzentrieren sich beide Aussagen zwar auf Tanz und nutzen das Musical abgrenzend sowie beispielhaft. Doch bereits hier lassen sich Unterschiede in einem induktiven oder deduktiven Verfahren der Argumentation, in der qua Abgrenzung ermöglichten Beobachtung, in der implementierten Wertung des Genres und in vielen weiteren Bereichen aufzeigen. Obgleich also das Musical scheinbar evident ist und der Diskurs als zu untersuchendes Phänomen auftritt, so ist dieser generalisierenden Betrachtung gegenüber Skepsis angebracht. Dem soll im Begriff der Publizistik Rechnung getragen werden; als publizistischer Diskurs, genauer: als publizistische Diskursebene in der Verhandlung des Musicals, können spezifische Mechanismen der (Re-)Produktion von Genrewissen aufgespürt werden, die mit anderen Diskursen und Diskursebenen zu relationieren sind und die dennoch nicht in ihrer Eigenständigkeit ausgeblendet werden. Dass dies über den Begriff der Publizistik in Abstandnahme zu dem der Öffentlichkeit ermöglicht wird, lässt sich anhand der ausgewählten Materialbasis plausibilisieren. Dazu werden zunächst Zuschreibungen beteiligter Akteure skizziert, die zum einen eine weitläufige Adressierung betonen, zum anderen aber auch Voraussetzungen implizieren und so eine Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Veröffentlichtem ermöglichen. Genau dieses Kriterium kann schließlich zur Bestimmung einer publizistischen Diskursebene genutzt werden, ohne dass sie dabei ausschließlich normativ gebunden wird, allein in der Abgrenzung zum Spezialdiskurs Kennzeichnung erfährt oder gar in ihrer Beobachterabhängigkeit als wirkungslos bzw. beliebig gilt.12 Die Zeitschrift DER SPIEGEL wird in Darstellungen beteiligter Akteure als überaus relevant erachtet, weil sie unterschiedliche Publikumsgruppen gleichermaßen anspricht. So betont ihr Gründer Rudolf Augstein bereits 1953, sechs Jahre nach dem Ersterscheinen, dass die Zeitschrift an den »›A- bis Z-Leser‹ [gerichtet ist]. Der SPIEGEL schreibt nicht für Liebhaber und Spezialisten, sondern für interessierte Laien, seien es nun Arbeiter, Angestellte oder Direktoren.«13 In dieser Hinsicht lassen sich auch einige historische Entwicklungen anführen, die die intendierte Weitläufigkeit einer Adressierung stützen, beispielsweise Archivierung via Inter-
11 Anonymus: KULTUR. Breakdance im Hollywood-Musical. In: DER SPIEGEL 26/1984, S. 153-156 (ohne S. 154 und S. 155), hier S. 156. 12 Vgl. zu Letzterem insbesondere die Diskussion in Kapitel 2.3. 13 Rudolf Augstein: Das Wichtige und das Interessante. Eine Rede vor dem Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Klub [1953]. In: ders.: Schreiben, was ist. Kommentare, Gespräche, Vorträge. Hg. v. Jochen Bölsche. Stuttgart/München 2003, S. 66-79, hier S. 69 f.
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net,14 die TV-Vermarktung15 oder die seit den 1990er Jahren zunehmende parallele Veröffentlichung adressatenspezifischer Journale.16 Und selbst aktuell wird DER SPIEGEL als »wichtigstes Medium: mit den meisten Lesern und dem höchsten Umsatz«17 stilisiert. Die Zeitschrift reflektiere, wie es der bis 2015 amtierende Geschäftsführer der SPIEGEL-Gruppe Ove Saffe behauptet, gesellschaftliche Phänomene »in einer komplexen Zeit, in einer Wissensgesellschaft, in der die Menschen Orientierung suchen. Es ist eine Zeit für Qualitätsjournalismus, und es ist die beste Zeit für anspruchsvolle publizistische Objekte.«18 Diese wenig kritische Darstellung – in der der Begriff der Publizistik auch Verwendung findet – zeigt das Selbstverständnis der Zeitschrift, welches ihre Publikumsorientierung teils durch wirtschaftliche Faktoren kondensiert und historisch früh präfiguriert ist.19 Die enorme Gewichtung des Publikums, welche hier durch Attributionen beteiligter Akteure erschlossen wird, kann im Begriff der Publizistik zentral sein und leistet eine Differenzierung zum Begriff der Öffentlichkeit, wie er einer Beschreibung als öffentlicher Diskurs zugrunde liegt. So wird die Öffentlichkeit eines öffentlichen Diskurses zumeist anhand des (eher fragilen) Kriteriums der Zugänglichkeit generiert, wobei dies vornehmlich die Unterscheidung zum Spezialdiskurs Wissenschaft betrifft. Dieses Kriterium bildet jedoch, zumal häufig kaum konkretisiert, nur unzureichend bestehende Beschränkungen ab, die ihrerseits durchaus basal sein können, etwa im Hinblick auf Teilhabe durch Medienkompetenz oder ökonomische Bedingungen. Der Begriff der Publizistik schärft hingegen die Betrachtung solcher Beschränkungen – stellt er doch, wie es in der Selbstbeschreibung her-
14 Vgl. das Archiv unter URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/ [Zugriff 15.12.2013]. 15 Diese reicht von der ab 1988 produzierten Fernsehsendung SPIEGEL TV Magazin bis hin zur aktuellen Gründung des Fernsehsenders SPIEGEL TV WISSEN. 16 Die Veröffentlichung weiterer mit der Zeitschrift assoziierter Blätter, wie UniSPIEGEL oder kulturSPIEGEL, kann als eine Spezifizierung der Adressatengruppe gelten, da diese bereits in den jeweiligen Titeln thematische Schwerpunkte verdeutlichen – auch wenn die Artikel selbst teils identisch mit denen aus der Zeitschrift DER SPIEGEL sind. Aufgrund ihrer parallelen Veröffentlichung, mitunter sogar als Beigabe, werden die assoziierten Journale in das Korpus aufgenommen. 17 Ove Saffe: Die SPIEGEL-Gruppe. In: spiegelgruppe.de, URL: http://www.spiegel gruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/ECB7C3146E31E35C125746C004616B? OpenDocument [Zugriff 15.12.2013]. 18 Ebd. 19 Die ökonomische Seite dieser weitläufigen Adressierung tritt mitunter schon in der von Augstein beschriebenen Gründung hervor, hier jedoch vornehmlich im Verweis auf eine Orientierung an US-amerikanischen Zeitschriften, etwa The New York Times. Vgl. Augstein: Das Wichtige und das Interessante, S. 68.
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vortritt, die wirtschaftliche Relevanz in den Fokus und kann ebenso Anforderungen im Medienumgang aufzeigen: Sowohl Augstein als auch Saffe betonen ökonomische Voraussetzungen, etwa durch ihre gesellschaftliche Differenzierungswirkung (»Arbeiter, Angestellte oder Direktoren«) oder schlicht durch Einnahmen (»dem höchsten Umsatz«). Und auch die mediale Verfasstheit, nicht allein im Sinne einer medialisierten Öffentlichkeit, sondern ebenso im Sinne einer mediengebundenen, im Falle der Zeitschrift DER SPIEGEL schriftlichen Form, tritt hervor (»›A- bis ZLeser‹«, »mit den meisten Lesern«), wobei sich dies durch die mit der Zeitschrift assoziierten Distributionen, etwa die TV-Vermarktung, als spezifisch abbilden lässt. Die hier verfolgte Schärfung betrifft also zum einen die Gewichtung von Beschränkungen innerhalb einer vermeintlich öffentlichen Zugänglichkeit und zum zweiten die Gewichtung entlang mediendifferenter Formationen einer solchen Diskursebene. Letztlich wird damit auf einen Unterschied verwiesen, der Veröffentlichtes nicht mit Öffentlichem gleichsetzt, sondern die Potenzialität, dass etwas Veröffentlichtes in einer Öffentlichkeit Relevanz besitzt, durch diskursspezifische Kontexte und ihre Beschränkungen rahmt. Diese wiederum werden durch Attributionen erschlossen und erlauben es, eine reduktionistische Bestimmung dessen, was publizistisch (oder auch öffentlich) ist, zu vermeiden. Und so betont etwa auch Augstein jenen Unterschied zwischen Öffentlichem und Veröffentlichtem – freilich mit anderem Impetus: »Welche Hauptgefahr gibt es dann für den SPIEGEL? Nun, meine Damen und Herren, dass er das Wichtige zu Gunsten des Interessanten vernachlässigt. Dass er nicht die Wirklichkeit, sondern die Raritäten der Wirklichkeit spiegelt.«20 Durch die Differenzierung zwischen Öffentlichem und Veröffentlichtem wird der Begriff des öffentlichen Diskurses sicherlich nicht verworfen oder gar dem der Publizistik konträr zugeordnet. Vielmehr wird eine Verschiebung vorgenommen, die im Weiteren auch im Verweis auf die Zugänglichkeit wissenschaftlichen Wissens und im Hinblick auf interdiskursive Verquickungen eine Fokussierung ebensolcher Aspekte ermöglicht. Dahingehend lassen sich gleich zwei Phänomene skizzieren, die bereits in der Korpuserstellung anhand sprachlicher Praktiken hervortreten und im Verhältnis – nicht aber in der bloßen Abgrenzung – zur Wissenschaft eine Kennzeichnung publizistischen Genrewissens in seiner Wirkmacht erlauben. Außerdem gestatten es diese Ausführungen, die getroffene Auswahl selbst zu plausibilisieren; sie geben eine Antwort auf die Frage, warum gerade DER SPIEGEL eine geeignete Materialbasis darstellt. Zunächst bildet die Zeitschrift DER SPIEGEL eine Option, um publizistisches Wissen um das Musical in seiner Konstitution und in seiner Wirkmacht gleichermaßen zu verfolgen, denn – auch im Kontext praktikabler Bedingungen der Durch-
20 Ebd., S. 79.
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führung – ist der schon erwähnte Zugang über ein Onlinearchiv äußerst produktiv. So sind hier etwa die ersten Ausgaben von 1947 sowie die erste Nennung des Wortes ›Musical‹ 1948 erfasst, aber auch die weiteren mit dem Blatt assoziierten Publikationen sowie Sonderhefte und Beigaben sind aufgenommen. Das Archiv stellt damit ein historisch weitläufiges Spektrum zur Verfügung, sodass Verschiebungen innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Musical abgebildet werden können. Und dies beginnt bereits mit der Übernahme des Begriffs ins Deutsche, denn dieser Prozess stellt einen Indikator dar, um die Konstruktion publizistischen Genrewissens samt ihrer Konsequenzen zu beobachten. Durch die Weitläufigkeit des Archivs und im Vorgehen entlang sprachlicher Praktiken zeigt sich eine ›Internationalisierung‹ des Genrediskurses, die im bewusst deutschsprachigen Material – sicherlich auf Kosten der Vergleichbarkeit – in einem Sprachwandlungsprozess nachzuzeichnen ist: Unter dem Vorzeichen einer sprachlichen ›Einverleibung‹ eröffnen sich zu Beginn des Archivs Ansätze zur Definition des Genres, die grafemisch (etwa durch Anführungsstriche), aber auch grammatisch (etwa durch fehlende Deklination) eine Skepsis gegenüber der Bezeichnung betonen und mit erläuternden Kommentaren bestimmen, was denn das Musical ist – ein »[l]eichtes amerikanisches Theaterstück mit Gesang und Tanz«,21 wie es etwa 1951 in einer Fußnote zum Musical, kleingeschrieben und nicht dekliniert, heißt. Dies ändert sich zunehmend, sodass aus dem verweisenden, seine sprachfremde Herkunft hervorstellenden Gebrauch schließlich eine Übernahme wird, die recht zügig spracheigene Weiterführungen, etwa Amalgame, anschließt.22 Hierin erweist sich der Genrediskurs als nationenübergreifend und wirkmächtig;23 schon auf dieser
21 Anonymus: THEATER. Leigh. Mädchen aus dem Süden. In: DER SPIEGEL 20/1951, S. 31-32, hier S. 32 [in Anm.]. 22 Obgleich keine definitive Festlegung dieser Übernahme erfolgen kann, so lässt sie sich gegen Ende der 1950er Jahre verorten, wobei daran anschließend schnell spracheigene Amalgambildung auftreten, etwa »Grusical« bereits 1961. Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Das Spukschloß im Spessart. In: DER SPIEGEL 1/1961, S. 55, hier S. 55. 23 Entlang der Wortübernahme auf eine ›Internationalisierung‹ des Genrediskurses zu schließen, ist durchaus kritisch – zumal sich dies hier lediglich durch die Zeitschrift DER SPIEGEL begründet. Demgegenüber lässt sich jene Übernahme allerdings auch in der Wissenschaft rekonstruieren; mit Ursula Gatzkes Arbeit erscheint etwa bereits 1969 eine Dissertation über das Musical, die das Wort entsprechend des heutigen Gebrauchs verwendet. Vgl. Ursula Gatzke: Das amerikanische Musical. Vorgeschichte, Geschichte und Wesenszüge eines kulturellen Phänomens. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München. München 1969.
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Ebene tritt (vergleichbar zur nicht konsistenten Differenzierung des adjektivischen und nominalen Gebrauchs im englischsprachigen Material) sowohl die Geltung des Diskurses in der umfassenden Begriffsverwendung, aber auch dessen Genese in der zögerlichen und skeptischen Übernahme des Wortes hervor. Die sprachliche Verfasstheit gibt also Hinweise auf Prozesse, die dem Genrediskurs inhärent sind – zumal hier noch ein weiterer Aspekt hinzutritt, der schon in der Korpuserstellung eine für den publizistischen Musicaldiskurs kennzeichnende Formation beobachtbar macht: seine Zurückweisung einer Unterscheidung zwischen induktivem und deduktivem Vorgehen in der Betrachtung des Genres, sein Verwischen eines Unterschieds zwischen dem Musical und einem Musical. Während im wissenschaftlichen Diskurs häufig ein deduktiver Weg zur Genrebetrachtung eingeschlagen wird, zunächst das Genre selbst und dann erst einzelne, ihm zugeordnete Artefakte im Fokus stehen, so zeigt sich in der Publizistik ein Unterschied. Hier wird häufig ein Musical behandelt und – eher selten – darauf aufbauend dann das Musical.24 Zwar wird dieses tendenziell induktive Vorgehen auch in einzelnen wissenschaftlichen Artikeln gewählt, allerdings ist – konträr zur Wissenschaft – die Betrachtung des Musicals in der Publizistik häufig ausschließlich an Einzelartefakte gebunden.25 Lediglich in sehr wenigen Aspekten, etwa im Rahmen einer Kulturkritik oder im direkten Rückgriff auf Wissenschaft, fungiert die Unterscheidung zwischen Induktion und Deduktion auch in der Publizistik als relevanter Parameter; in diesem Sinne skizzieren sich hier interdiskursive Verquickungen, die schon in der Übernahme des argumentativen Aufbaus (und nicht bloß in der Selektion einzelner Positionen) hervortreten. Deutlich häufiger leistet das Genre in der Publizistik allerdings ›nur‹ eine Beschreibung, die in dieser Funktion nicht weiter reflektiert oder gar als Kategorie erfasst wird. Dies stellt die Rekonstruktion zunächst vor ein Problem, da die auch quantitativ immense Verhandlung einzelner Artefakte doch nur wenige Rückschlüsse auf übergreifende Konstellationen in der Beschäftigung mit dem Musical erlaubt. Letztere wäre bereits aufgrund des Zugriffs zu graduieren; es entstünden typische und/oder untypische Musicals, durch das Ausbleiben weiterer Genreerläuterungen wären Deutungsmuster aber immer nur entlang des jeweiligen Artefakts (bzw. entlang seiner Kategorisierung) zu analysieren und darin äußerst begrenzt. Demgegenüber ist jedoch zu betonen, dass ›Definition‹ und ›Anwendung‹, die Reflexion der Katego-
24 Dieser Unterschied geht auch mit verschiedenen Konstruktionsbedingungen in der Generierung von Genrewissen einher – neigt die Wissenschaft doch zur Kontextualisierung des Musicals, die Publizistik hingegen zur Kontextualisierung durch das Musical. 25 Auf bestimmte in der Zeitschrift genannte Rubriken trifft dies beinahe immer zu, etwa ›DIESE WOCHE IM FERNSEHEN‹. Sie werden, sofern vorhanden, in der Quellangabe durch Majuskeln angezeigt.
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rie und ihr Gebrauch, einander bedingen. Ihre Trennung mag zwar heuristisch plausibel sein, allerdings gründet sie nicht zwangsläufig auf diskursspezifischen Geltungsbedingungen, sodass der Unterschied zwischen Induktion und Deduktion lediglich als Beobachterunterscheidung an Diskurse herangetragen werden kann. Er ermöglicht vergleichende Betrachtungen, die in den verschiedenen Verfahren argumentativer Gestaltung etwa eine Konstruktion von Anschlüssen zwischen den Diskursebenen aufzeigen. Darüber hinaus sind Induktion und Deduktion aber gerade nicht diejenigen Maßstäbe, die für die Publizistik wirkungsvolle Voraussetzungen darstellen und entsprechend Auskunft über die Geltung bestimmter Deutungen geben können. Die Zeitschrift DER SPIEGEL bildet aufgrund der hier umrissenen Faktoren eine geeignete Option, um den publizistischen Musicaldiskurs in seiner Spezifik zu beobachten: Durch die historische Weitläufigkeit des Archivs wird eine Betrachtung ermöglicht, die die Herkunft und die Wirkmacht des Genrediskurses gleichermaßen abbilden kann – bereits in der Wortübernahme. Und auch im Verhältnis zur Wissenschaft, in der generellen Zurückweisung bzw. im selektiven Anschluss an eine Unterscheidung zwischen induktivem und deduktivem Vorgehen, entstehen Hinweise auf eine spezifische Formation publizistischen Genrewissens, innerhalb derer die Geltung einzelner Deutungen nicht per se durch die Beschäftigung mit einem oder dem Musical bedingt ist. Anhand einer Operationalisierung über sprachliche Praktiken entsteht so eine umfassende Materialbasis, die jedoch nur schwerlich mit den aus der Screen gewonnenen Betrachtungen vergleichbar erscheint: In 1674 Artikeln wird in einem Zeitraum von 1947/48 bis 2011 das Wort ›Musical‹ verwendet. Es findet sich in jedem Jahrgang (bis auf 1947) gleich mehrfach und würde unter rein quantitativen Maßstäben schon innerhalb einer Dekade die Menge der Nennungen in der Wissenschaft innerhalb von über 40 Jahren überschreiten.26 Dennoch lassen sich beide Diskursebenen in Relation zueinander beobachten, da sich für die Publizistik zeigt, dass auch hier eine periphere Verhandlung des Musicals dominiert – diese allerdings nicht nur einmalige Nennungen umfasst. Vielmehr gestalten sich auch viele Artikel äußerst knapp, mitunter bestehen sie lediglich aus einem einzelnen Satz, in dem das Genre die Beschreibung eines Artefakts leistet. Dies eröffnet, wie auch in der Wissenschaft, wichtige Implikationen für die Wirkmacht des prozessierten Wissens, etwa durch den vermeintlich selbstverständlichen Umgang mit dem Musical, insofern dieses keiner ausführlichen Thematisierung be-
26 Die unterschiedliche Korpusgröße mag sich auch durch den Veröffentlichungsturnus begründen, da die Zeitschrift Screen meist nur vierteljährlich, DER SPIEGEL hingegen meist wöchentlich erscheint. Vergleicht man jedoch einzelne Ausgaben, so zeigt sich auch hier die häufigere Nennung in der Zeitschrift DER SPIEGEL – und zwar obwohl die Screen meist einen größeren Seitenumfang besitzt.
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darf. Dies erlaubt aber zusätzlich auch eine Relationierung von Wissenschaft und Publizistik, die teils schon innerhalb der Diskursebene selbst angestoßen wird. DER SPIEGEL bildet mit seinen 1674 Artikeln, in denen das Wort ›Musical‹ zur Anwendung kommt, eine Grundlage zur diskursanalytischen Rekonstruktion publizistischen Genrewissens. Entlang einer im Vorgehen zunächst scheinbar überkomplexen oder gar unnötigen Berücksichtigung auch peripherer Artikel und der differenzierten Betrachtung ihrer Wirkmacht durch diskursspezifische Geltungsbedingungen, etwa in den skizzierten Einschränkungen der Zugänglichkeit oder in der wenig relevanten Unterscheidung induktiver und deduktiver Betrachtung – durchaus aber mit begründeten Ausschlüssen27 –, kann der Spezifik dieser Diskursebene Rechnung getragen werden. Es entsteht ein Korpus von 1481 Artikeln, das schon in seiner Größe die Weitläufigkeit einer publizistischen Verhandlung des Musicals veranschaulicht und das dennoch eine Systematisierung nach Deutungsmustern erlaubt, in denen nicht zuletzt auch die Verknüpfung mit Gender zentral ist.28 Zunächst gilt es jedoch zu fragen, wie überhaupt Wissen über das Musical in der Publizistik generiert wird und welche Kontexte dabei für die Beobachtung interkategorialer Verbindungen entstehen.
4.2 K ONSTRUKTIONSBEDINGUNGEN PUBLIZISTISCHEN G ENREWISSENS : D IE K ONTEXTUALISIERUNG DURCH DAS M USICAL Während in den bisherigen Ausführungen anhand der Korpuserstellung einige Auffälligkeiten in der publizistischen Auseinandersetzung mit dem Musical verdeutlicht wurden, so stellt sich weitergehend die Frage, inwiefern diese in diskursspezifische Konstruktionsbedingungen eingestellt sind, wodurch sich die Generierung
27 Einige Artikel wurden ausgeschlossen, da sie in ihrer Begriffsverwendung fremdsprachig verfahren und so eine Differenzierung adjektivischer oder (möglicherweise) nominaler Verwendung erlauben. Erstere sind entsprechend der Bedeutung ›musikalisch‹ – wie auch für die Wissenschaft – nicht im Korpus enthalten. Dies umfasst im Übrigen auch fremdsprachige Akronyme, etwa die häufig genannten Börsenkurse von EMI (Electronic and Musical Industries). Außerdem wurde darauf verzichtet, den alleinigen Gebrauch in Bildunterschriften in das Korpus aufzunehmen. 28 Um zumindest eine Annäherung an diesen doch immensen Umfang des Korpus zu erreichen und dabei auch den mitunter knappen Artikeln Gewicht zu verleihen, sollen in der Analyse mehrere Beispiele berücksichtigt werden. Allerdings entstehen dadurch Unschärfen, etwa kann eine Begründung zur Auswahl der Artikel in ihrem exemplarischen Status nicht je einzeln stattfinden.
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von Genrewissen im publizistischen Diskurs auszeichnet. Hierzu ist eine knappe Skizze zu entwerfen, die sich aus dem Korpus heraus dieser Fragestellung widmet29 und so zeigen kann, welche Bedingungen eine Aussage rückwirkend erfüllen musste, »um überhaupt in einem [derartigen] System auftauchen zu können«.30 Es gilt, einen Blick in diejenigen Voraussetzungen zu werfen, die in der Publizistik als Basis fungieren, um vom Musical zu sprechen, um dem Genre als solchem Sinn zu verleihen. Terminologisch als Kontextualisierung durch das Musical gebündelt zeigt sich hierbei eine Tendenz, in der das Genre oft darauf beschränkt wird, als Aufhänger zu fungieren. Das Musical stellt häufig einen Rahmen zur Verfügung, mit dem weitere Beobachtungen – abseits des Genres – stattfinden; es wird ein weitläufiges Themenfeld erschlossen, in welchem das Musical allerdings bloß zu dessen Eröffnung relevant ist.31 Und dies lässt sich nicht nur rückwirkend als eine Konstruktionsbedingung publizistischen Genrewissens begreifen, sondern gibt zugleich auch Auskunft über die spezifische Position interkategorialer Verknüpfungen, denn erst innerhalb einer solchen Kontextualisierung treten Genderbezüge auf, die sich folglich als Ergebnis einer durch das Musical arrangierten Beobachtung begreifen lassen. Doch inwiefern unterscheidet sich jene Kontextualisierung durch das Musical von der wissenschaftlichen Kontextualisierung des Musicals? Wie entstehen hierin Implikationen für die Beobachtung interkategorialer Kopplungen? Und wie äußert sich diese Tendenz überhaupt? Um sich diesen Fragen anzunähern, können verschiedene Phänomene herangezogen werden. Zunächst lässt sich etwa unter quantitativen Gesichtspunkten feststellen, dass das Musical häufig in Titeln erwähnt wird und mitunter sogar eine eigene Rubrik bildet; in den untersuchten 1481 Artikeln findet es sich in mehr als 200 Überschriften, sodass es selbst in einer verhältnismäßigen Gewichtung zur Wissenschaft zentral erscheint. Wichtiger aber als ein solcher Vergleich ist, dass dieses pointierte Auftreten in besonderem Maße die Alltäglichkeit von Genreeinteilungen im Sinne ihrer »im Alltag, als subjektive oder auch mehr oder weniger sozial verfestigte Annahmen oder Wissensbestände«32 demonstriert. So mag schon mit dem bloßen Blättern durch die Zeitschrift DER SPIEGEL die Relevanz jener Einteilung hervortreten; mit der Nennung in Überschriften und Vorspann wird ersichtlich, dass das Musical in ganz unterschiedlichen Konstellationen Bedeutung hat. Und dies gilt
29 Vgl. zu den Vorteilen einer solchen Kennzeichnung aus dem Diskurs heraus Kapitel 3.2. 30 Pundt: Medien und Diskurs, S. 34. 31 Dies ist nicht bloß metaphorisch gemeint, denn teils findet das Musical nur in der Eröffnung, im Vorspann bzw. im Lead, Erwähnung. 32 Zymner: Zur Gattungstheorie des ›Handbuches‹, zur Theorie der Gattungstheorie und zum ›Handbuch Gattungstheorie‹, S. 2.
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auch dann noch, wenn sich jene Nennung auf Titel und Vorspann beschränkt, denn in diesem geradezu plakativen Auftreten wird zumindest ersichtlich, dass der jeweilige Artikel etwas mit dem Musical zu tun hat – auch wenn dieses ›etwas‹ dann nicht weiter über das Genre benannt oder thematisiert sein mag. Doch inwiefern können diese »quantitative[n] in qualitative Aussagen übersetzt [werden]«,33 inwiefern bedingt die akzentuierte Nennung des Musicals die publizistische Auseinandersetzung mit ihm? Dazu geben sprachliche Praktiken erste Hinweise. Im untersuchten Material findet sich eine Vielzahl verschiedener Komposita, in denen das Musical zur Spezifizierung und zur Einschränkung unterschiedlicher Bereiche herangezogen wird: Von der »deutschen Musical-Misere«34 über den »britischen Musical-Midas«35 bis hin zur »Musical-Hauptstadt«,36 vom »großen MusicalBusiness«37 über den »Musical-Hai«38 bis zu »Musical-Reisen«,39 vom »MusicalImperium«40 über den »Musical-Tourist«41 bis zur »Musical-Fassung«42 dient das Genre einer genauen Beschreibung der beobachteten Gegenstände. Es wird hierin allerdings selbst kaum direkt behandelt, denn, wie es die genannte Beispiele zeigen, sind es ökonomische (»Misere«, »Business«, »Imperium«), personale (»Midas«, »Hai«, »Tourist«) und distributionelle (»Hauptstadt«, »Reisen«, »Fassung«) Aspekte, die thematisiert werden. Das Musical schränkt diese Bereiche ein und nimmt dahingehend durchaus Einfluss, nichtsdestotrotz ist es aber nur indirekt derjenige Teil
33 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 134. 34 Anonymus: MUSICALS. Eingeflogener Erfolg. In: DER SPIEGEL 42/1980, S. 249-251 (ohne S. 250), hier S. 249. 35 Anonymus: SZENE. Sunset Boulevard für die Bühne. In: DER SPIEGEL 52/1990, S. 161, hier S. 161. 36 Anonymus: KULTUR. Das Theater ist verrottet. Subventionen. In: DER SPIEGEL 35/ 1993, S. 176-177, hier S. 176. 37 Anonymus: KULTUR. Katzen sind wirklich nützliche Tiere. Das Musical-Imperium des britischen Komponisten Andrew Lloyd Webber. In: DER SPIEGEL 17/1986, S. 203-212 (ohne S. 204, S. 205, S. 207, S. 209 und S. 211), hier S. 208. 38 Urs Jenny: KULTUR. Notstand ist jetzt. In: DER SPIEGEL 26/1993, S. 206-208, hier S. 208. 39 Anonymus: BERLIN. Hotels. Snobs zweiter Klasse. In: DER SPIEGEL 6/1962, S. 44-45, hier S. 44. 40 Klaus-Peter Kerbusk: WIRTSCHAFT. Unternehmen. Wir haben Geld verbrannt. In: DER SPIEGEL 12/2004, S. 94-96 (ohne S. 95), hier S. 94. 41 Anonymus: MUSICAL. Kunst kommt von Klotzen. In: DER SPIEGEL 22/1994, S. 178-183 (ohne S. 180 und S. 182), hier S. 181. 42 Anonymus: SZENE. Einesteils, andererseits. In: DER SPIEGEL 48/1985, S. 235, hier S. 235.
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des Kompositums, der im Fokus steht.43 Und so zeigt sich etwa auch, dass während in der Wissenschaft das Berkeley-Musical konstruiert wird, um eine genrehistorische Perspektive zu ermöglichen, es in der Publizistik Berkeley selbst ist, der zwar als »der eigentliche Schöpfer der Hollywood-Musicals [...] einen unverwechselbaren Stil«44 kreierte, der aber nicht allein dadurch eine posthume Würdigung erfährt. Anstelle der direkten Einbindung des Musicals in bestimmte Zusammenhänge, die mal spezifizierend, mal abstrahierend die Auseinandersetzung mit dem Genre prägen, scheinen es im publizistischen Diskurs verschiedenste Zusammenhänge zu sein, deren Beobachtung durch das Musical geprägt wird. Das Genre bildet demnach einen Rahmen, innerhalb dessen unterschiedliche Phänomene in den Vordergrund treten; es dient gewissermaßen der Fokussierung. Dabei ist die Eröffnung eines Themenfelds durch das Musical allerdings keinesfalls gleichbedeutend mit einer Beschränkung auf dieses. Stattdessen zeigt sich ein weitläufiges Spektrum, das zwar mittels des Genres in den Fokus rückt, die Bezugnahme zu ihm jedoch auch verlassen kann. Dies wird etwa anhand juristischer Themen deutlich, die mit dem Verweis auf das Musical zwar hergeleitet und akzentuiert werden, deren Erläuterung aber schließlich durch verschiedene Aspekte abseits des Genres bestimmt ist. So wird auf das Musical rekurriert, um auf Urheberrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, beispielsweise auf das Vorhaben, »ohne Erlaubnis der Autoren das Erfolgsmusical ›My Fair Lady‹ in der Sowjet-Union aufzuführen«.45 Dies hat in der historischen Situation des Kalten Kriegs eine Reflexion politischer Verhältnisse zur Folge, in denen das Musical allerdings keine Rolle mehr spielt. Außerdem geht es mitunter um Tantieme, die zunächst etwa als posthume Einkünfte eines Musicals beleuchtet werden, dann aber Kritik aufgrund ihrer Verwendung erfahren und auch hierin nicht mehr auf das Musical beschränkt sind.46 Und selbst noch über 30 Jahre später dient die Erwähnung des Genres Ähnlichem, wenn »[d]as Musical-Unter-
43 Ausnahmen bilden meist motivische Konstellationen, unter denen – etwa als »JesusMusicals« – verschiedene Artefakte summiert werden. Darin wird allerdings primär der Gemeinsamkeit, dem Motiv, nachgegangen, sodass selbst hier das Musical nur indirekt spezifiziert wird. Anonymus: SPIEGEL-TITEL. ›Gott sein ist ein harter Job‹. In: DER SPIEGEL 8/1972, S. 110-123 (ohne S. 112, S. 115, S. 117, S. 118, S. 120 und S. 122), hier S. 110. 44 Anonymus: REGISTER. Busby Berkeley (bürgerlich: William Berkeley Enos). In: DER SPIEGEL 13/1976, S. 172, hier S. 172. 45 Anonymus: MUSICAL. My Fair Lady. Premiere in Swerdlowsk. In: DER SPIEGEL 22/ 1959, S. 74-75, hier S. 74. 46 Vgl. Anonymus: KULTUR. Lukrative Lady. In: DER SPIEGEL 19/1962, S. 21, hier S. 21.
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nehmen Stella […] vor dem vorläufigen Aus [steht]«,47 denn dies ist »ein Testfall für das neue Insolvenzrecht«.48 In diesem Artikel eröffnet der Hinweis auf das Musical, wie auch zuvor, eine Beschäftigung mit juristischen Themen, nun werden diese aber in ihrer ökonomischen Bedeutung über das Genre hinaus diskutiert. Die hier skizzierten Beispiele lassen sich unter der Funktion, die das Musical innehat, bündeln: In allen wird das Genre zu einem Kontext für andere Beobachtungen abseits des Genres; es dient der Kennzeichnung verschiedener Themen, die sich durch eine enorme Bandbreite auszeichnen und im Verlauf der Artikel selbst in den Fokus rücken.49 Allerdings ist diese Beschreibung zu relativieren, denn die genannten Beispiele zeigen ja durchaus auch eine Kontextualisierung des Musicals – eine Betrachtung, die das Genre in verschiedene Zusammenhänge einstellt und darin als ein Spezifisches ausweist. Es dient eben nicht nur einer Kenntlichmachung politischer, juristischer oder wirtschaftlicher Phänomene, vielmehr wird das Musical in Umkehrung auch als Politikum, als juristische Größe oder als Wirtschaftsfaktor bestimmt. Der Unterschied besteht jedoch im Auftreten. So ergibt sich eine Rahmung des Musicals erst in Umkehrung; erst in der Funktion eines Kontexts wird ersichtlich, dass das Genre etwa juristische Brisanz besitzt und genau hierin zu verorten ist. Dadurch kann jene Kontextualisierung des Musicals aber nicht, wie in der Wissenschaft, als Ansatzpunkt gelten, um dem Genre Sinn zu verleihen, um überhaupt von ihm zu sprechen. Anstelle dessen tritt die mit dem Musical ermöglichte Beobachtung, seine Kontextfunktion selbst. Und genau diese bildet das eigentliche Fundament im publizistischen Diskurs. So muss sich das Genre bereits als Kontext erwiesen haben, um in der Publizistik Erwähnung zu finden, es muss eine Kontextualisierung leisten, damit man von ihm spricht. Dies bedingt letztlich die dem Genre zugedachten Sinngebungen, allerdings erst rückwirkend, erst wenn das Musical bereits eine Rahmung bildet.50 Von daher kann jene Kontextualisierung durch
47 Hermann Bott/Dinah Deckstein: WIRTSCHAFT. Musicals. Den Stecker gezogen. In: DER SPIEGEL 49/1999, S. 126-127, hier S. 126. 48 Ebd. 49 Sogar die Beschäftigung mit Terroranschlägen, die Suche nach Gründen oder die Betrachtung ihrer Folgen, kann (!) durch einen Bezugnahme zum Musical eröffnet werden. Vgl. etwa Alexander Osang: GESELLSCHAFT. Shows. Die Stunde der Komödianten. In: DER SPIEGEL 40/2001, S. 120-124 (ohne S. 123), hier S. 120 sowie Uwe Klussmann: TITEL. Ein Bomber auf der Bühne. Das Moskauer Musical ›Nord-Ost‹ wurde als patriotisches Spektakel zum Kassenschlager. In: DER SPIEGEL 44/2002, S. 140, hier S. 140. 50 Diese Perspektive ist nah an Schneiders Vorschlag einer nachträglichen Beobachtung, jedoch besteht der Unterschied darin, dass die Nachträglichkeit einer Sinngebung des Musicals hier als Basis in der Konstruktion publizistischen Wissens begriffen wird; es geht
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das Musical als eine Konstruktionsbedingung in der Generierung publizistischen Genrewissens gelten; sie ist eine Voraussetzung, unter der eine Aussage um das Musical in der Publizistik überhaupt auftauchen kann – zumal sich jene Voraussetzung auch auf die Auseinandersetzung mit einzelnen Musicals und darin auf die Zurückweisung einer Unterscheidung zwischen induktivem und deduktivem Vorgehen auswirkt. Letzteres tritt exemplarisch in der Auseinandersetzung mit HAIR hervor. HAIR findet in einem Zeitraum von über 40 Jahren vielfältig Erwähnung, wobei sowohl das Theaterstück51 als auch der Film52 stets als Musicals gelten und gerade dadurch zum Ansatzpunkt werden, um verschiedene Beobachtungen herzuleiten. So wird etwa auf einzelne Inszenierungen und hierin wiederum auf Praktiken der Aufführung verwiesen,53 HAIR dient der Betrachtung von Verfilmungen54 und wird aufgrund von Zensur sogar zum Ausgangspunkt, um die Definitionsunschärfe juristischer Bestimmungen zu kritisieren.55 Auffällig ist aber nicht nur das weitläufige Themenfeld einer mit HAIR ermöglichten Betrachtung, sondern auch, dass diese oftmals vergleichende Erwähnungen formiert – und zwar vergleichend zu anderen Artefakten. Dies geschieht interessanterweise häufig im Rahmen von Uraufführungen oder Neuerscheinungen, sodass zu vermuten ist, dass noch nicht als Musicals geltende Artefakte oder zumindest noch nicht als typische Musicals geltende Artefakte mit der vergleichenden Perspektive eine wirkmächtige Zuordnung zum Genre erfahren. Dies tritt etwa in der Auseinandersetzung mit RENT56 hervor,57 zeigt sich aber auch in der vergleichenden Bezugnahme zu THE ROCKY HORROR SHOW,58 wo-
(bislang) weniger um die Beobachtung als mehr um die Phänomenbeschreibung – auch wenn dies schwerlich zu trennen ist. 51 HAIR (auch HAIR – THE AMERICAN TRIBAL LOVE-ROCK MUSICAL, dt. zunächst HAARE, später HAIR), New York (Biltmore Theatre) 29.04.1968 (Uraufführung), R: Tom O’Horgan. 52 HAIR, USA 1979, R: Miloš Forman. 53 Vgl. beispielsweise Anonymus: GESELLSCHAFT. Underground. Jahr des Schweins. In: DER SPIEGEL 24/1969, S. 142-155 (ohne S. 152), hier S. 154. 54 Vgl. etwa Anonymus: SZENE. Jubel um Formans Hair-Film. In: DER SPIEGEL 12/ 1979, S. 209, hier S. 209. 55 Vgl. Anonymus: THEATER. Doppeltes Spiel. In: DER SPIEGEL 45/1968, S. 218, hier S. 218. 56 RENT, New York (Nederlander Theatre) 29.04.1996 (Uraufführung), R: Michael Greif. 57 Vgl. Anonymus: SZENE. Musical. La Bohème als Choral. In: DER SPIEGEL 11/1996, S. 255, hier S. 255. 58 THE ROCKY HORROR SHOW, London (Royal Court Theatre) 16.06.1973 (Uraufführung), R: Jim Sharman.
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bei hier neben den Stücken sogar die jeweiligen ›Filmfassungen‹59 parallelisiert werden.60 Und selbst HARTZ IV – DAS MUSICAL,61 vielleicht in seiner dreimaligen Nennung innerhalb des gesamten Korpus zumindest momentan als randständiger Ausreißer des Musicals (wenn denn überhaupt als ein solches) zu begreifen, findet über HAIR eine Zuordnung zum Genre – ist in ihm doch »von ›Hair‹ bis ›West Side Story‹ alles drin.«62 Obgleich durchaus genauer zu beleuchten wäre, inwiefern sich die Typizität einer Genrezuordnung durch diskursspezifische Mechanismen herstellt und warum sie gerade im vergleichenden Rekurs auf HAIR eine Rolle spielt, so lässt sich mit dieser Tendenz doch eine Konsequenz ableiten: HAIR erscheint geeignet, um andere Artefakte dem Musical zuzuführen, HAIR bildet einen Rahmen, um andere Musicals als ebensolche zu betrachten. Und so kann letztlich die Kontextualisierung durch das Musical auch das Musical selbst betreffen – einzelne Artefakte werden durch Andere kontextualisiert, sodass sich ihre Beobachtung als Musical ermöglicht und/ oder plausibilisiert.63 Dies stützt die Annahme, dass es sich hierbei um eine Grundlage zur Generierung von Genrewissen handelt, denn jene Kontextualisierung durch das Musical entspinnt sich eben auch anhand der im Material häufigen Betrachtung einzelner Artefakte, womit sich im Weiteren sogar formale Aspekte, etwa die Kürze der Artikel, genauso wie spezifische Konstellationen einer publizistischen Wissensordnung berücksichtigen lassen. Und dies hat auch Folgen für die Verknüpfung zu Gender, wie es sich ebenfalls in der Auseinandersetzung mit HAIR abzeichnet. Dadurch dass HAIR vermeintlich »epochale Qualitäten«64 besitzt, ergibt sich in der Publizistik eine Perspektive, in der es zur Behauptung einer »neue[n] Freizügigkeit in Sachen Sex«65 kommt. Über die im Musical (bzw. in den Musicals) er-
59 Gemeint ist THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW, UK/USA 1975, R: Jim Sharman. 60 Vgl. Anonymus: JUGEND. Irrsinniges Feeling. In: DER SPIEGEL 20/1985, S. 92-95 (ohne S. 93 und S. 94), hier S. 95. 61 HARTZ IV – DAS MUSICAL, Dresden (Dresdener Schauspielhaus) 13.01.2006 (Uraufführung), R: Erik Gedeon. 62 Anonymus: THEATER. PREMIEREN. Hartz IV zum Mitsingen. In: kulturSPIEGEL 1/ 2006, S. 30-31, hier S. 31. 63 Auch im Vergleich zur akademischen Verhandlung mag sich dabei ein Unterschied abzeichnen, denn während etwa THE GOLD DIGGERS einen besonderen Status in der Abgrenzung zu ›klassischen‹ Genrekonventionen erhält, so wird in der Publizistik doch zumeist auf die Typizität eines Musicals verwiesen. 64 Anonymus: KULTUR. Mit nackter Haut und wirrem Haar. In: DER SPIEGEL 20/1968, S. 176, hier S. 176. 65 Anonymus: AUSLAND. Sex. Wirklich positiv. In: DER SPIEGEL 25/1969, S. 118-121 (ohne S. 120), hier S. 118.
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folgende Inszenierung, aber auch – und gerade – durch den Erfolg von HAIR lassen sich gesellschaftliche Veränderungen beobachten, die ihrerseits Gender betreffen. Das Genre dient dabei allerdings weniger einer Begründung als mehr einer Kontextualisierung, denn im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung wird in vielfältiger Weise ein »Mißbehagen an der offiziellen ›Law and Order‹-Politik«66 konstatiert. HAIR eröffnet zwar beispielhaft-illustrativ diese Behauptung, in der es jedoch letztlich um die ›gesamte‹ »langhaarige, sexselige, beattanzende, haschischrauchende Flower-Power-Welt«67 geht. Und dies betrifft auch die Bezugnahme zu Gender, denn jene beschränkt sich ebenfalls nicht nur auf eine »Szene, in der die Blumenkinder bloß gehen und zeigen, womit sie zeugen.«68 Vielmehr ist die Verbindung zu Gender grundlegend in die Annahme einer »neue[n] Freizügigkeit« implementiert, welche später – wiederum in der Eröffnung durch HAIR – als ein Ausdruck von »Kultur-Kommerz«69 umgewertet wird. Dieses bloß knapp umrissene Beispiel mag vergleichbar zur Wissenschaft gestaltet sein; auch hier wird das Musical in übergeordnete und mit Gender assoziierte Perspektiven eingestellt. Der tendenzielle (!) Unterschied besteht allerdings im argumentativen Aufbau, denn die Erwähnung des Genres dient primär der Herleitung und nicht allein, wie in der Wissenschaft, der Exemplifizierung oder der Erweiterung. Mit dem Musical ergeben sich demnach also erst die Phänomene, in denen Gender eine Rolle spielt; im Falle der Auseinandersetzung mit HAIR werden erst mittels des Musicals (bzw. der Musicals) gesellschaftliche Veränderungen behauptet, die ihrerseits Gender betreffen. Und dies ist letztlich sogar unabhängig von der erwähnten Umwertung, denn obgleich es in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren zu einer Verschiebung kommt, so ist Beschäftigung mit HAIR doch genau hierin konstant: HAIR fungiert gleichermaßen als Aufhänger, um die Betrachtung gesellschaftlicher und implizit genderrelevanter Konstellationen anzuregen – ob nun über das »Protest-Musical«70 eine »neue Freizügigkeit in Sachen Sex« behauptet wird oder ob es als »Hippie-Digest fürs bürgerliche Publikum«71 ihre Abwertung als »Kultur-Kommerz« zufolge hat.
66 Anonymus: THEATER. Stomp. Hand gereicht. In: DER SPIEGEL 40/1970, S. 232-235 (ohne S. 233 und S. 234), hier S. 232 f. 67 Anonymus: MUSICAL. Haare. Bett verweigert. In: DER SPIEGEL 44/1968, S. 218, hier S. 218. 68 Ebd. 69 Wolf Donner: FILM. Disco mit Blumenkindern. In: DER SPIEGEL 29/1979, S. 137-138, hier S. 137. 70 Anonymus: THEATER. Stomp. Hand gereicht, S. 232. 71 Donner: FILM. Disco mit Blumenkindern, S. 137.
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Die Konstanz einer derartigen Formation zeigt sich jedoch nicht nur in der Auseinandersetzung mit HAIR und in ihrer Resistenz gegenüber Umkodierungen. Sie lässt sich auch in den vielfältigen Bezugnahmen zu Gender skizzieren, die sich mittels einer Eröffnung durch das Musical gestalten. So kann Gender etwa in einer Betrachtung der nicht selten als »Musical-Monopolist«72 stilisierten Produzierenden oder Regisseure hervorgestellt werden. Das Genre dient hierin als Ansatzpunkt, um den Einfluss verschiedener Akteure zu beleuchten, womit sich sogar die Behauptung eines ›Erfolgsrezepts‹ ermöglicht, welches seinerseits in unterschiedlichem Maße durch Gender beeinflusst scheint.73 Solche Bezüge treten aber auch bei einer Kontextualisierung auf, die als Skandalisierung eines ›Musicalereignisses‹ die Reflexion ihrer Gründe anregt. Von den schon erwähnten »Sex-Musicals«,74 die in den USA Kritik erfahren und in ihrer Ablehnung als Sinnbild einer dortigen Prüderie verstanden werden,75 bis hin zu historischen Prozessen, die sich nicht nur im Auftreten bestimmter Genderinszenierungen spiegeln, sondern auch deren Einbettung in ökonomische Überlegungen verlangen,76 wird das Genre zu einem Kontext, der verschiedene Beobachtungen ermöglicht und darin unterschiedlichste Anschlüsse für Gender vermittelt. Obgleich sich alle genannten Beispiele vornehmlich einer Reflexion der gesellschaftlichen Relevanz von Gender annähern, so zeigt sich doch, dass diese vielfältig ist, dass Gender in unterschiedlicher Weise thematisiert wird. Es zeigt sich aber noch etwas Anderes, denn die Verknüpfung mit Gender tritt erst in der Konsequenz eines durch das Musical eröffneten Themenfelds auf. Erst wenn es um gesellschaftliche Veränderungen aufgrund der Inszenierung und des Erfolgs von HAIR geht, erst wenn Musicalschaffende und ihr Einfluss im Fokus stehen, erst wenn ein skandalöses ›Musicalereignis‹ auf seine Ursachen hin befragt wird, kommt es zur Bezug-
72 Anonymus: MUSICAL. Suizid im Schwitzbad. In: DER SPIEGEL 48/1994, S. 194-196 (ohne S. 195), hier S. 196. 73 Vgl. auch als Spektrum verschiedener Wertungen Anonymus: REGISTER. Busby Berkeley (bürgerlich: William Berkeley Enos), S. 172 sowie konträr Anonymus: KULTUR. Kohle für den Ruhrpott. In: DER SPIEGEL 23/1988, S. 194-204 (ohne S. 196, S. 197, S. 199 und S. 201), hier S. 194. 74 Anonymus: PERSONALIEN. Arthur Michael Ramsey, S. 149. 75 Vgl. ebd. und Anonymus: KULTUR. Mobilmachung der Sittenwächter. In: DER SPIEGEL 30/1973, S. 84-85, hier S. 85 sowie Matthias Matussek: KULTUR. Spiel von Liebe und Erlösung. SPIEGEL-Reporter Matthias Matussek über die Broadway-Aufführung von Tony Kushners ›Engel in Amerika‹. In: DER SPIEGEL 19/1993, S. 198-202 (ohne S. 200 und S. 201), hier S. 202. 76 Vgl. Anonymus: KULTUR. Cats: Katzenmusik für Millionen. In: DER SPIEGEL 44/ 1982, S. 240-244 (ohne S. 242 und S. 243), hier S. 244.
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nahme zu Gender. Dadurch erscheint die Verknüpfung der Kategorien zunächst wenig direkt, ja womöglich gar irrelevant – sie ist aber dennoch nicht zu ignorieren, denn wenn das Musical zu einem Kontext für andere Beobachtungen wird, in denen es auch zur Betrachtung von Gender kommt, dann gibt dies Hinweise auf die Spezifik konstitutiver Verbindungen. Während sowohl in der Wissenschaft als auch in der Publizistik interkategoriale Verknüpfungen als wechselseitig zu betonen sind, so scheint ihre Dominanz im Rahmen diskursspezifischer Konstruktionsbedingungen doch anders. In der Wissenschaft treten Genderinskriptionen auf, die als mögliche Anschlüsse innerhalb einer weiter gefassten Sinngebung die Beschäftigung mit dem Genre prägen. Sie lassen sich aber nicht nur, wie bei Buscombe und Collins (Kapitel 3.2), als Fragment einer Betrachtung nachzeichnen, sondern werden mitunter sogar selbst zu einem Rahmen in der Auseinandersetzung mit dem Musical. Dies impliziert etwa die Beobachtung von Geschlechterbildern (Kapitel 3.4), denn hier wird mit dem Fokus auf Gender erst das Interesse am Genre begründet. Tendenziell gilt für die Wissenschaft also: Gender beeinflusst die Betrachtung des Musicals; es lassen sich Spezifika des Genres generieren, die über Gender entstehen oder zumindest in einem mit Gender verbundenen Feld verortet sind. In der Publizistik nun kehrt sich dies um, denn wenn das Musical grundlegend als Aufhänger fungiert, nicht aber zwingend eine Begrenzung der mit ihm eröffneten Themen zur Folge hat, so kann das Genre eben auch einen Rahmen für Gender bilden. Mit Einschränkungen gilt hier: Das Musical beeinflusst die Betrachtung von Gender; es stellt einen Kontext zur Verfügung, in dem sich Spezifika von Gender oder zumindest mit Gender assoziierter Bereiche behaupten lassen. Innerhalb der Grenzen eines korpusimmanenten Vorgehens eröffnet sich somit eine (!) Tendenz, die als Konstruktionsbedingung zur Generierung publizistischen Genrewissens wirksam ist und die zugleich Konsequenzen für die Verknüpfung zu Gender – samt ihrer Analyse – hat: Zunächst sind Sinngebungen des Musicals in ihrer rückwirkenden Verfasstheit zu entschlüsseln. Es gilt zu beobachten, wie in der Erwähnung des Genres ein Themenfeld eröffnet wird, das erst retrospektiv die Konstituenten einer solchen Kontextualisierung preisgibt und darin als sinnstiftendes Moment auftritt.77 Dies führt in der folgenden Betrachtung dazu, dass die im Verweis auf das Musical generierten Schwerpunkte in ihrem Bezug zum Genre betont werden – obgleich dies auf Kosten der Analyse von Weiterführungen einer solchen Konstitution geht.78 Die leitende Frage, die sich aus dieser Konstruktions-
77 Dieser Verfasstheit soll bereits in Kompositakonstruktionen Rechnung getragen werden, zumal dies erneut eine Anerkennung der Wirkmacht diskursiver Prozesse mit sich bringt. 78 Im Grunde sind jene Weiterführungen schon im Ansatzpunkt inhärent, denn wenn das Musical rückwirkend beispielsweise als juristische Größe auftritt, so ist die Folge dieser
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bedingung ergibt, lautet daher: Wie gestaltet sich überhaupt eine Perspektive, in der das Musical als Aufhänger für bestimmte Betrachtungen fungiert? Und was sagt dies darüber aus, was das Musical eigentlich ist? Aber nicht bloß diese Setzung ist als eine Folge der hier umrissenen Konstruktionsbedingung zu werten. Wenn sich das Musical nämlich bereits als Kontext erwiesen haben muss und dies äußerst umfassend im Material nachzuzeichnen ist, dann gilt es doch auch zu fragen, wodurch diese Funktion untermauert wird, warum sie sich als wirkmächtig erweist. Dies lässt sich mit Blick auf Gender beantworten. So kann die interkategoriale Verbindung zur Kennzeichnung des Genres beitragen, indem sie als eine Konsequenz der mit ihm hergeleiteten Schwerpunkte auftritt. Sie verleiht – und zwar gerade weil sie wenig direkt erscheint – dem sinntragenden und sinnstiftenden Arrangement einer Kontextualisierung durch das Musical Gewicht, wobei dies zugleich Eigendynamiken und Präzisierungen entstehen lässt, welche (auch im Unterschied zur Genderinskription) innerhalb der durch das Genre eröffneten Themenfelder zu verorten sind. Die Behauptung einer »neue[n] Freizügigkeit in Sachen Sex« etwa ist wohl kaum ohne Gender zu denken, obgleich die durch HAIR gerahmte Betrachtung gesellschaftlicher Veränderungen auch darüber hinausgeht und nicht zwangsläufig mit Gender assoziiert sein müsste. In dieser Hinsicht ist die interkategoriale Kopplung bereits in der Konstitution des Genres wirksam; sie ist retrospektiv nicht nur als eine Möglichkeit anzusehen, mit der die Kontextfunktion des Musicals weitere Geltung erlangt, vielmehr dient sie darin ebenso ihrer Hervorbringung. Von daher ist also nicht nur zu fragen, was es für das Genre bedeutet, wenn es als Aufhänger fungiert, sondern auch, was es bedeutet, wenn innerhalb dessen Gender betont wird.79 Die Verknüpfung von Genre und Gender gelangt, wie es die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, zu enormer Relevanz – und zwar obwohl sie zunächst scheinbar nur indirekt auftritt. Sie prozessiert, wie in der Wissenschaft, diskursspezifische Konstruktionsbedingungen, auch wenn diese dann wenig mit der Wissenschaft gemein haben mögen. Und sie eröffnet, wie in der Wissenschaft, eine konstitutive Dimension, die jedoch schon aufgrund anderer Voraussetzungen in der Auseinandersetzung mit dem Musical spezifisch zu erfassen ist. Dem gilt es – samt der Be-
Sinngebung in der Beobachtung rechtlicher Zusammenhänge zu sehen. Dennoch bleiben blinde Flecken, insofern Letztere, wie es die genannten Beispiele zeigen, in unterschiedliche Konsequenzen münden. 79 Dadurch ergibt sich für das Vorgehen eine weitere Konsequenz: Neben der Fokussierung ihrer genrekonstitutiven Dimension gilt es, die jeweiligen mit dem Musical arrangierten Themenfelder zunächst zu beleuchten, sodass anschließend die Verknüpfung zu Gender als spezifisches (und durchaus wirkmächtiges) Arrangement innerhalb einer solchen Kontextualisierung hervortreten kann.
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obachterabhängigkeit einer solchen Beschreibung –, im Folgenden Rechnung zu tragen, wenn anhand zweier Deutungsmuster die wechselseitige Hervorbringung der Kategorien und die darin auftretenden Ambivalenzen ihrer Verbindung genauer betrachtet werden.
4.3 D AS M USICAL ALS ›F RAUENGENRE ‹: E INE B ESTIMMUNG MITTELS D ISKURSAKTEUREN Wie schon in der Einleitung dargestellt, lässt sich die Forschung zu Genre und Gender in zwei große Richtungen einteilen – entweder werden genrespezifische Genderrepräsentationen angenommen oder es werden genderspezifische Genrepräferenzen behauptet. Und beides findet im publizistischen Diskurs ein Pendant: die Bestimmung des Musicals als ›Frauengenre‹. Diese Sinngebung, die keinesfalls deckungsgleich mit den beiden in der Forschung diskutierten Bereichen ist, wohl aber erstaunliche Parallelen aufweist,80 beruht darauf, dass im Rückgriff auf einen Diskursakteur eine Bestimmung des Diskursgegenstands angelegt wird; durch das Musical gelangt dessen Publikum in den Fokus. Und dieses lässt sich in der Verbindung zu Gender als ein Spezifisches ausweisen – es wird angenommen, dass das Musical vornehmlich von ›Frauen‹ rezipiert wird. Allerdings ist es nicht nur jene Behauptung einer genderspezifischen Genrepräferenz, die zur Sinngebung des Musicals als ›Frauengenre‹ beiträgt, denn im Rahmen einer solchen Perspektive findet ebenso ein Bezug zu genrespezifischen Genderrepräsentationen statt. Und auch hier dient die ›Frau‹ zur Kenntlichmachung einer Eigenheit des Musicals, denn über ihre Inszenierung wird das Interesse des Publikums am Genre begründet. Insofern leistet dieses Deutungsmuster gleich in mehrfacher Weise eine Verknüpfung zu Gender – Grundlage bildet jedoch eine einzige Sinngebung, in der mittels des Diskursakteurs Publikum angenommen wird, dass Musicals »weiblich gepolte Filme«81 sind, dass das Genre ›Frauen‹ anspricht und ›Frauen‹ inszeniert.82 Bevor jedoch ein genauer Blick in diese Sinngebung und ihre Konsequenzen geworfen wird, ist zunächst zu betrachten, wie die Assoziation des Genres mit seinem Publikum überhaupt gestaltet ist, denn die Fokussierung dieses Diskursakteurs
80 Unterschiede zur Wissenschaft beziehen sich hier nicht nur auf Wissensordnungen, sondern zeigen sich schon darin, dass in der Publizistik beide Zugriffe entlang einer grundlegenden Perspektive auf das Musicalpublikum entstehen. 81 Daniel Haas: IM DSCHUNGEL DER GEFÜHLE. Triebgehemmter Blutsauger. In: SPIEGEL WISSEN 2/2010, S. 74-77, hier S. 75. 82 Diese – gleich doppelte – Verknüpfung zu Gender begründet im Übrigen auch die Benennung als ›Frauengenre‹.
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besitzt auch abseits von Gender einen enormen Stellenwert. Sie lässt sich grundlegend als Ergebnis einer Kontextualisierung durch das Musical begreifen und führt retrospektiv zu seiner Bestimmung. Dies zeigt sich bereits zu Beginn des untersuchten Materials, insofern im Rahmen der Wortübernahme gerade in den ersten Dekaden unterschiedliche Zugriffe kursieren, die eine Verbindung des Genres mit seiner Zuschauerschaft nahelegen: Das Musical gilt etwa als »bühnenfeste Maßarbeit nach Weltstadt-Geschmack, ein geschickt gearbeitetes Schau- und Hör-Stück mit Tanzeinlagen, viel Melodie und ein wenig Handlung.«83 Es ist Resultat »einer marktgerechten Entwicklung und Perfektionierung allgemein interessierender und verständlicher Genres – allesamt Hohlgefäße für die Tagträume von Millionen«.84 Und nicht zuletzt werden dem Musical hierin auch anhand einzelner Artefakte und ihrem Erfolg beim Publikum verschiedene Attribute zugeordnet – es »versimpelt«85 oder »veralbert«86, es ist ein »[b]ehagliches«87 oder »[l]ockeres«88 Genre, es ist »recht handlungsarm«,89 im Extrem wird es sogar zum »pompösen, aber geistig armen Drei-Stunden-Spektakel«.90 Diese Beispiele mögen insbesondere in ihrer normativen Haltung verdeutlichen, dass die Wortübernahme zugleich ein sinnstiftendes Moment evoziert, mittels dessen Skepsis gegenüber dem Musical (auch abseits grammatischer Phänomene) nachzuzeichnen ist; nicht nur das Wort, sondern auch seine ›Bedeutung‹ bilden im publizistischen Diskurs zunächst zweifelhafte Größen. Und just in dieser kritischen Haltung entstehen Ansätze, in denen das Genre entlang seiner Orientierung am Publikum behandelt wird – und zwar in ganz unterschiedlichen Konstellationen:
83 Anonymus: MUSIK. Normal wie Blaubeerkuchen: Glorreicher Großvater. In: DER SPIEGEL 43/1949, S. 32-34, hier S. 32. 84 Anonymus: SERIE. Das Land, aus dem die Träume sind. 200 Jahre USA (IV) – Eine Verbraucherkultur für jedermann. In: DER SPIEGEL 48/1975, S. 122-138 (ohne S. 125, S. 128, S. 133, S. 134 und S. 136), hier S. 124 f. 85 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Hans Christian Andersen und die Tänzerin (USA). In: DER SPIEGEL 45/1953, S. 33, hier S. 33. 86 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. April in Paris (USA). In: DER SPIEGEL 39/1954, S. 38, hier S. 38. 87 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Einmal eine Dame sein (USA). In: DER SPIEGEL 22/1953, S. 29, hier S. 29. 88 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Mädels Ahoi! (USA). In: DER SPIEGEL 19/1953, S. 26, hier S. 26. 89 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Vorhang auf (USA). In: DER SPIEGEL 27/1954, S. 30, hier S. 30. 90 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. South Pacific (USA). In: DER SPIEGEL 50/1958, S. 59, hier S. 59.
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Mal wird das Musical als Bühnenstück, mal Kinogenre begriffen, mal sind es Simplifizierungen einer Handlung, mal sind es simple Handlungen, mal kommerzielle Interessen, mal historische Entwicklungen. Doch unabhängig davon, welche dieser Konstellationen aufgerufen wird, entsteht im Ergebnis eine Interpretation, in der sich das Musical durch sein Publikum auszeichnet. Es adressiert der Deutung zufolge eine bestimmte, nämlich eine große Zuschauerschaft. Dies hat Konsequenzen für den darin implizierten Publikumsbegriff,91 aber eben auch für das Genre selbst – zumal die hier formulierten Wertungen nicht nur ungeachtet der jeweiligen Ansatzpunkte auftreten, sondern auch weit über die bislang skizzierten Positionen hinausreichen; etwa wird noch über 40 Jahre später im Verweis auf den Erfolg beim Publikum die rhetorische Frage gestellt: »Braucht man da noch eine Handlung?«92 Indem sich durch das Musical eine Beobachtung seines Publikums arrangieren lässt, erhalten beide eine Bestimmung, die – unabhängig vom jeweiligen Ansatz, unabhängig davon, ob das Musical etwa als Film- oder als Theatergenre gilt – negative Wertungen und die Behauptung einer Einfachheit bedingen. Allerdings sind es nicht nur diese ›Qualitäten‹, die im Rahmen einer Verbindung des Genres mit seinen Rezipierenden sinngebend in den Diskurs Einzug erhalten – zumal solche Wertungen teils noch expliziter auch in anderen Deutungsmustern auftreten. Vielmehr zeichnet sich eine im Diskurs überaus erfolgreiche Perspektive ab, die in der Fokussierung des Publikums weitere Konsequenzen für das Musical eröffnet. So dient dieser Kontext etwa auch der Geschichtsschreibung; über das Publikum wird in unterschiedlichen Zusammenhängen immer mal wieder eine »neue Welle von KinoMusicals«93 diagnostiziert oder das »Ende eines Booms«94 behauptet. Das Publikum gerät hier zum Maßstab, um den (Miss-)Erfolg des Genres historisch anzuzeigen, um die verschiedenen Modelle einer Genregeschichte, seinen Aufstieg und/oder
91 Neben einer großen und darin negativ konnotierten Zuschauerschaft treten auch weitere Kennzeichnungen des Publikums auf, etwa ist es »ein [B]ürgerliches beim Musical«, dem gegenüber ein Intellektuelles für andere Genres genannt wird. Anonymus: THEATER. ›Ich habe andere Vorlieben als Gründgens‹. In: DER SPIEGEL 38/1963, S. 92-96, hier S. 94. 92 Anonymus: BÜHNEN UND PREMIEREN. Smokey Joe’s Café. In: kulturSPIEGEL 7/ 1998, S. 28-29, hier S. 28. 93 Anonymus: FILM. Ohrwürmer fürs Kino. In: DER SPIEGEL 34/1980, S. 176-179 (ohne S. 177), hier S. 176; vgl. auch etwa Anonymus: THEATER. MUSICAL. Annie schießt los. In: DER SPIEGEL 36/1963, S. 63, hier S. 63. 94 Anonymus: WIRTSCHAFT. Musicals. Cats und Koteletts. In: DER SPIEGEL 38/1998, S. 132-133, hier S. 132 [Herv. i.O.]; vgl. auch Anonymus: MUSICALS. Eingeflogener Erfolg, S. 249.
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seinen Fall, zu untermauern.95 Und nicht zuletzt kann in der Assoziation des Genres mit seinem Publikum gar eine rezeptionsspezifische Anordnung behauptet werden. So heißt es etwa: »Mit Kino-Musicals ist das ja so eine Sache: Wenn einem die Musik nicht gefällt, können Inszenierung, Schauspieler oder die Bilder noch so brillant sein, den Film kann man trotzdem vergessen.«96 In diesem Beispiel lässt sich mit dem Verweis auf eine implizite Zuschauerschaft (»einem«, »man«) das Musical auf Musik reduzieren, und zwar derart, dass diese alleinig für die Rezeption entscheidend ist. Die hier skizzierten Positionen verdeutlichen die Relevanz einer Sinngebung über das Musicalpublikum und stellen sie rückwirkend als konstitutiv für das Genre aus. Indem sich mit dem Musical ein Kontext ergibt, in welchem sein Publikum fokussiert werden kann, entstehen normative Wertungen, historische Modelle oder rezeptionsspezifische Anordnungen, die allesamt das Genre auszeichnen. Obgleich durchaus einzelne Akzentuierungen auftreten und sich etwa die Gleichsetzung von Einfachheit und Publikumsorientierung innerhalb des Diskurses nur auf Basis einer Kulturkritik und ihrer rigiden Unterscheidung zwischen U und E durchsetzt, so bleibt dennoch die Zuschauerschaft der entscheidende Faktor. Und dies erscheint durchaus ›naheliegend‹ – immerhin hebt auch DER SPIEGEL die Relevanz, mitunter die Größe seiner Rezipierendenschaft hervor. Da dies jedoch gerade nicht vor dem Hintergrund einer Kritik geschieht, erhalten die darin angelegten Geltungsbedingungen mit Blick auf das Musical eine spezifische Ausformung; sie sind nicht in einer simplen Übertragung wirksam, sondern fast schon konträr zum Selbstverständnis der Zeitschrift positioniert. Die Fokussierung des Musicalpublikums besitzt, wie es die bisherigen Ausführungen zeigen sollen, einen enormen Stellenwert – sie steht in Assoziation zu Geltungsbedingungen und lässt retrospektiv verschiedene Merkmale des Genres entstehen. Doch im Fahrwasser einer solchen Betrachtung können auch Verknüpfungen zu Gender nachgezeichnet werden. Diese sind als Teil einer Perspektive auf den Diskursakteur zu begreifen, sie sind beispielsweise durch normative Gewich-
95 Diese verschiedenen Geschichtsnarrative treten im untersuchten Material stetig auf und verlaufen in ihrem Ansatzpunkt nahezu immer linear (Aufstieg und/oder Fall). Innerhalb des Diskurses sind sie allerdings nicht in eine chronologische Ordnung zu setzen; einzig eine Verschiebung in der Historiografie selbst wird deutlich: Ab Mitte der 1970er Jahre sind es zunehmend ökonomische Maßstäbe, die anhand des Publikums explizit benannt werden, während zuvor – ohne etwa auf Einnahmen zu rekurrieren – lediglich von Erfolgen bzw. Misserfolgen gesprochen wird. 96 Anonymus: MUSICAL. Once. Die gewisse Note. In: UniSPIEGEL 6/2007, S. 40, hier S. 40; vgl. etwa auch Anonymus: FERNSEHEN. Chicago. In: DER SPIEGEL 24/2006, S. 93, hier S. 93.
