Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung: Wissenschaftliche Arbeit zwischen Berufshabitus und sozialer Abhängigkeit 9783839454459

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit in Geschichtsschreibungen ist zu allererst eine Frage nach den sozialen Rahmenbedingu

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German Pages 280 Year 2021

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? Fragestellung und Forschungsstand
Einleitung
1.1 Glaubwürdigkeit
1.2 Intention
1.3 Habitus
2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Einleitung
2.1 Die Konstitution von Abhängigkeiten in der Geschichtsschreibung und ihre Wirkung auf die Subjekte
2.2 Das Generieren von Wissen als Ausdruck von Abhängigkeit
3. Teilstudie 1 - Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit am Beispiel moderner Unternehmensgeschichtsschreibung
3.1 Methodologie – Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit
3.2 Das Untersuchungsfeld: Unternehmensgeschichte und Unternehmensgeschichtsschreibung
3.3 Fallbeispiele
3.4 Fazit zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit in den Fallbeispielen
4. Teilstudie 2 - Der Berufshabitus von Historikern als Indikator für Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit
4.1 Das Konstrukt des Berufshabitus
4.2 Narratives Interview und dokumentarische Methode
4.3 Begründete Auswahl der Interviewpartner
4.4 Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit
4.5 Vergleich der Berufshabitus in Bezug auf die Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht
5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung: Wissenschaftliche Arbeit zwischen Berufshabitus und sozialer Abhängigkeit
 9783839454459

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Teresa Brandt Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Geschichtstheorie  | Band 1

Teresa Brandt, geb. 1989, lebt in Paderborn und untersucht, wie sich soziale Abhängigkeiten auf die Arbeit von Wissenschaftler*innen auswirken. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Glaubwürdigkeitstheorien in der Geschichtsschreibung und Chancenungleichheiten in der Wissenschaft.

Teresa Brandt

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung Wissenschaftliche Arbeit zwischen Berufshabitus und sozialer Abhängigkeit

Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2019/20 von der Fakultät für Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde für den Druck leicht überarbeitet sowie partiell gekürzt und ergänzt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Wikipedia/Bernd Schwabe in Hannover: Bauschmuck des Bildhauers Ludwig Vierthaler an der Fassade des Georg von Cölln-Hauses, Am Markte 8 in Hannover gegenüber dem Eingang der Marktkirche. 4.3.2013, CC. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5445-5 PDF-ISBN 978-3-8394-5445-9 https://doi.org/10.14361/9783839454459 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung .............................................................................. 7 Einleitung ................................................................................ 11 1. 1.1 1.2 1.3

Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? Fragestellung und Forschungsstand .................................................. 17 Glaubwürdigkeit .................................................................... 21 Intention .......................................................................... 26 Habitus ............................................................................ 30

2. 2.1

Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit............................. 39 Die Konstitution von Abhängigkeiten in der Geschichtsschreibung und ihre Wirkung auf die Subjekte .................................................. 46 2.2 Das Generieren von Wissen als Ausdruck von Abhängigkeit .......................... 55 3.

Teilstudie 1 Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit am Beispiel moderner Unternehmensgeschichtsschreibung...................................... 63 3.1 Methodologie – Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit ................................. 63 3.2 Das Untersuchungsfeld: Unternehmensgeschichte und Unternehmensgeschichtsschreibung ................................................. 71 3.2.1 Unternehmensgeschichte als Teil der Unternehmenskultur.................... 73 3.2.2 Unternehmensgeschichte in der Geschichtsforschung ........................ 76 3.2.3 Warum ist Glaubwürdigkeit für Unternehmenskultur und für Geschichtsschreibung notwendig? ........................................ 82 3.3 Fallbeispiele ....................................................................... 85 3.3.1 Fallbeispiel 1: Obernkirchener Sandstein (1913-2017) .......................... 87 3.3.2 Fallbeispiel 2: Krupp (1811-2011) ...............................................107 3.4 Fazit zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit in den Fallbeispielen ..................... 129

4.

4.1 4.2 4.3 4.4

4.5

5.

Teilstudie 2 Der Berufshabitus von Historikern als Indikator für Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit ........................................ 133 Das Konstrukt des Berufshabitus .................................................. 133 Narratives Interview und dokumentarische Methode ............................... 135 Begründete Auswahl der Interviewpartner .......................................... 143 Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit ........................................ 144 4.4.1 Dokumentarische Interpretation Proband 01 ................................. 145 4.4.2 Dokumentarische Interpretation Proband 02..................................167 4.4.3 Dokumentarische Interpretation Proband 03 ................................. 177 4.4.4 Dokumentarische Interpretation Probandin 04............................... 188 4.4.5 Dokumentarische Interpretation Proband 05 ................................ 204 4.4.6 Dokumentarische Interpretation Proband 06 ................................ 222 Vergleich der Berufshabitus in Bezug auf die Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht ................................................... 246 Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? .................................. 259

Anhang .................................................................................. 271 Abkürzungsverzeichnis................................................................... 271 Quellen- und Literaturverzeichnis......................................................... 271

Danksagung

An erster Stelle möchte ich den Probandinnen und Probanden danken, ohne deren Mut zu ihren Erzählungen diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Diese Bereitschaft ist nicht selbstverständlich und ich bin dankbar für das entgegengebrachte Vertrauen.   Besonderer Dank gilt auch meinem Betreuer und Erstgutachter Prof. Dr. Michael Ströhmer für das stets offene Ohr und viele aufschlussreiche und herzliche Debatten. Das Gleiche gilt auch für Prof. Dr. Frank Göttmann, dessen Ratschläge und reichhaltigen Gespräche ich noch immer sehr zu schätzen weiß. Dank auch an den Vorsitzenden der Prüfungskommission, Prof. Dr. Peter E. Fäßler, sowie Dr. Sabrina Lausen.   Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei dem Promotionsausschuss der Universität Paderborn für die Förderung dieser Arbeit durch ein Graduiertenstipendium.   Viele Menschen haben mich in der besonderen Phase der Dissertation begleitet und ihnen allen gebührt mein tiefer Dank für zahlreiche ertragreiche und vor allem freundliche Gespräche und Begegnungen. Genannt seien hier Isabell Waschkies, Jörg Schroeder, Annette Bentler, Ralf Otte und Ramona Bechauf.   Und zuletzt danke ich natürlich meiner Familie für die immerwährende Unterstützung.   Danke Marie und Finn für alles.

Die Wahrheit liegt jenseits von Quellenkritik und ökonomischem Zwang – Mancher mag in diesem Satz eine Provokation sehen. Er ist aber gedacht als Denkanstoß über die eigene Profession – ihre Möglichkeiten, ihre Verantwortung und ihre Grenzen. – T. Brandt

Einleitung

Als das Unternehmen Lufthansa im Jahr 2016 eine Unternehmensgeschichte veröffentlichte, in der unter anderem ein Gutachten über den Zwangsarbeitereinsatz im Unternehmen während des Nationalsozialismus von Lutz Budrass verarbeitet wurde, führte dies zu Unmut über den Umgang des Unternehmens mit seiner Geschichte.1 Zum einen handelte es sich um ein Gutachten, welches das Unternehmen bereits in den 1990er Jahren selbst in Auftrag gegeben, dessen Veröffentlichung es aber dann untersagt hatte. Als der Luftfahrthistoriker Budrass dann eigenverantwortlich die Geschichte des Unternehmens tiefergehend untersuchte und 2016 seine Arbeit veröffentlichte,2 reagierte die Lufthansa mit jener oben genannten Firmengeschichte. Dies wirft Fragen auf: Warum verzichtete Lufthansa auf die damalige erste Veröffentlichung des Gutachtens? Etwa weil die Ergebnisse nicht gefielen und weil man befürchtete, eine tiefere Recherche könnte Erkenntnisse zu Tage fördern, mit denen auch rechtliche und wirtschaftliche Ansprüche seitens Dritter verbunden sein könnten? Warum veröffentlichte das Unternehmen beinahe zeitgleich eine eigene Unternehmensgeschichte, in der nun das damalige Gutachten verarbeitet wurde? Etwa um einen kritischen Umgang mit der eigenen Unternehmensgeschichte zu suggerieren und sich nicht dem Vorwurf aussetzen zu müssen, die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens vor den ehrlichen Umgang mit der eigenen Geschichte und der damit verbundenen möglichen Verantwortung zu stellen? Der Zwiespalt zwischen wirtschaftlichen Interessen und freier Forschung ist nichts Neues und auch am Beispiel Lufthansa lässt er sich ausmachen. In der bisherigen Diskussion um diesen Zwiespalt lassen sich vor allem normative Ansätze beobachten, die versuchen zu klären, was Unternehmensgeschichte leisten und wie die an ihrer Erstellung beteiligten Akteure miteinander umgehen sollen.3 Das wie1 2 3

Vgl. Ott, Günther/Wachtel, Joachim: Im Zeichen des Kranichs. Die Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945, München 2016. Vgl. Budrass, Lutz: Adler und Kranich. Die Geschichte der Lufthansa von 1926-1955, München 2016. Vgl. u.a. Pierenkemper, Toni: Unternehmensgeschichte – Perspektiven und Analyseansätze, in: Ders. (Hg.): Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2011, S. 7-52; Ders.: Was kann eine moder-

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

derum suggeriert zweierlei: Erstens, dass es nur bei Auftragsarbeiten einen Zwiespalt zwischen wirtschaftlichen Interessen und freier Forschung gäbe, und zweitens, dass es nur ›eine richtige‹ Form korrekter Geschichtsschreibung geben könne. Was wiederum die Frage impliziert: Ist es wirklich so, dass nur Auftragsarbeiten von Unternehmen unter der potenziellen Einflussnahme Dritter stehen? Und ist dies die einzige Art der Einflussnahme auf Geschichtsschreibung? Warum kann sich beispielsweise der Mythos, ein kleines Unternehmen aus dem Weserbergland habe im 18./19. Jahrhundert die Steine für den Bau des Weißen Hauses in Washington geliefert, so lange halten?4 Die beiden Beispiele von Lufthansa und Obernkirchener Sandstein deuten darauf hin, dass nicht nur der Umgang mit der eigenen (Unternehmens-)Geschichte entscheidend ist, wenn es um die Frage nach Beeinflussung von Geschichtsschreibung geht. Vielmehr gilt es zu fragen, was eine Geschichtsschreibung überhaupt glaubwürdig macht. Damit ist die Frage verbunden, was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? Wenn wir es mit Geschichtsschreibungen zu tun haben, dann haben wir es immer mit einer (re-)konstruierten Wirklichkeit zu tun. Inwieweit diese einer möglichen Wirklichkeit nahekommt, kann in letzter Konsequenz nie eindeutig beantwortet werden. Aber dennoch erheben Geschichtsschreibungen immer wieder den Anspruch, die in ihnen dargestellte Vergangenheit sei ›real‹. Was bedeutet aber ›real‹ beziehungsweise ›Wirklichkeit‹? In der Geschichtsschreibung als Tätigkeitsfeld bewegt man sich stets zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Immer hat man den Anspruch, die Wirklichkeit eines vergangenen Geschehens zu zeigen, zu verstehen, zu erklären. Andererseits ist die Beschreibung der Wirklichkeit etwas, das mit diesem Anspruch nie völlig erreicht werden kann, ist die Beschreibung doch letztlich nur das Abbild eines möglichen Geschehens. Man kann ihr also bestenfalls ›nahe‹ kommen. Doch auch dieser Anspruch ist unter der Prämisse zu verstehen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die Einfluss darauf hat, ob und wie wir diesem Anspruch gerecht werden. Denn woher können wir überhaupt wissen, dass das, was in einer Geschichtsschreibung über Geschehenes steht, der Wirklichkeit nahekommt? Warum glauben wir einer Geschichtsschreibung, dass sie tatsächlich etwas ›Reales‹ darstellt und nicht etwas ›Fiktives‹? Die Historiker – oder genauer: die Geschichtswissenschaftler – werden sagen: aufgrund der Methode. Denn die Geschichte wird von ihnen nicht einfach geschrieben, sondern sie wird systematisch erforscht. Und im Schreibprozess, also in der Darstellung selbst, wird immer wieder auf die Forschung und mithin auf

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ne Unternehmensgeschichtsschreibung leisten? Und was sollte sie tunlichst vermeiden?, in: ZUG 1/1999, S. 15-31; Pohl, Manfred: Zwischen Weihrauch und Wissenschaft? Zum Standort der modernen Unternehmensgeschichte, in: ZUG 2/1999, S. 150-163; Schug, Alexander: History Marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen, Bielefeld 2003. Vgl. www.obernkirchener-sandstein.de/de 10.10.2017, 17:20.

Einleitung

die Gegenstände der Forschung, seien es Quellen, Zeitzeugen, Artefakte etc., Bezug genommen. Die Geschichtsschreibung steht somit nicht im ›luftleeren Raum‹. Aber: Was ist mit denjenigen Geschichtsschreibungen, die etwas Geschehenes darstellen, aber den Bezug zur Forschung nicht mehr herstellen, d.h. deren Darstellung ohne Methode ist? Nimmt man einen Katalog eines Unternehmens und sieht sich dessen Geschichte an, ist dies dann keine Geschichtsschreibung mehr? Gibt die Narration nicht Antwort auf die Frage, warum es ein Qualitätsmerkmal ist, dass ein Unternehmen seit 200 Jahren existiert? Sie tut es. Denn erst durch die Narration der Unternehmensgeschichte wird deutlich, was in diesen 200 Jahren geschehen ist, was gelernt und geleistet wurde, sodass es sich in der Gegenwart mit dieser Erfahrung brüsten kann. Diese Art der Geschichtsschreibung ist nicht die gleiche, wie eine ›wissenschaftliche‹, ›akademische‹ oder ›professionelle‹. Aber warum wird bei der nicht-wissenschaftlichen Geschichtsschreibung das, was sie darstellt, von der breiten Öffentlichkeit dennoch als glaubwürdig akzeptiert? Historiker schreiben Geschichte immer mit dem Anspruch, dass sie von den Rezipienten als glaubwürdig akzeptiert wird. Aber was beeinflusst denn, ob in einer Geschichtsschreibung auf eine Methode Bezug genommen wird oder nicht? Wenn es einen Bereich gibt, in dem sich die vielen Facetten von Geschichtsschreibung gut beobachten lassen, dann ist das die Unternehmensgeschichtsschreibung. Und in kaum einem anderen Bereich werden die möglichen Spannungen zwischen dem Anspruch der ›ehrlichen‹ Historiker und den ›persönlichen‹ Interessen der Auftraggeber so deutlich wie dort, wie das zu Anfang genannte Beispiel der Lufthansa bereits indiziert. Oder um es mit Roman Köster zu sagen: »… es gibt wahrscheinlich kein Gebiet der Geschichte, wo die Öffentlichkeit so sensibel auf Bezahlung und Auftragsforschung reagiert wie in der Unternehmensgeschichte.«5 Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage: Was beeinflusst, dass wir eine Geschichte für glaubwürdig halten? Damit einher geht die Frage, was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? Mit diesen Fragen wurde ein Prozess angestoßen, der von dem Objekt der Geschichtsschreibung zum Subjekt des Geschichtsschreibers führte. Denn zu Beginn der Forschungsarbeit war es naheliegend, dort mit der Suche zu beginnen, wo die Frage ansetzt: bei der Geschichtsschreibung. Wenn etwas von einem Faktor X beeinflusst wird – so die These –, dann muss dieser Faktor X in dem Beeinflussten zu finden sein. Jedoch wurden mit der näheren Betrachtung des Objekts weitere Fragen aufgeworfen, die eine befriedigende Beantwortung der Frage danach, was bestimmt, wie wir Geschichte schreiben, 5

Köster, Roman: Zum Verhältnis von akademischer und angewandter Unternehmensgeschichte, GWU 66/2015, S. 141-151, S. 149.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

nicht zuließen. Der Grund dafür lag darin, dass ein wesentliches Element der Frage noch nicht berücksichtigt war: Das hinter dem »Wir« stehende Subjekt des Geschichtsschreibers. Die Geschichtsschreibung als das beeinflusste Objekt kann nur auf einen Teil der Frage eine Antwort geben, nämlich mit welchen Mitteln und warum sie mit diesen gestaltet wurde. Das Schlüsselwort lautet hier »Glaubwürdigkeit«. Sie muss in allen Geschichtsschreibungen vermittelt werden – und stets werden entsprechende Mechanismen genutzt, um sie zu erreichen. Wenn beispielsweise Alfred Krupp als patriarchische Unternehmerpersönlichkeit dargestellt wird, dann wird dies sowohl in einer wissenschaftlichen als auch in einer nicht-wissenschaftlichen Geschichtsschreibung als glaubwürdig akzeptiert. Nun mag man sagen: Natürlich! Denn was soll der Historiker sonst tun, als eine glaubwürdige Geschichtsschreibung zu verfassen? Ist es nicht seine Aufgabe, der Sinn und Zweck seines Schaffens, eine Geschichte zu schreiben, welche die Vergangenheit glaubwürdig darstellt? Aber was heißt denn Glaubwürdigkeit? Ist es so, dass in einer Geschichtsschreibung hierzu nur einige Regeln beachtet werden müssen? Welche Regeln sollen das sein? In dieser Arbeit geht es nicht darum, wissenschaftliche Standards in Frage zu stellen, vielmehr wird ihre sach-logische Begründung sogar vorausgesetzt. Eine populärwissenschaftliche Geschichte über Krupp ist jedoch nicht weniger Geschichtsschreibung als eine wissenschaftliche, auch wenn sie eine ganz andere Darstellungsform und Methodik nutzt. Regeln gelten nur in einem bestimmten Rahmen und sind veränderbar. Denn wenn es klare Regeln zur Herstellung von Glaubwürdigkeit geben würde, warum gibt es dann so viele unterschiedliche Geschichtsschreibungen bezogen auf Form, Inhalt und Darstellung? Wissenschaftliche Schriften, populärwissenschaftliche Schriften und Schriften gänzlich ohne wissenschaftlichen Bezug sind hier zu nennen.6 Die Frage, die sich daher stellte, war: Was beeinflusst überhaupt, welchen Regeln gefolgt wird? Das bedeutete, die Subjekte und die Regeln zu betrachten, denen diese folgen. Und so wandte sich mein Forschungsprozess den Historikern zu. Der Begriff »Historiker« meint in dieser Arbeit Experten für das Erforschen von Geschichte. Er wird zudem als generisches Maskulinum verwendet. Um als Experte zu gelten, benötigt man spezielles Wissen und Fähigkeiten. Dieses Wissen und die Fähigkeiten, um etwas zu erforschen, werden in Deutschland in bestimmten Bildungsinstitutionen vermittelt – den Hochschulen. Das bedeutet, die Expertise zur Erforschung von Geschichte wird in einem geschichtswissenschaftlichen Studium erlangt. Unter dem Begriff »Historiker« sind in dieser Arbeit somit Personen zu verstehen, welche in einem geschichtswissenschaftlichen Studium sozialisiert 6

Zudem ist es nicht immer ganz leicht, diese Arten zu unterscheiden. Oft gibt es Mischformen, die weder dem einen noch dem anderen gänzlich zuzuordnen sind.

Einleitung

wurden und so die dortigen als ›professionell‹ anerkannten Standards internalisiert haben sollten. Personen, die mithin – um mit Bourdieu zu sprechen – das inkorporierte und institutionelle Kulturkapital besitzen, um sich als Experten zu legitimieren.7 Wenn nun Historiker stets bemüht sind, eine glaubwürdige Geschichtsschreibung zu schaffen, diese aber immer wieder in unterschiedlichen Formen vorzufinden ist, dann bedeutet dies, dass die Historiker einerseits die gemeinsame Intention haben müssten, Glaubwürdigkeit in ihren Schriften zu vermitteln. Andererseits handeln sie aber unterschiedlich, um ihre Profession zu wahren. Woran liegt das? Betrachtet man das berufliche Umfeld von Historikern, so ist offensichtlich: Es gibt nicht den Historiker. Eine scheinbar banale, aber für die Beantwortung der Frage zentrale Feststellung. Aus Gründen der Operationalisierbarkeit wird »Historiker« hier als Arbeitsbegriff unter den oben beschriebenen Prämissen genutzt, ohne die Heterogenität, die sich trotz dieser Prämissen hinter diesem Begriff verbirgt, negieren zu wollen. Im Gegenteil: Professionell ausgebildete Historiker sind in unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig und mit unterschiedlichen Aufgaben betreut. Im Bereich der Unternehmensgeschichte werden Historiker beispielsweise in Unternehmen angestellt und arbeiten deren Geschichte auf. Sie können aber auch in Unternehmensarchiven oder -museen arbeiten. Historiker an Universitäten befassen sich mit Unternehmensgeschichte im Zuge wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten sowie von Auftragsarbeiten – ebenso wie freischaffende Historiker. Sie handeln also unterschiedlich, stehen in unterschiedlichen sozialen Kontexten – kurz: ihre soziale Wirklichkeit ist verschieden. Somit unterliegen auch ihre Handlungen als Historiker den Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit, in der sie stehen. Das bedeutet, es muss Gemeinsamkeiten aufgrund der Professionalität, aber auch spezifische Unterschiede aufgrund der individuellen sozialen Wirklichkeit geben, welche den Berufshabitus von Historikern und somit ihr Handeln als solche überhaupt beeinflussen. Aufgrund dieser Überlegungen wurden die schreibenden Subjekte auf ihren Berufshabitus untersucht, um zu klären, was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben.   In dieser Arbeit werden zwei Teilstudien dargestellt, die durchgeführt wurden, um die Frage danach, was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben, zu beantworten. In der ersten Teilstudie werden die Mechanismen von Glaubwürdigkeit und ihre Funktionen am Beispiel von Unternehmensgeschichtsschreibungen herausgearbeitet. Die zweite Teilstudie widmet sich der Rekonstruktion des Berufshabitus von Historikern – und damit der strukturellen Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit. 7

Vgl. Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik und Kultur, hg. von Steinrücke, Margareta, Hamburg (1992) 2005, S. 53-63.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wird nach der Klärung des Forschungsstands und der ausführlichen Erläuterung der Problem- und Fragestellung eine Theorie entwickelt, nach der die Intentionen und der Habitus von Historikern als Basis für das Streben nach Glaubwürdigkeit angenommen werden. Damit werden die Theorie der Geschichtsschreibung sowie die Habitus- und Feldtheorie Pierre Bourdieus und die Theorie der Macht-Wissens-Problematik von Michel Foucault verbunden und auf ihre Übertragbarkeit hin zur Fragestellung erläutert. Die Theorien des Soziologen Bourdieus über den Einfluss der sozialen Umwelt auf das Subjekt in seinem Denken und Handeln interferieren mit Foucaults Verständnis vom Wirken der Macht. Damit bilden die Werke zweier großer Denker der Sozialwissenschaften den theoretischen Unterbau der Arbeit. Dem theoretischen Teil der Arbeit folgt der erste Untersuchungsschritt, der die Mechanismen der Glaubwürdigkeit exemplarisch an ausgewählten Unternehmensgeschichtsschreibungen analysiert. Dabei wird zunächst auf die Spezifika der Unternehmensgeschichtsschreibung eingegangen und näher erläutert, warum dieses Genre für die Arbeit als Untersuchungsgegenstand gewählt wurde. Sodann wird das Forschungsdesign des ersten Untersuchungsschrittes dargelegt, was die Auswahl des Korpus und die methodische Vorgehensweise beinhaltet. Es folgen die Analysen der geschichtlichen Darstellungen über das Unternehmen Obernkirchener Sandstein GmbH und des Unternehmens Krupp sowie ein zusammenfassendes Fazit. Daran schließt der zweite Untersuchungsschritt an, der sich mit der Rekonstruktion des Berufshabitus und den Abhängigkeiten von Historikern in der sozialen Wirklichkeit befasst. Nach der Klärung der Konstrukte und der Vorstellung des Forschungsdesigns folgen die Analysen von sechs Probanden. Diese werden schließlich auf ihre strukturellen Gemeinsamkeiten und individuellen Unterschiede untersucht. In einem abschließenden Fazit werden die aus der Analyse hervorgehenden strukturellen Abhängigkeiten näher erläutert. Sodann werden die Ergebnisse beider Teilstudien zusammengeführt, um so eine Antwort auf die Frage, was bestimmt, wie wir Geschichte schreiben, und die mit ihr verbundenen Teilfragen zu geben und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen dargestellt. Abschließend wird ein Fazit dieser Feldstudie und ein Ausblick auf sich hieraus ergebende Desiderate gegeben.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben? Fragestellung und Forschungsstand

Das Terrain, auf das sich diese Arbeit begibt, scheint recht unübersichtlich, da sie viele Themen, Fragen und Begrifflichkeiten streift, die dazu einladen, kontrovers und kritisch diskutiert zu werden. Damit ist die Gefahr recht groß, sich in theoretischen Diskursen und in Grundsatzdiskussionen zu verlieren, ohne dem eigentlichen Gegenstand der Arbeit näherzukommen. Und dennoch müssen zunächst geschichtstheoretische Themen, Fragen und Begrifflichkeiten aufgegriffen werden, da sie in der vorliegenden Arbeit angesprochen werden. Um also diese theoretischen Grundlagen einzubeziehen, erscheint es mir sinnvoll, sich dem Gegenstand zu nähern, indem aufgezeigt wird, was er in Bezug auf die geschichts-theoretischen Debatten nicht ist. Die Verdeutlichung des theoretischen Gegenstandes ergibt sich somit aus der Abgrenzung zu bestimmten theoretischen Diskursen und Grundsatzdiskussionen. Bereits zu Beginn habe ich kurz angerissen, dass sich der Einfluss darauf, wie wir Geschichte schreiben, auf zwei Ebenen von Wirklichkeit bezieht, nämlich der Wirklichkeit der Vergangenheit und der Wirklichkeit der Gegenwart. Die erste Ebene betrifft die Vergangenheit, die in einer Geschichtsschreibung zum Gegenstand genommen wird. Im Text liegt ein Anspruch darauf, dass sein Gegenstand ein ›wirklicher‹ ist. Das heißt, sowohl die Handlungen und Personen, auf die er sich bezieht, wie auch die Beziehungen zwischen ihnen müssen als ›wirklich‹ angesehen werden. Dieser Anspruch muss legitimiert werden und er muss es umso mehr, als eine Geschichtsschreibung von diesem Anspruch abhängig ist, denn sie existiert aus diesem Anspruch heraus. Er ist mithin ihre existenzielle Notwendigkeit: Sie muss glaubwürdig sein. Denn ist sie es nicht, dann ist sie keine Geschichtsschreibung. Um nun nicht der Annahme zu erliegen, eine Geschichtsschreibung könnte aus sich selbst heraus Glaubwürdigkeit erzeugen, muss man sich die Ambiguität von Geschichtsschreibung vor Augen führen. Es gibt nicht die eine gute, richtige Geschichtsschreibung. Sie existiert in vielen Facetten und immer steht sie erneut vor der Herausforderung, ihren Anspruch auf Wirklichkeit zu legitimieren und als glaubwürdig akzeptiert zu werden.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Was macht eine Geschichtsschreibung also zu einer solchen? Diese Frage zeigt sich in einem sehr breiten geschichtstheoretischen Diskurs. Es bedarf daher einer Fokussierung des Diskurses, die es ermöglicht, die im Rahmen dieser Arbeit gestellten Fragen zu beantworten. Von der Frage ausgehend, wie eine Geschichtsschreibung Glaubwürdigkeit vermitteln kann, und verbunden mit der These, dass Glaubwürdigkeit ihr essenzielles Merkmal ist, müssen als Geschichtsschreibung solche Texte verstanden werden, deren konstituierendes Merkmal der Bezug auf ›reale Ereignisse‹ ist. Dies allein reicht aber noch nicht aus, um sie als Geschichtsschreibung zu klassifizieren, da der Bezug auf reale Ereignisse auch Gegenstand in literarischen Erzählungen sein kann. Ausschlaggebend ist für die Geschichtsschreibung, dass die historische Erzählung als ›wirkliche‹ Erzählung gilt und sich durch diesen Wahrheitsanspruch bereits konstituiert. Dies ist ein Unterschied zu einem literarischen Text, der ein reales Ereignis oder Ereigniskomplexe nacherzählen kann, allerdings statt der Subordination unter einen Wahrheitsanspruch mit einer ›künstlerischen Freiheit‹ agiert, die er selbstverständlich in Anspruch nimmt und die ihm offen zugestanden wird. An dieser Stelle scheint mir eine Begriffsschärfung von Geschichtsschreibung vonnöten, die deutlich hervorheben muss, dass in dieser Arbeit nicht nur von wissenschaftlicher Geschichtsschreibung die Rede ist. Denn der Glaubwürdigkeitsaspekt ist allen Formen der Geschichtsschreibung zu eigen. Sich allein auf die wissenschaftliche Geschichtsschreibung zu beschränken, wäre für die Frage nach dem historiografischen Anspruch auf Wirklichkeit nicht ausreichend. Stattdessen umfasst der Begriff in dieser Arbeit alle Bereiche, in denen Geschichtsschreibungen konstituiert werden, und damit einhergehend alle Texte, die den Anspruch erheben, eine vergangene Wirklichkeit darzustellen, unabhängig von der Textsorte. Denn ob wir das Dargestellte als vergangene Wirklichkeit akzeptieren können, ist nicht abhängig von der Länge oder Form eines Textes. Ein kurzer Informationstext in einer Werbebroschüre eines Unternehmens, der dessen Geschichte darstellt, wird von uns in Bezug auf historische Fakten ebenso als vergangene Wirklichkeit gelesen, wie ein tausendseitiges wissenschaftliches Werk über diese Unternehmensgeschichte. Beiden ist gemeinsam, dass sie den Anspruch erheben, dass das, was sie aussagen, von den Lesern als glaubwürdig akzeptiert werden kann. Das bedeutet, dass Geschichtsschreibung sich nicht zuvorderst durch äußerliche Merkmale wie Sprache und Form auszeichnet, sondern durch die Legitimation des Anspruchs auf ihre Glaubwürdigkeit. Die zweite Ebene von Wirklichkeit ist diejenige der Gegenwart. Dies betrifft die Grundsatzdiskussion über Perspektivität und den jeweiligen Standpunkt von Historikern. In dieser Diskussion bezieht sich die Frage, wie wir Geschichte schreiben, zumeist hauptsächlich auf die Deutungsparadigmen. Dieses »Wie« genügt aber nicht, um den Glaubwürdigkeitsaspekt zu erläutern.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

Denn auch wenn eine Deutung für »unsinnig«1 gehalten wird, so ist es doch eine Deutung innerhalb einer Geschichtsschreibung, die für unsinnig gehalten wird. Der Geschichtsschreibung selbst wird also nicht abgesprochen, dass sie eine solche ist, nur weil die Deutung als richtig oder falsch eingestuft wird – auch wenn sie als »historischer Unsinn«, nicht zu einer »neuen historischen Interpretation« beiträgt, wie Chris Lorenz einleuchtend in seiner Kritik an Whites und Ankersmits »metaphorischem Narrativismus« erklärt hat.2 Es bestehen somit zwei Intentionsebenen einer Geschichtsschreibung, die sich gegenseitig ergänzen. Zunächst die Intentionen, die in einer Geschichtsschreibung durch die inhaltliche Ausrichtung ihrer Aussagen entstehen. Und zum anderen die Intentionen, die mit der Geschichtsschreibung als solcher verbunden werden. Die Intentionen auf beiden Ebenen können vielfältig sein. So gibt es unterschiedlichste Deutungsparadigmen in Geschichtsschreibungen und je nachdem, welche Intention mit einer Geschichtsschreibung verbunden wird, sind mit ihr auch andere Regeln des Entstehens verbunden. Soll sie zu neuen, sinnvollen Erkenntnissen beitragen, dann ist sie an andere Regeln gebunden als eine Geschichtsschreibung, die beispielsweise der reinen Identitätsstiftung von Unternehmen dient. Identität von Unternehmen meint hier die grundlegenden Überzeugungen eines Unternehmens, die sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Kunden eine identifikationsstiftende Funktion einnehmen. Der Begriff ist somit angelehnt an denjenigen der Unternehmenskultur von Sonja Sackmann, der später noch detaillierter ausgeführt wird.3 Welche Intentionen einer Geschichtsschreibung zugrunde liegen, kommt auf ihren Entstehungskontext an. Eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung, die sinnvolle Erkenntnisse erlangen möchte, geht anders mit ihrem Gegenstand um als eine nicht-wissenschaftliche Geschichtsschreibung eines Unternehmens4 , das mithilfe einer Firmenzeitschrift mit historischen Inhalten zur Identitätsstiftung bei den Kunden und den Mitarbeitern beitragen möchte. Dabei schließen sich beide Intentionen aber nicht zwangsweise aus, was später noch erläutert werden wird. Da Geschichtsschreibungen aber verschieden sind und aus unterschiedlichen Kontexten heraus entstehen, müssen sie auf unterschiedliche Weise Glaubwürdigkeit vermitteln. So entsteht beispielsweise die Vermittlung von Identität in einer Firmenzeitschrift nicht aus einer logischen Argumentation heraus; sie muss vielmehr durch das Herstellen persönlicher Bezüge ermöglicht werden, durch das An1

2 3 4

Lorenz, Chris: Kann Geschichte wahr sein? Zu den narrativen Geschichtsphilosophien von Hayden White und Frank Ankersmit, in: Eddelbüttel/Schröter: Konstruktion von Wirklichkeit (2004), S. 60. Vgl. ebd. Vgl. Sackmann, Sonja: Unternehmenskultur: Erkennen – Entwickeln – Verändern. Erfolgreich durch kulturbewusstes Management, Wiesbaden 2014², S. 69. Der Begriff wird hier als Personifikation genutzt und somit als Ausdruck des Kollektivums für Verantwortliche des Unternehmens, die Einfluss auf die Geschichtsschreibung haben.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

knüpfen an subjektive Lebensverhältnisse – kurz: durch das Erinnern.5 In der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung stellt hingegen das logische Argument ein zentrales Merkmal dar, um so durch kritische Betrachtung der Erinnerungen zu Erkenntnis zu gelangen.6 Es gibt also nicht die eine Art, um Glaubwürdigkeit zu vermitteln, sondern je nach Entstehungskontext und Intention wird sie zusammen mit der Geschichtsschreibung konstituiert. Dieser Aspekt nimmt nun also das Subjekt in den Fokus, doch ist dies noch nicht ausreichend, um zu erkennen, was bestimmt, wie wir Geschichte schreiben. Denn bis jetzt wurde verdeutlicht, dass Geschichtsschreiber Glaubwürdigkeit vermitteln müssen – also ihren Wahrheitsanspruch legitimieren müssen –, um ihre mit der Geschichtsschreibung verbundenen Intentionen zu verwirklichen, und dass dies auf unterschiedliche Weise geschieht, die es entsprechend zu klären gilt. Das setzt aber auch voraus, dass es ein Anderes gibt, dem gegenüber der Wahrheitsanspruch legitimiert werden muss. Den Wahrheitsanspruch legitimieren zu wollen, wird somit zu einem sozialen Akt7 . Der Anspruch muss nicht einfach an sich legitimiert werden, er muss auch als legitim akzeptiert werden. Das bedeutet, es müssen Regeln vorhanden sein, die es dem Anderen ermöglichen, etwas als legitim zu erkennen. Diese Annahme würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass a) die Legitimation als sozialer Akt nur zwischen Akteuren des gleichen sozialen Raumes als solche akzeptiert werden könnte und b) die Regeln, mit denen der Akteur Glaubwürdigkeit erzeugt, seinen (Berufs-)Habitus prägen. Wenn aber die Intentionen verschiedene Arten der Konstituierung von Glaubwürdigkeit voraussetzen, dann kann es innerhalb der sozialen Räume nur Intentionen geben, die mithilfe der dort geltenden Legitimationsregeln verwirklicht werden können. Ein Historiker, der also in seinem Berufshabitus von dem Anspruch auf Wahrheit mittels dieser Regeln geprägt ist, müsste sich diesen Regeln widersetzen und sich anderen Regeln unterwerfen, sobald er eine Geschichtsschreibung innerhalb eines anderen sozialen Raums schaffen soll, in dem nicht die Intentionen verfolgt werden, die mit den Regeln seines ursprünglichen Berufshabitus verwirklicht werden können. Dass dies in der Realität sehr häufig der Fall ist, bestätigt die Tatsache, dass viele Historiker Auftragsarbeiten schreiben und nicht selten über jene Selbstständige die Nase gerümpft wird, deren Produkte nicht ›nach den Regeln der Zunft‹ geschrieben sind. Zu erklären sind derartige Abweichungen dadurch, dass soziales Handeln in der sozialen Wirklichkeit geschieht. Wenn Historiker eine historische Darstellung

5 6 7

Vgl. Metz, Karl Heinz: Von der Erinnerung zur Erkenntnis. Eine neue Theorie der Geschichte, Darmstadt 2012, S. 11f. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1925², S. 1.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

konstruieren, dann erschaffen sie diese nicht im ›luftleeren Raum‹, sondern sie vollziehen eine soziale Handlung. Und diese ist immer auch beeinflusst von den äußeren sozialen Gegebenheiten, der sozialen Wirklichkeit, in der Historiker stehen. Der (Berufs-)Habitus konstituiert sich aus der sozialen Wirklichkeit und ist mit ihr einem Wandel unterworfen. Das bedeutet letztlich, dass sich durch die Änderung des (Berufs-)Habitus von Historikern auch die Art des Einflusses darauf ändert, wie sie Geschichte schreiben und – vielleicht in letzter Konsequenz – ob sie Geschichte schreiben. Es sind also diese drei Aspekte – Glaubwürdigkeit, Intention und Habitus –, die in der Frage, was bestimmt, wie wir Geschichte schreiben, von Bedeutung sind und gemeinsam betrachtet werden müssen. Im Folgenden werden sie daher theoretisch näher erläutert, um zu verstehen, welche Bedeutung ihnen in der Diskussion über Anspruch und Wirklichkeit der Geschichtsschreibung zukommt.

1.1

Glaubwürdigkeit

Als Hayden White aufgrund seiner Ausführungen zu der These »Auch Klio dichtet«8 am Ende des vergangenen Jahrtausends in der Historiker-Zunft eine Grundsatzdebatte über die Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft anstieß, kristallisierten sich zwei zentrale Themen heraus, um die sich die Frage, was Geschichtsschreibung eigentlich gegenüber literarischen Texten unterscheide, drehte. Dies war zum einen der Aspekt der Wahrheit als wesentliches Element von Geschichte und zum anderen die Darstellung von historischen Erzählungen. Die eine, so wurde White kritisiert, könne eben nicht ohne die andere gedacht werden.9 Dies aber habe er mit seiner These über die Selbstreferenz der historischen Erzählungen getan, indem er sich lediglich auf den Darstellungsaspekt bezog und die Narrativierung als verantwortlich für die jeweilige Erklärung von historischen Erzählungen machte.10 So sind es laut White drei Ebenen, die den Erklärungseffekt beeinflussen: Zunächst die Ebene der Modellierung der Erzählstruktur, bei der er die vier Grundformen der Romanze, Tragödie, Komödie und Satire unterscheidet.11 Die zweite Ebene ist das, was White »Erklären durch formale Schlussfolgerung« nennt. Die Form der diskursiven Schlussfolgerung wird demnach paradigmatisch

8 9 10 11

White, Hayden: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1991. So wies Chris Lorenz darauf hin, dass Geschichte nicht mit fiktionaler Literatur gleichgesetzt werden dürfte, vgl. Lorenz, C.: Kann Geschichte wahr sein?, S. 54f. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. White, H.: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt a.M. 1991, S. 21f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

festgelegt. Auch dafür zählt White vier Formen auf: die formativistische, organizistische, mechanistische und die kontextualistische.12 Die dritte Ebene betrifft die »ideologischen Implikationen«, welche die Art der Deutung einer historischen Erzählung beeinflussen und die er als anarchistisch, radikal, konservativ und liberal klassifiziert.13 Da Geschichtsschreibung nicht die Vergangenheit selbst, sondern eine »Allegorie«14 dieser darstelle, lägen ihr stets – wie allen Texten – metaphorische Stilmittel zugrunde. Durch die Wahl der Tropen, deren vier Grundformen White in der Metapher, der Metonymie, der Synekdoche und der Ironie ausmacht, werde der Inhalt einer Geschichtsschreibung beeinflusst.15 White stellt in seiner Theorie nicht infrage, dass sich Geschichtsschreibungen auf ›reale‹ Ereignisse beziehen und es eine ›wirkliche‹ Vergangenheit gibt.16 Er löst aber die Grenze zwischen historischer und literarischer Erzählung auf, indem er historischen Erzählungen einen selbsterklärenden Charakter zuschreibt. Wie Chris Lorenz kritisierte, negiert White, dass Geschichte immer mit etwas »außerhalb des Textes Liegendem« zu tun habe. Aufgrund dieser »referentiellen Eigenschaften historischer Erzählungen« sei es aber möglich, die narrativen Konstruktionen von Vergangenheit intersubjektiv zu kontrollieren und zu disziplinieren.17 Auf diesen »referentiellen Eigenschaften« fußt der Wahrheitsanspruch, den die Kritiker Whites für die Geschichte als elementares Charakteristikum beanspruchen.18 Auch Jörn Rüsen sieht in dem Bezug auf innerweltliche Geschehnisse die entscheidende Voraussetzung für die Geschichtsschreibung, um einen Wahrheitsanspruch geltend machen zu können.19 Aber er und Lorenz bleiben in ihrer Kritik nicht allein bei dem Bezug auf ›reale Ereignisse‹ – dies spricht auch White der Geschichtsschreibung zu –, sondern sehen in der Kohärenz, die diese Ereignisse ›von außen‹ in die historische Erzählung mitbringen, den ausschlaggebenden Unterschied zu literarischen Erzählungen.20 Rüsen verneint, ähnlich wie White mit seiner Aussage über die Allegorie, eine reine Faktizität, weil die lebendige Wirklichkeit nicht abgebildet werden könne. Daher versteht er als Fiktion dasjenige,

12 13 14 15 16

17 18 19 20

Vgl. ebd., S. 25-38, S. 29. Vgl. ebd., S. 38-47, S. 39. Vgl. Ders.: Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M. 1990, S. 62. Vgl. Ders.: Metahistory, S. 50-57, S. 50f. Vgl. Catani, Stephanie: Geschichte im Text. Geschichtsbegriff und Historisierungsverfahren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Tübingen 2016, S. 101; White, H.: Die Bedeutung der Form, S. 41. Vgl. Lorenz, C.: Kann Geschichte wahr sein?, S. 55. Vgl. Barricelli, Michele: Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2005, S. 7. Vgl. Rüsen, Jörn: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft, Köln 2013, S. 48. Vgl. ebd., S. 54.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

das durch die innere Beteiligung des Erzählers hinzugefügt wird.21 Als Imagination bezeichnet er aber die deutende Bearbeitung des Geschehenen. Somit meint historisches Erzählen nach Rüsen die »deutende Vermittlung von Ereignissen […], wie sie im Horizont der menschlichen Lebenspraxis geschehen sind und gedeutet werden (müssen).«22 Schlüsselbegriff ist hier »Horizont der menschlichen Lebenspraxis«, also das, was für den Erzählenden seine innere Beteiligung am Geschehenen ausmacht. Historisches Denken hat dadurch noch immer einen »konstitutiven Erfahrungsbezug«, auf den sich die Imagination bezieht. Das heißt, das historische Erzählen ist nicht willkürlich oder, wie Rüsen sagt, eine »Verselbstständigung imaginativer Transzendierung«23 , sondern geschieht im Rahmen jenes konstitutiven Erfahrungsbezugs. Ähnlich äußert sich Thomas Welskopp, der vom »realistischen Dispositiv« spricht, welches der Geschichte zugrunde liege. Erst durch die Anerkennung der dargestellten Vergangenheit als ›wahr‹ werde sie zur Geschichte. Als realistisches Dispositiv bezeichnet Welskopp eine »erfahrungsgesättigte realistische« Erwartung, aus der Hypothesen gebildet werden, mit denen Geschichte konstruiert werde.24 Hans-Jürgen Goertz spricht gar davon, dass eine historische Aussage erst zustande komme, wenn den Fakten eine Bedeutung beigelegt werde.25 Die referentielle Eigenschaft von historischen Erzählungen scheint daher konstitutiv für den Wahrheitsanspruch einer Geschichtsschreibung. Diese Eigenschaft muss in einer historischen Erzählung vermittelt werden. Hier kommt nun der Aspekt der Darstellung ins Spiel. Paul Ricœur erläutert in seinem Werk »Zeit und Erzählung«, dass die einzelnen Ereignisse in einer zeitlich geordneten Reihenfolge, die er als »Chronologie« bezeichnet, durch die »Synthesis des Heterogenen« zur Anordnung in einer »bedeutenden Reihenfolge« werden, was er als Konfiguration bezeichnet. Die Konfiguration führt somit zur Nachvollziehbarkeit der Erzählung.26 Diese Nachvollziehbarkeit ist es, die darüber entscheidet, ob die Erwartungshaltung des Lesers an die historische Erzählung als eine ›wahre‹ Erzählung eingehalten werden kann.27 21 22 23 24 25

26 27

Vgl. ebd., S. 196f. Vgl. ebd., S. 198. Vgl. ebd. Vgl. Welskopp, Thomas: Historische Erkenntnis, in: Budde/Freist/Günther-Arndt: Geschichte (2008), S. 127. Vgl. Goertz, Hans-Jürgen: Abschied von »historischer Wirklichkeit«. Das Realismusproblem in der Geschichtswissenschaft, in: Eddelbüttel/Schröter: Konstruktion von Wirklichkeit, (2004), S. 13. Vgl. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung, Bd. 1: Zeit und historische Erzählung, München 1988, S. 225. Epple, Angelika: Historiographiegeschichte als Diskursanalyse und Analytik der Macht: eine Neubestimmung der Geschichtsschreibung unter den Bedingungen der Geschlechtergeschichte, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, Jg. 15, 1/2004, S. 77-96, S. 87; Ricœur: Zeit und Erzählung, Bd. 1, S. 13.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Diese Erwartungshaltung wird von Angelika Epple auch als »Pakt zwischen Autor und Leser« bezeichnet, bei dem der Autor verspricht, eine ›wahre‹ Geschichte zu schreiben, und der Leser verspricht, sie als ›wahre‹ Geschichte zu lesen.28 Die Konfiguration wird durch die Narration erreicht. »Im idealen Sinne«, so Ricœur, »sollte sich eine Geschichte selbst erklären. Nur soweit der Prozeß unterbrochen oder blockiert wird, verlangen wir zusätzliche Erklärungen.«29 Dass der Leser eine historische Erzählung aber als glaubwürdig empfindet, liegt an den narrativen Strukturen, mit denen der Autor seine Vorgaben, wie Ricœur es nennt, trübt: Die narrativen Strukturen setzen in einer Geschichtsschreibung ihre »Opazität« der referenziellen Ausrichtung des historischen Diskurses entgegen.30 Zwar besitzt der Leser eines historischen Textes »Erfahrung als Protagonist seiner eigenen Gegenwart«31 und diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass der Leser eine Erzählung als nachvollziehbar empfindet. Doch durch die unbewusste Aufnahme der »Vorgaben« des Autors sei er in einem »Netz des Glaubenmachens« gefangen.32 Ist die historische Erzählung nun also doch nichts anderes als eine Konstruktion, die durch den Bezug auf einzelne reale Ereignisse und geschickt verwendete Rhetorik den Anschein erhebt, eine »wahre« Geschichte zu erzählen und somit letztlich doch nur fiktionale Literatur? Ricœur zeigt einen Ausweg aus dem Dilemma, denn nicht allein an der Rhetorik sei es, den Leser glauben zu machen, er habe es mit einer ›wahren‹ Geschichte zu tun. Dies geschehe vielmehr auf der Ebene der Erklärung und des dokumentarischen Beweises.33 Damit geht Ricœur den nächsten logischen Schritt. Denn die referentielle Eigenschaft durch den Bezug auf reale Ereignisse und deren deutende Darstellung ist noch keine ausreichende Legitimation für einen Wahrheitsanspruch historischer Erzählungen. Die Autoren müssen nachweisen, dass die Darstellungen ihren Sinn nicht nur durch reine Gedankenspiele erhalten, sondern es Belege gibt, die diese Deutungen legitim erscheinen lassen. Auch Carlo Ginzburg hält fest, dass es zum Erreichen des »effet de vérité«34 nötig sei, die Aussagen mit Belegmaterial zu untermauern. Er spricht diesbezüglich von einem Paradigmenwechsel, bei dem der Glaube an die Belegbarkeit die Vorstellung von der engen Beziehung zwischen Geschichte und Rhetorik ersetzt habe.35 Diesem Paradigma folgt auch Chris Lorenz,

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Epple, A.: L’Homme, Jg. 15, 1/2004, S. 89f. Ricœur, P.: Zeit und Erzählung, Bd.1, S. 225. Vgl. Ricœur, Paul: Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit, Münster 2002, S. 36. Vgl. ebd., S. 42. Ebd., S. 36f. Vgl. ebd., S. 43. Ginzburg, Carlo: Veranschaulichung und Zitat. Die Wahrheit der Geschichte, in: Braudel/Davis Zemon/Febvre: Der Historiker als Menschenfresser (1990), S. 87. Vgl. ebd., S. 98f.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

wenn er schreibt, historische Erzählungen bedürften stets einer ständigen empirischen und logischen Unterfütterung, mithin benötigen sie also Belege für ihre Argumente.36 Diese empirische Unterfütterung trägt letztlich auch zu dem intersubjektiven Charakter von historischen Erzählungen bei, auf den Lorenz verweist, da ihre Gegenstände öffentlich diskutiert werden können. Eine historische Erzählung, die ihre Argumente und Deutungen nur aus sich selbst bezieht, wäre somit nicht konstruktiv diskussionsfähig, sondern würde auf der Ebene philosophischer Debatten bleiben. Somit wird der Wahrheitsanspruch in Geschichtsschreibungen durch den Bezug auf reale Ereignisse, ihre narrative Konfiguration und deren empirische Belegbarkeit legitimiert. Damit lässt sich eine Anknüpfung an Jörn Rüsens »Plausibilitäten für historisches Denken«37 vollziehen. Diese allerdings sind aus der Perspektive eines wissenschaftlich historischen Denkens definiert. So zählt Rüsen neben der empirischen und narrativen Plausibilität noch die theoretische und die normative Plausibilität hinzu. Die theoretische Plausibilität ergibt sich durch einen »expliziten oder reflektierten Bezug auf theorieförmige oder theoriefähige tatsachenübergreifende Verallgemeinerungen.«38 Meine Hypothese ist nun, dass auch Geschichtsschreibungen existieren, die diesen Theoriebezug nicht aufweisen und dennoch ihren Wahrheitsanspruch legitimieren und als glaubwürdig anerkannt werden können. Dies gilt auch für die normative Plausibilität, die sich dadurch auszeichnet, dass Perspektiven reflektiert und begründet werden und »auf die für sie maßgeblichen Orientierungsprobleme im Kontext der Gegenwart hin durchsichtig gemacht« werden.39 Dies gilt vor allem für die wissenschaftliche Geschichtsschreibung und obgleich anderen Arten der Geschichtsschreibung Normativität zugesprochen werden kann, so wird diese in vielen Fällen nicht reflektiert und begründet. Das bedeutet, die Perspektive wird als plausibel anerkannt, obwohl sie nicht reflektiert und begründet wird. Und somit muss etwas vorhanden sein, was dieser Perspektive Glaubwürdigkeit verschafft, ohne sie (explizit) zu thematisieren. Rüsens Plausibilitäten für historisches Denken zeigen somit einen Schwachpunkt, der im Diskurs über die Glaubwürdigkeit von Geschichtsschreibung insgesamt zu beobachten ist: Seit Whites Thesen zur Fiktionalität von Geschichtsschreibungen lag der Schwerpunkt auf der Wissenschaftlichkeit von Geschichtsschreibungen. Auch Lorenz und Ricœur fokussieren letztlich in ihren Ausführungen über den Wahrheitsanspruch von Geschichtsschreibung eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung. So spricht Ricœur spezifisch vom Repräsentanzproblem der

36 37 38 39

Vgl. Lorenz, C.: Kann Geschichte wahr sein?, S. 57. Vgl. Rüsen, J.: Historik, S. 60-62. Ebd., S. 61. Vgl. ebd.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Geschichtswissenschaft, sodass sie sich – da sie nicht »das kleine Glück« des Wiedererkennens, wie es Erinnerungen bringen, kenne – mit Rekonstruktionen der Vergangenheit helfen müsse.40 Dies ist angesichts der Sinnkrise, in welche die Geschichtswissenschaft nach Whites Thesen geraten war, auch nur allzu verständlich. Aber damit wurde der Blick auf Geschichtsschreibung verengt auf ein Feld von vielen, auf denen sie stattfindet. Es ist damit eine Debatte im sprichwörtlichen ›Elfenbeinturm‹. Dieser aber ist längst nicht mehr derart abgeschottet, wie er es vielleicht einstmals zu sein schien. Von außen treten andere an seine Bewohner heran, viele verlassen ihn und bieten ihr Know-how andern Orts an. Geschichtsschreibung wird in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen produziert. Daher ist es sinnvoll, die wissenschaftsspezifische Perspektive in der Debatte um das, was Geschichtsschreibung beeinflussen könnte, zu ergänzen.

1.2

Intention

Das Dilemma, in dem die Geschichtswissenschaft sich aufgrund ihres Wahrheitsanspruchs befindet, so Reinhardt Koselleck, bestehe darin, »wahre Aussagen zu machen und doch die Relativität ihrer Aussagen zuzugeben und zu berücksichtigen.«41 Für ihn ergibt sich somit eine Pattsituation, da geschichtliche Erkenntnis immer standortgebunden und daher relativ sei. Aufgrund dieses Wissens ließe sich die Geschichte kritisch und verstehend anverwandeln, was dann zu einer wahren Aussage führe.42 Das Problem der Standortgebundenheit, so meine These, ist nun ein spezifisch wissenschaftliches. Zwar ist Koselleck zuzustimmen, wenn er schreibt, dass jede historische Aussage standortgebunden sei und sich bezüglich dieser Aussage kaum Widerstand rege.43 Bereits Johann Gustav Droysen bezeichnete die Geschichte als Bindeglied zwischen der Gegenwart und der Zukunft und definierte sie als nicht identisch mit dem Vergangenen.44 Der Kern von Droysens Überlegungen ist die Begründung der Geschichte aus ihrer Methode heraus, der Methode des forschenden Verstehens. Damit legte er den Grundstein für eine hermeneutische Methodik in der Geschichtswissenschaft und zugleich auch für das Problem der Standortgebundenheit als ein der Disziplin inhärentes. Wegen der Intention, Erkenntnis zu 40 41 42 43 44

Vgl. Ricœur, P.: Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit, S. 20. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 176. Vgl. ebd., S. 178. Vgl. Koselleck, R.: Vergangene Zukunft, S. 176. Kocka, J.: Geschichte als Wissenschaft, in: Budde/Freist/Günther-Arndt: Geschichte (2008), S. 15.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

erlangen, wird diese Standortgebundenheit spezifisch in der Geschichtswissenschaft zum Problem. Denn die Erkenntnis in der Geschichtswissenschaft entsteht dadurch, dass sie die eigene Standortgebundenheit einbezieht. Oder wie Koselleck sagt: »Parteilichkeit und Objektivität schließen einander aus, verweisen aber im Vollzug der historischen Arbeit aufeinander.«45 Die Vorstellung Rankes, man könne zeigen, wie es eigentlich gewesen sei, ist daher endgültig hinfällig. Zumal Ranke vorschlägt, die Sprache emotionslos und sachlich klingen zu lassen, denn auf diese Weise soll der Historiker zu größtmöglicher Objektivität in der Darstellung gelangen.46 Dieser Ansatz impliziert die Ansicht, dass durch einen bestimmten Gebrauch von Sprache die Sozialität ausgesperrt werden könnte. Sprache selbst ist aber bereits Teil der Sozialität.47 In anderen Ansätzen wird davon ausgegangen, dass nicht erst die Sprache Einfluss auf die Geschichtsschreibung nimmt, sondern bereits der Historiker mit seinem mangelnden Relativitätsbewusstsein. So sieht es der Mitbegründer der Annales-Schule Lucien Febvre. Geschichte sei immer Ergebnis einer Wahl, da der Mensch stets verkürze, verwische, betone etc. Der Historiker tue dies laut Febvre, indem er stets mit einem hypothesengeleiteten Blick an die Quellen herangehe. Der Anspruch an die Quellen, die Hypothese zu verifizieren, verleitet demnach dazu, Zufälle, Widersprüchlichkeiten etc. nicht zu berücksichtigten, damit Geschichte letztlich kausal erscheine.48 Daraus ergibt sich für Febvre ein grundlegendes Problem der Historie: Die Analyse historischer Prozesse sei letztlich geprägt von den Denkweisen der Gegenwart. Damit erscheine die Vergangenheit stets nur als Spiegel der Gegenwart und umgekehrt.49 Andere Vertreter der Geschichtswissenschaft wiederum, zu denen auch Reinhard Koselleck zählt, schließen eine standortgebundene Historie und ein mögliches objektives historisches Wissen nicht aus. Der Historiker Hans Michael Baumgartner sieht in der Standortgebundenheit, der Perspektivität und der interessegeleiteten Selektivität vielmehr subjektive Momente im Sinne einer »transzendentalen Rekonstruktion historischen Wissens«.50 Dieses besitze der Struktur nach subjektive Voraussetzungen, die seine mögliche Objektivität aber nicht grundsätzlich

45 46 47 48 49 50

Koselleck, J.: Vergangene Zukunft, S. 178. Ranke, Leopold von: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494-1514, hg. von Ramonat, Oliver, Leipzig 1874, S. VIIf. Vgl. Audehm, Kathrin: Die Macht der Sprache. Performative Magie bei Pierre Bourdieu, in: Wulf, Christoph: Grundlagen des Performativen (2001), S. 102. Vgl. Febvre, Lucien: Ein Historiker prüft sein Gewissen (1933), in: Das Gewissen eines Historikers, hg. von Raulff, Ulrich, Frankfurt a.M., 1990, S. 13f. Vgl. Febvre, L.: Ein Historiker prüft sein Gewissen, S. 10-15. Baumgartner, Hans Michael: Die subjektiven Voraussetzungen von Historie und der Sinn von Parteilichkeit, in: Koselleck/Mommsen/Rüsen: Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft (1977), S. 426.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

in Frage stellten.51 Baumgartner unterscheidet anhand der historischen Gegenständlichkeit Subjektivität und Parteilichkeit. Jene sei konstitutiv für historische Gegenständlichkeit, sie zeichnet sich aus durch die »Verschränkung von transzendentaler und empirischer Subjektivität sowie Realitätsgegebenheit.«52 Subjektivität ist für Baumgartner also etwas dem historischen Wissen Immanentes und sie schließt keinesfalls objektives historisches Wissen aus. Die Parteilichkeit dagegen ist für Baumgartner ein Moment der existenziellen Situation und der Selbstverständigung des Menschen, was aber den Forschungsprozess der wissenschaftlichen Historie nicht beeinflussen müsse.53 Auch Wolfgang J. Mommsen sieht keinen Widerspruch zwischen einer objektiven historischen Forschung und einer Perspektivität des Historikers, die durch seine Situation und seine soziale Gruppenzugehörigkeit geprägt ist. Für Mommsen ist es völlig klar, dass der Historiker die historische Wirklichkeit immer nur mittels Perspektiven, die er selbst in den Erkenntnisprozess einbringt, erfährt. Aus diesem Grund könne es auch nicht die eine Geschichte mit dem einen objektiven Sinn geben.54 Erkenntnisfortschritt, so Mommsen, werde überhaupt erst durch Standortgebundenheit ermöglicht: »[D]urch die Konfrontation von tendenziell verschiedenen Deutungen eines jeweils gleichen Sachverhalts wird Erkenntnisfortschritt induziert und zwar weniger im Sinne einer Falsifikation dieser Deutungen […], als vielmehr durch die Entwicklung von umfassenderen Erklärungsmodellen […].«55 Die ideellen und materiellen Interessen sowie die gegenwärtige gesellschaftspolitische Situation eines Historikers beeinflussen seine theoretischen Konzeptionen, so Mommsen. Dies führe zu einer Perspektivität historischer Erkenntnis, welche die »Rückkopplung historischer Urteile auf das jeweils gegenwärtige gesellschaftliche Bewußtsein« erst ermögliche.56 In all diesen Ansätzen geht es um die Standortgebundenheit der Historiker als ein Problem für den Erkenntnisgewinn. Nun behaupte ich, dass dieses Problem ein spezifisch wissenschaftliches sei. Dies ist es, weil die Geschichtswissenschaft einerseits die Intention hat, Erkenntnis zu erlangen, welche sie in ihrer Geschichtsschreibung zum Ausdruck bringt. Andererseits muss sie, obwohl ihr der Wahrheitsanspruch immanent ist, eingestehen, dass das, was sie sagt, auch ganz 51 52 53 54

55 56

Vgl. ebd., S. 426f. Ebd., S. 430. Vgl. ebd., S. 439. Vgl. Mommsen, Wolfgang J.: Der perspektivische Charakter historischer Aussagen und das Problem von Parteilichkeit und Objektivität historischer Erkenntnis, in: Koselleck/Mommsen/Rüsen: Objektivität und Parteilichkeit (1977), S. 448. Ebd., S. 466. Vgl. Ebd., S. 468.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

anders sein könnte und relativiert somit ihren Objektivitätsgrad. Sie steht somit in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch, Erkenntnis zu erlangen und dem Wissen, dass diese Erkenntnis nicht die ›einzig wahre‹ ist. Die Standortgebundenheit, die sich in den inhaltlichen Aussagen einer Geschichtsschreibung manifestiert, wird also dann zum Problem, wenn eine Geschichtsschreibung mit der Intention der Erkenntnis verbunden wird. Karl-Heinz Metz vollzieht eine Trennung zwischen Erinnerung und Erkenntnis, indem er die Kritik als »Bruch«57 mit der Homogenität einer Erinnerungsgemeinschaft bezeichnet. Der Weg der Erkenntnis sei daher die Kritik.58 Eben dieser Bruch ist es aber, der ausbleibt, wenn die Intention einer Geschichtsschreibung nicht im Erkenntnisinteresse liegt, sondern in der Stiftung von Identität, wie es beispielsweise oft bei Unternehmensgeschichtsschreibungen der Fall ist. Die Unternehmen und die in ihnen agierenden Personen sind Teil einer Erinnerungsgemeinschaft. Die Erinnerungen, die sie durch Geschichtsschreibung teilen, dienen ihnen zur Identitätsstiftung. Wie ich oben aber bereits sagte, schließen sich die unterschiedlichen Intentionen nicht zwangsläufig aus. So kann Identität auch mit der wissenschaftlichen Kritik geschaffen werden: Beispielsweise kann ein Unternehmen die Erforschung seiner Vergangenheit in Auftrag geben, um als verantwortungsvolles Unternehmen wahrgenommen zu werden. Auf diese Weise vermischen sich die Intention von Erkenntnis und von Identität – und zwar durch die soziale Beziehung, die durch eine Beauftragung von Historikern zustande kommt. Dies geschieht, weil sich ein Unternehmen nicht nur über seine Geschichte, sondern auch über den Umgang mit seiner Geschichte definiert. Ein Historiker, der mit einer Geschichtsschreibung einen Erkenntnisgewinn als Intention verbindet, kann dafür sorgen, dass eine Geschichtsschreibung letztlich sowohl Erkenntnis bringend als auch Identität stiftend sein kann. Aber natürlich können noch viele weitere Intentionen mit einer Geschichtsschreibung verbunden werden. Denn ein Historiker ist nicht nur Wissenschaftler. Er vereinigt in sich al Individuum viele Rollen59 . Auch deswegen ist die Intention der Erkenntnis eine spezifisch wissenschaftliche, weil sie eine Intention des Historikers in seiner Rolle als Wissenschaftler ist. Somit sind die Intentionen auch von sozialen Rollen abhängig, in denen ein Historiker sich befindet und davon, wie er in ihnen agiert. Beispielsweise ist er als Doktorand neben der Erkenntnis, die er in 57 58 59

Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 11. Vgl. ebd. Der Begriff wird hier nicht genutzt in Anlehnung an die traditionelle Rollentheorie Parsons und Meads, sondern folgt dem kritischen Ansatz Geulens, nach dem Rollennormen das Handeln nicht determinieren, sondern eine Situation intersubjektiv in Bezug auf bestimmte Handlungsmöglichkeiten vorstrukturieren. Vgl. Geulen, Dieter: Subjektorientierte Sozialisationstheorie. Sozialisation als Epigenese des Subjekts in Interaktion mit der gesellschaftlichen Umwelt, Weinheim 2008, S. 184.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

seiner Dissertation erarbeiten möchte, ebenfalls daran interessiert, seine Promotion zu erreichen. Seine Qualifizierung ist hier also eine weitere Intention. Schreibt ein Historiker, der eine Stellung als Universitäts-Professor innehat, eine Geschichte für eine finanzielle Gegenleistung, dann kann sowohl sein Erkenntnisinteresse ihn dazu motivieren als auch die Intention, finanziellen Profit zu erlangen. Es könnte aber auch sein, dass er seinen Ruf als Experte manifestieren möchte. Marcus Ventzke schreibt gar, die partizipations- und auftragsgeschichtlichen Zielsetzungen unterscheiden sich durch die Verantwortung, die ein Historiker für die Gestaltung einer kritischen Öffentlichkeit trage.60 Die Trennung, die er vollzieht, ist aber eine – vielleicht zu Recht –, konstruierte. Denn wer sagt, dass Auftragsarbeiten nicht auch eine kritische Öffentlichkeit befördern könnten? Zu sehen ist dies besonders im Bereich der Unternehmensgeschichtsschreibung, in der es mittlerweile als Imagepflege bzw. Verbesserung gilt, wenn Unternehmen ihre Geschichte kritisch von Historikern aufarbeiten lassen.61 Wie man sieht, schließen andere Intentionen sich also nicht gegenseitig aus, sie können stattdessen Einfluss aufeinander nehmen. Entsprechend schwer ist es, aus einer Geschichtsschreibung heraus klar zu erkennen, welche Intentionen ihr zugrunde liegen.

1.3

Habitus

Wenn die Intentionen aus den sozialen Rollen und dem Agieren in ihnen resultieren, so ist anzunehmen, dass der Habitus eines Historikers Auswirkungen auf sein Handeln als Historiker hat. Angelehnt an den Habitus-Begriff von Pierre Bourdieu, wird der Habitus eines Menschen von den Erfahrungen geprägt, die ein Subjekt durch soziale Beziehungen und die Einbindung in die Gesellschaft macht. Der Habitus ist charakterisiert durch ein System von Dispositionen, die durch die Verinnerlichung von Denk- und Sichtweisen, Wahrnehmungsschemata und Prinzipien des Urteilens und Bewertens einer Gesellschaft geprägt sind.62 Je nach Milieuzugehörigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft unterscheidet sich ihr Habitus. Durch die Struktur eines Feldes findet die Ausformung des pro-

60 61 62

Vgl. Ventzke, Marcus: Ursprünge und Antriebe der gegenwärtigen Debatte über Angewandte Geschichte, in: Nießer/Tomann: Angewandte Geschichte. (2014), S. 29. Vgl. Schug, A.: History Marketing, S. 25. Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 5. Aufl. 2018 (1979), S. 164f.; Ders.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 2016 (1982), S. 277ff.; Ders.: Sozialer Raum und symbolische Macht, in: Ders.: Rede und Antwort, Frankfurt a.M. 2011³ (1992), S. 144f.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

fessionellen Habitus statt.63 Als Feld64 bezeichnet Bourdieu Machtstrukturen, die sich durch eine bestimmte Sprache, durch bestimmte Interessen und durch Regeln der Akteure auszeichnen. Dabei können sich die Kräfte eines spezifischen Feldes nur in Beziehung zu bestimmten Dispositionen äußern.65 Historiker, die ihre Profession gelernt haben – in Deutschland geschieht dies durch ein Hochschulstudium und wird mit einem entsprechenden Abschluss zertifiziert –, sind somit von ihren Erfahrungen aus dem Studium geprägt. Im Studium lernen sie bereits die Regeln des Feldes, das bedeutet, sie verinnerlichen bestimmte Dispositionen, die ihr Denken und Handeln als Historiker beeinflussen und sie als Professionsträger von anderen Professionen unterscheiden. Eine Gruppierung nutzt dafür bestimmte soziale Praktiken, die sie für sich monopolisiert hat.66 Als soziale Praktiken sind Deutungs- und Handlungsmuster zu verstehen, die sich unter bestimmten soziokulturellen Bedingungen konstituieren. Für die Historiker ist dies das Monopol auf das Erlangen von Erkenntnis über die Vergangenheit, welche sie durch spezifische, als wissenschaftlich reklamierte Methoden erreichen und somit die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeiten legitimieren. Die Legitimation der Glaubwürdigkeit von Geschichtsschreibungen erlernen Historiker somit stets im Feld der Geschichtswissenschaft, das aufgrund fachspezifischer Dispositionen als Feld innerhalb des Feldes der Wissenschaft verstanden werden kann. Professionellen Historikern ist bewusst, dass sie ihre Geschichtsschreibungen auf eine ganz bestimmte Weise als glaubwürdig legitimieren müssen, wenn sie von den anderen Akteuren im Feld der Geschichtswissenschaft akzeptiert werden wollen. Dabei unterliegt die Legitimation der Professionalität drei Kontrollinstanzen.67 Die Sphäre der professionellen Legitimität mit dem Anspruch auf universelle Anerkennung wird durch die Profession selbst kontrolliert. Dabei geht es um die Anerkennung von Fachwissen und dessen Anwendung, wie beispielsweise das korrekte Arbeiten mit Quellen und den angemessenen Umgang mit ihnen in einer 63

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66 67

Vgl. Pfadenhauer, Michaela: Professioneller Stil und Kompetenz. Einleitende Überlegungen im Rekurs auf Bourdieus Habitus-Konzept, in: Dies./Scheffer: Profession, Habitus und Wandel (2009), S. 11. Der Begriff des Feldes ist bei Bourdieu kein fest definierter Terminus. Seine Definition betrifft das grundlegende Prinzip des Funktionierens des Feldes. Tatsächlich kann es, so Bourdieu, unendlich viele Felder geben, in denen Kräfte wirken (sog. »Orte von Kräfteverhältnissen«), vgl. Bourdieu, Pierre: Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes, Konstanz 1998, S. 24. Vgl. Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 13; Ders.: Die feinen Unterschiede, S. 164; Ders.: Soziologische Fragen, Frankfurt a.M., 5. Auflage 2014, S. 107-114; Ders.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 16-26; Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 9. Für eine detaillierte Definition siehe diese Arbeit, Kap. 2. Vgl. Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 9. Vgl. ebd., S. 10.

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Geschichtsschreibung. Die Aussage von Marcus Ventzke, es gebe keine Alternative zu den Prinzipien historischer Forschung, da diese die Grundlage der Berechtigung des Faches sei, unterstreicht diese Feststellung.68 Die Sphäre der potenziellen Legitimation wird durch die Allgemeinheit kontrolliert, da hier die Frage nach der Effektivität und der Orientierung am Gemeinwohl von Bedeutung ist. Die Sphäre der segmentarischen Umgangsformen wird schließlich durch das soziale Um- und Bezugsfeld kontrolliert. Hier stehen unter anderem Kommunikationsformen und die äußere Erscheinung der Akteure im Vordergrund.69 Historiker gehen methodisch vor, das heißt, sie arbeiten theoriegestützt, suchen nach empirischen Belegen, erklären und argumentieren auf der Basis der empirischen Befunde und halten sich dabei an das Qualitätsmerkmal der Intersubjektivität. Je nachdem wie ›gut‹ oder ›schlecht‹ sie dies tun, wird ihre Geschichtsschreibung von den anderen Akteuren des Feldes akzeptiert und damit auch ihr Handeln als Akteure des Feldes. Dabei ist zu beachten, dass nur jemand mit der gleichen »quasi-professionellen Kompetenz« die Professionalität von jemandem legitimerweise hinterfragen darf.70 Denn die Konkurrenten innerhalb des Feldes der Geschichtswissenschaft sind sich einig über gemeinsame Methoden der Bestätigung von Hypothesen.71 Nun handeln Historiker aber nicht ausschließlich im Feld der Wissenschaft. Wie oben bereits angesprochen, agieren sie als Historiker auch in anderen sozialen Feldern. In diesem Fall treten sie in soziale Beziehungen mit den Akteuren dieser anderen Felder. Um weiterhin als Historiker akzeptiert zu werden, müssen sie ihren Professionsanspruch dennoch wahren. Das bedeutet, sie müssen ihren Wahrheitsanspruch aufrechterhalten. Da sie aber in anderen sozialen Feldern agieren, müssen sie andere Regeln nutzen, damit ihre Geschichtsschreibung auch dort als glaubwürdig akzeptiert werden kann. Denn für die Akteure aus anderen Feldern sind die Regeln aus dem Feld der Wissenschaft nicht immer nachvollziehbar, weil sie ihnen keine oder eine andere Bedeutung beimessen. Auch Gerhard Obermüller und Thomas Prüfer weisen auf die besondere Situation hin, in der Historiker als Auftragsforscher auf ›fremden Terrain‹ stehen: So gehe es in den sozialen Systemen von Wirtschaft und Politik vor allem um Geld und Macht, statt um Wahrheit. Man müsse somit zwischen dem Wahrheitsanspruch und dem Warencharakter von Geschichte agieren.72 Die Historiker müssen sich daher in ihren Denk- und Handlungsweisen den Regeln der entsprechenden Felder anpassen, in denen sie agieren, 68 69 70 71 72

Vgl. Ventzke, M.: Ursprünge und Antriebe der gegenwärtigen Debatte über Angewandte Geschichte, S. 16f. Vgl. Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 10. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 29. Vgl. Obermüller, Gerhard/Prüfer, Thomas: Aus Geschichten Geschäfte machen. Kleine Pragmatik des Historischen, in: Nießer/Tomann: Angewandte Geschichte (2014), S. 81.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

ohne dabei ihre Profession aufzugeben, die sie durch ihre Sozialisation innerhalb des Feldes der Geschichtswissenschaft erlangt haben. Zu beachten ist auch, dass Dispositionen sich nicht nur durch einen Wechsel in ein anderes Feld verändern. Dementsprechend stellt Michaela Pfadenhauer infrage, ob beispielsweise Organisationen überhaupt als homogene Einheiten betrachtet werden können.73 Dispositionen ändern sich ebenfalls mit den sozialen Beziehungen und dem Status – dies kann sowohl im selben Feld geschehen, wenn Historiker beispielsweise einen der begehrten Lehrstühle erhalten, als auch durch den Wechsel in ein anderes Berufsfeld, dessen Tätigkeiten vorrangig mit Akteuren in einem anderen sozialen Feld verbunden sind. Das bedeutet schließlich, der Habitus eines Historikers verändert sich im Laufe seines Berufslebens unabhängig davon, ob er im Feld der Wissenschaft bleibt oder in ein anderes Feld wechselt. Die Frage, die sich hierdurch stellt, ist: Wie verändert sich der Berufshabitus und inwiefern hat dies Auswirkungen auf sein Verhalten als Historiker? Behält er seinen professionellen Stil oder werden andere Verhaltensweisen über die ursprünglich erlernten gestellt? Wenn man sich die Literatur über Geschichtsschreibung ansieht, die auch in anderen Feldern als dem der Historie entsteht, so fällt eines auf: Stets wird die Unentbehrlichkeit der Professionalität betont.74 Damit gemeint ist die Einhaltung der im Studium und damit im Feld der Wissenschaft gelernten Regeln, um den Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu legitimieren. Die angemessene Arbeit mit Quellen und vor allem das unabhängige Forschen müssen stets gewahrt sein. So geht unter anderem auch Daniel Schläppi davon aus, dass sowohl akademische als auch angewandte Geschichte »nur unter Einbezug plausibler Argumentationen und fundierter Quellengrundlagen«75 ihre Ergebnisse darstellen können. Einen Unterschied sieht er dagegen in der formalen und habituellen Erscheinungsform beider Ansätze.76 Christoph Kühberger geht noch weiter und merkt an, dass die »wissenschaftsexternen Momente« ebenfalls Einfluss auf die Erkenntnisse nehmen, welche bei der außer-akademischen Geschichte anders gelagert seien, als bei der akademischen.77 Darüber hinaus spricht er einen entscheidenden Unterschied

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Vgl. Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 14f. Vgl. die Beiträge im Sammelband von Hardtwig, Wolfgang/Schug, Alexander: History sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009; ebenso in: Nießer/Tomann: Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn 2014; weitere Beiträge in: Schug, A.: History Marketing, 2003 und in Menne, Mareike: Berufe für Historiker. Anforderungen, Qualifikationen, Tätigkeiten, Stuttgart 2010. Vgl. Schläppi, Daniel: Angewandte und akademische Geschichte – Keine Gegensätze, in: Hardtwig/Schug: History sells! (2009), S. 32. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. Kühberger, Christoph: Verkaufte Zunft? Ein Beitrag zur Ethik des History Consulting, in: Hardtwig/Schug: History sells! (2009), S. 45.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

an, der Auswirkungen auf den Berufshabitus von Historikern hat. So verweist er auf die rechtliche Dimension und das erhöhte Risiko einer Klage gegenüber privaten Historikern. Ebenso seien sie anderen Rhythmen unterworfen, wie wirtschaftlichen Zyklen, statt wissenschaftsinternen Erfordernissen. Und letztlich stünden sie oft unter einem größeren Zeit- und Outputdruck. Dies alles habe Einfluss auf ihr Arbeiten. Und auch die Wünsche, mit denen die Kunden an die Historiker heranträten, spielten eine Rolle: So würden sich viele Auftraggeber eine positive Selbstdarstellung in historischer Perspektive wünschen, statt einer wissenschaftlich differenzierten Arbeit. Kühberger verweist allerdings auch explizit darauf, dass gerade wegen dieser Situation die privaten Historiker auf Transparenz achten sollten und empfiehlt eine »Metareflexion« ihrer Darstellungen.78 Ebenso wie bei geschichtswissenschaftlichen Narrationen, die an institutionalisierten Forschungseinrichtungen entstehen, müsse man nach der empirischen, normativen und narrativen Triftigkeit von Geschichtsschreibungen im außerakademischen Bereich fragen, um deren geschichtswissenschaftliche Qualität festzustellen.79 Kühberger vollzieht hier nicht eine Trennung zwischen guter und schlechter oder gar richtiger und falscher Geschichtsschreibung, sondern zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Geschichtsschreibung. Dies ist deswegen auffallend, weil diese Unterscheidung so im modernen wissenschaftlichen Diskurs darüber, was Geschichtsschreibung eigentlich sei, nicht vorkommt, sondern, wie oben bereits gezeigt, Geschichtsschreibung mit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung in den meisten Fällen synonym gesetzt wird. In seinem Bemühen darum zu erklären, dass angewandte und akademische Geschichte keine Gegensätze seien, verweist auch Daniel Schläppi darauf, dass es Unterschiede in den »variierenden Tiefenschärfen der Erkenntnis«80 gebe: »Und wie es gute und schlechte Presseberichterstattung gibt, gibt es auch intelligente und dumme geschichtliche Darstellung.«81 Dass diese Unterscheidung ausgerechnet im Diskurs über die Rolle der angewandten Geschichte vorgenommen wird, ist durchaus bemerkenswert. Denn betrachtet man sich die Bemühungen der Akteure in einem Feld, in dem nicht-akademische Geschichtsschreibungen verfasst werden, ihre Arbeit als qualitativ wertvoll zu legitimieren, passt diese Unterscheidung von geschichtswissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Geschichtsschreibung genau in das Legitimationsschema der Professionalität. Durch diese Unterscheidung wird eine Distinktion gegenüber anderen Texten vollzogen, die nicht den Ansprüchen an geschichtswissenschaftlichen Arbeiten genügen. Mittels

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Vgl. ebd., S. 46f. Vgl. ebd., S. 47. Vgl. Schläppi, D.: Angewandte und akademische Geschichte, S. 32. Vgl. ebd.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

dieser Distinktion wird verdeutlicht, dass man die professionelle Kompetenz innehat, die andere Geschichtsschreibungen außerhalb der akademischen Geschichte nicht aufweisen können. Akteure agieren im nicht-wissenschaftlichen Feld, suchen aber zugleich die Anbindung an das wissenschaftliche Feld. Sie sind in ihrem Feld daher mit anderen Formen der Geschichtsschreibung konfrontiert, durch die eine professionelle Kompetenz, wie sie im Feld der Wissenschaft definiert ist, nicht legitimiert werden kann. Um also von den Akteuren im Feld der Wissenschaft akzeptiert zu werden, müssen die Akteure sich mittels der sozialen Praktiken abgrenzen, die im Feld der Wissenschaft verfestigt wurden, um nicht mit den nicht-wissenschaftlichen Geschichtsschreibungen, die in einem nicht-wissenschaftlichen Feld entstehen, gleichgesetzt zu werden. Das gleiche gilt für die Bemühungen um einen »Kodex« für gute wissenschaftliche Arbeit im Bereich der nicht-akademischen Geschichte. Der Hinweis auf die Notwendigkeit und den Nutzen eines solchen Kodexes – so richtig er auch sein mag – ist zugleich ein weiterer Hinweis auf die Bemühungen um Distinktion zu nichtwissenschaftlichen Geschichtsschreibungen und um Legitimation der eigenen Arbeit gegenüber den Akteuren im wissenschaftlichen Feld.82 Und schließlich ist auch das oft genannte wechselseitige Beziehungsverhältnis zwischen akademischer und nicht-akademischer Geschichte ein weiterer Hinweis auf den Legitimationsdruck im Feld der Wissenschaft.83 Nun stellt sich aber die Frage, warum die Historiker überhaupt um diese Legitimation bemüht sind, wenn sie doch in einem anderen Feld als dem der Wissenschaft agieren. Denn eigentlich müssten sie, nach der Theorie Bourdieus, darum bemüht sein, in dem Feld ihren Status zu sichern, in dem sie agieren und somit die dort geltenden sozialen Gesetze einhalten – ihren Habitus also, der diese Gesetze verinnerlicht, anpassen.84 Wie erwähnt, vollzieht sich die Habitualisierung von Historikern bereits im Studium. Dort lernen sie Denk- und Handlungsmuster, die mit ihrer Profession verknüpft sind. Spezifisch für Historiker ist dies der (von den Professionsträgern determinierte und anerkannte) angemessene Umgang mit historischen Quellen. Streng genommen beginnt die Sozialisierung in einem Berufsfeld für Historiker erst, wenn sie nach ihrem Studium in den Arbeitsmarkt treten. Das Problem dabei ist, dass »Historiker« keine Berufsbezeichnung ist, sondern dass jemand als Historiker einen bestimmten Beruf, wie beispielsweise Wissenschaftler, Journalist, freier Autor, Unternehmensberater, Marketingmanager usw. ergreift. Die Profession, in der man somit zunächst sozialisiert wurde und die den

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Vgl. Kühberger, C.: Verkaufte Zukunft?, S. 48f. Vgl. Sack, Hilmer/Schug, Alexander: Geschichte gegen Stundenlohn, in: Hardtwig/Schug: History Sells! (2009), S. 365. Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 18.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

eigenen Habitus prägt, kann aufgrund dieser verschiedenen Berufe ganz, nur teilweise oder im Extremfall überhaupt nicht aufrechterhalten werden, weil der professionelle Stil sich verändert. Dies kann in einer Weise geschehen, die an den erlernten Habitus problemlos anknüpfen kann, wie in der Wissenschaft, diesem aber auch unvereinbar gegenüberstehen kann.85 Plötzlich können in einem Beruf ganz andere professionelle Kompetenzen von Bedeutung sein. Historiker müssen diese Kompetenzen daher in ihren Habitus integrieren, um erfolgreich im sozialen Feld ihres Berufes agieren zu können. Zugleich sind sie aber immer noch Historiker, die einen Beruf ausüben. Das bedeutet, sie geben ihre ursprüngliche Profession nicht auf, sondern ergänzen sie bzw. überlagern sie mit anderen professionellen Kompetenzen. So besitzen natürlich auch Historiker Kompetenzen, welche sie in den späteren Berufsfeldern nutzen können, wie Recherchekompetenzen oder die schnelle Verarbeitung von Textmengen. Dies sind allerdings keine spezifischen Kompetenzen von Historikern, sondern sie gelten für Geisteswissenschaftler generell, wie Mareike Menne verdeutlicht.86 Der Umgang mit historischen Quellen und die im Feld der Wissenschaft dazu festgelegten Regeln dagegen sind spezifisch für die Historiker-Profession. Da sie aber als Historiker ihre professionellen Kompetenzen nur durch andere Professionsträger legitimieren lassen können, müssen sie die spezifischen historischen Kompetenzen gegenüber diesen verteidigen und sich somit an die Gesetze halten, die sie im Feld der Wissenschaft internalisiert haben. Täten sie dies nicht, würden sie ihre Legitimation als Historiker und somit als Professionsträger verlieren. Aus diesem Grund sind daher diejenigen, die im Bereich der nicht-akademischen Geschichte arbeiten, bemüht, ihre Arbeit als ›professionell‹ zu legitimieren – als Arbeit, die trotz ihrer feldspezifischen Eigenheiten den Regeln der Kunst folgt. Daher erklärt sich auch die beständige Beschwörung, jedwede Form der Geschichtsschreibung, die man als Historiker herstellt, müsse den wissenschaftlichen Prinzipien folgen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass dies nicht allen Historikern möglich ist. Denn um Interessen durchsetzen zu können, müssen bestimmte Optionen überhaupt erst vorhanden sein. Welche Optionen man aber hat, ist abhängig vom Gewicht des einzelnen Akteurs in einem sozialen Feld, das sich wiederum durch die Verteilung der Gewichte der anderen Akteure ergibt. Bourdieu nennt die sozialen Felder daher auch »Kräftefelder«, in denen die Verfügung über Kapitalarten die einzelnen Optionen und damit auch Positionen der Akteure bestimmt.87 Es hängt daher von den jeweiligen Handlungsoptionen ab, die sich einem Historiker in Bezug auf einen Beruf auftun, ob und inwiefern er seinen professionellen Habitus aufrechterhalten kann. Das bedeutet im Extremfall: Wenn die professionellen Kompetenzen überschrieben werden müssen, wird

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Vgl. Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 14f. Vgl. Menne, M.: Berufe für Historiker, S. 9. Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 20ff.

1. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

die Profession selbst aufgegeben – der Historiker nimmt sich selbst als solcher nicht mehr wahr. Da die Handlungsoptionen vom Gewicht des Gesamtkapitals eines Akteurs abhängen und in dieser Arbeit von einer Ungleichverteilung des Kapitals im gesamten Feld ausgegangen wird, bedeutet dies ungleiche Handlungsoptionen für die Akteure. Somit bestünde eine Chancenungleichheit unter Historikern, ihre Profession aufrechterhalten zu können. Für die Beantwortung der Frage nach den Einflüssen auf Geschichtsschreibung ergibt sich somit eine entscheidende Erweiterung: Statt nur zu fragen, was bestimmt, wie wir Geschichte schreiben, muss ebenfalls betrachtet werden, was bestimmt, ob wir überhaupt Geschichte schreiben. Das bedeutet zu untersuchen, welchen Einfluss die soziale Wirklichkeit der Historiker auf ihren professionellen Stil – ihren Berufshabitus als Historiker – hat.   Die zentrale These, die sich daher zusammenfassend aus den obigen Überlegungen ergibt, ist somit, dass die soziale Wirklichkeit, in der Historiker agieren, Einfluss auf ihre Geschichtsschreibung hat. »Soziale Wirklichkeit« muss hier verstanden werden als die Summe von Handlungsmöglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Kapital und habituellen Praktiken ergibt. Daraus folgt eine weitere Schlussfolgerung: In der Geschichtsschreibung gibt es keine Unabhängigkeit. Denn wenn das Gewicht der Akteure im Kräftefeld sich stets nach dem Gewicht der anderen Akteure bemisst, gibt es immer einen Bezug, der dem Subjekt seinen ›Platz‹ zuweist. Damit ergibt sich aber ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn schaut man auf die Debatte über universitäre und angewandte Unternehmensgeschichte, so scheint Unabhängigkeit in der Geschichtsschreibung die Grundlage für jedwede Professionalität zu sein.88 Unabhängigkeit wird so zu einem Qualitätsmerkmal von Geschichtsschreibung erhoben – gemeint ist damit, dass weder persönliche Interessen der Forschenden noch der Auftraggeber den Forschungsprozess beeinflussen. Wenn Unabhängigkeit aber zu einem Qualitätsmerkmal erhoben wird, wird dieses zum Mittel der Distinktion gegenüber Geschichtsschreibungen anderer Art, nämlich abhängigen Geschichtsschreibungen. Die daraus resultierende Annahme müsste somit lauten: Unabhängigkeit führt zu ›guter‹ Geschichtsschreibung, weil sie Glaubwürdigkeit legitimiert. Das hieße wiederum, wenn der Anspruch gestellt wird, eine glaubwürdige Geschichte zu schreiben, müsste Unabhängigkeit gegeben sein. Das Problem

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Vgl. u.a. Köster, R., GWU 66/2015, S. 141-151, S. 149; Rauh, Claudia: »Angewandte Geschichte« als »Apologetik-Agentur«? Wie man an der Universität Erlangen-Nürnberg Unternehmensgeschichte »kapitalisiert«, ZuG, 56/2011, S. 3-10, S. 8f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

ist: Wenn angenommen wird, dass nur bestimmte Bereiche der Geschichtsschreibung unabhängig sind und andere nicht (sonst wäre die Distinktion sinnlos), dann würde dies bedeuteten, die anderen Geschichtsschreibungen wären nicht glaubwürdig. Aber dann wären sie keine Geschichtsschreibungen. Dies aber ergäbe ein Paradoxon, denn Glaubwürdigkeit ist die existenzielle Grundlage von Geschichtsschreibung. Zur Auflösung dieses Paradoxons dient wiederum die Feldtheorie Bourdieus und der Legitimation der Profession. Denn je nach sozialem Feld und den dortigen Regeln wird Glaubwürdigkeit anders vermittelt. Daher verwundert es auch nicht, dass die Unabhängigkeit explizit vorrangig im Diskurs über Angewandte Geschichte geführt wird, um Glaubwürdigkeit zu legitimieren. Während der geschichtswissenschaftliche Diskurs sich um die Frage nach »referenziellen Eigenschaften« sowie des Standortbewusstseins dreht, weil die Unabhängigkeit als akademisches Monopol wie selbstverständlich praktiziert wird, muss die Geschichtsschreibung, die nicht im wissenschaftlichen Feld entsteht, diese soziale Praxis erst nachweisen, ihr ›Dasein‹ rechtfertigen unter der alles überragenden Prämisse der Unabhängigkeit, wie sie nur als Distinktionsmerkmal des Feldes der Wissenschaft existiert. Die Berufung auf Unabhängigkeit ist damit eine soziale Praktik, die der Profession inne ist, basierend auf dem festen Glauben daran, dass nur solch eine Geschichtsschreibung als ›wahr‹ gelten kann und nur dadurch die individuelle professionelle Kompetenz legitimiert werden kann. Hier ergibt sich aber bereits ein wesentlicher Widerspruch: Denn wenn die eigene Profession auf die Legitimation der Unabhängigkeit angewiesen ist, dann ist dies bereits eine Abhängigkeit von den sozialen Determinationen im sozialen Feld der Wissenschaft. Dieses Paradoxon drückt somit einen grundlegenden Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Forschung aus, der sich in der Geschichtsschreibung auf besondere Art und Weise manifestiert.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der Anspruch, unabhängig zu forschen, ist das Ergebnis historischer Prozesse in der Wissenschaftsgeschichte. Repression und Instrumentalisierung durch und für verschiedenste Arten von Herrschaft aus verschiedensten Motiven heraus – seien es Ideologien oder politische Strategien – haben das Bewusstsein für den besonderen Schutz von Forschung und Forschern geschärft. Manifestiert hat sich dieses Bewusstsein im deutschen Kulturraum bereits in der Verfassung von 1849, die allerdings nie in Kraft trat.1 Nach der nationalsozialistischen Diktatur folgte man 1949 dem Vorbild von 1849 und in Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes wurde die Freiheit von Wissenschaft und Forschung festgeschrieben. Es soll hier nun nicht um Sinn oder Unsinn dieses Artikels oder um eine tiefergehende juristische Debatte darüber gehen. Er dient vielmehr – besonders in seiner herausragenden Bedeutung bei der Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte – der Illustration für das Problem, dem sich diese Arbeit zuwendet. An der Aussage des Artikel 5 GG Abs. 3, Wissenschaft und Forschung seien frei, lässt sich die Sinnhaftigkeit einer Gütebemessung nach wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Geschichtsschreibung noch einmal in Frage stellen, wie sie bereits im Abschnitt über den Habitus gestreift wurde. Zunächst einmal scheinen Wissenschaft und Forschung nicht per se dasselbe zu sein, denn das Gesetz führt beide explizit auf.2 Es ist nicht davon auszugehen, dass dies bedeutet, Wissenschaft komme ohne Forschung aus, aber es kann davon abgeleitet werden, dass Wissenschaft und Forschung nicht automatisch deckungsgleich sind. Gemeinsam haben beide, dass es ihnen bzw. vielmehr den unter ihnen subsumierten handelnden Subjekten darum geht, Wissen zu generieren. Der Unterschied von Wissenschaft und Forschung ist am einfachsten zu verdeutlichen, wenn man beide

1 2

Vgl. Engehausen, Frank: Die Revolution von 1848/49, Paderborn 2007, S. 224f. »Wissenschaft« wird im Grundgesetz nicht als verfassungsrechtlich fest determinierter Begriff genutzt, um die durch das Gesetz geschützte Entwicklung von Wissenschaft nicht einzuschränken, vgl. Mangoldt, Hermann von/Klein, Friedrich/Strack, Christian (Hg.): Kommentar zum Grundgesetz, München 2010, S. 626, Abs. 289.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

über ihre Semantik betrachtet. Wissenschaft ist ein Wort, das ein Feld von Akteuren und Handlungen umschließt. Es vereint Institutionen, Personen, Handlungen – es ist ein Topos von einer Zusammenschließung aller Wissen generierender Komponenten. Grammatikalisch abzuleiten ist dieser Zusammenhang durch das Suffix -schaft. Es steht in Verbindung mit Substantiven für die Gesamtheit, wie die Subsumption von Institutionen, Personen und Handlungen, und es steht auch für das Ergebnis von Handlungen, wie die, Wissen zu generieren – Wissen zu schaffen. Forschung dagegen vereint Handlungen, die dazu beitragen, Wissen zu generieren. Durch das Suffix -ung wird lediglich das Verb »forschen« substantiviert. Es steht damit für die Gesamtheit der Handlungen, nicht aber für das, was darüber hinausgeht, also für beteiligte Institutionen und Personen. Eine Redewendung in alltagssprachlicher Kommunikation »Die Forschung hat herausgefunden…« meint als rhetorisches Mittel diejenigen, die gehandelt haben, nicht aber die Handlung selbst, denn dann hätte sie ein Bewusstsein, das es ihr ermöglichen würde, die Ergebnisse mit Sinn zu füllen. Korrekt müsste es daher heißen »Die Wissenschaft hat herausgefunden«, wenn man denn bei dem Mittel der Synekdoche bleiben möchte. Wissenschaft, so könnte man sagen, ist ein umfassenderer Begriff als Forschung. Ihre Gemeinsamkeit aber – das Generieren von Wissen – ist der Kern, den Artikel 5 GG Abs. 3 zu schützen beabsichtigt.3 Um eine qualitative Bewertung von Geschichtsschreibungen im Sinne von gut oder schlecht vorzunehmen, ist der Begriff »wissenschaftlich« daher gänzlich ungeeignet. Denn wie man sieht, ist Forschung auch ohne Wissenschaft möglich – oder besser: ohne den ganzen Apparat an institutionellen Faktoren. Denn die (grammatikalische) Umfassung von Institutionen, Personen und Handlungen geht mit einer sozialen Abgrenzung einher. Damit kommen wir wieder auf die Feldtheorie zurück: Das Feld der Wissenschaft repräsentiert einen bestimmten Bereich der Gesellschaft, der durch seine institutionelle Form und den darin entstehenden und bestehenden Regeln konstituiert wird. Wenn etwas als »wissenschaftlich« bezeichnet wird oder von »Wissenschaft« die Rede ist, dann schwingt auch immer etwas von den sozialen Dispositionen mit, die im ›Spielfeld‹ der Wissenschaft herrschen. Da Historiker, die in nicht-wissenschaftlichen Feldern arbeiten, bemüht sind, ihre Geschichtsschreibung als ›wissenschaftliche‹ von ›nicht-wissenschaftlicher‹ abzugrenzen, indem sie auf die Unabhängigkeit sowie das methodische Vorgehen verweisen, scheint wissenschaftliche Geschichtsschreibung somit in nicht-wissenschaftlichen Feldern möglich zu sein. Die Historiker folgen also den Dispositionen, die sie aus dem Feld der Wissenschaft integriert haben, während sie zugleich im

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Vgl. Detjen, Joachim: Verfassungswerte. Welche Werte bestimmen das Grundgesetz? Bonn 2009, S. 166.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Feld der Wirtschaft, Politik etc. agieren. Wissenschaftlich wäre also nur das, was den spezifischen Dispositionen des wissenschaftlichen Feldes entspricht. Der Sinn, bestimmten Dispositionen zu folgen, besteht nun darin, im Kräftespiel des jeweiligen Feldes bestehen zu können. Somit ist das (unbewusste) Einhalten der Dispositionen abhängig von den Chancen, die ein Akteur auf dem Feld hat, um seine dortige Position zu halten bzw. zu verbessern. Das würde umgekehrt bedeuten, je weniger Chancen im Feld, desto geringer ist die Wirkungsmacht der Dispositionen des Feldes. Stattdessen werden andere Dispositionen stärker verinnerlicht, die die Position in einem anderen Feld, in dem die Chancen besser sind, stärkt. Zu beachten ist hierbei, dass die Chancen auch davon abhängen, wie gut die Dispositionen verinnerlicht wurden und das Handeln nach ihnen ausgerichtet wird, also wie stark der Habitus gefestigt ist. Dieser wird durch das zur Verfügung stehende Kapital und somit besonders von der sozialen Herkunft bestimmt. Wenn nun aber die Qualität einer Geschichtsschreibung daran gemessen würde, ob sie wissenschaftlich oder nicht-wissenschaftlich sei, dann hieße das, Forschung sei schlechter als Wissenschaft. Und das kann sie nicht sein, ist sie doch Teil der Wissenschaft. Forschung ist zwar ohne den institutionellen Apparat, den Wissenschaft unter sich subsumiert, möglich, aber Wissenschaft ist nicht ohne Forschung möglich. Wenn nun also ein Unterschied zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Texten gezogen werden soll, dann ist es lediglich der Unterschied zwischen den Parametern, nach denen ein wissenschaftlicher Text als ein solcher definiert wird. Diese Parameter – das möchte ich vorausschicken – sagen aber zunächst nichts über die Qualität einer Geschichtsschreibung aus. Das Problem dieser Parameter ist, dass sie nicht einheitlich sind, denn auch ihnen liegen letztlich die im jeweiligen sozialen Feld konstruierten Dispositionen zugrunde. Nehmen wir als Beispiel die Referenzen. Eine Referenz ermöglicht es nachzuvollziehen, auf welche Gedanken und Ideen man sich an irgendeiner Stelle im Text bezieht. In einer Geschichtsschreibung ist die Angabe der Quelle in der Regel die wichtigste Referenz, da – so scheint es – sie nicht nur Transparenz ermöglicht, sondern auch als Beleg für die im Text dargestellte Erzählung gilt. Die Referenz ist allerdings nicht die Quelle selbst. Tatsächlich ermöglicht sie nachzuprüfen, ob das im Text Erzählte stimmt, ob es glaubwürdig sein kann. Sie ist nicht der Beleg dafür, dass das in der Erzählung aus ihr Abgeleitete oder Wiedergegebene tatsächlich die getroffene Lesart oder Information hergibt. Eine Referenz ist somit kein Beweis für die Richtigkeit einer Geschichtsschreibung. In einem Text, der keine Referenzen anführt, sind die Erzählungen nicht automatisch weniger historisch korrekt (oder inkorrekt) als in einem Text, der dies konsequent tut. Durch die Referenzen lässt sich also die Transparenz eines Forschungsprozesses besser herstellen, sie sagen aber nichts über den Grad der Erkenntnis an sich aus. Im Feld der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung ist dementsprechend allgemein anerkannt, dass Referenzen ein Qualitätsmerkmal darstellen. Dieser von

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allen Akteuren im Feld verinnerlichte Glaube verleiht den Referenzen ihre Wirkungsmacht –unabhängig davon, ob sie logisch begründet sind. Allerdings stellt auch das Vertrauen in die logische Begründung ein Spezifikum der sozialen Praxis in der Wissenschaft dar: Durch die Autonomie des Feldes und dem damit verbundenen reinen Wettbewerb, werden die sozialen Zwänge zu logischen Zwängen: »Um sich Geltung zu verschaffen, muß man Gründe geltend machen, um den Sieg davonzutragen, müssen Beweise und Gegenbeweise triumphieren.«4 Ein weiterer Parameter in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung ist die sogenannte theoretische Verortung. Diese schärft den Fokus einer Geschichtsschreibung und hilft den in ihr vertretenen paradigmatischen Ansatz besser zu verstehen, aber auch dies trägt nicht automatisch zu einer ›richtigen‹ Erzählung bei. Vielmehr dient sie der Nachvollziehbarkeit im Feld der Disziplin und der möglichen Interpretationslesart der in der Arbeit behandelten historischen Ereignisse. Diese Parameter in der Geschichtswissenschaft, wir können sie auch Standards oder Gütekriterien nennen, haben vor allem einen Zweck: Den der Nachprüfbarkeit. Diese Nachprüfbarkeit ist wichtig, denn sie ermöglicht das Verstehen von Erkenntnisprozessen und das Anknüpfen an generiertes Wissen. Sie sind Orientierungshilfen in einem Feld, das eine unendliche Anzahl von Ideen und Gedanken hervorbringen kann.5 Sie ermöglichen der Wissenschaft, ihre forschende Tätigkeit konstruktiv zu gestalten, und bieten eine Basis für den Austausch von Gedanken und Ideen der Akteure untereinander. Man kann sie auch als ein ›Kommunikationsmittel‹ verstehen, das den Akteuren im Feld zu eigen ist und mit dessen Hilfe sie sich von Akteuren anderer Felder unterscheiden. Dabei dient dieses Kommunikationsmittel sowohl der Verständigung untereinander als auch der Distinktion der Akteure von Akteuren anderer Felder.   Um nun Wissen zu generieren, muss es zunächst ›gefunden‹ werden und das bedeutet, man muss es suchen – dies kann sowohl im Feld der Wissenschaft als auch in anderen Feldern geschehen. Diese Suche ist der Forschungsprozess. Und er ist es, der frei sein muss. Er ist es, der die Freiheit von Wissenschaft und Forschung unterscheidet von der Freiheit der Meinung und der Presse. Die Öffentlichmachung von Meinungen oder von Informationen ist nicht das Gleiche wie die Suche nach Erkenntnis. Eine auf Erkenntnis ausgerichtete Geschichtsschreibung kann nur entstehen, wenn im Vorfeld Erkenntnis ›gefunden‹ wurde, wenn also die Erforschung von Geschichte zu deren Verstehen geführt hat. Diese Erforschung muss im Sinne

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Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 28. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit auch kein Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich aller möglicher Parameter erhoben.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

des Art. 5 GG Abs. 3 frei sein, ohne Einflussnahme durch Dritte zu ihren Ergebnissen gelangen zu können. Was heißt das aber? Ab wann wird Einfluss auf Forschung ausgeübt? Gibt es überhaupt Forschung ohne Einfluss? Frei forschen, unabhängig forschen – ist das möglich? Die knappen Ausführungen über die Grundsatzdebatten der Historiker über Geschichtsschreibung lassen nur eine Antwort zu: Nein, es ist nicht möglich. Nicht, wenn »unabhängig« frei von Einflüssen ökonomischer, sozialer und kultureller Art meint. Die Erforschung der Vergangenheit erfordert den Zugang zu Wissensträgern: Archivalien, Zeitzeugen, archäologische Funde. Es ist nicht nur so, dass die Quellen nur sprechen, wenn man sie in geeigneter Weise fragt, wie Ginzburg in Bezug auf Febvre bemerkte,6 es ist auch so, dass sie überhaupt erst befragbar sind, wenn man sie einsehen kann. Das klingt banal, aber das ist es nicht. Denn Wissensträger sind nicht für jeden in gleicher Weise abrufbar. Hier ergibt sich ein erster Widerspruch in der Tätigkeit von Historikern: Der Widerspruch zwischen ideeller freier Forschung und Eigentum. Unter Eigentum ist sowohl privates als auch öffentliches Eigentum zu verstehen. Dabei geht es nicht um die philosophische Dimension von Eigentum, sondern es geht um die Praktikabilität des Zugangs zu diesem Eigentum als Wissensträger, als Ressource. Dabei hat diese Praktikabilität unterschiedliche Merkmale: Bei privatem Eigentum ist es möglich, dass ein Historiker stärker auf soziale Faktoren, wie beispielsweise auf seine eigene soziale Kompetenz dem Eigentümer gegenüber oder auf seine sozialen Kontakte als Vermittlerfunktion angewiesen ist, um Zugang zu den Wissensträgern zu erhalten. Das gilt für private Archive ebenso wie für die Befragung von Zeitzeugen. In beiden Fällen entscheiden die Eigentümer der Archive beziehungsweise die Eigentümer der Erinnerungen darüber, ob sie dem Historiker Zugang zu ihrem Wissen gewähren. Öffentliches Eigentum hingegen – in der Regel sind dies Archivalien in staatlichen Archiven – ist den Historikern prinzipiell zugänglich. Hier besteht das Problem vielmehr in der Standortgebundenheit der Archive. Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems wird bereits umgesetzt, indem Archivalien digitalisiert und so über Datenbanken abrufbar gemacht werden. Doch wird es mit den Massen an Archivalien, die in deutschen Archiven lagern, und der dazu im Verhältnis zu geringen Personaldecke noch Jahrzehnte dauern, bis alle Bestände – wenn dies überhaupt absehbar ist – digitalisiert sind. Außerdem lässt sich auf diesem Feld bereits ein neues Problem beobachten: Die Frage danach, wer die digitalisierten Bestände und zu welchen Bedingungen nutzen darf? Aus den analogen Grenzen werden virtuelle Grenzen durch Datenbanken auf privaten Servern, für deren Zugang hohe Gebühren ge-

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Vgl. Ginzburg, Carlo: Die Wahrheit der Geschichte. Rhetorik und Beweis, Berlin 2000, S. 113.