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tungen mitbegründet. Zugleich gelangen im Rekurs auf Gender jedoch auch andere Aspekte zu Relevanz, mit denen etwa die normative Gewichtung diskursiv als eine Heteronormative präzisiert wird. Dadurch kann letztlich behauptet werden: Obwohl das Deutungsmuster grundlegend als eine Sinngebung durch das Publikum zu beschreiben ist, so bringt die gleich mehrfache Kopplung zu Gender Eigendynamiken hervor – und zwar, indem sie auf der einen Seite das Musicalpublikum als ein Spezifisches ausweist, während sie auf der anderen Seite Bezüge zur Repräsentation von Geschlechtern ermöglicht, womit sich schließlich das Genre als ein Spezifisches erklärt. Beide Verknüpfungen sind durch die Betrachtung des Diskursakteurs bedingt und lassen sich dahingehend als zusammengehörig perspektivieren, gleichfalls sind beide Verknüpfungen aber auch in ihren Eigenheiten hervorzustellen und in der Gestaltung einer konstitutiven Wechselseitigkeit zwischen Genre und Gender präzise zu erfassen. Um dies zu leisten, soll zunächst ein Blick in die geschlechtliche Markierung des Musicalpublikums, in die Behauptung einer genderspezifischen Genrepräferenz, geworfen werden. In der Betrachtung des Musicalpublikums kommt es zur Verbindung mit Gender, indem Gender unter anderem eine Präzisierung des Diskursakteurs gestattet und hierin wiederum erst die eigentliche Sinngebung forciert. Anhand von Gender lässt sich die Zuschauerschaft des Musicals bestimmen – sie besteht etwa aus »Amerikas schweigende[r] Mehrheit, meist Frauen um Fünfzig«,97 oder schlichter aus »Teenie-Mädchen«.98 Durch diese Annahme wird aber nicht nur das Publikum geschlechtlich markiert, zugleich bewirkt sie auch eine Kennzeichnung des Genres. Es erzählt beispielsweise »Geschichten für Mädchen und junge Frauen«99 und löst mitunter gar eine »Kleinmädchen-Hysterie«100 aus. Die Behauptung einer genderspezifischen Genrepräferenz – die Annahme also, dass das Musical von ›Frauen‹ rezipiert wird – unterstützt die eigentliche Fokussierung des Publikums, indem sie eine sinnstiftende Dimension hervortreten lässt, welche rückwirkend eine Bestimmung des Genres über sein Publikum erlaubt. Anders formuliert: Indem der Rückgriff auf Gender eine Annäherung an das Musicalpublikum ermöglicht, stabilisiert sich eine Perspektive, in welcher das Genre grundlegend eine Betrachtung seiner Zuschauerschaft vermittelt und genau darin Sinn erhält. Und dies ist mit Blick auf das konstitutive Moment einer solchen Annäherung als wechselseitig auszuweisen, denn nicht nur das Genre wird über ein Geschlecht seines Publikums bestimmt –
97
Fritz Rumler: ›Schenkt Blumen allen Omis in den USA‹. SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler über amerikanische Nostalgie-Musicals. In: DER SPIEGEL 27/1971, S. 122-123, hier S. 122.
98
Haas: IM DSCHUNGEL DER GEFÜHLE. Triebgehemmter Blutsauger, S. 75.
99
Ebd., S. 75.
100 Anonymus: FILM. High School Musical 2. In: kulturSPIEGEL 1/2008, S. 41, hier S. 41.
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auch Gender erhält eine Bestimmung, in der sich die ›Frau‹ durch ein Interesse am Musical auszeichnet. Obgleich dies keine umfassende Definition bedeutet und gerade die Genrepräferenz nur eingeschränkt zur Konstitution von Gender beitragen mag, so ist es doch auch hier die Hervorhebung eines solchen Zusammenhangs, die den konstitutiven Anteil dieser Sinngebung samt ihrer Wechselseitigkeit entfaltet und derart ein reziprokes Verhältnis zwischen dem Diskursakteur und dem Diskursgegenstand bedingt. Allerdings scheint jene Konstitution nicht allein über Gender bestimmt zu sein; wie es die zitierten Ausschnitte zeigen, spielen auch andere Kategorien eine Rolle – darunter vornehmlich Age, teils Begehren. Das Musical spricht etwa »[s]chwule Paare«101 und »Feministinnen«102 gegenüber »normale[n] Leute[n]«103 an, es erweist sich als eine »Gefahr [...] bei Jugendlichen«104 oder ist »eher was für stille Liebhaber, ein Minderheitenprogramm«.105 Diese historisch differenten, chronologisch aber wenig differenzierbaren Beispiele mögen zunächst den Anschein erwecken, dass in der Betrachtung des Publikums diverse – nicht nur geschlechtliche – Kennzeichnungen erfolgen, womit ferner dann die wechselseitige Konstitution von Genre und Gender wenig spezifisch wäre. Doch dem ist nicht so, denn es lassen sich anhand dieser Beispiele zwei Tendenzen identifizieren, die die Konstanz einer Bezugnahme zu Gender demonstrieren und im Grunde sogar erst die weiteren Verknüpfungen zu Alter oder Begehren106 forcieren. Zunächst bleibt das Musicalpublikum, selbst wenn es durch andere Kategorien bestimmt wird, immer noch über geschlechtliche Konstellationen – und zwar über eine Genderdichotomie – fokussiert. Diese steht etwa in direkter Assoziation zu Alter; es sind sowohl »Frauen um Fünfzig« als auch »Teenie-Mädchen«, die das Musical rezipieren. Und auch in der Erwähnung »[s]chwule[r] Paare« oder von »Feministinnen« wird jene Bindung an die Unterscheidung ›Mann oder Frau‹ deut-
101 Supp: GESELLSCHAFT. Engel mit großen Füßen, S. 226. 102 Ebd. 103 Ebd. 104 Anonymus: SZENE. Kulturpolitik. ›Dann ist es fünf nach zwölf‹. In: DER SPIEGEL 19/1996, S. 226, hier S. 226. 105 Klaus Umbach: KULTUR. Musicals. Amadeus in Aspik. In: DER SPIEGEL 41/1999, S. 328-330, hier S. 330. 106 Hier wird die Doppeldeutigkeit des Begriffs Begehren bewusst gewählt, handelt es doch sowohl um Sexuelles (»[s]chwule Paare«) als auch um Politisches (»Feministinnen«), das – wie in diesem Fall – sogar zugleich benannt wird. Trotz der Gefahr einer analytischen Unschärfe wird diese Beschreibung auch im Folgenden verwendet, wobei sie im späteren Verlauf des Kapitels mit dem Publikumsinteresse am Genre noch eine weitere Dimension umfassen soll.
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lich, denn hier formiert sich gleich in zweifacher Weise ein Bezug zwischen Begehren und Gender: zum einen durch die geschlechtliche Markierung (›Feministinnen‹), zum anderen – und um einiges wichtiger – durch die Gegenüberstellung zu »normale[n] Leute[n]«, die Barbara Supp später als »Männer«107 ausweist. Es zeigt sich also, dass – obwohl diverse Kennzeichnungen über verschiedene Kategorien stattfinden – diese innerhalb des Diskurses unter dem Nenner einer Zweigeschlechtlichkeit gebündelt sind. Das Musicalpublikum kann sich durch Sexualität oder politisches Engagement sowie durch sein Alter bestimmen lassen, seine geschlechtliche Markierung bleibt dabei allerdings stabil. Und mehr noch: Dadurch dass sich jene Behauptung einer genderspezifischen Genrepräferenz nahezu kontinuierlich im Material findet (die zitierten Beispiele umfassen einen Zeitraum von über 40 Jahren), wohingegen andere Kategorien durchaus variabler in der Beschreibung des Publikums erscheinen (etwa ist das Alter der Rezipierenden im Diskurs flexibel), entsteht der Eindruck, dass überhaupt erst in einer Betrachtung des Musicalpublikums und dessen Geschlechtlichkeit Verbindungen zu anderen Kategorien stattfinden. Dies mag zwar durchaus zu relativieren sein, zumindest aber für Alter und Begehren trifft dies zu; diese Kategorien dienen der weiteren Kennzeichnung des Publikums, während indes das Musical dieser Perspektive folgend grundlegend und innerhalb des Diskurses äußerst konsequent durch die ›Weiblichkeit‹ seiner Rezipierenden bestimmbar ist.108 Diese Tendenz interagiert mit einer Weiteren, denn die genannten Beispiele stehen im Kontext zu normativer Gewichtungen und bewirken im immanenten, gleichwohl aber nicht immer direkten Verweis auf Gender eine Marginalisierung des Publikums. Dabei ist jedoch zu differenzieren: Während sich in der Annahme einer »Gefahr [...] bei Jugendlichen« oder eines »Minderheitenprogramm[s]« nur sehr beiläufig ein Rekurs auf Gender nachzeichnen ließe und während konträr dazu in der Abwertung als »schweigende Mehrheit« oder in der Gegenüberstellung zu »normale[n] Leute[n]« gar eine Grundlage für die periphere Verortung des Publikums in Gender selbst behauptet wird, so kann noch eine dritte Konstellation aufgezeigt werden. Diese steht gewissermaßen zwischen den beiden Richtungen, in-
107 Supp: GESELLSCHAFT. Engel mit großen Füßen, hier S. 226. 108 Genau dies begründet im Übrigen auch die gleichsetzende Verwendung von ›Weiblichkeit‹ und ›Frau‹, denn letztlich werden beide in diesem Deutungsmuster zusammengeschnürt – sogar ohne direkte Markierung einer Geschlechterzugehörigkeit. Selbst »[s]chwule Paare« und »Feministinnen« werden in der Gegenüberstellung einer Dichotomie um ›Mann oder Frau‹ zugeführt, sodass es keinen Unterschied macht, ob ihre Erwähnung womöglich eher auf einer Semantisierung durch ›Weiblichkeit‹ gründet. Gerade hier gerät also das nicht per se dichotome Attribut ›weiblich‹ zum Teil einer Genderdichotomie.
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dem es hier zur Marginalisierung anhand der durch Gender bedingten Assoziation weiterer Kategorien kommt. Dies findet sich etwa in der Präzisierung durch Age. So wird das Alter der Rezipierenden im Diskurs zwar flexibel gehandhabt, gleichfalls ist es aber stets in der Geschlechtlichkeit der Zuschauerschaft gebündelt. Und genau dies erlaubt eine periphere Verortung, in der beide Ränder jener Beschreibung durch Age das ›weibliche‹ Musicalpublikum auszeichnen – sowohl Hohes (»Frauen um Fünfzig«) als auch Niedriges (»Teenie-Mädchen«).109 Gender bietet in diesem Fall also einen Rahmen, um mittels anderer Kategorien eine Marginalisierung zu betreiben, die ihrerseits äußerst umfassend gestaltet ist und dennoch in der Dichotomie ›Mann oder Frau‹ zusammenfließt. Dies ist von besonderem Interesse, denn hierin wird deutlich, dass das Musicalpublikum über Gender weitere Spezifizierungen erhalten kann, indem andere Kategorien hinzutreten und indem eine Verortung in der Peripherie vorgenommen wird – obgleich dies je unterschiedlich ausgeprägt ist. In Anbetracht dieser Verschränkung kann eine Präzisierung behauptet werden, die sich innerhalb des publizistischen Musicaldiskurses durch die Betonung von Gender ergibt: Während die Betrachtung des Publikums häufig normativ verfährt, so kristallisiert sich in den skizzierten Beispielen doch mehr noch eine heteronormative Ordnung heraus. Im konstanten Rückgriff auf eine Genderdichotomie werden sowohl andere Kategorien als auch Marginalisierungen zusammengebracht; über die Annahme zweier Geschlechter (und im Weiteren über eine Heterosexualisierung110 von Begehen) setzen sich »normative Ein- und Ausschlussmechanismen fort«,111 die es gestatten, dass das ›weibliche‹ Musicalpublikum etwa als alt oder als jung und darin gleichermaßen als peripher gelten kann. Die heteronormative Ordnung, welche hier zunächst lediglich von Seiten ihrer geschlechtlichen Dimension
109 Hier ist Vorsicht geboten, denn dass es ein hohes oder niedriges Alter ist, wird in den jeweiligen Artikeln selbst angelegt und sollte nicht in die Annahme verleiten, dass eine derartige – ihrerseits äußerst prekäre – Gewichtung analytisch gesetzt werden muss. Gewissermaßen handelt es sich auch bei diesem Verweis also um einen Anschluss an Attributionen. 110 Im Folgenden wird, auch wenn dies umständlich erscheint, primär von einer Heterosexualisierung bzw. von einem heterosexualisierenden Begehren gesprochen, denn gerade im queertheoretischen Rahmen ist zu betonen, dass Heterosexualität keinesfalls mit Heteronormativität identisch ist. Vielmehr basiert Letztere auf der Annahme zweier Geschlechter, die zugleich an eine Engführung, Hierarchisierung und Stabilisierung von Sexualität gebunden wird, sodass Heteronormativität als ein machtgetränktes Regime auftritt und nicht auf eine Kennzeichnung sexuellen Begehrens reduziert werden kann, wie dies hingegen für Heterosexualität der Fall sein mag. 111 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 15.
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beleuchtet wird,112 demonstriert dabei aber nicht nur, wie mit der Betonung von Gender Eigendynamiken innerhalb eines durch das Musical eröffneten Themas, innerhalb der Fokussierung seines Publikums, entstehen. Stattdessen avanciert sie auch zu einer Grundlage, über die sich die Bestimmung des Musicals als ›Frauengenre‹ überhaupt erst gestalten kann. Begriffen in einem Verhältnis der Präzisierung, das sich aus der diskursiven ›Umkodierung‹ normativer Konzeptualisierungen hin zu Heteronormativen ergibt, gilt es, die wissensstiftende Relevanz eines solchen Prozesses zu betonen. Dies bedeutet aber nicht nur, dass jene heteronormative Bindung, wie es sich für Alter oder Begehren zeigt, »die zwangsweise Integration in die rigide Alternative entweder ›Mann‹ oder ›Frau‹«113 protegiert und auf diese Weise den Bezug zu weiteren Kategorien gestattet. Vielmehr tritt sie auch innerhalb des Deutungsmusters als eine entscheidende Konstellation auf, mit der sowohl die geschlechtliche Markierung des Publikums als auch die Bestimmung des Genres formiert werden: Durch die heteronormative Bindung entstehen zum einen, wie erläutert, weitere Kategorisierungen samt ihrer peripheren Verortung; anhand des nicht immer nur ›weiblichen‹ Publikums wird deutlich, dass die Bestimmung des Musicals als ›Frauengenre‹ in der Behauptung eines Geschlechts seiner Rezipierenden heteronormativ verfährt. Zum anderen bedingt sie aber auch die rückwirkende Kennzeichnung des Genres, denn jene artikuliert sich innerhalb der Annahme einer genderspezifischen Genrepräferenz und lässt sich somit ebenfalls für das Musical als eine entscheidende epistemische Größe erfassen.114 Von daher sind beide – die geschlechtliche Markierung des Publikums und die Genrebestimmung entlang einer genderspezifischen Präferenz – in eine heteronormative Ordnung eingestellt. Und genau mit dieser heteronormativen Bindung beider Annahmen ergeben sich Essentialisierungen. Zum einen werden in dieser epistemischen Konstellation »Geschlecht(skörper) und Sexualität […] als vorkulturelle Phänomene, Ausdruck eines inneren Wesens
112 Durch diese Gewichtung in der Darstellung mag sich die Frage auftun, warum gerade eine heteronormative und nicht etwa eine patriarchale Konstellation fokussiert wird. Dies begründet sich aber – abseits der intendierten Gliederung – über die genannten Beispiele, fokussieren sie eben auch Begehren oder Alter, die in der Behauptung einer patriarchalen Ordnung tendenziell (!) zurücktreten. 113 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 100. 114 Vgl. zu dieser Perspektive auf Heteronormativität als Wissensordnung grundlegend (und mit anderer Terminologie) Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Bd. 1: Sexualität und Wahrheit [Histoire de la sexualité, I: La volonté de savoir, 1976]. Frankfurt a.M. 1987, S. 11 sowie etwa Nina Degele: Heteronormativität entselbstverständlichen. Zum verunsichernden Potenzial von Queer Studies. In: dies./Meike Penkwitt (Hg.): Queering Gender – Queering Society. Freiburg i.Brsg. 2005, S. 15-39, hier S. 19.
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oder biologischer Gegebenheiten«115 gedacht. Heteronormativität gründet unter anderem auf einem Verständnis, das Gender als zweigeschlechtlich getrennt und darin stabil voraussetzt, sodass sich dann die weiteren Bezüge zu Alter oder Begehren integrieren lassen. Zum anderen wohnen jedoch auch der Annahme einer genderspezifischen Genrepräferenz Essentialisierungen inne, denn: »Solange diese Unterscheidung zwischen männlich und weiblich als Basisunterscheidung fungiert, um Verhalten zu messen, zu sortieren und auf diese Weise auch zu kontrollieren, bleibt der [Barthe’sche] Virus der Essenz […] erhalten.«116 Es ließe sich in einer derartigen Verknüpfung – und gerade in Berücksichtigung ihrer Wechselseitigkeit – gar eine Dopplung behaupten: Sowohl die geschlechtliche Markierung des Publikums als auch das von ›Frauen‹ präferierte Musical werden als stabile, nicht änderbare und vorauszusetzende Größen begriffen. Dies ist allerdings nicht nur theoriegeleitet plausibel, sondern manifestiert sich auch in den Begründungsfiguren des Deutungsmusters bzw. in ihrem Fehlen. Um die Behauptung einer genderspezifischen Genrepräferenz zu stützen, ließen sich wohl zuallererst statistisch-empirische Überlegungen nutzen, etwa Korrelationen, die entlang verschiedener Genres die Zuschauerschaft geschlechtlich differenzieren. Obgleich diese methodisch fragwürdig sind und sowohl in ihrer Operationalisierung als auch in ihrer Aussagekraft Probleme bereiten, so könnten sie doch zumindest (oder lediglich) als Indizien für die Annahme genderspezifischer Genrepräferenzen gelten und weitere Hypothesen auf den Plan rufen. Doch genau dies findet sich im publizistischen Diskurs nicht – und zwar obwohl solche Korrelationen in anderen Zusammenhängen häufig genannt werden, obwohl sie bei einer ›bloßen‹ Betrachtung des Publikums abseits möglicher Genderbezüge auftreten und obwohl sie sogar zur Selbstbeschreibung des Materials, etwa zur Plausibilisierung seiner Publikumsorientierung, dienen. Eine statistisch-empirische Begründungsfigur ist für die Publizistik also wirkmächtig und kann in vielerlei Bereichen nachgezeichnet werden – gerade wenn auf genderspezifische Genrepräferenzen rekurriert wird, entbehrt sich jedoch ein statistisch-empirischer Beleg. Dies zeigt, dass anstelle einer in der Publizistik durchaus naheliegenden ›Überprüfung‹ oder (in einem prekären Verständnis von Korrelationen gar) anstelle einer durchaus naheliegenden ›Begründung‹ die Behauptung eines ›weiblichen‹ Musicalpublikums bereits vorgängig enthalten ist.117 Sie bedarf gar nicht erst einer Erläuterung, geschweige denn eines
115 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 9. 116 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 23. 117 Geradezu beispielhaft ist dies bei Daniel Hass, denn seine Behauptung des Erfolgs einer Adressierung ›weiblichen‹ Publikums hat nur auf Basis des Erfolgs von Artefakten Stand, die er bereits vorgängig als an ein ›weibliches‹ Publikum adressiert begreift. Vgl. Haas: IM DSCHUNGEL DER GEFÜHLE. Triebgehemmter Blutsauger, S. 75.
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Nachweises, womit nicht nur die Statik einer solchen Sinngebung, sondern im Weiteren auch die ihrer Ermöglichung durch eine heteronormative Bindung hervortritt. Bis hierhin lässt sich zusammenfassen: Das Musical dient in der Publizistik häufig der Fokussierung seines Publikums. Dies führt zu Kritik, zu Geschichte oder zu Rezeptionsweisen, die allesamt rückwirkend eine Konstitution des Genres über den Diskursakteur leisten und darin oftmals normativ verfahren. Wenn nun aber innerhalb dessen das Publikum geschlechtlich markiert wird, so kommt es zu einer wechselseitigen Verknüpfung von Genre und Gender – es wird eine genderspezifische Genrepräferenz behauptet. Und mit ihr ergeben sich weitere Bezugnahmen zu anderen Kategorien sowie Marginalisierungen, die aufgrund ihrer Bindung an die Annahme zweier Geschlechter eine heteronormative Konstellation ersichtlich werden lassen. Diese bedingt die interkategoriale Verbindung und ›plausibilisiert‹ ihre statischen, mitunter prekären Bestimmungen, wodurch sich letztlich zeigt, dass Heteronormativität »im Feld von Sprache und Repräsentation [...] oder in Kultur und Medien konstitutiv wirksam«118 ist. Dies scheint allerdings nicht bloß von queertheoretischer Seite aus relevant, sondern führt auch zur zweiten Verknüpfung innerhalb dieses Deutungsmusters. Im Rahmen einer Perspektive auf das Musicalpublikum findet – abseits seiner geschlechtlichen Markierung – noch eine weitere Verbindung zu Gender statt. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, warum das Musical ein bestimmtes Publikum anspricht, welche Gründe sich für seinen Erfolg (oder Misserfolg) anführen lassen. Dies kann, wie eingangs erläutert, durch diverse Merkmale beantwortet werden, etwa im kontinuierlichen Verweis auf eine Einfachheit, aufgrund »simpler Handlung«.119 Daneben entstehen allerdings auch Ansätze, die eine genrespezifische Darstellung von Gender behaupten und genau hierin den entscheidenden Grund für die Attraktivität des Musicals sehen – das Genre zeichnet sich durch die »Massierung von Mädchen und Material«120 sowie durch »Musical-Girls«,121 durch »erotischen Angriffseifer«122 und durch »Girl-Paraden«123 aus. Und selbst in der aktuelle-
118 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 9. 119 Anonymus: UNTERHALTUNG. So vital. In: DER SPIEGEL 9/1980, S. 225, hier S. 225. 120 Anonymus: REGISTER. Busby Berkeley (bürgerlich: William Berkeley Enos), S. 172. 121 Anonymus: PERSONALIEN. Antony Armstrong-Jones. In: DER SPIEGEL 16/1960, S. 94, hier S. 94. 122 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Mädels Ahoi! (USA), S. 26. 123 Fritz Rumler: Süßer Tinnef und sozialistische Tugend. SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler über die ›Woche des DDR-Musicals‹ in Ost-Berlin. In: DER SPIEGEL 18/1974, S. 158-160 (ohne S. 159), hier S. 158.
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ren Auseinandersetzung lassen sich Musicals mitunter dadurch bestimmen, dass sie eine erotische Inszenierung124 der ›Frau‹ leisten, »ohne […] den Stoff – und sein Frauenbild – für die Gegenwart zu reflektieren.«125 Diese Beispiele, die die Inszenierung im Musical betreffen, mögen zunächst in ein weiteres Deutungsmuster eingestellt sein, das sich vielleicht sogar parallel zur Wissenschaft gestaltet. Es ließe sich vermuten, dass die Behauptung einer erotischen Inszenierung der ›Frau‹ als eigenständige Sinngebung auftritt. Allerdings ist sie mit einer Betrachtung des Publikums verbunden, denn die Fokussierung der Rezipierenden bildet die Basis einer solchen Interpretation, insofern die Repräsentation von Gender zur Begründung des Erfolgs herangezogen wird. Auf den Punkt gebracht, entspricht also die Attraktivität in der Darstellung der ›Frau‹ dem, was das Publikum am Genre vermeintlich attraktiv findet.126 Und so kommt nicht nur das Fehlen solcher genrespezifischen Genderinszenierungen einem Misserfolg gleich, etwa wenn es sich um »[e]in mehr von Landschafts- als von Pin-Up-Reizen zehrendes ›Musical‹«127 handelt. Vielmehr zeigen sich auch erstaunliche Gemeinsamkeiten in der Argumentation, die wohl am eindrücklichsten hervortreten, wenn in Einzelfällen beides behauptet wird, wenn die Annahme einer erotischen Inszenierung der ›Frau‹ zugleich mit einer geschlechtlichen Markierung des Musicalpublikums auftritt. Dies ist zwar als Ausnahme zu werten,128 hier verdeutlicht sich aber
124 In Ermangelung einer besseren Begrifflichkeit werden die bislang zitierten Verweise auf Genderrepräsentationen zunächst als erotische Inszenierung summiert. Im Verlauf des Kapitels ist dies jedoch zu schärfen, da jene Behauptung diskursiv auf eine Heterosexualisierung abhebt. 125 Susanne Weingarten: KULTUR. Festspiele. Tänzer in der Dunkelheit. In: DER SPIEGEL 21/2000, S. 257-258, hier S. 257; vgl. auch Anonymus: FERNSEHEN. Küß mich, Kätchen. In: DER SPIEGEL 42/1998, S. 274, hier S. 274. 126 Die bewusste Dopplung des Begriffs Attraktivität korreliert mit der Verwendung im publizistischen Diskurs, wobei dies noch eine weitere Dimension eröffnet, in der das Musical – abseits von Gender, nämlich im ökonomischen Rahmen – als »ein attraktives Geschäft«, unter Umständen auch schlicht als »Attraktion« gilt. Anonymus: BERLIN. Hotels. Snobs zweiter Klasse, S. 44; Anonymus: BROADWAY. Wink des Himmels. In: DER SPIEGEL 38/1980, S. 235-236, hier S. 235. 127 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. An der Riviera (USA). In: DER SPIEGEL 35/1953, S. 33, hier S. 33. 128 Hier ist freilich zu differenzieren, denn teils werden Genderrepräsentationen entgegen der bislang genannten Beispiele nicht als erotisierend markiert und dann sehr deutlich mit Genrepräferenzen verbunden, etwa wenn die Inszenierung von Vorbildern zur Begründung des Erfolgs von Musicals angeführt wird. Vgl. dazu beispielsweise Daniel Sander: Im Lauf der Zeit. Outernet, Social Gaming, Adultkids – Wir stellen Ihnen die
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geradezu plakativ, dass sowohl genrespezifische Genderrepräsentationen als auch genderspezifische Genrepräferenzen auf ein und derselben Deutung gründen. Exemplarisch kann dies anhand des schon erwähnten Artikels von Fritz Rumler demonstriert werden. Rumler, der das Musicalpublikum als »Amerikas schweigende Mehrheit, meist Frauen um Fünfzig«, bestimmt, widmet sich im späteren Verlauf seines Artikels der Inszenierung im Musical. So heißt es: »Das Musical […] reflektiert viel US-Art: in der Vergötzung des weiblichen Stars das amerikanische Matriarchat; in den hierarchischen Personen-Arrangements das Bild einer geordneten Welt; und im Show-Chic die US-Fetische Jugend, Sex und Optimismus.«129
Die hier eröffnete Betrachtung mag sich zwar keinesfalls allein auf inszenatorische Aspekte beschränken, diese werden aber schon in der Annahme einer Reflexion mitgetragen; wenn das Musical etwa »im Show-Chic« Auskunft über eine vermeintlich US-amerikanische Spezifik gibt, so bedeutet dies doch zugleich, dass seine Darstellung genau darauf zielt oder zumindest darauf hin pointiert werden kann. Und dies ist auch in der weiteren Auseinandersetzung der Fall, denn Rumler gelangt mittels dieser Bestimmung in die Behauptung einer »Mythologie des Musicals«,130 welche laut ihm allerdings aufgrund des zunehmenden Aufkommens von »Nostalgie-Musicals«131 ins Wanken gerät, in einzelnen Artefakten sogar »grausig karikiert«132 wird. Während Rumler also auf der einen Seite eine Definition des Genres eröffnet, in der – neben dem Publikum – auch inszenatorische Aspekte Berücksichtigung erfahren, so sieht er auf der anderen Seite eine genrehistorische Änderung, die das Musical in seiner kulturellen Bedeutung unterminiert, um nicht zu sagen: pervertiert.133 Von Interesse an diesem Artikel ist allerdings nicht nur die Verschaltung inszenatorischer Mechanismen mit einer darüber hinausgehenden Betrachtung, in der sowohl historische Konstellationen als auch kulturelle Verortungen des Musicals beleuchtet werden. Fokussiert man dieses Beispiel nämlich entlang der Ausführungen
wichtigsten Phänomene der nächsten Dekade vor. In: kulturSPIEGEL 1/2010, S. 10-21 (ohne S. 19), hier S. 14. 129 Rumler: ›Schenkt Blumen allen Omis in den USA‹, S. 122 f. 130 Ebd., S. 122. 131 Ebd., S. 123. Diese werden auch als »Nostalgicals« amalgamiert. Ebd. 132 Ebd. 133 Den Grund hierfür liefert Rumler gleich mit: Das zunehmende Aufkommen von ›nostalgischen‹ Musicals wird als »die Ausbeutung von Amerikas emotionalem Disneyland« begriffen. Ebd.
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zur Repräsentation, so wird deutlich, dass sie auf eine erotische Inszenierung der ›Frau‹ abheben und darin argumentative Gemeinsamkeiten mit der zuvor erfolgten geschlechtlichen Markierung des Publikums aufweisen: In der Annahme einer »Vergötzung des weiblichen Stars« etwa wird neben der Zuschauerschaft ein weiterer Diskursakteur in seiner Geschlechtlichkeit hervorgestellt, zugleich rekurriert dies aber auch auf eine bestimmte Inszenierung, die sich spätestens mit dem Hinweis auf das zunehmende Auftreten »[v]om Zahn der Zeit entschärfte[r] Sexbomben«134 als erotisierende Darstellung der ›Frau‹ explizieren lässt.135 Und dies geht noch weiter, denn Rumler bedient sich in der Erläuterung dieser genrespezifischen Inszenierung genau denjenigen Faktoren, die er zuvor bereits für das Publikum geltend gemacht hat – zum einen erhebt er die geschlechtliche Markierung entlang einer US-amerikanischen Verortung zur gesellschaftlichen Ordnung (»Amerikas schweigende Mehrheit«/»das amerikanische Mariachat«),136 zum anderen wählt er eine prekäre Spezifizierung durch Age (»Frauen um Fünfzig«/»[v]om Zahn der Zeit entschärfte Sexbomben«). Die Hervorhebung von Gender geht also Hand in Hand mit weiteren Kennzeichnungen, unter denen sich genrespezifische Genderrepräsentationen, die erotische Darstellung der ›Frau‹, und genderspezifische Genrepräferenzen, das ›weibliche‹ Musicalpublikum, verbinden lassen. In dieser Hinsicht erfährt schließlich sogar die von Rumler eigentlich genannte Begründung des Publikumsinteresses, eine eskapistische Haltung der Zuschauerschaft,137 eine Aufladung, die mittels Gender enggeführt wird und für das Genre wie für seine Rezipierenden gleichermaßen ausschlaggebend ist.138
134 Ebd. Obgleich diese Behauptung mehr noch um Besetzungsfragen kreisen mag, so sind jene nicht von der Inszenierung im Musical zu trennen, denn Rumler betont ja für das Genre und seine Reflexion gesellschaftlicher Phänomene die Hervorhebung eines Stars, nicht etwa die einer Figur. 135 Auch der Verweis auf einen »Show-Chic« ist dahingehend nicht zu ignorieren, insofern er am Ende des Artikels als »schöne Show-Girls« eine geschlechtliche Markierung erfährt. Ebd. 136 Ob die Abwertung als »schweigende Mehrheit« dieser Annahme einer matriarchale Ordnung zuwiderläuft, sei dahin gestellt – Rumler kommentiert dies nicht. 137 Vgl. zu dieser Behauptung Rumler: ›Schenkt Blumen allen Omis in den USA‹, S. 122. 138 Dies sollte nicht missverstanden werden, denn es geht keineswegs darum, dass Rumler anstelle der von ihm genannten eskapistischen Haltung in eine andere Begründung des Publikumsinteresses gerät, etwa mit der Betonung von Gender identifikatorische Prozesse impliziert. Stattdessen geht es lediglich darum, dass er mit der nahezu identischen Beschreibung des Publikums und der Inszenierung eine Engführung vornimmt, die ihrerseits schon einen Teil der Antwort auf die Frage, warum das Musical rezipiert wird, mitliefert – weil es die ›Frau‹ ist, die sowohl das Publikum als auch die Inszenierung im
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Anhand von Rumlers Artikel kann exemplarisch die Nähe beider Verknüpfungen hervortreten. Sowohl die Annahme einer erotischen Inszenierung der ›Frau‹ als auch die eines ›weiblichen‹ Publikums sind Teil einer gemeinsamen Deutung, in der das Musical zur Beobachtung seiner Rezipierenden herangezogen wird. Zwar muss berücksichtigt werden, dass beide nur selten zugleich auftreten – beide interagieren allerdings, sie lassen sich innerhalb des Diskurses als zusammengehörig begreifen und gründen auf der Fokussierung des Musicalpublikums, welches über Gender spezifiziert wird oder (in seltenen Fällen, wie bei Rumler: und) über Gender einen Grund für sein Interesse am Genre erhält. Wenn nun aber sowohl genderspezifische Genrepräferenzen als auch genrespezifische Genderrepräsentationen zusammengeschnürt werden und beide im Deutungsmuster einer Bestimmung des Musicals als ›Frauengenre‹ enthalten sind, so lässt sich daraus eine Konsequenz ziehen: Die Verknüpfung von Genre und Gender intensiviert sich, sie ist in ihrer konstitutiven Dimension gleich mehrfach relevant und gleich mehrfach als wechselseitig zu begreifen. Dies mag zunächst den Eindruck erwecken, dass die interkategoriale Verbindung ausschließlich in essentialisierende Annahmen mündet. So kommt es, wie gezeigt, in der Behauptung genderspezifischer Genrepräferenzen zu einer Statik, die darauf gründet, dass sowohl das Musical als auch sein geschlechtlich markiertes Publikum in eine heteronormative Ordnung eingestellt sind. Und auch die weitere Kopplung tut ihr Übriges, denn die Annahme genrespezifischer Genderinszenierungen eröffnet ebenfalls eine Statik, insofern es gerade hier zur Reduktion auf eine Merkmalsmenge kommt, welche bereits in der tautologischen Struktur einer solchen Reduktion ein dem Genre wie auch Gender zugrundeliegendes Wesen impliziert. Doch statt hier schlicht eine weitere Dopplung anzunehmen, die allein Essentialisierungen bewirkt, zeigt sich ebenso Gegenteiliges. Und dies komplettiert auch die bislang unterbreitete Perspektive auf Heteronormativität, denn Letztere ist »in ihrem Zusammenspiel zu verstehen, das sich sowohl auf Geschlecht als auch auf Sexualität bezieht.«139 Während die geschlechtliche Markierung des Musicalpublikums innerhalb einer heteronormativen Ausrichtung stattfindet, so kann dies auch für die Annahme einer genrespezifischen Genderrepräsentation gelten, da sie in ihrer Begründung des Publikumsinteresses eine Begehrensstruktur entstehen lässt. Dies impliziert sich aber nicht nur in den bislang genannten Beispielen, die eine erotische Konstellation,
Musical ausmacht. Inwiefern dies dann aber etwa durch identifikatorische Prozesse bedingt ist oder ob darin nicht auch eine eskapistische Haltung differenziert wird, muss offenbleiben und lässt sich im Grunde sogar gar nicht beantwortet, denn jene Engführung tritt letztlich als eine Prämisse auf – das Musical ist bei Rumler als ›Frauengenre‹ bestimmt. 139 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 11.
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etwa »Pin-up Girls«,140 betonen. Vielmehr finden sich auch diverse Semantisierungen, die genau daraus ein Begehren ableiten und dieses in eine heteronormative Ordnung implementieren.141 Etwa heißt es, dass »eine Phantasie des Lasziven […] selbst im Musical […] von der Kamera entsprechend riskant aufbereitet wird.«142 Zwar »kopulierte man, indem man sich ansang«143 – nichtsdestotrotz lassen sich gerade anhand historischer Rückblicke Wertungen nachzeichnen, die einzelne Artefakte nicht bloß als »Erotik-Musical[s]«144 betrachten, sondern sogar als »pornographisch«145 betiteln. Und dies führt in die Annahme, dass »musterhaften Männerphantasie[n]«146 in der »sexy«147 Inszenierung Rechnung getragen wird – dass eine bestimmte, eine heterosexualisierende Begehrensstruktur zwischen der Inszenierung der ›Frau‹ und dem Publikum besteht.
140 Anonymus: DIESE WOCHE IM FERNSEHEN. Blondinen bevorzugt. In: DER SPIEGEL 22/1986, S. 228, hier S. 228. In diesem Fall ist die Genderinszenierung sogar so erfolgreich, dass sie in der »Komödie […] nach einem erfolgreichen Broadway-Musical« beibehalten wird; das Musical avanciert also gewissermaßen durch Gender zum Prätext. Ebd. 141 Diese analytische Schärfung ist in zweierlei Hinsicht notwendig: Zum einen sagt die bloße Behauptung einer erotischen Inszenierung der ›Frau‹ nichts darüber aus, wie mit ihr eine Begründung des Publikumsinteresses erfolgt – man könnte etwa Vorbildfunktionen annehmen oder, wie es der Artikel von Rumler zeigt, gar ein Matriarchat behaupten. Zum anderen besteht perspektivisch eine Gefahr in der Gleichsetzung der erotischen Inszenierung mit einem heterosexuellen Begehren – man würde eine heteronormative Ordnung voraussetzen und entsprechend fortschreiben. In der hier verfolgten Schärfung wird demgegenüber deutlich, dass die Behauptung einer erotischen Inszenierung der ›Frau‹ im Musical zumeist als Begehrensstruktur erfasst wird, womit sie also diskursiv in eine heteronormative Ordnung eingestellt ist und eben darin erst eine Begründung des Publikumsinteresses leistet. 142 Roger Willemsen: SAFER SEX. Die lieblose Liebe des Kinos. Ein Essay von Roger Willemsen. In: SPIEGEL SPECIAL. 100 Jahre Kino 12/1994, S. 84-88, hier S. 86. 143 Hellmuth Karasek: KULTUR. Grace Kelly, ein gefallener Unschuldsengel. SPIEGELRedakteur Hellmuth Karasek über eine Männerphantasie der 50er Jahre. In: DER SPIEGEL 21/1987, S. 218-221 (ohne S. 220), hier S. 218. 144 Anonymus: PERSONALIEN. Grace Bumbry. In: DER SPIEGEL 26/1970, S. 156, hier S. 156. 145 Anuschka Roshani: TITEL. Das Verschwinden der Pubertät. In: DER SPIEGEL 50/ 1998, S. 108-116 (ohne S. 111-113), hier S. 114. 146 Joachim Kronsbein: KULTUR. Musical. Erotik im Unendlichen. In: DER SPIEGEL 12/ 2004, S. 220, hier S. 220. 147 Ebd.
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Im publizistischen Diskurs wird also behauptet, dass nicht nur eine erotische, sondern auch eine ›begehrte‹ Inszenierung der ›Frau‹ im Musical erfolgt – eine Behauptung, die nicht nur ein Stück weit das »normative phantasm of a compulsory heterosexuality«148 als solches kenntlich macht,149 sondern genau auf dieses abhebt. Dadurch kann sogar das Musical selbst zur »jungen, neuen Geliebten«150 avancieren, womit sich wiederum eine heteronormative Ordnung in der Assoziation zu Age stützt und anhand einer Genderdichotomie gebündelt wird. Dies betrifft nun aber Begehren – das Begehren des implizit ›männlichen‹ Publikums, denn dies ist innerhalb der heteronormativen Konstellation um Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit die einzig ›akzeptable‹ Option für eine nicht nur erotische, sondern zugleich auch ›begehrte‹ Inszenierung der ›Frau‹. Betrachtet man das Deutungsmuster in der Gesamtschau, so zeigt sich, dass die Annahme genderspezifischer Genrepräferenzen und die Annahme genrespezifischer Genderinszenierungen in eine heteronormative Ordnung implementiert sind. Beide können darin einander stützen; schon die grundlegende Fokussierung des Publikums erhält in beiden Ausprägungen Plausibilität. Wie aber erklärt sich dieser Zusammenhang? Wie kann begründet werden, dass die ›begehrte‹ Inszenierung der ›Frau‹ im Musical von einem Publikum rezipiert werden, das aus ›Frauen‹ besteht? Dies wird in der Publizistik – und symptomatisch für das Deutungsmuster – nicht beantwortet. Und zwar nicht, weil sich innerhalb einer heteronormativen Konstellation keine Gründe hierfür finden ließen, sondern weil darin die jeweiligen Genrebestimmungen an Grenzen stoßen: Wenn das Publikum des Musicals aus ›Frauen‹ besteht, so mag die Inszenierung der ›Frau‹ durchaus im Dienste eines heteronormativen Regimes stehen – das Musical ist dann aber wohl kaum mehr als eine »Geliebte« zu erklären. Auch mag eine heterosexualisierende Begehrensstruktur in der Inszenierung der ›Frau‹ gegeben sein – dadurch kann aber wohl kaum mehr begründet werden, dass dies ein Begehren des ›weiblichen‹ Musicalpublikums ist. Obwohl beide Behauptungen im publizistischen Diskurs vorgenommen werden, obwohl sie beide in eine Perspektive auf das Musicalpublikum eingestellt sind und
148 Butler: Bodies That Matter, S. 93. 149 Zugegeben: Butlers Hinweis auf das Phantasma heterosexualisierenden Begehrens, das begrifflich an Lacan anschließt, ist keinesfalls identisch mit dem publizistischen Verweis auf Fantasien – ihre Nähe manifestiert sich jedoch mitunter schon in sprachlichen Praktiken und wird dann auch argumentativ gefestigt. 150 Anonymus: THEATER. MUSICAL. Annie schießt los, S. 63. Dies ist als ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung benannt, es finden sich allerdings auch zuvor eigens in der Zeitschrift DER SPIEGEL formulierte Semantisierungen, die genau dies betonen, etwa bei Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Oklahoma (USA). In: DER SPIEGEL 26/1957, S. 48, hier S. 48.
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obwohl sie beide eine heteronormative Ordnung voraussetzen, so sind die Annahmen einer genderspezifischen Genrepräferenz und einer genrespezifischen Genderrepräsentation in ihrer Verbindung einer Spannung unterworfen. Dies betrifft zunächst die heteronormative Ausrichtung selbst, das im Diskurs prozessierte Regime um Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität. Von daher mag sich in Anlehnung an Engel hierin ein Prozess vollziehen, der zur Delegitimierung statischer Verständnisse beiträgt,151 womöglich ein Queering, in welchem die Grenzen von Heteronormativität ersichtlich werden. Allerdings verlässt dieser Prozess nicht den Kontext einer Genrebestimmung entlang seiner Rezipierenden. Und erst dadurch zeigt sich, dass die beiden in der Verknüpfung zu Gender arrangierten Hervorbringungen nicht vereinbar sind. Wenn das Musical von ›Frauen‹ rezipiert wird, dann ist ein heterosexualisierendes Begehren anhand der Genderrepräsentation nicht mehr in der Inszenierung der ›Frau‹ plausibel; wenn sich das Musical durch eine heterosexualisierende Repräsentation der ›Frau‹ auszeichnet, dann kann das Publikum nicht mehr aus ›Frauen‹ bestehen, ohne der Repräsentation ihre heterosexualisierende Begehrensstruktur abzuerkennen. Die in diesem Deutungsmuster inhärente Spannung betrifft letztlich also weniger eine heteronormative Ordnung ›an sich‹, sondern vielmehr noch die mit ihr ermöglichten Genrebestimmungen. Sie stehen einander gegenüber und können nicht verbunden werden152 – trotz ihrer Gemeinsamkeiten, trotz der Fokussierung des Publikums entlang einer heteronormativen Ausrichtung. Dahingehend zeigt sich, dass die Verknüpfung von Genre und Gender ambivalent verfährt; sie bewirkt gleich zwei Definitionen, die allerdings in ihrer Ermöglichung durch eine heteronormative Ordnung eines Konflikts unterworfen sind. Das Deutungsmuster mag Gültigkeit besitzen, es behauptet sich in seiner Statik und prozessiert Potenziale einer interkategorialen Verbindung, die etwa in der (durchaus prekären) Assoziation weiterer Kategorien oder auch im Hinblick auf Genregeschichten (wie bei Rumler) bestehen. Die grundlegende epistemische Ordnung innerhalb jener Verknüpfung zu Gender, das heteronormative Konstrukt um Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, wird allerdings in seiner Bedeutung für das Musical einer Unvereinbarkeit ausgesetzt und darin in Zweifel gezogen. Entlang der Verquickung von Diskursakteur und Diskursgegenstand, entlang der rückwirkenden Bestimmung des Genres über die Fokussierung seines Publikums, gestaltet sich eine Reziprozität, die auch in der Kopplung zu Gender enthalten ist und das Musical gleich in zweifacher Weise als ›Frauengenre‹ ausweist – wenngleich die Annahme genrespezifischer Genderrepräsentationen und die An-
151 Vgl. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 235. 152 Dadurch mag sich auch erklären, warum nur wenige Artikel überhaupt beide Verknüpfungen zugleich prozessieren.
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nahme genderspezifischer Genrepräferenzen eine konfliktäre Anordnung entstehen lässt. Daneben skizzieren sich insbesondere in der normativen Kritik, aber auch in der Behauptung einer US-amerikanischen Verortung bereits Ansätze, die in einem weiteren Deutungsmuster ebenfalls anzutreffen sind. Jenes leistet jedoch keine Bestimmung des Musicals in der Relation von Diskursakteur und Diskursgegenstand, sondern in der Musicalisierung – in der Relation zwischen dem Genre und seinem Prätext bzw. seinen Prätexten.
4.4 M USICALISIERUNGEN : G ENDER IN DER B EOBACHTUNG DES V ERHÄLTNISSES ZWISCHEN G ENRE UND P RÄTEXT Ob das Leben von Marilyn Monroe153 oder die Memoiren Charles de Gaulles’,154 ob Batman155 oder Minna von Barnhelm,156 ob das Neue Testament157 oder Das Tagebuch der Anne Frank158 – scheinbar alles lässt sich dem publizistischen Diskurs zufolge in ein Musical umwandeln. Und sogar historische Entwicklungen,159 politische Skandale160 oder andere Genres161 können als Vorlage dienen, um zum Musical zu werden. Doch nicht bloß die Fülle möglicher Prätexte162 ist für dieses Deu-
153 Vgl. Anonymus: MUSICAL. Stimme gegeben. In: DER SPIEGEL 12/1983, S. 226, hier S. 226. 154 Vgl. Anonymus: PERSONALIEN. Frederick Loewe. In: DER SPIEGEL 15/1961, S. 78, hier S. 78. 155 Vgl. Anonymus: FERNSEHEN. Abenteuer-Serie. Die Fledermaus geht um. In: DER SPIEGEL 16/1966, S. 148, hier S. 148. 156 Vgl. Anonymus: FILM. Lessing. Kiss me, Minna. In: DER SPIEGEL 23/1960, S. 73-76 (ohne S. 75), hier S. 73. 157 Vgl. Anonymus: SPIEGEL-TITEL. ›Gott sein ist ein harter Job‹, S. 110. 158 Vgl. Helene Zuber: NAHAUFNAHME. Süß und gefällig. In: DER SPIEGEL 9/2008, S. 167, hier S. 167. 159 Vgl. Anonymus: MUSICAL. Blitz. Dieser Schlot Hitler. In: DER SPIEGEL 18/1962, S. 94, hier S. 94. 160 Vgl. Anonymus: Watergate als Musical. In: DER SPIEGEL 34/1982, S. 149, hier S. 149. 161 Dies wird im Verlauf des Kapitels durch das Verhältnis zwischen Operette und Musical beleuchtet. 162 Als Prätext sollen verschiedene Konstellationen möglichst offen beschrieben werden; sie umfassen – auch in Abstandnahme zum Begriff des Originals – nicht nur einzelne Artefakte, sondern auch andere Genres und mediale Adaptionen sowie historische oder
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tungsmuster und insbesondere für sein weitläufiges Auftreten entscheidend. So wird in der Betrachtung von Musicalisierungen bereits in jenem Verhältnis selbst rückwirkend eine Genrebestimmung eröffnet, die sich in zwei Ebenen unterteilen lässt: Zum einen betrifft sie die Kennzeichnung des Musicals durch die Orientierung an einem Prätext; sie stellt dar, dass sich das Genre im Verhältnis zu Vorlagen auszeichnet, dass das Musical auf Prätexten gründet. Die Musicalisierung beschreibt in diesem Sinne ein Merkmal, das in einer Relation wurzelt. Zum anderen wird aber auch dargestellt, was geschieht, wenn das Genre aus einem Prätext heraus Formung erhält, was sich ändert, wenn es zur Umwandlung in ein Musical kommt. Hier wird ein mehr oder minder vergleichender Zugriff verfolgt, womit sich dann weitere Genremerkmale ergeben können. Und beides – die Annahme eines für das Musical entscheidenden Verhältnisses sowie dessen Kennzeichnung entlang genrespezifischer Veränderungen – kann durch Gender arrangiert werden. Gender bietet innerhalb der Betrachtung von Musicalisierungen in unterschiedlicher Weise eine Beschreibungsmöglichkeit; sowohl die angenommene Relation als auch ihre Kennzeichnung entlang eines vergleichenden Zugriffs kann durch Gender bedingt sein – und zwar, indem Gender zur Schärfung der sinnstiftenden Dimension(en) herangezogen wird und so die eigentliche Fokussierung von Musicalisierungen stützt. Dies geschieht äußerst diffizil, da die interkategoriale Verknüpfung einerseits schon in Metaphoriken angelegt ist, andererseits aber auch weitläufig in der Funktion von Gender als tertium comparationis auftritt. Zuallererst gilt es jedoch, einen Blick in die zugrundeliegende Sinngebung – abseits von Gender – zu werfen, insofern sich die interkategoriale Verbindung eine Folge der mit dem Genre eröffneten Beobachtung darstellt und in ihrer Relevanz für jene Deutung durch Musicalisierungen beleuchtet werden muss.163 Im untersuchten Material findet sich eine ganze Reihe teils lediglich spekulativer Berichte zur Musicalisierung; sie treten in nahezu jedem Jahrgang auf, sodass die Transformation eines Prätexts in ein Musical als äußerst wirkmächtige Sinngebung gelten kann. Dabei wird zum einen die Musicalisierung selbst als Merkmal
politische Ereignisse, die allesamt laut dem publizistischen Diskurs in ihrer Änderung zu einem Musical aktualisiert und variiert werden (können). 163 Wie auch zuvor liegt der Unterschied zur Genderinskription darin begründet, dass beides zwar als möglicher Anschluss innerhalb einer weiter gefassten Deutung auftritt – hier jedoch Eigendynamiken nachzuzeichnen sind, die den konstitutiven Anteil eines solchen Bezugs zu Gender spezifisch für das Deutungsmuster offenlegen und auf diese Weise zur Kontextualisierung durch das Musical beitragen. Es ist ein Anschluss innerhalb einer weiter gefassten Sinngebung, welche ihrerseits eine konstitutive Wechselseitigkeit zwischen den Kategorien formiert und auf die Konstruktionsbedingungen publizistischen Genrewissens rückwirkt.
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des Genres begriffen – »[t]ypisch für das Musical ist, daß es seine Stoffe unbedenklich an große und größte Stücke anlehnt«.164 Und dadurch ergeben sich innerhalb des Diskurses auch weitere Ansätze, die allesamt darauf verweisen, dass sich das Genre bereits im Verhältnis zu Vorlagen auszeichnet, dass es »nahezu jedes denkbare Thema und jeden Stoff – vom Shakespeare-Stück bis zur Rothschild-Biographie, vom Weltkrieg bis zum Lohnstreik – zu adaptieren versteht«,165 dass verschiedenste Prätexte »ihre ›musicalische‹ Aufbereitung«166 erfahren und dass das Musical derart gar zum »großen Zitatenschredder«167 wird. Die Musicalisierung im Sinne einer Transformation, im Sinne eines Verhältnisses zwischen dem Genre und seinem Prätext, gerät also ›an sich‹ bereits zu einem Merkmal, das als Merkmal und nicht als Konvention zu begreifen ist, insofern es innerhalb des Diskurses historisch umfassend auftritt und etwa auch in die Behauptung einer »Essenz jeden Musicals«168 führt, welche ihrerseits als Basis fungiert, um einen Prätext umzuwandeln. Allerdings ist auch hier zu betonen, dass sich eine solche Sinngebung erst rückwirkend gestaltet; erst indem durch das Musical eine Beobachtung der Musicalisierung hergeleitet wird, kann sich seine Bestimmung auftun. Dies begründet die äußerst diversen Berichte zur Musicalisierung (sowie im Weiteren die verschiedenen Ansatzpunkte zum Vergleich), zeigt sich mitunter aber auch schon daran, dass das Deutungsmuster nicht allein das Musical behandelt. Es erläutert ebenso dessen Prätexte und bewirkt auch dahingehend eine Bestimmung, die in der Relation Prätext/Musical wurzelt und beide als einander bedingt ausstellt.169 So werden
164 Anonymus: MUSIK. Normal wie Blaubeerkuchen, S. 32. 165 Anonymus: THEATER. MUSICAL. Annie schießt los, S. 63. 166 Anonymus: SZENE. Toulouse-Lautrec auf der Bühne. In: DER SPIEGEL 10/1988, S. 250, hier S. 250. 167 Wolfgang Höbel/Susanne Weingarten: KULTUR. Filmfestspiele. Der rote Engel. In: DER SPIEGEL 20/2001, S. 210-212, hier S. 211. 168 Anonymus: MUSICAL. Hebebühnen-Glöckner. In: DER SPIEGEL 23/1999, S. 237, hier S. 237. 169 Katrin Oltmann betont diese wechselseitige Bedingtheit für das Verhältnis zwischen Premake und Remake, indem sie entlang verschiedener Konzepte einer konstitutiven Nachträglichkeit festhält: »Das Remake macht […] den früheren Film nicht nur zum ›Original‹, es zeigt zugleich auch, dass dieses ›Original‹ einem rereading unterzogen werden kann.« Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen Prätext und Musical – wobei sich die Ausführungen hier explizit der genrekonstitutiven Dimension widmen, welche bei Oltmann tendenziell exkursorisch behandelt. Katrin Oltmann: Remake/Premake. Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960. Bielefeld 2008, S. 28 [Herv. i.O.]; vgl. auch das Kapitel »Mulvey, Musical, Male Hysteria. Exkurs« bei ebd., S. 284-296.
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Prätexte beispielsweise in den vielfältigen Amalgambildungen hervorgehoben – vom »traurige[n] Asiatical«170 über »Historicals«171 bis hin zum »Habsburgical«.172 Das Verhältnis zu einem Prätext bildet hier den entscheidenden Ansatz, denn erst über dieses werden Kennzeichnungen vorgenommen, die sich dann auf das Ergebnis der Musicalisierung – auf Musicals – beziehen und Letztere in der Relation zum Prätext bereits begrifflich spezifizieren: Den »Historicals« liegt etwa eine historische Konstellation zugrunde, die musicalisiert wird, die Vorlage für mehrere Musicals ist und diese entsprechend kennzeichnet – als Musicals, denen eine historische Konstellation zugrunde liegt. Gleichzeitig wird aber auch der Prätext bestimmbar. Er tritt als eine historische Konstellation auf, die in Musicals thematisiert wird, die als musicalisierbare Vorlage fungiert. Im Beispiel bündelt sich dies über handlungstragende Motive, sodass der historische Prätext in »Historicals« zur Grundlage des narrativen Geschehens wird – und zwar gleich in mehreren Artefakten. Insofern bedingt die Musicalisierung eine rückwirkende Kennzeichnung des Genres, sie bedingt aber zudem auch eine rückwirkende Kennzeichnung des Prätexts. Und dies betrifft – zumindest dem Prinzip nach – ebenso die vergleichenden Betrachtungen innerhalb dieses Deutungsmusters. In einer Perspektive auf Musicalisierungen erfolgen häufig Vergleiche, die danach fragen, welche Transformationen genau stattfinden, inwiefern ergänzend, vor allem aber verändernd in den Prätext eingegriffen wird, wenn er sich zum Musical umwandelt. Dies geschieht vielfältig, denn, wie es schon die Fülle verschiedener Prätexte zeigt, kann das Musical dem Diskurs zufolge nahezu jede Vorlage nutzen. Die Änderungen aber, die in einem solchen Vergleich behauptet werden, sind zumeist in eine kulturkritische Haltung eingestellt, mit der Simplifizierung und Kommerzialisierung als Ergebnis der Musicalisierung gelten. Etwa ist nicht nur »die Story, wie in jedem guten Musical, [...] herzlich egal«,173 vielmehr wird behauptet, dass man »einen respektlosen Griff in die englische Literatur riskiert«174 – und zwar, weil »[m]it Shakespeare-Musicals […] stets viel Geld zu machen«175 ist.
170 Anonymus: MUSICAL. Suizid im Schwitzbad, S. 194. 171 Anonymus: Filmprojekte: Vom Gral bis Mussolini. In: DER SPIEGEL 23/1973, S. 140, hier S. 140. 172 Joachim Kronsbein: KULTUR. Musical. Wahn in der Wanne. In: DER SPIEGEL 8/ 1999, S. 208, hier S. 208. 173 Wolfgang Höbel: KULTUR. Theater. Wut und Wehmut in Los Angeles. In: DER SPIEGEL 42/1995, S. 244-246 (ohne S. 245), hier S. 246. 174 Anonymus: MUSICAL. Dickens. Mit Bart. In: DER SPIEGEL 32/1960, S. 45-46, hier S. 45. 175 Fritz Rumler: ›Der Satan ist wieder erschienen‹. SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler über das Rock-Musical ›Catch My Soul‹. In: DER SPIEGEL 10/1971, S. 186, hier S. 186.
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Kommerzielle Interessen werden demnach als Gründe für eine Musicalisierung angeführt, die zugleich eine Simplifizierung der Prätexte mit sich bringt. Letztere werden »zu einem Musical aufgeplustert«,176 wenn nicht gar »zermalmt von der Musical-Industrie«;177 einzelne Vorhaben gelten als »Groteske«178 oder sogar als »Legendenschändungen«.179 Hier erweist sich das Musical als ein Genre, das im Vergleich zum Prätext Vereinfachungen vornimmt, mitunter Verharmlosungen – beispielsweise wenn blutige Bandenkriege »nur in der ›West Side Story‹, im Musical, unterhaltsam«180 sein können. Am deutlichsten aber findet sich eine derartige Zuschreibung wohl bei Hellmuth Karasek im Verhältnis zur Oper, denn: »Musical ist Oper auf dem Strich. Das genau ist sein Reiz.«181 Obwohl eine kritische Haltung im publizistischen Diskurs häufig Anklang findet, so scheint dies in der Deutung durch Musicalisierungen ins Extrem gewendet – gilt hier doch die Reduktion eines Prätexts als einzige ›Leistung‹ des Genres und ruft gerade in vergleichenden Betrachtungen generalisierende Urteile auf. Das Musical wird im Verweis auf Theodor W. Adorno gar »[a]ls banal und kaum diskutabel«182 bewertet, es gilt »neben Mickymaus und Coca-Cola [als] Amerikas bekanntester Zivilisationsbeitrag«.183 Hierbei zeigt sich eine Verbindung zur zuvor umrissenen Sinngebung – allerdings ist die kritische Auseinandersetzung und auch die Behauptung von Simplifizierungen spezifisch mit der Musicalisierung und dem Vergleich zum Prätext verbunden; sie betrifft weniger das Musicalpublikum, welches sich der normativen Gewichtung der vorherigen Interpretation zufolge durch Simplifizierungen angesprochen fühlt,184 sondern ist mehr noch an eine generelle
176 Anonymus: MUSICAL. Dickens. Mit Bart, S. 45. 177 Anonymus: DICHTER. Shakespeare. Schwan oder nicht Schwan. In: DER SPIEGEL 17/1964, S. 99-111 (ohne S. 101), hier S. 100. 178 Thomas Wördehoff: Der Zerstörer. In: kulturSPIEGEL 1/1996, S. 21-22, hier S. 22. 179 Martin Wolf: Die texanische Geisterbahn. Was Mozarts Heimatstadt Salzburg den Besuchern im Jubiläumsjahr zeigt – und was nicht. In: DER SPIEGEL 51/2005, S. 166, hier S. 166. 180 Anonymus: ›Wir nehmen den ganzen Laden auseinander‹. SPIEGEL-Report über jugendliche Straßenbanden in der Bundesrepublik. In: DER SPIEGEL 46/1984, S. 104-120 (ohne S. 105, S. 107, S. 110, S. 112, S. 115-117 und S. 119), hier S. 106. 181 Hellmuth Karasek: KULTUR. Ute Lemper – Weltstar ohne Namen. SPIEGEL-Redakteur Hellmuth Karasek über das Pariser Leben einer deutschen Diseuse. In: DER SPIEGEL 19/1987, S. 218-220, hier S. 218. 182 Anonymus: MUSIK. Adorno. Man empfindet Licht, S. 73. 183 Rumler: ›Schenkt Blumen allen Omis in den USA‹, S. 122. 184 Dies bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch Assoziationen stattfinden, etwa wenn es bezüglich einer simplifizierenden (weil nicht aktualisierenden) Musicalisierung heißt:
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Annahme geknüpft, die schließlich selbst den ›Verfall kultureller Werte‹ über Musicalisierungen begründet. Die mehr oder minder im Vergleich zu einem Prätext generierten (sich darauf aber nicht beschränkenden) Genrekennzeichen erweisen sich, wie auch die Annahme, dass das Musical auf Prätexten gründet, als wirkmächtige Genremerkmale. Sie zeigen im Resultat einer kulturkritischen Einschätzung historische Kontinuität – zumal einzelne Artikel selbst in der Wertung anderer Bereiche auf Musicalisierungen rekurrieren. Etwa heißt es in der Rezension eines Sachbuchs, dass durch dessen Vorgehen »mit ähnlichen Substanzverlusten gerechnet werden [muss] wie bei der Umwandlung eines Shakespeare-Dramas in ein Musical.«185 Von Interesse an diesen Beispielen ist aber nicht bloß, dass sie – unabhängig davon, ob man ihnen zustimmen oder widersprechen mag – die Umwandlung eines Prätexts in ein Musical anhand einer kulturkritischen Haltung beleuchten. Vielmehr entsteht dadurch auch eine spannungsvolle Bestimmung, denn die zugrundeliegende Relation mündet in einer hierarchisierenden Generalisierung. Das Deutungsmuster fokussiert ein Verhältnis, in welchem sich das Musical und sein Prätext erst einander hervorbringen – eine Relation, in der sowohl der Prätext als musicalisierbar gilt, wie auch das Musical als Möglichkeit zur Umformung verstanden wird. Zugleich orientiert sich dies aber, wie es Katrin Oltmann benennt, an einer »defizittheoretischen Sicht«;186 es werden Unterschiede kreiert, die den Prätext als nur unzureichend musicalisierbar kennzeichnen187 und die gerade das Musical als Ausdruck eines ›Verfalls kultureller Werte‹ bestimmen. Dies ignoriert nicht nur die Reziprozität des Ansatzpunkts, die zwangsläufig relationale Bestim-
»Mag sein, das Musical kann und will nicht mehr. Mag sein, daß das Publikum […] mehr auch nicht verkraften könnte. So jedenfalls ist mit viel treuherziger Werktreue und noch mehr romantischer Verschleierung der Erfolg vorprogrammiert«. Hellmuth Karasek: KULTUR. Musical. Stereo-Tod in Hollywood. In: DER SPIEGEL 29/1993, S. 128-130 (ohne S. 129), hier S. 130. 185 Anonymus: GESCHICHTE. Multi von damals. In: DER SPIEGEL 39/1976, S. 223-227 (ohne S. 224 und S. 226), hier S. 225. 186 Oltmann: Remake/Premake, S. 11. Diese »defizittheoretische Sicht« soll hier als eine diskursive Sinngebung ernst genommen werden und verlangt in dieser Perspektive zunächst keinerlei Alternativen, wie sie indes durch Oltmanns Lektüren für das Verhältnis von Premake und Remake überzeugend dargelegt werden. Vgl. dazu auch die Zielsetzung Oltmanns ebd., S. 34-38. 187 ›Positiver‹ gewendet wird der Prätext durch seine Musicalisierung auch als kommerzialisierbar und simplifizierbar markiert. Wie es die genannten Beispiele aber zeigen, bedeutet dies keine Kritik am Prätext – zumal diese Dimension häufig schlicht außer Acht gelassen wird.
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mung, welche in eine Hierarchisierung umgemünzt wird – der ›wertvolle‹ Prätext gegenüber dem ›defizitären‹ Musical. Zudem erweist sich dies auch von einer Absolutheit geprägt, die im Diskurs und in den jeweiligen Artikeln statische Wertungen formiert, generalisierende Urteile ableitet.188 Dadurch obliegt das Deutungsmuster letztlich selbst einer Ambivalenz. In der Sinngebung durch Musicalisierungen wird auf der einen Seite die Bedingtheit zwischen Musical und Prätext hervorgehoben. Dies erlaubt erst in der Relation eine Konstitution, sodass Möglichkeiten einer statischen Bestimmung, mitunter Essentialisierungen, vermieden werden, denn jegliche Kennzeichnung ist als verhältnismäßig auszuweisen – relativ zum Prätext und relativ zum Musical. Es handelt sich um einen immanent kontextuellen Ansatz, ein Ansatz, der immer nur im Rahmen der fokussierten Reziprozität, des jeweiligen und einander hervorbringenden Verhältnisses, Kennzeichnungen anlegen kann. Auf der anderen Seite aber werden Merkmale behauptet, die das Verhältnis in eine Eigenschaft umkodieren. Die Musicalisierung bestimmt das Musical, welches sich durch seine Orientierung an Prätexten auszeichnet und welches dann im Vergleich weitere Merkmale erhält, die – ungeachtet des jeweiligen Prätexts und seiner Transformation – in Simplifizierung und Kommerzialisierung münden. Und so erklärt sich etwa auch der Begriff der Musicalisierung, der dem untersuchten Material entstammt und den Prozess einer Transformation lediglich in seinem Ergebnis, im Musical, bündelt. Die eigentlich relationale Konstitution wird also einer Statik zugeführt – und dies auf beiden Ebenen, in der Annahme eines für das Musical entscheidenden Verhältnisses und in den darin angestoßenen Vergleichen. Durch dieses Changieren zwischen Statik und Dynamik entsteht bereits im Ansatzpunkt der Deutung eine Spannung – eine Spannung, die schließlich auch die Verknüpfung zu Gender auf beiden Ebenen des Deutungsmusters betrifft. Zunächst zur vergleichenden Betrachtung: Gender kann innerhalb dieser als tertium comparationis dienen, anhand von Gender lassen sich Veränderungen aufzeigen, die sich in ganz unterschiedlichen Bereichen abspielen. Dass etwa der Werdegang Eva Peróns als Prätext dient, bedeutet »im Musical geschichtswidrig«189 eine Inszenierung, die nicht bloß »die argentinische Präsidenten-Gattin [...] zur machtgeilen Kurtisane herab[stilisiert]«,190 sondern auch ihre genderpolitische Re-
188 Dies mag mit Blick auf die kulturkritische Haltung zu relativieren sein, denn auch hier wird ein Verhältnis angenommen, ein Verhältnis zwischen U und E etwa. Allerdings gerät selbst diese Relation in den genannten Beispielen zu einer starren Opposition, die sogar noch aktuell kaum überwunden scheint. 189 Anonymus: KULTUR. Evita – ›Triumph über die Geschichte‹. In: DER SPIEGEL 26/ 1978, S. 163-166 (ohne S. 165), hier S. 164. 190 Anonymus: KULTUR. Cats: Katzenmusik für Millionen, S. 241.
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levanz – etwa die »Einführung des Frauenwahlrechts in Argentinien«191 – unberücksichtigt lässt. Mit dieser Musicalisierung ergibt sich ein Verhältnis zwischen Musical (EVITA)192 und historischer ›Gegebenheit‹ (Eva Perón), das keineswegs als Abbildung gilt, sondern im Rückgriff auf Gender, auf genderpolitische Aspekte, Veränderungen behauptet, die in diesem Fall kritisch beäugt werden. Und dies geschieht nicht nur im Vergleich zu einem historischen Prätext, sondern auch im Vergleich zu anderen Artefakten, die musicalisiert werden. »[M]it ›Ein Käfig voller Narren‹, dem ersten Schwulen-Musical«,193 wird beispielsweise am Broadway ein Stück aufgeführt wird, das allzu sehr »geschönt«194 scheint, denn »[s]chwules Verhalten, an dem das Publikum Anstoß nehmen könnte, wird angestrengt vermieden«195 – zumal es mit »alle[n] Attribute[n] heterosexueller Häuslichkeit«196 ausgestattet ist. Diese Musicalisierung gründet auf dem Verhältnis zwischen einem US-amerikanischen (Bühnen-)Musical (LA CAGE AUX FOLLES)197 und dessen europäischer (Film-)Vorlage (LA CAGE AUX FOLLES),198 wobei sich in der Darstellung Unterscheide ergeben, die mittels Gender, genauer: mittels einer auf Gender rekurrierenden Ordnung sexuellen Begehrens, aufgezeigt werden. Und dies leistet sogar eine Spezifizierung des Publikums samt medialer Verortung, denn der »eher prüde Broadway bekommt [diesen Film] jetzt als Musical aufgetischt«199 und bildet darin den (implizit kommerziellen) Grund für die behaupteten Änderungen. Gender wird im publizistischen Diskurs also dazu genutzt, Vergleiche zum Prätext zu ermöglichen, die ihrerseits Auslassungen oder Schönungen im Musical anzeigen. Dies geht aber noch weiter, denn Gender ist nicht nur Vergleichsmöglichkeit, sondern kann unter Umständen gar selbst als Prätext fungieren. Die Musicalisierung gerät dabei zu einer Aktualisierung und wird als Indikator genderbezogener
191 Anonymus: KULTUR. Evita – ›Triumph über die Geschichte‹, S. 164. 192 EVITA, London (Prince Edward Theatre) 21.06.1978 (Uraufführung), R: Harold Prince. 193 Anonymus: MUSICAL. Geschönter Einblick. In: DER SPIEGEL 36/1983, S. 276-277, hier S. 276 [Herv. i.O.]. 194 Ebd., S. 277. 195 Ebd. 196 Ebd., S. 276. 197 LA CAGE AUX FOLLES, New York (Palace Theatre) 21.08.1983 (Broadway-Fassung), R: Arthur Laurents. Dieses Stück wird im zitierten Artikel als Ein Käfig voller Narren bezeichnet, obwohl kein deutschsprachiger Titel für diese Inszenierung nachgewiesen werden kann – zumal auch der spätere US-amerikanische Film unter einem gänzlich anderen Titel vermarktet wurde: THE BIRDCAGE (dt. THE BIRDCAGE – EIN PARADIES FÜR SCHRILLE VÖGEL),
USA 1996, R: Mike Nichols.
198 LA CAGE AUX FOLLES (dt. EIN KÄFIG VOLLER NARREN), F/I 1978, R: Édouard Molinaro. 199 Anonymus: MUSICAL. Geschönter Einblick, S. 276.
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Änderungen begriffen. Dies geschieht etwa in einem Artikel von Susanne Weingarten. So ist laut ihr »der New Yorker Off-Broadway-Hit ›Hedwig and the Angry Inch‹, ein Musical um einen stilsicheren Transsexuellen«,200 doch erst »aus dem sicheren Abstand von mehr als zwei Jahrzehnten«201 als »getarnte Liebeserklärung an die […] Glimmer-Ära«202 erkennbar und korreliert hierin mit »den akademischen Einlassungen der ›Gender Studies‹, die seit Anfang der neunziger Jahre an den Universitäten Mode geworden sind«.203 Weingarten rekurriert demnach auf ein einzelnes Artefakt, laut ihr ein Musical (HEDWIG AND THE ANGRY INCH),204 das beispielhaft-illustrativ die Wiederentdeckung einer bestimmten soziokulturellen ›Strömung‹ (Glam) anzeigt und zugleich mit einer »Mode« in der akademischen Landschaft (Gender Studies) in Beziehung gesetzt wird. Hierbei handelt es sich um eine Musicalisierung, denn wenn durch das Musical auf eine Wiederentdeckung und auf eine akademische »Mode« geschlossen wird, so werden beide als Grundlagen angesehen, die im Musical spezifisch geformt werden.205 Es ist eine Musicalisierung der »Geschlechterverwirrung, die Glam in Szene setzte«.206 Und es ist eine Musicalisierung der Gender Studies bzw. ihrer Perspektiven – »[d]ie Gender-Wortführer propagieren, daß Geschlecht vor allem eine kulturell vorgefertigte Kategorie sei«.207 Beide Dimensionen der Musicalisierung sind durch Gender – als akademischer Gegenstand und als soziohistorisches Phänomen – bestimmt, worin zugleich auch Gender als musicalisierbar ausgewiesen wird: Die im Musical die erfolgende Inszenierung »um einen stilsicheren Transsexuellen« verleiht beiden eine spezifische Kennzeichnung; »Geschlechterverwirrung« und Ansichten der Gender Studies werden im Musical über transsexuelle Figuren dargestellt, was Weingarten zufolge
200 Susanne Weingarten: KULTUR. Zeitgeist. Geschminkt in alle Ewigkeit. In: DER SPIEGEL 48/1998, S. 238-240, hier S. 239. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Ebd. 204 HEDWIG AND THE ANGRY INCH, New York (Jane Street Theater) 14.02.1998 (Uraufführung), R: Peter Askin. 205 Dieses Beispiel verdeutlicht im Übrigen auch die Tendenz einer Kontextualisierung durch das Musical, allerdings ist es insofern unglücklich gewählt, da der Eindruck entstehen kann, dass das Deutungsmuster immer dann auftritt, wenn eine Inszenierung im Musical mit außermedialen Konstellationen verbunden wird. Dies ist nicht der Fall; Weingarten betont, dass die von ihr behauptete Beziehung eine Typische sei, womit sie sich indirekt sogar dem Teil des Deutungsmusters annähert, der die Orientierung am Prätext als Genremerkmal begreift. 206 Weingarten: KULTUR. Zeitgeist. Geschminkt in alle Ewigkeit, S. 239. 207 Ebd.
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»kein Zufall«208 ist und »geradezu perfekt [passt]«.209 Die Musicalisierung mag sich in diesem Ausschnitt zwar lediglich darauf beschränken, dass die von Weingarten behauptete Wiederentdeckung und die akademische »Mode« in einem Musical aufgezeigt werden können – nichtsdestotrotz demonstriert auch dies die Relevanz von Gender innerhalb der zugrundeliegenden Sinngebung. Von Interesse ist an all diesen Beispielen weniger, ob sie im Einzelfall zutreffen mögen, ob die jeweiligen Musicals genderbezogene Änderungen im Vergleich zum Prätext aufweisen. Von Interesse ist vielmehr, dass derartige Änderungen über Gender angezeigt werden, dass durch Gender Vergleiche arrangiert werden – zumal dies überaus vielfältig geschieht; sie betreffen sowohl historische Prätexte (Eva Perón/EVITA) als auch andere Artefakte (LA CAGE AUX FOLLES, der europäische Film/LA CAGE AUX FOLLES, das US-amerikanische Broadwaystück) und sogar Perspektiven, die Gender zur musicalisierten Vorlage erklären (Glam/Gender Studies/ HEDWIG AND THE ANGRY INCH). Es zeigt sich eine äußerst zentrale Position, in der geschlechtliche Konstellationen zur Ermöglichung einer komparatistischen Betrachtung dienen. Und just dieses Potenzial tritt auch hervor, wenn Gender zur Beschreibung der Musicalisierung selbst, also zur Beschreibung des zugrundeliegenden und genrebestimmenden Verhältnisses, genutzt wird. Exemplarisch kann dies anhand der Auseinandersetzung mit der Relation zwischen Operette und Musical nachgezeichnet werden – eine Perspektive, in der das Musical, so paradox dies auch klingen mag, als musicalisierte Operette begriffen wird. Das Verhältnis zwischen Operette und Musical wird im publizistischen Diskurs häufig als Musicalisierung betrachtet, denn obgleich sich abseits dessen etwa auch genrehistorische Ansätze nachzeichnen lassen, so findet das Musical doch oftmals Bestimmung, indem es als eine ›besondere‹ Operette, als »eine Operettenart in American style«210 oder gar als »amerikanische Ab- und Unart der europäischen Operette«211 gilt. Das hierbei herangezogene Verhältnis rekurriert aber nicht bloß auf die Umwandlung der europäischen Operette in das US-amerikanische Musical. Zur Beschreibung dessen wird nämlich auch auf Gender zurückgegriffen – jedoch nicht bloß im Vergleich. Stattdessen treten ebenso Metaphoriken auf, in denen beispielsweise die Operette als »robuste Ahnfrau des amerikanischen ›Musical‹«212 gilt, während das Musical indes zum »Operetten-Bastard«213 gerät. Diese Semanti-
208 Ebd. 209 Ebd. 210 Anonymus: MUSIK. Normal wie Blaubeerkuchen, S. 32. 211 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Mississippi-Melodie (USA). In: DER SPIEGEL 46/1952, S. 78, hier S. 78. 212 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Oklahoma (USA), S. 48. 213 Anonymus: MUSICAL. Cervantes. Testament des Sklaven, S. 140.
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sierungen sind mit Gender assoziiert, indem sie als gegenderte Verwandtschaftsmetaphoriken zur Verhältnisbestimmung zwischen Musical und Operette dienen. Und dies geschieht in vielschichtiger Weise, denn die genannten Beispiele initiieren sowohl ein Verhältnis der Nachkommenschaft (»Ahnfrau«) als auch ein Verhältnis der Illegitimität (»Bastard«), ein Verhältnis, das sich als Ablösung oder als Konkurrenz begreifen lässt und mitunter Dimensionen eines Genresynkretismus umfasst. In dieser Hinsicht muss betont werden, dass es sich bei diesen auf Gender rekurrierenden Verwandtschaftsmetaphoriken um Beschreibungen handelt, die als solche schon eine sinnstiftende Dimension eröffnen. Mit ihnen und auch durch sie entspinnt sich eine Relation, die im publizistischen Diskurs zur Betrachtung des Musicals und der Operette genutzt wird. Dies verdeutlicht sich gerade in den Konsequenzen einer solchen Beschreibung, denn mit ihr gehen verschiedene Annahmen einher, die teils Ablösungen fokussieren – das Musical als »die Operette des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit«214 –, die teils aber auch Rivalitäten bestimmen – die Operette »behauptet sich – neben Musical-Konkurrenz und Verblödungs-TV – überraschend gut«.215 Solche Relationen sind unter anderem (!) durch eine Semantisierung bedingt, die auf Gender zurückgreift; sie lassen sich – zumindest wenn sie innerhalb des Diskurses beobachtet werden – als Ergebnis der verwendeten Metaphoriken begreifen. Und dies geschieht auch explizit. So steht die »robuste Ahnfrau« Operette der »überfüllige[n] und überfällige[n] Geliebte[n]«,216 dem Musical, gegenüber – es kommt zur Konkurrenz zweier ›weiblich‹ semantisierter Genres, wobei jene entlang der gegenderten Verwandtschaftsmetaphorik präfiguriert ist. Und auch dass das Musical – »dieser Broadway-Bastard«217 – mit dem Erfolg in Europa nicht nur »der Wiener Operette […] den Rang abzulaufen [scheint]«,218 sondern hierin ebenso »seine bürgerlichen Rechte«219 erhält, wird durch das semantische Feld einer mit Gender verknüpften Metaphorik bedingt – nun allerdings mehr aufgrund einer Relation der Ablösung, die sich gleichermaßen in der Verwandtschaftsbeschreibung manifestiert. Es zeigt sich, dass innerhalb einer Perspektive auf Musicalisierungen das Verhältnis zwischen Operette und Musical direkt durch Gender erfasst wird (»Ahn-
214 Hellmuth Karasek: SERIE. 100 JAHRE KINO. Lokomotive der Gefühle. Hellmuth Karasek über den Siegeszug des Films (II): Die Bilder lernen sprechen. In: DER SPIEGEL 1/1995, S. 140-147, hier S. 143. 215 Klaus Umbach: KULTUR. Musik. Man trägt wieder Hund. In: DER SPIEGEL 42/1996, S. 247-252 (ohne S. 250 und S. 251), hier S. 247 [Herv. i.O.]. 216 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Oklahoma (USA), S. 48. 217 Anonymus: MUSIK. Normal wie Blaubeerkuchen, S. 32. 218 Ebd. 219 Ebd.
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frau« und »Geliebte«) oder dass indirekt ein mit Gender assoziiertes Feld – gerade das der Fortpflanzung – Thematisierung erfährt (»Bastard«, im weiteren Sinne auch »bürgerliche Rechte«). Dies evoziert bestimmte Interpretationen, die die Relation zwischen Operette und Musical als Konkurrenz oder als Ablösung kennzeichnen. Allerdings ist hier eine Einschränkung vorzunehmen, denn dass solche Verhältnisse allein durch Gendermetaphoriken bedingt sind, würde bedeuten, dass auch nur Gendermetaphoriken Erwähnung finden. Dies ist keineswegs der Fall. Gleichwohl zeigt sich aber, dass die Verwendung solcher Metaphoriken genau diese Relationen, die der Ablösung oder die der Konkurrenz, zur Folge hat. So kommt es im publizistischen Diskurs etwa auch zu Gleichsetzungen; Musicals gehören beispielsweise zu den »Bestsellern des modernen Operetten-Genres«.220 Doch genau diese Bestimmung rekurriert nicht auf Gender. Sie entsteht zwar ebenfalls durch die Annahme einer Musicalisierung, diese wird hier aber in einer historischen Dimension beleuchtet und bedient sich dabei nicht einer gegenderten Metaphorik. Insofern kann die Beschreibung über Gender als eine Spezifische gelten,221 sie unterstützt die sinnstiftende Dimension dieser Verhältnisannahme und markiert jene als Ablösung oder als Konkurrenz, nicht aber etwa als Gleichsetzung. Auch hier lässt die Hervorhebung von Gender also Eigendynamiken innerhalb einer durch das Musical ermöglichten Perspektive entstehen. Doch was bedeutet dies für die Verknüpfung von Genre und Gender, wenn sie sich in beiden Ebenen des Deutungsmusters manifestiert, wenn sie sowohl in der Beschreibung einer grundlegenden Orientierung des Musicals an Prätexten als auch in dessen Konturierung durch Vergleiche auftritt? Zunächst ist zu betonen, dass Bezüge zu Gender innerhalb des Deutungsmusters aufgezeigt werden können, dass sie Transformationsprozesse zwischen einem wie auch immer gearteten Prätext und dessen Musicalumwandlung betreffen oder sogar dieses Verhältnis selbst sinnstiftend erfassen. Die Kopplung der Kategorien tritt somit als Beobachtungsmöglichkeit auf, wodurch sich eine Konstitution von Gender in der Wechselseitigkeit einer Verknüpfung impliziert, denn: Wenn Gender als tertium comparationis genutzt wird oder wenn Gender die Beschreibung eines Verhältnisses ermöglicht, so bedeutet dies, dass Gender ebenjene Funktion innerhalb des Diskurses erfüllt, dass Gender ein Kriterium bildet, um Verhältnisse zu beobachten. Dieses konstitutive Moment ist allerdings nicht nur aufgrund der Weitläufigkeit der Genderbezüge zu betonen, denn die genannten Beispiele demonstrie-
220 Anonymus: THEATER. MUSICAL. Pygmalions Erben. In: DER SPIEGEL 45/1961, S. 86-87, hier S. 86. 221 Auch das erwähnte Zitat von Karasek legt die Spezifik einer auf Gender rekurrierenden Metaphorik in ihrer sinnstiftenden Dimension nahe, denn hier ist es die Oper – nicht die Operette –, die in einem übergeordneten und darin spezifischen Verhältnis zum Musical steht.
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ren auch, wie diffizil Gender Einzug in das Deutungsmuster erhält – dass Gender nicht nur äußerst vielfältig in Vergleichen, sondern auch äußerst rudimentär in Metaphoriken berücksichtigt wird. Wenn Gender aber nun derart komplex in das Deutungsmuster einer Musicalisierung implementiert ist, so ergibt sich daraus eine weitere Konsequenz: Die im Deutungsmuster beinhaltete Ambivalenz, sein Oszillieren zwischen Statik und Dynamik entlang der Umkodierung von Relationen zu Eigenschaften, ist auch mit Blick auf Gender zu beobachten. Es stellt sich folglich die Frage, wie genau die interkategoriale Verbindung hierin zu verorten ist. Zum einen mag mit dem Bezug zu Gender die Relationalität des eigentlichen Ansatzpunkts noch deutlicher zu konturieren sein – und zwar in zweierlei Hinsicht, sowohl für das Deutungsmuster als auch für Gender: In der grundlegenden Verhältnismarkierung und ebenso in ihrer Kennzeichnung durch Vergleiche kann kein ahistorischer oder wesenhafter Ansatz verfolgt werden, denn dieser beschränkt sich ›automatisch‹ auf die zugrundeliegende und reziproke Relation zwischen Prätext und Musical. Die Verknüpfung zu Gender nun kann dies intensivieren, denn auch hier wird eine Verbindung angenommen, die letztlich das Genre und dessen Prätext ebenso wie die Beziehung zwischen ihnen bestimmt. Gender steht zwischen den beiden im Deutungsmuster ausschlaggebenden Instanzen, wodurch die Annahme eines Verhältnisses gestützt wird und mittels Vergleichen in vielfältigen Bereichen hervortritt. Kurzum: Die Beobachtung von Musicalisierungen wird unter anderem durch Gender ermöglicht und darin plausibel, sie ist in ihrer Relationalität und eben auch in der Relation zu Gender hervorzuheben. Und dies vermittelt zugleich eine relationale Bestimmung von Gender. In Anbetracht der vielfältigen Bereiche, die in diesem Deutungsmuster anhand von Gender beschrieben werden, scheinen geschlechtliche Konstellationen keineswegs eindimensional. Sie besitzen außermediale, meist gesellschaftliche Relevanz, wie es etwa die Vergleiche zeigen, und evozieren semantische Besetzungen, wie es die metaphorischen Beschreibungen demonstrieren. Die Komplexität von Gender wird unter Umständen sogar ausdrücklich erwähnt, etwa wenn es wie bei Weingarten um eine Aktualisierung geht. Hier wird eine Veränderung im Verständnis geschlechtlicher Konstellationen umrissen, mit der Gender zum einen als akademischer Gegenstand und als soziokulturelles Phänomen bestimmt wird, mit der zum anderen aber auch eine Dynamik behauptet wird, die sich in diesem Artikel schließlich als »Hype«222 um die »theatralisch übertriebene Darbietung (und Unterwanderung) von Geschlechterrollen«223 bündelt. Neben Weiterem wird dies mittels der Musicalisierung, mittels der im Musical erfolgenden, »geradezu perfekt [passenden]« und keineswegs zufälligen Inszenierung »um einen stilsicheren Transsexuel-
222 Weingarten: KULTUR. Zeitgeist. Geschminkt in alle Ewigkeit, S. 239. 223 Ebd.
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len« begründet. Insofern wird die Dynamik von Gender nicht ›nur‹ in den vielfältigen Bereichen einer Beobachtung mittels Gender impliziert, sondern mitunter auch anhand von Musicalisierungen expliziert. Die Verknüpfung von Genre und Gender betrifft in diesem Ausschnitt gleich mehrerer Dimensionen, denn zum einen kann die Relationalität des Deutungsmusters im Verhältnis Prätext/Musical konturiert werden, zum anderen erfolgt – teils explizit – eine dynamische Bestimmung von Gender. Im Grunde wird die Verbindung beider Kategorien sogar forciert, denn wenn man die Relationalität des Deutungsmusters betont, so liegt es doch zumindest nahe, auch andere Relationen zu berücksichtigen. Demgegenüber werden diese Ansätze allerdings durch eine tendenziell statische Perspektive konterkariert. So wird mit der Musicalisierung nicht allein eine Relation beschrieben, sondern auch eine Qualität; das Verhältnis Prätext/ Musical gerät zur Eigenschaft des Genres, denn jene Transformation ist »[t]ypisch für das Musical« und bedingt darin eine kulturkritische Generalisierung negativer Urteile sowie eine Hierarchisierung der eigentlichen Reziprozität – bis hin zur Annahme einer »Musical-Monokultur«.224 Diese tendenziell statische Kennzeichnung ist innerhalb des Deutungsmusters äußerst virulent, wobei das ›Problem‹ weniger in der Kritik als mehr noch in der Generalisierung der Kritik zu sehen ist, denn erst diese tritt in ein spannungsvolles Verhältnis zum eigentlich relationalen Ansatz. Und auch hier nimmt Gender eine gleich mehrfach unterstützende Position ein. Zunächst wird, wenn Gender als tertium comparationis auftritt, nicht nur das Verhältnis zwischen Prätext und Musical spezifizierbar, zugleich wird auch Gender zu einem Merkmal, das für beide relevant ist; die Kategorie bildet das Dritte des Vergleichs, das im Prätext und im Musical ›vorhanden‹ sein muss, um überhaupt eine komparatistische Perspektive zu ermöglichen. Dies mag Voraussetzungen einer Beobachtung geschuldet sein – gerade hier, in Vergleichen, die durch Gender arrangiert werden, stützt sich jedoch die Behauptung von Defiziten, von Auslassungen oder Schönungen.225 Es kommt zu einer Verstärkung tendenziell statischer Kennzeichnungen, die dem relationalen Ansatz zuwiderlaufen und im Weiteren auch in der Semantisierung durch Gender zu berücksichtigen sind: Gegenüber dem vermeintlich relationalen Verständnis, das in einer Verwandtschaftsmetaphorik enthalten sein mag, finden statische Reduktionen statt, die sich im aufgerufenen semanti-
224 Anonymus: KULTUR. Architektur. Pantheon mit Techno. In: DER SPIEGEL 13/1996, S. 242-243, hier S. 243. 225 Ausgenommen mag der Artikel von Weingarten sein – hier zeichnet sich aber zumindest Skepsis gegenüber der Radikalität der Gender Studies und der Konventionalität der Genderinszenierung ab, wobei beides schließlich auch die Behauptung einer Kommerzialisierung bedingt. Vgl. dazu Weingarten: KULTUR. Zeitgeist. Geschminkt in alle Ewigkeit, S. 239 f.
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schen Feld bewegen. Dies zeigt sich schon in der Markierung einer Geschlechterzugehörigkeit, welche (mitunter im Anschluss an andere Deutungsmuster)226 eine starre Position, eine Kohärenz oder gar eine Identität des Genres imaginiert. Außerdem scheint auch die Folge solcher Semantisierungen, die Behauptung von Konkurrenzen oder Ablösungen, durch einen äußerst kritischen Gestus bedingt, sodass dies ebenfalls zur Generalisierung negativer Urteile beiträgt. Gender mag in diesem Deutungsmuster also als Beobachtungsinstrument verstanden werden – die Konsequenz einer mit Gender präzisierten Betrachtung ist aber eine statische Kennzeichnung.227 Beide Dimensionen, die innerhalb des Deutungsmusters einer Musicalisierung unterschieden werden können, eröffnen demnach eine Merkmalsmenge, deren Ergebnis das ›defizitäre‹ Musical ist. Dieses speist sich im Diskurs (entlang des historisch umfassenden Auftretens) und im Deutungsmuster (entlang der Behauptung einer Typizität sowie vor allem aufgrund ihrer starren Wertung) durch essentialisierende Verständnisse – und das, obwohl der Deutung eine Relation zugrunde liegt, mit der statische Kennzeichnungen ausgeschlossen sind. In dieser Hinsicht führt die Sinngebung eine Ambivalenz vor, die auch im Rückgriff auf Gender virulent ist: Mittels Gender lassen sich Relationen als solche beobachten und schärfen, jedoch auch zu Merkmalen erklären; durch das Deutungsmuster einer Musicalisierung wird Gender als dynamisch ausgewiesen und zugleich zum Kriterium einer im Ergebnis statischen Beobachtung. Die interkategoriale Verbindung bietet folglich nicht nur eine Möglichkeit zur Betrachtung, sondern auch eine Möglichkeit zur Bestimmung – sie ist ebenfalls durch das Oszillieren zwischen Statik und Dynamik geprägt und darin als ambivalent zu beschreiben. Diese Schlussfolgerung mag vielleicht wenig überraschen, denn die Verknüpfung von Genre und Gender ist ja grundlegend als Teil des Deutungsmusters auszuweisen und ebenjenes operiert bereits in einer Spannung. Es ergibt sich aber noch eine weitere Konsequenz, die insbesondere für die Frage nach der Artikulation einer kategorialen Krise von Interesse ist: Wenn die Kopplung zu Gender, wie in die-
226 In dieser Hinsicht scheint etwa die Beschreibung des Musicals als »Geliebte« keineswegs zufällig – ob nun im Kontrast zur Operette oder im Bezug zum Publikum. 227 Inwiefern dies allerdings eine Statik von Gender bedingt, sei dahingestellt: Einerseits werden schon aufgrund der diffizilen Einbindung in das Deutungsmuster verschiedenste Definitionen von Gender vermittelt – von einer historisch-politischen Dimension über Gender als akademischer Gegenstand bis hin zu Metaphoriken, die Gender als sprachliches Phänomen implizieren. Andererseits laufen diese verschiedenen und durchaus variablen Bestimmungen aber zumindest für das Musical auf eine Kritik hinaus – Gender wird zu einer im Musical nicht adäquat berücksichtigbaren Konstellation, wobei dies nicht für die Semantisierung durch Gender gilt.
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sem Fall, als Teil eines Deutungsmusters auftritt, das in sich schon von Ambivalenzen geprägt ist, so zeigt sie sich darin nicht nur äußerst diffizil auf verschiedenen Ebenen und eröffnet vielfältige Präzisierungen, die ihre Wirkmacht (und auch die des Deutungsmusters) nähren. Zudem erweist sie sich – trotz dessen – als ›ungenügend‹, denn sie reproduziert ungeachtet der mit ihr verbundenen Spezifika weiterhin die beinhalteten Spannungen. In dieser Hinsicht fungiert die interkategoriale Verknüpfung zwar nicht als Ansatzpunkt oder gar als ›Initiator‹ jener Ambivalenz; sie löst nicht, wie es in der Sinngebung des Musicals als ›Frauengenre‹ geschieht, Konflikte aus. Sie vermag es aber auch nicht, jenen Konflikten zu entgehen oder diese gar zu lösen.
4.5 E INE D EUTUNGSKONKURRENZ : Z UR ARTIKULATION EINER K ATEGORIENKRISE IM K ONFLIKT INTERKATEGORIALER V ERKNÜPFUNGEN Im publizistischen Diskurs zeigen sich Kopplungen zu Gender, die als Teil einer Konstitution des Musicals auftreten. Mit dem Rückgriff auf geschlechtliche Einteilungen kann das Genre Bestimmung erfahren, denn obgleich es innerhalb diskursspezifischer Konstruktionsbedingungen als ein äußerst weitläufiger Rahmen fungiert, so erweist sich das Musical in der Verbindung zu Gender dennoch als ein Spezifisches. Die interkategoriale Verknüpfung verleiht ihm einen Sinn, über den die jeweiligen Ansatzpunkte einer mit dem Musical ermöglichten Beobachtung weitere Begründung erfahren; seine Kontextfunktion wird gestützt. Zugleich treten rückwirkend Kennzeichnungen hervor, die jene Ansatzpunkte präzisieren und Eigendynamiken entwickeln, sodass die Kontextfunktion des Musicals im Rückgriff auf Gender nicht nur plausibilisiert, sondern auch ein Stück weit hervorgebracht wird. Insofern sind die skizzierten Verbindungen als Teil weiter gefasster Deutungen zu begreifen und hierin zu verorten – sie nehmen zugleich jedoch auch eine gesonderte Stellung ein. Und dadurch entsteht letztlich sogar eine Bestimmung von Gender, die über das Musical bzw. über die mit dem Musical gerahmten Schwerpunkte arrangiert wird.228 Der publizistische Diskurs hat somit Anteil an der Konstruktion beider Kategorien, zumal sie in je spezifische Felder einer Sinngebung eingestellt sind und verschiedenste Anstöße innerhalb dieser eröffnen. Ebenjene Wechselseitigkeit tritt – in unterschiedlicher Dominanz – durch zwei Deutungsmuster hervor, die ihrerseits verschiedene Ambivalenzen prozessieren.
228 Auch hier ist nochmals zu betonen, dass dies keine umfassende Bestimmung bedeutet – es ist, wie auch im wissenschaftlichen Musicaldiskurs, die Hervorstellung bestimmter Zusammenhänge, die in Ermangelung weiterer Kennzeichen zur Definition führt.
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Zum einen eröffnet sich durch das Musical eine Betrachtung seines Publikums. Und dies bedingt gleich zwei Verknüpfungen zu Gender, in denen das Musical nicht nur, weil es vermeintlich von ›Frauen‹ rezipiert wird, als ›Frauengenre‹ gilt, sondern auch, weil es eine vermeintlich ›begehrte‹ Darstellung der ›Frau‹ leistet. In der Annahme einer genrespezifischen Genderrepräsentation und in der Annahme einer genderspezifischen Genrepräferenz entsteht allerdings ein Konflikt, denn durch ihre jeweilige Ermöglichung innerhalb einer heteronormativen Ordnung können die daraus resultierenden Genrebestimmungen nicht in Beziehung gesetzt werden, ohne sich einander zu widersprechen. Die interkategoriale Verbindung lässt also innerhalb einer Sinngebung und auf Basis einer gemeinsamen epistemischen Konstellation, des heteronormativen Regimes, zwei unvereinbare Genrebestimmungen entstehen. Zum anderen findet eine Betrachtung von Musicalisierungen statt, die das Verhältnis zwischen Prätext und Musical fokussiert. Dies wird durch Gender beeinflusst, insofern Gender eine Möglichkeit zur Beobachtung darstellt, die beide genrekonstitutiven Dimensionen des Deutungsmusters umspannt – die Annahme, dass das Musical auf Prätexten gründet, ebenso wie die Kenntlichmachung dessen, was sich ändert, wenn es zur Umwandlung in ein Musical kommt. Jedoch birgt jene Sinngebung in sich bereits eine Ambivalenz, die zwischen einem immer schon begrenzten Ansatz und einer als überzeitlich abgeleiteten Merkmalsmenge steht. Und genau dies betrifft schließlich auch die Verknüpfung zu Gender, denn selbst der interkategoriale Bezug ist hierin durch ein Oszillieren zwischen Verhältnissen und Eigenschaften geprägt; er erweist sich nicht als Lösung, sondern ist Teil der im Deutungsmuster schon enthaltenen Spannung. Die beiden hier entworfenen Sinngebungen zeigen, dass die Verbindung von Genre und Gender auch für den publizistischen Diskurs als eine Wechselseitige zu erfassen ist. Entsprechend Gerhart können dabei sowohl produktive als auch als kategoriale Dimensionen identifiziert werden: Durch den interkategorialen Bezug entstehen einerseits Differenzierungen; er bringt spezifische Kennzeichnungen hervor – und zwar in vielfältiger Weise, von genderspezifischen Genrepräferenzen bis hin zu einer gegenderten Verwandtschaft zwischen Genres. Andererseits bedingen sich genau darin jedoch auch Begrenzungen; die Kopplung der Kategorien führt in mitunter äußerst prekäre Bestimmungen – und zwar ebenfalls in vielfältiger Weise, vom ›Frauengenre‹ bis hin zum ›defizitären‹ Musical. Allerdings betrifft die interkategoriale Verknüpfung im publizistischen Diskurs vornehmlich – und in besonderem Maße – die ›kontextuelle Seite‹ der Kategorien, sie tritt innerhalb der durch das Musical arrangierten Schwerpunkte auf, innerhalb einer Perspektive auf das Musicalpublikum oder auf Musicalisierungen. Dies zeigt nicht nur die kategorialen und produktiven Dimensionen der von Gerhart benannten Wechselseitigkeit – im Grunde wird hierin nämlich auch veranschaulicht, wie Kategorien überhaupt Beobachtungen ermöglichen, inwiefern eine kategoriale Dimension als Einteilungsmechanismus zugleich eine produktive Hervorbringung leis-
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tet.229 Die Worte Gerharts bezüglich »science and literary criticism«230 lassen sich (mit einigen Auslassungen im Hinblick auf die akademische Auseinandersetzung) übertragen: Auch im publizistischen Diskurs wird eine kategoriale Dimension formiert, um Beobachtungen zu plausibilisieren, um »new observations [...] in the context of established genres«231 zu prüfen. Und auch hier zeigt sich »beyond categorizing […] the productive activity […], which focuses on explicit […] interpretation«;232 auch hier werden die durch das Musical arrangierten Kontexte genutzt, um weitere Betrachtungen über das Genre hinaus herzustellen – wobei diese dann mitunter Gender umfassen oder zumindest geschlechtliche Konstellationen mittragen. Und genau darin tut sich ein tendenzieller (!) Unterschied zur Wissenschaft auf. Die Wechselseitigkeit der Verknüpfung von Genre und Gender lässt sich in der Publizistik dadurch kennzeichnen, dass auf Basis verschiedener Sinngebungen – auf Basis eines Kontexts, der durch das Musical initiiert wird – weitergehende Beobachtungen formiert werden, die ihrerseits Bezugnahmen zu Gender eröffnen. In dieser Hinsicht ist das Verhältnis zwischen Genre und Gender aber nicht eines der Differenzierung des Genres gegenüber der Statik einer Genderdichotomie, wie es in der Wissenschaft der Fall sein mag. Vielmehr ist es ein Umgekehrtes: Über das Musical lassen sich Differenzierungen von Gender entwickeln. Letztere sind zwar durchaus einer Dichotomie verhaftet,233 sie stellen aber primär die Weitläufigkeit genderrelevanter Aspekte hervor, denn ungeachtet der Dichotomie ist Gender etwa Teil des Publikums und Teil einer Inszenierung, Gender ist Vergleichsmöglichkeit und Metaphorik. Es sind verschiedene Konstellationen, die eine weitläufige Be-
229 Dies ist alles andere als exklusiv – mit Blick auf die Kontextualisierung durch das Musical kann aber zumindest eine besondere Stellung dieser Funktion für den publizistischen Diskurs behauptet werden. 230 Gerhart: Genre Choices, Gender Questions, S. 101. 231 Ebd. 232 Ebd. 233 Auch hier zeigt sich im Übrigen, dass der Rekurs auf eine Genderdichotomie nicht gleichbedeutend mit ihrer Naturalisierung ist; ganz im Gegenteil finden sich mitunter sogar einige womöglich (vulgär) konstruktivistische Anklänge – es wird gar behauptet: »[D]ie Botschaft, daß Geschlechterrollen auf nichts als Illusionen beruhen, ist nicht neu«. Diese Ansätze zeigen zumindest tendenziell, dass – obgleich sie immer noch einer Genderdichotomie verhaftet sind – diese nicht als natürlich gilt bzw. gelten muss. Anonymus: SZENE. Kino. Warmes Herz. In: DER SPIEGEL 20/1966, S. 237, hier S. 237; vgl. im Rahmen solcher Vereinfachungen konstruktivistischer Annahmen auch die unterschiedlichen Kritiken von Crenshaw: Intersectionality and Identity Politics: Learning from Violence Against Women of Color, S. 188 f. und Hacking: The Social Construction of What?, S. 9.
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stimmung von Gender anlegen und so – zumindest auf Basis der immensen Wirkmacht einer Einteilung um ›Mann oder Frau‹ – ihre Differenzierung formieren. Dies mag zunächst kaum verwundern und stützt mitunter sogar die Geltung einer Genderdichotomie, indem etwa auch Attribute wie ›weiblich‹ oder gar andere Kategorien, zum Beispiel Age, in die Differenz um ›Mann oder Frau‹ integriert werden.234 Fragt man nun aber nach dem Musical, so ergibt sich ein konträres Bild: Das Genre, das zwar diese verschiedenen Betrachtungen von Gender initiiert und darin auch retrospektiv eine Bestimmung erfährt, steht selbst kaum im Zentrum; es ermöglicht und arrangiert als Kontext verschiedene Beobachtungen, die ihrerseits allerdings wenig direkt zur Differenzierung des Musicals beitragen. Gestützt durch eine häufig kritische Auseinandersetzung erweist sich das Genre als kaum thematisierungsbedürftig und wird stattdessen zum Garant einer Beobachtung anderer Zusammenhänge; die skizzierten Deutungsmuster gehen bereits in ihren jeweiligen Ansatzpunkten über das Musical hinaus und haben sein Publikum oder seine Prätexte zum Gegenstand. Kurzum: Während Gender in vielfältigen Konstellationen fokussiert wird und darin – trotz der Dichotomie – Differenzierungen erhält, ist das Musical bereits in seiner Kontextfunktion vordefiniert und entsprechend einer Statik unterworfen.235 Diese Tendenz einer Genderdifferenzierung gegenüber einer Genreinvarianz – und sie ist schon aufgrund der Wechselseitigkeit einer interkategorialen Verknüpfung lediglich als Tendenz zu begreifen – kann Auskunft über die Artikulation einer kategorialen Krise geben, jedoch muss dies um einen weiteren Aspekt ergänzt werden: um das Verhältnis der Deutungsmuster untereinander. Das untersuchte Material legt nahe, dass eine konfliktäre Anordnung verschiedener Sinngebungen innerhalb des publizistischen Musicaldiskurses dominiert, dass eine Deutungskonkurrenz, eine zumindest potenziell widerstreitende Relation verschiedener Interpretationen, besteht. Dies zeichnet sich gerade in der Verbindung
234 Vgl. hierzu auch nochmals die Ausführungen zum Publikum, das aus ›Frauen‹ besteht und dem darin ebenso »[s]chwule Paare« wie auch »Feministinnen« gegenüber »normale[n] Leute[n]« – »Männer[n]« – zugerechnet werden, in Kapitel 4.3. 235 Dies mag in Anbetracht der vorherigen Kapitel kontraintuitiv sein, immerhin lassen sich verschiedene Bestimmungen des Musicals aufzeigen. Allerdings muss dabei der analytische Schwerpunkt, die Konzentration auf die rückwirkende Konstitution des Musicals, berücksichtigt werden. Außerdem ist die Korpusgröße nicht außer Acht zu lassen, denn obgleich möglichst explizite Beispiele genannt wurden, so wird das Genre doch in der Mehrzahl der Artikel lediglich zur Kategorisierung herangezogen und erhält darin kaum weitere Sinnzuschreibung. In dieser Hinsicht lässt sich also zumindest vermuten, dass das Musical zwar durchaus sinntragend und sinnstiftend in die Diskursebene eingebettet ist – genau dies scheint aber nicht expliziert werden zu müssen, sodass es dahingehend, in seiner Kontextfunktion für andere Beobachtungen, bereits vordefiniert wird.
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zu Gender ab. So tritt in der Fokussierung des Musicalpublikums eine diskursinhärente Spannung auf, welche im Verhältnis beider Verknüpfungen angelegt ist und gerade für die mit ihnen ermöglichten Genrebestimmungen virulent wird. Und auch die Deutung durch Musicalisierungen ist in sich bereits eines perspektivischen Konflikts zwischen statischer Merkmalsreduktion und relationaler Bestimmung unterworfen, wobei dies im Verweis auf Gender keinesfalls gelöst wird. Aber auch weitere Indizien sprechen für jene Konkurrenz verschiedener Sinngebungen, etwa die häufige Verwendung von Superlativen, die vielleicht noch eines ›journalistischen‹ Stils geschuldet sein mag,236 jedoch gerade in der Auseinandersetzung mit einzelnen Artefakten konfliktreich erscheint.237 Außerdem ließe sich – mit Einschränkungen – die grundlegende Funktion des Musicals als Kontext für andere Beobachtung hierin verorten, denn die verschiedenen Rahmungen stehen oftmals nebeneinander und tendieren ein Stück weit zur Exklusivität in der darin angelegten Genrebestimmung. Die Fokussierung des Publikums etwa bewirkt eine kritische Auseinandersetzung, ob das Musical aber als Film- oder als Theatergenre gilt, scheint irrelevant und kann (!) in der Verwendung von Superlativen oder in der historischen Verortung des Genres zum Konflikt mutieren.238
236 Diese Vermutung ist äußerst prekär: Zum einen evoziert sie Wertungen, mit denen publizistisches Wissen selten als solches gilt, zum anderen gelangt sie in einen methodischen Fallstrick, da eine vorausgehende Bestimmung angelegt wird, die den Geltungsund Konstruktionsbedingungen der Diskursebene nicht entsprechen muss. 237 Die Verwendung solcher Steigerungsformen ist zwar als relativ auszuweisen, spätestens in der Verwendung von Elativen wird aber eine absolute Dimension eröffnet. Wenn beispielsweise OKLAHOMA! (New York (St James Theatre) 31.03.1943 (Uraufführung), R: Rouben Mamoulian) in einem Artikel von 1974 als »erfolgreichstes Musical in der Broadway-Geschichte« gilt und wenn GREASE (dt. auch SCHMIERE, USA 1978, R: Randal Kleiser) in einem Artikel von 1998 als »[d]as erfolgreichste Kino-Musical aller Zeiten« bezeichnet wird, so können die jeweiligen Referenzpunkte – Broadway oder Kino – noch die Parallele eines Elativs begründen. Wenn aber zwischenzeitlich A CHORUS LINE (New York (Shubert Theatre) 25.07.1975 (Uraufführung), R: Michael Bennett) in einem Artikel von 1987 als »das erfolgreichste Musical aller Zeiten« begriffen wird, dann fällt spätestens hier die relationierende Ebene im sprachlichen Gebrauch weg, es lässt sich eine Konkurrenz behaupten. Anonymus: DIESE WOCHE IM FERNSEHEN. Oklahoma. In: DER SPIEGEL 29/1974, S. 103-104, hier S. 104; Anonymus: FERNSEHEN. Grease. In: DER SPIEGEL 36/1998, S. 234-236, hier S. 235; Anonymus: REGISTER. Michael Bennett. In: DER SPIEGEL 28/1987, S. 178, hier S. 178. 238 Die in Kapitel 4.3 genannten Beispiele zeigen dies etwa anhand einer mediendifferenten Dimension: Ist das Musical nun »bühnenfeste Maßarbeit« oder Ergebnis »einer marktgerechten Entwicklung« des Films? Allerdings scheint die konfliktäre Anordnung hier
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Es lässt sich tendenziell konstatieren, dass Gender in vielfältiger Weise fokussiert wird, während das Musical bereits grundlegend einer Statik unterworfen ist – und genau dies geht mit Konkurrenzen einher, die gerade in der interkategorialen Verbindung, aber auch grundlegend innerhalb des Diskurses nachgezeichnet werden können. Dies ist für die Frage nach der diskursspezifischen Artikulation einer kategorialen Krise, für den Einzug eines zunehmenden Zweifels an Kategorien in den publizistischen Diskurs, von besonderem Interesse. So kann zunächst im Verweis auf Garber die Tendenz einer Genderdifferenzierung gegenüber einer Genreinvarianz als Symptom begriffen werden: Zwar mag sich die von Garber vorgeschlagene Beschreibung im Spektrum um overestimation und underestimation nur bedingt wiederfinden – ist es ja immer noch die Dichotomie ›Mann oder Frau‹, die auch in der Verknüpfung von Genre und Gender zentral ist. Die Folge dessen lässt sich demgegenüber aber sehr wohl übertragen, denn während Garber mit der Kategorienkrise eine Öffnung diskursiver Zuschreibungen, »a space of possibility«,239 betont, so scheint dies doch auch für den publizistischen Diskurs und seine interkategorialen Bezüge zu gelten. Es sind verschiedene Möglichkeiten, die sich in der Betrachtung des Musicalpublikums durch den Rückgriff auf Gender ergeben; es sind verschiedene Bereiche, in denen Gender für Musicalisierungen relevant ist. Von daher gestattet die Verbindung zu Gender eine Öffnung der durch das Musical arrangierten Schwerpunkte – obwohl geschlechtliche Konstellationen weiterhin und überaus wirkmächtig in einer Dichotomie gekennzeichnet werden. Nun mag dies zunächst bedeuten, dass die Verknüpfung von Genre und Gender schlicht zur Re-Etablierung der Kategorien beiträgt, dass sich, wie es Schneider darstellt, »neuerlich ein essenzialistischer Begriff von Gender in die Diskurse ein[schreibt]«240 und dieser in der Publizistik eben vielfach aufzuzeigen ist. Der Rekurs auf Gender bringt zwar eine vielfältige Bestimmung geschlechtlicher Konstellationen mit sich – ihre Wirkmacht als Dichotomie bleibt jedoch erhalten und diese erlaubt schließlich eine Konstitution des Musicals, welches in seiner vordefinierenden Kontextfunktion gestützt wird. Allerdings treten die verschiedenen Verbindungen, wie angedeutet, in eine Konkurrenz, sie lassen sich auf Basis ihrer Axiome kaum zusammenfügen – und zwar obwohl sie innerhalb ein und desselben Deutungsmusters auftreten oder gar weil sie bestehende Ambivalenzen innerhalb einer Deutung fortsetzen. Es sind verschiedene Kopplungen, die nicht nur begren-
eher potenziell angelegt zu sein und eröffnet unter Umständen sogar ›konfliktlösende‹ Tendenzen; in diesem Fall ließe sich etwa durch die US-amerikanische Verortung und im identischen Resultat einer Kritik eine Verbindung der eigentlich mediendifferenten Bestimmungen behaupten. 239 Garber: Vested Interests, S. 11. 240 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 22.
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zend wirken, sondern die sich in ihrer Beziehung zueinander auch selbst begrenzen. Und dies ist ebenso Teil der diskursspezifischen Artikulation einer Kategorienkrise, denn darin kehrt sich das Verhältnis zwischen Krise und Lösung um. Die Krise um Kategorien bildet im publizistischen Musicaldiskurs nicht den Auslöser oder gar den Grund für eine Verknüpfung von Genre und Gender – vielmehr sind es die widerstreitenden Verknüpfungen, die eine Krise um Kategorien produzieren. Sie stehen zumindest potenziell in einem Konflikt und lassen genau darin Skepsis gegenüber den Kategorien erkennen. Nicht die Unschärfe kategorialer Einteilungen bildet demnach den Ausgangspunkt, nicht aufgrund eines zunehmenden Zweifels werden beide Kategorien verbunden – sowohl die Dichotomie von Gender als auch die Statik einer Genrebetrachtung sind äußerst umfassend nachzuzeichnen. Stattdessen löst erst die Relation verschiedener Sinngebungen, die Konkurrenz der Deutungen, eine Krise aus – erst mit ihr werden die Kategorien einem Zweifel zugeführt und erscheinen so nicht mehr von vorne herein adäquat. Gerade in dieser Hinsicht zeichnet sich das von Schneider vorgeschlagene und schon bei Koselleck angelegte rekursive Verhältnis zwischen Krise und Lösung ab, wobei dies zugleich, ja zwangsläufig, eine Anerkennung der Komplexität diskursiver Prozesse, wie sie von Engel betont wird, bedeutet.241 Zusammenfassend eröffnet sich folgende Konsequenz: Die Verknüpfung von Genre und Gender zeigt auch im publizistischen Musicaldiskurs eine Kategorienkrise – aber nicht dadurch dass sie eine Re-Etablierung statischer Verständnisse anlegt, sondern dadurch dass auf Basis einer Statik verschiedene Verbindungen initiiert werden, die ihrerseits konfliktär arrangiert sind. Diese Artikulation oszilliert weniger zwischen den von Garber identifizierten Symptomen einer Komplexitätssteigerung und einer Simplifizierung, sondern findet eher im Resultat dessen – in der Öffnung diskursiver Zuschreibungen – eine Symptomatik. Und auch mit Blick auf die Kategorien selbst ist im Vergleich zur Wissenschaft eine Umkehrung aufzuzeigen, denn gegenüber einer statischen Bestimmung des Musicals erweist sich Gender hier – obgleich in einer Dichotomie gebündelt – doch in vielfältigen Konstellationen fokussiert; konträr zu der schon in der Kontextfunktion implizierten Invarianz des Genres finden eine Differenzierung von Gender statt. Ambivalenzen sind dabei gerade im Verhältnis verschiedener Sinngebungen nachzuzeichnen, denn es formiert eine Deutungskonkurrenz, die in der Verknüpfung von Genre und Gender besonders virulent ist; Letztere lässt Konflikte innerhalb eines Deutungsmusters entstehen und bietet keine Lösung für bereits inhärente Spannungen. Genau dies ist als diskursspezifische Artikulation einer Kategorienkrise auszuweisen, denn in Berücksichtigung des rekursiven Verhältnisses zwischen Krise und Lösung ist jene Konkurrenz als Auslöser eines Zweifels an Kategorien zu begreifen.
241 Vgl. zu diesen Argumentationssträngen Kapitel 2.1.
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Anhand der Zeitschrift DER SPIEGEL und der berücksichtigten 1481 Artikel wird deutlich, dass die Verbindung von Genre und Gender eine Deutungskonkurrenz gestaltet, die für den publizistischen Diskurs zum spezifischen Ausdruck einer epistemischen Herausforderung wird, insofern die Kategorien im interkategorialen Bezug nicht nur Wissen hervorbringen, sondern ebenjenes zugleich auch in Zweifel ziehen. Diese Einsicht in die Artikulation einer Kategorienkrise ist allerdings durch den Verweis auf ihre Beobachtung sowie durch die dabei genutzten Maßstäbe zu relativieren und zu relationieren. Dies soll zunächst wiederum anhand methodischer Überlegungen stattfinden. So kann etwa schon durch die Korpusgröße nicht gewährleistet werden, dass Sinngebungen vollständig rekonstruiert wurden, zumal auch die Deutungen selbst nicht gleiche Priorisierung erfahren. Zwar begründet sich dies durch deren Auftreten innerhalb der Diskursebene sowie durch die verfolgten Schwerpunkte – dennoch sind es aber genau diese Gewichtungen, die dazu veranlassen, die vorliegende Analyse als beobachterabhängig zu betonen. Dahingehend tritt – neben weiteren Faktoren242 – noch ein anderer, bisher kaum behandelter Aspekt in den Vordergrund. So steht die Analyse nicht allein im Verhältnis zum Korpusmaterial oder zur verfolgten thematischen Ausrichtung, sondern auch im Verhältnis zum vorherigen Kapitel und erweist sich hierin als relational bedingt: Zum einen beeinflusst dies die Beobachtung selbst, wie es etwa in den punktuellen Verweisen auf den wissenschaftlichen Musicaldiskurs deutlich wird. Zum zweiten führt dies zu einer wichtigen Frage: Wie können die in Kapitel 3 und in Kapitel 4 dargestellten Deutungsmuster in ein Verhältnis gesetzt werden, das den jeweiligen kontextuellen Rahmungen Rechnung trägt, das die durchaus divergenten Wissensordnungen berücksichtigt und das dennoch diskursübergreifende, mitunter interdiskursive Beobachtungen ermöglicht? Diese Fragestellung gilt es genauer zu verfolgen, wobei zunächst festgehalten werden kann, dass wichtige Parallelen zwischen den jeweiligen Diskursebenen bestehen. Und diese betreffen auch die Verknüpfung von Genre und Gender. So erweisen sich etwa Genderrepräsentationen in beiden Diskursebenen als relevant, um eine Bestimmung des Genres zu leisten, allerdings ist ihr Ansatzpunkt ein Anderer – mal ist es eine Perspektive auf die gesellschaftliche, vor allem soziohistorische Relevanz des Musicals in seiner Darstellung von Gender (Kapitel 3.4), mal ist es das Musicalpublikum, das sich vermeintlich durch die Darstellung von Gender angesprochen fühlt (Kapitel 4.3). Und auch die Spannung einer relationalen Definition gegenüber ihrer tendenziell statischen Reduktion auf eine Merkmalsmenge kann in beiden Diskursebenen gezeigt werden, obgleich sich dies zum einen in der
242 So ergibt sich etwa durch die Auswahl mehrerer Beispiele eine Annäherung an die doch immense Korpusgröße, dies bedeutet zugleich aber auch ein Stück weit die Ausblendung ihrer Spezifika.
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zirkulären Begründung genrespezifischer Geschlechterbilder (Kapitel 3.4) und zum anderen in der generalisierenden Hierarchisierung des Verhältnisses zwischen Musical und Prätext (Kapitel 4.4) abzeichnet. Es lassen sich also Gemeinsamkeiten generieren, die sogar äußerst basal sind – bringt man etwa die über das Musical getroffenen Urteile auf eine gemeinsamen Nenner, so ist es nicht nur simplifizierend, oberflächlich, kommerziell und anspruchslos, sondern obliegt in all diesen Facetten auch einer negativen Konnotation, die womöglich sogar die Auseinandersetzung mit ihm grundlegend prägt. Gleichfalls können aber ebenso Unterschiede hervortreten – scheint doch etwa das Publikum (Kapitel 4.3) in der Wissenschaft kaum relevant, die narrative Anordnung des Musicals (Kapitel 3.3) spielt hingegen in der Publizistik kaum eine Rolle.243 Außerdem bedingen schon die jeweiligen epistemischen Voraussetzungen Differenzen, die sich dann auch in der Beschäftigung mit dem Musical, etwa in seiner Kontextualisierung (Kapitel 3.2) oder in seiner Kontextfunktion (Kapitel 4.2) niederschlagen. Und so zeigt sich letztlich, dass »Verwandtschaft [...] ebenso unleugbar wie die Verschiedenheit«244 ist, dass »Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen«245 beobachtet werden können. Dies klingt banal, womöglich wie ein Klischee – hierdurch ergeben sich jedoch methodische Implikationen, die am Ende der Arbeit Anstöße zur Beobachtung der Kategorien vermitteln sollen. Und dahingehend, zur Methodik, bietet Keller wiederum einen Ansatz. So muss, wie er betont, bei einem Diskursvergleich »vorausgesetzt [werden], dass vorab ein oder mehrere Diskurse bzw. ein diskursives Feld, ein Konflikt, Ereignis- oder Gegenstandsbereich bestimmt wurde(n), dem (denen) das Forschungsinteresse gilt«.246 Dies bedeutet zunächst, dass die hier dargestellten Sinngebungen und die keinesfalls vollständigen Vergleiche Auskunft über die in der Wissenschaft bzw. in der Publizistik auftretenden Mechanismen einer Verknüpfung von Genre und Gender geben, dass sie entsprechend des Schwerpunkts der Arbeit gebündelt sind. Doch zugleich geben sie auch Auskunft über die Instrumente und Ansätze, die eine Rekonstruktion beeinflussen und sie als solche erst entstehen lassen – wobei dies schon im Ausgangspunkt selbst geschieht, denn auch ein Vergleich basiert, so selbstverständlich dies sein mag, auf der Annahme eines Diskurses, auf der Diskursivierung von Genre und Gender.
243 Hierbei ist allerdings zu betonen, dass Musik beispielsweise im publizistischen Diskurs durchaus relevant ist – dies aber gerade nicht im Rahmen narrativer Anordnungen, sondern vielmehr entlang des Musicalpublikums, wenn es dort zur Behauptung rezeptionsspezifischer Momente kommt. 244 Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, S. 53 § 76. 245 Ebd., S. 48 § 66. 246 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 263.
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Bei Keller gilt dies zwar schlicht als Voraussetzung zum Vergleich, nichtsdestotrotz ist jene Voraussetzung, jene Annahme eines Diskurses, aber eine komplexe Angelegenheit, die verschiedene Maßstäbe und ihre Beobachterabhängigkeit gleichermaßen hervorstellen muss, wenn sie denn den unterstellten Aussagezusammenhang als solchen ernstnimmt. Und so erklärt sich (abseits der Maßgabe einer diskursspezifischen und korpusimmanenten Fokussierung) der alles andere als konsequente Vergleich der Diskursebenen, das nur punktuelle In-Beziehung-Setzen – bedarf es dazu doch eigentlich stets einer genauen Kontextualisierung der jeweiligen Deutungen und ihres Auftretens, ebenso wie hierin eine genaue Aufschlüsselung der zur Diskursivierung herangezogenen Maßstäbe und Vorgehensweisen von Nöten ist. Damit wird die Möglichkeit und auch die Produktivität von Vergleichen keinesfalls ausgeschlossen, ganz im Gegenteil. In Ergänzung zu Keller muss jedoch stärker auf die von ihm lediglich als Prämissen benannten Konstellationen eingegangen werden – zumal hier die Beobachterabhängigkeit des Untersuchungsgegenstands und die Beobachterabhängigkeit der analytischen Maßstäben, etwa als Familienähnlichkeit im Sinne Wittgensteins, zusammenfinden, ja sogar zusammenfallen.247
247 Dies bedeutet nicht, dass eine Trennung beider nicht vorgenommen werden kann, sondern dass ihre Trennung, wie bei Keller, die Gefahr schürt, ihre Bedingtheit auszublenden bzw. zu reduzieren – im Beispiel etwa als nicht weiter thematisierte Voraussetzung eines Vergleichs.
5 Genre und Gender im audiovisuellen Musicaldiskurs Zwischen potenziellen Assoziationen und umfassenden Funktionen
In der Diskursivierung von Genre und Gender können eine Vielzahl verschiedener Sinngebungen und mit ihnen eine Vielzahl verschiedener Wissensfelder identifiziert werden, die auf unterschiedliche Weise einen Wechselbezug der Kategorien gestalten. Dieser hat konstitutiven Anteil, er eröffnet diverse Konstruktionsprozesse und mündet in komplexen Arrangements interkategorialer Verknüpfungen. Audiovisionen nun spielen dabei eine besondere Rolle. So sind Filme, Theaterinszenierungen, Fernsehsendungen, Internet-Videos und dergleichen mehr1 für beide Kategorien von immenser Relevanz: Genreeinteilungen erweisen sich schon unter funktionalen Gesichtspunkten als wirksam, sie können aber auch abseits dessen – in
1
Der Begriff der Audiovision soll als summarische Beschreibung verschiedene mediale Artefakte umfassen, die – unabhängig ihrer technischen Bedingtheit – sowohl auditive als auch visuelle Sinnkanäle ansprechen (können). Dies ist allerdings im Verlauf des Kapitels zu präzisieren, denn primär soll darin eine sinnstiftende Dimension gebündelt werden, ein Modus der Wissensgenerierung. Insofern geht die hier verfolgte Verwendung auch nicht in den von Siegfried Zielinski angeregten Begriff des audiovisuellen Diskurses auf; während Zielinski die Verbindung von Auditivem und Visuellem historisch verfolgt, so gelangt er doch in eine prekäre Perspektive auf Artefakte, die in seiner Studien in »den übergeordneten Prozeß eines stetigen Versuchs kulturindustrieller Modellierung« eingestellt sind. Zwar vermittelt Zielinski also Anregungen, die die Historizität von Diskursen um Medien betreffen, er betrachtet aber kaum Diskurse in Medien – eine Unterscheidung, die in diesem Kapitel noch bedeutend sein wird. Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte. Hamburg 1989, S. 13 [Herv. i.O.]; vgl. auch ebd., S. 294 f.
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ihrer audiovisuellen Formung – beleuchtet werden. Und dies gilt ebenso für Gender, zumal hier geradezu ›ersichtlich‹ wird, dass der Kategorie keine Essenz oder Natur zugrunde liegt, sondern »a stylized repetition of acts.«2 Doch sind Audiovisionen bei all ihrer Relevanz damit als eigenständige Diskursebene zu begreifen? Inwiefern lassen sich Sinngebungen identifizieren, die nicht nur an Audiovisionen herangetragen werden, sondern auch in Audiovisionen selbst entstehen und zirkulieren? Und wie ist dies gerade methodisch zu untersuchen, wenn doch eine ganze Reihe von Fallstricken mit einer solchen Perspektive verbunden sind – von Operationalisierungsproblemen bis hin zur Annahme einer Art audiovisuellen Epistems, das zwar Wissen über das Musical im Rekurs auf Gender hervorbringen mag, jedoch schon aufgrund seiner Audiovisualität nur unterkomplex erfasst werden kann? Diese und weitere Fragen werden im folgenden Kapitel im Zentrum stehen, wenn der Versuch (!) unternommen wird, die diskursive Genese des Musicals in ihrer Verknüpfung zu Gender durch Audiovisionen zu entschlüsseln. Zunächst ist dabei zu betrachten, inwieweit überhaupt von einer audiovisuellen Diskursebene gesprochen werden kann und wie diese in ihrer epistemischen Wirkmacht spezifisch hervortritt. Der Begriff der Audiovision stellt hierzu eine Möglichkeit bereit, denn mit ihm kann eine audiovisuelle Diskursebene in ihrem Verhältnis zu Sichtbarem und Sagbarem, in der Materialisierung von Diskursen in und um Medien, verortet werden (Kapitel 5.1). Doch inwiefern operieren Audiovisionen dabei mit Genre(s), wie entsteht das Musical als Kondensat audiovisueller Aussagezusammenhänge und wie sind Letztere systematisch zu erfassen? Dies soll anhand der Korpuserstellung beantwortet werden, wobei die bisherigen Zugriffe um Attributionsprozesse und sprachliche Praktiken aufgrund der Geltungsbedingungen umakzentuiert werden. So lässt sich mit der Attribution als Musical ein Kontext generieren, der der Wirkmacht einer audiovisuellen Diskursebene Rechnung trägt; die Kategorisierung wird zum Indikator diskursiver Prozesse – jedoch gilt es, die tautologische Anlage dieses Vorgehens zu vermeiden und das Interesse auf die Eigenständigkeit audiovisueller Sinngebungen zu lenken (Kapitel 5.2). Zwei Verfahren bieten sich hierzu an, denn sowohl prototypische Gewichtungen (Kapitel 5.2.1) als auch Titelkonstruktionen (Kapitel 5.2.2) zeigen, dass eine Kategorisierung als Musical zwar wirkmächtig ist, sie definieren darin aber nicht das Genre.3 Und genau dies dient als Ansatz, denn so stellt sich zwangsläufig die Frage nach einer audiovisuellen Genreverhandlung.
2
Butler: Gender Trouble, S. 191 [Herv. i.O.].
3
Dies hat freilich Grenzen, denn das Genre wird dahingehend vordefiniert, dass es mediale Artefakte kategorisiert. Dennoch sind beide Zugriffe – quantitativ oder qualitativ – auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt und leisten nur in geringem Maße eine vorausgehende Definition des Musicals.
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Letztere soll im Anschluss anhand eines exemplarischen Ausschnitts, durch einzelne Audiovisionen, auf ihre Kopplung zu Gender hin befragt werden,4 wobei sich ein Spektrum eröffnet, in welchem der interkategoriale Bezug anhand eines Doing5 stattfindet. Dies spezifiziert sich zum einen, beim prototypischen Musical SINGIN’ IN THE RAIN,6 anhand einer Konstellation, in der das Genre durch den Tonfilm ermöglicht und zugleich bedingt wird – dies unterminiert jedoch den konstitutiven Anteil von Gender in der Betonung seiner Potenzialität (Kapitel 5.3). Zum anderen kann im selbstbetitelten Musical HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR7 ein ähnliches Moment identifiziert werden – hier gelangen Genre und Gender aber erst im Anschluss an Effekte von Mediendiskursen, in der Figurenkonstruktion, in eine Verknüpfung, welche spannungsvolle Perspektiven fortschreibt und sogar noch intensiviert (Kapitel 5.4). Beide Betrachtungen verdeutlichen die Relevanz von Gender innerhalb der audiovisuellen Konstruktion einer Sinnstiftung, die das Musical als etwas bestimmt, das im Rahmen spezifischer Medienarrangements ›getan‹ wird – auch wenn sich dabei zugleich verschiedene Ambivalenzen gestalten. Insofern trotz der doch unterschiedlichen Audiovisionen analytisch ein ähnlicher Fokus gewählt wird und in methodischer wie konzeptioneller Hinsicht identische Gewichtungen erfolgen, lassen sich schließlich Konsequenzen für die diskursspezifische Artikulation einer Kategorienkrise ableiten.8 Sie ist vornehmlich in der Erweiterung einer interkategorialen Verknüpfung durch mediale Arrangements zu bestimmen und birgt hierin wiederum Anstöße zur Beobachtung der Kategorien (Kapitel 5.5).
4
Methodisch korrekt wird daher eine Lektüre vorgelegt, die in der Betonung ihrer Beobachterabhängigkeit zur Verbindung von text- und diskursanalytischen Verfahren führt.
5
Der Begriff des Doing wird im Anschluss an konstruktivistische Geschlechterforschung plakativ gesetzt, um den Vollzug performativer Akte zu beschreiben. Darin orientiert er sich weniger, als dies etwa bei Butler der Fall ist, an der zwanghaften Iteration geschlechtlicher Performanzen, sondern greift die nicht voluntaristische Konzeption dessen auf, um den Begriff auch für eine audiovisuelle Diskursebene und ihre Hervorbringung von Genre und Gender zu nutzen. Trotz der Gefahr einer analytischen Unschärfe wird der Vollzug performativer Akte, das Doing, sowohl im Sinne eines Handelns als auch im Sinne einer Handlung verwendet. Vgl. Butler: Bodies That Matter, S. 94 f.
6
SINGIN’ IN THE RAIN (dt. auch DU SOLLST MEIN GLÜCKSSTERN SEIN), USA 1952, R:
7
HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, USA 2008, R: Kenny Ortega.
8
Die Rede von einem Deutungsmuster ist in den Lektüren nur partiell adäquat – durch jene
Stanley Donen/Gene Kelly.
Nähe im Zugriff, durch vergleichende Betrachtungen zwischen den Filmen und im Verweis auf andere Artefakte, die entsprechend der jeweiligen Operationalisierung ebenfalls als Musicals gelten, kann sie jedoch zumindest für die diskursspezifische Artikulation einer kategorialen Krise gestützt werden.
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5.1 AUDIOVISUELLES W ISSEN UM DAS M USICAL UND SEINE B EOBACHTUNG IN DER M ATERIALISIERUNG VON D ISKURSEN IN UND UM M EDIEN Audiovisionen erzeugen Wissen, sie tragen und stiften Sinn. Diese axiomatische Annahme, die geradezu selbstverständlich erscheint,9 entpuppt sich in diskurstheoretischer Hinsicht als eine komplizierte Angelegenheit. So wird auf der einen Seite zwar vielschichtig auf die Relevanz von Audiovisionen verwiesen – sie gelten bei Keller als »Produktion und Rezeption von Diskursen in actu«,10 sie lassen sich auf ideologische Zusammenhänge innerhalb eines Diskursgeflechts hin beleuchten,11 sie werden in dispositivanalytischen Kontexten verortet12 und nicht zuletzt werden jüngst auch Perspektiven expliziert, die etwa Filme unter Berücksichtigung »der faktischen Existenz und der Historizität des Diskurses […] selbst als faktisch existente Diskurse«13 begreifen. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch in dieser Vielfalt die Notwendigkeit zur Schärfung und dies betrifft gerade die Frage, wie Audiovisionen in ihrer epistemischen Relevanz hervortreten können.14 Wie stiften Audiovisionen Sinn, wie verleihen sie diesen Prozessen Geltung und welche Mechanismen lassen sich überhaupt im Konnex aus Wissen und Macht identifizieren, um von einer audiovisuellen Diskursebene zu sprechen? Dahingehend bietet der Begriff der Audiovision selbst eine Möglichkeit zur Annäherung: Er verortet mediale Konstellationen in ihrer Generierung von Wissen und in ihrer Wirkmacht gleichermaßen in den Kontext anderer Diskurse – und vermag es dennoch, ein spezifisches Moment audiovisueller Sinnerzeugung hervorzuheben. Gewissermaßen wird also, wie auch in den bisherigen Ausführungen, ein Weg eingeschlagen, der Zuschreibungen, Diskurse in und um Medien, zum Ausgangspunkt nimmt, um bereits in der Identifikation einer Diskursebene ihre Geltung
9
Selbstverständlich ist dies auch, weil das semantische Feld ›Sinnlichkeit‹ enthält – eine medientheoretisch häufig herangezogene, hier jedoch nur in der Modalität einer Sinnstiftung berücksichtigte Größe.
10 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 276. 11 Besonderes Augenmerk mag dabei wohl der Critical Discourse Analysis zukommen, insofern sie der Vielfalt von Medien (nicht bloß als ideologiereproduzierende Instanzen) Rechnung trägt. Vgl. Norman Fairclough: Media Discourse. London/New York/Sydney/ Auckland 1995, S. 45. 12 Vgl. etwa Bührmann/Schneider: Vom Diskurs zum Dispositiv, S. 12 f. 13 Scheinpflug: Formelkino, S. 83. 14 Mit dieser Vielfalt ergibt sich noch eine weitere Konsequenz, denn die vorausgesetzte Sinnhaftigkeit von Audiovisionen wird zumindest im Rahmen der daran anschließenden Forschung plausibel.