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zahlt werden müssen. Zu beobachten ist diese Art der virtuellen Zugangskontrolle aktuell im wissenschaftlichen Verlagswesen.7 Der Zugang zu den Wissensträgern ist aber auch eine Frage der Flexibilität oder vielmehr der Mobilität der Forschenden. Das Provenienzprinzip sorgt dafür, dass Archivalien verstreut in unterschiedlichen Archiven liegen. Das setzt voraus, dass jemand, der diese Quellen einsehen möchte, diese erreichen können muss. Wenn beispielsweise ein eigener PKW nicht vorhanden und man auf die öffentliche Infrastruktur angewiesen ist, mag dies vielleicht für einen Mitarbeiter einer Forschungsinstitution besser zu finanzieren sein, weil der Arbeitgeber die Reisekosten übernimmt. Ist man aber als Auftragsforscher eines privaten oder halbprivaten Auftraggebers, beispielsweise von Vereinen oder Kommunen unterwegs, dann kann es sein, dass man sich überlegen muss, ob eine Reise womöglich noch vertretbar ist oder nicht mehr im Rahmen des Budgets liegt. Die ideelle freie Forschung geht also von einem uneingeschränkten Zugang zu Wissensträgern aus, um Erkenntnisse zu gewinnen, sie stößt dabei aber auf Eigentumsverhältnisse und ungleiche Ressourcenverteilung, die entsprechende Reaktionen der Forschenden erfordern, damit sie Zugang zu den Wissensträgern erhalten. Sie müssen ihr Handeln im Forschungsprozess den realen Gegebenheiten anpassen. Ein weiterer Widerspruch besteht zwischen Erkenntnis und Identität, denn letztere entsteht durch Erinnern. Karl-Heinz Metz bemerkt, dass eine Erinnerungsgruppe »vergisst, was stört«, um so eine Identität zu schaffen.8 Die Erforschung von Vergangenheit möchte Erkenntnis im Sinne von Verstehen erlangen. Das bedeutet allerdings nicht, dass dieses Interesse per se der Profession zugrunde liegt, quasi ein ahistorisches ist. Es ist historisch gewachsen, wie die Geschichte der Historiografie zeigt.9 Verstehen bedeutet aber, dass Erinnerungen hinterfragt werden müssen. Das heißt, Erkenntnis erlangt man, wie Metz schreibt, durch Kritik, die das Erinnern durch Reflexion ersetzen will.10 Erkenntnis kann aber zum Bruch der Identität führen, wenn die Erinnerungsgemeinschaft es nicht schafft, sie in ihre Identität zu integrieren. So ist beispielsweise zu erklären, dass es manche Unternehmen bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus schaffen, die Erkenntnisse in ihre Identität zu integrieren, indem mit diesen ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Vergangenheit verbunden wird.

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Vgl. dazu Klausnitzer, Ralf: Mit Flatrate forschen, in: Der Freitag, Ausgabe 29/2017, 20.07.2017. Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 14. Statt also »zu zeigen, wie es wirklich gewesen«, wie Ranke es im Sinn hatte, folgt die Geschichtswissenschaft heutzutage dem Paradigma des Verstehens des Handelns von Subjekten in deren zeitgenössischen Kontext. Nicht mehr das »Was«, sondern das »Warum« steht heute im Fokus des Erkenntnisinteresses. Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 11-14.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Andere Unternehmen wiederum schaffen dies nicht und können ihre Erinnerungen nicht aufrechterhalten, denn das Ignorieren von Erkenntnis sorgt nicht dafür, dass die Erinnerungen sich nicht verändern, sondern dass sie getrübt werden und somit bricht auch die Identität, die auf ihnen aufbaut – wie im Fall Lufthansa. Der Wunsch nach Erkenntnis und der Wunsch nach Identität schließen sich also nicht grundsätzlich aus.11 Ein weiterer Aspekt, der im Widerspruch von Erkenntnis und Identität zu sehen ist, ist die Identität des Historikers selbst. Bei diesem Identitäts-Begriff handelt es sich nicht wie bei dem der Unternehmensidentität um ein bewusstes Konstrukt, das eine identifikationsstiftende Außenwirkung auf Dritte haben soll. Identität meint hier das Selbstverständnis der Historiker von ihrer Profession her. Das bedeutet in diesem Zusammenhang die Bestimmung seines Standpunktes im sozialen Feld der Wissenschaft. Die Erkenntnis sollte also seine Identität, genauer: seine Historiker-Identität, stützen. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, es ist die Angst, seinen Ruf zu verlieren, dies aber aus unterschiedlichen Motiven heraus: Ist die Erkenntnis beispielsweise nicht tief genug für die Fachkollegen oder ist sie nicht befriedigend für den Auftraggeber, dann ist die Identität bedroht, weil sie der Kritik ausgesetzt ist, die wiederum vom Historiker integriert werden muss, wenn die Identität nicht brechen soll. Mit Kritik ist nicht die für wissenschaftliche Erkenntnis nötige Kritik, sondern die Kritik am Individuum, an der Person des Historikers selbst gemeint. Auch hier ist also eine Reaktion der Forschenden nötig, damit sie mit ihren Erkenntnissen sowohl mit der Identität von anderen als auch mit ihrer eigenen Identität angemessen umgehen können. Dies führt auch zu dem dritten Widerspruch zwischen Form und Inhalt. Damit gemeint sind die Publikationsformen von Geschichtsschreibungen. Dieser Widerspruch lässt sich ebenfalls gut an der Unternehmensgeschichtsschreibung verdeutlichen. Sie kann in vielen Formen auftauchen: in Qualifikationsschriften wie Dissertationen oder Habilitationen, in Sammelbänden von wissenschaftlichen Aufsätzen, in Fachzeitschriften, in Sachbüchern, in Katalogen, in Jubiläumsschriften – und dabei sind die verschiedenen Definitionsmöglichkeiten dieser Formen noch nicht einmal berücksichtigt. Ich schrieb, dass die Unterscheidung von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Texten nichts über die Glaubwürdigkeit der dargestellten Geschichte aussagt. Das ist so, weil es bei der Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Geschichtsschreibungen auf die Nachvollziehbarkeit der Geschichte ankommt.12 Das meint, je differenzierter und reflektierter eine Erzählung ist, umso überzeugender scheint sie zu sein. Aber ein populär geschriebenes Sachbuch kann sehr differenziert und reflektiert sein, wohingegen wissenschaftliche Aufsätze sehr eindimen11 12

Vgl. auch Kap. 1.2. Vgl. Kap. 1.1.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

sional und unreflektiert erscheinen können. Ein antonymes Verhältnis von Form und Inhalt zeichnet sich also dadurch aus, dass an die Form aufgrund kultureller Determinationen (wie Differenzierung und Reflexion in wissenschaftlichen Texten) Erwartungen gestellt werden, die nicht erfüllt werden, was sowohl im negativen wie auch im positiven Sinne der Fall sein kann. So kann eine wissenschaftliche Publikation wenig überzeugend sein, wenn sie einen niedrigen Reflexions- und Differenzierungsgrad hat, obwohl man gerade von einem wissenschaftlichen Text hohe Überzeugungskraft erwarten mag; andererseits kann eine nicht-wissenschaftliche Publikation einen sehr hohen Reflexions- und Differenzierungsgrad haben, durch den sie überzeugen kann, obwohl man von ihr eventuell ›nur‹ Unterhaltung erwartet. Auch hier ist es die Reaktion der Forschenden, die sie auf die kulturellen Erwartungen an die Form zeigen und die sich im Inhalt niederschlägt. Diese Widersprüche sind gewiss nicht als Zwangsläufigkeiten zu verstehen. Sie ergeben sich nicht zwingend bei jeder Entstehung von Geschichtsschreibung, aber es gibt sie. Und gerade, weil sie nicht immer auftreten, gilt es zu fragen, weshalb sie überhaupt auftreten. Es handelt sich immer um Ansprüche – uneingeschränkter Zugang zu Wissensträgern, Befriedigung des Erkenntnisinteresses und Erfüllung der Erwartungen an die Publikationsform –, die auf Realität, auf soziale Wirklichkeit stoßen. Und hier zeigt sich auch eine alte Erkenntnis der Debatte um den Freiheitsbegriff: Freiheit endet da, wo das Subjekt in seinem Handeln auf andere trifft. Die Widersprüche lassen sich somit zusammenfassen als ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit.   Warum kommt es nun zu diesem Widerspruch, warum stoßen Ansprüche und soziale Wirklichkeit diametral aufeinander? Meine These ist, dass dies durch Abhängigkeiten geschieht, die dann konstituiert werden, wenn die Ansprüche auf Herausforderungen treffen, die sich ergeben, wenn man eine Geschichtsschreibung produziert. Diese Abhängigkeiten wirken vor allem unbewusst, denn gefühlte und tatsächliche Abhängigkeiten stimmen längst nicht überein. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Latenzen. Wie entstehen nun Abhängigkeiten in der Historie und wie wirken sie auf die Subjekte und ihre Generierung von Wissen, von Geschichtsschreibung?

2.1

Die Konstitution von Abhängigkeiten in der Geschichtsschreibung und ihre Wirkung auf die Subjekte

Abhängigkeit entsteht aufgrund der objektiven Beziehungen, in denen sich die Akteure sozialer Felder befinden. Dabei handelt es sich um eine sich im Feld konstituierende Abhängigkeit. Denn die Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Akteuren legt fest, was sie tun können und was nicht. Es ist die Stellung in-

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

nerhalb dieser Struktur, die »zumindest, indem sie Möglichkeiten ausschließt, ihre Stellungnahmen bedingt.«13 Die Position der Akteure im Feld erklärt daher, welche Machtoptionen ein Akteur besitzt. Dabei wird die Struktur der objektiven Beziehungen durch die Verteilung des Kapitals determiniert. Hier kommt nun eine weitere Sozialtheorie ins Spiel: Bourdieus Theorie über die verborgenen Mechanismen der Macht.14 Eine zentrale Rolle nehmen dabei die Kapitalsorten ein, die sich auf alle Entitäten beziehen, »die Handlungsmöglichkeiten eröffnen und eine Bewahrung oder Verbesserung der sozialen Position ermöglichen.«15 Bourdieu unterscheidet zwischen ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital. Dabei wirkt eins je auf das andere, das Verhältnis zwischen den drei Arten ist korrelierend.16 Das ökonomische Kapital umfasst alles Kapital, das einen monetären Wert hat. Dazu gehören neben Geld auch Objekte wie Immobilien, Autos etc. Das soziale Kapital umschließt alle sozialen Kontakte, die ein Subjekt besitzt und nutzen kann, um sein ökonomisches Kapital zu vermehren. Das kulturelle Kapital schließlich teilt sich in inkorporiertes, objektiviertes und institutionalisiertes Kulturkapital. Es umfasst sowohl Fähigkeiten (inkorporiertes) als auch materielle Dinge (objektiviertes). Das inkorporierte Kulturkapital kann nur durch eigene Leistung erworben werden. Es kann nicht direkt aus ökonomischem Kapital transformiert werden. Aber ökonomisches Kapital kann indirekt zu einem optimierten Erwerben von inkorporiertem Kapital beitragen, indem beispielsweise die Umstände zum Erlangen von Fähigkeiten verbessert werden können (durch Nachhilfe, spezielle Lernsoftware etc.). Das objektivierte Kulturkapital umfasst Dinge, die nur mit einem bestimmen Grad von inkorporiertem Kulturkapital nutzbar sind. Die drei Kapitalarten können jeweils (direkt oder indirekt) in eine der anderen Arten transformiert werden. So kann beispielsweise das inkorporierte Wissen angewandt werden, indem man für die Bereitstellung seiner Fähigkeiten Dinge von ökonomischem Wert erhält. Das institutionalisierte Kulturkapital meint rechtlich sanktioniertes Kapital, wie Bildungstitel, die man aufgrund seines inkorporierten Kulturkapitals erhält. Es dient quasi als Zeugnis für die erlernten Fähigkeiten. Mit diesem Kapital geht auch die institutionalisierte Macht einher. Eine vierte Kapitalart, die Bourdieu anführt, ist das symbolische Kapital. Dieses ist den anderen Kapitalsorten übergeordnet. Es bezeichnet die gesellschaftliche Wertschätzung, die ein Akteur aufgrund des Einsatzes aller anderen Kapitalarten erlangt. Mit dem symbolischen Kapital verknüpft ist der soziale Status eines Subjekts in der Gesellschaft.

13 14 15 16

Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 20f. Vgl. Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 2005. Rehbein, Boike/Saalmann, Gernot: Art. Kapital, in: Fröhlich/Rehbein: Bourdieu-Handbuch (2014), S. 134-140, S. 134f. Zur Definition der Kapitalarten vgl.: Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 49-79.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Die Position eines Akteurs im Kräftefeld wird nun durch den Umfang des ihm zur Verfügung stehenden Kapitals festgelegt. Das Gewicht der Akteure bestimmt die Struktur des Feldes, wobei das Gewicht Einzelner vom Gewicht der Akteure im gesamten Feld abhängt.17 Fragt man nun nach der Entstehung von Abhängigkeiten in der Geschichtsschreibung und ihrer Wirkung auf die Subjekte und deren Generierung von Wissen, müssen wir uns das Feld genauer anschauen, aus dem die Subjekte kommen: das Feld der (Geschichts-)Wissenschaft. In diesem Feld werden Historiker als solche sozialisiert. Das heißt, ihre Dispositionen, die sie als Historiker auszeichnen, erlernen sie in diesem Feld. Ihre Professionalisierung findet in der Geschichtswissenschaft statt. Somit bilden sie in diesem Feld ihren professionellen Stil aus, der vom Habitus des Feldes erzeugt wird. Dieser professionelle Stil dient der Distinktion zu anderen professionellen und nicht-professionellen Akteuren, indem die Professionsträger bestimmte Praktiken nutzen, die sie für sich reklamiert und monopolisiert haben.18 Was nun das Feld der Wissenschaft betrifft, so sind sich die Akteure aufgrund der logischen Zwänge, die sich aus der Autonomie des Feldes ergeben, bezüglich der »Grundsätze zur Bewahrheitung der ›Realität‹«19 einig. Das bedeutet für den distinktiven professionellen Stil der Geschichtswissenschaft, dass sie ihre »Grundsätze zur Bewahrheitung der ›Realität‹« zum Nonplusultra jeglicher Geschichtsschreibung erhoben hat, indem sie das Einhalten und Wertschätzen der Parameter als soziale Praktik monopolisiert hat.20 Denn nur im Feld der Wissenschaft ist es möglich, das nötige inkorporierte Kulturkapital zu erlangen, das zum Einhalten dieser Parameter benötigt wird und nur dort kann durch die anderen Professionsträger entschieden werden, ob sie dem Anspruch der professionellen Kompetenz genügen. Dazu gehört auch das Nutzen der einzelnen Parameter einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung als Kommunikationsmittel.21 Die Struktur der objektiven Beziehungen, innerhalb derer Abhängigkeiten entstehen, wird im wissenschaftlichen Feld durch die Verteilung des wissenschaftlichen Kapitals festgelegt.22 Dieses ist eine besondere Form symbolischen Kapitals, »von dem man weiß, daß es immer aus Akten des Erkennens und Anerkennens entsteht«23 . Bourdieu unterscheidet nun zwischen »reinem« und »institutionellem« wissenschaftlichen Kapital. Das erstere wird durch die Anerkennung wissen-

17 18 19 20 21 22 23

Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 21; vgl. Kap. 1.3. Vgl. Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 9. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 29. Vgl. Kap. 2. Vgl. Kap. 2. Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 22: Jedes soziale Feld besitzt eine besondere Form von Kapital. Vgl. ebd., S. 23.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

schaftlicher Beiträge angehäuft und entspricht einer Macht, die Bourdieu als »persönliches Prestige«24 bezeichnet. Das institutionalisierte wissenschaftliche Kapital zeichnet sich durch extraordinäre Stellenbesetzungen aus, welche mit einer Macht über Produktionsmittel sowie über Reproduktionsmittel verbunden sind.25 Dabei kann reines wissenschaftliches Kapital nicht so einfach in institutionelles wissenschaftliches und ökonomisches Kapital umgewandelt werden wie institutionelles wissenschaftliches Kapital in reines wissenschaftliches. Denn durch die mit jenem verbundene institutionelle wissenschaftliche Macht werden ihnen aufgrund der Entscheidungsgewalt über Ressourcen und Reproduktionsmittel von denen wissenschaftliche Qualitäten zugesprochen, über deren wissenschaftliche Karrieren sie entscheiden.26 Die Stellung eines Akteurs im wissenschaftlichen Feld ist somit abhängig davon, wie viel wissenschaftliches Kapital er besitzt. Seine Machtoptionen im Gefüge der Abhängigkeiten richten sich vor allem nach der Verteilung des institutionellen wissenschaftlichen Kapitals und seinem Habitus: Derjenige, der es aufgrund seines Verständnisses der inneren Gesetze des Feldes schafft, sich Vorteile durch das institutionelle wissenschaftliche Kapital zu sichern (ob mittelbar oder unmittelbar), der kann seine Stellung im Feld verbessern. Daher sieht Bourdieu in der Fähigkeit, diese ›Spielregeln‹ zu verstehen und erfolgreich zu befolgen, sowie in der gesellschaftlichen Herkunft und Bildung eines Akteurs den Grund für die deutlichen Abweichungen wissenschaftlicher Karrieren.27 Durch den Einsatz der sozialen Praktiken – dem professionellen Stil, der sich im Habitus manifestiert – können die Akteure somit ihr Kapital anhäufen, was sich wiederum in ihrer Stellung im Feld niederschlägt. Die Macht, die ein Akteur über das Feld hat, bestimmt über die Chancen, sich die Kräfte des Feldes »gefügig zu machen«.28 Neben dem spezifischen Kapital und der damit verknüpften Macht ist das Generieren von Wissen eine weitere Eigenart des wissenschaftlichen Feldes. Auf diesem liegt, wie auch auf den sozialen Praktiken, ein Monopol. Anders als bei den sozialen Praktiken, die aus dem Feld selbst heraus monopolisiert wurden, verfügen die Akteure des Feldes über die Handlungsmacht, welche die Kontrolle über die Ressource »Wissen« verleiht. Sie erhalten diese aber nicht aus den sozialen Zwängen des Feldes selbst heraus. Sie wird ihnen vom Staat verliehen, indem er durch seine Unterhaltung des Feldes dessen Autonomie ermöglicht und damit die institutionelle Struktur stützt, durch welche die Entscheidungsgewalt über Ressourcen

24 25 26 27 28

Vgl. ebd., S. 31. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 34f. Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 24. Vgl. ebd., S. 22.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

und Produktionsmittel bei den Akteuren des Feldes liegen.29 Weil auf die ökonomischen Mittel aber nicht alle Akteure gleichberechtigt zugreifen können, sondern diese aufgrund eben jener institutionellen Strukturen von bestimmten, privilegierten Akteuren verwaltet werden, nennt Bourdieu diese ausgeübte Macht eine »tyrannische«.30 Als ein Beispiel für diese Struktur kann hier die Drittmittelpolitik an deutschen Hochschulen genannt werden. Damit besteht aber auch eine Abhängigkeit in der Unabhängigkeit der Wissenschaft. Diese, so Bourdieu, zeige ihre Ambivalenz in der Tatsache, dass der Staat dort, wo er Mindestbedingungen der Autonomie sichere, auch in der Lage sei, Zwänge durchzusetzen.31 Durch die Kontrolle über die Ressourcen und Produktionsmittel einiger Akteure im wissenschaftlichen Feld wird entschieden, was als Wissen generiert wird, wer Wissen generiert, wie es generiert wird und wer Zugang zu ihm erhält. Dabei ist anzumerken, dass diese Kontrolle nicht eine bewusst willkürliche ist. Zudem sind die Entscheidungsträger im Feld der Wissenschaft ebenfalls Kämpfen im Kräftefeld unterworfen, sodass es sich letztlich um eine korrelative Kontrolle handelt. Die Entscheidungsträger müssen sich dabei selbst auch den sozialen Praktiken unterwerfen, die im Feld gelten. Das Generieren von Wissen zielt somit auf einen Zusammenhang zwischen Macht und Habitus. Zur Bedeutung von Macht Was die Macht angeht, lässt sich mit Fink-Eitels Blick auf Foucaults Machtbegriff konstatieren: Alles ist Macht.32 Die Macht ist das, was den Subjekten ihre Produktivität verleiht. Sie ist nichts rein Repressives, sondern sie vollzieht sich im Handeln sowohl individueller als auch kollektiver Subjekte. »Macht existiert nur in actu«33 , nur wenn das Handeln von Subjekten das Handeln anderer Subjekte beeinflusst, ist Macht vorhanden.34 Damit ist dieses Macht-Verständnis alles andere als eine Verneinung des Subjekts. Denn die Freiheit des Subjekts, sich für bestimmte Handlungsoptionen zu entscheiden, wenn Machtverhältnisse durch bestimmte Wirkungsweisen von Handlungen auf es eindringen, spricht dem Subjekt Autonomie zu. Das bedeutet, die Freiheit des Subjekts ist notwendige Voraussetzung für Machtbeziehungen: »Macht wird nur auf ›freie Subjekte‹ ausgeübt und nur sofern diese ›frei‹ sind. Hierunter wollen wir individuelle oder kollektive Subjekte verstehen, vor denen

29 30 31 32 33 34

Vgl. ebd., S. 36, S. 48. Vgl. ebd., S. 36. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. Fink-Eitel, Hinrich: Michel Foucault zur Einführung, Hamburg 1997³, S. 88. Foucault, Michel: Das Spektrum der Genealogie, hg. von Seitter, Walter, Bodenheim 1996, S. 34. Vgl. ebd., S. 34f.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

ein Feld von Möglichkeiten liegt, in dem mehrere ›Benehmen‹, mehrere Reaktionen und mehrere Verhaltensweisen statthaben können.«35 Zusammen bilden Widerstand und Machtformen eine Produktionsgemeinschaft für Handlungen.36 Die jeweiligen Optionen allerdings, die schließlich das Machtverhältnis konstituieren, werden bestimmt durch Begehren. Denn dies ist es, woran sich die Freiheit des Subjektes orientiert. Nur ein freies Subjekt kann sich nach seinen Begehren orientieren und entsprechend seine Handlungen ausrichten. Ein unterdrücktes Subjekt könnte seine Handlungsoptionen nicht danach ausrichten, es wäre dem Willen eines anderen unterworfen. Es besteht ein Unterschied zu einer reinen Abhängigkeit, die auf einer absoluten Ohnmacht des Subjekts beruht. So ein Abhängigkeitsverständnis spricht dem Individuum jegliche Autonomie ab. Bei der Abhängigkeit von Historikern in Bezug auf ihr Handeln im Beruf ist somit von einem Abhängigkeitsbegriff die Rede, welcher den Subjekten selbst im Rahmen ihrer Abhängigkeitsverhältnisse Handlungsoptionen zuspricht, die sich nach den Kräfteverhältnissen des Feldes und der eigenen Position im Feld richten. Die Macht selbst wirkt daher durch »Begehren«37 . Denn durch das Begehren definiert das Subjekt sich gegenüber den Normen eines bestimmten Regelsystems. Einerseits richtet es sein Handeln nach den Normen, andererseits nutzt es den Spielraum innerhalb dieses Regelsystems, um seinen Begehren gerecht zu werden. Diese Abgrenzung bei der gleichzeitigen Adaption an die soziale Umwelt sorgt für die Selbsterkenntnis durch Reflexion der Handlungsoptionen und zugleich für das Zustandekommen bestimmter Handlungen innerhalb eines Regelsystems.38 Machtverhältnisse wirken intentional, »sie sind durch und durch von einem Kalkül durchsetzt…: Keine Macht, die sich ohne eine Reihe von Absichten und Zielsetzungen entfalten könnte.«39 Das bedeutet, die Handlungen, die die Machtverhältnisse charakterisieren, sind vom Willen, bestimmte Intentionen zu erreichen, getrieben. Das heißt nicht, dass die Macht-Dispositionen einer Gesellschaft stets ein Subjekt implizieren, sondern dass sich die Absichten, die die Handlungen konstituie35 36

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Ebd., S. 37. Vgl. Epple, Angelika: Wahrheit, Macht, Subjekt – Historische Kategorien im Werk Michel Foucaults, in: Jaeger/Straub: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 2, Paradigmen und Disziplinen (2004), S. 428. Foucault, M.: Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze: Die Intellektuellen und die Macht, in: Ders.: Die Subversion des Wissens, hg. von Seitter, Walter, Frankfurt a.M. 1987, S. 106-115, S. 114. Epple formuliert dies ähnlich: Die Internalisierung von Machtstrukturen führt zur Selbstreflexivität und bringt so das moderne Subjekt hervor. Die Anpassung an Regelsysteme, die bestimmte Handlungen erst ermöglichen, ist ein Indiz für die Produktivität der Macht, vgl. Epple, A.: Wahrheit, Macht, Subjekt, S. 421-423. Foucault, M.: Der Wille zum Wissen, zit.n. Dreyfus/Rabinow: Michel Foucault (1994), S. 218.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

ren, nach der Logik eines Regelsystems richten, ohne dass diese entworfen oder formuliert wurden.40 Die Subjekte folgen in ihrem Handeln also bestimmten Zielen, die sie nicht selbst formuliert haben, sondern die im Regelsystem vorhanden sind. Sie sind historisch gewachsen, sie entstehen aus gesellschaftlichen Strukturen. Die Machtpraktiken eines Regelsystems geben Aufschluss über die Intentionen der Subjekte, da die Machtverhältnisse durch die Handlungsweisen charakterisiert sind. Wie die Macht also ausgeübt wird, ist eine Frage der mit ihr verbundenen Ziele. Da es spezifische Felder gibt, in denen Subjekte agieren, gibt es dort auch spezifische Ziele. Hier besteht eine Kohärenz zu dem spezifischen Kapital und der damit verbundenen spezifischen Macht in der Theorie Bourdieus. Betrachtet man die Geschichtswissenschaft als soziales Feld, muss daher unterschieden werden zwischen spezifischen und allgemeinen Zielen, welche die Historiker haben. Die Ziele, welche die Subjekte in der Historie mit ihren Machtoptionen verbinden, können somit in eine professionsabhängige und eine professionsunabhängige Dimension eingeteilt werden. Ein Ziel in der Geschichtsforschung, so schrieb ich oben, ist die Erkenntnis im Sinne von Verstehen.41 Somit ist dies auch eine Intention von Geschichtsforschern, jedoch ist es nicht das einzige Ziel, das von ihnen mit der Erforschung von Geschichte erreicht zu werden hofft. Es ist ein ideelles Ziel, welches an das spezifische Kapital des wissenschaftlichen Feldes geknüpft ist, auf dem die Akteure der Geschichtswissenschaft agieren. Aber damit verbunden sind weitere Begehren, die wir aufgrund des historisch gewachsenen Regelsystems unserer Gesellschaft, in das auch das Feld der Geschichtswissenschaft eingebettet ist, anstreben. Dies betrifft, was Foucault als »Heil« bezeichnet: »Und in diesem Kontext nimmt das Wort Heil mehrere Bedeutungen an: es meint Gesundheit, Wohlergehen (das heißt: ausreichende Mittel, Lebensstandard), Schutz, Sicherheit gegen Unfälle.«42 Kurz: Es meint alles, was den Individuen einer Gesellschaft als wertvoll und notwendig für ein gutes Leben erscheint. In diesem Zusammenhang kann auch von der Befriedigung von Grundbedürfnissen gesprochen werden, wie sie von Abraham Maslow definiert wurden.43 Das Ziel, diese Begehren zu befriedigen, ist für die Dimension der Profession nicht spezifisch. Es ist mit ihr zwar verknüpft, existiert aber über sie hinaus. 40 41 42 43

Vgl. ebd., S. 219. Vgl. Kap. 2. Foucault, M.: Warum ich Macht untersuche? Die Frage des Subjekts, in: Ders.: Spektrum der Genealogie (1996), S. 25. Maslow teilt die Bedürfnisse in fünf Kategorien ein: Grund- und Existenzbedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe, Bedürfnisse nach Achtung sowie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, vgl. Maslow, Abraham: Motivation und Persönlichkeit, 9. Aufl., Hamburg 2009, S. 62-74.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Historiker als Individuen innerhalb der Gesellschaft verfolgen diese Intentionen, die als feldübergreifende Intentionen bezeichnet werden können, genauso wie andere auch und daher unabhängig von ihrer Profession. Dies ist universelle Grundlage für die Existenz sozialer Wesen. Und dies darf nicht vergessen werden, wenn man nach den Intentionen einer Geschichtsforschung und ihrem Endprodukt, der Geschichtsschreibung, fragt. Denn diese Intentionen nehmen Einfluss auf das Handeln der Historiker. Der Wunsch nach Erkenntnis, die Produktion der Erkenntnis und ihre Publikation werden Teil der öffentlichen Wahrnehmung von Historikern, haben also Einfluss auf ihr soziales Sein. Wenn sie also Erkenntnis anstreben, dann nicht allein zur Mehrung ihres wissenschaftlichen Kapitals und ihrer Macht im Feld der Profession, sondern aufgrund der mit ihr und dieser Macht verbundenen Begehren, die sie als Individuen innerhalb der Gesellschaft verfolgen: soziale Anerkennung, Erreichen eines bestimmten Lebensstandards, ökonomische Sicherheit usw. Bourdieu beschreibt diesen Vorgang ähnlich. Er spricht von einer Doppelseitigkeit der Uneigennützigkeit, die zugleich interessenlos und interessengeleitet sei. Das Bekenntnis zur Uneigennützigkeit am wissenschaftlichen Interesse zahle sich letztlich aus, indem sich das wissenschaftliche Kapital in Macht umwandeln ließe.44 Mit dieser Macht ist es den Akteuren möglich, auch die feldunspezifischen Begehren – mithin die Grundbedürfnisse – zu befriedigen. Macht durch Intention und Kapital Um nun das Ziel zu erreichen, Erkenntnis durch Erforschung der Vergangenheit zu erlangen und damit die mit der Erkenntnis verbundenen Begehren, müssen sich die Historiker in ihren Handlungen dem gesellschaftlichen Regelsystem unterwerfen. Nicht weil sie von irgendeiner autonomen Herrschaft dazu gezwungen würden, sondern weil sie Teil dieses gesellschaftlichen Regelsystems sind. Ihre Begehren beruhen auf ihm, ebenso wie die Machtpraktiken, die je ein Machtverhältnis bestimmen: »Charakteristisch für ein Machtverhältnis ist demnach, daß es eine Weise des Einwirkens auf Handlungen ist. Das heißt, daß die Machtverhältnisse tief im gesellschaftlichen Nexus wurzeln, und nicht über der ›Gesellschaft‹ eine zusätzliche Struktur bilden, von deren radikaler Austilgung man träumen könnte.«45 Das bedeutet, wir können die Intention, die Begehren zu befriedigen, nur unter bestimmten Voraussetzungen erfüllen, nämlich unter denen, die von den Machtverhältnissen vorgegeben werden. Die Handlungsweisen müssen den Machtverhältnissen angepasst werden. Die Handlungen zielen einerseits also auf das Erreichen 44 45

Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 27. Foucault, M.: Wie wird Macht ausgeübt?, in: Ders.: Spektrum der Genealogie (1996), S. 40.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

der Begehren ab, andererseits müssen die Handlungen aufgrund der Begehren der ›anderen‹, mit denen man in einem Machtverhältnis steht, beachtet und auf sie reagiert werden. Und zwar nicht irgendwie, sondern so wie es das Machtverhältnis, in dem ein Subjekt sich befindet, ermöglicht und die eigenen Begehren es zugleich benötigen. Dies sind die Optionen, die es dem Subjekt ermöglichen, sich als ein solches hervorzuheben. Mit Bourdieu gesprochen, meint dies die Handlungsmöglichkeiten innerhalb eines sozialen Feldes. Die Intentionen zielen stets darauf, die eigene Position im sozialen Feld zu verstetigen oder zu verbessern. Entsprechend richten die Akteure ihr Handeln nach den Regeln des Feldes aus. Je nach Habitus des Feldes und zugleich der Sozialisation der Akteure innerhalb ihrer Felder, verinnerlichen sie die Erwartungen der anderen Mitglieder an ihre Rolle und rekonstruieren daraus ihre individuellen Handlungsmuster.46 Innerhalb des Regelsystems wird ein eigener Weg verfolgt, den man entsprechend dem Habitus beschreitet, der aus dem individuellen Sozialisationsprozess resultiert. Für die Historiker bedeutet dies, dass sie in ihrer Erforschung von Erkenntnis und deren Publikation abhängig von den Machtverhältnissen sind, in denen sie als Historiker agieren. Dies bestimmt, welchem Paradigma ihre Erkenntnis folgt, und beeinflusst somit den Diskurs. Die Denk- und Handlungsweisen, die ein Machtverhältnis charakterisieren, versuchen daher den Diskurs zu kontrollieren, mithin das »Wuchern der Diskurse zu bändigen«47 , wie Hannelore Bublitz es nennt. Diese Denk- und Handlungsweisen sind das Resultat eines im wissenschaftlichen Feld konstruierten Habitus, dessen Eigenheit es ist, dass die Akteure im wissenschaftlichen Feld sich über die »Grundsätze der Bewahrheitung von ›Realität‹« einig sind:48 »kurz: über den stillschweigenden, untrennbar politischen und kognitiven Vertrag, der die Arbeit der Objektivierung begründet und beherrscht.«49 Nur durch die Kontrolle der Diskurse ist es dem Subjekt möglich, seine Position im Feld zu verstetigen bzw. zu verbessern. Um dies zu erreichen, macht sich das Subjekt wiederum abhängig von den Faktoren, die bestimmte Handlungsoptionen ermöglichen. So brauchen Historiker wissenschaftliches Kapital, durch das sie wissenschaftliche Macht und damit die Kontrolle über die Diskurse im Feld erlangen können. Das Konstituieren eines Machtverhältnisses erschafft daher zugleich auch Abhängigkeiten. Umgekehrt beeinflussen diese Abhängigkeiten die Denk- und Hand-

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Vgl. Kern, Johanna: Die Bedeutung von beruflichem Selbstbild und beruflichem Habitus im Kontext sozialer Arbeit, Soziales Kapital, wissenschaftliches Journal österreichischer Fachhochschulstudiengänge Soziale Arbeit, Nr. 16 (2016), S. 123. Bublitz, Hannelore: Foucaults Archäologie des kulturell Unbewussten. Zum Wissensarchiv und Wissensbegehren moderner Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1999, S. 35. Vgl. Kap. 2.1. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 29.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

lungsmuster, die für das Machtverhältnis charakteristisch sind. Wir haben es hier also mit zwei Dimensionen von Abhängigkeit zu tun: 1. Die Intentionen und die Begehren: Als soziale Individuen sind die Subjekte von ihnen abhängig, weil sie Teil des Regelsystems sind, durch welches die Begehren konstituiert werden. 2. Die Kapitalarten: Innerhalb dieses Systems muss sich das Subjekt nach dessen Regeln richten, zugleich aber je nach Machtverhältnis seine Optionen zugunsten seiner Intentionen wählen. Diese Regeln richten sich in unserem gesellschaftlichen Regelsystem nach den Einsatzmöglichkeiten der Kapitalarten.

In Bezug auf die drei Ziele der Historiker – unabhängige Forschung, Erkenntnis und Angemessenheit von Form und Inhalt –, lassen sich nun also mithilfe der Machttheorie Foucaults in Verbindung mit der Feldtheorie Bourdieus die mit diesen Zielen verbundenen Widersprüche durch die Handlungsoptionen und die Machtverhältnisse erklären, in denen Historiker sich als Akteure auf sozialen Feldern bewegen. Kehren wir nun zurück zum Anspruch der Freiheit der Wissenschaft und Forschung. Wie erläutert, ist beiden Konstrukten als Handlungsfeldern gemeinsam, Wissen zu generieren. Da die Handlungsmacht über die Kontrolle der Ressource Wissen im Feld der Wissenschaft liegt,50 sind es die dort vermittelten Dispositionen bezüglich des Generierens von Wissen, die mit der Forschung verbunden sind.

2.2

Das Generieren von Wissen als Ausdruck von Abhängigkeit

Welche Bedeutung hat es für die Geschichtsschreibung, wenn Historiker bei ihrem Interesse an Erkenntnis von unterschiedlichen Begehren beeinflusst werden? Geht man davon aus, dass Historiker ihre Denk- und Handlungsweisen über den Erkenntnisgewinn und damit verbundenen weiteren Begehren nach den Machtverhältnissen richten, innerhalb derer sie handeln, dann muss man die Verhältnisse näher betrachten. Das meint die Verhältnisse, innerhalb derer sie versuchen, ihre Intentionen zu verwirklichen. In dieser Arbeit wird aus dem Grund die Unternehmensgeschichte exemplarisch untersucht, weil sich auf diesem Forschungsgebiet sehr gut verschiedene Machtverhältnisse beobachten lassen. Das Feld der Unternehmensgeschichte ist stark geprägt von Auftragsarbeiten von privaten Wissensträgern und der Kooperation mit diesen. Quellen sind häufig Eigentum der Unternehmen, sofern sie diese

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Vgl. Kap. 2.1; vgl. auch: Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 36.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

nicht den zuständigen öffentlichen Wirtschaftsarchiven überlassen haben.51 Der erste Widerspruch von ideeller freier Forschung bei gleichzeitiger Abhängigkeit vom Zugang zu den Ressourcen der Wissensträger ist hier also in besonders deutlicher Weise zu beobachten. Dies lässt bereits auf den zweiten Widerspruch schließen: Das divergierende Interesse der Forscher und das der Unternehmer an der Erforschung der Unternehmensgeschichte. Das Erstellen einer Geschichtsschreibung ist für ein Unternehmen von besonderem Interesse, aber nur dann, wenn es für das Unternehmen keine negativen Folgen hat. Das bedeutet nicht, dass das Unternehmen nur dann einer Erforschung zustimmen würde, wenn eine wie auch immer geartete positive Vergangenheit rekonstruiert wird, sondern es bedeutet, dass es auf das GeschichtsMarketing52 ankommt, mit dem Unternehmen sich ihrer Geschichte stellen.53 Ein wesentliches Interesse von Unternehmen an der eigenen Geschichte besteht darin, mit ihrer Hilfe die Unternehmensidentität zu komplettieren.54 Schließlich spiegelt sich auch der dritte Widerspruch zwischen Form und Inhalt wider: Denn gerade Unternehmensgeschichtsschreibungen haben – sofern sie ihre Geschichte professionell55 aufarbeiten – dem Anspruch gerecht zu werden, sowohl fachlich anspruchsvoll zu sein als auch durch die inhaltliche Darstellung ein

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Und auch hier ist ihre Funktion noch ambivalent einzustufen. So unterscheidet Hans Mauersberg zwischen einer reinen Entlastungsfunktion und der Funktion als Wissenszugang zu den dort gesammelten Unterlagen: »Ihr [regionale Wirtschaftsarchive, T.B.] Service besteht demnach primär in einer Entlastungsfunktion. Dagegen sollte das gesammelte und kritisch gesichtete Material nach Meinung anderer aber darüber hinaus noch Einsicht des Wissens von Tatbeständen des Handels, der Industrie sowie der Einsicht in konkrete Wirtschaftsbezüge, also praktisch tätigen Personen dienen. Damit war dem Prinzip der Aktualität des wirtschaftsgeschichtlich wertvollen Materials, das für den handelnden Kaufmann und industriellen Unternehmer auch gegenwärtig von großem Nutzen sein könnte, die Daseinsberechtigung zugesprochen.« Hans Mauersberg in der Rezension über den Sammelband: FriedrichWilhelm Henning (Hg.): Wirtschaftsarchive und Kammern, Aspekte wirtschaftlicher Selbstverwaltung gestern und heute. (Schriften zur Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsgeschichte Bd. 34), Köln 1982, in: ZUG, Jg. 28, 3/1983, S. 229-230, S. 230. Der Begriff des »Geschichts-Marketings« ist aus dem anglo-amerikanischen Raum übernommen worden, wo die Bewegung einer professionellen Geschichtsschreibung als Dienstleistungsangebot bereits in den 1970er Jahren aufkam, vgl. dazu Interview mit James H. Lide, in: Schug, A.: History Marketing, S. 166f. Die Bedeutung des Geschichtsmarketings für Unternehmen wird in Kap. 3.2.1 näher ausgeführt. Hier der Hinweis, dass ein Unternehmen seine Identität nicht mit der Geschichte ›erschafft‹, denn diese ist nur ein Teil seiner Identität, ebenso wie die Geschichte ein Teil der menschlichen Identität ist, sie aber nicht zuallererst hervorbringt. Das meint, mit ausgewiesenen Experten für das Erforschen von Geschichte, deren Haupttätigkeit in dieser Erforschung liegt.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

möglichst breites Spektrum von Kunden, Mitarbeitern und Fachexperten abzudecken.   Welche Machtverhältnisse gibt es aber nun im Feld der Unternehmensgeschichtsschreibung? Gehen wir angelehnt an Foucault davon aus, dass Machtverhältnisse intentional wirken, so haben wir es hier mit zwei Interessensgruppen und ihren Intentionen zu tun: Die der Historiker und die der Unternehmen. Die Historiker zielen mit der Erforschung von Geschichte und dem Verfassen einer Geschichtsschreibung auf Erkenntnis im Sinne von Verstehen und dessen Generierung ab. Unternehmen zielen hingegen auf eine positive Identität ab. Zwei zentrale spezifische Intentionen, die wiederum mit anderen Begehren einher gehen. Der Unterschied zwischen diesen Intentionen in Bezug auf das Generieren von Wissen besteht im jeweiligen Verhältnis zwischen Erkenntnis und Identität zur Erinnerung, wie es Metz erläutert hat.56 »Der Historiker«, so Metz, »will die Bedeutungen einer Erinnerungsgemeinschaft verstehen, sie aber nicht wie selbstverständlich teilen.«57 Er erinnert also nicht selbst, sondern reflektiert als Außenstehender über die Erinnerung. Nun ist es so, dass Historiker Geschichtsschreibung als eine berufliche Tätigkeit ausüben, die demnach über die Erinnerungen an die Vergangenheit aufklären soll. Indem sie dies als berufliche Tätigkeit ausüben, folgen sie dem Regelsystem, in dem wir uns alle befinden und auf dessen Grundlage wir handeln: Unsere Leistungsgesellschaft ist funktioniert idealiter durch ein meritokratisches Bewusstsein. Durch Leistungen, die erbracht werden und damit verbundenen Belohnungen, den Meriten, wird eine Partizipation am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Je mehr Meriten vorhanden sind, also je mehr Leistung erbracht wurde, umso größer ist die Aussicht auf Partizipation und damit auch auf Macht im Sinne von zu verwirklichenden Handlungsoptionen.58 Die Leistung, die in unserer Gesellschaft als regulär belohnenswert erachtet wird, ist die Ausübung eines Berufes.59 Ein Be56 57 58

59

Vgl. Kap. 1.2; vgl. auch: Metz, K.H.: Erinnerung und Erkenntnis, S. 14. Metz, K.H.: Erinnerung und Erkenntnis, S. 10. Das Problem der Meritokratie ist, dass ihr Ideal – Belohnung nach Leistung – Chancengleichheit im Sinne von Talenten und Begabungen voraussetzt, die keiner weiteren Unterstützung unterliegen, was in der modernen Gesellschaft de facto nicht existiert. Der soziale Hintergrund ist für die Chancen der Erlangung von Meriten nach wie vor ausschlaggebender Faktor, um (vor allem auch aktive) gesellschaftliche Partizipation zu erlangen, vgl. dazu Becker, Rolf/Hadjar, Andreas: Meritokratie – Zur gesellschaftlichen Legitimation ungleicher Bildungs-, Erwerbs- und Einkommenschancen in modernen Gesellschaften, in: Becker, R.: Lehrbuch der Bildungssoziologie (2017), S. 45f. Verbunden ist dies mit der Vorstellung, dass das Ausüben eines Berufs der Gesellschaft einen Nutzen bringt. Je nützlicher der Beruf für die Gesellschaft, umso größer die Meriten. Schief wird diese Vorstellung dann, wenn man fragt, wodurch Nutzen definiert ist. Da sich die Leistungen in Meriten ausdrücken – Noten, Titel, Gehälter –, führt dies dazu, dass so-

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

ruf dient zum einen dem Stillen von existenziellen Verlangen: Wir verdienen Geld und können dadurch einen gewissen Lebensstandard erreichen, teilhaben an sozialem und kulturellem Leben. Zum anderen ist der Beruf aber auch Teil der eigenen Persönlichkeit. Die mit dem Beruf verbundenen Denk- und Handlungsweisen prägen uns als Subjekte.60 Historiker sind daher bei einer Geschichtsschreibung bestrebt, sowohl ihrer spezifischen Intention nach Erkenntnis nachzukommen als auch die mit ihr verbundenen existenziellen Begehren befriedigen zu können. Da sie nun angewiesen sind auf die Unternehmen als Eigentümer der Ressourcen, aber auch weil diese diejenigen sind, mit deren Hilfe die Historiker ihre existenziellen Begehren erfüllen können, müssen sie in ihren Handlungen den Denk- und Handlungsweisen der Akteure im Feld der Unternehmen so weit folgen, wie es nötig ist, um sowohl die Erkenntnis als auch die existenziellen Begehren zu erlangen. Es bleibt aber nicht bei der einseitigen Anpassung an Denk- und Handlungsweisen. Beide, Historiker und Unternehmen, möchten durch die Erforschung von Geschichte Wissen generieren. Daher müssen beide ihre Denk- und Handlungsweisen je an den anderen anpassen, um ihre je eigenen Begehren zu befriedigen. Denn der Akt der Erforschung selber, das Generieren des Wissens im Sinne von Erkenntnis, ist eine monopolisierte Praktik im Feld der Wissenschaft. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Parteien ist somit stets gegeben und das in zweifacher Weise: Die Unternehmer sind die eigentlichen »Eigentümer der Produktionsmittel«61 , sie verfügen über die Erinnerungen und Archivalien, mit denen Historiker eine Geschichtsschreibung erstellen können. Gemäß Pierre Bourdieu sind die Eigentümer der Produktionsmittel aber auf diejenigen angewiesen, die das nötige inkorporierte Kapital besitzen, um die Produktionsmittel zu benutzen. Sind es nun die Historiker, die ihr inkorporiertes Kulturkapital zur Verfügung stellen, damit die Produktionsmittel profitbringend von den Eigentümern genutzt werden können, so sind die Historiker die Herrschenden und die Eigentümer die Abhängigen.62 Da

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ziale Ungleichheiten durch die Meriten erst hervorgerufen werden: »Belohnungen und ihre ungleiche Verteilung sind damit Bestandteil der Sozialstruktur. Soziale Schichtung ist demnach das institutionelle Ergebnis differenzieller Selektions- und Belohnungsprozesse.« (Becker/Hadjar: Meritokratie, S. 38.) Wenn soziale Ungleichheit aber durch die Verteilung von Meriten legitimiert wird, würde das wiederum bedeuten, dass nicht der Nutzen die Meriten definiert, sondern die Meriten den Nutzen. Vgl. hierzu auch Marc Blochs Versuch der Legitimierung der Geschichtswissenschaft, in: Bloch, Marc: Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers, München (1949) 1985. Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 59. Der Begriff der »Herrschaft« meint bei Bourdieu vorrangig »symbolische Herrschaft«, welche sich durch die kritiklose Akzeptanz von Ordnungsbeziehungen (Doxa) konstituiert. Das bedeutet, dass die sog. Beherrschten die Herrschafts- und Machtstrukturen anerkennen, die die Grundlage ihrer Beherrschung bilden. Die Dialektik zwischen Eigentümern von Produktionsmitteln und Besitzern des inkorporierten Kulturkapitals entsteht auch dadurch, dass

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Historiker von ihrem inkorporierten Kulturkapital aber nur profitieren, wenn sie es an die Eigentümer verkaufen, sind sie ebenfalls Beherrschte und Abhängige.63 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, welche Qualität das Abhängigkeitsverhältnis hat. Das meint, in welchem Machtverhältnis der sozialen Wirklichkeit beide Seiten aufeinandertreffen. Foucault nennt dies das »System der Differenzierungen«: »Jegliches Machtverhältnis bringt Differenzierungen mit sich, die zugleich seine Bedingungen und seine Wirkungen sind.«64 Beispielsweise seien dies unterschiedliche Stellungen im Produktionsprozess oder Unterschiede im Können und in den Kompetenzen.65 Das heißt, je nach den Faktoren der Differenzierungen sind unterschiedliche Handlungsweisen möglich. Die Handlungsoptionen richten sich je nach Relevanz eines bestimmten Kapitals innerhalb eines Machtverhältnisses zwischen zwei Akteuren. Dabei ist auch von Bedeutung, in welchem Feld sich die Handlungen vorrangig abspielen. Der Feldbegriff ist, wie oben ausgeführt66 , ambivalent und betrifft sowohl die Regeln als auch die Einsätze der Akteure: »Jeder Akteur handelt gemäß den Zwängen der Struktur des Feldes. Je geringer sein Gewicht, desto größer der Zwang der Struktur. Je größer sein Gewicht, desto mehr Einfluss hat er auf die Gestaltung des Feldes – auf die »Regeln«, die Einsätze, die Verteilung der Gewinne.«67 Da jedes Feld seine eigenen Regeln und Interessen mit sich bringt, ist die Ausrichtung der Machverhältnisse stets unterschiedlich. Arbeiten Historiker im Feld der Wirtschaft, in dem die unter einem Unternehmen subsumierten Subjekte primär handeln, so sind ihre Ressourcen in Form von Kapital und Habitus anders zu gewichten als auf dem Feld der Wissenschaft und damit haben sie auch unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten, um ihre soziale Position im jeweiligen Feld zu halten beziehungsweise zu verbessern.

63

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beide Gruppen sich im sozialen Raum je nach Verteilung des Kapitals als »Ebenbürtige« gegenüberstehen, die aufeinander angewiesen sind, um ihre Stellung im sozialen Raum zu sichern. Vgl. zum Herrschaftsbegriff: Bauer, Ullrich/Bittlingmeyer, Uwe H.: Art. Herrschaft, in: Fröhlich/Rehbein: Bourdieu-Handbuch (2014), S. 118-124. Vgl. Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 59f. Obwohl Bourdieu in seiner Klassentheorie in einigen Punkten mit Karl Marx übereinstimmt, so bspw., dass sich Klassen durch materielle Besitzverhältnisse auszeichnen, fügt Bourdieu die kulturelle Dimension hinzu und schafft damit einen weiteren Machtfaktor, der entsprechend zu den oben ausgeführten Widersprüchen beiträgt. Damit findet sich eine weitere Parallele zu Foucaults Machtbegriff, der nicht rein repressiver, sondern auch produktiver Art ist. Foucault, M.: Wie wird Macht ausgeübt, in: Ders.: Spektrum der Genealogie (1996), S. 41. Vgl. ebd., S. 40. Vgl. Kap. 1.3. Rehbein, B./Saalmann, G., Art. Kapital (capital), in: Fröhlich/Rehbein: Bourdieu-Handbuch (2014), S. 134-140, S. 136; vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 21f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Ein gemeinsames Begehren beider Akteure – Historiker und Unternehmer –, das mit der Geschichtsschreibung verbunden ist, ist Wissen. Wissen erhält auf den unterschiedlichen Feldern je nach den dortigen Dispositionen eine unterschiedliche Zuschreibung und nach dieser richtet sich auch das Gewicht der Akteure, die mit ihrem Kapital zu diesem Wissen beitragen können. Das in einer Unternehmensgeschichte steckende Wissen ist für ein Unternehmen von hohem Wert, kann es doch gegenwärtige Kenntnisse über die Produktion anreichern, es kann aber auch eine Distinktions-Funktion einnehmen, indem ein Unternehmen sich damit von anderen Konkurrenten auf dem Feld abheben kann.68 Das Wissen um die Geschichte erhält damit eine besondere Bedeutung im Feld als eine Kraft, die hilft, die eigene soziale Position zu stärken. Diese Kraft aber verlangt nach einem Einsatz, den die Unternehmen nicht per se erbringen können, sondern oftmals nur, indem sie unter Einsatz ihres ökomischen Kapitals das inkorporierte Kapital von Historikern einkaufen. Denn nur mit deren Fähigkeiten können die ›Produktionsmittel‹, die Wissensträger, tiefergehend nutzbar gemacht werden und somit das aus ihnen erhaltene Wissen in den Diskurs eingespeist werden. Damit nun das Wissen in verbalisierter Form im Diskurs relevant wird bzw. bleibt, ist von Bedeutung, wer es sagt und wie es gesagt wird. Und damit bekommt das Kulturkapital der Historiker wieder einen ganz speziellen Wert im Feld der Unternehmen. Denn die Unternehmensgeschichte muss nicht im Diskurs über die Wirtschaftsleistung der Unternehmen bestehen, sondern im Diskurs über die Geschichtsschreibung. Das bedeutet, wenn die Geschichtsschreibung als glaubwürdig akzeptiert werden soll, muss sie aufgrund des Monopols der Geschichtswissenschaft auf die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit69 den gängigen Paradigmen der akademischen Unternehmensgeschichtsschreibung folgen. Unternehmen, die in ihrer Geschichtsschreibung diesen Paradigmen nicht folgen, provozieren negative Reaktionen – sowohl bei Geschichtsexperten, bei der unternehmerischen Konkurrenz als auch in der breiten Öffentlichkeit.70 Dass die Unternehmensgeschichtsschreibung diesen Paradigmen folgt, hat zugleich auch für die Historiker eine hohe Bedeutung. Denn wenn sie nicht am Diskurs teilnehmen können, dann bleibt ihnen die Erfüllung ihres Anspruchs verwehrt, mit ihrer Arbeit entsprechende Intentionen zu realisieren und Meriten zu erlangen. 68 69 70

Vgl. Schug, A.: History Marketing, S. 16f.; Sackmann, S.: Unternehmenskultur, S. 59f. Vgl. Kap. 2.1. Vgl. (1) Nannen, Klaus: Wirtschaft, Geschichte und Geschichtskultur. Eine Untersuchung zur Vermarktung und Förderung von Geschichte durch deutsche Unternehmen, Münster 2009, zugl. Univ. Diss., S. 276ff; (2) Schug, A.: History Marketing, S. 46f.; (3) Zirm, Jakob: NS-Regime: Das reiche Erbe einer dunklen Zeit, Die Presse, 1.10.2011, http://diepresse.com/home/wi rtschaft/economist/697614/NSRegime_Das-reiche-Erbe-einer-dunklen-Zeit?_vl_backlink=/ home/index.do, abgerufen am 19.09.2016; (4) Jungbluth, Rüdiger: NS-Firmengeschichte: Die Quandts und die Nazis, Die Zeit, 2007/47.

2. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ihre Leistung würde schlicht und ergreifend nicht anerkannt. Damit dies nicht geschieht, müssen sie den Regeln des Diskurses folgen. Der Diskurs ist das, was zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Umfeld als Sagbar gilt.71 Nun müssen Historiker natürlich, wenn sie eine Geschichtsschreibung realisieren wollen, um Wissen zu generieren und damit letztlich Erkenntnis zu erlangen, den Interessen der Unternehmen soweit folgen, wie diese es ermöglichen, die Begehren, die von den Historikern an die Generierung von Wissen gebunden sind, zu erlangen. Das heißt in ihrer Tätigkeit des Erforschens – mithin in ihren Arbeitshandlungen – müssen sie immer in Bezug auf die Denk- und Handlungsweisen der Unternehmen, die sich auf deren Interessen beziehen, handeln. Das bedeutet nicht, dass sich die Historiker der Willkür öffnen, sondern dass sie das Wissen entsprechend dem Nutzen anpassen, dem die Geschichtsschreibung für das Unternehmen dient. Das heißt, es geht nicht darum was geschrieben wird, sondern wie es geschrieben wird. Und damit sind wir wieder bei der Teilhabe am Diskurs. Eine Geschichtsschreibung muss als eine solche anerkannt werden, will sie am Diskurs teilhaben. Das bedeutet, sie muss als eine Darstellung anerkannt werden, die historische Wirklichkeit wiedergibt: sie muss glaubwürdig sein.   Für diese Arbeit ergeben sich auf der Grundlage der vorangehenden Überlegungen nun zwei Vorgehensweisen: Zunächst muss untersucht werden, wie Glaubwürdigkeit auf unterschiedliche Weise hergestellt wird, um die hypothetischen Vorüberlegungen zu belegen. Dazu werden in diskursanalytischer Form schriftliche historische Darstellungen aus dem Bereich der Unternehmensgeschichte auf ihre Glaubwürdigkeitsmechanismen untersucht. Dabei ist das Ziel, aufzuzeigen, dass der Anspruch auf Glaubwürdigkeit Geschichtsschreibungen immanent ist, aber die Art und Weise der Legitimation dieses Anspruchs von den sozialen Praktiken abhängt, die in den Feldern herrschen, in denen eine Geschichtsschreibung konstituiert wird. In einer weiteren Untersuchung wird der Berufshabitus von Historikern in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen analysiert, um diesbezüglich ihre Abhängigkeiten im jeweiligen sozialen Feld zu extrahieren. Zunächst wird somit in der ersten Teilstudie dargestellt, wie die konkreten Geschichtsschreibungen den Anspruch auf Glaubwürdigkeit legitimieren und ihre Legitimation von den Regeln der jeweiligen Felder abhängt. Daraufhin wird in der zweiten Teilstudie die zentrale Disposition des Strebens nach Glaubwürdigkeit durch empirische Interviews mit Historikern untersucht, die zwar ursprünglich ihre professionelle Sozialisation im gleichen sozialen Feld erlernt haben, aber während ihrer Berufslaufbahn in andere soziale Felder getreten sind. 71

Bublitz, H.: Foucaults Archäologie des kulturell Unbewussten, S. 33f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Es wird also exemplarisch erläutert, wie einerseits Geschichtsschreibungen stets der Legitimation des Glaubwürdigkeits-Anspruchs unterworfen sind und wie diese Legitimation mit unterschiedlichen Mitteln erreicht wird. Andererseits wird untersucht, ob und wie die zentrale soziale Disposition des Feldes der Geschichtswissenschaft – das Streben nach Glaubwürdigkeit – sich aufgrund der Abhängigkeiten der Historiker in unterschiedlichen sozialen Feldern verändert.

3. Teilstudie 1 Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit am Beispiel moderner Unternehmensgeschichtsschreibung

3.1

Methodologie – Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit

Wie nun oben erläutert, muss der Anspruch auf Glaubwürdigkeit in einer Geschichtsschreibung stets legitimiert werden. Bereits erwähnt wurde, dass der Diskurs über die Legitimation dieses Anspruchs auf die wissenschaftliche Geschichtsschreibung konzentriert ist.1 Dies bringt daher die Frage mit sich, wie die Legitimation des Anspruchs gestaltet ist, wenn sie nicht den Praktiken des wissenschaftlichen Feldes folgt. Nun habe ich behauptet, Glaubwürdigkeit sei Geschichtsschreibungen immanent. Das bedeutet, es müsste Parameter geben, die über die spezifischen Felder und ihre Praktiken hinaus für Glaubwürdigkeit in Geschichtsschreibungen gelten. Diese Parameter müssten je nach dem Feld, in dem eine Geschichtsschreibung entsteht, unterschiedlich ausgefüllt werden. Das heißt, die Parameter werden feldspezifisch definiert, sodass sie eine Wirkung entfalten können, die zur jeweiligen Legitimation des Anspruchs beiträgt. Diese Gestaltung der Parameter müsste sich daher nach den sozialen Dispositionen eines Feldes richten, denn sie müssen an die jeweiligen ›Spielregeln‹ angepasst sein, und das bedeutet, sie gehen einher mit den Intentionen, die von den Akteuren mit einer Geschichtsschreibung verbunden sind. Das heißt, die Generierung von Wissen meint hier nicht, was erkannt bzw. erforscht wird, sondern wie es als historisches Wissen generiert wird. Dieses Wie ist es, das mit den mit einer Geschichtsschreibung verbundenen Intentionen sowie dem jeweiligen Diskurs, dem es folgt, variiert. Und dieser Diskurs ist, je nachdem in welchem Zusammenhang eine Geschichtsschreibung entstand, unterschiedlich. Die Intentionen sind dabei an zwei zentralen Faktoren zu beobachten, die kohärent sind zu den Intentionen, durch welche Macht konstituiert wird. Zunächst ist hierbei der Nutzen gemeint, der aus einer Geschichtsschreibung generiert wird,

1

Vgl. Kap. 1.2 und Kap. 2.1.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

und zwar als Geschichtsschreibung selbst. Das meint ihre formale Intention. Somit ist von Bedeutung, welche Publikationsform vorliegt: Ein Werbekatalog, ein Jubiläumsband, eine wissenschaftliche Monografie etc. Es gibt hier viele unterschiedliche Formen, deren Funktionen sich auch ergänzen oder überschneiden können. Eine einzige festlegende Definition ist daher nicht möglich und auch nicht zielführend. Der andere zentrale Faktor für die Intentionen sind die an der Erstellung einer Geschichtsschreibung Beteiligten: die Historiker und die Unternehmen. Die Historiker möchten ihrem Anspruch an ihre Profession gerecht werden. Dabei ist auch von Bedeutung, welches Selbstverständnis sie von ihrer Profession haben und aus welchem Motiv heraus sie dem Anspruch an ihre Profession gerecht werden wollen. Die Unternehmen sind an einem möglichst großen Nutzen einer Geschichtsschreibung zur Profilierung ihrer Unternehmenskultur interessiert. Es handelt sich daher einmal um Intentionen, die direkt mit dem Objekt der Geschichtsschreibung verbunden sind, und um Intentionen, die über das Objekt hinausgehen und die soziale Lebenswelt der Akteure betreffen. Wenn Historiker eine Geschichtsschreibung für oder über ein Unternehmen verfassen, gilt es folglich, diese Interessen in Einklang zu bringen. Denn obwohl mit den Publikationen mehrere Ziele verfolgt werden können (Aufklärung, Werbung, Kundenbindung etc.), muss eine Geschichtsschreibung immer glaubwürdig sein, sonst kann sie nicht am Diskurs teilhaben.2 Wenn es also mehr als nur eine Art gibt, Glaubwürdigkeit in einer Geschichtsschreibung zu vermitteln, muss die zentrale Frage lauten: Wie und warum wird dieses Ziel erreicht?   Schaut man sich das Feld der modernen Unternehmensgeschichtsschreibung an, wird ersichtlich, dass sich sowohl in der universitären Geschichtsforschung als auch in den Unternehmen das Paradigma der sog. »kritischen Unternehmensgeschichte« trotz Ausnahmen durchgesetzt hat. Damit einher geht auch die Erkenntnis, dass mit einer professionellen Unternehmensgeschichtsschreibung ein großer Nutzen für die Unternehmenskultur zu erreichen ist. Die Unternehmen demonstrieren somit ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der eigenen Vergangenheit und können so ihre Identität als verantwortungsbewusstes Unternehmen schärfen. Diese spezifische Intention der Unternehmen, die sie an eine Unternehmensgeschichtsschreibung binden, wird aber nicht allein durch einen bestimmten Inhalt erreicht, sondern vor allem durch die Art und Weise, wie der Inhalt präsentiert wird. Nun hängt die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit einer Geschichtsschreibung aber nicht allein an einer professionellen Bearbeitung, also an 2

Vgl. Kap. 1.4.

3. Teilstudie 1

den wissenschaftlichen Standards wie Quellennachweisen und kritisch-reflektierten Narrativen. Wäre dem so, dann könnten alle anderen Geschichtsschreibungen nicht als solche definiert werden und gerade in der Unternehmensgeschichtsschreibung würde das bedeuten, dass nur solche Schriften als glaubwürdig gelten könnten, die entweder im Feld der Wissenschaft entstehen oder den dortigen spezifischen Praktiken folgen, mit denen die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit erreicht werden kann. Tatsächlich können die wissenschaftlichen Standards aber nur dann als Glaubwürdigkeitsmarker gelten, wenn sie von den Rezipienten als solche erkannt und akzeptiert werden können. Ihre Anwendung ist die Befolgung der »Grundsätze zur Bewahrheitung der ›Realität‹«, die im spezifischen Feld als soziale Praktik eingeübt und von den Akteuren beherrscht werden.3 Sie sind Codes, die als solche verstanden werden müssen. Unternehmensgeschichtsschreibungen, die den Anspruch erheben, wissenschaftliche Studien zu sein, müssen daher entsprechende Codes einhalten, die sie als wissenschaftliche Studie erkennen lassen. Ihre Legitimation auf diesen Anspruch hängt unmittelbar mit der Verwendung dieser Codes zusammen. Mit ihnen steht oder fällt die Glaubwürdigkeit solch einer Geschichtsschreibung. Ist eine Geschichtsschreibung aber nicht mehr im rein wissenschaftlichen Feld zu verorten, dann beginnen sich die Codes zu vermischen und ihre Wirkung nimmt zu oder lässt nach – je nachdem, wer für wen und zu welchem Nutzen eine Unternehmensgeschichte schreibt. Demnach verleiht das unterschiedliche Benutzen von unterschiedlichen Codes spezifischen Geschichtsschreibungen ihre Glaubwürdigkeit. Dies sind die Mechanismen, mit denen Glaubwürdigkeit in unterschiedlichen Feldern legitimiert werden kann. Aufgrund der starken Heterogenität der Geschichtsschreibungen, was sowohl ihren Ursprung als auch ihre inhaltliche und formale Form betrifft, lassen sich die Codes nicht als ein festes System verstehen. Aber in Bezug auf die Immanenz der Glaubwürdigkeit müssen sie Bestandteile feldübergreifender Parameter sein, die wiederum aufgrund der Heterogenität von Geschichtsschreibungen selbst nichts Statisches sein können. Dabei muss es sich um Parameter handeln, die es erlauben, einerseits feldübergreifend als Legitimation für Glaubwürdigkeit verstanden zu werden und die andererseits unspezifisch genug sind, damit sie durch die sozialen Praktiken in den spezifischen Feldern ausgefüllt werden können. Mithilfe solcher Parameter wäre es dann möglich, die Art und Funktionsweise einer Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit zu untersuchen. Auf der Basis dieser Überlegungen schlage ich zur Operationalisierung drei Parameter vor, die im Folgenden heuristisch begründet werden sollen:

3

Vgl. Kap. 2.1; Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 29 sowie Pfadenhauer, M.: Professioneller Stil und Kompetenz, S. 9.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung a) Pragmatik b) Authentizität c) Nachvollziehbarkeit

a) Pragmatik Als Parameter für ein feldübergreifendes Verständnis von Glaubwürdigkeit und als Rahmen für feldspezifische Mechanismen zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit nimmt die Pragmatik sowohl eine konstitutive als auch verbindende Funktion zwischen den Aspekten Authentizität und Nachvollziehbarkeit ein. Sie gibt Antwort auf die Frage, aus welchem Grund die Unternehmensgeschichte eigentlich geschrieben wurde. Sie lässt es zu, eine Geschichtsschreibung vor dem Hintergrund des Diskurses zu sehen, in dem sie steht. Wie oben bereits erläutert, muss eine Geschichtsschreibung Teil des Diskurses sein, damit die mit ihrer Entstehung verbundenen Subjekte ihre Machtoptionen erhalten und entfalten können. Es bleibt aber zu klären, welchem Teil des Diskurses sie jeweils folgt. Damit hängt zusammen, im Rahmen welcher Machtverhältnisse die Geschichtsschreibungen entstehen: Welche Intentionen werden von den beteiligten Subjekten verfolgt, welche Handlungsoptionen nutzen sie im Machtverhältnis, vor dem eine Geschichtsschreibung entsteht, und wie werden ihre Kapitalarten jeweils eingesetzt, um die Intentionen zu erreichen? Um dies zu klären, muss stets der soziokulturelle Hintergrund berücksichtigt werden, vor dem eine Geschichtsschreibung entsteht. Entsteht sie auf dem Feld der akademischen Geschichtswissenschaft, dann sind ihre Narrative, ihre Erzählweisen, ihre Instrumente und Schlussfolgerungen anders, als wenn sie im Bereich der angewandten Geschichte entstünde oder gar innerhalb eines Unternehmens ohne professionelle Beteiligung an der Geschichtsschreibung. Der soziokulturelle Hintergrund umfasst aber nicht nur die Frage der Subjekte, die an der aktiven Entstehung einer Geschichtsschreibung beteiligt sind, sondern auch und vor allem umfasst sie die Rezipienten. Beispielsweise kann eine Geschichtsschreibung, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtet, aus pragmatischen Gründen keine zuvörderst theoriebasierte Arbeit vorlegen, ebenso wird sie eine weniger akademische Sprache nutzen als eine wissenschaftliche Studie. Dies kann wiederum erklären, weshalb unterschiedliche Praktiken in unterschiedlichen Geschichtsschreibungen Authentizität erzeugen können. Zum anderen umfasst die Frage der Pragmatik auch die des Zwecks einer Geschichtsschreibung. So wird eine Geschichtsschreibung, die vor allem dazu verfasst wurde, Kunden zu werben, andere Aspekte in den Vordergrund stellen, als eine Geschichtsschreibung, die auf die Identität des Unternehmens zielt, wie es Jubiläumsschriften oft tun. Dies erklärt, warum unterschiedliche Praktiken Nachvollziehbarkeit vermitteln.

3. Teilstudie 1

Die Pragmatik als Parameter erlaubt also die Beantwortung der Fragen nach den an der Entstehung Beteiligten, den Rezipienten und dem Zweck einer Geschichtsschreibung, die immer im Zusammenspiel betrachtet werden müssen. b) Authentizität Mit Authentizität ist hier gemeint, wie im Text der Eindruck erzeugt wird, er vermittele historische Wirklichkeit. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Martin Sabrow betont, dass »Authentizität kein essentialisierend erforschbares Merkmal der Dinge«, sondern nur relational in der Beziehung zwischen dem Ding und dem Betrachter zu erfassen sei.4 Eine Seite der Authentizität ist die empirische, also »material- und objektbezogene Authentizität« und die sie als authentisch identifizierenden Techniken, wie zum Beispiel die Quellenkritik. Damit gemeint sind Objekte, wie archäologische Spuren oder aber Formen der mündlichen, schriftlichen und audiovisuellen Speicherung, die archiviert oder interpretiert werden. Auf der anderen Seite ist Authentizität auch subjektbezogen, was die »autoritative Deutung und Interpretation des Autors oder einer Autorität umfassen kann.«5 Wenn es sich nun um ein relationales Merkmal handelt, dann betrifft Authentizität alles, durch das eine Beziehung zwischen Rezipienten und Ding hergestellt wird. Dies betrifft sowohl die material- und objektbezogene Authentizität der Dinge, die in einer Geschichtsschreibung dargestellt werden, als auch die subjektbezogene Authentizität durch den Autor oder einer Autorität, die für die historische Wirklichkeit des Dargestellten bürgen. Dies ist auch der Grund, warum die normative Plausibilität, von der Rüsen spricht, in nicht-wissenschaftlichen Geschichtsschreibungen keine Notwendigkeit darstellt. Denn durch die unterschiedliche Wahrnehmung von Authentizität ist es möglich, in nicht-wissenschaftlichen Geschichtsschreibungen die dortige Perspektive als glaubwürdig zu legitimieren, ohne sie zu reflektieren oder zu kritisieren.6 Da die Authentizität nichts direkt am Objekt Messbares ist, sondern nur durch die Beziehung zwischen Objekt und Rezipient entsteht, ist zu fragen, wie diese Beziehung erzeugt wird. Die jeweiligen Rezipienten müssen die Authentizität anerkennen können, sodass je nach Publikationsform und Rezipientengruppe verschiedene Praktiken existieren, durch die Authentizität vermittelt werden kann. Aufgrund der Heterogenität der Geschichtsschreibungen ist anzunehmen, dass

4 5 6

Sabrow, Martin: Die Aura des Authentischen in historischer Perspektive, in: Ders./Saupe: Historische Authentizität (2016), S. 33. Vgl. Sabrow, M./Saupe, A.: Historische Authentizität. Zur Kartierung eines Forschungsfeldes, in: Dies.: Historische Authentizität (2016), S. 8. Vgl. Kap. 1.1.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

diese Praktiken variieren und über alle Rezipientengruppen hinweg wirken, andere wirken dagegen besonders stark bei einer spezifischen Gruppe. Diese Praktiken können sowohl auf metatextueller Ebene als auch auf intertextueller Ebene wirken. Codes, die Authentizität vermitteln, können zum Beispiel die Abbildung oder Angaben von Quellen sein. Aber auch Verweise auf die Expertise eines der Beteiligten an einer Geschichtsschreibung sind als Code für Authentizität zu verstehen. Letzteres bezieht sich beispielsweise auf die Autorität von Autoren einer Geschichtsschreibung oder von Experten für eine Unternehmensgeschichte: Mitarbeiter, Führungskräfte etc. können als Experten für ihre Geschichte auftreten. Ein expliziter Verweis ist dabei nicht immer nötig. Gegenüber Rezipienten, die zwischen historischer Erkenntnis und subjektiver Erinnerung nicht differenzieren, gilt das Wort von Branchenexperten als ebenso authentisch wie eine Schriftquelle aus dem 19. Jahrhundert. Aber auch das Verfassen einer Unternehmensgeschichte durch einen Experten der Geschichtswissenschaft kann durch dessen Status Authentizität erzeugen. Damit würde diese Autorität auf dem inkorporierten Kulturkapital in Bezug auf die Unternehmensgeschichte gründen, welches die an der Publikation Beteiligten innehaben. Das Wissen, das diese Beteiligten besitzen – sei es nun ein Historiker oder ein Mitglied eines Unternehmens – verleiht ihnen nach der »symbolischen Logik«, so Bourdieu, »etwas Besonderes«7 , einfach deswegen, weil es die Rezipienten nicht besitzen. Authentizität als Merkmal für eine glaubwürdige Geschichtsschreibung ist hier im Übrigen explizit nicht gleichzusetzen mit Ginzburgs Begriff der »Anschaulichkeit« (Energeia) als Element einer glaubwürdigen Geschichtsschreibung.8 Denn mit seiner Theorie des Paradigmenwechsels vom anschaulichen Erzählen, dessen Wahrheitsgehalt von der Person des Historikers verbürgt werde, hin zum Belegmaterial, das die Aussagen des Historikers untermauere,9 blendet Ginzburg all jene Geschichtsschreibungen aus, die diesem Paradigma nicht folgen. Er blendet aus, dass die unbewusste Entscheidung, etwas als glaubwürdig anzuerkennen, nicht allein von Paradigmen abhängt, sondern von sozialen Kommunikations- und Interaktionsprozessen.10 Die Beziehung, wie Sabrow schreibt, zwischen dem Ding – in diesem Fall einer Geschichtsschreibung – und dem Rezipienten wird nicht allein aufgebaut durch Quellenbelege. Mithin genügt Ginzburgs Theorie nicht, um 7 8 9 10

Vgl. Bourdieu, P.: Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 57. Vgl. Ginzburg, C.: Veranschaulichung und Zitat, S. 89f. Vgl. ebd., S. 98f.; vgl. auch Kap. 1.1. Hier ist allerdings anzumerken, dass Ginzburg sehr wohl zwischen außertextuellen und textuellen Merkmalen unterscheidet, die zur Glaubwürdigkeit einer Geschichtsschreibung beitragen (effet der vérité,), siehe auch Kap. 1.1. Die Theorie des Paradigmenwechsels von der Anschaulichkeit zum Belegmaterial bezieht sich allerdings nur auf die innertextuellen Merkmale und greift somit für den Ansatz dieser Arbeit zu kurz (vgl. Ginzburg, C.: Veranschaulichung und Zitat, S. 87).

3. Teilstudie 1

Geschichtsschreibungen außerhalb der klassischen Geschichtswissenschaft zu untersuchen. Der Authentizitätsbegriff berücksichtigt durch den Bezug zur Pragmatik also auch die soziokulturelle Beziehungsebene, auf der Glaubwürdigkeit vermittelt wird. Die Praktiken, die für die Authentizität einer Geschichtsschreibung stehen, sind daher in einer Untersuchung der Vermittlung von Glaubwürdigkeit in Geschichtsschreibungen in diese soziokulturelle Beziehungsebene einzuordnen. c) Nachvollziehbarkeit Die Nachvollziehbarkeit als dritter Parameter für feldübergreifende Glaubwürdigkeitsvermittlung meint die Art der inhaltlichen Darstellung. Dies beinhaltet sowohl die Narrative, die in einer Geschichtsschreibung bedient werden, als auch die Art und Weise, wie sie dargestellt werden. Darauf, dass die Erzählweise, die durch unterschiedliche Mittel realisiert wird, entscheidend für den Wahrheitsanspruch eines Textes ist, verweist auch Süßmann, der die Geschichtsschreibung als erzählerische Darstellung begreift.11 Für die Unternehmensgeschichtsschreibung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, welchen Narrativen eine Erzählung folgt, ob diese kritisch-reflektiert sind oder nicht, wie stark sich die gegenwärtige Perspektive von den historischen Handlungen und ihren Hintergründen distanziert usw. Kurz: Ergibt das Narrativ, das in der Unternehmensgeschichte beschrieben wird Sinn beziehungsweise warum und für wen ergibt es Sinn? Dies hängt mit dem Paradigma zusammen, dem eine Geschichtsschreibung folgt: Es ist nicht von Bedeutung, ob das Erzählte der historischen Wirklichkeit tatsächlich entspricht oder nicht. Sondern hier kommt vielmehr zur Geltung, was Foucault über die Funktion der Archäologie des Wissens sagte: »Sie enthüllt, daß die Grundlage dessen, was einst und heute für wirklich gehalten wurde und wird, in Wahrheit nur historisch kontingente Konstruktion oder Interpretation ist.«12 Die Glaubwürdigkeit entsteht, weil die Erzählung das transportiert, was zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Kontext als wahr gelten kann. Durch unterschiedliche Erzählweisen können unterschiedliche Rezipienten erreicht werden. Die unterschiedlichen Narrative und ihre sprachliche Gestaltung sind somit als Praktiken für die Nachvollziehbarkeit einer Geschichtsschreibung zu verstehen. Dies steht ebenfalls im Zusammenhang mit der Pragmatik eines Textes. Die Erzählweise und das Paradigma, dem eine Erzählung folgt, sind abhängig vom Publikum und vom Nutzen, der mit der Geschichtsschreibung erzielt werden soll. 11 12

Vgl. Süßmann, Johannes: Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780-1824), Frankfurt a.M. 2000, S. 21f. Fink-Eitel, H.: Michel Foucault, S. 87.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Die Erzählung selbst muss daher ebenfalls in den soziokulturellen Kontext sowie den historischen Kontext eingeordnet werden, in dem ihr Gegenstand verortet ist. Analysekriterien Wie im vorigen Abschnitt erläutert, sind die drei Parameter der Glaubwürdigkeitsvermittlung mit dem jeweiligen historischen und soziokulturellen Kontext einer Unternehmensgeschichtsschreibung in Bezug zu setzen. Dies betrifft einerseits den historischen und soziokulturellen Kontext des Gegenstands einer Geschichtsschreibung, also der in ihr verarbeiteten Vergangenheit. Andererseits betrifft es den historischen und soziokulturellen Kontext der Gegenwart, in der eine Geschichtsschreibung selbst entstand. Konkret wird diese Referenzierung in der folgenden Untersuchung durch die Analyse von Geschichtsschreibungen geschehen, die drei Ebenen umfasst: a) die Ebene des äußeren Kontextes, b) die metatextuelle Ebene und c) die inhaltliche Ebene. Die einzelnen Faktoren dieser Ebenen sind es, die in den historischen und soziokulturellen Kontext eingeordnet werden müssen. Dazu werden entsprechende Analysekriterien festgelegt. a) Auf der Ebene des äußeren Kontextes werden die an einer Geschichtsschreibung Beteiligten betrachtet, womit die Autoren, mögliche Auftraggeber und Rezipienten gemeint sind. Aber auch mögliche Kooperationspartner, die Geld- oder Sachmittel beigesteuert haben, zählen dazu. Das gilt auch für das Quellenkorpus, das verwendet wurde, sowie für Quellen, die möglicherweise nicht genutzt wurden, und schließlich den konkreten Anlass für eine Publikation. Die Betrachtung dieser Faktoren umfasst allerdings nicht nur das Was, sondern auch das Warum. Dies ist durch ihre Einordnung in den historischen und soziokulturellen Kontext möglich, was auch die Einordnung des in der jeweiligen Geschichtsschreibung abgebildeten Paradigmas ermöglicht. b) Die Ebene der metatextuellen Faktoren umfasst sowohl die expliziten Ziele, wie die Beantwortung einer Forschungsfrage, als auch die impliziten Ziele der Texte, wie die Vermittlung einer bestimmten Identität. Auch das Layout der Publikation wird auf dieser Ebene untersucht und mit dem historischen und soziokulturellen Kontext verbunden. Schließlich zählen auch mögliche Rezensionen über den Text, Rezeptionen des Textes sowie Referenzen zu anderen Texten als Elemente, die durch die Einordnung in den historischen und soziokulturellen Kontext ebenfalls Aufschluss über das abgebildete Paradigma geben können. c) Auf der inhaltlichen Ebene werden Narrative und der Schreibstil untersucht. Sie werden analysiert auf mögliche Perspektiven und Werturteile sowie die verwendete Sprache. Auch hier gestattet die Bezugnahme auf den historischen

3. Teilstudie 1

und soziokulturellen Kontext Aufschluss über das Paradigma, dem eine Geschichtsschreibung folgt. Die Faktoren der drei Ebenen ermöglichen es, die unterschiedlichen Praktiken der Glaubwürdigkeitsvermittlung herauszufiltern und so die drei Parameter der Glaubwürdigkeitsvermittlung in ihrer je spezifischen Zusammensetzung zu erfassen. Die Faktoren dürfen aus diesem Grund nicht isoliert betrachtet werden, denn erst ihr Zusammenwirken über die drei Ebenen hinweg ermöglichen einen effet de vérité.   Durch das Eruieren des Paradigmas, dem die jeweiligen Geschichtsschreibungen folgen, ist es möglich, sich den Machtverhältnissen anzunähern, unter denen sie entstanden sind. Allerdings ist es nicht möglich, die Abhängigkeiten zu extrahieren, in denen die Historiker in der sozialen Wirklichkeit stehen. An einer Geschichtsschreibung ist nicht zu erkennen, aus welchen feldspezifischen und feldübergreifenden Intentionen heraus sie geschrieben wurde. Während durch die erste Teilstudie also die unterschiedlichen Mechanismen dargestellt werden können, die zur Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit beitragen und die Machtverhältnisse, in denen Geschichtsschreibungen entstehen, annähernd beschrieben werden können, braucht es eine sozialempirische Methode, um die Abhängigkeiten von Historikern im sozialen Beziehungsgeflecht dieser Machtverhältnisse extrahieren zu können, was in der Teilstudie 2 mittels der dokumentarischen Methode geschehen wird.

3.2

Das Untersuchungsfeld: Unternehmensgeschichte und Unternehmensgeschichtsschreibung

In der Unternehmensgeschichte betrifft die Glaubwürdigkeit nicht nur historisches Wissen, sondern auch die Relation zwischen dem spezifischen Wissen und der jeweiligen Unternehmenskultur. Um ein überspitztes Beispiel zu geben: Stellt ein Süßigkeiten-Unternehmen in seiner Geschichtsschreibung ein seit der Gründung hochgeschätztes Ernährungsbewusstsein in den Fokus, wirkt das wenig glaubwürdig, wenn nicht sogar grotesk. Das bedeutet nicht, dass dies historisch unmöglich oder nicht nachweisbar wäre. Im Gegenteil: Es kann durchaus solch ein Bewusstsein gegeben haben. Aber die Darstellung hätte nicht den gewollten Effekt einer glaubwürdigen, wohlgeformten Unternehmensgeschichte aufgrund des Widerspruchs. Anders würde es aussehen, wenn das Unternehmen sich durch Produkte auszeichnet, die gerade auf Ernährungsbewusstsein abzielen, wie ausschließlich zuckerfreie Süßigkeiten.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Was für die Geschichte eines Unternehmens gilt, ist aber nicht automatisch auch Voraussetzung für die Unternehmensgeschichtsschreibung, also ihre Darstellung. Das hängt damit zusammen, dass nicht jede Unternehmensgeschichtsschreibung Teil der Unternehmenskultur ist. Das müsste zu dem Dilemma führen, dass im extremsten Fall Geschichtsschreibungen entstehen, die nicht wohlgeformt sind und nicht mit der Unternehmenskultur übereinstimmen können. Da aber Glaubwürdigkeit Voraussetzung einer jeden Geschichtsschreibung ist, ist sie das immer in Bezug auf ihre Entstehungsbedingungen – und diese setzen eine wohlgeformte Geschichtsschreibung nicht voraus, sondern schließen sie sogar teilweise aus. Das bedeutet, wie die Glaubwürdigkeit einer Geschichtsschreibung legitimiert wird, definiert sich durch die Umstände ihrer Entstehung. Die zentrale Frage muss daher lauten: Wer schreibt für wen aus welchem Anlass eine Unternehmensgeschichte? Mit dieser Frage hängen die Erwartungen zusammen, die an eine Geschichtsschreibung gestellt werden. Denn die Anerkennung des Legitimationsanspruchs der Glaubwürdigkeit oder genauer: der Grad der Anerkennung – richtet sich auf den unterschiedlichen Feldern nach unterschiedlichen Praktiken, durch welche die drei Parameter erfüllt werden. Beispielsweise erwartet man von einer wissenschaftlichen Publikation, dass sie quellenkritisch und nach entsprechenden Standards vorgeht, unabhängig davon, ob sie von Historikern innerhalb eines Unternehmens geschrieben wurde oder von externen Fachleuten, die einen Auftrag bekamen oder die von sich heraus intrinsisch motiviert eine Unternehmensgeschichte schrieben. Somit wäre »Quellenkritik« ein Code für den Parameter der Authentizität im Feld der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Ein weiterer Code für die Authentizität, der im wissenschaftlichen Feld für Geschichtsschreibung besonders gewichtig ist, sind die Angaben der Quellen. So soll eine intersubjektive Nachprüfbarkeit der Erzählung ermöglicht werden und somit Transparenz des Forschungsprozesses garantiert werden. Im Feld der Wirtschaft wäre ein Code für den Parameter Authentizität dagegen beispielsweise der Hinweis eines Unternehmens auf die eigene Erfahrung in einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen oder vom Unternehmen selbst für die Öffentlichkeitsarbeit verfassten Geschichtsschreibung. Wie wir sehen, ist Unternehmensgeschichte nicht gleich Unternehmensgeschichte. Je nach dem Feld, auf dem mit ihr agiert wird, erfüllt sie unterschiedliche Funktionen und werden unterschiedliche Erwartungen mit ihr verknüpft. Im Folgenden wird daher zunächst die Rolle der Unternehmensgeschichte in der Unternehmenskultur und anschließend in der Geschichtswissenschaft erläutert. Daraufhin wird auf der Basis dieser Erkenntnisse die Vermittlung von Glaubwürdigkeit in Unternehmensgeschichtsschreibungen näher betrachtet.

3. Teilstudie 1

Abb. 1: Operatoren für die Untersuchung der Mechanismen zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit, T. Brandt

3.2.1

Unternehmensgeschichte als Teil der Unternehmenskultur

Unternehmenskultur – Definition und Funktionsweise Unternehmensgeschichte ist nur ein Teil der Kultur eines Unternehmens. Die Definition von Unternehmenskultur selbst ist nicht einheitlich. In der Literatur wird sie synonym als »Organisationskultur« bezeichnet. Der normative Unterschied liegt in der vornehmlichen Verwendung des Begriffs Unternehmenskultur in der Managementlehre und der Organisationskultur in der Organisationstheorie.13 In der Geschichtswissenschaft wird in Bezug auf die Unternehmensgeschichte vorwiegend der Begriff Unternehmenskultur verwendet.14 Die Unternehmenskultur setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, wobei das etablierteste Modell von Edgar Schein stammt. Er teilt Unternehmenskultur in drei Ebenen ein: grundlegende Überzeugungen, Werte und Artefakte.15

13 14

15

Vgl. dazu: Zielowski, Christian: Managementkonzepte aus Sicht der Organisationskultur. Auswahl, Ausgestaltung und Einführung, Wiesbaden 2006, S. 43. Vgl. Berghoff, Hartmut: Moderne Unternehmensgeschichte, Paderborn 2004; Schug, A.: History Marketing (2003); Kroker, Evelyn/Köhne-Lindenlaub, Renate/Reininghaus, Wilfried/Soénius Ulrich S. (Hg.): Handbuch für Wirtschaftsarchive. Theorie und Praxis, München 2005². Vgl. Schein, Edgar: Organizational Culture and Leadership, San Francisco (1985) 2004³,S. 2537.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Sonja Sackmann gibt einen umfassenden Überblick über die Charakteristika und Funktionsweisen der Unternehmenskultur.16 Demnach fasst sie diese folgendermaßen zusammen: Unternehmenskultur ist ein kollektives Phänomen, das nur durch die Gruppe der Organisationsmitglieder wirken kann und auf grundlegenden Überzeugungen basiert, die von allen Mitgliedern anerkannt werden. Die grundlegenden Überzeugungen sind der zentrale Kern einer Unternehmenskultur. Sie beeinflussen die unternehmenstypischen Denk-, Handlungs- und Verhaltensmuster und prägen damit Denk- und Handlungsroutinen. Die Unternehmenskultur manifestiert sich in Festen, Geschichten sowie in innerer und äußerer Architektur, aber auch im Umgang mit Problemen der externen Anpassung und der internen Integration. Sie ist historisch gewachsen und stellt damit auch das »kollektive Gedächtnis« eines Unternehmens dar. Sie wird von den Mitgliedern internalisiert und emotionalisiert. Jedes Unternehmen besitzt eine Kultur, die an ihre Mitglieder stets weitergegeben wird und ist eingebettet in den kulturellen Kontext eines Unternehmens, der regionaltypisch und/oder branchentypisch besetzt sein kann.17 Aus den grundlegenden Überzeugungen, die Sackmann in Prioritäten, Praktiken, Rezepte und Axiome einteilt, entsteht kulturelles Wissen. Dieses setzt sich gemäß den einzelnen Überzeugungen aus dem lexikalischen Wissen, dem Handlungswissen, dem Rezeptwissen und dem axiomatischen Wissen zusammen.18 Die Funktion der Unternehmenskultur sieht Sackmann in der Ordnung, Orientierung19 , Stabilisierung und Sinnvermittlung, wobei für die Rolle der Unternehmensgeschichte in ihrer visualisierten Form besonders die Funktion der Stabilisierung und Sinnvermittlung von Bedeutung ist.20 Die Rolle von Unternehmensgeschichte in der Unternehmenskultur Unternehmensgeschichte stellt eine Verbindung der Formen des kulturellen Wissens dar. Mit ihrer Hilfe kann die Entwicklung der grundlegenden Überzeugungen greifbar und somit nachvollziehbar gemacht werden. Die Funktion der Sinnvermittlung, die zu Motivation und Identifikation beitragen soll, wird so mithilfe der Visualisierung von Unternehmensgeschichte erfüllt. Durch die Nachvollziehbarkeit der kulturellen Wissensformen trägt sie ebenfalls zur Erfüllung der Stabilitätsfunktion von Unternehmenskultur bei. Dazu gehören Erzählungen, die metaphorisch für das lexikalische Wissen stehen, zum Beispiel über herausragende Verhaltensweisen mit Vorbildcharakter. Aber auch Erzählungen von Erfahrungen, 16 17 18 19

20

Vgl. Sackmann, S.: Unternehmenskultur, S. 35-71. Vgl. ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 55f. Orientierung meint bei Sackmann vor allem in Bezug auf das Verhalten in der Praxis des Unternehmens, wie hierarchische Verhaltensweisen usw. und nicht im Sinne moralischer Orientierung, vgl. ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 59f.

3. Teilstudie 1

die zum Handlungswissen beigetragen haben – beispielsweise in Form von (Auto)Biografien von Gründern, Führungskräften oder Arbeitern – sowie Geschichten über Erfolge und Misserfolge, die das Rezeptwissen fassbar machen. Und zu guter Letzt gehören auch Erzählungen dazu, in denen sich das axiomatische Wissen widerspiegelt, zum Beispiel über den Entstehungshintergrund eines Unternehmens. Die Rolle der Unternehmensgeschichte in ihrer Funktion als Sinnvermittler und Stabilisator wird zudem hervorgehoben durch eine kritische Anmerkung von Martin und Siehl über die Unternehmenskultur als einheitliches Phänomen: »Instead of being monolithic phenomena, organizational cultures are composed of various interlocking, nested, sometimes conflicting subcultures.«21 Diese teilweise kontrastierenden Subkulturen innerhalb eines Unternehmens können ihre Plattform in der Unternehmensgeschichte finden und so wiederum in das ›große Ganze‹ eingegliedert werden. Zugleich dient die Visualisierung von Unternehmensgeschichte auch als Manifestation der drei Ebenen, in die Unternehmenskultur eingeteilt wird. Die Artefakte (bestehend aus Ritualen, Dokumenten, Produkten etc.), die Werte und die grundlegenden Überzeugungen werden in einer Darstellung von Unternehmensgeschichte miteinander verbunden. Die Unternehmensgeschichte dient quasi als kultureller ›Klebstoff‹ für ein Unternehmen. In ihren Erzählungen kann sie Tradition mit Fortschritt verbinden und so nachvollziehbar darstellen, außerdem ermöglicht sie die Abgrenzung zu anderen Unternehmen. Dies ist einerseits effektiv für den Identifikationsprozess der Mitglieder des Unternehmens, andererseits ist es auch ein wichtiger MarketingEffekt, wie Schug herausstellt. Demnach kann das History Marketing dem sog. »brand parity« entgegenwirken, durch das Produkte austauschbarer wirken, weil sie mit identischen Markenqualitäten aufgeladen werden.22 Die Geschichte eines Unternehmens stellt dagegen in seiner Einzigartigkeit etwas Besonderes dar und verleiht ihm etwas Originäres. Abgesehen von dieser kulturellen Funktion der Unternehmensgeschichte und ihrer Visualisierung, kann sie auch hohen informellen Nutzen für ein Unternehmen haben. Etwa in Fragen der Produktions- oder Handelspraxis. Dies ist ein Grund dafür, warum viele Unternehmen ein eigenes Archiv anlegen. In dieser Arbeit wird allerdings Unternehmensgeschichte in ihrer Funktion als kultureller Faktor betrachtet, weshalb auf ihre informelle Funktion nicht näher eingegangen wird. Unternehmensgeschichte kann auf unterschiedliche Art und Weise tradiert und visualisiert werden. Zum einen durch mündliche Tradierung, beispielsweise

21 22

Martin, Joanne/Siehl, Caren: Organizational Culture and Counterculture – An uneasy symbiosis, in: Organizational Dynamics, Autumn 1983, Jg. 12, 2, S. 52-64, S. 53. Vgl. Schug, A.: History Marketing, S. 16f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

in Geschichten, die im Unternehmen von der Belegschaft erzählt werden. Hierzu zählen insbesondere auch Mythen und Legenden, die mit der historischen Wirklichkeit kaum etwas gemein haben bzw. nicht mehr überprüfbar sind. Diese finden sich aber auch in der schriftlichen Tradierung wieder, wobei professionell angefertigte Geschichtsschreibungen Wert darauf legen, auf den fiktiven Gehalt dieser Mythen hinzuweisen. Die schriftliche Tradierung ist die häufigste Form der Visualisierung von Unternehmensgeschichte. Sie existiert in Formen unterschiedlichster Publikationen anlässlich von Jubiläen, innerhalb von Werbekatalogen, in denen ein Unternehmen sich und seine Produkte vorstellt, oder als Extra-Sparte innerhalb des Internetauftritts eines Unternehmens23 . Das Internet bietet zudem eine weitere Vermischung der Visualisierungsformen von Unternehmensgeschichte an. Die audiovisuelle Tradierung in Form von kleinen Informationsfilmen kann ebenso genutzt werden wie eine digital animierte Form der schriftlichen und bildlichen Darstellung der Vergangenheit.

3.2.2

Unternehmensgeschichte in der Geschichtsforschung

In der Geschichtsforschung ist die Unternehmensgeschichte in zwei zentralen Forschungsbereichen vertreten: Im Bereich der akademischen Geschichte und im Bereich der angewandten Geschichte. Gemein ist beiden, dass sich in ihnen um die wissenschaftlichen Ansprüche in der Forschung und den Ergebnissen bemüht wird. Zudem gibt es durch die Akteure, die aus diesem oder jenem Forschungsbereich stammen und die im jeweils anderen Bereich agieren, Überlagerungen zwischen beiden Bereichen. Sie unterscheiden sich allerdings in ihren Paradigmen und ihrer pragmatischen Umsetzung. Zur akademischen Unternehmensgeschichte Als wissenschaftliche Disziplin entwickelte sich die Unternehmensgeschichte durch die Etablierung der Selbstdarstellung von Unternehmen seit dem 19. Jahrhundert sowie der historischen Schule der Nationalökonomie.24 Die moderne deutsche akademische Unternehmensgeschichte geht hervor aus der amerikanischen Business History und der deutschen Unternehmerbiografie und Firmengeschichte.25 Das Themenspektrum ist breit gefächert, wobei es

23

24 25

U.a. die Internetauftritte der Merckgroup in Darmstadt (https://www.merckgroup.com/de/ company/who-we-are/history.html, 27.04.2020, 11:03), der HypoVereinsbank in München (ht tp://geschichte.hypovereinsbank.de/de/, 27.04.2020, 11:03), und Volkswagen in Wolfsburg (h ttps://www.volkswagenag.com/de/group/history.html#, 27.04.2020, 11:05). Vgl. Berghoff, H.: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 359. Vgl. Pierenkemper, T.: Unternehmensgeschichte – Perspektiven und Analyseansätze, S. 15. Einen zentralen Beitrag für die Entwicklung dieser Strömung nach 1945 leistete Fritz Redlich

3. Teilstudie 1

kontroverse Meinungen darüber gibt, was die Aufgabe einer akademischen Unternehmensgeschichte sei. Triebel und Seidl geben im Rahmen der Erstellung eines allgemeingültigen Analyserahmens für das Fach Unternehmensgeschichte einen strukturierten Überblick und machen darin drei zentrale Ansätze in der akademischen Unternehmensgeschichte aus:26 (a) Den wirtschaftsgeschichtlichen Ansatz, (b) den Ansatz der New Institutional Economics (NIE) in Erweiterung durch Douglass C. Norths Theorie des institutionellen Wandels und (c) den sozialhistorischen Ansatz. Schließlich weisen sie auch auf die allgemeinhistorischen Arbeiten im Feld der Unternehmensgeschichte hin.27 Einer der bekanntesten Vertreter des (a) wirtschaftsgeschichtlichen Ansatzes ist Toni Pierenkemper, für den die Kernaufgabe der Unternehmensgeschichte in der Analyse der inneren ökonomischen Logik unternehmerischen Handelns besteht.28 Themen, die den Zusammenhang von Politik, Kultur und Sozialem durch die Erforschung von Unternehmensgeschichte herausstellen, seien nur dann eine Errungenschaft, wenn sie auf Kenntnisse des ökonomischen Handelns basierten:29 »Die Hauptaufgabe der modernen Unternehmensgeschichte besteht nun darin, mit den Methoden der Ökonomik den inneren Handlungszusammenhang des Unternehmers im Unternehmen selbst zu untersuchen, den Unternehmer als Unternehmer endlich ernst zu nehmen und nicht in erster, sondern erst in zweiter Linie sein Handeln in anderen gesellschaftlichen Subsystemen zu untersuchen.«30 Der Ansatz der (b) New Institutional Economics fokussiert die Transaktionen von Eigentumsrechten zwischen den Wirtschaftssubjekten im Unternehmen und auf dem Markt.31 Douglass C. North erweiterte diesen Ansatz durch die Theorie des institutionellen Wandels. Die Theorie geht im Kern von der Beeinflussung der wirtschaftlichen Entwicklung durch Institutionen aus. Darunter sind vom Menschen geschaffene Einschränkungen in Form von informellen Beschränkungen und formalen Regeln zu verstehen.32 Für die Unternehmensgeschichte bedeutet dies laut

26 27 28 29

30 31 32

mit der Gründung der Zeitschrift »Tradition« (1954), später Zeitschrift für Unternehmensgeschichte (1976). Triebel, Florian/Seidl, Jürgen: Ein Analyserahmen für das Fach Unternehmensgeschichte, ZUG 1/2001, S. 11-26. Vgl. ebd., S. 12-15. Vgl. Pierenkemper, T., ZUG 1/1999, S. 21. Vgl. Pierenkemper, T.: Sechs Thesen zum gegenwärtigen Stand der deutschen Unternehmensgeschichts-schreibung. Eine Entgegnung auf Manfred Pohl, ZUG 2/2000, S. 158-166, S. 162. Pierenkemper, T., ZUG 1/1999, S. 21. Vgl. Nieberding, Anne/Wischermann, Clemens: Unternehmensgeschichte im institutionellen Paradigma, ZUG 1/1998, S. 35-48, S. 37. Vgl. North, Douglass C.: Institutions, Journal of Economic Perspectives 1/1991, S. 97-112, S. 97.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

North, das ökonomische Handeln von Unternehmen in den Wandel von Institutionen einzubetten: »history in consequence is largely a story of institutional evolution in which the historical performance of economies can only be understood as part of a sequential story.«33 Das Unternehmen als (c) soziokulturelles Handlungsfeld wird vom sozialgeschichtlichen Ansatz her untersucht. Im Fokus stehen Interessengruppen und Konfliktaustragungen in Bezug auf regionale oder milieuspezifische Kontexte.34 Die vielfältigen Ansätze sehen Triebel und Seidl in der Komplexität von Unternehmen begründet: »Unternehmen bilden in sich eigene »Gesellschaften« oder »Systeme«, die jedoch die Vielzahl von Aspekten der Gesamtgesellschaft in sich abbilden.«35 Bereits mit der Gründung des Arbeitskreises für kritische Unternehmensund Firmengeschichte 1989 manifestierte sich der Paradigmenwechsel zu einer interdisziplinär und kritisch angelegten Unternehmensgeschichtsschreibung. Auch Manfred Pohl spricht sich für eine weiter gefasste Definition von Unternehmensgeschichte aus. Für ihn ist die klare Trennung von ökonomischem Handeln und den Verschränkungen von Politik, Kultur und Gesellschaft, wie Pierenkemper sie fordert, praktisch nicht möglich:36 »Unternehmensgeschichte muss sich um die Darstellung übergreifender Zusammenhänge bemühen, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, als Unternehmer, Manager, Arbeiter und Angestellter, decision-maker, Mäzen, Bürger oder gar Politiker.«37 Dagegen vertritt Pierenkemper außerdem die Meinung, die Forscher sollten sich lediglich mit dem Erlangen von Erkenntnis befassen und diese dem Fachpublikum zugänglich machen. Alle Informationsbedürfnisse der verschiedenen Interessengruppen aufzubereiten, überfordere die wissenschaftliche Unternehmensgeschichtsschreibung. Das Aufbereiten der Ergebnisse für ein breiteres Publikum solle daher Pressestellen, Forschungsinstituten o.ä. überlassen werden.38 Damit ist Pierenkemper auch ein Vertreter der klaren Trennung von akademischer und angewandter Unternehmensgeschichte. In einer Entgegnung auf Pierenkempers Ansichten weist Pohl darauf hin, dass die außer-universitäre Unternehmensgeschichtsschreibung nicht automatisch unwissenschaftlich sei:

33 34 35 36 37 38

Ebd. Siehe u.a. Berghoff, H.: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 147-184. Triebel, F./Seidl, J., ZUG 1/2001, S. 15. Vgl. Pohl, M., ZUG 1/2000, S. 153f. Ebd., S. 154. Vgl. Pierenkemper, T., ZUG 1/1999, S. 25.

3. Teilstudie 1

»Es zeigt sich, Mitarbeiter wie Kunden, aber auch Außenstehende sind an der Geschichte dieses und/oder ihres Unternehmens sehr interessiert, sofern sie wissenschaftlich qualifiziert, verständlich und gut lesbar dargeboten wird.«39 Die neuesten Entwicklungen scheinen Pohls Äußerungen zu bestätigen. Zeigen diese doch, dass in der angewandten Unternehmensgeschichtsschreibung das Bewusstsein für den wissenschaftlichen Umgang mit Informationen fest etabliert ist. So weist zum Beispiel Andreas Schug in seinem Ratgeber zum History Marketing explizit auf die Unabdingbarkeit wissenschaftlicher Maßstäbe hin, ohne die das Betreiben einer ernstzunehmenden Unternehmensgeschichte nicht möglich sei.40 Zur angewandten Unternehmensgeschichte Schug richtet sich in seinem genannten Ratgeber sowohl an Unternehmen, die ihre Geschichte für sich nutzen möchten, als auch an Historiker, die das History Marketing als neues Arbeitsfeld nutzen möchten. Immer wieder wird in dem Buch die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Aufbereitung der Informationen hervorgehoben, sodass es scheint, auf dem Feld des History Marketing müsste der Legitimationsanspruch gegenüber der akademischen Unternehmensgeschichte besonders vehement verteidigt werden. Mit Blick auf die im vorigen Kapitel geschilderte Kontroverse über die Aufgaben und den Adressatenkreis der wissenschaftlichen Unternehmensgeschichtsschreibung ist dies jedoch nicht verwunderlich. Roman Köster fasst das Dilemma des Verhältnisses zwischen akademischer und auftragsgebundener Unternehmensgeschichte treffend als »verdächtig« und »unvermeidlich« zusammen: »Verdächtig, weil man nicht immer wissen kann, in welchem Maß eventuell Einfluss genommen wurde, ob etwas absichtlich verschwiegen oder geschönt wurde. Unvermeidlich, weil angesichts chronisch unterfinanzierter Universitäten viele Wissenschaftler ohne Dauerstellen auf sie angewiesen sind.«41 Die angewandte Unternehmensgeschichte, die als Dienstleistung auf einem Markt bestehen muss, unterliegt logischer Weise anderen Voraussetzungen als denjenigen der akademischen Forschung. Das bedeutet nicht, dass sie dem wissenschaftlichen Anspruch nicht genügen könnte. Gerade weil sie dem Verdacht der Einflussnahme durch die Auftraggeber ausgeliefert ist, so Köster, seien die Autorinnen und Autoren im Feld der angewandten Geschichte darauf bedacht, ihre Integrität durch Verträge abzusichern, die entscheidende Elemente der wissenschaftlichen Praxis zusichern: »[…] keine Einflussnahme, Zugang zu allen Quellen, Öffnung der Quellen für die Öffentlichkeit und damit Überprüfbarkeit der Ergebnisse durch die 39 40 41

Pohl, M., ZUG 1/2000, S. 163. Vgl. Schug, A.: History Marketing, S. 25. Köster, R., GWU 66/2015, S. 150.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

scientific community nach Beendigung der Arbeit.«42 Diese Absicherung bedeutet eine Visualisierung, quasi ein schriftlicher Nachweis, dass man die wissenschaftlichen Standards einhält. Ein Nachweis, der bei akademischen Unternehmensgeschichtsschreibungen nicht verlangt wird. Im Übrigen handelt es sich um Standards, die selbst Verfasser akademischer Schriften nicht immer garantieren können. Dafür sind die Forderungen viel zu unspezifisch und vom jeweiligen Einzelfall abhängig, als dass man eine pauschalisierende Bewertung zwischen wissenschaftlich und unwissenschaftlich vornehmen könnte.43 Dass aber gerade die Unternehmensgeschichte sowohl akademischer als auch angewandter Art besonders sensibel für das Thema der unabhängigen Forschung ist, liegt wohl an der Pauschalisierungen herausfordernden Redewendung »Der Kunde ist König«. Da die in dieser Redewendung implizierte Handlungsmaxime vor allem im Bereich der Dienstleistungen vorherrscht, ist es nicht verwunderlich, dass die Geschichtsforschung in diesem Feld besonders vorsichtig sein muss. Sie muss dies aus zweierlei Gründen: Erstens, weil das Feld der Unternehmen, in dem ihr Untersuchungsgegenstand liegt, dasjenige ist, auf dem diese Handlungsmaxime legitim praktiziert wird. Zweitens, weil die Wirtschaftsunternehmen von positiver Akkumulation profitieren, weshalb sie durch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit möglichst viele positive Informationen transportieren können. Es scheint daher nahe zu liegen, diese Handlungspraxis auch bei der Erforschung einer Unternehmensgeschichte zu unterstellen, eben weil die Forscher immer in direkter oder relativer Abhängigkeit zu den Unternehmen stehen, seien es nun Auftragsarbeiten oder nicht. Ralf Stremmel spricht gar von einem »Generalverdacht«, unter den die unternehmensgeschichtliche Forschung gestellt werde, vor allem wenn sie von der Wirtschaft mitfinanziert werde.44 Gegen diesen Generalverdacht wenden sich sowohl der Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Firmengeschichte (AKKU) als auch die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG). Sie beabsichtigen eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Unternehmen darzustellen, indem sie Historiker und Unternehmer zusammenbringen, sodass beide Seiten ihre je spezifischen Bedürfnisse als auch ihre Kompetenzen und Angebote austauschen können. Dabei werden stets die Wahrung der wissenschaftlichen Standards und die kritische Reflexion gegenüber der Geschichte in den Fokus gestellt. Zugleich muss auf die Bedingungen der Unternehmen eingegangen werden – wie gut ist die Quellenlage? Wie viel Geld kann ein Unternehmen in seine Geschichtsschreibung investieren? Und 42 43 44

Köster, R., GWU 66/2015, S. 149. Ab wann sprechen wir z.B. von Einflussnahme? Wie kann überprüft werden, ob wirklich alle Quellen zugänglich waren? Etc. Vgl. Stremmel, Ralf: Richard Ehrenberg als Pionier der Unternehmensgeschichtsschreibung, oder: Wie unabhängig kann Unternehmensgeschichte sein?, in: Buchsteiner/Viereck: »Ich stehe in der Wissenschaft allein« – Richard Ehrenberg (1857-1921), (2008), S. 143.

3. Teilstudie 1

wie kann die Geschichte dem Unternehmen nutzen, gerade indem sie kritisch aufgearbeitet wird? Trotz aller Bemühungen um fachliche Korrektheit bleibt aber stets die relative Abhängigkeit der Historiker zu den Unternehmen bestehen. Diese ist manchmal stärker oder schwächer ausgeprägt – je nachdem, wie stark die Historiker von der Arbeit selbst abhängig sind, um ihren Lebensunterhalt daraus zu finanzieren. Es wäre aber ein vorschneller Schluss, wenn man aufgrund einer stärkeren Abhängigkeit automatisch eine damit verbundene wachsende Vernachlässigung des professionellen Handelns sähe. Dies würde bedeuten, dass Historiker ihre Profession in dem Maße aufgäben, in dem sie ihr Handeln an finanzielle Notwendigkeiten binden (müssen). Ihre Profession ist aber nichts, was man einfach aufgeben könnte. Sie ist mehr als ›ein paar Handgriffe‹, mehr als zu wissen, wo man Quellen findet, wie man sie kritisch liest und einordnet etc. Die Profession beinhaltet ein Selbstverständnis derjenigen Gruppen, die sie ausüben. Sie beinhaltet Werte, an die diese Gruppe glaubt und die von allen Mitgliedern allgemein anerkannt und akzeptiert sind. Der professionellen Geschichtsforschung geht es um eine möglichst genaue Rekonstruktion der Vergangenheit.45 Das meint nicht Rankes »wie es wirklich gewesen«, sondern es meint »warum es gewesen, wie es gewesen«. Es meint, das Handeln der Menschen im jeweiligen Kontext zu verstehen – und nicht allein nach heutigen Maßstäben zu betrachten. Es geht darum, Hintergründe zu rekonstruieren und sie nachvollziehbar mit dem zu erforschenden menschlichen Handeln zu verbinden. Eine vernünftige Antwort auf das »Warum« kann nur schwer gegeben werden, wenn Dinge willkürlich und unkommentiert nicht miteinbezogen werden. Geschieht dies, sind die intersubjektive Nachvollziehbarkeit und die fachliche Kontrolle nicht mehr möglich. Dabei hängen beide nicht allein von den Quellennachweisen ab, obwohl diese natürlich die Überprüfbarkeit um einiges erleichtern und daher zurecht in wissenschaftlichen Publikationen zum Standard gehören. Das gleiche gilt auch für eine theoretische Fundierung. Aber die Nachvollziehbarkeit und die Überprüfbarkeit müssen auch anderweitig gewährleistet werden, vor allem dann, wenn eine Geschichtsschreibung auf die jeweiligen Bedingungen eines Unternehmens eingehen muss. In diesem Zusammenhang sieht Köster die weniger methodisch reflektierten Auftragsarbeiten auf dem Feld der angewandten Geschichte als unvermeidlich an. Als weiteres Risiko nennt er die Deckungsungleichheit einer analytischen Untersuchung mit den Erinnerungen der Beteiligten.46 Günther Metz beschreibt dieses Problem als Bruch mit der homo-

45

46

Natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe, wie bspw. Gregor Schöllgen, dessen Zentrum für Angewandte Geschichte in Erlangen aufgrund seiner vielen nicht fundierten Wertungen als »Apologetik-Agentur« bezeichnet wurde, vgl. Rauh, C., ZUG, 56/2011, S. 8f. Vgl. Köster, R., GWU, 66/2015, S. 149.

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genen Erinnerungsgemeinschaft, die, »vergisst, was stört«.47 Eine kritische Geschichtswissenschaft muss hier mit Reflexion dieser Erinnerung entgegentreten. Aber das fällt nicht leicht, wenn der Auftraggeber nicht einverstanden ist. So kam es in der Vergangenheit zu Kontroversen zwischen Historikern und Unternehmen, die eine kritische Reflexion nicht akzeptierten, wie im zu Anfang benannten Beispiel der Unternehmensgeschichte von Lufthansa, die die Veröffentlichung des beauftragten Gutachtens von Lutz Budrass 1999 versagte. Diese Kontroversen stellen aber zugleich auch ein Indiz dafür dar, wie stark die Profession in die Persönlichkeit der Historiker integriert sein kann.

3.2.3

Warum ist Glaubwürdigkeit für Unternehmenskultur und für Geschichtsschreibung notwendig?

Die Unternehmensgeschichtsschreibung ist nichts, was spezifisch nur von Historikern betrieben wurde und wird. Nüchtern betrachtet, ist alles Unternehmensgeschichtsschreibung, was eine schriftliche Tradierung der Geschichte eines Unternehmens ist. Wie oben dargestellt, hat die Unternehmensgeschichte in der Unternehmenskultur und in der Geschichtsforschung je unterschiedliche Definitionen, die sich aber nicht gegenseitig ausschließen. So nimmt die Unternehmensgeschichte in der Literatur aus der Managementund Organisationsforschung eher eine Rolle außerhalb des reinen ökonomischen Handelns ihrer Akteure ein. Sie umfasst die drei Ebenen Artefakte, Werte und grundlegende Überzeugungen. In der Unternehmenskultur hat Geschichtsschreibung vor allem die funktionale Bedeutung, das kulturelle Wissen eines Unternehmens zu transportieren und für die jeweiligen Zeitgenossen sichtbar zu machen. In der Geschichtsforschung dagegen ist die Unternehmensgeschichte alles vergangene menschliche Handeln in einem Unternehmen – sei es nun ökonomisches, politisches, kulturelles oder soziales Handeln. Ihre funktionale Bedeutung besteht nicht nur in einer kulturellen Funktion. Das liegt an den unterschiedlichen Perspektiven, aus denen heraus die Unternehmensgeschichte betrachtet wird. Während die Unternehmenskultur die Geschichte nur innerhalb eines Unternehmens mit den jeweiligen Artefakten, Werten und grundlegenden Überzeugungen verortet, geht die Geschichtsforschung darüber hinaus und bettet diese Dinge in ihren jeweiligen historischen Kontext ein. Die Unternehmenskultur nutzt die Geschichte, um das kulturelle Wissen weiterzugeben und so eine Identifikation mit dem Unternehmen zu ermöglichen. Die Geschichtsforschung möchte Erkenntnisse über das historische Handeln erlangen und es vor diesem Hintergrund verstehen.

47

Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 14.

3. Teilstudie 1

Die schriftliche Tradierung von Geschichte in der Unternehmenskultur zielt besonders auf die kulturelle Funktion von Geschichte, also auf die Weitergabe kulturellen Wissens. Diese Tradierung meint vor allem lineare Darstellungen, die rein narrativer Art sind und in erster Linie einen »wie es gewesen«-Geist transportieren. Weder der Distanzierungs- noch der Reflexionsgrad ist besonders hoch, da das Ziel die Identifikation mit dem in den Geschichten tradierten kulturellen Wissen ist. Dagegen ist es die Aufgabe der professionellen Geschichtsschreibung vergangene Prozesse und Ereignisse mit Bezug auf den historischen Kontext zu erklären, was einen entsprechenden Distanzierungs- und Reflexionsgrad voraussetzt. Vor diesem Hintergrund ist das Wort »Tradierung« nicht mehr die richtige Bezeichnung für die Geschichtsschreibung der professionellen Unternehmensgeschichte. Denn hier wird Geschichte nicht mehr nur tradiert, sondern sie wird analysiert und erklärt, wobei mit der Tradition einer bestimmten Geschichtsversion gebrochen wird. Dies ist der Punkt, an dem Unternehmenskultur und Geschichtsforschung aufeinandertreffen. Statt nämlich die Unternehmensgeschichte nur zur Tradierung des kulturellen Wissens zu nutzen, untersucht die Geschichtsforschung dieses Wissen, hinterfragt es und kann seinen Wandel sichtbar machen und erklären. Um diese Erkenntnisse zu gewinnen, ist die Geschichtsforschung aber auf die Wissensbestände der Unternehmenskultur als Ressource angewiesen. Den gegenseitigen Nutzen haben sowohl die Geschichtsforscher als auch die Unternehmer erkannt. Mit einem distanziert-kritischen Blick kann die Entwicklung in einem Unternehmen greifbar und erklärbar gemacht werden und über Vergleiche mit anderen Unternehmensgeschichten zu weiteren Erkenntnisfortschritten beitragen. Zudem können die grundlegenden Überzeugungen im Unternehmen unterstützt und gestärkt werden. Der professionelle Umgang mit der eigenen Geschichte kann auch als ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung des Wertes »Verantwortung« in einem Unternehmen verstanden werden. Diese Verantwortung aber ist geteilt, sie liegt auf beiden Seiten der Beteiligten. Dieser sind sie sich bewusst. Davon zeugt auch der Trend der GUG und des AKKU. Gegenüber den Mitarbeitern, Kunden und auch der interessierten Öffentlichkeit bedeutet der verantwortungsvolle Umgang mit der eigenen Geschichte für Unternehmen wiederum eine positive Assoziation. Für Historiker steht der verantwortungsvolle Umgang mit der Geschichte gegenüber Fachkollegen und Auftraggebern für die Legitimation der eigenen Arbeit. Der verantwortungsvolle Umgang bewirkt somit bei beiden Gruppen Akzeptanz im jeweiligen sozialen Feld.   Nun ist es so, dass Historiker, wollen sie das Vertrauen von Kollegen und Auftraggebern gewinnen, sich an die anerkannten und akzeptierten sozialen Dispositionen ihrer Profession halten müssen. Sie müssen dies, weil sie andernfalls nicht

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84

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

am Diskurs teilhaben können. Werden sie nicht akzeptiert – sowohl im Feld der Wissenschaft als auch der Unternehmen – haben sie keine Chance, ihren Begehren entsprechend auf die Machtverhältnisse einzuwirken.48 Als Beispiel für diese Nicht-Akzeptanz kann die Debatte um die Arbeit des Zentrums für angewandte Geschichte (ZAG) an der Universität Erlangen unter ihrem Leiter Prof. Dr. Gregor Schöllgen gelten. Die apologetischen Narrative, die in den Geschichtsschreibungen über Schickedanz, Schöller, Brose und Diehl bezüglich deren Verwicklungen in den Nationalsozialismus zu finden sind, stehen entgegen dem kritisch-distanzierten Paradigma der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft.49 Hinzu kommt der »Verzicht auf wissenschaftliche Belegtechniken«, wie Tim Schanetzky kritisiert, was somit gegen die »wissenschaftlichen Standards der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit« verstößt.50 In dieser Debatte um das ZAG, das 2017 seine Arbeit aufgrund des Ruhestands Schöllgens einstellte, bestand das Kernproblem nicht darin, dass die Arbeiten nicht wissenschaftlichen Standards folgten, sondern darin, dass Schöllgen sie als universitäre Forschung ausgab und sie auch formal nicht klar davon distanzierte.51 Er beanspruchte somit die Legitimation der Akteure des sozialen Feldes der Geschichtswissenschaft für ein Handeln, das klar gegen die Praktiken dieses Feldes verstieß. Hier stießen marktwirtschaftliche und wissenschaftliche Maxime unvereinbar aufeinander und Schöllgen wurde von Akteuren aus dem Feld der Geschichtswissenschaft scharf kritisiert und diskreditiert.52 Unternehmer aber, wenn sie das Vertrauen der Mitarbeiter, Kunden und der interessierten Öffentlichkeit erhalten wollen, müssen dafür nicht zwingend den Ansprüchen einer professionellen Geschichtsschreibung entsprechen. Eine vertrauenerweckende Geschichtsschreibung ist nicht automatisch gleichzusetzen mit einer kritisch-reflektierten Geschichtsanalyse. Halten wir fest: Die Geschichte eines Unternehmens ist sowohl im Kontext der Unternehmenskultur als auch im Kontext Geschichtsforschung stets als glaubwürdig zu legitimieren. In beiden Bereichen muss das Vertrauen der Rezipienten gewonnen werden, um sie zu überzeugen, die Erzählung als ›wahr‹ zu lesen und sich

48 49

50 51

52

Vgl. Kap. 1.4. Vgl. (1) Schöllgen, Gregor: Gustav Schickedanz. Biographie eines Revolutionärs 1895-1977, Berlin 2010; (2) Ders.: Der Eiskönig. Theo Schöller, ein deutscher Unternehmer 1917-2004, München 2008; (3) Ders.: Brose. Ein deutsches Familienunternehmen 1908-2008, Berlin 2008; (4) Ders.: Diehl. Ein Familienunternehmen in Deutschland 1902-2002, Berlin 2002. Zur Kritik vgl.: (1) Rauh, C., ZUG, 56/2011, S. 8f.; (2) Schanetzky, Tim: Die Mitläuferfabrik. Erlanger Zugänge zur »modernen Unternehmensgeschichte«, in: AKKU, 31/2011, S. 3-10, S. 5. Schanetzky, T., AKKU, 31/2011, S. 4f. Das ZAG wurde deutlich als Einrichtung der Universität Erlangen etikettiert, die Finanzierung erfolgte aber hauptsächlich aus der Privatwirtschaft. Vgl. Balzter, Sebastian: Im Archiv der Kapitalisten, FAZ, 25.09.2015. Vgl. Rauh, C., ZUG, 56/2011, S. 3-10.

3. Teilstudie 1

so auf den Pakt zwischen Autor und Leser, wie Epple ihn beschrieben hat, einzulassen.53 Es sind somit die Erwartungen der Rezipienten, die von der jeweiligen Geschichtsschreibung erfüllt werden müssen. Dies ist durch die unterschiedlichen sozialen Praktiken innerhalb der drei Parameter möglich, mit denen in Geschichtsschreibungen der Anspruch auf Glaubwürdigkeit generiert und legitimiert werden kann. Man kann auch sagen: Die Rezipienten erwarten, dass eine Geschichtsschreibung den ihr zugedachten Zweck erfüllt, den die Rezipienten mit ihr verbinden. Das können einerseits neue Erkenntnisse über die Vergangenheit sein, Informationen über historisches Wissen oder auch die Überzeugung von der Qualität eines Unternehmens durch die Darstellung seiner Geschichte. Um dies zu erreichen, muss sie zugleich nachvollziehbar und authentisch sein. Je nach pragmatischer Ausrichtung, ist die Art, wie Nachvollziehbarkeit und Authentizität erreicht werden, verschieden. Anhand von jeweils drei Fallbeispielen von konkreten Geschichtsschreibungen zweier Unternehmen soll im Folgenden dargestellt werden, wie die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit in Unternehmensgeschichtsschreibungen mit unterschiedlichen pragmatischen Ausrichtungen hergestellt wird.

3.3

Fallbeispiele

Fallauswahl Die vorliegenden Fallbeispiele basieren auf deutschen Unternehmensgeschichtsschreibungen und können insgesamt dem Feld der angewandten Geschichte beziehungsweise als diesem Feld nahestehend eingeordnet werden. Eine Ausnahme bildet eine Geschichtsschreibung von Lothar Gall über das Unternehmen Krupp,54 welche dem Feld der akademischen Unternehmensgeschichte zugeordnet werden kann. Wie oben beschrieben, ist es gerade dieses Feld der Geschichtsschreibung, das immer wieder ins Zentrum der Debatten über Glaubwürdigkeits- und Legitimationsanspruch gegenüber der universitären Geschichtsschreibung rückt. Dies liegt daran, dass es in diesem Feld nicht die klar definierten Standards gibt, die eine akademische Geschichtsschreibung als glaubwürdig legitimieren sollen. Legt man die Messlatte für Glaubwürdigkeit akademischer Geschichtsschreibungen an die Geschichtsschreibungen auf dem Feld der angewandten Geschichtsschreibung, so ist ein ungleiches Ergebnis zu Ungunsten der letzteren unvermeidbar. Die Untersuchung eines ausgewählten Korpus aus der angewandten Geschichtsschreibung bietet die heterogenen Voraussetzungen, die es ermöglichen, die verschiedenen 53 54

Vgl. Epple, A., L’Homme, Jg. 15, 1/2004, S. 89f., siehe Kap. 1.1. Vgl. Gall, Lothar: Krupp. Der Aufstieg eines Industrieimperiums, Berlin 2000.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Mechanismen der Glaubwürdigkeit jenseits von universitären Standards zu extrahieren. Als Untersuchungsgegenstände wurden Geschichtsschreibungen der Obernkirchener Sandstein GmbH und des Essener Stahlproduzenten Krupp ausgewählt. An den folgenden hier untersuchten Geschichtsschreibungen der Obernkirchener Sandstein GmbH war kein professioneller Historiker beteiligt beziehungsweise lässt sich eine solche Beteiligung bisher nicht nachweisen. So liegt eine Geschichtsschreibung vor, bei der vermutet werden kann, dass sie ohne Rücksicht auf die sozialen Praktiken im Feld der Geschichtswissenschaft geschrieben wurde. Außerdem handelt es sich bei den betrachteten Medien, die aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Jahr 1938 und den Jahren 2016/17 stammen, um drei zeitlich klar voneinander abzugrenzende Geschichtsdarstellungen. Dies erlaubt aufgrund der gleichbleibenden Form einer nicht-professionellen Geschichtsschreibung für Unternehmenskultur einen Wandel entsprechend Foucaults Diskurs-Theorie aufzuzeigen, nach der die Glaubwürdigkeit von den wechselnden Gegebenheiten der jeweiligen Zeit und dem Ort abhängt. Somit ist es ebenfalls möglich, besonders gut die Bedeutung des historischen und des soziokulturellen Hintergrunds für die Legitimation von Glaubwürdigkeitsansprüchen zu untersuchen. Das Unternehmen Krupp zeichnet sich in der breiten Öffentlichkeit durch die intensive Beschäftigung mit seiner Geschichte aus. Was Geschichtsschreibungen betrifft, liegt ein breites Spektrum von wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen vor. Untersucht werden drei Publikationen aus den Jahren 2000, 2005 und 2011, die je eine chronologische Darstellung der Geschichte des Unternehmens geben, wobei der inhaltliche Fokus bei allen ein wenig unterschiedlich ist. So behandelt die Publikation von Ralf Stremmel die Geschichte des Historischen Archivs Krupp. Das Krupp-Archiv – bis zu seiner Übernahme durch die 1968 gegründete Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Eigentum des Unternehmens – ist untrennbar mit der Geschichte des Unternehmens verbunden.55 Es handelt sich bei dieser Publikation um eine Mischform aus akademischer und populärwissenschaftlicher Geschichtsschreibung. An ihr ist die soziale Dimension der Glaubwürdigkeitsvermittlung aufgrund der Heterogenität der Rezipienten aus verschiedenen sozialen Feldern besonders gut zu untersuchen. Die anderen beiden Publikationen sind eine der akademischen Geschichtsschreibung zuzuordnende Monografie von Lothar Gall56 sowie ein populärwissenschaftliches Werk von Frank Stenglein57 . Mit diesen drei Werken

55 56 57

Vgl. Stremmel, Ralf: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp. Entwicklungen, Aufgaben, Bestände, Berlin 2005. Vgl. Gall, Lothar: Krupp. Der Aufstieg eines Industrieimperiums, Berlin 2000. Vgl. Stenglein, Frank: Krupp. Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens, Essen 2011².

3. Teilstudie 1

ist eine diachrone Betrachtung der Legitimation auf Glaubwürdigkeitsansprüche möglich.

3.3.1

Fallbeispiel 1: Obernkirchener Sandstein (1913-2017)

Chronologischer Abriss zur Unternehmensgeschichte Das heutige Unternehmen Obernkirchener Sandstein GmbH ging hervor aus der seit dem Mittelalter nachweisbaren Steinhauerzunft im Gebiet der Bückeberge östlich der Weser im heutigen Niedersachsen. Bis 1872 waren die Verpachtung und Nutzung der Steinbrüche herrschaftliches Regal.58 Die Steinkuhlen wechselten im Lauf der Jahrhunderte aufgrund territorialer Verschiebungen die Eigentümer. Obwohl die Brüche wohl schon längere Zeit zuvor in Betrieb waren, können die Grafen zu Holstein-Schaumburg nachweisbar seit dem 15. Jahrhundert als Eigentümer der Kuhlen benannt werden.59 Nach dem Tod Ottos von Holstein-Schaumburg im Jahr 1647 fielen die Sandsteinbrüche an den Landgrafen von Hessen-Kassel. 1866 wurde Hessen-Kassel im Zuge der Preußisch-Österreichischen Auseinandersetzungen von Preußen annektiert. Die Grundeigentümer hatten nun durch das »Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten« wieder das Verfügungsrecht über die Sandsteinbrüche. Private Unternehmer durften aber weiterhin auf fiskalischem Grund Steine gewinnen und schließlich wurde es den Steinbruchbesitzern ermöglicht, den Pachtzins abzulösen und die Brüche als freies Eigentum zu erwerben. 1872 wurde unter dem Zusammenschluss der neuen Eigentümer eine Kapitalgesellschaft gegründet, die »Actiengesellschaft der vereinigten Obernkirchener Sandsteinbrüche«. 1875 erwarb die Bremer Baugesellschaft alle Aktien des Unternehmens, 1879 verkaufte sie diese an die Deutsche Nationalbank in Bremen, die 1871 gegründet worden war.60 1903 wurde schließlich die Firma Obernkirchener Sandsteinbrüche GmbH gegründet. Der Firmensitz lag nun in Bremen, Geschäftsführer waren der Obernkirchener Kaufmann Johann Friedrich Wilhelm Krone und der Prokurist der Deutschen Nationalbank, Hermann Hinrich Wilkens. 1909 entstand in Bremen die »Aktiengesellschaft Obernkirchener Sandsteinbrüche« und 1922 wurde der Firmensitz nach Obernkirchen verlegt.61 Durch die Übernahme der Deutschen Nationalbank von der Dresdner Bank 1932 ging die Firma in deren Besitz über.62 1938 erwarb Paul Ebeling aus Hannover die Firma und führte sie als Kommanditgesellschaft weiter. Sein Enkel führte sie in Form einer GmbH 58 59 60 61 62

Vgl. Krumsiek, Rolf: Das Schaumburgische Bergrecht, Rinteln 1963, S. 19. Vgl. Poestges, Dieter: Die Geschichte der Obernkirchener Sandsteinbrüche, in: Bremisches Jahrbuch, Bd. 60/61, 1982/83, S. 95-116, S. 96. Vgl. Poestges, D., Bremisches Jahrbuch, Bd. 60/61, 1982/83, S. 95-116, hier: S. 100-109. Vgl. ebd., S. 113. Vgl. Harnack, Ina: Der Bremer Stein – Ein Stein macht Geschichte. Begleitheft zur Sonderausstellung vom 5.2. bis 2.4.1989, Übersee-Museum Bremen, Bremen 1989, S. 10.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

fort.63 2015 meldete das Unternehmen Insolvenz an und im Frühjahr 2016 übernahm die Wesling-Gruppe die Steinbrüche. Unter dem Namen Wesling Obernkirchener Sandstein GmbH & Co. KG baut das Unternehmen weiterhin Steine in den Brüchen ab, verarbeitet sie zu Halbfertigware und plastischen Formen und führt zudem Restaurations- und Sanierungsarbeiten durch. Das Untersuchungskorpus Die Geschichte des Unternehmens wird in den vom Unternehmen selbst verfassten Texten stets mit der Geschichte des von ihm verarbeiteten Produktes, dem Obernkirchener Sandstein, verbunden. Eine klassische rein historiografische Publikation vom Unternehmen als Urheber existiert nicht. Dagegen lassen sich aber drei mediale Formen betrachten, in denen das Produkt im Fokus steht und die Firmengeschichte in dessen Präsentation eingebettet wird. Dabei handelt es sich um zwei Kataloge und die Internetseite des Unternehmens Obernkirchener Sandstein GmbH/Wesling Obernkirchener Sandstein. Der erste Katalog »Obernkirchener Steinbrüche A.G. Steinbruchbetrieb, Dampfsägerei und Dreherei, Bild- und Steinhauereien. Obernkirchen (Grafschaft Schaumburg) und Nienstädt (Schaumburg-Lippe)«64 wurde in Bremen verlegt und stammt aus dem Zeitraum zwischen 1913 und 1922, genauer lässt sich dies nicht datieren.65 Der zweite Katalog »Obernkirchener Sandstein, Obernkirchener Sandsteinbrüche Paul Ebeling« wurde ebenfalls in Bremen verlegt und erschien 1938. Er wurde von Robert Kain, einem Bremer Architekten, verfasst. Die Internetseite www.obernkirchener-sandstein.de/de wechselte mit dem neuen Inhaber im Sommer 2017 ihr Design, zuvor war sie unter gleichem Namen zu finden.66 Für die Untersuchung wurden beide Versionen der Internetseite betrachtet. Obwohl es sich hier um klare Werbemittel handelt, muss auch die in ihnen dargestellte Geschichte Glaubwürdigkeit vermitteln, denn sonst könnte das Unternehmen das benötigte Vertrauen der Rezipienten nicht gewinnen. Die folgende diachrone Betrachtung ermöglicht die Wandlungen und die Konstanten der Geschichtsschreibung innerhalb dieser Werbemittel nachzuvollziehen, die zum Vertrieb ihrer Ware besonders den historischen und soziokulturellen Gegebenheiten ihrer jeweiligen Gegenwart unterlagen beziehungsweise unterliegen.

63 64

65

66

Vgl. Poestges, D.: Bremisches Jahrbuch 60/61,1982/83, S. 113. Obernkirchener Sandsteinbrüche A.G. Steinbruchbetrieb, Dampfsägerei und Dreherei, Bildund Steinhauereien. Obernkirchen (Grafschaft Schaumburg) und Nienstädt (SchaumburgLippe), Bremen, o.J. Das jüngste genannte Bauobjekt im Katalog ist der Friedenspalast in Haag, der 1913 fertiggestellt wurde. Allerdings legt die Darstellung des Wappens von Schaumburg-Lippe auf dem Titelblatt nahe, dass der Katalog nach dem Ersten Weltkrieg entstand, da die Krone fehlt. https://web.archive.org/web/*/Obernkirchener %20Sandstein, 17.06.2019, 16:00.

3. Teilstudie 1

Analyse a) Die Ebene des äußeren Kontextes Der erste Katalog wie auch die Internetseiten weisen keinen konkreten Autor der geschriebenen Inhalte vor. Dagegen zeichnet für den Katalog von 1938 der ehemalige Regierungsbaumeister und Studienrat an der Technischen Hochschule Bremen, Robert Kain, verantwortlich. Ob Kain die Publikation im Auftrag von Unternehmensinhaber Paul Ebeling oder sie eigenmächtig verfasste, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden. Es kann jedoch vermutet werden, dass der Katalog als Auftrag – ob offiziell oder inoffiziell – an Kain ging. Darauf deutet der Inhalt hin, der ein breites Spektrum der Bauten abzubilden versucht, sowie die Anmerkung »Überreicht durch die Obernkirchener Sandsteinbrüche Paul Ebeling Obernkirchen Grafschaft Schaumburg« (S. 1). Das genaue Verhältnis zwischen Ebeling bzw. dem Unternehmen und Kain ist bis jetzt nicht zu klären. Dabei wäre dies höchst interessant: Kain, der auch andere Arbeiten verfasste wie beispielsweise über das Bremer Landhaus und einen neuen Roselius-Bau in der heutigen Böttcherstraße Bremens67 , war zudem beteiligt an dem deutschen Ausstellungskatalog der internationalen Ausstellung in Paris 1937, für welchen er einen Beitrag über die innere Gestaltung der deutschen Halle verfasste.68 Er steht dort neben Autoren wie dem Reichskommissar für die Weltausstellung Dr. Julius Georg Ruppel und dessen Stellvertretern Dr. Ernst Maiwald und Dr. Wilhelm Lotz.69 Entsprechend der unternehmensinternen Erstellung kann beim ersten Katalog und den Internetseiten von keinem Auftraggeber im konventionellen Sinn gesprochen werden, stattdessen kann das Unternehmen als Initiator gesehen werden. Lediglich der Katalog von 1938 scheint mit dem Verfasser und dem Initiator nicht deckungsgleich zu sein. Der damalige Inhaber des Unternehmens, Paul Ebeling, gelernter Bergbauingenieur aus Hannover, kaufte das Unternehmen 1938 von der Dresdner Nationalbank. Der Katalog erschien also kurz nach der Übernahme durch Ebeling, was als Anlass für die Publikation gedient haben könnte. Weder für den ersten Katalog noch für die Internetseiten können konkrete Anlässe, wie ein Firmenjubiläum o.ä. angeführt werden. Hinzu kommt bei dem Medium der

67 68

69

Vgl. Kain, Robert: Eine neue Roselius-Schöpfung in der Böttchergasse, Bremer Nachrichten vom 15.03.1931, Nr. 14; NLA AU Dep. 6 Nr. 59. Vgl. Kain, R.: Die innere Gestaltung der deutschen Halle, in: Internationale Ausstellung Paris 1937 für Kunst und Technik, Deutsche Abteilung, hg. von: Der Reichskommissar für die internationale Ausstellung Paris 1937, Berlin 1937, S. 21-33. Die Rolle Robert Kains für die nationalsozialistische Architektur und somit auch für die Geschichte des Obernkirchener Sandsteins stellt eine Forschungslücke dar, die zu schließen sowohl aus geschichtswissenschaftlicher als auch unternehmerischer Perspektive sehr lohnenswert wäre. Aus forschungsökonomischen Gründen in dieser Arbeit konnte dieser Umstand nicht weiter untersucht werden, da er keine besondere Relevanz für die Beantwortung der Forschungsfrage hat.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Internetseite, dass sich Informationen nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt der Veröffentlichung unabänderlich festlegen lassen. Sie können im Laufe der Zeit immer wieder angepasst und aktualisiert werden. Die zentrale Zielgruppe der einzelnen Medien sind potenzielle Kunden. Allerdings verschieben sich die Kundenstämme in Bezug auf die einzelnen Medien. So richtet sich der erste Katalog (1913-1922) vor allem noch an Fachleute des Baugewerbes, konkret unter anderem an Architekten und Baumeister. Darauf weisen die Fachsprache in weiten Teilen der Publikation sowie die Atteste, die von Experten des Baugewerbes verfasst und als Quellen für Referenzen abgedruckt sind, hin.70 Darin enthaltene Informationen, beispielsweise über den Mineraliengehalt des Steins71 , können nur von Branchenkennern verstanden und als Qualitätsmerkmal anerkannt werden. Die weiteren Abbildungen, die ausschließlich aus Repräsentativ- und Sakralbauten bestehen, sowie die Aufzählungen von privaten Gebäuden, deren Eigentümer alles bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft sind, lassen zudem als weitere Zielgruppe auf potenzielle Auftraggeber schließen, die aus dem Adel, dem Großbürgertum und dem Klerus stammen. Die Zielgruppe des zweiten Katalogs (1938) ist eine breitere und geht über die Fokussierung auf Branchenexperten hinaus. Aufgrund der abgebildeten Produkte sowie auch der Sprache kann geschlussfolgert werden, dass der Katalog vor allem auf ein wohlhabendes und auch politisches Publikum zielt. So sind als historische Bauten lediglich zwei Kirchen abgebildet, die Michaeliskirche in Hamburg und der Berner Münster.72 Der Kölner Dom wird dagegen nicht abgebildet, ebenso wenig der Ulmer Münster. Stattdessen werden das Bremer Rathaus, die Baumwollbörse, ein Gewerbehaus von 1618 und das Essighaus gezeigt.73 Ausländische historische Bauten sind Schloss Kronberg bei Helsingör, in Kopenhagen die Alte Börse, Schloss Rosenburg, das Gebäude der Dänischen Lloyd, in den Niederlanden die Fleischerhalle in Haarlem, der Friedenspalast und die Bataafsche Petroleum Maatschappij in Haag, das Rathaus in Leiden und die niederländisch-indische Handelsbank in Amsterdam.74 Bei den Abbildungen zeitgenössischer Produkte handelt es sich zum Großteil um Auftragsbauten der Nationalsozialisten, wie beispielsweise die neue Reichsmünze oder das Horst-Wessel-Haus in Berlin.75 Ebenso werden Bau-

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Vgl. Obernkirchener Steinbrüche A.G. (o.J.), S. 19-31. Vgl. die Analyse von Prof. A. Tschirch und Prof. O. Oesterle von der Universität Bern, veröffentlicht in der Schweizer Wochenschrift für Pharmacie, No. 40, Jg. 1891, aus der ein Abschnitt wiedergegeben wird, Obernkirchener Sandstein A.G. (o.J.), S. 25-27. Vgl. Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, S. 11, S. 13. Vgl. ebd., S. 5, S. 7, S. 9. Vgl. Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, Seiten 12, 15, 40, 41, 36, 37, 39, 38, 39. Vgl. ebd., S. 21-26, S. 28.

3. Teilstudie 1

ten, die der nationalsozialistischen Ideologie entsprechen, abgebildet, wie Bauten der Wehrmacht, Wohnhäuser und die Siegessäule in Berlin.76 Die Internetseite von 2017 zielt auf ein breites Kundenspektrum. Öffentliche und private Bauvorhaben sollen gleichermaßen realisiert werden können. Der Obernkirchener Sandstein wird nicht mehr nur als Luxusgut dargestellt, das die repräsentativen Bauten herausragender Persönlichkeiten schmückt, sondern es wird vermittelt, dass er in jedem privaten Garten verwendet werden kann. Die Verschiebung und letztlich auch Erweiterung des Kundenspektrums ist natürlich auch durch die Notwendigkeit einer Anpassung an den Markt bedingt: Viele neue Schlösser werden heute nicht mehr gebaut und es ist fraglich, ob sich ein Steinbruchunternehmen von der Größe der Obernkirchener Steinbrüche allein durch Restaurierungsarbeiten rentieren kann. Stattdessen wird auf eine breite Produktpalette zurückgegriffen, wie es die Übernahme des Unternehmens nach dem Insolvenzverfahren 2017 nahelegt. So heißt es in einem Zeitungartikel zur Übernahme, man wolle nun auch Nebenprodukte zum Verkauf anbieten und so die gesamte Koppelproduktion ausschöpfen.77 Alle drei Medien nutzen die Atteste von Branchenexperten als Quellen. Die Internetseite zeigt genau genommen Fotografien aus dem ersten Katalog, so u.a. das Attest des Kölner Dombaumeisters Voigtel, das dieser am 15. Februar 1877 für die Obernkirchener Sandsteinbrüche verfasst hatte.78 Der Katalog von 1938 zitiert ein Attest der Münsterbauleitung in Bern vom 30. Oktober 1934, das Bezug auf ein Attest aus dem Jahr 1895 nimmt.79 Verweise auf die Originalquellen sind an keiner Stelle vorhanden. Alle drei Medien nutzen im großen Umfang auch Fotografien, allerdings ist nicht immer einwandfrei zu klären, bei welchen Abbildungen es sich um historische Bildquellen handelt. Vielmehr vermischen sich historische mit zeitgenössischen Fotografien.80 Kooperationspartner für die Kataloge, aber auch speziell für die Abschnitte, die die Unternehmensgeschichte behandeln, werden nicht genannt. Lediglich im Katalog von 1938 werden die Personen angegeben, die das Bildmaterial zur Verfügung stellten. Die Internetseiten geben zwar Bildnachweise an, allerdings nicht zu den historischen Fotografien. Dass Verweise auf Textquellen und Bilder fehlen, mag in erster Linie an der Funktion der Medien liegen: Als Werbematerialien ist es nahliegend, dass sie die 76 77 78 79 80

Vgl. ebd., S. 30f., S. 34f., S. 27. Vgl. Wunstdorfer Stadtanzeiger, 18.02.2017. Vgl. Obernkirchener Sandstein A.G. (o.J.), S. 21; www.obernkirchener-sandstein.de/de/ node/15, 06.10.2017, 15:36. Vgl. Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, S. 13. So bspw. eine Fotografie eines Steinbruchs, aufgenommen vom Obernkirchener Fotografen Paul Peschke, die im Katalog 1938 auf S. 47 abgedruckt ist und auch auf der Internetseite verwendet wird, vgl. www.obernkirchener-sandstein.de/de/node/72, 06.10.2017, 15:49.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Rezipienten von der Qualität der eigenen Produkte überzeugen sollen. Ihre Geschichte ist dabei Mittel zum Zweck und nicht der Fokus der Werbung. Es kann daher angenommen werden, dass die Korrektheit des Dargestellten in den Quellen sowohl von den Verfassern als auch von den Rezipienten implizit vorausgesetzt wird. b) Die metatextuelle Ebene Alle drei Medien verfolgen explizit das Ziel, potenzielle Kunden anzusprechen und für das Produkt zu werben. Implizit dienen sie jedoch auch der Identitätsformung des Unternehmens: Durch die Darstellung ergibt sich ein je nach soziokulturellem und historischem Hintergrund ›passendes Profil‹ des Unternehmens. Die eingebetteten Geschichtsdarstellungen unterstützen dabei das angestrebte Image. Der erste Katalog (1913-1922) vermittelt die Identität eines dominanten Unternehmens, dessen Profil durch seine Kompetenz und hochwertige Produktqualität geformt wird. Die Dominanz wird durch das Motiv eines weitläufigen europäischen und transatlantischen Exports des Steins vermittelt, der sich bereits in der Frühen Neuzeit etablierte, »ohne je diese Absatzgebiete wieder zu verlieren«81 . Die Identität ergibt sich aus der Darstellung einer Geschichte, die stets von Erfolg geprägt war. Den Rezipienten wird suggeriert, dass das Unternehmen bereits in der Frühen Neuzeit als ›Global Player‹ agierte. Im Katalog von 1938 wird dem Unternehmen dagegen eine volksideologische Identität verliehen. Statt auf Globalität wird auf Nationalität gesetzt – sowohl bei der Auswahl der abgebildeten Gebäude und Motive als auch den Narrativen. Heute wird auf beiden Versionen der Internetseite dem Unternehmen durch die Geschichtsdarstellungen die Identität eines erfahrungsreichen, mondänen und zukunftsorientierten Unternehmens gegeben. Traditionelle Steinmetzarbeiten werden wie noch vor Jahrhunderten ausgeführt, die Geschichte des Steins wird zur eigenen Unternehmensgeschichte erklärt und zugleich werden die modernen Neuerungen und fortschrittlichen Ideen der ehemaligen Eigentümer betont. Im Gegensatz zum Katalog vom Beginn des 20. Jahrhunderts liegt der Fokus nun nicht mehr auf einer dominierenden Produktverbreitung auf dem Weltmarkt, sondern die Rolle des Steins ist die eines ›Global Players‹ der mit anderen Großen mithalten und sich behaupten kann. Damit liegen alle drei Darstellungen genau im Trend ihrer Zeit. Sie spiegeln die Werte wider, die sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftspolitisch von Bedeutung waren und sind. 1913 der politische und wirtschaftliche ›Imperialismus‹, 1938 die nationalsozialistische Ideologie einer in Qualität und Ästhetik überlegenen deutschen Volksgemeinschaft und heute die Maxime von Globalität, Leistung und Fortschritt. 81

Obernkirchener Sandstein A.G. (o.J.), S. 3.

3. Teilstudie 1

Das Layout ist auf den Internetseiten am aufwendigsten gestaltet, was die Medienform mit sich bringt. Es ist möglich, einzelne Bilder in der Firmenchronologie zu vergrößern, zugleich sind fast alle Informationen visuell untermalt. So werden alle genannten Referenzobjekte auch abgebildet. Darüber hinaus werden auf der ersten Version der Internetseite bedeutende Personen dargestellt, wie zum Beispiel Zeichnungen von Friedrich I. und Heinrich IV. Auch in den beiden Katalogen werden Bauobjekte abgebildet, wobei es sich bei allen drei Medienformen stets nur um eine Auswahl von Objekten handelt. Das liegt zum einen an der großen Anzahl der mit Obernkirchener Sandstein verblendeten Gebäude, zum anderen kann angenommen werden, dass sich die Auswahl an dem gewünschten Image orientiert, welches sich das Unternehmen mit der jeweiligen Darstellung geben möchte. Der erste Katalog (1913-1922) hat ein sehr aufwendig gestaltetes Layout. Auf jeder zweiten Seite ist eine Fotografie von Bauobjekten abgebildet, welche ausschließlich Repräsentativbauten darstellen. Das Titelblatt zeigt die Zeichnung eines Portals, das aus zwei Säulen und einem Giebel besteht, in den Verzierungen, unter anderem der Bremer Stadtschlüssel, eingelassen sind. Auch das bereits erwähnte Wappen von Schaumburg-Lippe ist eingezeichnet. Sowohl die Einleitung in Form eines Fließtextes als auch die Abschnitte mit den abgebildeten Attesten werden visuell mit einer ornamentartigen Verzierung abgeschlossen. Was die Rezeptionen in den verschiedenen Darstellungen betrifft, so wird auf den ersten Katalog vom Beginn des 20. Jhds. sowohl im Katalog von 1938 als auch auf der aktuellen Internetseite (2017) implizit Bezug genommen. Dies geschieht 1938 durch den Hinweis auf Einzelfälle des Transatlantikhandels und auf beiden Versionen der Internetseite durch die Fotografien der Atteste aus dem Katalog von 1913-22. Der Katalog von 1938 oder spezifische Inhalte von ihm werden auf keiner Version der Internetseite erwähnt. Als Referenzen für die Beurteilung seiner Arbeit nutzt das Unternehmen in allen drei Medienformen Abbildungen der Bauten (im ersten Katalog auch Aufzählungen) sowie die Atteste zum verbauten Stein von verschiedenen Bauexperten. Die Bezugnahme auf Bauobjekte, die teilweise visualisiert werden, sowie die Nutzung der Atteste ändern ihre Funktion je nach soziokulturellem Hintergrund. Die Bauobjekte repräsentieren dabei stets den Zeitgeist. Der erste Katalog bildet vorrangig Sakral- und Repräsentativbauten ab. Unter den Aufzählungen finden sich auch Wohnhäuser berühmter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft.82 Zusammen mit dem aufwendigen Design des Katalogs trägt das Layout zur Vermittlung der Exklusivität des Produktes bei. Die Repräsentativbauten unterstützen das weltgewandte und vornehme Image des Unternehmens. Da das genaue 82

Bspw. die Villa des Senators Possehl in Travemünde oder die Villa Hügel von Krupp, vgl. Obernkirchener Sandstein A.G. (o.J.), S. 11 und S. 9.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Jahr der Veröffentlichung des Katalogs nicht festzustellen ist, müssen hier mehrere Möglichkeiten der Funktion in Betracht gezogen werden: Sollte der Katalog noch vor dem Ersten Weltkrieg – und damit vor dem Ende des Kaiserreichs – verlegt worden sein, entspricht dieses Image dem globalen Geltungsdrang des Großbürgertums sowie des Adels, die, wenn sie nicht die Bauexperten selbst darstellen, so doch zu deren Auftraggebern und damit zu den Kunden des Unternehmens zählten. Der gleiche Kundenkreis kann auch für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg angenommen werden – nun aber würde das Image eher eine Art Sehnsucht nach der Vor-Kriegszeit bedienen. Auf der Internetseite korrespondieren Text und Abbildungen teilweise miteinander: So wird beispielsweise das Weiße Haus in Washington D.C. bzw. die Kathedrale von Baltimore abgebildet83 , was den im Text angesprochenen Globalisierungs-Aspekt unterstreichen soll. c) Die inhaltliche Ebene In allen drei Darstellungen lassen sich je drei zentrale Narrative ausmachen: Das Narrativ der Dauer, der Weite und der Repräsentativität. Dabei unterscheiden sich die Narrative in ihren Lesarten voneinander. Das Narrativ der Dauer wird vor allem in den Darstellungen des ersten Katalogs und der beiden Versionen der Internetseite des heutigen Unternehmens hervorgehoben. Im Katalog äußert sich dies in der auffällig häufigen Erwähnung von Jahreszahlen. Verbunden ist das Narrativ zudem mit der räumlichen Verbreitung des Steins, sodass die Lesart der sehr früh global angelegten Handelsbeziehungen evident wird. Erklärt wird die frühe Expansion mit der Qualität des Steins, sodass das Narrativ der Dauer als Argumentation für die Produktqualität dient. Auf der Internetseite des Unternehmens wird das Narrativ der Dauer vor allem durch die Zahl 1.000 eingeläutet.84 Diese Zahl ist einprägend und jeder Leser wird mit ihr einen Zeitraum verbinden, den man ›epochal‹ nennen kann. Damit verbunden ist die Lesart des Prägenden: »Jeder einzelne Obernkirchener Sandstein® ist ein originales Stück mittelalterlicher europäischer Baugeschichte.«85 Der Stein wird als prägendes Element der abendländischen Kultur dargestellt. Mit diesem Attribut werden dem Stein zusätzlich die damit jeweils verbundenen Normen und Werte dieser Kultur zugesprochen. Das Produkt wird somit durch die temporale 83

84 85

Die Abbildung des Weißen Hauses wurde nach 2016 gegen die Kathedrale ausgetauscht, nachdem publik wurde, dass es keinen stichhaltigen Nachweis für eine tatsächliche Beteiligung am Bau gegeben hat. Tatsächlich fehlt bis heute auch ein Nachweis für einen Transatlantikhandel mit Obernkirchener Sandstein, vgl. Göttmann, Frank/Seng, Eva-Maria (Hg.): Dokument – Objekt – Genese. Digital Humanities in Kunst- und Kulturgeschichte, Berlin 2021. Vgl. www.obernkirchener-sandstein.de/unternehmen/, 22.12.2016, 09:19; www.obernkirchener-sandstein.de/de, 10.10.2017, 17:20. Ebd., www.obernkirchener-sandstein.de/de, 10.10.2017, 17:20.

3. Teilstudie 1

und die gesellschaftliche Dimension, die das Begriffspaar »mittelalterliche europäische« Baugeschichte mit sich bringt, symbolisch aufgeladen. Das Narrativ der Dauer beinhaltet hier aber auch die Lesart des Fortschritts, indem die geschichtliche Dimension mit einem Gegenwarts- und Zukunftsgedanken verbunden wird, welcher das anthropologische Grundbedürfnis der dauerhaften Existenz aufgreift. In der früheren Version der Internetseite wird der durative Charakter des Narrativs der Dauer durch die Aufbereitung der Firmenchronologie verstärkt, die durch ihre stete bewegte Visualisierung die digitale Analogie zu einer fortlaufenden Geschichte darstellt. Die Qualität des Steins scheint insgesamt in der Geschichtsdarstellung in den Hintergrund zu rücken. Stattdessen wird das Prestige, welches der Stein ausstrahlt, in den Vordergrund gerückt. Beim Katalog von 1938 fällt dagegen auf, dass Jahreszahlen nur punktuell genannt werden, ein starker Fokus auf die lange Nutzung des Steins ist hier nicht vorherrschend. Stattdessen wird die Lesart der vielfältigen Nutzung in der Vergangenheit in den Fokus gerückt. Die Lesart des Prägenden ist auch hier vorhanden, allerdings in nationalistischer Lesart: Der Stein ist als deutscher Naturwerkstein für die Prägung der deutschen (Kultur-)Landschaft verantwortlich.86 Er steht als Symbol für Naturverbundenheit, seine lange und vielfältige Nutzung dient als Beleg für seine Beliebtheit und damit für seine Qualität. Dem Narrativ der Weite wird im ersten Katalog ein durativer Charakter hinzugefügt, indem man schreibt, man habe die Handelsbeziehungen mit Amerika und anderen Absatzgebieten nie wieder aufgegeben. Durch die unklaren Begrifflichkeiten bezüglich der Verbreitung wie »weithin bekannt und gesucht«87 und der zeitlichen Dimension (»[…] fand er seinen Weg bald nach […] Amerika«88 ) gelingt es, lang andauernde und globale Handelsbeziehungen zu suggerieren und so den Eindruck eines früh international verhandelten Steins zu kreieren. Damit erhält das Produkt ein symbolisches Kapital, das auch das Unternehmen sponsert, das sich ja immerhin damit brüstet, die Handelsbeziehungen aufrecht erhalten zu haben. Die Schaffung von Prestige ist hier also das Hauptziel des Narrativs der Weite. Was zu Beginn des 20. Jahrhunderts politisch seit Jahren schwer zu erlangen versucht wurde, hat das Unternehmen scheinbar schon seit Jahrhunderten erreicht. Daher rührt auch die Betonung von Bauobjekten wie der Kathedrale in Baltimore und des Nationaldenkmals in Belem de Para. Auf die außereuropäischen Handelsbeziehungen wird bereitwillig hingewiesen. Ganz anders 1938: Hier wird explizit klargestellt, dass es sich bei diesen Bauprojekten lediglich um Einzelfälle handele und der geografische Fokus wird zurück

86 87 88

Vgl. Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, S. 3-8. Obernkirchener Sandstein A.G. (o.J.), S. 3. Ebd., S. 3.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

nach Europa verschoben, wo er auf Deutschland, den Niederlanden und den Baltischen Staaten liegt. Die Referenzobjekte selber werden auf das Deutsche Reich beschränkt. Wurden im ersten Katalog noch viele Objekte in Kopenhagen, Amsterdam und Rotterdam aufgezählt sowie in Russland und Belgien, werden erstere nur mit wenigen ausgesuchten Bauwerken bedacht und letztere finden überhaupt keine Erwähnung mehr. Als hintergründiges Ziel gilt hier, dass der Stein als Identifikationssymbol für die deutsche Architektur dienen soll. Dieses symbolische Kapital, das er aus der Verbindung mit nationalsozialistischen Volksideologien schöpft, verleiht ihm sein besonderes Prestige im Deutschland des Nationalsozialismus. Auf der gegenwärtigen Internetseite im 21. Jhd. wird dagegen wieder der Charakter eines ›Global Players‹ suggeriert, was der bereits seit dem 15. Jhd. »intensive Export nach ganz Europa«89 beweisen soll. Auch hier ist es ein transatlantisches Bauprojekt, das in den Fokus gerückt wird: das Weiße Haus in Washington D.C. Und obwohl dieses das einzige Objekt ist, das als Beispiel für transatlantische Handelsbeziehungen gegeben wird, kann es sich im Narrativ der Weite als Beweisobjekt für Beliebtheit und Prestige genauso behaupten wie die einzigen beiden Beispiele im ersten Katalog, die Kathedrale in Baltimore und das angebliche Nationaldenkmal in Belem de Para.90 Auf der Internetseite sorgt allerdings das Objekt selbst für das symbolische Kapital, im ersten Katalog dagegen sind es vor allem die fremd und mondän klingenden Städtenamen, worauf auch die unpräzisen Bezeichnungen »Kathedrale« und »Nationaldenkmal« hinweisen. Was das Narrativ der Repräsentativität betrifft, so liegt der Fokus der abgebildeten und genannten Objekte im ersten Katalog auf Sakral- und Repräsentativbauten. Bei den privaten Gebäuden werden die Eigentümer genannt, bei denen es sich um bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft handelt. Daraus kann abgeleitet werden, dass die potenziellen privaten Kunden und somit die Rezipienten vor allem eine wohlhabende Klientel abbilden. Zudem werden Architekten bekannter Gebäude nicht einfach nur genannt, sondern sie kommen durch die abgedruckten Atteste über die Verwendung des Obernkirchener Sandsteins selbst zu Wort. Ausgewählte abgebildete Gebäude tragen mit ihrer jeweiligen Ikonografie

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www.obernkirchener-sandstein.de/unternehmen/, 22.12.2016, 09:19. Als einziger Nachweis dient der Hinweis in einer listenartigen Aufzählung von Bauten nach Ländern. Am Schluss der Aufzählung heißt es: »10) in den Vereinigten Staaten von Amerika: in Baltimore die Kathedrale.« Weder ein historisches noch ein zeitgenössisches Foto oder ein sonstiger Hinweis auf den Bau sind gegeben. Das Gleiche gilt für den vorletzten Punkt: »9) in Brasilien: in Belem de Para das Nationaldenkmal.« (Obernkirchener Sandstein A.G., S. 17) Hinzu kommt, dass es bis jetzt keine Nachweise für eine Beteiligung am Bau der Kathedrale von Baltimore, namentlich die Basilica of the National Shrine of the Assumption of the Blessed Virgin Mary, gibt. Zudem ließen sich keine Hinweise auf ein Nationaldenkmal finden, das in Belem (Brasilien) gestanden hat.

3. Teilstudie 1

ebenfalls zum symbolischen Kapital des Steins bei. Zur Entstehungszeit des Katalogs sind dies vor allem Gebäude wie der Kölner Dom, der 1877 fertiggestellt wurde und damals für vier Jahre als höchstes Gebäude der Welt galt; des Weiteren das Ulmer Münster, das den höchsten Kirchturm der Welt hatte, und der Friedenspalast in Haag, der 1913 fertiggestellt wurde und damals ein aktuelles Bauprojekt von politisch aufgeladener Bedeutsamkeit war. Im Katalog von 1938 ist das Narrativ der Repräsentativität vor allem durch seine Ambivalenz zwischen der betonten Vielseitigkeit der Nutzung des Steins und dem Fokus auf Monumentalbauten geprägt. Damit soll einerseits der Volksideologie Rechnung getragen werden und zugleich werden Vorzeigeobjekte der nationalsozialistischen Herrschaft gezeigt. Sakralbauten werden weit weniger abgebildet als noch im Katalog vom Anfang des 20. Jhd. Die Auswahl der abgebildeten Gebäude unterliegt, wie auch im ersten Katalog, einer willkürlichen Auswahl, die auf der Ikonografie und dem daraus resultierenden symbolischen Mehrwert des Steins basiert. Entsprechend werden Detailaufnahmen von Hakenkreuzen und Reichsadlern gezeigt, was die Verbindung des Steins mit den nationalsozialistischen Ideen transportiert, sowie ausländische Gebäude, die jeweils eine nationalgeschichtliche Symbolik tragen. Dass die Fassaden dieser Gebäude aus deutschem Naturwerkstein gefertigt wurden, unterstützt die nationalsozialistische Idee einer alles umfassenden deutschen Herrenrasse. Die Geschichte des Steins, die einer nationalistischen Lesart unterworfen wird, wird so mit der 1938 gegenwärtigen Nutzung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie verbunden. Die vielfältige Verwendbarkeit des Steins stellt auch den damaligen Gegenwartsbezug im Katalog her: Die zeitgenössischen abgebildeten Gebäude stehen symbolisch für die Gesellschaftsbereiche im Deutschen Reich: Der Stein ist ein Stein aller Deutscher, so die implizite Aussage. Für Politik, Militär und Wirtschaft, für die Bourgeoisie und die Arbeiterschaft. Die Idee von einer deutschen Nation mit gleichen Wurzeln wird in der breiten Verwendung des Steins – des »deutschen Natursteins«91 – repräsentiert. Auf der gegenwärtigen Internetseite (2016) wird das Narrativ der Repräsentativität sprachlich so deutlich formuliert wie in keinem der beiden vorherigen Katalogen. Die Nutzung des Steins in der Vergangenheit für Repräsentativbauten zur Herausstellung von Macht und Reichtum wird explizit erwähnt. Für das aktuelle Unternehmen wird die gesamte Geschichte repräsentativ, obwohl sie strenggenommen nicht die des Unternehmens, sondern des Steins ist. Die Distanz zwischen der Geschichte des Steins und des Unternehmens wird aufgehoben, indem sich das Unternehmen selbst mit der Geschichte des Steins identifiziert. Die Geschichte des Steins wird so zur Geschichte des Unternehmens gemacht, indem durch das Pronomen »wir« eine konstante Identität suggeriert wird: 91

Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, S. 3.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

»Bereits seit dem 11. Jahrhundert gewinnen wir aus eigenen Steinbrüchen Sandstein. Unzählige Kirchen, Klöster, Schlösser, Herrensitze sowie Bürgerhäuser wurden in der langen wechselvollen Geschichte erbaut. Über die Hansestädte Bremen und Hamburg wurde bereits damals nicht nur europaweit geliefert.«92 Mit Geschichte sind hier nicht die einzelnen Bauobjekte gemeint, sondern zusätzlich die allgemeine Geschichte, in die die Geschichte des Obernkirchener Sandsteins eingebettet ist. Dies geschieht spezifisch in der Chronologie »1.000 Jahre Geschichte«. Dort werden Personen, die für sich noch einen symbolischen Eigenwert besitzen, sowie Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg und der Zweite Weltkrieg neben Informationen, die einmal mehr und einmal weniger mit dem Obernkirchener Sandstein zu tun haben, erwähnt. Vermittlung von Glaubwürdigkeit In allen drei Medien ist die Geschichte zum Zweck der Bewerbung des Produktes eingebunden. Dieses explizite Ziel der Vermarktung hat Einfluss auf die Herstellung von Authentizität und Nachvollziehbarkeit in Bezug auf das je dargestellte Geschichtsbild vom Unternehmen. In allen drei Medien stellt das implizite Ziel zudem die Formung der Identität des Unternehmens dar, die es mithilfe der entsprechenden Darstellung erreicht. Das implizite Ziel wird vom expliziten Ziel ebenfalls beeinflusst. Für die jeweilige Ausrichtung ist entscheidend, welche Zielgruppe als Kunden angesprochen werden soll. Diese stellen auch die Rezipienten der Geschichtsschreibungen dar. Im ersten Katalog der Obernkirchener Sandsteinbrüche GmbH, der zwischen 1913 und 1922 entstand, kann aufgrund der fachsprachlichen Ausführungen sowie der dargestellten Produkte auf eine Rezipientengruppe geschlossen werden, die aus Fachleuten wie Architekten und aus deren Auftraggebern besteht. Die Auftraggeber scheinen überwiegend aus der adligen, klerikalen und großbürgerlichen Oberschicht zu stammen. Danach richtet sich auch die Auswahl der aufgelisteten und abgebildeten Bauobjekte. Da der Zweck des Katalogs die Vermarktung des Produktes ist, formt das Unternehmen sein Image in Bezug auf die Erwartungen der Rezipienten. Im Falle einer Geschichtsschreibung, die in einen Werbekatalog eingebettet ist, ist davon auszugehen, dass die Rezipienten dieses Mediums erwarten, vom Produkt überzeugt zu werden. Von einer kritischen Reflexion der dargestellten Erzählung ist dagegen nicht auszugehen. Das bedeutet, allein aufgrund des erwartbaren Rezeptionsverhaltens, welches durch das entsprechende Medium ausgelöst wird, wird die Haltung zu den dargestellten Inhalten beeinflusst. Durch das Fehlen einer dazwischengeschalteten Instanz, wie eines Historikers oder eines anderen Autors, wird suggeriert, dass das Unternehmen selbst als ›Er-

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www.obernkirchener-sandstein.de/de, 14.10.2017, 15:11.

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zähler‹ auftritt. Aufgrund der Rezipienten, von denen weder eine kritische Haltung zu den dargestellten Inhalten noch ein ›Voraus-Wissen‹ über diese Inhalte erwartet werden kann, kann das Unternehmen hier dieses symbolische Kapital ›seiner‹ Geschichte nutzen, um als Experte für die dargestellten Narrative wahrgenommen zu werden. Es handelt sich hier um die Herstellung einer subjektbezogenen Authentizität. Als Code für die Herstellung dieser Authentizität kann das Unternehmen als Erzähler gelten. Auch die abgebildeten Atteste von Fachleuten des Baugewerbes dienen der Herstellung subjektbezogener Authentizität. Zwar werden die Atteste in allen drei Medien als Authentizitäts-Merkmal genutzt, aber im ersten Katalog besteht die Besonderheit zum einen darin, dass die Rezipienten zeitlich gesehen eine ›nähere‹ Verbindung zu den genannten Fachleuten besitzen. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass nicht allein ihre Profession, sondern auch ihr Name für Authentizität sorgt. Zum anderen haben die Atteste im ersten Katalog nicht nur die Funktion einer historischen Quelle, sondern dienen hier explizit als Qualitätsnachweis des Produkts. Somit wird durch die Authentifizierung ein ›Vertrauensvorschuss‹ geleistet, der auf das Medium insgesamt und somit auch auf die eingebettete Geschichtsschreibung übertragen wird. Eine weitere objektbezogene Authentizität besteht in Bezug auf die abgebildeten Bauobjekte, die als Referenzen für die Arbeit des Unternehmens stehen. Dies ist wieder in allen drei Medien der Fall. Im ersten Katalog werden zusätzlich auch Aufzählungen von Bauten genutzt. Dabei wird vor allem durch die Ikonologie der abgebildeten Bauten und die Symbolik der Besitzer, deren Gebäude aufgezählt werden, die Authentizität erzeugt, indem sie einen hohen Wiedererkennungswert besitzen. Entsprechend dem Bezug zur Pragmatik richtet sich die Auswahl der Bauobjekte nach dem soziokulturellen Hintergrund der Rezipienten und dem gewünschten Image des Unternehmens. Ähnlich ist dies bei der Erzeugung objektbezogener Authentizität durch das Narrativ der Dauer. Durch die Aussage, transatlantische Handelsbeziehungen bestünden konstant seit Ende des 18. Jahrhunderts, wird ein symbolisches Kapital suggeriert, das aus Erfahrung und globaler Anerkennung besteht. Dabei folgt diese Authentifizierung erneut pragmatischen Vorgaben: das Image des Unternehmens entsprechend dem Zeitgeist zu formen und zugleich dem soziokulturellen Hintergrund der Rezipienten anzupassen. Damit verbunden ist auch die erzeugte Authentizität durch das Narrativ der Weite. Erneut wird symbolisches Kapital suggeriert, indem fremde und mondän klingende Städtenamen genannt werden. Betrachtet man den historischen Kontext, in dem der Katalog entstand, so bedient er entweder die Sehnsüchte der Rezipienten in Bezug auf einen imperialistischgeprägten Weltgeist oder in Bezug auf eine wiedererstarkende globale Bedeutung nach dem empfundenen Prestige-Verlust durch den verlorenen Ersten Weltkrieg und den damit einhergehenden Veränderungen der politischen und gesellschaftli-

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

chen Verhältnisse für die Zielgruppe des Kataloges. In jedem Fall wird die Bereitschaft der Rezipienten, die Lesarten als glaubwürdig zu akzeptieren, legitimiert. Denn durch die für sie authentisch wirkende Identität des Unternehmens, die es mithilfe der Lesarten erschafft, suggeriert es, die gleichen Normen und Werte wie seine Rezipienten zu besitzen. Dies funktioniert auch hier, weil die Rezipienten keinen kritisch-reflektierten Blick auf das Medium haben. Was die Nachvollziehbarkeit der Geschichtsdarstellungen angeht, so trifft auf alle drei hier untersuchten Medien zu, dass die Narrative auf die jeweils zu suggerierende Identität des Unternehmens abgestimmt sind. Dabei sind sie vom soziokulturellen Hintergrund ihrer Zielgruppe und darin vom historischen Kontext zur Zeit ihrer Entstehung beeinflusst. Dass die Lesarten der Narrative im ersten Katalog nachvollziehbar für die Rezipienten werden, hängt mit der Authentizität zusammen, die durch sie erzeugt wird. Die Lesarten der frühen Expansion, der konstanten transatlantischen Handelsbeziehungen und der repräsentativen Funktion des Steins im Sinne der Rezipientengruppe können als symptomatisch für den Geist des Großbürgertums und des Adels in der Zeit des Imperialismus bzw. des Nach-Kriegs-Deutschlands verstanden werden. Auffällig ist auch, dass die Narrative eine ›glatte‹ Geschichte suggerieren, eine reine Erfolgsgeschichte. Dass dies als nachvollziehbar verstanden wird, liegt wiederum an dem expliziten Ziel des Mediums des Werbekatalogs. Die Rezipienten lesen nicht reflektiert, sondern nehmen unreflektiert an den ›Erinnerungen‹ des Unternehmens Anteil und damit an der »Homogenität der Erinnerungsgemeinschaft«93 . Zur Nachvollziehbarkeit tragen darüber hinaus auch die abgebildeten Gebäude bei. Die ikonischen Objekte wie der Kölner Dom oder das Rathaus von Antwerpen bringen eine Symbolkraft mit sich, die sich im historischen Kontext auf den soziokulturellen Hintergrund der Zielgruppe auswirkt und den imperialistischen Anspruch bzw. den Wunsch nach Wiedererlangung globaler Bedeutung stützt. Die Abbildungen reihen sich somit in die textlichen Darstellungen ein und sorgen zugleich aufgrund der visuellen Verstärkung für eine Verknüpfung zwischen Text und Bild, was wiederum die Nachvollziehbarkeit der schriftlichen Darstellungen verstärkt. Dazu trägt auch die Auswahl der Länder bei, aus denen man Bauobjekte abbildet bzw. aufzählt. Die deutschen Städte Berlin, Hamburg, Köln und Bremen sowie Amsterdam und Rotterdam in den Niederlanden und Kopenhagen in Dänemark vereinigen dabei die meisten Bauobjekte in der Aufzählung unter sich. Je nach exaktem Veröffentlichungsdatum des Katalogs kann Berlin als Hauptstadt Preußens oder als Hauptstadt der Weimarer Republik gelten. Die Bedeutung Amsterdams ergibt sich daraus, dass es jahrhundertelang das Handelszentrum Euro93

Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 11.

3. Teilstudie 1

pas war. Kopenhagen als Hauptstadt Dänemarks stellt eine Ostseemetropole dar. Hamburg, Köln und Rotterdam waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls bedeutende Handelsstädte in Westeuropa. Hamburg war der zentrale Warenumschlagplatz und Hafen im Westen des Deutschen Kaiserreichs bzw. der Weimarer Republik, Rotterdam das Tor zu Nordsee und Atlantik und Köln die zentrale und größte Handelsstadt der westlichen Gebiete des Kaiserreichs. Die Narrative in Verbindung mit den Gebäuden und den genannten Orten bzw. Ländern ergeben daher Sinn für die Rezipientengruppe. Die Konfiguration der narrativen Darstellung ergibt sich durch das Zusammenspiel mit konkreten Symbolen, die durch die Abbildungen und die Auflistungen geboten werden. Im Katalog von 1938 besteht der explizite Zweck ebenfalls in der Bewerbung der Produkte des Unternehmens, der implizite in der Formung einer Identität, die den expliziten Zweck unterstützt und der Rezipientengruppe entsprechend angemessen ist. Durch die Darstellung des Unternehmens kann der soziokulturelle Hintergrund der Kundschaft als bürgerlich und nationalistisch bezeichnet werden. Sowohl abgebildete Bauten als auch Narrative und Sprache deuten auf eine Zielgruppe hin, welche die nationalsozialistische Ideologie teilt. Dabei handelt es sich sowohl um Vertreter staatlicher Institutionen sowie um Privatkunden. Auf diese Rezipientengruppe sind sowohl die Praktiken für die Erzeugung von Authentizität als auch von Nachvollziehbarkeit ausgerichtet. Die regimetreue Ausrichtung der im Katalog eingebetteten Geschichtsschreibung ist der Pragmatik zuzuschreiben, da sie durch die Fokussierung der Rezipientengruppe und der damit einhergehenden gewünschten Unternehmensidentität entsteht. Authentizität zu erzeugen, gelingt im Katalog von 1938 zunächst durch den Autor Robert Kain. Dieser besitzt mit seinem Titel als »Reichsbaumeister« institutionelles Kulturkapital, das im Kontext mit dem Katalog und im historischen Kontext von 1938 bezüglich der angestrebten Rezipientengruppe inkorporiertes kulturelles Kapital suggeriert. Der Titel ist also ein weiterer Code für die Erzeugung von Authentizität, denn das institutionelle kulturelle Kapital führt dazu, dass die Rezipienten den Autor als glaubwürdigen Experten anerkennen können, unabhängig davon, ob er das inkorporierte kulturelle Kapital tatsächlich besessen hat oder nicht. Durch die Bedeutung der politischen Ausrichtung im Nationalsozialismus verleiht ihm zudem das Suffix »Reichs-« ein symbolisches Kapital, weil das Ausfüllen dieser Funktion von der Rezipientengruppe als gesellschaftliches Prestige verstanden werden kann.94 Es handelt sich hier um subjektbezogene Authentizität, die den Anspruch auf Glaubwürdigkeit der Geschichtsdarstellung legitimiert.

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Auch hier ist wieder der weitere Wirkungshintergrund Robert Kains bemerkenswert (s. oben). Allerdings kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Rezipienten seine weiteren Arbeiten kannten.

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Was Atteste im Katalog von 1938 anbelangt, fällt auf, dass sie keine so große Rolle einnehmen, wie noch im ersten Katalog. Aufgrund der sich veränderten Rezipientengruppe wird die Authentizität nicht mehr aus dem Informationsgehalt der Atteste an sich gezogen, sondern die Atteste als Quellen an sich erzeugen als befürwortendes Votum aus der Vergangenheit eine objektbezogene Authentizität. Hinzu kommt, dass die Münsterbauleitung Bern 1937 das Attest von 1885 bestätigt – was aufgrund der Expertise und der Aktualität dem Attest von 1885 Authentizität verleiht, ohne dass ein weiterer Nachweis für die Echtheit dieses Attestes erbracht werden muss. Durch die Atteste wird somit eine objektbezogene Authentizität erzeugt, die ebenfalls den Glaubwürdigkeitsanspruch der Geschichtsdarstellungen im Katalog legitimiert. Durch den Einbezug der Atteste gelingt außerdem die Vermittlung eines objektivierten Kulturkapitals in Form der attestierten Produktqualität, die wiederum ein inkorporiertes Kulturkapital suggeriert, durch welches das objektivierte Kulturkapital erzeugt werden konnte. Hier zeigt sich deutlich, wie die Atteste als Quellen in erster Linie dem Unternehmen für seine Produktwerbung nützen. Eine kritische Reflexion der Quellen bleibt aus. Wie auch im ersten Katalog erzeugen außerdem die abgebildeten Bauten objektbezogene Authentizität. Dabei transportieren die Rezipienten die in den abgebildeten ikonischen Bauten selbst vorhandene Authentizität auf die durch die Abbildungen vermittelten Informationen, weil sie den Bauten eine Symbolik beimessen können, die der gewünschten Identität des Unternehmens entspricht, in diesem Fall der nationalsozialistischen Ideologie. Des Weiteren gelingt es in der Geschichtsschreibung Authentizität zu vermitteln, indem die abgebildeten zeitgenössischen Gebäude 1938 die nationalistische Lesart der Narrative unterstreichen. Durch die abgebildeten Objekte, die in ihrer Symbolik die Volksideologie und die nationalsozialistische Herrschaft repräsentieren, gelingt es, die gewünschte Identität des Unternehmens authentisch wirken zu lassen, was wiederum den Glaubwürdigkeitsanspruch der nationalistischen Lesart legitimiert. Was die Nachvollziehbarkeit der dargestellten Geschichte angeht, so fügen sich die abgebildeten Bauten in die Lesarten der Narrative von 1938 ein. Alle Lesarten bedienen die NS-Ideologie und stellen so wieder einen Rückbezug auf die Rezipientengruppe sowie die erwünschte Identität des Unternehmens dar. So erklärt sich auch die veränderte Darstellung des Transatlantikhandels, der nun nicht mehr als konstant, sondern als punktuell beschrieben wird. Damit folgt die Darstellung dem nationalistischen Paradigma. Diese Darstellung ergibt auch deswegen Sinn, weil die Zielgruppe aufgrund ihres soziokulturellen Hintergrunds bereit ist, sie so zu akzeptieren. Eine Auslegung wie im ersten Katalog, in dem ein etablierter und konstanter Transatlantikhandel suggeriert wird, würde im nationalistischen Diskurs, dem die Darstellung insgesamt folgt, einen Bruch darstellen. Stattdes-

3. Teilstudie 1

sen wird Europa als Absatzmarkt in den Fokus gerückt. Weiterhin sorgt auch der Sprachstil für Nachvollziehbarkeit. Er fügt sich in die Lesarten der Narrative ein, indem die Rhetorik der nationalsozialistischen Sprache angeglichen wird. Der Stil ist romantisch-verklärend und pathetisch: »Baukunst ist ja immer notwendig auch der Spiegel des Baustoffes und wenn die Baukunst von einem bestimmten Werkstein lange Zeit in besonderem Ausmaße beherrscht wird, wird sie auch dem Landschaftsbild eine besondere Prägung geben. […] Die Baukunst hat es zu allen Zeiten verstanden in diesem Antlitz der Natur zu lesen und die verschleierten Züge in ihren schönsten Werken zum Sprechen zu bringen.«95 Im Übrigen werden die abgebildeten Bauten auch mit der schriftlichen Darstellung verbunden, was ebenfalls zur Nachvollziehbarkeit beiträgt, aufgrund der Anschaulichkeit durch die Bilder, die als ›sichtbare‹ Geschichte die schriftliche Erzählung unterstützen: »Daß man dabei die Möglichkeit hat, Bauwerke wie das alte Bremer Rathaus, alte Patrizier- und Zunfthäuser in Bremen, in Hannover, in Bückeburg zu nennen, daß man mit Stolz auf Schöpfungen wie die berühmte Fleischhalle in Haarlem und das Rathaus in Leiden hinweist, auf alte Bürgerhäuser und Rathäuser, Schloßbauten und Paläste im Gesamtgebiet der Nord- und Ostsee bis hinüber ins Baltische – diese Tatsache öffnet die Perspektive auf all die Schöpfungen deutscher Architekten, in denen der Obernkirchener Sandstein in der neueren Baukunst Raum gewonnen hat.«96 Insgesamt ist die Nachvollziehbarkeit der dargestellten Geschichtserzählung mit dem historischen Hintergrund ihrer Entstehungszeit zu begründen. Der damit ebenfalls verbundene soziokulturelle Hintergrund der potenziellen Kundschaft – und damit der Rezipientengruppe – ist verantwortlich für die Ausrichtung der Identität des Unternehmens im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Entsprechend werden Narrative dieser Ideologie angeglichen, die Sprache bedient sich einer Rhetorik, die sowohl dem nationalsozialistischem Sprachstil als auch dem Medium des Werbekataloges geschuldet ist. Somit dient die Sprache hier ebenfalls als Code für die Nachvollziehbarkeit. Die moderne Internetseite des Unternehmens dient ebenfalls der Außendarstellung und der Bewerbung seiner Produkte. Das implizite Ziel der Identitätsformung ist hier die Suggestion eines Images, das global und weltoffen, zugleich aber traditionsverhaftet ist. Dies korreliert mit der Zielgruppe, die eine heterogenere Kundschaft als bei den beiden vorherigen Katalogen darstellt. 95 96

Kain, R.: Obernkirchener Sandstein, S. 3. Ebd., S. 4.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Was zudem der Pragmatik zugeschrieben werden kann, ist die starke Nutzung von Abbildungen, die sich auf das Medium des Internets zurückführen lässt. Die visuelle Anschauung passt sich dem Rezeptionsverhalten der Nutzer der Seite an. Die große Anzahl an Bildern befriedigt somit die Erwartungen der Rezipienten an das Medium an sich. Daher können die Bilder hier als Code für die Pragmatik gesehen werden. Es fällt auf, dass gegenwärtige Bilder von ikonischen Bauten genutzt werden, welche die explizite Erwähnung des Steins für ehemalige Repräsentativbauten unterstreichen. Da es sich nicht um historische Fotografien handelt, liegt hier das Ziel der Erzeugung eines ›Faszinations-Effekts‹ bei den Rezipienten nahe. Die modernen Abbildungen von ikonischen Bauten können von den Rezipienten leichter wiedererkannt werden und erhöhen die Möglichkeit der Symbolwirkung. Wenn beispielsweise die moderne Abbildung des Weißen Hauses statt einer historischen Fotografie gezeigt wird, dann verbinden Rezipienten auch dessen moderne Symbolik damit, was wiederum zur Identitätsbildung des Unternehmens beiträgt. Die modernen Abbildungen historischer Bauten gelten zugleich als Referenzen für das Unternehmen und erzeugen so eine objektbezogene Authentizität. Sie können als Nachweise für das Narrativ der Dauer verstanden werden, indem das abgebildete Objekt den Rezipienten als historisches Objekt bekannt ist bzw. vorgestellt wird. Hinzu kommt noch die objektbezogene Authentizität, die durch die Ikonologie der abgebildeten Bauten erzeugt wird. Durch diese gelingt es dem Unternehmen, ein symbolisches Kapital zu suggerieren, das auf der Bekanntheit der Bauten basiert und dem Unternehmen so Prestige verleiht. Prestige wird dem Unternehmen auch durch die Ikonisierung des eigenen Produkts verliehen. Der Stein wird explizit als Merkmal für »Macht und Reichtum« in der Vergangenheit benannt und dann als prägender Baustoff des europäischen Mittelalters bezeichnet.97 Das so erzeugte symbolische Kapital trägt wiederum zu einer objektbezogenen Authentizität bei. Weiterhin erzeugt der Stein selbst eine objektbezogene Authentizität, indem er als Referenzobjekt für seine Geschichte gilt. Eben diese Geschichte wird von dem gegenwärtigen Unternehmen durch die Verwendung entsprechender sprachlicher und visueller Mittel zur Unternehmensgeschichte erklärt, ohne zu differenzieren: (1) »Bereits seit dem 11. Jahrhundert gewinnen wir aus eigenen Steinbrüchen Sandstein.« (2) »Als einer der ältesten aktiven Steinbrüche der Welt beliefern wir seit 1.000 Jahren Projekte in ganz Europa und darüber hinaus.«98 Erst die zweite Version der Internetseite nimmt durch die kurze Darstellung damaliger Besitzverhältnisse eine Differenzierung zwischen der Geschichte des Steins und der Geschichte des Unternehmens vor.

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Vgl. www.obernkirchener-sandstein.de/, 04.05.17, 14:22. www.obernkirchener-sandstein.de/, 04.05.17, 15:37.