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zu berücksichtigen und darin nicht in Essentialisierungen zu geraten. Allerdings fällt dies weniger konkret aus, denn anstelle der Korpuswahl werden in diesem Kapitel zunächst analytische Setzungen diskutiert. Unter der summarischen Beschreibung als Audiovision soll die wissensgenerierende Erzeugung von Aussagen erfasst werden; es geht um das hervorbringende und begrenzende Moment medialer Anordnungen, die Auditives und Visuelles in eine Verbindung setzen und über die Konstruktion jene Verbindung als eigenständige Diskursebene perspektivierbar werden.15 Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass Audiovisionen Sinn stiften, indem sie verschiedene Sinnkanäle ›nutzen‹, indem auditive und visuelle Dimensionen ineinandergreifen, sich verschränken und durchkreuzen. Dies betrifft jedoch weniger die technische Bedingtheit einer solchen Verbindung, weshalb etwa auch nicht per se zwischen Theater und Film unterschieden wird.16 Stattdessen umfasst dies mehr noch die Möglichkeit, mit der hierin Wissen überhaupt generiert werden kann; die Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Auditivem und Visuellem steht im Fokus – etwa durch Narrationen, durch das Erzeugen eines Geschehens oder eines Handelns, mitunter aber auch durch die alles andere als kohärente Verbindung auditiver und visueller Äußerungen.17 Dies mag wenig spezifisch wirken und bedarf in der Analyse sicherlich einiger Akzentuierungen – zumal in der Fokussierung einer Verbindung auditiver und visueller Elemente das Spagat zwischen einer medienwissenschaftlichen und einer diskurstheoretischen Betrachtung keinesfalls erschöpfend behandelt ist.18 Mit dem Schwer-
15 Die Betonung der Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Auditivem und Visuellem ist auch deshalb wichtig, da sich in dieser Bestimmung zunächst Schrift verorten ließe, die als visuelle Kodierung lautlicher Informationen ebenfalls eine Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem gestaltet. In diesem Fall ist jene Verbindung jedoch wirkmächtigen Konventionalisierungsprozessen geschuldet, womit Schrift nur in geringem Maße zur ›aktiven‹ Konstruktion beiträgt. 16 Dass schließlich zwei Filme zur Analyse ausgewählt werden, unterminiert dies nicht – wie es im nächsten Kapitel anhand der Operationalisierung deutlich wird, ist jene Auswahl gewissermaßen schon als Ergebnis des Musicaldiskurses zu perspektiveren. 17 Der Begriff der Äußerung ist in diesem Zusammenhang entscheidend, denn er bezeichnet »[d]ie konkret dokumentierte, für sich genommen je einmalige sprachliche Materialisierung eines Diskurses.« Dadurch wird er zur Grundlage einer Aussage und letztlich auch zur Grundlage einer Diskursunterstellung, wobei es dies im Weiteren zu diskutieren gilt. Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 234. 18 Pundts Arbeit, welche bislang vor allem im Rahmen der Konstruktionsbedingungen spezifischen Musicalwissens zitiert wurde, nimmt jenes Spagat gar zum Anlass und liefert einen diskurstheoretischen Impuls, der weitere Fokussierungen erlaubt. Im Folgenden werden diese zwar nicht en détail thematisiert, sie geben aber wichtige Hinweise – etwa
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punkt auf den komplexen Arrangements, die in der Verbindung auditiver und visueller Elemente entstehen, drängt sich jedoch jener Anschluss an diskurstheoretische Überlegungen geradezu auf. Wie es Rolf Parr und Matthias Thiele in ihrem Überblick zu verschiedenen Möglichkeiten einer an Foucault anschließenden, medienwissenschaftlichen Perspektivierung darstellen, lässt sich das »Zusammenspiel zwischen audiovisuellen Medien und verschiedenen Diskursen«19 erfassen, indem es – in einem »wechselseitigen, unauflösbaren Verhältnis«20 – »Sagbarkeiten und Sichtbarkeiten«21 hervorbringt und zugleich prozessiert, indem es zu »strategischen und kontingenten Kopplungen von Apparaten, Diskursen und Praktiken«22 kommt. Diese Annahme zielt jedoch keineswegs auf eine simple Übertragung in dem Sinne, dass Diskurse in Audiovisionen gespiegelt werden oder umgekehrt. Vielmehr geht es um die Eigendynamiken einer solchen Verbindung, es geht etwa um die Frage, wie eine Audiovision mit Genrediskursen operiert, wie sie sich hierin einschreibt und den Genrediskurs damit zugleich fort- und umschreibt. Dies lässt sich unter der Prämisse einer beobachtungsbezogenen Differenzierung (!) von Seiten der audiovisuellen Gestaltung beleuchten, denn im Zusammenspiel auditiver und visueller Elemente ist ein eigenständiges Moment der Sinnstiftung zu identifizieren, das die Verknüpfung zwischen Medien und Diskursen hervorbringt, das jene Verbindung selektiv und darin spezifisch formt. Eine Audiovision greift beispielsweise in der Figurenrede bestimmte Deutungen auf und spricht diese aus, sie verleiht einer Deutung visuelle Gestalt, beispielsweise das Gesicht einer Figur, die jene Deutung äußert. Bereits hierin sind Eigenheiten zu betonen, etwa kontextuelle Einbettungen oder auch spezifische Iterationen, sodass es eben keine schlichte Abbildung, keine Wiedergabe oder Illustration ist, sondern eine eigenständige Kennzeichnung, letztlich eine eigenständige Diskursgestaltung, die im Zusammenspiel auditiver und visueller Elemente verortet werden kann – zumal jenes Zusammenspiel selbst äußerst dynamisch und zugleich überaus wirkmächtig ist.
indem Foucaults Konzept der Aussage mit der medialen Iteration von Topoi zusammengebracht wird. Vgl. hierzu das Kapitel »Zur Analytik medialer Diskurse« bei Pundt: Medien und Diskurs, S. 119-128. 19 Rolf Parr/Matthias Thiele: Foucault in den Medienwissenschaften. In: Clemens Kammler/Rolf Parr (Hg.): Foucault in den Kulturwissenschaften. Eine Bestandsaufnahme. Heidelberg 2007, S. 83-112, hier S. 88. Diese Ausführungen beziehen sich auf das vierte Modell der Übersicht. 20 Ebd. 21 Ebd. In der Disziplinierung sinnlicher Wahrnehmung ließe sich auch von Sehbarem und Hörbarem sprechen. 22 Ebd.
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Indem Audiovisionen eine Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem konstruieren, gestalten sie Bezüge zu anderen Diskursen – sie prozessieren und produzieren jene Ordnungen, die das, was sichtbar und sagbar ist, erzeugen. Darin verknüpfen sich eigenständige Momente einer Wissensgenerierung, zugleich werden aber auch übergreifende und äußerst wirkmächtige Konstellationen ersichtlich. Dies lässt sich in zweifacher Weise als eine Materialisierung von Diskursen im Zusammenspiel auditiver und visueller Elemente bestimmen, wobei der Begriff der Materialisierung im Anschluss an Butler auch betonen soll, dass Materialität und Diskurs zusammengehören.23 In dieser Hinsicht tritt in besonderem Maße die Geltung audiovisuellen Wissens hervor, einerseits indem es als materialisierter Effekt von Medien begriffen wird, andererseits indem die Produktivität einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem in Anlehnung an den Repräsentationsbegriff als wirkmächtiger Komplex performativer Hervorbringungen betont wird, hier jedoch gewissermaßen die ›innermediale‹ Verknüpfung als Materialisierung gilt. Insofern lässt sich audiovisuelles Wissen auch »als Objektivation des kulturellen Repräsentationssystems«24 erfassen, wobei sich dies im Folgenden auf Diskurse um Medien und Diskurse in Medien konzentriert. Um sich der Wirkmacht audiovisuellen Wissens anzunähern und dabei dem Verhältnis zwischen Medien und Diskursen besonderes Gewicht zu verleihen, bietet der Begriff der Audiovision eine Möglichkeit, indem er das Zusammenspiel auditiver und visueller Elemente selbst als eine wirkmächtige Konstruktionsleistung hervorhebt, als das Ergebnis von Zuschreibungsprozessen, die an Medien herangetragen werden. Dass in Audiovisionen eine Figur eine Äußerung tätigt, ist ebenso konstruiert, wie die Äußerung selbst – und zwar nicht allein durch Enunziationen oder Ähnlichem,25 sondern viel grundlegender, dadurch dass eine Verknüpfung der auditiven und visuellen Elemente (auch bar ihrer technischen Gegebenheiten) angenommen wird. Eine Figur spricht, weil ihr ein Sprechen zugedacht wird, weil Auditives und Visuelles als verbunden gelten. In diesem Sinne referiert der Begriff der Audiovision mitunter sogar auf all das, »[w]as Medien sind und tun, wie sie funktionieren und welche Effekte sie hervorbringen, der Ort, den sie innerhalb kultureller und sozialer Praktiken einnehmen, ihre Rolle als spezifische Kulturtechniken.«26 Obgleich dies sicherlich durch den Fokus einer audiovisuellen Zusammen-
23 Vgl. Butler: Bodies That Matter, S. 2. 24 Liebrand: Gendertopographien, S. 12. 25 Dabei gilt es auch zu betonen, dass selbstreflexive Figurationen, etwa Enunziationen, als analytisch gesetzte Entscheidungen zu begreifen sind: »Die Aporie der Selbstreflexivität ist, dass jeder Film als selbstreflexive Verhandlung gelesen werden kann, da jeder Film auf ein filmhistorisches Archiv referiert.« Scheinpflug: Formelkino, S. 201 [in Anm.]. 26 Vogl: Medien-Werden: Galileis Fernrohr, S. 121.
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hangserzeugung eingeschränkt ist, so kann doch zumindest für diese eine Materialisierung von Diskursen, ein wirkungsvolles Geworden-Sein im Rahmen von Mediendiskursen – von Diskursen um Medien – behauptet werden.27 Audiovisuelles Wissen erlangt Geltung, indem es als Effekt von Diskursen, als Ergebnis von Mediendiskursen, perspektivierbar ist und hierin überhaupt erst identifiziert werden kann. Dies setzt keinen Medienessentialismus voraus, sondern berücksichtigt die wirkmächtige und dennoch diskursiv erst hervorgebrachte Konstruktion medialer Anordnungen samt ihrer Spezifik. Bereits grundlegend wird eine diskurstheoretische Rahmung eröffnet, in welcher Audiovisionen in der Generierung eines Zusammenhangs zwischen Auditivem und Visuellem als diskursiv entstandene und sinnstiftende Arrangements betont werden. Im Rahmen der bislang unterbreiteten Überlegungen ist audiovisuelles Wissen somit das, was durch Medien etabliert wird, das, was einen Zusammenhang zwischen Auditivem und Visuellem ermöglicht und stützt, kurzum: das, was Sichtbarkeit und Sagbarkeit als zusammengehörig markiert und reguliert. Es ergibt sich aber noch eine weitere Dimension, in der der Begriff der Audiovision als Materialisierung von Diskursen zur spezifischen und wirkmächtigen Aussageformation avanciert. Dabei leitet die Umakzentuierung des Repräsentationsbegriffs (Kapitel 1.4) an, denn im Rahmen aktueller Forschung wird deutlich, dass Repräsentation »nicht als Zeichen oder Bild verstanden [wird], das für etwas a priori Gegebenes steht«.28 Stattdessen geht es um Hervorbringungen, etwa um die Hervorbringung von Genre und Gender, welche als eine performative Konstruktion, als Herstellen, zu begreifen ist und erst in der Annahme einer Abbildung, eines Darstellens, Geltung erlangt. Repräsentationen sind somit in ihrer Prozessualität und in ihrer Verwobenheit zu anderen Diskursen zu betonen, sie sind als eigenständige Aushandlungen zu fokussieren und in der Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse zu analysieren. Und auch diese Ebene lässt sich im Begriff der Audiovision berücksichtigen, denn in der äußerst vielschichtigen Konstruktion einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem können jene medialen Performanzen auf Diskurse in Medien hin befragt werden. Über die Verknüpfung zwischen Auditivem und Visuellem erfolgen Kennzeichnungen, die als in Medien prozessierte Hervorbringungsleistungen gelten. Diese
27 In dieser Hinsicht wird auch ein Stück weit der Vorwurf einer mediengeneralisierenden Betrachtung entkräftet, denn wenn die Verbindung von Auditivem und Visuellem als Materialisierung dessen, was Medien erzeugen, begriffen wird, so treten darin spezifische Mechanismen hervor, die für Einzelmedien oder im Medienverbund unterschieden werden können. Auditives und Visuelles wird auf unterschiedliche Weise als zusammengehörig markiert. 28 Liebrand: Gendertopographien, S. 15.
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sind zwar in verschiedene Diskurse eingebettet, sie sind aber »nicht als simple ›Zuschreibungsmaschine‹ [zu] konzeptualisieren«.29 Auch in Berücksichtigung eines weiten Textbegriffs (samt inter- und kontextueller Erscheinungen) ergeben sich dadurch zwei Konsequenzen: Zum einen können einzelne, für sich je singuläre Äußerungen als Aussagen im Sinne Foucaults beobachtet werden, denn wenn mediale Performanzen im Kontext anderer Diskurse stehen, so sind sie – zumindest zu einem gewissen Grad – nicht mehr ausschließlich singulär. Sie treten auch als Funktion auf, als »Existenzfunktion, die den Zeichen eigen ist und von der ausgehend man dann durch die Analyse oder die Anschauung entscheiden kann, […] wovon sie ein Zeichen sind und welche Art von Akt sich durch ihre […] Formulierung bewirkt findet.«30 Dass in Audiovisionen etwa eine Figur eine Äußerung tätigt, referiert zwangsläufig auf Mechanismen der Sinnerzeugung, nicht nur darauf, dass ihr eine Äußerung zugedacht wird, sondern auch darauf, dass diese sinnvoll ist – dass sie, in welcher Weise und in welchen Grenzen auch immer, mit »komplexen Semantisierungsprozessen«31 operiert. Zum anderen sind hierin spezifische Formationen aufzuzeigen, denn in welcher Weise und in welchen Grenzen genau diese Aussage zu verorten ist, inwiefern sie mit Keller auf einen »typisierbare[n] und typische[n] Gehalt«32 reduziert werden kann, gilt es zu ermitteln.33 Wie es im Grunde schon im Begriff der Performanz anklingt, bedarf es einer exakten Analyse, die danach fragt, wie beispielsweise die singuläre Äußerung einer Figur in Audiovisionen auf bestimmte und bestimmbare Konstellationen diskursiver Sinngebung referiert und in diesem Referieren schließlich als »Repräsentation – im Sinne einer Materialisierung von Signifikationsprozessen in kulturellen Produkten und Praxen – […] Wirksamkeit [entfaltet]«.34 Mit der hier verfolgten Annäherung entsteht ein Komplex verschiedener und wirkmächtiger Konstruktionsleistungen, die unter dem Nenner eines audiovisuellen Wissens summiert werden können. Dabei ist audiovisuelles Wissen als die Erzeu-
29 Ebd. 30 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 126. Gerade Letzteres – die Frage nach der Wirkung bzw. dem Bewirkt-Werden – mag den hier unterbreiteten Bezug zu performanztheoretischen Konzeptionen verdeutlichen. 31 Liebrand: Gendertopographien, S. 17. 32 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 228. 33 Dabei ist auch ihre Vielschichtigkeit zu betonen, denn »jede elementare Aussage eines Diskurses ist linguistisch, sozial, historisch und medial kontextualisiert.« Ebendiese Kontexte treten als Bedingungen ihrer Entstehung und ihrer Geltung auf, wobei der Schwerpunkt hier auf einer medialen Dimension liegen wird. Pundt: Medien und Diskurs, S. 51 [Herv. i.O.]. 34 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 127.
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gung eines Zusammenhangs zwischen Auditivem und Visuellem zu bestimmen, die von zwei Seiten beeinflusst wird – von Mediendiskursen als das, was an Medien herangetragen wird, und von Mediendiskursen als das, was in Medien repräsentiert wird. Sagbares und Sichtbares werden im hier skizzierten Vorschlag also durch das bedingt, was Auditives und Visuelles zusammenschnürt (Diskurse um Medien), und durch das, wie es genau zusammengeschnürt wird (Diskurse in Medien); die äußerst vielschichtige Verbindung von Auditivem und Visuellem lässt sich als wirkmächtige Materialisierung ebendieser beiden Dimensionen begreifen. Was bedeutet dies nun aber für audiovisuelles Genrewissen samt seiner Bezugnahmen zu Gender? Inwiefern ist über die Erzeugung einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem das Zusammenspiel verschiedener Diskurse zu beobachten und dennoch spezifisch auf audiovisuelle Sinngebungen hin zu befragen? Dazu bietet die bislang unterbreitete Maßgabe im Vorgehen eine (!) Möglichkeit, denn in der korpusimmanenten Fokussierung wird das Spannungsfeld zwischen einer eigenständigen Hervorbringung und ihrer übergreifenden Kennzeichnung nicht in einer vordefinierenden Zugriffsweise gebündelt. Außerdem schließen sich hier analytische Entwürfe, insbesondere Liebrands Konzept der Lektüre, an, womit im Weiteren auch der Beobachterabhängigkeit einer Rekonstruktion Rechnung getragen wird. Um der Eigenständigkeit einer audiovisuellen Wissensgenerierung nachzuspüren, gilt es, für Genre und Gender zuallererst zu beleuchten, inwiefern beide Kategorien in Audiovisionen überhaupt verhandelt werden; es sollen nicht andere Diskurse und deren Zuschreibungen formuliert werden, um diese dann an Audiovisionen heranzutragen, sondern es gilt, die audiovisuelle Konstruktion von Sinngebungen zu betrachten. Das korpusimmanente Vorgehen, welches auch für die wissenschaftliche und die publizistische Auseinandersetzung verfolgt wurde, bietet dazu eine Option, denn zentral sind zunächst einmal diejenigen Momente, die innerhalb der jeweiligen Diskursebenen als Genre- bzw. Genderverhandlung kenntlich gemacht werden.35 Dass etwa, wie es in der wissenschaftlichen Diskursebene prononciert wird, ›Musicalnummern‹ identifizierbar sind, bedeutet noch keine audiovisu-
35 Für die audiovisuelle Diskursebene leitet dabei die Konstruktion narrativen Geschehens, insbesondere die Figurenrede, an, denn gerade hier zeigt sich, dass die Verbindung auditiver und visueller Elemente entlang beider Dimensionen, entlang von Diskursen um und in Medien, bedingt ist. Außerdem begründet sich dieser Fokus über die bislang erfolgte Auswahl durch sprachliche Praktiken, die für Audiovisionen jedoch zu ergänzen ist: Wenn die Verbindung auditiver und visueller Elemente nicht in einem kongruenten Verhältnis vordefiniert wird, so stellt sich etwa auch die Frage, was in jener Verbindung nicht zu sehen bzw. zu hören ist oder inwiefern beide Ebenen konkurrieren. Vgl. dazu auch im Kontext filmischer Gendermarkierungen Motschenbacher: Language, Gender and Sexual Identity, S. 142.
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elle Genreverhandlung – erst wenn sie als solche, als Musicalnummern, hervortreten, sind sie ausschlaggebend und lassen sich dann womöglich sogar im Rekurs auf die wissenschaftliche Behauptung einer narrativen Anordnung beobachten.36 Und auch die ›Genderzugehörigkeit‹ einer Figur ist nachrangig zu behandeln, denn »es geht vielmehr um eine Analyse des ›doing gender‹ als unhintergehbarer [sic!] Voraussetzung der medialen Praxis«.37 Die hier nur grob umrissene Perspektive auf die Konstruktion diskursiver Sinngebungen in der Zusammenhangserzeugung zwischen auditiven und visuellen Elementen kann eine Möglichkeit zur Vermeidung vordefinierender Zugriffsweisen bilden. Es stellt sich etwa die Frage, wie das Musical in der Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem Thematisierung erfährt, wie es als Genre bestimmt wird und inwiefern dies auf Gender rekurriert – aber auch, was in jener Verbindung offenbleibt und wie sie womöglich selbst ins Zentrum rückt. Dadurch ergibt sich ein Ansatz, der sowohl der medialen Verfasstheit Rechnung trägt als auch eine Präzisierung in der Beobachtung medialer Performanzen erlaubt. So gilt es zwar, die Verknüpfung zu anderen Diskursen, insbesondere zu Diskursen um Medien, hervorzuheben – Ausgangspunkt ist aber stets deren Einbindung und deren Formung innerhalb eines audiovisuellen Aussagezusammenhangs; das Bezugnehmen selbst steht im Fokus. Dies lediglich von Seiten audiovisueller Konstellationen zu beleuchten, ist schwierig und hat sicherlich Grenzen,38 zugleich ist das Potenzial aber
36 An dieser Stelle ließe sich ein Bezug zu Scheinpflugs Vorschlag einer »medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive auf Genres« generieren; er entwirft eine »wechselseitige Perspektivierung von intertextuellen Mustern und diskursiven Genre-Konzepten«, wobei die Historizität einer solchen Wechselseitigkeit besonderen Stellenwert besitzt. Mit diesem Fokus können intertextuelle Muster in ihrem Verhältnis zu anderen Diskursen hervortreten, mitunter lassen sich die diversen Diskursivierungen eines Genres mit der eigenen Diskursgestaltung in Medien sogar konfrontieren. Allerdings zeichnet sich dabei für das Musical die Gefahr ab, dass das bloße Auftreten eines intertextuellen Musters in der Beziehung zu anderen Diskursen direkt formiert und generalisiert wird, dass eine ›Musiknummer‹ etwa ausschließlich als ›Musicalnummer‹ begriffen wird. Außerdem sollte jener Fokus nicht darüber hinwegtäuschen, dass audiovisuelles Wissen um ein Genre auch äußerst explizit, zum Beispiel in der Figurenrede, konstituiert werden kann. Scheinpflug: Formelkino, S. 10 und S. 23; vgl. auch zur Problematik im Verhältnis zwischen ›Nummer‹ und ›Muster‹ ebd., S. 173. 37 Liebrand: Gendertopographien, S. 16. 38 Grenzen des Zugriffs bestehen vornehmlich in der Frage der Geltung solcher in Audiovisionen prozessierter Sinngebungen. Dazu bietet jedoch die Operationalisierung eine Annäherung. Außerdem ist das Ausklammern einer vordefinierenden Zugriffsweise gerade dann schwierig, wenn Visuelles analysiert wird, dies kann allerdings ein Stück weit
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immens: Es können Konstruktionsprozesse beobachtet werden, die vielleicht, sogar wahrscheinlich, nicht allein in Audiovisionen gründen, deren Spezifik aber hervortreten kann – die in Audiovisionen zirkulierenden Diskurse werden in ihrer audiovisuellen Formung beobachtbar.39 Es gilt aber nicht nur, eine vordefinierende Vorgehensweise zu vermeiden – grundlegender noch muss auch hier die Beobachterabhängigkeit einer solchen Rekonstruktion berücksichtigt werden. Dazu ist gerade Liebrands Konzept der Lektüre geeignet, denn (abseits der bislang unterbreiteten Verweise) werden zwei Aspekte betont, die für eine diskursanalytische Perspektive anschlussfähig sind. So wird zunächst deutlich, dass es auch bei der Betrachtung medialer Artefakte nicht um ein hermeneutisches ›Ganzes‹ gehen kann, vielmehr sollen »einzelne Problemkonfigurationen in ihren Auffächerungen und Aporien«40 beleuchtet werden. Diese sind durch den Schwerpunkt der Arbeit, durch ihr Interesse an der Verknüpfung von Genre und Gender, bedingt – wie auch in der Rekonstruktion anderer Diskursebenen wird ein Ausschnitt behandelt, der danach fragt, wie es zur wechselseitigen Konstitution der Kategorien kommt, inwiefern sich dabei Ambivalenzen zeigen und in welcher Hinsicht dies eine kategoriale Krise artikuliert. Außerdem wird im Begriff der Lektüre eine performative Dimension hervorgehoben, »die sich bewusst ist, in ihrem Vollzug den sie behauptenden Sinn zu erzeugen.«41 Indem es zur Analyse kommt, entsteht im Grunde erst etwas, das analysiert werden kann; indem ein wissensgenerierendes Moment angenommen wird, kann die Genese von Wissen beobachtet werden. Und gerade dies ist für die audiovisuelle Diskursebene drängend,
über die Relevanz auditiver Elemente und vor allem durch ihr Zusammenspiel ausgeglichen werden. Dennoch sind Schwächen nicht von der Hand zu weisen. 39 Hier ist einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn audiovisuelles Wissen entlang von Mediendiskursen Geltung erlangt, so mögen die in den Lektüren aufzuzeigenden Bezüge zwischen Medien und dem Musical kaum verwundern – mehr noch, sie mögen bereits in der Identifikation der Diskursebene vorgeprägt sein. Dies ist jedoch nur plausibel, denn die jeweils eingangs skizzierten Geltungs- und Konstruktionsbedingungen werden (wie auch in den anderen Diskursebenen) ebenso in den Deutungsmustern prozessiert. Außerdem tritt an diesem Punkt die Dopplung von Diskursen um und in Medien hinzu: Obgleich eine Verbindung von Auditivem und Visuellem durch mediale Arrangements gestaltet wird (Diskurse um Medien), so stellt sich im korpusimmanenten Vorgehen doch die Frage, welches audiovisuelle Wissen in jener Verbindung genau konstruiert wird (Diskurse in Medien). Dass diesbezüglich, wie es die Lektüren zeigen, für das Musical erneut auf Medien rekurriert wird, ist hierbei allerdings nicht vorausgesetzt – zumal ganz bestimmte Konstellationen auf spezifische Weise mit dem Musical assoziiert sind. 40 Liebrand: Gendertopographien, S. 11. 41 Ebd., S. 19 [in Anm.].
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denn dadurch dass es sich hier im Sinne der wissenssoziologischen Diskursanalyse nicht um »›natürliche‹ Aussagenereignisse«42 handelt, gilt es nicht nur, je spezifisch – etwa im Verweis auf einzelne Sequenzen – die Betrachtung zu stützen. Gleichzeitig entsteht auch eine Reduktion, die der Offenheit sinnstiftender Elemente nur partiell Rechnung tragen kann; die verschiedenen auditiven und visuellen Dimensionen können zugleich einer Generierung von Wissen dienen, sie können aber nicht zugleich ›abgebildet‹ werden. Die Reduktion eines audiovisuellen Aussagezusammenhangs wird zwangsläufig zu einer Grundlage, über die seine Konstruktion von Wissen überhaupt untersucht werden kann. Dies muss allerdings als Potenzial betont werden, denn eine solche Reduktion geschieht letztlich auch bei anderen Diskursebenen: Die Unterstellung eines Aussagezusammenhangs, eines Diskurses samt seiner sinnstiftenden und wirkmächtigen Prozesse, ist immer eine Unterstellung – unabhängig davon, ob Wissenschaft, Publizistik oder Audiovisionen im Fokus stehen; ihre Beobachtung basiert immer auf einer thematischen Orientierung und auf analytischen Hervorbringungen. Liebrand macht dies für mediale Artefakte im Begriff der Lektüre überaus produktiv, sodass ein Anschluss stattfinden kann43 – ausblickend ergibt sich dadurch aber auch ein Anstoß für die Beobachtung diskursiver Verknüpfungen von Genre und Gender en général, denn die hier markierten Voraussetzungen werden schließlich als Bedingungen der interkategorialen Verbindung begreifbar. Entlang dieser Überlegungen soll im Begriff der Audiovision hervortreten, dass auditive und visuelle Elemente sinnstiftend sein können, dass sie einen Zusammenhang, einen Aussagezusammenhang entsprechend diskurstheoretischer Perspektiven, formieren und dieser in der Materialisierung von Diskursen Wirkmacht entfaltet. Gerade Mediendiskurse sind dabei zu betonen – zum einen im Sinne von Diskursen um Medien, die eine Beobachtung singulärer Äußerungen als Aussagen erlauben, zum anderen im Sinne von Diskursen in Medien, die eine präzise und nicht vordefinierende Betrachtung ebenjener Aussagen verlangen.44 In dieser Hin-
42 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 268. 43 Freilich ist in dieser Hinsicht auch eine Engführung zu betonen, die sich in den Lektüren fortsetzt: Die gewählte Bezugnahme zu Liebrands Ansatz gründet auf der Betonung der Beobachterabhängigkeit und ist dahingehend überaus produktiv für diskurstheoretische Zugriffe. Zugleich werden allerdings in Anbetracht der Konstruktion und Geltung audiovisuellen Wissens sowie mit Blick auf die Typisierbarkeit Einschränkungen vorgenommen, womit die Lektüren selbst nicht in »das Projekt einer Lectio difficilior« zu integrieren sind; sie fallen gerade zugunsten der Wirkmacht weniger komplex aus und sind sich dessen bewusst. Liebrand: Gendertopographien, S. 12. 44 Damit sei auch das Vorgehen in den Lektüren verraten. Zunächst wird gefragt, inwiefern die Verbindung von Auditivem und Visuellem in der Konstruktion narrativen Geschehens
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sicht lassen sich Audiovisionen auf ihre Eigenständigkeit hin beleuchten, denn der Begriff markiert eine Spezifik, die in der Betonung der verschiedenen ›Instrumente‹ einer Sinngebung, der unterschiedlichen Sinnkanäle und ihrer Verbindung, auf das Wie einer Wissensgenerierung abhebt und die zugleich – in ihrer Lektüre – die Konstruiertheit einer solchen Annahme voraussetzt. Doch eine Frage bleibt bislang unbehandelt: Wie kann – gerade vor dem Hintergrund der analytischen Offenheit im nicht vordefinierenden Zugriff und seiner Schließung durch das korpusimmanente Vorgehen – überhaupt von einem audiovisuellen Musicaldiskurs gesprochen werden? Wie kann in der Korpuserstellung gewährleistet werden, dass Audiovisionen eine Verhandlung des Genres, womöglich auch in der Verbindung zu Gender, betreiben? Und wie ist dies systematisch zu erfassen?
5.2 O PERATIONALISIERUNGSMÖGLICHKEITEN AUDIOVISUELLEN G ENREWISSENS : D IE K ONTEXTUALISIERUNG ALS M USICAL Um einen audiovisuellen Musicaldiskurs ›dingfest‹ zu machen, um ihn entlang der bisher gesetzten Maßgaben zu operationalisieren und schließlich auf seine interkategorialen Verknüpfungen hin zu befragen, können verschiedene Möglichkeiten Erwägung finden. Eine Option bestünde etwa in der Sichtung ›aller‹ Audiovisionen bzw. in der Auswahl durch letztlich kontingente Maßstäbe, etwa alle Filme, die im Jahr 2011 in den USA entstanden sind. Es würde ein Archiv generiert werden können, das eine systematische Aufarbeitung erlaubt und durch bestimmte Kriterien weitere Differenzierungen erhielte, beispielsweise könnten alle in der Figurenrede auftretenden Äußerungen um das Musical als Grundlage dienen, um zu fragen, inwiefern sie ein typisierbares Ensemble genrekonstitutiver Aussagen entstehen lassen. Doch abseits der schier unüberschaubaren Menge45 wird in dieser Auswahl nicht den Geltungsbedingungen der Diskursebene Rechnung getragen: Die bloße Thematisierung des Musicals als Kriterium zur Korpuserstellung (!) zu nutzen, ist
Äußerungen um das Musical gestaltet. In ihrem Rückgriff auf Mediendiskurse lassen sich jene Äußerungen dann in einem zweiten Schritt als Aussagen beobachten, wobei erst hier Kopplungen zu Gender betrachtet werden, die ihrerseits schließlich Ambivalenzen einer audiovisuellen Deutung eröffnen. 45 Mit den exemplarischen Einschränkungen in zeitlicher, nationaler und medialer Hinsicht wären dies laut UNESCO bereits 819 Filme, wobei allein englischsprachige »Feature Films« beinhaltet sind. UNESCO Institute for Statistics (UIS): Total Number of National Feature Films Produced. In: uis.unesco.org, URL: http://data.uis.unesco.org/index.aspx? queryid=55&lang=en [Zugriff 12.12.2013].
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insofern unzureichend, da der kontextuellen Rahmung einer in Audiovisionen prozessierten Sinngebung lediglich durch die gesetzten Maßstäbe gerecht wird. Es würde ein US-amerikanischer Filmdiskurs im synchronen Schnitt beobachtet – inwiefern dieser aber in seiner Genrekonstitution wirkmächtig ist und welchen Grenzen er hierin obliegt, bleibt offen. Und auch eine Auswahl durch ›Anschaulichkeit‹, die Beobachtung besonders aufschlussreicher Beispiele, scheidet aus, denn hier besteht das Problem eines vordefinierenden Zugriffs: Zwar mögen bestimmte Deutungen in der Materialisierung von Diskursen spezifisch geformt werden, warum aber gerade diese ausschlaggebend sind, bleibt allein der Auswahl untergeordnet. In dieser Möglichkeit tritt also der Eigenanteil einer audiovisuellen Verhandlung ein Stück weit zurück, obgleich in der Betonung der Beobachterabhängigkeit durchaus Potenziale liegen. Es bedarf anderer Optionen zur Korpuserstellung, die neben arbeitsökonomischen Voraussetzungen ihr Augenmerk auf die Spezifik der Diskursebene richten, die bereits in der Auswahl die Geltung im Sinne einer Materialisierung von Diskursen berücksichtigen und unter der Maßgabe einer methodischen Sensibilisierung aus dem Diskurs heraus eine Betrachtung audiovisuellen Genrewissens ermöglichen – ohne aber die Beobachterabhängigkeit einer solchen Auswahl zu unterschlagen. Bislang wurden dazu Attributionsprozesse genutzt. Diese erlauben eine beobachterrelative Verortung der jeweiligen Diskursebenen sowie ihrer Genreverhandlungen und betonen zugleich diejenigen Voraussetzungen, die sich als wirkmächtige Grundlagen gestalten, um wissenschaftliches oder publizistisches Wissen um das Musical zu generieren. Und auch die Orientierung entlang sprachlicher Praktiken, die Verwendung des Wortes ›Musical‹, leitet in eine ähnliche Richtung – hier wird aber mit Blick auf die jeweiligen Genrekonstitutionen das Verhältnis zwischen Genese und Geltung vermittelt.46 Für die audiovisuelle Diskursebene nun kann ein vergleichbarer Weg eingeschlagen werden, dessen Grundlage in der Attribution einer Genrezugehörigkeit besteht und der genau darin das durchaus schwierige Verhältnis zwischen Konstitution und Wirkmacht sowie dasjenige zwischen beobachterabhängigen Setzungen und ihrer dennoch wirkungsvollen Gestaltung berücksichtigt. Wenn audiovisuelles Wissen in der Materialisierung von Diskursen Geltung erlangt, zugleich aber keine vorausgehende Bestimmung zur Auswahl anleiten soll, so bietet die Zuordnung zum Genre eine Indikatorfunktion. Sie zeigt an, inwieweit einzelne Audiovisionen anderen Diskursen ›entsprechen‹, inwieweit die Lektüre als Musical Gültigkeit besitzt. Die Attribution einer Genrezugehörigkeit erweist sich in
46 Vgl. zu diesen Ausführungen Kapitel 2.2 und Kapitel 2.3, in denen die jeweiligen Maßgaben zur Operationalisierung und zur Bestimmung der Diskursebenen plausibilisiert werden.
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dieser Hinsicht als Teil und Effekt der an das Genre herangetragenen und in Audiovisionen materialisierten Deutungen. Hierin wird auch der Feststellung Schneiders Rechnung getragen, denn »Genre-Beschreibungen […] entfalten retroaktive Effekte auf die von ihnen beobachteten Gegenstände.«47 Gerade durch die Betonung der von Genrebeschreibungen bedingten Beobachtung48 kann behauptet werden, dass eine audiovisuelle Verhandlung des Musicals in Musicals erfolgt, dass die retroaktiven Effekte einer von Genrezuordnungen abhängigen Betrachtung konstitutiv wirksam sind und entsprechend Geltung besitzen. Zwar ist dies nicht exklusiv zu bestimmen, denn auch andere Lektüren sind möglich,49 durch die Attribution einer Genrezugehörigkeit erweisen sich diese aber als weniger plausibel – zumindest, und dies gilt es noch zu diskutieren, wenn die Zuordnung selbst bereits wirkmächtig ist. Allerdings bedarf es dabei einer Differenzierung, denn es gilt ja der Spezifik einer audiovisuellen Genreverhandlung, nicht aber der Beschreibungen durch das Genre Rechnung zu tragen. Der Fokus liegt auf den in Musicals prozessierten Sinngebungen, nicht auf den mit der Kategorisierung evozierten Sinngebungen. Und
47 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 26. 48 Die Betonung des ›von‹ liegt darin begründet, dass es kein ›mit‹ ist. Genrebeschreibungen lassen sich in dieser Annahme nicht nur dahingehend untersuchen, inwiefern sie für ein Artefakt plausibel sind, sondern können auch in ihren rückwirkenden Effekten betrachtet werden, die sich auf die durch sie erfolgende Beobachtung beziehen – die von Genrebeschreibungen geprägte Betrachtung rückt ins Zentrum. 49 Außerdem sind sicherlich auch weitere Einschränkungen zu berücksichtigen, denn die audiovisuelle Genreverhandlung muss nicht ›automatisch‹ mit der Attribution einer Zugehörigkeit zum Genre verbunden sein. Dies zeigt sich etwa durch Synchronfassungen: Während SINGIN’ IN THE RAIN auch im deutschsprachigen Raum bereits früh eine wirkmächtige Zuordnung zum Musical erfährt, so wird in der deutschsprachigen Fassung nicht das Musical behandelt – stattdessen soll innerdiegetisch ein »Musikfilm« inszeniert werden. Zwar mag dies in ein Verhältnis der Übersetzung eingestellt sein, wenn das Musical darin aber mit dem »Musikfilm« gleichgesetzt wird, so legt man implizit schon eine Definition an, die abseits des audiovisuellen Diskurses begründet ist. Demgegenüber wäre mit der hier verfolgten Maßgabe in der deutschsprachigen Synchronfassung keine Verhandlung des Musicals nachzuzeichnen – vielmehr ließe sich dies etwa mit der ›Internationalisierung‹ des Genrediskurses (Kapitel 4.1) korrelieren; während Attributionen einer Genrezugehörigkeit im publizistischen Musicaldiskurs schon in den 1950er Jahren erfolgen, so sind Praktiken im Kontext der audiovisuellen Diskursebene, Synchronisationen, zu dieser Zeit (noch) zurückhaltend. Von daher wird zwar eine Grenze des Zugriffs ersichtlich, zugleich unterminiert dies aber weder die Komplexität einer Diskursivierung noch gerät man in eine Abwertung als womöglich gar defizitäre Synchronfassung. SINGIN’ IN THE RAIN/DU SOLLST MEIN GLÜCKSTERN SEIN, TC 0:58:28.
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dass diese Akzentuierung zwingend ist, wird in der Korpuserstellung deutlich, denn mit der Zuordnung zum Genre auf dessen audiovisuelle Bestimmung zu schließen, wirkt zunächst tautologisch und ist wohl kaum in eine nicht vordefinierende Vorgehensweise zu integrieren. Der hier skizzierte Weg zur Operationalisierung scheint in einem Problem zu münden, das Claudia Liebrand und Ines Steiner hervorheben, denn »[d]as Genre geht dem Film (logisch) voraus und ist doch (faktisch) sein Effekt.«50 Mit dem Vorschlag einer Orientierung an der Attribution einer Genrezugehörigkeit verschärft sich diese Aporie sogar noch, denn sie wächst zum Zirkelschluss heran: Es wird vorausgesetzt, dass es sich bei einer Audiovision um ein Musical handelt, und dieses wird dann entsprechend mit Blick auf die Verknüpfung zu Gender analysiert. Letztlich tappt man so in die Falle essentialisierender Genrebestimmungen; die Lektüre als Musical wurzelt auf einer Zuordnung als Musical, welche von vorne herein schon definiert wurde. Außerdem verleitet ein solches Vorgehen in die Frage, ob die Genreattribution berechtigt ist – eine Frage, die nicht nur mit Liebrands Konzept der Lektüre zweifelhaft wird, sondern die auch in diskurstheoretischer Hinsicht obsolet erscheint, wenn es hier doch um das Prozessieren einer Sinngebung, nicht aber um ihre ›Rechtmäßigkeit‹ geht.51 Doch genau an diesem Punkt, in der Attribution einer Genrezugehörigkeit, eröffnen sich andere Möglichkeiten, die jener Problemlage zumindest ein Stück weit entgegenwirken. So kann ein Anschluss an Attributionen stattfinden – Audiovisionen, die dem Genre zugeordnet werden.52 Dadurch ist die Genreverhandlung in den jeweiligen Audiovisionen aber noch nicht vordefiniert, vielmehr handelt es sich im Sinne der bislang erfolgten Begriffsverwendung um eine Kontextualisierung, um eine Kontextualisierung als Musical, denn es geht um eine auf Zuschreibungen basierende Zuordnung.53 Diese kann als solche wirkmächtig sein und bildet einen
50 Liebrand/Steiner: Einleitung, S. 8. 51 Dies ist zu relativieren, insofern durchaus nach den Konsequenzen und Problemen einer Sinngebung gefragt werden kann. Dies aber auf die Frage der Berechtigung einer Genrezuordnung einzuschränken, greift bei Weitem zu kurz und setzt mitunter statische Merkmale voraus, über die dann überhaupt erst beantwortet werden kann, warum etwa eine wissenschaftliche Zuschreibung als Musical nicht zutrifft. 52 Hier ist die passive Verlaufsform wichtig! 53 Dieser Zugriff ist vergleichbar zur bislang verfolgten Archivbeschreibung, denn während über Attributionen die Zuordnung als wissenschaftliche oder publizistische Zeitschrift erschlossen wird, so sind hiermit noch keine übergreifenden Bestimmungen dessen, was Wissenschaft oder Publizistik ist, verbunden. Im Unterschied zielt der hier unterbreitete Vorschlag aber auch auf die Korpuserstellung, die in der Kategorisierung als Musical ebenso eine Parallele zur Orientierung an sprachlichen Praktiken intendiert.
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Rahmen zur Beobachtung – die Kategorisierung bestimmt aber noch nicht die zu analysierenden Deutungen in ihrer Eigenständigkeit, insofern gerade kein Verhältnis der simplen Spiegelung anderer Diskurse angenommen wird. Wie es im Begriff der Materialisierung anklingt und wie es im Rahmen der Betrachtung medialer Performanzen hervorzustellen gilt, müssen stattdessen die in einem Musical zirkulierenden Diskurse um das Musical beobachtet werden. Die Attribution einer Genrezugehörigkeit lässt sich (vergleichbar zur bisherigen Operationalisierung) als eine Möglichkeit begreifen, die nicht dazu anleiten soll, eine Begründung ihres Auftretens zu leisten.54 Stattdessen geht es um die Frage, inwiefern Genreverhandlungen erfolgen, die dann – über die Kategorisierung – Geltung erlangen. Dabei entstehen jedoch zwei Probleme: Zum einen gerät das Verhältnis zwischen Genese und Wirkmacht erneut in eine Schieflage; die zu ermittelnden audiovisuellen Genreverhandlungen müssen nicht in diejenigen Genrebegriffe integriert sein, die eine Kategorisierung begründen, sie sollen aber dennoch in ihrem Verhältnis zu anderen Diskursen, in der Attribution einer Genrezugehörigkeit, als wirkmächtig gelten. Warum ist ein Musical als solches zu begreifen, wenn es doch womöglich nicht in diejenigen Deutungen passt, die seine Genrezuordnung generieren? Zum anderen besteht die Gefahr einer Analyse, die zum Korrektiv wird; die zu ermittelnden audiovisuellen Genreverhandlungen begründet womöglich statt der mit der Kategorisierung markierten Genrebegriffe eine Zugehörigkeit. Ein Musical ist zwar nicht in diejenigen Deutungen einzupassen, die seine wirkmächtige Genrezuordnung generieren, es lässt sich aber über seine Genreverhandlung als Musical plausibilisieren. Doch beidem kann entgegengewirkt werden. In einem Verständnis, das die Kategorisierung als Indikator diskursiver Prozesse begreift, lassen sich Zugriffe wählen, die keine Genrebestimmung mit sich bringen55 und die dennoch, so paradox es klingt, eine wirkmächtige Attribution als Musical vornehmen. Dadurch kann sich gar nicht erst die Frage stellen, inwiefern ein Artefakt in diejenigen Deutungen passt, die seine Genrezuordnung generieren. Warum sollte ein vordefinierter Genrebegriff in die audiovisuelle Genreverhandlung projiziert werden, wenn er doch in der Kategorisierung nicht enthalten ist? Außerdem kann die Analyse entsprechend auch kein Korrektiv bilden, denn schon das Auftreten einer Zuordnung ist entscheidend. Obgleich auch innerdiegetische ›Attributionen‹ einer Genrezugehörigkeit nachzuzeichnen sind,56 so müssen diese nicht
54 Damit wird im Übrigen auch die Frage, welcher ›Art‹ diese Genrezugehörigkeit ist, etwa eine Parodie, ausgeklammert. 55 Ausgenommen ist jedoch, wie erwähnt, die Definition des Musicals als Kategorisierung medialer Artefakte. 56 Eigentlich handelt es sich dabei nicht um eine Attribution, vielmehr ist es ein Auftreten verschiedener medialer Performanzen, die zum einen auf eine Bestimmung des Musicals
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in ein korrigierendes Verhältnis eingestellt werden, denn wodurch sich die zur Auswahl herangezogene Kategorisierung begründet, ist offen. Zwar wird also ihre Wirkmacht berücksichtigt; die Attribution einer Genrezugehörigkeit wird vollzogen, sie bildet einen Rahmen, der die Lektüre als Musical plausibilisiert und der sich gerade entlang verschiedener Diskurse verankert. Was die Kategorisierung aber ›bedeutet‹, auf welcher Genrebestimmung sie beruht, wird hierin nicht präfiguriert und lässt sich im Grunde gar nicht beantworten. Stattdessen eröffnet sich eine Möglichkeit, um nach audiovisuellen Genreverhandlungen zu fragen, um die in einem Musical zirkulierenden Diskurse um das Musical zu analysieren und dabei – im Umweg einer Kategorisierung – auch ihrer Geltung Rechnung zu tragen. Um im Anschluss an wirkmächtige Attributionen einer Genrezugehörigkeit, denen jedoch keine Genrebestimmung inhärent ist, ein Korpus zu generieren, sollen zwei Optionen verfolgt werden, die sich im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdattribution bewegen. Eine Option besteht dabei in der Bezugnahme zu den bisher erläuterten Diskursebenen, wobei dies über prototypentheoretische Überlegungen gebündelt wird, sodass Mechanismen einer Kategorisierung möglichst komplex hervortreten können. Hierzu ist zunächst der Blick auf Prototypentheorien unabdingbar, diese werden jedoch vor allem im Rahmen ihrer Übertragungen auf Genre sowie Gender beleuchtet und erfahren schließlich eine diskurstheoretische Erweiterung. Die zweite Option besteht im Anschluss an Selbstattributionen, wobei dies bedeutet, dass ein wirkmächtiges Kriterium gefunden werden muss, welches die Zuordnung zum Musical aus den jeweiligen Audiovisionen heraus begründet.57 Hierzu bildet der Titel eine Variante, die äußerst direkt eine Genrezugehörigkeit anzeigen kann, allerdings bedarf auch dies einiger Vorüberlegungen, die sich etwa der Relevanz paratextueller Markierungen innerhalb diskurstheoretischer Perspektiven zuwenden. 5.2.1 Fremdattribution durch Prototypikalität: Eine relative Genrezuordnung Zur Operationalisierung eines audiovisuellen Musicaldiskurses bieten prototypentheoretische Überlegungen wichtige Impulse, denn einerseits lassen sich wirkmäch-
zielen und die zum anderen diese dann auch ›erfüllen‹. In den Lektüren werden solche innerdiegetischen Markierungen einer Genrezugehörigkeit aufgrund des korpusimmanenten Vorgehens am Rande erwähnt, wichtig ist jedoch bereits hier, dass sie lediglich die Virulenz einer Genrekonstitution veranschaulichen. 57 Genau dahingehend ist der Begriff der Selbstattribution gesetzt; er beschreibt eine Zuordnung, die aus Audiovisionen heraus erschlossen wird, nicht aber eine Intentionalität oder Ähnliches behauptet.
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tige Konventionalisierungsprozesse im Rahmen der Zuordnung einer Kategorie abbilden, andererseits obliegen prototypentheoretische Entwürfe darin aber nicht einem statischen Verständnis, das sich etwa auf ahistorische Merkmale einlässt, um das Zutreffen einer Kategorie zu erfassen. Stattdessen tritt die Annahme einer Ähnlichkeitsrelation, welche als Basis fungiert, um anhand derer die Relativität von Kategorien hervorzuheben: In Abgrenzung zu einem häufig als aristotelisch bezeichneten Kategoriemodell sind Kategorien nicht (allein) durch notwendige und hinreichende Bedingungen zu beschreiben, sondern können im Hinblick auf einzelne Kategorievertreter58 mehr oder weniger zutreffen; ihre interne Abstufung basiert auf der Ähnlichkeit zu einem Prototyp, welcher als ›idealer‹ Vertreter einer Kategorie kultur- und zeitspezifisch situiert ist.59 Prototypentheorien sind in verschiedenen Zusammenhängen – von linguistischen und ethnologischen bis hin zu kognitionstheoretischen Ansätzen – diskutiert worden. Für Überlegungen zu Genre und Gender zeichnet sich jedoch ab, dass es zum einen bislang nur spärlich Übertragungen gibt60 und dass zum anderen ihre Produktivität sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. So betont beispielsweise Christine Haag Potenziale der Prototypentheorien und übt zugleich Kritik an einer konstruktivistischen Geschlechterforschung, die in ihrer Konzentration auf Zweigeschlechtlichkeit eine perzeptive und zugleich kulturell vermittelte Dimension von Gender ignoriere. Demgegenüber soll bei Haag eine Berücksichtigung der »alltagspraktischen Wahrnehmung«61 stattfinden und dies erfolgt in der Verbindung zu prototypentheoretischen Modellen, indem sie »der Varianz von Weiblichkeit bzw.
58 Der Begriff der Kategorievertreter ist wichtig, da er nicht direkt mit einzelnen Kategorisierungen gleichzusetzen ist. Allerdings bleibt er in prototypentheoretischen Überlegungen häufig an empirische Operationalisierungen gebunden; diese betonen zwar unterschiedliche Abstraktionsebenen, die Konkretisierung des Begriffs erweist sich damit jedoch als abhängig von der jeweiligen Untersuchung und kann nicht konsequent erfolgen. Vgl. bezüglich der Differenzierung verschiedener Abstraktionsebenen Eleanor Rosch: Principles of Categorization. In: dies./Barbara B. Lloyd (Hg.): Cognition and Categorization. Hillsdale, New Jersey 1978, S. 27-48, hier S. 30-35. 59 Vgl. einleitend etwa Martina Mangasser-Wahl: Roschs Prototypentheorie. Eine Entwicklung in drei Phasen. In: dies. (Hg.): Prototypentheorie in der Linguistik. Anwendungsbeispiele – Methodenreflexion – Perspektiven. Tübingen 2000, S. 15-31, hier S. 20 f. 60 Vgl. diese Einschätzung für genderorientierte Fragestellungen bei Haag: Flucht ins Unbestimmte, S. 184 f. Für genretheoretische Überlegungen sind zwar Übertragungen angeregt worden, allerdings werden häufiger Subgenres oder cycles als historisch situierte ›Untergruppen‹ eines Genres diskutiert. Hier zeigen sich zwar Ansätze der Prototypentheorie, diese werden jedoch selten als solche verfolgt. 61 Haag: Flucht ins Unbestimmte, S. 184.
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Männlichkeit«62 Rechnung tragen. Gender ist laut Haag nicht allein als Dichotomie zu begreifen, sondern beinhaltet im Verweis auf prototypische Anordnungen Abstufungen; folgt man der Systematik Fryes (Kapitel 1.2), dann wird schon in der Perzeption eine polare Struktur von Gender ersichtlich. Obgleich Haags Zugriff argumentativ wenig überzeugen mag,63 so werden prototypentheoretische Ansätze hier doch in ihren Potenzialen zur Betrachtung von Gender hervorgehoben. Indes erweisen sich Übertragungen auf Genre(s) skeptischer. So betont Ralph Müller zwar, dass sich Konzepte der Prototypikalität »vor allem auf die sozio-kulturelle Funktion des Kategorisierten beziehen«,64 jedoch gibt es hinsichtlich der Begrenzung von Kategorien und ihrer Untersuchung Probleme: »Tatsächlich scheinen Prototypen-Effekte keine Ansätze zu bieten, den Umfang von Kategorien in irgendeiner Weise zu beschränken oder überhaupt vorherzusagen.«65 Prototypentheoretische Überlegungen werden demnach gerade mit Blick auf Operationalisierungen kritisch beurteilt. Für einen Zugriff auf die audiovisuelle Diskursebene, im Hinblick auf die Frage, wie Audiovisionen als Musicals kategorisiert werden und inwiefern die Attribution einer Genrezugehörigkeit – ohne vorausgehende Bestimmung – Geltung besitzt, gilt es, diese Mängel zu berücksichtigen, jedoch auch Potenziale zu entwerfen. Dazu soll das Konzept der Prototypikalität (auch in Reaktion auf Probleme quantifizierender Reduktionen)66 mit diskurstheoretischen Perspektiven verbunden wer-
62 Ebd. 63 Etwa widmet sich Haag kaum der Schwierigkeit, die entsteht, wenn die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ implizit als Grundlage dient, um dann explizit Varianten des ›Männlichen‹ oder des ›Weiblichen‹ in der alltäglichen Wahrnehmung zu behaupten. Ergänzend ließe sich eine polare Graduierung von Gender als Ausgangspunkt wählen, um die Dichotomie als wirksam zu beschreiben – nicht jedoch (vollends) im Hinblick auf die Alltagswahrnehmung. Bei Haag kehrt sich dies hingegen häufig um; sie geht von einer Dichotomie aus, die sich in der polaren Graduierung auch argumentativ fortsetzt. 64 Ralph Müller: Kategorisieren. In: Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart/Weimar 2010, S. 21-23, hier S. 22. 65 Ebd. 66 Eine entscheidende Schwierigkeit prototypentheoretischer Entwürfe besteht in der Gefahr einer impliziten Tautologie: Während Graduierungen im Zutreffen einer Kategorie vielfältig aufgezeigt werden, so entsteht gerade im Zuge der statistischen Erfassung häufig eine Abstraktion, die aus der Graduierung wiederum Merkmalsmengen ableitet, welche nur noch im Vergleich zum Prototyp Varianzen offenbaren. Die Konzentration auf die Häufigkeit einer Nennung kassiert die eigentlichen Potenziale ein und wird sogar zum »einzigen Garanten für die interindividuelle Stabilität, die für die Gültigkeit der Theorie unabdinglich ist.« Georges Kleiber: Prototypensemantik. Eine Einführung [La séman-
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den und erfährt zugleich eine Gewichtung, die nicht nur einzelne Kategorievertreter, sondern auch einzelne Kategorisierungen umfasst. Es eröffnen sich Verschiebungen, die in der Operationalisierung genutzt werden können, denn einerseits lassen sich Zuordnungen zu einer Kategorie als wirkmächtige Effekte diskursiver Prozesse begreifen, andererseits bildet die quantitative Abstraktion dieser Prozesse eine Möglichkeit, um der Spezifik eines audiovisuellen Musicaldiskurses Rechnung zu tragen: Wenn interne Graduierungen in der Zuordnung zum Genre durch verschiedene Diskursebenen eine prototypische Anordnung entstehen lassen, so gibt dies nicht nur Hinweise auf die in den jeweiligen Diskursebenen prozessierten Sinngebungen, sondern auch auf deren Zusammenspiel. Und genau dieses erhält in Audiovisionen spezifische Formung, es wird materialisiert. Prototypen, die in der Wissenschaft und in der Publizistik gleichermaßen behauptet werden, können daher auf ihre Eigendynamiken in der Aushandlung des Genres hin beleuchtet werden und sind zugleich in der Attribution einer Genrezugehörigkeit wirkmächtig. Während vor allem in der Prototypensemantik – basierend auf einer stärkeren Gewichtung der Ähnlichkeitsrelation – Konventionalisierungsprozesse in den Fokus rücken,67 so wird auch in der ›klassischen‹ Version der Prototypentheorie die Annahme geäußert, dass das Kennen von Prototypen »gesellschaftlich und kommunikativ von größerer Bedeutung und damit auch konventionalisierter als das Wissen um die z.T. verschwommenen Grenzbereiche«68 ist. Wie es etwa auch Müller betont, tritt innerhalb der Graduierung die Relevanz bestimmter Kategorievertreter hervor, sodass das Zutreffen einer Kategorie und die Anordnung von Kategorievertretern entlang ihrer Prototypikalität als wissensbezogene Effekte gelten.69 Dies eröffnet eine Ebene, die den Anschluss an diskurstheoretische Perspektiven geradezu verlangt, insofern Letztere »die wirklichkeitskonstituierenden Effekte symbolischer Ordnungen«70 beobachten und sie zur »konkreten und materialen, also wirklichen gesellschaftlichen Praxis«71 erheben. Gilt es Diskurse auf Formationsregeln hin zu untersuchen, so können prototypische Anordnungen als Effekte diskursiver Prozesse bestimmt werden. Sie bieten einen Ansatz, der zeigt, dass in der Zuordnung von Kategorien Graduierungen auftre-
tique du prototype. Catégories et sans lexical, 1990]. Übersetzt von Michael Schreiber. Tübingen 1993, S. 31 f. 67 Vgl. ebd., S. 14. 68 Mangasser-Wahl: Roschs Prototypentheorie, S. 21. 69 Dies zeigt sich im Übrigen schon bei Eleanor Rosch, welche entscheidende Impulse zur Entwicklung der Prototypentheorie geliefert hat. Für sie stellt etwa auch der Prototyp »a convenient grammatical fiction« dar. Rosch: Principles of Categorization, S. 40. 70 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 192. 71 Ebd. [Herv. i.O.].
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ten, und diese dienen als Indikatoren, insofern die Beurteilung von Kategorievertretern entlang ihrer Ähnlichkeit zum Prototyp zugrundeliegende Mechanismen diskursiver Herstellung und Normierung abbildet. Demzufolge ist der Hervorbringung von Prototypikalität Aufmerksamkeit zu schenken; nicht das Zutreffen von Merkmalen, die zumindest in der statistischen Erfassung häufig aufgrund einer prototypischen Anordnung abgeleitet werden, ist aufschlussreich – vielmehr muss die Entstehung und das Prozessieren von Graduierungen beobachtet werden. Anhang 2 bietet dazu eine erste (!) Möglichkeit, die darauf aufmerksam macht, dass in der wissenschaftlichen Verhandlung Kategorievertreter des Musicals begrifflich unterschieden werden und diese eine prototypische Struktur offenbaren, welche Rückschlüsse auf diskursive Prozesse erlaubt. Anhand von Indexen unterschiedlicher wissenschaftlicher Publikationen wurde die Verwendung des Begriffs ›Musical‹ untersucht und in ihrer Häufigkeit gewichtet.72 Dabei zeigt sich eine Graduierung von Kategorievertretern; bestimmte Bezeichnungen, wie ›backstage musical‹, ›integrated musical(s)‹ oder ›rock musical(s)‹ mit je drei Nennungen, werden scheinbar prototypisch genutzt, während Kategorievertreter wie ›metamusicals‹, ›hybrid musical‹ oder ›disco musicals‹ mit je einer Nennung randständig und – aufgrund der Häufung einmaliger Nennungen – variabel erscheinen. Die Auseinandersetzung in wissenschaftlichen Texten verfährt also entlang prototypischer Gewichtungen, wenn das Musical entsprechend des Auswahlkriteriums zugrunde liegt.73 Aufbauend auf dieser Sichtung sollen nicht Merkmale prototypischer Vertreter generiert werden – vielmehr eignet sich diese Beobachtung, um erste Hinweise auf die Entstehung und die Wirkmacht von Prototypen abzuleiten. So kann etwa die häufige Nennung von ›musical comedy/ies‹ als Indiz einer Genrewerdung aufgefasst werden, die sich in der Beziehung zwischen verschiedenen Genres herauskristallisiert oder sogar jene Perspektive zum historiografischen Vorgehen der Wissenschaft erklärt. Die Bezeichnung ›book musical‹, die eine enge Verbindung zu einen Prätext (›book‹) anzeigen soll,74 scheint hingegen innerhalb wissenschaftlicher Verhandlungen kaum relevant. Wie auch in der häufigeren Nennung von ›integrated
72 Es ist zu betonen, dass die verfolgte Indexsichtung keinesfalls empirischen Maßstäben einer Repräsentativität genügt; das Interesse richtet sich hingegen auf aktuelle Publikationen, die anhand der Verwendung des Wortes ›Musical‹ im Titel und durch das Vorhandensein eines Indexes ausgewählt wurden. Vgl. Anhang 2. 73 Dies schließt auch an die gezeigte Gefahr einer Essentialisierung in der Rede über Kategorien (Kapitel 1.5) an, denn obwohl die Herstellung scharfer Grenzen in der Kategorieverwendung kaum vermeidbar ist, so liegen ihr doch ebenfalls Graduierungen zugrunde. 74 Vgl. dazu David Walsh/Len Platt: Musical Theater and American Culture. Westport, Connecticut/London 2003, S. 5-10.
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musical(s)‹ deutlich wird, sind narrative Spezifika (mittlerweile?) zentraler als Prätexte, wobei dies sogar einen Vergleich zu anderen Diskursebenen, zur publizistischen Sinngebung durch Musicalisierungen (Kapitel 4.4) beispielsweise, aufdrängt. Es eröffnet sich – zumindest ansatzweise – eine Dimension, die diskursspezifische Graduierungen betont und in ihrer Wirkmacht verfolgt. Das Potenzial prototypentheoretischer Betrachtungen liegt allerdings nicht nur in der Annahme relativen Zutreffens einer Kategorie und in dessen Indikatorfunktion – zudem können dahingehend auch einzelne Kategorisierungen produktiv gemacht werden. Dies lässt sich mit Blick auf die Operationalisierung in zwei Schritten begründen. Davon ausgehend, dass in der Auseinandersetzung mit dem Musical Graduierungen auftreten und jene Auskunft über diskursspezifische Arrangements geben, so sind randständige, aber auch zentrale Vertreter in genau dieser Gewichtung als Effekte diskursiver Prozesse zu begreifen. Sie sind Ergebnis der an das Genre herangetragenen Sinngebungen. Und dies gilt ebenso für einzelne Attributionen einer Kategorie, sofern denn auch hier, wie es Anhang 1 zeigt, ebenfalls eine solche Graduierung vorliegt.75 Ihr Ausschluss ist nicht nur theoretisch wenig plausibel,76 vielmehr unterminiert er auch ein Potenzial – ein Potenzial, mit dem zu fragen ist, welche Rückschlüsse die Gewichtung einzelner Kategorisierungen auf zugrundeliegende Mechanismen diskursiver Sinngebung erlaubt. Warum wird etwa THE GOLD DIGGERS in der Wissenschaft, zumindest im Material der Zeitschrift Screen, häufig genannt – weil dadurch, so die Vermutung, eine Ausnahme und in der Abgrenzung zugleich ein Kontext zur Beobachtung des Musicals konstruiert wird (Kapitel 3.2). Warum wird etwa HAIR in der Publizistik, zumindest im Material der Zeitschrift DER SPIEGEL, häufig genannt – weil darin, so die Vermutung, ein typischer Status konstruiert wird, mit dem andere Artefakte dem Musical zugeordnet werden können (Kapitel 4.2). Die Attribution einer Genrezugehörigkeit besitzt demnach also ebenfalls eine Indikatorfunktion. Inwiefern kann dies aber für die audiovisuelle Verhandlung relevant sein, wenn doch erst Zuschreibungen anderer Diskursebenen eine prototypische Anordnung
75 Die zumindest skizzenhafte Überprüfung dieser Annahme, die ebenfalls nicht empirischstatistischen Maßstäben genügt, ist nicht nur für die spätere Auswahl wichtig, denn mit ihr ergeben sich etwa auch Spuren, die das Protegieren einer Kategorisierung entlang bestimmter Medien, Film oder Theater, zeigen und darin ebenfalls zugrundeliegende Sinngebungen abbilden. Vgl. Anhang 1. 76 Dies betont etwa auch die Prototypensemantik – zumal der Ausschluss einzelner Kategorisierungen schon in der empirischen Erfassung nicht zu halten ist. Beispielsweise erscheint es »völlig normal, daß eine Mehrheit der Befragten als Prototyp des Tennisspielers einen berühmten Spieler wie Borg, McEnroe oder Connors nennen könnte.« Kleiber: Prototypensemantik, S. 32.
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offenbaren? Dazu ist ein zweiter Schritt notwendig, denn anstelle einer Projektion vordefinierender Genrebegriffe sind Kategorisierungen nicht bloß als Effekte diskursiver Prozesse zu begreifen – sie sind hierin zugleich auch als relativ auszuweisen. Sie treffen mehr oder weniger zu und sind dadurch nicht in einem Verhältnis der simplen Übertragung zu bündeln, sondern als komplexe Phänomene zu werten, die von verschiedenen Diskursen und ihren jeweiligen Sinngebungen, aber auch von ihren Konstruktions- und Geltungsbedingungen, ihren je spezifischen Rahmungen und historischen Einbettungen beeinflusst werden.77 Obwohl die Zuordnung zum Musical also Tendenzen der Herstellung scharfer Grenzen birgt, so treten doch ebenfalls Graduierungen innerhalb der Kategorie auf; die Attribution einer Genrezugehörigkeit setzt sich durch verschiedene Aspekte zusammen und eröffnet genau genommen in ihrer bloßen Häufung noch gar keine Bestimmung. Dies lässt sich in der Berücksichtigung mehrerer Diskursebenen und der quantitativen Verdichtung ihrer Prototypen für die Operationalisierung weiter schärfen.78 Mit einer diskursübergreifenden Konstruktion als besonders typisches Musical sind Rückschlüsse auf die in Audiovisionen auftretenden Genreverhandlungen wenig(er) spezifisch mit einzelnen Diskursebenen verbunden, denn trotz womöglich divergenter Sinngebungen bleibt die Typizität einer Zuordnung erhalten. Wenn in der Wissenschaft narrative Anordnungen zentral sind und in der Publizistik das Publikum, so mag die Identifikation ein und desselben prototypischen Musicals beides spiegeln – allerdings kann dadurch keine dieser einzelnen Bestimmungen in die audiovisuelle Formung übertragen werden. Stattdessen ließe sich etwa ihre Kombination nachzeichnen, dies setzt aber die Eigenständigkeit der audiovisuellen Gestaltung solcher Sinngebungen voraus. Es ermöglicht sich also eine Beobachtung der audiovisuellen Genreverhandlung, da die Attribution einer Genrezugehörigkeit zwischen verschiedenen Diskursebenen steht und in jenem Dazwischen-Sein den Eigenanteil einer Materialisierung von Diskursen betont. In der Verbindung verschiedener Diskursebenen und ihrer jeweiligen Prototypen entsteht ein Zugriff, der den gesetzten Maßgaben zur Operationalisierung gerecht wird. Zum einen wird die Geltung audiovisuellen Genrewissens bereits in der Auswahl berücksichtigt, denn die Attribution einer Genrezugehörigkeit ist wirkmächtig zwischen verschiedenen Diskursebenen verortet; aufgrund der Typizität ist
77 Von daher erklären sich auch die umständlichen Formulierungen der Beispiele sowie im Weiteren die mitunter engen Kriterien zur Recherche prototypischer Anordnungen, denn wenn die Kategorisierung nicht allein in einem monokausalen Verhältnis zu verorten ist, so bedarf es ihrer relativierenden Betrachtung. 78 Die bisher formulierte Kritik an empirisch-statischen Verfahren – ihre geringe Aussagekraft – wird auf diese Weise zum Potenzial; mit ihnen lässt sich zusätzlich eine vorausgehende Genrebestimmung vermeiden.
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sie über verschiedene Diskurse hinweg als plausible Möglichkeit einer Lektüre auszuweisen – auch wenn darin historische Aspekte wenig genau erfasst werden.79 Zum anderen bietet dieser Zugriff eine Option, um der Eigenständigkeit audiovisueller Genreverhandlungen auf die Schliche zu kommen, ohne aber in eine Tautologie zu geraten, denn in der Typizität einer Zuordnung samt ihrer quantitativen Abstraktion ist kein vorausgehender Genrebegriff (abseits der Kategorisierungsfunktion) enthalten. Es mögen sich mehrere Genrebestimmungen wiederfinden, diese werden aber schon aufgrund dessen spezifisch geformt. Und dies kann im korpusimmanenten Vorgehen noch weiter konturiert werden, insofern zunächst zu betrachten ist, welche Bezüge in Audiovisionen überhaupt auftreten, ob etwa narrative Anordnungen oder das Publikum im Zuge einer Thematisierung des Musicals Erwähnung finden. Auch abseits arbeitsökonomischer Voraussetzungen, die in der schlichten Erfassung mittels Häufigkeit beachtet werden, wird in diesem Zugriff die Relativität einer Attribution hervorgehoben, um mit ihr das Verhältnis von Genese und Wirkmacht für den audiovisuellen Musicaldiskurs zu vermitteln. 5.2.2 Selbstattribution durch Titelkonstruktionen: Eine relationale Genrezuordnung Eine weitere Möglichkeit zur Operationalisierung des audiovisuellen Musicaldiskurses bietet die Selbstattribution, die in Audiovisionen hervortretende Zuordnung zum Genre. Durch diese Variante können einige Schwächen der Zugriffsweise über Prototypen ausgeglichen werden, zumal mit dem Verfolgen mehrerer Optionen möglichst komplex die Frage nach der diskursspezifischen Artikulation einer kategorialen Krise beantwortet werden kann. Zunächst ist jedoch zu betrachten, inwiefern Audiovisionen überhaupt ›von sich aus‹ eine Attribution als Musical leisten, die (im Rahmen arbeitsökonomischer Bedingungen) ihre Geltung betont und zugleich nicht das Problem einer tautologischen Bestimmung aufruft. Hierzu bieten – so die Vermutung – paratextuelle Markierungen, insbesondere Titelkonstruktionen, eine Möglichkeit; eine Audiovision lässt sich als Musical beobachten, wenn sie sich als solches betitelt. Allerdings bedarf es trotz dieses scheinbar simplen Ansatzes einiger Überlegungen, denn: Wie integriert sich dies in die Annahme eines audiovisuellen Diskurses? Und warum tritt im genreanzeigenden Titel auch seine Wirkmacht hervor? Dazu soll zunächst ein Blick auf Paratexte geworfen werden, um ih-
79 Eine Operationalisierung entlang prototypischer Musicals könnte durchaus historische Veränderungen berücksichtigen, etwa wenn die Attribution einer Genrezugehörigkeit diachron differenziert wird. Allerdings ist dies äußerst aufwendig und soll nicht umgesetzt werden – zumal der betrachtete Prototyp, SINGIN’ IN THE RAIN, nicht nur diskursübergreifend, sondern auch historisch umfassend genannt wird.
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re Bewertung als Zugriffsmöglichkeit auf Genre(s) zu diskutieren und so schließlich eine Schärfung für die verfolgte Operationalisierung vorzunehmen. Paratexte bilden ein entscheidendes Phänomen, sie zielen »keineswegs auf Randständiges, sondern tatsächlich aufs Ganze.«80 Dies hat zwei Gründe: Zum einen kommt ihnen ein »für jede Rezeption weichenstellender Status«81 zu, denn »Paratexte organisieren die Kommunikation von Texten überhaupt.«82 Sie geben Lektüreanweisungen und initiieren ein Verhältnis, in welchem bestimmte Lesarten als naheliegend gelten. Doch Paratexte prägen nicht nur jene kommunikative Beziehung zwischen Text und Rezipierenden – zum anderen prägen sie auch den Umgang, die Kommunikation über Texte. Und dies betrifft gerade den Titel. So legt Gérard Genette schon 1987 dar, dass »der Text […] Gegenstand einer Lektüre [ist], der Titel aber, wie übrigens auch der Autorenname, ist Gegenstand einer Zirkulation«.83 Titel erzeugen in dieser Hinsicht Kohärenz und Anschlussfähigkeit; selbst wenn in der Betonung der Rezeption jeglicher Text bzw. jegliche Audiovision84 als singuläres ›Ereignis‹ auftreten mag, so bildet doch der Titel einen gemeinsamen Nenner, unter dem verschiedenste Lesarten zusammenfinden und mit dem überhaupt erst – in einer solchen Betonung – von einer Audiovision gesprochen werden kann. Insofern nimmt der Titel eine äußerst zentrale Rolle ein, die sich in der von Genette erwähnten Parallele zum Autor noch weiter präzisieren lässt, denn beide können genau hierin im Sinne Foucaults als »Prinzip der Verknappung des Diskurses«85 gelten. Beide, Titel und Autor, stellen dem »Zufall des Diskurses […] das Spiel der Identität«86 entgegen und erzeugen »eine Form der Individualität«,87 welche sich als entscheidend für den Umgang mit Audiovisionen erweist. So referiert nahezu jede Auseinandersetzung mit einer Audiovision auf ihren Titel, dies geschieht aber nicht allein, weil alternative Beschreibungen ›missverständlicher‹ erscheinen und oftmals eine Rezeption (sowie zur kommunikativen Anschlussfähigkeit eine gewis-
80 Klaus Kreimeier/Georg Stanitzek: Vorwort. In: dieselben (Hg.): Paratexte in Literatur, Film und Fernsehen. Berlin 2004, S. vii-viii, hier S. vii. 81 Ebd. 82 Ebd. [Herv. i.O.]. 83 Gérard Genette: Paratexte [Seuils, 1987]. Mit einen Vorwort von Harald Weinrich. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt/New York/Paris 1989, S. 77. 84 Auch bei Genette werden ausblickend diese Übertragungen abseits der von ihm fokussierten Literatur angeregt, sodass im Folgenden abkürzend von Audiovisionen gesprochen wird. Vgl. ebd., S. 387 f. 85 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 20. 86 Ebd., S. 22 [Herv. i.O.]. 87 Ebd. [Herv. i.O.].
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se Rezeptionsnähe) voraussetzen. Vielmehr wird darin auch erst ihre Identifikation ermöglicht; der Titel, wie auch der Autor, generiert »ihre Einheit, ihren Zusammenhang, ihre Einfügung in das Wirkliche«.88 Wenn die paratextuelle Markierung eines Titels in der Parallele zum Autor als eines der von Foucault benannten Ausschließungssysteme fungiert und dahingehend ein generierendes Moment hervortritt, welches gleichsam in seiner diskursiven Gebundenheit zu betonen ist, so zeigt sich zunächst einmal ihre Relevanz in diskurstheoretischer Hinsicht. Es stellt sich jedoch die Frage, was dies mit dem Musical zu tun hat und inwiefern durch den Titel eine Operationalisierung der audiovisuellen Diskursebene ermöglicht wird. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass Titelkonstruktionen auf Genres referieren können, dass sie mitunter aus Genrebezeichnungen bestehen. Und so findet sich eine erstaunliche Menge verschiedener Audiovisionen, die mit dem Begriff ›Musical‹ im Titel bereits früh operieren, ihn pointiert setzen und darin etwa auch die Attribution einer Genrezugehörigkeit zur Generierung einer Identität, zur Kohärenzerzeugung in der Rede um eine Audiovision, nutzen.89 Doch derart augenscheinlich genreanzeigende Titel auch sein mögen – in der Genreforschung finden sie kaum Beachtung.
88 Ebd., S. 21. Dies sollte jedoch weder in den Trugschluss verleiten, dass der Titel per se relevant ist, noch sollte die Nähe zum Autor als Gleichsetzung verstanden werden. Vielmehr gilt es zu betonen, dass der Titel als relevant erachtet wird, dass seine Funktion – wie auch beim Autor – historisch entstanden und institutionell eingebunden ist. Und genau darin lassen sich dann Unterschiede zwischen Autor und Titel behaupten, etwa indem die von Foucault benannte Hervorbringung einer Individualität beim Autor auch in der »Form […] des Ichs« erfolgt. Ebd., S. 22 [Herv. i.O.]; vgl. auch grundlegend Michel Foucault: Was ist ein Autor? [Qu’est-ce qu’un auteur?, 1969]. In: Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000, S. 198-229, hier S. 217 f. 89 Etwa listet die Internet Movie Database in einem Zeitraum von 1900 bis 2011 insgesamt 872 Artefakte auf, die das Wort ›musical‹ im Titel beinhalten. Und sogar das relativ kleine Lortel Archive (auch Internet Off-Broadway Database) nennt für denselben Zeitraum immerhin noch 35 Selbstbetitelungen. Freilich spielt hierbei auch die Unterscheidung zwischen nominaler und adjektivischer Verwendung (Kapitel 2.2) eine Rolle – nichtsdestotrotz ist diese Menge allein schon beachtlich. Vgl. Internet Movie Database: Titles Released 1900 to 2011 with Title Matching ›musical‹. In: imdb.com, URL: http://www. imdb.com/search/title?at=0&release_date=19002011&sort=alpha&title=musical [Zugriff 04.06.2012] und The Lortel Archive/Internet Off-Broadway Database: Search Results for Show Title ›musical‹. In: lortel.org, URL: http://www.lortel.org/LLArchive/index.cfm keyword=musical&COMMITT=YES&search_bySHOWTITLE&Gox=0&Goy=0 [Zugriff 04.06.2012].
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Obgleich bereits Genette die Interaktion zwischen Titel und Genre erwähnt,90 so bleibt sie in genretheoretischen Auseinandersetzungen oft unbehandelt oder simplifiziert. Dies zeigt sich geradezu paradigmatisch in Altmans Erweiterung seines semantisch-syntaktischen Modells: Während Altman anhand von Filmplakaten auf eine in der Wortbildung nachzuzeichnende Genreetablierung schließt und den begrifflichen Status für Genrekategorien darin hervorhebt – die Nominalisierung gilt als Indikator der Genrewerdung –, so findet erstaunlicherweise kein Bezug zu Titelkonstruktionen statt. Lediglich ein vergleichender Verweis auf Markennamen, die eine generische Verwendung erfahren, mag als Ergänzung verstanden werden,91 doch auch dies fokussiert nicht das generierende Moment einer Titelgebung. Und jene Leerstelle ist umso beachtlicher, als dass nicht nur eine Positionierung gegenüber der genretheoretisch häufig (und auch von Altman) geäußerten Annahme erfolgt, dass die paratextuelle Markierung einer Genrezugehörigkeit aufgrund werbender Interessen vermieden werde.92 Vielmehr wird mit Filmplakaten ein Paratext fokussiert und in der Beobachtung sprachlicher Praktiken akzentuiert, der Titel bleibt aber außen vor – obwohl auch er mit Genres operieren kann, obwohl die von Altman betonte lexikale Dimension auch hier ersichtlich wäre und obwohl die intendierte Erweiterung als ›Genrepragmatik‹ mit genreanzeigenden Titeln gerade aufgrund ihrer kommunikativen Funktion hervorgestellt werden könnte. Dies mag individuellen Schwerpunkten geschuldet sein, es ist aber doch beachtlich, dass selbst in diesem Ansatz keine Berücksichtigung genreanzeigender Titel stattfindet. Konträr dazu kann die paratextuelle Markierung einer Genrezugehörigkeit im Titel jedoch auch produktiv gemacht werden. Und dies betrifft gerade die Operationalisierung einer audiovisuellen Diskursebene, denn einerseits steht die Attribution einer Genrezugehörigkeit im Verhältnis zu anderen Diskursebenen, andererseits ist es aber kein Verhältnis der Übertragung vorausgehender Genrebestimmungen, die die Selbstbetitelung begründen: Im Falle einer Attribution als Musical im Titel sind andere Diskursebenen ›herausgefordert‹, diese Kategorisierung anzunehmen; der
90 Genette nutzt diese Interaktion unter anderem sogar zur Unterscheidung rhematischer und thematischer Titel, welche in diesem Kapitel noch eine Rolle spielen wird. Vgl. Genette: Paratexte, S. 80. 91 Bei Altman heißt es vergleichend: »Just as Kleenex tissues were soon referred to simply as Kleenex and eventually reduced to the ›generic‹ term kleenex, so musical comedy became the musical.« Altman: Reusable Packaging, S. 15 [Herv. i.O.]. 92 Im Grunde revidiert Altman hierin sogar seine eigene Behauptung, wenn er wenige Jahre zuvor darstellt: »Whereas film reviews almost always include generic vocabulary as a convenient and widely understood shorthand, film publicity seldom employs generic terms as such. Indirect references to genre are of course regularly used, but they almost always evoke multiple genres.« Altman: Film/Genre, S. 54.
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privilegierten Lektüre als Musical mag zwar entgegengewirkt werden, spätestens die Kommunikation erlaubt dies aber kaum mehr, denn wenn der Titel schon durch seine Zirkulation in Interaktion mit verschiedenen Diskursebenen steht, so etabliert er aufgrund seiner Kohärenzschaffung überaus wirkmächtig eine Genrezugehörigkeit. Sowohl die Wissenschaft als auch die Publizistik greifen bereits in der Identifikation einer Audiovision auf Genrezuordnungen zurück, sofern sie Teil des Titels sind.93 Und genau hierin eröffnet sich eine Möglichkeit zur Berücksichtigung der Geltung audiovisueller Genreverhandlungen, die zugleich eine vordefinierende Bestimmung vermeidet. Genreanzeigende Titelkonstruktionen sind in ihrem Verhältnis zu anderen Diskursebenen als eigenständiger Teil einer Aushandlung zu perspektivieren. Sie besitzen – und dies wird für andere Paratexte durchaus berücksichtigt94 – eine Indikatorfunktion, um diskursive Prozesse zu beleuchten, sie geben Hinweise auf diejenigen Sinngebungen, die an ein Genre herangetragen werden. Allerdings – auch im Unterschied zur prototypischen Gewichtung – ist diese Funktion weniger im Prozess einer Kategorisierung als mehr noch in ihrem Effekt verortet: Unabhängig davon, wer einen Titel bestimmt, und auch unabhängig davon, inwiefern er sich in bestimmte Deutungen integriert, ist er in verschiedenen Diskursebenen gleichermaßen relevant, denn er erzeugt die ›Identität‹ einer Audiovision. Insofern demonstriert er die Wirkmacht einer Kategorisierung, zugleich aber auch die der audiovisuellen Genreverhandlung, denn in der Betitelung selbst wird kein vorausgehender Genrebegriff mitgeliefert. Vielmehr findet eine eigenständige Kennzeichnung statt, die sich im Kontext des Titels auf andere Diskursebenen bezieht. Dies zeigt sich exemplarisch in der Medien(un)spezifik des Musicals. Das Musical dient, wie es gerade in der prototypischen Gewichtung hervortritt, häufig der Beschreibung von Theater- oder Filmartefakten, jedoch behaupten genreanzeigende Titel hingegen auch das ›Internet-Musical‹.95 Dieses steht sowohl er-
93 Einschränkend muss jedoch betont werden, dass auch andere Möglichkeiten der Identifikation bestehen, ebenso wie Titelkonstruktionen durchaus variiert werden können, etwa in Abkürzungen. 94 Neben Altmans Betrachtung von Werbeplakaten sei an dieser Stelle nochmals Scheinpflugs Ansatz erwähnt; hier werden durch Vermarktungspraktiken mediendifferente Formationen in der Hervorbringung eines Genres entlang ihrer nationalen Gebundenheit beleuchtet. Vgl. Scheinpflug: Formelkino, S. 27-46. 95 Besonders plakativ mag dies bei CHAT! THE INTERNET MUSICAL sein, es existieren aber auch eine ganze Reihe weiterer Artefakte, die (unabhängig ihrer Distribution) Allusionen einer medialen Verortung im Titel formulieren, etwa WEB SITE STORY. Außerdem ließen sich hierin mitunter ›Musicalisierungen‹ rund um Internetphänomene selbst verorten, zum Beispiel FACEBOOK – THE MUSICAL. Vgl. CHAT! THE INTERNET MUSICAL (auch CHAT!
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gänzend als auch konkurrierend gegenüber anderen Deutungen, denn einerseits wird nicht denjenigen Einschränkungen gefolgt, die in der Wissenschaft und in der Publizistik zur Verhandlung des Genres dienen (Theater oder Film), andererseits bleibt mit der Betitelung und ihrer Genreanzeige aber immer noch eine Attribution als Musical gegeben, die nun mit der Einschränkung auf das Internet operiert. Bereits im Titel zeichnet sich somit eine Relation ab, die sich im Zusammenspiel verschiedener Deutungen als eigenständiger Teil des Genrediskurses perspektivieren lässt. Darin bietet der genreanzeigende Titel eine Möglichkeit zur Abbildung der Wirkmacht im Sinne einer Materialisierung – er ist trotz womöglich gänzlich anderer Sinngebungen nicht gänzlich unabhängig von anderen Diskursebenen, sondern schon im Kriterium der Attribution, durch den Titel, zwischen diesen verortet. In der Relationalität des genreanzeigenden Titels wird aber nicht nur die Wirkmacht audiovisueller Genreverhandlungen deutlich. Sie schließt zugleich auch eine tautologische Zugriffsweise aus, denn mit der Genreattribution wird zwar nahegelegt, dass eine Audiovision als Musical zu lesen ist, was dies aber ›bedeutet‹, auf welchem Genrebegriff jene Kategorisierung wurzelt, lässt sich nicht beantworten. Stattdessen trägt das Kriterium der Selbstbetitelung in besonderem Maße (und anders als Prototypen) der Eigenständigkeit audiovisueller Genreverhandlungen Rechnung: Wenn abseits der Kategorisierungsfunktion keine vorausgehende Definition mitgeliefert wird und der Titel dennoch im Verhältnis zu anderen Diskursebenen steht, so ist er offen gegenüber ihren Deutungen – diese Offenheit verlangt aber eine präzise Beobachtung. Das ›Internet-Musical‹ beispielsweise kann in der Parallele zu anderen medialen Einschränkungen betrachtet werden, darin ist jedoch noch nicht bestimmt, wie sich jene Parallele in Audiovisionen gestaltet, in welcher Hinsicht genau Ergänzungen oder Konkurrenzen behauptet werden. Und auch dies lässt sich in der Auswahl schärfen, denn anstelle einer Generalisierung, die jegliche in Audiovisionen aufzuzeigende Verhandlung unter dem Nenner der Genreanzeige bündelt – sie ausschließlich als audiovisuelle Genreverhandlung begreift –,96 kann eine Differenzierung getroffen werden, mit der die Titelkonstruktion nicht allein »den angestrebten Gattungsstatus des nachfolgenden Werks angeben«97 muss.
A NEW BRITISH MUSICAL), Edinburgh (George Square) 06.08.2009 (Uraufführung), R: Phil Cross und CollegeHumor: WEB SITE STORY. In: Youtube, 06.08.2009, URL: https://www.youtube.com/watch?v=FtPb8g8Jl6I [Zugriff 13.06.2014] sowie AVbyte: FACEBOOK – THE MUSICAL. In: Youtube, 03.06.2013, URL: https://www.youtube.com/ watch?v=Y2JhpNbe2Io [Zugriff 14.6.2014]. 96 Diese Gefahr markiert im Grunde die Kehrseite eines nicht vordefinierenden Zugriffs, denn mit der Attribution einer Genrezugehörigkeit im Titel ließe sich letztlich jegliche mediale Performanz als audiovisuelle Genreverhandlung kennzeichnen. 97 Genette: Paratexte, S. 94.
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Während Genette behauptet, dass die Genreanzeige im Titel »definitionsgemäß rhematisch«98 ist, dass sie im Unterschied zum Thema, »worüber man spricht«,99 angibt, »was man darüber sagt«,100 so schränkt er dies doch ein: Beide Dimensionen können grundsätzlich interagieren, sie erfüllen »auf unterschiedliche Weise und miteinander konkurrierend (außer bei Mehrdeutigkeiten und Synkretismus) dieselbe Funktion«101 – eine Funktion, die Genette zunächst als »deskriptive Funktion des Titels«102 bezeichnet, dann aber mit Blick auf Konnotationen und in ihrer Historizität erweitert.103 Für die Operationalisierung kann dieser Hinweis auf Interaktionen zwischen Thema und Rhema produktiv gemacht werden. So legen Titelkonstruktionen bereits in ihrer sprachlichen Formung Spuren zur Beantwortung der Frage, ob die Genremarkierung auf das Wie zielt oder auch das Was umfassen kann: Während gerade Untertitel, etwa CHAT! THE INTERNET MUSICAL, nahelegen, dass die Genreanzeige mehr auf das Rhema abhebt und schon sprachlich die Gefahr virulent wird, jegliche Äußerung unter dem genreanzeigenden Titel zu summieren – etwa impliziert der bestimmte Artikel eine Umfassendheit der Inszenierung unter dem Nenner des Musicals –, so können demgegenüber auch genreanzeigende Titelkonstruktionen identifiziert werden, die dies weit weniger prägen. Letztere dienen der Auswahl, denn wenn der genreanzeigende Titel sowohl rhematisch als auch thematisch sein kann, dann bedarf es einer genauen Rekonstruktion der in Audiovisionen auftretenden Genreverhandlung, womit zugleich ihre Generalisierung ausgeschlossen wird. Der von Genette in Klammern gesetzte Verweis auf Mehrdeutigkeiten oder Synkretisierungen ist dahingehend hilfreich; die Attribution einer Genrezugehörigkeit wird in diesen Fällen nicht verabschiedet, sondern erweitert – und zwar um die Notwendigkeit ihrer differenzierten Betrachtung, die dann auch im korpusimmanenten Fokus präzisiert werden kann. Zusammenfassend ist die Auswahl durch genreanzeigende Titelkonstruktionen geeignet, um innerhalb der gesetzten Maßgaben zur Operationalisierung eine diskurstheoretische Perspektive auf die audiovisuelle Verhandlung des Musicals zu verfolgen. Die reduktionistische Formel ›eine Audiovision gilt als Musical, wenn sie sich als solches betitelt‹ wird dabei durchaus komplex, denn von der Funktion des Titels als Konsensstifter und Diskursverknapper bis hin zur Dynamisierung und
98
Ebd.
99
Ebd., S. 80. Der bei Genette verwendete Begriff des Themas wird sehr weit gefasst, sodass er mitunter sogar verschiedene »Elemente des diegetischen Universums« beinhaltet. Ebd., S. 83.
100 Ebd., S. 80. 101 Ebd., S. 89. 102 Ebd. 103 Vgl. ebd., S. 89 f. sowie S. 92 f.
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Erweiterung der an das Genre herangetragenen Sinngebungen begründet sich ihre Relevanz. Dieses Kriterium berücksichtigt außerdem die Wirkmacht audiovisueller Genreverhandlungen im Sinne einer Materialisierung, denn obgleich sie hier eher im Effekt der Attribution, in der Position des Titels zwischen verschiedenen Diskursebenen, zu verorten ist, so bedeutet dies doch zugleich, dass sie in ihrer Relationalität Geltung besitzt – zumal dies keine vorausgehende Bestimmung anlegt, sondern die Frage nach Eigendynamiken aufwirft. Und jene Frage lässt sich in der Auswahl, entgegen der Gefahr einer Generalisierung, noch weiter pointieren, denn wenn keine Unterscheidung zwischen Rhema und Thema erkennbar ist, so bedarf es doch auch deshalb einer präzisen Beobachtung. Abseits arbeitsökonomischer Voraussetzungen findet in der Operationalisierung über die Selbstattribution als Musical also ebenfalls eine Vermittlung zwischen Genese und Wirkmacht statt; wenngleich, wie auch bei Prototypen, gerade historische Aspekte wenig genau abbildbar werden,104 so tritt dieser Weg ergänzend hinzu und ermöglicht schließlich einen Zugriff, in welchem beide Operationalisierungen in unterschiedlicher Weise den Eigenanteil audiovisueller Genreverhandlungen hervorheben. Diesen gilt es, im Folgenden in den Blick zu nehmen und zu fragen, inwiefern Musicals eine Sinnstiftung gestalten, die zur wechselseitigen Bestimmung von Genre und Gender führt und darin zugleich Ambivalenzen eröffnet.
5.3 Singin’ in the Rain G ENRE , G ENDER UND DIE P OTENZIALITÄT IHRER V ERBINDUNG Betrachtet man die bisher erläuterten Diskursebenen, die wissenschaftliche und die publizistische Verhandlung des Musicals, mit Blick auf die Frage, inwiefern sie eine Kategorisierung vornehmen, so stößt man auf eine Audiovision, die in beiden Diskursebenen als überaus relevant gilt: SINGIN’ IN THE RAIN. Dieser Film ist »a good musical«105 oder gar »der schönste Musical-Film aller Zeiten«,106 er ist »vor-
104 Hier sei ebenfalls angemerkt, dass historische Konstellationen durchaus in diesem Vorgehen, beispielsweise in der diachronen Differenzierung der Selbstattributionen, berücksichtigt werden könnten. Stattdessen wird mit HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR jedoch bewusst ein relativ aktueller Film gewählt, sodass sich das analytische Spektrum (auch abseits der Maßgaben zur Operationalisierung) in einer zeitlichen Dimension erweitert. 105 Spiers: Interview with Jack Gold, S. 119. 106 Anonymus: DIESE WOCHE IM FERNSEHEN. Du sollst mein Glücksstern sein. In: DER SPIEGEL 39/1983, S. 290-292 (ohne S. 291), hier S. 292.
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bildlich für dieses Genre«107 und nimmt auch darüber hinaus Einfluss auf andere Artefakte.108 SINGIN’ IN THE RAIN wird so zu dem Musical par excellence – seine Betrachtung ist nahezu immer an die Attribution einer Genrezugehörigkeit gebunden. Und dies zeigt sich, abseits des Materials aus den Zeitschriften Screen und DER SPIEGEL, auch quantitativ: SINGIN’ IN THE RAIN ist die einzige Audiovision, die dem Genre innerhalb einer exemplarischen Sichtung möglichst verschiedener wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Publikationen in mehr als 70 Prozent der Fälle zugeordnet wird. Der Film sticht aus einer Liste von über 600 Audiovisionen, die als Musicals kategorisiert werden, aufgrund der Häufigkeit seiner Nennung hervor – zumal (mitunter auch der Weitläufigkeit der Quellen geschuldet) nur sehr wenige Audiovisionen überhaupt mehrfach genannt werden.109 Sowohl qualitative als auch quantitative Gewichtungen, die jeweils entlang unterschiedlicher Veröffentlichungen gewonnen wurden, sprechen also dafür, dass SINGIN’ IN THE RAIN als prototypisches Musical gelten kann, dass die Attribution seiner Genrezugehörigkeit von einer enormen Typizität geprägt ist. Aufgrund seines Status als das Musical schlechthin mag sich zunächst die Frage stellen, warum SINGIN’ IN THE RAIN eine solche Wertung erfährt, wodurch der Film zum prototypischen Musical wird. Dazu können die genannten Zitate wichtige Hinweise geben – allerdings soll genau diese Frage nicht im Fokus stehen, denn das Interesse ist einem anderen Schwerpunkt gewidmet: Es geht um die audiovisuelle Konstitution des Genres, um die Frage, inwieweit Audiovisionen eine Verhandlung des Musicals leisten, die auf seine Bestimmung zielt und dabei auf Gender rekurriert. Dies lässt anhand von Audiovisionen beobachten, die dem Genre zugeordnet werden, denn hierin kann die Wirkmacht einer audiovisuellen Auseinandersetzung berücksichtigt werden, ohne aber in eine Tautologie zu geraten. Anstelle der direkten Korrelation filmischer Inszenierungen und ihrer Diskursivierung als Musical steht somit eine korpusimmanente, unter Umständen innerdiegetische Betrachtung dessen im Fokus, was in SINGIN’ IN THE RAIN zum Musical ›ausgesagt‹ wird, welche Zusammenhänge im Film für eine Genrebestimmung eröffnet werden. Wie konstituiert SINGIN’ IN THE RAIN also das Musical?
107 Anonymus: DIESE WOCHE IM FERNSEHEN. Du sollst mein Glücksstern sein. In: DER SPIEGEL 11/1971, S. 194, hier S. 194. 108 So zeigt beispielsweise Stan Link, dass das Aufgreifen von SINGIN’ IN THE RAIN im Film A CLOCKWORK ORANGE (dt. UHRWERK ORANGE, UK/USA 1971, R: Stanley Kubrick) als musikalisches Element entscheidend zur Pathologisierung der Hauptfigur beiträgt. Vgl. Stan Link: Sympathy with the Devil? Music of the Psycho Post-Psycho. In: Screen 45.1/2004, S. 1-20, hier S. 11. 109 Vgl. hierzu die Annäherung an die Typizität einzelner Kategorisierungen samt ihres Vorgehens in Anhang 1.
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Diese Frage lässt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten genauer beleuchten, wobei augenscheinlich die handlungstragende Konstellation eines ›Musicals im Musical‹ einen Ansatzpunkt liefert. So inszeniert SINGIN’ IN THE RAIN unter anderem die Entstehung eines Films, innerdiegetisch soll The Duelling Cavalier gedreht werden. Dieser unterliegt im Verlauf der Handlung einigen konzeptionellen Änderungen, die im Rahmen eines medienhistorischen Moments – der Etablierung des Tonfilms – angezeigt sind und ihn schließlich zum Musical werden lassen, nun unter dem Titel The Dancing Cavalier. Allerdings müssen, um jene handlungstragende Konstellation zum Ausgangspunkt einer diskursanalytischen Beobachtung zu machen, vorab zwei Einschränkungen formuliert werden. Zunächst gilt es, die Audiovisualität der Diskursebene hervorzuheben, denn die Konstruktion narrativen Geschehens ist als Teil und Ergebnis medialer Anordnungen zu begreifen; sie gestaltet sich in der Verbindung auditiver und visueller Elemente, wobei dies durch Mediendiskurse in der Dopplung von Diskursen um und in Medien zu spezifizieren ist. Und genau hierin tritt zugleich auch hervor, dass die Behauptung einer Handlung bereits Lektüre ist, dass unter anderem110 die Konstellation eines ›Musicals im Musical‹ fokussiert werden kann, wenn sie als solche betont wird und sich dadurch im Grunde erst generiert. Beides begründet die Perspektivierung im Rahmen diskurstheoretischer Überlegungen, denn im Verhältnis von Beobachterunterstellung und Konstruktion narrativen Geschehens wird ebendiesen beiden Aspekten eine spezifische Gewichtung verliehen, die in der Verbindung von Auditivem und Visuellem besteht.111 Die zweite Einschränkung schließt an methodische Überlegungen an und führt zugleich in das sich hierin behauptende Deutungsmuster. So ist die Konstruktion narrativen Geschehens um die Herstellung eines Musicals für die Betrachtung des audiovisuellen Diskurses erst deshalb relevant, weil sie als solche Thematisierung erfährt – »[m]ake a musical«,112 wie es etwa in der Figurenrede heißt. Anstelle einer vordefinierenden Zugriffsweise, in der The Dancing Cavalier als Musical gilt, weil
110 Dieses ›unter anderem‹ ist keine Verlegenheitslösung, sondern insistiert auf die Vielfalt unterschiedlicher Lektüren, denen keine Beliebigkeit anhaftet, sondern die als analytisches Potenzial zu betonen sind. Für SINGIN’ IN THE RAIN wurde dies sogar äußerst explizit thematisiert, indem Steven Cohan genau dieses Beispiel nutzt, um verschiedene filmwissenschaftliche Fokussierungen samt ihres Gewinns vorzustellen. Vgl. Steven Cohan: Case Study: Interpreting Singin’ in the Rain. In: Christine Gledhill/Linda Williams (Hg.): Reinventing Film Studies. London 2008, S. 53-75, hier S. 57 f. 111 Die Konstruktion narrativen Geschehens wird somit als Ergebnis einer Verbindung von Auditivem und Visuellem perspektiviert – als Perspektivierung ist es aber zugleich auch eine Beobachterunterstellung, die diese Verbindung als (und in der) Lektüre hervorhebt. 112 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:58:29.
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sich verschiedene Definitionsansätze an diesen ›Film im Film‹ herantragen lassen, und auch anstelle der Konstellation eines Backstage-Musicals, mit der sich etwa eine »congenital reflexivity«113 behaupten ließe, steht viel schlichter die Frage im Fokus, was das Genre laut SINGIN’ IN THE RAIN ist. Und ebendies kann erfasst werden, indem SINGIN’ IN THE RAIN das Genre anhand der Entstehung eines Films thematisiert, indem die Konstellation eines Doing Genre, einer Hervorbringung des Musicals, als solche mitunter äußerst explizit hervortritt. Entlang der hier skizzierten Einschränkungen erlaubt die Herstellung eines Musicals im Film Rückschlüsse auf die Hervorbringung des Genres im audiovisuellen Diskurs. Dies leitet zugleich aber auch in eine genrekonstitutive Dimension, denn anhand der in SINGIN’ IN THE RAIN inszenierten Handlung wird deutlich, dass das Musical als etwas bestimmt wird, das zu machen ist: Unter dem Imperativ »[m]ake a musical« gestaltet sich ein Moment, das das Genre als Doing Genre ausweist, das es als Hervorbringungsleistung, als Ergebnis des Vollzugs von Handlungen und zugleich als ein Handeln bestimmt. Beispielsweise bedarf es der Einfügung von Musik – »add songs«114 – oder auch von »modern musical numbers«,115 welche zur Entstehung einer Rahmenhandlung für The Duelling Cavalier führen: »The hero’s a young hoofer in a Broadway show […]. He sings and he dances.«116 In dieser Hinsicht kondensieren sich verschiedene Konventionen, die das Musical auszeichnen und hierin zugleich die zu seiner Hervorbringung notwendigen Handlungen präzisieren. Doing Genre bedeutet laut SINGIN’ IN THE RAIN also zunächst einmal ein bestimmtes Handeln, wodurch sich auch erklären mag, warum die Erwähnung des Genres häufig durch Imperative gestaltet ist.117 Doch mehr noch: Doing Genre bedeutet auch ein bedingtes Handeln. So wird die Notwendigkeit zur Herstellung eines Musicals bei SINGIN’ IN THE RAIN in eine medienhistorische Rahmung implementiert; dass The Duelling Cavalier überhaupt konzeptionelle Änderungen erfährt und schließlich zum Musical wird, begründet sich im Aufkommen sowie im Erfolg des Tonfilms. Dabei ist allerdings hervorzuheben, dass jener nicht allein als ein technisch erzeugter Fortschritt gilt, sondern verschiedene Perspektivierungen erfährt. Es ließen sich gar unterschiedliche Historiografien annehmen, die in SINGIN’ IN THE RAIN an den Tonfilm herangetragen
113 Feuer: The Hollywood Musical, S. 90. 114 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:58:49. 115 Ebd., TC 1:09:56. 116 Ebd., TC 1:10:04. 117 Diese Imperative, die von verschiedenen Figuren formuliert werden, sollen im Folgenden nur exemplarisch genannt werden, da sie sich grundlegend unter ihrer Funktion bündeln lassen: Sie kennzeichnen die zur Hervorbringung des Musicals notwendigen Handlungen, also die Äußerung (!) eines Doing Genre.
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werden – von Konsequenzen für die Produktion118 über die Umsetzung am Set119 bis hin zu distributionellen und ökonomischen Erwägungen.120 Und nicht zuletzt werden auch Resonanzen seitens der Zuschauerschaft berücksichtigt, die in der Erwähnung von THE JAZZ SINGER121 als »a sensation«122 kulminieren – »[t]he public is screaming for more.«123 Der Rückgriff auf eine medienhistorische Entwicklung, auf die Entstehung und die Etablierung des Tonfilms, findet bei SINGIN’ IN THE RAIN von verschiedenen Seiten statt; es werden unterschiedliche Ansätze einer Mediengeschichte alludiert, die letztlich als audiovisuelle Geschichtsschreibung gelten können.124 Und für das Musical wird diese Rahmung sogar konstitutiv, denn erst innerhalb der inszenierten Entwicklung des Tonfilms wird eine Entwicklung des Musicals behauptet. Dies mag sich mitunter schon in der Erwähnung von THE JAZZ SINGER verdeutlichen – dieser Film, der häufig als erster Tonfilm und zugleich als erstes Musical bestimmt wird,125 lässt sich bei SINGIN’ IN THE RAIN in beiden Interpretationen aufzeigen.126
118 Dies betrifft in besonderem Maße Konsequenzen für Schauspielende, beispielsweise Sprachtraining. Vgl. SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:44:28-0:45:03. 119 Vgl. ebd., TC 0:49:30-0:52:56. 120 Ebd., TC 0:32:48: »All the theaters are putting in sound equipment.« 121 THE JAZZ SINGER (dt. DER JAZZSÄNGER), USA 1927, R: Alan Crosland. Obwohl es sich bei der Erwähnung dieses Films um eine audiovisuelle Konstruktionsleistung handelt, die als solche nicht per se mit einem außerhalb von SINGIN’ IN THE RAIN bestehenden Artefakt korreliert werden muss, so soll dies – wie es die Kapitälchensetzung intendiert – geschehen, denn es handelt sich um eine Interpretation von THE JAZZ SINGER, die in SINGIN’ IN THE RAIN vollzogen wird. Darin ist sie weniger (!) fiktionalisiert, als dies hingegen für The Duelling Cavalier und The Dancing Cavalier gilt – diese sind ausschließlich in SINGIN’ IN THE RAIN nachzuweisen, sodass sie kursiviert werden. 122 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:32:17. 123 Ebd., TC 0:32:19. 124 Plakativ wäre hierzu wohl die Parallele zwischen Geschichte- und GeschichtenErzählen, allerdings ist dies einzuschränken, etwa bezüglich der Wirkmacht: Ob SINGIN’ IN THE RAIN als Historiografie gilt, ist äußerst fraglich, dass eine solche Möglichkeit in der Lektüre jedoch besteht, ist nicht auszuschließen – SINGIN’ IN THE RAIN kann als Historiografie gelten, denn der Film greift in der Konstruktion seiner Geschichte auf Geschichte, auf die Etablierung des Tonfilms, zurück. 125 Für THE JAZZ SINGER ließe sich im Übrigen anhand dieser – keineswegs unproblematischen – Dopplung ein Grund für seine Typizität behaupten, immerhin gehört auch dieser Film zu den wenigen häufig genannten Musicals. Vgl. Anhang 1. 126 Vgl. SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:21:28 und TC 0:56:40. Letzteres, die Hervorhebung von THE JAZZ SINGER als Musical, ist jedoch einzuschränken, da dies nur impliziert
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Aber auch grundlegender stellt SINGIN’ IN THE RAIN das Musical als Konsequenz der Etablierung des Tonfilms aus – der »Revolution in Hollywood«,127 wie es in der Schlagzeile einer Variety-Einblendung heißt, folgt quasi ›unmittelbar‹ eine Musicalwelle – »Musical Picture Sweep Nation«,128 wie es kurz darauf eine weitere Einblendung dieser Zeitschrift titelt.129 Von daher erhalten die musicalhervorbringenden Handlungen eine Basis, sie werden in der Rahmung durch die Etablierung des Tonfilms unterfüttert und gelangen so in eine Bindung an Diskurse um Medien, konkret: an historiografische Entwürfe um den Tonfilm. Das Musical ist demnach performativ bestimmt und zugleich – mitunter auch im Sinne performanztheoretischer Entwürfe130 – bedingt; es ist etwas, das getan wird und das zu tun ist, wobei sich dies im Tonfilm begründet.131 In dieser Hinsicht wird eine genrekonstitutive Äußerung (!) eröffnet, denn obgleich die hier verfolgte Reduktion des narrativen Geschehens unter dem Nenner eines Doing Genre durchaus Alternativen bieten mag, so wird darin doch zumindest einer Lektüremöglichkeit gefolgt, die sich der Frage widmet, was das Musical laut SINGIN’ IN THE RAIN ist: Etwas, das sich durch den Tonfilm ermöglicht und im Vollzug von Handlungen hervorgebracht wird. Zwar mag eingewendet werden, dass sich die bislang genannten Ausschnitte auf ein Musical konzentrieren, auf The
wird. Es handelt sich um eine Äußerung, in der der Film nicht als Tonfilm Erwähnung findet und dennoch als vorbildlich gilt – mutmaßlich durch seinen Status als Musical. 127 Ebd., TC 0:33:10. 128 Ebd., TC 0:33:16. 129 Mit diesen Einblendungen wird im Übrigen ein weiteres Indiz für die medienhistoriografische Perspektive von SINGIN’ IN THE RAIN deutlich, insofern ihre Authentifizierung stattfindet; Variety dient gewissermaßen als Zeugnis der Etablierung des Tonfilms und der damit verbundenen Konsequenzen. 130 Im Anschluss an Butler ließe sich in der Bindung des Doing Genre an den Tonfilm und durch die damit verbundenen Konsequenzen gar aufzeigen, dass die performanztheoretische Annahme in SINGIN’ IN THE RAIN darauf zielt, dass sie »neither free play […] nor […] simply equated with performance« ist. Allerdings erweist sich das ›Zu-Tuende‹ nicht derart in eine zwanghafte Struktur implementiert, wie sie von Butler dann etwa als Teil der Subjektkonstitution via Gender entworfen wird – vielmehr ist es eine Inszenierung, die ihrerseits performanztheoretische Implikationen für das Musical birgt. Butler: Bodies That Matter, S. 95. 131 Ein weiterer Hinweis dazu findet sich in der Entscheidung, The Duelling Cavalier überhaupt zum Musical zu machen, denn genau genommen begründet sich dies erst in seinem Scheitern als ›bloßer‹ Tonfilm. Von daher wird auch hier eine Grundlage des Doing Genre in der Etablierung des Tonfilms installiert, obgleich sich dies lediglich auf Resonanzen der Zuschauerschaft beschränkt.
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Duelling Cavalier bzw. The Dancing Cavalier – durch die skizzierte Bindung an die Etablierung des Tonfilms und gerade durch die Erwähnung genre- und medienhistorischer Konstellationen (wie bei THE JAZZ SINGER und den Variety-Einblendungen) kann aber zumindest eine Ausdehnung dieser Perspektive behauptet werden. Außerdem wird in der durch den Tonfilm bedingten Konzeption eines Doing Genre deutlich, dass sich die musicalhervorbringenden Handlungen gar nicht auf ein einzelnes (fiktives) Artefakt konzentrieren können, denn sie gelten als Notwendigkeit – »[w]e need [!] modern musical numbers.«132 Die (inszenierte) Etablierung des Tonfilms wird also zur Ermöglichungsbedingung, unter der sich ein Musical, aber auch das Musical erst hervorbringen lässt. Dies ist jedoch nicht nur für Diskurse um Medien bedeutsam, immerhin werden jene in SINGIN’ IN THE RAIN spezifisch geformt – es sind verschiedene historiografische Entwürfe, die in ihrer Verbindung zum Musical pointiert werden und auf diese Weise die Äußerung eines Doing Genre präzisieren. Dies ist in die Konstruktionsbedingungen einer audiovisuellen Diskursebene eingelassen und referiert daher auf dasjenige, was eine Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem erzeugt. Allerdings geschieht dies nicht allein dadurch, dass der Tonfilm etwa entlang der Figurenrede zur Ermöglichungsbedingung erklärt wird. Vielmehr können auch enunziative Figurationen identifiziert werden, die die in SINGIN’ IN THE RAIN prozessierte Bestimmung des Musicals in ihrer Spezifik für die Diskursebene hervortreten lassen und somit auf Diskurse in Medien, auf die konkrete Formung jener Äußerung, hinweisen. Dazu kann der Blick auf die innerdiegetische Verhandlung von Synchronisation produktiv gemacht werden. Die Änderung von The Duelling Cavalier hin zu The Dancing Cavalier geht mit einer Besetzung einher, in der die Figur Kathy Selden den Ton- und Gesangspart von Lina Lamont übernimmt. Dies verdeutlicht zunächst einen weiteren Aspekt innerhalb des Doing Genre, denn das Musical bedarf, um es zu machen, Gesang bzw. stimmlichen Talents. Allerdings bildet jene Anforderung nicht nur einen für das narrative Geschehen überaus zentralen Gelenkpunkt,133 zugleich erfährt sie auch eine Dopplung: Während anhand von Synchronisation und ihrer Besetzung eine Dimension des Doing Genre ausbuchstabiert wird, so zeigt sich gleichzeitig, dass Kathy Selden nicht über eine einzige Stimme verfügt, sondern dass die Figur verschiedene Stimmen besitzt. Es ist hörbar, dass auch sie synchronisiert sein muss bzw. im Kontext der genrekonstitutiven Äußerung: dass nicht eine Stimme allein das musicalhervorbringende Handeln und seine Anforderung stimmlichen Talents
132 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 1:09:56. 133 Im Grunde verknüpfen sich anhand dessen zwei verschiedene Plots; die Herstellung eines Musicals wird hierin mit einer Liebesgeschichte assoziiert und für das weitere erzählte Geschehen bedeutend.
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erfüllt.134 Extradiegetisch ließe sich dies – womöglich als »mise en abîme dritten Grades«135 – konkretisieren,136 aber auch mit dem Fokus auf die in SINGIN’ IN THE RAIN erfolgende Konstruktion wird darin eine Voraussetzung des Doing Genre in der Verbindung von Auditivem und Visuellem hervorgestellt; sie wird für das innerdiegetische Geschehen in der Besetzung von Kathy Selden bedeutend, aber auch im Hinblick auf eine (weitere) performative Dimension, in der sich jene Voraussetzung anhand der Stimmen von Kathy Selden markiert. Während visuell eine Figur suggeriert wird, so sind es auditiv doch mehrere Stimmen, die Kathy Selden auszeichnen. In diesem Sinne trifft die Äußerung eines Doing Genre auf dessen Performanz im Film (und möglicherweise auch auf seine dann innerdiegetisch zu begründende Genrezugehörigkeit).137 Dadurch, dass Audi-
134 Dies mag individuellem Rezeptionsverhalten geschuldet sein und sollte nicht als Wertung missverstanden werden – gerade im Vergleich verschiedener Szenen zeigen sich allerdings stimmliche Unterschiede: Etwa steht die von Kathy Selden übernommene Synchronisation des Liedes Would You (SINGIN’ IN THE RAIN, TC 1:10:32-1:12:06) dem späteren Sprechpart, den Kathy Selden ebenfalls synchronisiert, stimmlich deutlich gegenüber (ebd., TC 1:25:40-1:25:48) und kontrastiert sich außerdem mit dem Lied Good Morning, welches einige Szenen zuvor zu hören war (ebd., TC 0:59:17-1:02:24). 135 Christian Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films [L’énonciation impersonnelle ou le site du film, 1991]. Übersetzt von Frank Kessler, Sabine Lenk und Jürgen E. Müller. Münster 1997, S. 127 [Herv. i.O.]. Metz bezieht sich dabei interessanterweise auf A CHORUS LINE (USA 1985, R: Richard Attenborough), ein »Film, der die erfolgreiche Broadway-Karriere eines Bühnenstücks krönt« und die Herstellung eines »Musical[s], das am Broadway aufgeführt werden soll«, inszeniert. Ebd. 136 Im Kontext der tatsächlichen Synchronisation: Die Figur Kathy Selden soll die Figur Lina Lamont synchronisieren – im Sprechpart des innerdiegetischen Films wurde Kathy Selden jedoch durch Jean Hagen synchronisiert, welche Lina Lamont spielt. Anstelle der simplen Reihung ›man hört Lina Lamont, die Kathy Selden synchronisiert, wie diese Lina Lamont synchronisiert‹ oder ›man hört Jean Hagen, die Debbie Reynolds synchronisiert, wie diese Jean Hagen synchronisiert‹ muss jedoch betont werden, dass die Figur und die (Synchron-)Schauspielenden nicht identisch sind; innerdiegetisch wird lediglich hörbar, das Kathy Selden mehrere Stimmen besitzt. Insofern wäre auch die Möglichkeit einer mise en abîme dritten Grades zu relativieren; man hört, dass eine Figur, die synchronisiert, selbst synchronisiert ist. 137 Im Gegensatz zur Operationalisierung wäre SINGIN’ IN THE RAIN demnach als Musical zu lesen, weil der Film einerseits das Musical über die Anforderung stimmlichen Talents definiert und weil er andererseits genau diese Anforderung ›erfüllt‹ – weil nicht nur Lina Lamont synchronisiert werden soll, sondern auch weil Kathy Selden synchronisiert scheint.
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tives und Visuelles jedoch nicht Identisches vermitteln, kann jene Äußerung auch für die Diskursebene spezifiziert werden: Das, was eine Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem erzeugt – in diesem Fall das Medium Film bzw. Mediendiskurse um den Film –, ist in der nicht kongruenten Verbindung zu erkennen; die Verknüpfung von Auditivem und Visuellem wird enunziativ hervorgestellt138 und zugleich mit dem Musical im Sinne eines Doing Genre assoziiert. Von daher kann zumindest für diesen Ausschnitt festgehalten werden, dass die Äußerung eines Doing Genre in der Konstruktion narrativen Geschehens zentral ist, dass sie aber auch in der Verbindung von Auditivem und Visuellem zu verorten ist – nicht nur in der Figurenrede, die auf jener Verbindung basiert, sondern auch grundlegender, in der Annahme einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem. Insofern, wie es sich am Beispiel der Synchronisation zeigt, die Äußerung eines Doing Genre sehr explizit in die Konstruktion audiovisuellen Wissens implementiert ist, ergibt sich ein Ansatzpunkt, um sie als Aussage zu beobachten: Da die mediale Performanz in den Kontext anderer Diskurse gerückt wird und hierin die Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem im Rahmen der Praktiken um Synchronisation betrifft, erweist sie sich als sinntragend und sinnstiftend in dasjenige eingestellt, was Sichtbarkeit und Sagbarkeit als zusammengehörig markiert und reguliert – wobei sich dies in der enunziativen Bezugnahme zum Medium Film spezifiziert. Simpler: Im Beispiel der Synchronisation wird auf Audiovisualität referiert – und zwar auf die Audiovisualität des Mediums Film. Und genau an diesem Punkt treten auch die weiteren Bezüge zum Tonfilm hinzu. So geht die in diesem Ausschnitt hervortretende Materialisierung dessen, was eine Verbindung von Auditivem und Visuellem erzeugt (das Medium Film), Hand in Hand mit der Äußerung eines Doing Genre, welche sich ebenfalls durch Bezüge zu Mediendiskursen um den Film, durch historiografische Entwürfe um den Tonfilm, begründet. Es wird also gleich in zweifacher Weise auf die Multimodalität des Films, auf Ton und Bild, rekurriert, grob gesagt: auf narrativer Ebene in der Äußerung eines Doing Genre und in der enunziativen Dopplung durch Synchronisation.139 Von daher lässt sich aber nicht nur der performanztheoretische Gestus in der Bestimmung des Musicals weiter konturieren; das Musical bedarf neben Musik und Rahmenhandlung laut
138 Laut Metz gilt: »Der Film erzählt uns von sich selbst (oder vom Kino)«. Allerdings wird dies anhand des Beispiels der Synchronisation noch pointierter: Der Film erzählt von Praktiken, die im Rahmen des Mediums Film Auditives und Visuelles als verbunden markieren bzw. verbinden. Metz: Die unpersönliche Enunziation oder der Ort des Films, S. 10. 139 Insofern es sich bei beidem um mediale Performanzen handelt, ist es (wie auch bei der innerdiegetischen Genreattribution) eher eine Verschränkung dieser Ebenen, die ihre Trennung zugleich problematisiert.
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SINGIN’ IN THE RAIN unter anderem auch stimmlichen Talents. Vielmehr wird er in der Bindung an spezifische Arrangements um Medienwissen als audiovisuelle Sinngebung beobachtbar. In der Konstruktion narrativen Geschehens und in der Enunziation einer Verbindung von Auditivem und Visuellem wird gleichermaßen auf den Tonfilm und dessen Position als Ermöglichungsbedingung des Musicals zurückgegriffen – womit der Tonfilm freilich auch eine eigenständige Signifikation erhält.140 In Anbetracht der in SINGIN’ IN THE RAIN prozessierten Bindung des Doing Genre an eine Behauptung, in welcher das Musical durch den Tonfilm ermöglicht wird, und in Berücksichtigung der sich damit materialisierenden Diskurse um Medien, die in den historiografischen Entwürfen zum Tonfilm angezeigt sind und – spezifisch für die Diskursebene – in Enunziationen einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem münden, kann ein Muster diskursiver Sinngebung behauptet werden. Zwar ist dieses in seinem Ausmaß schon aufgrund der Untersuchung durch nur einen Film eingeschränkt, im Rahmen jenes Aufgreifens typischer und typisierbarer Aussagen entsteht jedoch eine Deutung, die das Musical konstituiert: Das Musical wird gemacht – und zwar innerhalb und aufgrund einer spezifischen medialen Anordnung, die im Tonfilm gründet und als Ermöglichungsbedingung das Doing Genre kennzeichnet.141 Diese sich in SINGIN’ IN THE RAIN gestaltende Deutung oszilliert zwischen einem dynamischen Verständnis, das als Doing Genre die Konstruiertheit des Musicals ersichtlich werden lässt, und einem statischen Ansatz, der in der Bezugnahme zum Tonfilm determinierend wirkt: Während das Musical im Vollzug bestimmten Handelns entsteht und darin mit verschiedenen Konventionen verbunden wird – Musik, Rahmenhandlung, stimmliches Talent etc. werden als konstitutive Elemente ausgewiesen –, so ist deren Notwenigkeit und Leistung, schärfer noch: deren Plausibilität und Spezifik, allein im Tonfilm angezeigt. Zwar erfährt Letzterer eine historiografisch komplexe Aufladung, das Genre aber gerät lediglich zu seiner Folgeerscheinung. Insofern entsteht eine dynamische, weil handlungsbezogene, Bestimmung – diese hat aber Grenzen, die sich in der Verknüpfung zu Diskursen um Me-
140 Dies ist wichtig, denn indem die Multimodalität des Films, Ton und Bild, hervorgestellt wird, erhält das Medium eine Bestimmung, die sich in SINGIN’ IN THE RAIN nachzeichnen lässt – nicht aber vordefinierend herangetragen werden muss. Gewissermaßen werden also Diskurse um Medien spezifisch geformt, sodass sie auch als Diskurse in Medien beobachtet werden können. 141 Hier ist Vorsicht geboten, denn obgleich dies vielleicht redundant klingt, so geht es doch darum, wie eine singuläre Äußerung in der Verknüpfung zu Diskursen in und um Medien zur Aussage wird. Es reicht schon aufgrund der Geltung im Sinne einer Materialisierung nicht aus, etwa nur die Bindung an den Tonfilm durch die Konstruktion narrativen Geschehens als Aussage oder gar als audiovisuelle Sinngebung zu behaupten.
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dien, zum Tonfilm und seiner Etablierung, formieren und darin implizit auf eine Merkmalsmenge zurückgreifen, ohne die die genrekonstitutiven Handlungen ihrerseits als solche nicht zu begründen sind.142 Und just dieses Changieren verdeutlicht sich auch in anderen Bereichen, die als Teil des Doing Genre begriffen werden können. So bedeutet die Hervorbringung des Musicals etwa auch eine Änderung des Titels, wobei es hier zur Verknüpfung mit Gender kommt. Indem The Duelling Cavalier eine Veränderung seines Genrestatus erfährt, verändert sich auch sein Titel, er muss sich sogar ändern: »We need a musical title.«143 Dies zeigt erneut die Bedingtheit des genrehervorbringenden Handelns; es bedarf eines anderen Titels – warum dieser jedoch eine Hervorbringung des Musicals leistet, bleibt offen. Und dies gilt ebenso für seine Auswahl: Der ursprüngliche Titel The Duelling Cavalier, ein mutmaßlich thematischer Titel im Sinne Genettes,144 wird entlang einer rhematischen Dimension erweitert, denn der schließlich gewählte Titel The Dancing Cavalier kann sich sowohl auf das Wie als auch auf das Was beziehen. Jedoch begründet sich diese rhematische Öffnung weniger darin, dass mit ›Dancing‹ ein Genremerkmal oder eine Genrekonvention verbunden ist – dazu gibt SINGIN’ IN THE RAIN nur indirekt Auskunft.145 Vielmehr wird sie dadurch angezeigt,
142 Die Rede von einem Merkmal mag zu relativieren sein, denn SINGIN’ IN THE RAIN gestaltet ja eine historische Perspektivierung. Allerdings betrifft diese gerade nicht das Musical, sondern dessen Ermöglichungsbedingung, den Tonfilm. 143 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 1:09:22. 144 Ob mit ›Duelling‹ ein Thema im Titel angezeigt wird, ist insofern offen, da der innerdiegetische Film nur sehr reduziert präsentiert wird. Hinweise lassen sich jedoch anhand eines Test-Screenings ableiten. Vgl. dazu ebd., TC 0:53:44-0:56:37. 145 Es gibt durchaus Anzeichen, dass Tanz als Teil des Doing Genre auftritt, allerdings ex negativo – indem die Figur Lina Lamont das Doing Genre zunächst behindert: »She can’t act, she can’t sing and she can’t dance.« (ebd., TC 1:02:42). Wenig später ist dies jedoch nicht mehr ausschlaggebend: »Just dance around Lina.« (ebd., TC 1:04:04). Zentraler ist demgegenüber Gesang, welcher im Handlungsverlauf, etwa auch mit Blick auf Synchronisation, eine wichtige Rolle einnimmt und sogar in der Betitelung koinzidiert: Zum einen in der mit dem Song Singin’ in the Rain aufgerufenen Geschichte – das Lied wurde erstmals in THE HOLLYWOOD REVUE OF 1929 (USA 1929, R: Charles Reisner) inszeniert und überträgt damit womöglich retrospektiv den Genrestatus anhand von Gesang; zum anderen in der Enunziation des Films Singin’ in the Rain in SINGIN’ IN THE
RAIN, denn am Ende wird ein Filmplakat sichtbar, das jenen Titel pointiert – al-
lerdings weist dies keine Genremarkierung auf, wodurch wiederum nur im Gesang, durch ›Singin’‹, ersichtlich wäre, dass es sich hierbei um ein Musical handelt. Vgl. zum Song im Film SINGIN’ IN THE RAIN, TC 1:05:09-1:08:53 sowie TC 1:35:27-1:36:40 und zum Film im Film ebd., TC 1:38:11.
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dass die Titelveränderung eine Genreveränderung bewirken soll – der Titel ist Teil eines Prozesses, in welchem das Ziel ist: »[T]urn The Duelling Cavalier into a musical«.146 Von daher leistet er eine Konstitution des Genres; auch hier ist das Musical durch ein Handeln, durch eine Titeländerung, bestimmt. Diese rhematische Erweiterung des Titels wird allerdings durch einen Zwischenschritt eingeleitet, vor The Dancing Cavalier wird noch ein weiterer Vorschlag unterbreitet: »The Duelling Mammy.«147 Obgleich nicht auszuschließen ist, dass diese Variante schlicht als humorvolle und nicht ernstzunehmende Anmerkung auftritt,148 so bleibt sie dennoch unkommentiert und wird, wie auch der letztlich gewählte Titel The Dancing Cavalier, nicht in der Entscheidung begründet. Und genau dies ist von Interesse, denn mit dem ersten Vorschlag und seiner gleichwertigen Optionalität enthüllt sich ein genrekonstitutives Moment, das auf Gender rekurriert. So kann The Duelling Mammy gerade im Verhältnis zu The Duelling Cavalier eine thematische Änderung anzeigen, entsprechend Genette tritt im Titel eine Figur hervor.149 Dies findet im Rahmen des Doing Genre statt, sodass die Veränderung des Genres eine genderrelevante Veränderung im Thema zumindest möglich erscheinen lässt: Mammy verweist auf verschiedene Konstellationen, die auch im Unterschied zu Cavalier in Konnotationen des ›Weiblichen‹ bzw. der ›Frau‹150 eingestellt sind. Der Begriff kann etwa ein Topos alludieren – rassistische Entwürfe schwarzer ›Frauen‹, die vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Südstaaten der USA geprägt wurden.151 Der Begriff schließt aber auch, etwa lautlich und in dialektalen Formen des Englischen, an ›Mommy‹ als Kosenamen für Mutter an und verweist darin ebenfalls auf jene Konnotationen. Und nicht zuletzt referiert dieser Titelvorschlag auch auf das Musical, wie es die erste Nennung von Mammy in SINGIN’ IN THE RAIN zeigt: Im Rahmen der Thematisierung von THE JAZZ SINGER
146 Ebd., TC 0:58:43. 147 Ebd., TC 1:09:29. 148 Letztlich ist dies auch unmaßgeblich, denn obgleich hierin eine Begründung gegen diesen Vorschlag möglich wäre, so wird dies nicht innerdiegetisch formuliert; The Duelling Mammy erhält keine Reaktion. 149 Vgl. Genette: Paratexte, S. 83. 150 Inwiefern hier eine Differenzierung zum nicht dichotomen Attribut ›weiblich‹ erfolgen kann, muss ausgeklammert werden – da jedoch eine thematische Änderung anhand einer Figur angezeigt wird und diese auch in Unterscheidung zu Cavalier steht, scheint eine Dichotomisierung der Eigenschaft naheliegend. 151 Das Merriam Webster definiert das Mammy-Klischee wie folgt: »[A] black woman serving as a nurse to white children especially formerly in the southern United States.« Anonymus: Art. Mammy. In: Merriam Webster Dictionary (merriam-webster.com), URL: http://www.merriam-webster.com/dictionary/mammy [Zugriff 12.05.2014].
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wird der in diesem Film inszenierte Song My Mammy erwähnt und in zwei Versen gesungen,152 sodass The Duelling Mammy als genreanzeigender Titel auch hierin, in eine Art Genealogie des Musicals und des Tonfilms, eingepasst wird.153 The Duelling Mammy scheint somit gleich in zweifacher Weise ›näher‹ am Genre – sowohl in der thematischen Anzeige um bestimmte Konstellationen des ›Weiblichen‹ bzw. der ›Frau‹ als auch durch die in SINGIN’ IN THE RAIN aufgerufene historische Konstellation um THE JAZZ SINGER. Und dies lässt sich weiter zuspitzen, denn wenn in der letztlich unbegründeten Entscheidung beide, The Duelling Mammy und The Dancing Cavalier, als Möglichkeiten für eine mit der Titeländerung formierte Genrehervorbringung auftreten, so entsteht eine gewisse Austauschbarkeit. Zwar bezeichnen sie Unterschiedliches, eher Thema oder eher Rhema etwa, und auch die Entscheidung fällt auf The Dancing Cavalier – in ihrer Optionalität sind beide Vorschläge jedoch gleichermaßen an das Musical gebunden. Die Hervorbringung des Genres, ein »musical title«, könnte also in genderbezogenen Veränderungen bewirkt sein; Gender ist Teil eines Doing Genre, eine mögliche thematische Konstellation, die Nähe zum Musical aufweist. Und jene Nähe – jene Verknüpfung, die darin besteht, dass mit der Hervorbringung des Genres Änderungen durch Gender entstehen können – zeigt sich auch in anderen Zusammenhängen. In einer vorherigen Szene154 wird eine Inszenierung geleistet, die Mode für ein »beautiful girl«155 bewirbt. Von »[s]he’s stylish, she’s chic«156 über »white is right when you’re a bride«157 bis hin zur »queen of fashion«158 kann durch Kleidung eine geschlechtliche Bestimmung erfolgen; das »beautiful girl« zeichnet sich in dieser Szene letztlich durch »fashion« aus und impliziert in dieser Hinsicht ein Doing Gender: Der Ausschnitt lässt sich dahingehend lesen, dass er nicht nur geschlechtliche Hervorbringungsleistungen in ihrer filmisch-performativen Konstruktion enthüllt, sondern auch deren Bedingungen preisgibt – in diesem Fall durch eine vestimentäre Markierung der Genderzugehörigkeit (»girl«) samt ihrer funktionalen Differenzierung (»bride«, »queen«) und ihrer Assoziation zu bestimmten Konstellationen um Schönheit sowie Jugend. Hier wird also die Konstruiertheit von Gender
152 Vgl. SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:32:11-0:32:15. 153 Außerdem kann dieser Titelvorschlag auch als eine Referenz an den Film MAMMY (USA 1930, R: Michael Curtiz) gelesen werden, welcher in der Besetzung von Al Johnson wiederum auf THE JAZZ SINGER rekurriert, da Johnson im letztgenannten Film den Song My Mammy performt. 154 Vgl. SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:34:01-0:37:08. 155 Ebd., TC 0:34:02. 156 Ebd., TC 0:35:04. 157 Ebd., TC 0:36:27. 158 Ebd., TC 0:36:50.
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›vorgeführt‹, nämlich filmisch inszeniert, und ›aufgeführt‹, nämlich als eine Behauptung, die im Film selbst formuliert wird.159 Interessanterweise ist diese innerdiegetische ›Werbung‹ mit dem Musical verbunden. So kommt es am Ende der Szene zur Kommentierung – »[t]hat’s stupendous!«160 Doch worauf sich das »[t]hat« bezieht, ist nicht klar. Es kann das zuvor genannte »my beautiful girl«161 gemeint sein, aber auch die ›gesamte‹ Szene, das Set, die Musik oder Ähnliches. Weder die sprachliche Äußerung noch das visuelle Arrangement bietet eine Möglichkeit, um den Kontext dieses Satzes zu entschlüsseln; die Szene spielt seitlich der zuvor genutzten Fläche und markiert darin nicht das Bezeichnete. Visuelles und Auditives stehen also in einer Verbindung, nicht aber in einer Eindeutigen. Und dies geht noch weiter, denn im folgenden Kommentar, »[t]his will start a trend in musicals«,162 bleibt die Referenz ebenfalls unklar. Was »[t]his« meint – »my beautiful girl«, dessen Inszenierung im innerdiegetischen Werbefilm oder ganz Anderes kann weder in der Figurenrede noch durch Visuelles identifiziert werden.163 Der Kontext dieser Äußerung, die nun einen Bezug zum Musical herstellt, ergibt sich wiederum nicht und ist entsprechend mehrdeutig.164 Von daher ließe sich behaupten, dass das Musical mit Gender korrelieren kann, denn wenn »[t]hat« und »[t]his« nicht ›bezeichnend‹ sind – keine Zuordnung erlauben –, so bieten sich doch diverse Optionen:165 »[S]tupendous« und für das Musical trendauslösend kann »my beautiful girl« sein, aber auch das Set, der Gesang oder die präsentierte Kleidung – und schließlich sogar die implizierte Konstellation eines Doing Gender, einer geschlechtlichen Hervorbringung entlang vestimentärer Kenn-
159 Die Trennung beider Perspektiven ist insofern unzureichend, da sie sich gleichwertig gestalten; es ist (wie bei der innerdiegetischen Markierung einer Genrezugehörigkeit) ein Auftreten verschiedener medialer Performanzen, die sich ihrerseits verschränken. 160 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:37:11. 161 Ebd., TC 0:36:57. 162 Ebd., TC 0:37:15. 163 Diese Beispiele sind besonders geeignet, um zu zeigen, dass der hier gewählte Fokus um auditive und visuelle Phänomene sowie die Argumentation im Rahmen sprachlicher Äußerungen keinesfalls darauf gründen, dass sie in einem kongruenten Verhältnis leichter oder eindeutiger zu identifizieren wären. 164 Zwar mag eingewendet werden, dass durch die unterschiedlichen Demonstrativpronomen und ihre Anzeige der Nähe zumindest Tendenzen nachgezeichnet werden könnten, doch dies ist gerade nicht der Fall; während der Kommentierung wird lediglich der Kamerafokus erweitert. 165 Die Betonung von Gender begründet sich dabei trotz der Vielzahl an Möglichkeiten nicht allein in der Lektüreabsicht, sondern auch in der Pointierung des »beautiful girl« – diese Äußerung findet sich in der Szene immerhin achtmal.
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zeichen. Letzteres mag durchaus überspitzt klingen, wie es sich aber auch anhand der Titelveränderung zeigt, stehen diese Optionen nebeneinander – die Entscheidung für eine der Möglichkeiten ist nicht per se und nicht über innerdiegetisch formulierte Begründungen zu treffen. Was bedeutet dies jedoch für die Verknüpfung von Genre und Gender? Zunächst kann schlicht festgehalten werden, dass Gender mit dem Doing Genre verbunden ist. Ein genrehervorbringender Titel könnte auf Änderungen des Themas gründen und darin geschlechtliche Konnotationen umfassen; vestimentäre Markierungen einer Genderzugehörigkeit sind möglicherweise identisch mit Genretrends und unter Umständen sogar in ihrer eigenen Hervorbringung, entlang einer vestimentären Markierung, zu perspektivieren. All dies leistet eine Bestimmung von Gender, die es gerade entlang der Bezugnahme zum Genre hervorzustellen gilt – wobei in besonderem Maße Assoziationen zu Weiblichkeitsentwürfen bestehen, denn sowohl »Mammy« als auch »beautiful girl« können Optionen eines musicalhervorbringenden Handelns sein.166 Die Betonung der Potenzialität ist dabei allerdings maßgeblich, denn SINGIN’ IN THE RAIN lässt Optionen entstehen, die eine wechselseitige Verknüpfung von Genre und Gender generieren – der Film kommentiert diese aber nicht in der Entscheidung gegen sie (wie bei der Titelveränderung) oder führt sie neben Weiteren auf (wie bei der ›Beautiful-Girl‹-Szene). The Duelling Mammy und The Dancing Cavalier sind gleichwertig – nicht in dem, was sie bezeichnen, sondern in der Option zur Betitelung eines Musicals und damit als Teil des Doing Genre. »That« und »[t]his« sind mehrdeutig zuordbar und eröffnen Möglichkeiten einer Bezugnahme zu Gender, welche ihrerseits genrerelevant, trendauslösend für das Musical, sein kann. Und genau dies offenbart eine Ambivalenz in der interkategorialen Verbindung selbst, denn es stellt sich die Frage nach ihrer Leistung, nach ihrer konstitutiven Relevanz: Zwar können durchaus Tendenzen einer wechselseitigen Hervorbringung aufgezeigt werden, denen mitunter statische Entwürfe anhaften, etwa indem gerade die ›Frau‹ bzw. ›Weiblichkeit‹ an das Doing Genre geknüpft ist. Aufgrund der Potenzialität einer Kopplung wird die wechselseitige Konstitution beider Kategorien167 jedoch auch unterminiert; es sind ›lediglich‹ Möglichkeiten, die gleichwertig zu anderen, mitunter nicht auf Gender rekurrierenden Optionen gestaltet sind. Doch wa-
166 Dahingehend zeigt sich im Übrigen auch die Relevanz von Gender, insofern sich verschiedene Verbindungen zum Doing Genre identifizieren lassen, die – ungeachtet anderer Kategorien wie Age – »Mammy« und »beautiful girl« zusammenbringen. 167 In diesem Kontext ist die Betonung beider Kategorien entscheidend, denn SINGIN’ IN THE
RAIN lässt sich durchaus auch auf eine Hervorbringung von Gender hin beleuch-
ten – da das Interesse jedoch der interkategorialen Verknüpfung in Rahmen einer audiovisuellen Sinngebung gewidmet ist, bleibt dies bewusst außen vor.
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rum liefert SINGIN’ IN THE RAIN in dieser Hinsicht bloß eine potenzielle Verknüpfung? Warum wird das Doing Genre nur möglicherweise durch Gender bedingt? Dazu bietet der Rekurs auf den Tonfilm eine erste Antwort. Obgleich schon in der Parallelität um Doing Genre/Doing Gender eine Verknüpfung der Kategorien angezeigt sein mag, so vollzieht sich ihre Verbindung doch in einer Ambivalenz, denn gerade ihr konstitutiver Anteil bleibt offen. The Duelling Mammy etwa ist eine Option für einen »musical title«, dessen Notwendigkeit sich als Doing Genre ausbuchstabiert. Für The Dancing Cavalier gilt dies aber ebenso – während die Notwendigkeit eines solchen Titels bereits im Tonfilm begründet ist. Er wird zur Ermöglichungsbedingung erklärt, das Musical ist lediglich seine Folgeerscheinung. Von daher bestimmt die inszenierte medienhistorische Konstellation das Doing Genre; letztlich determiniert der Rückgriff auf den Tonfilm die Hervorbringung des Musicals, sodass das Ergebnis – »The Duelling Cavalier is now a musical«168 – schlicht auch ohne Gender erreicht werden kann bzw. könnte. In dieser Hinsicht kommt der Verknüpfung zu Mediendiskursen eine besondere Stellung zu, denn sie ist nicht nur für die Diskursebene und ihre Wissensgenerierung zentral. Außerdem erfährt sie bei SINGIN’ IN THE RAIN auch eine spezifische Materialisierung, welche die Genese des Musicals anhand der historiografischen Entwürfe zum Tonfilm bedingt und hierin zugleich die konstitutive Relevanz einer interkategorialen Verbindung untergräbt.169 Diese erste, noch wenig genaue Antwort auf die Frage, warum in SINGIN’ IN THE RAIN nur eine potenzielle Verknüpfung von Genre und Gender erfolgt, verdeutlicht das Potenzial ihrer Beobachtung im audiovisuellen Musicaldiskurs. So erweist sich das genregenerierende Moment einer medienhistorischen Differenzierung als entscheidend. Und ebendies trifft auf Gender, allerdings in einem Verhältnis, das sich nicht auf eine Bestimmung durch Gender einlässt, sondern auf eine potenzielle Bestimmung, in der Gender Teil des Doing Genre sein kann. Diese Ambivalenz einer audiovisuellen Sinngebung sollte jedoch nicht dazu verleiten, die interkategoriale Kopplung gänzlich auszublenden, denn sie wird in SINGIN’ IN THE RAIN auf verschiedene Weise formiert; die hier verfolgte Lektüre nimmt sich unterschiedlicher Bereiche an und zeigt schon damit die Vielfalt möglicher Verknüpfungen. Außerdem sind es bestimmte Genderkonstellationen, die eine Rolle spielen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Gender – zumindest innerhalb der Potenzialität einer Kopplung – konstitutiven Anteil hat; gerade ›Weiblichkeit‹ bzw. die ›Frau‹ erfährt entlang des Doing Genre eine pointierte, gleichwohl potenzielle Setzung.