3. Teilstudie 1

Durch die Identifikation mit der Geschichte des Steins wird eine Beziehung auf der Basis der objektbezogenen Authentizität hergestellt. Damit vollzieht das Unternehmen eine Erinnerungs-Suggestion, indem suggeriert wird, die tradierten Erinnerungen seien die eigenen. Damit einher geht auch die Erzeugung einer subjektbezogenen Identität. Das Unternehmen stellt sich als Experte für die eigene Geschichte dar, indem es sich unmittelbar mit der Geschichte des Steins identifiziert. Durch die Verwendung von Possessiv- und Personalpronomen wird der Eindruck einer Authentizität erzeugt, die sich aus der suggerierten unmittelbaren Tradierung dieser Erinnerungen ergibt. Auch die Internetseite verwendet die Atteste aus dem ersten Katalog in Form von Fotografien des Katalogs selbst. Die genaue Herkunft der Quelle – der Katalog – wird nicht angegeben, sondern lediglich der Hinweis auf den Urheber der Atteste. Der Zweck ist auch hier, wie bereits im Katalog von 1938, die Verwendung als Quellen für die Vergangenheit an sich und nicht die Informationsweitergabe für bestimmte Fachkreise wie noch im ersten Katalog. Mit der Abbildung der Atteste wird auch hier eine objektbezogene Authentizität erzeugt, die zur Legitimation des Glaubwürdigkeitsanspruchs der dargestellten Geschichte beiträgt. Dies funktioniert, weil für die Rezipientengruppe die visuelle Darstellung der Atteste – die Fotografien aus dem Katalog, der selbst immerhin mindestens 94 Jahre alt ist – für die Anerkennung der Authentizität ausreicht. Die Verwendung der Atteste dient also in allen drei Medien als Praktik für die Herstellung von Authentizität, jedoch in unterschiedlicher Funktion: im ersten Katalog noch als Verweis auf die Qualität des Steins, 1938 und heute als Quellen für die Vergangenheit. Was die Nachvollziehbarkeit betrifft, so ergeben die Lesarten der Narrative auf der Internetseite Sinn, weil sie dem angestrebten Image entsprechen und dies wiederum an die Rezipienten angepasst ist. Entsprechend wird die Geschichte so erzählt, dass das durch sie vermittelte Image eines erfahrungsreichen, mondänen und fortschrittlichen Unternehmens Sinn ergibt. Diesem Prinzip folgt auch die symbolische Aufladung des Steins mit dem Begriffspaar der »abendländischen Kultur«, das im zeitgenössischen Kontext die suggerierten Normen und Werte der Rezipientengruppe anspricht. Hier zeigt sich nochmals deutlich die Bedeutung des historischen und soziokulturellen Hintergrunds für die Nachvollziehbarkeit des Diskurses, dem eine Narration folgt: 1938 wurde das Narrativ des Prägenden ebenfalls mit dem abendländischen Kulturraum verbunden, allerdings unter einer national-imperialistischen Lesart. Die moderne Internetseite bedient dagegen die Lesart einer »Glokalisierung«, wie Robert Robertson das Zusammenwirken globaler und lokaler Phänomene nennt99 und die hier zugleich eine lokal verhaftete Tradition und ein international anerkanntes Prestige vermittelt. Das Narrativ 99

Robertson, Robert: Glokalisierung – Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, in: Beck: Perspektiven der Weltgesellschaft (1998), S. 193.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

der Dauer korreliert mit dem angestrebten Image eines fortschrittlichen Unternehmens. Es wird eine Geschichte ohne Brüche suggeriert. Dies kann als glaubwürdig anerkannt werden, weil die Rezipienten die Erinnerung unreflektiert aufnehmen und ihr nicht mit Kritik entgegentreten, wie Metz es ausdrückt.100 Dass die Darstellung des Unternehmens als früher ›Global Player‹ einen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben kann, ohne dafür stichhaltige Nachweise zu erbringen, liegt aber nicht nur an der kalkulierten Unreflektiertheit der Rezipienten, sondern ebenfalls an deren soziokulturellem Hintergrund. Das Image des ›Global Players‹ bedient eine Disposition, die Globalität als Erfolgsparameter definiert. Somit stellt auch das Narrativ der Dauer einen Code für die Nachvollziehbarkeit dar. Schließlich erzeugt die Internetseite Nachvollziehbarkeit durch die Einbettung der Unternehmensgeschichte in die allgemeine Geschichte. Diese Einbettung geschieht allerdings auf rein mediale Art. Inhaltlich wird kein Zusammenhang hergestellt. Die Assoziation der Unternehmensgeschichte als Teil des Ganzen muss von den Rezipienten selbst vorgenommen werden. Somit ergibt diese Einbettung nur Sinn, wenn die Rezipienten die gebotenen Informationen entsprechend verarbeiten können, was einen gewissen Grad an Reflexionsfähigkeit voraussetzt.   Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Art der Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit in den hier untersuchten Geschichtsschreibungen durch die Intention der Werbung für die Produkte des Unternehmens geprägt ist. Die verschiedenen Medien, in denen das Unternehmen seine Geschichte erzählt, dient der Formung einer Identität, eines Images, das auf die Kunden zugeschnitten ist, welche auch die Rezipienten der Medien darstellen. Somit ermöglichen die oben herausgearbeiteten Praktiken für Glaubwürdigkeit die Legitimation des Glaubwürdigkeitsanspruchs, weil sie von den Rezipienten als solche gelesen und anerkannt werden können. Je nach historischem Kontext der Entstehung und dem soziokulturellen Kontext der Rezipienten passen sich Sprache und Narrative an. Im ersten Katalog, der zwischen 1913 und 1922 entstand, wird die Lesart eines seit langer Zeit global handelnden Unternehmens bedient, das zugleich seine starke Expertise in den Fokus rückt. Damit werden sowohl Fachleute als auch deren zur Oberschicht zählenden Auftraggeber angesprochen. Im Katalog von 1938 sind die Darstellungen von der nationalsozialistischen Volksideologie geprägt. Die Geschichte des Handels wird auf Europa konzentriert, das Produkt als Symbol für die deutsche Volksgemeinschaft suggeriert. Die fokussierten Rezipienten sind auch hier potenzielle Auftraggeber, die sich aus staatlichen Institutionen und wohlhabenden Privatpersonen zusammensetzen, die mit den nationalsozialistischen Ideologien sympathisieren. Die moderne Internetseite vom Beginn des 21. Jhds. bedient dagegen die

100 Vgl. Metz, K.H.: Von der Erinnerung zur Erkenntnis, S. 14.

3. Teilstudie 1

Lesart eines globalen und mondänen Unternehmens, das trotz des Fortschritts seine Traditionen bewahrt hat. Mit seinen Darstellungen spricht es die gebildete Mittelschicht an, welche die Informationen kognitiv verarbeiten und zu den einzelnen Informationen, wie dem Weißen Haus oder der Erwähnung der mittelalterlichen europäischen Baugeschichte, Verknüpfungen herstellen kann, sie aber nicht formell kritisch hinterfragt. Dass die Darstellungen nicht kritisch hinterfragt werden, ist in allen drei Medien ein weiterer Grund für die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit. Die kritische Reflexion bleibt aufgrund des Anspruchs, den die Rezipienten an die Medien stellen, aus: Sie lesen sie nicht als eine wissenschaftliche oder gar populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung, sondern als Geschichtsschreibung in einem Werbekatalog. Hinzu kommt die Vermittlung von Authentizität auf unterschiedliche Art und Weise, welche die mangelhafte Nachweisbarkeit der Darstellungen – aus Sicht der Rezipienten – kompensiert.

3.3.2

Fallbeispiel 2: Krupp (1811-2011)

Chronologischer Abriss der Unternehmensgeschichte Im Jahr 1811 gründete Friedrich Krupp zusammen mit den Brüdern Georg Karl Gottfried und Wilhelm Georg Ludwig von Kechel eine Gussstahlfabrik in Essen.101 Fünf Jahre später wurde Friedrich Krupp Alleininhaber der Fabrik.102 Sein Sohn Alfried bzw. Alfred103 übernahm die Firma nach dem Tod seines Vaters und erhielt 1848 auch die Eigentumsrechte von seiner Mutter. Mit der Ausbreitung des Eisenbahnnetzes im Deutschen Reich wuchs die Auftragslage des Unternehmens und damit auch dessen Umsatz.104 Durch die Teilnahme an Weltausstellungen in London und Paris in den 1850er Jahren machte Krupp international auf seine Produkte aufmerksam. Am Ende dieses Jahrzehnts nahm neben der Produktion von Eisenbahnrädern auch die Rüstungsproduktion aufgrund von Großaufträgen aus Preußen und Russland für das Unternehmen stark an Bedeutung zu.105 In den 1870er Jahren reagierte Alfred Krupp mit einer sozialpolitischen Offensive auf die Arbeiterunruhen und verfasste 1872 das Generalregulativ, in dem er mit dem Satz: »Gegenseitige Treue hat das Werk so groß gemacht«106 Redewendungen wie ›Treue

101 Vgl. Schröder, Ernst: Krupp – Geschichte einer Unternehmerfamilie, 4. Aufl. Essen 1991, S. 26. 102 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 17f. 103 Später wandelte er seinen Namen in Alfred um, vgl. Grütter, Heinrich Theodor: 200 Jahre Krupp. Ein Mythos wird besichtigt, in: Ders.: 200 Jahre Krupp (2012), S. 15. 104 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 26-30. 105 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 40f. 106 Aufruf des Industriellen Alfred Krupp an seine Arbeiter, 24. Juni 1872, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik: 1867-1914, Abt. 1: Von der Reichsgründungszeit bis zur Kaiserlichen Sozialbotschaft (1867-1881), Band 4: Arbeiterrecht, Darmstadt 1997, Nr.

107

108

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

gegen Treue‹ prägte. Bereits in den 1830er Jahren richtete Krupp Hilfskassen für Arbeitsunfälle ein und ab 1858 führte er eine betriebliche Krankenversicherung ein.107 Im Vergleich zu anderen bekamen Krupps Arbeiter höheren Lohn und sollten so »durch Neigung und Interesse« an die Firma gebunden sein.108 Ihnen wurden Wohnungen zur Verfügung gestellt, sie konnten Bildungsangebote wahrnehmen und erhielten eine betriebliche Rente. Nach dem Tod Alfred Krupps im Jahr 1887 übernahm sein Sohn Friedrich Alfred das Unternehmen. Durch die Angliederung des Magdeburger Eisenwerks Gruson 1892 vergrößerte sich Krupp, was der Beginn des Krupp-Konzerns war, wie Ernst Schröder schreibt.109 Durch die Bestrebungen Kaiser Wilhelms II., eine eigene Kriegsflotte aufzubauen, stieg die Stahlproduktion in den 1890er Jahren für die Schlachtschiffe an. Im Zuge dieser Entwicklung kaufte Krupp 1896 die Germaniawerft in Kiel und schließlich wurde 1897 auch das Hüttenwerk Rheinhausen ins Unternehmen eingegliedert. Als Friedrich Alfred Krupp 1902 gestorben war, erbte seine Tochter Bertha Krupp das Unternehmen, das auf Anweisungen des Verstorbenen 1903 in die Friedrich Krupp Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.110 1905 wurden eine geschichtliche Abteilung sowie das Familienarchiv der Krupps gegründet.111 1912 feierte man das hundertjährige Bestehen des Unternehmens.112 Im Ersten Weltkrieg nahmen Produktion und Umsatz zu. Als das Deutsche Reich aber nach seiner Niederlage im November 1918 alle Aufträge stornierte, kam es schließlich ab 1919 zu Massenentlassungen.113 Durch den Versailler Vertrag wurde die Waffenproduktion zerschlagen. In den folgenden Jahren stellte Krupp wieder auf die Friedensproduktion um, wobei vor allem die Herstellung kompletter Lokomotiven den Umsatz steigerte.114 Nach der Machtergreifung der NSDAP im Jahr 1933 begann das Unternehmen im Zuge der »Wiederwehrhaftmachung« ab dem Jahr 1935 wieder verstärkt mit der Rüstungsproduktion.115 Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Unternehmen durch eine gesetzliche Ausnahmeregelung von einer Aktiengesellschaft wieder in eine Einzelfirma umgewandelt.

102, S. 314-316, S. 315; vgl. auch: Schröder, Ernst: Alfred Krupps Generalregulativ, ZUG, Bd. 1, Heft 1, 1956, S. 35-57, S. 35. 107 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 55f. 108 Vgl. ebd., S. 29. 109 Vgl. Schröder, E.: Krupp, S. 87f. 110 Vgl. ebd., S. 94. 111 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre historisches Archiv Krupp, S. 8. 112 Statt des Gründungsjahres 1811 wählte man das Geburtsjahr von Alfried Krupp 1812 als Bezugsjahr, vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 107f. 113 Vgl. ebd., S. 124f.; Tenfelde, Klaus: Krupp in Krieg und Krisen. Unternehmensgeschichte der Fried. Krupp AG 1914-1924/25, in: Gall: Krupp im 20. Jahrhundert (2002), S. 15-165, hier S. 8992. 114 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 127f. 115 Vgl. Abelshauser, Werner: Rüstungsschmiede der Nation? Der Kruppkonzern im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit 1933 bis 1951, in: Gall: Krupp im 20. Jhd. (2002), S. 272.

3. Teilstudie 1

1943 wurde Alfried Krupp von Bohlen und Halbach von seinem Vater Gustav als alleiniger Inhaber eingesetzt.116 Im April 1945 verhafteten amerikanische Soldaten Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der anschließend im November 1947 zusammen mit elf Mitgliedern des Direktoriums der Firma angeklagt wurde. In den Anklagepunkten »Teilnahme an der Plünderung besetzter Gebiete« und »Teilnahme am Sklavenarbeitsprogramm der deutschen Regierung« wurde Alfried Krupp von Bohlen und Halbach schließlich schuldig gesprochen. Man verurteilte ihn zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe und zur Konfiszierung seines Vermögens.117 1951 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. Zwei Jahre später kam es zum Abschluss des sogenannten Mehlemer Vertrags zwischen Krupp von Bohlen und Halbach und den Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Durch diesen Vertrag wurde ihm sein gesamtes Vermögen unter bestimmten Bedingungen zurückerstattet. Eine der wesentlichen Bedingungen war, dass die Berg- und Hüttenbetriebe vom Krupp-Konzern abgetrennt und bis zum Jahr 1959 verkauft würden.118 Als sich bis 1968 aber keine Käufer gefunden hatten, wurde die Auflage des Verkaufs fallen gelassen. Drei Jahre zuvor waren das Rheinhauser Hüttenwerk und die erworbene Bochumer Gussstahlfabrik zur Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG zusammengelegt worden. 1967 musste das Unternehmen als Bedingung für die Zahlung weiterer Kredite einwilligen, entweder in eine Kapitalgesellschaft oder eine Stiftung umgewandelt zu werden. Im Jahr 1968 wurde daher die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gegründet.119 1980 wurde das Unternehmen in die Krupp Stahl Aktiengesellschaft umgewandelt, die 1992 zusammen mit der Hoesch AG zur Friedrich Krupp AG Hoesch Krupp fusionierte.120 1999 kam es schließlich zum Zusammenschluss von Krupp und Thyssen zur ThyssenKrupp AG.121 Das Untersuchungskorpus Das Untersuchungskorpus besteht in diesem Fall aus drei Werken: Zunächst aus Lothar Galls Monografie »Krupp. Aufstieg eines Industrieimperiums«, die im Jahr 2000 erschien und eine akademische Geschichtsschreibung darstellt122 , des Weiteren Ralf Stremmels Jubiläumsband »100 Jahre Historisches Archiv Krupp – Entwicklungen, Aufgaben, Bestände« aus dem Jahr 2005123 und schließlich

116 117 118

Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 167. Vgl. Abelshauser, W.: Rüstungsschmiede der Nation?, S. 466-470. Vgl. Gall, L.: Von der Entlassung Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs bis zur Errichtung seiner Stiftung 1951-1967/67, in: Ders.: Krupp im 20. Jhd. (2002), S. 473-589. 119 Vgl. ebd., S. 579-589; Stenglein, F.: Krupp, S. 232f. 120 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 179. 121 Vgl. ebd., S. 185. 122 Vgl. Gall, L.: Krupp, Berlin 2000. 123 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, München 2005.

109

110

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Frank Stengleins Monografie »Krupp. Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens« aus dem Jahr 2011, bei der es sich um eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage aus dem Jahr 1998 handelt.124 Mit Lothar Galls Werk liegt eine Geschichtsschreibung vor, die von einem professionellen Historiker verfasst wurde und im Feld der akademischen Geschichtsschreibung entstand. Ralf Stremmel ist ebenfalls ein professioneller Historiker. Durch das somit voraussetzbare professionelle Know-how des Autors und der Zielgruppe einer interessierten, nicht-professionellen Öffentlichkeit, ist der Jubiläumsband zwischen dem Feld der akademischen und der populärwissenschaftlichen Geschichtsschreibung einzuordnen. Mit Frank Stenglein schrieb ein Journalist und leitender Zeitungsredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung eine sogenannte populärwissenschaftliche Unternehmensgeschichte des zweihundert Jahre alten Unternehmens. Damit ist eine synchrone Betrachtung dreier Werke möglich, die drei unterschiedliche Arten von Geschichtsschreibung darstellen. Lothar Gall war seit 1975 Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt, bis er im Jahr 2005 emeritiert wurde. In seinem Werk über Krupp aus dem Jahr 2000 stellt er die Geschichte des Unternehmens von den Anfängen im späten 18. Jhd. bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs aus sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive dar. Ralf Stremmel stellt die Geschichte des Unternehmens aus der Perspektive des historischen Archivs dar. Das Historische Archiv Krupp ist unter den Firmen- und Unternehmensarchiven etwas Besonderes, da es nicht im Unternehmen, dem heutigen Thyssenkrupp Konzern, aufgeht, sondern von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung unterhalten wird. Es ging hervor aus dem 1905 gegründeten Werksarchiv und dem im selben Jahr von Margarethe Krupp gegründeten Familienarchiv. Prof. Dr. Ralf Stremmel wurde 1992 an der Universität Bonn im Fach Geschichte promoviert und habilitierte 2003 an der Ruhr-Universität Bochum, wo er seit 2010 eine außerplanmäßige Professur in Neuester Geschichte innehat. Seit 2003 ist er Leiter des Historischen Archivs Krupp in Essen. Sein Werk beschreibt die Geschichte des Archivs von der Gründung im Jahr 1905 bis zum Jubiläumsjahr 2005. Frank Stengleins Monografie schildert die Geschichte des Unternehmens aus der Perspektive der Familie Krupp. Das Buch beginnt mit den ersten Erwähnungen des Namens Krupp im 16. Jhd. und endet mit der Entwicklung des Unternehmens unter Berthold Beitz, der nach dem Tod Alfried Krupps von Bohlen und Halbach Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung wurde und seit 1970 Vorsitzender bzw. seit 1999 Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats des Unternehmens war. Das Buch

124 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, Essen 2011.

3. Teilstudie 1

schließt mit einem Exkurs über Erinnerungsorte von und über das Unternehmen und die Familie Krupp. Aufgrund der Fülle an Informationen, welche über die Geschichte des Unternehmens Krupp existieren und der damit verbundenen je unterschiedlich ausfallenden Ausrichtung der Geschichtsschreibungen, wird der Fokus in dieser Untersuchung auf die Narrative über die Unternehmerpersönlichkeiten gelegt, die eine synchrone Untersuchung zulassen, da sie in allen drei Werken zu finden sind. Analyse a) Die Ebene des äußeren Kontextes Zwei der drei Autoren haben eine professionelle Qualifikation als Historiker durchlaufen. Mit Lothar Gall wirkte ein Vertreter der universitären Geschichtswissenschaft an einer Geschichtsschreibung des Unternehmens Krupp. Sprache, Aufbau und Verwendung von Quellen legen nahe, dass die Zielgruppe Galls neben einer interessierten Öffentlichkeit vor allem Fachpublikum umfasst. Ralf Stremmel, der hauptberuflich als Archivleiter tätig ist, kann in diesem Fall als Vertreter der angewandten Unternehmensgeschichte bezeichnet werden. Einerseits ist er bemüht, die wissenschaftlichen Standards zu wahren, andererseits richtet sich die pragmatische Ausrichtung nach der Zielgruppe. Diese stellt in erster Linie eine interessierte akademische Öffentlichkeit dar, wie unter anderem die ausführliche Erklärung von Funktionen und Strukturen von Archiven nahelegt, die Stremmel im Rahmen der Erzählung gibt.125 Frank Stenglein ist in seiner Profession als Redakteur und Journalist zu betrachten. Seine Geschichtsschreibung vermittelt die historischen Erzählungen unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Forschung für eine breite interessierte Öffentlichkeit. Sowohl bei Gall als auch bei Stenglein sind keine Auftraggeber erkennbar. Stremmels Werk wurde von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung herausgegeben. Damit ist der Herausgeber identisch mit dem Träger des Archivs, dessen Geschichte im Buch erzählt wird. Die Stiftung ging hervor aus der Firma Friedrich Krupp A.G. und hält bis heute den größten Anteil an der ThyssenKrupp A.G. Der Anlass für Stremmels Publikation ist das hundertjährige Bestehen des Archivs. Stremmel zeichnet nach, wie die Aufgaben sich im Lauf der Zeit gewandelt haben und verknüpft dies mit der Geschichte des Unternehmens. Auch bei Stengleins Publikation spielt ein Jubiläum eine Rolle. 2011 feierte das Unternehmen zweihundertjähriges Bestehen, worauf der Klappentext der Ausgabe hinweist.126 Die erste Auflage von Stengleins Buch erschien allerdings 1998 ohne Hinweis auf einen solchen Anlass. Bei Galls Publikation ist kein konkreter Anlass auszumachen.

125 126

Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 13f. Vgl. auch Stenglein, F.: Krupp, S. 9 und S. 259.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Von allen drei Publikationen weist Galls Werk das ausführlichste Vorwort auf. Darin dankt er sowohl der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung als auch der Gerda Henkel-Stiftung für finanzielle Unterstützung. Darüber hinaus dankt er der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung für den Zugang zu den Materialien. Ebenfalls bedacht werden im Vorwort die zur Zeit der Entstehung des Werks amtierende Leiterin des Archivs, Dr. Renate Köhne-Lindenlaub sowie Herwig Müther, der unter anderem das Bildarchiv Krupps betreute.127 Was die Danksagungen angeht, zeigen sich Gemeinsamkeiten zwischen Gall und Stenglein, der in der Auflage von 2011 ebenfalls Dr. Köhne-Lindenlaub sowie auch ihrem Nachfolger Ralf Stremmel dankt.128 In der ersten Auflage ist die Danksagung noch ausführlicher und neben der genannten Archivleiterin wird ebenfalls Berthold Beitz genannt, mit dem er ein »interessantes Gespräch« geführt habe.129 Auch Stremmels Publikation weist eine unmittelbare Verbindung zu Beitz auf: Der ehemalige Generalbevollmächtigte und Vorsitzende des Kuratoriums der Krupp-Stiftung schrieb ein Geleitwort für das Buch.130 Was die Nutzung von Quellen angeht, zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede. In allen drei Publikationen werden Bildquellen genutzt, Textquellen dagegen nur bei Gall und Stremmel. Gall nutzt in erster Linie primäre Textquellen aus dem Historischen Archiv Krupp, lediglich das Bundesarchiv in Koblenz wird als weiteres Archiv angeführt.131 Als Nachweis dienen Fußnoten, die im Anmerkungsapparat aufgeführt werden. Dazu gehört auch die Auflistung von Tabellen, auf die er sich im darstellenden Teil stützt.132 Die Textquellen dienen dabei primär als Grundlage der Erzählung, wie zum Beispiel die Schilderung des Scheiterns der Gussstahlfabrik der Gebrüder Kechel 1803, die der Einordnung der Fähigkeiten der Partner von Friedrich Krupp dient und so einen Informationshintergrund für die weitere Erzählung liefert.133 Die Bildquellen sind schwarz-weiß gehalten und ergänzen gelegentlich die textliche Darstellung. Allerdings sind auch Abbildungen dabei, die es ermöglichen, komplexe Sachverhalte zu verdeutlichen. So beispielsweise die Abbildung der Bearbeitungswerkstatt für Panzertürme im Grusonwerk.134 Bei Stremmel fällt die starke Nutzung von Bildquellen auf. Insgesamt gibt es 223 Abbildungen auf 189 Seiten erzählender Darstellung. Dies kann mit den Rechten der Stiftung an den Bildern erklärt werden. Auch die Verlegung des Werks beim Deutschen Kunstverlag mag eine Rolle spielen. Der renommierte

127 128 129 130 131 132 133 134

Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 7f. Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 4. Vgl. ebd., S. 195. Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 8f. Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 378. Vgl. ebd., S. 354-376. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 261.

3. Teilstudie 1

Verlag ist für hochwertige Publikationen der Kunst- und Kulturgeschichte, Architektur und Denkmalpflege bekannt.135 Die Abbildungen dienen wie bei Gall oft der Visualisierung des im Text Dargestellten. Aber darüber hinaus stellen sie auch direkte Zeugnisse aus der Geschichte des Archivs dar. Die Textquellen entstammen zum größten Teil dem Historischen Archiv Krupp. Die Quellennachweise erfolgen in Fußnoten, die im Anmerkungsapparat aufgeführt sind.136 Sie sind in die erzählende Darstellung eingebunden oder werden explizit als besonders interessante Archivalien genannt.137 In der Publikation von Stenglein fehlt die Angabe von Textquellen, einen Fußnotenapparat gibt es nicht, in den Anmerkungen findet sich aber ein ausführliches Literaturverzeichnis.138 Stenglein nutzt ebenso wie Gall schwarzweiße Abbildungen, für die einzelne Bildnachweise angegeben sind.139 Sie dienen wie bei Gall und Stremmel der Visualisierung des im Text Dargestellten. b) Die metatextuelle Ebene Allen drei Medien kann als explizites Ziel die Weitergabe von Wissen zugeschrieben werden, wobei sich die Art des Wissens auf die unterschiedlichen Gegenstände bezieht, die in den Werken behandelt werden. Bei Stenglein und Stremmel zählt auch die allgemeine Information über das Unternehmen zum expliziten Ziel, worauf der Anspruch, einen Überblick über die gesamte Zeitspanne des Unternehmens bzw. des Archivs zu geben, hinweist. Bei Gall ist die Zeitspanne, die er behandelt, auf die Wirkungszeit von Friedrich Krupp bis Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs beschränkt. Zugleich ist sein Werk das umfangreichste der drei hier behandelten Publikationen (336 Seiten erzählende Darstellung). Als weiteres explizites Ziel kann bei Gall neben der Wissensweitergabe der Gewinn neuer Erkenntnisse genannt werden, indem durch das Untersuchen der Unternehmensgeschichte aus unterschiedlichen Perspektiven der Entwicklungsprozess nachvollzogen werden soll.140 Mit seiner expliziten Erläuterung der Ziele seines Werks und der gewählten Ansätze erfüllt Gall hier ein Merkmal der akademischen Geschichtsschreibung.141 Als implizites Ziel kann bei Stremmel aufgrund der engen Verbindung der Entstehung des Werks mit der Alfried Krupp

135

In diesem Zusammenhang erschienen dort auch weitere Publikationen über Krupp u.a. die Kleine Reihe Villa Hügel, zu der auch die hier vorliegende Publikation Stremmels zählt. 136 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 192-212. 137 Vgl. ebd., S. 60. 138 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 282-286. 139 Vgl. ebd., S. 4. 140 Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 7. 141 Vgl. Kolmer, Lothar/Rob-Santer, Carmen: Geschichte schreiben. Von der Seminar- zur Doktorarbeit, Paderborn 2006, S. 122; Krüger, Christine G.: Schreiben, in: Budde/Freist/GüntherArndt: Geschichte (2008), S. 238.

113

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von Bohlen und Halbach-Stiftung eine identitätsstiftende Funktion vermutet werden. Das hier vermittelte Bild ist das eines Unternehmens, das schon immer die Bedeutung von Geschichte erkannt und geschätzt hat und sich seiner Verantwortung gegenüber der eigenen Geschichte bewusst ist. Da Stremmel die Geschichte des Historischen Archiv Krupp darstellt, ist dieses Bild naheliegend. Bezüglich des soziokulturellen Hintergrunds, vor dem das Buch entstand, deutet dieser im Text hervorgehobene Teil der Unternehmensidentität auf das seit Ende der 1990er Jahre in der Disziplin der Unternehmensgeschichte verstärkt betonte Verantwortungsprinzip hin. In der angewandten Unternehmensgeschichte handelt es sich zudem um ein wichtiges Relevanzkriterium. Bei Stenglein kann als implizites Ziel die Unterhaltung der Rezipienten gelten, worauf der starke affirmative Zugang hinweist. Ein implizites Ziel im Werk Galls zu benennen, erweist sich als schwierig. Auch wenn eine identitätsstiftende Wirkung mit dem Werk verbunden sein mag, so weist doch nichts darauf hin, dass dies eine implizite Absicht wäre, da nichts über einen möglichen aktiven Anteil des Unternehmens an der Schaffung des Werkes zu erkennen ist. Über die impliziten Ziele der Autoren in Verbindung mit den Publikationen können auf Grundlage der einzelnen Texte keine Aussagen gemacht werden. Das Layout fällt in seiner aufwendigen Gestaltung besonders bei Stremmels Publikation auf. Ein ablösbarer Umschlag zeigt farbige Abbildungen, welche die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte der Archivalien im Historischen Archiv Krupp implizieren (Fotografien von Familienmitgliedern, Maschinen, Gebäuden und historischen Schriften). Auf dem grauen Einband ist in der rechten oberen Ecke das Markenzeichen der Firma Krupp, die drei übereinanderliegenden Ringe, eingeprägt. Bemerkenswert ist hier die Nutzung des symbolischen Werts der Ringe, die ganz ohne Wörter auf dem Einband denjenigen, die das Symbol verstehen, mitteilen, von welchem Unternehmen das Buch handelt. Auch die im Buch selbst, und bereits oben angemerkte, starke Nutzung von Bildquellen fällt hier auf. Dies unterstreicht den Anteil des populärwissenschaftlichen Charakters des Werks. Statt einer textlastigen Beschreibung der Archivalien, arbeitet das Werk mit Abbildungen, die den Rezipienten den Bestand des Archivs näherbringen. So können Rezipienten, die ein Archiv bisher noch nicht von innen gesehen haben, ein Bild von den vielen verschiedenartigen Archivalien erhalten. Dass aber auch Fachleute wie professionelle Historiker und potenzielle Nutzer des Archivs angesprochen werden, wird primär durch die beflissentliche Verwendung von Fußnoten deutlich, die sich einerseits auf wissenschaftliche Literatur beziehen und andererseits auf primäre Textquellen, aus denen Informationen in die erzählende Darstellung integriert werden. Des Weiteren findet sich im Anhang auch eine Beständeübersicht, die zwar einen Überblick über den Umfang des Archivs bietet,

3. Teilstudie 1

aber zugleich auch durch ihre Detailliertheit potenzielle Nutzer anspricht.142 Auch Stenglein weist eine in Relation zum Umfang der erzählenden Darstellung hohe Anzahl von Abbildungen auf (97 Abbildungen auf 271 Seiten). Dabei handelt es sich zumeist um Abbildungen, die zur übergeordneten chronologischen Erzählung passen. Sie bieten den Rezipienten somit einen visuellen Zugang zum historischen Kontext, tragen aber nicht wie bei Stremmel zur Wissenserweiterung der Rezipienten bei. Zu jeder Abbildung gehört eine Bildunterschrift, die über das Abgebildete informiert. Es handelt sich bei der Visualisierung daher um eine informative Unterhaltung, was die Rezipientengruppe als breite interessierte Öffentlichkeit und somit den populärwissenschaftlichen Charakter des Werks unterstreicht. Die hier bearbeitete zweite Auflage des Buches ist als Taschenbuch erschienen und zeigt auf dem Cover den Kopfteil des Denkmals von Alfred Krupp in Essen. In großen weißen Buchstaben steht der Name »Krupp« in der oberen Hälfte. In sehr viel kleineren Buchstaben steht ganz unten der Untertitel »Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens«. Und auch auf dem ablösbaren Umschlag von Gall ist der Name des Unternehmens als Titel prominent platziert. Bei beiden Werken steht wie auch bei Stremmel der Name für den Inhalt. Vor allem bei Stenglein wird mit dem symbolischen Kapital des Namens gespielt, was nahelegt, dass vom Rezipienten sofort verstanden wird, von was bzw. wem das Buch handelt, selbst wenn der Untertitel nicht dort stünde. Die Publikation von Gall zeigt im Vergleich zu den anderen beiden Werken verhältnismäßig wenig Abbildungen (49 Abbildungen auf 336 Seiten erzählender Darstellung). Ihre Funktion ist dabei recht heterogen. So werden teilweise weitergehende Informationen als über das Abgebildete hinaus gegeben, teilweise beziehen sie sich auf im Text unmittelbar Erzähltes und teilweise dienen sie wie bei Stenglein der reinen Visualisierung des übergeordneten historischen Kontextes.143 Der sparsame Umgang mit Abbildungen entspricht einer akademischen Geschichtsschreibung, allerdings weist ihre heterogene Funktion darauf hin, dass es sich nicht um eine reine Universitätsschrift handelt, sondern auch eine interessierte Öffentlichkeit einschließt. Die Gliederung bei Stremmel weist bereits auf eine wesentliche Eigenschaft des Buches in Bezug auf die Pragmatik hin. So gibt es insgesamt vier Kapitel mit jeweiligen Unterkapiteln mit erzählender Darstellung. Die ersten zwei Kapitel beinhalten eine chronologische Darstellung, die letzten zwei eine systematische Darstellung nach Archiv-Beständen. Dem schließen sich der Anmerkungsapparat und der Anhang an, die 85 Seiten von insgesamt 276 Seiten ausmachen. Neben der detaillierten Beständeübersicht beinhaltet der Anhang eine Auflistung aller Archivleiter von 1905 bis 2005, eine Auswahlbibliografie und ein Register. Der Anhang unterstreicht mit seinen Inhalten ebenfalls den Charakter der Mischform aus akade142 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv, S. 214-251. 143 Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 166-167, S. 168, S. 175 und S. 229.

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mischer und populärwissenschaftlicher Publikation. Neben der bereits genannten detaillierten Beständeübersicht bietet die Auflistung ausgewählter Literatur, die nach Themen eingeteilt ist, Informationsmöglichkeiten für eine tiefergehende Lektüre. Dabei werden größtenteils wissenschaftliche Publikationen aufgeführt. Hinzu kommt, dass Stremmel mit dem Anmerkungsapparat, in dem alle verwendeten Primärquellen und literarischen Texte aufgeführt sind, den Transparenzanspruch der akademischen Geschichtsschreibung erfüllt. Andererseits stellt die Auflistung der Archivleiter eine komprimierte Information dar, die Rezipienten, die ungeübt im schnellen Erfassen von Informationen in komplexen Textstrukturen sind, die Informationsaufnahme erleichtern. Auch bei Stenglein folgt nach acht Kapiteln chronologischer Darstellung ein Kapitel mit systematischer Darstellung in Bezug auf Erinnerungsorte. Im Anhang findet sich ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Stammbaum der Familie Krupp sowie ein Register. Das Literaturverzeichnis ist alphabetisch geordnet und bildet Literatur ab, auf die Stenglein sich teilweise explizit bezieht, aber auch Werke, deren Verwendung implizit geschieht. Diese vereinfachte Darstellung der Bibliografie sowie der Familienstammbaum, der eine komprimierte Information darstellt, entsprechen dem Charakter der populärwissenschaftlichen Publikation. In einer rein akademischen Geschichtsschreibung würde das Fehlen der Fußnoten und somit die nicht eindeutig möglichen Zuordnungen von Aussagen gegen den Anspruch der Transparenz verstoßen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Rezipientengruppe eine interessierte Öffentlichkeit und kein Fachpublikum umfasst. Die Kapiteleinteilung bei Gall ist am detailliertesten von allen drei Werken. Insgesamt 16 Kapitel chronologischer Darstellung sind vorhanden. Dazu kommt ein vollständiger Anmerkungsapparat aller verwendeter Primärquellen und literarischer Texte sowie edierte Tabellen, auf die sich Gall im Darstellungstext bezieht. Dem folgt ein alphabetisches Verzeichnis aller verwendeter Literatur, sodass der Anspruch an Transparenz als erfüllt gelten kann. c) Die inhaltliche Ebene In allen drei betrachteten Publikationen sind Narrative über die Unternehmerpersönlichkeiten zu finden. Das Narrativ über die Unternehmerpersönlichkeiten umfasst bei Stremmel die Personen von Alfred Krupp bis Berthold Beitz und damit diejenigen, die eine Rolle für die Geschichte des Historischen Archivs Krupp spielten. Im Gegensatz dazu setzen aufgrund des unterschiedlichen Fokus auf die Unternehmensgeschichte Stenglein und Gall bereits bei Friedrich Krupp als ursprünglichen Unternehmensgründer an. Dabei umfasst Stenglein mit seinem Narrativ der Unternehmerpersönlichkeiten die meisten Personen, da er einen längeren Zeitraum als Gall behandelt. So werden bei Stenglein die Personen von Friedrich Krupp (17871826) bis Berthold Beitz (1913-2013) betrachtet. Bei Gall fokussiert sich das Narrativ auf die Personen von Friedrich Krupp, Alfred Krupp, Friedrich Alfred Krupp und

3. Teilstudie 1

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Dabei liegt der quantitative Schwerpunkt auf der Lebens- und Wirkungszeit von Alfred Krupp (1812-1887). Die Lesart des Narrativs zur Persönlichkeit von Unternehmensgründer Friedrich Krupp ist bei Gall die eines Unternehmers, der von der Erzeugung seines Produktes besessen war und der mit Begeisterung an seine Aufgabe heranging. »Mangelnder Realismus« und »fehlende Menschenkenntnis« seien schuld an seinen fehlgeschlagenen Versuchen einer qualitativ hochwertigen stabilen Stahlerzeugung gewesen. Zugleich wird er als optimistisch und visionär dargestellt.144 Diese Lesart rezipiert auch Frank Stenglein und verweist darin explizit auf Galls Darstellung.145 Im Gegensatz zu Gall, der seine Lesart in detaillierte Schilderungen der Hintergründe von Friedrich Krupps Wirken einbettet, kommt Stenglein sehr direkt zur Charakterisierung des Unternehmensgründers: »Hinzu kommt, dass ihm sein sprunghaftes Wesen, seine Schwierigkeiten mit konzentrierter, stetiger Arbeit im Wege stehen. […] Er ist der geborene Visionär, er mag tatsächlich gespürt haben, dass das heraufziehende technisch-industrielle Zeitalter große Chancen bietet. Doch Friedrich ist nicht der Mann, diese Chancen umzusetzen.«146 Hier zeigt sich auch eine Reduktion von komplexen Sachverhalten, die für populärwissenschaftliche Geschichtsschreibungen als typisch bezeichnet werden kann. Es wird nicht ausgeführt, warum Friedrich Krupp die »Chancen« nicht umsetzen konnte, im Gegensatz zu Gall, der darauf knapp elf Seiten verwendet und detailliert die Probleme mit den Teilhabern und der finanziellen Lage vor dem historischen Kontext erläutert. Was das Narrativ über Alfred Krupp angeht, finden sich in allen drei Werken die gleichen Lesarten, die aber unterschiedlich vermittelt werden. So relativiert Stremmel die Lesart des fürsorglichen Patriarchen durch die Charakterisierung auf einer Meta-Ebene, indem er direkt auf Quellen verweist, in denen Alfred Krupp diesen Charakterzug selbst relativiert.147 Auf diese Weise stellt Stremmel zugleich auch die Lesart des Taktikers her. Diese Relativierung gelingt ihm an anderer Stelle noch deutlicher, als er verschiedene Quellen mit dem expliziten Hinweis aufzählt, dass aus ihnen die unterschiedlichen Charaktereigenschaften Krupps gelesen werden könnten.148 Dem von Koselleck formulierten Anspruch, »wahre Aussagen zu machen und doch ihre Relativität zuzugeben und zu berücksichtigen«149 , wird hier Genüge getan. 144 145 146 147 148 149

Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 13- 23. Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 19f. Ebd., S. 16f. Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 121. Vgl. ebd., S. 51f. Koselleck, R.: Vergangene Zukunft, S. 176.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Stengleins Lesart des Patriarchen zeichnet ein ambivalentes Bild. Einerseits ist davon die Rede, dass Alfred Krupp allein »das Sagen« haben wollte und streng gegenüber der Arbeiterschaft agierte, was aufsässige Handlungen vor dem Hintergrund der Revolution von 1848 betraf.150 Andererseits reflektiert Stenglein auch die Fürsorglichkeit des Patriarchen, indem er auf dessen Intention hinweist, durch Fürsorge die Loyalität der Arbeiter gegenüber dem Unternehmen zu stärken. Und er relativiert diese Charaktereigenschaft, indem er auf die Konsequenzen verweist, die ein Ausscheiden aus der Firma hatte.151 Damit bedient er, wie Stremmel, zugleich die Lesart des Taktikers. Und auch Gall verknüpft die Lesart des Patriarchen mit der des Fürsorgers und verbindet sie schließlich mit der des Taktikers.152 Gall nutzt für diese Rollen den Vergleich mit dem Verhältnis eines Lehnsherren zu seinen Lehnsmännern.153 Auch Stenglein macht solch einen Vergleich, indem er schreibt, Alfred Krupp sehe sich als »Gutsherr, ja als Staatsoberhaupt«.154 Gall ordnet die Rollen des Patriarchen und Fürsorgers darüber hinaus in den historischen Kontext ein, indem er die Situation der Arbeiterschaft in einem Kapitel ausführlich erläutert und darlegt, welche Widersprüche sich dadurch aus dem Handeln Alfred Krupps ergaben.155 Eine weitere Lesart des Narrativs über Alfred Krupp ist die des Pioniers und Visionärs. Stremmel nennt dies erneut im Zusammenhang mit der Idee Krupps, bereits 1871 alle wichtigen Unterlagen zu sammeln und zu archivieren. Dabei stellt er einen Gegenwartsbezug her, indem er diese Idee Alfred Krupps mit dem modernen Begriff des »Wissensmanagements« gleichsetzt.156 Und auch die Einrichtung der Photographischen Anstalt 1861 durch Alfred Krupp stellt er in Bezug zum technischen Fortschritt.157 Galls Lesart des Pioniers beschränkt sich auf den Unternehmer und Stahlerzeuger Alfred Krupp. Er stellt den Unterschied zwischen den politischen und gesellschaftlichen Ansichten zu den technischen und arbeitsorganisatorischen Ansichten Krupps heraus.158 Zugleich relativiert er auch das Bild des »Meisters«, indem er die handwerkliche Autorität Krupps aus der Perspektive der Arbeiter reflektiert.159 Bei Stenglein findet sich die Lesart des Pioniers durch eine besonders deutliche sprachliche Hervorhebung.

150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 25-29; S. 55-59. Vgl. ebd., S. 55. Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 72. Vgl. ebd., S. 70. Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 51. Vgl. Gall, L: Krupp, S. 225-237. Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 20. Vgl. ebd., S. 119. Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 72-76. Vgl. ebd., S. 106.

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»Es scheint vielmehr, als wäre er seiner Zeit voraus gewesen. Das nicht einmal, weil er persönlich ein großartiger Erfinder ist (da gibt es bessere), sondern weil er für Anstöße sorgt […]. Eine Unternehmensphilosophie, deren Merkmal eine Mischung aus vorausschauender Modernität und altväterlicher Moral ist.«160 Trotz des stark affirmativen Stils, relativiert Stenglein hier auch das Bild des Pioniers. Auch an anderer Stelle ist die Relativierung der Lesart kurz, aber klar. Als Stenglein über den Weg des Deutschen Reichs zur Großmacht zur Zeit von Alfred Krupps Tod reflektiert, schreibt er: »Krupp hat daran zweifellos seinen Anteil, der allerdings auch nicht überschätzt werden darf.«161 Einen sehr hohen Reflexionsgrad bedient wiederum Gall, indem er das Bild der »Legende« des schöpferischen Alfred Krupp zunächst explizit als eine solche benennt und dann erläutert, wie es zur Entstehung dieser Legende durch Alfred Krupp selbst kam. Anschließend reflektiert er mit einem Zitat von Jürgen Kocka, dass »die ›antreibende Rolle nicht akzeptierter Not‹ […] gerade für diese Zeit als einen speziellen Faktor in Rechnung stellen wird.«162 Was Friedrich Alfred Krupp betrifft, beschreibt Stremmel ihn als einen Wissenschafts- und Kulturfreund. Er zählt zur Bekräftigung dieser Lesart auf, mit welchen bekannten Wissenschaftlern und Künstlern Friedrich Alfred Krupp Schriften austauschte. Unterstrichen wird diese Lesart außerdem durch Abbildungen von Krupp, die sein Interesse an der Wissenschaft bekunden, indem beispielsweise eine Abbildung eines Berichts über Friedrich Alfred Krupps Tiefseeforschungen abgedruckt ist.163 Stenglein bedient die Lesart einer tragischen Figur in Bezug auf Friedrich Alfred Krupp. So habe dieser zwar den Willen des Vaters geerbt, als einziger Entscheidungen im Unternehmen zu treffen, zugleich wird er aber als schwächere Persönlichkeit im Vergleich zu Alfred Krupp dargestellt.164 Aber auch in Stengleins Werk wird das wissenschaftliche Interesse Friedrich Alfred Krupps betont, allerdings bringt er es in einen Zusammenhang mit der Entwicklung des Unternehmens.165 Eine weitere Lesart ist die des politisch engagierten Unternehmers, der durch seine Rolle als Abgeordneter im Reichstag und als Unternehmenseigentümer schließlich zum »Bauernopfer« wird.166 Stenglein folgt damit der Lesart Lothar Galls, der den Interessenkonflikt Friedrich Alfred Krupps detailliert nachzeichnet.167

160 161 162 163 164 165 166 167

Stenglein, F.: Krupp, S. 27. Ebd., S. 76f. Jürgen Kocka, zitiert nach Gall, L: Krupp, S. 42. Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 54f. Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 80. Vgl. ebd., S. 91, 96f. Vgl. ebd., S. 81-86. Vgl. Gall, L., Krupp, S. 268-273.

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Gustav Krupp von Bohlen und Halbach fällt bei Gall unter die Lesart eines Mannes, der ungeeignet war, das Unternehmen zu führen und zugleich einer verklärten Vergangenheit nachhing. Dabei verbindet Gall die Person Krupps von Bohlen und Halbach mit der des von ihm 1909 eingesetzten Vorsitzenden des Direktoriums, Alfred Hugenberg. So erläutert Gall, dass Hugenberg die Leitung übernahm, weil Gustav Krupp von Bohlen und Halbach dafür selbst nicht geeignet war. Zugleich stellt er aber auch dar, dass beide Persönlichkeiten keine Zukunftsvisionen entwarfen und rückwärtsgewandte gesellschaftliche Vorstellungen hatten. Dafür beschreibt Gall ausführlich eine Episode über die Jubiläumsfeier zum hundertjährigen Bestehen des Unternehmens, in der er einen Ausschnitt von Hugenbergs Rede zitiert.168 Das lange Zitat aus Hugenbergs Rede ist ein weiteres Indiz, das auf ein Fachpublikum als Rezipientengruppe hinweist, da es mit seinen langen und komplexen Satzstrukturen sowie der getragenen Sprache schwer verständlich für ein Publikum ist, dessen Lesesozialisation solche Textstrukturen nicht umfasst. Frank Stengleins Lesart stimmt mit der von Gall zwar überein, allerdings wird ein negativeres Bild gezeichnet. So erzählt er, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach habe sich durch »Kühle und Unnahbarkeit« ausgezeichnet, um als Mann ohne Erfahrung in einer Unternehmensleitung bestehen zu können. Um dies zu unterstreichen erzählt Stenglein kleinere Anekdoten, in denen Gustav Krupp als »Fanatiker der Ordnung«169 dargestellt wird.170 Eine weitere Anekdote erzählt er, um auf die »Minderwertigkeitsgefühle« Gustavs Krupp hinzuweisen, die er in Bezug auf die »Ahnengalerie« der Krupps gehabt habe.171 Was dessen Einstellung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie angeht, zeichnet Stenglein ein ambivalentes Bild. So habe Gustav Krupp von Bohlen und Halbach nie antisemitische Hetze betrieben und auch an den jüdischen Mitarbeitern festgehalten. Allerdings erzählt Stenglein auch vom Leiter der Prüfinstitute, Benno Strauß, der trotz seiner Verdienste für das Unternehmen aufgrund seiner jüdischen Herkunft in den vorzeitigen Ruhestand geschickt worden war.172 Mit der Darstellung der Geschichte von Benno Strauß impliziert Stenglein, dass es keine eindeutige Lesart in Bezug auf den Umgang mit jüdischen Mitarbeitern gab. Stenglein weist an anderer Stelle auch explizit auf diesen Umstand hin: »Hält man diese dezidiert anti-nationalsozialistische Personalpolitik und Gustav Krupps zur selben Zeit dokumentierte Reden nebeneinander, ergibt sich eine tiefgreifende Diskrepanz, die Ratlosigkeit hinterlässt.«173 Gall behandelt diese Epoche aus Gustav Krupp von Bohlen und Halbachs Leben in seinem Werk nicht mehr. Stremmel fokussiert Gustav Krupp in Bezug auf 168 169 170 171 172 173

Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 335. Gert von Klass, zitiert nach Stenglein, F.: Krupp, S. 103. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 132. Vgl. ebd., S. 158. Vgl. ebd., S. 159.

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dessen Beziehung zum Archiv. So stellt er die Beziehung zwischen diesem und dem damaligen Archivleiter Wilhelm Berdrow dar, die von einem besonderen Vertrauensverhältnis geprägt gewesen sei. Auch stellt Stremmel das »besondere Geschichtsbewusstsein« Gustav Krupps von Bohlen und Halbach dar und erklärt dies mit dessen adliger Abstammung.174 Als offene Frage formuliert er, ob Gustav Krupp von Bohlen und Halbach die verstärke Erforschung seiner Familiengeschichte betrieb, um »der Aufstiegsgeschichte der Familie Krupp eine eigene Erfolgsstory entgegenhalten zu können«.175 Auch weist Stremmel darauf hin, dass Gustav Krupp von Bohlen und Halbach die Geschichte je nach politischer Lage interpretieren ließ. Entsprechend merkt Stremmel auch an, dass die Werke Berdrows in der universitären Geschichtswissenschaft nur auf »verhaltene Resonanz«176 stießen. Der unterschiedliche Fokus der beiden Werke von Stenglein und Stremmel tritt vor allem im Narrativ über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zu Tage. Stremmel erzählt von ihm in Bezug auf die Globalisierung des Konzerns nach dem Zweiten Weltkrieg und erwähnt an dieser Stelle Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs Aussage, in Zukunft keine Waffen mehr herstellen zu wollen.177 Auf die gesellschaftspolitische Perspektive sowie auch die der Unternehmenspolitik nach der Entlassung Krupp von Bohlen und Halbachs wird nicht eingegangen. Die Passage dient dazu, die nachfolgende Erzählung über die Bestände der internationalen Werke sinnvoll anzuschließen. Stremmel betont des Weiteren das Geschichtsbewusstsein Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs, indem er die Einleitung des Buches mit einer kurzen Anekdote über ein Interview beginnt, in dem dieser sich über den »Wesenskern von Geschichte« äußert.178 Gerade die gesellschaftspolitische und unternehmenspolitische Perspektive sind es dagegen, auf die Stenglein sich in seiner Darstellung fokussiert. Wie auch schon bei Gustav Krupp von Bohlen und Halbach zeichnet er bei Alfried ein ambivalentes Bild in Bezug auf die nationalsozialistische Ideologie. Einerseits sei er von den Nationalsozialisten nicht als »Betriebsführer« geschätzt worden, wie Stenglein die Aussagen Werner Abelshausers rezipiert.179 Andererseits sei Alfried Krupp von Bohlen und Halbach seit 1931 förderndes Mitglied der SS gewesen und 1938 der NSDAP beigetreten. Stenglein bietet schließlich die Lesart des funktionierenden und unkritischen Menschen an und verbindet dies mit dem vorherrschenden Bild der deutschen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus, indem er ein Zitat von Helmuth James von Moltke anführt: »Es scheint ein deutscher Charakterzug zu sein, dem Ob größerer Fragen

174 175 176 177 178 179

Vgl. Stremmel, R: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 71f. Ebd., S. 73. Ebd. Vgl. ebd., S. 110. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 168.

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aus dem Weg zu gehen und stattdessen das Wie in den Vordergrund zu schieben und sich daran zu freuen, wie gut man das macht.«180 In der Episode über den Prozess Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs zeichnet sich die Lesart eines edelmütigen Unternehmers ab, der von den schweren Zeiten beeinflusst wird, in denen er lebt. Stenglein erläutert differenziert, wie es zur Entstehung des Bildes von Krupp als militaristischer Konzern kam und das von den Alliierten geteilt wurde.181 Die Lesart des edelmütigen Unternehmers wird noch einmal in der Episode über Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs Tod bestärkt, in der vor allem auch die pathetische Sprache dazu beiträgt (»[…] schon auf den Jugendbildern umflorte sein Wesen etwas Tragisches und zutiefst Einsames […]«).182 Die Lesarten über Berthold Beitz stimmen bei Stremmel und bei Stenglein überein. Beide verbinden mit ihm einen Neuanfang des Unternehmens. Stenglein skizziert ihn als einen modernen und coolen Außenseiter, der ein Mann klarer Worte ist. Auch hier führt er kleine Anekdoten an, um das Bild des Generalbevollmächtigten zu umreißen.183 Das Benutzen dieser Anekdoten dient zum einen der unmittelbareren Darstellung, denn Geschichte wird somit konkret. Andererseits dienen sie auch der Unterhaltung, was erneut auf die Rezipientengruppe einer breiten interessierten Öffentlichkeit hindeutet, die das Sachbuch nicht allein zur Wissenserweiterung lesen, sondern auch wegen eines erwarteten Unterhaltungswerts. Stremmel bedient in Bezug auf Beitz die Lesart einer Autorität, die durch die Betonung des Amtes als Vorsitzender der Stiftung deutlich wird, wenn es um Belange des Archivs geht, bei denen er eine wichtige Rolle spielte.184 Stremmel und Stenglein stellen auch die Rettung jüdischer Mitarbeiter in Polen durch Berthold Beitz in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der darauf beruhenden Ehrung als »Gerechter unter den Völkern« dar. Beide verbinden dies mit dem Wirken von Beitz in den osteuropäischen Ländern. Hier wird die Lesart eines Diplomaten gezeichnet, der sich »hinter den Kulissen für ein besseres Verständnis zwischen Ost und West«185 einsetzte. Die besondere Bedeutung von Beitz für die Geschichtspolitik des Unternehmens, das sich – im Gegensatz zu anderen wie Flick – ohne großen Protest rehabilitieren konnte, hebt Stenglein hervor. Nachdem er diese Beschreibung durch das gemeinnützige Engagement des Unternehmens erläutert hat, personalisiert er den Prozess, indem er die Person Beitz als wichtigsten Faktor für diesen Prozess benennt.186

180 Helmuth James von Moltke, 1943, zit.n. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 169. 181 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 177f. 182 Vgl. ebd., S. 238. 183 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 208. 184 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 99, 188. 185 Ebd., S. 117. 186 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 277.

3. Teilstudie 1

Die Vermittlung von Glaubwürdigkeit Für die Art und Weise, wie der Anspruch auf Glaubwürdigkeit legitimiert wird, ist bei den drei hier untersuchten Werken von zentraler Bedeutung, welche Textform jeweils vorliegt. Von dieser kann bereits auf die Rezipientengruppe geschlossen werden, wobei diese als Zielgruppe andersherum auch Einfluss auf die Textform nimmt. Damit verbunden sind ebenfalls die jeweiligen Ziele der Geschichtsschreibungen. Für den Parameter Pragmatik kann somit festgehalten werden, dass Lothar Galls Werk ein wissenschaftliches Buch darstellt und primär einem Fachpublikum als Rezipientengruppe zugerechnet werden muss. Allerdings handelt es sich bei Galls Werk nicht um eine reine Universitätsschrift, die sich ausschließlich an ein Fachpublikum, sondern darüber hinaus an ein interessiertes akademisches Publikum richtet. Das Buch von Ralf Stremmel ist eine Mischform aus wissenschaftlichem und populärwissenschaftlichem Medium und zielt sowohl auf ein Fachpublikum als auch auf Leser einer interessierten nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Frank Stengleins Buch ist populärwissenschaftlicher Art und richtet sich vorrangig an ein interessiertes nicht-wissenschaftliches Publikum. Diese Merkmale, welche die Pragmatik prägen, beeinflussen entscheidend die Art und Weise, wie Authentizität und Nachvollziehbarkeit in den jeweiligen Werken vermittelt werden. In Galls Werk wird Authentizität stark durch wissenschaftliche Standards beeinflusst, die für einen Text dieser Art üblich sind. So basiert seine Erzählung im Kern auf primären Textquellen, denen er Informationen entnimmt. Die Nutzung der primären Textquellen als Basis vermittelt eine objektbezogene Authentizität, da Gall mit ihnen den dokumentarischen Beweis für seine Ausführungen anführt. Damit wird Gall den Erwartungen gerecht, die sein institutionelles Kulturkapital als ausgewiesener Experte für Geschichtswissenschaft bei der Leserschaft erweckt. Durch die akribische Dokumentation der Quellen im Fußnotenapparat wird die intersubjektive Nachvollziehbarkeit ermöglicht. Durch die ausführlichen Danksagungen im Vorwort erzeugt Gall zudem Transparenz, da durch sie offengelegt wird, wer an der Entstehung des Buches beteiligt war und in welchem Beziehungsrahmen das Buch entstand. Durch das institutionelle Kapital des Autors kann bei den Rezipienten auch Vertrauen erweckt werden. So impliziert das institutionelle Kapital das Vorhandensein von bestimmtem inkorporierten Kulturkapital. Die Rezipienten können aufgrund des Expertenstatus von Gall somit erwarten, dass er eine fundierte Unternehmensgeschichte schreibt. Dieses Vertrauen muss allerdings gegenüber dem Fachpublikum bestätigt werden, da dieses die Legitimationsregeln beherrscht, die im Feld der (Geschichts-)Wissenschaft gelten. Für den Anspruch auf Glaubwürdigkeit spielt das institutionelle Kapital hier somit auch eine Rolle, stellt aber noch keine subjektbezogene Authentizität her. Stattdessen ist hier die Einhaltung von Gütekriterien und wissenschaftlichen Standards ausschlaggebend.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Anders gestaltet sich die Rolle des institutionellen Kulturkapitals bei Ralf Stremmel. Stremmels institutionelles Kapital zeichnet sich nicht nur durch seine akademischen Titel aus, sondern auch durch seinen Status als Archivleiter. Ihm wird so eine doppelte Expertenrolle zugedacht. Dies hat eine unterschiedliche Wirkung auf die Rezipientengruppe, die sowohl Fachpublikum als auch eine interessierte nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit umfasst. Durch die Anwendung von Fußnoten und das Nutzen von Primärquellen sowie einem reflektierenden und differenzierenden Schreibstil erfüllt Stremmel wissenschaftliche Standards, sodass das Vertrauen des fachspezifischen Publikums bestätigt werden kann. Zugleich können durch die »doppelte« Expertenrolle bei einem nicht-wissenschaftlichen Publikum Kompetenzen und Fähigkeiten suggeriert werden, die nicht überprüft werden können, sondern unkritisch als symbolisches Kapital anerkannt werden. Durch dieses symbolische Kapital besteht eine subjektbezogene Authentizität in der Geschichtsschreibung, weil dem Autor aufgrund von Titel und Status ein Vertrauen entgegengebracht werden kann, das nicht durch bestimmte Techniken der Darstellung bestätigt werden muss, sondern sich quasi aus sich selbst heraus legitimiert. Auch der Punkt, dass die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung als Herausgeber des Buches fungiert, trägt zur Authentizität bei. Mit dieser als Institution ist ein »gesichtsunabhängiges Vertrauen«187 verbunden, da sie als Träger des Archivs fungiert und unmittelbar mit dem Unternehmen Krupp verbunden ist. Wie auch das Unternehmen Obernkirchener Sandstein kann hier eine Expertise für die eigene Geschichte bei den Rezipienten suggeriert werden, die sich auch dadurch legitimiert, dass die Stiftung als Eigentümer bzw. das Archiv als Verwalter der Wissensressourcen fungiert. Zur Erzeugung von Authentizität trägt des Weiteren auch die Nutzung von primären Textquellen bei. Durch sie kann eine objektbezogene Authentizität der dargestellten Vergangenheit geschaffen werden, da sie – wie bei Gall – als dokumentarischer Beweis fungieren. Das gleiche gilt für die Bildquellen, die Stremmel nutzt. Diese erzeugen auf zweifache Weise objektbezogene Authentizität. Zum einen sind sie visuelle Zeugnisse der Vergangenheit, von der berichtet wird. Als Beispiel sind hier die Abbildungen über die Tiefseeforschungen von Friedrich Alfried Krupp zu nennen.188 Zum anderen sind auch Abbildungen von Textquellen vorhanden, deren Inhalt Grundlage von Erzählungen im Text ist, wie das Schreiben, in dem Alfred Krupp seinen Wunsch nach einer strukturierten Sammlung seiner Schriften formulierte.189 Und auch das Layout des Buches vermittelt objektbezogene Authentizität. Das Schrift-Bildverhältnis, das den populärwissenschaftlichen

187

Anthony Giddens, zit.n. Frevert, Ute: Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2013, S. 56. 188 Vgl.: Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 54f. 189 Vgl. ebd., S. 20.

3. Teilstudie 1

Charakter des Werks unterstreicht, führt dazu, dass Bilder als visuelle Zeugnisse einer Vergangenheit, selbst wenn sie nicht Teil des Erzählten sind, wahrgenommen werden und die Rezipienten somit durchgehend mit sichtbaren historischen Belegen konfrontiert sind – freilich ohne dass damit bereits feststünde, was sie historisch belegen. In Frank Stengleins Buch gibt es keine Angaben von Fußnoten und keine erkennbare Basis von primären Textquellen. Dies findet seine Begründung in dem Charakter des Buches als populärwissenschaftliches Werk, das sich an eine breite interessierte Öffentlichkeit wendet. Die Erwartungen der Leserschaft richten sich an den Informations- und Unterhaltungswert des Buches. Da von einer breiten interessierten Öffentlichkeit als Rezipientengruppe ausgegangen werden kann, ist anzunehmen, dass der Umgang mit komplexen Informationen nicht voraussetzbar ist und diese auch den Unterhaltungswert schmälern könnten. Somit können die nicht vorhandenen Fußnoten der Pragmatik zugeschrieben werden. Subjektbezogene Authentizität erzeugen vor allem die Nennungen von Experten. Dies geschieht einerseits in der Danksagung an die Archivleiter, denen mit ihrem Status und ihren akademischen Titeln institutionelles Kapital zugesprochen wird, das den Rezipienten – ebenso wie bei Stremmel – eine Expertise für die Geschichte des Unternehmens suggeriert. Stenglein nutzt zudem soziales Kapital zur Erzeugung von Authentizität, indem er in der Danksagung auch die Beziehung nennt, die zwischen den Archivleitern und ihm als Autor des Buches besteht. So dankt er beiden »für zahlreiche Anregungen, Hinweise und fruchtbare Diskussionen.«190 Als weitere Experten werden auch einige Historiker angeführt, deren Nennungen aufgrund ihres institutionellen Kapitals ihrer Profession ebenfalls subjektbezogene Authentizität erzeugen. So ist die Rede vom »renommierte[n] Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser« oder dem »Historiker und Krupp-Kenner« Lothar Gall.191 Zudem suggeriert das ausführliche Literaturverzeichnis ein inkorporiertes Kulturkapital Stengleins und stellt somit objektiviertes Kulturkapital dar, das den Rezipienten wiederum objektbezogene Authentizität vermittelt. Für die Erzeugung von Nachvollziehbarkeit dient bei Gall unter anderem der klare Rahmen, der in der Einleitung gegeben wird. Hier wird den Lesern bereits eine Erwartungshaltung bezüglich inhaltlicher Fokussierung sowie theoretischer Ansätze nahegelegt. Nachvollziehbarkeit erzeugt der Text für die dort vermittelten Lesarten schließlich vor allem durch detaillierte Erklärungen von historischen Darstellungen, indem der historische Hintergrund oder andere Sachverhalte, wie die Verkaufsorganisation unter Alfred Krupp, ausführlich erläutert werden.192 Gall arbeitet außerdem mit Perspektivwechseln, um Lesarten zu reflektieren, wie er es

190 Stenglein, F.: Krupp, S. 4. 191 Vgl. ebd., S. 144, S. 19. 192 Vgl. Gall, L.: Krupp, S. 46.

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beispielsweise durch die Relativierung der Lesart über Alfred Krupp als handwerkliche Autorität aus der Arbeiter-Perspektive macht.193 Ähnlich wie Gall lenkt auch Stremmel die Erwartungshaltungen der Leser, indem er in der Einleitung einen klaren Rahmen bezüglich der inhaltlichen Fokussierung setzt.194 Durch die unmittelbare Einbettung von Quellen in Form von Zitaten oder den direkten Hinweis auf Quellen in der Erzählung, wird die Entstehung von Lesarten nachvollziehbar. Ein weiteres Merkmal für Nachvollziehbarkeit ist außerdem der Gegenwartsbezug, der immer wieder hergestellt wird. So arbeitet Stremmel wiederholt mit modernen Begriffen (»[…] mag man heute als Wissenschaftsmanagement bezeichnen.«, »[…] in modernen Begriffen ein ControllingCenter […]«)195 , um historische Sachverhalte zu erklären. Damit knüpft er an den Erfahrungshorizont seiner Rezipienten an und ermöglicht so einen niedrigschwelligen Zugang für ein nicht-fachliches Publikum. Das gleiche gilt auch für die Nennung von prominenten, den Rezipienten als bekannt zumutbaren Wissenschaftlern und Künstlern, um die Lesart Friedrich Alfred Krupps als Wissenschafts- und Kulturfreund nachvollziehbar zu gestalten.196 Das Narrativ des Geschichtsbewusstseins der Unternehmer, das sich wie ein roter Faden durch Stremmels Buch zieht, wird mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen in Bezug auf die jeweiligen Personen in einen Sinnzusammenhang gebracht. Zugleich impliziert die Einbettung der einzelnen Lesarten der Unternehmerpersönlichkeiten in das Narrativ des Geschichtsbewusstseins, dass Informationen ausgelassen wurden, die nicht zur Erschaffung eines Sinnzusammenhangs für dieses Narrativ beitragen. So charakterisiert Stremmel beispielsweise Gustav Krupp von Bohlen und Halbach vor dem Hintergrund seines »besonderen Geschichtsbewusstseins«197 . Stremmel nutzt auch die Einordnung in den historischen Hintergrund, um Erzählungen nachvollziehbar zu machen. So erläutert er im Kapitel über »Entspannungspolitik« als mögliches Forschungsthema, das sich durch die Aktenbestände des Archivs anbiete, die Ost-West-Politik des Unternehmens und erklärt dies mit Berthold Beitz’ Rolle als Unternehmer im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs, als dieser zahlreiche jüdische Mitarbeiter rettete.198 Die Authentizität dieser Erklärung wird durch die Angabe von einschlägiger wissenschaftlicher Literatur vermittelt.199 Die Nachvollziehbarkeit dieser Darstellung entsteht durch den Sinnzusammenhang, der durch

193 194 195 196 197 198 199

Vgl. ebd., S. 106. Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 11-15. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 22, S. 20. Vgl. ebd., S. 55. Vgl. ebd., S. 72f. Vgl. ebd., S. 116f. Es handelt sich um das Buch »›Endlösung‹ in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941-1944« von Thomas Sandkühler, Bonn 1996.

3. Teilstudie 1

die Verbindung der Erzählung über die Ost-West-Politik des Unternehmens und der Erläuterung des historischen Hintergrunds über die Rettung der jüdischen Mitarbeiter durch Beitz hergestellt wird. Auch bei Stenglein gibt es eine Passage, welche die Rettung der jüdischen Mitarbeiter in Polen behandelt. Sie schließt ebenfalls an die Aussage an, dass Beitz nach dem Zweiten Weltkrieg die Geschäfte des Unternehmens in Polen und der Sowjetunion führte. Im Gegensatz zu Stremmel, der sich auf die zentrale Information beschränkt, dass Beitz jüdische Mitarbeiter in Polen gerettet habe und dazu eine Fußnote setzt, um dann wieder auf die Aktenbestände zurückzukommen, schließt Stenglein die Erzählung über Krupps Umgang mit der Zwangsarbeiterfrage an und stellt so einen Sinnzusammenhang in seiner Erzählung her. Hier wird auch der Unterschied in der thematischen Ausrichtung beider Bücher nochmal sichtbar. Der klare Rahmen, den Stremmel in Bezug auf seine thematische Ausrichtung gesetzt hat, macht nachvollziehbar, warum er mit dem Aktenbestand anschließt. Nachvollziehbarkeit für die Erzählung über Beitz’ Rolle im Zweiten Weltkrieg schafft Stenglein auch durch den Verweis auf Oskar Schindler und der Nennung des Films »Schindlers Liste«. Er schafft für die Rezipienten so eine Referenz zu einem Gegenstand aus deren kulturindustriellen Alltag. Zur Vermittlung von Authentizität der Erzählung über Beitz nutzt Stenglein einen Ausschnitt aus einem Interview aus der Süddeutschen Zeitung.200 Durch den direkten Wortlaut des Interviews wird mit diesem Ausschnitt objektbezogene Authentizität vermittelt. Es werden aber auch weitere direkte Zitate von Beitz verwendet, sodass dieser die Rolle eines Zeitzeugen einnimmt.201 So wird eine subjektbezogene Authentizität vermittelt. Auffällig ist in der Geschichtsschreibung von Stenglein auch die vermehrte Nutzung von Anekdoten. Sie dienen sowohl der Unterhaltung als auch dem Herunterbrechen abstrakter Sachverhalte. Durch sie entsteht eine Konkretheit der historischen Darstellung und sie ermöglichen durch ihre Einbettung in den Sinnzusammenhang einen niedrigschwelligen Zugang für die Rezipienten. Nachvollziehbarkeit wird aber auch durch die Sprache vermittelt. So ist diese bei Stenglein auffällig häufig umgangssprachlicher Art. Dies führt zu einem niedrigschwelligen Zugang zum Text für die Rezipienten seines Textes. Auch nutzt Stenglein häufig einen emotionalisierenden und pathetischen Sprachstil. Hier besteht eine Kohärenz zum Zweck der Unterhaltung der Geschichtsschreibung und somit zur Pragmatik, die ihr zugrunde liegt. Mit diesem Sprachstil werden die Erwartungen der Rezipienten bezüglich des Unterhaltungswertes erfüllt. Zudem werden Sachverhalte aus dem Text heraus relativiert, ohne dafür einen dokumentarischen Beweis zu liefern. Das gleiche gilt für Suggestionen und Werturteile. Stengleins Darstellung bricht nicht mit der Erinnerungsgemeinschaft, sondern 200 Vgl. Stenglein, F.: Krupp, S. 214. 201 Vgl. ebd., S. 213-215.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

schafft durch den affirmativen Zugang eine Akzeptanz bei der Rezipientengruppe. Die Differenzierungen und Reflexionen sowie die gelegentlichen Referenzen von Historikern, die als Experten explizit ausgewiesen werden, führen wiederum dazu, dass die affirmative Ausrichtung nicht ins Extreme kippt und somit unglaubwürdig wird. Die Nachvollziehbarkeit der Äußerungen Stengleins ergibt somit dadurch, dass die Aussagen für die Rezipientengruppe Sinn ergeben und diese Gruppe keine dokumentarischen Beweise erwartet, aus denen sich mögliche Bestätigungen oder Relativierungen ableiten ließen, da ihre Erwartungen nicht dem (geschichts-)wissenschaftlichen Feld entspringen.   Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Bezug auf Lesarten bei den drei Werken inhaltlich viele Gemeinsamkeiten bestehen, was einerseits durch die zeitliche Nähe der Entstehung der Werke erklärt werden kann und damit die Dominanz bestimmter Paradigmen zeigt. Andererseits sind auch Einflüsse der Werke aufeinander sichtbar. So zeigt sich besonders am Narrativ über Alfred Krupp als fürsorglicher Patriarch, dass ein Paradigma vorherrscht, das dieses Bild aufbricht. Zugleich wird an diesem Narrativ auch deutlich, dass sich die Texte in ihrem Reflexionsgrad unterscheiden. So kann bei Gall von einem hohen Reflexionsgrad gesprochen werden, der durch detaillierte Erläuterungen der jeweiligen historischen Hintergründe eine starke Differenzierung der Sachverhalte vornimmt und so zum Verstehen des Handelns der Subjekte und daher zur Erkenntnisgewinnung beiträgt. Stremmels Reflexionsgrad zeigt sich in Relativierungen von Lesarten durch die expliziten Verweise auf Primärquellen und in kritischer Reflexion, wie beispielsweise die Passage über die Aussagekraft der Schriften des ehemaligen Archivleiters Berdrow zeigt.202 In Stengleins Text ist der Reflexionsgrad vergleichsweise niedrig. So weist er zwar auch auf die Relativität von Lesarten hin und nimmt Differenzierungen vor, allerdings werden keine oder keine tiefergehenden Erläuterungen gegeben. Die Einordnung in den historischen Hintergrund geschieht nicht detailliert, sondern beschränkt sich auf wesentliche Elemente. So tragen die Erzählungen zum affirmativen Charakter des Buches bei. Alle drei Bücher erfüllen damit die Erwartungen, die sich in Bezug auf ihre jeweiligen Rezipientengruppen vermuten lassen. Galls Buch erfüllt die Erwartungen der Rezipientengruppe an eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung, indem durch den hohen Reflexionsgrad, den Aufbau des Werks und die formalen wissenschaftlichen Standards der Glaubwürdigkeitsanspruch von Mitgliedern des (geschichts-)wissenschaftlichen Feldes als legitim anerkannt werden kann. Stremmel, dessen Rezipientengruppe Fachpublikum und eine interessierte Öffentlichkeit umfasst, bringt durch die Einhaltung formaler wissenschaftlicher Standards

202 Vgl. Stremmel, R.: 100 Jahre Historisches Archiv Krupp, S. 73.

3. Teilstudie 1

in Verbindung mit der Anschaulichkeit der Darstellungen durch die starke visuelle Gestaltung des Buches sowohl den akademischen als auch den populärwissenschaftlichen Charakter der Geschichtsschreibung in Einklang. Der Reflexionsgrad zeichnet sich durch Relativierungen von Lesarten und kritische Reflexion von Sachverhalten aus, wobei Stremmel immer dicht am thematischen Fokus des Buches bleibt und damit auch seine Rolle als Experte für das Archiv implizit betont wird. Die Legitimation des Glaubwürdigkeitsanspruchs ergibt sich daher zum einen aus der Einhaltung der wesentlichen Legitimationsregeln aus der (Geschichts-)Wissenschaft und zum anderen aus der starken Fokussierung auf das Archiv durch die inhaltliche und formale Gestaltung. Stengleins Geschichtsschreibung erfüllt die Erwartungen einer breiten interessierten Öffentlichkeit, indem sie sprachlich und inhaltlich verständlich gestaltet ist. Komplexe Sachverhalte werden heruntergebrochen und die Sprache ist niedrigschwellig und zugleich unterhaltsam gestaltet. Um seinen Glaubwürdigkeitsanspruch zu legitimieren, genügt es, wenn Stenglein seine Aussagen mit der Expertise von bestimmten Historikern unterstreicht. Gall und Stremmel müssen dagegen wissenschaftliche Standards – wie den Verweis auf Primärquellen und die Transparenz der Nutzung dieser Quellen durch Fußnoten – einhalten, um ihren Glaubwürdigkeitsanspruch beim Fachpublikum zu legitimieren.

3.4

Fazit zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit in den Fallbeispielen

Nach den Analysen beider Fälle lässt sich sagen, dass die Pragmatik als entscheidender Parameter bezeichnet werden kann. Der Zweck und die Zielgruppe, für die eine Geschichtsschreibung entsteht, beeinflussen maßgeblich, wie Authentizität und Nachvollziehbarkeit hergestellt werden. Obwohl die drei Parameter hier zur Operationalisierung genutzt wurden, impliziert die Analyse, dass sie nicht als statische Konzepte verstanden werden dürfen. Die Wirkung der einzelnen Codes entsteht erst durch die Beziehung, die zwischen ihnen und den jeweiligen Rezipienten entsteht. Die Rezipienten als Faktor für den Einfluss auf die Glaubwürdigkeitsvermittlung von Geschichtsschreibungen wurden nicht spezifisch untersucht. Inwiefern unterschiedliche Rezipientengruppen die Art und Weise, wie Glaubwürdigkeit vermittelt wird, im Detail beeinflussen, müsste in einer weiteren Untersuchung eruiert werden, die insbesondere die unterschiedlichen Eigenschaften von Rezipienten in den Fokus nimmt.   Das Ziel dieser Analyse war es, zu zeigen, dass der Glaubwürdigkeitsanspruch Geschichtsschreibungen immanent ist, dieser aber auf unterschiedliche Art und Weise nach den sozialen Praktiken des Feldes, in dem eine Geschichtsschreibungen entsteht, legitimiert wird. Die Immanenz zeigt sich in den referentiellen Eigen-

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

schaften, die in allen Texten zu finden sind, aber immer unterschiedlich konstruiert sind und so die Legitimation für einen Anspruch auf Glaubwürdigkeit bewirken. In den Geschichtsschreibungen von Gall und Stremmel, die im Feld der akademischen Geschichte entstanden, sind diese referentiellen Eigenschaften durch die Verwendung der Primärquellen repräsentiert, welche die Basis für die Konfiguration ihrer Erzählungen darstellen. Die Verwendung der Primärquellen als Grundlage für die Erzählung in Verbindung mit der Einhaltung wissenschaftlicher Standards repräsentieren die sozialen Praktiken des Feldes, durch die der Anspruch auf Glaubwürdigkeit legitimiert werden kann. Die Geschichtsschreibung von Stenglein weist ebenfalls referenzielle Eigenschaften auf. Statt Primärquellen dienen hier Verweise auf Experten und wissenschaftliche Literatur als Referenzen. Die Konfiguration entsteht durch die Strukturierung der Informationen aus der Sekundärliteratur. Das Feld der Entstehung ist hier die populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung, auf dem die Erwartungen der Rezipienten sich nicht nach wissenschaftlichen Standards richten, sondern stattdessen ihr Vertrauen auf der Expertise liegt, die durch objektiviertes inkorporiertes Kulturkapital des Autors suggeriert wird, indem er auf verschiedene Weise auf die Sekundärliteratur verweist und die Informationen in einen Sinnzusammenhang bringt. Bei den Schriften der Obernkirchener Sandsteinbrüche sind die referentiellen Eigenschaften durch Verweise auf Primärquellen und Produkterzeugnisse konstruiert. Die Konfiguration entsteht dadurch, dass die Verweise so verwendet werden, dass sie in einen passenden Sinnzusammenhang für die jeweilige Ausrichtung der Identität des Unternehmens eingebettet werden. Damit werden die Erwartungen der Kunden an diese Identität erfüllt. Damit ist auch festzuhalten, dass die Bereitschaft der Rezipienten, die Geschichtsschreibungen als wahr zu lesen, auch davon abhängt, welchen Anspruch sie selbst an die jeweiligen Medien haben. Daher ist es für Kunden, die Geschichtsschreibungen innerhalb eines Werbekataloges lesen, nicht problematisch, den Glaubwürdigkeitsanspruch anzuerkennen, solange die Geschichtsschreibungen Sinn ergeben und der Bewerbung des Produktes, also dem Sinn des Mediums selbst, nicht zuwiderlaufen. Ein Rezipient, der diese Geschichtsschreibungen dagegen mit dem gleichen Anspruch wie an einen wissenschaftlichen Text lesen würde, könnte die Legitimation dagegen nicht anerkennen, da der Text nicht den sozialen Praktiken des wissenschaftlichen Feldes zur Legitimation von Glaubwürdigkeitsansprüchen folgt. Wie man sieht, korrelieren Pragmatik, Authentizität und Nachvollziehbarkeit miteinander. Sie vermitteln in den Unternehmensgeschichtsschreibungen Glaubwürdigkeit, jedoch existieren unterschiedliche Möglichkeiten, wie diese konkret umgesetzt werden. Je nach Art der Geschichtsschreibung wirken die einzelnen Merkmale unterschiedlich, durch welche die Rezipienten Pragmatik, Authentizi-

3. Teilstudie 1

tät und Nachvollziehbarkeit erkennen und die Legitimität des Glaubwürdigkeitsanspruchs akzeptieren können. In dieser Teilstudie wurde nun das Objekt der leitenden Fragestellung darüber, was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben, untersucht, nämlich die Geschichtsschreibung als historische Darstellung selbst. So konnten zwar Antworten auf die Frage gefunden werden, wie Glaubwürdigkeit in Geschichtsschreibungen vermittelt wird. Was aber mit dieser Teilstudie nicht beantwortet werden konnte, ist die Frage nach dem Glaubwürdigkeits-Streben als zentraler sozialer Disposition von Historikern als Teil ihres Berufshabitus. Ob und wie diese soziale Disposition sich in der Berufslaufbahn von Historikern verändert, soll nun in einer zweiten Teilstudie untersucht werden.

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4. Teilstudie 2 Der Berufshabitus von Historikern als Indikator für Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit

4.1

Das Konstrukt des Berufshabitus

Der Begriff des Berufshabitus ist angelehnt an den Habitusbegriff Bourdieus, indem der berufliche Habitus durch Erfahrungen im sozialen Feld des Berufs entsteht. Diese berufliche Sozialisation umfasst dabei sowohl diejenige für den Beruf als auch diejenige im Beruf.1 Sie wird verstanden als »Aneignungs- und Veränderungsprozess von Kenntnissen, Fähigkeiten, Motiven und Deutungsmustern, die in der Arbeitstätigkeit angewendet werden können.«2 Für die Untersuchung ergibt sich damit, dass beispielsweise die Erfahrungen im Studium sowie diejenigen in der Phase der Orientierung nach dem Studium eine besondere Rolle spielen, wenn es um die Rekonstruktion des Berufshabitus von Historikern geht. Zugleich muss auch ein Augenmerk auf mögliche Veränderungen gelegt werden, die von den Probanden z.B. in Bezug auf ihr Rollenverständnis, empfunden werden. Die einzelnen Rollenlernprozesse sind auf die Rollenerwartungen im Beruf ausgerichtet. Dies meint das Einüben von Verhaltensweisen sowie das Erlernen von Fähigkeiten und Kompetenzen, die man für die Ausübung eines jeweiligen Berufs benötigt. Es meint auch verbindliche Normen und Werte, die von allen Mitgliedern des Berufszweigs geteilt werden und deren Einhaltung dazu führt, dass einzelne Akteure als Mitglied anerkannt werden.3 Das bedeutet, dass Historiker je nach dem Arbeitsfeld, in dem sie tätig sind, Rollenlernprozesse durchlaufen haben und entsprechend durch diese und die mit ihnen verknüpften Handlungsund Denkweisen geprägt sind. 1

2 3

Vgl. Ebert, Jürgen: Aneignung eines professionellen Selbstverständnisses. Analyse von Modulen zur Habitus- und Identitätsforschung aus Bachelorstudiengängen ›Soziale Arbeit‹ in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hildesheim 2011, S. 9. Ebd., S. 9. Vgl. ebd., S. 10f.

134

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Zugleich stehen die unterschiedlichen Arbeitsfelder für die Nicht-Standardisierbarkeit der Tätigkeiten von Historikern. Die Nicht-Standardisierbarkeit meint zwar zum einen die unterschiedlichen Gegebenheiten von jedem einzelnen Forschungsobjekt, zugleich aber auch die unterschiedlichen Gegebenheiten des Feldes, in dem die Historiker ihre Forschung betreiben. Da diese Arbeit der Frage nach der Abhängigkeit und der Glaubwürdigkeit von (Unternehm-ens-)Geschichtsschreibung nachgeht und davon ausgeht, dass eine Geschichtsschreibung immer glaubwürdig sein muss, wie in Kapitel 3 dargelegt, ist zu untersuchen, wie Historiker unterschiedlicher Arbeitsfelder diese Grundüberzeugung vertreten. Denn sie müssen sich einerseits an die Regeln der Historikerzunft halten, um als Mitglieder akzeptiert zu werden. Das gleiche gilt aber auch für die Regeln der jeweiligen Berufsfelder, in denen sie tätig sind. Das bedeutet, dass sie den Ansprüchen an ihre Historikerprofession gerecht werden müssen, zugleich aber die Interessen der möglicherweise anderen Beteiligten an einer Unternehmensgeschichte beachten müssen. Dies sind die Intentionen, die mit einer Geschichtsschreibung verbunden werden.4 Je nach Unterschieden im jeweiligen Berufshabitus der Historiker verinnerlichen sie die Regeln ihres sozialen Feldes, um darin agieren zu können und ihre Position zu wahren. Zugleich muss es auch Gemeinsamkeiten im Berufshabitus geben, die den gemeinsamen Anspruch an die Profession widerspiegeln, denn der Berufshabitus »ist durch ein solides System verinnerlichter Handlungsregeln gekennzeichnet.«5 Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Berufshabitus können dadurch erklärt werden, dass die Sozialisationsprozesse nicht zu einer mechanischen Übernahme von Handlungserwartungen führen, sondern die verinnerlichten Rollen werden vom Akteur interpretiert und in Bezug zur eigenen Biografie gesetzt. Die Normen und Werte, die im Sozialisationsprozess vermittelt werden, werden in individuelle Denk- und Handlungsmuster übertragen.6 Diese individuellen Denk- und Handlungsmuster können Aufschluss über die Widersprüche geben, die sich durch die Ansprüche der Historiker und die Wirklichkeit, auf die sie reagieren müssen, ergeben. Die zentrale Frage, die sich für die empirische Erhebung daraus ergibt, ist: Welche Ansprüche treffen auf welche sozialen Wirklichkeiten? Daher wird in der Untersuchung von Interesse sein, welche Sozialisationsprozesse die Probanden durchlaufen haben und wie sie diese reflektieren, um daraus

4 5

6

Vgl. Kap. 1.4. Kern, J.: Die Bedeutung von beruflichem Selbstbild und beruflichem Habitus im Kontext sozialer Arbeit, Soziales Kapital, wissenschaftliches Journal österreichischer Fachhochschulstudiengänge Soziale Arbeit, Nr. 16 (2016), S. 123. Vgl. Ebert, J.: Aneignung eines professionellen Selbstverständnisses, S. 10.

4. Teilstudie 2

ihre individuellen Denk- und Handlungsmuster zu rekonstruieren. Diese verinnerlichten Regeln dienen sowohl der Anpassung an die beruflichen Anforderungen als auch der Interpretation des persönlichen und des beruflichen Selbstbildes sowie der gesellschaftlichen Bedingungen.7 Da der Habitus durch das soziale Feld geprägt ist, in dem ein Akteur steht (wie auch das Feld vom Habitus der Mitglieder geprägt wird), ist zentral, welche Bedeutung die unterschiedlichen Kapitalarten der Akteure, hier der Historiker, für die Bildung individueller Denk- und Handlungsmuster haben. Je nach Einsatz der Kapitalarten können sich Unterschiede im Habitus der Akteure herausbilden, die sich beispielsweise in der Wahrnehmung des Berufsbildes sowie in der Lebenspraxis niederschlagen. Als Erhebungsinstrument für die erforderlichen Daten zur Rekonstruktion des Berufshabitus und der Bedingungen für das Handeln von Historikern, diente das narrative Interview. Für die Bearbeitung der Daten wurde die dokumentarische Methode genutzt.

4.2

Narratives Interview und dokumentarische Methode

Das narrative Interview Das narrative Interview ist eine Befragungstechnik, die auf den Soziologen Fritz Schütze zurückgeht. Die Kernidee hinter dieser Methode sind die Zwänge des Erzählens. Während der Erzählung kommen die Befragten in den Zwang, Details zu berichten, damit das Erzählte plausibel klingt. Dies nennt Schütze den Detaillierungszwang. Dazu kommt, dass während der Erzählung genannte Personen, Institutionen o.a. näher erläutert werden, damit die Darstellung in sich geschlossen wirkt. Dies ist der sogenannte Gestaltschließungszwang. Und schließlich führt die Notwendigkeit der Kompensation der Erfahrungen zur Selektion von zentralen und peripheren Elementen des übergeordneten Sachverhalts, was Schütze den Kondensierungszwang nennt.8 Wegen der offenen Struktur, die der Methode zugrunde liegt, sind die Befragten in ihrer Erzählung weitestgehend frei, sie bestimmen damit den Gesprächsverlauf und legen ihren Fokus auf von ihnen eingebrachte Elemente. Für eine Untersuchung des Berufshabitus eignet sich die Form des narrativen Interviews daher

7 8

Vgl. Kern, J.: Die Bedeutung von beruflichem Selbstbild und beruflichem Habitus im Kontext sozialer Arbeit, S. 123. Vgl. Kallmeyer, Werner/Schütze, Fritz: Zur Konstitution von Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung, in: Wegner: Gesprächsanalysen (1977), S. 223- 231; vgl. ebenfalls: Rosenthal, Gabriele: Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung, Weinheim² 2008, S. 134143.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

besonders gut, da es ermöglicht, die Berufsbiografie eines Akteurs aus dessen Perspektive erzählen zu lassen. Durch einen Gesprächsimpuls wird der Rahmen der Erzählung auf die Berufsbiografie des Befragten gelegt, sodass eine auf den Untersuchungsgegenstand gerichtete Fokussierung möglich ist. Durch die eigene Schwerpunktsetzung in der Erzählung sowie durch den Detaillierungs- und Gestaltungszwang ist es möglich, dass der Befragte seine Erzählung entsprechend seiner Denk- und Handlungsmuster frei gestaltet, ohne vom Interviewer beeinflusst zu werden. Das narrative Interview beinhaltet vier Phasen: Zuerst erfolgt die Erzählaufforderung, dann folgt die Haupterzählung, in welcher der Befragte völlig frei und ohne Zeitangabe spricht. Damit setzt er bereits Themen, die in der dritten Phase, der Nachfragephase, aufgegriffen werden können. Diese Phase gliedert sich in den immanenten und den exmanenten Frageteil. Während des immanenten Frageteils werden Aspekte, die der Proband genannt hat, noch einmal genauer hinterfragt. Dies dient auch dem Ausreizen des Erzählpotenzials, denn der Proband kann näher auf die immanente Frage eingehen und beginnt so erneut mit einer Erzählung. Schließlich können im exmanenten Frageteil noch Fragen vom Interviewer zu Themen gestellt werden, die vom Befragten nicht angesprochen wurden, für die Untersuchung aber von Bedeutung sind. Die letzte Phase ist die des Interviewabschlusses, in welcher der Befragte noch ein Fazit zu seinen Erzählungen gibt und mögliche Zukunftsperspektiven aufwirft. In einem Pretest wurde geprüft, ob der Gesprächsimpuls genug Anreiz für eine eigenständige Erzählung des Befragten bietet. Wichtig war auch, dass der Impuls die Thematik klar genug vorgibt, damit der Proband nicht in für die Forschungsfrage unwichtige Themen abschweift, und dass er zugleich genügend Raum für die Gestaltung der Erzählung durch den Probanden bietet. Für die Interviews ergab sich somit folgender Gesprächsimpuls: »Erzählen Sie bitte erstmal, wie Sie zu dem gekommen sind, was Sie jetzt machen. Beginnen Sie von Anfang an. Vom Beginn der Historikerlaufbahn bis heute, also Studium und so weiter.« Im Pretest zeigte sich außerdem, dass das Rollenempfinden als Historiker in einer exmanenten Frage aufgegriffen werden musste, was sich dann in den Interviews bestätigte. Hier war meist die Anknüpfung an etwas zuvor in der Erzählung Geäußertes möglich, um so einen erneuten Erzählimpuls zu setzen. Dokumentarische Methode – Theorie und praktische Umsetzung Um nun den Berufshabitus zu rekonstruieren, muss die Art und Weise betrachtet werden, in der jemand über seinen beruflichen Sozialisationsprozess spricht. Dies ist mithilfe der dokumentarischen Methode möglich. In der Sprechhandlung, die sowohl das Was als auch das Wie einer Äußerung meint, zeigt sich eine soziale

4. Teilstudie 2

Praxis, die aus den Erfahrungen der Akteure entstanden ist. Mit den Worten Karl Mannheims gilt es demnach, den Dokumentsinn dieser Handlungspraxis zu rekonstruieren. »Die Frage nach dem Wie ist die Frage nach dem »modus operandi«, nach dem der Praxis zugrundeliegenden Habitus.«9 Mannheim bezeichnet die Art und Weise, wie jemand über ein bestimmtes Thema spricht als »atheoretisches Wissen«.10 Gemeint ist damit habituelles Handeln, das nicht expliziert werden muss, sondern intuitiv vorhanden ist.11 Das atheoretische Wissen verbindet Menschen, die eine gleichartige Handlungspraxis und Erfahrungen teilen, was Mannheim »konjunktive Erfahrung« nennt.12 Diese konjunktive Erfahrung ist übertragbar auf Bourdieus Modell des sozialen Raums. Je nach Milieu teilen Akteure konjunktive Erfahrungen und damit atheoretisches Wissen. Das bedeutet, in ihrer Handlungspraxis sind sie von den Erfahrungen geprägt, die sie während ihres Sozialisationsprozesses erlebt haben. Dies bedeutete für die konkrete Erhebung in dieser Studie zum einen den Vorteil, dass die Forschende aufgrund der eigenen wissenschaftlichen Sozialisation über atheoretisches Wissen verfügt und so konjunktive Erfahrungen mit den Probanden teilte, was die Kommunikationsbasis erleichterte. Zum anderen aber birgt dies die Gefahr einer Voreingenommenheit der Forschenden aufgrund der eigenen Standortgebundenheit. Daher war die Reflexion durch den Austausch mit anderen Forschenden für den gesamten Forschungsprozess von großer Bedeutung, da so das Bewusstsein, die eigene Sozialisation nicht zur Norm zu erheben, stets präsent war. Wenn die Akteure nun von ihren Erfahrungen des Sozialisationsprozesses geprägt sind, bedeutet das für den Berufshabitus, dass sie vom beruflichen Sozialisationsprozess in ihren Handlungs- und Denkmustern geprägt sind. Diese schlagen sich im atheoretischen Wissen nieder und somit in den Erzählungen von Befragten zu einem bestimmten Thema. Die Denk- und Handlungsmuster, die sich im atheoretischen Wissen niederschlagen, bilden den Orientierungsrahmen, in dem Äußerungen zu einem bestimmten Thema gemacht werden. »Wenn die dokumentarische Methode darauf zielt, die implizite Regelhaftigkeit von Erfahrungen und den in dieser Regelhaftigkeit liegenden dokumentarischen Sinngehalt, d.h. den Orientierungsrahmen dieser Erfahrungen zu rekonstruieren, so bedeutet dies, über eine Abfolge von Handlungssequenzen oder von Erzählsequenzen zu Handlungen hinweg Kontinuitäten zu identifizieren.«13 9

10 11 12 13

Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael: Einleitung: Die Dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, in: Dies.: Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis (2001), S. 13. Vgl. Mannheim, Karl: Strukturen des Denkens, Frankfurt a.M. 1980, S. 73. Vgl. Nohl, Arnd-Michael: Dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, Wiesbaden 2008, S. 10. Vgl. Mannheim, K.: Strukturen des Denkens, S. 225. Nohl, A.: Dokumentarische Methode, S. 50.

137

138

Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

In der dokumentarischen Methode steht deshalb die komparative Vorgehensweise im Zentrum. Arnd-Michael Nohl bietet ein Schema für die methodische Umsetzung der dokumentarischen Methode, das aus insgesamt drei Analyseschritten mit jeweiligen Zwischenschritten besteht.14 Im ersten Schritt, der formalen Interpretation (1), wird der objektive Sinn anhand der Themen, die vom Erzählenden angesprochen werden, expliziert. Dies geschieht forschungspraktisch dadurch, dass der vorliegende Interviewtext in Themenabschnitte unterteilt wird (1a). In diesem Schritt entscheidet sich auch, welche Abschnitte transkribiert werden. Die Transkription erfolgte hier in einer von Dialekten, Umgangssprache und akustischen Elementen bereinigten Version, da sich der Erkenntnisgewinn auf die Themen und Inhalte des Gesprächs bezieht, nicht aber auf interaktive Prozesse oder mündliche Sprechereignisse.15 Diese Form der Transkription erleichtert auch die Durchdringung der großen Datenmengen, da sie sich »an der literarischen Wiedergabe von Dialogen orientiert.«16 Da dennoch nicht suggeriert werden soll, es handele sich nicht um eine aufgezeichnete Gesprächssituation, wurden die Transkripte so unverändert wie möglich verfasst, d.h. die Satzstruktur wurde nicht der Schriftsprache angepasst. Auch Füllwörter wurden nicht gestrichen. Es folgt der Schritt der formulierenden Feininterpretation einzelner Textabschnitte (1b) innerhalb eines Themenrahmens, die vom Interpretierenden in eigenen Worten aufgeschrieben werden. Dabei »interessiert nicht, ob die Darstellungen (faktisch) wahr oder richtig sind, sondern es interessiert, was sich in ihnen über die Darstellungen und Orientierungen dokumentiert«17 . Die formulierende Interpretation wurde wie im folgenden Beispiel umgesetzt: 1. Thema: Weg in die Selbstständigkeit (1) Um sich während der Habilitation zu finanzieren, hatte der Proband Projektstellen. Die Notwendigkeit der Finanzierung war für ihn zusätzlich durch die Geburt seiner zwei Kinder gegeben. Neben den Projektstellen arbeitete er zusätzlich bereits selbstständig, indem er kleinere Vorträge hielt oder Aufsätze verfasste. (2) Auf einen Aufsatz des Probanden wurde die Vorsitzende eines regionalen Verbandes aufmerksam, die ihn daraufhin bat, die jüngere Geschichte des Verbandes aufzuarbeiten. Das war der erste Auftrag eines Kunden für den Probanden.18

14 15 16 17 18

Vgl. Nohl, A.: Dokumentarische Methode, S. 43. Vgl. Bohnsack, Ralf (Hg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung, Opladen 2006², S. 159. Ebd., S. 159. Bohnsack, Ralf: Rekonstruktive Sozialforschung – Einführung in Qualitative Methoden, 7. Aufl. Opladen 2008, S. 64. Siehe Materialband, Proband 02, 1b) Formulierende Interpretation einzelner Interviewabschnitte.

4. Teilstudie 2

Dieser Schritt dient der Sensibilisierung für die Interpretationsnotwendigkeit des Textes, da er für den Forschenden nun als fremder Text gelten soll.19 Die thematische Einteilung kann später genutzt werden, um sie mit den anderen Interviewtexten zu vergleichen und so zu sehen, welche ähnlichen Themen angesprochen und wie sie entsprechend abgehandelt wurden. Es ermöglicht daher auch den Vergleich der Sozialisationsprozesse, den die Befragten, bezogen auf ihre Berufsbiografie, durchlaufen haben. Die Strukturierung der Themen ist dabei an die Strukturierung der Probanden während des Gesprächs angelehnt. Zudem wird die Terminologie der Probanden genutzt. Worin allerdings die »Fein«-Interpretation dieses Schritts besteht, wird von Nohl nicht näher erläutert und erschließt sich forschungspraktisch nicht. Daher wird in dieser Arbeit der nachvollziehbarere Begriff »formulierende Interpretation« verwendet. Es folgt der zweite Analyseschritt, die reflektierende Interpretation (2). Hier wird in einem ersten Zwischenschritt die sogenannte formale Interpretation mit Textsortentrennung (2a) vorgenommen. Die einzelnen Äußerungen einer Sequenz werden in ihre Textsorten eingeteilt, die aus der von Fritz Schütze vorgeschlagenen Einteilung in Erzählung, Beschreibung, Argumentation und Bewertung bestehen.20 Dabei hat es sich aufgrund der sprachlichen Zusammenhänge als praktikabel erwiesen, die Abschnitte anders aufzuteilen, als in der thematischen Einteilung im Schritt zuvor, damit sie im folgenden Schritt der semantischen Interpretation nicht aus dem Kontext gerissen stehen. Außerdem wurden zur besseren Nachvollziehbarkeit die einzelnen Textsorten nach Zahlen eingeteilt, die den jeweiligen Abschnitten immer vorangestellt werden, wobei folgender Code genutzt wurde: 1 – Erzählung, 2 – Beschreibung, 3 – Argumentation, 4 – Bewertung   Erzählung, Argumentation, Beschreibung, Erzählung P01: (1) Und dann stellte sich die Frage: »Was jetzt?« (3) Und da ich eben, würde ich mal sagen, in meinem Jahrgang einer der Besten war, war das eigentlich für mich klar, dass das die Alternative ist und nicht das, was viele andere gemacht haben: An eine andere Uni gegangen und umgeschult auf IT und BWL. (2) Massen von Kommilitonen haben das gemacht. (1) Ja gut, das war für mich dann eben eigentlich ganz klar, das ist nicht der Weg, umschulen, sondern: »Ich will Historiker bleiben und ich schaff das auch.«21

19 20

Vgl. Nohl, A.: Dokumentarische Methode, S. 47. Vgl. Schütze, Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien. Studienbrief der Universität Hagen. Teil 1, Hagen 1987, S. 146f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

In den Textsorten der Erzählung und Beschreibung schlägt sich das konjunktive Wissen nieder, das in die Handlungspraxis eingelassen ist und sie zugleich orientiert. Die Argumentationen und Bewertungen dienen der Explikation von Handlungen. Somit liegt diesen Textsorten das kommunikative Wissen zugrunde. Dieses ist, da es auch über Milieugrenzen hinweg Motive für Handlungen vermitteln will, abstrakt und von der Handlungspraxis abgehoben. Die beiden Textsorten der Argumentation und Bewertung können gleichwohl Aufschluss über das Wie ihrer Rechtfertigungen und Bewertungen geben.22 Ein Schwachpunkt bei der Einteilung der Textsorten ist, dass eine eindeutige Zurechnung – trotz oder gerade wegen des Kontextes – nicht immer möglich ist. Somit bleibt die Einteilung auf die Ebene subjektiver Interpretation des Forschenden beschränkt, was aber nichts an ihrer Funktion als Operatoren ändert. Es folgt die semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse (2b). In diesem Schritt wird der Orientierungsrahmen aufgrund wiederkehrender Muster abstrahiert. Nohl schlägt vor, Sequenzen auf homologe Äußerungen zu untersuchen, indem sie gedankenexperimentell mit anderen homologen und entsprechenden heterologen Äußerungen verglichen werden. Hierin besteht allerdings ein systematisches Problem, das bereits Johannes Twardella erkannt hat: Der Orientierungsrahmen müsste bereits bekannt sein, um festlegen zu können, was eine homologe und was eine heterologe Äußerung ist.23 Zudem birgt dieses Verfahren ein hohes Risiko der subjektiven Verzerrung durch den Forschenden, da, wie Nohl im Abschnitt zur komparativen Analyse selbst anmerkt, diese von ihren standortgebundenen Normalitätsvorstellungen beeinflusst werden.24 Ein weiterer und für die Frage nach den Handlungsmustern, aus denen sich ein Berufshabitus rekonstruieren lässt, ganz zentraler Kritikpunkt ist das Verfahren der Deutung der Handlungen im Text. Nohl schlägt vor, verschiedene Möglichkeiten der Reaktionen auf vorstehende Äußerungen zu vergleichen und nimmt dann eine Deutung der Äußerungen vor. Eine theoretisch fundierte Erklärung für die Entstehung dieser Deutung gibt er allerdings nicht, was Twardella entsprechend kritisiert: »Genau dieser Deutungsprozess bleibt völlig unaufgeklärt.«25 Daher benötigt der Schritt der Deutung ein theoretisches Gerüst, das es erlaubt, diesen Sinngehalt in Bezug auf die Problemstellung zu erklären. 21 22 23

24 25

Siehe Materialband, Proband 01, 2a) Formale Textsortentrennung einzelner Interviewabschnitte. Vgl. Nohl, A.: Dokumentarische Methode, S. 47. Vgl. Twardella, Johannes: Rezension zu: Arnd-Michael Nohl (2009). Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, in: Forum: Qualitative Sozialforschung, Jg. 11, Heft 2/2010. Vgl. Nohl, A.: Dokumentarische Methode, S. 52. Vgl. Twardella, J.: Rezension zu Nohl, FQS, 11/2, S. 6.

4. Teilstudie 2

Der dritte Schritt der Analyse nach Nohl, die Typenbildung, ist für diese Untersuchung nicht zielführend, da der Orientierungsrahmen nicht einer Typenbildung, sondern der explorativen Darstellung von Abhängigkeiten innerhalb sozialer Beziehungsgeflechte dienen soll. Es wird nach dem Sinngehalt beruflichen Handelns gefragt, der sich in den Äußerungen über die Berufsbiografie befindet. Als soziale Beziehungsgeflechte sollen hier spezifische Bezugspunkte im sozialen Raum gelten, die in einem Kräfteverhältnis stehen. Das meint sowohl Akteure als auch immaterielle Objekte wie ein bestimmtes Beschäftigungsverhältnis, das mit seinen Rahmenbedingungen auf das Kräfteverhältnis und den Einsatz der Probanden einwirkt. Um also die Abhängigkeiten sozialer Beziehungsgeflechte zu rekonstruieren und eine nachvollziehbare Deutung wiederkehrender Muster in der vorliegenden Untersuchung zu gewährleisten, werden in der komparativen Sequenzanalyse statt eines gedankenexperimentellen Schritts die einzelnen Sequenzen in thematischer Abfolge auf Handlungs- und Deutungsmuster untersucht: Erzählung, Argumentation, Beschreibung, Erzählung Der Proband wollte nicht die Alternative nutzen, die viele seiner Kommilitonen einschlugen, indem sie eine Umschulung machten, sondern Historiker bleiben. Hier dokumentiert sich sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, welches seine Entscheidung, die Promotion anzustreben und somit in die Forschung zu gehen, beeinflusst hat. Dieses Vertrauen in die eigene Qualifikation dokumentierte sich bereits im Abschnitt, als der Proband von dem Aufeinandertreffen mit seinem späteren Doktorvater berichtete.26 Hier ist das kommunikative Wissen von besonderer Bedeutung, also wie etwas begründet oder bewertet wird. So kann sich ein roter Faden in der Handlungspraxis des Erzählenden herauskristallisieren. Die theoretische Fundierung für die Deutung dieses Fadens als Erklärung für die Abhängigkeiten in sozialen Beziehungsgeflechten wird hier in Bourdieus Modell des sozialen Raums gesehen. Dieses Modell ist anwendbar auf die Idee des Orientierungsrahmens und des atheoretischen Wissens, auf dem die Handlungspraxis beruht. Das atheoretische Wissen entspricht dem, was Bourdieu als »praktischen Sinn«27 bezeichnet. Dies meint das implizite Wissen darüber, wie Akteure innerhalb eines Milieus aufgrund gleicher Erfahrungshorizonte miteinander in

26 27

Siehe Materialband, P01, 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse. Vgl. Saalmann, Gernot, Art. Praxis, in: Fröhlich/Rehbein: Bourdieu-Handbuch (2014), S. 199203, S. 200; Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a.M. 1993.

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Beziehung treten. Ihre Handlungspraxis basiert daher auf Denk- und Handlungsmustern, die sie aufgrund der Sozialisation innerhalb ihres Milieus verinnerlicht haben. Die Denk- und Handlungsmuster, die während der Analyse der thematischen Abschnitte herauskristallisiert wurden, werden im weiteren dritten Schritt induktiv aus dem Material heraus dargestellt und erläutert, um so den jeweiligen Berufshabitus zu rekonstruieren (3). Dieser kann dann Aufschluss über das Beziehungsgeflecht geben, in dem der Erzählende steht. Dazu wird Bourdieus Definition des Habitus erneut herangezogen: Wenn im sozialen Raum auf der Basis des atheoretischen Wissens miteinander agiert wird, bedeutet dies, dass die Mitglieder eines Milieus ihre Handlungen entsprechend an dem Habitus dieses Milieus orientieren. Die Beziehungen der Mitglieder zueinander basieren auf den Einsatzmöglichkeiten der Kapitalarten einzelner Akteure. Der Position im sozialen Raum entsprechend haben die einzelnen Kapitalarten also eine unterschiedliche Bedeutung für das Handeln der Akteure. Diese Bedeutung, sprich die Orientierung an den Kapitalarten, muss sich daher in der Handlungspraxis der Erzählenden niederschlagen. Daher gilt es die Handlungs- und Denkmuster in das theoretische Gerüst der Kapitalarten zu übertragen, um darauf basierend Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht zu extrahieren (4). Dies geschieht im vierten und letzten Schritt der Analyse. Somit ergibt sich für jede Analyse folgender Verlauf: 1) Formulierende Interpretation a) Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte b) Formulierende Interpretation einzelner Interviewabschnitte 2) Reflektierende Interpretation a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse 3) Rekonstruktion des Berufshabitus 4) Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht

Damit können dann in einem abschließenden Vergleich aller Analyseergebnisse sowohl die Gemeinsamkeiten in Form eines spezifischen Berufshabitus für Historiker als auch die Unterschiede in ihren Abhängigkeitsgeflechten basierend auf ihrer Position im sozialen Feld herausgestellt werden. Die Analyseschritte der formulierenden Interpretation einzelner Interviewabschnitte (1b) und der reflektierenden Interpretation, bestehend aus der Textsortentrennung (2a) und der komparativen Sequenzanalyse (2b), befinden sich im Materialband, um für die Leserinnen und Leser Wiederholungen zu vermeiden und den roten Faden der Arbeit nicht durch die stark detaillierten Schritte zu verlieren. Diese für den aktiven Erkenntnisprozess während der Analyse unverzichtbaren Schrit-

4. Teilstudie 2

te sind im Materialband dokumentiert, um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Auswertungsprozesses zu gewährleisten. Um das methodische Vorgehen besser nachvollziehbar zu machen und zugleich eine möglichst konzentrierte Analyse zu bieten, ist der Analyseprozess bei Proband 01 jedoch einmalig vollständig abgebildet.

4.3

Begründete Auswahl der Interviewpartner

Begründung der Auswahl Als tertium comparationis galt zum einen aufgrund der Ausrichtung dieser Arbeit, dass die Probanden Erfahrungen mit Unternehmensgeschichte hatten. Zum anderen war die gleiche wissenschaftliche Ausgangsbasis der Historiker von zentraler Bedeutung. Das heißt, alle Probanden mussten ein geschichtswissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen haben. Dies stellte die Voraussetzung dar, um den Habitus der Probanden in Bezug auf die gleiche Sozialisation in der Wissenschaft bei unterschiedlichen Berufsbiografien vergleichen zu können. Denn nur wenn diese wissenschaftliche Sozialisation vorliegt, kann von einer erlernten Profession ausgegangen und so die These untersucht werden, ob der Profession der Anspruch auf Glaubwürdigkeit immanent ist, wie oben behauptet, und wie dieser Anspruch bei der heterogenen Gestaltung der Berufsbiografien von Historikern konkret deren Berufshabitus beeinflusst. Wie in Kapitel 2.1 erläutert, ist dieser Anspruch ein feldspezifischer. Dieser kann jedoch nicht getrennt werden von feldunspezifischen Ansprüchen. Gemeint ist das Ziel, die Begehren zu befriedigen, die Maslow als »Grundbedürfnisse« definierte und von denen Foucault als »Heil« spricht. Diese Begehren können nur unter den bestimmten Voraussetzungen verwirklicht werden, die von den jeweiligen Machtverhältnissen bestimmt sind, in denen eine Person sich befindet.28 Um herauszufinden, welche Abhängigkeiten sich für Historiker in Bezug auf ihre feldspezifischen und feldunspezifischen Begehren ergeben, musste daher eine Stichprobe mit möglichst heterogenen Berufsbiografien gefunden werden. Insgesamt wurden für die Erhebung sechs Probanden befragt. Die Ergebnisse können aufgrund der geringen Fallzahl keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Stattdessen ermöglichte dieser Umstand aber eine tiefgehende Analyse der Interviews und damit die unterschiedlichen Abhängigkeiten ausfindig zu machen und in ihrer Qualität zu beschreiben.

28

Vgl. Kap. 2.1.

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Der Auswahlprozess Der Auswahlprozess von Probanden stellte eine Herausforderung dar. Aufgrund der sensiblen Thematik in Verbindung mit dem Datenschutz war eine gezielte individuelle Ansprache von potenziellen Probanden nötig. Da die Arbeit die moderne Unternehmensgeschichtsschreibung fokussiert, sollten ebenfalls Probanden befragt werden, die direkt in Unternehmen als Historiker beschäftigt sind. Dies brachte mehrere Schwierigkeiten mit sich. Weil der Begriff »Historiker« keine geschützte Berufsbezeichnung ist, war nicht immer klar zu erkennen, ob und welche wissenschaftliche Qualifikation bei Mitarbeitern von Unternehmensarchiven oder -museen vorlag. Hinzu kommt, dass kleinere und mittelständische Unternehmen auf eigene Archive oder unternehmensgeschichtliche Abteilungen verzichten. Diese nehmen stattdessen für die Aufarbeitung ihrer Geschichte professionelle Dienstleister in Anspruch – sei es in Form von wiederum unternehmerischen Zusammenschlüssen oder sogenannten »Freelancern«. Die Suche beschränkte sich somit auf große Konzerne. Insgesamt fünf Unternehmen, in denen passende Probanden ausfindig gemacht werden konnten, wurden kontaktiert, alle Anfragen blieben aber erfolglos. Letztlich gelang es aber, zwei Probanden aus der Privatwirtschaft zu gewinnen. Proband 06 arbeitet in einem Unternehmensmuseum und Proband 02 in einer privaten Geschichtsagentur, die auf Unternehmensgeschichte spezialisiert ist. Zwei weitere Probanden sind Beschäftigte an deutschen Hochschulen. Proband 01 ist Professor im Fach Geschichte und Proband 05 ist wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die Probanden 03 und 04 haben lange Zeit freischaffend gearbeitet und waren zum Zeitpunkt der Interviews seit kurzer Zeit fest angestellt. Bei der Probandenauswahl wurde deutlich, dass eine von vornherein schematische Abgrenzung der Probanden bereits zur Ausblendung der sozialen Wirklichkeit führen konnte. Besonders bei Proband 02 kam dies zum Ausdruck: Wenn ein Proband zwar als ›Selbstständiger‹ seine Dienstleistungen anbietet, dafür aber wiederum ein Unternehmen gegründet hat, ist er dann noch freischaffender Historiker oder ist er dann Unternehmer und damit Angestellter in der privaten Wirtschaft? Hier mag es auf die jeweilige Perspektive ankommen. Was aber klar geworden sein dürfte, ist, dass die vorliegende Einteilung der Probanden lediglich der Operationalisierbarkeit dient und keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit erhebt.

4.4 Abhängigkeiten in der sozialen Wirklichkeit Analyse und Interpretation Die Analysen und Interpretationen beruhen auf dem Textmaterial, das durch Transkriptionen der Gespräche mit den Probanden entstand. Aus Datenschutzgründen sind die Namen der Probanden sowie weitere Eigennamen anonymisiert worden, jedoch ohne den Sinn der Aussagen zu verändern.

4. Teilstudie 2

4.4.1

Dokumentarische Interpretation Proband 01

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Der Proband studierte die Fächer Deutsch und Geschichte für das Lehramt. Er ging nach dem ersten Staatsexamen aber nicht in das Referendariat, sondern entschloss sich, die Promotion zu absolvieren. Für diese wurde er zunächst durch ein DFG-Projekt gefördert, anschließend erhielt er noch ein Stipendium einer ausländischen Universität, um die Promotion dort abzuschließen. Nach der Promotion hatte er eine Assistentenstelle inne, auf der er habilitierte. Nach der Habilitation folgten Lehraufträge und Vertretungsprofessuren an mehreren Universitäten, sowohl nationaler als auch internationaler Art. Schließlich arbeitete er in einem Forschungsprojekt über die NS-Vergangenheit eines Unternehmens. Noch während des Projektes wurde er zum ordentlichen Professor berufen. Als solcher übernahm er verschiedene Führungstätigkeiten an der Universität, während derer er kaum Forschung betreiben konnte. Nach Beendigung der Führungstätigkeiten war er an weiteren Forschungsprojekten beteiligt. Der Proband stand zum Zeitpunkt des Interviews wenige Jahre vor der regulären Emeritierung und war 61 Jahre alt. Ein Großteil des Interviews ist für die Analyse nutzbar. 1) Formulierende Interpretation Proband 01 1a) Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Nach dem Erzählimpuls folgt eine Sequenz über die Berufslaufbahn des Probanden, angefangen mit der Schulzeit, in der er bereits ein großes Interesse an Geschichte zeigte. Sodann erzählt er von seiner Studienzeit, seinem Entschluss zu promovieren und von der Zeit nach der Habilitation, in der er als Privatdozent an verschiedenen Universitäten lehrte und in einem großen Forschungsprojekt mitarbeitete. Schließlich endet seine Erzählung mit der Berufung auf seinen heutigen Lehrstuhl. Im immanenten Frageteil geht der Proband nochmals auf seinen Entschluss zur Promotion ein, dem folgt eine Sequenz über seine ersten Forschungserfahrungen. Daraus ergibt sich die Sequenz über seine Beweggründe für die Habilitation und seine Erfahrungen mit dieser. Aus diesen geht eine Sequenz über das Forschungsprojekt, das nach der Habilitation folgte, hervor. Auf die Nachfrage, welche Herausforderungen dieses Projekt mit sich brachte, erzählt der Proband von seinen Erfahrungen, die er als Zivildienstleistender und als Doktorand gesammelt hat und die ihm bei dem Forschungsprojekt halfen. Die nächste immanente Frage bezieht sich auf das Betreiben von Forschung nach der Berufung zum ordentlichen Professor, auf die eine Sequenz über die Tätigkeiten des Probanden in verschiedenen Führungspositionen folgt. Auf die Frage, wie sich die Rolle als Historiker

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während der ganzen Zeit verändert habe, erzählt er über seine unterschiedlichen Erfahrungen als Historiker während der verschiedenen beruflichen Stationen. Der exmanente Frageteil enthält eine Frage nach den Anforderungen des Probanden an sich selbst als Historiker, auf die der Proband aber keine explizite Antwort geben kann. Auf die Frage, wie er seinen Karriereweg aus heutiger Sicht beurteilt, antwortet er ambivalent: Einerseits äußert er sich sehr positiv über seine Tätigkeit als Professor, zugleich spricht er aber auch von den vielen Risiken und Belastungen, die seine Berufslaufbahn beinhaltete. Für die Frage nach dem Berufshabitus sind vor allem die Sequenzen von Bedeutung, in denen der Proband über seine Erfahrungen spricht, die er als Historiker in den unterschiedlichen Phasen seiner Laufbahn machte, sowie die Sequenzen, in denen er von den Einflüssen auf seine Entscheidungen und jeweiligen Tätigkeiten erzählt. Ein Großteil des Gesprächs ist für die Analyse nutzbar. 1b) Formulierende Interpretation einzelner Interviewabschnitte   1. Thema: Motivation zur Beschäftigung mit Geschichte (1.1) Aufgrund seines Interesses als Schüler für die Schriften von Marx, Engels, Lenin und Trotzki interessierte der Proband sich sehr für Geschichte und für ihn war es aus diesem Grund naheliegend, nach der Schule Geschichte zu studieren. (1.2) Während des Studiums beschäftigte der Proband sich vor allem mit wirtschaftshistorischen Themen. Er belegte stets die Seminare, die solche Themen anboten, und befasste sich auch in seinen eigenen Studien mit ihnen. Er glaubte, wenn er wisse, wie die Wirtschaft funktioniere, dann wisse er, wie die Welt funktioniere.   2. Thema: Entscheidung für die Promotion (2.1) Nach dem Staatsexamen entschloss er sich, in Wirtschaftsgeschichte zu promovieren, und wandte sich an einen neuberufenen Professor, um ihn über diesen Wunsch zu unterrichten. (2.2) Der Professor wollte nicht das vom Probanden vorgeschlagene Thema akzeptieren, da er kein inländisches Thema bei seinen Doktoranden duldete. Er schlug dem Probanden zwei Alternativen vor, von denen dieser eine verwirklichte. (2.3) Der Proband hatte auf Lehramt studiert, da es durch geringen Mehraufwand so auch die Möglichkeit auf das Referendariat gab. Aber am Ende seines Studiums Anfang der achtziger Jahre musste er feststellen, dass kaum noch Lehrer eingestellt wurden. (2.4) Nachdem für den Probanden klar war, dass im Lehrerberuf keine Zukunft liegt, überlegte er sich, was er stattdessen tun könnte. Er wollte nicht umschulen, wie viele seiner Kommilitonen es taten, sondern Historiker bleiben.

4. Teilstudie 2

3. Thema: Spezialisierung (3.1) Nach der Habilitation war der Proband Vertreter auf verschiedenen Lehrstühlen, sein Durchbruch gelang ihm durch ein Forschungsprojekt, das durch ein großes Unternehmen zur Erforschung seiner NS-Vergangenheit initiiert wurde. Da er durch seine Promotion Erfahrung in der Branche hatte, machte ihn dies zum Experten für das Thema und zum perfekten Projektmitarbeiter. (3.2) Aufgrund seines Promotionsthemas war der Proband zuvor nicht besonders bekannt. Das Thema hält er für sehr schwierig und noch heute bemerkt er in Diskussionen, dass die hiesigen Historiker nicht wirklich darüber diskutieren können. Da er sein Habilitationsthema nicht gerne bearbeitet hat, wurde aus diesem keine herausragende Arbeit, sodass er nach der Habilitation noch immer relativ unbekannt war. Durch das Forschungsprojekt mit dem prominenten Aufhängerthema änderte sich dies.   4. Thema: Erfahrung mit Forschung als Doktorand (4.1) Der Proband erzählt, dass er im Studium nicht auf das Forschen im Archiv vorbereitet wurde. Dies war für ihn schlimm, da noch hinzukam, dass sein erster Archivbesuch im Ausland stattfand und sein Englisch relativ schlecht war. Er berichtet, dass er aufgrund der äußerlichen Wirkung von der Institution sehr eingeschüchtert war. (4.2) Bei dem ersten Archivbesuch hat man den Probanden überhaupt nicht ernst genommen und er hat auch keine Unterstützung erfahren. Er wurde ins kalte Wasser geworfen, indem man ihn lediglich fragte, was er sehen wolle. Alles was er kannte, waren die Nummern von Akten, die bereits bearbeitet worden waren. Dieser erste Besuch frustrierte ihn sehr. Erst als bei dem zweiten Besuch ein neuer Archivleiter anwesend war, konnte dieser dem Probanden helfen, indem er ihm das Findbuch gab. Wegen dieser Erfahrung legt der Proband in seiner eigenen Lehre viel Wert darauf, dass seine Studierenden Erfahrungen mit der Archivarbeit sammeln und bietet deshalb stets ein Seminar dafür an.   5. Thema: Ziele und Probleme in der Zeit als Post-Doktorand (5.1) Für den Probanden war nach der Promotion klar, dass er den Schritt zur Habilitation tun würde, da er die Promotion an einer sehr renommierten Universität und mit Auszeichnung bestanden hatte. Er verband die Habilitation automatisch mit dem Ziel der Berufung. (5.2) Während der Assistentenzeit hatte der Proband aufgrund des permanenten Risikos der Befristung psychosomatische Probleme. Obwohl er nach der Assistentenzeit insgesamt nur drei Monate arbeitslos war, war er vom ständigen Stress geplagt, immer wieder beim Start eines Projektes bereits über das nächste nachdenken zu müssen. (5.3) Der Proband erzählt, dass ihm seine Tätigkeit als Kommunalpolitiker geholfen

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hat, sein Selbstbewusstsein zu stärken. Die Debatten im Parlament waren eine gute Schule für Berufungsverfahren, aber auch für seine Rhetorik, durch die er als Professor gegenüber den Kollegen eine gewisse Überlegenheit verspürt. Insgesamt ist er sehr dankbar für die Erfahrungen aus der Kommunalpolitik, auch wenn ihn dies Zeit gekostet hat, sodass die Promotion länger dauerte.   6. Thema: Das Thema der Habilitation (6.1) Für die Habilitation bekam der Proband die Auflage, ein anderes Thema, ein anderes Land und eine andere Zeit zu erforschen als in der Promotion. Letztlich sollte er zwei dieser drei Punkte erfüllen. Sein Wunschthema konnte er jedoch nicht verwirklichen, weil die betroffenen Unternehmen ihm keinen Zugang zum Archiv gewährten. Somit entschied er sich für ein anderes Thema, das er allerdings nicht besonders mochte und nach der Habilitation wollte er damit nichts weiter zu tun haben. (6.2) Der Proband kam nach der Habilitation durch ein Forschungsprojekt zurück zu seinem Lieblingsthema. Mittlerweile weiß er aber auch, dass die Erforschung seines ursprünglich gewünschten Habilitationsthemas nicht möglich gewesen wäre, weil die betreffenden Akten nicht mehr existieren.   7. Thema: Herausforderungen im Forschungsprojekt (7.1) Aufgrund externen Drucks und des Trends der Erforschung von NSVergangenheiten von Unternehmen, wurde ein Forschungsprojekt durch ein Unternehmen initiiert, das von einem Forschungsinstitut ausgeführt wurde. Der Proband bekam eine Stelle in dem Projekt und zu Beginn standen dort 10 km Akten im Archiv vor ihm, was er als »absolut toll« bezeichnet. Für ihn ist es die schönste Zeit seiner beruflichen Laufbahn gewesen, da anfangs erst einmal nur geschaut wurde, was an Akten vorhanden ist und was gemacht werden kann. Am Ende des Projektes kam dann ein weitaus größeres Werk heraus als geplant war. (7.2) Der Proband erzählt, dass er für das Forschungsprojekt zum einen den großen Vorteil hatte, bereits in der Promotionszeit in einem Archiv der gleichen Unternehmensbranche gearbeitet zu haben. Zum anderen konnte er Erfahrungen aus seiner Zeit als Zivildienstleistender ziehen, in der er auch Jahresabschlüsse zusammenstellte und sich dadurch mit dem ökonomischen Handwerk auskannte. Für ihn waren diese beiden Vorteile so hilfreich, dass es laut ihm »eigentlich keine Herausforderung« im Forschungsprojekt gegeben hat. (7.3) Der Proband räumt ein, dass er aufgrund der Vertretungsprofessur, die er ein Jahr nach dem Start des Forschungsprojekts angenommen hatte, die Arbeiten für den Forschungsband neben den anderen Pflichten erledigen musste, was zur Folge hatte, dass sein Band ein wenig dünner wurde als die der anderen Mitarbeiter. Allerdings sah er darin kein Problem, weil das Thema ein »Herzensthema« und er »total motiviert« war.

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(7.4) Da das Unternehmen unter großem Druck stand, was die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit betraf, war das Forschungsprojekt ein Befreiungsschlag. Das Unternehmen konnte auf eine unabhängige Kommission verweisen und diese Aufarbeitung erschien dem Probanden als starker Imagegewinn für das Unternehmen. Auch wenn am Anfang die Reaktionen des Unternehmens auf Verstrickungen in das NS-Regime zögerlich waren, so konnte es später gar nicht schlimm genug sein, um auf eine aufrichtige Aufarbeitung verweisen zu können.   8. Thema: Die Rolle des Historikers als Professor Der Proband hatte nach seinen Tätigkeiten in einer Führungsposition kein Problem, sich wieder in die Rolle als Hochschullehrer hineinzufinden. Was jedoch die Forschung betrifft, fiel ihm dies schwer. Das Forschungsprojekt des Unternehmens hatte er zwar noch während seiner Führungstätigkeiten fertig geschrieben, allerdings waren die Forschungsarbeiten und die Konzeptionierung zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen. Er sagt, er habe nicht gewusst, was er nach der Führungstätigkeit tun sollte und nennt es einen glücklichen Zufall, dass ein Kollege ihn in die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt einbezog. Durch dieses Projekt konnte er sein Profil als Experte erneut schärfen.   9. Thema: Hierarchien im Wissenschaftssystem (9.1) Für den Probanden gab es keinen richtigen Rollenwechsel, da sein Chef ihn von Beginn an als jüngeren und gleichberechtigten Kollegen behandelt hat. Zudem hat er durch die politische Tätigkeit viel Selbstbewusstsein gewonnen. (9.2) Der Proband hat viel mit Kollegen aus dem angelsächsischen Raum gearbeitet, wo eine flachere Hierarchie im Wissenschaftssystem herrscht als in Deutschland. Er ist stets als jüngerer Kollege angesehen worden. In Deutschland waren dagegen auch liberale Kollegen autoritär strukturiert. Der Proband selbst pflegt einen angelsächsischen Stil gegenüber seinen Mitarbeitern, da dieser für ihn viel angenehmer ist. (9.3) Die Bezugspersonen, die der Proband als Doktorand und Post-Doktorand hatte, stammten aus dem angelsächsischen Wissenschaftssystem und sie waren aufgrund des Altersunterschieds für ihn »väterliche Freunde«. Zu den Deutschen hatte er dagegen immer Distanz. (9.4) Er geht davon aus, dass er heute, aufgrund seiner eigenen Hierarchiestufe, die Autorität anderer Kollegen nicht zu spüren bekommt, allerdings räumt er auch ein, dass unter seinen Kollegen nur wenige autoritär strukturierte seien, was an anderen Hochschulen anders sei.

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2) Reflektierende Interpretation Proband 01 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung 1 – Erzählung, 2 – Beschreibung, 3 – Argumentation, 4 – Bewertung; die Reihenfolge gibt den Rahmen an, d.h. ob der Abschnitt eine Vordergrund- oder Hintergrundkonstruktion eines vorangegangenen Abschnitts ist. Die Zahlen sind rückwärts zu lesen. So bedeutet 1.2.4.1 es handelt sich um eine Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, die eine Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung ist, die wiederum eine Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung ist, die die Vordergrundkonstruktion ausmacht. Der Übersichtlichkeit halber werden in den Textsortenbenennungen über den einzelnen Zeilenabschnitten die Vordergrundkonstruktionen mit mehrfachen Hintergrundkonstruktionen nicht einzeln aufgezählt.   1. Thema: Motivation zur Beschäftigung mit Geschichte Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Argumentation P01: (1) Also, ich habe angefangen Geschichte zu studieren Mitte der siebziger Jahre. Ich habe Mitte der siebziger Jahre Abitur gemacht und hab mich schon als Schüler – ich habe mich eigentlich für die Schule wenig interessiert, aber für Geschichte habe ich mich immer interessiert. Ich habe in der Zeit eigentlich fast alles gelesen – (1.4) nein, das ist jetzt übertrieben – (1) ich habe also fast alles Relevante von Marx und Engels und Lenin und Trotzki gelesen als Schüler (3) und da war es natürlich naheliegend, dass man dann auch Geschichte studiert.   2. Thema: Entscheidung für die Promotion Erzählung, Argumentation, Beschreibung, Erzählung P01: (1) Und dann stellte sich die Frage: »Was jetzt?« (3) Und da ich eben, würde ich mal sagen, in meinem Jahrgang einer der besten war, war das eigentlich für mich klar, dass das die Alternative ist und nicht das, was viele andere gemacht haben: An eine andere Uni gegangen und umgeschult auf IT und BWL. (2) Massen von Kommilitonen haben das gemacht. (1) Ja gut, das war für mich dann eben eigentlich ganz klar, das ist nicht der Weg, umschulen, sondern: »Ich will Historiker bleiben und ich schaff das auch.«   3. Thema: Spezialisierung als Historiker Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Bewertung, Beschreibung, Erzählung P01: (4) Und das war extrem prominent (4.1) und auch wenn ich berufen wurde, bevor das Buch fertig war – (4.1.3) wissen Sie, wenn sie hier über mein Spezial-

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thema– das ist sowieso was extrem Schwieriges und für Historiker besonders, das verstehen die eigentlich nicht. Das habe ich immer wieder in Kolloquiumsvorträgen gemerkt, die Diskussion kam nicht zustande, weil das keiner irgendwie – so ein normaler Historiker, ja? (1) Und entsprechend war das dann auch – die Promotion hat hier kaum einer zur Kenntnis genommen. Und das ist natürlich – das war ja das, was mein Doktorvater wollte – (1.2) also nicht, dass es keiner zur Kenntnis nimmt, sondern dass man über ein anderes Land arbeitet und dann so ein peripheres Thema, also es ist schon ein wichtiges Thema, aber es ist eben ein Thema, was nicht zum Mainstream gehört. (4) Das heißt, ich hatte eigentlich ein Bekanntheits-Defizit, wenn Sie so wollen. Zumal die Habilitation dann auch eigentlich etwas war, was eine Notlösung war. (2) Das ist ja oft so: Sie können ja ein Leib- und Magenthema nicht weitermachen, weil Habilitation erfordert ja ein anderes Thema und das habe ich dann eigentlich mehr – also, ich habe es gemacht, aber es war jetzt auch keine dolle Habilitation. Es musste sein. (1) Das heißt, ich hatte immer noch ein Bekanntheits-Defizit. Und das ist dann eben – durch dieses wirklich prominente Projekt dann im Grunde hat sich das geändert. Das heißt, dann kannte mich jeder.   4. Thema: Erfahrungen mit Forschung als Doktorand Immanente Nachfrage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Erzählung, Beschreibung Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Beschreibung, Argumentation I: Und vor der Promotion? Hatten Sie da auch schon Erfahrung mit dem richtigen Forschen, also in die Archive gehen und so weiter. P01: (4) Nein, das ist an meiner Uni ganz schlecht gewesen. Weil die (4.1) – ich würde mal sagen, die betreffenden Lehrstuhlinhaber sind vermutlich auch zu dem Zeitpunkt schon 20 Jahre nicht mehr im Archiv gewesen – in der Ausbildung spielte das überhaupt gar keine Rolle. (4) Und das war für mich ganz schlimm. (1) Als ich damals das erste Mal im Archiv war, das war ausgerechnet im Ausland. (2) Sie müssen sich vorstellen, Sie gehen in diese Bank rein, da stehen zwei so mit rosa Livree bekleidete Wächter vor der Tür, da muss man durch. Und dann kommt man da rein – das ist derartig einschüchternd eine solche Institution, man hat überhaupt keine Ahnung, wie das läuft. Und mein Englisch war auch relativ – ich komme vom einsprachigen Gymnasium, mein Englisch war entsprechend schlecht. (1) Die haben mich über-haupt nicht ernst genommen beim ersten Mal. Die haben mich dahin gesetzt, haben mir das Findbuch dahin gelegt – äh nein, die haben mir das Findbuch nicht dahingelegt, sondern haben gesagt: »Was wollen Sie sehen?« Und dann habe ich mir einfach von dem, was ich gelesen hatte, ein paar Aktennummern aufgeschrieben und habe festgestellt: ja, das ist ja alles schon gemacht worden, was ich da gelesen hab. Bin nach Hause gefahren und war völlig frustriert. Und dann hatte ich aber das große Glück, dass der Chef des Archivs

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gewechselt hat. Also, der war die Treppe hochgefallen und ein neuer – und ich hatte eine Chance beim zweiten Besuch. Und der hat mit dann das Findbuch hingelegt und dann konnte ich endlich was machen. Dann habe ich wirklich erst angefangen. Also, ich war völlig unvorbereitet und das ist – (1.4) also, so gut wie die Ausbildung im Prinzip an der Uni war – das haben sie nicht gemacht. (1) Und das mache ich auch heute deswegen anders. In jedem Semester biete ich ein Oberseminar mit Archivbesuch an, also mit Archivrecherche richtig. (2) Also nicht nur reingucken, sondern richtig arbeiten. (3) Aufgrund dieser Erfahrung. Ich will nicht, dass meinen Doktoranden sowas passiert, weil das kann auch schiefgehen.   5. Thema: Ziele und Probleme in der Zeit als Post-Doktorand Immanente Nachfrage, Beschreibung, Argumentation, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Bewertung I: Und stand als Ziel dann auch tatsächlich die Berufung? P01: (2) Ja klar. Ich meine, in dem Moment, in dem man entscheidet nach der Promotion weiterzumachen muss das das Ziel sein. (3) Weil, wenn das nicht das Ziel ist, dann wird man einfach nur älter. Und deswegen war für mich dann ganz klar – ich hatte auch schon Kinder –, dass das ein hohes Risiko ist und ich habe dann auch in der Assistentenzeit massive psychosomatische Probleme gehabt. (2) Also, die Assistentenzeit sind ja luxuriöse sechs Jahre und danach kommen Verträge, die sind sechs Monate bis maximal drei Jahre. Und das heißt, wenn man dann so ein neues Projekt anfängt (2.1) – ich bin übrigens in der ganzen Zeit nur drei Monate arbeitslos gewesen und als die Arbeitslosigkeit begonnen hat, wusste ich schon, dass sie nur drei Monate dauern würde. Also ich war nie in einer unsicheren – (2) und trotzdem, wenn man ein Projekt anfängt: Man ist gerade eingearbeitet, da muss man schon wieder über das nächste nachdenken. Was man danach machen kann. (4) Das ist das, wo man eben das, wo ich heute bin, auch teuer bezahlt.   6. Thema: Das Thema der Habilitation Erzählung, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung P01: (1) Sondern ich bin eben dann auch durch diesen glücklichen Zufall mit dem Forschungs-projekt dann wieder zurück zu meinem Ursprungsthema gekommen. (4) Aber dieses Thema war eigentlich – (3) ich wollte ein Leib- und Magenthema machen, das wäre eben diese – (4.3.2) ich weiß heute, dass es auch, selbst wo die Archive heute offen sind, dass es nicht gehen würde, (4.3) weil die tatsächlich die Akten der vorherigen Unternehmen vernichtet haben, (4.3.2) das heißt aber – es wäre möglich gewesen. (4.3) Nur aus lauter Angst, dass man irgendwo eine NSQuelle sieht, haben die sozusagen gesagt: »Der will Weimarer Republik machen, auf gar keinen Fall.«

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7. Thema: Herausforderungen im Forschungsprojekt Immanente Nachfrage, explizite Antwort, immanente Nachfrage, Beschreibung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Beschreibung, immanente Nachfrage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Beschreibung, Erzählung I: Und das hat sich immer noch nicht geändert? Also, so habe ich das jetzt wahrgenommen in der öffentlichen Debatte, dass da nochmal so ein Umdenken stattgefunden hat, diese – zu sagen: »Ja, wir gehen dann lieber doch offen damit um und sagen uns: okay…« P01: Genau. I: Genau, und das war aber da noch zu dem Zeitpunkt eher nicht? P01: (2) Also Ende der Achtziger noch nicht, da war ja noch Kalter Krieg. (1) Das änderte sich dann eben in den Neunzigern (1.3) und im Falle des betroffenen Unternehmens konnte das wegen des Drucks gar nicht anders. (1) Und dann haben sie eben dieses Projekt ausgeschrieben. Also, sie haben das Projekt an ein Forschungsinstitut gegeben und das Forschungsinstitut hat dann die Stellen ausgeschrieben. So war das. (2) Und als wir dann da waren, ja? Da stehen wir vor 10 Kilometern Akten. Kein Findbuch. I: Und war das, also ich weiß nicht, waren das nicht auch gemischte Gefühle in dem Moment? P01: (4) Das war toll. Das war absolut toll. Ich meine, es war, also – (4.3) ich meine, ich bin ja jetzt relativ am Ende schon meiner beruflichen Laufbahn, (4) aber ich werde sicherlich niemals sagen, dass es eine andere Zeit gegeben hat, die schöner war als diese ersten Jahre dann da. (2) Als ich etwa jeden Monat für eine Woche dort ins Archiv bin und dann eben einfach erstmal nur geguckt. (1) Wir mussten ja am Anfang erstmal gucken, was können wir hier überhaupt machen? Und dann ist aus dem 350-Seiten-Werk, was wir zu dritt schreiben sollten, ist dann weitaus mehr geworden, ne, bei 10 Kilometern Akten.   8. Thema: Die Rolle des Historikers als Professor Immanente Frage, Bewertung, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Erzählung, Beschreibung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Erzählung, Beschreibung, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung I: Und war das dann eher so, dass Sie gesagt haben: »Okay, in diese Rolle des Historikers muss man erst wieder reinfinden?« P01: (4) Ja, also in die Rolle als Hochschullehrer nicht. (2) Ich habe ja – also, die Lehre und so, das ist dann alles – gut, ich habe ja Freisemester gehabt, viel war ja nicht – aber ich habe immer Doktoranden gehabt und habe die betreut und so, (2.4) das war jetzt kein Problem. (1) Auch in die Lehre bin ich danach wieder reingekommen. (2) Nee, das ist die Forschung. (1) Also, weil ich habe fünf Jahre

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keine gemacht. Also, das Projekt – während meiner Führungsfunktion musste ich das Buch fertig schreiben. Aber das stand im Prinzip, ich musste es nur noch niederschreiben. Aber die ganze Konzeptionierung und so, das war alles vorher. Und das war jetzt irgendwie, ja, das Projekt war zu Ende. Danach habe ich eben nichts mehr gemacht, Forschung. Ich habe auch wenig publiziert danach, (1.4) ist ja klar. (1) Und dann: »So, und jetzt?« (2) Und dann, seitdem bin ich jetzt, jetzt gelte ich als der Spezialist in Deutschland für dieses Thema. (4) Da bin ich aber zufällig zu gekommen. Und das war ein großes Glück, dass der Kollege – (4.3), weil ich hätte gar nicht gewusst: »Was machst du jetzt?« (1) Der hat gesagt: »Sie machen das jetzt.« Das war ein älterer Kollege, (1.2) ist mittlerweile auch verstorben, der hat gesagt – da war ich noch in der Führungsposition –, (1) der hat gesagt: »Sie machen das und da kümmern Sie sich drum, wenn Sie fertig sind.«   9. Thema: Hierarchien im Wissenschaftssystem Immanente Frage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Bewertung, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Argumentation, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung I: Hat sich dieses Rollenempfinden dann auch verändert mit der Zeit? Also, von Beginn an der Promotion auch vielleicht bis eben heute? Also, Sie sagen ja: »Heute fühle ich mich auch« – ich weiß nicht »irgendwie gefestigter.« Jetzt sind Sie ja auch mittlerweile, also, Sie sind hier berufen. Sie sagen, Sie werden sogar angesehen als Experte für dieses Thema. Macht das was mit einem dann auch, auch in der Arbeit vielleicht, der Forschung? Vielleicht auch die Selbstwahrnehmung, ist die anders? P01: (4) Also, ich glaube, durch diese politische Tätigkeit, die ja im Grunde – (4.2) die 15 Jahre vor der Berufung –, (1) also, als ich hierherkam – ich wohnte in einer Kleinstadt weit weg. Da war ich dann Vorsitzender in verschiedenen Gremien. (1) Und dann war eine Kommunalwahl, da bin ich auch noch gewählt worden, ich habe dann das Mandat aber nicht angenommen, (1.3), weil ich hierhin berufen worden bin, (1.3.2) aber zunächst mal nur als Vertreter. (1.3) Nur man kann nicht hier arbeiten und so weit entfernt um 18 Uhr zu den Sitzungen. Das geht nicht. (4) Also kann man sagen, das ist ein direkter Wechsel. (2) Mein Chef hat mich von Anfang an als jüngeren, gleichberechtigten Kollegen gesehen. Ich habe nie irgendwelche Dienstleistungen machen müssen. Das mache ich übrigens heute mit meinen Assistenten nicht, ja? (2.4) Also, das war zwar sehr schön, (2) aber das ist, also ich überziehe das nicht, aber die müssen auch schon was für mich tun. (3) Und von daher brauchte ich dieses – (3.2) also, als Doktorand klar, da arbeitet man unselbstständiger, aber in dem Moment, wo ich Assistent war, war ich im

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Grunde das, was man in England lecturer nennt. (3) Und deswegen gab es nicht so Rollenwechsel. Außerdem habe ich mein Selbstbewusstsein aus der politischen Tätigkeit gezogen. 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse   1. Thema: Motivation zur Beschäftigung mit Geschichte Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Argumentation Der Proband gibt an, dass sein Interesse an Geschichte bereits in der Schulzeit bestand. Er nimmt eine Einordnung seines Interesses vor und erzählt, dass er die Schriften von Marx, Engels, Lenin und Trotzki gelesen habe. Aus der Schilderung dieses Interesses folgt seine Argumentation, dass es naheliegend gewesen sei, Geschichte zu studieren. Diese Argumentation dokumentiert einen Zusammenhang, der für den Probanden zwischen dem Interesse an den Schriften der sozialistischen und kommunistischen Philosophie und dem Geschichtsstudium, d.h. mit dem Interesse an Geschichte, besteht.   2. Thema: Entscheidung für die Promotion Erzählung, Argumentation, Beschreibung, Erzählung Der Proband wollte nicht die Alternative nutzen, die viele seiner Kommilitonen einschlugen, indem sie eine Umschulung machten, sondern wollte Historiker bleiben. Hier dokumentiert sich sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, welches seine Entscheidung, die Promotion anzustreben und somit in die Forschung zu gehen, beeinflusst hat. Dieses Vertrauen in die eigene Qualifikation dokumentierte sich bereits im Abschnitt, als der Proband von dem Aufeinandertreffen mit seinem späteren Doktorvater berichtete.   3. Thema: Spezialisierung als Historiker Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Bewertung, Beschreibung, Erzählung Aufgrund der Prominenz des Themas des Forschungsprojekts, nämlich die NSAufarbeitung von Unternehmen, konnte der Proband sein Bekanntheits-Defizit, das er nach der Promotion hatte, ausgleichen. Er differenziert zwischen der Wichtigkeit des Themas an sich und dessen Bedeutung für den Mainstream der historischen Forschung. Dass seine Promotion, wie er sagt, kaum zur Kenntnis genommen wurde, lag aus der Sicht des Probanden an der Komplexität des Themas und daran, dass es kein »normales« Thema für Historiker war (»die Diskussion kam

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nicht zustande, weil das keiner irgendwie – so ein normaler Historiker, ja?«) Das Thema seiner Habilitation bezeichnet er als »Notlösung« (»es musste sein«). Die Argumentation und die darauffolgende Erzählung, dass der Proband erst durch das prominente Thema des Projekts in der Zunft bekannt wurde (»dann kannte mich jeder«), dokumentieren sein Verständnis über die sozialen Mechanismen der akademischen Geschichtswissenschaft, zugleich nimmt er eine fachliche Eingeschränktheit der Zunft an, die laut ihm sein Spezialthema nicht wirklich versteht.   4. Thema: Erfahrungen mit Forschung als Doktorand Immanente Nachfrage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Erzählung, Beschreibung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Beschreibung, Argumentation Auf die immanente Nachfrage, wie ausgeprägt die Forschungserfahrung des Probanden zu Beginn der Promotion war, erzählt er, dass Erfahrungsmöglichkeiten der Forschung im Studium so gut wie gar nicht vorhanden gewesen seien. Auch die Lehrstuhlinhaber waren schon sehr lange Zeit nicht mehr im Archiv gewesen, wie der Proband schätzt. Somit kam er während der Recherche für seine Dissertation zum ersten Mal mit der Archivarbeit in Berührung. Diese hat er negativ in Erinnerung, aber nicht, weil er nichts gefunden hatte, sondern aufgrund einer von ihm wahrgenommenen einschüchternden Wirkung des Archivs als Institution. Aufgrund der vorausgehenden Sequenzen dokumentiert sich, dass es vor allem die mangelnde Erfahrung, d.h. die mangelnde Vorbereitung im Studium war, die die negative Assoziation mit der einschüchternden Institution des Archivs hervorrief. Dies unterstreicht auch seine Bemerkung, dass sein Englisch relativ schlecht gewesen sei. Es fehlten ihm also zu diesem Zeitpunkt zwei Kompetenzen, die ihm das Handeln in der Situation erleichtert hätten. Auch hier dokumentiert sich das Bewusstsein des Probanden für seine Qualifikationen: Hat er im Vertrauen auf deren Vorhandensein sowohl seinen Doktorvater aufgesucht als auch seinen Entschluss zur wissenschaftlichen Laufbahn gefasst, so ist es hier die mangelnde Qualifikation durch fehlende Erfahrungsmöglichkeiten im Studium, auf die er den ersten erfolglosen Archivbesuch zurückführt. Nach dem ersten Erlebnis im Archiv war der Proband »völlig frustriert.« Man habe ihn nicht ernst genommen, sodass er keine Unterstützung von den Archivaren bekam und somit keine neuen Erkenntnisse gewinnen konnte. Erst als bei seinem zweiten Besuch ein neuer Leiter anwesend war, gab dieser ihm das Findbuch, sodass der Proband neue Akten einsehen konnte. Der Proband war hier auf die Hilfe des Archivleiters angewiesen. Eben dieses Angewiesen-Sein missfällt dem Probanden, denn dass er völlig unvorbereitet war, ist das Einzige, was er an der Ausbildung im Studium als negativ beschreibt (»so gut wie die Ausbildung im Prinzip an der Uni war – das haben sie nicht gemacht.«). Diese negative Erfahrung veranlasst den

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Probanden auch dazu, in seiner eigenen Lehre stets ein Forschungsseminar anzubieten (»Ich will nicht, dass meinen Doktoranden sowas passiert, weil das kann auch schiefgehen.«) Hier dokumentiert sich, dass der Proband das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, auf seine mangelnde nötige Erfahrung zurückführt. Dies korrespondiert mit seinen vorherigen Äußerungen im Zusammenhang mit seinen Qualifikationen, die zeigen, dass der Proband auf Basis seiner erlernten Fähigkeiten viel selbstbewusster auftritt.   5. Thema: Ziele und Probleme in der Zeit als Post-Doktorand Immanente Nachfrage, Beschreibung, Argumentation, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Bewertung Dieser Automatismus dokumentiert sich auch in der Beschreibung des Probanden, dass die Berufung das Ziel sein müsse, wenn »man entscheidet, nach der Promotion weiterzumachen.« Wie sich zeigt, besteht für den Probanden darin nicht einfach nur ein sachlicher Sinn, sondern ein Lebenssinn (»dann wird man einfach nur älter.«). Dies erklärt ebenfalls, warum er so starken Druck verspürt hat, der sich auch psychosomatisch äußerte. Hier dokumentiert sich das Bewusstsein des Probanden für das Risiko, eine Berufung möglicherweise nicht zu erreichen. Verstärkt wurde dies auch noch durch sein Verantwortungsgefühl, denn der Proband war zu diesem Zeitpunkt bereits Vater. Hinzu kommt, dass die befristeten Arbeitsverträge den Probanden im Arbeiten beeinflusst haben. Gerade wenn ein Projekt angefangen habe, hätte man schon wieder über das nächste nachdenken müssen. Dies belastete ihn aber nicht, weil er dadurch weniger tief forschen konnte, sondern weil er auf der Suche nach einer festen Stelle nicht zur Ruhe kam. Dies dokumentiert sich in der Hintergrundkonstruktion der Erzählung, er sei nur drei Monate arbeitslos gewesen und er habe auch gewusst, dass es nur drei Monate dauern würde (»ich war nie in einer unsicheren – und trotzdem.«). Das Ziel – seine Berufung – habe er mit diesem Druck »teuer bezahlt«. Seine Forschung beschreibt er dabei als nicht belastet. Wie in den vorigen Sequenzen ersichtlich, war es nach Ansicht des Probanden aufgrund seiner erlangten Fähigkeiten möglich, die Forschung erfolgreich weiterzuführen. Zweifel hatte er in diesem Zusammenhang nicht.   6. Thema: Das Thema der Habilitation Erzählung, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung Es zeigt sich hier, dass der Proband davon ausgeht, dass Akten über die Zeitspanne, die er ursprünglich für seine Habilitation untersuchen wollte, durchaus vorhanden gewesen seien, die Unternehmen diese jedoch nicht herausgeben wollten. Es dokumentiert sich auch, dass er bedauert, dass er sein »Leib- und

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Magenthema« nicht bearbeiten konnte. Dies korrespondiert mit der negativen Haltung gegenüber dem letztlich realisierten Thema in der Habilitation, wie sie im vorhergehenden Abschnitt deutlich wird.   7. Thema: Herausforderungen im Forschungsprojekt Immanente Nachfrage, explizite Antwort, immanente Nachfrage, Beschreibung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Beschreibung, immanente Nachfrage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Beschreibung, Erzählung Über das an die Habilitation anschließende Forschungsprojekt spricht der Proband voller Begeisterung (»Das war toll. Das war absolut toll.«) Dabei waren es nicht nur das Thema, das diese Begeisterung bei ihm hervorrief, sondern auch die Umstände der Forschungssituation: »Da stehen wir vor 10 Kilometern Akten. Kein Findbuch.« Die Situation, einen unberührten Bestand zu einem Wunschthema auswerten zu können, lässt ihn begeistert darüber berichten. Hinzu kommt, dass dies für ihn eine einzigartige Situation in seiner Forschungsbiografie gewesen ist (»[…] ich werde sicherlich niemals sagen, dass es jemals eine Zeit gegeben hat, die schöner war als diese ersten Jahre dann da.«). Hier dokumentiert sich der »Forscherdrang« des Probanden durch die spezielle Forschungssituation einen völlig unberührten Aktenbestand zu seinem Favoritenthema sichten und erarbeiten zu dürfen. Dies korrespondiert mit seiner Äußerung im vorherigen Abschnitt bezüglich des »Leib- und Magenthemas« und mit der negativen Haltung gegenüber dem Habilitationsthema.   8. Thema: Die Rolle des Historikers als Professor Immanente Frage, Bewertung, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Erzählung, Beschreibung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Erzählung, Beschreibung, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung Auf die Frage, ob sich der Proband nach dem Ende der Tätigkeit in einer Führungsposition an der Universität wieder in die Rolle des Historikers einfinden musste, bejaht er dieses. Als Grund dafür nennt er die lange Auszeit von der Forschung (»Also, weil ich habe fünf Jahre keine gemacht.«). Nach dem Ausscheiden aus der Führungsposition war er planlos bezüglich neuer Forschungsvorhaben (»Und dann: ›So, und jetzt?‹ «). Hier war es ein anderer Kollege, der ihn in ein Forschungsprojekt einspannte und somit aus seiner Ratlosigkeit half. In der Bewertung und der dazugehörigen Hintergrundkonstruktion der Argumentation dokumentiert sich, dass der Proband nach der langen Zeit in der Führungsposition von sich aus nur schwer neue Forschungsthemen erschließen konnte. Er brauchte die externe Motivation eines Kollegen, um wieder in die Forschung einzusteigen. Zugleich konnte er sich für dieses neue Thema sehr engagieren. Dies

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zeigt sich darin, dass er mit dem Projekt zum »Spezialist in Deutschland für dieses Thema« wurde. Hier dokumentiert sich, dass der Proband, sobald er für längere Zeit aus der klassischen Forscherrolle ausgeschieden war, von alleine nur schwer wieder in diese Rolle hineinfinden konnte. Hier war er auf externe Hilfe angewiesen und er beschreibt diese als »großes Glück«. Genau wie in der Sequenz über die befristeten Arbeitsverhältnisse ist dies eine Situation, in der er nicht aktiv handeln konnte, um sich zurecht zu finden. Da sein Kollege ihm eine Forschungsarbeit anbot, ist diese Gelegenheit für ihn »Glück« – etwas, das nicht planbar ist: »Da bin ich aber eher zufällig zu gekommen. Und das war ein großes Glück, dass der Kollege – weil, ich hätte gar nicht gewusst: ›Was machst du jetzt?‹«   9. Thema: Hierarchien im Wissenschaftssystem Immanente Frage, Bewertung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Erzählung, Erzählung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Argumentation, Hintergrundkonstruktion zur Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung, Bewertung, Beschreibung, Hintergrundkonstruktion im Modus der Bewertung, Argumentation, Hintergrundkonstruktion im Modus der Beschreibung Auf die Frage, ob sich das Rollenempfinden des Probanden im Laufe der Zeit verändert habe, erklärt dieser in seiner Beschreibung, er sei Vorsitzender verschiedener Gremien in der Kommunalpolitik gewesen. Dann folgte die Berufung und er musste aufgrund der räumlichen Entfernung zur Uni die Kommunalpolitik verlassen. Dies sei ein direkter Wechsel gewesen. Er weist nochmals darauf hin, dass er das Selbstbewusstsein aus der politischen Tätigkeit gezogen habe und sich für ihn somit nur die Tätigkeit, nicht aber das Rollenempfinden geändert habe. In seiner Historikerlaufbahn selbst empfand er keinen Rollenwechsel, weil sein Betreuer ihn stets »als jüngeren und gleichberechtigten Kollegen« gesehen habe. Zugleich erklärt er, dass es »sehr schön« war, keine Dienstleistungen für seinen Betreuer erbringen zu müssen, andererseits mache er dies heute bei seinen Doktoranden anders (»Ich überziehe das nicht, aber die müssen auch schon was für mich tun.«). Der Rollenwechsel wird vom Probanden nicht als solcher empfunden, vollzieht sich aber dennoch in seiner Beschreibung über das Dienstleistungsverhältnis zu seinen Doktoranden. Dies korrespondiert auch mit seinen Äußerungen in der Sequenz über den ersten Archivbesuch, in der deutlich wird, dass er sich als »nicht ernst genommen« fühlte, weil er nicht über benötigte Kompetenzen verfügte. Sobald er über diese verfügt, wird in seinen Beschreibungen ein anderes, selbstbewussteres Auftreten gegenüber Personen und Aufgaben deutlich.

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3) Rekonstruktion des Berufshabitus von Proband 01 Der berufliche Sozialisationsprozess des Probanden 01 ist einerseits geprägt durch seine wissenschaftliche Sozialisation in der Phase seiner Promotionszeit, andererseits durch seine politische Sozialisation, die ihre Anfänge bereits in der Schulzeit nahm und dort durch sozialistische Philosophien geprägt wurde. Als ein Denk- und Handlungsmuster des Probanden lässt sich die Orientierung am Interesse für Themen erkennen. Bereits zu Beginn des Interviews berichtet er davon, dass er sich in der Schule für Geschichte interessiert habe und schlussfolgert daraus, dass es »naheliegend« gewesen sei, »dass man dann auch Geschichte studiert.« Ebenso berichtet er davon, dass er wegen der geringen Studienansprüche Deutsch als zweites Fach studieren wollte, um den eigenen Fokus des Studiums auf das Fach Geschichte legen zu können. Hier wird erkennbar, dass das Interesse am Fach Geschichte ihn in seiner Entscheidung sowohl des Studiums als auch der konkreten Fächerwahl beeinflusst hat. Sein Interesse beeinflusst ihn auch bis in die Wahl der konkreten Bereiche im Fach Geschichte hinein. So gibt er an, dass er sich im Studium auf den Bereich der Wirtschaftsgeschichte spezialisiert habe, was er mit seinem Wunsch nach dem Verstehen der Welt begründet: »Aber ich habe damals gemeint, wenn ich verstehe, wie die Wirtschaft funktioniert, verstehe ich auch, wie die Welt funktioniert.« Die Entscheidung für die Fokussierung auf die Wirtschaftsgeschichte wurde somit von seinem Interesse beeinflusst, das er bereits in der Schule durch die Beschäftigung mit sozialistischen Gesellschaftstheorien entwickelt hatte: »Ich habe in der Zeit eigentlich fast alles gelesen – nein, das ist jetzt übertrieben – ich habe also fast alles Relevante von Marx und Engels und Lenin und Trotzki gelesen als Schüler und da war es natürlich naheliegend, dass man dann auch Geschichte studiert. Dass ich dann in der Geschichte relativ schnell – der Schwerpunkt lag auf der Sozialgeschichte, einer theoretisch geleiteten Sozialgeschichte.« Interesse ist auch ein Motivator für bestimmte Handlungen. Dies wird deutlich, als der Proband über sein Habilitationsthema spricht. So erzählt er, dass er nach der Habilitation nie wieder etwas zu dem Thema gemacht habe und begründet dies mit seiner Abneigung gegen das Thema: »Also, das war vorher schon kein geliebtes Thema und danach – ich habe danach nie wieder was zu diesem Thema gemacht.« Dass er durch das Forschungsprojekt zu seinem »Ursprungsthema« zurückkam, das er in der Habilitation eigentlich untersuchen wollte und ihm aufgrund der unkooperativen Haltung der Unternehmen verwehrt wurde, bezeichnet er als »glücklichen Zufall« und als »Leib- und Magenthema«. Dass das Interesse nicht nur seine Denkund Handlungsmuster beeinflusst, weil es ein Motivator ist, sondern auch einen Wert für den Probanden ausmacht, zeigt sich indes in der begeisterten Schilderung über die Zeit im Forschungsprojekt:

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»Das war toll. Das war absolut toll. Ich meine, es war, also – ich meine, ich bin ja jetzt relativ am Ende schon meiner beruflichen Laufbahn, aber ich werde sicherlich niemals sagen, dass es eine andere Zeit gegeben hat, die schöner war als diese ersten Jahre dann da. Als ich etwa jeden Monat für eine Woche dort ins Archiv bin und dann eben einfach erstmal nur geguckt. Wir mussten ja am Anfang erstmal gucken, was können wir hier überhaupt machen?« Dabei ist es nicht allein das Interesse am Thema, sondern der Umstand, dass er einen unerforschten Aktenbestand zu dem Thema vor sich hatte, der ihn zu dieser positiven Schilderung veranlasst. Das Interesse am Thema beeinflusst auch seine Wahrnehmung. Als nach Herausforderungen während des Forschungsprojekts gefragt wird, gibt der Proband an, dass die zeitliche Herausforderung von ihm als problemlos empfunden wurde, da er »total motiviert war«. Als ein weiteres Denk- und Handlungsmuster kann die Orientierung an Kompetenzen bezeichnet werden. Dies dokumentiert sich in den Passagen über die Entscheidung des Probanden, promovieren zu wollen. Er begründet seine Entscheidung, alternativ zur Lehrertätigkeit promovieren zu wollen, mit seinem guten Hochschulabschluss: »Und da ich eben, würde ich mal sagen, in meinem Jahrgang einer der Besten war, war das eigentlich für mich klar, dass das die Alternative ist und nicht das, was viele andere gemacht haben: An eine andere Uni gegangen und umgeschult auf IT und BWL. Massen von Kommilitonen haben das gemacht. Ja gut, das war für mich dann eben eigentlich ganz klar, das ist nicht der Weg, umschulen, sondern: ›Ich will Historiker bleiben und ich schaff das auch.‹ » Sein Vertrauen in die eigenen Kompetenzen scheint ihm Zuversicht gegeben und seine Entscheidung zur Promotion beeinflusst zu haben. Zudem wird auch wiederholt deutlich, dass für den Probanden das Bewusstsein eigener Kompetenzen einen Gewinn an Handlungssicherheit und Selbstvertrauen bedeutet. So spricht er davon, dass sich sein Rollenempfinden in Bezug auf sein Selbstbewusstsein während seiner beruflichen Laufbahn nicht verändert habe, da er dieses in seiner Tätigkeit als Kommunalpolitiker erlernt und in die Rolle als Professor integriert habe. Seinen ersten Archivbesuch schildert der Proband als negatives Erlebnis und begründet dies mit seinem damaligen schlechten Englisch und seiner Unerfahrenheit mit der Archivarbeit. Sogleich schließt er mit der Erzählung an, dass er seine Studierenden auf die Arbeit im Archiv vorbereite, damit sie nicht »unvorbereitet« sind: »Aufgrund dieser Erfahrung. Ich will nicht, dass meinen Doktoranden sowas passiert, weil das kann auch schiefgehen.« Zudem verweist er als Antwort auf die Frage nach Herausforderungen im Forschungsprojekt auf seine Kompetenzen, die ihm die Arbeit im Projekt erleichterten. Er spricht von seinen Erfahrungen mit den

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Aktenbeständen, die er durch die Arbeit an der Promotion hatte, sowie von seinem »relativen Vorteil«, den er durch seine geschäftsführende Tätigkeit während des Zivildienstes hatte, was ihm die Auswertung der Akten erleichtert habe. Auch seinen erfolgreichen Umgang mit Drucksituationen erklärt der Proband mit den Kompetenzen, die er als Kommunalpolitiker erworben hat. So habe er dort seine rhetorischen Fähigkeiten optimieren und sein Selbstbewusstsein stärken können: »Wenn ich heute im Fakultätsrat – ich rede die alle in Grund und Boden. Ich bin ihnen rhetorisch hier derartig überlegen, das habe ich alles da gelernt. Das hat natürlich Zeit gekostet. Ich habe fünfeinhalb Jahre promoviert, das wäre sicher schneller gegangen, wenn ich das nicht gemacht hätte. Aber diese Erfahrung, das Stehvermögen, was ich dadurch gewonnen habe und natürlich das Selbstbewusstsein, das hat mir sicherlich geholfen dann beruflich auch solche Situationen durchzustehen. Das ist extrem ungewöhnlich.« »Wenn man also da steht als 28jähriger und hält eine Haushaltsrede und Sie wissen ganz genau, da sitzen drei Leute, die jetzt klatschen werden und die anderen Leute würden einem am liebsten an die Gurgel gehen – das ist für Berufungsverfahren eine unglaublich gute Schule.« Dagegen zeigt sich, dass der Proband etwas als negative Erfahrung beschreibt, wenn er mit seinen Kompetenzen eine Situation nicht kontrollieren kann. So berichtet er von dem Druck während der Habilitationsphase, der sich auch psychosomatisch äußerte. Er führt diesen Druck primär auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse zurück, die hier an den wiederholt befristeten Arbeitsverträgen festgemacht werden: »Und deswegen war für mich dann ganz klar – ich hatte auch schon Kinder –, dass das ein hohes Risiko ist und ich habe dann auch in der Assistentenzeit massive psychosomatische Probleme gehabt. Also, die Assistentenzeit sind ja luxuriöse sechs Jahre und danach kommen Verträge, die sind sechs Monate bis maximal drei Jahre.« Hier zeigt sich, dass ihm die Rahmenbedingungen zusetzten, auf die er keinen aktiven Einfluss hatte. Vergleicht man dies mit den Passagen, in denen Handlungssicherheit durch Kompetenzen erkennbar ist, kann man ableiten, dass es dem Probanden nicht um ökonomische Unsicherheit geht, sondern um die erzwungene Passivität. Im Gegensatz zu seinen Erfahrungen und Qualifikationen, die er durch eigene Mühen erlernen konnte, war es ihm nicht möglich etwas an dem System der Befristungen und der unsicheren Berufungschancen zu ändern. In dieser Passage zeigt sich auch die Wahrnehmung des Probanden dieser Rahmenbedingungen als eine stetige Unsicherheit: Er gibt an, dass er nur drei Monate arbeitslos gewesen sei und im Vorfeld gewusst habe, dass diese Arbeitslosigkeit nur drei Monate dauern

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würde. Trotz der Anschlussmöglichkeiten beeinflussten ihn die stetigen Befristungen negativ: »Also ich war nie in einer unsicheren – und trotzdem, wenn man ein Projekt anfängt: Man ist gerade eingearbeitet, da muss man schon wieder über das nächste nachdenken. Was man danach machen kann. Das ist das, wo man eben das, wo ich heute bin, auch teuer bezahlt.« Damit besteht zwischen dieser negativen Wahrnehmung der qualitativen Rahmenbedingungen und der Wahrnehmung der zeitlichen Herausforderung während des Forschungsprojekts eine Korrelation. Denn die positive Wahrnehmung der zeitlichen Herausforderung ist einerseits zwar auf die Motivation des Probanden zurückzuführen, aber es betrifft andererseits eine Aktivität, die er aufgrund seiner Kompetenzen kontrollieren kann. Auch in der Passage über das erneute Hineinfinden in die Forschung, nachdem er fünf Jahre lang aufgrund der Ausübung eines Führungsamtes an der Universität keine Forschung betrieben hatte, zeigt, dass er Situationen, die er nicht aktiv kontrolliert, als negativ empfindet. So war er auf externe Hilfe durch einen Kollegen angewiesen und er beschreibt diese als »großes Glück«. Genau wie in der Sequenz über die befristeten Arbeitsverhältnisse ist dies eine Situation, in der er nicht aktiv handeln konnte, um sich zurecht zu finden. Da sein Kollege ihm eine Forschungsarbeit anbot, ist diese Gelegenheit für ihn »Glück« – etwas, das nicht planbar ist: »Da bin ich aber eher zufällig zu gekommen. Und das war ein großes Glück, dass der Kollege – weil, ich hätte gar nicht gewusst: ›Was machst du jetzt?‹«. Kompetenzen stellen für den Probanden auch einen Wert dar, was durch deren wiederholte Betonung deutlich wird. So betont er, dass er einer der Besten in seinem Jahrgang war und er hebt auch seine Exklusivität durch sein Promotionsthema hervor: »Und ich habe die Stelle gekriegt, weil ich im Grunde in Deutschland der Einzige war, der auf meinem Gebiet so viel Erfahrung hatte.« Ebenso betont er, dass die Kompetenzen, die er in seiner Zeit als Kommunalpolitiker erworben habe, in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit »extrem ungewöhnlich« seien. Dass Kompetenzen einen wichtigen Wert für den Probanden darstellen, wird auch in der Passage über Archivarbeit deutlich. Ein weiteres Denk- und Handlungsmuster des Probanden zeigt sich in der Wahrnehmung und Bewertung von Hierarchien. So schätzt der Proband flache Hierarchien, wie er sie als Doktorand erfahren hat, zugleich gibt er an, dass er sich durch das Dienstleistungsverhältnis zu seinen eigenen Doktoranden von diesen abgrenzt. Er zeigt hier sowie auch in der Passage über den Umgang mit anderen Kollegen ein Bewusstsein für den eigenen Status und der damit verbundenen Hierarchiestufe. Hier dokumentiert sich auch das Rollenverständnis des Probanden: Einerseits zeigt sich ein subjektives Empfinden einer konstanten Rolle, andererseits nimmt er gegenüber seinen Doktoranden eine andere Rolle ein, nämlich

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die des Vorgesetzten. Mit diesem ambivalenten Rollenempfinden des Probanden korrespondiert auch seine Wahrnehmung kultureller Unterschiede bezüglich der Hierarchiestrukturen im deutschen und dem angloamerikanischen Hochschulsystem. Obwohl er seine wissenschaftliche Sozialisation vor allem mit Bezugspersonen aus dem angelsächsischen Umfeld durchlebte, war er dennoch eingebunden in das deutsche Universitätssystem. Dies erklärt auch seine vermeintlich widersprüchliche Äußerung, er pflege gegenüber seinen Mitarbeitern einen »angelsächsischen Stil«, obwohl er im Abschnitt zuvor äußert, dass seine Doktoranden für ihn auch Dienstleistungen erbringen müssten: »Ich habe nie irgendwelche Dienstleistungen machen müssen. Das mache ich übrigens heute mit meinen Assistenten nicht, ja? Also, das war zwar sehr schön, aber das ist, also ich überziehe das nicht, aber die müssen auch schon was für mich tun.« Als weiterer Wert zeichnet sich im Lauf des Interviews die Bedeutung von Prestige für den Probanden aus. Er spricht von einem »Bekanntheits-Defizit«, das er aufgrund des »peripheren« Themas seiner Promotion in Deutschland hatte. Dieses Defizit konnte er nicht durch die Habilitation ausgleichen, denn diese war »keine dolle«, sondern erst durch das prominente Forschungsprojekt, in dem er nach der Habilitation arbeitete. Diese Mitarbeit bezeichnet er als »entscheidende[n] Karrieresprung«. Seine Berufung auf eine Professur führt er auf sein Bekanntwerden durch das prominente Projekt zurück. Damit dokumentiert sich auch, dass der Proband Prestige als wichtigen Faktor für die erfolgreiche Berufung wahrnimmt. Die Habilitation hingegen empfindet er als Notwendigkeit, um sich auf eine Berufung bewerben zu können: »I: Und stand als Ziel dann auch tatsächlich die Berufung? 01: Ja klar. Ich meine, in dem Moment, in dem man entscheidet nach der Promotion weiterzumachen, muss das das Ziel sein. Weil, wenn das nicht das Ziel ist, dann wird man einfach nur älter.« Der Proband bringt auch das Prestige seines Stipendiengebers und die Entscheidung zur Habilitation in einen Zusammenhang: »Ich war ja dann an einer anderen Universität und die hat den Anspruch, sowas zu sein wie Harvard für die USA. Also, da dann ein Stipendium zu kriegen, das ist schon was Besonderes. Und das dann mit Auszeichnung abgeschlossen zu haben – das war für meinen Doktorvater auch klar, dass ich den nächsten Schritt tun würde und für mich dann natürlich auch.« Dies korrespondiert mit dem Wert, den Qualifikationen für den Probanden haben. Es zeigt, dass er mit bestimmten Qualifikationen bestimmte Erwartungen verbindet. Auch, dass das Ziel der Habilitation die Berufung sein müsse, begründet er

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damit, dass diese überhaupt erst den Sinn der Habilitation ausmache. Er bindet also an die Qualifikation, die er durch die Habilitation erlangt hat, die Erwartung an eine Berufung.   Der durch das Gespräch zu erkennende Berufshabitus von Proband 01 zeichnet sich durch eine starke Orientierung an Interessen und Kompetenzen aus. Diese beeinflussen, wie er bestimmte Situationen wahrnimmt und bewertet. Es zeigt sich auch, dass er ein Bewusstsein für Hierarchien besitzt, für die er selbst Abneigung empfindet, zugleich aber eine Distinktion zu anderen Hierarchiestufen vollzieht. Prestige und Qualifikationen besitzen für den Probanden einen Wert, weil sie für ihn eine Rolle für die berufliche Karriere spielen. Im Interview wird auch das Rollenverständnis des Probanden als Professor deutlich. So differenziert er zwischen der Forschung auf der einen Seite und der Lehre, die er als Hochschullehrer ausübt, auf der anderen Seite. Mit seiner Rolle verbindet er aber nicht nur Tätigkeiten, sondern auch Hierarchiestufen. So ist ihm bewusst, dass mit seiner aktuellen Rolle als Professor eine bestimmte Hierarchiestufe verbunden ist, er selbst lehnt einen autoritären Stil als Distinktionsmerkmal ab und schätzt stattdessen flache Hierarchien. 4) Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Proband 01 Der Proband kann im Konstrukt des sozialen Raums in das Feld der Wissenschaft eingeordnet werden. Es zeigt sich auf der Basis der Denk- und Handlungsmuster, dass für den Probanden inkorporiertes Kulturkapital von besonders hohem Wert ist. Diesem Kapital rechnet er seine Handlungsfähigkeit als autonomes Subjekt im Feld der Wissenschaft zu. Sobald er auf sein inkorporiertes Kulturkapital vertrauen und dies entsprechend einsetzen kann, sieht er keine Probleme im Bewältigen einer Aufgabe. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen und das Wissen um seine Qualifikationen prägen seine Entscheidungen und ihn in seinem Selbstverständnis. Zugleich empfindet der Proband Situationen, in denen er nicht auf Basis seiner Kompetenzen handeln kann, als Krise. Somit lässt sich schlussfolgern, dass er im Feld der Wissenschaft mit seinem inkorporierten Kulturkapital nur teilweise die eigenen Handlungsoptionen im Machtgefüge beeinflussen kann. So gibt dieses ihm zwar die Option, sich erfolgreich für die Promotion bei seinem Doktorvater vorzustellen, jedoch ist er von diesem abhängig, um sich während der Promotionszeit finanzieren zu können: »So, und er hat dann auch für das Geld gesorgt, was ich natürlich brauchte. Also, DFG-Projekt – da er wusste, dass ich von dem Thema keine Ahnung hatte, musste er den Antrag schreiben, hat er auch gemacht. Ist auch durchgekommen und ich habe dann eben auch drei Jahre eine Förderung gehabt, Projektförderung. War dann nicht fertig. Und dann hat er noch an einer anderen Universität – und dann

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hat er, sagen wir mal, mir empfohlen da auch dann die Restfinanzierung zu machen. Und hab da dann auch promoviert.« Hier ist es also das soziale Kapital, das ihm ermöglicht als Doktorand eine Position im Feld der Wissenschaft zu beziehen. Soziales Kapital in Form eines Kollegen hilft ihm auch, als er von alleine nicht wieder in die Forschung hineinfindet. So kann er die Forschungstätigkeit, die er als Professor ausüben muss, wieder aufnehmen. Das inkorporierte Kulturkapital erleichtert es dem Probanden auch, das Forschungsprojekt über die NS-Vergangenheit eines Unternehmens zu bearbeiten. Ausschlaggebend für die Anstellung in diesem Forschungsprojekt ist sein objektiviertes Kulturkapital in Form seiner Dissertation, die ihn zum »geborene[n] Projektmitarbeiter« machte. Diese wies ihn als Experte für das entsprechende Thema aus. Insofern kann auch das mit diesem Expertentum verbundene symbolische Kapital des Probanden als ausschlaggebend für die Option der Mitarbeit in dem Forschungsprojekt angesehen werden. Die Bedeutung von symbolischem Kapital zeigt sich auch in den Optionen zur Berufung auf einen Lehrstuhl. Der Proband berichtet davon, dass er durch die Prominenz des Forschungsprojekts bekannt wurde. Dies bezeichnet er als entscheidenden Karrieresprung. Zugleich spricht er von dem Bekanntheitsdefizit, das er aufgrund des peripheren Themas seiner Dissertation und seiner durchschnittlichen Habilitation hatte. Das symbolische Kapital, das der Proband durch das Forschungsprojekt erlangt, ist somit ausschlaggebend für seine höhere Position im Feld der Wissenschaft. Die Handlungsoption, um diese Position einnehmen zu können, war jedoch an die Habilitation geknüpft und somit an ein bestimmtes institutionelles Kapital. Bemerkenswert ist dabei die wechselseitige Beziehung, die zwischen Habilitation und Berufung in den Äußerungen des Probanden deutlich wird. So gibt er an, die Berufung müsse das Ziel der Habilitation sein, andererseits ist die Habilitation für ihn nur eine Notwendigkeit, die er ohne Begeisterung schreibt, damit er sich auf Berufungsverfahren bewerben kann. Hier zeichnet sich ein Widerspruch ab. Denn der Proband erzählt von dem Bewusstsein des Risikos, nicht berufen zu werden. Das Erreichen des Ziels ist somit sein Motivator, zugleich ist er sich bewusst, dass er dieses Ziel eventuell nicht erreichen wird. Somit stellt dies einen Widerspruch zur Sinnhaftigkeit seines Handelns dar, der sich konkret in starkem Druck äußert, der für den Probanden auch psychosomatische Konsequenzen hat. Aus diesem Widerspruch ergibt sich zudem ein weiterer: Obwohl das Risiko, nicht berufen zu werden, dem Probanden nach eigener Aussage bewusst war, stellt er die Entscheidung zu habilitieren als Automatismus dar: »Ich war ja dann an einer anderen Universität und die hat den Anspruch, sowas zu sein wie Harvard für die USA. Also, da dann ein Stipendium zu kriegen, das ist schon was Besonderes. Und das dann mit Auszeichnung abgeschlossen zu haben –

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das war für meinen Doktorvater auch klar, dass ich den nächsten Schritt tun würde und für mich dann natürlich auch.« Nach dieser Aussage waren es vor allem das symbolische Kapital und das institutionelle Kulturkapital, welche der Proband mit seiner Promotion erlangte, und die seine Entscheidung für eine bestimmte Handlungsoption beeinflussten. Und das, obwohl er sich des Risikos bewusst war, das Ziel, das er als Sinn für die Habilitation angibt, möglicherweise nicht erreichen zu können. Die Abhängigkeit des Probanden in Bezug auf den Sinngehalt des beruflichen Handelns besteht somit darin, dass er den Regeln des deutschen Hochschulsystems, in dem er beruflich sozialisiert wurde, folgen muss. Das Kräfteverhältnis des Probanden 01 im Feld der Wissenschaft ist vor allem durch den Einsatz seines institutionellen kulturellen und symbolischen Kapitals bestimmt. Als dessen Basis kann sein inkorporiertes Kulturkapital gelten. Um dieses jedoch akkumulieren zu können, ist er auch auf soziales Kapital angewiesen, wie die Beziehung zu seinem Doktorvater zeigt, durch die ihm die Finanzierung seiner Promotion möglich ist. So ist es gerade die Unsicherheit der akademischen Laufbahn, aus welcher sich die Abhängigkeit des Probanden von den Erwartungen des wissenschaftlichen Berufssystems an ihn konstatiert. Aufgrund seines beruflichen Sozialisationsprozesses teilt er die Erwartung eine Professur zu erlangen, aber diese Erwartung birgt zugleich das Risiko der Unsicherheit, die ihn in eine Krise stürzt, weil er sie nicht autonom überwinden kann. Denn obwohl er alle Erwartungen erfüllt hat, indem er inkorporiertes Kapital akkumuliert und es in institutionelles Kapital umgewandelt hat, ist er aufgrund seiner Position abhängig von anderen, die ihn zum Professor berufen. Er kann seine Position im sozialen Feld letztendlich also nicht mehr von sich aus verbessern, sondern ist den Machtverhältnissen untergeordnet, die auch aufgrund des gewachsenen historischen Regelsystems des deutschen Hochschulsystems bestehen. So lässt sich auch seine Abneigung gegen eben jene Machtverhältnisse erklären, die in ihm durch seine Neigung für den »angelsächsischen Stil« zum Ausdruck kommen und die vom Einfluss seines Doktorvaters herrühren. Und so nutzt er innerhalb dieser Machtverhältnisse seine Optionen, um die Hierarchiestufen zu anderen Positionen möglichst flach zu gestalten.

4.4.2

Dokumentarische Interpretation Proband 02

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Der Proband studierte die Fächer Geschichte und evangelische Theologie auf Lehramt. Nach dem Universitätsabschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl seines Doktorvaters. Anschließend habilitierte er unter anderem auf Projektstellen. Parallel arbeitete er während dieser Zeit bereits freischaffend. Nach der Habilitation nahm er an einigen Berufungsverfahren teil und gründete

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Anfang der 2000er Jahre ein Unternehmen, das im Laufe der Zeit bis auf über ein Dutzend Mitarbeiter anwuchs. Zum Zeitpunkt des Interviews war der Proband 56 Jahre alt. Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Nach dem Erzählimpuls schildert der Proband seinen Weg vom ersten Interesse am Fach Geschichte bis in die Selbstständigkeit. Er beginnt mit seinem Interesse als Schüler, erzählt dann von seinem Studium und der Motivation zur Promotion. Es folgt eine Schilderung der Phase der Habilitation, in der er bereits erste Erfahrungen als freischaffender Historiker machte und sich schließlich entschied, die Selbstständigkeit als Haupttätigkeit auszuüben. In der anschließenden Sequenz erzählt der Proband über die Entwicklung seines Unternehmens und erläutert ihr Aufgaben- und Themenfeld. Der immanente Frageteil beginnt mit einer Sequenz, in der der Proband erzählt, wie er zur eigenständigen Erforschung von Geschichte und Publikation seiner Ergebnisse kam. Es folgt eine Sequenz über Netzwerke, deren Bedeutung der Proband für sich herausstellt und von Erfahrungen diesbezüglich berichtet. Anschließend erzählt er, warum er sich gegen eine mögliche Karriere in der universitären Wissenschaft und für die Selbstständigkeit entschied. Der Proband berichtet alsdann über seinen aktuellen Tätigkeitsbereich und schildert seine Wahrnehmungen über die Arbeit in der angewandten Geschichte. Es folgt eine lange Sequenz, in der der Proband über die Auftragsakquise und die Themengebiete, die seinem Unternehmen abgedeckt werden, spricht. Auf die immanente Nachfrage nach Konkurrenz auf dem Geschichtsmarkt, erzählt der Proband von Fragen und Problemen der angewandten Geschichte, verortet sein Unternehmen auf dem Markt und erzählt von Kooperationen mit anderen Kollegen. Im exmanenten Frageteil geht der Proband auf sein Selbstverständnis als Historiker und dessen Veränderung im Lauf seiner Berufsbiografie ein. Es folgt eine Frage nach möglichen Tabus in einem Auftragsverhältnis, woraufhin der Proband von seinen Erfahrungen mit Kunden erzählt. Daraufhin nimmt der Proband eine Bewertung seines beruflichen Lebenswegs und seiner aktuellen Tätigkeiten vor. Als Antwort auf die Frage nach möglichen Zukunftswünschen bezieht sich der Proband auf die Zukunft seines Unternehmens und kommt dann auf die Bedeutung von Geschichte für Unternehmen zu sprechen. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern der Proband seine Arbeit als Marketing empfindet. Er ortet die Tätigkeiten seines Unternehmens ein und grenzt sie zugleich auch ab. Für die Analyse des Berufshabitus sind die Sequenzen von Bedeutung, in denen der Proband über seinen Weg in die Selbstständigkeit erzählt, sowie die Sequenzen

4. Teilstudie 2

über die Arbeitsweise und die Tätigkeitsfelder des Probanden in seinem Unternehmen. Ein Großteil des Gesprächs ist für die Analyse nutzbar.29 Rekonstruktion des Berufshabitus von Proband 02 Der berufliche Sozialisationsprozess des Probanden 02 ist geprägt durch seine Erfahrungen mit eigenen Forschungsarbeiten während seiner wissenschaftlichen Sozialisationsphase sowie durch Erfahrungen als selbstständiger Historiker innerhalb des eigenen Unternehmens. Ein Denk- und Handlungsmuster des Probanden orientiert sich an Eigenverantwortlichkeit. Es schlägt sich bereits zu Beginn der Erzählung nieder, als er von der Forschung innerhalb des Studiums erzählt, infolge derer ein Buch und wissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze entstanden. Auch nach dem Studium widmete er sich einem Projekt aus eigenem Engagement heraus, um eine Geschichte kritisch aufzuarbeiten. Der Proband durchlief während dieser Ausbildungs- und Berufsphase den Rollenlernprozess eines Wissenschaftlers. Die Bedeutung von Eigenverantwortlichkeit zeigt sich auch, wenn der Proband sagt, dass er gerne in die Breite wirke, um andere für Geschichte und Entwicklung zu begeistern. Denn hier geht es darum, dass der Proband selbst – in eigenverantwortlichem Handeln – diese Wirkung bei den »einfachen Menschen« entfaltet. Das gleiche Muster zeigt sich in der Sequenz, in der er von einem Vortrag vor einem großen Publikum erzählt: »Auch eine Herausforderung, Stichwort heißt zum Beispiel »150 Jahre in 15 Minuten« und nicht langweilen. Dann haben Sie 900 Leute vor sich sitzen in einem großen Saal, hochrangige Politiker sitzen vor Ihnen und die hören mir alle zu. Und da können Sie sich nicht hier irgendwie ein Vertun sich leisten. Das muss wirklich gut ankommen.« Entsprechend ist der Proband auch der Ansicht, dass man als Selbstständiger ein entsprechendes Selbstwertgefühl und Auftreten besitzen muss, um erfolgreich zu sein. So geht er zu allen möglichen Vernetzungstreffen und nimmt das Knüpfen von Netzwerken selbst in die Hand. Die Orientierung an Eigenverantwortlichkeit zeigt sich auch in der Sequenz, in der der Proband von seinen Erfahrungen bei Berufungsverfahren berichtet: »Und ich hätte es auch versucht. Ich hätte auch versucht Professor zu werden, aber wie gesagt, wenn man vier, fünf, sechs Mal so eingeladen wird und eigentlich weiß, wer es eigentlich werden soll, ja? Also, ich persönlich fühle mich dann auch immer so ein bisschen auf den Arm genommen. Man kann das Spiel mitspielen, wenn man das mag, ich mag es nicht.« 29

1b) Formulierende Interpretation der Interviewabschnitte, 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung und 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse siehe Materialband.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Er begründet hier seine Abwendung von der wissenschaftlichen Karriere mit seiner Abneigung gegenüber den impliziten Regeln der Berufungsverfahren und entschied sich so, auf eigene Verantwortung die Konsequenzen dieser Abwendung zu tragen: Er musste eine Alternative zur universitären Laufbahn finden. In der Erzählung über die Wahl seines Promotions- und Habilitationsthemas zeigt sich als weiteres Denk- und Handlungsmuster die Orientierung am Interesse für bestimmte Themen. Der Proband begründet seine Wahl mit seiner eigenen Begeisterung für die Themen, karrieretaktische Überlegungen spielten keine Rolle: »I: Okay, dann haben Sie eben gesagt, Ihr Thema der Habilitation, das sei nicht berufungsförderlich gewesen. Und ich habe jetzt so ein bisschen da raus gehört, dass Sie es einfach gemacht haben, weil es auch so ein Herzensthema war. P02: Das ist so. Also ich bin überzeugt davon, wenn Sie was gut machen wollen, müssen Sie begeistert sein […] Habilitation, ja klar, wenn ich scharf drauf gewesen wäre, eine Professur zu bekommen, dann hätte ich zwei Dinge gemacht: Ich hätte zum einen in Alter Kirche meine Promotion gemacht, also frühes Christentum, und ich hätte in der Reformationsgeschichte meine Habil gemacht.« Der Proband folgte nicht den Regeln des Wissenschaftssystems, die nahelegten, mit einem entsprechenden Thema sei die Chance auf eine Habilitation größer. In dieser Sequenz wird aber noch etwas anderes über den Berufshabitus des Probanden sichtbar: In seinen Äußerungen kommt immer wieder zum Ausdruck, dass der Proband ein Verhalten der Begeisterung gegenüber seinen Tätigkeiten aufweist. So spricht er davon, dass ihm das Forschen im Studium, aber auch der vertrauensvolle Umgang mit den Kunden »riesen Spaß« machte und macht. Auch in der Sequenz über ein ihm damals unbekanntes Thema, mit dem er aufgrund seiner ersten Auftragsarbeit in Berührung kam, offenbart sich diese Begeisterung: »Ich habe damals überhaupt nicht kapiert, was das eigentlich für ein Potenzial enthält. Infrastrukturgeschichte, also aus heutiger Sicht, ist unglaublich – kann unglaublich spannend sein.« Und auch wenn es um die verschiedenen Präsentationsmöglichkeiten geht, die vom Unternehmen des Probanden angeboten werden, spricht er voller Begeisterung: »Museum ist wirklich oberaffengeil, das Allertollste was wir machen dürfen.« Eng mit dem Denk- und Handlungsmuster, das sich an der Eigenverantwortlichkeit orientiert, korrespondiert die Bedeutung von positiver Bestätigung. Entsprechend verknüpft der Proband mit seinen freiwilligen Forschungsbeiträgen seinen ersten bezahlten Auftrag. Auch seine Entscheidung, nach dem Studium in die Forschung gehen zu wollen, wird vom Probanden mit der positiven Bestätigung einer seiner frühen Forschungsarbeiten verknüpft:

4. Teilstudie 2

»Und es hat ein riesen Wirbel gemacht. Es gab Fernsehsendungen dazu, es gab – wir wurden eingeladen zu Podiumsdiskussionen. Sehr spannend, sehr spannend. Dann war es eigentlich klar: Irgendwie sowas in der Richtung muss es werden (lachen).« Und auch sein erstes Forschungsprojekt im Studium, für das er und seine Kommilitonen auf eigene Verantwortung forschten, verbindet er mit der positiven Bestätigung dieses Engagements: »Was mich sehr gefreut hat: Das eine Buch, vielleicht noch als Ergänzung, war binnen acht Wochen ausverkauft. Also, richtig tolle Sache.« Die Bedeutung dieser Wahrnehmung schlägt sich in auch in der Äußerung über das positive Feedback zu den Forschungsaufsätzen des Probanden nieder. Es zeigt sich zudem, dass positive Bestätigung einen Wert für ihn darstellt. Dies wird in den Passagen deutlich, in denen der Proband über das Feedback der Kunden spricht. So bei der Erzählung über die Ausrichtung von Ausstellungen oder auch dem Anteil des positiven Feedbacks im Vergleich zur Arbeit in der Universität und zur Arbeit in der freien Wirtschaft: »– aber was wir an Feedback bekommen von unseren Kunden, von den Leuten, die in unsere Museen gehen, von Leuten, die wir bei Interviews treffen, von wem auch immer, das ist wirklich gigantisch. Das kriegen Sie an der Uni nicht.« Des Weiteren korrespondiert mit der positiven Bestätigung ein Denk- und Handlungsmuster, das sich an der Offenheit orientiert. So verbindet der Proband die Offenheit, die er gegenüber einem ihm unbekannten Thema zeigte, mit der Etablierung eines neuen Geschäftszweigs. Die Bedeutung von Offenheit zeigt sich auch in der Schilderung der Erschließung neuer Leistungsangebote, wie der Archivierung. Diese wurde, nachdem der Proband eine Gelegenheit wahrgenommen hatte, zum wichtigsten Tätigkeitsbereich seines Unternehmens. Auch gegenüber neuer Präsentationstechniken bewährte sich die Orientierung an Offenheit und in den Äußerungen des Probanden geht dieses Muster mit dem begeisterungsfähigen Verhalten einher. Es korrespondiert zudem mit der Orientierung an Eigenverantwortlichkeit, da nach Meinung des Probanden jemand, der introvertiert ist, nicht als Selbstständiger arbeiten kann: »Es wird nie jemand, der nicht das entsprechende Selbstwertgefühl und das Auftreten hat, als Selbstständiger arbeiten. Das habe ich – man muss wirklich der Typ dazu sein. Ich habe da nur Leute bisher erlebt, die ein bisschen extrovertiert sind. Weil Sie kriegen keine Aufträge, wenn Sie nicht anderen angenehm sind. Sie müssen auf Menschen zugehen.« Es gibt aber auch Kunden und Branchen, die der Proband ablehnt. Er hat klare Vorstellungen von den Branchen, in denen seine Dienstleistungen angeboten werden.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Es handelt sich somit nicht um eine grenzenlose Offenheit, sondern um eine Offenheit, die sich im Rahmen des eigenverantwortlichen Handelns des Probanden bewegt. Die Frage nach der Kundenakquise weist auch ein weiteres Denk- und Handlungsmuster auf, das hier mit dem der Offenheit korrespondiert: Die Orientierung an unternehmerischer Verantwortung. So ist sich der Proband im Klaren, dass manche Kunden aufgrund ökonomischer Prämissen nicht als Auftraggeber in Frage kommen: »Wir haben schon mit ganz Großen zusammengearbeitet. Da haben Sie so viele Leute, die da mitreden, das kostet schon so viel Geld, diese Abstimmungen, und Zeit, das ist uninteressant für uns.« Und auch durch seinen Wunsch, weiter nach außen zu wirken, um die Dienstleitung seines Unternehmens bei potenziellen Kunden bekannter zu machen, korrespondiert das Muster der unternehmerischen Verantwortung mit dem der Offenheit. Die Orientierung an unternehmerischer Verantwortung wird auch deutlich, als der Proband über seine Zukunftswünsche spricht: »Dass wir noch besser werden, dass wir noch effizienter werden« – auch wenn dem Probanden die Bedeutung kreativer Prozesse bewusst ist, die er entsprechend mit der Äußerung über das effizientere Arbeiten verbindet: »Das ist auch so eine Sache, die man als Unternehmer auch sieht. Sie merken genau, wie viel Stunden arbeiten die Leute, wie viel Stunden hängen sie im Kaffee – in der Küche rum (lachen), das ist wichtig, weil da wird kommuniziert.« Was die Zukunft anbelangt, so denkt der Proband auch im Rahmen der unternehmerischen Verantwortung, als er davon spricht, dass er aufgrund der Verantwortung, die er für sein Unternehmen trägt, nicht wieder zurück in die Wissenschaft gehen könne: »Ich muss beim Steuerberater über die Umsatzsteuer reden, ich muss gucken, dass der Laden läuft, ich muss gucken, dass wir Leute haben, ich muss gucken, dass die Miete bezahlt wird – das sind die Dinge, die mich täglich beschäftigen.« Die gleiche Verantwortung fühlt er gegenüber seinen Mitarbeitern, was er sogar explizit für die Selbstwahrnehmung als Unternehmer anführt: »Ich fühle mich als Unternehmer, ich habe auch Verantwortung für die Menschen, die hier arbeiten. Das ist manchmal gar nicht so leicht, das auch zu managen und auch entsprechend Aufträge einfach zu haben und dran zu bleiben. Da habe ich sicher eine andere Funktion, ein anderes Selbstverständnis, wie wenn ich jetzt Professor geworden wäre an der Uni, ganz klar.«

4. Teilstudie 2

Die Orientierung an unternehmerischer Verantwortung zeigt sich zudem, wenn der Proband über die ökonomischen Zwänge bei der Auftragsakquise spricht. So weist er daraufhin, dass der Preis wichtig ist und Aufträge entsprechend dem besten Angebot vergeben werden: »Dann nehmen die schon den, von dem sie denken: Das kriegen die am besten hin, der macht ihnen das Tollste – und es kostet auch nicht zu viel, ist auch wichtig, Preis ist wichtig, Budget ist wichtig. Aber, wenn Sie mit großen Firmen arbeiten, dann haben Sie immer einen Einkauf davor. […] Der Einkauf, der weiß halt, er muss seine fünf Prozent im Monat irgendwie abliefern und mit denen verhandele ich dann oder da sind wir dann am Verhandeln.« Das Gleiche gilt, als der Proband von den ökonomischen Prämissen spricht, unter denen er und seine Mitarbeiter arbeiten müssen. Der Proband sieht in dieser Arbeitsweise aber keinen Widerspruch zur professionellen Aufarbeitung und -bereitung von Geschichte. Tatsächlich verbindet der Proband seine Äußerungen, die der Orientierung an unternehmerischer Verantwortung folgen, häufig mit der Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens. So sucht er in Form eines Arbeitsverbands den Anschluss zur wissenschaftlichen Aufbereitung von Fragen und Themen des eigenen Arbeitsfeldes, aber ist auch aus Gründen der Nachwuchsförderung an dem Austausch interessiert. Dieser Ort der wissenschaftlichen Fundierung der Reflexion des eigenen Arbeitsfeldes ist ein symbolischer Brückenschlag zwischen der Rolle des Probanden als Historiker und als Unternehmer. Auch in der Erläuterung zum Nutzen der Leistungen seines Unternehmens für die Kunden argumentiert er zunächst ökonomisch und anschließend ethisch und verbindet hier erneut die beiden Denk- und Handlungsmuster von unternehmerischer Verantwortung und wissenschaftlichem Arbeiten: »[…] denn es ist für die Unternehmen – darüber haben wir noch gar nicht gesprochen –, für die Unternehmen ist es ein richtiger Zugewinn, den sie haben durch unsere Arbeit. Denn, ich habe es vorher schon erklärt, sie stärken ihren Auftritt und sie stärken ihre Marke damit unendlich. […] Das ist natürlich noch besser, wenn man es konnotiert mit der eigenen Geschichte und damit – nicht nur das Positive, sondern auch die überwundenen Krisen und die schweren Dinge eigentlich nutzt, um so ein Thema wie History Marketing, darauf läuft es dann hinaus letztlich, durchzuführen, ohne unehrlich zu sein.« Einerseits argumentiert er ökonomisch für die professionelle Aufarbeitung von Unternehmensgeschichten, grenzt seine Arbeit zugleich aber von der einer Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit innerhalb eines Unternehmens ab. Er tut dies, indem er auf die Freiheit von thematischen Vorgaben verweist. An anderer Stelle dokumentiert sich sein Bewusstsein für kritische Themen, die beispielsweise innerhalb des Arbeitsverbands wissenschaftlich diskutiert werden, und deren

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professionelle Bearbeitung. Laut dem Probanden gehört dieses Bewusstsein zum Selbstverständnis des Unternehmens. Diese Freiheit der Forschung, die für ihn »sehr wichtig« ist, geht für ihn mit der Qualität seiner Arbeit einher. Der Proband verbindet ökonomische Denkmuster mit denen wissenschaftlicher Denkmuster, indem er den Anspruch an freie Forschung mit unternehmerischem Handeln verbindet: »Dass wir nichts vorgegeben kriegen, nach dem wir uns richten müssen. Denn das können auch andere, da braucht man keinen Historiker dafür. Und da ist es auch so, da sind wir fast zu teuer dafür. Also, wir haben einfach auch, weil wir gut ausgebildete Leute haben, die alle einen Master haben, die alle ein Volontariat haben, die kosten einfach auch Geld.« In der Sequenz über eine Arbeit, in der man inhaltlich Rücksicht auf einen Kunden nehmen musste, offenbart sich, dass der Proband in seiner Tätigkeit sowohl in der Rolle des Forschers als auch in der Rolle des Unternehmers agiert: Einerseits stellt der Proband das offene Herangehen an den Arbeitsprozess als Historiker dar, andererseits nimmt er Rücksicht auf die Wünsche der Kunden, ohne dabei Inhalte zu unterschlagen. Mit der Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens korrespondiert auch die Bedeutung von Expertise. Der Proband verweist auf seine Kompetenzen, die er im Studium erworben hat und die ihm noch heute nützlich sind. Und auch in der Frage nach möglichem Konkurrenzdruck äußert sich der Proband in dem Sinne, dass sein Unternehmen sich durch ein spezifisches Leistungsspektrum auszeichnet, welches es von anderen in der Branche unterscheidet. Somit wird diese Form der Expertise hier zum Distinktionsmerkmal. Hinzu kommt, dass die Kunden die Expertise positiv bestätigen: »Ich weiß nicht, wie Sie das meinen, aber dadurch, dass ich nicht mehr an der Uni bin, fehlt mir nichts. […] Und wie ich schon sagte: Sowohl die materielle Ausstattung, also die Kunden zahlen für diese Dienstleistung, die wir machen und wir machen hochwertige Sachen, richtig tolle, schöne Bücher, tolle Ausstellungen, finde ich persönlich. Und auch, dass wir nachgefragt werden, zum Beispiel auch für Gutachten, NS-Zeit und solche Sachen, das gibt mir eigentlich schon das Gefühl, dass wir gebraucht werden.« In der Äußerung, dem Probanden fehle außerhalb der Uni nichts und die Kunden würden für die guten Leistungen, die er und sein Team erbringen, bezahlen, zeigt sich seine Orientierung an der Expertise, die er zudem mit der Bedeutung von positiver Bestätigung verbindet. Hier dokumentiert sich zudem ein Rollenverständnis als Historiker, das außerhalb der Universität als vollkommen professionell und vollwertig empfunden wird.