168 SINGIN’ IN THE RAIN, TC 0:59:01. 169 Hierbei ist nochmals die Spezifik einer solchen Formung zu betonen, denn sie zeigt sich sowohl in der inszenierten Etablierung des Tonfilms, die sogar enunziativ hervortritt, als auch in dessen Positionierung als Ermöglichungsbedingung des Musicals.
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Während bereits in der Auswahl durch Prototypikalität und ihrer quantitativen Verdichtung die Relevanz von SINGIN’ IN THE RAIN für Diskurse um das Musical hervortritt und sich dies dann in der Lektüre gerade mit Blick auf eine Materialisierung von Mediendiskursen noch schärft, so zeichnet sich eine Verknüpfung von Genre und Gender ab, die ein reziprokes Verhältnis – zumindest im Rahmen ihrer Potenzialität – gestaltet und die hierin zugleich – aufgrund ihrer Potenzialität – als ambivalent gelten kann. Dies gibt Hinweise auf die Verbindung der Kategorien, aber auch auf die Artikulation einer kategorialen Krise, wie es sich gerade in der Bezugnahme zum Tonfilm verdeutlicht: Jener Rekurs auf ein Medium steht im Kontext einer Mediendifferenzierung – auch im Sinne »mediale[r] EntgrenzungsProzesse«170 – und eröffnet derart Anschlüsse, die, wie es Schneider sogar titelgebend setzt, die Trias Genre, Gender, Medien betreffen. Zunächst ist jedoch ein Schritt zurückzugehen, denn bislang wurde lediglich eine Deutung des audiovisuellen Diskurses skizziert, die als solche womöglich eher den Eindruck eines ›Krisenexperiments‹ erweckt171 und nicht auf die Etablierung einer Krise, auf ihren Einzug und ihre spezifische Artikulation in verschiedenen Diskursebenen, zielt.
5.4 High School Musical 3: Senior Year G ENRE , G ENDER UND DIE H ERVORBRINGUNG VON F IGUREN Wie die bisherigen Ausführungen zu SINGIN’ IN THE RAIN verdeutlichen, ist dieser Ausschnitt des audiovisuellen Musicaldiskurses dadurch geprägt, dass er das Genre als ein Doing Genre bestimmt, welches sich in der Etablierung des Tonfilms bedingt und potenziell mit Gender assoziiert ist. Abseits der analytischen Setzungen erweist sich diese Deutung schon durch das Auswahlkriterium, durch den proto-
170 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 20. Entgrenzend ist dies etwa im Hinblick auf die inszenierte Mediengeschichte, es ließe sich darin aber womöglich auch eine Entgrenzung der interkategorialen Verbindung selbst behaupten – immerhin liefert der Rückgriff auf Mediendiskurse doch eine erste Antwort auf die Frage, warum die Verknüpfung von Genre und Gender in SINGIN’ IN THE RAIN einer Potenzialität verhaftet bleibt. 171 Auch könnte der Eindruck entstehen, dass eine Nobilitierung beabsichtigt ist. Allerdings lässt sich dies schon methodisch kaum halten, da der besondere Status von SINGIN’ IN THE RAIN ja gerade der Auswahl und damit verbunden der Annäherung an die Wirkmacht audiovisueller Genreverhandlungen dient. Außerdem stellt sich die Frage, wohin diese Nobilitierung zielen würde; das hier betrachtete Deutungsmuster oszilliert zwischen einer dynamischen Bestimmung des Musicals und ihrer Begrenzung durch den Tonfilm.
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typischen Status, welchen SINGIN’ IN THE RAIN innehat, als wirkmächtig – die in SINGIN’ IN THE RAIN formierte Genrekonstitution hat Geltung, indem das Artefakt in der Attribution seiner Genrezugehörigkeit Wirkmacht besitzt. Und Ähnliches kann auch für die Selbstbetitelung als Musical behauptet werden, denn obgleich sich die Genrezuordnung hier nicht durch andere Diskursebenen gestaltet, so ist sie doch durch die Funktion des Titels in einem Verhältnis verortet, das der audiovisuellen Genreverhandlung in der Relation zu anderen Diskursebenen Gewicht verleiht. Dies eröffnet einen Zugriff, der keine vorausgehende Bestimmung anlegt, sodass stattdessen zu fragen ist, inwiefern eine sich als Musical betitelnde Audiovision das Genre konstituiert. Dazu wird ein relativ aktuelles Beispiel, HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, gewählt. Dies erlaubt es zunächst, das analytische Spektrum gerade im Vergleich zu SINGIN’ IN THE RAIN zu erweitern – zumal aufgrund seiner Aktualität Auseinandersetzungen mit diesem Film bislang zurückhaltend sind und auch hierin eine Projektion vordefinierender Perspektiven vermeiden.172 Wichtiger aber ist, dass mit der Titelkonstruktion bereits ein Moment identifiziert werden kann, das sich letztlich für die Beschäftigung mit dem Musical in diesem Film als entscheidend erweist. So zeigt der Titel schon in seiner sprachlichen Formung Mehrdeutigkeiten: Er kann, als thematischer Titel entsprechend Genette, eine handlungstragende Dimension betonen; es geht um ein Musical an einer High School, welches durch den Abschlussjahrgang, das Senior Year, inszeniert wird oder welches den Abschlussjahrgang selbst, also innerdiegetisch, behandelt. Der Doppelpunkt eröffnet demnach entweder eine Spezifizierung des Themas, das der Film besitzt, oder des Themas, das das Musical in diesem Film besitzt. Aber auch als rhematischer Titel wäre HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR zu lesen; die Titelkonstruktion bedient eine genreanzeigende Funktion, derer nach der Film als Musical, nämlich als drittes Musical in einer Reihe Weiterer, zu betrachten ist oder aber derer nach der Film als High-School-Musical im Sinne einer (zusätzlichen) (Sub-)Kategorisierung gilt.173
172 Zwar wird der Film durchaus und mitunter kontrovers diskutiert – allerdings zeigt sich gerade im akademischen Kontext eine erstaunliche Zurückhaltung, was seine Genreverhandlung (und -zuordnung) angeht. Eine Ausnahme bildet jedoch Kesslers Arbeit, auf die in diesem Kapitel noch am Rande eingegangen wird und auf deren Filmverzeichnis auch die einzige Nennung von HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR im Rahmen prototypischer Audiovisionen zurückzuführen ist. 173 Letzteres – die Attribution einer Zugehörigkeit zum Genre des High-School-Musicals – ist, da es sich um eine nicht etablierte Bezeichnung handelt, zu problematisieren und trägt vielleicht eher der Genealogie des Films Rechnung, wobei die Nummerierung dies dann explizit macht. Allerdings ist jene Genreattribution zum High-School-Musical auch nicht auszuschließen, sodass sich hierin womöglich sogar eine ›genreinitiative‹
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Und dies lässt sich noch fortsetzen, denn der Titel zeigt in der Verbindung von Thema und Rhema auch an, dass eine High School und spezifisch deren Abschlussjahrgang als Thema durch ein Musical als Rhema behandelt wird. All diese Möglichkeiten sind im Titel und seiner sprachlichen Formung angelegt; das rhematische Moment ist ebenso wie das Thematische enthalten und beide werden, auch im Verhältnis zueinander, als optional ausgewiesen. Und ebendiesen Optionen soll in der Lektüre gefolgt werden – wobei es zunächst die in den vorherigen Kapiteln skizzierten Einschränkungen erneut hervorzuheben gilt: (1) Es geht und es kann aufgrund der Auswahl nicht um eine Begründung der Genreattribution gehen; (2) die Konstruktion narrativen Geschehens wird aufgrund der Diskursebene und ihrer Spezifik in der Verbindung von Auditivem und Visuellem pointiert, sie ist darin jedoch als Lektüre in die Betonung der Beobachterabhängigkeit eingelassen; und schließlich (3) wird anstelle eines vordefinierenden Vorgehens korpusimmanent die Thematisierung des Musicals fokussiert – sie ist als Zugriff auf den audiovisuellen Diskurs auszuweisen, insofern sie als solche hervortritt. Diese analytischen Setzungen leiten zugleich in eine, SINGIN’ IN THE RAIN nicht unähnliche Äußerung, denn HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR inszeniert handlungstragend ebenfalls ein Musical. Während in der Offenheit des Titels eine Genrezugehörigkeit attribuiert wird – ›lies mich als ein (High-School-)Musical‹ – und diese schon in ihrer kommunikativen Relevanz Wirkmacht besitzt, so erfährt jene Attribution auch eine thematische Bindung, die sich in der Konstruktion narrativen Geschehens unter anderem wie folgt konkretisiert: Das am Ort der Handlung, an der High School East High, jährlich aufgeführte »spring musical«174 soll entstehen. Dieses wird vom dortigen Abschlussjahrgang innerhalb der Aktivitäten des »drama club«175 vorbereitet, geprobt und schließlich innerdiegetisch auch aufgeführt, wobei jenes ›Musical im Musical‹ zugleich vom Abschlussjahrgang handelt: »The spring musical is all about you«;176
Konstellation eröffnet: Aufgrund der Titelfunktion im Rahmen seiner kommunikativen Relevanz installiert HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR – auch im Verweis auf die zuvor veröffentlichten Filme – einen Kontext, innerhalb dessen sich das Genre des High-School-Musicals konstituieren kann bzw. könnte. Dies erscheint bislang jedoch abseits der Filmtitel (und der Konstruktion narrativen Geschehens) kaum fruchtbar, weshalb im Verlauf des Kapitels nur an einigen Stellen eine inkludierende Klammer gesetzt wird; die bereits im Titel formierte Genreanzeige bezieht sich auf das (HighSchool-)Musical. Von daher erklärt sich im Übrigen auch die an die Titelkonstruktion angelehnte (im Deutschen jedoch nicht korrekte) Schreibung des Wortes ›High School‹. 174 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:35:01. 175 Ebd., TC 0:17:07. 176 Ebd., TC 0:18:59.
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es geht um die das Musical aufführenden Figuren, sodass sich das »spring musical« schließlich sogar als Senior Year betitelt177 und unter anderem als »a High School Musical«178 kategorisiert wird. Die in der Titelkonstruktion bereits angezeigte Mehrdeutigkeit lässt sich also auch mit Blick auf die Konstruktion narrativen Geschehens nachzeichnen; der Titel gibt Lektüreanweisungen, die in diesem Fall gerade auf die Konstellation eines ›Musicals im Musical‹ und damit verbunden auf weitere ›Schachtelungen‹ zielen – bis hin zum Titel selbst. Und genau dadurch zeigt sich eine wichtige Parallele zu SINGIN’ IN THE RAIN. Die Herstellung eines Musicals im Film bietet, wie auch bei SINGIN’ IN THE RAIN, einen Ansatz, um die Hervorbringung des Genres im audiovisuellen Diskurs zu verfolgen. Durch den identischen Schwerpunkt entsteht zwar ein Problem in der Übertragbarkeit der Analyse und man mag annehmen, dass die Auswahl selbst äußerst vorgeprägt ist179 – es entstehen aber ebenso Vorteile, die etwa die Typisierbarkeit betreffen und schließlich für die Frage nach der diskursspezifischen Artikulation einer kategorialen Krise zentral werden.180 Und so zeigt sich zunächst eine scheinbar (!) identische Äußerung: Auch in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR kann anhand der Konstruktion narrativen Geschehens grundlegend ein Doing Genre behauptet werden; es wird die Entstehung eines Musicals inszeniert, welches folglich als eine Hervorbringungsleistung – als etwas, das gemacht wird – gilt. Allerdings ist diese Äußerung in anderen Kontexten verortet und wird gerade im Rekurs auf Mediendiskurse anders motiviert. Während sich auch für HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR ein Doing Genre als handlungstragende Konstellation begreifen lässt, so bedeutet dies im Einzelnen etwa das Lernen von Texte – »to run lines for the musical«181 –, bestimmte Positionen sind zu besetzen, beispielsweise Choreografie sowie Komposition,182 und:
177 Vgl. ebd., TC 1:26:26. 178 Ebd., TC 1:42:57. 179 Jegliche Auswahl – und eben auch diese – ist geprägt. Dass aber sowohl in SINGIN’ IN THE
RAIN als auch in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR die Konstellation eines
›Musicals im Musical‹ dominiert, begründet sich teils im Zufall; gerade aufgrund der abstrahierenden Kriterien sind solche Lektüren nicht von vorne herein abzusehen. 180 Durch den ähnlichen Fokus in der Analyse kann im Übrigen sogar plausibilisiert werden, dass ein audiovisueller Musicaldiskurs anzunehmen ist. Es entsteht eine gewisse Regelmäßigkeit, indem trotz des Abstands von mehr als 50 Jahren doch in beiden Filmen eine innerdiegetische Inszenierung des Musicals beobachtet werden kann. Außerdem zeigt sich eine vergleichbare Genrekonstitution, sodass die Rede von einem Deutungsmuster – bei aller Skepsis – doch zumindest hierin berechtigt erscheint. 181 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:15:05. 182 Vgl. ebd., TC 0:19:30.
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»There are sets to paint.«183 All dies kann unter dem Nenner eines musicalhervorbringenden Handelns summiert werden und bedingt hierin Spezifika des Genres – das Musical ist Ergebnis von Handlungen, die etwa im Lernen von Texten bestehen und darin die Konstruiertheit der Kategorie offenbaren. Dies weist sicherlich Parallelen zu SINGIN’ IN THE RAIN auf, allerdings zeigt sich schon in dieser knappen Skizze eine wichtige Verschiebung, denn die musicalhervorbringenden Handlungen sind ›auf der Bühne‹ verortet. Insofern mögen sich Konventionen gestalten, die medienspezifisch anmuten, etwa wird »to run lines« sogar explizit als »a theater term«184 ausgewiesen. Doch nicht nur, dass bereits in jener Bindung an das Theater ein Unterschied in den Äußerungen eines Doing Genre auftritt – grundlegender noch geschieht diese Bindung auch auf andere Weise, denn der Rückgriff auf ein Medium ist hier nicht etwa historisch angezeigt. Vielmehr schließt er sich einer Behauptung an, in welcher die Bühne »a wonderful partner in the process of selfdiscovery«185 ist. Mit dem Rekurs auf das Theater wird in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR eine bestimmte Formation von Wissen um Medien aufgerufen; es lässt sich ein Signifikationsprozess behaupten, in welchem Diskurse um Medien gerade in der Äußerung eines Doing Genre spezifisch geformt werden: Das Theater bzw. die im Film nahezu synonyme Bühne wird als prädestinierter Ort der Herstellung eines Musicals begriffen – hierin dient das Medium jedoch einer Funktion, die sich angesichts der filmischen Repräsentationsprozesse als Figurenkonstruktion bündeln lässt.186 »[T]he process of self-discovery«, die Gestaltung identitärer Positionierungen, wird derart zum Ansatzpunkt, über den sich die Relevanz des Theaters erst plausibilisiert. Und dies lässt sich weiter zuspitzen, denn jene zunächst medienspezifisch anmutende Perspektive erfährt auch in der Erweiterung über einen Medienverbund eine Übertragung auf Figuren und löst sich darin sogar ein Stück weit auf. So werden in einer Szene unter der chiasmischen Wendung »bigger is better and better is bigger«187 eine ganze Reihe medialer Konstellationen genannt: »the best reviews«, »Carnegie Hall«, »red carpet«, »standing ovations«, »photographs«, »Times Square«, »sequels«, »Oscar«, »Radio City Music Hall«, »Broadway«,
183 Ebd., TC 1:08:50. 184 Ebd., TC 0:15:09. 185 Ebd., TC 1:15:49. 186 Hierbei soll vor allem die Betonung von Figuren als ebendiese entscheidend sein, denn obgleich entlang der Frage nach Identitätskonzepten noch verschiedene Aspekte in diesem Kapitel eine Rolle spielen werden, so bleiben es doch stets filmisch inszenierte Größen; es geht nicht um psychologisierende Lektüreansätze und ebenso wenig um die Voraussetzung eines Charakters von Figuren. 187 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:23:47.
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»Madison Square Garden«, »Oprah«.188 Das Theater gelangt hierbei in eine durchaus exponierte Stellung, allem voran durch den »Broadway«, der auch visuell die Szene dominiert.189 Doch anstelle einer Bedingtheit des Doing Genre im Theater tritt in den medienübergreifenden Verweisen ihre Funktion hervor: All diese Referenzen zeigen den Erfolg von ›Musicalmachenden‹ an und generieren genau dadurch erst ihre Verbindung. »[S]equels«, »Oprah« und »Broadway« sind deshalb in einen Verbund zu integrieren, weil sie Indikatoren eines »superstars«190 darstellen. Insofern bildet jedoch die Bindung an Figuren, in diesem Fall an ihren Erfolg, den eigentlichen Rahmen, innerhalb dessen es zum Rekurs auf Medien kommt. Doch welche Konsequenzen hat dies für die Äußerung eines Doing Genre? Zunächst zeigt sich ein Unterschied zu SINGIN’ IN THE RAIN, denn während sich hier in der Bindung des Musicals an den Tonfilm Diskurse um Medien materialisieren und diese sogar enunziativ in der Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem hervorgestellt werden, so ist dies bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR nicht der Fall. Jedoch kann auch für den letztgenannten Film die Äußerung eines Doing Genre in der Verknüpfung zu Mediendiskursen als Aussage beobachtet werden, denn es findet eine Betonung ihrer Wirkmacht statt – und zwar in der Konstruktion von Figuren selbst. Von daher entsteht trotz vermeintlich identischer Äußerung191 eine andere Aussage; obgleich auch HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR ›sagt‹, dass das Musical etwas ist, das gemacht wird, so referiert dies auf andere Konstellationen diskursiver Sinngebung, womit der Film letztlich Anderes ›aussagt‹. Dazu gilt es jedoch vorab zu betrachten, wie sich jener bislang nur anhand des Theaters skizzierte Fokus um Figuren in der Behauptung eines Doing Genre gestaltet. Mit einem genaueren Blick auf die Konstruktion narrativen Geschehens zeigt sich, dass das ›Musical im Musical‹ Brüche aufweist und von einer gewissen Indifferenz geprägt ist.192 Dies wird schon an seinem Titel deutlich, denn in der wo-
188 Alle Zitate ebd., TC 0:24:13-0:26:03. 189 So findet in diesem Ausschnitt anhand der Referenzbildung zum Broadway eine Überblendung zwischen einer Mensa-Szenerie und einer Bühnen-Szenerie statt, wobei sogar das Mensa-Menü – »New York Deli Platter« samt »Big Apple Parfait« – eine Verbindung zum New Yorker Broadway entstehen lässt. Ebd., TC 0:22:28. 190 Ebd., TC 0:23:44. 191 Da es sich um Äußerungen, singuläre Ereignisse in diskurstheoretischer Hinsicht, handelt, sind schon von vorne herein Unterschiede zu skizzieren, womit sich auch die relativierende Haltung gegenüber ihrem Vergleich erklärt. 192 In Ermangelung einer treffenderen Beschreibung wird vornehmlich von Indifferenz gesprochen. Dies sollte allerdings nicht als Wertung missverstanden werden, sondern steht in Abgrenzung zu der gerade in der Forschung zum Backstage-Musical, etwa von Dyer,
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möglich enunziativen Dopplung von Senior Year und SENIOR YEAR193 wird eine Spur ersichtlich, die anhand der Figuren des Abschlussjahrgangs keinen Unterschied zwischen der Inszenierung des Films (SENIOR YEAR) und des Inszenierens im Film (Senior Year) markiert. Und dies trifft auch auf seine thematische Bestimmung zu. So handelt es sich bei Senior Year um »[a] show about your final days at East High«.194 Zwar mag in der Benennung als »show« noch eine Unterscheidung zwischen dem Musical (SENIOR YEAR) und dem ›Musical im Musical‹ (Senior Year) zu skizzieren sein, dieser Bestimmung folgt jedoch ein weiterer Kommentar, in welchem jene Differenz zurückgewiesen wird: »Playing a role is easy, but being yourself, now that’s a challenge.«195 Hier wird auf der einen Seite mit »being yourself« ein Übergang zwischen den Figuren bzw. zwischen ihren verschiedenen innerdiegetischen Performanzen kreiert – diejenigen, die zur Herstellung des Musicals beitragen, sind zugleich auch diejenigen, um die es im Musical geht. Auf der anderen Seite gilt aber genau dies als eine Herausforderung im Doing Genre, als »a challenge« in der Hervorbringung des Musicals. Dadurch eröffnet sich ein Rahmen, in welchem die Relevanz von Figuren – und zwar gerade mit Blick auf ihre identitäre Positionierung (»being yourself«) – hervortritt, in welchem jedoch zugleich auch das Doing Genre eine Bindung an Figuren erfährt. Und dies lässt sich geradezu programmatisch lesen. Während im Rekurs auf das Theater, in der Titelkonstruktion und in der thematischen Bestimmung des innerdiegetischen Musicals bereits eine Verbindung des Doing Genre mit der Figurenkonstruktion hervortritt, so zeigt sich dies auch in einer retrospektiven Betrachtung, die der Film (!) diesem narrativen Geschehen um die Herstellung eines Musicals nach dessen innerdiegetischer Aufführung unterzieht. Dabei fällt jedoch nicht nur ein Stück weit die ›Gemachtheit‹ von Senior Year weg,196 vielmehr trifft dies auf die ›Gemachtheit‹ der Figuren von HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR – und zwar gleich doppelt. So heißt es: »Let’s
formulierten Annahme, dass hier »narrative and number clearly separated« sind. Im Weiteren gilt es, dies jedoch anhand des Films aufzuzeigen, sodass außerhalb der terminologischen Bestimmung nicht vom korpusimmanenten Vorgehen abgewichen wird. Dyer: Entertainment and Utopia, S. 185. 193 Inwiefern es sich hierbei um eine Enunziation im Sinne Metz’ handelt, ist schon durch die mediendifferente Formation im Rekurs auf das Musical zu hinterfragen. 194 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:19:16. Im Grunde wird auch im Verweis auf East High eine Zurückweisung der Unterscheidung zwischen dem innerdiegetischen Musical und der Konstruktion narrativen Geschehens um seine Herstellung deutlich – fallen damit doch die Handlungsorte zusammen. 195 Ebd., TC 0:19:25. 196 Ebd., TC 1:43:02: »Improvisation without a script, no one’s written it.«
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celebrate where we come from«.197 Dies liest sich in der Bezugnahme zum innerdiegetischen Musical und zum Abschluss der High School im Sinne einer biografischen Haltung der Figuren. Dies liest sich aber auch in der Bezugnahme zu HIGH SCHOOL MUSICAL198 und HIGH SCHOOL MUSICAL 2,199 den ersten beiden (Fernseh-) Filmen der Reihe,200 wodurch die Figuren dann im intertextuellen Verweis ebenfalls eine biografische Aufladung erfahren. »[W]here we come from« kann also mit gleich zwei Referenzen ausgestattet werden, die im generischen Status eines HighSchool-Musicals womöglich kulminieren, denn auch der folgende Kommentar – »I want the rest of my life to feel just like a High School Musical«201 – ist mehrbödig: Die durch den unbestimmten Artikel als (Sub-)Genre anklingende Beschreibung liest sich als Rückblick auf die Inszenierung des innerdiegetischen Musicals in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR und als Rückblick auf die Vorbereitungen zur Inszenierung des »winter musical«202 in HIGH SCHOOL MUSICAL,203 mitunter aber auch als Rückblick auf die ›gesamte‹ HIGH SCHOOL MUSICAL-Reihe und möglicherweise sogar als Ausblick auf ihre weitere Fortsetzung.204 Der inner- und intertextuelle Verweis hebt demnach also ebenfalls die Konstruktion von Figuren hervor und bindet sie zugleich an das Genre des (High-School-)Musicals, wobei dies hier vornehmlich entlang einer Genealogie der Filme bzw. (und damit verbunden) einer Biografie der Figuren geschieht.
197 Ebd., TC 1:42:49. 198 HIGH SCHOOL MUSICAL, USA 2006, R: Kenny Ortega, Erstausstrahlung USA 20.01. 2006. 199 HIGH SCHOOL MUSICAL 2 (dt. auch HIGH SCHOOL MUSICAL 2: SINGT ALLE ODER KEINER!),
USA 2007, R: Kenny Ortega, Erstausstrahlung USA 17.08.2007.
200 Während HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR als Kinofilm vermarktet wurde, so sind die ersten beiden Teile als sogenannte Disney Channel Original Movies entstanden. Daneben existieren jedoch noch eine ganze Reihe weiterer distributioneller Erscheinungen, etwa eine Konzert-Tour zum ersten Film, diverse Bühnenadaptionen sowie Remakes, beispielsweise auch in der Volksrepublik China unter dem Titel GE WU QING CHUN/HIGH
SCHOOL MUSICAL CHINA (auch HIGH SCHOOL MUSICAL CHINA:
COLLEGE DREAMS, CN 2010, R: Shi-Zheng Chen). 201 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 1:45:25. 202 HIGH SCHOOL MUSICAL, TC 0:09:03. 203 Im zweiten Film der Reihe ist es hingegen eine »talent show«, die sich daher wohl nicht in die generische Bezeichnung eines High-School-Musicals integriert. HIGH SCHOOL MUSICAL 2, TC 0:11:15. 204 Letzteres betrifft – bei allen Problemen einer solchen Lesart – den Fernsehfilm SHARPAY’S FABULOUS ADVENTURE
(dt. SHARPAY’S FABELHAFTE WELT), USA 2011, R: Mi-
chael Lembeck, Erstausstrahlung USA 22.05.2011.
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Die Konstruktion von Figuren besitzt, wie es die bisherigen Ausführungen verdeutlichen sollen, in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR einen enormen Stellenwert und rekurriert in vielfältiger Weise auf das Musical sowie dessen Herstellung. Es bietet sich gar eine Lektüre als Coming-of-Age-Story an – der in den jeweiligen Titeln pointierte Anschlussjahrgang findet sich mit Fragen der Zukunftsgestaltung konfrontiert und sucht Antworten. Welche Hochschule bietet welche Studienmöglichkeiten? Können die Figuren Troy Bolton und Gabriella Montez ihre Beziehung über die High School hinaus aufrechterhalten? Und wer erhält schließlich das umkämpfte Juilliard-Stipendium? Genau diese Fragen stehen aber in Verbindung zum Doing Genre, sodass sich selbst mit einem anderen Lektüreansatz eine Dopplung ergibt, die ihrerseits für die innerdiegetische Attribution einer Genrezugehörigkeit bestimmend sein mag: Ähnlich zum Titel des Films wird das, was zur Herstellung eines (High-School-)Musicals dient, etwa die Herausforderung »being yourself«, auf dasjenige, was HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR als (HighSchool-)Musical markieren könnte, übertragbar, etwa wenn im Verlauf des Films Wege »[to] define ourselves«205 in den Fokus treten.206 Wichtiger aber als eine solche Zusammenfügung medialer Performanzen ist, dass sich in der Betonung von Figuren die Äußerung eines Doing Genre präzisiert. So treten eine ganze Reihe unterschiedlichster Bezugnahmen auf, die die Thematisierung des Genres stets mit Figuren verknüpfen: Von der medialen Bindung im Theater durch seine Relevanz für den »process of self-discovery« und seine Integration in einen Medienverbund, entlang dessen sich der Erfolg von ›Musicalmachenden‹ abzeichnet, über »being yourself« als Herausforderung im Doing Genre und die damit einhergehende Indifferenz der Figuren, die letztlich keine Unterscheidung zwischen dem Musical (SENIOR YEAR) und dem ›Musical im Musical‹ (Senior Year) zulässt, bis hin zur biografischen Aufladung im inner- und intertextuellen Verweis werden Figuren als Ermöglichungsbedingung eines Doing Genre ausgewiesen – sie werden zum Grund und zur Grundlage, um ein Musical zu machen. Dadurch mag sich aber nicht nur erklären, dass bestimmte Aspekte des Doing Genre in ihrer Bindung an Figuren verengt werden – beispielsweise erhält Choreografie als »Mister Choreographer«207 eine derartige Interpretation. Vielmehr geht die Äußerung eines Doing Genre hierin zugleich auch in eine Aussage über.
205 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 1:40:38. 206 Es ließe sich also eine Attribution als Musical dadurch begründen, dass HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR einerseits das Genre über Herausforderungen in der Konstruktion identitärer Positionen bestimmt, andererseits genau dies aber auch ›erfüllt‹, indem derartige Herausforderungen als ebensolche, etwa im Rahmen einer Coming-ofAge-Story, inszeniert werden. 207 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:50:34.
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In der Hervorhebung von Figuren wird nicht nur das Musical spezifiziert, außerdem wird auch das, was eine Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem erzeugt (Diskurse um Medien), pointiert – und zwar in einer seiner Konsequenzen, in Figuren selbst. So führt die Verknüpfung auditiver und visueller Elemente doch erst zur Annahme einer Figur; erst wenn beide als verbunden gelten, kann die Fiktion einer handelnden Person vollends entfaltet werden und schließlich sogar lektüreprägend sein, etwa in die Annahme einer Coming-of-Age-Story verleiten.208 Dies klingt wenig präzise, fast banal – insofern aber die in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR entstehende Genrekonstitution in vielfältiger Weise und äußerst umfassend auf Figuren rekurriert, ist jene Betonung nicht zu unterschätzen. Und mehr noch: Hier wird nicht nur dieser Effekt medialer Konstellationen hervorgehoben, gleichzeitig erfährt er auch eine spezifische Signifikation – eine Konsequenz dessen, was sich in der Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem generiert, wird hervorgestellt. Zwar mag dies kaum enunziativ wirken, spätestens aber in der Indifferenz der Figuren des innerdiegetischen (High-School-)Musicals Senior Year und des Films HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR zeigt sich die Virulenz einer solchen Formung, die Konsequenz, mit der hier eine bestimmte Folge von Mediendiskursen Betonung erfährt.209 Angesichts der in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR prozessierten Bindung des Doing Genre an Figuren und in Anbetracht der sich hierin materialisierenden Diskurse um Medien, welche in der Wirkmacht einer Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem pointiert werden, kann ein Muster diskursiver Sinngebung behauptet werden. Zwar ist auch dieses in seinem Ausmaß aufgrund der Untersuchung durch nur einen Film eingeschränkt, durch das weitläufige Aufgreifen eines bestimmten Effekts, der audiovisuellen Medien zugedacht wird, entsteht jedoch eine Deutung, die das Musical konstituiert: Das Musical wird ›von jemandem‹ gemacht – von Figuren, die innerhalb und aufgrund der Verbindung zwischen Auditivem und Visuellem zur Ermöglichungsbedingung avancieren.
208 Durch diesen – wohlgemerkt nur in Audiovisionen geltenden – Effekt könnte im Übrigen auch ein anderer Ansatz für die Lektüre von SINGIN’ IN THE RAIN entfaltet werden; wie es das Beispiel der Synchronisation zeigt, wird hier der Eindruck einer Figur gebrochen, mitunter zurückgewiesen. 209 Auch hier werden also Diskurse um Medien spezifisch geformt, sodass sie sich als Diskurse in Medien beobachten lassen. Dies rekurriert aber auf einen Effekt, der als solcher in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR nicht medienspezifisch ist. Es geht nicht etwa um die Multimodalität des Mediums Film, wie bei SINGIN’ IN THE RAIN, sondern grundlegender noch um ein bestimmtes Ergebnis der Verbindung von Auditivem und Visuellem, das sich dann etwa auch im Theater oder in einem Medienverbund verorten lässt.
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Mit dieser in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR auftretenden Konstitution eröffnet sich ein Ansatz, der einerseits Essentialisierungen Vorschub leistet, andererseits genau diese aber auch zurückweist. Dazu soll argumentativ zunächst ein Schritt zurückgegangen werden, denn während angesichts der filmischen Repräsentationsprozesse, angesichts ihrer hervorbringenden Leistung, in den bisherigen Ausführungen jene musicalbestimmende Basis unter dem Nenner der Figurenkonstruktion gebündelt wurde, so ist dies in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR differenzierter:210 Wie es sich schon anhand der zuvor erwähnten Lektüre als Comingof-Age-Story abzeichnen mag, bildet die Frage nach der Gestaltung identitärer Positionierungen den eigentlichen Aufhänger der innerdiegetisch vorgebrachten Genrebestimmung. Auch im Unterschied zu den vorherigen Fernsehfilmen, in denen laut Kessler »conflicts between the jocks and the brains and the rich and the poor«211 dominieren, wird das Genre bzw. genauer: das Doing Genre an diesen Prozess der Identitätsfindung gebunden – es geht, wie es die bislang genannten Beispiele zeigen, um »being yourself«, »define ourselves« und den »process of selfdiscovery«. Und genau darin eröffnet sich eine Perspektivierung von Identität,212 welche gerade im Rückgriff auf das Musical zwischen ihrer Hervorbringung und ihrem Gegeben-Sein oszilliert, wobei dies schon einer knappen Skizze hervortritt. Während sich »being yourself« durch »[p]laying a role« konterkariert und hiermit in ein authentifizierendes Verständnis eingestellt wird, so erfährt dies durch die Verortung im innerdiegetischen Musical doch zugleich auch eine andere, artifizielle Aufladung und wird gar zur »challenge« erklärt. »[D]efine ourselves« markiert sich zwar als eine Notwendigkeit, die intentional gebunden ist – »define ourselves as we choose«213 –, zugleich bringt dies aber eine weitere Notwendigkeit mit sich: »[T]o break the status quo«.214 Diese gründet jedoch nicht mehr in einer Intentionalität, im »we«, sondern wird nun anhand einer Relektüre von HIGH SCHOOL MUSICAL215
210 Dieser argumentative Zwischenschritt mag umständlich erscheinen, er wird im Folgenden jedoch für die Verknüpfung von Genre und Gender wichtig sein – jene ist bereits im Changieren um Identitätskonzepte angezeigt, tritt aber auch grundlegender, in der Figurenkonstruktion selbst, hervor. 211 Kessler: Destabilizing the Hollywood Musical, S. 193. 212 Die Betonung als Perspektivierung ist notwendig, denn im Fokus steht die Frage, wie Identität in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR überhaupt verstanden wird. Es geht weiterhin nicht um einen psychologisierenden Lektüreansatz oder um die Behauptung eines Charakters von Figuren. 213 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 1:40:38. 214 Ebd., TC 1:40:34. 215 Schon beiläufig geäußerte Kommentare, wie »[w]here a jock can cook up a mean crème brûlée. […] And the brainiac can break down on the dance floor«, alludieren dabei
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durch andere Figuren motiviert – »East High is a place where teachers [!] encouraged us to break the status quo.«216 Und selbst der »process of self-discovery« erfährt mit der Bindung an das Theater und dessen (gleichwohl nicht medienspezifischer) Assoziation zum Musical eine Aufladung, in der Identität hervorgebracht wird, obgleich er als »discovery« doch das eigentliche Ziel voraussetzt und lediglich in ein optionales Verhältnis eingestellt wird – »[t]he stage can [!] be a wonderful partner in the process of self-discovery«.217 Diese nur grob erläuterten Beispiele sollen veranschaulichen, dass mit Blick auf Identität ein Changieren zwischen ihrer Hervorbringung und ihrer Voraussetzung beobachtet werden kann. Sowohl in der Thematisierung des Doing Genre entlang einer Herausforderung als auch in der Relektüre von HIGH SCHOOL MUSICAL und sogar im Verweis auf das Theater werden widerstreitende Konzepte eröffnet, die allesamt auf unterschiedliche Weise mit dem Musical verbunden sind. Doch hier tritt noch ein weiterer Aspekt hinzu, denn das Genre erfährt, wie zuvor skizziert, auch anhand der Zurückweisung einer klaren Trennung zwischen den zu inszenierenden und den inszenierten Figuren Thematisierung. Dies intensiviert die bestehende Ambivalenz des im Film prozessierten Identitätsverständnisses, denn selbst die Figuren in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR sind ›identisch‹ mit denen im (HighSchool-)Musical Senior Year. Die changierende Perspektivierung von Identität findet also auch in der Indifferenz der Figuren ein Pendent. Und dies ist von besonderem Interesse, denn in jenem Changieren eröffnen sich Verknüpfungen zu Gender. Dahingehend kann eine Szene als besonders augenscheinlich gelten.218 Bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt wird in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR die Absicht geäußert, innerhalb des zu inszenierenden »spring musical« den kommenden Abschlussball als eine Szene aufzuführen: »I think we should stage the perfect prom«.219 Dies findet jedoch nicht nur im Rahmen der Vorbereitungen für Senior Year auf der Bühne Ausgestaltung, sondern erfährt später als Imagination eines Abschlussballs erneut Inszenierung220 – und zwar mit wichtigen
wichtige Szenen aus dem ersten Teil der Reihe. Ebd., TC 1:40:42; vgl. auch HIGH SCHOOL MUSICAL, TC 0:37:31-0:41:44. 216 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 1:40:32. 217 Ebd., TC 1:15:49. 218 Vgl. ebd., TC 0:39:51-0:43:37. 219 Ebd., TC 0:22:03. 220 Zur Erläuterung: Nachdem Gabriella Montez East High aufgrund ihres Studiums vorzeitig verlassen hat, kehrt sie entgegen der Planung nicht zu ihrem Abschlussball zurück – dieser wird aber mit dem unerwarteten Besuch von Troy Bolton imaginiert und darin mit der vorherigen Probe assoziiert. Der ›tatsächliche‹ Abschlussball findet indes keine Inszenierung. Vgl. zum imaginierten Abschlussball ebd., TC 1:22:22-1:22:48.
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Bezügen zur vorherigen Szene, die gerade visuell, etwa anhand identischer Kostüme, eine Trennung zwischen der Probe für das Musical und der späteren Imagination des Abschlussballs unterlaufen. Zwar mögen ähnliche Strategien in der Motivation bestehen, sodass sich Probe und Imagination gleichermaßen als eine ›Fiktion in der Fiktion‹ begreifen lassen, es findet aber ein Bruch statt, denn auch hier ist eine Indifferenz der Figuren hervorzuheben: Diejenigen, die den »perfect prom« für Senior Year proben, sind zugleich diejenigen, die später den »perfect prom« imaginieren oder sogar als Teil der Imagination auftreten. Dadurch wird jedoch nicht nur Raum zur Thematisierung des Doing Genre geschaffen – in der genannten Szene dominiert stattdessen die Verhandlung von Gender. Vergleichbar zur ›Beautiful-Girl‹-Szene aus SINGIN’ IN THE RAIN kann auch in der ›Prom‹-Szene bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR eine Lektüre angeregt werden, in der der Film ein Doing Gender nicht nur offensichtlich werden lässt, nämlich filmisch inszeniert, sondern auch als eine Behauptung innerdiegetisch formuliert. Letzteres fokussiert sich erneut über eine vestimentäre Kennzeichnung, welche bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR zur Grundlage geschlechtlicher Einteilungen gerät: »The most beautiful girl«221 aus diesem (!) Film zeichnet sich in der genannten Szene dadurch aus, dass es sich spezifisch kleidet – »[d]ressin’ to impress the boys«.222 Auch hier kann durch Kleidung also eine genderbezogene Bestimmung erfolgen; es wird ein Doing Gender impliziert, welches die Performativität von Geschlecht als Hervorbringungsleistung in seiner filmischen Konstruktion zeigt, welches aber auch eine ihrer Bedingungen preisgibt, die in diesem Fall wiederum in der vestimentären Markierung besteht. Die Konstruiertheit von Gender wird demnach ebenso ›vorgeführt‹ wie ›aufgeführt‹ – im Unterschied zu SINGIN’ IN THE RAIN ist dies jedoch sehr explizit in eine wechselseitige Bedingtheit genderdichotomer Kennzeichnungen eingestellt: Wie es sich auch anhand der parallelisierenden Inszenierung in dieser Szene verdeutlicht,223 kann behauptet werden, dass »girl« durch »boy« und »boy« durch »girl« hervorgebracht wird. Die Voraussetzung in der vestimentären Konstruktion einer Genderzuordnung gründet also zugleich in der Wechselseitigkeit einer Genderdichotomie. Und dies greift ein changierendes Verständnis von Identität auf, etwa indem zuvor ebenfalls auf Vestimentäres verwiesen wird: »However, at East High, we will discover ourselves whilst clothed.«224 In diesem Kommentar der Lehrkraft Miss Darbus ließe
221 Ebd., TC 0:41:40. 222 Ebd., TC 0:40:16. 223 Visuell dominiert eine gegenüberstellende Szenerie, aber auch auditiv lässt sich dies aufzeigen, etwa in Äußerungen wie »Who’s that girl? […] Who’s that guy?«. Ebd., TC 0:42:12. 224 Ebd., TC 0:34:51.
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sich – überspitzt formuliert – der Vorrang von Oberflächeneffekten vor einem ›identitären Kern‹ behaupten, denn Kleidung bildet erneut die entscheidende Grundlage. Insofern wird eine Abkehr von essentialisierenden Ansätzen inszeniert; auf die Gefahr hin, in einer voluntaristischen Konzeption zu münden,225 wird in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR eine Spur eröffnet, in der Gender und auch Identität nicht per se gegeben sind. Demgegenüber – und dies zeigt sich ebenfalls in diesem knappen Ausschnitt – wird das Doing Gender jedoch äußerst explizit mit einer Begehrensstruktur verbunden. Und auch dies greift auf ein changierendes Verständnis von Identität zurück: »Dressin’ to impress the boys« liest sich nicht nur durch »[t]he most beautiful girl« als eine Äußerung, die auf die Performativität von Gender zielt – dies liest sich auch als eine Verbindung von Gender und Sexualität bzw. Begehren, die einander bedingend in der Unterscheidung ›Mann oder Frau‹ bzw. ›girl oder boy‹ kulminieren. Der Hervorbringungsstruktur geschlechtlicher Einteilungen wird damit eine Tendenz gegenübergestellt, die in einem heterosexualisierenden Konstrukt mündet, denn die wechselseitige Bedingtheit der Genderdichotomie bzw. die ihrer Zuordnungen erfährt genau hierin ihre Begründung.226 Und ebendies kann als eine Bindung an Identitätskonzepte gelten, denn eine derartige Verknüpfung mag, wie es etwa auch Engel abgrenzend darstellt, auf der Annahme wurzeln, dass Gender und Sexualität in einem ›inneren Wesen‹ gründen.227 Zwar ist dies in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR ein Stück weit offen, dem Abschlussball selbst haftet aber zumindest eine biografische – und damit vor allem identitätsrelevante – Aufladung an; er wird schließlich sogar als »[t]he night of nights«228 stilisiert. Bis hierhin lässt sich festhalten, dass in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR nicht nur ein Doing Genre thematisiert wird, sondern auch ein Doing Gender. Und auch dieses ist an Identitätskonzepte gebunden, wobei sich auch hier ein changierendes Wechselspiel zwischen essentialisierenden Ansätzen und ihrer Zurückweisung gestaltet. Doch inwiefern lässt sich darin eine konstitutive Verknüpfung von
225 Während etwa »define ourselves as we choose« noch intentional gebunden sein mag, so heißt es demgegenüber doch zur ›passenden‹ Kleidung beim Abschlussball: »I don’t think we have the choice«. Auch hier ist also ein Changieren nachzuzeichnen, das sich in diesem Fall entlang einer vestimentären Markierung auf Identitätskonzepte und auf die Frage ihrer voluntaristischen Konstitution beziehen lässt. Ebd., TC 0:40:10. 226 Später wird dies erneut deutlich; mit dem Song The Boys Are Back wird Gender im Vollzug von Handlungen, etwa als »climbing up the walls«, markiert, aber auch als »fight the battle, save the girl« in eine genderdichotome Ordnung sexuellen Begehrens implementiert. Ebd., TC 0:54:24 und TC 0:54:33. 227 Vgl. nochmals Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 9. 228 HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 0:42:27.
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Genre und Gender behaupten, die ambivalent verfährt? Dazu muss zunächst betont werden, dass sich in der genannten ›Prom‹-Szene keine Kommentierung des Musicals findet. Außerdem stößt auch ein Verständnis, in welchem die Szene als Teil des Doing Genre verortet wird, an Grenzen, denn obgleich sie zuvor in diese Absicht gestellt wird (»I think we should stage the perfect prom«), so ist dies doch genau genommen nicht mit dem Musical, sondern mit der Bühne (»stage«) assoziiert. Und dies ist umso wichtiger, da man, wenn jene Szene als Teil des innerdiegetischen Musicals begriffen wird, in eine vordefinierende Zugriffsweise gerät: Entlang auditiver und/oder visueller Elemente ließen sich zwar sicherlich Konventionen des Genres nachzeichnen, diese gründen aber nicht auf dem, was laut HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR das Musical auszeichnet – Figuren. Findet also womöglich keine interkategoriale Verbindung statt? Nein, denn in der ›Prom‹-Szene zeigen sich beachtliche Gemeinsamkeiten zur Thematisierung des Genres – und dies auf mehreren Ebenen: Zunächst ist Gender, ebenso wie das Musical, Teil einer changierenden Perspektive auf Identität; geschlechtliche Einteilungen werden hervorgebracht, womit sich der Vorrang von Oberflächeneffekten vor einem ›identitären Kern‹ behauptet, zugleich sind sie aber auch an ein heterosexualisierendes Konstrukt gebunden, das ein gegenteiliges Verständnis evoziert. In dieser Hinsicht mag sich sogar eine erste Ambivalenz auftun, denn innerhalb der Fokussierung dessen, was in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR unter Identität verstanden wird, zeichnet sich ab, dass sowohl Genre als auch Gender mehrdeutig erfasst werden. Jedoch ist diese Lesart nur begrenzt aufschlussreich, denn sie gelangt in gleich zwei Probleme: Sie mag in Anbetracht der weitläufigen Aushandlung von Identität wenig spezifisch für die Kategorien sein und sie tendiert dazu, die analytische Gewichtung in der Verbindung von Auditivem und Visuellem entlang von Diskursen in und um Medien zu ignorieren. Zwar mag sie sich aus dem narrativen Geschehen heraus plausibilisieren und als Lektüre einem Ausschnitt verpflichtet sein – im alleinigen Fokus auf die Verhandlung von Identität entstehen aber nicht unerhebliche methodische Fallstricke.229 Allerdings sind auch abseits dessen Ähnlichkeiten aufzuzeigen, die etwa in der Parallelität von Doing Genre/Doing Gender oder im Rekurs auf die Bühne als Ort einer Hervorbringung bestehen. Und sogar die skizzierte Indifferenz der Figuren mag sich in der doppelten Inszenierung, als Probe und als Imagination, wiederfinden. Insofern ist es also nicht ›bloß‹ das in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR prozessierte Identitätsverständnis, das eine Verbindung von Genre und Gender erzeugt – auch grundlegender noch zeigt sich ihre Nähe: Beide Kategorien werden als Konstruktionsleistungen ausgewiesen, obgleich dies keine Abkehr von statischen
229 Womöglich besteht sogar die Gefahr, trotz gegenteiliger Absicht in äußerst prekäre Psychologisierungen zurückzufallen.
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Entwürfen bedeutet. Und beide Kategorien sind genau darin an die Hervorbringung von Figuren gebunden, denn die vielfältigen Gemeinsamkeiten zwischen Genre und Gender zeigen sich ja gerade in den Bereichen, die, wie bislang skizziert, in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR an die Figurenkonstruktion geknüpft sind – von Identitätskonzepten über die Bühne bis hin zur Indifferenz der Figuren.230 Indem also genau diejenigen Aspekte für Gender hervortreten, die auch für das Musical eine Bindung an Figuren gestalten, entsteht eine Kopplung der Kategorien, die sich ihrerseits im Nenner der Figurenkonstruktion bündelt; Gender ist hier nicht Teil des Doing Genre (oder umgekehrt) – vielmehr beruht die interkategoriale Verknüpfung auf einem gemeinsamen Ausgangspunkt bzw. auf einer gemeinsamen Funktion, womit sich zumindest anteilig auch eine wechselseitige Bestimmung impliziert.231 Es ergibt sich aber noch eine weitere Konsequenz: Insofern sich in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR vielfältige Ähnlichkeiten zwischen Genre und Gender beobachten lassen, die ihrerseits auf eine gemeinsame Basis hinauslaufen, findet nicht bloß eine mehr oder minder spezifische Verbindung der Kategorien statt – zugleich ist diese auch spezifisch in die Diskursebene implementiert; sie rekurriert, indem ein bestimmter Effekt medialer Konstellationen pointiert wird, auf die Verbindung von Auditivem und Visuellem, mit der Figuren überhaupt erst hervorgebracht werden können. Während sich die Kopplung von Genre und Gender in SINGIN’ IN THE RAIN also etwa anhand der Figurenrede gestaltet, die mitunter sogar einen enunziativen Blick auf Mediendiskurse gewährt, so ist die interkategoriale Verknüpfung bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR ebenfalls in der Verbindung von Auditivem und Visuellem arrangiert – allerdings geschieht dies entlang der gemeinsamen Verortung der Kategorien, entlang der Betonung der Wirkmacht von Mediendiskursen.232 Dies mag progressiver oder auch konservativer sein, von Interesse ist dies aber vielmehr aufgrund der damit entstehenden Ambivalenz, die
230 Dies geht sogar so weit, dass im Vergleich zu den bislang ausgeführten Verbindungen zwischen dem Musical und der Figurenkonstruktion in der ›Prom‹-Szene lediglich zwei Bereiche außen vor bleiben: die Integration des Theaters in einen Medienverbund, der den Erfolg von ›Musicalmachenden‹ anzeigt, und die biografische Aufladung im intertextuellen (nicht jedoch im innertextuellen) Verweis. 231 Zwar stellt sich dahingehend erneut die Frage, inwieweit dies für Genre und Gender spezifisch ist, es lassen sich aber zumindest vielfältige Gemeinsamkeiten nachzeichnen, die die Kategorien in ihrer Nähe und in ihrer Relevanz für die Figurenkonstruktion exponieren. Von daher erscheint es auch hier die Betonung eines Zusammenhangs zu sein, die zugleich ein definierendes Moment birgt. 232 Dabei ist nochmals zu betonen, dass dies als eine spezifische Signifikation erfasst werden muss; dass Figuren überhaupt hervorgestellt werden, bedeutet schon eine Formung von Mediendiskursen.
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sich bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR weder in der Potenzialität einer interkategorialen Bezugnahme manifestiert noch (allein) im Oszillieren zwischen der Hervorbringung und dem Gegeben-Sein von Identität nachgezeichnet werden kann. Stattdessen tritt sie grundlegender hervor – in der Geltung einer Verbindung von Auditivem und Visuellem, welche entlang der Figurenkonstruktion und insbesondere in ihrer Indifferenz perpetuiert wird. Die Wirkmacht einer Verbindung von Auditivem und Visuellem wird bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR in einem ihrer Effekte gebündelt, dies bedingt aber nicht nur eine Verknüpfung von Genre und Gender. Zugleich wird darin nämlich auch eine Perspektive auf ihre Genese eröffnet, sodass die Figuren als Figuren hervortreten. Dies zeigt sich besonders deutlich – und für Genre wie Gender gleichermaßen – in der Indifferenz, mit der die Figuren des Films auch als die Figuren des innerdiegetischen Musicals ausgewiesen werden. So fallen das (High-School-) Musical Senior Year und HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR in dieser Hinsicht nicht nur in eins, gleichzeitig wird auch deutlich, was Figuren auf beiden Ebenen überhaupt sind – Effekte einer Verbindung von Auditivem und Visuellem: Von der medialen Verortung im Theater über das changierende Identitätsverständnis bis hin zur Parallelität um Doing Genre/Doing Gender lässt sich nicht nur eine Formung der Verbindung von Auditivem und Visuellem unter dem Nenner der Figurenkonstruktion erkennen, sondern auch deren Betonung – sie lassen erkennen, dass es sich um eine Formung, um eine mediale Performanz, handelt.233 Dies bedingt jedoch verschiedene Spannungen, denn wenn die Figuren als Figuren hervortreten, so sind sie wohl kaum mehr als ›Musicalmachende‹ mit einer Biografie zu versehen, ihre mitunter heterosexualisierende Genderkonstellation wird als Phantasma medialer Inszenierung deutlich und eine Lektüre als Coming-of-Age-Story verbietet sich nahezu gänzlich. Und auch für Identitätskonzepte ließe sich weiter zuspitzen: »[D]iscover ourselves whilst clothed« – suche einen ›identitären Kern‹, jedoch »on the surface«,234 als Oberflächeneffekt medialer Performanzen selbst. Von daher inszeniert HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR aber nicht bloß, wie eingangs formuliert, angesichts der filmischen Repräsentationsprozesse eine Figurenkonstruk-
233 Dies mag sogar noch schärfer zu formulieren sein, denn am Ende des Films wird die Abschlussfeier mit einem Bühnenarrangement überblendet, es schließt sich ein Vorhang, vor dem der generische Titel »High School Musical« und die Hauptfiguren stehen, bis schließlich erneut der Vorhang fällt und der Abspann beginnt. Hier wird also wiederum im Rückgriff auf die Bühne eine exponierte Konstruktion der Figuren als Figuren ersichtlich, die zugleich das rezipierte (High-School-)Musical Senior Year mit dem rezipierten HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR in eins fallen lässt. HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, TC 1:46:16. 234 Butler: Gender Trouble, S. 185 [Herv. i.O.].
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tion, vielmehr inszeniert der Film ebendies – er macht in geradezu exzessiver Hervorstellung deutlich, dass es sich bei Figuren um mediale Repräsentationsprozesse handelt, die ihrerseits dann auch Genre und Gender umfassen können.235 Dies sollte nicht missverstanden werden, insofern die Figuren sehr wohl als ›Musicalmachende‹ eine biografische Aufladung erfahren, insofern sehr wohl eine heterosexualisierende Genderkonstellation eröffnet wird und insofern sich sehr wohl Lektüren einer Coming-of-Age-Story anbieten. All dies lässt sich aber nicht konsequent aufrechterhalten, sobald die Figuren als Figuren erkennbar sind. Es ist ein ambivalentes Arrangement, womöglich auch ein Konkurrieren verschiedener Lektürezugriffe, das in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR anhand der Verbindung von Auditivem und Visuellem prozessiert wird. In dieser Hinsicht mag die Verknüpfung von Genre und Gender zwar wenig(er) ambivalent erscheinen, denn ihre Basis ist es bereits – in den vielfältigen Gemeinsamkeiten der Kategorien wird aber zumindest deutlich, dass dieser eine Effekt medialer Anordnungen auch durch sie hervorgehoben wird. Die interkategoriale Verbindung vollzieht sich also gewissermaßen durch eine Ambivalenz, denn es wird ein Effekt medialer Anordnungen ›zwischengeschaltet‹, der als ebensolcher hervortritt und der auf diese Weise konträr zur Konstruktion narrativen Geschehens, zu seiner Lektüre sowie der darin evozierten Konstitution der Kategorien steht. Wie es schon der Titel in seinen Mehrdeutigkeiten eröffnet, lassen sich in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR verschiedene Dimensionen herausarbeiten, die für die interkategoriale Verknüpfung äußerst virulent sind und jene als Teil einer audiovisuellen Sinngebung beobachtbar machen. Dadurch ergeben sich aber auch Konsequenzen, die die Diskursebene selbst betreffen: Während gerade anhand der vergleichenden Bezugnahmen zu SINGIN’ IN THE RAIN gezeigt werden kann, dass die konstitutive Deutung bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR – trotz zunächst scheinbar identischer Äußerung – anders verläuft, so gelangt man doch schließlich in eine ähnliche Formation. Auch hier wird eine Bedingtheit in der Verbindung von Genre und Gender geschaffen – nicht im Tonfilm, sondern in einem gemeinsamen Nenner, in einem Effekt medialer Anordnungen, der Figurenkonstruktion, womit sich zugleich Ambivalenzen auftun. Und ebendiese Bedingtheit gibt Auskunft über die Artikulation einer Kategorienkrise, denn sie besitzt nicht nur durch die Auswahlkriterien Wirkmacht – vielmehr erweist sie sich (zumindest innerhalb der Grenzen der Rekonstruktion) auch als diskursspezifisch.
235 An diesem Punkt holt freilich die Lektüre ihre eigenen Voraussetzungen ein – wenn Figuren als Figuren hervortreten, so ist es nur folgerichtig, sie konsequent als Figuren zu perspektivieren.
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5.5 E INE D EUTUNGSEXPANSION : Z UR ARTIKULATION EINER K ATEGORIENKRISE IM F ELD UM G ENRE , G ENDER UND M EDIEN Betrachtet man den audiovisuellen Musicaldiskurs, wie er hier in der Absicht einer methodischen Sensibilisierung beleuchtet wurde, so zeichnen sich unterschiedliche interkategoriale Verknüpfungen ab – unterschiedlich schon in dem, wie sie Wirkmacht erhalten (Prototypikalität oder Titelkonstruktion), aber auch unterschiedlich in dem, was sie als relevant markieren: Zwar tritt gleichermaßen die Äußerung eines Doing Genre auf, diese wird aber erst entlang verschiedener medialer Konstellationen, im Tonfilm oder in Figuren, als Aussage beobachtbar und folglich auch unterschiedlich mit Gender assoziiert – Gender ist Teil eines musicalhervorbringenden Handelns oder Teil einer für beide Kategorien ausschlaggebenden Figurenkonstruktion. Allerdings zeigt sich in der Art und Weise, wie jene Verknüpfungen gestaltet sind, eine Gemeinsamkeit: Zurückhaltung. So erfährt Gender zwar in beiden Filmen, in SINGIN’ IN THE RAIN und in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, eine Verbindung zum Genre, diese verbleibt aber entweder einer Potenzialität verhaftet oder wird erst in der gemeinsamen Verortung der Kategorien deutlich. Sowohl SINGIN’ IN THE RAIN als auch HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR generieren also Bestimmungen des Musicals, die auf Gender rekurrieren, die Verknüpfung selbst ist jedoch Ambivalenzen unterworfen – und zwar bereits in ihrer konstitutiven Wechselseitigkeit, indem Ermöglichungsbedingungen hinzutreten, welche die interkategoriale Verknüpfung nicht nur formieren, sondern auch unterminieren. Mit Blick auf die von Gerhart behaupteten Dimensionen, der Produktiven und der Kategorialen, kann zunächst gezeigt werden, dass sie auch hier, im audiovisuellen Diskurs, durchaus angelegt sind – obgleich wenig direkt. So entstehen Genrebestimmungen, die eine Konstitution von Gender eröffnen und beide Kategorien schließlich in ihrer Hervorbringung zusammenführen: Genre und Gender sind in einem anteiligen Verhältnis verortet (SINGIN’ IN THE RAIN) oder in funktionaler Hinsicht gleichrangig (HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR), sodass sie sich genau dahingehend als verbunden erweisen und zumindest implizit einander bedingen.236 Außerdem lässt sich eine Konstitution der Kategorien aufzeigen, die sich als Behauptung einer Hervorbringung gestaltet – als Doing Genre und Doing Gender. Dies führt unter Umständen sogar zur innerdiegetischen Begründung der Genre-
236 Diese implizierte Dimension einer wechselseitigen Bestimmung von Genre und Gender ist durchaus ähnlich zu den anderen Diskursebenen, insofern auch Letztgenannte keine umfassende Definition verfolgen. Stattdessen ist es die Hervorhebung der Kategorien, die auch in Ermangelung weiterer Kennzeichnungen zu ihrer wechselseitigen Konstitution führt.
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attribution in dem Sinne, dass das Musical nicht nur eine Bestimmung erfährt, sondern dass just diese Bestimmung in den jeweiligen Filmen ebenso ›erfüllt‹ wird. Und auch für Gender mag sich Ähnliches abzeichnen – immerhin findet eine Dopplung statt, in der ein Doing Gender bereits aufgrund der filmischen Inszenierung hervortritt, in der es aber auch zur innerdiegetischen Behauptung dessen kommt. Insofern lassen sich produktive Dimensionen skizzieren – allerdings tritt genau darin eine Tendenz hinzu, die kategorial wirkt: die spezifische Formung jener Verknüpfungen entlang des Aufgreifens von Mediendiskursen. Sowohl SINGIN’ IN THE RAIN als auch HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR behaupten zwar eine produktive Hervorbringung von Genre wie Gender und verbinden dabei die Kategorien – sie stellen dies jedoch in eine Perspektivierung von Medien ein, die ihrerseits derartige Hervorbringungen erst ermöglichen und zur Bedingung geraten. So wird bei SINGIN’ IN THE RAIN mit den historiografischen Entwürfen zum Tonfilm ein Doing Genre möglich und zugleich sogar notwendig, es wird eine Genealogie des Mediums Film eröffnet – das Musical verbleibt darin aber durch den Tonfilm determiniert und erweist sich insofern auch ›nur‹ potenziell mit Gender assoziiert. Bei HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR ist es demgegenüber ein Effekt medialer Konstellationen, der als solcher in der Figurenkonstruktion hervortritt und der sich etwa auch innerhalb des narrativen Geschehens als ein changierendes Identitätsverständnis gestaltet. Hierbei wird durchaus eine Verknüpfung von Genre und Gender kreiert, diese verbleibt aber entlang jenes Effekts medialer Konstellationen beschränkt bzw. generiert sich darin überhaupt erst. Insofern zeigen sich kategoriale Dimensionen, die bereits die Hervorbringung von Genre und Gender in ihrer Kopplung (!) betreffen.237 Und genau dahingehend zeichnen sich auch Ambivalenzen ab: Zwar wird das Musical mit Gender assoziiert und in ein wechselseitiges Verhältnis gesetzt, mit dem Verweis auf Mediendiskurse entsteht jedoch eine Bedingung, die den konstitutiven Anteil der interkategorialen Verknüpfung in eine Ambivalenz rückt oder ihn durch eine Ambivalenz überhaupt erst impliziert. Mit dem Aufgreifen von Mediendiskursen, welches verschiedenartig – in ihrer Genealogie bzw. ihrer Genese oder in einem ihrer Effekte bzw. in ihrer Wirkmacht – erfolgt, wird eine Begrenzung formiert, die zur Unterminierung des konstitutiven Anteils einer interkategorialen Kopplung führt. Der spezifische Rekurs auf Medien ›hebelt‹ eine alleinige Bestimmung des Musicals über Gender aus und führt ihre wechselseitige Verknüpfung in ein nicht unbedingtes, sondern in ein durch Mediendiskurse bedingtes und darin erst konstitutives Verhältnis. Genau dies lässt
237 Die Betonung der interkategorialen Kopplung ist für diese Behauptung wichtig, denn es ließen sich auch abseits von Genre und Gender konstitutive Momente nachzeichnen, die sich dann jedoch nur auf eine der Kategorien beziehen und hierin mutmaßlich anderen Beschränkungen obliegen.
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sich – trotz der Unterschiede in der Auswahl, trotz der über 50 Jahre Abstand, trotz der verschiedenen Konstruktion narrativen Geschehens und auch trotz der jeweiligen Spezifik in der Behauptung einer Ermöglichungsbedingung – zur Gemeinsamkeit erklären: SINGIN’ IN THE RAIN und HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR dehnen die Kopplung von Genre und Gender aus; sie erhält in mitunter expliziter, teils enunziativer Weise eine Erweiterung, indem Medien nicht nur intergeriert werden, sondern sogar zur Ermöglichungsbedingung avancieren. Sie bestimmen und gestatten, sie bewirken und erlauben eine Verknüpfung von Genre und Gender.238 Dieser Berührungspunkt der Deutungen, die Expansion der interkategorialen Verknüpfung durch Medien, ist entscheidend, denn genau hier kommt es zur Artikulation einer Kategorienkrise, die aufgrund jener Gemeinsamkeit als diskursspezifisch gelten kann.239 Doch inwiefern hängt der Rückgriff auf Medien überhaupt mit einer Krise um Kategorien zusammen? Dazu bieten erneut Schneiders Ausführungen einen ersten Ansatz. Wie es Schneider darstellt, können für Genrezuordnungen Spannungen identifiziert werden – »[e]s entstehen zunehmend Genre-Hybride.«240 Doch dies umfasst nicht nur die Attribution einer Genrezugehörigkeit, sondern auch das Wissen um Genre(s), denn wenn sie als »eine Form von Selbstbeschreibung«241 von Medien begriffen werden, so zeichnen sich »durch die differenten Nutzungsformen in einer immer stärker ausdifferenzierten Mediensituation«242 Veränderungen ab. In dieser Hinsicht erweisen sich Genreeinteilungen als mediengenerierend; sie sind Teil einer Konstitution, Teil des Wissens um Medien. Außerdem lässt sich ihre Krise, die Krise um Genre(s), als Symptom einer Mediendifferenzierung perspektivieren; ihre Funktion als Garant in der Genese von Medien, als »konstitutiver Faktor […], um
238 Dabei ist die Doppelstruktur als Ermöglichung und als Bedingung in ihrer Spezifik hervorzustellen. Obgleich schon in der Identifikation der Diskursebene ein Bezug zu Medien pointiert wird, so gelangt dieser doch innerhalb der formierten Deutungen zu einer bestimmten Gewichtung – er gerät zur Ermöglichungsbedingung, die zugleich den konstitutiven Anteil einer Verknüpfung von Genre und Gender unterminiert. 239 Zugegeben: Während die bislang unterbreiteten Annährungen über das Verhältnis der Deutungen untereinander erfolgen, so mag demgegenüber die Fokussierung einer Gemeinsamkeit allzu sehr reduziert sein. Allerdings ist sie in diesem Fall nicht nur durch die Diskursebene und ihre Identifikation in der Materialisierung von Mediendiskursen angezeigt, sondern auch mit Blick auf Genre und Gender von immenser Relevanz, immerhin findet eine Expansion der interkategorialen Verknüpfung statt, die mitunter, wie es noch zu zeigen gilt, auch eine Erweiterung der Kategorienkrise selbst bewirkt. 240 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 20. 241 Ebd., S. 24. 242 Ebd.
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die Einheit und Identität eines Systems zu sichern und zu stabilisieren«,243 wird Dynamiken sowie Unschärfen ausgesetzt. Und damit wird letztlich auch die von Schneider prominent gesetzte These einer (Re-)Essentialisierung von Genre(s) im Rekurs auf Gender zum Ausdruck einer komplexen »Medienkonstellation, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet und seit Ende des Jahrhunderts weiter ausdifferenziert hat«.244 Die Krise um Kategorien findet demnach also eine (!) Grundlage in Medien bzw. genauer: Sie ist in einer Ausdifferenzierung von Medien angezeigt, wobei darin auch die interkategoriale Verknüpfung zu verorten ist – sie bildet gewissermaßen ein Gegengewicht und führt laut Schneider dazu, Genreeinteilungen gerade aufgrund ihrer mediengenerierenden Relevanz »wieder zu normalisieren«.245 Allerdings kann dies für das Beispiel des Musicals anhand der audiovisuellen Diskursebene genauer erfasst werden, denn das Aufgreifen von Mediendiskursen ist hier sowohl für Genre als auch für Gender entlang einer Ambivalenz zu beschreiben, sodass schließlich die Verknüpfung der Kategorien in ihrem Verhältnis zu Medien nicht allein als ›Lösung‹ auftreten kann. Vielmehr eröffnet auch sie ein spannungsvolles, in sich widerstreitendes Changieren um Medienwissen. Zunächst verdeutlicht sich in den Lektüren von SINGIN’ IN THE RAIN und HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR, dass das Musical als ein Doing Genre mit Medien verbunden ist. Und ebendiese Verbindung zielt auf verschiedene Konstellationen, auf Historiografien zum Tonfilm oder auf figurenerzeugende Prozesse, sodass sie eine spezifische Ausformung erhält; die Bedingtheit des Doing Genre tritt nicht mit Medien per se, sondern mit bestimmten Arrangements von Wissen um Medien zusammen. In dieser Hinsicht ist Schneiders Ansatz überaus treffend – auch das Musical kann innerhalb der audiovisuellen Diskursebene auf eine Selbstbeschreibung von Medien hin beleuchtet werden und leistet entsprechend eine Stabilisierung, die sich ihrerseits mitunter sogar im Status der Filme als Filme und als Musicals gerade entlang enunziativer Figurationen oder innerdiegetisch vorgebrachter Genreattributionen noch intensivieren mag. Jedoch ist diese Tendenz nicht allein gültig, denn das Musical wird innerhalb der Diskursebene (!) auf unterschiedliche Weise in eine mediengenerierende Funktion gerückt. Als Doing Genre ist das Musical in einem komplexen Feld von Diskursen um Medien verortet: Es zielt mal auf eine Genese von Medien, mal auf deren Wirkmacht; das Musical wird in medienspezifischen Arrangements erzeugt, ist aber auch in medienübergreifenden Konstellationen relevant; es verbindet sich mit Konventionen, die durch einzelne Medien bedingt erscheinen oder bloß auf den ers-
243 Ebd. 244 Ebd., S. 23 f. 245 Ebd., S. 22.
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ten Blick in einzelnen Medien gründen. All dies präzisiert die zugedachte Funktion einer Selbstbeschreibung und stützt entsprechend eine Hervorbringung von Medien. Jedoch bewirkt das Musical hierin nicht ausschließlich Kohärenz, denn es werden verschiedene (und teilweise konkurrierende) Arrangements von Wissen um Medien an das Genre geheftet, womit sich zugleich eine Differenzierung in der Erzeugung von Medien entlang des Musicals abzeichnet. Es ließe sich also in Anlehnung an Garber eine Gleichzeitigkeit von Komplexitätssteigerung und Simplifizierung behaupten – das Musical trägt im audiovisuellen Diskurs zur Differenzierung medienkonstitutiven Wissens bei, es verbleibt aber auch in einer Statik, die sich in seiner Bedingtheit durch Medien manifestiert.246 Und ebendies gilt auch für Gender, sogar ein Stück weit abseits der interkategorialen Verknüpfung. Sowohl in SINGIN’ IN THE RAIN als auch in HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR lässt sich die Behauptung eines Doing Gender, einer Hervorbringung geschlechtlicher Einteilungen, nachzeichnen. Diese weist Spuren einer Assoziation mit Mediendiskursen auf, denn im Verweis auf Vestimentäres wird beispielsweise nicht nur deutlich, dass Gender auch innerhalb der jeweiligen Filme konstruiert ist – zugleich wird ebenso deutlich, wodurch Gender innerhalb der jeweiligen Filme überhaupt konstruiert werden kann, durch Visuelles etwa. Insofern dies beide Ausschnitte der Diskursebene und teils sogar identische Formulierungen (»beautiful girl«) umfasst, unterstützt sich die Annahme, dass hier eine äußerst wirkmächtige, mitunter statische Konstruktionsbedingung markiert wird – eine, die nicht Gender per se, sondern vielmehr noch die mediale Hervorbringung von Gender kennzeichnet. Umgekehrt entsteht dabei aber auch eine Differenzierung, denn die Behauptung eines Doing Gender wird mitunter anhand von Medien geschärft – immerhin ist sie doch schon spezifisch in einem Filmset (›Beautiful-Girl‹-Szene aus SINGIN’ IN THE RAIN) oder auf einer Bühne (›Prom‹-Szene aus HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR) verortet. Von daher kann also zumindest implizit auch eine Verbindung zwischen Gender und Mediendiskursen nachgezeichnet werden; eine Signifikation von Medien kann über Gender erfolgen wie auch eine Signifikation von Gender durch Medien angezeigt ist. Und dies eröffnet sich – obgleich sicherlich weniger umfas-
246 Ähnlich verhält es sich auch mit der Konstellation eines ›Musicals im Musical‹: Obgleich diese lediglich eine in der Lektüre hervorgebrachte (und sich darauf beschränkende) Beschreibung narrativen Geschehens darstellt, so ist es doch erstaunlich, dass die mediale Verortung des Genres hierin unterschiedlich erfolgt – mal soll ein Filmmusical, mal ein Theatermusical entstehen. Interessanterweise werden darin ›gängige‹ Einschränkungen anderer Diskursebenen reproduziert, sodass sich dieser Ausschnitt samt seines Changierens um Komplexitätssteigerung und Simplifizierung sogar ein Stück weit als diskursübergreifendes Moment in der Genese von Medienwissen via Genre plausibilisieren könnte.