4. Teilstudie 2

Es zeigt sich des Weiteren, dass der Proband die Orientierung an der Expertise seiner Rolle als Unternehmer einverleibt hat: So weist er darauf hin, dass er zwar alle technischen Voraussetzungen besitze, um an die Universität zurückzukehren, aber die Expertise als Historiker nutzt er stattdessen für seine Arbeit in der angewandten Geschichte.   Für den im Gespräch zu erkennenden Berufshabitus des Probanden ergibt sich daher eine Mischung aus den erlernten Rollen des Forschers und des Unternehmers. Er richtet die inhaltliche Qualität seiner Arbeit auf der Grundlage seiner Rolle als Historiker aus, die Rahmenbedingungen der Arbeit richtet er auf der Grundlage seiner Unternehmerrolle aus. Dazu tragen auch die in den jeweiligen Sozialisationsprozessen gelernten Denk- und Handlungsmuster bei, die sich an Eigenverantwortlichkeit, unternehmerischer Verantwortung und Offenheit orientieren. Diese korrespondieren untereinander und werden jeweils ergänzt um die Bedeutung von positiver Bestätigung und des wissenschaftlichen Arbeitens sowie der Bedeutung von Expertise. Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Proband 02 Der Proband befindet sich im Konstrukt des sozialen Raums zwischen dem Feld der Wissenschaft und dem der Wirtschaft. Um in der beruflichen Selbstständigkeit seine Position im sozialen Raum zu stärken, muss einerseits seine fachliche und andererseits seine unternehmerische Profession anerkannt werden und dies, ohne dass sich die jeweiligen Dispositionen dieser Professionen gegenseitig abwerten bzw. ausschließen. Der Proband verfügt durch seine akademische Ausbildung über viel inkorporiertes sowie auch institutionelles Kulturkapital. Für ihn ist sein inkorporiertes Kulturkapital in Form von angeeignetem Wissen durch seine Praxis als selbstständiger Unternehmenshistoriker für seine Position im Feld der Wissenschaft wichtiger als sein institutionelles Kapital. Im Feld der Wirtschaft spielt sein inkorporiertes Kulturkapital als Grundlage für seine Arbeit eine wichtige Rolle, zentraler für seine Position im sozialen Raum ist in diesem Feld aber das soziale Kapital, das er vorweisen kann. Dieses Kapital speist sich aus dem Feld der Wissenschaft und dem der Wirtschaft. Durch sein Netzwerk von Forschern und durch sein Netzwerk von Kunden kann er das soziale Kapital unterschiedlich einsetzen. Durch die aktive wissenschaftliche Reflexion seiner Arbeit wird er als Akteur der Wissenschaft wahrgenommen, was zur Anerkennung seiner fachlichen Expertise in beiden Feldern führt. Durch seine Tätigkeiten als Unternehmer wird er als Akteur der Wirtschaft wahrgenommen, was zur Anerkennung seiner unternehmerischen Expertise in beiden Feldern führt. Es gelingt ihm auch typische Aufgaben beider Berufsfelder miteinander zu verbinden:

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

So hält er noch immer »leidenschaftlich gern« Vorträge und kann diese Gelegenheit nutzen, um neue Aufträge zu akquirieren. Um nun aber seine Position im sozialen Raum zu halten, kann er seine Handlungsmöglichkeiten nur innerhalb der Machtbeziehungen entsprechend seiner Dispositionen und Ausgangsposition nutzen. Das heißt, die anderen Akteure der beiden Felder müssen seine Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata erkennen und akzeptieren. Dies ist mithilfe des objektivierten Kulturkapitals möglich. So kann er durch die Präsentation der Forschungsergebnisse seine wissenschaftlich geprägten Denk- und Handlungsmuster – und damit auch sein inkorporiertes Kulturkapital – im Feld der Wissenschaft mit dessen Mitgliedern teilen. Dies funktioniert freilich nur, wenn er sich an die Regeln des wissenschaftlichen Feldes hält. Er tut dies, indem er die Freiheit der Forschung als Grundlage für seine Geschichtsschreibung sieht. Mithilfe des objektivierten Kulturkapitals kann der Proband andererseits auch seine wirtschaftlich geprägten Denk- und Handlungsmuster – und damit auch sein soziales Kapital – teilen. So verweist dieses Kapital einerseits auf seine Kunden und andererseits auf die Qualität und den Preis der Arbeit. Der Proband verweist außerdem darauf, dass nur professionell ausgebildete Historiker für sein Unternehmen tätig sind. Hier ist für ihn auch institutionelles Kapital von Bedeutung. Allerdings wird diese Begründung von ihm nicht in das Bewertungsschema für wissenschaftliche Arbeit eingebettet, sondern in das für die ökonomische Legitimation: »Also, wir haben einfach auch, weil wir gut ausgebildete Leute haben, die alle einen Master haben, die alle ein Volontariat haben, die kosten einfach auch Geld. Und da scheidet sich bald die Spreu vom Weizen, das merken Sie.« Es gelingt ihm somit, ein Bewertungsschema des wissenschaftlichen Feldes so in sein Handeln zu integrieren, dass es von den Mitgliedern im Feld der Wirtschaft als ein legitimes Bewertungsschema erkannt und akzeptiert werden kann: Inkorporiertes Kulturkapital, dessen Erwerb durch das institutionelle Kapital repräsentiert wird, bringt entsprechende Qualität und kann mit einem Wert bemessen werden. Dieser Wert besteht für den Probanden hier im ökonomischen Kapital, das für die In-Dienst-Stellung des inkorporierten Kapitals getauscht wird.   Insgesamt resultiert aus den Handlungsmöglichkeiten mit dem objektivierten Kulturkapital, dem das in der Wissenschaft erlangte inkorporierte Kulturkapital zu Grunde liegt und die Akkumulation von sozialem und ökonomischem Kapital ermöglicht, symbolisches Kapital. In diesem spiegeln sich die Denk- und Handlungsmuster des Probanden als Historiker und als Unternehmer. Um auf beiden Feldern gleichermaßen akzeptiert zu werden, muss er diese Muster jeweils in die Dispositionen des anderen Feldes integrieren. Dies gelingt ihm durch seinen Berufsha-

4. Teilstudie 2

bitus, der sich durch die individuelle Interpretation der je erlernten Denk- und Handlungsmuster als Historiker und als Unternehmer auszeichnet. Die Abhängigkeit des Probanden in Bezug auf den Sinngehalt des beruflichen Handelns besteht daher in der jeweiligen Legitimationspflicht seiner Denk- und Handlungsmuster. Nur wenn es ihm gelingt, diese Muster in die Dispositionen des jeweils anderen Feldes zu integrieren, kann seine Profession als Historiker und als Unternehmer anerkannt und somit dem Willen zur eigenen Profession gerecht werden.

4.4.3

Dokumentarische Interpretation Proband 03

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Der Proband studierte Geschichte und Literaturwissenschaften im Lehramtsstudiengang und später für den Magister. Zugleich spielte er nebenbei auch professionell Basketball. Nach dem Studium war er in einer Bürogemeinschaft u.a. als Werbetexter und in historischen Projekten tätig und arbeitete an einem von der Universität vermittelten Forschungsprojekt für ein lokales Unternehmen. Dieser Vertrag lief fünf Monate. Nebenbei schrieb er weiterhin Werbe- und journalistische Texte, unter anderem für eine Lokalzeitung. Dort kam er in Kontakt mit dem Kreisheimatpfleger, durch den er für zwei Jahre eine ABM-geförderte Projektstelle für die Erarbeitung einer Regionalgeschichte erhielt. Anschließend war er für weitere zwei Jahre Mitarbeiter in einem Drittmittelprojekt an einer Bibliothek. Es folgte eine Stelle als Online-Chefredakteur einer Sportredaktion im Fußballvereinswesen. Nach dieser Stelle war er zwei Jahre lang als Pressesprecher eines Basketballvereins tätig. Nebenbei schrieb er weiterhin Texte für Unternehmen u.a. PR-Texte, Werbetexte, Reden und historische Texte. Nach der Veröffentlichung seiner ersten Regionalgeschichte übernahm er selbst das Amt des Kreisheimatpflegers, als der er eine weitere Epoche der Regionalgeschichte aufarbeiten sollte. Schließlich gelang es ihm, Mitarbeiter in einem Museum seiner Stadt zu werden. Zum Zeitpunkt des Interviews war der Proband seit sechs Monaten im Museum festangestellt. Zum Zeitpunkt des Interviews war der Proband 47 Jahre alt. Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Der Proband beginnt seine Erzählung mit seinem Interesse am Fach Geschichte und seinem Geschichtsstudium. Er führt die Erzählung über seine Berufsbiografie chronologisch fort. Im immanenten Frageteil erzählt der Proband von seiner ersten Erfahrung mit einer Unternehmensgeschichte als Auftragsarbeit. Danach erläutert er seinen Weg in die Selbstständigkeit und spricht über Erfahrungen, die er in dieser Zeit gesammelt hat. Es folgt eine Sequenz über seine Erfahrungen mit seiner Rolle als Historiker in freiberuflichen Tätigkeiten. Daraufhin erläutert er die Art seiner Auftrags-

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

und Jobakquise. Danach spricht er über die Erfahrungen mit seinen Arbeiten als selbstständiger Historiker. Es folgt eine Sequenz zu seinen Erfahrungen mit der Aufarbeitung von Unternehmensgeschichten. Auf eine exmanente Frage erläutert der Proband seine Entscheidung für die Selbstständigkeit als Einzelperson. Danach spricht er über seinen Austausch mit Kollegen und der Bedeutung der Bewertung seiner Arbeiten. Zum Schluss reflektiert der Proband seine Berufsbiografie und erzählt von seinen Wünschen für die nahe Zukunft. Ein Großteil des Gesprächs ist für die Analyse nutzbar.30 Rekonstruktion des Berufshabitus von Proband 03 Der Berufshabitus von Proband 03 ist geprägt von seinen Erfahrungen, die er in den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen während der Freiberuflichkeit gesammelt hat. Dabei hat er nicht nur an spezifisch historischen Projekten gearbeitet, sondern ebenfalls im Kommunikations- und Werbebereich von Unternehmen und Sportvereinen sowie als freier Journalist. Ein zentrales Denk- und Handlungsmuster, das sich im Gespräch mit dem Probanden herauskristallisiert, ist seine Orientierung an finanzieller Sicherheit. Diese hat eine hohe Bedeutung für ihn, was bereits zu Beginn des Interviews deutlich wird. So schildert der Proband das Basketballspielen vor allem als Finanzierungsmöglichkeit des Studiums, obwohl er zuvor auch darauf hinweist, dass er sowohl für das Fach Geschichte als auch für das Basketballspielen hohes Interesse aufwies. Hier wird allerdings auch ein zweiter wichtiger Einflussfaktor auf die Denkund Handlungsmuster des Probanden sichtbar. Er entschied sich zugunsten der Familie, sein Studium in seiner Heimatstadt zu absolvieren, statt in der Stadt seines Basketballvereins. Die Bedeutung der Familie und der finanziellen Sicherheit korrespondieren als Werte miteinander. Der Proband schildert die Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen, nachdem sein Sohn geboren war. Da er wegen einer Verletzung nicht mehr Basketball spielen konnte und seine Suche nach einer Stelle in einem Unternehmensarchiv erfolglos war, nahm er Auftragsarbeiten an. Die Bedeutung der Familie und der finanziellen Sicherheit wird erneut deutlich, als der Proband erzählt, warum er nicht promovierte: »Aber der Punkt ist, dass halt immer bei mir Geldverdienen stand an erster Stelle. Ich hatte nie die Muße, mal – es war immer durchgetaktet irgendwie alles, der Gelderwerb hätte das nicht zugelassen. Also, einfach Familie und ja, so, man ist jetzt 18 und, vor allem die ganze Zeit war es immer, muss Geld reinkommen, wir müssen Geld verdienen.«

30

1b) Formulierende Interpretation der Interviewabschnitte, 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung und 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse siehe Materialband.

4. Teilstudie 2

Der Proband schildert auch das Sicherheitsgefühl, das er aus seiner Kindheit kannte und führt dies auf den Beamtenstatus seines Vaters zurück. Dieses Gefühl habe er »verinnerlicht«. Die Bedeutung der finanziellen Sicherheit wird erneut sichtbar, als der Proband erzählt, dass er die Gründung einer eigenen Agentur immer aufgrund des hohen finanziellen Risikos gescheut habe. Zugleich betont er auch den Wunsch nach einem »festen Job«: »Weil ich ja auch immer noch geguckt habe, du willst ja einen festen Job. Das heißt, du musst auch Entscheidungen treffen. Das heißt, wenn, ich sag mal jetzt Agentur, dann wird es schwieriger, du musst vielleicht trotzdem eine Agentur zumachen. Aber das Risiko, unternehmerische Risiko, wäre, also man ist da absolut fixiert dann dafür, dass dann alles nur zu machen.« Die Bedeutung eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses drückt sich auch in seiner Schilderung über Bekannte aus, die arbeitslos blieben: »Und habe auch viele, mehrere die zuhause sitzen, die jetzt gar nichts, also die gar nicht mehr arbeiten irgendwie. Gibt es auch. Ja, und von mir aus kann ich nur sagen, eigentlich ist es doch, es ist gut verlaufen alles. Hat lange gedauert, das was ich haben wollte. Aber es hat jetzt geklappt und ich muss jetzt mal gucken, wie das alles so weitergeht.« Mit dem Wunsch nach einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis geht auch der Wert von Struktur im Berufsalltag einher, was hier sowohl zeitliche als auch räumliche Struktur meint. So beschreibt der Proband die Zeit als Sportredakteur insgesamt als recht negative Erfahrung und zählt unter anderem die Arbeitszeiten dazu: »[…] weil das waren immer sieben Tage die Woche und eigentlich nicht das, was ich wollte.« Erfahrungen aus der Zeit der Freiberuflichkeit schildert er unter anderem wegen der improvisierten Arbeitssituation negativ: »Also, mir war doch immer wichtig, da irgendwann mal meinen festen Schreibtisch, einen festen Job zu haben, das war immer so mein Wunsch. Ich habe halt auch viel improvisiert zuhause, habe da am Wohnzimmertisch gearbeitet, was nicht immer optimal war, weil die Familie kam halt auch nach Hause und dann – war viel improvisieren so.« Der Wunsch nach Strukturen im Berufsalltag wird auch am Ende des Interviews noch einmal vom Probanden ausgedrückt, als er in Bezug auf die Wünsche für seine Zukunft von der »Idealvorstellung« spricht, einen geregelten Arbeitsalltag zu haben und Inhalte produzieren zu können. Mit dem Wert von Struktur im Berufsalltag korrespondiert die Wahrnehmung der prekären Arbeitssituationen als Belastung. Dabei wird deutlich, dass vor allem die Befristungen der jeweiligen Beschäftigungen ihm negativ in Erinnerung geblieben sind. So war sein erster Auftrag einer Unternehmensgeschichte auf knapp

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sechs Monate begrenzt: »Und danach wusste man auch nicht so richtig, wie geht es jetzt weiter.« Diese Belastung hat laut Probanden auch zu seiner Entscheidung geführt, aktiv nach einem festen Beschäftigungsverhältnis zu suchen: »Und manchmal war halt, dass man dachte: Oh Gott, was ist denn jetzt, wenn, wenn jetzt auf einmal keiner mehr anruft? Oder du keinen mehr ansprechen kannst, der einen Job für dich hat? Und das war für mich schon so, dass ich gesagt habe: »Nee, es muss eine Änderung her.« Und da bin ich dann auch relativ zielorientiert vorgegangen.« Diese Belastung erklärt sich auch durch den Wert der Familie für den Probanden. Dass er das Hauptgeld verdienen musste, empfand er demnach als »Bürde«, weil er »keine Optionen« hatte und die Jobs annehmen musste, die er kriegen konnte. Auch die Arbeitsmarktsituation für Historiker nimmt der Proband als schlecht wahr. Für die Arbeit im Archiv, wie er sie nach dem Studium gesucht hatte, fühlte er sich nicht gut genug vorbereitet: »Und andererseits hat man relativ schnell gemerkt, dass das Niveau doch, die Ansprüche, an das, was man tut, doch sehr hoch sind. Und in der Abteilung waren die sehr hoch und man stellte sich zum ersten Mal die Frage: Ich habe jetzt studiert, für was reicht das denn jetzt? Wie geht es weiter?« Andererseits sei die Arbeitsmarktsituation für Stellen im Kommunikationsbereich von Unternehmen, die im Studium als aussichtsreich für Historiker dargestellt worden seien, ebenfalls schlecht gewesen. Dies erklärt sich der Proband mit der schlechten Wirtschaftssituation Anfang der 2000er Jahre. Ein anderes Denk- und Handlungsmuster des Probanden orientiert sich an seinen Kompetenzen. So zeigt sich, dass er aus dem Bewusstsein über Kompetenzen Handlungssicherheit zieht, indem er über sein Problem spricht, eine Rede zu halten: »Also, muss ich mich immer sehr überwinden, mich selber austricksen und dann – aufgrund der Festigkeit im Thema, also aufgrund der Sicherheit im Thema, alles erforscht zu haben, wo der andere vielleicht auch nichts von nichts weiß. Daraus diese Sicherheit zu gewinnen. Aber wenn ich merke, es ist schwammig oder es ist nicht genug Substanz, dann ist so ein Vortrag, ist für mich dann ein Grausen. Ehrlich. Aber wenn ich sicher bin in einem Thema und so, dann ist das für mich völlig unproblematisch das zu machen.« Der Proband schätzt seine eigenen Kompetenzen als gut ein und sieht sich durch die positive Rückmeldung auf seine Arbeit und durch die Tatsache, dass ihm »im historischen Arbeiten« nie jemand »reingeredet« habe, positiv bestätigt. Dass er an seinen Kompetenzen keine Zweifel hat, zeigt auch die Passage, in der er von dem geplatzten Auftrag eines Unternehmens spricht, weil dieses statt einer Chronik

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eine PR-Broschüre haben wollte. Der Proband führt diesen Misserfolg auf interne Kommunikationsfehler des Unternehmens zurück und merkt an: »Ich hätte das andere ja auch hingekriegt, ich hätte auch eine PR-Broschüre geschrieben, wenn sie die haben wollten.« Dabei empfindet der Proband seine Kompetenzen auch als Teil seiner Rolle als Historiker. »Aber es ist dann, am Ende ist es dann quasi wieder die Fähigkeit des Historikers am Ende. Also es ist schon so, finde ich schon, dass man da in der Lage ist, Sachen zu verstehen, durch Überlegen und wieder zusammenbringen das Bild und dann halt in schriftlicher Form niederzulegen.« Auch in der gesamten Sequenz, die auf die Frage nach dem eigenen Empfinden als Historiker folgt, offenbart sich, dass er seine Rolle als Historiker über Kompetenzen definiert. In dieser Sequenz wird zudem deutlich, dass er Kompetenzen ebenfalls als Distinktionsmerkmal zu Nicht-Historikern nutzt. Der Proband beschreibt die Berichterstattung beim Fußball als »wirklich sehr platt« und erzählt dann von einem Streit mit einem Kollegen, der ihn in seiner Arbeit kritisierte und dies auf seine Arbeitshaltung als Historiker zurückgeführt habe: »Und dann hat er: ›Naja, im Archiv mag das ja so sein‹, hat er dann gesagt. Ne, ›Das man das einfach so machen kann. Bei uns kann man das nicht so machen.‹ Ne, so, also man merkte so, für den war ich auch immer noch der Historiker. Also, für den war ich quasi, Sachen, die ihm nicht gepasst haben, wurde immer relativ schnell so: ›Das ist ja so ein spröder Historiker‹, so nach dem Motto.« Deutlich wird diese Distinktion auch, als er von einem Projekt berichtet, bei dem er sich weigerte aufgrund ungerechtfertigter Kritik Inhalte zu streichen: »Da habe ich gesagt: ›Nee, dann machen wir uns ja unglaubwürdig.‹ Aber ich habe drauf beharrt und da sind wir bei einem Punkt: Ich habe da ein Handwerk gelernt und das verteidige ich in dem Moment.« Der Proband »verteidigt« sein »Handwerk« gegenüber jemanden der »keine Ahnung hatte davon, sich aber über ein Thema hergemacht hat.« Zugleich wird hier die Wahrnehmung des Probanden deutlich, dass seine Autorität als Experte für historische Forschung nicht immer anerkannt wird. Umso wichtiger ist für ihn die Einhaltung von wissenschaftlichen Standards, um seinen Ruf als Experte nicht von anderen untergraben zu lassen. Sein Ruf als Historiker ist ebenfalls ein wichtiger Wert, der ein Denk- und Handlungsmuster des Berufshabitus prägt. Er spricht davon, seinen »Stand verteidigen« zu müssen. Sein Ruf ist für ihn auch wichtig, weil er für ihn eine Bedeutung für die Auftragsakquise hat. Deswegen ärgert er sich über den geplatzten Auftrag eines Unternehmens, weil er seine »Reputation« in der Stadt gefährdet sieht, wenn jemand erzählen würde, er

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habe »Mist« geschrieben. Der Wert, dem der Proband seinem Ruf als Historiker zuspricht, korrespondiert auch mit dem Wert des wissenschaftlichen Arbeitens. So wird im Gespräch deutlich, dass für den Probanden dazu die ehrliche Aufarbeitung historischer Begebenheiten zählt, worunter er versteht, »objektiv« zu sein und sich auf die »Quellenangaben« zu berufen. Wissenschaftliches Arbeiten heißt für den Probanden zudem, in die »Tiefe« forschen zu können. Hinzu kommt auch die Bedeutung der unabhängigen Forschung für wissenschaftliches Arbeiten: »Also, dass man frei die Quellen wirklich so objektiv bewertet, wie es war. Und nicht sich davon leiten lässt: ›Nee, das wollen wir da gar nicht stehen haben.‹ Ich glaube, dass das schon wichtig ist, dass man das macht.« Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört für den Probanden darüber hinaus ein gewisser Anspruch an Texte, der mit seinem Empfinden der Historiker-Rolle korrespondiert: »Also im Vorfeld hatte ich auch mal Kritik, weil es denen manchmal schon zu akademisch war. Ne, also da wieder der Spruch ›Naja gut, wir sind hier nicht im Archiv‹. Da gab es auch manchmal Kritik, das lag einfach daran, meine Meinung war, du bist jetzt nicht der Bildzeitungsjournalist oder so, ne […].« Hier wird auch erneut deutlich, dass der Proband seine Historiker-Rolle über seine Kompetenzen definiert. Der Proband selbst nimmt einen Wandel in seiner Rolle wahr, was auch seine gegenwärtigen Denk- und Handlungsmuster beeinflusst. So wird deutlich, dass er sich heute als selbstbewusster darstellt, wenn es um seine Arbeit als Historiker geht. Er gibt an, dass er einen Text eher zurückziehen würde, statt ihn ungerechtfertigter Weise zu ändern. Dies korrespondiert mit seiner Wahrnehmung von anderen ihm gegenüber, die ihm als Historiker keine Wertschätzung entgegenbrachten, sondern diese Rolle negativ besetzten, weil er den Wert des freien Journalismus verteidigte. Der Proband erzählt auch, dass seine Entscheidung für eine Änderung seiner beruflichen Situation mit dem Wandel seiner »inneren Rolle« zusammengehangen habe. Das führt er zum einen auf sein Alter zurück. Dabei störte ihn nicht nur zunehmend der Altersunterschied zu den Vorgesetzten, die immer jünger wurden, sondern ihn störte die Rolle als Dienstleister: »Und ich habe mir halt selber irgendwann mal gedacht: ›Jetzt muss irgendwas sich ändern‹. Ich möchte nicht in den 14. Stock immer noch hochfahren und mich dahin setzen, wie wir jetzt hier sitzen, und sagen: ›Ey, ich mache euch ein ganz tolles Textchen, gebt mir mal mit, was darf ich denn aufschreiben?‹ « Diese Rolle, so wird deutlich, wurde für ihn immer unverträglicher mit seiner Rolle als Historiker und den Werten, die er damit verbindet. Damit korrespondiert

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auch seine Ansicht, dass Auftragsarbeiten und unabhängiges Arbeiten, so wie er es definiert, nicht miteinander vereinbar sind: »Ja, beim Unternehmen finde ich das schon manchmal schwieriger. Also, die sind dann schon, dass die da dann nicht dran wollen ans Thema. Und da dann Freiheit auch gar nicht da ist. Man ist ja Auftragnehmer.« Hinzu kommt, dass der Proband aufgrund seiner Erfahrungen den Unternehmen als Ziel einer Geschichtsschreibung eine positive Selbstdarstellung statt einer ehrlichen Aufarbeitung der Geschichte zuschreibt: »Man trifft auf ein Unternehmen letztendlich. Und das Interesse des Unternehmens war natürlich, das absolut glänzend darzustellen, die Unternehmensgeschichte von denen.« Dabei wird auch ein Denk- und Handlungsmuster deutlich, dass durch eine Wahrnehmung einer bestimmten Machtstellung der Auftraggeber geprägt ist. So erzählt der Proband, dass er zwar auf die Darstellung des Themas über Zwangsarbeit hätte beharren können, gibt dann aber an, dass die Arbeit in diesem Fall nicht abgenommen worden wäre: (1) »Die Zeit fehlt dann einfach, weil es dann halt auch finanziell nicht mehr stemmbar ist und sowas, ne. Die Arbeit natürlich, die muss ja abgenommen werden vom Kunden.« (2) »Aber die hätten es auch nicht akzeptiert.« Der Proband rechtfertigt sein Handeln, das seinen Werten, die er als Historiker besitzt, widerspricht, mit den Rahmenbedingungen der Dienstleistung. Seine Ansicht, dass die Unternehmen Vorteile von der ehrlichen Aufarbeitung ihrer Geschichte hätten, korrespondiert mit seinem Anspruch an sich als Historiker. Als weiteres Denk- und Handlungsmuster lässt sich die Orientierung des Probanden an Interessen ausmachen. So wollte er nicht an der Universität arbeiten, weil er kein Interesse an der Lehrtätigkeit hatte. Dies nennt er unter anderem auch als Grund, warum er sich gegen den Lehrerberuf entschied und stattdessen in einen Magisterstudiengang wechselte. Hier wird auch deutlich, dass der Proband seine Orientierung am Arbeitsmarkt auf der Basis seines Interesses für Geschichte ausrichtete: »Aber das, die Entscheidung Magister war, weil ich nicht Lehrer werden wollte, und b) weil ich dachte, ›okay, eigentlich doch total spannend‹, besonders meinen Zeitraum finde ich spannend, NS-Zeit, Nachkriegszeit und 20. Jahrhundert, das ist so das, was mich total interessiert auch. Also auch die Abläufe, Parallelen heute – damals und so, nach wie vor interessiert mich das total. Und für mich war irgend-

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wie, der Gedanke war da, vielleicht auch ein bisschen gepaart mit ein bisschen Naivität zu sagen: Wenn ich dann fertig bin, dann ist da schon irgendwas.« Wie wichtig ihm das Interesse am Fach ist, zeigen auch seine negativen Äußerungen über seine Erfahrungen im Sportjournalismus. Er habe in dieser Zeit immer wieder zurück zur Geschichte gewollt, weil das »Platte am Fußballplatz« »nicht so sein Ding« gewesen sei. Auch seine Zeit als Pressesprecher eines Sportvereins stellt er als etwas dar, das ihm keinen Spaß gemacht hat: »[…] und das ist aber auch ein Job, der so, ja, sagen wir mal, so zwei Jahre macht man das gerne mit, und dann kam das Glück, dass die Stadt ihre Stadtgeschichte aufarbeiten wollte.« Dass er die Möglichkeit der Aufarbeitung der Stadtgeschichte als »Glück« empfand, verdeutlicht ebenfalls die Bedeutung des Interesses für den Berufshabitus des Probanden. Er empfindet Freude am Forschen und äußert dementsprechend den Wunsch, wieder ins Archiv gehen und vertiefend forschen zu können, da er gegenwärtig viel »drum herum« arbeiten müsse. In seiner Bewertung der Berufsbiografie äußert er seine Zufriedenheit: »Also, rückblickend kann ich sagen, dass es eigentlich toll gelaufen ist so insgesamt. Rückblickend. In den Situationen heraus fand ich es nicht immer. Aber rückblickend würde ich schon sagen, also, es war abwechslungsreich das Ganze und es hat zu dem geführt, was ich eigentlich von Anfang an wollte.« Jedoch wird auch deutlich, dass der Proband sich der Umstände bewusst ist, durch die er an sein Ziel kam. Er kann der »Facettenreiche« der vielen Projekte, die er bearbeitet hat, etwas Positives abgewinnen, allerdings gibt er auch an, dass er in den jeweiligen Situationen selbst nicht immer das Positive sehen konnte, aufgrund der Unsicherheit, die mit den prekären Arbeitsverhältnissen verbunden war. Es wird auch deutlich, dass für den Probanden bezüglich seiner Berufsbiografie dem Netzwerk eine große Bedeutung zukommt. Er gibt an, dass er sich nie initiativ beworben habe, sondern seine Aufträge immer über Beziehungen zu Personen bekommen habe: (1) »Ich war immer im Netzwerk. Die kompletten 15 Jahre waren ein reines, wirklich ein hundertprozentiges Netzwerk.« (2) »Also das Netzwerk liegt glaube ich da bei mir an aller erster Stelle. Und viele Zufälle auch. Also zufälliges Netzwerk. Jetzt gar nicht, dass man da irgendwo – ich habe nie strategisch gearbeitet.« Die Bedeutung der Beziehungen wird auch in der Sequenz offenbar, als der Proband über die Rolle des Kreisheimatpflegers spricht. So hat dieser ihm nicht nur zu seinem »ersten großen Geschichtsprojekt« verholfen, sondern war für den Probanden auch ein »Mentor«. Der Proband erzählt, dass er von ihm das Amt des Kreisheimatpflegers übernommen habe. So habe er sich ein Netzwerk aufbauen kön-

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nen, durch das er schließlich seine feste Anstellung in einem Museum bekommen konnte. Mit dem Wert des Netzwerks korrespondiert der Wert, den Persönlichkeit für den Probanden hat. Implizit wird das bereits ganz zu Beginn des Interviews deutlich, als der Proband sein erwachendes Interesse an Geschichte mit der Persönlichkeit seines ehemaligen Lehrers erklärt. Deutlich wird es auch in der oben genannten Sequenz über die Bedeutung des Netzwerks. Um Aufträge zu bekommen, hält er eine strategische Herangehensweise für nicht erfolgreich. Stattdessen hält er die »menschliche Ebene« für ausschlaggebend: »Sondern es war immer eher so auf der menschlichen Ebene dann irgendwie und irgendwie manchmal reflektieren, was hat man gemacht und dieses Abspeichern. Ich glaube, es geht da auch ein bisschen um ja, ja Qualität wäre jetzt glaube ich der falsche Begriff. Aber es ist ja wichtig, dass die Leute wissen, was sie bekommen von einem.« Außerdem schätzt er den Austausch auf persönlicher Ebene höher ein als den gezielten fachlichen Austausch. Dabei schließen sich beide Ebenen aber nicht aus: »Ja, ich habe zur Uni halt, zu demjenigen, der meine Magisterarbeit betreut hat, habe ich nach wie vor einen guten Draht, ich habe ihn jetzt auch zu einer Vortragsreihe, hatte ich ihn eingeladen. Hat da auch einen Vortrag gehalten. Der Austausch ist da. Auch gerne auch mal zu Themen. Aber auch so. […] Aber nicht die Anbindung an die Uni so, dass ich sage: ›Ja, da habe ich jetzt einen Kontakt zu und wie macht ihr denn das?‹ » Die eher geringe Bedeutung des fachlichen Austausches für den Probanden korrespondiert mit der Wahrnehmung seiner Kompetenzen. Er gibt an, dass er immer seinen »eigenen Weg gesucht und gefunden« habe. Dass er am Ende dieser Sequenz ebenfalls den »Punkt der ständigen Bewertung« durch andere aufwirft, korrespondiert wiederum mit dem Wert, den das wissenschaftliche Arbeiten für ihn hat.   Zusammenfassend ist zu sagen, dass der im Gespräch zu erkennende Berufshabitus von Proband 03 stark von Denk- und Handlungsmustern geprägt ist, die sich durch die Sozialisation während der Freiberuflichkeit ergaben. So wird eine starke Orientierung an sozialer Sicherheit deutlich. Unter anderem stellt finanzielle Sicherheit für ihn einen wichtigen Wert dar, was mit der Verantwortung für seine Familie korrespondiert. Zugleich ist ihm ein strukturierter Berufsalltag wichtig. Die prekären Arbeitsverhältnisse, in denen er sich nach eigener Aussage 15 Jahre lang befand, nimmt er dementsprechend als belastend wahr. Darüber hinaus ist sein Berufshabitus geprägt von einem Denk- und Handlungsmuster, das sich an seiner Wahrnehmung der Rolle als Historiker orientiert. Dieses Rollenempfinden korrespondiert stark mit dem Wert, den er Kompetenzen beimisst. Gutes wissen-

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schaftliches Arbeiten ist ihm sehr wichtig und aufgrund schlechter Erfahrungen mit Auftragsarbeiten von Unternehmen empfindet er diese beiden Faktoren als nicht vereinbar. Auch sein großes Interesse am Fach Geschichte ist für ihn Teil seiner Historiker-Rolle. Sein Berufshabitus ist auch von der Bedeutung persönlicher Beziehungen geprägt. So stellen Persönlichkeit und Netzwerke für den Probanden wichtige Werte dar, mit denen er Aufträge und zuletzt auch die ersehnte feste Anstellung erlangen konnte. Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Proband 03 Im Konstrukt des sozialen Raums befindet sich der Proband 03 zwischen dem Feld der Wirtschaft und der Wissenschaft. Aufgrund seiner prekären Situation zu Beginn der Berufslaufbahn als Freiberuflicher, der über mehr inkorporiertes Kapital als über ökonomisches Kapital verfügt, hat er eine recht niedrige Position zwischen den beiden Feldern. Denn er verfügt nicht über das nötige institutionelle Kapital, um im Feld der Wissenschaft eine höhere Position (und damit ökonomisches Kapital) zu erreichen, andererseits besitzt er zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn nicht genug soziales und ökonomisches Kapital, um im Feld der Wirtschaft eine höhere Position zu erlangen. Aufgrund seiner prekären Situation zu Beginn der Berufslaufbahn, ist er auf Stellen angewiesen, mit denen er vor allem sein ökonomisches Kapital vermehren kann. Dabei hilft ihm zunächst sein soziales Kapital in Form seines ehemaligen Dozenten sowie sein inkorporiertes Kapital, durch die er einen Auftrag für eine Unternehmensgeschichte erhält. Im weiteren Verlauf seiner Berufslaufbahn gelingt es ihm immer wieder soziales Kapital einzusetzen, um daraus Vorteile zu erlangen. So kann er durch seine Bekanntschaft mit dem ehemaligen Ortsheimatpfleger sein erstes großes Geschichtsprojekt veröffentlichen, was ihm als Historiker positive Reputation einbringt. Die Bekanntschaft führt aber auch dazu, dass er selbst als Nachfolger das Amt des Kreisheimatpflegers erhält. Somit verfügt der Proband über symbolisches Kapital, das er auch dafür verantwortlich macht, seine unbefristete Anstellung in einem Museum erreicht zu haben. Durch den Einsatz von sozialem und symbolischem Kapital konnte er daher seine Position im sozialen Raum verbessern. Bezüglich seiner Abhängigkeiten kommt es auch zu widersprüchlichen Situationen. So zeigt der Berufshabitus des Probanden bereits, wie wichtig ihm sein Interesse am Fach Geschichte und das wissenschaftliche Arbeiten sind, andererseits stellt soziale Sicherheit einen hohen Wert für ihn dar. Beides ist für ihn lange Zeit nicht miteinander vereinbar. Wissenschaftlich zu arbeiten, wie er es versteht, ist ihm während seiner beruflichen Stationen nicht immer möglich. So rechtfertigt er sich, dass das Unternehmen die Auftragsarbeit nicht abgenommen hätte, wenn er das Thema Zwangsarbeit aufgenommen hätte. Zugleich sei aber auch der

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zeitliche Rahmen nicht ausreichend gewesen. Der Proband konnte sein inkorporiertes Kulturkapital somit zwar nutzen, um es Auftraggebern für ökonomisches Kapital zur Verfügung zu stellen. Dennoch war er aufgrund seiner eigenen sozialen Position nicht in der Lage über das objektivierte Kulturkapital zu verfügen, mit dessen Hilfe er sein inkorporiertes Kulturkapital überhaupt erst einsetzen konnte. Das heißt, er war auf die Auftraggeber und deren Archive angewiesen. Es wird deutlich, dass der Proband aus der finanziellen Notwendigkeit heraus gehandelt hat. Er bot sein Wissen und seine Kompetenzen als Historiker den Auftraggebern an, um deren Akten einsehen zu können und dafür ein Entgelt zu erhalten. Obwohl auch die Auftraggeber auf den Probanden mit seinem inkorporierten Kulturkapital angewiesen waren, um ihr objektiviertes Kulturkapital nutzen zu können, war deren Verhandlungsposition stärker. Dies mündete darin, dass der Proband Werte, die er aus seiner Historikerausbildung verinnerlicht hatte, nicht berücksichtigen konnte. Er verfügte zu Beginn seiner Laufbahn weder über das soziale noch das symbolische Kapital, um seine Interessen gegen die der Auftraggeber durchzusetzen. Seine Handlungsoptionen waren wegen seiner damaligen Position im Machtgefüge daher gering. Ein Beharren hätte die prekäre Situation möglicherweise verschärft. Somit konstatieren der Wert des guten wissenschaftlichen Arbeitens und der Wert sozialer Sicherheit einen Widerspruch im Habitus des Probanden, sodass dieser aufgrund der Rahmenbedingungen, denen er ausgesetzt ist, seine prekären Arbeitsverhältnisse als belastend beschreibt. Um soziale Sicherheit anstreben und gleichzeitig sein Interesse am Fach Geschichte berücksichtigen zu können, entscheidet der Proband sich für einen pragmatischen Weg: »Und es war schon so ein bisschen klar, einmal diese wissenschaftliche Schiene, die das Ziel war oder wissenschaftlich Schreiben in die Art orientiert auch zu arbeiten, aber gleichzeitig war für mich klar, alles, was journalistisch ist, muss ich annehmen.« Es liegt die Vermutung nahe, dass der Habitus des Probanden gegenwärtig eine stärkere Vertretung des wissenschaftlichen Arbeitens aufweist, weil dieser seine Position im Feld verbessern konnte. Durch seine feste Anstellung ergeben sich Handlungsoptionen im Machtgefüge, die er zuvor nicht hatte oder die nur wenig Aussicht auf eine Verbesserung im Kräftefeld gaben. Der Proband agierte in seiner Berufslaufbahn auch in Feldern, die ihm fremd waren bzw. es mit der Veränderung seiner Berufsrolle wurden. So war er als Onlineredakteur für den Fußball in einer Position, in der er mit seinem Habitus aneckte, da er einen anderen Geschmack und andere Ansichten bezüglich der Texte teilte als sein Vorgesetzter. Mit wachsendem symbolischem Kapital entwickelte der Proband eine Abneigung gegenüber dem Werben von Aufträgen. Sein Rollen-

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empfinden als Historiker wuchs während seiner beruflichen Laufbahn aufgrund des wachsenden symbolischen Kapitals in Form von Reputation, die er auf objektiviertes Kulturkapital in Form seiner historischen Arbeiten zurückführen konnte. Diese Bestätigung seines inkorporierten Kulturkapitals führte zur stärkeren Vereinnahmung der Rolle als Historiker gegenüber anderen. Dennoch blieb der Proband trotz seiner insgesamt verbesserten Position im sozialen Raum zwischen den Feldern der Wirtschaft und der Wissenschaft. Exemplarisch steht dafür auch sein Verlangen danach, sich von Nicht-Historikern zu distinguieren: »Leider ist in der Geschichte so, dass die Leute – irgendwie jeder ist auch versucht, da mitzureden. Und da sehe ich so ein bisschen die Aufgabe, dass man sagt: ›Ich verteidige das. Also, das hat alles auch seinen Sinn.‹ Zu sagen: ›Das ist erforscht, die Quellen, die Quellenangaben sind da.‹ Da muss man auch ein bisschen sich verteidigen, also in dem Moment und sagen: ›Nee, da lasse ich mich jetzt nicht drauf ein.‹« Er verfügt nicht über das institutionelle Kapital, mit dem er von anderen Akteuren sogleich dem Feld der Wissenschaft zugeordnet werden könnte. Daher fällt es ihm manchmal schwer, von anderen als fachliche Autorität akzeptiert zu werden. In der sozialen Wirklichkeit kann er sich somit nur über sein inkorporiertes und symbolisches Kapital von anderen abgrenzen. Ein weiterer Widerspruch zeigt sich in dem Wunsch nach einem strukturierten Berufsalltag und dem Wunsch, wieder verstärkt forschen zu können. Dies ist dem Probanden aufgrund der vielen verschiedenen Aufgaben, die er auf seiner gegenwärtigen Stelle wahrnehmen muss, nicht möglich. Obwohl er glücklich über die unbefristete Stelle ist, wünscht er sich mehr Zeit für Forschung und Archivarbeit.

4.4.4

Dokumentarische Interpretation Probandin 04

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Die Probandin studierte die Fächer Musik, Englisch und Geschichte auf Lehramt. Während des Studiums leistete sie begleitend noch ein Praktikum in einem kleineren Stadtmuseum, das bis in ihre Promotionszeit hineinreichte. Nach dem Studium begann sie ihre Promotion. Während dieser Zeit gab sie zusätzlich Musiksowie Nachhilfeunterricht. Nach der Promotion arbeitete sie freiberuflich und verfasste Jubiläumsschriften für Unternehmen und Vereine sowie Ortschroniken. Sie arbeitete auch als Stadtführerin und gab parallel dazu weiterhin Musik- und Nachhilfeunterricht. Schließlich nahm sie eine Volontariatsstelle in einem Museum an, in dem sie anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt wurde und letztlich die Leitung des Museums übernahm. Nebenher war sie ehrenamtlich in einem Kulturverein und als Stadtheimatpflegerin tätig. Zum Zeitpunkt des Inter-

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views hatte die Probandin die Leitung des Museums seit zwei Jahren inne und war 47 Jahre alt. Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Zu Beginn schildert die Probandin in chronologischer Reihenfolge ihren beruflichen Werdegang vom Studium über die Freiberuflichkeit bis zur gegenwärtigen Anstellung als Leiterin eines Museums. Am Ende des Erzählteils erläutert sie nochmals ihr Interesse an ihrer gegenwärtigen Tätigkeit. Es folgt eine Ausführung der Probandin über die veränderte Wahrnehmung ihres Auftretens im Laufe ihrer beruflichen Entwicklung von sich selbst und durch andere. Daran schließt eine Sequenz über den Blick anderer Personen auf sie als promovierte Historikerin an. Danach spricht sie über die Themen und die Wissenschaftlichkeit in der Museumsarbeit, woran sich eine Sequenz über den wissenschaftlichen Anspruch während ihrer Auftragsarbeiten anschließt. Daraufhin erzählt sie von ihren Erfahrungen bezüglich des Einflusses von Auftraggebern auf ihre Arbeiten. Im immanenten Frageteil folgt eine Nachfrage über ihre Motive, sich gegen den Lehrerberuf entschieden zu haben, was sie anschließend begründet und sogleich schließt sich eine Sequenz über ihre Entscheidung für die Promotion an. Daraufhin reflektiert die Probandin über ihre Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen als promovierte Historikerin. Es schließt sich eine Nachfrage über die Gründe der Probandin an, sich gegen eine universitäre Laufbahn entschieden zu haben, die sie daraufhin erläutert. Danach reflektiert sie über ihre Zeit als selbstständige Historikerin in Abgrenzung zu ihrer heutigen Position als Angestellte. Es folgen eine Frage und eine entsprechende Erläuterung über die Bedeutung von Netzwerken in der Berufslaufbahn der Probandin. Anschließend spricht die Probandin nochmals über ihre Motive zur Erlangung einer festen Anstellung. Es folgen zwei kurze Sequenzen über das Schreiben akademischer und populärwissenschaftlicher Arbeiten sowie der Wahrnehmung in der Forschungspraxis als freie Historikerin und Doktorandin. Schließlich zieht die Probandin in einer abschließenden Reflexion ein Fazit über ihre Berufsbiografie und spricht über ihre Zukunftswünsche. Ein Großteil des Gesprächs ist für die Analyse nutzbar.31 Rekonstruktion des Berufshabitus von Probandin 04 Der Berufshabitus der Probandin 04 ist geprägt von ihren Erfahrungen während der Promotionszeit und der Selbstständigkeit sowie der Leitung des Museums. Da31

1b) Formulierende Interpretation der Interviewabschnitte, 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung und 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse siehe Materialband.

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bei lassen sich im Gespräch über ihre Berufsbiografie mehrere Denk- und Handlungsmuster erkennen, die zugleich miteinander korrespondieren und sich ergänzen. Zum einen ist dies ein von Pragmatik geprägtes Denk- und Handlungsmuster. Dieses zeigt sich in den Sequenzen über die Fächer- und Themenwahl der Probandin. So entschied sie sich für das Fach Geschichte nicht in erster Linie aus Interesse, sondern weil es für sie am »naheliegendste[n]« war und eine »gute Kombination« zu sein schien, Geschichte als weiteres Fach zu wählen. Die Wahl ihres Promotionsthemas begründet sie mit dem räumlichen und dem finanziellen Aufwand, den eine Weiterführung des Themas der Magisterarbeit in den USA bedeutet hätte: »Ich bin dann über die Promotion – ich habe dann Masterarbeit, das war noch interdisziplinär, habe ich geschrieben unter anderem über Jugendbildung in den USA. Weil das auch sehr aufwendig war, war mir klar: Also, wenn ich das für eine Promotion durchhalten will, dann ist das gar nicht zu machen. Auch finanziell total aufwendig, ich kann nicht drei Jahre nach Amerika gehen, um da zu forschen. Also, das war irgendwie dann – schien mir dann auch sehr schwierig und da bin ich, glaube ich, dann sehr pragmatisch dann.« Allerdings gibt es hier auch Anzeichen dafür, dass das Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik nicht als alleinige Erklärung für ihre Entscheidung hinsichtlich der Thematik gelten kann. So sagt sie, ihr Promotionsthema über Mädchen- und Frauenbildung, habe sie »fasziniert«. Interesse zeigt die Probandin vor allem, wenn es um Tätigkeiten geht. Der Bereich Kulturvermittlung ist für sie ein Tätigkeitsbereich, für den sie Begeisterung zeigen kann. Im Gegensatz zu den fachspezifischen Themen äußert sie, dass das Präsentieren von Geschichte ihr Spaß mache: »Und da habe ich mich dran erinnert, dass ganz früh ein von mir hochgeschätzter Dozent an der Uni sagte: ›Es ist egal, was Sie machen. Sie müssen später irgendwie Geschichte präsentieren.‹ Da konnte ich überhaupt nichts mit anfangen. Weil ich da irgendwelche Referate gehalten habe. Und ähm, ich habe gedacht: ›Ja, der hat Recht.‹ Das war so. Also, ich glaube, das ist das Richtige. Also, es ist zumindest so, dass es mir Spaß macht.« An der Tätigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens zeigt sie ein besonderes Interesse, wobei das wissenschaftliche Arbeiten an sich einen wichtigen Wert im Berufshabitus der Probandin ausmacht. So ist für sie das Arbeiten nach wissenschaftlichen Standards Voraussetzung für gute Arbeit – sowohl im Museum als auch für Publikationen, seien sie wissenschaftlicher oder populärwissenschaftlicher Art. Im Bestreben ihr pragmatisches Denk- und Handlungsmuster mit dem Wert der wissenschaftlichen Arbeit zu vereinbaren, versucht sie in ihrer Tätigkeit als Museumsleiterin das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. So ergreift sie die Möglichkeit, forschend tätig zu werden, wenn es für die Qualität ihrer Arbeit nötig ist.

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Zugleich beschränkt sie sich meistens auf ideelle Planung und Einbeziehung der wissenschaftlichen Arbeit, da sie aus Zeitgründen selten selbst zum praktischen Forschen kommt. »Und das ist jetzt etwas, wo man wirklich dann eben auch nochmal forschend tätig werden kann und wo ich das dann auch tue. Aber die Zeit muss ich mir wirklich freischaufeln und nehmen, weil es eigentlich im Alltag kaum noch Platz hat.« Ein pragmatisches Denk- und Handlungsmuster offenbart sich auch in der Sequenz über das Arbeiten an der Promotion. So bewertet die Probandin die Disziplin als entscheidenden Faktor für das erfolgreiche Verfassen einer Dissertation. Intellekt und Wissenschaftlichkeit spielen für sie auch eine Rolle, aber das »Durchhalten« und akribisches Weiterarbeiten – also die Fähigkeit, des praktischen Arbeitens – machen für sie den Großteil einer erfolgreichen Promotion aus: »Und ich bin nach wie vor der Meinung, Wissenschaftlichkeit ist eine Sache bei der Promotion, aber ich würde sagen, das macht nicht mal die Hälfte aus. Der andere Teil ist Disziplin. Durchhalten und akribisch weiterarbeiten, wirklich sich nicht zurück – das ist, wiegt glaube ich, viel mehr. Denn ich glaube, das Zeug dazu intellektuell und wissenschaftlich eine Promotion zu machen, hätten viel mehr Leute als die, die es schaffen. Es scheitert wirklich an den Umständen und an der fehlenden Disziplin. Das ist die Hauptsache, die ganz schwierig ist.« Und auch die Sequenzen, in denen die Probandin über Netzwerke spricht, lassen ein Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik erkennen. So haben das Knüpfen und Aufrechthalten dieser Netzwerke für die Probandin einen pragmatischen Wert: Es unterstützt sie in ihren Tätigkeiten als Museumsleiterin. Gleichzeitig bewertet sie das Netzwerk auch unter einem existenziellen Blick: Über Kontakte bekam sie ihre Arbeitsstellen, sodass sie überhaupt berufsmäßig in dem von ihr favorisierten Tätigkeitsbereich Fuß fassen konnte: »Also, wenn man jetzt so nimmt, ist ja schon diese Sache im Studium, diese Arbeit im kleineren Stadtmuseum, das ist ja schon über Netzwerk. Das ist ja wirklich nur über diese private Bekanntschaft gekommen. Und so ging es eigentlich weiter.« Die Orientierung an der Pragmatik zeigt sich auch darin, dass sie die Anpassung an soziale Strukturen empfiehlt und entsprechend beschreibt: So ist es ihrer Ansicht nach notwendig, nach Vorträgen stehenzubleiben und den Wein mitzutrinken. Nicht allein, um Menschen anders kennenzulernen, sondern weil dies für sie entscheidend ist, um Aufträge zu erhalten. Diesem Verhalten spricht die Probandin einen konkreten Nutzen zu. Des Weiteren stellt finanzielle Sicherheit auch einen wichtigen Wert für die Probandin dar, den sie ebenfalls mit dem Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik verbindet: So sieht sie die Selbstständigkeit als »Paradies«, aber nur unter

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der Prämisse eines guten finanziellen Einkommens. Daher ist auch nachvollziehbar, dass die Probandin eben jenen Aspekt im Vergleich zur Selbstständigkeit mit ihrer jetzigen Beschäftigung hervorhebt: »Also, sicherlich habe ich darauf hingearbeitet, irgendetwas – Ja, also, nach einer gewissen Zeit der Selbstständigkeit denkt man schon: Jetzt muss man auch mal das andere probieren. Sicherlich ist da auch dann einfach diese, dass man denkt, also, diese wirtschaftliche, einfachere wirtschaftliche Situation ist vielleicht auch manchmal so ganz schön.« Verbunden mit diesem Aspekt der finanziellen Sicherheit ist auch ein Denk- und Handlungsmuster, das sich an Leistung orientiert. So lässt sich in vielen Sequenzen erkennen, dass diesen ein Muster von Leistung und Gegenleistung zugrunde liegt. Diese Gegenleistung besteht in einer Wertschätzung für Leistungen, die unterschiedliche Formen annehmen kann. So erklärt die Probandin, dass sie sich von der Universität abgewandt habe, weil man sie für ihren Lehrauftrag nicht bezahlen wollte: »Ich sollte einen Lehrauftrag kriegen, der sollte nicht bezahlt werden. Und da habe ich nicht mal die Fahrtkosten äh, sollten getragen werden. Und da habe ich gesagt: Also, dafür bin ich mir einfach zu schade. Was denken die? Ich soll hier lehren, ich soll hier arbeiten. […] Und da habe ich gesagt: Nee. Und das hat mich natürlich auch, da habe ich auch gedacht: Was ist das für ein Geschäft? Wie kann man das anbieten? Und das hat natürlich dann irgendwie eigentlich so ein bisschen, ja, meine Antipathie dann gegen Universitäten verstärkt und dann habe ich auch klar: Nee, also, das kann es nicht sein. […] Und, also, da muss man an seinem Selbstwertgefühl so ein bisschen auch arbeiten. Wenn man in dem Moment hört: ›Nö, also, zahlen können wir nichts.‹ Das ist nicht ganz ohne. Also, Geld und Wert, das gehört schon irgendwo zusammen und wenn das so gar nicht, eine Leistung überhaupt nicht honoriert werden soll, dann zweifelt man schon ein bisschen an sich: ›Geht das anderen genauso? Aber man spricht ja nicht über Geld. Oder machen die das jetzt nur bei dir?‹« An der Universität wurde ihrer Leistung somit die Wertschätzung durch eine angemessene Form der Gegenleistung, hier in finanzieller Hinsicht, verweigert. Zugleich bedeuten der Probandin positive Bestätigungen ihrer Leistungen viel, wie in Form von gut verkauften Publikationen oder von Lob für ihre Arbeit durch potenzielle Auftraggeber: »Weil man bekommt ja die Wertschätzung, indem man gebucht wird, geholt wird für Etwas. Und das ist schon immer erstmal eine tolle Bestätigung. […] Jeder Auftrag ist ja eigentlich schon erstmal – ›man hat das gehört, dass Sie gut gearbeitet haben‹, ist ja schon wie ein Lob eigentlich so vorweg und eine Entscheidung, eine

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bewusste Entscheidung für diesen Menschen. Und das ist schon erstmal, das gibt einem schon Mut und eine große Selbstbestätigung eigentlich.« Des Weiteren ist sie empört wegen des Vorfalls am Ende ihrer Promotionszeit, als eine fremde Autorin ihr Inhaltsverzeichnis kopierte und dies als eigene Arbeit veröffentlichte. Denn dieses Verhalten unterläuft die Leistung der Probandin und widerspricht somit ihrem Denk- und Handlungsmuster von Leistung und Gegenleistung: »Also es kam dann – das Schlimmste was einem passieren kann. Das ist wirklich der Super-GAU. Man hat alles hinter sich gebracht, alles wunderbar gelaufen und die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht und dann kommt das.« Auch ihre Schilderung der Probleme, sich in der Rolle der Lernenden während ihres Volontariats zurechtzufinden, ist durch dieses Denk- und Handlungsmuster erklärbar. Denn diese Rolle basiert auf dem Grundgedanken, nicht vorhandene Erfahrungen erst noch erlernen zu müssen. Da die Probandin über diese Erfahrungen bereits aufgrund vorheriger Tätigkeiten, die für sie mit einem Volontariat gleichzusetzen sind, verfügte und außerdem zur gleichen Zeit die Gegen-Rolle der Auszubildenden einnahm, wird hier ein anachronistischer Rollenlernprozess deutlich: »Das Volontariat hier war keine einfache Zeit. Weil, ich ging hier raus und ging in den Kulturverein, wo ich dann schon zwei Praktikantinnen sitzen hatte, die das taten, was ich sagte und hier wurde ich als Volontärin von manchen im Haus so behandelt wie eine kleine Praktikantin. Obwohl ich ja nun doch schon einiges in meinem Leben gemacht hatte. Und so dieser Spagat zwischen da fast einer Auszubildenden und auf der anderen Seite einer Ausbilderin, sagen wir es mal so, der war nicht so ganz ohne.« Dieser Rollenlernprozess unterlief die Erfahrungswerte der Probandin, zugleich konnte sie diesen Prozess aber mit einer Gegenleistung verknüpfen, in Form der Aussicht auf die Leitung des Museums. Die Sequenz, in der der Erhalt des Amts der Museumsleitung thematisiert wird, bringt ebenfalls zum Ausdruck, dass für die Probandin ihre zuvor erbrachten Leistungen als Volontärin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Legitimation für das Einstellungsverfahren darstellen: »Und so war es eine, also die Sachen werden ja nicht so veröffentlicht, war es eigentlich eine stille Übereinkunft, auch mit dem Bürgermeister, dass der Weg so ist. Zwei Jahre Volontariat, ein Jahr wissenschaftliche Mitarbeit und dann möglichst die Leitung des Museums.« Es wird aber auch ein wechselseitiges Verhältnis von Leistung und Anerkennung dieser Leistung sichtbar, als die Probandin über ihre Tätigkeiten in der Selbststän-

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digkeit und über ihre Ehrenämter spricht. So wird die Expertise der Probandin durch die Anfragen von Zeitungen und Auftraggebern, aber auch durch das Herantragen von ehrenamtlichen Tätigkeiten wie das der Stadtheimatpflegerin positiv bestätig. Zugleich ist die Probandin bereit, für diese Ämter entsprechende Leistungen zu erbringen, wie sie es auch als Museumsleiterin tut. Dies begründet sie sogar mit einem Gefühl, etwas »durch gute Arbeit« zurückgeben zu wollen. Für die Anerkennung ihrer Leistung durch das Amt der Leitung und der ihr zugestandenen Freiheit in ihrer Tätigkeit handelt sie im Gegenzug also ebenfalls nach dem Denkund Handlungsmuster von Leistung und Gegenleistung. Es zeigt sich zudem eine Erwartungshaltung, die aus dem Denk- und Handlungsmuster von Leistung und Gegenleistung resultiert. Entsprechend beschreibt die Probandin, dass es ihr schwerfiel unter Verweis auf die eigene Leistung ihre persönlichen Honorare auszuhandeln. Nach ihrem Denk- und Handlungsmuster müsste das Gegenüber die Leistung von sich aus anerkennen und eine Gegenleistung ohne externe Aufforderung erbringen. Auch die Schilderung des Vorfalls an der Universität, die keinen Lohn für einen Lehrauftrag zahlen wollte, indiziert diese Erwartungshaltung. Aber die Probandin zeigt auch eine bestimmte Wahrnehmung gegenüber den Erwartungen anderer an sie selbst. Entsprechend beschreibt sie die befremdlichen Äußerungen Dritter gegenüber ihrer Tätigkeit in der TouristInformation nach der Promotion: »Die Außenwahrnehmung, die man dann aber kriegt, die ist nicht ganz ohne. Also, die sehen ja dann: ›Mensch, die ist ja schon promoviert, die macht jetzt hier Stadtführungen?‹ Oder ich habe dann auch mal Vertretung in der Touristinfo gemacht, da hat tatsächlich auch eine Frau zu mir gesagt: ›Was ist Ihnen denn passiert, dass Sie jetzt hier sitzen müssen?‹ Da muss man erstmal mit umgehen lernen.« Das Denk- und Handlungsmuster von Leistung und Gegenleistung stützt auch ihr Selbstvertrauen: Die Probandin gibt an, Sicherheit bei Vorträgen oder auch bei Stadtführungen zu gewinnen, weil sie sich im Vorfeld akribisch vorbereite. Die Sicherheit und der Erfolg können somit als Gegenleistung verstanden werden. Allerdings machte die Probandin immer wieder die Erfahrung, dass ihr Denk- und Handlungsmuster in der sozialen Wirklichkeit aneckte. Dies war zum Beispiel in der oben erwähnten Arbeitspolitik an der Universität oder dem Aushandeln von Honoraren der Fall. Aber auch als sie das Volontariat leisten musste, obwohl sie schon Erfahrungen dieser Art besaß. Doch erst das Absolvieren eines »offiziellen« Volontariats ließ ihr die entsprechende Honorierung ihrer Leistungen in Form einer Arbeitsstelle zukommen. Daher äußert sie bei ihrer Reflexion über die Berufsbiografie auch, sie hätte alles etwas »stringenter« erreichen können. Die Probandin ist sich außerdem bewusst, dass Leistung allein nicht immer zielführend ist und verbindet dieses Bewusstsein mit dem Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik, wie es sich in der bereits oben angeführten Äußerung über die Anpassung

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an soziale Strukturen zeigt. Denn bei Auftragsvergaben würden sich die Verantwortlichen nicht für den Experten und damit dessen Leistungen, sondern für den Menschen entscheiden. Die Probandin ist sich des Weiteren auch über die negativen Seiten des Leistungsgedankens bewusst, was sich in der Sequenz über ihre Zukunftswünsche zeigt: »Im Augenblick, dadurch, dass wir relativ viel haben – jetzt seit einem Jahr ist wieder so ein bisschen die Phase erreicht, wo ich eigentlich, wo ich viel zu viel mache. Also, das ist aber auch so ein bisschen mein Ehrgeiz. Vielleicht ist das auch zu viel, da muss ich, glaube ich, ein bisschen an mir arbeiten […]« Wie sich durch die Äußerungen über die Anerkennung der forschenden Arbeit zeigt, ist Leistung für die Probandin auch ein Distinktionsinstrument. Allerdings nur in einem bestimmten Umfeld. So fühlt sie sich in ihrer Arbeit nur außerhalb des wissenschaftlichen Umfeldes ernstgenommen: »Auch wenn ich etwas Banales dann schreibe, dass man die Arbeit, die ich dann tue, ernst nimmt. So ernst wie ich sie nehme, wurde sie aber eigentlich auch von denen, mit denen ich zu tun hatte, ernstgenommen.« Die forschende Tätigkeit in der Doktorandenzeit empfindet sie dagegen als etwas, das alle tun: »Da ist es, ja, also, da ist es so selbstverständlich, dass die Leistung manchmal gar nicht mehr gesehen wird, glaube ich.« Außerdem erhielt die Probandin eine negative Bestätigung ihrer Leistung, was sie als Konkurrenzdenken beschreibt: Es war dann auch zum Beispiel, als ich im Museum gearbeitet habe, war das, da waren ja der Studienkollege und ich beide Anfänger und da kam dann einmal der Satz: ›Ich muss jetzt aber aufpassen. Sonst haben alle anderen das Gefühl, du leitest hier das Museum und ich mache hier gar nichts mehr.‹ Das war auch so etwas, wo ich dachte: ›Oh Gott.‹« Sie führt ihre damalige Leistung aber darauf zurück, dass sie einfach gute Arbeit machen wollte und nicht aus Konkurrenzgründen handelte. Das Bestreben zur Distinktion ist zudem auch ein weiteres Merkmal des Berufshabitus der Probandin. Die Bedeutung des »Anders-Seins« für die Probandin findet sich in vielen Sequenzen wieder. So weist sie beispielsweise darauf hin, dass sie nicht die typische Museumsleiterin darstellt, aufgrund ihrer vielen Erfahrungen, die sie in der Selbstständigkeit und in den vielen Nebentätigkeiten gesammelt hat. Dies bewertet sie als »ganz gut«. Ihr Empfinden des »Anders-Seins« kommt auch in der Passage über einen Dozenten zum Ausdruck, der ihr Museum als außeruniversitären Lernort für Studierende einbezieht. Sie bezeichnet ihn als »Exo-

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ten« und bringt ihre Bewunderung dafür zum Ausdruck. Und sie findet Anschluss: »Also, die Exoten finden zusammen, sagen wir es mal so.« Ein weiteres Distinktionsmerkmal stellen für die Probandin ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten dar. So unterscheidet sie in der Erzählung über den Vorfall am Ende ihrer Promotionszeit zwischen einer »wissenschaftlichen« Arbeit und einem Buch, das die Schulgeschichte aufgearbeitet habe. Zugleich ist die Expertise für die Probandin von hoher Bedeutung, wenn es für sie um ihre Rolle als Historikerin geht. Durch ihre im Studium erlernten Fähigkeiten kann sie sich von anderen »Hobby-Historikern« unterscheiden, indem sie darauf verweisen kann: »Darum macht das schon sehr viel, wenn man einfach sagen kann: Hier. Ich habe es aber studiert. Und ich habe es auch erfolgreich abgeschlossen. Und das, was ich sage, hat wirklich auch Fundament.« Die Probandin fühlt sich in ihrer Expertise bestätigt durch Anfragen und Aufträge von Dritten, aber auch durch das Herantragen von Ehrenämtern oder Vereinsmitgliedschaften. Ihre Bildung ist für sie auch Distinktionsmerkmal gegenüber dem eigenen Geschlecht, da sie die Reaktionen von Frauen auf ihren Doktor-Titel als feindselig beschreibt und sich dies mit einem gewissen Neidgefühl dieser Frauen erklärt. Zugleich ist ihr eigenes Geschlecht für sie auch ein Distinktionsmerkmal. So erzählt sie, als erste Frau in einen Verein eingetreten zu sein und dass sie oft in Gremien die einzige weibliche Person sei. Gegenüber Männern ist für sie der Titel als Distinktionsinstrument wertvoll, denn er ist die sichtbare Legitimation für ihre Expertise. Hier zeigt sich auch ihre Wahrnehmung, dass Frauen ihre Expertise gegenüber Männern stärker hervorheben müssen. Ihr Titel ist für sie generell ein sichtbares Distinktionsmerkmal, mit dem sie verbindet, ihre erlangte Expertise nach außen tragen zu können: »Ich will unbedingt promovieren, ich will das unbedingt haben. Aber natürlich ist auch da Eitelkeit eine Rolle. Man stellt damit zur Schau: Irgendwie hat man sich mit einem Thema schon mal intensiver beschäftigt und das auch recht erfolgreich, sonst wäre es nicht dahin gekommen.« Als Instrument zur Distinktion beschreibt die Probandin auch ihre Publikationen, durch die sie »aufgefallen« sei, was zu der besonderen Ehre führte, dass sie als erste Frau einem Verein beitreten durfte. Der Titel als Distinktionsmerkmal gegenüber Personen in einem nicht-wissenschaftlichen Umfeld ist für sie ebenfalls von großer Bedeutung. Im Gegensatz zu dem wissenschaftlichen Umfeld wird ihre Expertise nicht hinterfragt, sondern ihr Titel dient als Ausweis für ihre Fähigkeit:

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»Hier im Museum ist es wirklich so, da war das überhaupt kein Problem. Die haben dann einfach gesagt: ›Okay, die hat das studiert, die hat diesen Titel davor, dann hat die ja die Befähigung dazu, das akzeptieren wir.‹« Andererseits spricht sie auch von negativer Distinktion: Größere museale Einrichtungen würden aufgrund der geringen Größe ihres Museums, was hier »geringere Bedeutung« meint, »kritisch schauen«. Die Arbeit von Museen insgesamt findet die Probandin nicht besonders wertgeschätzt von »anderen Bildungsinstitutionen und auch Forschungsinstitutionen«. Die Probandin findet jedoch die Arbeit von Museen »total wichtig«, eine Ansicht, mit der sie sich wiederum von den Institutionen abhebt, gegen die sie ohnehin als Exotin eine gewisse Skepsis hegt und mit dieser Meinung gegenüber den Institutionen erneut eine Distinktion vornimmt. Ebenfalls eine abweichende Meinung konstatiert sie, als sie darauf hinweist, dass in Museen die wissenschaftliche Aufarbeitung von Themen nicht gern gesehen werde. Für sie ist die »ordentliche Forschungsbasis« wichtig, um Inhalte überhaupt »runterbrechen« und »präsentieren« zu können. Zugleich fällt auf, dass die Probandin, wenn der Titel als Distinktion nicht ausreicht, wie im wissenschaftlichen Umfeld, sie auf das Alter als Distinktionsmerkmal ausweicht. So schildert sie zunächst, dass sie bei gleichaltrigen Männern mit geringerer Qualifikationsstufe negative Reaktionen hervorgerufen habe. Ältere Männer dagegen fanden das, was sie tut »eigentlich immer gut«. Wenig später, als sie über die Nicht-Wertschätzung ihrer Arbeit bei größeren Einrichtungen erzählt und von einem »leichten Hauch von Arroganz« spricht, erklärt sie dies mit ihrem Alter: »[…] ich bin meistens da auch noch die Jüngere, das kommt natürlich dann auch so ein bisschen dazu. Während, wenn man, wenn jetzt andere mit ins Spiel kommen, das ist jetzt einfach so, dass die Alteingesessenen natürlich immer sehr skeptisch betrachten, was passiert jetzt in den anderen Häusern, glaube ich so.« Und nun sind es die gleichaltrigen Kollegen an der Uni, die sie wiederum wertschätzen, im Gegensatz zu den »Älteren an den Unis«: »[…] da ist es so ein bisschen auch, manchmal wird es sehr skeptisch betrachtet, was so in Museen auch getan wird. Aber ich glaube, da ist es vielleicht einfach auch eine Generationenfrage.« Die Probandin nimmt des Weiteren eine Distinktion durch ihre erlernten Fähigkeiten vor, als sie begründet, dass sie wegen ihrer hohen Ausbildung im Musikstudium nicht mehr an die Schule gehen wollte. Für die Probandin passten ihre Fähigkeiten nicht zu einer Tätigkeit in der Schule. Ein weiteres Denk- und Handlungsmuster der Probandin orientiert sich an Eigenverantwortlichkeit. Dies zeigt sich, als sie über die Selbstständigkeit reflektiert:

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»Und ein Gefühl wirklich der Freiheit, natürlich auch der absoluten Eigenverantwortlichkeit. Ich bin verantwortlich für das, was ich tue. Aber auch kein anderer.« Im Gegensatz zu ihrer jetzigen Tätigkeit, müsse sie in der Selbstständigkeit mit niemandem Kompromisse eingehen, was für sie »nicht ganz ohne« ist. Es ist eben jene Eigenverantwortlichkeit, die für die Probandin die Selbstständigkeit als »Paradies« erscheinen lässt. Dieses Denk- und Handlungsmuster liegt auch der Einschätzung der Tätigkeiten zugrunde, wie die Probandin sie äußert. Eigenverantwortliches Handeln ist für sie in Bezug auf die Ausrichtung ihrer Berufslaufbahn wichtig: »Ich habe, also, dass ich etwas gestalten möchte, dass ich etwas selber in die Hand nehmen kann und dass ich so ein Projekt einfach auch führen möchte, das war mir wichtig. Also ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo hinter den Kulissen etwas zu tun, was mir ein anderer sagt.« Dieses Denk- und Handlungsmuster zeigt sich auch in der Sequenz, in der sie über die Ziele in ihrer Berufslaufbahn spricht und in der ihr Führungswille erkennbar ist: »Und dann war es natürlich schon, als man mir dieses hier angeboten hat, da war klar: Wenn, dann möchte ich es auch leiten. So, das war dann auch schon das Ziel, ich sag jetzt mal der letzten vier Jahre.« In ihrer hohen Wertschätzung des eigenverantwortlichen Handelns als Museumsleiterin korrespondiert das Denk- und Handlungsmuster der Eigenverantwortlichkeit mit dem der Leistung. Für die Probandin hat die Eigenverantwortlichkeit eine so hohe Bedeutung, dass sie entsprechend eine Gegenleistung für die Gewährung dieser Freiheit erbringen möchte. Die beiden Denk- und Handlungsmuster korrespondieren ebenfalls, wenn es um die Legitimation ihres eigenverantwortlichen Handelns geht. Die Probandin führt die Freiheiten, die sie in der Ausübung ihrer Aufträge in der Selbstständigkeit hatte, auf ihre Expertise zurück. Durch Leistung konnte sie diese Expertise erreichen und diese führt (durch ihre Eigenschaft als Distinktionsmerkmal) zur Vergabe der Aufträge und dem Vertrauen der Arbeitgeber, das sie der Probandin in Form des Zugeständnisses des eigenverantwortlichen Handelns entgegenbringen. Ohne Einfluss ihre Arbeit gestalten zu können, hat für die Probandin auch einen hohen ideellen Wert: »Also, da erlebe ich es zum Beispiel mit Museen anders. Dass ein Konzern in die Museumsarbeit sehr stark eingreift und alles was sie bezahlen dann doch mit sehr starken, klaren Forderungen verbinden und das ist hier undenkbar. Wir hatten gerade so ein bisschen eine solche Situation, da habe ich mich aber auch sehr

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strikt dagegen gewehrt. Aber die Politik greift oder die Kommune greift hier nicht ein in das, was wir tun. Ich entscheide über die Inhalte komplett alleine.« Mit dem Denk- und Handlungsmuster der Eigenverantwortlichkeit verbindet die Probandin aber nicht nur Freiheit, sondern auch ein Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Mitarbeitern. So berichtet sie davon, dass sie akkurat darauf achtet, dass ihre Mitarbeiter ihren Lohn pünktlich bekommen, wobei sie auch auf ihre Erfahrungen zurückgreift, die sie in der Selbstständigkeit machte. Durch die Verantwortung kommt es aber auch zu einer engen Verbundenheit mit dem Museum an sich. Entsprechend berichtet sie, dass sie viele Dinge auch persönlich nimmt, die das Museum betreffen. Als weiteres Denk- und Handlungsmuster schlägt sich die Bedeutung von Erfahrung für die Probandin nieder. Nun sind Erfahrungen stets prägend für die Entwicklung eines Habitus, jedoch ist dieses Denk- und Handlungsmuster eben dadurch geprägt, dass die Probandin bewusst auf ihre Erfahrung hinweist und auf sie zurückgreift. Entsprechend wird bereits zu Beginn des Gesprächs deutlich, dass ihre persönliche Erfahrung in ihrer Schulzeit sie beeinflusste, als es um eine räumliche Einordnung ihres Promotionsthemas ging und sie so wieder einen Schritt »gen Heimat« machte. Auch ihre Erfahrungen während ihres Praktikums im Museum waren für sie ein entscheidender »Impuls« für ihre weitere Berufslaufbahn: »Und das war schon so ein Impuls, wo ich dachte – wo sich für mich ein Berufsfeld erschloss, an das ich vorher gar nicht gedacht hatte.« Auf ihre konkreten Erfahrungen führt sie auch Veränderungen ihrer Persönlichkeit zurück: »Aber diese Stadtführungen, die ich sechs, sieben Jahre gemacht habe, haben mich da unwahrscheinlich geprägt. Weil man da, oder weil ich da gelernt habe, ich kann an jedem Ort der Welt irgendetwas sagen.« Die Probandin begründet diese Entwicklung nicht mit einem Zwang zur Offenheit, den die Tätigkeit der Stadtführungen mit sich bringen mag, sondern sie begründet sie mit einer Erfolgserfahrung. Auch sind Erfahrungen, durch die Handlungen zur Routine werden, wichtig. So führt sie ihre Sicherheit bei Vorträgen zum einen auf ihre akribische Vorbereitung zurück, also dem Denk- und Handlungsmuster der Leistung. Aber zum anderen führt sie dies auch auf die gewohnten Strukturen bei der Handlung des Vortragens zurück. Als entsprechend schwierig beschreibt sie es, neue Kontakte oder ein neues Netzwerk zu knüpfen. Die Probandin führt einen passenden bildlichen Vergleich für die Bedeutung von Routinen an: »Ich habe Kindergarten gehasst, aber Schule geliebt, weil in der Schule hatte ich meinen Platz, da konnte ich mich hinsetzen und dann ging es los. Während Kindergarten muss man sich ja so seinen Platz und seinen Raum so ein bissen erobern.«

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Dieses »Erobern« baut aber nicht auf Erfahrungen auf, sondern fordert immer das Agieren in einer neuen Situation. Wobei dies nicht bedeutet, dass die Probandin neue Erfahrungen ablehnt. Sie steht beispielsweise dem Erlernen neuer Themen offen gegenüber. Erfahrungen, die sie allerdings bereits besitzt, sind für sie auch an ein bestimmtes Rollenempfinden gebunden. So erklärt sich auch ihre distanzierte Bewertung der Situation, in der sie sich einerseits als Lernende und andererseits als Lehrende einfühlen sollte. An Erfahrungen richtet die Probandin auch ihr Handeln als Arbeitgeberin aus: Sie erzählt von dem Vorfall, als sie in der Selbstständigkeit einmal beinahe kein Geld für ihre Arbeit bekommen hatte. Diese Erfahrung schätzt die Probandin für ihr Handeln als Arbeitgeberin hoch ein: »Und jetzt sehe ich es ja auch von der anderen Seite. Ich glaube, das ist für alle Selbstständigen, mit denen wir hier zu tun haben, sehr gut. Das würde ihnen bei uns hier nie passieren, weil ich wirklich immer darauf achte, dass das hier alles auch ordentlich läuft und so.« Dazu kommt die Wertschätzung ihrer Erfahrungen, die ihr in ihrer Rolle als Museumsleiterin zugutekommen. Diese sind der Grund dafür, dass die Probandin zufrieden mit ihrer Berufslaufbahn ist, auch wenn sie glaubt, sie hätte alles »stringenter erreichen können«, wenn sie gleich ein Volontariat nach dem Studium angefangen hätte: »Aber heute sage ich, ich würde das alles wieder so machen. Weil es, dieses viele, was man alles gesehen hat und getan hat, formt einen natürlich. Und es gibt hier heute keinen Bereich im Museum, wo ich nicht schon irgendeinen Einblick hatte.« Die Probandin musste sich »alles mühsam aneignen«, was sie für ihre jetzige Situation als sehr gut empfindet.   Der durch das Gespräch zu erkennende Berufshabitus der Probandin 04 besteht aus mehreren Denk- und Handlungsmustern, die sich ergänzen und miteinander korrespondieren. Das Denk- und Handlungsmuster der Leistung und Gegenleistung korrespondiert mit allen anderen Denk- und Handlungsmustern und zeichnet sich damit im Gespräch als zentrales Muster ab. Des Weiteren beruht der hier abgebildete Berufshabitus auf einem Denk- und Handlungsmuster, das sich an Pragmatik orientiert. Zugleich basieren Entscheidungen für ihre Berufslaufbahn auf dem Willen zu eigenverantwortlichem Handeln. Es zeichnet sich ab, dass für den Berufshabitus der Probandin die Herausstellung von Distinktion ein weiteres wichtiges Denk- und Handlungsmuster ist, das sie mit dem der Leistung und Eigenverantwortlichkeit gut verbinden kann. Das Denk- und Handlungsmuster, das sich an der Bedeutung von Erfahrungen orientiert, ist für die Begründung für ihr Handeln in bestimmten Rollen und auch für die Bewertung der Berufslaufbahn

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ausschlaggebend. Als wichtige Werte stellen sich das wissenschaftliche Arbeiten sowie die Expertise heraus, die wiederum gut mit den anderen Denk- und Handlungsmustern der Probandin korrespondieren. Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Probandin 04 Überträgt man die Erkenntnisse über den Berufshabitus von Probandin 04 auf das Konstrukt des sozialen Raums, so befindet sie sich zwar in dem Feld der Wissenschaft, aber nahe zu dem der Wirtschaft. Die hohe Bedeutung des Wertes »wissenschaftliches Arbeiten« für die Probandin sowie ihre Distinktion durch ihre wissenschaftliche Expertise und auch die große Bedeutung von institutionellem Kapital lassen die Probandin stärker ins Feld der Wissenschaft verorten. Auch ihre Arbeitsweise richtet die Probandin nach den Regeln des wissenschaftlichen Feldes aus: Zum einen gibt sie an, wie wichtig ihr das Einhalten wissenschaftlicher Standards ist und dass sie stets auch Fußnoten in ihren persönlichen Skripten habe. Damit hält sie sich an die formalen Regeln der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, selbst wenn diese vom Abnehmer der Geschichtsschreibung nicht verlangt oder gar abgelehnt werden. Zugleich handelt sie pragmatisch, wenn äußere Umstände wissenschaftliches Arbeiten erschweren: So erzählt sie, aufgrund ökonomischen Drucks wissenschaftlich oberflächlich gearbeitet zu haben. Dass sie dies bedauert (»schlechtes Gewissen«), zeigt, dass sie sich der Regelverletzung des wissenschaftlichen Feldes bewusst ist, aber sie ihre Handlungen den Regeln des Feldes der Wirtschaft unterordnete. Es zeigt sich auch, dass die Probandin mit ihrem individuellen Berufshabitus im Feld der Wissenschaft aneckte. Ihr Denk- und Handlungsmuster, das sich an Leistung und Gegenleistung orientiert, stieß im Hochschulsystem auf seine Grenzen. Dort gilt es als zumutbar und ist eine gängige Praxis, Lehrende unentgeltlich zu beschäftigen. Die Probandin zog daraus ihre Konsequenzen und verließ das Hochschulsystem. Ihr inkorporiertes Kulturkapital in Form ihrer Expertise und all den Erfahrungen, die sie im Lauf ihrer Berufsbiografie gemacht hat, besitzt für die Probandin einen hohen Wert, der für sie einen entsprechenden Gegenwert hat. Diesen Gegenwert einzufordern ist ihr in der Selbstständigkeit gelungen, indem sie für ihre Expertise positive Bestätigung im Sinne von Aufträgen und Lob erhalten hat. Zugleich ist sie angewiesen auf diejenigen, die objektiviertes Kulturkapital besitzen und bereit sind, der Probandin ökonomisches Kapital im Gegenzug für den Einsatz ihres inkorporierten Kulturkapitals zu geben. Die Probandin konnte also mit ihrer Expertise für die Aufträge, die sie bearbeitete, spezifische Honorare festlegen. Das Denk- und Handlungsmuster, das sich an Eigenverantwortlichkeit orientiert, war in der Selbstständigkeit für die Probandin ebenfalls realisierbar – allerdings mit dem hohen Risiko finanzieller Unsicherheit. Die Probandin weist extra

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daraufhin, dass die Selbstständigkeit ein »Paradies« eben aufgrund jener Eigenverantwortlichkeit sei, aber nur unter der Prämisse einer finanziell sicheren »Lücke«. Das objektivierte Kulturkapital, das die Probandin mithilfe ihres inkorporierten Kulturkapitals bearbeiten kann, ist in der Selbstständigkeit von ihrer Auftragsakquise abhängig. Diese wiederum ist laut der Probandin abhängig vom »Menschen«, was bedeutet, das Knüpfen sozialer Kontakte ist für die Probandin Voraussetzung, um erfolgreich Aufträge zu akquirieren. Ihre Vernetzung war für die Probandin durch das symbolische Kapital möglich, das ihr durch ihre verkauften Publikationen zukam. Durch ihre Bekanntheit war ihr der Beitritt in einen gut vernetzten Verein möglich. Des Weiteren gibt sie an, sich sozialen Strukturen angepasst zu haben, die sie indirekt als von Männern diktierte Strukturen bezeichnet, indem sie »jeder Frau« rät, entsprechend zu handeln. Dies alles reicht aus Sicht der Probandin aber nicht aus, um sich in diese sozialen Strukturen zu integrieren und dort akzeptiert zu werden: Für die Probandin ist daher ihr Titel überhaupt das Kapital, mit dem sie soziales Kapital erlangen kann: Daher spricht sie von der Notwendigkeit des Doktortitels, um als Frau von männlichen Kollegen in ihrer Expertise ernst genommen zu werden: »[…] und da ist dann der Titel natürlich unwahrscheinlich hilfreich, weil gerade dann auch so die Männer vielleicht dann auch nochmal die einen, ja, vielleicht etwas in Frage stellen: Na, was will die jetzt hier? Aber dadurch, dass man das davorstehen hat, wird es eben nicht infrage gestellt.« Der Titel ist für die Probandin daher nicht nur institutionelles Kapital, das ihr inkorporiertes Kulturkapital legitimiert, sondern er ist auch symbolisches Kapital für ihre Teilhabe und Akzeptanz in bestimmten Kreisen: In denen der Wissenschaft und der kulturellen Vermittlung. In ihrer Anstellung als Museumsleiterin kann die Probandin finanzielle Sicherheit genießen. Der Preis für diese Sicherheit ist die Eigenverantwortlichkeit. Denn die Probandin beschreibt ihren Arbeitsplatz zwar als einen Ort, an dem ihr niemand etwas vorschreibt. Aber sieht man sich die Sequenz an, in der sie über ihre Arbeitsweise spricht, wird deutlich, dass die Probandin aufgrund der vielen »Kompromisse« und unterschiedlichen Aufgaben nicht mehr zu dem kommt, was sie als Historikerin eigentlich gerne tun würde: wissenschaftlich forschen. So hat sie zwar nun gestalterische Freiheiten in ihrem Museum, aber aufgrund ihrer Rolle als Museumsleiterin muss sie andere Tätigkeiten ausführen, als sie es als Wissenschaftlerin tun würde: »Ich würde nie im Leben sagen, ich bin Wissenschaftlerin. Das kann ich nicht sagen. Dazu ist das viel zu weit in den Hintergrund getreten.« Um aber überhaupt die Anstellung als Museumsleiterin erhalten zu können, musste die Probandin, trotz ihrer Erfahrungen und ihrer Expertise, also trotz ihres inkorporierten Kulturkapitals, eine formale Legitimation in Form eines Volontariats

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erbringen, bevor sie eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle mit Aussicht auf die Museumsleitung erhalten konnte. Dies erscheint widersprüchlich: Obwohl institutionelles Kulturkapital in Form eines offiziellen Volontariats vorgewiesen werden sollte, reichte ihr institutionelles Kulturkapital in Form ihres Doktortitels nicht aus, um sich für eine wissenschaftliche Mitarbeit im Museum zu qualifizieren. Der Widerspruch erklärt sich durch die rechtliche Garantie, die die jeweiligen Zeugnisse eines Volontariats und des Doktortitels im Fach Geschichte geben. Was bleibt, ist daher die Erkenntnis, dass die Probandin ohne das »richtige« institutionelle Kapital die Anstellung im Museum nicht erhalten konnte.   Für die Abhängigkeit im sozialen Beziehungsgeflecht zeigt sich für die Probandin somit eine starke Abhängigkeit von institutionellem Kapital, das zu ihrer Akzeptanz gegenüber anderen Akteuren im sozialen Feld beiträgt. Ihr Doktortitel dient ihr dabei als Legitimation für ihre Expertise unter Kollegen in männlich geprägten Strukturen, zugleich aber auch als Legitimation für ihre Führungsrolle im Museum gegenüber ihren Angestellten. Das Volontariat dagegen dient als institutionelles Kapital zur Legitimation für die wissenschaftliche Mitarbeiterstelle im Museum und unterläuft somit ihr bis dahin angeeignetes inkorporiertes Kulturkapital als Legitimation für bestimmte Tätigkeitsbereiche. In ihrer Arbeit als selbstständige Historikerin ist sie einerseits abhängig vom ökonomischen Kapital, das ihr für die Zurverfügungstellung ihres inkorporierten Kulturkapitals zusteht. Andererseits kann sie dies aushandeln, indem sie auf ihre Expertise verweist. Man kann daher auch sagen, dass sie im Feld der Wirtschaft ihr institutionelles Kapital direkt einsetzen kann, um ökonomisches Kapital zu erwirtschaften. Im Hochschulsystem sieht die Probandin die Leistungen, die hinter dem inkorporierten Kulturkapital stehen, als nicht gewürdigt, sondern als »selbstverständlich« hingenommen. Dagegen büßt sie die Tätigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens in ihrer Rolle als Museumsleiterin zugunsten finanzieller Sicherheit ein, für die sie nun viele andere, vor allem organisatorische Arbeiten leisten muss. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Probandin in ihrer gegenwärtigen Rolle als Museumsleiterin zwar an ihrem Anspruch als Historikerin festhält, indem sie ideell das wissenschaftliche Arbeiten verteidigt und ihm einen hohen Wert beimisst. Praktisch jedoch ist es ihr kaum möglich, diesen Anspruch einzulösen, es sei denn über Dritte, indem sie von Mitarbeitern Forschungstätigkeiten für Ausstellungsbereiche einfordert.

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4.4.5

Dokumentarische Interpretation Proband 05

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Der Proband studierte die Fächer Geschichte und Philosophie und machte nach einem Auslandsaufenthalt in Großbritannien seinen Magisterabschluss. Die Magisterarbeit verfasste er im Fach Geschichte. Neben dem Studium arbeitete der Proband als Programmierer. Nach seiner Magisterarbeit bekam er eine Stelle am Lehrstuhl seines Doktorvaters, mit dem er zusammen in der Lehre arbeitete. Anschließend wechselte er in einen Sonderforschungsbereich, in dem er innerhalb von drei Jahren die Promotion abschloss. Danach nahm er eine Vertretungsprofessur an einer Fachhochschule mit regionalgeschichtlichem Schwerpunkt wahr. Schließlich trat er eine Post-Doc-Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer anderen Universität an, wo er seine Habilitation schreiben konnte. Um die Habilitation abzuschließen, wurde der Proband zusätzlich durch ein Stipendium einer unternehmensnahen Stiftung gefördert. Zum Zeitpunkt des Interviews stand er kurz vor der Beendigung der Habilitation und war 41 Jahre alt. Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Der Proband berichtet nach dem Gesprächsimpuls zunächst über seinen Weg zum und im Geschichtsstudium. Er erzählt, wie er zum Thema seiner Magisterarbeit kam und kommt dann auf seinen Weg zur Promotion zu sprechen. Er berichtet über seine Arbeitsstellen als Doktorand am Lehrstuhl und im Sonderforschungsbereich, wobei er auch über die Arbeitsbedingungen für die Forschung spricht. Es folgt eine Sequenz, in der er von seiner Tätigkeit in einer Vertretungsprofessur und über seine aktuelle Stelle als Post-Doc am Lehrstuhl einer Universität spricht. Hier kommt er erneut auf die Bedeutung von Drittmitteln in der Wissenschaft zu sprechen. Anschließend erzählt der Proband von seiner aktuellen Forschung für die Habilitation. Nach der Erzählkoda folgt die Frage nach der Finanzierung der Habilitationsforschung des Probanden, woraufhin er noch detaillierter auf die Arbeitsbedingungen in der Forschung eingeht. So spricht er über die Drittmittelpolitik in der Wissenschaft, über die Arbeitsbelastung an der Universität und die deutsche Wissenschaftspolitik. Dem schließt sich die Frage nach Netzwerken des Probanden an. Der Proband erzählt von einem Arbeitskreis, der während seiner Promotionszeit gegründet wurde und von der Bedeutung von Netzwerken für Publikationen. Auf die Frage, ob Netzwerke auch für seine Forschung wichtig waren, spricht der Proband über die Herangehensweise an Archive und den Problemen, die in der Erforschung von Unternehmensgeschichte bestehen.

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Es folgt die Frage nach der Selbstwahrnehmung als Historiker. Der Proband gibt daraufhin eine Definition von der Arbeit als Universitätshistoriker und grenzt diese zur populären Geschichtsschreibung ab. Anschließend wird um eine Bewertung der Berufslaufbahn gebeten, woraufhin der Proband das Berufsbild des Historikers reflektiert. Schließlich folgt die Frage nach der beruflichen Zukunft des Probanden. Er erläutert verschiedene Möglichkeiten für sich nach der Habilitation und kommt dabei auch wieder auf die Probleme des Wissenschaftssystems zu sprechen. Ein Großteil des Interviews kann für die Analyse genutzt werden.32 Rekonstruktion des Berufshabitus von Proband 05 Der Berufshabitus des Probanden 05 ist geprägt von seinen Erfahrungen während seiner Sozialisation an der Universität. Ein Denk- und Handlungsmuster des Probanden orientiert sich dabei an der Professionalisierung im Bereich des universitären Arbeitens. Dabei korrespondiert es mit dem Wert von freier Entfaltung für Themen. Denn für den Probanden ist diese freie Entfaltung die Voraussetzung für das Finden thematischer Vorlieben im Studium. So gibt er an, die Magisterstudienordnung sei für ihn von Vorteil gewesen, weil er dort verschiedene Sachen austesten konnte und die Möglichkeit hatte, seine Interessen auszuprobieren. Diese freie Entfaltung bot ihm damit Orientierungsmöglichkeiten für die spätere Professionalisierung. Das Denk- und Handlungsmuster der Professionalisierung findet sich auch, wenn der Proband von seiner Zeit nach der Promotion erzählt: »Genau, und dadurch hatte ich mich dann eben spezialisiert auf die Arbeit als Historiker, auch im Bereich Wirtschaftsgeschichte, hatte diese bestimmten Branchen untersucht. Und habe aber gleichzeitig […] auch diesen zweiten Schwerpunkt aufgebaut, Regionalgeschichte. Und nach der Doktorarbeit, als ich dann eben eine neue Stelle gesucht habe, bin ich tatsächlich dann ebend in diesen Bereich für zwei Jahre gewechselt, Regionalgeschichte, und habe hier, […] diesen Lehrstuhl vertreten und habe da Lehrveranstaltungen, so ein Modul angeboten. Und ja, das hat mir so ein bisschen geholfen.« Der Proband berichtet hier von einer thematisch und technisch breiteren Aufstellung seiner Profession und gibt an, dass ihm dies geholfen habe. Die Erweiterung der Kompetenzbereiche in Forschung und Lehre spielen für den Probanden daher eine wichtige Rolle:

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1b) Formulierende Interpretation der Interviewabschnitte, 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung und 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse siehe Materialband.

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»Insofern war das jetzt vielleicht für die – wenn man sich so anfängt zu professionalisieren aus jetziger Sicht – […] Aus jetziger Sicht war es dann bei mir eben nicht mehr, darauf wollte ich jetzt nochmal hinaus, gar nicht mehr so unbedingt als Nachteil zu sehen, weil sich das so ein bisschen abgelöst hat.« Der Proband schätzt eben jene Möglichkeit der Professionalisierung. So ermöglichten ihm die thematische Aufstellung und die Tätigkeitserfahrungen eine Stelle als Vertretungsprofessor zu bekommen. Das Denk- und Handlungsmuster der Professionalisierung im Bereich des universitären Arbeitens lässt sich zudem erkennen, wenn der Proband über seinen möglichen Weg nach der Habilitation spricht. So favorisiert er eine anschließende Laufbahn an der Universität mit dem Ziel einer Lehrstuhlbesetzung. Er gibt an, dies sei von Vorteil aufgrund all der Erfahrungen, die er während seiner bisherigen Universitätslaufbahn gesammelt hat. An dieser Favorisierung und der Beschreibung zeigt sich, dass es für den Probanden selbst vorteilhaft wäre an der Universität zu bleiben: »Aber natürlich wäre das sehr schön, weil es ist eben immer von Vorteil, wenn man jetzt die ganze Zeit in diesem einen Gebiet gearbeitet hat, wie es jetzt bei mir der Fall ist, dass sich dadurch natürlich auch Vorteile ergeben. Man ist drin, man vertieft sich immer mehr, spezialisiert sich immer mehr. Die Netzwerke, die Sie vorhin angesprochen haben, werden immer enger und größer. Man sammelt eben Erfahrungen in vielen Bereichen, die eben von Nutzen sind, die man quasi, wenn man einmal, selbst wenn es eine negative Erfahrung war, kann man einfach durch die Kontinuität die nutzen, um es das nächste Mal besser zu machen. Insofern würde ich gerne in dem Bereich bleiben.« Hier zeigt sich eine homogene Perspektive, die durch die Professionalisierung an der Universität mit der klassischen Laufbahn Studium – Promotion – Habilitation verbunden ist. Damit steht die Prägung dieses Denk- und Handlungsmusters mit dem Sozialisationsprozess des Probanden an der Institution der Universität in Verbindung. Sie zeigt sich auch daran, dass der Proband von der Lehrstuhlberufung als »normalen Weg« spricht und sogar als »vorgeschriebenen Karriereweg« bezeichnet. Es handelt sich hier um eine Perspektive, die als normal gilt, aber nicht der Normalfall ist, wie der Proband es in seiner Beschreibung über die Stellensituation deutlich macht: »Das Verhältnis, habe ich jetzt in der Zeit gelesen, von Doktorandenstellen auf Professorenstellen ist elf zu eins.« Hinzu kommen die Schwierigkeiten, die sich durch die extreme Spezialisierung und die wenigen Lehrstühle sowie das geänderte Renteneintrittsalter ergeben. Hier besteht also ein Widerspruch zwischen dem, was der Proband als Normalfall bezeichnet und tatsächlich als Normalfall beschreibt. Dieser Widerspruch lässt sich durch das Denk- und Handlungsmuster der Professionalisierung im Bereich des universitären Arbeitens

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erklären, da aufgrund der Orientierung an diesem Muster die Lehrstuhlbesetzung für den Probanden als das normal anzustrebende Ziel im Bereich der universitären Laufbahn gilt. Die Orientierung an der Professionalisierung im Bereich des universitären Arbeitens lässt sich auch erkennen, als der Proband von Unternehmen als potenzielle Arbeitgeber spricht: »Der dritte große Bereich, weil Sie es ja auch in Ihren Interviews mit abdecken, sind natürlich die Unternehmen, die als Arbeitgeber durchaus an qualifiziertem Personal aus den Unis interessiert sind, auch für Leitungspositionen, wo sozusagen jetzt gerade eine Habilitation in Geschichtswissenschaft nichts Negatives sein muss. Da wird es quasi wieder völlig anders bewertet.« Der Proband erwähnt, es müsse in Unternehmen nichts Negatives sein, wenn man in Geschichte habilitiert habe, was indiziert, dass die Habilitation seiner Ansicht nach in der Universität stets etwas Positives darstellt, dies aber außerhalb noch einer Rechtfertigung bedarf. Diese Ansicht korrespondiert auch mit der Erwähnung des Probanden, das Selbstverständnis der Arbeit als Historiker sei nicht mit seiner Person, sondern mit dem Ziel der Geschichtsschreibung verknüpft. So könne er zwischen dem technischen Arbeiten in der Universitätsgeschichtsschreibung und der populären Geschichtsschreibung unterscheiden. Er orientiert sich in seinen Aussagen an der Professionalisierung im Bereich des universitären Arbeitens, grenzt dies aber nach Außen – durch eine Rechtfertigung und durch die Unterscheidung der Arbeitsweisen – ab. Dabei prägt der Wert des wissenschaftlichen Arbeitens ebenfalls den Berufshabitus des Probanden: »Genau, vielleicht, wenn Sie das meinen so in Bezug auf den Berufshabitus ist es natürlich schon so, dass man jetzt als Universitätshistoriker sich schon so ein bisschen dadurch definiert, wie man jetzt mit Quellen umgeht und wie man arbeitet.« Die Arbeitsweise ist für den Probanden ausschlaggebend für das Selbstbild, das er spezifisch als das von »Universitätshistorikern« bezeichnet. Und obwohl er später versucht dieses Verständnis von seiner Person zu trennen, gelingt ihm dies nicht, was daran liegt, dass er selbst Universitätshistoriker ist. Dies äußert sich in seiner Bewertung über den unkorrekten Umgang mit Fußnoten: »Auch ich bei den Kollegen hätte da jetzt eben kein Verständnis dafür. Ich würde jetzt nicht sagen: ›Es kann doch mal passieren, natürlich, heutzutage ist alles eine hektische Zeit.‹ Das ist nicht der Fall.« Dem Probanden dient die Orientierung am wissenschaftlichen Arbeiten auch als Distinktion gegenüber anderen Formen der Geschichtsschreibung. So sollte man Abstand von reißerischen Thesen nehmen, wie sie in der populären Geschichte oft

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zu finden seien. Dies stellt für den Probanden kein »seriöse[s] Arbeiten« dar. Auch gilt es für ihn als Tabu, vorhandenes Wissen nicht zu dokumentieren: »- das wäre jetzt vielleicht nochmal sozusagen ein Hauptaspekt des seriösen Arbeitens: Wenn man als Wissenschaftler eine These aufstellt, heißt das, dass man die bestehenden Erkenntnisse falsifiziert. Und das ist nun gerade ein Aspekt, der in der – bei diesen Festschriften in der populären Geschichte komplett weggelassen wird. […] Aber das völlig komplett wegzulassen, ist in dem Sinne jetzt keine – also, historisches Arbeiten wegen mir, aber das ist dann eben kein wissenschaftliches Arbeiten.« Er vollzieht hier mit der Distinktion durch wissenschaftliches Arbeiten zugleich eine Wertung, indem er dieses als Qualitätsmerkmal festsetzt, das nicht jedes Arbeiten an einer Geschichtsschreibung automatisch besitzt. Des Weiteren ist auch die Herangehensweise an die Quellen für den Probanden ausschlaggebend für das wissenschaftliche Arbeiten. Statt einer reinen deskriptiven Darstellung müssten in einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung Frage- oder Problemstellungen formuliert und Quellen unter Berücksichtigung dieser untersucht werden. In der Bewertung im Anschluss der Beschreibung über diese Herangehensweise steckt allerdings ein Widerspruch: »Es muss quasi eine Fragestellung, eine Problemstellung formuliert werden, was schon schwer ist, wo selbst die meisten Doktorarbeiten dran scheitern. Aber was noch schwerer ist: Die Fragestellung muss auch irgendwie durchgehalten werden. Es reicht auch nicht, am Anfang diese Fragestellung mal hinzuschreiben und dann am Ende ein Fazit zu kommen, das ist quasi dann doch wieder nur wie bei Ranke, zu schreiben, wie es eigentlich gewesen ist.« Dadurch, dass der Proband einen Mangel in wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten festmacht, der für ihn ein Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens ist, besteht hier ein Widerspruch zu seiner Äußerung, die Herangehensweise sei Distinktionsmerkmal zu populären Geschichtsschreibungen. Schließlich unterscheidet der Proband die universitäre Geschichtsschreibung von der populären Geschichtsschreibung durch den Mehrwert, der in populären Geschichten fehle und stattdessen ein »völlig beliebiger Eindruck« vermittelt werde, was der Proband dem Zweck der populären Geschichte als Marketinginstrument zuschreibt. Der Wert des wissenschaftlichen Arbeitens ist für den Probanden aber nicht nur ein Distinktionsmerkmal, sondern er hat auch existenzielle Bedeutung: »Und es ist, denke ich mal, jeder, der das irgendwie ernsthaft betreibt – und man muss es ja auch andererseits ernsthaft betreiben, weil man eben immer wieder auch von dem Erfolg der Drittmittelprojekte abhängt […]«

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Das wissenschaftliche Arbeiten ist für den Probanden die Voraussetzung für die Genehmigung von Drittmitteln und damit für die Ermöglichung der Forschungsarbeit überhaupt. Er verbindet hier den Wert des wissenschaftlichen Arbeitens direkt mit der Finanzierung von Forschung. Damit verbindet er jenen Wert mit einem weiteren zentralen Muster, das sich an der Frage nach der Finanzierung von Forschung orientiert. Dies zeigt sich in den Ausführungen des Probanden über seine Arbeitsbedingungen am Lehrstuhl und im Sonderforschungsbereich, die von der Orientierung an Finanzierbarkeit geprägt sind. An dem Lehrstuhl, an dem er angestellt ist, fehlen Mittel für Exkursionen, für die Anschaffung von Geräten und Literatur sowie für die Forschung an der eigenen Qualifikationsarbeit. Die Situation im Sonderforschungsbereich bezeichnet er dagegen in Bezug auf finanzielle Mittel als »Luxus«. Den Sonderforschungsbereich bewertet er auch unter dem ökonomischen Aspekt, wenn er davon spricht, dass es dort möglich war viel und günstig zu publizieren sowie seine Dissertation schnell fertigzustellen. Das Denk- und Handlungsmuster, das von der Orientierung an Finanzierbarkeit geprägt ist, korrespondiert zudem stark mit der Wahrnehmung von Belastung. Entsprechend stellt der Proband die Bedeutung von Drittmitteln heraus, wenn es um die Entlastung durch Hilfskräfte geht: »Und was man eben auch nicht vergessen darf, wo die Drittmittel geradezu völlig von grundlegender Bedeutung sind, sind eben die Hilfskräfte, ne. Man hat ja quasi, wenn man jetzt eineinhalb Lehrstuhlstellen hat, kein Geld, um Hilfskräfte zu bezahlen. Aber gerade für die Lehrveranstaltungen sind die Hilfskräfte natürlich unwahrscheinlich wichtig, sonst geht für zwei Stunden Lehrveranstaltungen geht sonst ein ganzer Arbeitstag drauf […]. Das sind eben alles so Sachen, die wir jetzt quasi also noch mitmachen. Und da sind eben unter anderem eben die Hilfskräfte eben von sehr, sehr großer Bedeutung, dass die eben teilweise diese Arbeiten abfangen und da wiederum sind dann Drittmittel von der Schlüsselbedeutung.« Eine Entlastung und damit effektives Arbeiten sind für den Probanden daher nur möglich, wenn Stellen finanziert werden können. Das Denk- und Handlungsmuster von Finanzierbarkeit liegt auch der Beschreibung der Finanzierung der eigenen Qualifikationsarbeit zugrunde. Der Proband erzählt, dass er seine Habilitation mithilfe von Drittmitteln schreibt, was ihm allerdings immer nur die Erforschung von Teilaspekten erlaubt: »Und da ist es jetzt praktisch so, dass natürlich jeweils so Teilaspekte mit der Arbeit, mit der Habil-Schrift zusammenhängen. Aber klar, man muss quasi – die Habil-Arbeit ist quasi so eine Qualifikationsarbeit, die an den Lehrstuhl geknüpft ist und gegen das Drittmittelprojekt sich insofern ebend immer unterscheiden muss, dass die Zeiträume heutzutage eben immer kürzer werden […]«

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Obwohl seine Arbeit an den Lehrstuhl geknüpft ist, ist es dem Probanden nicht möglich, mit Lehrstuhlmitteln seine Forschung zu betreiben. Stattdessen muss er sich immer an der Finanzierbarkeit orientieren, sodass aufgrund der Drittmittel stets nur Teilaspekte erforscht werden können. Auch die Regulierung der Arbeitsverträge durch das Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz wird vom Probanden innerhalb des Denk- und Handlungsmusters der Finanzierbarkeit angesprochen: »Im Grunde genommen würde ich sagen, dass das heute unsere Hauptarbeit ist als Historiker. Das hängt auch damit zusammen, dass ja quasi nach dem Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz die Arbeitszeit, die wir direkt an der Universität arbeiten dürfen, begrenzt ist mit bestimmten Regelungen. Also, nach der Promotion darf man quasi nur sechs Jahre weiterarbeiten, es sei denn die Stelle wird aus Drittmitteln finanziert.« Für den Probanden steht hier die Frage der Finanzierbarkeit der Stelle im Fokus. Diese Frage ist für den Probanden auch ausschlaggebend, wenn er von der Möglichkeit des Publizierens spricht: »Häufig ist es eben auch eine Kostenfrage mit dem Publizieren. Also, sprich, ich weiß nicht, wenn Sie später Ihre Arbeit auch veröffentlichen, die Verlage heutzutage erwarten ja, dass man das alles selbst bezahlt. Und das ist nicht billig, im Gegenteil.« Unter diesem Aspekt bewertet der Proband auch wiederum die Bedingungen im Sonderforschungsbereich positiv, weil es ihm dadurch möglich war, günstig und viel zu publizieren. Was aber hier mit dem Denk- und Handlungsmuster der Finanzierbarkeit korrespondiert, ist der Wert der Reputation, indem der Proband nicht nur auf die finanziellen Möglichkeiten des Publizierens eingeht, sondern auch auf die Notwendigkeit des Publizierens, um so einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erlangen. Später greift er diesen Punkt nochmal auf und es lässt sich wieder eine Orientierung am Wert der Reputation und die Verknüpfung mit dem Muster der Finanzierbarkeit erkennen: »[…] und so unwichtig ist das eben auch nicht, weil – deswegen sage ich Ihnen das indirekt – wenn man jetzt nichts publiziert, bekommt man eben auch keine Drittmittel. Und wenn man jetzt eben nur publiziert in so Heimatblättern, ist das eben auch für die Drittmittel-Geber, die eben sich wünschen, dass die Forschungsergebnisse am besten – also, im Grunde genommen wünschen sich DrittmittelGeber, dass sie international publiziert werden heutzutage.« Diesem Abschnitt geht allerdings voraus, dass der Proband das Publizieren ebenfalls auf Grundlage des Wertes der Reputation beschreibt. So ist es für die Platzierung eines Aufsatzes in einer Zeitschrift von Vorteil, bereits bekannt zu sein:

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»Wo es eine große Rolle spielt, also, das ist ganz klar, bei Publikationen. Sie wissen ja, wenn man in die verschiedenen Zeitschriften sozusagen – wenn man in Zeitschriften publizieren will, muss man auch so einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Teilweise werden da sehr strenge – wenn man jetzt völlig unbekannt ist in der Wissenschaft –, werden da jetzt sehr, sehr strenge so Richtlinien angelegt.« Das heißt, ist man bereits durch die entsprechende Reputation bei den jeweiligen Peers etabliert, hat man Vorteile im Auswahlverfahren. Mit der Reputation verbindet der Proband Vertrauen in die Qualitäten und Fähigkeiten eines Autors. Damit korrespondiert auch ein weiterer Wert, der in den Ausführungen des Probanden eine Rolle spielt: Die Erfahrung. So weist er auf den Nutzen hin, Lehrerfahrungen gesammelt zu haben, was für seine Professionalisierung wichtig war. Entsprechend froh ist er über die Erfahrungen, die er bereits am Lehrstuhl seines Betreuers in der Lehre sammeln konnte. Andererseits sind die Erfahrungen, die er auf seiner Vertretungsprofessur gesammelt hat, für ihn besonders wichtig, was auch sein Verweis auf die vielen Semesterwochenstunden während dieser Zeit zeigt. Aber auch in der Bewertung der Berufsbiografie spielt der Wert der Erfahrung eine Rolle. Er verbindet die Erfahrungen einerseits mit dem Nutzen, die sie ihm für seine Tätigkeiten bringen, andererseits möchte er diese Erfahrungen für das anwenden, wofür er sie gesammelt hat, nämlich die Professur. Er verbindet mit den Erfahrungen daher ein ganz bestimmtes Ziel: »Und er meinte dann eben: Erst jetzt hat sich das quasi alles gelohnt, die ganze Arbeit, wo er dann ebend […] diese Professur bekommen hat. Und das, denke ich mal, ist schon so. Das macht schon Sinn, weil, jetzt gerade, wenn man die ersten Vorlesungen hält, das ist ebend so anstrengend, auch die Vorbereitungen. Und mit der Zeit wird das eben immer einfacher und natürlich ist das eben sinnvoll, wenn man das noch weiter anwenden kann.« Ein weiterer Wert, der für den Probanden eine große Rolle spielt, ist die Vorliebe für Themen. So hatte die thematische Vorliebe des Probanden Einfluss auf die Wahl seines Magisterarbeitsthemas, äußere Umstände dagegen beeinflussten lediglich die Möglichkeiten der Bearbeitung. Und auch für die Entscheidung zur Dissertation war die Vorliebe für ein Thema wichtig: »Und es gab jetzt verschiedene Angebote von Archiven dieses Magisterarbeitsthema zur Doktorarbeit auszubauen. Also dann neben diesem einen Unternehmen noch zwei weitere dazu zu nehmen, die hätten das auch finanziert, aber war jetzt nicht, das Thema war dann für mich auch so ein bisschen ausgereizt, sodass ich das eben nicht wollte.« Der Proband sieht in der thematischen Vorliebe auch eine Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit von Historikern:

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»Weil das ist, sage ich mal, so ein Arbeitsbereich, wo man durchaus sich auch selbst dafür begeistern kann. Also, was man aber möglicherweise wirklich auch nicht machen kann, wenn es einen gar nicht interessiert. Ich glaube also alle Historiker haben dann eben für ihr bestimmtes Gebiet so ein bestimmtes Herzblut, was man eben auch braucht, um da in diesem Bereich zu arbeiten, insofern ist es eben sehr schön.« Damit verbunden ist seine Ansicht, dass die Drittmittelpolitik die Forschungsthemen negativ beeinflusst. So würden Themen bearbeitet, die nicht besonders spannend seien, weil sie kaum neue Ergebnisse hervorbringen könnten. Auch die freie Entfaltung, wie sie zur Erforschung von Grundsatzthemen oder eines Habilitationsthemas nötig wäre, sei nicht mehr möglich, weil stets der ökonomische Arbeitsaspekt im Vordergrund stehe: (1) »Das sind eben alles so Themen. Klar, da werden zwanzig Mitarbeiterstellen finanziert dann eben aus Bundesmitteln. Aber das ist ebend sozusagen schon sehr, sehr trocken, sehr, sehr langweilig. Dann kommt raus als Ergebnis – Überraschung, nach 1945 wurden die Eliten in den Ministerien überhaupt nicht ausgetauscht, die haben alle weitergearbeitet. […] Da fragt man sich – klar, das ist jetzt nochmal empirisch belegt, aber was sind das eben für Arbeitsergebnisse? Da kommt eben so gut wie nichts raus. Man hat es halt aufgearbeitet, es ist auch seriös aufgearbeitet, auf jeden Fall fundiert, aber – Auf jeden Fall nehmen eben solche Themen zu.« (2) »Das sind natürlich allein schon durch den Bewilligungszeitraum liegt es in der Natur der Sache, dass man es – es ist völlig unrealistisch jetzt in der Zeit eine Habilitation oder überhaupt ein eigenes Forschungsvorhaben abzuschließen. Sondern es ist ebend eher, dass man einen Teilaspekt rausgreifen muss und das ist aber auch direkt gewollt.« Damit einher geht ein Bewertungsschema des Probanden, das sich am Qualitätsverlust in der Forschung orientiert. Besonders hervor tritt dieses Schema, wenn der Proband über Drittmittel redet. So spricht der Proband von einer Willkür in der Drittmittelpolitik, die dafür sorgt, dass Forschung in bestimmte Richtungen gesteuert wird und somit die Hochschulen in der Forschungsfrage ihrer Autonomie beraubt: »Es ist ja so, dass praktisch staatliche Gelder, die zuvor direkt an die Universitäten gezahlt wurden, an diese Stiftungen gezahlt werden. Diese Stiftungen nehmen so eine Art Steuerungsfunktion wahr, um praktisch in den Begutachtungsprozess – man selbst wird ja dann als Wissenschaftler auch Gutachter –, in so einem Begutachtungsprozess praktisch festzulegen, in welche Richtung soll die Wissenschaft, soll die Forschung gesteuert werden? Das ist ja quasi die Überlegung dahinter. Anstelle praktisch jetzt nach einer Art Gießkannen-Prinzip allen ein bisschen was

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zu geben und die machen damit, was sie wollen, soll quasi so eine zentrale Steuerungsinstanz dazwischengeschaltet werden.« Diese Vorgehensweise hat Auswirkungen auf die konkrete Forschungsarbeit. So sieht der Proband die erfolgreiche Forschungsförderung abhängig von der Ökonomisierbarkeit von Themen. Entsprechend werden nur Themen gefördert, die in den recht kurzen Bewilligungszeiträumen abgeschlossen werden können. Das Bewertungsschema des Qualitätsverlusts der Forschung findet sich zudem, als der Proband von den Drittmitteln in Bezug auf die Arbeitsbedingungen seiner jetzigen Mitarbeiterstelle am Lehrstuhl spricht. Hier besteht wiederum eine Korrespondenz mit dem Denk- und Handlungsmuster der Finanzierbarkeit. Ohne diese Mittel ist »keine ernsthafte Forschung mehr« zu betreiben. Dies betrifft nicht nur die Finanzierbarkeit von Forschungsreisen sowie Literatur, sondern auch die Möglichkeit der Stellenschaffung und damit verbunden auch die Entlastung von zusätzlichen Aufgaben. Um die Habilitation überhaupt fertig schreiben zu können, braucht der Proband die Möglichkeit einer Auszeit, die ihm mithilfe eines Stipendiums gewährt werden kann. Auf der Mitarbeiterstelle selbst ist es für ihn nicht möglich, seine Forschung aufgrund der Aufgabenfülle zu beenden: »Und bei der Habil ist das jetzt quasi genau dasselbe, nur eben letztendlich noch – also, dadurch, dass die Aufgabenfülle eben wächst, ist das natürlich dann noch komplexer. Aber insgesamt ist das natürlich so, die meisten Habilitationen werden dann eben fertig gestellt durch so Stipendien, dass man eben doch mal eine Zeit lang rausgenommen wird, um zu schreiben. Bei mir war das eben auch so oder ist es jetzt eben auch so, dass ich jetzt eben eine Zeitlang nicht so viel am Lehrstuhl machen muss oder fast nichts mehr machen muss und jetzt eben nur schreibe, sonst kriegt man das nie fertig.« Belastung ist auch ein weiteres Schema, unter dem der Proband viele Aspekte wahrnimmt. Dabei korrespondiert dieses Wahrnehmungsschema oft mit dem Bewertungsschema des Qualitätsverlustes, wie es der obige Abschnitt zeigt. Qualifikationsstellen sind für den Probanden durch die enorme Belastung aufgrund der Aufgabenfülle gekennzeichnet. Diese besteht vor allem aus der Lehre und der akademischen Selbstverwaltung sowie der Einwerbung von Drittmitteln. Die eigentliche Forschung nimmt einen sehr geringen Teil der Arbeit ein. Dementsprechend hat der Proband von den Bedingungen, unter denen er promovieren konnte, eine hohe Meinung. Lehre und Forschung waren ihm zu gleichen Teilen möglich, ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Durch die »besondere[n] Bedingungen« am Sonderforschungsbereich war es ihm möglich, relativ schnell die Promotion abzuschließen. Dies ist auf der Post-Doc-Stelle am Lehrstuhl nicht mehr möglich, da er dort eine komplexe Aufgabenfülle erledigen muss:

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»Und das ist jetzt quasi so eine klassische Habilitationsstelle, wo ich dann eben beides zusammen mache, sowohl die Lehrveranstaltungen mit dem festen Lehrdeputat von vier Semesterwochenstunden, meist ein Proseminar und eine Übung. Manchmal mache ich auch mehr. Und einer bestimmten Zeit, wo man ebend, wo man forschen muss und wo ich eben mein eigenes Forschungsthema arbeiten muss. Darüber hinaus eben die Arbeit, die ich habe, die im Bereich der akademischen Selbstverwaltung anfällt.« Als weiteren Aspekt nennt er die Einwerbung von Drittmitteln, was mittlerweile zur Hauptarbeit geworden sei. Dass die Einwerbung und nicht die Forschung innerhalb dieser Drittmittelprojekte als Hauptarbeit genannt wird, lässt ebenfalls das Bewertungsschema der Belastung erkennen. Wegen der befristeten Arbeitsverhältnisse in Verbindung mit den für die Forschung benötigten finanziellen Mittel wird die Einwerbung von Drittmitteln zur Notwendigkeit. Unter dem Schema der Belastung steht auch die Bewertung der Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft generell. Durch die Unsicherheit in der Karriereplanung, die der Proband ausmacht, lässt sich eine berufsperspektivische Belastung erkennen, die zugleich mit einer finanziellen Belastung verknüpft ist. Und auch die mögliche Perspektive auf einen Lehrstuhl nach der Habilitation fällt unter dieses Bewertungsschema. Dies wird deutlich, als der Proband von der Zumutung des Pendelns spricht. Das Pendeln und die damit verbundene Zumutung werden von ihm zugleich als normal empfunden, da man »so gut wie nie« eine Lehrstuhlstelle im Wohnort bekomme. Außerdem sieht der Proband auch alle (wissenschaftlichen) Universitätsmitarbeiter der Belastung durch die Arbeitsbedingungen ausgesetzt: »Aber natürlich ist das eben heutzutage so, dass man sich darüber auch nicht irgendwo ausweinen kann, weil die Chefs selbst, weil die Professoren selbst, die leiden ja auch unter der Überlastung. Die stellen häufig Drittmittel-Anträge, von denen sie häufig nichts haben, weil sie ihre Stelle nun mal gesichert haben, machen es quasi dann eben auch noch für die Mitarbeiter, die ganzen Gremiensitzungen und so weiter. Sie machen ja letztendlich Forschung auch in der Freizeit. Das ist halt theoretisch – was jetzt ebend heute viele Professoren machen müssen im Bereich Mitarbeiterführung, das ist auch nichts, was die gerne machen. Die würden auch lieber Bücher schreiben und forschen. Sie sehen das halt als Belastung […].« Daher meint der Proband auch, es sei »Privatsache« und liege »an einem selbst«, wie man mit den Problemen durch die Belastungen umgehe. Damit knüpft er hier an ein weiteres Bewertungsschema an, das sich durch die Orientierung eines ursächlichen Einflusses äußerer Faktoren und einem damit verbundenen Denk- und Handlungsmuster der Resignation auszeichnet. Das

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Problem der mangelnden Zeit für die eigene Forschung beschreibt er wie ein Dilemma. Dabei wird in seiner Beschreibung über die Arbeitssituation als Doktorand deutlich, dass fremdbestimmtes Handeln die Arbeit als Doktorand bestimmt. Statt einer Lösung für dieses Problem, spricht er die Pflicht der Doktoranden an, mit den gegebenen Umständen zurechtzukommen (»Privatsache«, »Aber das liegt so ein bisschen an einem selbst. Man muss sich dann durchsetzen.«). Mit anderen Worten: Man muss das Beste draus machen. Auch die Äußerung über den Austausch mit Doktoranden anderer Universitäten folgt dem Muster der Resignation, indem der Proband darauf hinweist, dass dieses Netzwerken zusätzlich zu all den anderen Aufgaben geschah, weil an der eigenen Universität kein Raum für einen Austausch außerhalb der Arbeitnehmer- und Konkurrenzebene herrschte. Die Bewertung nach dem Schema des ursächlichen Einflusses äußerer Faktoren zeigt sich zudem, wenn der Proband erwähnt, dass der Abschluss der Habilitation nur unter dem besonderen Umstand einer Auszeit möglich ist. Hier korrespondiert dieses Bewertungsschema mit dem Wahrnehmungsschema der Belastung: Der Belastung durch die komplexen Aufgabenbereiche kann nur durch den Einfluss äußerer Faktoren, wie der Möglichkeit eines Stipendiums, entgegengewirkt werden, um die Arbeit erfolgreich zu beenden. Ebenso zeigt sich eine Orientierung am Schema des ursächlichen Einflusses durch äußere Faktoren an der Kausalbeziehung der Probleme, die der Proband mit dem Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz verbindet, sowie in der Beschreibung der Wissenschafts-Politik. Hier wird zugleich auch die Korrespondenz mit den Schemata und Denk- und Handlungsmustern sichtbar, die den Aussagen über die Probleme zugrunde liegen: Qualitätsverlust in der Wissenschaft, Belastung und die Finanzierbarkeit der Forschung. So mündet die Beschreibung der Arbeitsaufgaben in der Begründung für die Bedeutung der Drittmittel, die der Proband auf das WissenschaftszeitvertragsGesetz zurückführt: »P05: Im Grunde genommen würde ich sagen, dass das heute unsere Hauptarbeit ist als Historiker. Das hängt auch damit zusammen, dass ja quasi nach dem Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz die Arbeitszeit, die wir direkt an der Universität arbeiten dürfen, begrenzt ist mit bestimmten Regelungen. Also, nach der Promotion darf man quasi nur sechs Jahre weiterarbeiten, es sei denn die Stelle wird aus Drittmitteln finanziert – I: Ja, ich weiß. P05: Dann wird diese Befristung ja aufgehoben.« Erst nach dieser Begründung, die einen äußeren Faktor als ausschlaggebend für die Bedeutung der Drittmittel benennt, folgt die Erläuterung der ideellen Bedeutung der Drittmittel. Aber auch die Probleme, die durch die ideelle Bedeutung ent-

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stehen, begründet er nach dem Schema der ursprünglichen Beeinflussung durch äußere Faktoren: »Sondern es ist ebend eher, dass man einen Teilaspekt rausgreifen muss und das ist aber auch direkt gewollt. […] Es ist ja so, dass praktisch staatliche Gelder, die zuvor direkt an die Universitäten gezahlt wurden, an diese Stiftungen gezahlt werden. Diese Stiftungen nehmen so eine Art Steuerungsfunktion wahr, um praktisch in den Begutachtungsprozess – man selbst wird ja dann als Wissenschaftler auch Gutachter –, in so einem Begutachtungsprozess praktisch festzulegen, in welche Richtung soll die Wissenschaft, soll die Forschung gesteuert werden?« Der Proband beschreibt hier die Drittmittel-Geber mit ihrer Steuerungsfunktion als äußeren Faktor, der für die Problematik der ideellen Ausrichtung der Drittmittel verantwortlich ist. Dass der Proband dem Bewertungsschema des ursprünglichen Einflusses äußerer Faktoren folgt, zeigt auch, dass er das Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz als Begründung dafür nennt, warum die Professoren nicht für die Probleme während der Qualifikationsphase aufgrund der Arbeitsbelastung verantwortlich gemacht werden können: »Die würden auch lieber Bücher schreiben und forschen. Sie sehen das halt als Belastung, wo man aus der Mitarbeiter-Perspektive eher sagt: Ja, der soll mir jetzt eigentlich Freiräume einrichten. Aber das ist heutzutage natürlich alles durch diese Wissenschaftszeitvertrags-Gesetzgebung 2002 natürlich alles nicht mehr so richtig praktikabel, ne.« Das Schema setzt sich auch in der Beurteilung über die Problematik im deutschen Wissenschaftssystem fort: »[…] und insofern gibt es natürlich auch überhaupt keinen Handlungsdruck in der Wissenschaftspolitik die Arbeitsbedingungen zu verbessern, ne.« Der Proband spricht der Wissenschaftspolitik hier implizit die Verantwortung für eine mögliche Verbesserung des Wissenschaftssystems zu, wobei er ihr bereits zuvor eine Mitschuld an der Verschlechterung gibt, indem er sie auch verantwortlich für die enorme Steigerung der Studierendenzahlen macht, was deswegen geschehe, damit »die Leute eben aus der Arbeitslosenstatistik rausfallen.« Hinzu kommt hier erneut das Denk- und Handlungsmuster der Resignation: Weil das System funktioniere, gebe es keinen Handlungsdruck und »deswegen kann man das gar nicht so richtig kritisieren, sondern es ist ebend nun mal, ja also, hat eben so zwei Seiten.« Das Muster der Resignation macht auch ein Paradox sichtbar: Obwohl der Proband zuvor kritisiert, dass es keinen Handlungsdruck aufgrund der systemimmanenten Strukturen (hohe Studierendenzahlen, die zur Steigerung der Promotionsstellen führen) gebe, kommt er zu dem Schluss, dass dieser nicht vorhande-

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ne Handlungsdruck nicht kritisierbar sei, weil das System funktioniere. Der Proband sieht das System daher zwar kritisch und erkennt das Problem des fehlenden Handlungsdrucks und somit des fehlenden Widerstands, aber gleichzeitig akzeptiert er es auch. Anstatt möglicher Lösungen oder weiterer Kritik am Wissenschaftssystem erfolgt ein resignierendes Fazit über die geschilderte Situation. Den ursprünglichen Einfluss äußerer Faktoren kann man auch in der Passage über den möglichen Weg nach der Habilitation erkennen. Dort schreibt der Proband die Verantwortung für die fehlenden Stellen ebenfalls der Wissenschaftspolitik zu, die durch die Änderung des Renteneintrittsalters den Generationenwechsel verschoben hat. Und er ist der Ansicht, dass sich ohne ein Eingreifen der Wissenschaftspolitik, also einem äußeren Faktor, keine Verbesserungen herbeiführen lassen: »Also, man weiß aber natürlich auch nicht, ob sich die politischen Rahmenbedingungen wandeln. Man hat ja teilweise das Gefühl, dass es gar nicht geht, ohne dass sich die politischen Rahmenbedingungen nicht wandeln.« Das Beurteilungsschema eines ursprünglichen Einflusses äußerer Faktoren findet sich außerdem, wenn der Proband über seine Forschung in Unternehmen spricht. Es zeigt sich in der Kausalität, die der Proband herstellt: So verweist er beispielsweise auf den Einfluss der juristischen Abteilungen der Unternehmen, wenn er begründet, warum er keinen Zugang zu Archiven bekommen könnte. Ebenso zeigt sich, dass er den Zugang für noch gesperrtes Archivgut auf das Wohlwollen der Unternehmen zurückführt. Auch hier wird in diesem Zusammenhang ein von Resignation geprägtes Muster deutlich: »Und da haben also alle Unternehmen also komplett abgesagt. Also war niemand bereit so zusammenzuarbeiten. Und da kann man da auch nichts machen. Da kann man eben Netzwerke haben, da kann man so Erfahrungen haben, das ist denen da völlig egal.« Der Proband legt in der Bewertung den Fokus auf die Handlungsunfähigkeit in solch einer Situation, anstatt beispielsweise eine bedauernde Bewertung folgen zu lassen. Mit diesem Schema korrespondiert auch die Bewertung des Probanden für die Wahl des Studienfachs: Er nennt die Gründe pragmatisch, wobei er hier erneut äußere Faktoren anführt, die zur pragmatischen Entscheidung führten: »Letztendlich waren die Gründe, warum ich dann doch Geschichte studiert habe aber relativ pragmatischer Art. Also, die Studienplätze für Fotografie waren ebend relativ weit weg von meiner Heimatstadt, war relativ schwierig finanzierbar gewesen für mich und da schien mir eben sozusagen Geschichte die pragmatischere Wahl zu sein.«

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Die Schilderung der Gründe, die dem Bewertungsschema des Einflusses äußerer Faktoren entsprechen, ist hier ebenfalls mit einem resignierenden Muster des Akzeptierens der Umstände verbunden. Schließlich folgt auch die Schilderung über die Umstände, die zur Bearbeitung seiner Magisterarbeit beigetragen haben, dem Schema der ursprünglichen Einflüsse durch äußere Faktoren. So spricht der Proband von dem thematischen Schwerpunkt an seiner Universität in Deutschland, vom passenden Zeitpunkt für die Bearbeitung des Themas aufgrund der öffentlichen Debatte und von der Möglichkeit, durch verwandtschaftliche Beziehungen Kontakt zu einem Unternehmen herstellen zu können.   Wie die Rekonstruktion des Berufshabitus auf Basis der vorliegenden Daten von Proband 05 zeigt, ist dieser von seinen Erfahrungen innerhalb der Strukturen in der Wissenschaft geprägt. Als zentrale Denk- und Handlungsmuster lassen sich die Orientierung an der Professionalisierung, die Finanzierbarkeit von Forschung sowie Resignation erkennen. Das Muster der Professionalisierung prägt den Probanden in seinen Aussagen über die thematische Spezialisierung sowie die erweiterten Arten der Tätigkeit. Es prägt auch seine Zukunftsperspektive, deren Schilderung von dem Wunsch dominiert wird, im Bereich der Wissenschaft weiterarbeiten zu können. Das Denk- und Handlungsmuster der Finanzierbarkeit wird vor allem deutlich, wenn der Proband die Forschungsarbeit und -verhältnisse beschreibt. Dabei zeigt sich eine deutliche Korrespondenz mit den Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata der Belastung und des Qualitätsverlusts in der Forschung. Das Denk- und Handlungsmuster der Resignation wird dadurch deutlich, dass der Proband über die Verantwortung und Probleme durch äußere Umstände spricht und diese – auch wenn er die Umstände kritisiert – dennoch akzeptiert. Als wesentliche Werte lassen sich das wissenschaftliche Arbeiten, Reputation, Erfahrung und die thematische Vorliebe sowie freie Entfaltung erkennen. Diese stehen alle in engem Bezug zueinander, indem der Proband Kausalitätsbeziehungen zwischen ihnen herstellt. So ist für ihn beispielsweise das korrekte wissenschaftliche Arbeiten ausschlaggebend für Reputation. Die freie Entfaltung thematischer Vorlieben war für den Probanden möglich, weil er viele Erfahrungen im Studium sammeln konnte. Ebenfalls geprägt ist der Berufshabitus vom Wahrnehmungsschema der Belastung sowie den Bewertungsschemata des Qualitätsverlusts in der Forschung und des ursprünglichen Einflusses äußerer Faktoren. Auch hier bestehen Kausalitäten zueinander. So lässt sich beispielsweise erkennen, dass für den Probanden der Qualitätsverlust in der Forschung auf die hohe Belastung aufgrund der zunehmend komplexen Aufgabenbereiche zurückzuführen ist. Für die Zunahme dieser Belastung macht er die Wissenschaftspolitik verantwortlich. Ebenso führt er weitere wichtige Entscheidungen und berufliche Entwicklungen auf äußere Umstände

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zurück, wie den Zugang zu Archivgut und damit die Möglichkeit der Bearbeitung eines bestimmten Forschungsthemas oder die Notwendigkeit der Veränderung politischer Rahmenbedingungen für Verbesserungen im Wissenschaftssystem. Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Proband 05 Proband 05 befindet sich im Konstrukt des sozialen Raums im Feld der Wissenschaft. Als Mitglied dieses Feldes teilt er Dispositionen, die als spezifisch für das interne Feld der universitären Wissenschaft angesehen werden können – wie die Ansicht, dass das Streben nach einem Lehrstuhl der »normale Karriereweg« sei. Diese Disposition sorgt dafür, dass der Proband abhängig von der erfolgreichen Qualifikation mittels der Habilitation ist. Dieses institutionelle Kapital ist die Voraussetzung, um diesen Karriereweg einschlagen zu können. Er handelt hier nach den Erwartungen im Feld, was sich auch in seiner Formulierung »der vorgeschriebene Karriereweg« widerspiegelt. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch das inkorporierte Kulturkapital: Um Stellen zu erhalten, muss der Proband Fähigkeiten und Kompetenzen vorweisen können. Daher orientiert sich eins seiner zentralen Denk- und Handlungsmuster an der Professionalisierung. Mithilfe der Aufstellung in Bezug auf Themen und Tätigkeiten gelingt es ihm, eine Vertretungsprofessur zu bekommen. Zugleich sorgt aber diese Professionalisierung, die mit einer starken Spezialisierung einhergeht, für eine sehr homogene berufliche Perspektivität. Der starke Wunsch des Probanden, im Bereich der universitären Geschichtswissenschaft zu bleiben, erklärt sich mit dem Blick auf die Alternativen: Außerhalb der Wissenschaft könnte sich die starke Spezialisierung als Nachteil erweisen. Hinzu kommt mit der langen Zeit an der Universität durch Promotion und Habilitation das Alter, das beispielsweise in der freien Wirtschaft häufig ein Einstellungs-Hindernis darstellt. Die Spezialisierung und der Aspekt des durchgehenden Lebenslaufs ohne Bruch nach über 12 Jahren an der Universität wird nirgends so stark honoriert wie in der Universität selbst. Das inkorporierte Kulturkapital, das der Proband mit der Professionalisierung erlangen konnte, kann ebenfalls nur in diesem Bereich im vollen Maße eingesetzt werden. Das Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz sorgt allerdings dafür, dass für den Probanden ein zeitlich bedingter Handlungsdruck besteht: Nach 12 Jahren kann er nicht mehr direkt an der Universität arbeiten. Sein bisher angehäuftes inkorporiertes Kulturkapital »verfällt« in dem Sinne, dass es nur noch in ökonomisches Kapital im Sinne einer Stelle investiert werden könnte, wenn der Proband eine Professur oder eine andere Form einer entfristeten Arbeitsstelle bekommt. Um diese Investitionsmöglichkeit zu erhalten, muss der Proband zuvor vollen Einsatz bringen – immer mit dem Risiko verhaftet, am Ende doch keine Professur zu erlangen. Genau dieses Verhalten – voller Einsatz bei geringen Aussichten auf Erfolg – scheint in Bezug auf die Äußerungen des Probanden völlig normal im Feld der

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universitären Wissenschaft zu sein. Der Proband spricht resigniert von den Bedingungen, unter denen er seine Qualifikationsarbeit fertigstellt: »Also, auch bei der Doktorarbeit: Ich hatte quasi eine halbe Stelle, aber natürlich wird erwartet – also, wie will man in einer halben Stelle –? Das heißt, vor allen Dingen, in dieser halben Stelle müssen Sie, wissen Sie ja selbst, dass die geht ja nicht drauf dafür, dass man wissenschaftlich arbeitet. Die geht dafür drauf, die ganzen Termine, die man hat, die ganzen Sitzungen, man muss auch für seinen Chef was machen, am Lehrstuhl was arbeiten – selbst das schafft man ja in einer halben Stelle nicht. Als Doktorand war das Arbeiten vielleicht 60 Stunden. Und die Arbeit an der eigentlichen Doktorarbeit, das muss man halt abends machen. Oder halt, nachdem die anderen Sachen sind oder man macht das so kombiniert, das werden dann wahrscheinlich die meisten machen, das ist ja ganz klar. Man kann das dann schwierig trennen.« In dieser Passage wird deutlich, dass der Proband sich den Erwartungen, die er empfindet, beugt. Er verweist auf die Unmöglichkeit des Trennens der Aufgaben für den Lehrstuhl und der eigenen Qualifikationsarbeit – zugleich trennt er sie aber doch, wenn er zuhause den Großteil der Forschungsarbeit und während der Arbeitszeit die Aufgaben der akademischen Selbstverwaltung, der Lehre und für den Chef erledigt. Das Anhäufen des eigenen inkorporierten Kulturkapitals ist Privatsache. Er braucht es jedoch, um das nötige institutionelle Kulturkapital zu erhalten, mit dem er den erwarteten Karriereweg zur Professur einschlagen kann. Dabei ist die erfolgreiche Qualifikation des Probanden auch abhängig von den Entlastungsmöglichkeiten von den vielen Aufgaben, die er zusätzlich erfüllen muss. Daher kommt auch die Wahrnehmung eines Qualitätsverlustes in der Forschung. Um Stellen für Hilfskräfte zu schaffen, muss der Proband Drittmittel einwerben. Das heißt, er muss zunächst die damit verbundene Arbeitsbelastung auf sich nehmen, um eine Entlastung schaffen zu können. Damit Forschung aber überhaupt möglich wird, reichen auch die Entlastung und das inkorporierte Kulturkapital des Probanden nicht aus. Er benötigt ökonomisches Kapital in Form von Forschungsmitteln, um sein Handwerk ausüben zu können. Dieses kann er wiederum nur über Drittmittel bekommen. Um erfolgreich Drittmittel einzuwerben, benötigt er soziales Kapital sowie auch objektiviertes Kulturkapital. Denn er führt aus, dass den Drittmittel-Gebern Publikationen wichtig sind – und zwar nicht irgendwelche Publikationen, sondern am besten internationale. Das bedeutet, für die erfolgreiche Einwerbung der Drittmittel benötigt der Proband symbolisches Kapital in Form internationaler Publikationen. Aus den Erzählungen des Probanden geht weiterhin hervor, dass für die Publikationen als objektiviertes Kulturkapital wiederum ökonomisches, aber auch soziales Kapital notwendig sind. Das ökonomische Kapital ist nötig für die Publikation in renommierten Verlagen. Das soziale Kapital ist von großem Vorteil, will man

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einen Artikel in internationalen Zeitschriften platzieren. Das daraus resultierende objektivierte Kulturkapital kann dem Probanden die nötige Reputation verleihen, die für bessere Chancen bei der Einwerbung von Drittmitteln sorgt. Der Proband ist in der Praxis der Machtoptionen somit dem Willen der Drittmittel-Geber ausgesetzt und kann seine Kapitalarten nur entsprechend dem Machtverhältnis einsetzen. Dieses Machtverhältnis besteht in der starken Einflussmöglichkeit der Drittmittel-Geber auf die Forschung an den Universitäten, weil diese auf die Gelder angewiesen sind, um ihren Kernaufgaben gerecht zu werden. Entsprechend hat der Sonderforschungsbereich für den Probanden eine besondere Bedeutung. Denn durch diesen stand dem Probanden für seine Forschung genügend ökonomisches Kapital zur Verfügung, das er in seine Forschung und damit in die Vermehrung des inkorporierten kulturellen und institutionellen Kapitals investieren konnte. Durch die Publikationen im Sonderforschungsbereich konnte er außerdem mehr objektiviertes Kulturkapital schaffen. Damit verbunden war zugleich die Anhäufung von sozialem Kapital, das ihm im Peer-Review-Prozess zum Veröffentlichen von Aufsätzen nützlich ist. Soziales Kapital ist zudem wichtig für den freien fachlichen Austausch, den er aufgrund des Konkurrenz- und Hierarchieverhältnisses an der eigenen Universität nur mit Kollegen aus anderen Universitäten haben konnte. Das symbolische Kapital dient dem Probanden als Distinktionsmerkmal zu anderen Akteuren im universitären wissenschaftlichen Feld. Denn durch seine Reputation, die er durch wichtige Publikationen erlangt und die er mithilfe des sozialen Kapitals veröffentlichen kann, ist es ihm möglich, sich von anderen Akteuren im Feld zu unterscheiden. Die Distinktion, die der Proband gegenüber anderen Bereichen im Feld der Wissenschaft einnimmt, sorgt zugleich dafür, dass er in seinem Feld als Mitglied anerkannt wird. Denn er teilt die Dispositionen im universitären wissenschaftlichen Feld über das wissenschaftliche Arbeiten. Dass diese allerdings spezifisch für dieses Feld gelten, ist ihm bewusst: Er ist entsprechend bereit je nach den Regeln des Feldes, in dem eine Geschichtsschreibung entsteht, spezifische, nur für den universitären Raum geltende Regeln aufzugeben. Allerdings könnte er sie nicht komplett aufgeben, da ansonsten seine Reputation gefährdet wäre. Dementsprechend sieht der Proband die Konsequenzen, die ein Verstoß gegen die Regeln hätte, als »richtig so« an. Das Ende der Karriere und damit ein Ausschluss aus dem Feld der universitären Wissenschaft wäre die Folge. Gäbe es diese Konsequenz nicht, wäre das Streben nach der universitären Profession einerseits sinnentleert. Andererseits würden sich die Akteure im Feld der universitären Wissenschaft handlungsunfähig machen, wenn es nicht einen gewissen Toleranzgrad gäbe, wie Proband 05 ihn zeigt. Nach seinen Aussagen sind die Akteure in der universitären Geschichtswissenschaft bereits ihrer Autonomie de facto beraubt. Ohne andere Akteure im Feld der Wissenschaft – wie beispielsweise aus der Wissenschaftspolitik – können sie den gemeinsamen Erwartungen nicht mehr gerecht

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werden. Dies zeigt sich zum Beispiel in der vom Probanden geschilderten sozialen Praxis, dass Themen erforscht werden, die nicht in erster Linie innovativ, sondern ökonomisch sind. Der Proband verwendet kein Kapital, um an den von ihn kritisierten Umständen im Wissenschaftssystem etwas zu verändern. Seine Machtoptionen bestehen darin, sich entweder den geltenden Regeln zu beugen oder sich gegen sie aufzulehnen. Der Habitus des Probanden zeigt, dass er sich den Regeln beugt. So zeigt der Proband ein Denk- und Handlungsmuster der Resignation, wenn er die Arbeitsbedingungen kritisiert, aber sie zugleich akzeptiert. Würde er nicht resignieren bzw. sich gegenüber den Regeln auflehnen, dann hätte er nur die Möglichkeit aus dem Feld der universitären Wissenschaft auszutreten. Seine Machtoptionen würden keine andere Möglichkeit zulassen. Würde er beispielsweise seine Arbeitszeit auf die Qualifikationsarbeit fokussieren, käme die eigentliche Hauptarbeit, das Einwerben von Drittmitteln, zu kurz. Dann aber hätte er keine Mittel, um überhaupt Forschung betreiben zu können. Diese entscheiden jedoch über seine vertikale Position im Feld. Das inkorporierte Kulturkapital ist zwar wichtig, um seinen Status als professioneller Historiker legitimieren und damit seine horizontale Position im sozialen Raum einnehmen zu können. Dies reicht aber für seine Machtoptionen nicht aus. Im Feld der universitären Wissenschaft muss der Proband Drittmittel einwerben, um überhaupt seiner Profession nachgehen zu können. Gleichzeitig muss er für die Drittmittel vor allem soziales Kapital besitzen, um objektiviertes Kulturkapital im Sinne von Publikationen vorweisen zu können. Letztlich braucht er daher soziales Kapital, um symbolisches Kapital zu erhalten, das DrittmittelGeber von der Förder-Würdigkeit der Forschungsprojekte überzeugt. Es zeigt sich somit, dass für das Agieren des Probanden im Feld der universitären Wissenschaft vor allem soziales und objektiviertes Kapital den höchsten Wert besitzen, um seine Machtposition zu verstetigen bzw. zu verändern. Institutionelles und inkorporiertes Kulturkapital spielen eine untergeordnete Rolle, da sie für die Machtoptionen des Probanden innerhalb des Feldes nicht ausschlaggebend sind.

4.4.6

Dokumentarische Interpretation Proband 06

Zusammenfassender Überblick der Berufsbiografie Der Proband studierte zunächst das Fach Umwelttechnik an einer Fachhochschule. Nach zwei Semestern wechselte er jedoch an eine Universität und studierte dort die Fächer Geschichte und Sozialwissenschaften im Studiengang Bachelor of Arts. Nach dem Bachelorabschluss studierte er das Fach Geschichte im Studiengang Master of Arts. Während seines Studiums arbeitete er an der Universität als studentische Hilfskraft und Tutor. Er absolvierte außerdem ein Pflichtpraktikum bei einer politischen Stiftung und ein dreimonatiges Auslandspraktikum. Nach

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dem Studienabschluss war der Proband drei Monate lang arbeitslos und arbeitete dann zwei Jahre lang im Unternehmensarchiv seines späteren Arbeitgebers. Nach diesen zwei Jahren entschloss er sich, eine Dissertation zu schreiben. Parallel arbeitete er im Archiv der Universität, an der er promovierte. Nach drei Jahren schloss er seine Promotion ab und arbeitete anschließend im Sammlungsmanagement des Unternehmensmuseums, in dessen Archiv er bereits gearbeitet und über das er seine Dissertation geschrieben hatte. Nach weiteren zwei Jahren wurde er durch die Umstrukturierung der Unternehmensorganisation zum Bereichsleiter für Kommunikations- und Pressearbeit und übernahm faktisch die Museumsleitung. Der Proband war zum Zeitpunkt des Interviews 36 Jahre alt. Thematischer Verlauf und Auswahl zu transkribierender Interviewabschnitte Zu Beginn erzählt der Proband von seinem Weg nach dem Abitur über den Wehrdienst bis zum Geschichtsstudium. Er berichtet von seinem Studium und seinen Erfahrungen, die er während zu absolvierender Praktika sammelte. Daraufhin führt er aus, dass er neben dem Studium sowohl außeruniversitär als auch innerhalb der Universität gearbeitet hatte. Der Proband berichtet dann von seinen Erfahrungen, die er während eines freiwilligen Praktikums bei einer politischen Stiftung sammelte. Daraufhin schildert er seinen Entscheidungsprozess zwischen Lehramt und Fachwissenschaft als Studiengang im Masterstudium. Es folgt seine Begründung für die Entscheidung seines Masterarbeitsthemas über das Unternehmen, in dem er gegenwärtig eine leitende Funktion innehat. Daraufhin erzählt der Proband von der Zeit seines Studienabschlusses und der anschließenden Suche nach Arbeitsstellen. Er schildert, wie er nach längerer Suche und Unsicherheiten bezüglich seiner beruflichen Ausrichtung schließlich eine vorübergehende Beschäftigung im Unternehmensmuseum erhielt. Dem schließt sich eine Passage an, in der er über den weiteren Entscheidungsprozess während der befristeten Anstellung im Museum berichtet und an dessen Ende die Entscheidung zur Promotion stand. Es folgt die Erzählung darüber, wie der Proband zum Thema, zur Betreuung und zur Finanzierung seiner Promotion kam und anschließend schildert er die Organisation seines Arbeitsalltags während dieser Zeit. Im Anschluss an diese Passage schildert der Proband sein Verhältnis zum Sohn des Unternehmensgründers und wie er nach der erfolgreichen Promotion seine erste feste Anstellung im Unternehmensmuseum erhalten konnte. Er erzählt von der Arbeit auf dieser Stelle und schildert seine Tätigkeiten. Dann berichtet der Proband vom Angebot, die Museumsleitung zu übernehmen und stellt die damit verbundenen Tätigkeiten dar. Zudem erzählt er von den unterschiedlichen Beziehungen, die zwischen ihm und dem wissenschaftlichen und dem nichtwissenschaftlichen Personal bestehen.

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Es folgt eine exmanente Frage, über das Selbstverständnis des Probanden in seiner Rolle als Historiker. Der Proband erzählt daraufhin von seiner Wahrnehmung von anderen, die ihn als Historiker sehen und wie er damit umgeht. Dann schildert er Tätigkeiten, die seiner Meinung nach noch immer als typisch für Historiker gelten und die er noch ausübt. Es folgt eine weitere Frage darüber, wie sich das Selbstverständnis des Probanden als Historiker konstituiert und gewandelt hat. Der Proband reflektiert daraufhin sein Historikerbild und erläutert, woher dies kommen könnte. Anschließend antwortet der Proband auf die Frage, ob seine Rolle als Experte wichtig für die Entscheidung des Unternehmens war, ihm die Forschung über selbiges zu gestatten. Zum Schluss reflektiert der Proband seinen beruflichen Werdegang und beurteilt seine Entscheidungen und sein Handeln. Auf die abschließende Frage über Wünsche für die Zukunft äußert der Proband seine Dankbarkeit für das Erreichte und reflektiert nochmals über seinen Werdegang. Ein Großteil des Gesprächs ist für die Analyse nutzbar.33 Rekonstruktion des Berufshabitus von Proband 06 Der berufliche Habitus von Proband 06, der sich durch das Gespräch rekonstruieren lässt, ist geprägt durch seine Erfahrungen, die er auf der Suche nach Arbeitsstellen machte. Zunächst lässt sich als ein Merkmal des Berufshabitus ein Denk- und Handlungsmuster erkennen, das sich an eigenverantwortlichem Handeln orientiert. Die Aussagen des Probanden zeigen dieses Muster vor allem, wenn es um das Erzeugen und Ergreifen von Chancen geht. Er schildert die Suche nach einem Betreuer für seine Promotion als aktiven Zugang seinerseits: »[…] und da bin ich dann auch einfach mal aufgeschlagen. Und habe dann mit dem neuen Professor einfach gesprochen und gesagt: ›So hier, so sieht es aus. Ich hätte da ein Thema, was irgendwie interessant sein könnte, eben der Unternehmensgründer als Thema.‹« Der Proband ergriff die Initiative, nachdem er für sich die Notwendigkeit der Promotion erkannt hatte, und kümmerte sich um eine Umsetzungsmöglichkeit. Dementsprechend schildert er auch den Erkenntnisprozess über die Notwendigkeit der Promotion. Statt sich auf die Maßnahmen des Arbeitsamts zu verlassen und auf mögliche positive Rückmeldungen auf Bewerbungen zu warten, ergriff der Proband selbst die Initiative, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Von den Bewerbungsmaßnahmen hält er nichts, denn: »Da meldet sich aber nie einer. Das können Sie vergessen, also – Da muss man halt auch aktiv werden.« 33

1b) Formulierende Interpretation der Interviewabschnitte, 2a) Formale Interpretation mit Textsortentrennung und 2b) Semantische Interpretation mit komparativer Sequenzanalyse siehe Materialband.

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So nutzte der Proband auch die Chance, die sich ihm nach der Abgabe seiner Dissertation zeigte. Er fragte den Sohn des Unternehmensgründers, zu dem er mittlerweile einen guten Kontakt pflegte, nach einer möglichen Stelle: »Und dann hatte ich die Situation damals dann auch genutzt und gesagt, also, bin ich direkt – […] Und da habe ich ihm gesagt: »Ich habe jetzt mein gesamtes Berufsleben, das noch nicht sehr alt ist (lachen) sozusagen, damit verbracht, mich mit Ihrem Namen, beziehungsweise mit Ihrem Vater und mit dem alles, was er gemacht hat, mich auseinanderzusetzen. Wenn Sie eine Möglichkeit sehen sozusagen, dass ich das irgendwie fortsetzen könnte, lassen Sie es mich wissen.« Die Orientierung an Eigenverantwortlichkeit wird hier durch die Darstellung des Probanden deutlich. Die Initiative geht von ihm aus. Er erzählt in Form der wiedergegebenen Rede von der Anfrage und stellt an das Ende dieser wiedergegebenen Rede eine sanfte Aufforderung. Die Argumentation wirkt zudem wie eine Rechtfertigung der Anfrage an den Sohn des Unternehmensgründers und macht zugleich den Vorzug einer möglichen Anstellung deutlich, woran sich die sanfte Aufforderung anschließt. Der Proband handelt nach der Überzeugung, dass die Optionen, die durch Chancen geboten werden, von der aktiven Einbringung der eigenen Person abhängen. So bezeichnet er beispielsweise die Vorgabe der Universität, ein Pflichtpraktikum machen zu müssen, als »Anstupser«, »aber das, was man dann hinterher draus machte, das liegt dann eben in der eigenen Hand, in Anführungszeichen.« Ebenso verhält es sich bei der Reflexion auf die Berufslaufbahn. So empfindet der Proband viele Möglichkeiten als »Zufälligkeiten«, die aber nur dann als Chancen gelten, wenn man Eigeninitiative einbringt, damit sich diese als Chance auch tatsächlich nutzen lassen: »Dass ich dann hinterher an der Uni, als ich am Uni-Archiv diesen Job bekommen habe, das waren immer irgendwie Zufälligkeiten. Aber das bedingt sich. Man kann ja keine Kausalitäten herstellen oder so, aber es bedingt sich irgendwie, ist mein Eindruck. Ohne Initiative hat man dann auch kein Glück, in Anführungszeichen. Sonst wird das nichts, also, das ist mein Eindruck.« Das Denk- und Handlungsmuster von eigenverantwortlichem Handeln zeigt sich außerdem, wenn es um die Optimierung von Fähigkeiten und Kompetenzen geht. Dies hängt für ihn auch mit der Optimierung von Chancen zusammen, wovon die Erzählung des Probanden über Kommilitonen zeugt, die zwar fachlich sehr gut waren, aber nicht richtig handelten, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern: »[…] aber mein Eindruck war auch, jetzt gerade auch an meiner alten Uni oder so, das waren auch viele, die waren unheimlich fachlich gut. Aber die haben das

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nicht verstanden, dass man nicht nur schreiben können muss, um dann hinterher irgendwo einen Job zu bekommen. Das haben die, das konnten die nicht. Verstehe ich nicht. Aber man muss da irgendwie, man muss in die Praxis gehen und kommen.« Hier wird zudem deutlich, dass es aus Sicht des Probanden wichtiger ist, Erfahrungen zu sammeln als eine gute fachliche Qualität vorzuweisen. Hinzu kommt, dass der Proband die Orientierung an Eigenverantwortlichkeit mit seiner sozialen Herkunft in Verbindung bringt. So führt er sein Bestreben, neben dem Studium zu arbeiten, auf seine Herkunft aus einer Handwerker- und Arbeiterfamilie zurück. Er sieht darin auch den Grund, weshalb er bestimmte nützliche Fähigkeiten besitzt: »Das war, glaube ich, ein großer Vorteil bei mir persönlich, dass ich das ja irgendwie so ein bisschen mitbekommen habe sozusagen. Also, das – Ich bin kein Handwerker, in Anführungszeichen, aber man hat da irgendwie so die Denke mit […].« Der Proband zeigt somit in Verbindung mit dem Denk- und Handlungsmuster der Eigenverantwortlichkeit auch eine positive Reflexion seiner sozialen Herkunft. Eigenverantwortlichkeit kommt auch in der Sequenz zum Ausdruck, als der Proband über seine Tätigkeit im Sammlungsmanagement erzählt. So schildert er die Phase, in der er »on Tour« ging, um die Arbeit von anderen Museen kennenzulernen und sein Wissen weiter auszubauen als ein deutlich von ihm ausgehendes Engagement: (1) »Also ich war dann in Berlin, habe mir dort das Handling angeguckt«, (2) »Habe mir da viel abgeguckt. Ich war bei den großen Nummern, in Anführungszeichen«, (3) »Und habe mich da orientiert und umgeguckt und schlau gemacht und so weiter.«, (4) »Also, da haben wir in der Zeit, sozusagen so in eineinhalb Jahren, haben wir da echt gut was neu strukturiert.« Der Proband stellt sich als Agens dar, das von sich aus die Handlungen vollzieht, ohne von anderen dazu aufgefordert zu sein. Dies gilt auch für den letzten Beispielsatz, in dem er in der 1. Person Plural spricht und seinen Mitarbeiter und sich meint. Und auch wenn es um Führungskompetenz geht, agiert der Proband nach dem Muster des eigenverantwortlichen Handelns, wie es in der Passage über die erste Anstellung im Unternehmensarchiv deutlich wird: »Also, ich hatte dieses Projekt, wie gesagt, hatte dann noch jemanden quasi an der Hand. […] Und dann wurde mir diese junge Frau da damals zugeteilt und die durfte dann da für mich digitalisieren. So, das war natürlich dann super und dann konnte ich auch irgendwie nach eineinhalb Jahren da ganz gut was vorweisen […].«

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Der Proband spricht hier von einem Resultat, das der Arbeitssituation, in der er als Verantwortlicher agierte, zu verdanken ist. Das Denk- und Handlungsmuster der Eigenverantwortlichkeit liegt auch der Darstellung des Probanden von Anstrengungen und Aufopferungen zugunsten guter Referenzen zugrunde: »›Ok, komm, ich bin dazu bereit dann eben wegzugehen längere Zeit, ich bin dazu bereit, Abendveranstaltungen zu machen für die politische Stiftung damals, oder eine Tagesveranstaltung zu machen.‹ Auch am Wochenende, wo andere dann halt, ja, sich da nicht drum gekümmert haben sozusagen. Weil, quasi um als Historiker hinterher einen Job zu bekommen, muss man das einfach tun, muss man das machen. Und ohne dehnen geht es gar nicht.« Der Proband spricht hier von einer Aufopferung, die über das normale Maß hinaus geht und für ihn zugleich als etwas Normales gilt, weil er es auf der Basis des Musters der Eigenverantwortlichkeit darstellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Proband aufgrund dieses Musters Aufopferung als generell positiv oder legitim ansieht. Denn wie sich in der Passage über die Reflexion der Berufslaufbahn zeigt, ist es für ihn wichtig, Prioritäten zu setzen und entsprechende Entscheidungen zu treffen: »Man nimmt vieles als viel zu selbstverständlich hin. Egal, ob es beruflich dann ist, dass man dann eben einen guten Job hat. Oder gesundheitlich, privat. Das merkt man dann erst, wenn es wegfällt. So. Also, wenn es nicht da ist. Also, ich hatte beispielsweise Promotion, das war eine stressige Zeit. Ich hatte dadurch einen Bandscheibenvorfall. […] Aber so, da war ich mal acht Wochen komplett raus. Ich konnte nicht arbeiten gehen, ich konnte nicht schreiben. Ich war auf Schmerzmittel, hohe Schmerzmitteldosis. Und das war richtig blöd, so. Und das darf man nie vergessen, dass das so schlimm – alles ist so fragil. Und da muss man immer vorsichtig sein.« Aus seiner Erfahrung heraus spricht der Proband hier von seiner Überzeugung, dass es nötig ist Grenzen zu setzen, was für ihn in der Verantwortung des Einzelnen liegt. Das Denk- und Handlungsmuster des eigenverantwortlichen Handelns wird außerdem deutlich, als der Proband von seinem Studienfachwechsel erzählt. Er berichtet, dass er sich um die Einschreibefristen »gar nicht drum gekümmert« habe. Dementsprechend schildert er auch die Konsequenzen und sagt, er habe »Glück« gehabt und alles sei »ganz knapp« gewesen. Das Muster zeigt sich demnach hier, weil er diese Situation als eine schildert, in der er nicht danach gehandelt hat und daher nur noch durch »Glück« den Wechsel rechtzeitig vollzogen hat. Letztlich wird das Denk- und Handlungsmuster auch deutlich, als er über die Verweigerung von Arbeitslosengeld durch das Arbeitsamt aufgrund eines Formfehlers spricht:

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»Das ist auch ein Ding. Da kriegt man nämlich überhaupt kein Arbeitslosengeld, weil ich habe zwar gearbeitet vorher, aber ich hätte noch vor dem Studium hätte ich irgendwie, sagten die mir da, hätte ich noch irgendwie – also, irgendwas fehlte da. Das war total bekloppt. […] Also, Hartz IV hätte ich beantragen müssen, damals. Musste ich zum Glück nicht, da ich ja, wie schon gesagt, auch während dieser ganzen Zeit habe ich noch immer gearbeitet nebenher. Also, jetzt entweder an der Uni als SHK oder als Tutor da oder ich habe immer zugesehen, dass ich da noch irgendwo einen 450 Euro-Job hatte. Aber das war echt eine Frechheit.« Die Empörung des Probanden beruht darauf, dass er immer nebenher gearbeitet hatte. Daher läuft die Reaktion des Arbeitsamts seinem Muster von eigenverantwortlichem Handeln zuwider, da der Proband mit diesem die Optimierung von Chancen verbindet. Der Formfehler als entscheidender Faktor führt dieses Muster ad absurdum und löst bei dem Probanden eine entsprechend negative Reaktion aus. Mit dem Denk- und Handlungsmuster des eigenverantwortlichen Handelns ist ein weiteres Muster eng verknüpft: Das der Pragmatik. Denn es zeigt sich, dass der Proband sein eigenverantwortliches Handeln mit strategischen Überlegungen verbindet. So ergänzt er beispielsweise die Sequenz über seine Suche nach einem Betreuer für die Dissertation durch die vorteilhaften Zusammenhänge, die sich durch die Betreuung für den Professor ergaben: »Der Professor kam ja quasi gerade da von extern sozusagen und war eigentlich natürlich, so war mein Eindruck, natürlich jetzt erstmal ganz froh: Ok, dann habe ich ja schon sozusagen ein Projekt als Prof. Und ich glaube auch, als er sich dann da umgeschaut hat und auch hier, weil die Uni und das Unternehmen in der Stadt ja sehr eng verwoben sind. Und man sieht ja auch, dass der damalige Präsident, der Uni-Präsident, ist ja dann auch in die Stiftungen quasi in den Vorstand gewechselt. Also, da gibt es ja schon enge Verknüpfungen und, so war mein Eindruck damals, war der Professor eigentlich auch ganz angetan von dieser Idee, dass da etwas entstehen könnte am Historischen Institut, das sich eben mit diesem Thema befasst.« Vom gleichen Muster ist anschließend die Schilderung über die Verhandlungen mit der Unternehmerfamilie über die Forschungsarbeit geprägt. Der Proband stellt hier seine Erfahrung mit dem Thema durch seine Masterarbeit und seine Arbeit im Unternehmensarchiv in den Fokus der Erzählung: »›So, ich habe jetzt zwei Jahre hier was bei euch gemacht. Wollt ihr das, in Anführungszeichen, also, können Sie sich das eventuell vorstellen, dass die Arbeit, die ich jetzt gemacht habe, Masterarbeit und quasi diese Quellen erschlossen‹, die mir dann ja alle irgendwie präsent waren im Kopf, ›wäre das nicht vielleicht eine

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Möglichkeit, darüber nachzudenken über das Thema des Unternehmensgründers eine ordentliche Biografie zu schreiben?‹« Darüber hinaus zeichnet sich bei der Darstellung der eigentlichen Entscheidung zur Promotion ein pragmatisches Denk- und Handlungsmuster ab. Der Proband sieht nur durch die Promotion eine Chance auf eine gute Stelle: »Ja, denn mit Geschichte allein sozusagen nur mit Magister- und Masterabschluss kommt man ja in der Regel auch nicht ganz weit. Das ist ja in diesem Berufsfeld leider so. Während man ja, was weiß ich, jetzt nicht unbedingt einen DoktorIngenieur braucht, sondern Diplom-Ingenieur reicht ja allemale aus, um Geld zu verdienen oder einen Job zu bekommen. So braucht man ja eigentlich in den Geisteswissenschaften, braucht man eigentlich einen Doktor, um da irgendwie weiterzukommen.« Die Entscheidung zur Dissertation steht hier in Verbindung mit der strategischen Überlegung, wie der Proband seine berufliche Perspektive gestaltet. Hinzu kommt, dass er später erzählt, er sei sich vor dem Studium nicht bewusst gewesen, dass eine Promotion notwendig für eine gute Stelle im Bereich der Geisteswissenschaften sei. Und dies, obwohl er zuvor sagt, er habe sich im Bewusstsein über die Unsicherheit entschieden, die das Studium des Faches Geschichte mit sich bringt. Das deutet darauf hin, dass der Proband sich der Lösung des ihm bewussten Problems erst annahm, als er sich in einer konkreten Situation befand, die eine Lösung erforderte. Die Schilderung der Entscheidung für den Studienfachwechsel an sich ist zudem ebenfalls von einem pragmatisch orientierten Denk- und Handlungsmuster geprägt. Der Proband spricht von seinem Besuch eines Geschichtsseminars an einer anderen Universität, bevor er sich endgültig für den Wechsel entschied: »Ach so, nee, vorher habe ich noch, da war ich nämlich noch an der Uni hier in der Stadt und hatte mich dann einfach mal just for fun in eine Geschichtsübung damals reingesetzt. Einfach so. Bin ich einfach hingegangen, habe mich da reingesetzt und habe gesagt: »So, jetzt hier, ich wollte mir das mal angucken.« Dann wurde das halt, wie das so ist, in so einer Übung, da wurden halt Texte besprochen und so. Dann habe ich mir das angeguckt und dachte: Joa, das ist eigentlich – so kann ich mir das vorstellen irgendwie. Und genau, das hatte ich dann im Vorfeld noch gemacht, sozusagen vor diesem ganzen Wechsel an die neue Uni.« Mit dem Einschub dieser Erzählsequenz fokussiert er, dass seine Entscheidung nicht nur »aus dem Bauch heraus« getroffen wurde, sondern erst nachdem er sich ein Bild von dem gemacht hatte, was auf ihn zukommen könnte. Es fällt auf, dass das pragmatisch geprägte Denk- und Handlungsmuster sich zeigt, wenn das Muster des eigenverantwortlichen Handelns an seine Grenzen aufgrund der inhaltlich geschilderten Begebenheiten stößt. Dies ist der Fall, als der

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Proband von der Situation über die Anschlussmöglichkeiten nach seiner auf zwei Jahre begrenzten Tätigkeit im Unternehmensarchiv berichtet. Trotz aller Eigeninitiative befand er sich in einer Situation, in der er immer wieder zum Arbeitsamt musste. Durch die dortigen Jobangebote, so erzählt er, kam er zu dem Schluss, dass er für eine gute berufliche Perspektive eine Promotion benötigt. In der Darstellung spielt eigenverantwortliches Handeln keine Rolle mehr, stattdessen schildert er die Situation als eine, die es notwendig machte, die Promotion anzustreben. Generell zeigt sich bei den Sequenzen, in denen der Proband Bezug auf seine berufliche Perspektive nimmt, das Muster pragmatischen Handelns. Dies ist der Fall, als er von der Wertlosigkeit des Bachelors spricht. Dieser Erkenntnis geht seine Schilderung über den guten Start ins Studium und seinen Studiengang voraus. Als er zu dem Satz »Und dann hatte man dann eben den Bachelor sozusagen als Ziel vor Augen« kommt, schließt er an mit: »Das wusste ja damals keiner, was heißt das überhaupt. Kann ich damit schon irgendwas machen hinterher in der Industrie? Hat sich dann ja bewahrheitet, dass man damit überhaupt nichts machen kann.« Dann springt er zurück zu seiner chronologischen Erzählweise und berichtet über das Praxissemester im Studium. Das pragmatische Denk- und Handlungsmuster setzt sich hier durch, als er vom Bachelor-Abschluss als Ziel spricht, das ihm berufliche Perspektiven eröffnen soll. Pragmatisch orientiert ist auch die Darstellung der Sequenz, in welcher der Proband von seinen Bewerbungen nach dem Studium berichtet. Er habe sich bei Unternehmen beworben, die gute Erfahrungen mit Geisteswissenschaftlern gemacht haben. Die Zusage von einem Unternehmen habe er bekommen, weil dieses Interesse an Geisteswissenschaftlern hatte: »Also die hatten auf jeden Fall Interesse, so war mein Eindruck damals, an Geisteswissenschaftlern, weil die eben redegewandt sind oft und ja.« Der Proband stellt hier sein strategisches Vorgehen während der Bewerbungsphase in den Fokus und verknüpft die Zusage zusätzlich mit einer strategisch logischen Begründung, nämlich mit seinen Fähigkeiten als Geisteswissenschaftler. Bereits bei der Wahl des Themas seiner Masterarbeit geht der Proband strategisch vor: »Und dann irgendwie muss man ja auch gucken, dass die Sonntagsbrötchen immer bezahlt werden und dann hatte ich meinen Schwerpunkt gelegt auf Unternehmensgeschichte. Unternehmens- und Unternehmergeschichte. Auch einfach vor dem Hintergrund, ja, wer könnte potenzieller Arbeitgeber denn hinterher mal sein. So, und wenn ich über die Bettelmönche hier geschrieben hätte, hätte das nur einen kleineren Kreis potenzieller Arbeitgeber interessiert.«

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Um auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben, entscheidet sich der Proband für ein bestimmtes Thema. Im Gegensatz zu den Langzeit-Kommilitonen, von denen er im Anschluss an diese Sequenz berichtet, schafft sich der Proband eine Perspektive, anstatt die Angst der Kommilitonen vor der Perspektivlosigkeit zu teilen. Was hier außerdem deutlich wird, ist ein Zwiespalt des Probanden zwischen dem Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik und seiner Vorliebe zum Fach. »Eigentlich so war meine Leidenschaft immer so Frühe Neuzeit, das fand ich immer irgendwie so spannend, so Staatenbildung und wie sich das so, fand ich immer, also irgendwie spannender. Hatte mir dann aber irgendwie gedacht: Ja, hm, am Ende des Tages mit Früher Neuzeit kannst du auch nur an der Uni bleiben.« Aufgrund der schlechten Berufsperspektive, die sich durch sein favorisiertes Themenfeld ergeben hätte, entscheidet er sich für eine andere inhaltliche Ausrichtung seiner Master- und damit Qualifikationsarbeit. Das spätere Stellenangebot für das Archiv, das er vom Unternehmen bekommt, sieht er als Bestätigung für seine Entscheidung. Denn der Proband führt das Angebot auf seine Masterarbeit zurück, durch die man im Unternehmen und dortigen Museum auf ihn aufmerksam geworden sei. Der Zwiespalt zwischen Vorliebe zum Fach und dem Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik zeigt sich auch in der Sequenz über die Entscheidung zum Masterstudiengang. So erzählt er von »alle[n]«, die ihm rieten, auf Lehramt zu studieren, damit er »was in der Tasche« habe. Dieser Ansicht stimmt er zu: »was auch eigentlich nicht falsch ist«. Dennoch entschied er sich gegen das Lehramt und erzählt dies, ohne weiter darauf einzugehen: »[…] und da hatte ich mich aber gegen entschieden und bin, wie gesagt, mit diesem fachwissenschaftlichen Master Geschichte dann angefangen […]«. Er bedient sich hier keiner strategischen Überlegungen. Seine Vorliebe für das Fach dominiert hier die zuvor auf pragmatischem Muster basierende Schilderung über die Ratschläge seiner Bekannten. Er geht nicht näher auf den Widerspruch ein, den er durch die vorherige Zustimmung (»eigentlich nicht falsch«) und die unbegründete Entscheidung gegen das Lehramt aufmacht. Der Proband macht deutlich, dass er die berufliche Sicherheit über das Fach stellen würde, als er von seiner damaligen Überlegung spricht, eine Umschulung zu machen, falls er keine Anstellung findet. Entsprechend erleichtert reflektiert er über die Anstellung im Unternehmensarchiv: »Und das war eigentlich, joa, da war man erstmal froh und glücklich sozusagen, dass man da relativ weich gelandet war und dann zum Glück dann doch keine Umschulung oder sonst was da machen musste, damit man irgendwo einen Bürojob ergattern hätte können.«

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Die Vorliebe für das Fach und das pragmatisch orientierte Denk- und Handlungsmuster widersprechen sich allerdings, als der Proband von der bewusst überlegten Entscheidung für das Geschichtsstudium und der damit verbundenen Unsicherheit spricht: »Ich habe, wie gesagt, damals eben von diesem eigentlich sicheren Studium Diplomingenieur bin ich umgeschwenkt. Unsicherheit Geschichte, Sozialwissenschaften. So. Das war klar, das war ja dann – der Schritt war ja dann zwar überlegt und getan. Aber es war ja dennoch irgendwie was, das in die Unsicherheit führt.« Denn einerseits entscheidet er sich hier für seine Vorliebe, andererseits legt er der Darstellung der Entscheidung ein pragmatisches Denk- und Handlungsmuster zugrunde. Die bringt eine Problematik hervor, die seinen restlichen strategischen Überlegungen über die berufliche Perspektive zuwiderlaufen. Dieser Widerspruch lässt sich erklären, wenn man die Entscheidung für die Vorliebe zum Fach als Basis sieht, die er durch ein pragmatisch orientiertes Denk- und Handlungsmuster zu legitimieren versucht, gerade weil die berufliche Perspektive auf dieser Basis nicht gut ist. In Bezug auf die berufliche Perspektive schildert der Proband auch die Sequenz über die mögliche Weiterbildung zum Lehrer. Das Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik zeigt sich hier, als er die Verlängerung der Stelle im Unternehmensarchiv aufgrund der Option auf eine Anstellung als Lehrer fokussiert. Und auch hier offenbart sich der Zwiespalt zwischen der pragmatischen Orientierung und der Vorliebe für das Fach: »Also, ich war dann beim Vorstellungsgespräch und so, hatte dann eine Absage, dann kommt man auf so eine Liste dann bei denen, so bei diesen Schulen und so, dann hatte ich da eine Absage bekommen und so weiter. Irgendwie war das ja auch nicht mein Traum, Lehrer zu werden. Aber wie gesagt, es muss, irgendwie muss man ja leben.« Der Proband begründet die Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen und auch seine Bemühungen um die Option der Anstellung als Lehrer rein pragmatisch und macht zugleich deutlich, dass dies nicht aus einer positiven Überzeugung heraus geschieht. Anhand der Schilderung des Probanden über seine Arbeitsphase während der Promotionszeit lassen sich Aspekte erkennen, die sich am pragmatischen Denkund Handlungsmuster orientieren. So gibt er an, dass er die Einteilung seiner Arbeitszeit an den zwei Standorten Universität und Unternehmensarchiv deshalb veränderte, weil er nicht effektiv arbeiten konnte. Dem schließt sich ein Abschnitt über seinen Arbeitsplatz im Unternehmensarchiv an, bei dem er das Einsparen von Kosten durch die Nutzung der Unternehmensinfrastruktur fokussiert. Zudem spricht der Faktor Zeit, der in dieser Sequenz immer wieder aufgegriffen wird, für

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ein pragmatisch orientiertes Denk- und Handlungsmuster. So wird deutlich, dass es dem Probanden wichtig war, die Promotion schnell abzuschließen, da er immer wieder betont, dass seine Zeiteinteilung noch nicht optimal war: »Der Vorteil daran war wirklich, man kam voran. […] Und das war dann besser und dann habe ich aber auch gemerkt, wurde ich irgendwie auch nicht so fertig. Also so, ich dachte ich kommt schneller voran bei der ganzen Sache. […] Hatte ich das dann auch so umgestellt, in Anführungszeichen, wie ich das eben gesagt hatte, und hab dann aber so gedacht: Das reicht immer noch nicht aus. Und habe dann noch den Sonntag dazu genommen zum Arbeiten hier im Museum, um eben mit der Promotion fertig zu werden und hatte dann quasi eine Sechstagewoche. […] Jedenfalls war das eine Sechstagewoche dann und den Sonntag dazu und dann klappte das auch, dann ging das auch. Und das habe ich dann über gut drei Jahre dann durchgehalten, bis es dann fertig war. War aber echt mega anstrengend, muss ich sagen, bis das dann so geklappt hat.« Das Ziel der Fertigstellung der Dissertation steht in dieser Sequenz zudem in Verbindung mit der negativen Bewertung »mega anstrengend«, welche die pragmatische Orientierung in dieser Sequenz noch unterstreicht. Damit korrespondiert die Sequenz auch mit jenen, in denen der Proband die Promotion als Notwendigkeit für eine berufliche Perspektive darstellt. Zudem zeigt sich die Bedeutung von Disziplin für den Probanden einerseits durch die Fokussierung der Anstrengungen, die er auf sich nahm. Andererseits zeigt sie sich durch die Fokussierung auf die Zeit, die er investierte, um die Promotion möglichst schnell abzuschließen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Universitätsarchiv zeugt ebenfalls vom pragmatischen Denk- und Handlungsmuster: »Also ich glaube, die Archivarin sagte mir damals: »Kannst du nicht noch irgendwie zwei Monate länger bleiben?« Ich sage: »Kann ich. Aber ganz ehrlich: Das ist auch eine Frage des Geldes dann jetzt mal.« Dann habe ich noch einen Monat da gemacht, also, dass dann alles sauber geregelt war und das dann da auch nicht so ins Leere lief sozusagen, dass die Arbeit dann aufgefangen werden konnte und konnte dann hier anfangen und das war dann auch alles gut so.« Der Proband schildert sein Agieren als vernünftig und bestimmt. Er führt an, dass die Entlohnung eine Rolle spielte und benennt dies als Motiv für die Absage an die Bitte der Universitätsarchivarin. Gleich darauf schließt er an, dass er noch einen Monat weitergearbeitet habe. Dieser Hinweis ist aber keine Reaktion auf die Schilderung der Anfrage der Archivarin, sondern ist eine pragmatische Reaktion auf die gesamte Situation. Das pragmatische Denk- und Handlungsmuster des Probanden liegt zudem der Darstellung des Wandels vom Historikerbild zugrunde. Er definiert einen Historiker hier anhand der Tätigkeiten, die er ausübt:

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»Und gut, ist natürlich kindlich-naiv, aber so das war vielleicht, wo man so sagte: Ok, so ein Historiker, der ist dann irgendwie an der Uni und forscht dann da und dann kommen da irgendwelche Leute, so dieses kindlich-naive Bild hatte man da. So, ist klar so. Und dann kommt dann mal irgendwann mal das Fernsehen und dann steht da: Professor Doktor oder nur Doktor, Universität Sowieso, Experte für dies und jenes.« Anhand der Nachfrage zeigt sich, dass sich die Perspektive des Probanden verändert hat: »I: Ja, so naiv ist das ja gar nicht. Oder empfinden Sie sich jetzt nicht als Experte auch für bestimmte –? P06: Nee doch. Doch, doch, das schon. Aber das fand ich jetzt – also rückblickend ist es natürlich kindlich-naiv so zu sagen: Das ist das Idealbild eines Historikers. Der sitzt dann da – I: Okay, ja ja ja. Und erzählt schlaue Sachen. P06: Und erzählt was irgendwie. Sitzt dann irgendwo rum vor so einer Bücherwand. So, das war so das kindlich-naive Bild, was man dann aber irgendwie, wenn es dann ja tatsächlich so weit ist – ja, das würde ich aber nicht als Wandel bezeichnen. So war das – natürlich bin ich jetzt auch Experte, ich werde ja auch als solcher gefragt, war ja auch sogar schon mal im Fernsehen. Von daher ist das ja gar nicht so weit weg sozusagen. Aber so, das fand ich, als Kind fand ich das cool. Das war so mein kindlich-naives Bild eines Historikers. Man schreibt große, dicke Bücher, erzählt was in der Uni und kann dann noch, von Nicht-Experten wird man gefragt. Das fand ich so super. Das fand ich so: Boah, der ist Experte.« Die Faszination ist der Pragmatik gewichen. Als Kind war er von den Tätigkeiten fasziniert, als Erwachsener, der selbst die Tätigkeiten ausübt, haben diese ihre Faszination verloren. Daher empfindet er sein Historikerbild auch keinem Wandel unterworfen, da er den »Historiker« immer noch nach dem Denk- und Handlungsmuster der Pragmatik definiert, das sich hier inhaltlich nicht verändert. Auch über die Qualität der Arbeit von Historikern spricht der Proband pragmatisch orientiert. Auf die Frage, ob seine Rolle als Historiker ausschlaggebend für die Entscheidung des Unternehmensvorstands bezüglich seiner Dissertation gewesen sei, greift er den Aspekt der Ergebnistransformation auf: »Und das spielte dann eben quasi rein, dass ich dann als Historiker die Arbeit im Archiv anscheinend gut gemacht habe, sodass die dann gesagt haben: »Ok, das geht in die richtige Richtung. Das können wir uns vorstellen. Da kommen Ergebnisse bei rum.« Denn manchmal ist es ja auch so, das Bild des Historikers, der ja auch gar nicht weiß, wo er hin will sozusagen. Das ist halt wenig konkrete Arbeit oft, ist es dann. Und da hatte ich vielleicht dann so gezeigt, dass man da auch ein

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gutes Ergebnis abliefern kann, in Form von dieser digitalen Datenbank, die dann gut verwertbar sind eben auch für Dritte, so.« Die Qualität – ein »gutes Ergebnis« – verbindet er hier mit der Weiterverwertbarkeit der Ergebnisse, die er durch die Erstellung der Datenbank an etwas Konkretes knüpfen kann. Die Schilderung orientiert sich somit an den pragmatischen Aspekten der konkreten Form und der Nutzbarkeit der Ergebnisse für Dritte. Ein weiteres Denk- und Handlungsmuster des Probanden 06 ist eines, das sich an Weiterentwicklung orientiert. Davon ist beispielsweise die Passage über die Option Hartz IV geprägt: »Da habe ich ihr gesagt: »Hartz IV mache ich nicht. So viel abwarten will ich jetzt auch nicht. Ich kann jetzt eine gewisse Zeit überbrücken, das ist kein Problem, aber – » »Ja, warten Sie dennoch noch ab. Wir gucken mal. So, Interessenschwerpunkt dies und das, wo dann tatsächlich Historiker gesucht werden.« So. Und, ja gut, dann ging das hin und her. Und dann kam zum Glück dann quasi die positive Rückmeldung hier seitens des Museums.« Für den Probanden bedeutete Hartz IV Stillstand. Dieser ist für ihn aber keine Option – trotz der Vorliebe für das Fach. Entsprechend geht dieser Sequenz die Erzählung über die Überlegung zu einer Umschulung voraus. Der Proband verbindet mit dem Denk- und Handlungsmuster der Weiterentwicklung zudem Qualifikation und Professionalisierung. Daher auch seine negative Darstellung der Weiterbildung zum Lehrer: »[…] und dann hätte man da auch quasi diese Umschulung, wird man dann irgendwie so in solchen, ja, was weiß ich, so Abendkursen, so als Lehrer ausgebildet, so ungefähr. Dann wäre man dann auf die Schülerinnen und Schüler losgelassen worden. Gut, ob das jetzt ein pädagogisch ausreichendes Konzept ist, weiß ich nicht. Aber hätte gereicht.« Laut Probanden nahm er die Option also nicht wahr, weil sie für ihn eine qualitative Weiterentwicklung bedeutet hätte, sondern nur, weil sie finanziell notwendig war. Entsprechend schließt sich die Sequenz an, in welcher der Proband über die Notwendigkeit der Promotion spricht, um eine gute Anstellung als Geisteswissenschaftler zu erhalten: »Während man ja, was weiß ich, jetzt nicht unbedingt einen Doktor-Ingenieur braucht, sondern Diplom-Ingenieur reicht ja allemal aus, um Geld zu verdienen oder einen Job zu bekommen. So braucht man ja eigentlich in den Geisteswissenschaften, braucht man eigentlich einen Doktor, um da irgendwie weiterzukommen. Das ist nun mal so, also, das ist mein Eindruck irgendwie. Sonst – Das ist im Prinzip sowas wie die Diplomarbeit eben bei Ingenieuren. Wobei das natürlich nicht annähernd zu vergleichen ist.«

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Der Proband spricht den Qualifikationsgrad an, den man mit einer Promotion erreicht, der aber von ihm als gleichwertig mit der Diplomarbeit empfunden wird. Diese Ungleichheit schildert er daher auf Basis des Denk- und Handlungsmusters der Weiterentwicklung und verknüpft es zugleich mit dem der Pragmatik. Die höhere Qualifikation ist demnach notwendig, um sich berufliche Perspektiven zu schaffen. Die mit der Promotion einhergehende Professionalisierung steht für den Probanden damit nicht im Verhältnis zum Zweck, dem sie faktisch dient. An anderer Stelle spricht der Proband davon, Stellen-Optionen abgelehnt zu haben, die keine Promotion verlangten, wie ein Volontariat: »Und ein Volontariat kam für mich eigentlich eher auch nicht in Frage, weil ich hatte im Prinzip dann schon zwei Jahre am Museum oder im Museum gearbeitet. Und dann dachte ich so: Nee, wenn du jetzt so ein Volontariat machst, das ist ja auch irgendwie kein Schritt nach vorne. Ja doch, wäre auch vielleicht ein Schritt nach vorne irgendwie gewesen, aber irgendwie nicht so das Richtige.« Zunächst sagt er, das Volontariat sei kein Schritt nach vorne gewesen, dann erläutert er diese Aussage und nennt das Volontariat als »nicht so das Richtige«. Nach dem Denk- und Handlungsmuster der Weiterentwicklung dient das Volontariat nicht der Qualifikation, denn der Proband hatte zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre im Museum gearbeitet. Daher war diese Option, die ihm keine qualitative Weiterentwicklung bieten konnte, für ihn nicht attraktiv. Unter dem Denk- und Handlungsmuster der Weiterentwicklung steht aber auch die Darstellung des Probanden über seine Rolle als Historiker. Der Proband nahm die Stelle als Bereichsleiter an, »und, ja, spätestens dann verabschiedet man sich – das war, glaube ich, auch eine Ihrer Fragen sozusagen – vom HistorikerDasein.« Der Proband verbindet dieses »Historiker-Dasein« mit den Tätigkeiten, die er in der leitenden Position ausübt und die nicht mehr die typischen eines Historikers sind. Seine Darstellung über die Verbesserung des beruflichen Status ist somit an die Änderung der Tätigkeiten und damit an sein Verständnis der Rolle als Historiker geknüpft. Das Denk- und Handlungsmuster der Weiterentwicklung, das sich in der Fokussierung des beruflichen Aufstiegs und der damit verbundenen neuen Tätigkeiten äußert, dominiert hier die Vorliebe für das Fach. Als weiteres prägendes Element des Berufshabitus zeigt sich die Bedeutung, die der Proband Netzwerken zuspricht. So stellt er in seinen Erzählungen über seine Praktika das Knüpfen von Kontakten als wichtigsten Faktor dar. Durch das Praxissemester konnte der Proband einen ersten Kontakt knüpfen und diesen dann nutzen, um ihn zwecks möglicher beruflicher Perspektiven auszubauen. So besteht hier eine Korrespondenz mit dem Denk- und Handlungsmuster des eigenverantwortlichen Handelns. Dies ist auch der Fall in der Sequenz über das Praktikum bei der politischen Stiftung. Die Universität gab den »Anstupser« durch die Vorgabe der Absolvierung eines Praktikums, der Proband nutzte dann die Chance, um Kon-

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takte zu knüpfen und zu intensivieren. Er hebt die Kontaktpflege auch hervor, als er auf Basis des Musters des eigenverantwortlichen Handelns von seinen Nebenjobs als Schüler spricht. Zugleich verknüpft er hier noch seine soziale Herkunft mit dem Netzwerken: »Wobei, da muss ich auch sagen – wie gesagt: Handwerkerfamilie, meine Herkunft – ich habe immer auch nebenher gearbeitet sozusagen. Ich habe immer auch schon als Schüler, habe ich in der Industrie, in Anführungszeichen, gearbeitet. Bei uns im Ort. Ich bin damals da rumgefahren mit dem Fahrrad, habe überall angeklingelt und habe gesagt: »Hier, so, ich will hier was machen.« Und dann hat das auch gut funktioniert, habe ich jetzt zum Teil heute noch Kontakt zu den Leuten. Zu einem Unternehmen aus der Region, die heute überall ihre Maschinen stehen haben, das war damals so ein kleines Unternehmen und, ja, die Leute kenne ich heute noch.« Der Proband misst dem Netzwerk auch Bedeutung bei, wenn es um die Perspektive nach dem Studium geht. So spricht er die Kontakte an, die er durch das Masterarbeitsthema hatte und lenkt die Erzählung auf das Angebot des Unternehmens, im Archiv zu arbeiten: »[…] und hatte dann aber auch schon parallel dazu hier im Museum, quasi die sind dann ja auch auf mich aufmerksam geworden durch diese ganzen Interviews und die Abschlussarbeit, die ist dann auch auf Interesse gestoßen hier, sind die auch aufmerksam auf mich geworden. Und dann hatte der damalige Geschäftsführer hatte dann mit der Unternehmensstiftung und noch einer weiteren Stiftung gesprochen […]« Der Proband schreibt dem Knüpfen von Kontakten außerdem bestimmte Zwecke zu. So waren diese ebenfalls für seine Arbeit als Historiker wichtig. Über den Kontakt zum Unternehmen konnte er weitere Kontakte knüpfen. Ihm wurde damit beispielsweise der Zugang zu Archiven gewährt und er hebt in der entsprechenden Passage die Bedeutung der Kontakte hervor: »Ich hatte dann, was weiß ich, ich musste ja auch in andere Archive für die Recherche, das war auch alles unproblematisch, ja auch in Unternehmensarchive und das ist ja anders als bei staatlichen Archiven, die sind dann ja immer oft auch zurückhaltend mit externen Anfragen, das ging dann aber alles eben, weil dadurch. Also, da hatte man dann auch wieder neue Kontakte knüpfen können, neue Netzwerk und irgendwie mit Menschen sprechen so, ganz wichtig, und so. Und das hat sich dadurch ergeben.« Er spricht zudem vom Aufrechterhalten des Kontakts zur Universität, in der man »aufschlagen sollte«, um dort »Feedback« und »Anregungen« zu bekommen.