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send analysiert – ebenfalls in der Gleichzeitigkeit von Komplexitätssteigerung und Simplifizierung, sodass Gender im audiovisuellen Diskurs eine Differenzierung medienkonstitutiven Wissens erlaubt, die Kategorie darin aber auch erst bedingt erscheint.247 Mit den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass im audiovisuellen Diskurs, vergleichbar zu anderen Diskursebenen, Differenzierungen, aber auch Invarianten nachzuzeichnen sind. Hier werden sie jedoch in besonderer Weise entlang von Medien gestaltet, entlang einer mediengenerierenden Funktion von Genre(s), die ein Stück weit auch Gender umfasst. Außerdem ist die Assoziation zu Mediendiskursen, wie es die Lektüren zeigen, gerade für die Kopplung der Kategorien entscheidend – und zwar weil diese aufgrund jener Bindung ambivalent verfährt, weil der konstitutive Anteil einer interkategorialen Verknüpfung genau hierin potenziell wird oder erst in einer gemeinsamen Basis hervortritt. Wenn nun aber zum einen aufgrund der Bindung an Mediendiskurse eine Spannung in der Kopplung von Genre und Gender begründet ist und wenn zum anderen ein Changieren in der Konstitution von Medien durch diese Kategorien wirksam wird, dann eröffnet sich eine Konsequenz: Die Verknüpfung der Kategorien schürt Ambivalenzen. Sie ist nicht allein in Reaktion auf eine zunehmende Mediendifferenzierung zu verortet, die sich in krisenhaften Konstellationen um Genre(s) abzeichnet und anhand der Verbindung zu Gender erneut stabilisiert wird. In der Gleichzeitigkeit von Differenzierungen und Invarianten des Wissens um Medien, aber auch in ihrer ambivalenten Verfasstheit kann die Verknüpfung der Kategorien im Grunde gar kein Gegengewicht bilden. Vielmehr wird sie zur Artikulation einer Krise, die im audiovisuellen Musicaldiskurs Genre, Gender und Medien umspannt. Diese Schlussfolgerung sollte nicht als eine Kritik an dem Entwurf Schneiders begriffen werden,248 sondern demonstriert vielmehr die Spezifik in der Artikulation einer Kategorienkrise, denn: Mit den Kriterien zur Operationalisierung sowie im Hinblick auf die Lektüren selbst werden wirkmächtige und in einen Zusammenhang
247 Insofern es sich bei den genannten Beispielen scheinbar um zwei Ebenen handelt, könnte man eine Trennung zwischen Komplexitätssteigerung und Simplifizierung annehmen: Während sich Gender durch Medien, im Filmset oder auf der Bühne, differenziert, so werden Medien hingegen in der Betonung einer vestimentären bzw. letztlich visuellen Hervorbringung von Gender einer Statik zugeführt. Dies geht allerdings fehl, denn beide Dimensionen sind gleichermaßen als mediale Performanzen in der Behauptung eines Doing Gender auszuweisen. 248 Vielmehr erfolgt sogar ein Anschluss an Schneiders Vermutung – dieser pointiert jedoch die Relevanz von Medien innerhalb der audiovisuellen Verhandlung des Musicals und erfasst dahingehend auch die Verknüpfung von Genre und Gender nicht allein in einer wechselseitigen Essentialisierung.
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zu stellende Beobachtungen formiert, die einerseits die nicht zwingend kongruente Verbindung von Auditivem und Visuellem gewichten, um eine Identifikation der Diskursebene zu ermöglichen, und die andererseits auf deren Zusammenspiel mit anderen Diskursen verweisen, auf eine Materialisierung. In dieser Hinsicht mag die Bezugnahme zu Medien konzeptionell zwar vorgeprägt sein – sie wird jedoch in ihrer eigenständigen Gestaltung, in der Vielfalt signifikatorischer Prozesse im Sinne Engels etwa, hervorgehoben. Es geht um eine Formung von Diskursen um Medien, die in Medien aufgezeigt wird. Und ebendiese Formung besitzt Geltung. Anhand der Vorgehensweise, in der Hervorhebung der Konstruktion narrativen Geschehens entlang der Verbindung von Auditivem und Visuellem samt der sich darin materialisierenden Mediendiskurse, aber auch in der Konzentration auf eine nicht vordefinierende, mit Einschränkungen innerdiegetisch formierte Deutung des Musicals wird ein Weg eingeschlagen, der nicht als ›Krisenexperiment‹ fungiert, der nicht ›Sonderfälle‹ betont oder im Sinne Braidts gar auf einer methodisch etablierten »Bestimmung von Kategorien aus der Perspektive der Übertretung«249 wurzelt. Vielmehr ist, wie es sich mitunter auch in ihrer Unterschiedlichkeit plausibilisiert, genau entgegen dieser Annahme davon auszugehen, dass die Beispiele in ihrer Auseinandersetzung mit dem Genre als wirkmächtig gelten können. So handelt es sich bereits bei der Auswahl um Zuordnungen, um prototypische sowie selbstbetitelte Musicals, die in der Attribution einer Genrezugehörigkeit Geltung besitzen und die entsprechend auch in ihren retroaktiven Effekten für Diskurse um das Musical akzentuiert werden müssen. In dieser Hinsicht erweisen sich die skizzierten Sinngebungen als Prozesse, die dem Genre inhärent sind – womöglich sogar historisch weitläufig auftreten. Und dies betrifft letztlich auch die hier unterbreitete Position, die Vermutung also, dass es sich bei dem Rekurs auf Gender nicht bloß um eine (Re-)Essentialisierung einer ins Wanken geratenen Selbstbeschreibung medialer Systeme durch Genre(s) handelt, sondern um ein äußerst komplexes Phänomen, das Genre, Gender und Medien in ihrer ambivalenten Verknüpfung erst zu krisenhaften Konstellationen erklärt.250 Zusammenfassend ergibt sich folgende Konsequenz: Die Kopplung von Genre und Gender gelangt im audiovisuellen Musicaldiskurs in eine vielfältige, mal auf ihre Genese, mal auf ihre Wirkmacht zielende Bindung an Mediendiskurse. Darin entsteht ein Verhältnis, in welchem sich (mitunter wenig direkt) produktive und kategoriale Dimensionen im Sinne Gerharts abzeichnen – diese betreffen allerdings in ihrer pointierten Signifikation auch – und gerade – Medien. Insofern lässt sich an
249 Braidt: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, S. 110 [in Anm.]. 250 Dahingehend ist im Übrigen auch das rekursive Verhältnis zwischen Krise und Lösung hervorzuheben, sodass die alleinige Fokussierung einer (Re-)Essentialisierung ebenso in dieser Hinsicht – für Genre, Gender und Medien – nicht ausreicht.
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Schneiders Überlegungen anschließen, womöglich sogar eine (weitere) Symptomatik zunehmender Mediendifferenzierung behaupten.251 Grundlegender aber findet eine Erweiterung der interkategorialen Verknüpfung statt, die sich innerhalb der von Garber verfolgten Beschreibung zwischen Komplexitätssteigerung und Simplifizierung erfassen lässt. Hierin wird deutlich, dass die Kopplung von Genre und Gender – auch in ihrer Bedeutung für Medienwissen – nicht ausschließlich in wechselseitigen Essentialisierungen bzw. in Stabilisierungsprozessen mündet, denn für den audiovisuellen Musicaldiskurs zeigen sich Ambivalenzen, die schon aufgrund der Erweiterung einer Verbindung von Genre und Gender durch Medien, aber auch im darin evozierten Wissen um Medien angezeigt sind. Insofern kann die interkategoriale Verknüpfung einerseits als Artikulation des Geworden-Seins medialer Anordnungen und dessen mitunter »traumatisierenden Exklusionspraktiken«252 betrachtet werden – sie ist in Reaktion auf eine Einsicht zu perspektiveren, in der Medien nicht von vorne herein als statische, sondern als dynamische und wandelbare Größen verstanden werden. Zum anderen kann aber auch die Umkehrung dessen angenommen werden, denn wenn die interkategoriale Verknüpfung in Mediendiskursen ermöglicht und zugleich bedingt ist, so erweist sich eine derartige Bindung an Medien doch auch als Reaktion auf das Geworden-Sein von Genre und Gender. Von daher kommt es im audiovisuellen Musicaldiskurs gar zur Artikulation kategorialer Krisen – eine Krise um Medien und eine Krise um Genre sowie Gender, wobei diese Ebenen im Anschluss an ein rekursives Verständnis unabschließbar zusammenhängen und sich einander wechselseitig gestalten. Mit dieser Schlussfolgerung wird deutlich, dass die Artikulation einer Kategorienkrise in der Verbindung von Genre und Gender äußert komplex zu erfassen ist: Mal wird sie – wie in der Wissenschaft – anhand der Assoziation verschiedener Deutungsmuster und der mitunter widersprüchlichen Anschlüsse ihrer Kopplungen formiert; mal – wie in der Publizistik – anhand der Konkurrenz von Sinngebungen und der zumindest potenziell konfliktären Verbindung der Kategorien; und mal – wie im audiovisuellen Diskurs – anhand der Bindung zu Medien und der hiermit erfolgenden Erweiterung einer interkategorialen Verknüpfung. Die Krise um Kategorien gelangt innerhalb all dieser Artikulationen aber keinesfalls in Notwendigkeit
251 Zwar ist diese Annahme theoriegeleitet plausibel, im Grunde kann die Analyse aber keine Auskunft darüber geben, denn durch das korpusimmanente Vorgehen und die Operationalisierung wird eine vorausgehende Bestimmung – und zwar auch eine entlang zunehmender Mediendifferenzierung – vermieden. Indes lässt sich aber zumindest festhalten, dass verschiedene Arrangement von Wissen um Medien in unterschiedlicher Weise, in ihrer Genese oder in ihrer Geltung etwa, betont werden. 252 Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 27.
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einer ›Lösung‹. Vielmehr erweist sie sich als ein überaus vielschichtiges Phänomen, das gerade in der Verknüpfung von Genre und Gender diskursspezifische Strategien seiner Hervorbringung auf den Plan ruft und insofern auch über das bloße Diagnostizieren hinaus zu beleuchten ist. Obgleich die hier verfolgte Rekonstruktion des Musicaldiskurses sicherlich Grenzen aufweist und Möglichkeiten ihrer Erweiterung mitunter sogar exponiert, so vermittelt sie doch wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Beziehung von Genre und Gender: Zunächst erscheint die in der Forschung dominante Engführung auf genrespezifische Genderrepräsentationen oder genderspezifische Genrepräferenzen kaum ausreichend, um die teils perfiden und äußerst weitläufigen Ansätze einer interkategorialen Verbindung zu erfassen. Zumindest im Musicaldiskurs zeigen sich sehr wohl mehr Verknüpfungen – selbst wenn man verführt sein mag, einige zu summieren oder gar zu übergehen.253 Außerdem scheint auch die häufige Beschreibung ihrer Effekte – Essentialisierungen oder Destabilisierungen – nur bedingt aufschlussreich, denn obwohl in der Rekonstruktion beides durchaus gehäuft vorkommt, so sind es doch grundlegend Wechselseitigkeiten, die hierin präzise zu bestimmen sind – Ambivalenzen, die in der Konstitution der Kategorien Essentialisierungen und Destabilisierungen zugleich prozessieren wie produzieren. Und genau dies ist schließlich für die Artikulation einer Kategorienkrise entscheidend, denn in der Wirkmacht von Kategorien samt ihrer epistemischen Relevanz treten Tendenzen auf, die ebenso ihre Defizite, ihre Unschärfen und Grenzen verdeutlichen. Eine Kategorienkrise ist demnach nicht nur im steten Versuch, erneut Statisches zu formieren, oder im Verlust der Beschreibungsadäquatheit kategorialer Einteilungen aufzuzeigen, sondern in der Komplexität diskursiver Prozesse selbst zu erfassen. Mit der Diskursivierung von Genre und Gender eröffnen sich verschiedene Einsichten, die in einer analytischen Perspektive von besonderem Interesse sein mögen – immerhin erweist sich die Verknüpfung der Kategorien doch als ein Prozess diskursiver Sinngebung, der in seiner Vielfalt und in seiner Vielschichtigkeit nicht zu unterschätzen ist. Zugleich geht mit dieser Erkenntnis jedoch noch eine weitere Konsequenz einher, denn wenn es sich bei der interkategorialen Verbindung um ein komplexes Arrangement handelt, so ist auch ihre Rekonstruktion nicht simpel. Sie weist Grenzen auf, die bislang in der Beobachtung diskursiver Prozesse (Kapitel 3.5), im Vergleich verschiedener Diskursebenen (Kapitel 4.5) und – wie in diesem Kapitel gleich mehrfach in der Absicht einer methodischen Sensibilisierung –
253 An dieser Stelle sei nochmals die Auswahl ins Gedächtnis gerufen (Kapitel 2.3): Es wird im Verlauf der Rekonstruktion bewusst von ›naheliegenden‹ in weniger offensichtliche, gleichwohl aber dennoch wirkmächtige Verknüpfungen übergegangen, sodass sich innerhalb der Diskursivierung von Genre und Gender auch die Vielfalt interkategorialer Verbindungen verdeutlichen kann.
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anhand der Identifikation einer Diskursebene und ihrer Spezifik beleuchtet wurden. Allerdings sind diese Einschränkungen nicht nur methodischerseits von Bedeutung. Mit ihnen ergeben sich auch Anstöße, die grundlegender noch auf die Exemplifizierung, die Beschreibung und die Perspektivierung von Genre und Gender zielen. Dazu werden im letzten Kapitel einige Ausblicke umrissen, die eine konzeptionelle Fundierung aus den gewonnenen Resultaten der Rekonstruktion (samt ihrer Problemstellungen) ableiten und auf diese Weise schließlich Potenziale für weitere Untersuchungen eröffnen sollen.
6 Von der Differenz zur Differenzierung Konzeptionelle Anstöße in der Beobachtung einer Relation
Die in dieser Arbeit verfolgte Vermutung, dass es sich bei der Relation von Genre und Gender um ein vielschichtiges Arrangement handelt, welches sogar in äußerst zentralen Aspekten Auskunft über eine kategoriale Krise gibt – darin aber nicht einseitige Beschreibungen erlaubt –, kann durch die vorgelegte Rekonstruktion des Musicaldiskurses plausibilisiert werden. Es zeigen sich verschiedene Sinngebungen, die zum einen eine Bestimmung der Kategorien in ihrer Verknüpfung generieren, die zum anderen jedoch gleichermaßen widerstreitende Effekte hervorrufen. Anstelle der in der Forschung vorherrschenden Einschätzungen, dass es sich beim interkategorialen Bezug um Stabilisierungen oder um Destabilisierungen, um essentialistische oder um konstruktivistische Konzeptionen handelt, gelangt eine Perspektive zu Gewicht, die die Beidseitigkeit jener Beschreibungen entlang der Komplexität diskursiver Prozesse betont. Sowohl Stabilisierungen als auch Destabilisierungen, sowohl essentialistische als auch konstruktivistische Konzeptionen sind in der Verknüpfung von Genre und Gender zu identifizieren und bedingen darin einander. In diesem Sinne sind die Kategorien herausgefordert; ihre Verbindung artikuliert eine vielfach diagnostizierte Krise – allerdings anhand spezifischer Formationen, die einer präzisen Betrachtung bedürfen und nicht von vorneweg auf das Ungenügen kategorialer Einteilungen reduziert werden können. Doch welche Anstöße vermitteln sich durch eine solche Beobachtung? Welche Konsequenzen können aus der Diskursivierung von Genre und Gender abgeleitet werden? Und inwiefern reichert der analytische Gehalt schließlich auch konzeptionelle Entwürfe an? Das abschließende Kapitel widmet sich diesen Fragen entlang dreier Überlegungen und bietet somit – anstelle eines Fazits – einen Ausblick, der im Zugriff, in der Beschreibung und in der Beobachtung Impulse zu vermitteln versucht. Zunächst steht dabei eine methodisch relevante Fokussierung im Vordergrund, denn die skizzierten Spannungsmomente diskursiver Sinngebung zeigen sich anhand des scheinbar eindeutigen Musicals – und zwar bereits in der Frage, was das Genre überhaupt ist.
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Von daher können sie nicht als randständige Einzelfälle eines sonst wenig dynamischen Diskurses gelten, sondern erweisen sich als zentrale Erscheinungen eines nur auf den ersten Blick statischen Diskurses. Und mehr noch: Wie es etwa anhand der äußerst umfassenden (und ihrerseits durchaus prekären) Wertungen des Musicals hervortritt, so geben selbst derartige Zuschreibungen Auskunft über Prozesse einer Sinnstiftung, über ihre Genese und ihre Geltung. Insofern gilt es, die Betrachtung von Kategorien auch anhand solcher Phänomene, anhand der wirkmächtigen Konstitution vermeintlich eindeutiger Größen, zu gestalten (Kapitel 6.1). Doch wie kann dies auf deskriptiver Ebene ›umgesetzt‹ werden? Inwiefern sind Spannungsmomente diskursiver Sinngebung als solche zu betonen, wenn ihnen doch zugleich Reduktionen anhaften – Beschreibungen etwa, die die Reziprozität widerstreitender Konstellationen entlang eines gemeinsamen Nenners bündeln? Dazu bieten, so die Überlegung, queere Theorien einen Ansatz. Mit ihnen entsteht nicht nur eine forschungsbezogene Anbindung, die Erweiterungen verspricht, vielmehr eröffnen sie auch einen (freilich nicht unproblematischen) Zugriff, der ein Stück weit die hier verfolgte Perspektive umdreht und das immanente Verhältnis konkurrierender Einschätzungen, ihre Wechselseitigkeit und ihre Bedingtheit, zum Ausgangspunkt nimmt (Kapitel 6.2). Eine – scheinbar schlichte – Frage bleibt bei diesen Ausblicken allerdings unbehandelt: Weshalb verfährt die Verknüpfung von Genre und Gender überhaupt ambivalent? Warum ist das Verhältnis der Kategorien durch ein komplexes und zuweilen sogar widersprüchliches Wechselspiel zu kennzeichnen? Dies lässt sich in der Annahme einer Ähnlichkeitsrelation, genauer: einer Familienähnlichkeit, beantworten. So liefert Wittgensteins Konzept eine Erklärung für das ambivalente Verhältnis von Genre und Gender – ohne es dabei jedoch erneut in Generalisierungen, in Alternativen oder Lösungen zu fixieren.1 Stattdessen zielt die Übertragung seiner sprachphilosophischen Idee auf die Beobachtung der Kategorien – auf eine Abstraktion ihrer Diskursivierung, welche die spannungsvolle Nähe von Genre und Gender ernst, ja sogar beim Wort nimmt (Kapitel 6.3).
1
Solche Ansätze, die Auswege aus den prekären Mechanismen einer Kopplung von Genre und Gender suchen, greifen mitunter zu kurz; sie ignorieren, wie schon einleitend dargestellt, häufig die Wirkmacht diskursiver Prozesse und übergehen dabei auch die Ambivalenz einer interkategorialen Verknüpfung. Gerade Letztere gilt es jedoch vor dem Hintergrund der Rekonstruktion zu betonen, sodass der hier unterbreitete Vorschlag gar nicht erst auf der Notwendigkeit eines Auswegs wurzelt.
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6.1 U NSCHÄRFEN IN DER E INDEUTIGKEIT : W IRKMÄCHTIGE S INNSTIFTUNGEN UND P OTENZIALE IHRER B ETRACHTUNG Um eine erste Stoßrichtung zu skizzieren, die als Ansatz für weitere Untersuchungen fungieren kann, gilt es, zum Ausgangspunkt der Arbeit zurückzukehren. So wurde eine Diskursivierung von Genre und Gender verfolgt, die sich exemplifizierend anhand des Musicals gestaltet. Zentral ist dabei das Verhältnis zwischen Genese und Wirkmacht, welches sich – so zumindest die Vermutung – durch sprachliche Praktiken vermitteln lässt. Anstelle in Probleme einer Essentialisierung zu geraten, indem diskursiv zu verortende Kriterien oder analytische Entwürfe die Auswahl bedingen, wird viel basaler (und darin sicherlich auch undifferenzierter) vom Gebrauch des Begriffs ausgegangen; das Wort ›Musical‹ bildet in all seinen Facetten, etwa in der Unschärfe einer Unterscheidung zwischen Adjektiv und Nomen, in Wortübernahmeprozessen und in Titelkonstruktionen, das entscheidende Kriterium zur Operationalisierung. Und nicht bloß hierin zeigen sich Mechanismen, die als Teil einer Konstitution des Genres wirkmächtig die Auseinandersetzung mit ihm prägen. So demonstriert freilich auch die diskursanalytische Aufarbeitung selbst, dass unterschiedliche Sinngebungen identifiziert werden können, die das Musical gerade in der Verknüpfung zu Gender hervorbringen; in der Wissenschaft, in der Publizistik und in Audiovisionen können Deutungsmuster nachgezeichnet werden, die äußerst zentral für das Genre sind, insofern sie es im Rückgriff auf Gender bestimmen. Doch demgegenüber zeigt sich noch etwas Anderes. Betrachtet man, wie eine solche Konstitution erfolgt, wie die Auseinandersetzung mit dem Musical auch im Rekurs auf Gender geschieht und wie sogar der Begriff selbst Verwendung findet, so gelangt man in eine nahezu konträre Einschätzung: Die Verhandlung des Genres gestaltet sich zumeist in einer Beiläufigkeit; sie ist zwar wirkmächtig – dies jedoch, indem sie vermeintliche Selbstverständlichkeiten, angebliche Evidenzen und scheinbare Gegebenheiten prozessiert.2 In der Wissenschaft etwa finden sich vielfach Kommentierungen, die nur am Rande, sogar in einzelnen Klammerbemerkungen, auf das Musical verweisen und es dabei – auch in der Bezugnahme zu Gender – bestimmen. Trotz der berücksichtigten 201 Artikel findet es lediglich in sie-
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Dies begründet sich im Übrigen nicht allein durch das Vorgehen. So mag die Operationalisierung zwar wenig vordefinierend verfahren und entsprechend ein weitläufiges Feld der Genreverhandlung eröffnen, das sich nicht zuletzt auch in der Korpusgröße niederschlägt. Dass dadurch jedoch jene Beiläufigkeit begründet werden kann, ist äußerst fraglich – zumal die Auswahl der Beispiele großen Wert auf ihre Typizität für die jeweilige Diskursebene und die je prozessierten Deutungsmuster legt.
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ben Überschriften Erwähnung, trotz früher genretheoretischer Überlegungen ist es schon hier ein geradezu banales Beispiel, und selbst trotz genderwissenschaftlich avancierter Perspektiven findet das Genre auch in dieser Hinsicht zumeist nur eine einseitige, unter Umständen starre Bewertung. In der Publizistik lassen sich zwar viele Artikel finden, die das Musical in äußerst pointierter Weise erwähnen – es fungiert hierin jedoch als Aufhänger für andere Beobachtungen. Das Genre dient einer Kontextualisierung und wird dabei, wie auch in seiner weitläufigen Funktion zur Beschreibung medialer Artefakte, kaum umfassend reflektiert. Und selbst in der Operationalisierung des audiovisuellen Diskurses wird deutlich, dass die Attribution einer Genrezugehörigkeit trotz ihrer wirkmächtigen Effekte nicht zwingend als Engführung und damit verbunden als Schärfung der auftretenden Genreverhandlungen verstanden werden kann – immerhin werden doch sehr viele Artefakte dem Genre zugerechnet. Von daher mag die schon formulierte Annahme, dass es sich beim Musical um ein zentrales, geradezu selbsterklärendes Beispiel handelt, zutreffen – obgleich zu präzisieren ist: Das Musical wird zwar unterschiedlich bestimmt und gelangt hierin zu Komplexität, seine Verhandlung gestaltet dies aber zumeist beiläufig, sodass es erst auf diese Weise zur scheinbar selbstverständlichen Diskursformation wird. Und damit ergeben sich Konsequenzen. Während das Musical häufig entlang einzelner Merkmale Bestimmung erfährt, während es gar als Residuum einer kulturkritischen Perspektive vielfach Wertungen hervorruft, und während es scheinbar direkt, etwa im Titel, erkennbar ist, so bleiben ihm – trotz all jener Stabilisierungsversuche – dennoch Ambivalenzen inhärent. Dies führt in eine perspektivische Anregung, denn wenn sogar innerhalb eines so vermeintlich eindeutigen Phänomens Spannungsmomente identifiziert werden können, dann verlangt dies nach einer Aufmerksamkeitssteigerung gegenüber solchen, scheinbar stabilen Konstellationen. Zwar bedeutet dies keinesfalls, dass umgekehrt die häufige Betrachtung aus der Perspektive einer Grenzüberschreitung heraus abzuwerten ist – ebendies geht jedoch fehl, sobald hierin Simplifizierungen betrieben werden. Insofern bedarf es einer Ergänzung, die sowohl die Gender Studies als auch die Genretheorie betrifft. Zunächst zu Gender: Im Fahrwasser einer spätestens seit dem performative turn etablierten, konstruktivistischen Geschlechterforschung werden häufig Phänomene der Überschreitung dichotomer Unterscheidungen beobachtet. Wie es sich etwa anhand der Arbeit von Garber zeigt, stehen Crossdressing, Drag, Travestie, aber auch Intersexualität und Transsexualität im Zentrum gendertheoretischer Fragestellungen.3 Dadurch avanciert zumeist eine Figur des Dritten zur beschreibungsadäquaten Größe – wichtiger aber: Mitunter münden derartige Fokussierungen in die Absicht, Kategorien aufgrund ihrer Konstruiertheit und ihrer Unschärfe zu verabschieden. Es
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Vgl. nochmals die Vielzahl der Beispiele bei Garber: Vested Interests, S. 4.
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formiert sich die Annahme einer Vermeidbarkeit,4 welche mit der Fokussierung von Grenzüberschreitungen geschürt wird. Allerdings treten darin die Phänomene in den Hintergrund, die gerade durch eine konstruktivistische Bestimmung von Geschlecht anders zu positionieren wären: Selbst die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ wird als Konstruktionsleistung beobachtbar, sodass sie aufgrund dessen, aufgrund ihrer Hervorbringung, nicht ausschließlich zur undifferenzierten und zumeist kritisierten Folie geraten kann. Stattdessen ist ergänzend zu fragen, inwiefern selbst eine Genderdichotomie Brüche konturiert, inwiefern sie sich gewissermaßen selbst in Zweifel zieht. Nun mag dieser Anstoß zunächst wenig produktiv erscheinen, immerhin verweist schon Butler in ihrer äußerst einflussreichen Bestimmung des Geschlechtlichen – trotz des Beispiels Drag – auf ebenjene Komplexität; für sie gilt jegliche Genderzuordnung und jegliche Semantisierung durch Gender als performativer Akt, sodass selbst in den zentralsten und scheinbar eindeutigsten Konstellationen Veränderungen stattfinden.5 Außerdem lassen sich einige Arbeiten durchaus als Gegenentwurf zu dieser etwa von Haag als »Flucht ins Unbestimmte«6 kritisierten Tendenz positionieren. Und dennoch zeigt sich auch hier ein Problem, denn selbst in der Anerkennung der Komplexität einer Genderdichotomie fällt deren Beobachtung doch zumeist auf eine methodisch fragwürdige Setzung zurück: Die Betrachtung ihrer Wirkmacht bleibt als Ergebnis durchaus brüchiger Konstruktionsprozesse außen vor oder wird in analytischen Gewichtungen bereits vorweggenommen.7 Auch hier gilt es also zu ergänzen, denn unter der Maßgabe einer Sensibilisierung tritt die eigentliche Relation, die Wechselseitigkeit um überschreitende und normierende Entwürfe des Geschlechtlichen, ins Zentrum. Dahingehend zeigen sich in der vorliegenden Arbeit erste Ansätze, denn obgleich Brüche in der Unterscheidung um ›Mann oder Frau‹ betont werden, so bleibt ihre Wirkmacht entlang interkategorialer Verknüpfungen berücksichtigt: Gerade durch eine scheinbar statische (mitnichten aber naturalisierte)8 Dichotomie finden ambivalente Perspektivierungen
4
Vgl. Schneider: Genre, Gender, Medien, S. 21.
5
Vgl. etwa auch mit Blick auf Fragen der Subversion Butler: Gender Trouble, S. 192.
6
So Haags titelgebendes Resultat, welches »die Dissoziation bestehender Unbestimmtheitsentwürfe aus deren ursprünglichen Kontexten und eine anschließende Adaption an feministische Vorstellungen [als] überaus problematisch« wertet. Haag: Flucht ins Unbestimmte, S. 27.
7
Dies zeigt sich schon auf deskriptiver Ebene, wie es auch Rieser, hier sogar in der Erweiterung um Sexualität, betont. Vgl. Rieser: Gender ist kein Nullsummenspiel, S. 135 f.
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In einigen Verweisen innerhalb der diskursanalytischen Rekonstruktion wird deutlich, dass ›Mann oder Frau‹ nicht als natürliche Größen bestimmt werden, dies aber dennoch Essentialisierungen erlaubt.
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des Musicals statt, die in Rückbindung an Gender die Unterscheidung ›Mann oder Frau‹ in Frage stellen. Von daher ist bereits die Beziehung zwischen Kategorien – und zwar nicht allein, wie in der Intersektionalitätsforschung, zwischen identitätserzeugenden Kategorien – als Ausgangspunkt hervorzuheben. Mit ihm wird die spannungsvolle Genese einer Dichotomie um ›Mann oder Frau‹ ersichtlich, über ihre Relevanz für andere Kategorien wird zusätzlich jedoch auch ihre Wirkmacht beobachtbar.9 Und dies lässt sich ebenso für genretheoretische Überlegungen plausibilisieren – zumal sich hier ähnliche Problemstellungen gerade in der Abgrenzung gegenüber vermeintlich eindeutigen Konstellationen zeigen. In der Genretheorie wird seit geraumer Zeit ein besonderes Gewicht auf Synkretisierungen, auf Hybridität und auf Aushandlungsprozesse gelegt. Dadurch sollen essentialisierende Kurzschlüsse vermieden werden, zugleich dienen diese Ansätze jedoch auch einer Erweiterung, etwa der Forderung nach einer Perspektive auf Genre(s) außerhalb von Hollywood. So fragt beispielsweise Robert Stam: »[W]hy should studies of the musical not include the Brazilian chanchada, the Bombay musical, the Mexican cabaretera film, the Argentinian tango film, and the Egyptian musicals of Leila Mourad?«10 Diese Frage stellt sicherlich einen legitimen Anstoß für weitere Untersuchungen dar – allerdings artikuliert sich hierin auch ein Problem, das geradezu paradigmatisch erscheint:11 Während einerseits das Musical gleichbedeutend mit anderen Genres Bestimmung erfährt und dies etwa kulturspezifische Momente im Hinblick auf ihren Gebrauch ausblendet (obwohl sie teils schon begrifflich angezeigt sind), so findet andererseits eine Reduktion statt, die zur Abgrenzung das Musical als Hollywoodgenre markiert und darin unterschlägt, dass eine solche Betrachtung bereits Teil diskursiver Prozesse ist. Zum einen werden also gleichsetzende oder subordinierende Perspektiven hervorgerufen, die die Viel-
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Dahingehend liefert Crenshaw nicht zufällig einen entscheidenden Impuls, denn obgleich sie lediglich identitäre Kategorien berücksichtigt, so begründet sich dies doch auch in der Fokussierung eines juristischen Kontexts. Und genau hierin, innerhalb dieser Rahmung, vermag sie es zu zeigen, inwiefern die Verschränkung von Kategorien – trotz ihrer konstruierten Herkunft – ihre Wirkmacht nährt.
10 Robert Stam: Part IV: Text and Intertext. Introduction. In: ders./Toby Miller (Hg.): Film and Theory. An Anthology. Malden, Massachusetts/Oxford 2000, S. 145-156, hier S. 152 [Herv. i.O.]. Eine erste Antwort findet sich in der Frage selbst: Bei den von Stam genannten Beispielen handelt es sich um eigenständige Genres, deren Spezifik teils im Rückgriff auf andere Kategorien, etwa Nation oder Auteur, teils aber auch schon in der Benennung angezeigt ist. Überspitzt fällt Stam also in den von ihm kritisierten Hollywoodzentrismus zurück, wenn er dem Musical dieser Perspektive folgend andere Genres zurechnet. 11 Ähnlich ist es etwa auch im bereits erwähnten Artikel von Ascheid – hier jedoch für das ›deutsche Musical‹. Vgl. nochmals Ascheid: Germany, S. 45 f.
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schichtigkeit von Genrediskursen auch in ihren Verbindungen untereinander ausblenden; zum anderen wird eine ›wahre‹ Geschichte des Musicals impliziert: Das Genre gilt bislang als Hollywoodgenre. Beides trägt jedoch nur unzureichend der Komplexität solcher Zuschreibungen Rechnung – ihrer Komplexität als spannungsvolle Sinngebungen, wie es sich auch in dieser Arbeit zeigt. Anhand des untersuchten Materials wird deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit dem Musical die von Stam genannten Bezüge zu anderen Genres durchaus auftreten, dass etwa Bollywood12 schon ab den 1960er Jahren in der Zeitschrift DER SPIEGEL Erwähnung findet,13 und dass auch in der Wissenschaft – hier sogar im Rekurs auf Gender – Verbindungen zum cabaretera hergestellt werden.14 Obgleich diese Beispiele nur knapp Erwähnung finden sollen, so können mit ihnen doch wichtige Konsequenzen abgeleitet werden: Zum einen mögen die im Musicaldiskurs formierten Verweise auf andere Genres als Ausdruck des von Stam zu Recht kritisierten Hollywoodzentrismus gelten – es wird ein »absonderliche[r] Geschmack indischer Kinogänger«15 behauptet oder zumindest ein Problemfeld eröffnet, in welchem die Verhältnisbestimmung zwischen Musical und cabaretera argumentative (und für einen Hollywoodzentrismus womöglich symptomatische) Schwierigkeiten nach sich zieht.16
12 Der Begriff Bollywood, wie er dem späteren Material der Zeitschrift DER SPIEGEL entnommen ist, markiert in Anlehnung an Hollywood die Relevanz von Mumbai (vormals Bombay) und ist in dieser Hinsicht an das von Stam benannte »Bombay musical« anzuschließen. 13 Vgl. Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Zwei Augen – Zwölf Hände (Indien). In: DER SPIEGEL 46/1960, S. 85, hier S. 85. 14 Vgl. Tierney: Silver Sling-Backs and Mexican Melodrama: Salón México and Danzón, S. 361. 15 Anonymus: FILM. NEU IN DEUTSCHLAND. Zwei Augen – Zwölf Hände (Indien), S. 85. 16 Dolores Tierney betrachtet das Musical und das Melodrama, wobei beide Genres im cabaretera zusammenfinden; Letzteres gilt als »an important subgenre of Golden-Age Mexican melodrama« und zugleich als »a hybrid of the melodrama and the musical«. Dies eröffnet allerdings eine Schwierigkeit in der Verhältnisbestimmung: Warum wird der Genrehybrid aus Musical und Melodrama, der eine eigenständige Bezeichnung besitzt, als Subgenre des Melodramas, nicht jedoch als Subgenre des Musicals oder gar als ›unabhängiges‹ Genre konzeptualisiert? Indem Einschränkungen entlang einer zeitlichen sowie nationalen Markierung vorgenommen werden, mag diese Frage in den Hintergrund treten, sie ist aber (zumal sie bei Tierney nicht berücksichtigt wird) dennoch von Relevanz – und zwar auch für die von Tierney am Ende des Artikels betrachteten Genderrepräsentationen. Sie sollen einen Unterschied zwischen (Hollywood-)Musical und (Gol-
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Zum anderen zeigt sich jedoch grundlegender und entgegen Stams Überlegung, dass die Auseinandersetzung mit dem Musical sehr wohl Bezüge zu anderen Genres außerhalb von Hollywood enthält. Und mehr noch: Dadurch dass sich in der Publizistik bereits sehr früh (40 Jahre vor Stams Forderung) eine Verbindung zu Bollywood manifestiert, und dadurch dass in der Wissenschaft argumentative Probleme aus der gleichsetzenden bzw. subordinierenden Verhandlung erwachsen, lässt sich ein Hollywoodzentrismus nicht nur im Kontext des Musicals verorten – vielmehr erweist er sich, sofern er als Teil des Genrediskurses perspektiviert wird, gerade hierin als ein komplexes Phänomen. Er ist nicht in eine historische Narrative um die Auseinandersetzung mit dem Genre zu integrieren – wird doch das Vorkommen des Musicals abseits von Hollywood schon früh in der Publizistik behauptet. Und er ist ebenso wenig als eine Prämisse genretheoretischer Überlegungen anzusehen – stattdessen fungiert er als ein Spannungsfeld, das als solches in der Wissenschaft prozessiert wird. Kurzum: Selbst ein Hollywoodzentrismus ist – bei all seinen Problemen – nicht als eine simple Abgrenzungsfolie abzutun, sondern erweist sich in der Verhandlung des Musicals als eine komplizierte Sinngebung. Stams exemplarisch genannte Forderung gelangt in einen Fallstrick, denn sie bedient sich einer Simplifizierung; sie ignoriert, wie es das Material dieser Arbeit zeigt, dass durchaus Bezüge zu anderen Genres bestehen und diese in verschiedener Hinsicht – historisch früh und konzeptionell spannungsvoll – Einfluss auf das Musical nehmen. Auch hier ist folglich eine Erweiterung notwendig: Obwohl das Genre vermeintlich als Inbegriff einer in der Forschung und darüber hinaus präsenten Engführung um Hollywood gelten mag und dies sicherlich zu kritisieren ist, so kann jener Hollywoodzentrismus innerhalb der Beobachtung diskursiver Prozesse nicht statisch vorausgesetzt werden, sondern bedarf einer präzisen Betrachtung. Die hier sowohl für Genre als auch für Gender skizzierten Anstöße, die keinesfalls als ›richtiger‹ oder ›besserer‹ Weg begriffen werden sollten, sondern ausblickende Potenziale anreißen, setzen sich einem entscheidenden Vorwurf aus. So mag zwar die Dichotomie ›Mann oder Frau‹ Grenzen ihrer selbst offenbaren und auch die ideologisch prekäre Engführung um Hollywoodgenres kann als vielschichtiges Arrangement einer Sinnstiftung gelten – bei beidem besteht jedoch die Gefahr, dass neuerlich Fixpunkte installiert werden. Man mag gar einer Nobilitierung anheimfallen, die sich in der Komplexität diskursiver Prozesse begründet und darin erneut scheinbar statische Phänomene in den Vordergrund rückt. Dies lässt sich allerdings nicht durch die Ignoranz ihrer Komplexität lösen. Stattdessen ist eine Vermittlung von Genese und Wirkmacht angezeigt, sodass sol-
den-Age-)cabaretera aufzeigen, auch wenn dieser implizit bereits in der Verortung des Genrehybrids als Subgenre des Melodramas beinhaltet ist. Tierney: Silver Sling-Backs and Mexican Melodrama: Salón México and Danzón, S. 361; vgl. auch ebd., S. 366 f.
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che Problemfelder methodisch zu verorten sind. Sie verlangen eine differenzierte Zugriffsweise, wie sie hier exemplarisch (!) anhand sprachlicher Praktiken verfolgt wurde. Entgegen einiger, gerade in der Genretheorie vorgebrachter Einwände17 und auch entgegen einer Unterminierung ihrer Potenziale durch eine wenig konsequente Umsetzung18 lassen sich mit der begriffsgeleiteten Orientierung wichtige Beobachtungen gestalten, die Genre und Gender gleichermaßen in ihrer Vielschichtigkeit betonen. Von daher kann zusammenfassend festgehalten werden: Nicht nur anhand der Grenzüberschreitung, sondern auch in scheinbar Selbstverständlichem tritt die Komplexität diskursiver Prozesse hervor. Dies birgt Anreize – Anreize, die in der Forschung zu Genre und Gender Erweiterungen erlauben, denn anstelle vereinfachender Argumentationen tritt die Notwendigkeit eines präzisen Vorgehens, das es im Verhältnis von Genese und Wirkmacht produktiv zu machen gilt.
6.2 U NSCHÄRFEN IN DER B ESCHREIBUNG : Q UEERE T HEORIEN UND P OTENZIALE EINER ANALYTISCHEN G EWICHTUNG Betrachtet man die in dieser Arbeit vorfolgten Perspektiven auf die Verknüpfung von Genre und Gender, wie sie eingangs unter der Prämisse ihrer Diskursivierung skizziert und dann für das Musical durch konstitutive Deutungsmuster exemplifiziert wurden, so zeigt sich, dass der interkategoriale Bezug widerstreitende Momente prozessiert. Er eröffnet Ambivalenzen, die sich anhand diskursinterner Widersprüche, asymmetrischer Verhältnisse, einander in Frage stellender Annahmen, aber auch entlang der Fortschreibung bestehender Spannungen, durch Verschiebungen in eine potenzielle Verknüpfung und in der geradezu exzessiven Hervorstellung ihrer Effekte gestalten. Doch an dieser Stelle ist ein weiterer Anstoß zu umreißen: Während die bisherigen Ausführungen den umbrella term Ambivalenz anlegen und
17 Vgl. die Diskussion in Kapitel 2.2. 18 Die Betonung eines konsequenten Zugriffs sollte nicht als normative Forderung missverstanden werden, sondern begründet sich in ihrem Potenzial einer Differenzierung. Um auch ein Beispiel für audiovisuelle Verhandlungen zu nennen: In wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen lässt sich ein zunehmendes Interesse an ›Crossdressing-Filmen‹ aufzeigen; jene avancieren geradezu zu einem Genre, das anhand der Repräsentation von Gender bestimmt ist. Allerdings kann mit Blick auf innerdiegetische Performanzen und in ihrer Fokussierung durch sprachliche Praktiken eine Differenzierung erfolgen, denn in vielen Fällen ist das, was als Crossdressing summiert wird, nicht als solches bestimmt. In Rückbindung an Genre könnte also etwa zwischen ›Crossdressing-Filmen‹, ›Drag-Filmen‹, ›Travestie-Filmen‹ etc. unterschieden werden.
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schon in diesem Begriff eine je zu spezifizierende Beschreibung dessen einfordern, was in der interkategorialen Verbindung genau widerstreitende Momente birgt bzw. hervorruft, so gilt es auch zu fragen, inwiefern hierzu nicht Alternativen möglich sind. Dies soll sich allerdings weniger darauf konzentrieren, ob anstelle des Begriffs der Ambivalenz etwa Ambiguität, Heterogenität oder Pluralität treffender wären, um das changierende Wechselspiel von Genre und Gender zu erfassen.19 Vielmehr geht es um eine in der Beschreibung vermittelte analytische Anregung, denn die unter dem Nenner einer Ambivalenz gebündelten Konkurrenzen, Unvereinbarkeiten oder Unschärfen ließen sich – so der Anstoß – entlang queerer Theorien mehr noch in ihrer Grundlage beobachten: in der Wechselseitigkeit, aus der jene Ambivalenzen erwachsen. Anhand queerer Theorien kann folglich eine Präzisierung20 entworfen werden, die zugleich auf eine bestehende »Leerstelle um die Auseinandersetzung mit queeren Theorieansätzen«21 antwortet.
19 Dieses Unterfangen wäre wohl auch kaum produktiv – zeigt sich doch zumindest für die vielfältigen und variablen Beschreibungen durch Amphibolie, Ambiguität und Ambivalenz eine nicht zu unterschätzende »Fraglosigkeit, mit der sich die literatur- und kulturwissenschaftlichen Debatten zu diesem terminologischen Überschuss […] verhalten«. Frauke Berndt/Stephan Kammer: Amphibolie – Ambiguität – Ambivalenz. Die Struktur antagonistisch-gleichzeitiger Zweiwertigkeit. In: dieselben (Hg.): Amphibolie – Ambiguität – Ambivalenz. Würzburg 2009, S. 7-30, hier S. 8. 20 Genau genommen ist es keine Präzisierung, sondern eine Abstraktion: Der unterbreitete Vorschlag tritt zum einen als eine Explikation dessen auf, was in der Arbeit durchaus angelegt und umgesetzt wurde. Zum anderen intendiert er jedoch auch eine forschungsbezogene Positionierung, die die Verbindung zu queeren Theorien nicht nur, wie bislang geschehen, innerhalb der diskursanalytischen Rekonstruktion, sondern auch unter konzeptionellen Gesichtspunkten wagt. 21 Monika Bernold/Andrea B. Braidt/Claudia Preschl: Vorwort. In: dieselben (Hg.): Screenwise. Film, Fernsehen, Feminismus. Dokumentation der Tagung ›Screenwise. Standorte und Szenarien zeitgenössischer feministischer Film- und TV-Wissenschaften‹, 15.–17. Mai 2003 in Wien. Marburg 2004, S. 8-11, hier S. 10 f. In dieser Einleitung wird aus jener Leerstelle heraus auch vermutet, dass bereits eine Etablierung queerer Theorien stattgefunden hat. Dies kann jedoch für die Auseinandersetzung mit genretheoretischen Impulsen nicht bestätigt werden: Abseits der Beschäftigung mit New Queer Cinema finden sich kaum Bezugnahmen und selbst die Fokussierung queeren Kinos verfährt zumeist wenig konkret entlang genrewissenschaftlicher Ansätze; sie ist oft auf exemplarische Nennungen reduziert oder als historische Verschiebung des ›Mainstream-Kinos‹ perspektiviert. Für Genre und Gender zeigt sich eine womöglich noch erstaunlichere Zurückhaltung: Wenn überhaupt, so wird das Potenzial queerer Theorien lediglich im Hinblick auf Fragen der Repräsentation behandelt. Im Folgenden wird mit Engels Arbeit zwar auch ei-
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Obwohl in der vorliegenden Arbeit betont wird, dass Genre und Gender in einer Wechselseitigkeit operieren, die aufgrund des Zusammentreffens stabilisierender und destabilisierender Momente als ambivalent zu beschreiben ist, so unterliegt diese Deskription doch einem Problem: Zwar mag sie die Reziprozität widerstreitender Konstellationen hervorheben, nichtsdestotrotz scheinen Letztere mehr das Resultat denn die Grundlage einer Verknüpfung der Kategorien zu sein. Dies sollte nicht missverstanden werden; es wird in der Analyse sehr wohl die Bedingtheit konkurrierender Einschätzungen betont, die sich ihrerseits schon aufgrund der Fokussierung konstitutiver Deutungen nicht ›bloß‹ als Ergebnis einer Verbindung von Genre und Gender begreifen lassen. Allerdings neigt die Beschreibung dazu – sie nutzt den Begriff der Ambivalenz und markiert hierin ein Attribut bzw. ein Phänomen, das aufgrund der diskursiven Wirklichkeitskonstruktion in ihrer sprachlichen Verfasstheit ein statisches Verständnis schürt. Dem mag womöglich nicht zu entgehen sein; wie bereits in Kapitel 2.2 dargestellt, kann hierin sogar eine Annäherung an die Komplexität diskursiver Prozesse erfolgen, ohne ihre Wirkmacht auszublenden.22 Und dennoch bedarf es an einigen Stellen mitunter umständlicher (teils auch stilistischer) ›Verrenkungen‹, um diese Statik einer Beschreibung nicht zu intensivieren, sondern stattdessen das Augenmerk auf Konstruktionsprozesse zu lenken. Nun mag dies zunächst wenig bedeutsam sein, wenn aber (abseits der stilistischen Schwierigkeit) aus der verwendeten Beschreibung heraus gewissermaßen erneut eine widerstreitende Konstellation erwächst, so hat man es nicht nur mit einer selbstreflexiven Figuration zu tun – eine Figuration, die die Ambivalenz, die sie beschreibt, wiederum in der Beschreibung durch Ambivalenz fortführt. Vielmehr eröffnen sich darin auch Alternativen, die in queeren Theorien pointiert werden können. So zeichnen sich queere Theorien durch eine Perspektive auf Verhältnisse aus. Sie untersuchen generierende Mechanismen von Normativität, genauer: Heteronormativität, innerhalb eines darauf gründenden, gesellschaftlichen Dominanzverhältnisses – stellen dies aber in die Bedingtheit zu davon abweichenden Entwürfen.23 Norm und Abweichung, Heteronormativität und Queerness sind unabschließbar verbunden, wodurch sich (vergleichbar zum Krisenbegriff) eine rekursive Denkfigur auftut, in der das, was vermeintlich unter Queerness gebündelt wird, zu-
ne solche Richtung eingeschlagen, wie aber schon in Kapitel 2.1 deutlich wurde, kann Engels Ansatz durchaus über Repräsentationen hinaus verortet werden. Vgl. als Beispiel auch die Erwähnung queeren Kinos bei Stam: Part IV: Text and Intertext, S. 151. 22 Genau dies stellt einen entscheidenden Grund für die verfolgte Beschreibung durch Ambivalenz dar – zumal die Anbindung an queere Theorien hierin zwar impliziert sein mag, wie es in diesem Kapitel aber noch zu diskutieren gilt, entstehen mit ihr nicht unerhebliche Probleme im Aufzeigen der Wirkmacht. 23 Vgl. etwa Degele: Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 17.
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gleich auch Heteronormativität auszeichnet und umgekehrt: »Since queer does not assume for itself any specific materiality or positivity, its resistance to what it differs from is necessarily relational rather than oppositional.«24 Mit diesem knappen Abriss eröffnet sich eine entscheidende Konsequenz, denn einer solchen Perspektive auf queere Theorien folgend kann ein immanent kontextueller Ansatz gestalten werden, der die Wechselseitigkeit widerstreitender Momente nicht nur betont, sondern mehr noch in ihrer Abhängigkeit, in ihrer unabschließbaren Bedingtheit, konturiert. Anstelle die Kopplung von Genre und Gender also als ambivalent zu beschreiben und darin Gefahr zu laufen, ein unidirektionales, lineares oder chronologisches Verständnis zu evozieren, mit dem womöglich gar statische Konzeptionen einhergehen, erlauben queere Theorien hingegen eine deutlichere Fokussierung, aus der dann wiederum Implikationen entstehen, die zu weitergehenden Untersuchungen einladen – nicht zuletzt indem schon disziplinäre Verortungen erweitert werden. Zunächst soll jener Ansatzpunkt jedoch anhand von Engels Konzept der VerUneindeutigung exemplifiziert sowie problematisiert werden, sodass sich zumindest skizzenhaft Potenziale einer Beschreibung mittels queerer Theorien entfalten. Während Engels Arbeit bislang – abseits der in der Diskursanalyse formierten Bezüge – im Hinblick auf die Beobachtung einer Kategorienkrise produktiv gemacht wurde, so lässt sich dies ergänzen. Engel, die anhand von Repräsentationen die Komplexität signifikatorischer Prozesse betont und nicht in den Aporien alternativer Entwürfe einer Vervielfältigung oder einer Auflösung gefangen bleiben möchte, entwickelt aufbauend auf diesem Fokus ein Konzept, das eine Analyse des Verhältnisses von Sexualität und Geschlecht in ihrer diskursiven Verquickung ermöglicht: die VerUneindeutigung. Diese stellt einen ›Ausweg‹25 aus der Verknüp-
24 Annamarie Jagose: Queer Theory. An Introduction. New York 1996, S. 98. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch bei anderen Autoren, beispielsweise stellt David M. Halperin dar: »There is nothing in particular to which it [queer] necessarily refers.« David M. Halperin: Saint Foucault. Towards a Gay Hagiography. New York/Oxford 1995, S. 62 [Herv. i.O.]; vgl. auch zur Karriere des Begriffs Queer und seiner diversen Umkodierungen Degele: Heteronormativität entselbstverständlichen, S. 15 sowie Andreas Kraß: Queer Studies. Eine Einführung. In: ders. (Hg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies). Frankfurt a.M. 2003, S. 7-28, hier S. 17 f. 25 Genau genommen ist es kein Ausweg, sondern eine Perspektive, die von Engel angeregt wird. Laut ihr gilt es, nicht Alternativen zur Verbindung von Gender und Sexualität zu entwerfen, sondern Beobachtungen zu formieren, die jene Verbindung auch in ihren destabilisierenden Momenten hervortreten lassen. Gleichwohl versteht sich Engels Ansatz aber als eine Intervention und gelangt über den strategischen Einsatz in eine alternative Positionierung, die dann konzeptionelle Probleme mit sich bringt.
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fung von Gender und Sexualität dar, indem Engel hierin die Bedeutung situativer Momente betont und Verfahren für das prozessuale Umarbeiten hegemonialer bzw. heteronormativer Repräsentationen diskutiert. Ihr Ziel ist es, eine Strategie zu entwerfen, die es erlaubt, »geschlechtliche und sexuelle Unterschiedlichkeit als prozessual, kontextuell und konstituiert in Machtverhältnissen«26 darzustellen. Entlang des Repräsentationsbegriffs bietet Engels Entwurf der VerUneindeutigung einen Zugriff, der eine Verhältnisbeschreibung zwischen Normierung und Destabilisierung erlaubt – nicht aber eine Beobachtung von Qualitäten nach sich zieht. So schlägt Engel das Verfahren der VerUneindeutigung vor, insofern es »die symbolische oder soziale Bedeutung geschlechtlicher und sexueller Existenzweisen zwar immer in Relation zum, aber verbunden mit der überschreitenden Abwendung vom binär-hierarchischen, normativ heterosexuellen System«27 berücksichtigt. Das Konzept der VerUneindeutigung beschreibt hierzu ein Verhältnis, welches überaus wechselhaft ist: »[A]ls kontextuelle Praktiken in historisch und kulturell spezifischen Machtverhältnissen«28 wird eine Perspektive auf Repräsentationen entwickelt, die genau jene Annahme einer kontextuellen Bedingtheit zur Beobachtung heranzieht und dabei zugleich »ein reflexives Verhältnis stark[macht]«.29 Die bei Engel auf Repräsentationen enggeführten Signifikationsprozesse unterliegen bestimmten und ihrerseits komplexen Rahmungen, über die letztlich ihre eigene Instabilität hervortritt. Allerdings steht dies nicht in Kontrast zu stabilisierenden Konstellationen, denn beide Dimensionen sind in ihrer Kontextabhängigkeit, in ihrer diskursiven Gestaltung, in ihrer historischen wie kulturellen Spezifik begründet und generieren erst dadurch Bedeutung. Für Repräsentationen nun mag diese Perspektive in besonderer Weise virulent sein, sie lässt sich jedoch erweitern, denn: Auf den Punkt gebracht nimmt Engels Konzept der VerUneindeutigung die Kontextabhängigkeit von Signifikationen zum Ausgangspunkt und verweist schon hierin auf ihre Mehrdimensionalität. Jegliche Bedeutung – auch die etwa in Genrediskursen prozessierte Bedeutung30 – ist von ihren Einbettungen bedingt, sodass sich die von Engel entwickelte Strategie gar »als eine an den soziomateriellen Effekten und Produkten ausgerichtete Variante der Dekonstruktion«31 begreifen lässt. Allerdings entsteht in der Verortung dieser Strategie, in ihrem intervenierenden Einsatz, eine nicht zu unterschlagende Schwierigkeit.
26 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 224. 27 Ebd., S. 15. 28 Ebd., S. 14. 29 Ebd., S. 18. 30 Vgl. auch die Ausführungen zu dieser diskurstheoretischen Erweiterung in Kapitel 2.1. 31 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 155.
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Entlang der hier verfolgten Skizze32 wird deutlich, dass Engels Entwurf der VerUneindeutigung einen Ansatz bildet, um auf inhärente Spannungsverhältnisse und Grenzen signifikatorischer Prozesse aufmerksam zu machen, ohne diese aber in Alternativen zu bündeln oder sie in ihrer kontextuellen Bedingtheit auszublenden. Vielmehr wird genau dies sogar zur Grundlage – auch wenn Engel mitunter entgegen ihres eigenen Entwurfs argumentiert. Dies zeigt sich besonders deutlich im strategischen Einsatz ihres Konzepts, das »situativ aufgerufen und gegebenenfalls zurückgestellt werden [kann]«.33 Mit dieser Einschränkung entsteht nicht nur die Gefahr, ein autonomes Subjekt wieder einzuführen und es diskursiven Normierungen – die Engel untersucht und in ihrer Geltung betont – zu entheben.34 Vielmehr gerät Engel auch in ein argumentatives Dilemma, das darauf gründet, dass einerseits zwar entlang des Repräsentationsbegriffs wirkmächtige Prozesse zu beobachten sind, andererseits diese jedoch im Rahmen des strategischen Einsatzes ausgeklammert werden können. Das, was in einem Verhältnis der wechselseitigen Bedingtheit steht, was kontextuell sowie relational erfasst werden soll, fällt weg, so-
32 Vgl. auch die knappe Exemplifizierung durch Engel im Kapitel »VerUneindeutigung als Strategie queerer Politik der Repräsentation«, ebd., S. 224-229. 33 Ebd., S. 229. Im Abgabeexemplar ihrer Dissertation heißt es sogar noch schärfer: »Da es sich bei der VerUneindeutigung um eine Strategie [...] handelt, spricht nichts dagegen, sie situativ einzusetzen und gegebenenfalls auf sie zu verzichten.« Antke Engel: Repräsentation als Intervention. Queer/feministische Politik der VerUneindeutigung von Geschlecht und Sexualität. Dissertationsschrift des Philosophischen Instituts der Universität Potsdam. Potsdam 2001, S. 216. 34 Gerade für das Verhältnis von Subjekt und Diskurs ist dies bei Engel virulent: Zum einen wird ein Agency-Begriff angelegt, der eigentlich eine subjektfreie Wirksamkeit diskursiver Prozesse betonen kann und sich nicht auf eine rigide Trennung von Subjekt und Objekt einlassen muss. Bei Engel aber kommt es in der Simultanität von Subjektkonstruktion und Handlungsmacht zur Ausblendung dieses Potenzials, sodass Agency letztlich allein an Subjekte gebunden ist. Zum anderen kritisiert Engel etwa die klassifikatorische Tendenz Butlers in der Unterscheidung zwischen Intelligibilität und Verworfenheit – führt aber eine ähnlich starre Tendenz fort, wenn es um den strategischen Einsatz und sein Potenzial geht. Hier wird ein politisch-emanzipativer Rahmen, in dem die ›Repräsentation als Intervention‹ zu verorten ist, nicht bloß betont, vielmehr wird er auch in der Alternative von Norm oder Abweichung gebündelt. Diese Tendenz, die sich in anderen Teilen der Queer Theory ebenfalls findet, blendet den Gewinn einer Fokussierung von Norm und Abweichung in ihrer konstitutiven Bezogenheit aus. Vgl. die Kritik an Butler bei Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 25, im Hinblick auf Agency und Subjektkonstruktion ebd., S. 62 f. sowie die Gegenüberstellung von Norm und Abweichung im Rahmen des politischen Nutzens ebd., S. 198 f. und S. 225 f.
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bald in der Absicht einer politischen Intervention simplifizierende Betrachtungen ermöglicht oder sogar noch geschürt werden.35 Abseits der von Engel verfolgten Intervention bietet ihr Konzept jedoch auch eine Beschreibungsmöglichkeit36 – eine Beschreibungsmöglichkeit, die den skizzierten Fallstrick im strategischen Einsatz meidet und zugleich einen Anstoß für die gemeinsame Beobachtung von Genre und Gender vermittelt. So gilt der Reziprozität widerstreitender Momente bei Engel besondere Aufmerksamkeit; sie wird mit dem Konzept der VerUneindeutigung nicht nur pointiert, sondern auch in ihren konzeptionellen Voraussetzungen geschärft. Dies ist bereits sprachlich angelegt, denn obgleich die Begriffskonstruktion ungewöhnlich sein mag, so finden in ihr doch verschiedene Aspekte zusammen: Der Begriff der VerUneindeutigung markiert etwa einen Prozess und wird darin anschlussfähig – immerhin handelt es sich bei den fokussierten Verknüpfungen von Genre und Gender um dynamische Größen, die anhand historischer Änderungen, aber auch durch interne Umakzentuierungen oder Verschiebungen zu beobachten sind. Für den Musicaldiskurs ist dies beispielsweise in diskursinhärenten Widersprüchen innerhalb eines Deutungsmusters hervorzuheben (Kapitel 3.3), aber auch in der Parallelität nicht vereinbarer Genrebestimmungen (Kapitel 4.3) oder gar in intertextuellen Referenzen (Kapitel 5.4). Und auch darüber hinaus bietet der Begriff der VerUneindeutigung, etwa über die Binnengroßschreibung, eine Möglichkeit zur changierenden Erfassung, denn in der Negation bleiben Spuren des Negierten erhalten.37 Konkurrierende Perspektiven werden dahingehend gerade in ihrer Wechselseitigkeit betont, sodass Übertragungen auf die verfolgte Rekonstruktion sogar die Artikulation einer Kategorienkrise umfassen können – von der bei Gerhart angeregten Beobachtung produktiver und kategorialer Dimensionen über die bei Garber verfolgte Beschreibung um Komplexitätssteigerung und Simplifizierung bis hin zu der von Koselleck aufgerufenen und bei Schneider besonders pointierten Bedingtheit um Krise und Lösung (Kapitel 3.5, Kapitel 4.5 und Kapitel 5.5). Zwar mag die Erfassung solcher
35 Engel intendiert zwar eine politische Intervention, im Rahmen des skizzierten argumentativen Problems stellt sich jedoch die Frage, ob diese überhaupt erfolgreich sein kann, wenn sie sich darin zugleich angreifbar macht. 36 Dies ist allerdings nicht im Sinne Engels. Sie betont, dass »VerUneindeutigung kein deskriptiver Begriff« ist, sondern ein konzeptioneller Anstoß, der zugleich als politische Strategie fungiert. Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 225 [Herv. i.O.]. 37 Begrifflich ist dies etwa ähnlich zu dem von Freud betrachteten Unheimlichen, das in der Negation Spuren des Heimisches und des Heimlichen aufweist. Vgl. Sigmund Freud: Das Unheimliche [1919]. In: Alexander Mitscherlich/Angela Richards/James Strachey (Hg.): Studienausgabe in zehn Bänden. Bd. IV: Psychologische Schriften. Frankfurt a.M. 2000, S. 243-274, hier S. 248-252.
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Wechselseitigkeiten erschwert sein – handelt es sich doch schon um ein lineares, sprachlich-grafemisches System, innerhalb dessen Beobachtungen überhaupt formiert werden38 –, nichtsdestotrotz bietet der von Engel angeregte Vorschlag auch dazu einen Ansatz. Die hier vorgebrachte Bezugnahme zu Engel sollte nicht als bloßer Ersatz der vorhandenen Beschreibung durch einen anderen Begriff verstanden werden, vielmehr gilt es, diese Bezugnahme als einen Anstoß zu begreifen, der in der Beschreibung konzeptionelle Implikationen birgt und beiderseits eine Schärfung verspricht. Engels Vorschlag der VerUneindeutigung ermöglicht es, so die Überlegung, vielfältige und zugleich sehr konkrete Analysen vorzunehmen, indem diskursive Prozesse in ihrer Vielschichtigkeit und in ihren je spezifischen Kontextualisierungen betont werden, ohne ihre Komplexität durch einseitige Beschreibungen auszublenden. Letztlich könnte darin sogar ein Queering produktiv gemacht werden – nicht im Sinne eines Queer Reading,39 sondern im Sinne einer analytischen Haltung, die die Wechselseitigkeit von normierenden und abweichenden Konstellationen, stabilisierenden und destabilisierenden Perspektiven, hervorbringenden und begrenzenden Momenten beobachtet und zum Ausgangspunkt einer Rekonstruktion macht. Wie es Nikki Sullivan etwa auch für Filme betont, wird dadurch eine Relationalität pointiert;40 es geht um eine prozessuale Denkfigur, welche die Reziprozität konkurrierender Einschätzungen innerhalb einer Sinnstiftung entlang ihrer je eigenen Kontexte hervorhebt. Queere Theorien (und der Plural ist in dieser Übertragung bewusst gewählt) scheinen geradezu prädestiniert, um bereits auf deskriptiver Ebene konzeptionelle Schärfungen zu liefern. Ergänzend ließe sich allerdings auch fragen, welche weiteren Entwürfe, welche forschungsbezogenen Verortungen und welche theoretischen Modellierungen noch Erkenntnisse über die Verknüpfung von Genre und Gender zutage fördern, durch welche Gewichtungen und innerhalb welcher Grenzen weitere Ansätze gestaltet werden können. In der – zugegeben wenig genauen und keineswegs unproblematischen – Beschreibung über den umbrella term Ambivalenz wird nicht nur die Notwendigkeit einer je zu spezifizierenden Beobachtung deutlich. Es entstehen darüber hinaus auch Möglichkeiten, um alternative Fokussierungen zu diskutieren, wie es hier
38 Auf diese Problematik der Erfassung verweisen im Übrigen auch Ansätze der Intersektionalitätsforschung, wobei – vergleichbar zu Engel – ebenfalls Varianten der schriftlichen Fixierung diskutiert werden, etwa die Konstruktion »G_e_n_d_e_r«, welche die Verquickung verschiedener Kategorien pointiert und analytische Schärfungen verspricht. Hornscheidt: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen, S. 105. 39 Vgl. hierzu beispielsweise Kraß: Queer Studies, S. 22. 40 Vgl. nochmals Sullivan: A Critical Introduction to Queer Theory, S. 192.
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exemplarisch anhand queerer Theorien und Engels Konzept der VerUneindeutigung skizziert wurde. Während die Forschung zu Genre und Gender bislang zwar vielfältige Gesichtspunkte hervorgestellt hat und wichtige Ausnahmen bestehen, so verbleibt ein Gros der Entwürfe doch anhand zweier Richtungen – genderspezifische Genrepräferenzen oder genrespezifische Genderrepräsentationen – differenzierbar, sie stehen mitunter in engen disziplinären Grenzen und tendieren teils zu simplifizierenden Betrachtungen. Wenn nun aber dieses Feld auch analytisch zu erweitern ist und dies (zum Beispiel entlang queerer Theorien) nicht auf Kosten einer perspektivischen Reduktion geschehen muss, so entstehen Anregungen, die geradezu dazu einladen, die Auseinandersetzung mit Genre und Gender zu erweitern.