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Und auch den Kontakt zum Sohn des Unternehmens-Gründers hebt er unter dem Aspekt der beruflichen Optionen hervor, indem er die Erzählung über das Nutzen der Situation mit der Erzählung über den Austausch über seine Dissertation verknüpft. »Und dann hatte ich die Situation damals dann auch genutzt und gesagt, also, bin ich direkt – Ich hatte regelmäßig quasi über den Fortgang, hatte ich immer den Sohn des Gründers auch informiert.« Mit dem Knüpfen von Kontakten verbindet der Proband auch die Möglichkeit, »positiv« auf sich »aufmerksam« zu machen. Das heißt, er bewertet sein Engagement und seine Initiative als Distinktions-Möglichkeit zugunsten seiner beruflichen Perspektive. So spricht der Proband davon, wie wichtig es ist, sich von der »Durchschnittsmasse« abzuheben. Dies ist für ihn der Grund, weshalb sein Auslandsaufenthalt wichtig war. Das gleiche gilt für die Wahl seines Masterarbeitsthemas: »P06: Also, dass jetzt nicht schon irgendwie, weil wenn Sie gucken im Ruhrgebiet da über Krupp oder Thyssen oder so, da ist schon alles mehr oder weniger geschrieben. Alles schon so – I: Ja, abgegrast. P06: Genau. So und da ist man irgendwie nicht, ja, in Anführungszeichen, fällt man wenig auf, wenn man darüber arbeitet dann.« Auffallen kann der Proband auch mit seiner Rolle als Historiker, wenn er damit bei Unternehmensmanagern auftritt. Er als »Exot« nutzt dieses Distinktionsmerkmal gezielt, um Kontakte knüpfen zu können. Er spricht der Distinktion hier also einen Nutzen in Bezug auf den Wert des Netzwerkens zu. Der Berufshabitus des Probanden ist des Weiteren von einem Denk- und Handlungsmuster geprägt, das sich an Fremdbestimmung orientiert. So hebt er wiederholt hervor, dass für sein Agieren äußere Faktoren ausschlaggebend waren. Beispielsweise stellt er es so dar, dass seine Anstellung beim Sammlungsmanagement durch Zufall ermöglicht wurde: »[…] das ist ja auch irgendwie auch oft so, das hat sich irgendwie so durchgezogen bei mir – da dann auch hier eine Stellennachbesetzung notwendig wurde, und zwar im Bereich, ja, Exponatverwaltung, in Anführungszeichen, also so Sammlungsmanagement, alles, was eben auch mit der Datenbank, die ich ja schon beherrschte, zusammenhing. Da musste jemand Neues her und das war ich dann glücklicherweise.« So stellt er es auch in der Sequenz über das Angebot für die Bereichsleitung dar. Den äußeren Faktoren verleiht der Proband durch die ausführliche Schilderung der Situation in der Unternehmensorganisationsstruktur einen großen Stellen-

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wert. Die Bedeutung der äußeren Faktoren hebt er schließlich auch nochmal bei der Reflexion über seine Berufslaufbahn hervor: »Und es war irgendwie immer bei mir so ein Mix aus Zufälligkeiten, sodass ich dann wirklich dann auch hier gelandet bin mit diesem Zweijahres-Projekt. Dass ich dann hinterher an der Uni, als ich am Uni-Archiv diesen Job bekommen habe, das waren immer irgendwie Zufälligkeiten. Aber das bedingt sich. Man kann ja keine Kausalitäten herstellen oder so, aber es bedingt sich irgendwie, ist mein Eindruck. Ohne Initiative hat man dann auch kein Glück, in Anführungszeichen.« Für den Probanden ist sein aktives Handeln erst durch die Zufälligkeiten möglich geworden und konnte zum Erfolg führen. Und auch die pessimistische Einstellung des Probanden gegenüber seiner Zukunft zeugt von der Wahrnehmung, sein eigener Einfluss sei gering: »Deswegen wünsche ich mir eigentlich, eigentlich könnte es so bleiben wie es ist. Aber gut. Es wird nicht so bleiben, das weiß ich. Und von daher genieße ich das auch so ein bisschen zumindest.« Von Fremdbestimmung ist auch die Wahrnehmung der Historiker-Rolle beeinflusst. In seiner Schilderung gibt der Proband die Perspektive anderer auf ihn wieder, nicht aber seine eigene Perspektive auf sich selbst. So erzählt er von seinen Erfahrungen bei öffentlichen Anlässen, bei denen er die »Historikerkarte« ausspielen kann und die Rolle somit auf gesellschaftlicher Ebene einnimmt. Die Rolle als Historiker auf Professions-Ebene schildert er ebenfalls als von außen an ihn herangetragen: »Also, da ist man dann halt der Historiker oder eben, wenn man eben auch dann Anfragen, externe Anfragen hat: »Ja, wir brauchen einen Beitrag für Zeitschrift XY« oder für unsere und so.« Neben der Wahrnehmung von Fremdbestimmung ist auch die Wahrnehmung von Beeinflussung in den Aussagen des Probanden von Bedeutung. Er spricht wiederholt den Aspekt möglicher Beeinflussung an. So erzählt er von seiner Überlegung, ein Stipendium bei der Unternehmensstiftung zu beantragen. Es folgt die Erzählung, dass die Stiftung ihm kein Stipendium gab, weil man keine Promotionsstipendien vergab. Der Proband fokussiert die Darstellung auf seine im Rückblick theoretische Entscheidung gegen das Stipendium, weil er dem Vorwurf einer »gekaufte[n] Biografie« entgehen wollte. Um dies als richtige Entscheidung zu unterstreichen, erzählt er im Anschluss von einem Kolloquium, bei dem er Kritiker umstimmen konnte, indem er auf die nicht vorhandene finanzielle Unterstützung hinwies:

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»Und dann war dann auch erst die Vermutung da im Raum und so weiter: »Ja, Sie sind da ja irgendwie mit verbunden und so.« »Nee, nee«, sage ich, »das stimmt so nicht.« Und da war das Argument sofort weg. Und das war echt gut. Und das merkte man dann auch und ich glaube, ich hätte, wenn ich Zuhörer gewesen wäre, auch so reagiert.« Die Wahrnehmung der Beeinflussung beschränkt sich hier auf eine mögliche finanzielle Unterstützung als Beeinflussung. Dies setzt sich fort, als der Proband von dem Entgegenkommen des Unternehmens durch die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes im Archiv für seine Dissertation berichtet. Er führt den Hinweis an, dass diese Abmachung die einzige gewesen sei, die er mit dem Unternehmen gehabt habe: »Das hatte ich dann, das hatte ich aber mit der Stiftung vorher nämlich verhandelt, weil ich sage: »Ganz ehrlich, ich muss ja ins Archiv und es wäre gut, wenn ich hier einen Arbeitsplatz bekäme.« Also, dass ich hier die Kosten, in Anführungszeichen, für das Fotokopieren, Computer und was man so alles braucht, dass ich die nicht auch noch habe. Und das wurde dann rasch entschieden: »Klar, können Sie machen, Sie können hier die Infrastruktur des Museums nutzen.« So, das war so mein einziger Deal, den ich mit der Stiftung hatte.« Durch die Argumentation des Probanden wird deutlich, dass er die Abmachung nicht als eine Beeinflussung wahrnimmt. Er verweist mit einem Sachargument auf den Nutzen des Arbeitsplatzes, der den Arbeitsprozess erleichterte. Des Weiteren wird deutlich, dass der Proband Beeinflussung als Veränderungen inhaltlicher Art versteht. So hebt er hervor, dass in all seinen Gesprächen mit dem Sohn des Unternehmensgründers dieser sich nicht inhaltlich eingemischt habe. Im Anschluss erzählt der Proband, dass er viele relevante Kontakte für seine Doktorarbeit vermittelt bekam. Diese Unterstützung nimmt er somit nicht als Beeinflussung wahr. Mit der Wahrnehmung der Beeinflussung korrespondiert daher die Wahrnehmung der Unterstützung durch das Unternehmen, die sich durch die Dankbarkeit des Probanden gegenüber dem Unternehmen auszeichnet. So betont der Proband beispielsweise, wie sehr das Unternehmen – konkret der Name des Unternehmens – ihm bei der Recherche für seine Dissertation geholfen hat: »Und der Vorteil durch die Promotion war eindeutig, dass ich durch das Thema und durch den Namen des Unternehmens viele Türen geöffnet bekommen habe. Ich habe dann auch weiter diese Interviews geführt, die ich ja schon angefangen hatte. Habe dann auch beispielsweise Interviews führen können mit dem damaligen Bundespost-Minister, bei dem war ich zuhause und so. Und das ging dann echt durch diesen Unternehmensnamen gingen die Türen offen, so. Das war super.«

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Später greift der Proband in der bereits oben genannten Sequenz die Vermittlung der Kontakte durch den Sohn des Unternehmensgründers auf. Die Wahrnehmung zeigt sich zudem in der explizit geäußerten Dankbarkeit gegenüber dem Unternehmen und in personam der Unternehmerfamilie: »Ich bin einfach dankbar für das, dass ich hier quasi in diesem schönen Haus hier arbeiten darf. Dass ich quasi die Rückendeckung gehabt habe von der Familie des Unternehmensgründers, die mich da unterstützt hat. Dass ich die Möglichkeit – oder dass ich die Möglichkeiten einfach hatte.« Damit einher geht auch die Verknüpfung der Rolle als Historiker mit seiner Aufgabe als Repräsentant des Unternehmens: »Das ist gut in dem Fall. Man kann immer so ein bisschen diese Karte spielen, mit den Leuten dann sprechen und die fragen dann auch nach und so. Da kommt man immer gut ins Gespräch und kann dann unseren Namen, was natürlich auch im Interesse der Stiftung ist dann eben, transportieren.« Er nimmt die Historiker-Rolle, die an ihn herangetragen wird, für das Unternehmen und im Interesse der Stiftung an. Die Aussagen hier und in den drei zuvor beschriebenen Sequenzen zeigen somit auch, dass die Loyalität zum Unternehmen einen Teil des Berufshabitus des Probanden ausmacht. Wie durch die vorliegenden Daten zu erkennen, ist der Berufshabitus von Proband 06 geprägt von seinen berufsbiografischen Erfahrungen nach dem Studium sowie der Sozialisation als Doktorand und Mitarbeiter im Unternehmen. Als Denkund Handlungsmuster erweist sich in der vorliegenden Verschriftlichung seiner Aussagen zum einen die Orientierung an eigenverantwortlichem Handeln. Die Darstellungen des Probanden beruhen auf seiner Ansicht, dass Chancen, die mögliche Optionen bieten können, stets von Eigeninitiative abhängen. Zugleich stellt er aktives Handeln statt Abwarten in den Fokus seiner Erzählungen, wie beispielsweise über seine Bewerbungen nach dem Studium oder über die Suche nach einem Betreuer seiner Promotion. Des Weiteren liegt den Aussagen des Probanden ein Denk- und Handlungsmuster zugrunde, das sich an Pragmatik orientiert. So schildert er strategische Überlegungen in Sequenzen, in denen er auf seine beruflichen Perspektiven eingeht, sowie über einzelne Situationen, wie der Erzählung über die Promotions-Betreuung. Andere Darstellungen des Probanden sind zudem durch Erzählungen über vernunftbestimmte Entscheidungen geprägt, wie zum Beispiel über die pragmatische Information über den Studienfachwechsel oder über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Universitätsarchiv. In den Sequenzen, in denen sich das Muster der Pragmatik abzeichnet, wird zudem wiederholt ein Zwiespalt zwischen der Orientierung an pragmatischem Verhalten und an der Vorliebe für das Fach Geschichte deutlich. Als weiteres Denk- und Handlungsmuster lässt sich eine Orientierung an Weiterentwicklung erkennen. So wird deutlich, dass der

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Proband es vorzieht in Arbeit zu stehen, statt Hartz IV zu beziehen und somit als arbeitslos zu gelten, was mit dem Muster der Eigenverantwortlichkeit und dem der Pragmatik korrespondiert. Außerdem stellt er in den Sequenzen über die Option der Lehrertätigkeit und eines Volontariats dar, dass für ihn Qualifizierung und Professionalisierung für seine berufliche Laufbahn wichtig waren. Und auch der Aufstieg des beruflichen Status ist dem Probanden für seine Weiterentwicklung wichtig. Er verbindet damit die Veränderung seiner Tätigkeiten und zugleich die Distanzierung des Empfindens seiner Rolle als Historiker. Für den Berufshabitus des Probanden sind des Weiteren die Werte des Netzwerkens und der Distinktion von Bedeutung. So schätzt er Kontakte in Bezug auf seine berufliche Perspektive, was er bereits im Studium durch die Praktika lernte. Als ebenso wichtig schätzt er das Knüpfen und Aufrechterhalten von Kontakten für die Arbeit an seiner Dissertation ein. Zugleich ist das Halten von Kontakten auch Distinktionsmerkmal für ihn, um auf sich aufmerksam zu machen. Hier besteht daher auch eine Korrespondenz zwischen dem Wert des Netzwerkens und dem der Distinktion. Diese schätzt er darüber hinaus in Bezug auf berufliche Perspektiven gegenüber potenziellen Arbeitgebern. Die Herausbildung dieser Werte lässt sich hier daher in die Phase der beruflichen Orientierung während und nach dem Studium verorten. Weitere Denk- und Handlungsmuster lassen sich in der Fokussierung der Darstellungen auf Fremdbestimmung, Beeinflussung und Unterstützung durch das Unternehmen erkennen. So stellt der Proband immer wieder äußere Faktoren als ausschlaggebend für den Verlauf seines beruflichen Werdegangs dar. Ebenfalls als fremdbestimmt lässt sich die Darstellung der Rolle als Historiker bezeichnen, indem der Proband diese als Perspektive von anderen ihm gegenüber schildert. Der Proband greift wiederholt in seinen Ausführungen die mögliche Beeinflussung seiner Arbeit durch das Unternehmen auf. Darin wird deutlich, dass er die Unterstützung finanzieller Art als Beeinflussung wahrnimmt. Dieses Wahrnehmungsschema korrespondiert mit dem der Unterstützung des Unternehmens, dem gegenüber der Proband in seinen Äußerungen Dankbarkeit und Loyalität ausdrückt. Diese Wahrnehmung ist daher vor allem auf die Sozialisation während der Arbeitsphasen im Unternehmen zurückzuführen. Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht von Proband 06 Der Proband befindet sich im Konstrukt des sozialen Raums im Feld der Wirtschaft. Seinen sozialen Status konnte er vor allem durch Machtoptionen erreichen, die durch sein soziales Kapital entstanden. Der Proband stand während seines beruflichen Sozialisationsprozesses stets zwischen seiner Vorliebe für das Fach Geschichte und dem Wunsch nach einer guten Berufsperspektive. Aufgrund des schlechten Arbeitsmarkts war beides nur

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schwer miteinander zu vereinbaren und der Proband musste wiederholt Kompromisse eingehen. So entschied er sich sein technisches Studium zu beenden und stattdessen ein Studium der Fächer Geschichte und Soziologie zu beginnen. Erleichtert wurde ihm diese Entscheidung durch die Unterstützung seiner Eltern, da ihm so ökonomisches Kapital zur Verfügung stand. Bereits im Studium setzte er sich mit den möglichen Berufsperspektiven auseinander. Der schlechte Arbeitsmarkt war laut Schilderung ausschlaggebend dafür, dass der Proband sich für die Machtoption entschied eine Abschlussarbeit im Bereich der Unternehmensgeschichte zu schreiben. Damit richtete er sein inkorporiertes Kulturkapital auf die Umstände des Arbeitsmarkts aus: »Eigentlich so war meine Leidenschaft immer so Frühe Neuzeit, das fand ich immer irgendwie so spannend, so Staatenbildung und wie sich das so, fand ich immer, also irgendwie spannender. Hatte mir dann aber irgendwie gedacht: Ja, hm, am Ende des Tages mit Früher Neuzeit kannst du auch nur an der Uni bleiben. Das wird nämlich sonst – oder wenn du Glück hast, kriegst du irgendwo ein Museum oder so. Irgendwie historische Museum, keine Ahnung, da könnte das vielleicht auch noch was werden oder vom LWL irgendwie was. Aber sonst wird es knapp.« Durch diese Abschlussarbeit konnte der Proband sein soziales Kapital bedeutend vermehren. Es ermöglichte ihm schließlich nach dem Studium eine Arbeitsstelle anzutreten, anstatt in die Arbeitslosigkeit zu gehen oder eine Umschulung machen zu müssen. Während der folgenden Arbeitszeit konnte er sich die Möglichkeit zur Umschulung zum Lehrer schaffen. Durch eine Absage war der Proband jedoch erneut gezwungen auf Stellensuche zu gehen und den Kontakt zum Arbeitsamt zu halten. Dort wurde er mit den Bedingungen des Arbeitsmarkts für Historiker konfrontiert, die er als Notwendigkeit zur Promotion wahrnahm. Der Proband musste somit spezifisches institutionelles Kulturkapital vorweisen können. Er beugte sich dieser Bedingung und nutzte die Gelegenheit zur Betreuung seines Promotionsprojekts, die sich aufgrund eines Personalwechsels an der örtlichen Universität ergab. Für den Probanden ergab sich aufgrund dieses Personalwechsels und seines sozialen Kapitals in Form des Kontakts mit der Unternehmerfamilie eine Machtoption, die ihm die ideellen Voraussetzungen für die Promotion ermöglichte. Dieses soziale Kapital konnte er auch nutzen, um weitere Kontakte zu knüpfen, die für seine Promotion von Bedeutung waren. Das soziale Kapital verhalf ihm in diesem Fall letztlich auch dazu, sein institutionelles Kulturkapital in Form der Promotion zu vermehren. Um während der Promotionszeit auch finanziell abgesichert zu sein, stand der Proband der Option auf finanzielle Unterstützung des Unternehmens ablehnend gegenüber, weil er damit den Verdacht der inhaltlichen Einflussnahme verband. Stattdessen konnte er mithilfe seines sozialen Kapitals, das er durch seine Anstellung im Unternehmensarchiv besaß, Kontakt zur Archivarin des Universitätsarchivs knüpfen. Mithilfe seines inkorporierten Kulturkapitals, das er während

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

seiner Arbeit im Unternehmensarchiv gewinnen konnte, gelang es ihm als WHK angestellt zu werden. Die Erzählung des Probanden von seinen Bedenken über die mögliche finanzielle Beeinflussung sowie seine Tätigkeit im Universitätsarchiv indizieren, dass er zum Zeitpunkt der Promotion dem Feld der Wissenschaft zuzuordnen war. Nach der Promotion nutzte der Proband sein soziales Kapital in Form des Kontakts zum Sohn des Unternehmensgründers erneut, um eine Anstellung zu erlangen. So konnte er die Gelegenheit, die sich durch eine Stellen-Neubesetzung ergab, erfolgreich nutzen. Hier kam es zur weiteren Sozialisation im Unternehmen, die bereits mit der ersten Anstellung im Unternehmensarchiv nach dem Studium begonnen hatte. Diese Sozialisation wird besonders in der Dankbarkeit deutlich, die er dem Unternehmen und insbesondere der Gründer-Familie entgegenbringt. Die Entwicklung des Verhaltens geht so mit dem Erwerb des sozialen Kapitals einher: Je mehr der Proband durch sein soziales Kapital erreichen konnte, desto mehr besitzt er, für das er dankbar sein kann. Denn wie oben bereits erwähnt, konnte er seinen sozialen Status durch den Einsatz seines sozialen Kapitals verbessern. Verbunden mit seinem Status ist nun aber auch seine Tätigkeit im Feld der Wirtschaft: Er arbeitet für ein Wirtschaftsunternehmen und zugleich führt er selbst Tätigkeiten eines Akteurs der Wirtschaft aus: »Man delegiert dann viel mehr, man kümmert sich – also, das ist dann in Anführungszeichen – ja so mehr Management. So. Ich muss gucken, dass das läuft. So. Dass die Kuratoren sich um ihre Ausstellungsbereiche kümmern, dass die Anfragen ordentlich bearbeitet werden. Ich muss aber auch gucken, dass im Besucherservice, also, wenn hier Leute anrufen, also Kunden anrufen, die wollen irgendwas buchen und das funktioniert nicht, darum muss ich mich kümmern. Ich muss gucken, dass in der Museumspädagogik, dass neue Inhalte entwickelt werden. Ich muss gucken, was machen wir für Marketing, wie machen wir das Marketing, mit welchem Budget machen wir das Marketing, so.« Das bedeutet, sein sozialer Status verlangt ein Verhalten von ihm, das für ihn mit seinem Rollenempfinden als Historiker nicht vereinbar ist. Das Rollenempfinden als Historiker geht bei Proband 06 daher mit der Veränderung seines sozialen Status einher, weil dieser an seine Tätigkeit geknüpft ist. Er versteht sich nicht mehr als Vertreter der Geschichtswissenschaft, sondern als Repräsentant seines Unternehmens: »Man kann immer so ein bisschen diese Karte spielen, mit den Leuten dann sprechen und die fragen dann auch nach und so. Da kommt man immer gut ins Gespräch und kann dann unseren Namen, was natürlich auch im Interesse der Stiftung ist dann eben, transportieren. Das ist ja ein Anliegen ja auch, genau.«

4. Teilstudie 2

Im Feld der Wirtschaft selbst agiert er deshalb mithilfe seines inkorporierten und institutionalisierten Kulturkapitals, das er als Historiker gewonnen hat. Er nutzt es, um soziales Kapital mehren zu können, das seinem Unternehmen nützlich sein soll. Das inkorporierte und institutionalisierte Kulturkapital, das er als Historiker besitzt, nutzt er also im Feld der Wirtschaft als Distinktionsmerkmal gegenüber den anderen Akteuren im Feld. Zugleich sorgen sein soziales Kapital, das er durch seine Anstellung im Unternehmen gewinnen konnte, und sein sozialer Status dafür, dass er von den anderen Akteuren im Feld akzeptiert wird. Dabei ist anzumerken, dass es sich bei dem Wechsel zwischen den sozialen Feldern nicht um einen linearen Wechsel zwischen dem der Wissenschaft und dem der Wirtschaft handelt. Vielmehr ist der Proband durch seine familiäre Sozialisation in einer »Handwerker- und Arbeiterfamilie« mit dem Feld der Wirtschaft bereits vertraut. Entsprechend führt er seine damalige Bereitschaft stets neben dem Studium (und bereits in der Schulzeit) zu arbeiten, auf diese Sozialisation zurück. Er greift ebenfalls auf sie zurück, wenn er von seinem Verhältnis mit den technischen Mitarbeitern im Museum spricht. Zugleich führt er seine Sozialisation im Feld der Wissenschaft an, wenn er von dem Verhältnis zu seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern spricht. Für seine Rolle als Vorgesetzter kann er somit auf die jeweiligen Sozialisationsmerkmale zurückgreifen. Was den sozialen Status, den er im Feld der Wirtschaft einnimmt, betrifft, so befindet der Proband sich in einer Abhängigkeit von seinem Unternehmen, da er durch dieses die Machtoptionen erhält, die ihn seinen sozialen Status überhaupt erst halten lassen. Diese Abhängigkeit entstand allerdings schon vor der Anstellung nach der Promotion, nämlich während der Promotionszeit. Dabei handelte es sich nicht um eine direkte, sondern eine relative Abhängigkeit. Der Proband begab sich durch die Unterstützung des Unternehmens, auf die er in seiner Situation angewiesen war, in eine Abhängigkeit von diesem. Um effektiv an seiner Promotion arbeiten zu können, nutzte er die Infrastruktur des Unternehmens. Hinzu kamen die Kontakte, durch die er seine Promotion inhaltlich weiterentwickeln konnte. Der Proband nimmt diese Unterstützung durch das Unternehmen bzw. durch den Sohn des Unternehmensgründers aber nicht als Beeinflussung wahr und weist auch mehrfach – möglicherweise aufgrund des Interview-Themas sensibilisiert – auf diesen Umstand hin. Allerdings ist die Beeinflussung nicht als eine inhaltliche zu verstehen. Vielmehr beeinflusst die Unterstützung und damit das Verhältnis, das zwischen dem Probanden und dem Unternehmen entstand, das Verhalten des Probanden – es kommt also auch in dieser Phase zu einer Sozialisation durch das Unternehmen. Hinzu kommt, dass der Proband zum Zeitpunkt des Interviews aus der Perspektive des Arbeitnehmers spricht. Die Loyalität, die er zum Ausdruck bringt, weist auf dieses Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis hin. Zudem muss man beachten, dass der Proband unter den unsicheren Berufsperspektiven sehr gelitten zu haben scheint. Im Gespräch zeigt sich, dass der Proband

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von dieser Zeit und dem Druck, das institutionalisierte Kulturkapital in Form der Promotion zu erlangen, geprägt ist: »Und das darf man nie vergessen, dass das so schlimm – alles ist so fragil. Und da muss man immer vorsichtig sein. Deswegen wünsche ich mir eigentlich, eigentlich könnte es so bleiben wie es ist. Aber gut. Es wird nicht so bleiben, das weiß ich. Und von daher genieße ich das auch so ein bisschen zumindest.« Mithilfe der Kooperation mit dem Unternehmen gelang es dem Probanden nicht nur seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und sich so immer wieder neue Machtoptionen als Arbeitnehmer zu suchen, sondern er konnte letztlich direkt durch das Unternehmen eine sichere Berufsperspektive erhalten, sodass seine Dankbarkeit besonders im Hinblick auf die Prägung durch die berufliche Unsicherheit nachvollziehbar ist.   Letztendlich ergibt sich die Abhängigkeit des Probanden vor allem aus der Situation auf dem Arbeitsmarkt für Historiker. Er weist spezifisch darauf hin, dass er sich bewusst war, eine unsichere Perspektive durch das Fach Geschichte zu wählen. Dass er sich dennoch dafür entschied, ist mit seiner Vorliebe für das Fach zu erklären. Diese Vorliebe wird immer wieder konfrontiert mit den Berufsperspektiven des Probanden, die ihn zu einem bestimmten Handeln zwingen. Schließlich ist es auch die Berufsperspektive, die mit seiner festen leitenden Anstellung verbunden ist, die zu einem Rollenwechsel führt. Der soziale Status, der mit seiner aktuellen Berufsperspektive verbunden ist, ist an bestimmte Arbeits- und Verhaltensweisen geknüpft, die mit seinem Historikerbild kaum noch vereinbar sind.

4.5

Vergleich der Berufshabitus in Bezug auf die Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht

Die Ergebnisse der sechs Analysen zeigen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in den jeweiligen Berufshabitus und in den Abhängigkeiten in den jeweiligen sozialen Beziehungsgeflechten. Auch lassen sich im Vergleich zentrale Einflussfaktoren auf die Berufslaufbahn und das Professionsempfinden aller sechs Probanden erkennen. Zunächst fällt auf, dass alle Probanden ihr Interesse am Fach Geschichte und an bestimmten Themen betonen. Zugleich zeigen sich unterschiedliche Denk- und Handlungsmuster, in die dieses Interesse eingebettet wird. Für Proband 01 ist das Interesse an Geschichte und bestimmter Themen ein Motivator für bestimmte Handlungen und Entscheidungen, zugleich stellt es auch einen eigenen Wert für den Probanden dar. Für ihn ist es wichtig, dass er über sein »Leib- und Magenthema« forschen konnte. Auch Proband 02 erzählt von der Entscheidung für

4. Teilstudie 2

bestimmte Themen, die er aufgrund seines Interesses getroffen hat. Gleichzeitig gibt er an, dass er sich bewusst war, mit diesen Themen keine guten Chancen auf einen Lehrstuhl zu haben. Und Proband 03 gibt an, dass er sich immer, wenn er die Gelegenheit gehabt habe, auf die Erforschung von Geschichte konzentriert habe, weil ihm dies Spaß machte. Dies ist für ihn ebenfalls ein Wert, den er auch in seiner jetzigen Position als fester Angestellter in einem Museum noch anstrebt. Probandin 04 betont das Interesse am Fach Geschichte nicht so stark wie alle anderen Probanden. Sie bettet ihr Interesse in ein pragmatisches Denk- und Handlungsmuster ein: Sie entschied sich von zwei möglichen Promotionsthemen für dasjenige, das besser durchzuführen war. Proband 05 stellt die Bedeutung der freien Entfaltung von Themen während seines Studiums heraus. Er verbindet dies aber mit der Möglichkeit, seinen Kompetenzbereich zu erweitern und betrachtet es aus der Perspektive der Professionalisierung. Proband 06 legt wie Probandin 04 der Themenwahl ein pragmatisches Denk- und Handlungsmuster zugrunde. So gibt er an, dass er das Thema seiner Masterarbeit vor dem Hintergrund möglicher Arbeitgeber gewählt habe. Hier zeigt sich, dass alle Probanden das Interesse am Fach und an bestimmten Themen mit ihrer beruflichen Laufbahn verknüpfen. Die berufliche Perspektive stellt sich als weiteres zentrales Moment in den Analysen der sechs Probanden heraus. Wie oben gezeigt, hatte das Interesse am Fach Geschichte sowie bestimmter Themen Einfluss auf die Entscheidungen während der Berufslaufbahn. Die Perspektive wird aber von weiteren unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. So fällt auf, dass der Arbeitsmarkt für Historiker ein zentraler Einflussfaktor ist, der von den Probanden genannt wird. Sowohl Proband 03 als auch 04 betonen, dass der Arbeitsmarkt für sie nach dem Studium keine guten Perspektiven bot. Die Probanden 01, 02, 03 und 04 erzählen zudem von den mangelnden Alternativen in Form einer möglichen Berufslaufbahn an einer Schule. Zum einen geben sie an, dass der Arbeitsmarkt für angehende Lehrer zur Zeit ihres Studienabschlusses gesättigt war, und zum anderen, dass sie die Schullaufbahn von sich aus nicht einschlagen wollten. Auch Proband 06 entschied sich früh gegen ein Lehramtsstudium, erzählt aber, dass die Schule für ihn später eine Alternative zu seiner Berufsperspektive als Historiker bot. Alle Probanden, mit Ausnahme von Proband 03, entschieden sich für die Promotion. Es zeigt sich, dass die Probanden 01, 02, 04 und 05 die Promotion mit der Perspektive auf eine wissenschaftliche Karriere begannen. Lediglich von Proband 01 und 05 wurde bzw. wird diese Laufbahn allerdings konsequent verfolgt. Bei den beiden handelt es sich um jene Probanden, deren Position im sozialen Raum dem Feld der universitären Wissenschaft zugeordnet werden kann. Es fällt auf, dass beide in ihren Ausführungen eine homogene Perspektive in Bezug auf ihre Berufslaufbahn haben. So geben beide an, dass ihr Ziel die Berufung auf einen Lehrstuhl war bzw. sei. Dieses Ziel sowie den Weg dorthin stellen beide als eine Art Automatismus dar. Zugleich zeigt sich in ihren Schilderungen, dass das Erreichen dieses Ziels kein Automatismus ist,

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

sondern abhängig von verschiedenen Faktoren. Das symbolische Kapital stellt sich dabei als besonders wichtig heraus. In der Erzählung von Proband 01 zeigt sich, dass das Prestige, das er mittels der Erforschung eines sehr prominenten Themas erlangte, für seine Berufung aus seiner Sicht eine zentrale Rolle gespielt habe. Ganz ähnlich stellt sich bei Proband 05 die Bedeutung von Referenzen für erfolgreiche Bewerbungen um Mittel oder Stellen heraus. Dieses symbolische Kapital, das sich wiederum in beiden Fällen vor allem aus objektiviertem kulturellen und sozialen Kapital zusammensetzt, ermöglicht es den beiden Probanden, ihre Positionen im Feld der universitären Wissenschaft gegenüber anderen Akteuren zu verbessern. Die Probanden 02 und 04 entschieden sich letztlich gegen eine wissenschaftliche Karriere. Proband 02 habilitierte und nahm an einigen Berufungsverfahren teil, wandte sich dann aber von dieser Perspektive ab. Er begründet dies mit dem von ihm wahrgenommenen Usus, dass bereits vor den Verfahren feststünde, wer berufen werden solle. Allerdings muss bei Proband 02 beachtet werden, dass er bereits eine reelle Alternative zur wissenschaftlichen Perspektive in Form seiner erfolgreichen Selbstständigkeit als Unternehmenshistoriker aufgebaut hatte. Probandin 04 entschied sich für den Weg in die Selbstständigkeit, nachdem ihr von der Universität ein unbezahlter Lehrauftrag angeboten worden war. Sie empfand dieses Angebot als völlig unangemessen in Bezug auf ihre zuvor erbrachten Leistungen während der Promotionszeit. Es fällt auf, dass beide als Grund für ihre Abkehr von der universitären Wissenschaft eine Situation schildern, die aus ihrer Perspektive als ungerechtes Handeln bezeichnet werden kann. Proband 02 befindet sich zwischen dem Feld der Wirtschaft und dem der Wissenschaft, Probandin 04 im Feld der Wissenschaft, jedoch nicht der universitären Wissenschaft. Beide sind feste Angestellte in einer nicht-universitären Institution. Diese Perspektive ergab sich für beide als Alternative zu einer universitären Laufbahn. Beide legten bereits im Studium die Grundlage für diese Alternative: Proband 02 forschte und veröffentliche eigenverantwortlich, was ihm letztlich seine erste Auftragsarbeit einbrachte. Probandin 04 machte bereits im Studium ein Praktikum im Museum und erschloss sich dieses Feld als mögliche berufliche Perspektive. Die Probanden 03 und 06 entschlossen sich nach dem Studium nicht zu einer universitären Laufbahn und strebten zunächst auch nicht die Promotion an. Stattdessen erzählen beide, dass sie nach dem Studium auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt potenzielle Stellen für sich suchten. Beide argumentieren, dass Historikern bzw. Geisteswissenschaftlern aufgrund ihrer Kompetenzen bei Unternehmen gute Chancen für eine Anstellung eingeräumt worden seien. Proband 03 gibt zudem an, dass er aufgrund der Verantwortung, die er als junger Familienvater trug, möglichst schnell Geld verdienen musste. Beide schildern ihre Berufslaufbahn anschließend als längeren und abwechslungsreichen Weg, bei dem nicht klar war, wie das Ziel genau aussieht. Dies unterscheidet sie essenziell von den Probanden 01 und 05, die als Ziel klar die Berufung auf einen Lehrstuhl benennen.

4. Teilstudie 2

Insgesamt lässt sich eine Abstufung der beruflichen Perspektiven in ihrer Einheitlichkeit feststellen. Die Probanden 01 und 05 weisen eine homologe Perspektive auf. Sie bewegten sich während ihrer geschilderten Laufbahn stets im Feld der universitären Wissenschaft. Die Probanden 02 und 04 zeigen dagegen einen Bruch mit der universitären Laufbahn. Zwar ist die Perspektive bis zur Habilitation bzw. Dissertation noch homolog auf die universitäre Laufbahn ausgerichtet, dann jedoch treten die beiden aus dieser Laufbahn aus und in die Selbstständigkeit ein. Die Probanden 03 und 06 weisen jeweils eine sehr heterologe Berufsperspektive auf. Sie benennen kein eindeutiges berufliches Ziel nach dem Studium und wechseln während der Berufslaufbahn mehrfach ihre Perspektive. In der Retrospektive wird deutlich, dass diese Perspektivenwechsel bzw. die ausbleibenden Perspektivenwechsel mit den Handlungsoptionen zusammenhängen, welche die Probanden in ihren jeweiligen Positionen im sozialen Raum hatten. Proband 02 und Probandin 04 brachen mit der universitären Laufbahn, weil sie keine Optionen sahen, um ihre Position im Feld der universitären Wissenschaft weiter zu verbessern. Stattdessen wandten sie sich jeweils einer Perspektive zu, die ihnen andere Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung bot. Proband 02 konnte sein eigenes Unternehmen ausbauen und schuf so Handlungsoptionen, die es ihm ermöglichten, seine Position im sozialen Raum zu verbessern. Probandin 04 konnte während der Selbstständigkeit für ihre Leistungen eine entsprechende Gegenleistung erhalten, was ihr letztlich in der universitären Wissenschaft verwehrt blieb. Schließlich schuf sie sich durch ein Volontariat die Option eine leitende Anstellung in einem Museum zu erhalten und konnte somit ebenfalls ihre Position im sozialen Raum verbessern. Die Probanden 03 und 06 richteten ihre berufliche Perspektive nach den Handlungsoptionen aus, die sich jeweils für sie im Machtgefüge ergaben. Da Proband 03 Verantwortung als Familienvater trug, musste er alle Arbeiten annehmen, die sich für ihn ergaben und die zum Gelderwerb beitrugen. Das Ausscheiden aus der Selbstständigkeit ergab sich auch aus der Möglichkeit heraus eine reelle Chance auf eine feste Anstellung im Museum aufgrund seiner Tätigkeit als Heimatpfleger – und somit durch sein soziales Kapital – zu erhalten. Proband 06 entschied sich schließlich für die Promotion, weil er sich so eine Handlungsoption schaffen konnte, die zu einer Verbesserung seiner Position im sozialen Raum führen konnte. Für ihn bestand die Möglichkeit durch die Promotion eine gute und unbefristete Arbeitsstelle erhalten zu können. Die Probanden 01 und 05, die sich durch eine homologe Berufsperspektive auszeichnen, erhielten und nutzten Handlungsoptionen, die es ihnen ermöglichten, ihre Position homolog im Feld der universitären Wissenschaft zu verbessern. Um die jeweiligen Handlungsoptionen zu erreichen, waren für die Probanden allerdings unterschiedliche Kapitalarten von Bedeutung, wie oben bei Proband 03 bereits angedeutet. Damit Proband 01 die universitäre Berufslaufbahn verfolgen und letztlich auch sein Ziel der Berufung erreichen konnte, musste er – um es

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mit Bourdieu zu sagen – unterschiedliche Einsätze bringen. So benötigte er zum einen das institutionelle Kulturkapital in Form des Doktortitels und der Habilitation, um sich überhaupt für ein Berufungsverfahren bewerben zu können. Das heißt, mit diesem Kapital verschaffte er sich im Feld der universitären Wissenschaft die Handlungsmöglichkeit zur Bewerbung auf eine Professur und damit zur Verbesserung seiner Position im sozialen Raum. Zur erfolgreichen Umsetzung dieser Handlungsoption war allerdings das symbolische Kapital in Form des Prestiges des Probanden von Bedeutung. Proband 05 benötigt ebenfalls das institutionelle Kapital der Dissertation und der Habilitation, um die Handlungsoption zur Bewerbung für ein Berufungsverfahren zu erhalten. Aber auch er weist auf die Bedeutung des symbolischen Kapitals hin, um die Position im Feld letztlich verbessern zu können. Proband 02 schuf sich Handlungsoptionen zur Verbesserung seiner Position vor allem durch sein objektiviertes Kapital. Auf dessen Grundlage war es ihm möglich, sein inkorporiertes Kulturkapital potenziellen Auftraggebern zu präsentieren, die ihm letztlich mit ihren Aufträgen die Möglichkeit gaben, seine Position im sozialen Raum zu verbessern. Probandin 04 konnte sich schließlich durch das vorzuweisende Volontariat und somit durch das damit verbundene institutionelle Kulturkapital die Handlungsoption schaffen, leitende Angestellte im Museum zu werden. Proband 03 schaffte sich die Handlungsoption vorrangig durch den Einsatz seines sozialen Kapitals, das er als Heimatpfleger besaß. Auch für Proband 06 ergab sich vor allem durch den Einsatz von sozialem Kapital die Handlungsoption zur Verbesserung der Position im Raum, indem er letztlich die Leitung des Unternehmensmuseums übernehmen konnte. Als ein weiteres zentrales Moment in den Analysen der Probanden zeigt sich die finanzielle und soziale Sicherheit. So sprechen alle Probanden Situationen an, die ihre finanzielle und/oder soziale Sicherheit betrafen. Alle berichten von einer Unsicherheit, die sie als belastend wahrgenommen haben bzw. noch immer wahrnehmen. Damit einher geht der Wunsch nach finanzieller und sozialer Sicherheit. Alle Probanden bis auf Proband 05 hatten zum Zeitpunkt der Interviews eine unbefristete Stelle. In Bezug darauf fällt auf, dass alle außer Proband 05 ihre Laufbahn rückblickend positiv bewerten. Proband 05 weist am Ende seines Rückblicks dagegen auf die gegenwärtige Unsicherheit hin, in der er sich als befristet Angestellter noch immer befindet. Der Aspekt der finanziellen und sozialen Sicherheit ist oft ein Entscheidungskriterium für bestimmte Handlungsoptionen der Probanden. So führt Proband 01 an, dass seine Dissertation letztlich nur möglich war, weil er durch seinen Doktorvater – also durch soziales Kapital – seine Finanzierung sichern konnte. Proband 03 macht immer wieder deutlich, dass er sich für bestimmte Aufträge entschied, weil er das Geld benötigte. Und auch Proband 06 stellt heraus, dass die Promotion letztlich erst durch die finanzielle Absicherung in Form einer WHK-Stelle im Universitätsarchiv möglich wurde. Handelt es sich bei diesen Beispielen um temporäre finanzielle Sicherheit, zeichnet sich der Wunsch

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nach finanzieller und sozialer Sicherheit aber vor allem durch die Erzählungen über unbefristete Beschäftigungsverhältnisse aus. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse werden von den Probanden 01, 03, 05 und 06 als äußerst belastend dargestellt. So berichtet Proband 01 von der Unsicherheit aufgrund wiederholt befristeter Verträge während seiner zweiten Qualifikationsphase, was bei ihm auch psychosomatische Symptome hervorrief. Auch Proband 06 berichtet von psychosomatischen Symptomen, die er auf den Druck während der Promotionsphase zurückführt und den er vor allem mit der Arbeitsbelastung in Zusammenhang bringt. Die Arbeitsbelastung führt auch Proband 05 an. Hinzu kommt bei ihm noch die Unsicherheit bezüglich einer möglichen Berufung in dem Wissen um die geringen Erfolgschancen aufgrund der wenigen vorhandenen Lehrstühle. Proband 03 führt die Belastung auf die ständig befristeten Verträge sowie die ungeregelte Struktur seines Arbeitslebens zurück. So hatte er immer wieder wechselnde Arbeitszeiten und ihm mangelte es an einem zweckgebundenen festen Arbeitsplatz. Die Probanden gingen unterschiedlich mit diesen Belastungen um, das heißt, sie wählten unterschiedliche Handlungsoptionen. Proband 01 und Proband 05 hielten bzw. halten die Belastungen aus. Als Grund nennen sie das Ziel der Berufung auf eine Professur. Hier fällt vor allem bei Proband 05 auf, dass dieser, obwohl er die Ursachen der Belastung erkennt und im Gespräch klar analysiert, sie schließlich in Kauf nimmt, eben weil er dies als den normalen Weg zur Berufung wahrnimmt. Proband 06 nahm die Belastung ebenfalls in Kauf, wobei sein Ziel die Fertigstellung der Dissertation war, um sich auf eine gute Arbeitsstelle bewerben zu können. Somit zeigt sich, dass die Probanden 01, 05 und 06 die Belastungen in Kauf nahmen bzw. nehmen, um finanzielle wie auch soziale Sicherheit zu erreichen. Bei den Probanden 01 und 05 fällt allerdings das Paradox auf, dass sie erst die Unsicherheit, die mit ihrer entsprechenden Position im sozialen Raum zusammenhängt, aushalten müssen, um letztlich eine Position mit finanzieller und sozialer Sicherheit erreichen zu können. Proband 03 entschied sich, sein soziales Kapital so zu nutzen, dass er den Belastungen durch befristete Verträge und einem unstrukturierten Arbeitsalltag entgehen konnte. Dies war aus seiner Sicht durch ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis möglich. Im Gegensatz zu den anderen Probanden gibt er an, dass er die Belastungen nicht aushielt, um zu einer besseren Position zu gelangen, sondern weil er seine Familie versorgen musste. Erst als er durch sein soziales Kapital die Möglichkeit erhielt, diese Versorgung durch ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zu gewährleisten, konnte er der Belastung entgehen. Die Probanden 02 und 04 sprechen bezüglich finanzieller und sozialer Sicherheit von ihrer Verantwortung anderen gegenüber. Keiner der beiden spricht eine Belastung in ihrer Berufslaufbahn an, die durch mögliche Unsicherheit oder Druck entstand. Probandin 04 sagt stattdessen deutlich, dass sie sich – zumindest in der Zeit der Selbstständigkeit – nie in einer prekären Situation gefühlt habe – im Gegensatz also zu Proband 03. Zugleich gibt sie aber auch an, dass sie die geregelte wirt-

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schaftliche Situation, in der sie sich aufgrund der festen Anstellung befindet, zu schätzen weiß. Als ein vierter zentraler Aspekt lässt sich die unabhängige und freie Forschung herausstellen. Alle Probanden schildern Erfahrungen, die sie mit Unternehmen bezüglich des Zugangs und der Bearbeitung von Archivmaterial machten. Dabei fällt besonders die Betonung der Bedeutung der Unabhängigkeit bei den Probanden 02, 03 und 06 auf. Proband 02 weist darauf hin, dass er und seine Mitarbeiter aufgrund ihrer Expertise solch einen freien Zugang bei ihren Kunden erwarten. Zugleich stellt er auch klar, dass sie alles schreiben dürfen, was sie wissen. Auch Proband 06 betont, dass sich der Sohn des Unternehmensgründers, dessen Biografie der Proband in seiner Dissertation aufarbeitete, nie inhaltlich eingemischt habe. Zudem hebt er hervor, dass er keine finanzielle Unterstützung der Unternehmensstiftung erhalten habe. Proband 03 berichtet von gegensätzlichen Erfahrungen mit Unternehmen. Ihm sei der Zugang zu Material verwehrt oder kritische Themen seien gemieden worden. Zugleich betont er, wie wichtig ihm unabhängige und freie Forschung ist. Für ihn sind auf der Grundlage seiner Erfahrungen Auftragsarbeiten von Unternehmen mit unabhängiger Forschung nicht vereinbar. Auch Probandin 04 gibt an, dass aus ihrer Sicht in Unternehmensmuseen freie und unabhängige Arbeit nicht im gleichen Maße wie in ihrem Museum möglich sei. Besonders ausschlaggebend für die unterschiedlichen Einschätzungen von den Probanden 02 und 03 bezüglich der unabhängigen Forschung scheinen die Handlungsoptionen zu sein, welche die Probanden haben bzw. hatten, wenn es um Auftragsarbeiten geht. Proband 02 wurde teilweise explizit von Unternehmen angefragt, ob er kritische Dinge in der Unternehmensgeschichte aufarbeiten könne. Die Ausgangssituation war hier somit eine andere als bei Proband 03, der beauftragt wurde, die Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten, aber bei kritischen Themen auf Widerstand stieß. Auch in der Bearbeitung seiner Abschlussarbeit hatte er bereits negative Erfahrungen mit einem Unternehmen gemacht und konnte die Einsicht in Archivalien nur erreichen, weil er auf bereits veröffentlichtes Material hinweisen konnte. Dieses Druckmittel hat Proband 02 nicht gebraucht. Hinzu kommt, dass Proband 02 mittlerweile ein etabliertes Unternehmen aufgebaut hat, das auf die Erforschung und Darstellung von Unternehmensgeschichte als Dienstleistung spezialisiert ist. Er besitzt damit theoretisch auch die Handlungsoption, einen Auftrag abzulehnen, wenn nicht zu garantieren wäre, dass die wissenschaftlichen Standards eingehalten werden können. Aufgrund des symbolischen Kapitals, das Proband 02 durch den Ruf seines Unternehmens, die Referenzen anderer Kunden und durch das objektivierte kulturelle Kapital besitzt, ist seine Machtposition gegenüber potenziellen Kunden im Feld der Wirtschaft auch ausgeglichener als es die von Proband 03 während dessen Selbstständigkeit war. Proband 03 war vor allem wegen wirtschaftlichen Drucks auf die Aufträge angewiesen, der auch aus der Verantwortung für die Familie erwuchs. Er gibt an, den Auftrag für ein

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Unternehmen in dem Bewusstsein bearbeitet zu haben, kritische Dinge auszusparen, und gibt als zentrale Begründung an, das Unternehmen hätte die Arbeit andernfalls nicht abnehmen wollen. Somit zeigt sich, dass Proband 03 wegen des Grundbedürfnisses eine Existenzgrundlage für sich und seine Familie zu haben, die Aufträge nach Wunsch des Unternehmens anfertigte. Die unterschiedlichen Erfahrungen mit Unternehmen bezüglich des freien Zugangs zu Archivmaterial zeigen sich auch bei den Probanden 01, 04 und 05. Die Probanden 02, 03, 04 und 05 heben zudem die Bedeutung des menschlichen Faktors hervor, wenn es um den Zugang zu Archivmaterial sowie die Akquise von Aufträgen geht. Dies zeigt, dass die soziale Kompetenz als ein ausschlaggebender Faktor für den erfolgreichen Zugang zu Archivmaterial gesehen wird, obwohl bei allen ein starkes Kompetenzbewusstsein in Bezug auf ihre fachliche Expertise zu beobachten ist. Die Probanden 01, 02, 03 und 05 betonen außerdem den Vorteil für Unternehmen, den sie durch die professionelle und ehrliche Aufarbeitung ihrer Geschichte haben. Bei Proband 05 fällt zudem auf, dass freie und unabhängige Forschung aus seiner Sicht auch aufgrund von arbeitsökonomischem Druck eingeschränkt wird. Proband 05 spricht von den Nachteilen der Drittmittelpolitik an Hochschulen und den Arbeitsbedingungen, die zusammen dazu führen, dass Forschung oftmals nur noch oberflächlich betrieben werden kann. Somit fehlt es aufgrund des Werbens um Forschungsmittel und der universitären Selbstverwaltung an Zeit für tiefergehende Forschung. Stattdessen werden Projekte bereits so angelegt, dass sie möglichst innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne durchgeführt werden können. In der Darstellung von Proband 05 fällt auf, dass die Qualität der Forschung im universitären Arbeitsbereich nicht aufgrund offensichtlicher Machtverhältnisse, wie sie im Feld der Wirtschaft zwischen Dienstleister und Kunde bestehen, leidet. Vielmehr leidet sie unter verdeckten Machtverhältnissen, die durch einen Zwang zur zeitlichen und finanziellen Ökonomisierbarkeit der Forschung die Unabhängigkeit und Freiheit ebendieser einschränken. Mit der Bedeutung von unabhängiger und freier Forschung hängt die Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens eng zusammen. Diese wird besonders stark von den Probanden 02, 03, 04 und 05 hervorgehoben. Dabei fällt auf, dass alle das wissenschaftliche Arbeiten als Distinktionsmittel nutzen, um sich von nichtprofessionellen Historikern abzugrenzen. Das entspricht der These über die Legitimationsregeln:34 Die Probanden wurden durch ihr Studium alle im gleichen Feld wissenschaftlich sozialisiert. Sie alle teilen somit die gleiche Disposition über das wissenschaftliche Arbeiten. Zugleich ist für sie das wissenschaftliche Arbeiten als Wert Teil ihres Berufshabitus. Aufgrund der unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten in unterschiedlichen sozialen Feldern ist es ihnen auch unterschiedlich möglich, diese Legitimationsregeln einzuhalten. So zeigt sich bei Proband 03 34

Vgl. Kap. 1.3.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

deutlich der Widerspruch zwischen der Bedeutung, die er dem wissenschaftlichen Arbeiten zuspricht und dem Bewusstsein, dass er bei diversen Aufträgen aufgrund der Handlungsoptionen, die sich aus seiner Machtposition ergaben, widersprüchlich zu diesem Wert gehandelt hat. Zugleich zeigt sich, dass es ihm mit der Veränderung seiner Machtposition und damit einhergehend der Handlungsoptionen möglich war bzw. ist, diese Legitimationsregeln wieder zu befolgen und gemäß seiner wissenschaftlichen Sozialisation zu handeln. Mit dem Wert des wissenschaftlichen Arbeitens hängt auch das Kompetenzbewusstsein der Probanden zusammen. Dieses lässt sich bei allen sechs Probanden erkennen. Bei den Probanden 01 und 03 zeigt sich, dass sie aus ihren Kompetenzen Handlungssicherheit beziehen. Das Empfinden, über entsprechende Kompetenzen sowie eine mit ihnen einhergehende Expertise zu verfügen, wird durch positive Bestätigung ihrer Arbeit gespeist, wie sich bei den Probanden 02 und 03 zeigt. Es fällt auch auf, dass die Probanden ihre Expertise als ein weiteres Distinktionsmerkmal sowohl gegenüber Akteuren anderer sozialer Felder als auch gegenüber Akteuren des gleichen sozialen Feldes nutzen. Dabei ist bemerkenswert, dass die Expertise auch als Grund für Verbesserungen der Position im sozialen Raum gesehen wird. So nennt Proband 01 seine Expertise als Grund, weshalb er im Forschungsprojekt arbeiten konnte, durch das er letztlich sein Prestige erhalten hat. Proband 05 nennt seine Spezialisierung in bestimmten Bereichen als Bedingung für eine mögliche Berufung auf einen Lehrstuhl. Allerdings machen beide Probanden in ihren Darstellungen auch deutlich, dass ihre Kompetenzen und ihre Expertise, also ihr inkorporiertes Kulturkapital, letztlich nicht die entscheidenden Faktoren für die Verbesserung der Position im sozialen Raum waren bzw. sind, sondern vielmehr das soziale sowie das symbolische Kapital. Ähnlich lässt sich dies auch für die anderen Probanden sagen: Obwohl alle von ihren Kompetenzen überzeugt sind und diese für sie einen zentralen Wert darstellen, geben sie zugleich an, dass andere Faktoren ausschlaggebend für die Verbesserung ihrer Machtpositionen im sozialen Raum waren bzw. sind. Die Betonung des wissenschaftlichen Arbeitens und von Kompetenzen decken sich mit den zu Beginn der Arbeit ausgeführten Überlegungen zum Legitimationsschema der Professionalität.35 Besonders die Probanden, deren berufliches Tätigkeitsfeld nicht im Feld der universitären Wissenschaft liegt, also die Probanden 02, 03, 04 und 06, betonen die Unabhängigkeit ihrer Forschung und/oder die Bedeutung des korrekten wissenschaftlichen Arbeitens. Unterstützt wird die These noch durch die Äußerungen von Proband 05, der das korrekte wissenschaftliche Arbeiten als zentrales Merkmal des universitären Feldes der Wissenschaft beschreibt und so eine Distinktion zu Akteuren anderer Felder vornimmt. Besonders bei den

35

Vgl. Kap. 1.3.

4. Teilstudie 2

Probanden 02 und 03 wird deutlich, dass sie ihre eigene Profession als Historiker mit dem korrekten wissenschaftlichen Arbeiten und der Disposition über die unabhängige Forschung legitimieren. Wie oben ausgeführt, gelingt es Proband 02 seine Dispositionen, die er in der Profession als Historiker und in der Profession als Unternehmer innehat, miteinander in Einklang zu bringen, sodass beide Professionen sowohl von den Akteuren im Feld der Wissenschaft als auch im Feld der Wirtschaft als legitim anerkannt werden können.36 Um die eigene Arbeit von nichtwissenschaftlicher Geschichtsschreibung im Feld der Wirtschaft zu distinguieren, weist er auf das inkorporierte Kulturkapital hin, das er und seine Mitarbeiter besitzen und das durch das institutionelle Kapital in Form von Universitätsabschlüssen repräsentiert wird. Zugleich wird deutlich, dass für ihn wie auch für Proband 05 die unabhängige Forschung aufgrund des im Feld der Wissenschaft erworbenen inkorporierten und institutionellen Kulturkapitals eine selbstverständliche Praxis zu sein scheint: »Das wir nichts vorgegeben kriegen, nach dem wir uns richten müssen. Denn das können auch andere, da braucht man keinen Historiker dafür.« Proband 03 begründet seine Professionalität mit dem korrekten Umgang mit Quellen und distinguiert sich so von Akteuren, die keine wissenschaftliche Sozialisation erfahren haben. Dass er Auftragsarbeiten von Unternehmen mit korrektem wissenschaftlichem Arbeiten für unvereinbar hält, weist ebenfalls darauf hin, dass Proband 03 diese Praxis explizit als Praxis des Feldes der Wissenschaft versteht. Darauf deutet auch sein Verständnis von sich selbst als Vertreter dieses Feldes hin, wenn er darauf hinweist, dass er seinen »Stand« verteidigt. Probandin 04 gibt an, Fußnoten immer angegeben zu haben, auch wenn diese im fertigen Manuskript nicht verwendet worden seien. Und Proband 06 betont, dass es keine inhaltliche Beeinflussung während seiner Forschung von Seiten des Unternehmens gab und dass er keine finanzielle Unterstützung erhalten habe, was er ebenfalls als mögliche Einflussnahme deuten würde. Die Hervorhebung, sich an die Regeln zu halten, deutet daher auf eine Legitimation der historischen Profession gegenüber Akteuren der gleichen Profession hin, weil nur diese die Legitimation dieser Regeln aufgrund der gleichen Sozialisation anerkennen können. Dass die Probanden die Distinktion zu nicht-wissenschaftlicher Geschichtsschreibung vornehmen, indem das unabhängige Forschen und das korrekte wissenschaftliche Arbeiten als Teil ihrer erlernten Profession dargestellt wird, indiziert, wie diese Praktik als soziale Praktik des wissenschaftlichen Feldes reproduziert und somit zur feldspezifischen Praktik monopolisiert wird. Zugleich tut sich diesbezüglich ein Widerspruch auf, wenn die Probanden 02, 04 und 06 angeben, dass sie sich nicht mehr als Historiker empfinden. Alle drei begründen diese Aussage mit den Tätigkeiten, die sie in ihrem aktuellen Beruf ausüben. Dabei wird deutlich, dass es sich um Tätigkeiten handelt, für die das Einhalten der Regeln, die spezifisch für die Legitimation 36

Vgl. Kap. 4.2.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

der Historiker-Profession sind, unerheblich sind. Dies zeigt zum einen, dass von den Probanden mit der Historiker-Rolle offensichtlich mehr verbunden wird als die bloße Sozialisation in einem bestimmten Feld und hin zu einer bestimmten Profession mit all den dazugehörenden Dispositionen. Diese Definition von der Rolle eines Historikers ist hier jedoch nicht näher untersucht worden. Zum anderen wird auch deutlich, dass die Probanden durch ihre Sozialisation im Feld der Wissenschaft letztendlich zu Tätigkeiten gelangten, die dazu beitragen, dass ihre ursprüngliche Profession nicht mehr als Teil der Berufsrolle wahrgenommen wird. Die Probanden haben nach der Promotion bzw. der Habilitation eine Handlungsoption ergriffen, die es ihnen ermöglichte, mit dem im Feld der Wissenschaft erlangten Kapital ihre Position im sozialen Raum so zu verbessern, dass sie ihr Bedürfnis nach sozialer Sicherheit befriedigen konnten. Konkret gestaltet sich das in der Unternehmensgründung von Proband 02, der mit seinem inkorporiertem Kulturkapital eine Dienstleistung schaffen konnte, dafür aber im Gegenzug mehr und mehr die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnehmen musste, damit das Unternehmen erfolgreich bleibt. Das eigentliche inhaltliche Arbeiten, für das seine Historiker-Profession steht, führt er daher kaum noch aus. Probandin 04 absolvierte nach der Promotion ein Volontariat, durch das sie letztlich eine leitende Stellung in einem Museum erlangen konnte. Die Selbstständigkeit, in die sie nach ihrer Promotion ging, brachte ihr trotz ihres inkorporierten und des hohen institutionellen Kulturkapitals keine soziale Sicherheit. Sie entschied sich für die Option einer weiteren Qualifikation, um das nötige institutionelle Kulturkapital für eine Museumsleitung zu erlangen. Proband 06 gibt an, dass er sich für die Promotion entschied, weil er nur darin die Möglichkeit auf eine unbefristete Stelle als Geisteswissenschaftler sah. Sein Weg führte dann ebenfalls bis zu einer leitenden Stellung, er verbesserte also wie die Probanden 02 und 04 seine Position im sozialen Raum erheblich. Allerdings nimmt er ebenfalls eine Position ein, in der er keine Tätigkeiten mehr ausübt, die seiner ursprünglichen Profession als Historiker entsprechen. Dagegen fällt auf, dass die Probanden 01 und 05 mit ihren Positionen im Feld der universitären Wissenschaft Tätigkeiten ausüben, die genau ihrer erlernten Profession als Historiker entsprechen. Das deutet darauf hin, dass die Profession vor allem dann aufrechterhalten werden kann, wenn die Handlungsoptionen zur Verbesserung der Position im Feld der universitären Wissenschaft vorhanden sind. Wie durch die Analysen der Aussagen von Proband 01 und 05 zu sehen, ergaben sich diese Optionen vor allem aus dem Einsatz von sozialem und symbolischem Kapital. Die Rahmenbedingungen, die vorhanden sind, um die Profession im Feld der Wissenschaft aufrechtzuerhalten, fordern bemerkenswerterweise den Einsatz von Kapital, das eben nicht die erlernte Profession gegenüber anderen Akteuren legitimiert, also inkorporiertem Kulturkapital, sondern von sozialem und symbolischem Kapital. Aufgrund der Machtposition im Feld, welche die Professionsträger einneh-

4. Teilstudie 2

men, bekommt das soziale und symbolische Kapital erst seine Bedeutung. Denn nur diejenigen, die den Prozess der sozialen Unsicherheit erfolgreich durchlaufen und eine Position einnehmen konnten, die ihnen erlaubt, die ursprüngliche Profession mit all ihren Dispositionen beizubehalten, sind zugleich diejenigen, die die Definitionsmacht über die Profession besitzen. Somit reproduzieren sich die Dispositionen immer wieder und mit ihnen die Ansichten darüber, was die Legitimation der Profession bedeutet. Das System sorgt also dafür, dass die ursprüngliche Profession nur im universitären Feld der Wissenschaft auch aufrechterhalten werden kann und deswegen auch nur in diesem Feld seine ursprüngliche Legitimation erhalten kann. Wie oben bereits erwähnt, gehört dazu auch die Monopolisierung des unabhängigen Forschens und des guten wissenschaftlichen Arbeitens im Feld der Wissenschaft. Eine weitere sich reproduzierende Disposition ist, dass es als normal gilt, erst eine Phase sozialer Unsicherheit auszuhalten, bevor sich die Chance auf soziale Sicherheit ergibt, wie die Probanden 01 und 05 es darstellen. Es zeigt sich hier somit das, was Bourdieu als »institutionalisierte Macht« bezeichnete, also die »Macht über Produktionsmittel (Verträge, Gelder, Posten usw.) und Reproduktionsmittel (die Macht, über Karrieren zu entscheiden oder Karrieren zu ›machen‹).«37 Der Widerspruch, der sich abzeichnet, besteht somit darin, dass durch die Machtverhältnisse, die im Ursprungs-Feld der Professionsträger herrschen, von den Akteuren zur Legitimation ihrer Profession, etwas verlangt wird, das zugleich keine soziale Sicherheit garantiert. Denn das absolute Einhalten der Legitimationsregeln ist nur in einem Feld möglich, das sich durch ein hohes Maß an sozialer Unsicherheit auszeichnet. Dies führt dazu, dass Professionsträger sich Feldern zuwenden, in denen sie mit ihrer erlernten Profession zwar agieren können, aber Kompromisse aufgrund unterschiedlicher Dispositionen eingehen müssen, was dazu führt, dass Legitimationsregeln nicht absolut eingehalten werden können. Um dies auszugleichen, kommt es dann zu anderen Nachweisen der Legitimation, indem beispielsweise Kodexe für wissenschaftliche Arbeit im Bereich der angewandten Unternehmensgeschichte verfasst werden. In manchen Fällen spielt die Legitimation gar keine Rolle mehr, sodass die Profession als solche nicht mehr wahrgenommen wird, wie bei den Probanden 04 und 06. Festzuhalten ist daher, dass die Dispositionen der Probanden in Bezug auf die historische Arbeit viele Gemeinsamkeiten aufzeigen, wie das Empfinden von Interesse an Geschichte und entsprechenden Themen oder die Bedeutung von korrektem wissenschaftlichem Arbeiten und unabhängiger Forschung. Zugleich stellt sich eine Unvereinbarkeit mit den für das Feld der Wissenschaft spezifischen Dispositionen in Bezug auf andere Dispositionen heraus, die als feldübergreifend und grundlegend angesehen werden können: Der Wunsch nach sozialer und finanzieller Sicherheit, der sich bei den Probanden in den Schilderungen über ihre beruf37

Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 31.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

lichen Perspektiven niederschlägt. Betrachtet man dies auf der Ebene der Abhängigkeiten im sozialen Beziehungsgeflecht, zeigt sich, dass die Handlungsoptionen der Probanden zum Erreichen dieser Begehren letztlich individuell unterschiedlich waren und die Entscheidungen vom sozialen Hintergrund, dem aktuellen Arbeitsmarkt für Historiker sowie dem Vermögen über bestimmte Kapitalarten abhingen. Bei allen Probanden zeigt sich, dass das Erreichen von professionsspezifischen und von existenziellen Intentionen ein stetes Aushandeln von Möglichkeiten und Notwendigkeiten war bzw. ist und dass sich ihr Habitus anpasst, um mit den dabei entstehenden Widersprüchen umgehen zu können.

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

In der vorliegenden Studie wurden die Einflüsse auf Geschichtsschreibung eruiert. In diesem Sinne wurde ausgehend von der These, dass Geschichtsschreibungen immer glaubwürdig sein müssen, untersucht, warum diese Prämisse gesetzt werden kann und muss und wie Glaubwürdigkeit hergestellt wird. Es konnte exemplarisch anhand der modernen Unternehmensgeschichte aufgezeigt werden, dass Glaubwürdigkeit nichts Determiniertes ist, sondern von unterschiedlichen Faktoren abhängt. Ein entscheidender Faktor ist dabei das »Wir«, also die Subjekte, die Unternehmensgeschichte schreiben. Unter diesem Begriff subsumieren sich verschiedene Akteure, deren Funktion und Status oft heterogen sind: Universitätsprofessoren, die als Dienstleister Geschichten für Unternehmen schreiben, studierte Historiker, die als freie Autoren schreiben, Autoren, die Geschichte nicht studiert haben, Wissenschaftler, die im Rahmen einer universitären Forschungsarbeit eine Geschichte schreiben und so weiter. Die ungeschützte Bedeutung des Begriffs »Historiker« erschwerte die Betrachtung des Problemkomplexes, der beinhaltet, wer wie und wodurch bei der Geschichtsschreibung beeinflusst wird. Gleichzeitig unterstreicht gerade diese Feststellung, dass es etwas Gemeinsames geben muss, das Geschichtsschreibungen als solche trotz all ihres Facettenreichtums ausmacht. Wie im ersten Teil der Arbeit dargelegt, ist dies die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit. Wie sich in der Teilstudie 1 zeigte, lassen sich die Unterschiede in Bezug auf die jeweilige Legitimation des Glaubwürdigkeitsanspruchs in den Geschichtsschreibungen vor allem an den Intentionen festmachen, die mit den einzelnen Geschichtsschreibungen verbunden sind. Welche Intentionen das sind, hängt in erster Linie von den Erwartungen der an ihr Beteiligten ab – Auftraggeber, Autoren, Rezipienten. In der hier fokussierten modernen Unternehmensgeschichtsschreibung ist dieser Faktor besonders deutlich zu beobachten. Das Ziel, Glaubwürdigkeit zu vermitteln, ist allen Geschichtsschreibungen zu eigen. Wie dieses Ziel aber erreicht wird, hängt immer auch davon ab, welche weiteren Intentionen mit einer Geschichtsschreibung verknüpft sind, und diesbezüglich ist von Bedeutung, in welchem Feld eine Geschichtsschreibung jeweils entsteht. Denn nach den feldvariablen Regeln richten sich auch die unterschiedlichen Mechanismen, die genutzt werden, um den Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu legitimieren.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Anhand der Analysen können nun auch die Widersprüche, die zu Beginn der Arbeit benannt wurden, konkretisiert werden.1 Das Problem der ideell unabhängigen Forschung bei gleichzeitiger sozio-ökonomischer Abhängigkeit kann dann virulent werden, wenn sich Historiker mit Unternehmensgeschichte auseinandersetzen, die sich vor einem Fachpublikum bewähren muss, wie man es anhand der Geschichtsschreibung von Ralf Stremmel exemplifizieren kann. Denn um dem Anspruch an die Historiker-Profession gerecht zu werden, muss er einen Beweis für die Einhaltung der Legitimationsregeln erbringen. Dieser besteht in Bezug auf die Authentizität seiner Geschichtsschreibung beispielsweise darin, seinen Aussagen eine verifizierte Quelle zugrunde zu legen. Dieselbe Aussage könnte innerhalb des Feldes der Unternehmenskultur bereits ohne Angabe von Quellen Authentizität hervorrufen, weil Stremmel als derjenige, der die Aussage tätigte, für die Rezipienten dieses Feldes aufgrund seiner Expertise als Historiker und Archivleiter eine Autorität darstellt. Die Authentifizierung geschähe also in beiden Feldern auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Zum einen auf der Ebene der objektbezogenen Authentizität und zum anderen auf der Ebene der subjektbezogenen Authentizität. Durch die Analyse der unterschiedlichen Texte wird auch die unterschiedliche Gewichtung bezüglich der Interessen innerhalb der beiden Felder Unternehmenskultur und akademischer Geschichtsforschung sichtbar: Bei Ersterer liegt der Fokus auf Identitätsstiftung und bei Zweiter auf Erkenntnisgewinn. Durch die Nachvollziehbarkeit kann die Unternehmensgeschichte innerhalb der Unternehmenskultur ihre Stabilitätsfunktion erfüllen, indem sie das kulturelle Wissen durch metaphorische Erzählungen nachvollziehbar darstellt. So kann durch eine entsprechende Erzählung eine identitätsstiftende Integration der Geschichte gelingen. Die akademische Geschichtsforschung kann durch ihre Erzählweise Narrationen kritisch reflektieren und in den historischen Kontext einordnen. Je nach Paradigma kann der Fokus so auf eine Darstellungsweise gelegt werden, die es ermöglicht, die jeweilige Fragestellung zu beantworten und Argumente nachzuvollziehen, um letztlich neue Erkenntnisse zu erlangen. Schließlich lässt sich durch den Aspekt der Pragmatik der Widerspruch zwischen Form und Inhalt erklären. Fragen wir danach, unter welchen Bedingungen eine Geschichtsschreibung entsteht, dann erklärt sich, weshalb manche Merkmale nicht eingehalten werden, andere dagegen umso stärker wirken. Entsprechend spielen der Zweck und die Rezipientengruppen eine entscheidende Rolle: Sollen Informationen für ein breites Publikum möglichst anschaulich dargestellt werden oder sollen ein bestimmter Aspekt in der Geschichte des Unternehmens untersucht und Detailfragen geklärt werden? Machen die Ergebnisse der ersten Teilstudie deutlich, dass von Bedeutung ist, wem gegenüber die Glaubwürdigkeit einer Geschichtsschreibung vermittelt wer1

Vgl. Kap. 1.

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

den soll und dies Einfluss auf die inhaltliche und formale Darstellung hat, so legen die Ergebnisse der zweiten Teilstudie nahe, dass ebenfalls von Bedeutung ist, welchen Anspruch die Historiker an sich selbst haben. Dabei zeigt sich – auch mit Blick auf die Ergebnisse der ersten Teilstudie –, dass von zwei Arten von Ansprüchen ausgegangen werden muss: zum einen dem Anspruch an die eigene Profession und zum anderen dem Anspruch an die Befriedigung der Grundbedürfnisse, welche sich hier vor allem im Wunsch nach sozialer und finanzieller Sicherheit äußern. Damit bestätigen sich die theoretischen Annahmen, die zu Beginn der Arbeit in Bezug auf die professionsabhängige und professionsunabhängige Dimension von Zielen einer Geschichtsschreibung ausgeführt wurden.2 Die Subjekte sind einerseits frei, ihre Optionen zu wählen, dies aber nur in einem bestimmten Rahmen und zwar in demjenigen, der es erlaubt, ihre existenziellen Grundbedürfnisse, das, was Foucault als »Heil« bezeichnet, zu erreichen.3 Allerdings ist der Anspruch, zugleich auch die professionsspezifischen Intentionen zu erreichen, nicht mit allen Optionen vereinbar. Die hier untersuchten Geschichtsschreibungen sowie auch die untersuchten Habitus der Historiker richten sich nach ihren jeweiligen Intentionen, die einerseits professionsspezifisch sind und andererseits darüber hinausgehen. Wie eine Geschichtsschreibung konstituiert wird, entscheidet sich durch die mit ihr verbundenen Intentionen und damit das Machtverhältnis, das durch sie entsteht. Ebenso richten sich die Handlungsoptionen der Probanden nach ihren Intentionen, die zugleich das Machtverhältnis und damit auch die Abhängigkeiten definieren, in denen die Probanden stehen.4 Der Anspruch an die eigene Profession ist maßgeblich geprägt von der wissenschaftlichen Sozialisation der Historiker. Die Disposition, Glaubwürdigkeit zu erreichen, indem die Erforschung und Dokumentation von Geschichte nach wissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen hat, ist zentral. Darauf deuten die Äußerungen der Probanden hin, wenn sie einerseits bei der Bewertung der Qualität ihrer Arbeit auf wissenschaftliche Kriterien verweisen und wenn sie sich andererseits von anderen Geschichtsschreibern distinguieren, indem sie auf ihre Expertise durch ihre wissenschaftliche Sozialisation und ihre Art zu arbeiten hinweisen. Es wird aber auch ein starkes Konkurrenzverhältnis im Feld der Wissenschaft sichtbar: Obwohl der Karriereweg zu einer Professur als ›normal‹ gilt und von den Mitgliedern erwartet wird – und auch als ›normal‹ akzeptiert wird, wie bei den Probanden 01 und 05 zu erkennen ist, – funktioniert das System so, dass es den Mitgliedern möglichst schwer gemacht wird, diesen Karriereweg erfolgreich zu gehen. Dass alle Mitglieder in dieses System eingebunden sind, liegt daran, dass sie alle aufgrund der Machtverhältnisse nicht mehr autonom in ihrem Feld agieren können.

2 3 4

Vgl. Kap. 2.1. Vgl. Foucault, M.: Spektrum der Genealogie, S. 25; siehe Kap. 2.1. Vgl. Dreyfus, H./Rabinow, P.: Michel Foucault, S. 218; siehe Kap. 2.1.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Alle Mitglieder gleich welcher vertikalen Position sind abhängig von Dritten, um die universitären Kernaufgaben von Forschung und Lehre zu erfüllen. Darin zeigt sich die Wirkungsweise der Kräftefelder, wie Bourdieu sie beschreibt und wie es in Kapitel 1.3 dargestellt wurde.5 Die Akteure eines Feldes konkurrieren miteinander um ihre Positionen, teilen dabei aber die gleichen Dispositionen, halten sich also an bestimmte Regeln des Feldes. Verschärft wird die Situation wegen des enormen Konkurrenzdrucks, der aufgrund des Wissenschaftszeitvertrags-Gesetzes und der wenigen unbefristeten Stellen herrscht. Bis jetzt kann nur vermutet werden, dass dies auch ein Grund dafür ist, weshalb vor allem negative Distinktionen zu anderen Formen und Akteuren der Geschichtsschreibung vorgenommen werden, das heißt eine abwertende Abgrenzung zu anderen, indem das eigene Handeln als etwas ›Richtiges‹ im Gegensatz zum ›Falschen‹ dargestellt wird. Bezüglich der Disposition über wissenschaftliche Standards hat sich auch gezeigt, dass es zu Widersprüchen kommen kann, wenn der Anspruch gegenüber der eigenen Profession und der Anspruch gegenüber der Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht im gleichen Feld erfüllt werden können. Der Anspruch an die eigene Profession wird durch das Einhalten bestimmter Regeln, über deren Wirkung sich die Akteure eines Feldes einig sind, erhalten.6 Die Ergebnisse der ersten sowie der zweiten Teilstudie lassen die Hypothese zu, dass die Betonung dieser Regeln umso stärker ist, je wichtiger die Akzeptanz der eigenen Profession von den anderen Akteuren ist. Diese Bedeutung ist jedoch nicht allein feldabhängig, sondern ebenfalls abhängig vom Anspruch auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Entsprechend zeigt sich bei Proband 01, der eine Professur erlangt hat, dass er gegenüber anderen Akteuren im gleichen Feld kein Bedürfnis verspürt, sich stark zu distinguieren. Er hat bereits eine herausragende Position im Feld der Wissenschaft eingenommen, die ihm qua Status Legitimation der Profession und die Befriedigung der Grundbedürfnisse im Sinne von sozialer und finanzieller Sicherheit verschafft. Seine Expertise und seine fachliche Kompetenz spielen für seinen Habitus zwar wie bei allen anderen Probanden eine große Rolle, dienen aber im Gespräch viel mehr der Selbstvergewisserung als einer Rollendefinition. Für die Probanden 02 und 03 ist die Legitimation der Profession durch andere Professionsträger dagegen äußerst wichtig. Proband 02 agiert sowohl im Feld der Wissenschaft als auch im Feld der Wirtschaft und die Legitimation seiner Historiker-Profession kann er erfolgreich für sein Unternehmen nutzen, was wiederum zu seiner sozialen und finanziellen Sicherheit beiträgt. Proband 03 hofft, dass er neben seiner gegenwärtigen Tätigkeit im Museum auch wieder forschen und schreiben kann, das heißt, die Legitimation der Profession ist für ihn in Bezug auf die berufliche Perspektive 5 6

Vgl. Bourdieu, P.: Vom Gebrauch der Wissenschaft, S. 20ff.; siehe Kap. 1.3. Vgl. ebd., S. 29; siehe Kap. 1.3.

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

wichtig. Zugleich zeigt sich, dass er Abstriche hinnahm, wenn der Anspruch auf die Grundbedürfnisse dem Anspruch an die Profession zuwiderlief. Aufgrund der Verantwortung, die er für sich und für seine Familie trug, entschied er sich in seinen Handlungsoptionen für diejenigen, die eine Einhaltung des Anspruchs auf die Grundbedürfnisse aus seiner Sicht am besten ermöglichten. Probandin 04 weist auf die Einhaltung der Regeln der Wissenschaft hin. Für ihre Tätigkeit als leitende Angestellte eines Museums sind diese Regeln aber nicht mehr entscheidend, weil die Legitimation ihrer Profession durch andere Professionsträger nicht mehr entscheidend für sie ist. Darauf deuten ihre Äußerungen über die Akzeptanz bei Kollegen durch ihr institutionelles Kapital hin. Statt sich zu distinguieren, zählt sie sich zu einem bestimmten Kreis von Akteuren im Feld. Sie selbst befindet sich, wie auch Proband 01, in einer sozial und finanziell gesicherten Position. Hinzu kommt bei ihr, dass sie Tätigkeiten ausübt, die für sie nicht mehr viel mit der ursprünglichen Profession zu tun haben. Die Regeln zur Legitimation hat sie zwar verinnerlicht, deren Bedeutung für ihren Berufshabitus hat jedoch nachgelassen. Das Gleiche gilt für Proband 06. Für Proband 05 ist die Legitimation der Profession durch andere Professionsträger dagegen gerade aufgrund seines Anspruchs auf Erfüllung der Grundbedürfnisse wichtig. Er hofft diese Bedürfnisse im Feld der Wissenschaft befriedigen zu können, indem er eine Professur erlangt. Er ist damit besonders auf die Anerkennung der Legitimation durch die anderen Akteure angewiesen. Somit bestätigen diese Ergebnisse der zweiten Teilstudie auch die eingangs aufgestellte These einer Chancenungleichheit im Feld der Wissenschaft, die auf die ungleichen Einsatzmöglichkeiten der Kapitalarten zurückzuführen ist.7 Bei der Teilstudie 1 zeigt sich, dass die Autoren derjenigen Schriften, die im Feld der Wissenschaft entstehen und damit auch auf Akteure dieses Feldes als Rezipienten zielen, um die Einhaltung der Legitimationsregeln bemüht sind. Und sie sind es nicht einfach deshalb, weil sie dies in ihrer wissenschaftlichen Ausbildung so gelernt haben, sondern weil ihre Profession andernfalls in Frage gestellt werden könnte, was ihre soziale Sicherheit gefährden würde. Um es ganz deutlich zu machen: Es geht ausdrücklich nicht darum, dass das Einhalten wissenschaftlicher Standards ein soziales Konstrukt ohne weiteren Sinn wäre (denn das ist es nicht), sondern darum, dass das Einhalten dieser Standards mit etwas Existenziellem verknüpft ist, ebenso wie auch das Nicht-Einhalten solcher Standards mit etwas Existentiellem verknüpft ist. Die Disposition, Glaubwürdigkeit in einer Geschichtsschreibung auf eine bestimmte Art und Weise zu vermitteln, hängt mit dem existenziellen Grundbedürfnis der Professionsträger zusammen, mittels ihrer erlernten Profession ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Und genau da liegt oftmals das Problem: In dem Feld, in dem die Einhaltung der Legitimationsregeln möglich ist und zugleich die Befriedigung der Grundbedürfnisse 7

Vgl. Kap. 1.3.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

mittels dieser Einhaltung zu erreichen ist, sind die Chancen, diese Grundbedürfnisse auf Dauer wirklich zu befriedigen, sehr gering. So kann es zu Situationen kommen, in denen die Professionsträger in Feldern agieren, in denen es zu Widersprüchlichkeiten zwischen ihren erlernten Dispositionen und den an sie herangetragenen Dispositionen kommt. Somit ergeben sich aus diesen Widersprüchen die zu Beginn der Arbeit dargelegten zwei Dimensionen von Widersprüchen:8 Von Intentionen und Begehren der Akteure und von den Kapitalarten, deren Einsatz darüber entscheidet, welche Handlungsoptionen gewählt werden können, um Intentionen und Begehren zu erreichen. Wie sich bei den Probanden 02, 03, 04 und 06 zeigt, wählten sie Handlungsoptionen, die es ihnen im jeweiligen sozialen Beziehungsgeflecht ermöglichten, den Anspruch an die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Je nach individuellen Faktoren war es dabei mehr oder minder möglich, den professionellen Legitimationsanspruch zu wahren. So gelang es Proband 02 zum Beispiel, sein Unternehmen auf der Basis seiner Expertise als Historiker aufzubauen und sich eine Alternative zum wissenschaftlichen Karriereweg zu schaffen, der zu einer Professur führen sollte. Wie sich in seinen Äußerungen zeigt, war für die Entscheidung, sich gänzlich der Alternative zu widmen, grundlegend, dass das Erreichen einer Stellung, die ihm in der Wissenschaft finanzielle und soziale Sicherheit geboten hätte, sehr ungewiss war. Bei Proband 06 wird dagegen deutlich, dass er sich für die Handlungsoption, eine Promotion zu erlangen, entschied, weil er durch sie den Anspruch auf die existenziellen Grundbedürfnisse zu erreichen suchte. Die Promotion war für den Probanden der Weg, um eine gute Anstellung auch außerhalb der Wissenschaft zu finden. Das heißt, die Legitimation der Profession war für ihn soweit wichtig, wie er durch sie die nächste Handlungsoption schaffen konnte, um soziale und finanzielle Sicherheit zu erreichen. Die individuellen Handlungsmöglichkeiten der Subjekte in ihrem jeweiligen sozialen Beziehungsgeflecht sind daher immer zu berücksichtigen, wenn man fragt, warum jemand eine Geschichtsschreibung wie konstruiert oder auch gar nicht mehr konstruiert. Denn die sozialen Gegebenheiten können dazu führen, dass Kompromisse zwischen den im Feld der Wissenschaft erlernten Regeln zur Erstellung einer Geschichtsschreibung und den an eine Geschichtsschreibung selbst gebundenen Ziele und Erwartungen eingegangen werden müssen. Das heißt, hier stehen sich unterschiedliche Subjekte aus teilweise unterschiedlichen Feldern gegenüber, deren Interessen miteinander ausgehandelt werden müssen. Je nachdem, wer in welcher Machtposition steht, können die jeweiligen Interessen unterschiedlich stark durchgesetzt werden. Die Durchsetzungskraft ist wiederum abhängig vom Verfügen über unterschiedliche Kapitalarten und deren jeweiliger

8

Vgl. Kap. 2.2.

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

Wirkungsmacht im Kräftefeld, in dem die Subjekte miteinander agieren. Beispielsweise befand sich Proband 03 laut seiner Beschreibung nach dem Studium in einer schwachen Machtposition und konnte sein inkorporiertes Kulturkapital zwar anbieten, um für ein Unternehmen eine Geschichtsschreibung zu erstellen. Er verfügte jedoch nicht über das nötige symbolische Kapital, um seine im Historiker-Habitus verankerte Disposition zur wissenschaftlichen – in diesem Fall vollständigen – Aufarbeitung gegenüber dem Auftraggeber durchzusetzen, weil er aufgrund seiner sozialen Lage kaum andere Handlungsoptionen besaß, die es ihm ermöglichten, seine existenziellen Grundbedürfnisse zu befriedigen.   Ein weiterer Aspekt, der in der vorliegenden Untersuchung immer wieder zum Tragen kam, ist die Bedeutung der Geschichtswissenschaft als soziales Feld. Geschichtsschreibungen existieren in vielen Facetten. Dies ist am Beispiel der modernen Unternehmensgeschichte deutlich zu sehen. An ihr lässt sich auch gut beobachten, welche unterschiedlichen Akteure mit einer Geschichtsschreibung verbunden sein können. Die Geschichtswissenschaft ist dabei nur ein mögliches Feld, in dem Geschichtsschreibung praktiziert wird. Sie besetzt aber aufgrund ihrer Definitions- und Legitimationsmacht darüber, was eine Geschichtsschreibung glaubwürdig macht, eine Schlüsselposition im Diskurs über die Frage, wie der Anspruch auf Glaubwürdigkeit in einer Geschichtsschreibung legitimiert werden kann. Damit spielt sie eine gewichtige Rolle bei der Kontrolle der Diskurse, wie sie eingangs erläutert wurde.9 Sie beeinflusst den Diskurs nicht nur inhaltlich, sondern auch die Art und Weise, wie er geführt wird. Die Kontrolle über den Diskurs wurde besonders in der Analyse von Proband 05 deutlich, als er über die Verteilung von Drittmitteln sowie über ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung spricht. In seinen Äußerungen findet sich damit die zu Beginn der Arbeit erläuterte Macht der Wenigen im Feld der Wissenschaft: Durch die Kontrolle von Wenigen über Ressourcen und Produktionsmittel wird entschieden, was als Wissen generiert wird und wie es generiert wird und wer Zugang zu ihm erhält.10 Wissenschaftliche Standards bieten gerade für die Forderung nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit die richtige Grundlage, da sie Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses garantieren können. Das Problem besteht darin, dass es zu Widersprüchlichkeiten für Historiker kommen kann, wenn die Standards nicht eingehalten werden können. Die eigene Definitions- und Legitimationsmacht zu reflektieren, kann eine Orientierungshilfe bieten, welche die universitäre Geschichtswissenschaft bezüglich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nutzen sollte.

9 10

Vgl. Kap. 2.1. Vgl. Kap. 2.1.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

Zugleich sollte der Anspruch an die Unabhängigkeit der Profession der Historiker immer wieder reflektiert werden. Wo beginnt die Einflussnahme auf die Freiheit der Forschung? Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit freie Forschung geschehen kann? Die Studie hat deutlich gemacht, dass Einfluss nicht nur aktiv durch Subjekte, sondern auch passiv aufgrund von Rahmenbedingungen ausgeübt werden kann. Vor allem die sozialen Rahmungen sind es, die Abhängigkeiten hervorrufen. Zum einen handelt es sich dabei um Abhängigkeiten bezüglich des Einhaltens der wissenschaftlichen Standards, also um professionsspezifische Abhängigkeiten, und zum anderen um Abhängigkeiten bezüglich der Befriedigung der Grundbedürfnisse, also sozio-ökonomische Abhängigkeiten. Beide kohärieren aber miteinander. Um die wissenschaftlichen Standards einzuhalten, müssen bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sein. Das heißt, Transparenz und Nachvollziehbarkeit müssen praktisch umgesetzt werden können, indem beispielsweise Quellennachweise gesetzt werden. Diese Rahmenbedingungen sind an Universitäten gegeben, weil die Tätigkeit der Forscher mit dem Einhalten der Standards unmittelbar verknüpft ist. Aber auch hier muss gefragt werden, ob das Einhalten der Standards bereits für eine freie und unabhängige Forschung ausreicht? Das heißt, die Professionsträger sollten reflektieren, unter welchen Rahmenbedingungen ihre wissenschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Denn die ökonomische Abhängigkeit ist auch in diesem Bereich vorhanden, wie Proband 05 es in seiner Erzählung dargestellt hat. Er schildert seine Wahrnehmung der Beeinflussung seiner Forschung durch den Druck, finanzielle Mittel zu bekommen, damit ihm Forschung überhaupt möglich ist. Zugleich ist der Erhalt dieser Mittel an bestimmte Bedingungen geknüpft. Hier fällt unter anderem auch die Frage nach der Publikation ins Gewicht. Die Möglichkeiten wissenschaftliche Arbeiten zu publizieren sind ungleich verteilt, an die Publikationsformen sind auch bestimmte Dispositionen geknüpft.11 Es gilt daher zu überlegen, ob das Einhalten dieser Bedingungen nicht auch die Freiheit der universitären Forschung – also was auf welche Art und Weise erforscht wird – beeinflusst. Es sind hier somit vor allem die institutionellen Rahmenbedingungen, die beeinflussen, was in einer Geschichtsschreibung dargestellt wird und wie es dargestellt wird. Zugleich hängt dies auch mit der Abhängigkeit von den Grundbedürfnissen der Forschenden zusammen. Denn die Beschäftigung an einer Universität ist für die Professionsträger gleichzeitig ihre Lohnarbeit, durch die sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Das heißt, aufgrund der Abhängigkeiten zur Befriedigung von Grundbedürfnissen sind sie angewiesen finanzielle Forschungsmittel zu erlangen. Darin sind sie wiederum abhängig von den Bedingungen, die eingehalten werden müssen, um die Mittel 11

Von Bedeutung ist hier unter anderem: Wird international veröffentlicht? Handelt es sich um eine analoge oder digitale Veröffentlichung? Wie steht es um das Renommee von Verlag, Herausgeber etc.?

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

zu bekommen, was sich auf die Forschung auswirkt. Wenn beispielsweise für die Förderwürdigkeit von Themen vor allem die Ökonomisierbarkeit statt das Innovationspotenzial eines Projekts ausschlaggebend ist, wie Proband 05 erzählt, würde das bereits zum Aufweichen der professionellen Disposition, neue Erkenntnisse zu gewinnen, führen. Somit würde auch hier das Streben nach der Befriedigung der existenziellen Grundbedürfnisse mittelbar Einfluss auf die Forschung nehmen, da sie die Intention des Strebens nach neuen Erkenntnissen tangiert. Somit existiert auch innerhalb des wissenschaftlichen Feldes eine Kontrolle des Diskurses. Diejenigen, die eine entsprechende Machtposition im Feld einnehmen, können über die Deutungs- und Legitimationshoheit entscheiden. Außerhalb des Feldes der universitären Wissenschaft sowie auch auf anderen Feldern, wie der Wirtschaft, ist es ebenfalls die Abhängigkeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse, die beeinflusst, was und wie etwas erforscht wird. Die Einhaltung wissenschaftlicher Standards ist hier in schwächerem Maß umsetzbar als im Feld der universitären Wissenschaft, weil die Standards keine Prämisse wie bei der universitären Forschung darstellen. Stattdessen müssen die Professionsträger ausgehend von ihren Verhandlungspositionen nach Optionen suchen, um die Standards einzuhalten und zugleich ihre Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Die Abhängigkeit ist somit sowohl in der universitären Geschichtswissenschaft als auch in allen anderen Feldern der Geschichtsschreibung vorhanden und nimmt Einfluss darauf, was erforscht wird und wie es erforscht wird. Dabei ist die Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit unterschiedlich möglich (siehe Teilstudie 1), der Anspruch jedoch, sie mittels des Einhaltens wissenschaftlicher Standards zu erreichen, trifft durch die Begebenheiten der sozialen Wirklichkeit auch auf Widersprüche. Aber gerade der Anspruch auf eine freie und unabhängige Forschung verlangt, die Ansprüche an die Geschichtsschreibung und die gegebene soziale Wirklichkeit zu reflektieren und sich konstruktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. In der Forschungsdebatte über die Unabhängigkeit von moderner Unternehmensgeschichtsschreibung ist das Bewusstsein über den Zusammenhang von auftragsgebundener Unternehmensgeschichte mit den Forschungs- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen bereits vorhanden.12 Dass allerdings gerade in der angewandten Unternehmensgeschichte der Vorschlag zur Metareflexion der eigenen Geschichtsschreibung kommt, wie Christoph Kühberger sie empfiehlt,13 zeigt, dass der Diskurs in der wissenschaftlichen modernen Unternehmensgeschichte noch nicht besonders stark von der Reflexion des eigenen Standortes, sondern noch immer von normativorientierten Debatten darüber geprägt ist, was eine moderne Unternehmensgeschichte leisten kann und soll, wie bei Pierenkemper und Pohl

12 13

Vgl. Köster, R., GWU 66/2015, S. 150. Vgl. Kühberger, C.: Verkaufte Zunft?, S. 46f.

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

zu sehen ist14 . Die Ergebnisse der Studie zeigen aber deutlich, dass die befragten Historiker sich der Probleme der Forschungs- und Arbeitsbedingungen ihrer jeweiligen Bereiche bewusst sind und dass diese Probleme für sie Konsequenzen auf ihr Handeln als Historiker haben. Statt normativorientierter Diskussionen braucht es daher zuvörderst einen reflektierenden Blick auf die soziale Wirklichkeit, in der Geschichtsschreibung stattfindet. Nur so kann eine mögliche anschließende sachliche Debatte konstruktiv geführt werden. Konsequenterweise würde dies mit Blick auf die Rolle der wissenschaftlichen Sozialisation bedeuten, dass bereits im Studium die kritische Reflexion über die Forschungs- und Arbeitsbedingungen fester Bestandteil der Historiker-Ausbildung werden müsste. Die Entwicklung eines pädagogisch und didaktisch sinnvollen Konzepts dafür stellt eine spannende und lohnenswerte Herausforderung für die Geschichtswissenschaft dar.   Es gibt heutzutage viele unterschiedliche Geschichtsschreibungen. Ob eine Geschichtsschreibung wissenschaftlichen Standards folgt oder nicht, macht sie nicht per se zu einer ›guten‹ oder einer ›schlechten‹ Geschichtsschreibung. Die Frage muss vielmehr lauten: Für wen und was ist sie glaubwürdig und kann sie es jeweils schaffen, ihren Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu legitimieren? Ob eine Geschichtsschreibung daher als ›gut‹ oder ›schlecht‹ bewertet wird, hängt immer von der Perspektive im Sinne einer Standortgebundenheit des Urteilenden ab. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass die Art und Weise, wie eine Geschichtsschreibung dargestellt wird, von unterschiedlichen Faktoren abhängt und sie nicht automatisch ›gut‹ oder ›schlecht‹ ist, weil sie bestimmten Regeln folgt oder eben nicht folgt. Die methodische Vorgehensweise dieser Arbeit stellt eine mögliche Herangehensweise an die Frage zur Beeinflussung von Geschichtsschreibung dar. Mit dieser Arbeit sollte zur Reflexion über die Bedingungen und Erfordernisse von ›freier‹ Forschung angeregt werden. Die Ergebnisse stellen eine mögliche Antwort auf die Frage dar, was Geschichtsschreibungen glaubwürdig macht und wovon die Art und Weise, wie Geschichte geschrieben wird, abhängt. Durch die soziologische Perspektive ist es möglich, sowohl das Potenzial als auch die Grenzen von Geschichtsschreibungen zu erkennen. Gerade in Bezug auf die Frage danach, welche Rolle Geschichte für eine Gesellschaft spielen soll, ist dies hilfreich. Das Bewusstwerden über vorgelagerte Abhängigkeiten, die Glaubwürdigkeit hervorrufen, ist von entscheidender Bedeutung. Durch die in Teilstudie 1 entwickelte methodische Vorgehensweise konnte gezeigt werden, dass Glaubwürdigkeit weniger eine Frage der Technik als eine Frage der sozialen Wirklichkeit ist, in der eine Geschichtsschreibung entsteht, da die Technik oftmals bereits von der sozialen Wirklichkeit abhängt. Diesbezüglich kann die Bewusstwerdung und die Reflexion 14

Vgl. Pierenkemper, T., ZUG 1/1999, S. 15-31; Pohl, M., ZUG 1/2000, S. 150-163.

5. Was beeinflusst, wie wir Geschichte schreiben?

der eigenen Definitions- und Legitimationsmacht eine Orientierungshilfe bieten, welche die universitäre Geschichtswissenschaft in Bezug auf ihre gesellschaftliche Verantwortung nutzen kann, ohne damit das ihr eigene Profil aufzugeben. Die Arbeit hat den Fokus der Untersuchung zur Beantwortung der Fragestellungen auf die moderne Unternehmensgeschichte gelegt. Es ist anzunehmen, dass die hier angeführten Thesen und Schlussfolgerungen über die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch auf andere Bereiche der Geschichtsschreibung übertragbar sind, da die Prämisse zur Legitimation des Anspruchs auf Glaubwürdigkeit für alle Arten der Geschichtsschreibung gilt. Eine Frage, die sich durch die Untersuchung der Berufshabitus ergab, ist die nach dem Rollenempfinden als Historiker. Die Probanden haben unterschiedlich auf die Frage, ob sie sich als Historiker empfinden, reagiert. Eine einheitliche Definition ist bei der Divergenz an Antworten nicht möglich gewesen. Die Probanden 02, 04 und 06 gaben an, dass sie sich aufgrund ihrer Tätigkeiten nicht mehr als Historiker definieren. Was aber sind ›typische‹ Tätigkeiten von Historikern, wenn nicht einmal die Bezeichnung »Historiker« eine einheitliche Definition hat? Nach der Analyse von Probandin 04 stellt sich zudem die Frage, ob und inwiefern das Geschlecht Einfluss auf den Berufshabitus und somit auch auf die Geschichtsschreibung hat. Des Weiteren wäre es lohnenswert, das in der Teilstudie 2 eruierte Distinktionsbestreben näher zu untersuchen. Bei den Probanden fiel auf, dass vor allem eine negative Distinktion zu anderen Akteuren vorgenommen wurde. Das heißt, der Distinktion lag immer ein konkurrierendes Moment zugrunde. Interessant wäre daher zu fragen, welche Motive sich hinter diesem Moment verbergen, wie es sich auf das berufliche Handeln der Akteure auswirkt und wie eine positive Distinktion konstituiert werden könnte, indem die anderen Akteure nicht in erster Linie als wissenschaftlich-defizitäre Konkurrenten, sondern als gleichwertige Andere wahrgenommen würden. Eine weitere offene Frage betrifft die oben angesprochenen Rahmenbedingungen, unter denen unabhängige Forschung gelingen kann. Wie Rahmenbedingungen gestaltet sein sollten, hängt maßgeblich von der Beantwortung der Frage ab, wie wir Forschung betreiben wollen. Dazu zählt auch, wie mögliche Forderungen umgesetzt werden könnten. Die Arbeit möchte einen Anstoß zur Debatte über diese Fragen bieten und plädiert zugleich dafür, stets vom Subjekt aus zu denken und dieses verstärkt in den Fokus der Diskurse zu rücken.

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Anhang

Die Untersuchungsmaterialien zur Teilstudie 2 finden sich im Materialband, der im digitalen Bestand der Universitätsbibliothek der Universität Paderborn (www.ub.upb.de) zu finden ist.

Abkürzungsverzeichnis AKKU – Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte FQS – Forum Qualitative Sozialforschung GUG – Gesellschaft für Unternehmensgeschichte GWU – Geschichte in Wissenschaft und Unterricht NLA AU– Niedersächsisches Landesarchiv Aurich ZfG – Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZUG – Zeitschrift für Unternehmensgeschichte ZAG – Zentrum für angewandte Unternehmensgeschichte

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Paradoxien der Unternehmensgeschichtsschreibung

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Geschichtswissenschaft Sebastian Haumann, Martin Knoll, Detlev Mares (eds.)

Concepts of Urban-Environmental History 2020, 294 p., pb., ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4375-6 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4375-0

Gertrude Cepl-Kaufmann

1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, 39 SW-Abbildungen, 35 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6

Sebastian Barsch, Jörg van Norden (Hg.)

Historisches Lernen und Materielle Kultur Von Dingen und Objekten in der Geschichtsdidaktik 2020, 284 S., kart., 22 SW-Abbildungen, 13 Farbabbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5066-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5066-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Geschichtswissenschaft Wiebke Reinert

Applaus der Robbe Arbeit und Vergnügen im Zoo, 1850-1970 2020, 414 S., kart., 10 Farbabbildungen, 55 SW-Abbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-5106-5 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5106-9

Frank Becker, Darius Harwardt, Michael Wala (Hg.)

Die Verortung der Bundesrepublik Ideen und Symbole politischer Geographie nach 1945 2020, 278 S., kart., 17 Farbabbildungen, 18 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5003-7 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5003-1

Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hg.)

WerkstattGeschichte Differenzen einschreiben 2020, 178 S., kart., 26 SW-Abbildungen 21,99 € (DE), 978-3-8376-5299-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de