6.3 U NSCHÄRFEN IN DER V ERKNÜPFUNG : F AMILIENÄHNLICHKEIT UND P OTENZIALE IM V ERWEIS AUF DIE B EOBACHTERABHÄNGIGKEIT Neben den bislang unterbreiteten Anstößen, die in der Berücksichtigung der Komplexität auch scheinbar statischer Konstellationen sowie in der analytischen Gewichtung entlang queerer Theorien zwei forschungsrelevante Perspektiven entfalten, soll abschließend noch ein weiterer Impuls formuliert werden. Dieser fokussiert sich durch eine Ergänzung, welche sicherlich auch Implikationen für anschließende Forschung birgt – im Unterschied steht hier aber die Relation von Genre und Gender selbst im Mittelpunkt. So stellt sich in Anbetracht der vorliegenden Rekonstruktion die Frage, weshalb gerade die Verbindung dieser beiden Kategorien ambivalent verfährt. Warum oszillieren Genre und Gender in ihrer diskursiven Verquickung überhaupt zwischen statischen und dynamischen, einander wechselseitig zu beobachtenden Dimensionen? Diese Fragestellung ruft zwei Probleme auf: Zunächst kann die vorliegende Rekonstruktion nur bedingt Auskunft über das Warum einer ambivalenten Verknüpfung von Genre und Gender geben – immerhin wäre doch ein Vergleich notwendig, um überhaupt festzustellen, inwiefern jene Ambivalenz spezifisch für die Verbindung genau dieser beiden Kategorien ist. So zeichnen sich innerhalb der Diskursanalyse zwar durchaus Sinngebungen ab, die entlang der Verknüpfung von Genre und Gender (!) auch weitere Kategorien, etwa Race, Sexualität oder Age, in eine konstitutive Position rücken. Dies bedürfte allerdings einer intensiveren Betrachtung, sodass sich schließlich erst vergleichend eine Spezifik in der ambivalenten Beziehung von Genre und Gender behaupten ließe. Demgegenüber kann jedoch zumindest durch das Vorgehen eine Anregung vermittelt werden. Indem anhand einer korpusimmanenten Fokussierung der Musicaldiskurs im Vordergrund steht und indem etwa auch in der Operationalisierung
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mittels Attributionen ein besonderes Gewicht auf spezifische Momente einer Sinnstiftung, auf ihre Genese und ihre Geltung, gelegt wird, vermeidet die Rekonstruktion übergreifende und mitunter einseitige Beschreibungen. Sie ist zwar nicht immun gegenüber Materialeffekten, sie erlaubt aber eine Abstandnahme zu Darstellungen, die die Kopplung von Genre und Gender etwa im Verweis auf die lange Tradition einer Naturalisierung von Geschlecht allein als Essentialisierung erfassen. Insofern wird ein präziser Blick auf die Verknüpfung der Kategorien geworfen, wodurch sich in dieser Hinsicht sehr wohl Ansätze für eine konzeptionelle Öffnung skizzieren lassen; die Beantwortung des Warums wird in der Bedingtheit durch eine diskursspezifische Rekonstruktion ermöglicht und berücksichtigt hierin zugleich ihre eigenen Grenzen. Das zweite Problem, das mit dieser Fragestellung verbunden ist, besteht in ihrem Modus. So tendiert die Warum-Frage doch dazu, eine Absicht zu behaupten; sie verleiht der Verknüpfung von Genre und Gender eine Intention, die ihrerseits dann als Antwort auftritt. Dies mag in der Beschreibung diskursiver Prozesse schon aufgrund ihrer wirklichkeitsstiftenden Effekte vielleicht nicht zu vermeiden sein – wie es aber etwa auch der Begriff der Diskursivierung anlegt, handelt es sich hierbei grundlegend um eine Beobachterunterstellung. Es ist eine erst in der Annahme eines Zusammenhangs verschiedener Aussagen ermöglichte Perspektive, die als solche auszuweisen ist. Bislang wurden dazu vor allem methodische Aspekte diskutiert, die von der Analyse diskursiver Prozesse über ihre Vergleichbarkeit bis hin zu ihrer Identifikation reichen. Allerdings muss der Beobachterabhängigkeit auch für die Frage, weshalb die Verbindung von Genre und Gender ambivalent verfährt, Rechnung getragen werden, sodass sich die Zuschreibung einer Intention verbietet. Beide Problemstellungen unterminieren die Aussagekraft. So kann eine Antwort auf das Warum einer ambivalenten Kopplung nur innerhalb der Grenzen der vorliegenden Rekonstruktion gegeben werden und sie ist nur innerhalb der Grenzen einer Diskursivierung von Genre und Gender sowie der damit verbundenen Axiome gültig. Doch genau dadurch eröffnet sich eine konzeptionelle Stoßrichtung: Wenn solche Beobachterunterstellungen unweigerlich zur Begrenzung der Gültigkeit führen, warum sollten sie dann nicht auch – so ließe sich lapidar fragen – eine Antwort bieten, um das ambivalente Verhältnis von Genre und Gender zu erklären? Allerdings ist zu ergänzen, denn in der schlichten Tautologie einer solchen Antwort – ›die Verknüpfung von Genre und Gender ist ambivalent, weil sie als ambivalent beobachtet wird‹ – fällt unter Umständen ein Bereich weg: ihre Wirkmacht. Während in der Diskursivierung von Genre und Gender schon eine Beobachterunterstellung formiert wird, die auch in ihrer Relevanz für das ambivalente Verhältnis der Kategorien zu betonen ist, so besteht demgegenüber eine Gefahr. Die Betonung, dass die zu untersuchenden Phänomene doch erst aufgrund ihrer Beobachtung entstehen, (ver)führt allzu schnell in eine Reduktion, die die Wirkmacht der Phänomene ausblendet. Wie es sich wohl am deutlichsten in der Krisendiagnose
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abzeichnet, kann aus der Einsicht in die Konstruiertheit einer Kategorie ihr Versagen abgeleitet werden. Gerade im Kontext diskurstheoretischer Überlegungen scheinen derartige Kurzschlüsse äußerst virulent – vom »Mythos des Dialogs«,41 wie er für die Genretheorie von Scheinpflug abgrenzend benannt wird, über eine gerade genderwissenschaftlich vorgebrachte ›one-fits-all‹-Figur des Dritten, wie exemplarisch bei Garber,42 bis hin zur einseitigen Beschreibung der Verknüpfung von Genre und Gender entlang ihrer Effekte einer Stabilisierung oder einer Destabilisierung. Der Verweis auf die Beobachterabhängigkeit stellt insofern gar ein Instrument dar, um die Kritik an Kategorien zu nähren. Dieser Tendenz ist jedoch entgegenzuwirken – und zwar nicht nur, wie bislang skizziert, methodisch, sondern auch im Hinblick auf die Frage, warum Genre und Gender in ihrer Kopplung Ambivalenzen prozessieren wie produzieren. Dazu bietet Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit einen Impuls, in welchem die Ähnlichkeit von Genre und Gender eine Begründung ihrer ambivalenten Verknüpfung leistet – ohne aber dass dies auf Kosten der Wirkmacht geht, denn die Ähnlichkeit der Kategorien kann zugleich auch als Effekt ihrer Verknüpfung gelten. Dies soll zunächst anhand bestehender Übertragungen in der Forschung und ihrer Problemfelder erläutert werden, denn hier zeigt sich nicht nur das Problem einer Gleichsetzung von Konstruiertheit und Verlust der Wirkmacht, umgekehrt dient Wittgensteins Ansatz sogar einer erneuten Essentialisierung. Sowohl in der Untersuchung von Genre als auch Gender sind unterschiedliche Vorschläge angeregt und diskutiert worden, die das Konzept der Familienähnlichkeit nutzen; die Palette der Entwürfe reicht von indirekten Referenzen43 bis hin zu Ansätzen, die die jeweilige Kategorie entlang Wittgensteins Begriff bestimmen. Und so schlägt beispielsweise Klaus W. Hempfer eine Differenzierung vor, die zwischen »Gattungen als historische Gruppen von Texten und (mehr oder weniger) transhistorisch invarianten generischen Strukturen«44 unterscheidet. Sein Modell
41 Scheinpflug: Formelkino, S. 52. 42 Obgleich Garber kein explizit diskurstheoretisches Modell verfolgt, so gilt doch dem »discourse of clothing and body parts« besondere Aufmerksamkeit. Garber: Vested Interests, S. 151. 43 Dies scheint gerade in genretheoretischen Zusammenhängen zu dominieren; wie auch für prototypentheoretische Entwürfe kann eine Vielzahl alternativer Konzepte identifiziert werden, die durchaus anschlussfähig wären, etwa die Diskussion um Subgenres. Dass mit Hempfers Ansatz allerdings im Folgenden ein philologischer Zugriff als Beispiel dient, begründet sich hierin nicht – diese Auswahl steht in der Absicht, verschiedene Positionen disziplinübergreifend unter dem Nenner genretheoretischer Überlegungen zu erfassen. 44 Klaus W. Hempfer: Generische Allgemeinheitsgrade. In: Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart/Weimar 2010, S. 15-19, hier S. 16.
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versucht, überzeitliche Invarianten als Prototypen auszuweisen45 und bündelt sie terminologisch als Schreibweise.46 Demgegenüber sei »für die historischen Gattungen der Wittgensteinsche Begriff der ›Familienähnlichkeit‹«47 produktiv zu machen; er bestimmt Gattungen Hempfer zufolge nicht über ein einzelnes Merkmal, welches in allen ›Exemplaren‹ auftritt, sondern »über historisch unterschiedliche Merkmalsbündel […], die jedoch zueinander in einer Ähnlichkeitsrelation stehen, sodass es stets zu partiellen ›Überlappungen‹ historisch unterschiedlicher Manifestationsformen«48 kommt. Familienähnlichkeit wird folglich als eine Eigenschaft begriffen, die zwischen verschiedenen Merkmalsmengen besteht und diese in ihrer Unschärfe, in ihrem Teilweise-Zutreffen, hervorhebt. Allerdings gerät Hempfer trotz dieses Ansatzes in eine essentialistische Annahme, die über die Behauptung historisch invarianter Strukturen, also Schreibweisen, hinausreicht. So ist das Verhältnis zwischen Schreibweisen und Gattungen (bzw. im Weiteren zwischen Prototypikalität und Familienähnlichkeit) ein Hierarchisiertes, in dem sich Gattungen erst mittels Schreibweisen in »ihrem prototypischen Kern realisieren«.49 Hier zeigt sich schon sprachlich eine Essenz, ein »Kern«, über den Hempfers Vorschlag letztlich in genau die Probleme gerät, die er eigentlich kritisiert: Hempfer kontrastiert seinen Entwurf mit einem »Postulat, das generische Strukturen generell als ausschließlich historisch bestimmbar auffaßt«,50 denn diese Annahme gerät ins Wanken, sobald »gleichwohl auf Kategorien wie das ›Erzählen‹ oder das ›Komische‹ rekurriert wird«.51 Sein Weg aus dieser Schwierigkeit heraus stellt aber lediglich eine Entscheidung zugunsten ahistorischer Perspektiven dar, die dann in der Differenz um Schreibweise und Gattung unterfüttert werden. Obgleich dies im Umweg über prototypentheoretische Überlegungen geschieht, so tritt doch eine Essentialisierung ein, die sich Wittgensteins Entwurf bedient. Dennoch ist Hempfers Ansatz nicht gänzlich zu verabschieden – immerhin zeigen sich erste Potenziale, indem der Rückgriff auf Familienähnlichkeit zumindest produktiv erscheint, um nicht in einseitige Beschreibungen entlang eines einzelnen (womöglich tautologischen) Merkmals zu geraten. Seinem Entwurf liegt die Ab-
45 Dass Konzepte der Prototypikalität in einem Atemzug mit Familienähnlichkeit benannt werden, ist kaum verwunderlich – immerhin gründen sie auf jener Vorstellung Wittgensteins, wie es etwa schon Rosch betont. Vgl. Rosch: Principles of Categorization, S. 36. 46 Vgl. auch ausführlicher Klaus W. Hempfer: Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973, S. 27 f. 47 Hempfer: Generische Allgemeinheitsgrade, S. 18. 48 Ebd. 49 Ebd. 50 Ebd., S. 16. 51 Ebd.
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sicht einer Differenzierung zugrunde, die zwar nicht zur Abkehr von essentialistischen Annahmen führt, jedoch die Notwendigkeit einer präzisen Betrachtung impliziert und darin sogar ein Stück weit Dynamisierungen betreibt. Und ebendies, die Dynamisierung in der Bestimmung einer Kategorie entlang des nur partiellen Zutreffens verschiedener Merkmale, wird in gendertheoretischer Hinsicht noch um einiges stärker konturiert – wenngleich auf Kosten der Wirkmacht, wie es sich erneut bei Engel zeigt. Engel stellt im Anschluss an Jacob Hale52 dar, dass sich der Begriff der Familienähnlichkeit eignet, »um ein Verständis [sic!] von Geschlecht und Körpergeschlecht zu entwickeln, das sich auf keinerlei ›notwendige‹ Bedingung der Geschlechtsbestimmung einlässt, und doch erlaubt, Spezifiken und Unterschiede zu formulieren«.53 Dabei soll kein einzelnes Merkmal ausschlaggebend sein, vielmehr »finden sich bestimmte Merkmale bei einigen Mitgliedern der Kategorie, aber mitnichten bei allen, und teilweise auch außerhalb der jeweiligen Kategorie.«54 In dieser Hinsicht hebt Engel zusammen mit Hale hervor, dass Grenzen zwischen Geschlechtern nicht »Linien, sondern Zonen der Überlappung«55 bilden, die in ihrer Familienähnlichkeit beschrieben werden können. Insofern wird Wittgensteins Konzept also ebenfalls zu einer Eigenschaft, die nun allerdings zwischen verschiedenen Merkmalsmengen bestehen kann, denn jene treffen nicht nur partiell zu, sondern befinden sich »teilweise auch außerhalb der jeweiligen Kategorie«.56 Allerdings markiert der Entwurf von Engel bzw. Hale in genau diesem ›kann‹ ein Problem, das quasi gegenüber der Tendenz zur Essentialisierung steht. So blenden beide Autoren die Frage aus, wodurch bestimmte Merkmale eine Genderzuordnung erlauben und warum es überhaupt zu einer Fixierung dieser Kategorie gerade in der Dichotomie ›Mann oder Frau‹ kommt. Dies mag in der Diskursivität von Geschlecht, schon im Begriff Gender, erklärt sein – präzise wird dies jedoch nicht untersucht. Und so kommt es letztlich zur Ignoranz der Wirkmacht geschlechtlicher Einteilungen, denn wenn sich Merkmale eben »teilweise auch außerhalb der jewei-
52 Vgl. auch Jacob Hale: Consuming the Living, Dis(re)membering the Dead in the Butch/ Ftm Borderlands. In: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 4.2/1998, S. 311-348. 53 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 26 [in Anm.]. 54 Ebd., S. 188. 55 Hale: Consuming the Living, Dis(re)membering the Dead in the Butch/Ftm Borderlands, S. 323 zitiert nach und übersetzt durch Engel: Wider die Eindeutigkeit, S. 188. Im Original heißt es: »Borders between gender categories, then, are zones of overlap, not lines.« 56 Dieser Zusatz stellt einen entscheidenden Unterschied zu Hempfers Entwurf dar – hier treffen einzelne Merkmale zwar nur partiell zu, inwiefern sie aber zugleich kategorieübergreifend bzw. außerhalb einer Kategorien verortet werden, bleibt offen und ließe sich entlang der Essentialisierung durch ahistorische Invarianten sogar verneinen.
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ligen Kategorie« verorten lassen, dann bedeutet dies zugleich, dass selbst die »Zonen der Überlappung« nicht konturiert werden können. Gender und eine darauf gründende Kategorisierung werden dynamisch konzipiert, in eine konstruktivistische Perspektive integriert – in der Bezugnahme zu Wittgenstein bleibt aber offen, inwiefern »Spezifiken und Unterschiede zu formulieren« sind, wenn doch bereits die Identifikation der ›Gender-Zonen‹ und ihrer potenziellen Merkmale kaum möglich erscheint. Zwar verweist Hale noch auf die drastischen Konsequenzen einer ›Überlappung‹ geschlechtlicher Einteilungen,57 spätestens in Engels Lektüre gerät dies jedoch aus dem Blick – und das, obwohl auch sie, wie im vorherigen Kapitel skizziert, eine (argumentativ prekäre) Intervention beabsichtigt. Beide exemplarisch ausgewählten Ansätze58 referieren auf das Konzept der Familienähnlichkeit und betonen hierdurch anstelle eindeutiger Merkmale Unschärfen, die für Kategorien und vor allem für ihre Zuordnung entscheidend sind. Dies ist durchaus produktiv; die Ansätze beugen jeweils statischen Verständnissen vor und versuchen zugleich Spezifika zu berücksichtigen – wenngleich dies mitunter nicht konsequent umgesetzt wird, sodass Essentialisierungen eintreten (Hempfer), oder wenn darin, gewissermaßen zu konsequent, die Unschärfe von Kategorien gleichbedeutend mit ihrer Wirkungslosigkeit behandelt wird (Engel). Abgesehen davon eröffnet das Konzept der Familienähnlichkeit jedoch noch eine weitere Ebene, die nicht ›bloß‹ Abstufungen und partielle Überlappungen darstellt, sondern Ähnlichkeit prinzipiell als Beobachtungsleistung begreift und so – neben der Relativität einer Kategorie – auch für Relationen zwischen Kategorien aufschlussreich ist. Um dies zu plausibilisieren, gilt es im Folgenden, Wittgensteins Entwurf knapp zu umreißen und ihn mit den skizzierten Übertragungen zu konfrontieren, sodass sich schließlich eine Antwort auf das Warum einer ambivalenten Verknüpfung von Genre und Gender auftut.
57 Hale leitet seine Überlegungen anhand des sogenannten »Brandon/Teena«-Falls her und verweist schon hierin auf die mitunter äußerst drastischen Folgen einer Überlappung geschlechtlicher Grenzen. Schließlich werden sie sogar als »battle zones« bezeichnet – dies geschieht allerdings in der vagen Aussicht auf Veränderungen. Hale: Consuming the Living, Dis(re)membering the Dead in the Butch/Ftm Borderlands, S. 340; vgl. auch ebd., S. 311 f. 58 Dass hier verschiedene Probleme seitens genre- oder genderwissenschaftlicher Überlegungen skizziert werden, bedeutet nicht, dass dies allein den jeweiligen thematischen Fokussierungen geschuldet ist. Auch für Untersuchungen zu Gender lassen sich beispielsweise implizite Essentialisierungen in der Bezugnahme zu Wittgenstein aufzeigen; etwa bei Haag, die ähnlich zu Hempfer verfährt, wenn von einer Genderdichotomie ausgehend ihre Varianz in der Alltagswahrnehmung behauptet wird. Vgl. hierzu erneut Haag: Flucht ins Unbestimmte, S. 184 f.
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Während Ähnlichkeit häufig, wie bei Hempfer, als eine strukturelle Eigenschaft verstanden wird und dies Tür und Tor für implizite Essentialisierungen öffnet, so beleuchtet Wittgenstein dies doch eigentlich von anderer Seite. Er fragt nicht danach, welche Merkmale in einer Ähnlichkeitsrelation stehen oder inwiefern Ähnlichkeit gar Kategorien inhärent ist. Vielmehr bietet der Begriff für ihn eine Möglichkeit, um den Prozess der Grenzziehung selbst zu betrachten und diesen in seinen spezifischen Kontexten zu verfolgen. Wittgensteins Beispiel der Zahlen59 oder der Spiele60 zeigt, dass Ähnlichkeit gerade nicht auf einem Bündel von Merkmalen basiert, sondern erst in der Verwendung von Kategorien entsteht. In dieser Hinsicht kritisiert Wittgenstein aber nicht nur Gewichtungen entlang hinreichender und notwendiger Bedingungen, wie dies auch beim Hempfer der Fall sein mag. Vielmehr stellt er in der Fokussierung des Sprachspiels sogar explizit die Gefahren essentialisierender Annahmen aus: »Unser Fehler ist, dort nach einer Erklärung zu suchen, wo wir die Tatsachen als ›Urphänomene‹ sehen sollten. D.h., wo wir sagen sollten: dieses Sprachspiel wird gespielt.«61 Und so wird »das Sprachspiel als das Primäre«62 begriffen, nicht jedoch eine Essenz, die ihm vorausgeht und die der Ähnlichkeit zwischen Merkmalen bzw. Kategorien innewohnt. Mit der Betonung des Sprachspiels mag Wittgensteins Überlegung zunächst sehr nah an Entwürfen sein, die, wie bei Engel, hervorheben, dass kategoriale Unterscheidungen entstanden sind und die hieraus zugleich den Verlust ihrer Wirkmacht begründen. Doch dies ist nicht der Fall, denn für Wittgenstein sind sie in die »Praxis des Gebrauchs der Sprache«63 eingestellt; Unterscheidungen können zwar immer nur als kontextabhängig gelten – sie unterliegen dadurch aber bestimmten Regeln, die bereits die Hervorbringung von Unterscheidungen in ihren Möglichkeiten begrenzen.64 Und daher geht es Wittgenstein etwa auch »[n]icht um die Erklärung eines Sprachspiels durch unsre Erlebnisse [...], sondern um die Feststellung
59 Vgl. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, S. 49 § 68. 60 Vgl. ebd., S. 48 § 66. 61 Ebd., S. 202 § 654 [Herv. i.O.]. 62 Ebd., S. 202 § 656 [Herv. i.O.]. 63 Ebd., S. 16 § 7. 64 In dieser Hinsicht können Wittgensteins Sprachspiele als Diskurse untersucht werden; gerade durch die Relevanz spezifischer Kontexte und ihrer wirkmächtigen Effekte lassen sie sich verbinden. Außerdem bestehen weitere Berührungspunkte, etwa im Verhältnis von Bedeutungskonstitution und Sprache sowie in den methodischen bzw. methodenkritischen Implikationen. Vgl. hierzu auch Robert Feustel/Maximilian Schochow: Einleitung: Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse. In dieselben (Hg.): Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse. Bielefeld 2010, S. 7-16, hier S. 8 f.
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eines Sprachspiels.«65 Dies verschiebt erneut den Fokus, da Wittgenstein hiermit entgegen einer Ignoranz der Wirkmacht kategorialer Einteilungen doch mehr noch das Vermögen zur Grenzziehung betrachtet: »Denn ich kann dem Begriff ›Zahl‹ feste Grenzen geben, d.h. das Wort ›Zahl‹ zur Bezeichnung eines fest begrenzten Begriffs gebrauchen, aber ich kann es auch so gebrauchen, daß der Umfang des Begriffs nicht durch eine Grenze abgeschlossen ist. […] Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen; denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort ›Spiel‹ angewendet hast.)«66
Wie Wittgenstein hervorhebt, ist es in Anbetracht des Gebrauchs weniger wichtig, welche Grenzen ›tatsächlich‹ auftreten, sondern die Fähigkeit, überhaupt Grenzen ziehen zu können, rückt in den Vordergrund. Und ebendiese Fähigkeit ist konstitutiv an die kontextuelle Rahmung, an das Sprachspiel und seine Regeln, gebunden, wodurch sich auch erklärt, dass sie wirksam ist. Die Verwendung von Kategorien im Sinne einer Grenzziehung wird zwar als Konstruktionsprozess betont, spätestens in der abschließenden Klammerbemerkung wird aber deutlich, dass dies nicht die Verwendung selbst unterminiert. Zwar mag man sich durchaus an bestimmten Kategorien ›stören‹, dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Verlust ihrer Wirkmacht, denn sie werden »angewendet«. Wittgensteins Überlegung zielt nicht darauf, die Graduierung von Kategorien, ihr nur partielles Zutreffen (oder das ihrer Merkmale), als Ersatz für eine scheinbar statische Unterscheidung zu nutzen, sie demonstriert nicht die Wirkungslosigkeit kategorialer Einteilungen. Sie wird aber ebenso wenig als eine inhärente Eigenschaft begriffen und für die Annahme einer Wesenhaftigkeit fruchtbar. Vielmehr verlagert sich der Schwerpunkt in Richtung einer kontextuellen Bedingtheit; die Graduierung von Kategorien ist erst im Sprachspiel selbst verortet. Dadurch liegt – entgegen beiden Richtungen einer Übertragung, entgegen Engel und entgegen Hempfer – der Fokus weniger auf kategorieinternen Unschärfen, sondern mehr noch auf der Relation, die sich in der Kontextgebundenheit eröffnet. Die Pointe, wenn man so will, ist also nicht, dass Kategorien bloß relativ zu bestimmen sind und mehr oder weniger zutreffen – vielmehr sind sie nur relational zur jeweiligen Beobachtung, zum zugrundeliegenden Sprachspiel und seiner Regeln zu konzeptualisieren. Und ebendiese Relation lässt sich als Familienähnlichkeit beschreiben.67
65 Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, S. 202 § 655. 66 Ebd., S. 49 § 68 [Herv. i.O.]. 67 Die häufige Verdeutlichung ›wenn a und b familienähnlich sind, und b und c familienähnlich sind, dann sind auch a und c familienähnlich‹ ist in diesem Rahmen missver-
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In dieser Hinsicht ist Familienähnlichkeit kein Kennzeichen, das bei Hempfer Merkmalsbündel historischer Gattungen besitzen oder das bei Hale in »border zone dwellers«68 auftreten mag. Stattdessen ist sie ein Verweis auf die Beobachterposition, auf die Kontexte und Vorannahmen, mit denen Zuordnungen zu Kategorien erfolgen und Relationen hergestellt werden. Es zeigen sich nicht (allein) Überlappungen aufgrund einer Ähnlichkeit, sondern die Perspektive, mit der überhaupt von einer Ähnlichkeit ausgegangen wird, rückt ins Zentrum. Und dies gilt ebenso in Umkehrung, denn erst in der Konsequenz einer Beobachtung lässt sich eine Ähnlichkeit behaupten. Dadurch wird sie jedoch nicht unmaßgeblich oder gar beliebig, denn im Verweis auf die Beobachterposition schreiben sich das Sprachspiel, seine Regeln und grundlegender noch seine Möglichkeiten fort. Ähnlichkeit ist insofern keine Eigenschaft, sondern ein Prozess, der gleichermaßen als Basis und als Ergebnis einer Beobachtung fungiert. Ob Wittgensteins Ansatz als pragmatisch, instrumentalistisch oder gar als radikal konstruktivistisch zu werten ist, mag davon abhängen, wie seine »Abneigung gegen Erklärungen«69 – eines der vermeintlich entscheidenden Probleme der Wittgenstein-Forschung – diskutiert und bewertet wird. Diese »Abneigung« muss jedoch nicht als Einschränkung der Gültigkeit verstanden werden, denn sie kann stattdessen auch als Potenzial gelten. Ebenso wie Wittgenstein die Kontextgebundenheit sprachlicher Äußerungen betont, kann sein Konzept der Familienähnlichkeit flexibel und in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt werden. Das hier verfolgte Interesse an der Verknüpfung von Genre und Gender wird daher zu einer Option, die Anstöße vermittelt und diese auch für die Beantwortung der Frage skizziert, warum beide Kategorien ambivalente Konstellationen in ihrer Verbindung eröffnen. Im Kontext der hier angerissenen Ausführungen ist dabei folgende Überlegung leitend: Genre und Gender zeichnen sich durch eine Familienähnlichkeit aus, die im Kontext der Beobachterabhängigkeit ebenjener Beschreibung als Grundlage und als Effekt ihrer ambivalenten Relation auftritt. Beide Kategorien werden als wichtige, einander ähnliche Bezugsgrößen begreifbar, insofern sie – zumindest für das Musical – verwoben sind und entsprechend der Ähnlichkeitsrelation identische, aber auch differente Momente bergen. Darin lassen sich zunächst die jeweiligen Ambivalenzen in ihrem Auftreten be-
ständlich, insofern die Ähnlichkeit auf der jeweiligen Beobachtung basiert. Hier wäre das ›wenn‹ vielleicht sinnvoller ein ›wann‹. 68 Hale: Consuming the Living, Dis(re)membering the Dead in the Butch/Ftm Borderlands, S. 340. 69 Dieter Birnbacher/Armin Burkhardt: Vorbemerkung der Herausgeber. In: dieselben (Hg.): Sprachspiel und Methode. Zum Stand der Wittgenstein-Diskussion. Berlin/New York 1985, S. vii-xiv, hier S. ix [Herv. i.O.].
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gründen; die skizzierten Konkurrenzen, Unvereinbarkeiten oder Unschärfen diskursiver Sinngebung finden eine spezifische Formung anhand jener Momente, wobei diese zugleich in das jeweilige Sprachspiel, in die Geltungs- sowie Konstruktionsbedingungen der Diskursebenen, integriert sind. Die Familienähnlichkeit von Genre und Gender wird in dieser Hinsicht zur Beobachtungsleistung, denn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ergeben sich erst in der Diskursivierung beider Kategorien, in der Unterstellung eines Zusammenhangs verschiedener Aussagen und seiner präzisen Erfassung. Doch nicht bloß solche Momente sind samt ihrer beobachterabhängigen Rekonstruktion ausschlaggebend. Stattdessen tritt ebenso die sich erst in ihrer Relation vollziehende Bestimmtheit hervor; beide Kategorien gelangen anhand ihrer Verknüpfung in eine wechselseitige Konstitution, die sich innerhalb verschiedener Deutungsmuster und innerhalb ihrer Beobachtung gestaltet. Wenn Genre und Gender also eine ambivalente Beziehung aufgrund ihrer Familienähnlichkeit offenbaren und wenn es darin zugleich zur Hervorbringung der Kategorien kommt, so wird umgekehrt in ihrer ambivalenten Beziehung auch erst eine Familienähnlichkeit hergestellt. Sie fungiert daher als Basis und als Konsequenz jener wechselseitig konstitutiven Verbindung, sodass sich resümieren lässt: Die Ambivalenz einer Verknüpfung von Genre und Gender begründet sich in der Familienähnlichkeit der Kategorien, wie auch die Familienähnlichkeit der Kategorien in der Ambivalenz ihrer Verknüpfung begründet ist. Hierin äußert sich die eigentliche Komplexität der vorliegenden Diskursivierung von Genre und Gender, denn in der präzisen Rekonstruktion entlang des Spannungsfelds um Genese und Wirkmacht zeigt sich nicht allein das überaus wechselhafte Zusammenspiel der Kategorien, sondern ebenso die Relevanz seiner Betrachtung. Diese konzeptionelle Fluchtlinie, die gerade keine abschließende Figuration wählt, sondern beobachtungstheoretische Dimensionen samt ihrer durchaus weitläufigen Konsequenzen ins Zentrum rückt, eröffnet Potenziale: Anstelle einer Beschreibung durch Merkmalsmengen oder Überlappungen geht es mehr noch darum, die jeweiligen Instrumente einer Beschreibung und ihre Folgen zu betonen. Die Kategorien werden dadurch aber nicht auf das Abstellgleis ihrer Unwirksamkeit verschoben oder demgegenüber neuerlich in die Problemfelder einer Essentialisierung eingereiht. Stattdessen eröffnet sich eine relationale Bestimmung, die – wie in dieser Arbeit – als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung dienen kann und so etwa auch disziplinäre Grenzen überwindet. Dies bedeutet jedoch zugleich, dass ein wenig mehr Abstand von grobschlächtigen Einteilungen genommen werden muss, die den Wechselbezug von Genre und Gender ausschließlich als Stabilisierung oder als Destabilisierung begreifen. Vielmehr gilt es in verschiedener Weise – in der methodischen Verortung, in der analytischen Erfassung und in der konzeptionellen Gewichtung –, die Komplexität diskursiver Prozesse anzuerkennen und hervorzustellen.
V ON
DER
D IFFERENZ
ZUR
D IFFERENZIERUNG
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Die Fokussierung scheinbar eindeutiger Konstellationen ist hierin wichtig, ebenso wie mit queeren Theorien eine Beschreibung möglich wird. Und nicht zuletzt verspricht auch das Konzept der Familienähnlichkeit Ergänzungen – es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern solche Anstöße die Auseinandersetzung mit Kategorien, mit Genre und Gender, bereichern.
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AUDIOVISIONEN Film A CHORUS LINE. USA 1985, R: Richard Attenborough. A CLOCKWORK ORANGE (dt. UHRWERK ORANGE). UK/USA 1971, R: Stanley Kubrick. GE WU QING CHUN/HIGH SCHOOL MUSICAL CHINA (auch HIGH SCHOOL MUSICAL CHINA: COLLEGE DREAMS). CN 2010, R: Shi-Zheng Chen. GREASE (dt. auch SCHMIERE). USA 1978, R: Randal Kleiser. HAIR. USA 1979, R: Miloš Forman. HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR. USA 2008, R: Kenny Ortega. JOHANNA D’ARC OF MONGOLIA. D 1989, R: Ulrike Ottinger. LA CAGE AUX FOLLES (dt. EIN KÄFIG VOLLER NARREN). F/I 1978, R: Édouard Molinaro. MAMMY. USA 1930, R: Michael Curtiz. SINGIN’ IN THE RAIN (dt. auch DU SOLLST MEIN GLÜCKSSTERN SEIN). USA 1952, R: Stanley Donen/Gene Kelly. THE BIRDCAGE (dt. THE BIRDCAGE – EIN PARADIES FÜR SCHRILLE VÖGEL). USA 1996, R: Mike Nichols. THE FIRST NUDIE MUSICAL. USA 1976, R: Mark Haggard/Bruce Kimmel. THE GOLD DIGGERS. UK 1983, R: Sally Potter. THE HOLLYWOOD REVUE OF 1929. USA 1929, R: Charles Reisner. THE JAZZ SINGER (dt. DER JAZZSÄNGER). USA 1927, R: Alan Crosland. THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW. UK/USA 1975, R: Jim Sharman. Fernsehen HIGH SCHOOL MUSICAL. USA 2006, R: Kenny Ortega, Erstausstrahlung USA 20.01.2006. HIGH SCHOOL MUSICAL 2 (dt. auch HIGH SCHOOL MUSICAL 2: SINGT ALLE ODER KEINER!). USA 2007, R: Kenny Ortega, Erstausstrahlung USA 17.08.2007. ROSEANNE (USA 1988-1997): SWEET DREAMS (dt. EIN TRAUM VOLL SEIFENSCHAUM), S02 E08. R: John Pasquin, Erstausstrahlung USA 07.11.1989. SHARPAY’S FABULOUS ADVENTURE (dt. SHARPAY’S FABELHAFTE WELT). USA 2011, R: Michael Lembeck, Erstausstrahlung USA 22.05.2011. Theater A CHORUS LINE. New York (Shubert Theatre) 25.07.1975 (Uraufführung), R: Michael Bennett. CHAT! THE INTERNET MUSICAL (auch CHAT! A NEW BRITISH MUSICAL). Edinburgh (George Square) 06.08.2009 (Uraufführung), R: Phil Cross.
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EVITA. London (Prince Edward Theatre) 21.06.1978 (Uraufführung), R: Harold Prince. HAIR (auch HAIR – THE AMERICAN TRIBAL LOVE-ROCK MUSICAL, dt. zunächst HAARE, später HAIR). New York (Biltmore Theatre) 29.04.1968 (Uraufführung), R: Tom O’Horgan. HARTZ IV – DAS MUSICAL. Dresden (Dresdener Schauspielhaus) 13.01.2006 (Uraufführung), R: Erik Gedeon. HEDWIG AND THE ANGRY INCH. New York (Jane Street Theater) 14.02.1998 (Uraufführung), R: Peter Askin. LA CAGE AUX FOLLES. New York (Palace Theatre) 21.08.1983 (Broadway-Fassung), R: Arthur Laurents. OKLAHOMA! New York (St James Theatre) 31.03.1943 (Uraufführung), R: Rouben Mamoulian. RENT. New York (Nederlander Theatre) 29.04.1996 (Uraufführung), R: Michael Greif. THE ROCKY HORROR SHOW. London (Royal Court Theatre) 16.06.1973 (Uraufführung), R: Jim Sharman. Internet AVbyte: FACEBOOK – THE MUSICAL. In: Youtube, 03.06.2013, URL: https://www. youtube.com/watch?v=Y2JhpNbe2Io [Zugriff 14.6.2014]. CollegeHumor: WEB SITE STORY. In: Youtube, 06.08.2009, URL: https://www.you tube.com/watch?v=FtPb8g8Jl6I [Zugriff 13.06.2014].
Anhang 1: Prototypen des Musicals Eine Annäherung an die Kategorisierung medialer Artefakte
Um Einblicke in Prozesse einer Kategorisierung als Musical zu gewinnen, sind Verzeichnisse verschiedener Publikationen, etwa Filmografien, entlang der Häufigkeit ihrer Nennung einzelner Artefakte gewichtet worden. Die Kriterien zur Auswahl bestanden dabei (angelehnt an das Vorgehen entlang sprachlicher Praktiken) in der Verwendung des Wortes ›Musical‹ im Publikationstitel sowie im Vorhandensein solcher Verzeichnisse, die zumeist ebenfalls mit dem Wort ›Musical‹ operieren. Obgleich das Material lediglich aus elf Quellen besteht, so sollte in der Auswahl ein möglichst vielfältiges Spektrum der Genreverhandlung wiedergegeben werden. Und diese Vielfalt tritt – um einiges stärker – auch innerhalb der Kategorisierung hervor: Insgesamt werden 626 Artefakte historisch umfassend1 dem Musical zugeordnet.2 Trotz der geringen Aussagekraft bezüglich empirisch-statistischer Maßstäbe gewährt diese Sichtung wichtige Erkenntnisse. Zunächst zeigt sich, dass nahezu ausschließlich Theater- oder Filmartefakte genannt werden; nur zwei Fernsehproduktionen werden durch unterschiedliche Publikationen als Musicals kategorisiert: PETER PAN3 und ONCE MORE, WITH FEELING.4
1
Das frühste – in der Wortbildung retrospektiv – als Musical geltende Artefakt bildet THE BLACK CROOK (New York (Niblo’s Garden) 12.09.1866 (Uraufführung), R: William Wheatley); die aktuellsten Nennungen fallen teils mit dem Erscheinungsjahr der jeweiligen Publikationen zusammen.
2
Aufgrund dieser Menge wird auf eine genaue Angabe der Artefakte verzichtet. Das Veröffentlichungsjahr dient jedoch zur Differenzierung, insbesondere wenn es sich um verschiedene Artefakte mit (nahezu) identischen Titeln handelt.
3
PETER PAN, USA 1960, R: Vincent J. Donehue, Erstausstrahlung USA 08.12.1960.
4
BUFFY THE VAMPIRE SLAYER (dt. BUFFY – IM BANN DER DÄMONEN, USA 1997-2003): ONCE MORE, WITH FEELING (dt. NOCH EINMAL MIT GEFÜHL), S06 E07, R: Joss Whedon, Erstausstrahlung USA 06.11.2001.
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Dies ist auch deshalb auffällig, da abseits der quantitativen Gewichtung lediglich sieben der berücksichtigten Veröffentlichungen einen medialen Bezug in ihren Titeln formieren, obgleich auch alle Übrigen die Anwendung der Kategorie für Theater oder Film spezifisch vornehmen bzw. zumindest in unterschiedliche Verzeichnisse trennen. Die Kategorisierung als Musical erfolgt also anhand bestimmter Medien (Theater oder Film) – dies wird jedoch nicht stets betont, sodass sich eine synkretistische Dimension innerhalb der Verwendung der Kategorie eröffnet. Darüber hinaus tritt eine prototypische Anordnung, eine Gewichtung randständiger und zentraler Musicals, hervor. Diese ist stark ausgeprägt, denn in der Fülle verschiedener Kategorisierungen wird lediglich ein einziges Artefakt in über zwei Drittel der Publikationen genannt: SINGIN’ IN THE RAIN. Die Attribution seiner Genrezugehörigkeit scheint demnach von einer enormen Typizität bedingt zu sein – zumal die meisten Kategorisierungen sonst (mitunter auch der Weitläufigkeit des Materials geschuldet) auf ein bis zwei Publikationen beschränkt sind; lediglich vier weitere Artefakte gelten in über 50 Prozent der Quellen als Musicals. Die Grundlage zur Annäherung an die Kategorisierung medialer Artefakte bilden folgende Publikationen und ihre jeweiligen Verzeichnisse: Altman, Rick: The American Film Musical. Bloomington/Indianapolis 1987, S. 372-378 und S. 379-386. Feuer, Jane: The Hollywood Musical. London/Basingstoke 1982, S. 123-130. Gatzke, Ursula: Das amerikanische Musical. Vorgeschichte, Geschichte und Wesenszüge eines kulturellen Phänomens. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München. München 1969, S. 224-226. Green, Stanley: Encyclopaedia of the Musical Film. New York/Oxford 1988, S. 3-319. Kessler, Kelly: Destabilizing the Hollywood Musical. Music, Masculinity and Mayhem. Basingstoke/New York 2010, S. 204-216. Knapp, Raymond: The American Musical and the Performance of Personal Identity. Princeton, New Jersey/Woodstock 2006, S. 357-376 und S. 449-470. Ott, Dorothee: Shall we Dance and Sing? Zeitgenössische Musical- und Tanzfilme. Konstanz 2008, S. 347-352. Smith, Susan: The Musical. Race, Gender and Performance. London 2005, S. 129-130. Tyler, Don: The Great Movie Musicals. A Viewer’s Guide to 168 Films That Really Sing. Jefferson/London 2010, S. 341-342. Walsh, David/Platt, Len: Musical Theater and American Culture. Westport, Connecticut/London 2003, S. 179-191. Wolf, Stacy: A Problem Like Maria. Gender and Sexuality in the American Musical. Ann Arbor 2002, S. 275-289.
A NHANG 1
Acht Nennungen SINGIN’ IN THE RAIN (1952) Sechs Nennungen 42ND STREET (1933) FUNNY GIRL (1968) THE JAZZ SINGER (1927) THE WIZARD OF OZ (1939) Fünf Nennungen A STAR IS BORN (1954) ALL THAT JAZZ (1979) CABARET (1972) CABIN IN THE SKY (1943) HAIR (1979) MEET ME IN ST. LOUIS (1944) OKLAHOMA! (1955) SWING TIME (1936) THE PIRATE (1948) THE SOUND OF MUSIC (1965) TOP HAT (1935) WEST SIDE STORY (1961) Vier Nennungen A DAMSEL IN DISTRESS (1937) AN AMERICAN IN PARIS (1951) ANCHORS AWEIGH (1945) ANNIE GET YOUR GUN (1950) BABES IN ARMS (1939) BLUE SKIES (1946) BROADWAY MELODY OF 1940 (1940) CHICAGO (2002) COVER GIRL (1944) DAMES (1934) EASTER PARADE (1948) FIDDLER ON THE ROOF (1971) FOLLOW THE FLEET (1936) FOOTLIGHT PARADE (1933) FUNNY FACE (1957) GIGI (1958) GOLD DIGGERS OF 1933 (1933) GOOD NEWS (1947) GREASE (1978)
GUYS AND DOLLS (1955) HIGH SOCIETY (1956) HOLIDAY INN (1942) IT’S ALWAYS FAIR WEATHER (1955) LOVE ME TONIGHT (1932) MARY POPPINS (1964) MOULIN ROUGE (2001) MY FAIR LADY (1964) NAUGHTY MARIETTA (1935) ON A CLEAR DAY YOU CAN SEE FOREVER (1970) ON THE TOWN (1949) ONE HUNDRED MEN AND A GIRL (1937) SHALL WE DANCE? (1937) SHOW BOAT 1936 (1936) SHOW BOAT 1951 (1951) SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS (1937) SOUTH PACIFIC (1958) STATE FAIR (1945) THE BAND WAGON (1953) THE BARKLEYS OF BROADWAY (1949) THE GAY DIVORCEE (1934) THE GLENN MILLER STORY (1954) THE HARVEY GIRLS (1946) THE JOLSON STORY (1946) THE LOVE PARADE (1929) THE MERRY WIDOW (1934) THE MUSIC MAN (1962) ZIEGFELD FOLLIES (1946) Drei Nennungen A HARD DAY’S NIGHT (1964) ANNIE (1982) ANYTHING GOES (1936) BELLS ARE RINGING (1960) BORN TO DANCE (1936) BRIGADOON (1954) BYE BYE BIRDIE (1963) CALL ME MADAME (1953)
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CAMELOT (1960) CAMELOT (1967) CAROUSEL (1956) CINDERELLA (1950) DREAMGIRLS (2006) EVITA (1996) FAME (1980) FINIAN’S RAINBOW (1968) FLASHDANCE (1983) FOR ME AND MY GAL (1942) GYPSY (1962) HALLELUJAH, I’M A BUM! (1933) HELLO, DOLLY! (1969) HIGH, WIDE AND HANDSOME (1937) HOW TO SUCCEED IN BUSINESS WITHOUT REALLY TRYING (1967) IN THE GOOD OLD SUMMERTIME (1949) JESUS CHRIST SUPERSTAR (1973) KISS ME, KATE (1948) KISS ME, KATE (1953) LADY IN THE DARK (1941) LES GIRLS (1957) LITTLE SHOP OF HORRORS (1986) LOVE ME OR LEAVE ME (1955) MAYTIME (1937) MONTE CARLO (1930) MOTHER WORE TIGHTS (1947) MY FAIR LADY (1956) NASHVILLE (1975) NEW YORK, NEW YORK (1977) OLIVER! (1968) ON THE AVENUE (1937) ONE HOUR WITH YOU (1932) PORGY AND BESS (1959) PYGMALION (1938) ROBERTA (1935) SAN FRANCISCO (1936) SEVEN BRIDES FOR SEVEN BROTHERS (1954)
348 | G ENRE UND G ENDER SILK STOCKINGS (1957) STORMY WEATHER (1943) STRIKE UP THE BAND (1940) SUN VALLEY SERENADE (1941) SWEET CHARITY (1969) TAKE ME OUT TO THE BALL GAME (1949) THE BOY FRIEND (1971) THE GREAT CARUSO (1951) THE GREAT ZIEGFELD (1936) THE KING AND I (1956) THE PAJAMA GAME (1957) THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW (1976) THE STORY OF VERNON AND IRENE CASTLE (1939) THE WIZ (1978) TILL THE CLOUDS ROLL BY (1946) WHITE CHRISTMAS (1954) WORDS AND MUSIC (1948) YANKEE DOODLE DANDY (1942) YENTL (1983) ZIEGFELD GIRL (1941) Zwei Nennungen 1776 (1972) A FUNNY THING HAPPENED ON THE WAY TO THE FORUM (1966) A LITTLE NIGHT OF MUSIC (1973) A STAR IS BORN (1976) ALEXANDER’S RAGTIME BAND (1938) ALL THAT JAZZ (1970) ANNIE GET YOUR GUN (1946) BABES ON BROADWAY (1941) BATHING BEAUTY (1944) BLUES IN THE NIGHT (1941) BROADWAY MELODY (1929) BROADWAY MELODY OF 1936 (1936)
BROADWAY MELODY OF 1938 (1938) CALAMITY JANE (1953) CANDIDE (1956) CAN’T STOP THE MUSIC (1980) CAREFREE (1938) CARMEN JONES (1954) CAROUSEL (1945) CENTENNIAL SUMMER (1946) CHITTY CHITTY BANG BAND (1968) COMPANY (1970) DADDY LONGLEGS (1955) DAMN YANKEES! (1958) DANCE, GIRL, DANCE (1940) DANCER IN THE DARK (2000) DANCING LADY (1933) DIRTY DANCING (1987) DU BARRY WAS A LADY (1943) ENCHANTED (2007) EVERYONE SAYS: I LOVE YOU (1996) EVITA (1979) FANTASIA (1940) FIDDLER ON THE ROOF (1964) FLYING DOWN TO RIO (1933) FOOTLOOSE (1984) FREE AND EASY (1930) FUNNY GIRL (1964) FUNNY LADY (1975) GENTLEMAN PREFER BLONDES (1953) GIRL CRAZY (1943) GIVE A GIRL A BREAK (1953) GO INTO YOUR DANCE (1935) GOING MY WAY (1944) GOLD DIGGERS OF 1935 (1935) GREASE 2 (1982) GYPSY (1959) HAIRSPRAY (2007) HALF A SIXPENCE (1967) HANS CHRISTIAN ANDERSEN (1952) HELLO, FRISCO, HELLO (1943)
I DOOD IT! (1943) INTO THE WOODS (1987) IT HAPPENED IN BROOKLYN (1947) JAILHOUSE ROCK (1957) JOLSON SINGS AGAIN (1949) KISMET (1955) LADY BE GOOD (1941) LADY IN THE DARK (1944) LET’S DANCE (1950) LILI (1952) LITTLE NELLY KELLY (1940) LIVING IN A BIG WAY (1947) MAME (1974) MAN OF LA MANCHA (1965) MUSIC FOR MILLIONS (1944) NAUGHTY MARIETTA (1910) NEW MOON (1940) OF THEE I SING (1931) OKLAHOMA! (1943) ON A ISLAND WITH YOU (1948) ON MOONLIGHT BAY (1951) ON WITH THE SHOW (1929) ONE NIGHT OF LOVE (1934) PAINT YOUR WAGON (1969) PAL JOEY (1957) PASSION (1994) PENNIES FROM HEAVEN (1981) PURPLE RAIN (1984) RENT (2005) RIO RITA (1929) ROMANCE ON THE HIGH SEA (1948) ROSE MARIE (1936) ROYAL WEDDING (1951) SATURDAY NIGHT FEVER (1977) SHOW BOAT (1927) SHOW BOAT 1929 (1929) SHOW GIRL IN HOLLYWOOD (1930) SOUTH PACIFIC (1949) STATE FAIR (1962) STOP IN THE NAME OF LOVE (1988)
A NHANG 1
SUMMER HOLIDAY (1948) SUMMER STOCK (1950) SUNNY SIDE UP (1929) SWEENEY TODD (1979) SWEENEY TODD (2007) SWEETHEARTS (1938) THAT’S ENTERTAINMENT! (1974) THE BELLE OF NEW YORK (1952) THE BLUES BROTHERS (1980) THE BROADWAY MELODY (1929) THE COUNTRY GIRL (1954) THE GANG’S ALL HERE (1943) THE GOLDWYN FOLLIES (1938) THE GREAT WALTZ (1938) THE KING AND I (1951) THE LITTLE PRINCE (1974) THE MERRY WIDOW (1905) THE MUPPET MOVIE (1979) THE TIME, THE PLACE AND THE GIRL (1946) THE UNSINKABLE MOLLY BROWN (1964) THE WIZARD OF OZ (1902) THERE’S NO BUSINESS LIKE SHOW BUSINESS (1954) THIS TIME FOR KEEPS (1947) THOROUGHLY MODERN MILLIE (1967) THOUSANDS CHEER (1943) THREE LITTLE WORDS (1950) TOMMY (1975) WEST SIDE STORY (1957) WILLY WONKA AND THE CHOCOLATE FACTORY (1971) WOODSTOCK (1970) XANADU (1980) YOLANDA AND THE THIEF (1945) YOU WERE NEVER LOVELIER (1942) YOU’LL NEVER GET RICH (1941)
Eine Nennung 125TH STREET (2002) 42ND STREET (1980) A CHORUS LINE (1975) A CHORUS LINE (1985) A CONNECTICUT YANKEE IN KING ARTHUR’S COURT (1949) A FUNNY THING HAPPENED ON THE WAY TO THE FORUM (1962) A GAIETY GIRL (1893) A LITTLE NIGHT MUSIC (1977) A PERFECT COUPLE (1980) A SONG IS BORN (1948) ACROSS THE UNIVERSE (2007) ALADDIN (1992) ALICE IN WONDERLAND (1951) ALICE RESTAURANT (1969) ALICE’S ADVENTURE IN WONDERLAND (1972) ALLEGRO (1947) AN INVITATION TO THE DANCE (1956) ANNIE (1977) ANYTHING GOES (1934) ANYTHING GOES (1956) APPLAUSE (1929) APRIL IN PARIS (1952) ARE YOU THERE? (1916) ARGENTINE NIGHTS (1940) ASSASSINS (1990) AT LONG LAST LOVE (1975) BABES IN ARMS (1937) CAN-CAN (1953) BAMBOOZLES (2000) BEAT STREET (1984) BEAU JAMES (1957) BEAUTY AND THE BEAST (1991) BEAUTY AND THE BEAST (1994) BEDKNOBS AND BROOMSTICKS (1971) BELLS ARE RINGING (1956) BEST FOOT FORWARD (1943)
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BIG BROADCAST OF 1938 (1938) BILLY ELLIOT – I WILL DANCE (2000) BILLY ROSE’S JUMBO (1962) BIRTH OF THE BLUES (1941) BLUE HAWAII (1962) BOMBAY DREAMS (2002) BOY BAND (1997) BREAKIN’ (1984) BREAKIN’ 2: ELECTRIC BOOGALOO (1984) BRIGADOON (1947) BROADWAY (1929) BROADWAY BABIES (1929) BROADWAY RHYTHM (1944) BROADWAY SERENADE (1939) BUDDY (1990) BUGSY MALONE (1976) CABARET (1966) CALL ME MADAME (1950) CALL ME MISTER (1951) CAN’T HELP SINGING (1944) CAN-CAN (1960) CANNIBAL! THE MUSICAL (1996) CAT ON A HOT TIN ROOF (1955) CATCH MY SOUL (1974) CATS (1982) CHANGE OF HABIT (1969) CHECK AND DOUBLE CHECK (1930) CHEYENNE AUTUMN (1964) CHICAGO (1975) CLAMBAKE (1967) CLOSER TO HEAVEN (2001) COLMA – THE MUSICAL (2006) CRAZY FOR YOU (1992) CRY BABY (1990) DADDY LONG LEGS (1955) DAMN YANKEES (1955) DEEP IN MY HEART (1954) DEVDAS (2002) DIXIANA (1930) DOCTOR DOLITTLE (1967)
350 | G ENRE UND G ENDER DOWN ARGENTINE WAY (1940) DREAMGIRLS (1981) DU BARRY WAS A LADY (1939) DUMBO (1941) EARTH GIRLS ARE EASY (1988) ELVIS: THE LEGEND LIVES (1978) EVERGREEN (1934) EVERY SUNDAY (1936) FACE THE MUSIC (1932) FIESTA (1947) FLIRTATION WALK (1934) FLORADORA (1899) FLOWER DRUM SONG (1960) FOLIES BERGÈRE (1935) FOLLIES (1971) FROM A JACK TO A KING (1989) FROM JUSTIN TO KELLY (2003) FUNNY FACE (1927) GAY DIVORCE (1932) GENTLEMEN, BE SEATED! (1948) GIRL CRAZY (1930) GIRLS JUST WANT TO HAVE FUN (1985) GIRLS, GIRLS, GIRLS (1962) GIVE A LITTLE LOVE A LITTLE (1968) GODSPELL (1971) GODSPELL (1973) GOLD DIGGERS IN PARIS (1938) GOLD DIGGERS OF 1937 (1937) GOLDEN DAWN (1930) GOOD NEWS (1927) GOOD TIMES (1967) GOODBYE, MR. CHIPS (1969) GREASE (1972) GREAT BALLS OF FIRE (1999) GUYS AND DOLLS (1950) HAIRSPRAY (1988) HALLELUJAH (1929) HAS ANYBODY SEEN MY GAL (1952)
HEARTS IN DIXIE (1929) HEDWIG AND THE ANGRY INCH (1998) HEDWIG AND THE ANGRY INCH (2001) HELLO, DOLLY (1964) HIGH SCHOOL MUSICAL 3: SENIOR YEAR (2008) HMS PINAFORE (1878) HOW TO SUCCEED IN BUSINESS WITHOUT REALLY TRYING (1961) HUCKLEBERRY FINN (1974) I COULD GO ON SINGING (1963) I MARRIED AN ANGEL (1938) I’D RATHER BE RIGHT (1937) IN CALIENTE (1935) IN OLD CHICAGO (1938) IN TOWN (1892) INSIDE DAISY CLOVER (1965) IRENE (1919) IRISH EYES ARE SMILING (1944) JUBILEE (1935) JUMBO (1935) KING CREOLE (1958) KING OF JAZZ (1930) KISMET (1953) KISSING TIME (1919) LA CAGE AUX FOLLES (1983) LA CAVA (2000) LADY AND THE TRAMP (1955) LADY BE GOOD (1924) LEAVE IT TO ME (1938) LES MISERABLES (1986) LET THEM EAT CAKE (1933) LINIE 1 (1998) LITTLE MARY SUNSHINE (1959) LITTLE MISS BROADWAY (1938) LOOK FOR THE SILVER LINING (1949) LOST HORIZON (1973) LOST IN THE STARS (1974) LOVE ME TENDER (1956) LOVELY TO LOOK AT (1952)
LOVER’S LABOUR’S LOST (2000) LULLABY OF BROADWAY (1951) MAD HOT BALLROOM (2005) MAME (1966) MAMMA MIA! (1999) MAMMA MIA! (2008) MAN OF LA MANCHA (1972) MARGIE (1946) MARRIED IN HOLLYWOOD (1929) MARTIN GUERRE (1995) ME AND JULIET (1953) ME AND MY GIRL (1937) MEET ME IN AT THE FAIR (1952) MERRILY WE ROLL ALONG (1981) MISS DOLLY DOLLARS (1905) MISS SAIGON (1989) MISSISSIPPI (1935) MOBY DICK (1992) MONSOON WEDDING (2001) MOON OVER MIAMI (1941) MURDER AT THE VANITIES (1934) MY DREAM IS YOURS (1949) NAPOLEON (2000) NEPTUNE’S DAUGHTER (1949) NEWSIES (1992) NIGHT AND DAY (1946) NINOTCHKA (1939) NO, NO NANETTE (1925) NOTRE DAME DE PARIS (1998) OH KAY (1926) OLIVER (1963) ON THE TOWN (1944) ON YOUR TOES (1936) ONCE MORE, WITH FEELING (2001) ONE FROM THE HEART (1982) ONE SUNDAY AFTERNOON (1948) PACIFIC OVERTURES (1976) PAINT YOUR WAGON (1951) PAL JOEY (1940)
A NHANG 1
PANAMA HATTIE (1940) PARAMOUNT IN PARADE (1930) PARTY GIRL (1958) PEGGY ANN (1926) PETE’S DRAGON (1977) PETER PAN (1953) PETER PAN (1960) PHANTOM OF THE OPERA (2004) PIGSKIN PARADE (1936) PINOCCHIO (1940) PINS AND NEEDLES (1937) PIRATES OF PENZANCE (1983) POOR LITTLE RICH GIRL (1936) POPEYE (1980) PRESENTING LILI MARS (1943) RAY! (2004) REBECCA OF SUNNYBROOK FARM (1938) RED GARTERS (1954) RED, HOT AND BLUE (1936) RED, HOT AND BLUE (1949) RENT (1996) REPO! THE GENETIC OPERA (2008) RETURN TO THE FORBIDDEN PLANET (1999) RHAPSODY IN BLUE (1945) RHYTHM IS IT! (2004) RIDE ’EM COWBOY (1942) RIDING HIGH (1950) RIO RITA (1942) ROAD TO SINGAPORE (1940) ROCK AROUND THE CLOCK (1956) RODEO (1951) ROMAN HOLIDAY (1953) ROSE MARIE (1924) ROSY RAPTURE (1915) ROUSTABOUT (1964) ROYAL WEDDING (1951) SABRINA (1954) SALLY (1920) SARAFINA! (1992) SATISFACTION (1988)
SATURDAY NIGHT FEVER (1999) SCARED STIFF (1953) SCHOOL DAZE (1988) SCROOGE (1970) SENSATIONS OF 1945 (1944) SGT. PEPPER’S LONLY HEARTS CLUB BAND (1978) SHALL WE DANCE? (2004) SHALL WE DANSU? (1996) SHIP AHOY (1942) SHIPMATES FOREVER (1935) SHUFFLE ALONG (1921) SILK STOCKINGS (1955) SLEEPING BEAUTY (1959) SLIGHTLY FRENCH (1949) SMALL TOWN GIRL (1953) SMOKEY JOE’S CAFÉ (1995) SOME LIKE IT HOT (1959) SOMEBODY LOVES ME (1952) SONG OF NORWAY (1970) SONG OF THE SOUTH (1946) SONG OF THE WEST (1930) SOUTH PARK: BIGGER, LONGER, AND UNCUT (1999) SPEAK EASILY (1932) SPRINGTIME IN THE ROCKIES (1942) STAGE DOOR CANTEEN (1943) STAYIN’ ALIVE (1983) STOWAWAY (1936) STRICTLY BALLROOM (1991) STRIKE UP THE BAND (1930) SUMMER STOCK (1950) SUNNY (1925) SUNSET BOULEVARD (1994) SWEET CHARITY (1966) SWEETHEARTS (1913) SWING PARADE OF 1946 (1946) TAKE THE LEAD (2006) TANGO (1998) TANGOS (1985) THAT’S ENTERTAINMENT, PART II (1976)
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THE ARCADIANS (1909) THE BEAUTIFUL GAME (2000) THE BEGGAR’S OPERA (1952) THE BELLS OF ST. MARY’S (1945) THE BENNY GOODMAN STORY (1955) THE BEST LITTLE WHOREHOUSE IN TEXAS (1982) THE BIG BROADCAST (1932) THE BLACK CROOK (1866) THE BOMB-ITTY OF ERRORS (2001) THE BOY FRIEND (1954) THE BOY FROM SYRACUSE (1938) THE CANDLE WILL ROCK (1938) THE CHOCOLATE SOLDIER (1941) THE COMPANY (2003) THE DESERT SONG (1925) THE DESERT SONG (1929) THE DESERT SONG (1943) THE DESERT SONG (1953) THE DOLLY SISTERS (1945) THE DR. JEKYLL & MR. HYDE ROCK’N’ROLL MUSICAL (2003) THE EMPEROR WALTZ (1948) THE FANTASTICKS (1995) THE FARMER TAKES A WIFE (1953) THE FIREFLY (1937) THE FRENCH LINE (1954) THE GIRL MOST LIKELY (1958) THE GIRL OF THE GOLDEN WEST (1938) THE GREAT GABBO (1929) THE HOT HEIRESS (1931) THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME (1996) THE JAZZ SINGER (1980) THE JOKER IS WILD (1957) THE JUNGLE BOOK (1967)
352 | G ENRE UND G ENDER THE KING OF JAZZ (1930) THE KING STEPS OUT (1936) THE LADY AND THE TRAMP (1955) THE LIGHT BLUES (1916) THE LION KING (1994) THE LION KING (1997) THE LITTLE COLONEL (1935) THE LITTLE MERMAID (1989) THE MIKADO (1885) THE MOST HAPPY FELLA (1956) THE PHANTOM OF THE OPERA (1988) THE PHANTOM OF THE OPERA (2004) THE PHILADELPHIA STORY (1940) THE PIRATE MOVIE (1982) THE PIRATES OF PENZANCE (1879) THE PRODUCERS (1968) THE PRODUCERS (2005) THE PUBLIC ENEMY (1931) THE ROSE (1979) THE SCARLET PIMPERNEL (1997) THE SEVEN LITTLE FOYS (1955) THE SHOCKING MISS PILGRIM (1947) THE SHOOTIST (1976) THE SHOP AROUND THE CORNER (1940)
THE SHOP GIRL (1894) THE SINGING DETECTIVE (2003) THE SINGING FOOL (1928) THE SMILING LIEUTENANT (1931) THE SOUND OF MUSIC (1959) THE STOOGE (1953) THE STUDENT PRINCE (1924) THE SULTAN OF SULU (1904) THE TALK OF HOLLYWOOD (1930) THE TANGO LESSON (1997) THE THRILL OF A ROMANCE (1945) THE VAGABOND KING (1930) THE VAGABOND KING (1956) THE VAGABOND LOVER (1929) THE WITCHES OF EASTWICK (2000) THREE SAILORS AND A GIRL (1953) TIN PAN ALLEY (1940) TIP-TOES (1925) TOM SAWYER (1973) TOMMY (1993) TOO MANY GIRLS (1939) TOULOUSE-LAUTREC (1999) TOUT VA BIEN (1972) TWENTY MILLION SWEETHEARTS (1934)
TWO GENTLEMEN OF VERONA (1971) TWO SISTERS FROM BOSTON (1946) TWO WEEKS WITH LOVE (1950) UNDER THE CHERRY MOON (1986) UNE FEMME EST UNE FEMME (1961) VARSITY SHOW (1937) VIVA LAS VEGAS (1964) WALK THE LINE (2006) WE WILL ROCK YOU (2002) WEEKEND (1967) WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT (1993) WHISTLE DOWN THE WIND (1998) WHOOPEE (1928) WHOOPEE! (1930) WILD STYLE (1983) WITH A SONG IN MY HEART (1952) WONDER BAR (1934) WONDERFUL TOWN (1953) YOU CAN’T RUN FROM IT (1956) YOU WERE NEVER LOVELIER (1942) ZOOT SUIT (1981)
Anhang 2: Prototypische Kategorievertreter des Musicals Eine Annäherung an die Typizität wissenschaftlicher Bezeichnungspraktiken
Damit erste Beobachtungen für die Auseinandersetzung mit dem Musical in ihrer Graduierung der Kategorie generiert werden können, wurde eine Indexsichtung unterschiedlicher wissenschaftlicher Publikationen verfolgt. In ihrer Verwendung des Begriffs ›Musical‹ weisen diese verschiedene Bezeichnungspraktiken aus, die ihrerseits anhand der Häufigkeit der Nennung gewichtet wurden. Während hauptsächlich aktuelle1 und ausschließlich englischsprachige Arbeiten Berücksichtigung erfahren, so sollte das Spektrum durch die Art der Veröffentlichung (Monografie, Qualifikationsschrift, Sammelband) erweitert werden,2 wobei das Auswahlkriterium grundlegend in der Verwendung des Wortes ›Musical‹ im Publikationstitel bestand. Entlang dieser exemplarischen Sichtung, die mit sechs Quellen kaum einer empirisch-statistischen Repräsentativität genügt, eröffnen sich entscheidende Impulse. Zum einen lässt die wissenschaftliche Verhandlung eine prototypische Struktur erkennen; einzelne Kategorievertreter des Musicals3 werden auf lexikaler Ebene un-
1
Altmans Studie – die einzige, die vor der Jahrtausendwende erschienen ist – wurde durch ihren besonderen Status in der Auseinandersetzung mit dem Musical, aber auch aufgrund analytischer Erwägungen, im Hinblick auf Prozesse einer Graduierung, berücksichtigt.
2
Auf eine genaue Aufschlüsselung der jeweiligen Nennungen entlang der Publikationen wird zugunsten der Übersichtlichkeit verzichtet. Außerdem werden Varianten der Schreibung, insbesondere jedoch Pluralkonstruktionen gemeinsam erfasst.
3
Kategorievertreter sind innerhalb der Prototypentheorie nicht identisch mit einzelnen Kategorisierungen, wie sie in Anhang 1 aufgeführt werden. Stattdessen handelt es sich um ›Untergruppen‹ einer Kategorie, die ihrerseits einen generischen Status besitzen. Vgl. dazu auch die Diskussion samt ihrer Beispiele in Kapitel 5.2.1.
354 | G ENRE UND G ENDER
terschiedlich gewichtet. Dahingehend ist die Kategorie als relativ auszuweisen, auch wenn entsprechend des Auswahlkriteriums zunächst allein das Musical behandelt wird. Zum anderen gestattet genau diese Anordnung typischer und untypischer Kategorievertreter einen Blick auf zugrundeliegende Prozesse diskursiver Sinngebung, denn die Häufigkeit der Nennung lässt sich als Indikator der Wirkmacht bestimmter Deutungen begreifen. Und dies kann im Verhältnis untereinander sowie im Verhältnis zu anderen Diskursebenen noch weiter geschärft werden, sodass die Typizität letztlich auch Einblicke in die Entstehung von Sinngebungen gewährt. Die Grundlage der Annäherung an die Typizität wissenschaftlicher Bezeichnungspraktiken bilden folgende Veröffentlichungen und ihre jeweiligen Indexe: Altman, Rick: The American Film Musical. Bloomington/Indianapolis 1987, S. 372-378. Cohan, Steven (Hg.): Hollywood Musicals, the Film Reader. London/New York 2002, S. 201-212. Cohan, Steven (Hg.): The Sound of Musicals. London/Basingstoke/New York 2010, S. 212-217. Knapp, Raymond: The American Musical and the Performance of Personal Identity. Princeton, New Jersey/Woodstock 2006, S. 449-470. Mundy, John: The British Musical Film. Manchester/New York 2007, S. 269-276. Walsh, David/Platt, Len: Musical Theater and American Culture. Westport, Connecticut/London 2003, S. 193-200.
Vier Nennungen musical comedy/ies Drei Nennungen backstage musical concept(ual) musical(s) integrated musical(s) rock musical(s) Zwei Nennungen art musical fairy-tale musical film musicals
folk musical Hollywood musical(s) megamusical musical short(s) Eine Nennung animated musicals book musical British musicals Broadway musical catalog musicals chamber musical children’s musicals
dance musicals disco musicals European musical hybrid musical metamusicals MGM musical musical biographies musical play operatic musicals roadshow musical ruritanian musicals showcase musicals song-and-dance musicals
Edition Medienwissenschaft Stefan Hauser, Roman Opilowski, Eva L. Wyss (Hg.) Alternative Öffentlichkeiten Soziale Medien zwischen Partizipation, Sharing und Vergemeinschaftung Mai 2017, ca. 270 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3612-3
Thomas Morsch, Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky (Hg.) Post TV – Debatten zum Wandel des Fernsehens Januar 2017, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2933-0
Beate Ochsner, Robert Stock (Hg.) senseAbility – Mediale Praktiken des Sehens und Hörens Oktober 2016, ca. 500 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3064-0
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Stefan Greif, Nils Lehnert, Anna-Carina Meywirth (Hg.) Popkultur und Fernsehen Historische und ästhetische Berührungspunkte 2015, 322 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2903-3
Sarah Ertl Protest als Ereignis Zur medialen Inszenierung von Bürgerpartizipation 2015, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3067-1
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